ISSN 1977-088X |
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Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140 |
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Ausgabe in deutscher Sprache |
Mitteilungen und Bekanntmachungen |
66. Jahrgang |
Inhalt |
Seite |
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I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen |
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STELLUNGNAHMEN |
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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss |
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575. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 14.12.2022-15.12.2022 |
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2023/C 140/01 |
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2023/C 140/02 |
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2023/C 140/03 |
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2023/C 140/04 |
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III Vorbereitende Rechtsakte |
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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss |
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575. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 14.12.2022-15.12.2022 |
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2023/C 140/05 |
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2023/C 140/06 |
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2023/C 140/07 |
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2023/C 140/08 |
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2023/C 140/09 |
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2023/C 140/10 |
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2023/C 140/11 |
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2023/C 140/12 |
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2023/C 140/13 |
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2023/C 140/14 |
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2023/C 140/15 |
DE |
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I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen
STELLUNGNAHMEN
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
575. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 14.12.2022-15.12.2022
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/1 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Nachhaltiges Recycling, Verwendung von Sekundärrohstoffen und gerechter Übergang in der europäischen Eisen- und Nichteisenmetallindustrie“
(Initiativstellungnahme)
(2023/C 140/01)
Berichterstatter: |
Anastasis YIAPANIS |
Ko-Berichterstatter: |
Michal PINTÉR |
Beschluss des Plenums |
20.1.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 52 Absatz 2 GO |
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Initiativstellungnahme |
Zuständiges Arbeitsorgan |
Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) |
Annahme in der CCMI |
9.12.2022 |
Verabschiedung im Plenum |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
183/0/2 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der EWSA stellt fest, dass eine stärkere Nutzung von Sekundärrohstoffen durch den Mangel an hochwertigen Sekundärrohstoffen sowie durch nicht wettbewerbsfähige Preise verhindert wird, und fordert angemessene politische Maßnahmen und Finanzierungsmöglichkeiten, um neue Recyclinganlagen zu bauen und bestehende Anlagen technologisch zu modernisieren. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass Steuererleichterungen und steuerliche Anreize entlang der Recycling-Wertschöpfungskette sowie für neue kreislauforientierte Geschäftsmodelle eingeführt werden sollten und besonderes Augenmerk auf die wichtige Rolle von KMU und Start-up-Unternehmen beim Übergang gelegt werden sollte. |
1.2. |
Der EWSA fordert zusätzliche Maßnahmen, um die Forschung und Entwicklung zur Ersetzung kritischer Rohstoffe, Verringerung des Ressourcenverbrauchs, Verbesserung der Produkteffizienz sowie Optimierung der Überwachung, des Risikomanagements und der Steuerung durch die EU im Bereich kritischer Rohstoffe zu unterstützen und zu finanzieren. |
1.3. |
Der EWSA begrüßt die Gründung der Globalen Allianz für Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz (1) (GACERE) im Februar 2021 und ist der Ansicht, dass weitere Mitglieder in diese Organisation aufgenommen werden sollten. |
1.4. |
Nach Ansicht des EWSA sollte es in allen Mitgliedstaaten mehr gezielte Maßnahmen und öffentliche Investitionen geben, um die nachhaltige Entwicklung und den gerechten Übergang zu fördern. |
1.5. |
Der EWSA betont, dass ein zunehmender Bedarf an Fachkräften aus den Bereichen Recycling, Gestaltung und Herstellung langlebiger Produkte, Abfallwirtschaft und fortschrittliche Sortierung besteht. Den Sozialpartnern und den Organisationen der Zivilgesellschaft aus dem Wirtschaftsbereich kommt bei der Umsetzung und Überwachung des Mechanismus für einen gerechten Übergang eine äußerst wichtige Rolle zu, und der EWSA fordert einen verstärkten Dialog und eine engere Zusammenarbeit zwischen den europäischen und nationalen Behörden und Interessenträgern aus der Wirtschaft. |
1.6. |
Nach Ansicht des EWSA sollten in der Abfallrahmenrichtlinie die maßgeblichen Kriterien zur Verwirklichung der ehrgeizigen Ziele des europäischen Grünen Deals und des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft festgelegt und anschließend innerhalb der EU harmonisiert werden. |
1.7. |
Abfallausfuhren sollten nur dann gestattet sein, wenn die Umwelt- und Sozialstandards im Bestimmungsland vollständig eingehalten werden und zuverlässige und wirksame Prüfverfahren, an denen die Sozialpartner und die einschlägigen NGO beteiligt sind, Anwendung finden. Der Ausschuss fordert eine strenge Überwachung bei der Einstufung und die Einführung geeigneter und wirksamer Schutzmaßnahmen, um die Ausfuhr auszusetzen, wenn die Bedingungen nicht erfüllt sind. Darüber hinaus fordert der EWSA das Parlament und den Rat auf, für OECD-Staaten und Nicht-OECD-Staaten bei der Ausfuhr von Abfällen die gleichen strengen Kriterien in Bezug auf Umweltverpflichtungen anzulegen. |
1.8. |
Der EWSA weist auf das Problem der illegalen Ausfuhr von Schrott aus Europa und die bedenklichen Wiedereinfuhren von außerhalb der EU hergestellten Waren hin und fordert strengere Grenzkontrollen. |
1.9. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass schnellere Verfahren für intern verbrachte Abfälle zu einer besseren Kreislauffähigkeit von Eisen- und Nichteisenmaterialien führen werden, wodurch sie wettbewerbsfähiger werden und ihre Treibhausgasemissionen sinken. |
1.10. |
Da die recyclingfähige Gestaltung von Produkten äußerst wichtig ist, um die Kreislauffähigkeit und Verfügbarkeit hochwertiger Sekundärrohstoffe zu erhöhen, fordert der EWSA, die Nutzung von wiederverwertbaren Rohstoffen und Nebenprodukten im Rahmen der Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte anzuerkennen. Die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten wird für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie immer wichtiger werden. |
1.11. |
Der EWSA ist der Ansicht, dass durch die Aufnahme von Mindestanforderungen in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit und soziale Aspekte in die Bauprodukteverordnung in Verbindung mit einer Kennzeichnung und Marktanreizen gleiche Wettbewerbsbedingungen für nachhaltige Produkte geschaffen würden. |
1.12. |
Die Beteiligung von Sachverständigen aus der Industrie und anderen einschlägigen Interessenträgern ist wichtig, damit die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft auf allen Ebenen der Produktgestaltung angewendet werden; der Ausschuss ist der Ansicht, dass Investitionen in FuE und öffentlich-private Partnerschaften ausgebaut und finanziell unterstützt werden müssen. |
1.13. |
Nach Ansicht des EWSA spielt ein umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen eine entscheidende Rolle bei der beschleunigten Umsetzung von Modellen der Kreislaufwirtschaft und der Förderung der Nachhaltigkeit; seines Erachtens würde eine harmonisierte EU-Normung von Bauprodukten einen kohärenten Rahmen bieten und die Fragmentierung zwischen den Mitgliedstaaten verringern. |
1.14. |
Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, Legislativvorschläge zur Verbesserung der Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit von Produkten, Verlängerung des Lebenszyklus von Produkten, Einführung einer Energieverbrauchskennzeichnung und Bereitstellung von leicht zugänglichen Reparaturdiensten für die Verbraucher zu unterstützen. |
1.15. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass mittels umweltbezogen gestaffelter Gebühren im Rahmen der erweiterten Herstellerverantwortung der Recyclingfähigkeit von Verpackungsmaterialien Rechnung getragen werden sollte. |
2. Einleitende Bemerkungen
2.1. |
Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung „Aktualisierung der neuen Industriestrategie von 2020: einen stärkeren Binnenmarkt für die Erholung Europas aufbauen“ (2) betont, dass energieintensive Industrien für die europäische Wirtschaft unverzichtbar sind und unterstützt werden müssen, um neue Märkte für klimaneutrale und kreislauforientierte Produkte wie Stahl zu schaffen. Sie hat auch darauf hingewiesen, dass durch den Übergang der EU zur Klimaneutralität die derzeitige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu einer Abhängigkeit von Rohstoffen aus dem Ausland werden könnte. |
2.2. |
Die COVID-19-Pandemie hat die Anfälligkeit der europäischen Lieferketten und die Abhängigkeit von Drittländern bei strategischen Rohstoffen deutlich gemacht. Es bestehen nach wie vor Engpässe, und die EU scheint nicht in der Lage zu sein, die Wertschöpfungsketten widerstandsfähiger zu gestalten und sich besser auf mögliche künftige Schocks im Rahmen des Übergangs hin zu einer digitalen und grünen Wirtschaft vorzubereiten. |
2.3. |
Nach Angaben der Internationalen Energie-Agentur wird sich die Nachfrage nach mineralischen Rohstoffen bis 2050 versechsfachen. Da Primärrohstoffe in der EU begrenzt bzw. häufig nicht verfügbar sind, muss der Schwerpunkt auf die Verbesserung der Recyclingkapazitäten und -fähigkeiten und die Schaffung eines echten Marktes für Sekundärrohstoffe gelegt werden. |
2.4. |
Im Rahmen ihrer Bemühungen, die Ziele des europäischen Grünen Deals zu erreichen, müssen die EU, die Mitgliedstaaten und die Interessenträger aus der Wirtschaft sicherstellen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, deren Wertschöpfungsketten und Arbeitnehmer sowie die Gesellschaft insgesamt nicht gefährdet werden. Daher muss die europäische Recyclingkette von Abfällen bis zu neuen Endprodukten aktualisiert und auf effizientes und nachhaltiges Recycling ausgerichtet werden, u. a. durch die Förderung des Verfahrens der Industriesymbiose. |
3. Kreislaufprinzip, Wiederverwendung und Recycling, Verfügbarkeit von Sekundärrohstoffen
3.1. |
Die EU drängt darauf, die Wirtschaft nachhaltiger und stärker kreislauforientiert zu machen, wodurch 700 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. (3) Bei einigen Materialien wie Eisen, Zink oder Platin sind die Grenzen nahezu erreicht, bei seltenen Erden, Gallium oder Iridium hingegen ist der Beitrag der kritischen Rohstoffe eher marginal. Schätzungen zufolge wird mit jeder Tonne recycelten Stahls verhindert, dass 1,5 Tonnen CO2-Emissionen in die Atmosphäre gelangen. Der EWSA stellt fest, dass der Mangel an hochwertigen Sekundärrohstoffen, die allgemein fehlende Verfügbarkeit und nicht wettbewerbsfähige Preise eine stärkere Nutzung von Sekundärrohstoffen verhindern. |
3.2. |
Durch die russische Invasion in der Ukraine hat sich der Druck auf die Rohstoffversorgung der EU-Industrie erhöht, und die Förderung des Recyclings wird nicht ausreichen, um den künftigen Rohstoffbedarf zu decken. Der EWSA fordert daher zusätzliche dringende Maßnahmen zur Unterstützung und Finanzierung von FuE bei der Ersetzung kritischer Rohstoffe, der Verringerung des Ressourcenverbrauchs, der Verbesserung der Produkteffizienz usw. Der EWSA begrüßt den umfassenden Ansatz im Vorschlag der Europäischen Kommission für ein europäisches Gesetz über kritische Rohstoffe und hält es für notwendig, die Überwachung, das Risikomanagement und die Steuerung durch die EU im Bereich kritischer Rohstoffe zu verbessern. Darüber hinaus ist der EWSA der Ansicht, dass das auswärtige Handeln der EU im Bereich kritischer Rohstoffe durch gezielte strategische Partnerschaften mit Drittländern, bilaterale/regionale Handelsabkommen und -verhandlungen, sektorale Abkommen, Entwicklungszusammenarbeit und multilaterale Initiativen gestärkt werden sollte. |
3.3. |
Die EU sollte als Vorreiterin im Kampf gegen den Klimawandel in der Lage sein, das Abfallaufkommen in ihrem Hoheitsgebiet zu bewältigen, anstatt die Abfälle zu exportieren. Allerdings sind die Ausfuhren von Abfällen aus Eisenmetallen (Eisen- und Stahlschrott) im Jahr 2021 gegenüber 2015 um 113 % auf 19,5 Mio. Tonnen gestiegen und machen mehr als die Hälfte (59 %) aller Abfallausfuhren aus der EU aus. Der EWSA weist auf das Problem der illegalen Ausfuhr von Schrott aus Europa und die bedenklichen Wiedereinfuhren von außerhalb der EU hergestellten Waren hin. |
3.4. |
Angesichts steigender Energie- und Rohstoffpreise betont der EWSA, dass Recycling im Vergleich zur Rohstoffgewinnung eine erhebliche Verringerung von Energie- und Treibhausgasemissionen ermöglicht. Der EWSA ist der Auffassung, dass für den Bau neuer Recyclinganlagen und die technologische Modernisierung der bestehenden Anlagen u. a. im Rahmen der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne Maßnahmen ergriffen werden sollten. Nach Ansicht des EWSA sollten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg steuerliche und fiskalische Anreize für neue kreislauforientierte Geschäftsmodelle eingeführt werden, wobei besonderes Augenmerk auf die wichtige Rolle von KMU und Start-up-Unternehmen beim Wandel gelegt werden sollte. |
3.5. |
Der Ausschuss begrüßt die Gründung der Globalen Allianz für Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz im Februar 2021 als ein Bündnis von Regierungen, die zusammenarbeiten werden, um die Kreislauforientierung zu stärken und einen gerechten Übergang sicherzustellen. Der EWSA ist der Ansicht, dass weitere Mitglieder in diese Institution aufgenommen werden sollten, da mehr weltweite Anstrengungen erforderlich sind, um eine nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen zu gewährleisten. |
4. Gerechter Übergang
4.1. |
Bei der Ökologisierung und Digitalisierung der Volkswirtschaften ergeben sich auch besondere sozioökonomische Schwierigkeiten für einige Regionen und Branchen sowie Herausforderungen in den Bereichen Beschäftigung und Kompetenzen für die Metallindustrie. Die Unternehmen und Arbeitnehmer in der EU müssen stärker unterstützt werden, um den Anforderungen neuer Geschäftsmodelle gerecht zu werden und besser auf künftige Herausforderungen und Chancen vorbereitet zu sein. Darüber hinaus müssen beim Übergang zur Kreislaufwirtschaft mögliche Verzerrungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen verhindert werden. Nach Ansicht des EWSA sollten verstärkt gezielte Maßnahmen ergriffen und die öffentlichen Investitionen in allen Mitgliedstaaten ausgeweitet werden, um die nachhaltige Entwicklung und den gerechten Übergang zu fördern. |
4.2. |
Der EWSA hat die Annahme des Mechanismus für einen gerechten Übergang im Rahmen des Investitionsplans für den europäischen Grünen Deal unterstützt und betrachtet ihn als wichtiges Instrument, um sicherzustellen, dass beim Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft niemand zurückgelassen wird. Die Einrichtung des Fonds für einen gerechten Übergang (der ersten Säule des Mechanismus für einen gerechten Übergang) ist ein wichtiger Schritt nach vorn. |
4.3. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass den Sozialpartnern, der Zivilgesellschaft und den Industrieorganisationen eine äußerst wichtige Rolle bei der Umsetzung und Überwachung des Mechanismus für einen gerechten Übergang sowie bei der Sensibilisierung der Behörden für die besonderen Bedürfnisse von Bürgern und Unternehmen zukommt. Der EWSA spricht sich für eine Verstärkung des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen den europäischen und nationalen Behörden sowie den Interessenträgern und den einschlägigen NGO aus der Wirtschaft aus. |
4.4. |
Die Sozialpartner aller Ebenen spielen bei der Aushandlung von Strategien für einen gerechten Übergang in Betriebsräten oder anderen einschlägigen Gremien des sozialen Dialogs eine sehr wichtige Rolle. Sie sind am besten in der Lage, die Schaffung und den Wegfall von Arbeitsplätzen zu erfassen und den künftigen Bedarf an Aus- und Weiterbildung der Arbeitskräfte zu analysieren und zu antizipieren. Am dringendsten werden derzeit Fachkräfte in den Bereichen Recycling, Gestaltung und Herstellung langlebiger Produkte, Abfallwirtschaft und fortgeschrittene Sortierung gebraucht. |
5. Abfälle, Abfallrahmenrichtlinie und Abfallverbringungsverordnung
5.1. |
Abfälle sind von großem Wert für die Verwertung von Sekundärrohstoffen, wodurch sie zur Kreislaufwirtschaft der EU und zum europäischen Grünen Deal, zur Verringerung der Abhängigkeit von importierten Primärrohstoffen sowie zur Einsparung natürlicher Ressourcen beitragen; gleichzeitig bewirken sie eine Senkung des Energieverbrauchs bei der Gewinnung und Verarbeitung von Primärrohstoffen in Europa und eine Reduzierung der CO2-Emissionen in der Eisen- und Nichteisenindustrie. |
5.2. |
Die bevorstehende Überarbeitung der EU-Abfallrahmenrichtlinie mit dem Ziel, den Schutz der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit vor den Auswirkungen der Abfallbewirtschaftung zu stärken, die Abfallmengen zu verringern, die Wiederverwendung zu erhöhen und die getrennte Sammlung zu verbessern, um die Vorbereitung für die Wiederverwendung und ein hochwertiges Recycling zu fördern, ist für private Haushalte ebenso wichtig wie für die Industrie. |
5.3. |
Nach Ansicht des EWSA sollten in der Abfallrahmenrichtlinie die maßgeblichen Kriterien zur Verwirklichung der ehrgeizigen Ziele des europäischen Grünen Deals und des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft festgelegt und anschließend innerhalb der EU harmonisiert werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass für Kohärenz mit anderen Rechtsvorschriften, insbesondere mit der Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte sowie mit den nationalen Vorschriften der EU-Mitgliedstaaten, gesorgt werden muss, um Unklarheiten, Doppelarbeit und Überschneidungen zu vermeiden. |
5.4. |
Höhere Mengen intern verbrachter Abfälle und schnellere Verfahren werden zu einem verstärkten Recycling von Eisen- und Nichteisenmaterialien im Inland führen, wodurch sie wettbewerbsfähiger werden und zur Verringerung ihrer Treibhausgasemissionen beigetragen wird. Die Europäische Kommission schätzt zudem, dass in den Bereichen Recycling und Wiederverwendung zwischen 9 000 und 23 000 neue Arbeitsplätze entstehen werden. |
5.5. |
Der EWSA hat bereits darauf hingewiesen, dass „die Ausfuhr hochwertiger recycelbarer Abfälle […] die Nachhaltigkeit der EU beeinträchtigt und ihre globale Wettbewerbsfähigkeit untergräbt, da externen Wettbewerbern wertvolle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden“ (4). Um die größeren Mengen an internen Abfällen in vollem Umfang nutzen zu können, fordert der Ausschuss Finanzierungsmöglichkeiten für Forschung und Entwicklung vorzusehen, um Spitzentechnologien für die Wiederverwendung und das Recycling zu entwickeln und modernste Abfallbehandlungs- und Recyclinganlagen zu konzipieren. |
5.6. |
Ausfuhren von Abfällen aus der EU sollten nur dann gestattet sein, wenn die Umwelt- und Sozialstandards jenen der EU entsprechen und im Bestimmungsland uneingeschränkt eingehalten werden. Die Verlagerung von Schrott („scrap leakage“) muss verhindert werden, indem die Kontrollen an den EU-Grenzen verschärft werden; ausgeführte Abfälle sollten hingegen strengeren Transparenzvorschriften unterliegen und entsprechende Informationen über ihre Bewirtschaftung und die Einhaltung von Standards sollten öffentlich zugänglich gemacht werden. Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, externe Abfallentsorgungsanlagen durch Dritte und auf Länderebene überprüfen zu lassen, und hat bereits gefordert, dass „die Sozialpartner und die einschlägigen NRO in die Überprüfungen einbezogen werden“ (5). |
5.7. |
Der Ausschuss ist der Auffassung, dass in Bezug auf Einstufungsfragen besonders streng kontrolliert werden sollte, wenn Ausführer von Abfällen versuchen, ihre derzeit ausgeführten Abfälle als Materialien umzustufen, die das Ende der Abfalleigenschaft erreicht haben. Dadurch könnte die gesamte von der Kommission vorgeschlagene Reform im Bereich Abfallausfuhren gefährdet werden. |
5.8. |
Der Durchführung von Ex-ante-Überwachungen oder wirksamen Ex-post-Kontrollen der lokalen Bedingungen und Vorschriften für die Abfallbehandlung sollte Vorrang eingeräumt werden. Der Ausschuss fordert die Einführung geeigneter und wirkungsvoller Schutzmaßnahmen, um die Ausfuhr auszusetzen, wenn die Bedingungen nicht erfüllt sind. |
5.9. |
Er fordert eine Verkürzung des zweijährigen Übergangszeitraums für die Umsetzung der überarbeiteten Abfallverbringungsverordnung. Die vorgeschlagene Frist von 30 Tagen, innerhalb derer die für die Durchfuhr zuständigen Behörden gültige Einwände gegen eine geplante Verbringung zur Verwertung erheben können, sollte auf zehn Tage verkürzt werden, um den Betriebsablauf zu sichern und unnötige Verzögerungen zu vermeiden. Darüber hinaus fordert der EWSA, diesen Behörden klare Einschränkungen aufzuerlegen, damit sie nicht mehr als einmal gegen dieselbe Verbringung Einspruch erheben. |
5.10. |
Um die Umweltintegrität sicherzustellen, fordert der EWSA das Parlament und den Rat auf, für OECD-Staaten und für Nicht-OECD-Staaten bei der Ausfuhr von Abfällen die gleichen strengen Kriterien in Bezug auf Umweltverpflichtungen anzuwenden. |
5.11. |
Mängel bei den bestehenden Durchsetzungsverfahren in der Abfallverbringungsverordnung haben dazu geführt, dass Verbringungen illegaler Abfälle durch kriminelle Vereinigungen zugenommen haben; ihr Anteil wird auf 30 % aller Abfallverbringungen in Europa geschätzt (6). Der EWSA unterstützt die Durchsetzung der Inspektions- und Untersuchungsverfahren und fordert eine uneingeschränkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Union im Einklang mit der neuen EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 2021-2025 (7). |
5.12. |
Interessenträger aus der Industrie und NGO spielen bei der Bekämpfung illegaler Abfallverbringungen eine wichtige Rolle. Nicht vertrauliche Daten sollten allen interessierten Parteien zur Verfügung gestellt werden, da mehr Transparenz dazu beitragen würde, illegale Abfallverbringungen zu verringern. |
6. Ökodesign
6.1. |
Der EWSA ist der Ansicht, dass die Rechtsvorschriften zur umweltgerechten Gestaltung nachhaltiger Produkte verstärkt werden müssen, um die im europäischen Grünen Deal und im Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft festgelegten ehrgeizigen Ziele der EU zu erreichen. Die Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte bietet den Herstellern in der EU die Möglichkeit, ihre Produkte von weniger leistungsfähigen Produkten zu unterscheiden, indem sie eine gemeinsame Bewertungsmethode verwenden. Durch die Beteiligung von Sachverständigen aus der Industrie und anderen einschlägigen Interessenträgern der Wertschöpfungskette muss sichergestellt werden, dass das Kreislaufprinzip auf allen Ebenen der Produktgestaltung angewendet wird, damit Abfallvermeidungsanforderungen und Bestimmungen über den Mindestanteil an recyceltem Material berücksichtigt werden. |
6.2. |
Der EWSA fordert, dass soziale Aspekte und nicht nur, wie es derzeit der Fall ist, ökologische Anforderungen in die Definition der Nachhaltigkeit einbezogen werden. Bei den sozialen Aspekten sollte den internationalen Arbeitsnormen wie der Wahrung des sozialen Dialogs und der Achtung von Kollektivverhandlungen Rechnung getragen werden. |
6.3. |
Die Verwendung von Sekundärrohstoffen und Nebenprodukten sollte im Rahmen der Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte anerkannt werden, da sie erheblich zur Verwirklichung der Ziele der EU-Klimaschutzpolitik beitragen können. Ebenso ist die Gestaltung der Recyclingfähigkeit von Produkten und ihren Bestandteilen äußerst wichtig, um die Kreislauffähigkeit und die Verfügbarkeit hochwertiger Sekundärrohstoffe zu verbessern. |
6.4. |
Der digitale Produktpass ist ein wichtiges Instrument, um den Kunden relevante Informationen über die Nachhaltigkeit von Produkten zu liefern, die Rechte des geistigen Eigentums der Hersteller zu schützen, Datenmissbrauch zu verhindern und Grünfärberei zu vermeiden. Wesentliche Voraussetzung für die Bereitstellung dieser Informationen sowohl auf dem traditionellen als auch auf dem Online-Markt ist eine solide, zuverlässige und umfassende Datenbank. |
6.5. |
Darüber hinaus wird die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie immer wichtiger werden, zumal die EU häufig von Drittländern abhängig ist. Der EWSA ist der Auffassung, dass Investitionen in Forschung und Entwicklung und öffentlich-private Partnerschaften gestärkt und finanziell unterstützt werden müssen. |
7. Bauprodukteverordnung
7.1. |
Zusammen mit dem Vorschlag für eine Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte bietet die Überarbeitung der Bauprodukteverordnung die Gelegenheit, im Hinblick auf die Nachhaltigkeit von Produkten in den verschiedenen Branchen des Baugewerbes die gleichen ehrgeizigen Ziele vorzusehen. Im Vorschlag für eine Bauprodukteverordnung wird zwar anerkannt, wie wichtig die Verwendung von Recyclingmaterialien ist, doch kann die Verwendung von Nebenprodukten auch dazu beitragen, die Abhängigkeit von primären natürlichen Ressourcen zu verringern, und sollte daher bei den Produktleistungskriterien berücksichtigt werden. |
7.2. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Einführung von Mindestanforderungen in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit und soziale Aspekte in Verbindung mit Kennzeichnung und Marktanreizen gleiche Wettbewerbsbedingungen für nachhaltige Produkte schaffen und deren angemessene Anerkennung gewährleisten würde. |
7.3. |
Bei den Kriterien für ein umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen sollten die in der Bauprodukteverordnung festgelegten Leistungsschwellen zugrunde gelegt werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass das umweltorientierte öffentliche Beschaffungswesen eine entscheidende Rolle bei der beschleunigten Umsetzung von Modellen der Kreislaufwirtschaft, der Förderung der Nachhaltigkeit und der Schaffung eines EU-Marktes für nachhaltige Produkte spielt. Der EWSA ist überzeugt, dass eine harmonisierte EU-Normung von Bauprodukten einen EU-weit kohärenten Rahmen bieten und gleichzeitig die Transparenz in Bezug auf Haltbarkeit, Reparaturfähigkeit, Sicherheit usw. verbessern würde. |
7.4. |
Der Ausschuss betont, dass die derzeit im Baugewerbe angewandten Bewertungsmethoden nicht vollständig harmonisiert sind und zu unterschiedlichen Ergebnissen in der EU und somit zu mangelnder Vergleichbarkeit führen können. Eine Grundvoraussetzung ist die Verbesserung der Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit der Umweltverträglichkeitsprüfungen von Bauprodukten. Der EWSA bewertet die Entwicklung in Bezug auf die Methoden zur Berechnung des Umweltfußabdrucks (8), die zum Erreichen dieser Ziele beitragen kann, als positiv. |
7.5. |
Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, Legislativvorschläge zur Verbesserung der Reparierbarkeit von Produkten sowie zur Verlängerung ihres Lebenszyklus, zur Einführung einer Energieverbrauchskennzeichnung und zur Bereitstellung von Reparaturdiensten für die Verbraucher zu unterstützen. |
8. Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle
8.1. |
Es muss sichergestellt werden, dass das gesamte in Verkehr gebrachte Verpackungsmaterial entweder recyclingfähig oder wiederverwendbar ist. Bei der Produktgestaltung sollte mit Blick auf die Recyclingfähigkeit von Verpackungen nicht nur die Recyclingquote berücksichtigt werden, sondern auch die Möglichkeit, die Materialien ohne Verlust ihrer ursprünglichen Eigenschaften zu recyceln, sowie inwieweit die Primärmaterialien substituiert werden können. So kann ein hochwertiges Recycling am Ende der Lebensdauer sichergestellt werden. Der Recyclingfähigkeit von Verpackungsmaterialien sollte mittels umweltbezogen gestaffelter Gebühren im Rahmen der erweiterten Herstellerverantwortung Rechnung getragen werden. |
8.2. |
Zwar kommt dem Rezyklatanteil eine Rolle bei der Ankurbelung der Nachfrage nach Rezyklaten zu, aber im Fall von Stahlverpackungen gibt es bereits einen gut funktionierenden Markt für Sekundärmaterialien, wobei die Recyclingquote für Stahlverpackungen schon jetzt über 84 % liegt. Muss Schrott über große Entfernungen transportiert und von anderen Stoffströmen getrennt werden, kann eine Verpflichtung zur Erhöhung des Rezyklatanteils somit de facto zu einer Erhöhung der Treibhausgasemissionen führen. |
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Global Alliance on Circular Economy and Resource Efficiency.
(2) Mitteilung der Kommission über die Aktualisierung der neuen Industriestrategie von 2020, COM(2021) 350 final.
(3) Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft — Für ein saubereres und wettbewerbsfähigeres Europa.
(4) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Abfällen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1257/2013 und (EU) 2020/1056“ (COM(2021) 709 final — 2021/0367 (COD)) (ABl. C 275 vom 18.7.2022, S. 95).
(5) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Abfällen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1257/2013 und (EU) 2020/1056“ (COM(2021) 709 final — 2021/0367 (COD)) (ABl. C 275 vom 18.7.2022, S. 95).
(6) Fragen und Antworten zu den neuen EU-Vorschriften über die Verbringung von Abfällen.
(7) EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 2021-2025.
(8) Empfehlung (EU) 2021/2279 der Kommission vom 15. Dezember 2021 zur Anwendung der Methoden für die Berechnung des Umweltfußabdrucks zur Messung und Offenlegung der Umweltleistung von Produkten und Organisationen entlang ihres Lebenswegs (ABl. L 471 vom 30.12.2021, S. 1).
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/8 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Behebung struktureller Engpässe und Stärkung der strategischen Autonomie im Halbleiter-Ökosystem“
(Initiativstellungnahme)
(2023/C 140/02)
Berichterstatter: |
Anastasis YIAPANIS |
Ko-Berichterstatter: |
Guido NELISSEN |
Beschluss des Plenums |
20.1.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
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Initiativstellungnahme |
Zuständiges Arbeitsorgan |
Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) |
Annahme in der CCMI |
9.12.2022 |
Verabschiedung auf der Plenartagung |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
179/0/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert mehr Transparenz und eine stärkere strategische Überwachung und Steuerung der Chip-Lieferketten, eine bessere Vorhersage der Verfügbarkeit von Chips und engere Partnerschaften in Abstimmung mit den europäischen Behörden. |
1.2. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass mit der europäischen Halbleiterstrategie alle Stufen der Halbleiter-Wertschöpfungskette gefördert werden sollten. Dabei sollte ein besonderer Schwerpunkt auf der Entwicklung und Herstellung von Chips und der Back-End-Fertigung liegen. Die Umsetzung des Chip-Gesetzes muss sorgfältig bewertet und anhand klarer wesentlicher Leistungsindikatoren (KPI) überwacht werden, die gemeinsam mit Interessenträgern aus der Industrie und dem Europäischen Halbleitergremium (ESB) festgelegt werden. |
1.3. |
Der EWSA ist besonders besorgt über die derzeitige Abhängigkeit der EU von der Back-End-Fertigung, insbesondere was China betrifft. Die internationale Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Halbleiter-Clustern und FuE-Einrichtungen ist von entscheidender Bedeutung, um die derzeitigen Engpässe zu beheben, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten und den Bedürfnissen der Gesellschaft als Ganzes Rechnung zu tragen. |
1.4. |
Der EWSA begrüßt die im EU-Chip-Gesetz angekündigten 43 Mrd. EUR und die künftige Einrichtung des Chip-Fonds und fordert, dass die europäischen Aufbau- und Resilienzpläne in vollem Umfang genutzt werden. |
1.5. |
Der EWSA stellt jedoch fest, dass die Kommission der Bedeutung von Rohstoffen, der Kreislauforientierung der Produktionsverfahren und der bestehenden Abhängigkeit von Drittländern zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, und fordert ein verstärktes Augenmerk auf die Gewährleistung des Zugangs zu den wichtigsten Rohstoffen, die bei der Herstellung von Halbleitern verwendet werden. |
1.6. |
Der EWSA fordert eine sorgfältige Überprüfung der bestehenden Freihandelsabkommen und internationalen Partnerschaften zur Verwirklichung einer offenen strategischen Autonomie und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit Europas. |
1.7. |
Investitionen sollten gezielt in Bereichen getätigt werden, in denen die Abhängigkeit Europas von ausländischen Technologieanbietern sehr hoch ist. Investitionen in bahnbrechende Technologien, virtuelle Entwurfsplattformen, modernste Chip-Entwicklungskapazitäten und neuartige Anlagen (mit einem Schwerpunkt auf Hochleistungschips) müssen auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten mit öffentlichen Mitteln gefördert werden (wobei jedoch eine übermäßige Subventionierung zu vermeiden ist), um die Risiken zu verringern und die Zeiträume der Kapitalrendite zu verkürzen. |
1.8. |
Der EWSA spricht sich für eine wirtschaftlich effiziente, aber ausgewogene Verteilung der EU-Mittel zwischen den Mitgliedstaaten und Regionen sowie zwischen Großunternehmen, Start-up-Unternehmen und KMU aus. Er fordert ferner einen soliden Aktionsplan zur Schaffung von Anreizen für ausländische Investitionen führender internationaler Halbleiterunternehmen. |
1.9. |
Nach Auffassung des EWSA ist bei jeder Kompetenzstrategie zu berücksichtigen, wie schnell Arbeitsplätze durch die Beschleunigung von Innovationen geschaffen werden bzw. verloren gehen. Die Sozialpartner des Halbleiter-Ökosystems, die Wissenschaft und die einschlägigen Forschungszentren sind einzubeziehen. Es sind erhebliche Anstrengungen zur Weiterbildung und Umschulung der Arbeitskräfte erforderlich und der EU-Arbeitsmarkt muss mit Programmen für lebenslanges Lernen und für die berufliche Aus- und Weiterbildung beim Erwerb grundlegender spezifischer Kompetenzen unterstützt werden. Dies gilt insbesondere für Arbeitnehmer aus dem MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). |
1.10. |
Der EWSA betont, dass viele der von den Forschungs- und Technologieorganisationen (Research and Technology Organisations, RTO) in der EU entwickelten Innovationen in anderen Teilen der Welt aufgegriffen werden, und ist der Ansicht, dass es einer stärkeren Annäherung zwischen den Endanwendersektoren und dem Halbleiter-Forschungsstandort Europa bedarf. |
1.11. |
Der EWSA fordert eine stärkere Unterstützung von Clustern im Bereich der digitalen Technologien und eine bessere Nutzung des Innovationspotenzials von Hightech-KMU. Darüber hinaus fordert der EWSA kohärente Rechtsvorschriften in Bezug auf steuerliche Anreize zur Förderung von FuE-Investitionen mit besonderem Schwerpunkt auf FuE im Bereich Chip-Entwicklung. |
1.12. |
Der EWSA fordert weitere Innovationen zur Abwehr von und zum verstärkten Schutz vor Cyberangriffen sowie eine verbesserte Abwehrbereitschaft gegenüber weiteren neuartigen Cybersicherheitsbedrohungen. |
2. Herausforderungen mit Blick auf die Halbleiterstrategie der EU
2.1. |
Die digitale Revolution und das kontinuierliche Streben nach bahnbrechenden Technologien haben zu einem erheblichen Anstieg der Nachfrage nach Halbleitern geführt. Die COVID-19-Pandemie und die Erholungsphase nach der Pandemie sind von massiven Engpässen in der Lieferkette geprägt, die zusammen mit steigenden Energiepreisen und Versorgungsengpässen bei wichtigen Rohstoffen die wirtschaftliche Erholung behindern und die Industrieproduktion in der EU bremsen. |
2.2. |
Die europäische Mikroelektronik-Industrie (455 000 direkte Arbeitsplätze) ist weltweit führend bei Prozessoren für eingebettete Systeme, Sensoren, Radiofrequenz-Chips, Leistungselektronik, Siliziumwafern und Chemikalien sowie fortgeschrittenen Chip-Herstellungsanlagen. Die EU ist dank ihrer Forschungszentren und ehrgeizigen FuE-Initiativen auch ein starker Forschungsstandort. |
2.3. |
Die Nachfrage nach Halbleitern in der Automobilindustrie wird bis 2030 voraussichtlich um 300 % steigen, während sich der Chip-Bedarf der Industrieelektronik bis 2030 verdoppeln dürfte. Das wird durch einige wichtige Trends wie High-End-Fertigungstechnologien der Industrie 4.0 noch verstärkt. Auf den Kommunikationssektor entfallen 15 % der Chipnachfrage in der EU, wobei kritische Chipkomponenten für 5G-Kommunikationsgeräte hauptsächlich außerhalb der EU entwickelt und hergestellt werden. Die Bereiche Gesundheitswesen, Energie, Luft- und Raumfahrt, Verteidigung, Gaming usw. entwickeln sich alle technologisch weiter. Sie erfahren eine steigende Nachfrage sowohl nach ausgereiften als auch nach fortgeschrittenen Chips für ihre Fertigungsprozesse und Produkte. Chips sind auch für die Entwicklung neuer industrieller Anwendungen in den Bereichen KI und Internet der Dinge von entscheidender Bedeutung — ein Markt, der jährlich um 50 % wächst. Die Entwicklung einer Chip-Strategie auf diesen bestehenden und entstehenden starken Endmärkten wird einen positiven Kreislauf in Gang setzen: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der wichtigsten Fertigungsindustrien in der EU bei gleichzeitiger Stärkung der Halbleiterkapazitäten in der Union. |
2.4. |
Auf der anderen Seite ist die EU-Industrie in einer Reihe wichtiger Endmärkte für Halbleiter, wie Cloud- und Datenspeicherung, Personal Computing, drahtlose Kommunikation (Smartphones) und Endverbrauchergeräte (Gaming), weniger stark vertreten. Darüber hinaus ist die EU mit nur 50 Halbleiterwerken (Fabs) als Produktionsstandort eher schwach; ferner kann die EU keine Chips mit einer Größe von weniger als 22 nm herstellen und ist im Bereich der Entwurfs- und Entwurfsautomatisierungswerkzeuge schlecht aufgestellt. Aus diesem Grund verzeichnete die EU im Jahr 2021 bei Halbleitern ein Handelsdefizit von 19,5 Mrd. EUR (Einfuhren in Höhe von 51 Mrd. EUR gegenüber Ausfuhren in Höhe von 31,5 Mrd. EUR) (1). |
2.5. |
Da die Nachfrage nach und die Nutzung von Chips in Zukunft nur zunehmen werden, fordert der EWSA ehrgeizige Programme zur Verringerung der Treibhausgasemissionen des Sektors mithilfe von Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und bahnbrechenden Technologien. |
3. Wettbewerbsfähigkeit und strategische Autonomie
3.1. |
Die zahlreichen den Halbleitersektor betreffenden Risiken (strukturelle Engpässe, Lieferkettenrisiken, Monopolmächte in Schlüsselbereichen der Wertschöpfungskette, geopolitische Risiken) und ihre Auswirkungen auf ein breites Spektrum von Industriezweigen haben das Bewusstsein dafür geschärft, dass die technologische Souveränität Europas in diesem Bereich gestärkt werden muss. |
3.2. |
Störungen bei der Versorgung mit Halbleitern haben erhebliche negative Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft und Gesellschaft. Durch die Komplexität der Halbleiter-Lieferkette ist es schwierig, störungsbezogene Risiken zu erkennen und zu bewerten und geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Chip-Wertschöpfungskette durch mehr Transparenz und Sichtbarkeit, eine strategischere Überwachung und Verwaltung der Lieferkette, bessere Prognosen hinsichtlich der Verfügbarkeit von Chips und engere Partnerschaften auf allen Ebenen der Lieferkette in Abstimmung mit den europäischen Behörden gestärkt werden kann. |
3.3. |
Nach Ansicht des EWSA sollte die europäische Halbleiterstrategie alle Stufen entlang der Halbleiter-Wertschöpfungskette fördern Dies gilt auch für die Halbleiterforschung, Entwicklung, Chip-Herstellung, Montage, Prüfung und Packaging, um langfristige Lieferprobleme zu beheben und bei der Entwicklung und Fertigung immer komplexerer hochmoderner Halbleiter-Komponenten im globalen Wettbewerb bestehen zu können. |
3.4. |
Der EWSA ist insbesondere der Auffassung, dass die EU in Bereiche investieren muss, in denen die Abhängigkeit Europas von ausländischen Technologieanbietern sehr hoch ist, wie z. B. in den Bereichen Entwurf und Entwurfsautomatisierung, Fertigungskapazitäten und fortgeschrittenes Packaging. |
3.5. |
Da Halbleiter eindeutig zu einem strategischen Technologiebereich geworden sind und es der EU an Produktionskapazitäten sowohl für ausgereifte als auch für Hochleistungschips mangelt, muss die EU Investitionen in die Chipherstellung unterstützen, da dies für die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Fertigung in Schlüsselsektoren von entscheidender Bedeutung ist. Tatsächlich nimmt die bereits hohe Nachfrage nach ausgereiften Chips (12-40 nm-Technologie) in den europäischen Industriezweigen weiter zu. Gleichzeitig wird die Nachfrage nach Hochleistungschips (unter 10 nm-Prozessknoten) aufgrund der Verlagerung hin zu Edge- und Quanteninformatik, dem Internet der Dinge, automatisiertem Fahren und künstlicher Intelligenz voraussichtlich viel schneller wachsen. Diese Technologien treiben in vielen Industriezweigen wie Ingenieurwesen, Automobilindustrie, Elektronik, Gesundheit, Verteidigung und erneuerbare Energien einen radikalen Wandel voran. Diese Branchen haben sicherlich das Potenzial, einen europäischen Markt zu schaffen, der die europäische Herstellung von Spitzenknotendichten auf längere Sicht unterstützt. |
3.6. |
Was die Priorisierung der Investitionen angeht, ist der EWSA jedoch der Auffassung, dass in erster Linie in modernste Chip-Entwurfskapazitäten investiert werden sollte. Denn es mangelt in Europa an Chip-Entwurfskapazitäten für fortgeschrittene Halbleiter. |
3.7. |
Besondere Aufmerksamkeit muss auch der Back-End-Fertigung (einschließlich Montage, Prüfung und Packaging) gelten, die arbeitsintensiver ist und sich strategisch auf Südosteuropa konzentrieren könnte, wo die Arbeitskosten geringer sind. Der EWSA ist besorgt über die verschiedenen Risiken, denen die EU aufgrund ihrer derzeitigen Abhängigkeit von der Back-End-Fertigung ausgesetzt ist, insbesondere wo China mit im Spiel ist. |
3.8. |
Die Gewährleistung des Zugangs zu den wichtigsten bei der Herstellung von Halbleitern verwendeten Rohstoffen wie z. B. hochreine Chemikalien (Germanium, Bor, Indium), Spezialgase (Neon, Helium, Argon) oder Silizium-Ersatzstoffe (z. B. Siliziumcarbid für ein besseres Leistungsmanagement) ist von entscheidender Bedeutung. Da die Nachfrage nach Chips steigt, wird aufgrund der zunehmenden Komplexität der Chips auch die Nachfrage nach diesen Materialien weiter steigen. |
3.9. |
Nach Dafürhalten des EWSA hat die Kommission der Bedeutung von Rohstoffen, der Kreislauforientierung der Produktionsverfahren und der bestehenden Abhängigkeit von Drittländern zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Er hat darauf hingewiesen, dass „Kommission, Mitgliedstaaten und Industrie […] daher gemeinsam diskutieren [sollten], wie Bezugsquellen diversifiziert werden können und insbesondere wie im Zuge einer industrialisierten Kreislaufwirtschaft in der Mikroelektronik kritische Rohstoffe besser recycelt werden können“ (2). |
3.10. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Umsetzung des Chip-Gesetzes sorgfältig bewertet und überwacht werden muss, und fordert klare KPI zur Beurteilung der Fortschritte. Diese Indikatoren müssen gemeinsam mit den Interessenträgern aus der Industrie und dem ESB festgelegt werden. |
4. Einbeziehung von Interessenträgern in der EU, internationale Zusammenarbeit und strategische Partnerschaften
4.1. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Europäische Allianz für Prozessoren und Halbleitertechnologien, die von der Kommission im Juli 2021 ins Leben gerufen wurde, eine sehr wichtige Rolle bei der Ermittlung bestehender Defizite im Produktionsprozess und bei der Einführung neuer Technologien in der EU spielen muss. Die Stärkung der Resilienz der EU und die Gewährleistung der Sicherheit der Lieferketten sollte im Rahmen der Allianz unter Einbeziehung der Sozialpartner aus dem Halbleiter-Ökosystem, der Wissenschaft und der einschlägigen Forschungszentren eingehend erörtert werden. |
4.2. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die internationale Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Halbleiter-Clustern und FuE-Einrichtungen von entscheidender Bedeutung ist, um die derzeitigen Engpässe zu beheben und gegenseitiges Vertrauen zu schaffen und so für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Darüber hinaus wird die Stärkung des europäischen Halbleiter-Ökosystems zu gegenseitigen Abhängigkeiten in den globalen Wertschöpfungsketten führen, wodurch wiederum die Position bei internationalen Verhandlungen gestärkt und die allgemeine Widerstandsfähigkeit des gesamten Sektors gefördert wird. Allerdings hat der EWSA bereits deutlich gemacht, dass „es gilt, einen Subventionswettlauf zu vermeiden und für eine wirksame Mittelnutzung zu sorgen, ohne Überkapazitäten und Marktverzerrungen zu verursachen“ (3). |
4.3. |
Der EWSA fordert eine sorgfältige Überprüfung der bestehenden Freihandelsabkommen und internationalen Industriepartnerschaften mit dem klaren Ziel der Verwirklichung einer offenen strategischen Autonomie und der Stärkung der Widerstandsfähigkeit Europas in einem zunehmend schwierigen geopolitischen Kontext. Die Gespräche im ESB sollten intensiviert und die Mitgliederzahl im ESB sollte erhöht werden, indem Interessenträger aus der Industrie und die repräsentativen Sozialpartner in der EU sowie die wichtigsten Forschungszentren zur Teilnahme eingeladen werden. |
4.4. |
Schwerpunkt der Debatten in den europäischen Foren muss auch die Umsetzung der vorgeschlagenen Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für neue Anlagen sein, die ein wichtiger Anreiz für die Aushandlung umfassender ausländischer Investitionen (4) sein könnte, welche wiederum zu einer unmittelbaren Nachfrage führen würden. Mit der Verringerung des Verwaltungsaufwands und der Umsetzung von Regulierungsstandards in allen Mitgliedstaaten wird zudem dafür gesorgt, dass die Fragmentierung verringert und die Planbarkeit mit Blick auf künftige Investitionen gewährleistet wird. |
5. Finanzierung
5.1. |
Der EWSA begrüßt die im europäischen Chip-Gesetz angekündigten 43 Mrd. EUR und die künftige Einrichtung des Chip-Fonds. Er fordert jedoch, detailliert zu klären, wie diese öffentlichen und privaten Mittel beschafft und zugewiesen werden. Darüber hinaus betont er, dass die europäischen Aufbau- und Resilienzpläne, deren Mittel zu 20 % für den digitalen Wandel in den Mitgliedstaaten verwendet werden sollen, in vollem Umfang genutzt werden sollten. |
5.2. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass Investitionen in bahnbrechende Technologien, virtuelle Entwurfsplattformen und neuartige Anlagen (mit einem Schwerpunkt auf Hochleistungschips) auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten mit öffentlichen Mitteln gefördert werden müssen, um Risiken zu verringern und die Rendite-Zeiträume bei neu zu errichtenden Anlagen zu verkürzen. |
5.3. |
Da dem vorgeschlagenen ESB auch Vertreter der Mitgliedstaaten angehören werden, hat der EWSA die Sorge, dass es die Mitgliedstaaten sein werden, die untereinander um einen größeren Anteil der Mittel ringen werden. Er spricht sich daher für eine wirtschaftlich effiziente, aber ausgewogene Verteilung der EU-Mittel zwischen den Mitgliedstaaten und Regionen sowie zwischen Großunternehmen, Start-up-Unternehmen und KMU aus, damit niemand außen vor bleibt. Was das Gemeinsame Unternehmen für Chips angeht, hat der EWSA zudem bereits erklärt, dass spezifische Kriterien erarbeitet werden sollten und dass „sozialpolitische Kriterien, wie etwa die Haltung des betreffenden Unternehmens in Bezug auf den sozialen Dialog und Kollektivverhandlungen, eine prioritäre Zusammenarbeit mit in der Union ansässigen Zulieferern, aber auch die Zahl der durch die Investitionen zusätzlich entstehenden nachhaltigen Arbeitsplätze sowie die Qualität der Arbeitsbedingungen […] hier eine Rolle spielen [sollten]“ (5). |
5.4. |
Mit dem vorgeschlagenen Chip-Fonds wird sich die Verfügbarkeit von Darlehen und Risikokapitalfinanzierungen erhöhen, während das weitere Wachstum kleiner innovativer Halbleiterunternehmen gefördert wird. Allerdings ist ein vollständig entwickelter europäischer Risikokapitalmarkt erforderlich, um diesen Unternehmen dabei zu helfen, das „Tal des Todes“, d. h. den von der Demonstration bis zur Markteinführung reichenden Zeitraum, zu überstehen. Der EWSA fordert insbesondere für Start-up-Unternehmen und KMU praktische Leitfäden zu den Möglichkeiten einer Inanspruchnahme dieser Mittel. |
5.5. |
Der EWSA spricht sich zudem für einen soliden Aktionsplan zur Anziehung ausländischer Investitionen, insbesondere von führenden internationalen Halbleiterunternehmen, aus, um die EU sowohl für Kapital als auch für Know-how attraktiv zu machen. |
6. Kompetenzen
6.1. |
Digitale Kompetenzen sind inzwischen ein zentrales immaterielles Gut der digitalen industriellen Revolution und die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte ist zu einem wichtigen Element für Investitionsentscheidungen geworden, während der Mangel an Kompetenzen den Einsatz digitaler Kapazitäten erheblich verlangsamt. Digitale Bildung und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die gesellschaftlichen Auswirkungen digitaler Anwendungen (sowohl im Hinblick auf ihren Nutzen als auch die Risiken bezüglich Machtkonzentration oder Achtung der Privatsphäre) sind entscheidende Instrumente für die Verbraucher und die Zivilgesellschaft, um verantwortungsvoll zu künftigen Entwicklungen im Chip-Ökosystem beitragen und die jüngere Generation gewinnen zu können. Der EWSA fordert ferner, besonders darauf zu achten, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer, die bei der Chipherstellung gefährlichen Stoffen ausgesetzt sind, geschützt werden muss. |
6.2. |
Derzeit nimmt die Zahl der offenen Stellen für Ingenieure, Entwicklungsspezialisten und Techniker alarmierend schnell zu. Der EWSA begrüßt die kürzlich geschaffene Kompetenzpartnerschaft für das digitale Ökosystem. Als Teil der Europäischen Kompetenzagenda sollte sie dazu beitragen, die Ziele des Programms „Weg in die digitale Dekade“ (Ausstattung von 80 % der Menschen mit grundlegenden digitalen Kompetenzen, Verringerung des Geschlechterungleichgewichts und Beschäftigung von 20 Mio. IKT-Fachkräften bis 2030), die Ziele der EU-Kompetenzagenda und die Ziele der europäischen Säule sozialer Rechte (Teilnahme von 60 % der Erwachsenen an Fortbildungen) zu erreichen. |
6.3. |
Bei jeder Kompetenzstrategie ist zu berücksichtigen, wie schnell Arbeitsplätze durch die Beschleunigung von Innovationen geschaffen werden bzw. verloren gehen, und es ist dem durch technologische Entwicklungen im Bereich der KI verursachten Wandel des Arbeitsmarktes Rechnung zu tragen. Bei Arbeitsplätzen mit geringem und mittlerem Qualifikationsniveau ist das Risiko besonders hoch, dass diese verloren gehen (sie werden durch digitale Werkzeuge und Automatisierung ersetzt), während die Nachfrage nach fortgeschrittenen digitalen Kompetenzen weiter zunehmen wird. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Bewältigung dieser Herausforderungen erhebliche Anstrengungen zur Weiterbildung und Umschulung der Arbeitskräfte, insbesondere der Arbeitnehmer, deren technologische Kompetenzen veraltet sind, erfordert. Darüber hinaus muss mit Programmen für lebenslanges Lernen und für die berufliche Aus- und Weiterbildung zu einer Spezialisierung des EU-Arbeitsmarkts durch den Erwerb grundlegender spezifischer Kompetenzen beigetragen werden. Daher wird es von entscheidender Bedeutung sein, dass Studierende Zugang zu modernster Entwurfs- und Fertigungsausrüstung haben und Praxiserfahrung sammeln können. |
6.4. |
Der EWSA ist ferner der Auffassung, dass die EU einen kohärenten Rechtsrahmen benötigt, um ausländische, auf Halbleiter spezialisierte Arbeitskräfte anzuwerben. Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission zur Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittländern (6) und ist der Ansicht, dass dies durch Weiterbildungs- und Umschulungsprogramme, auch für Arbeitnehmer aus dem MINT-Bereich, ergänzt werden muss. |
6.5. |
Andererseits ist der EWSA besorgt, dass der weltweite Mangel an Kompetenzen zu einem Kampf um Talente führen wird, der eine interne (innerhalb der EU) oder internationale Abwanderung von Fachkräften nach sich zieht. Der EWSA sieht daher der bevorstehenden Mitteilung „Abwanderung von Fachkräften (Braindrain) — Abmilderung der mit dem Bevölkerungsrückgang verbundenen Herausforderungen“ erwartungsvoll entgegen. |
7. Forschung, Entwicklung und Innovation
7.1. |
Der EWSA betont, dass viele der von den RTO in der EU entwickelten Innovationen leider in anderen Teilen der Welt aufgegriffen werden und nicht zu einer Stärkung des Produktionsstandorts EU geführt haben. Daher ist der EWSA der Auffassung, dass die RTO in der EU die gesamte industrielle Basis und das vorhandene Halbleiter-Know-how bündeln, Halbleiter-Pilotanlagen aufrüsten und bauen und Möglichkeiten für die Zukunft in Schlüsselbereichen wie Edge-Computing, künstliche Intelligenz und Cybersicherheit erkunden und nutzen müssen. In diesem Zusammenhang wird eine stärkere Annäherung zwischen den Endanwendersektoren und dem Forschungsstandort Europa von entscheidender Bedeutung sein. |
7.2. |
Der EWSA fordert langfristige Innovationsfahrpläne zur Unterstützung des digitalen Wandels, da sie einen proaktiven Ansatz zur Förderung von FuE-Investitionen in längerfristige strategische Ziele und zur Schließung der Lücken im Halbleiter-Ökosystem ermöglichen. Darüber hinaus fordert der EWSA eine bessere Nutzung des Innovationspotenzials von Hightech-KMU, sind diese Unternehmen doch häufig hochspezialisiert, flexibel und auf Nischenmärkten mit hohem Wertschöpfungspotenzial tätig. |
7.3. |
Der EWSA weist darauf hin, dass ein besserer Schutz des in Chips befindlichen wertvollen geistigen Eigentums von Unternehmen gewährleistet werden muss, und begrüßt die im Chip-Gesetz angekündigten klaren Regeln. Zur künftigen Tätigkeit des Europäischen Halbleitergremiums muss auch die rechtzeitige Konsultation von Interessenträgern aus der Industrie zum wirksamen Schutz der EU-Rechte des geistigen Eigentums gehören. |
7.4. |
Nach Auffassung des EWSA sollte speziell in FuE im Bereich Chip-Entwicklung investiert werden, da dies den Löwenanteil an der Wertschöpfung ausmacht und zudem stärkere wirtschaftliche Argumente für fortschrittlichere Fertigungskapazitäten liefert. In diesem Zusammenhang sollte auch die sich stark entwickelnde Bioökonomie mit umfangreichen künftigen Anwendungen berücksichtigt werden. Die Kommission sollte prüfen, ob kohärente Rechtsvorschriften in Bezug auf steuerliche Anreize zur Förderung von FuE-Investitionen insbesondere in Bezug auf künftige Konsortien, denen Großunternehmen, KMU, Start-up-Unternehmen und Spin-offs von Forschungseinrichtungen angehören, erlassen werden könnten. |
7.5. |
Die Cybersicherheit ist für viele Industriezweige wie Automobilindustrie, Ingenieurwesen, Kommunikation, Gesundheitswesen, Luft- und Raumfahrt und Verteidigung zu einem wichtigen Thema geworden. Der EWSA fordert weitere Innovationen zur Abwehr von und verstärkten Schutz vor Cyberangriffen sowie Abwehrbereitschaft gegenüber weiteren neuartigen Cybersicherheitsbedrohungen. Der EWSA unterstützt den Vorschlag für ein Cyberresilienzgesetz, mit dem neue Cybersicherheitsanforderungen eingeführt und ein besseres Verständnis der Cyberbedrohungen für Hersteller und Verbraucher geschaffen werden sollen. Der EWSA fordert ferner, die Rolle der Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit weiter zu stärken. |
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen — A Chips Act for Europe.
(2) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Halbleiter-Ökosystems (Chip-Gesetz)“ (COM(2022) 46 final — 2022/0032 (COD)) (ABl. C 365 vom 23.9.2022, S. 34).
(3) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Chip-Gesetz für Europa“ (COM(2022) 45 final) (ABl. C 365 vom 23.9.2022, S. 23).
(4) Siehe die laufenden Verhandlungen mit Intel aus den USA, Samsung aus Südkorea und TSMC aus Taiwan.
(5) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Halbleiter-Ökosystems (Chip-Gesetz)“ (COM(2022) 46 final — 2022/0032 (COD)) (ABl. C 365 vom 23.9.2022, S. 34).
(6) COM(2022) 657 final — Mitteilung der Kommission zur Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittländern.
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/14 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „COVID-19: Der Beitrag der Zivilgesellschaft zum Wiederaufbau und zur Stärkung der Resilienz des Europa-Mittelmeer-Raums“
(Initiativstellungnahme)
(2023/C 140/03)
Berichterstatter: |
Angelo PAGLIARA |
Beschluss des Plenums |
25.3.2021 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 52 Absatz 2 GO |
|
Initiativstellungnahme |
Zuständiges Arbeitsorgan |
Fachgruppe Außenbeziehungen |
Annahme in der Fachgruppe |
20.12.2022 |
Verabschiedung auf der Plenartagung |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
183/0/5 |
1. Einleitung
1.1. |
Die Pandemie hat den Europa-Mittelmeer-Raum hart getroffen: Die bestehenden Probleme wurden verschärft, und zu den schon vorhandenen Herausforderungen kamen neue hinzu. Die sozioökonomischen Folgen dürften die Ungleichheiten weiter verstärken, insbesondere in Ländern mit schwachem Wirtschafts- und Produktionssystem. |
1.2. |
Der Begleitausschuss Europa-Mittelmeer des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) hat beschlossen, den Schwerpunkt auf die Rolle der Zivilgesellschaft beim Wiederaufbau und bei der Stärkung der Resilienz im Mittelmeerraum zu legen. |
1.3. |
In die Ausarbeitung des vorliegenden Berichts wurden auch zivilgesellschaftliche Organisationen aus dem Europa-Mittelmeer-Raum sowie die Wirtschafts- und Sozialausschüsse einer Reihe von Ländern eingebunden. Mit dem marokkanischen Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat, der als Mitveranstalter des Gipfeltreffens Europa-Mittelmeer 2021 fungierte, hat sich eine besonders enge Zusammenarbeit entwickelt. |
1.4. |
Durch die Einbeziehung der Zivilgesellschaft aus Ländern beiderseits des Mittelmeers erbringt der vorliegende Informationsbericht einen wichtigen Mehrwert. |
1.5. |
Darin berücksichtigt werden auch die früheren Informationsberichte zu den Themen „Allgemeine und berufliche Bildung im Europa-Mittelmeer-Raum“, „Digitalisierung und KMU im Mittelmeerraum“ sowie „Nachhaltige Entwicklung im Mittelmeerraum“ (1). |
2. Schlussfolgerungen
2.1. |
Überall auf der Welt hat die Zivilgesellschaft unmittelbar auf die Pandemie reagiert und sich an vorderster Front mit Unterstützung und Hilfe für die Bevölkerung eingesetzt. Auch im Europa-Mittelmeer-Raum spielte die Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle bei der Abmilderung der negativen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie. |
2.2. |
Im Mittelmeerraum haben die zivilgesellschaftlichen Organisationen die staatlichen Maßnahmen durch die Bereitstellung von grundlegenden Dienstleistungen und Gesundheitsversorgung unterstützt, persönliche Schutzausrüstungen verteilt und insbesondere in abgelegenen Gebieten zur Verbreitung wesentlicher Informationen beigetragen. Ihre Aktivitäten haben auch entscheidend dazu beigetragen, die Auswirkungen der Pandemie auf die schutzbedürftigsten Bevölkerungsgruppen wie Frauen, junge Menschen, Einwanderer und Menschen mit Behinderungen zu lindern. |
2.3. |
Dank der Aktivitäten der Zivilgesellschaft konnte die Solidarität im Mittelmeerraum gestärkt werden. Zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft der südlichen Nachbarschaft haben sich an der Schaffung zivilgesellschaftlicher Solidargruppen beteiligt, die innovative Methoden erprobt und ihre Online-Informations- und Koordinierungsaktivitäten ausgeweitet haben. |
2.4. |
Der EWSA ist überzeugt, dass ein fairer und gerechter wirtschaftlicher und sozialer Aufschwung nur durch die Einbeziehung der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft, des Privatsektors und insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) möglich ist. Die wirtschaftliche Erholung des Mittelmeerraums und die Entwicklung nachhaltiger und resilienter sozioökonomischer Strukturen müssen sich an Grundsätzen wie der Achtung der Rechtsstaatlichkeit, dem Schutz der demokratischen Werte, der sozialen Rechte und der Menschenrechte, der Umsetzung der Kernübereinkommen der IAO sowie dem gemeinsamen Engagement für die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und der Klimaneutralität orientieren. |
2.5. |
Der EWSA begrüßt die Annahme der neuen Agenda für den Mittelmeerraum und betont, dass alle Maßnahmen zur Förderung des Wiederaufschwungs dem doppelten Ziel der Entwicklung und der Verbesserung der Lebensqualität der Menschen in der Region entsprechen müssen. |
2.6. |
Aktuell sind im Mittelmeerraum eine Reihe grundlegender sozialer, politischer, ökologischer, geopolitischer und einwanderungspolitischer Herausforderungen akut, die nicht nur Europa, sondern die ganze Welt betreffen. Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die zunehmenden, überaus komplexen Probleme des Mittelmeerraums nur mit Hilfe eines erneuerten und von der EU unterstützten wirksamen Multilateralismus bewältigen lassen. |
2.7. |
Die Folgen des Klimawandels wie Wüstenbildung, Wasserknappheit und steigende Temperaturen sind auch im Mittelmeerraum zu spüren. In der aktuellen Krise hat sich gezeigt, dass die Resilienz auf beiden Seiten des Mittelmeers gestärkt und die neuen Herausforderungen für die Zusammenarbeit in den Bereichen Umwelt und Digitalisierung angegangen werden müssen. Der EWSA hält es im Hinblick auf eine stärkere Sensibilisierung der Zivilgesellschaft und eine umfassendere Einbindung der Sozialpartner für sinnvoll, Initiativen wie WestMED auszuweiten und zu stärken. Es gilt, durch Modelle der blauen Wirtschaft, die auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Schutz des Ökosystems und der Vielfalt abzielen, zur Verwirklichung der Klima- und Umweltziele beizutragen. |
2.8. |
Zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling hat die EU ihre Kooperationsstrategie mit ihren Nachbarn im Mittelmeerraum erneuert. In diesem Zusammenhang vertritt der EWSA die Auffassung, dass die neue Agenda für den Mittelmeerraum ein Schlüsselinstrument für die soziale und wirtschaftliche Erholung der Region nach der COVID-19-Krise ist. Das erneuerte partnerschaftliche Engagement muss sich sowohl auf die wirtschaftlichen und sozialen, aber auch auf die ökologischen, demografischen und migrationspolitischen Herausforderungen konzentrieren — unter uneingeschränkter Wahrung des Fortschritts und der Grundwerte der Union. Die Gesundheitssysteme haben sich in vielen Teilen der Region als fragil erwiesen, und die Pandemie ist ein wichtiger Test, der auch die politische Stabilität beeinträchtigen könnte. |
2.9. |
Bei den Erholungs- und Wiederaufbaumaßnahmen im Mittelmeerraum sollte einem raschen Wiederaufschwung der Tourismusbranche sowie insbesondere von KMU, die über die Hälfte der Arbeitnehmer in der EU beschäftigen, besondere Bedeutung beigemessen werden. Eine anhaltende Krise hätte angesichts der strukturellen Arbeitslosigkeit sowie insbesondere der Arbeitslosigkeit unter den jungen Menschen und Frauen schwerwiegende soziale Folgen. |
2.10. |
Die Entwicklung des Potenzials der Arbeitskräfte ist für die nachhaltige Entwicklung der Mittelmeerpartner der EU von besonderer Bedeutung. Insbesondere in der Tourismusbranche sollte die Weiterbildung des Personals gefördert werden. Darüber hinaus stellt der EWSA fest, dass das Problem der Abwanderung hochqualifizierter Kräfte aus den südlichen Partnerländern in die hochentwickelten Industrieländer („Braindrain“) insbesondere den digitalen Wandel ihrer Volkswirtschaften erheblich behindert. Die EU-Mitgliedstaaten sollten daher die Erteilung von kurz- und mittelfristigen Arbeitserlaubnissen für die EU sowohl für Selbstständige als auch für Arbeitnehmer, insbesondere im IT-Sektor, erleichtern. Darüber hinaus sollte die Kommission die Umsetzung digitaler Projekte in den Partnerländern unterstützen, damit insbesondere IT-Techniker und -Technikerinnen gute Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Heimatländern finden. |
2.11. |
Um den Dialog mit der südlichen Nachbarschaft zu intensivieren, beabsichtigt die EU, auf bestehende Kooperationsinstrumente und -programme zurückzugreifen. Der EWSA empfiehlt eine möglichst umfassende Einbeziehung der Organisationen der Zivilgesellschaft durch einen inklusiven sozialen und zivilen Dialog auf allen Ebenen. Dabei ist den Besonderheiten und der jeweiligen Rolle der verschiedenen Akteure Rechnung zu tragen und ihr Beitrag zur Gestaltung und Umsetzung jener politischen Strategien und Maßnahmen zu würdigen, die zur Bewältigung der aktuellen Veränderungen und Krisen sowie nicht zuletzt der Auswirkungen des Klimawandels notwendig sind. |
2.12. |
Schätzungen zufolge werden viele Länder in der südlichen Nachbarschaft mit einem Rückgang des Pro-Kopf-BIP konfrontiert sein und vor großen Herausforderungen bei der Bewältigung der wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme sowie der Armutsgefährdung stehen. Aus diesem Grund sind Pläne für den wirtschaftlichen und finanziellen Wiederaufbau mit Maßnahmen erforderlich, mit denen auch die für die wachsende soziale Unsicherheit verantwortlichen Probleme bewältigt werden können. |
2.13. |
Die wirtschaftliche Erholung vieler Länder des Mittelmeerraums hängt eng mit der wirksamen Umsetzung einer umfassenden Impfkampagne zusammen. Deshalb empfiehlt der EWSA den EU-Organen, COVAX zu stärken und auch im Rahmen von bilateralen Abkommen eine möglich umfassende logistische und materielle Unterstützung zu leisten. Der EWSA betont, dass es besonders wichtig ist, die Partnerländer des südlichen Mittelmeerraums dabei zu unterstützen, unabhängige Produktionsanlagen für Impfstoffe und Medizinprodukte in ihren Ländern zu errichten. In diesem Zusammenhang bekräftigt er seine Forderung, die Freigabe von Patenten für Impfstoffe und Medizinprodukte zur Bekämpfung von Pandemien ernsthaft zu erörtern. |
2.14. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die aktive Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Wiederaufbaumaßnahmen nach der COVID-19-Krise entscheidend dazu beiträgt, dass Ziele wie die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen und die Entwicklung eines neuen Modells für nachhaltige Entwicklung auch tatsächlich erreicht werden. Er fordert die EU-Organe daher auf, im Rahmen der Partnerschaft mit der südlichen Nachbarschaft sämtliche Instrumente zur Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen weiter zu stärken. |
2.15. |
Die Organisationen der Zivilgesellschaft haben bei den gesundheitlichen und sozialen Maßnahmen in Reaktion auf die Pandemie eine führende Rolle gespielt, und ihr Engagement hat dazu beigetragen, die sozialen und gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung abzumildern. Wie der EWSA bereits mehrfach betont hat, können sie jedoch nur insoweit auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen, als ihnen dies mit ihren oftmals begrenzten und nicht dauerhaft gesicherten Ressourcen möglich ist. Der EWSA ist überzeugt, dass die Unterstützungsmechanismen für Organisationen der Zivilgesellschaft gestärkt werden müssen, um auch die am stärksten von der Pandemie betroffenen vulnerablen Gruppen wie junge Menschen, Frauen, Migranten und Menschen mit Behinderungen besser zu schützen. |
2.16. |
Der EWSA fordert die EU-Organe auf, weitere Maßnahmen zur Förderung des Friedens, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte in den Konfliktgebieten in den Nachbarländern des Mittelmeerraums zu ergreifen. Die Lebensbedingungen der Bevölkerung in Konfliktgebieten haben sich infolge der Pandemie weiter verschlechtert, und es bedarf entschlossenen Handelns, um die Umsetzung eines umfassenden Friedensplans zu gewährleisten. |
2.17. |
Angesichts der sicherlich schwierigen Erholung von der Pandemiekrise gewinnen die laufenden Handelsverhandlungen zwischen der EU sowie Marokko und Tunesien ebenso wie die künftigen Verhandlungen mit Jordanien an Bedeutung. Die EU sollte bestehende Asymmetrien stärker berücksichtigen und ihre südlichen Handelspartner angemessen fördern. Der EWSA fordert eine bessere Einbindung der Organisationen der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner in die Verhandlungen sowie deren formelle Verankerung in den Verträgen, damit sie einen positiven Beitrag zu den Handelsbeziehungen zwischen den Partnerländern leisten können. Damit soll insbesondere die Umsetzung der verbindlichen Nachhaltigkeitskapitel der künftigen Handelsabkommen sichergestellt werden. |
2.18. |
Darüber hinaus schlägt der EWSA vor, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Sozialpartnern im Rahmen ihrer formal strukturierten Einbeziehung nicht nur für die Nachhaltigkeitskapitel, sondern auch für den gesamten Anwendungsbereich der Handels- und Investitionsabkommen zuständig sind. |
2.19. |
Der EWSA bekräftigt seine Auffassung, dass die EU einen Teil ihrer Mittel für Handelshilfe gezielt dafür einsetzen sollte, die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen und den Aufbau von Kapazitäten für nachhaltige Handels- und Investitionsanstrengungen zu unterstützen. |
2.20. |
Der EWSA hat bereits früher empfohlen, die digitalen Kompetenzen auf beiden Seiten des Mittelmeers zu stärken. Im Zusammenhang mit der Annahme der neuen Strategie für den Mittelmeerraum sowie im Hinblick auf den Wiederaufbau nach der Pandemie weist der EWSA darauf hin, dass die Investitionen in die digitale Infrastruktur und der digitale Wandel von KMU als Vektoren für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für soziale Entwicklung auch durch die Einbeziehung der Sozialpartner und unter Anerkennung des Potenzials von Tarifverhandlungen und des sozialen Dialogs auf den verschiedenen Ebenen gestärkt werden müssen. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1. |
Die Pandemiekrise hat die Probleme der Nachbarländer im Mittelmeerraum weiter verschärft — 25 Jahre nach der Erklärung von Barcelona und zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling bestehen in der Region nach wie vor enorme Herausforderungen. Die EU und ihre Partner im Mittelmeerraum haben kürzlich beschlossen, ihre Zusammenarbeit mittels der ehrgeizigen „neuen Agenda für den Mittelmeerraum“ zu erneuern und zu stärken. |
3.2. |
Die neue Agenda beruht auf der Überzeugung, dass sich die strategischen Zukunftsherausforderungen im beiderseitigen Interesse nur durch Zusammenarbeit und Partnerschaft erfolgreich bewältigen lassen. Die Agenda umfasst einen spezifischen Wirtschaftsinvestitionsplan zur Unterstützung der sozioökonomischen Erholung der Partnerländer im Mittelmeerraum im Zeitraum 2021–2027. Das gemeinsame Ziel besteht laut dem Hohen Vertreter Josep Borrell darin, eine friedliche, sichere, demokratischere, umweltfreundlichere, wohlhabende und inklusive südliche Nachbarschaft aufzubauen. |
3.3. |
In einer kürzlich von Med Dialogue for Rights and Equality veröffentlichten Studie mit dem Titel Bridging the Sea (2) wurde festgestellt, dass sich knapp 63 % der in der südlichen Nachbarschaft tätigen Organisationen der Zivilgesellschaft mit Themen wie der Konsolidierung von Demokratie und Rechten und über 53 % u. a. mit der Bekämpfung sozioökonomischer Ungleichheiten befassen. Ihr Bewusstsein und ihr Augenmerk für ökologische Fragen und Umweltbelange gewinnt also immer mehr an Bedeutung. Diese Zahlen bestätigen, dass eine solide Basis vorhanden ist und die Zivilgesellschaft stärker unterstützt werden muss, damit die Zukunftsherausforderungen besser bewältigt werden können. |
3.4. |
Die Zivilgesellschaft der südlichen Nachbarschaft ist in den letzten 20 Jahren immer mehr auf den Plan getreten. Durch ihren Einsatz konnten die sozialen und gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung abgefedert werden. Dabei hat sich jedoch auch gezeigt, dass Maßnahmen zur Stärkung der Handlungsfähigkeit- und -kompetenzen der Zivilgesellschaft ergriffen werden müssen. |
3.5. |
Der Mittelmeerraum hat wie der Rest der Welt infolge der COVID-19-Pandemie einen schweren wirtschaftlichen und sozialen Schock erlitten. Insbesondere in den fragilsten Ländern fielen die sozialen und gesundheitlichen Folgen durch den Mangel an angemessener öffentlicher Gesundheitsinfrastruktur besonders drastisch aus. In einer Reihe von Ländern ist die Pandemiekrise zu bereits bestehenden Krisensituationen hinzugekommen, die ihre Ursache in einer Reihe von Faktoren wie der schon zuvor prekären wirtschaftlichen und sozialen Lage, der hohen Arbeitslosigkeit und den Auswirkungen der Konflikte in Gebieten wie Libyen und Syrien haben. |
3.6. |
Die Regierungen der Partnerländer im Mittelmeerraum haben — wenn auch sehr unterschiedliche — Sofortmaßnahmen ergriffen, um die Auswirkungen der Pandemie abzufedern, etwa zur Unterstützung von Arbeitnehmern und Unternehmen, wobei sie auch mit den Sozialpartnern und Organisationen der Zivilgesellschaft zusammengearbeitet haben. Deren Einbeziehung war jedoch häufig unzureichend, und in einigen Fällen fehlte sie vollständig. Zur Eindämmung der Pandemiefolgen haben fast alle Staaten des Mittelmeerraums — wie Marokko, Ägypten, Jordanien und Libanon — Ausgangsbeschränkungen und -sperren sowie Reisebeschränkungen erlassen. |
3.7. |
Im Zuge der Pandemie haben viele Regierungen der Region expansive Maßnahmen ergriffen, um die Wirtschaftskrise zu bewältigen und bestimmte Sektoren durch die Förderung der Produktion, die Einführung steuerlicher und finanzieller Vergünstigungen und Maßnahmen zur Anziehung von Investitionen zu unterstützen. |
3.8. |
Die Pandemie hat sich im gesamten Mittelmeerraum negativ auf die Wirtschaft ausgewirkt, und zwar nicht nur aufgrund von Faktoren wie der geringeren Inlands- und Auslandsnachfrage und dem sinkenden Verbrauch, sondern auch wegen der sich verschlechternden Finanzlage und der Staatsverschuldung. Seit dem Ausbruch der Pandemie haben die Regierungen der Region zusätzliche Mittel für die Gesundheits- und die Wirtschaftssysteme bereitgestellt, um bestimmte Sektoren zu unterstützen. Aus diesem Grund wird das Haushaltsdefizit in fast allen Ländern des Mittelmeerraums erheblich ansteigen. |
3.9. |
Der Verkehrssektor war stark von restriktiven Maßnahmen betroffen, die die internationale Mobilität verhindert bzw. eingeschränkt haben. Deshalb war der Tourismus einer der am stärksten von der Pandemie betroffenen Sektoren. Laut OECD beläuft sich der Rückgang im Verkehrssektor auf ca. 45 bis 70 % und im internationalen Tourismus auf 60 bis 80 % (3). Der Tourismus gehört zu den wichtigsten Wirtschaftssektoren der Mittelmeerländer, und Ägypten und Marokko zählen laut der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (Unctad) zu den am stärksten betroffenen Ländern weltweit (4). |
3.10. |
Kleinstunternehmen sowie KMU und Selbstständige sind ein wichtiger Bestandteil der Wirtschaft der Länder des südlichen Mittelmeerraums. Ihre Umsätze sind erheblich zurückgegangen, und die meisten waren gezwungen, die Zahl der Arbeitnehmer zu verringern. In diesem Zusammenhang sind strukturelle Maßnahmen erforderlich, um KMU bei der Überwindung der Krise, Wachstum und Innovation zu unterstützen und die doppelte Herausforderung der Digitalisierung und der Dekarbonisierung zu bewältigen. |
3.11. |
Die Pandemiekrise hat sich im Mittelmeerraum auf alle Gesellschaftsgruppen negativ ausgewirkt. Besonders stark betroffen waren jedoch junge Menschen (wegen der Verschlechterung der Arbeitsmarktlage und den Schließungen von Schulen und Universitäten), Frauen (die in Regionen wie der südlichen Nachbarschaft vor allem in von den pandemiebedingten Beschränkungen stark betroffenen Bereichen wie dem informellen Sektor, der Landwirtschaft und dem Tourismus beschäftigt sind), vulnerable Gruppen wie informell Beschäftigte und Flüchtlinge (für die es häufig keine Sozialschutzmaßnahmen gibt) sowie Menschen mit Behinderungen (wegen des oftmals unzureichenden Dienstleistungsangebots). |
3.12. |
In einigen Gebieten der südlichen Nachbarschaft haben Faktoren wie Wasserknappheit und schlechter Zugang zu Sanitärversorgung die Auswirkungen der Pandemie insbesondere auf die am stärksten isolierten Gesellschaftsschichten sowie in Konfliktgebieten und Flüchtlingslagern zusätzlich verschärft. |
4. Chancen und Herausforderungen
4.1. |
Wie vom Generalsekretär der Union für den Mittelmeerraum (5) hervorgehoben, gefährdet die derzeitige Gesundheitskrise die in der Region in den letzten Jahren erzielten sozioökonomischen Fortschritte. Die Krise birgt jedoch auch die Chance, die Integration zu stärken und die Volkswirtschaften widerstandsfähiger zu machen. |
4.2. |
Der Zivilgesellschaft des Europa-Mittelmeer-Raums kommt entscheidende Bedeutung für den Aufbau einer gerechteren und inklusiveren Gesellschaft nach der Pandemie zu. Wie auf dem Sozialgipfel von Porto (6) hervorgehoben wurde, ist die aktive Einbeziehung der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft ebenso entscheidend dafür, dass niemand zurückgelassen wird und die europäische Säule sozialer Rechte wirksam umgesetzt wird. |
4.3. |
Die COVID-19-Pandemie und die damit zusammenhängenden Maßnahmen gefährden die Nachhaltigkeit der Zivilgesellschaft. Die Regierungen und viele Geber haben Finanzhilfen ausgesetzt bzw. Finanzmittel eingefroren und anstelle Mittel für die COVID-19-Soforthilfe bereitgestellt. Dies gefährdet sowohl die ohnehin schon fragile Nachhaltigkeit der zivilgesellschaftlichen Organisationen und deren Möglichkeiten, sich auch künftig in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, als auch die Arbeitsplätze vieler Arbeitnehmer dieser Organisationen, in die jedoch hohe Erwartungen gesetzt werden. Der EWSA betont, dass Zuschüsse zur Förderung der Nachhaltigkeit von Organisationen der Zivilgesellschaft sowie eine Basisfinanzierung ihrer Kerntätigkeiten von entscheidender Bedeutung sind, damit sie sich an rasche Lageveränderungen anpassen und ihre Tätigkeit in Krisensituationen fortsetzen können. |
4.4. |
Der EWSA hat darauf hingewiesen, dass der Mittelmeerraum einer der am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffenen Teile der Welt ist. Die COVID-19-Pandemie hat sich negativ auf die soziale Lage und die Entwicklung ausgewirkt, sodass es dringend erforderlich ist, Strategien für nachhaltige Entwicklung und eine grüne Wirtschaft umzusetzen. |
4.5. |
Die Annahme von Aufbauplänen für den Mittelmeerraum birgt auch die Chance, die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung der Region sicherzustellen. Entwicklungsmöglichkeiten müssen unbedingt mit der Achtung von Grundsätzen wie Solidarität, Bekämpfung von Ungleichheiten sowie Schutz und Achtung der Rechtsstaatlichkeit verknüpft werden. Für die Verwirklichung aller Ziele kommt es darauf an, die Zivilgesellschaft aktiv zu beteiligen. |
4.6. |
In künftigen Post-COVID-Wiederaufbauplänen für die südliche Nachbarschaft sollte nicht nur dem Wirtschaftswachstum, sondern auch Maßnahmen zur Eindämmung der Umweltprobleme im Zusammenhang mit dem Klimawandel, der Wasserknappheit, der Verödung von Böden und der Umweltverschmutzung prioritäre Bedeutung beigemessen werden. Umweltschutzmaßnahmen könnten sich durch die Diversifizierung der Wirtschaft und die Schaffung von guten Arbeitsplätzen positiv auf den Mittelmeerraum auswirken. In diesem Zusammenhang weist der EWSA auf das erhebliche Potenzial für erneuerbare Energien (insbesondere Solar- und Windenergie) in den südlichen Partnerländern hin und fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, auf nachhaltigere gemeinsame Investitionen in diesem Bereich zu dringen. |
4.7. |
Der EWSA hat bereits darauf hingewiesen, dass im Mittelmeerraum ein gerechter Wandel unterstützt werden muss, der auch für positive Veränderungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Geschlechtergleichstellung sorgt. Um zu gewährleisten, dass der Wiederaufbau tatsächlich den Wandel und die Digitalisierung voranbringt, müssen die Menschen unbedingt stärker für spezifisches unternehmerisches Denken sensibilisiert und die digitalen Kompetenzen gefördert werden. Der EWSA unterstützt die Forderung der südlichen Partnerländer nach einem stärkeren Engagement der EU und ihrer Mitgliedstaaten im Bereich der Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit im Mittelmeerraum. |
4.8. |
Angesichts des hohen Anteils an informeller Beschäftigung und der Bedeutung der Schattenwirtschaft ist die Entwicklung eines wirksamen Modells der beruflichen Aus- und Weiterbildung ein entscheidender Faktor für den Wirtschaftsaufschwung in den südlichen Nachbarländern. Der EWSA weist erneut darauf hin, dass insbesondere die beruflichen Kompetenzen von jungen Menschen und Frauen gestärkt werden müssen, damit sie im nationalen und transnationalen Kontext im Sinne eines Kompetenzpools genutzt werden können. Zivilgesellschaftliche Organisationen spielen zudem eine wichtige Rolle bei der Stärkung von Kompetenzen durch nicht-formale Bildung, die Organisation von Workshops und Schulungen sowie durch die Förderung der Sozialwirtschaft. Ebenso müssen — wie bereits im regionalen Dialog der Union für den Mittelmeerraum mit den Sozialpartnern betont — Letztere u. a. auch einbezogen werden, um das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt anzugehen. |
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Die vorliegende Stellungnahme wird zudem durch einige jüngst vom EWSA verabschiedete Stellungnahmen zu diesem Thema ergänzt. Insbesondere sind dies: „Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum ‚Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Fazilität für Wiederaufbau und Resilienz‘ (COM (2020) 408 final — 2020/0104 (COD)) — ‚Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Instruments für technische Unterstützung‘ (COM (2020) 409 final — 2020/0103 (COD))“ (ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 132); ECO/515 „Verordnung über die Investitionsinitiative zur Bewältigung der Coronavirus-Krise“ (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht); „Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema ‚Ein neues Modell multilateraler Beziehungen: eine drängende Frage nach der COVID-19-Krise‘ (Initiativstellungnahme)“ (ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 53).
(2) https://meddialogue.eu/wp-content/uploads/2021/02/Publication-Bridging-the-sea.pdf
(3) https://read.oecd-ilibrary.org/view/?ref=124_124984-7uf8nm95se&title=Covid-19_Tourism_Policy_Responses&_ga=2.143901749.1647750476.1622806508-1692148678.1622806341
(4) https://unctad.org/system/files/official-document/ditcinf2020d3_en.pdf
(5) Siehe die Website der Union für den Mittelmeerraum (ufmsecretariat.org): UfM Foreign Affairs Ministers set priority areas for stronger cooperation and integration in the Euro-Mediterranean region.
(6) https://www.2021portugal.eu/en/porto-social-summit/porto-social-commitment/
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/20 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Strategischer Kompass der EU“
(Initiativstellungnahme)
(2023/C 140/04)
Berichterstatter: |
Christian MOOS |
Ko-Berichterstatter: |
Peter CLEVER |
Beschluss des Plenums |
14.7.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 52 Absatz 2 GO |
|
Initiativstellungnahme |
Zuständiges Arbeitsorgan |
Fachgruppe Außenbeziehungen |
Annahme in der Fachgruppe |
20.12.2022 |
Verabschiedung im Plenum |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
163/1/5 |
1. Zusammenfassung und Empfehlungen
1.1. |
Der Strategische Kompass ist ein bedeutender Fortschritt. Es handelt sich dabei um ein Bündel sehr wichtiger, konkreter Projekte und Maßnahmen zur Verbesserung der europäischen Sicherheit. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Ansicht, dass er zu einer umfassenden Strategie für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik ausgebaut und die Zivilgesellschaft in diesen Prozess einbezogen werden muss. |
1.2. |
Der EWSA betont, dass Sicherheit weit über die Verteidigung hinausgeht und eine umfassende EU-Sicherheitsstrategie auch auf zivile und präventive Aspekte ausgerichtet sein sollte, um die konkreten Verteidigungsmaßnahmen zu unterstützen und zu ergänzen. |
1.3. |
Der EWSA betont die präventive Bedeutung, die der sozialen Gerechtigkeit, den wirtschaftlichen Aussichten und der ökologischen Nachhaltigkeit zukommt. Sozialer Frieden und wirtschaftliche Stabilität sind wichtige Voraussetzungen für Gewaltfreiheit. Die Begrenzung der Erderwärmung und die Beherrschung ihrer Folgen sind elementar für den Erhalt der gesellschaftlichen Ordnung und den Frieden in der Welt. |
1.4. |
Im Strategischen Kompass wird nicht hinreichend berücksichtigt, welche Rolle die europäische Zivilgesellschaft spielen kann und muss, um eine größere Widerstandsfähigkeit gegenüber hybriden Angriffen und der systematischen Untergrabung des Zusammenhalts und der Solidarität innerhalb und zwischen den EU-Mitgliedstaaten durch feindliche Kräfte zu erreichen. |
1.5. |
Zivile und präventive Sicherheitspolitik gehen Hand in Hand mit militärischer Verteidigungsfähigkeit. Letztere ist als unverzichtbare Voraussetzung für Sicherheit und in ihrer abschreckenden Wirkung auch als präventiv anzusehen. |
1.6. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass der Strategische Kompass ein zu positives Bild der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zeichnet. |
1.7. |
Die NATO ist nicht nur ein strategischer Partner der EU, sondern auch ihr entscheidender Sicherheitsgarant. Die Europäer müssen durch Maßnahmen, die ihre eigene Handlungsfähigkeit stärken, einen größeren Mehrwert für die NATO erbringen. EU und NATO haben das Potenzial ihrer Zusammenarbeit bislang nicht vollständig ausgeschöpft. Die europäische Sicherheits- und Verteidigungssäule zu stärken, bedeutet, die NATO zu stärken. |
1.8. |
Letztlich muss die EU mehr Verantwortung übernehmen und eine Europäische Verteidigungsunion als europäische Säule der NATO schaffen, die die Neutralität einiger ihrer Mitgliedstaaten uneingeschränkt achtet und mit ihr vereinbar ist. |
1.9. |
Die EU sollte zu einem besseren Verständnis der entscheidenden Bedeutung gelangen, die der transatlantischen Partnerschaft für die Sicherheit der NATO und damit für die europäische Sicherheit zukommt. |
1.10. |
Zu viele EU-Mitglieder haben ihre Verteidigungsverpflichtungen und -fähigkeiten über lange Zeit vernachlässigt, was zu einer dramatischen Unterausstattung, mangelnder Vorbereitung und fehlender Interoperabilität ihrer Streitkräfte geführt hat. |
1.11. |
Die EU-Mitgliedstaaten müssen die Entwicklung der nationalen Fähigkeiten und die Verteidigungsplanung besser abstimmen und stärker auf gemeinsame Beschaffung setzen. Eine stärkere Wirksamkeit der europäischen Verteidigungsfähigkeiten muss durch eine wesentlich bessere Koordinierung der nationalen Industriepolitik erreicht werden. |
1.12. |
Die europäische Handlungsfähigkeit muss durch die Einführung von Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik gestärkt werden. |
1.13. |
Als wichtiges zusätzliches Element des Strategischen Kompasses muss ermittelt werden, welche Rolle die europäische Zivilgesellschaft in puncto Solidarität, Zusammenarbeit und Resilienz spielen kann. |
1.14. |
Der EWSA schlägt öffentliche Foren für strategische Debatten auf europäischer und nationaler Ebene vor. |
2. Allgemeine Bemerkungen
2.1. |
Ziel der vorliegenden Initiativstellungnahme ist es, die Auswirkungen des Strategischen Kompasses zu prüfen und die damit verbundenen europäischen Zielsetzungen und Möglichkeiten einer politischen Bewertung aus zivilgesellschaftlicher Perspektive zu unterziehen. Der EWSA begrüßt die Initiativen der Europäischen Union zur Stärkung der europäischen Sicherheit und Verteidigung. |
2.2. |
Die Zivilgesellschaft ist in Sicherheitsfragen kein passiver Zuschauer, und ihre Stimme muss gehört werden. Im Konfliktfall werden zivile Institutionen schwer getroffen, und Zivilisten leiden unter den verheerenden Folgen des Krieges. |
2.3. |
Aus Sicht der Zivilgesellschaft wird im Strategischen Kompass eine enge Sicherheitsperspektive angenommen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Verteidigung liegt. Der EWSA unterstreicht, dass Sicherheit weit über Verteidigung hinausgeht und eine EU-Strategie für Sicherheit stärker auf zivile und präventive Aspekte abheben müsste, als der Strategische Kompass es tut. |
2.4. |
Die EU ist die Antithese zu Gewalt und Krieg und muss dies auch bleiben. Sie muss ihre politischen, materiellen und kulturellen Ressourcen besser nutzen, um zur friedlichen Beilegung von Konflikten beizutragen und eine militärische Eskalation zu verhindern. Denn genau hier könnte die EU einen wichtigen Mehrwert erbringen, und darin liegt auch ihre bisherige Strahlkraft in der Welt. Sie muss sich wirksamer für eine Rückkehr zu multilateralen Rüstungskontrollabkommen, die Einhaltung des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen und die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung einsetzen. |
2.5. |
Eine regelbasierte multilaterale Ordnung ist entscheidend für die Verteidigung der universellen Menschenrechte. Die EU muss gemeinsam mit allen gleichgesinnten Partnern weltweit alles in ihrer Macht Stehende tun, um die regelbasierte multilaterale Ordnung zu stärken und erforderlichenfalls wiederherzustellen und zu erneuern. Harte Machtpolitik und das „Recht des Stärkeren“ sind nicht mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vereinbar. Sicherheit ohne Freiheit wäre sinnlos. Sicherheit ist aber auch eine wichtige Voraussetzung für Freiheit. |
2.6. |
Zivile und präventive Sicherheitspolitik stehen nicht in Gegensatz zu militärischer Verteidigungsfähigkeit. Letztere ist vielmehr eine unverzichtbare Voraussetzung für Sicherheit und in ihrer abschreckenden Wirkung auch als präventiv anzusehen. |
2.7. |
Politische und finanzielle Investitionen in Sicherheit und Verteidigung erfordern eine fundierte und ernsthafte Bewertung a) der systemischen und b) der materiellen Stärken und Schwächen der EU sowie ihrer Fähigkeit, i) für ihre eigene Sicherheit zu sorgen, ii) Stabilität in ihrer Nachbarschaft zu schaffen, iii) globale Handelsrouten und den Zugang zu kritischen Gütern und Materialien sicherzustellen und, nicht zuletzt, iv) mithilfe ihre Mitgliedstaaten ein verlässlicher Partner mit klarem Engagement in den Bündnissen zu sein, die nicht nur für die Sicherheit Europas von wesentlicher Bedeutung sind. |
2.8. |
Sicherheit und Freiheit können nicht ausschließlich durch militärische Fähigkeiten erreicht werden. Sie erfordern einen ganzheitlichen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Ansatz sowie mehr Klugheit und vorausschauendes Handeln. Präventionspolitik und Konfliktbeilegung mit diplomatischen und zivilen Mitteln müssen Priorität haben, und der Einsatz militärischer Macht muss die Ultima Ratio bleiben. Dazu gehören aber auch glaubwürdige militärische Fähigkeiten sowie die unzweifelhafte Bereitschaft, diese Fähigkeiten einzusetzen, wenn dies unvermeidbar ist. Die EU muss ihre Interessen entschlossener wahrnehmen. |
2.9. |
Die Wahrung eines gerechten Friedens ist das oberste Ziel der globalen Sicherheitsarchitektur, und der Multilateralismus ist das beste Instrument, um dieses Ziel zu erreichen. Er gerät jedoch zunehmend unter Druck, und der EWSA schließt sich den Empfehlungen und der Forderung des Weltfriedensberichts 2022 nach Maßnahmen zur Stärkung der globalen Friedensarchitektur an (1). |
2.10. |
Die Umsetzung von Maßnahmen zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten und zur Erhöhung der Sicherheit erfordert mehr interinstitutionelle Kohärenz, die Vermeidung von Silopolitik und vor allem ein starkes Engagement der Mitgliedstaaten. |
2.11. |
Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine, der Rückkehr des Krieges nach Europa und der harten Machtpolitik werden effektive Abschreckungsfähigkeiten benötigt. Obwohl Großmachtpolitik niemals Ziel der EU war, muss sie sich nun, da Russland und China das internationale System und die globale Sicherheit infrage stellen, an den zunehmenden systemischen Wettbewerb zwischen den Großmächten anpassen. Russland verstößt offen gegen die Charta der Vereinten Nationen, und China verstößt — wie in Xinjiang und Hongkong deutlich sichtbar — gegen die universellen Menschenrechte. |
2.12. |
Die USA, Kanada und andere Demokratien der Welt sind wichtige Partner, wenn es darum geht, das zu wahren, wozu sich alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen förmlich und freiwillig verpflichtet haben: die universellen Menschenrechte, die nirgendwo und niemals abdingbar sein können. |
2.13. |
Die EU sollte zu einem besseren Verständnis der entscheidenden Bedeutung gelangen, die der transatlantischen Partnerschaft, also den Beziehungen zwischen der EU und den USA, für die NATO und damit für die europäische Sicherheit zukommt. Auch wenn die USA ihren Interessenfokus in den vergangenen Jahren immer stärker auf den asiatischen und den pazifischen Raum verlegt haben, zeigt die russische Aggression doch, dass die Weltordnung weiterhin auch in Europa gesichert und erforderlichenfalls verteidigt werden muss. |
2.14. |
Die NATO ist nicht nur ein strategischer Partner der EU. Sie stellt Europas militärische Verteidigung sicher, und die europäische Verteidigungssäule sollte in voller Komplementarität hierzu entwickelt werden. Russlands Überfall auf die Ukraine und die internationale Sicherheitsordnung untermauern dies in jeder Hinsicht. Mehr europäische Zusammenarbeit in der Verteidigung kann die NATO stärken und Europas Handlungsfähigkeit im Sinne eines wirksameren Beitrags zur eigenen Sicherheit und zu regionaler Stabilität erhöhen. |
2.15. |
Obwohl die EU als Gemeinschaft und die NATO als Bündnis nicht identisch sind, gibt es nicht nur bei den Werten und Zielen immer mehr Schnittmengen zwischen beiden. Mit dem NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens werden 23 Länder beiden Organisationen angehören. Die Europäer können und müssen durch Maßnahmen, die ihre eigene Handlungsfähigkeit stärken, einen größeren Mehrwert für die NATO erbringen. Letztlich muss die EU mehr Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen und eine Europäische Verteidigungsunion als europäische Säule der NATO schaffen, die die Neutralität einiger ihrer Mitgliedstaaten uneingeschränkt achtet. |
2.16. |
Zu viele Mitgliedstaaten haben ihre Verteidigungsfähigkeiten über allzu viele Jahre hinweg vernachlässigt. Teils zu geringe, vor allem aber ineffektive Verteidigungsausgaben haben in vielen EU-Mitgliedstaaten zu einer dramatischen Unterausstattung, mangelnden Vorbereitung und fehlenden Interoperabilität der Streitkräfte geführt. Wo diese EU-Mitgliedstaaten auch Mitglieder der NATO sind, vernachlässigen sie damit ihre Bündnispflichten. |
2.17. |
Die Verteidigungsfähigkeit Europas hängt nicht allein von der Höhe der dafür zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel ab, sondern vor allem von deren effizientem Einsatz. Zur Zeit führen die unterschiedlichen Waffensysteme in der EU zu Überschneidungen, hohen Kosten und Ineffizienz. Die EU-Mitgliedstaaten müssen die Entwicklung der nationalen Fähigkeiten und die Verteidigungsplanung besser abstimmen und stärker auf gemeinsame Beschaffung setzen. Auf europäischer und nationaler Ebene sollte eine kohärente Beschaffungspolitik verfolgt werden, um die zur Kostensenkung erforderlichen Skaleneffekte zu erzielen und in der Lage zu sein, ausreichende Aktivitäten zu generieren, um den Fortbestand neu entstehender Start-up-Unternehmen zu sichern (2). Die derzeitigen Praktiken auf dem europäischen Verteidigungsmarkt verdeutlichen die hohen Kosten des Verzichts auf EU-politisches Handeln. |
2.18. |
Trotz der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ), der Koordinierten Jährlichen Überprüfung der Verteidigung (Coordinated Annual Review on Defence — CARD) und des Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) hat die EU zu wenig Fortschritte bei der Entwicklung wirksamer gemeinsamer Strukturen erzielt, mit denen sie für ihre eigene Sicherheit sorgen könnte. Entsprechend bedeutsam ist die Erklärung von Versailles vom März 2022, die auf dem Beschluss der Staats- und Regierungschef vom Dezember 2021 gründet, wonach „die Europäische Union mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen und im Verteidigungsbereich eine strategische Vorgehensweise verfolgen und ihre Fähigkeit zum autonomen Handeln steigern wird“. |
2.19. |
Die Handlungsfähigkeit der EU im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik würde gestärkt, wenn im Rat bei den Beschlüssen zur Außenpolitik vom Einstimmigkeitsprinzip, das jedem der Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, ein gemeinsames Handeln der anderen zu blockieren, abgerückt würde. Als Zwischenlösung könnte eine zeitlich begrenzte Testphase mit einer Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit bzw. mit verstärkten qualifizierten Mehrheiten (d. h. höheren Schwellenwerten für die qualifizierte Mehrheit) in Betracht gezogen werden. Ein kohärentes Handeln der Mitgliedstaaten wird jedoch nicht in erster Linie durch den institutionellen Rahmen verhindert. Vielmehr umgehen die Mitgliedstaaten den bestehenden institutionellen Rahmen, nutzen sein Potenzial nicht und lassen sich nicht in ihn einbinden. |
2.20. |
Als Sicherheitsgarant braucht Europa möglicherweise ein neues Narrativ und konkrete Maßnahmen, die von der Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement getragen werden, um die europäische Identität und Solidarität zu stärken, ohne Gefahr zu laufen, den Nationalismus durch einen europäischen Chauvinismus zu ersetzen. Es sollte eine offene, transparente und inklusive Beteiligung der Öffentlichkeit geben. |
3. Positive Aspekte des Strategischen Kompasses
3.1. |
Das Ziel des Strategischen Kompass, mehr Sicherheit durch den Aufbau von Kapazitäten („act“), bessere Vorsorge („secure“), gezielte Investitionen („invest“) und mehr Zusammenarbeit („partner“) zu erreichen sowie Partnerschaften und Bündnisse zu stärken, ist gut gewählt. |
3.2. |
Mit dem Strategischen Kompass soll die Entschlossenheit Europas bekräftigt werden, die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen zu wahren, den Frieden wiederherzustellen und die Freiheit in Europa zu verteidigen. |
3.3. |
Im Hinblick auf die Sicherheit wird China im Strategischen Kompass als „systemischer Rivale“ bezeichnet; durch seine massiven Verletzungen der universellen Menschenrechte, seine ständige Bedrohung Taiwans und seine Unterstützung für den russischen Aggressor hat sich dies bestätigt. Im Strategischen Kompass wird hervorgehoben, dass China und Russland die internationale Ordnung infrage stellen. Beide Länder erweitern ihre Kernwaffenarsenale und entwickeln neue Waffensysteme. |
3.4. |
Ferner werden die gefährliche Aushöhlung der Rüstungskontrollarchitektur und die nachteiligen Auswirkungen dieses „Rechtsvakuums“ auf die Sicherheit der EU hervorgehoben. |
3.5. |
Die EU hat in allen Regionen der Welt legitime Interessen. Im Strategischen Kompass werden nicht alle davon systematisch abgedeckt, aber es wird zu Recht festgestellt, dass die Untätigkeit Europas, wie insbesondere in den westlichen Balkanstaaten zu sehen ist, andere Mächte dazu einlädt, den Raum zu füllen. |
3.6. |
Im Strategischen Kompass wird betont, dass die EU mit deutlich verstärkter Dringlichkeit und Entschlossenheit handeln muss und sich die Mitgliedstaaten auf gegenseitige Unterstützung verlassen können müssen. Daher wird die Bedeutung von Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) herausgestellt. Die EU sollte die Kohärenz dieser primärrechtlichen Grundlage mit der Beistandspflicht nach Artikel 5 NATO-Vertrag klären. |
3.7. |
Eine bessere Einsatzbereitschaft und Interoperabilität werden im Strategischen Kompass als Prioritäten bezeichnet, die im Einklang mit der NATO stehen müssen. Im Strategischen Kompass wird die EU als Wegbereiterin einer besseren europäischen Verteidigung dargestellt und angekündigt, dass sie Lücken bei den kritischen Fähigkeiten schließen, die Widerstandsfähigkeit der europäischen Gesellschaften stärken und Stabilität in der europäischen Nachbarschaft schaffen wird. Ein erster Schritt ist die Schaffung der Schnelleingreifkapazität (Rapid Deployment Capacity), die aus 5 000 Mann bestehen und bis 2025 voll einsatzfähig sein soll. Der EWSA weist darauf hin, dass es höchste Zeit ist, konkrete Ergebnisse zu erzielen, denn die EU hatte in dieser Hinsicht bereits vor über zwei Jahrzehnten ehrgeizigere Ziele avisiert, die bis heute nicht erfüllt wurden. |
3.8. |
Auch wenn im Strategischen Kompass nicht auf die Einführung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit in der Außenpolitik Bezug genommen wird, so wird doch zu konstruktiven Stimmenthaltungen aufgefordert, damit handlungswillige Mitgliedstaaten voranschreiten können. Hier könnte Artikel 44 EUV verstärkt genutzt werden, um im Wege der Delegation durch den Rat die Zusammenarbeit von willigen Mitgliedstaaten mit entsprechenden Fähigkeiten in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zu ermöglichen. |
3.9. |
Der Strategische Kompass zielt darauf ab, zivile und militärische Missionen und Operationen im Rahmen der GSVP sinnvoll zu kombinieren. Die Bedeutung ziviler GSVP-Missionen im Zusammenhang mit nichtmilitärischen Reaktionen wird hervorgehoben. Mit dem Strategischen Kompass wird eine engere Zusammenarbeit zwischen der GSVP und den Interessenträgern im Bereich Justiz und Inneres der EU angestrebt. |
3.10. |
Der EWSA begrüßt, dass ein handlungsorientierter Ansatz verfolgt und konkrete Vorschläge und Schritte sowie Zieldaten und Etappenziele genannt werden, die der Rat der EU und der Europäische Rat regelmäßig überprüfen müssen. |
3.11. |
Im Strategischen Kompass werden zudem wichtige Maßnahmen zur besseren Berücksichtigung des Ansatzes für Geschlechtergleichstellung, Frieden und Sicherheit sowie der Klimaeffizienz in GSVP-Missionen und -Operationen herausgestellt. Insbesondere wird die EU bis 2023 ihr Netz von Beratungspersonen für universelle Menschenrechts- und Gleichstellungsfragen bei ihren GSVP-Missionen und -Operationen ausbauen; mit der Umsetzung des EU-Fahrplans für Klimawandel und Verteidigung sollen Fortschritte bei der Erreichung der Klimaneutralität im Militärsektor erzielt werden. |
4. Kritische Anmerkungen zum Kompass
4.1. |
Der Strategische Kompass ist ein sehr ehrgeiziges Dokument mit über 80 konkreten Maßnahmen, die bis 2025 zu ergreifen sind. In diesem Zusammenhang bedarf es eines starken politischen Willens seitens der Mitgliedstaaten. Andernfalls könnte der Eindruck entstehen, dass es der EU an Zuständigkeit in außen- und verteidigungspolitischen Fragen mangelt. |
4.2. |
Der Strategische Kompass ist von einem verengten Sicherheitsbegriff geprägt, denn bei Sicherheit geht es um mehr als um Verteidigung. Mehr Prävention und Vorausschau sind von entscheidender Bedeutung, um militärische Konflikte zu vermeiden. Im Mittelpunkt des Strategischen Kompasses steht die Festlegung einer Reihe konkreter Projekte und Maßnahmen. Dies wird vom EWSA begrüßt. Jedoch wird zu wenig Bezug auf konkrete geografische Räume genommen und zu wenig definiert, wo die EU auch außerhalb ihres Gebiets, etwa in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, Stabilität und Sicherheit im Sinne ihrer Werte und Ziele projizieren will. Der Strategische Kompass muss zu einer umfassenden Strategie werden, in der auch die Zivilgesellschaft einbezogen wird. |
4.3. |
Im Strategischen Kompass wird ein eher positives Bild von der Kohärenz der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU und ihren potenziellen Fähigkeiten gezeichnet, z. B. wenn es heißt, dass die Stärke der EU bei der Verhütung und Bewältigung externer Konflikte und Krisen in ihrer Fähigkeit liegt, sowohl militärische als auch zivile Mittel einzusetzen. Der Kompass nennt keine konkreten Beispiele, wo dies erfolgreich der Fall wäre. Eine wirklichkeitsferne Analyse kann jedoch keine solide Grundlage für eine Sicherheitsstrategie bilden. Die Selbsteinschätzung der EU als konsequenter Vorreiterin bei multilateralen Lösungen und ihr im Strategischen Kompass explizit geäußertes Eigenlob, z. B. im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die globale Sicherheit, lassen die Fähigkeit zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme vermissen. |
4.4. |
Die EU mag viele politische und finanzielle Ressourcen in den Multilateralismus investiert haben; doch zumindest bis zu Russlands Angriff haben die Mitgliedstaaten lediglich dann abgestimmte europäische außenpolitische Ziele verfolgt, wenn es ihren eigenen nationalen Interessen unmittelbar entsprach. Dieser grundlegende Mangel an strategischer Vorausschau kann anhand mehrerer Beispiele veranschaulicht werden; hier seien u. a. Folgende genannt: der Erweiterungsprozess im Westbalkan, die Reaktionen der Europäer auf den Krieg in Libyen, die Abhängigkeiten bei der Versorgung mit Energie, Rohstoffen und anderen Gütern, die Vertretung Europas im Rahmen der Vereinten Nationen sowie die unterschiedlich hohen Investitionen in nationale militärische Kapazitäten im Verhältnis zum BIP. |
4.5. |
Im Strategischen Kompass wird die NATO als wichtig für die europäische Sicherheit anerkannt, aber dies reicht nicht aus. Im Kompass ist von einer strategischen Partnerschaft mit der NATO, von Komplementarität und von Beschlussfassungsautonomie die Rede. Allerdings sind nur noch wenige Mitgliedstaaten neutral, d. h. keine NATO-Mitglieder, und das Bündnis ist mehr als lediglich ein strategischer Partner für Europa. De NATO ist und wird für eine nicht absehbare Zeit der einzige wirkliche Garant für die Sicherheit Europas sein. Die EU kann den Europäerinnen und Europäern jedoch helfen, ihren Beitrag zur europäischen Sicherheit besser zu organisieren, indem sie ihre Verteidigungsfähigkeiten bündeln und unkoordinierte nationale Alleingänge zugunsten eines gemeinsamen europäischen Ansatzes aufgeben. Trotz vieler guter Ansätze im Strategischen Kompass haben sowohl die EU als auch die NATO das Potenzial ihrer Zusammenarbeit bislang nicht vollständig ausgeschöpft. |
4.6. |
Das Konzept der strategischen Autonomie Europas muss klar definiert werden, wenn es auf Sicherheits- und Verteidigungsfragen angewandt wird, wie dies im Strategischen Kompass der Fall ist. Bei der strategischen Autonomie geht es nicht um einen Alleingang der EU, sondern darum, dass diese ein besserer Partner wird, der in der Lage ist, bei Bedarf zu handeln, auch wenn möglicherweise keine Unterstützung zur Verfügung steht. Strategische Autonomie darf nicht Äquidistanz zu den Weltmächten bedeuten, wie der EWSA bereits in seiner jüngst verabschiedeten Stellungnahme zu den transatlantischen Beziehungen unterstrichen hat. Die USA sind und bleiben Europas wichtigster Verbündeter und Partner. Wie vom EWSA in seiner Stellungnahme zum Fahrplan für Sicherheits- und Verteidigungstechnologien (3) dargelegt, sollte die EU dennoch eine Verringerung der strategischen Abhängigkeiten auch im Sicherheits- und Verteidigungssektor anstreben. |
4.7. |
Einseitige Abhängigkeiten Europas müssen nicht nur im Bereich der Verteidigung abgebaut werden. Dies ist für die europäische Sicherheit von entscheidender Bedeutung. Gleichwohl sind nach Auffassung des EWSA wechselseitige Abhängigkeiten, insbesondere zwischen gleichgesinnten Partnern, nicht nur vorteilhaft, sondern eine unabdingbare Voraussetzung für eine regelbasierte multilaterale Ordnung. |
4.8. |
In Bezug auf die künftigen militärischen Fähigkeiten der EU hält der EWSA fest, dass die im Strategischen Kompass angekündigten EU-Gefechtsverbände oder die schnelle Eingreiftruppe den Konzepten für rasch einsetzbare, kleinere Streitkräfte im Rahmen international abgestimmter Missionen entsprechen. Diese Bemühungen können jedoch nicht unabhängig von einem angemessenen Beitrag Europas zu seiner eigenen Sicherheit im Rahmen der NATO gesehen werden. Mit den europäischen Anstrengungen muss die Wirksamkeit der europäischen Säule der NATO unterstützt werden. Derzeit ist unklar, wie die Mitgliedstaaten der EU und der NATO ausreichende Ressourcen sowohl für die NATO-Eingreiftruppe als auch für die schnelle Eingreiftruppe der EU bereitstellen können, falls diese Ressourcen gleichzeitig aktiviert werden müssen. Zudem bleiben die vorgestellten Maßnahmen in Bezug auf schnell einsatzfähige Truppen teilweise hinter bereits vor Jahrzehnten gefassten Beschlüssen (Helsinki 1999) zurück. |
4.9. |
Im Strategischen Kompass wird nicht berücksichtigt, welche Rolle die Zivilgesellschaft in Europa spielen kann und muss, um eine größere Widerstandsfähigkeit gegenüber der systematischen Untergrabung des Zusammenhalts und der Solidarität innerhalb und zwischen den EU-Mitgliedstaaten durch feindliche Kräfte zu erreichen. |
4.10. |
Die Aufwertung der EU als demokratischer und rechtsstaatlicher Sicherheitsgarantin erfordert nicht nur starke bzw. stärkere EU- Institutionen und mehr Vorausschau seitens der Mitgliedstaaten, sondern auch umfangreiche grenzüberschreitende gesellschaftliche Bündnisse, die ohne eine starke und lebendige gesamteuropäische organisierte Zivilgesellschaft sowie umfassend engagierte europäische Sozialpartner unvorstellbar sind. |
4.11. |
Zu feindlichen Angriffen gehören nicht nur Militäreinsätze, sondern auch Desinformation, Cyberangriffe, wirtschaftliche Erpressung usw. Im Strategischen Kompass wird die Entwicklung eines Instrumentariums zur Abwehr hybrider Bedrohungen der EU und eines Instrumentariums gegen Manipulation von Informationen und Einmischung aus dem Ausland sowie die Stärkung des Instrumentariums für die Cyberdiplomatie erwähnt. Dieser entscheidende Aspekt muss jedoch im Strategischen Kompass näher ausgeführt werden. Die EU braucht dringend einen institutionenübergreifenden Ansatz für die Abwehr solcher Angriffe und Einflussnahmen, an dem die repräsentative Zivilgesellschaft beteiligt werden muss, um die Grundlagen für eine wirksame Solidarität, Zusammenarbeit und Resilienz der Unionsbürgerinnen und -bürger zu schaffen, insbesondere auf lokaler Ebene, wo die Auswirkungen solcher Angriffe am unmittelbarsten zu spüren sind. |
4.12. |
Europas Sicherheit wird nicht nur durch militärische Angriffsmöglichkeiten im traditionellen Sinne bedroht. Auch Cyberangriffe und Sabotage gegen private Unternehmen, öffentliche Institutionen und kritische Infrastruktur sind als hybride kriegerische Angriffe anzusehen, die verheerende Schäden anrichten können. Dieser Aspekt kommt im Strategischen Kompass vor allem hinsichtlich wirksamer Schutz- und Gegenmaßnahmen zu kurz. |
5. Neukalibrierung des Kompasses
5.1. |
Der EWSA teilt voll und ganz die Auffassung, dass sich die EU auf zunehmend aggressive revisionistische Mächte einstellen muss, die gegen die UN-Charta verstoßen. Eine regelbasierte multilaterale Ordnung lässt sich wiederherstellen, wenn die liberalen Demokratien an ihren Prinzipien festhalten, diese mit diplomatischen, zivilen und militärischen Fähigkeiten untermauern und den Versuchungen, dem Druck und den Drohungen autoritärer Mächte nicht nachgeben. |
5.2. |
Die europäische Politik muss dem Ziel dienen, bewaffnete Konflikte zu verhindern; dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Welt deutlich weniger friedlich ist, als es nach dem Ende des Kalten Krieges schien. Daher braucht die europäische Gesellschaft einen politischen Konsens über den wirksamen Aufbau ihrer Abwehr gegen potenzielle Aggressoren, und vor allem den Aufbau ihrer Zivilschutzkapazitäten. Eine stärkere öffentliche Debatte und eine aktive Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Akteure sind von entscheidender Bedeutung. |
5.3. |
Die transatlantische Partnerschaft erfordert weitaus mehr politische Investitionen. Sie geht zwar über die NATO hinaus, ist aber eine tragende Säule des Bündnisses. Die Europäer müssen mehr Anstrengungen unternehmen, um die Beziehungen zwischen der EU und den USA aufrechtzuerhalten und zu vertiefen. Eine stabile Partnerschaft mit den USA ist sowohl in Bezug auf die Handelsbeziehungen als auch auf die Sicherheit von größter Bedeutung. |
5.4. |
Eines der Ziele Europas ist eine kernwaffenfreie Welt. Bis dieses Ziel erreicht ist, sind die amerikanische Sicherheitsgarantie für Europa, die nukleare Abschreckung der NATO und das Abschreckungsarsenal Frankreichs für die europäische Sicherheit unverzichtbar. |
5.5. |
Die europäischen Partner müssen sich dringend darauf konzentrieren, die Effizienz ihrer Rüstungsausgaben zu erhöhen. Dies kann u. a. durch eine wesentlich größere Interoperabilität ihrer nationalen konventionellen militärischen Systeme erreicht werden. Die Mitgliedstaaten müssen die aktuellen Probleme und Missverständnisse in Bezug auf den Erwerb dringend benötigter kurzfristiger Verteidigungsfähigkeiten überwinden und einen gemeinsamen Ansatz zur mittel- bis langfristigen Stärkung ihrer Verteidigungssysteme durch gemeinsame Beschaffung und gemeinsame Kooperationsprojekte finden. Gemeinsame europäische Projekte sollten enge Verbündete und Partner nicht ausschließen, aber ihr Zugang zum europäischen Verteidigungsmarkt muss strikt auf Gegenseitigkeit beruhen. |
5.6. |
Der Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP ist insofern wichtig, als er zwischen den westlichen Verbündeten vereinbart wurde — pacta sunt servanda! Im Hinblick auf wirksame Fähigkeiten ist es wichtiger, diese genau zu definieren und rechtzeitig zu erreichen. Ob dies einen Anteil von exakt zwei Prozent am BIP oder möglicherweise mehr erfordert, ist von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist, dass ein potenzieller Aggressor die Kosten eines Angriffs als zu hoch einstuft. Die EU muss auf ihren Instrumenten und Einrichtungen wie der SSZ, der CARD, dem EDF und der Europäischen Friedensfazilität aufbauen, um die Wirksamkeit der Verteidigungsausgaben ihrer Mitgliedstaaten zu erhöhen. |
5.7. |
Die Beschaffung von Verteidigungsgütern und die Strukturen der europäischen Verteidigungsindustrie sind für die europäische Sicherheit von entscheidender Wichtigkeit. Sie unterliegen nicht allein den Regeln des Marktes. Die europäische Sicherheit darf jedoch nicht durch kostspielige und unwirksame Kompromisse beeinträchtigt werden. Gemeinsame Vorhaben sollten von der Lieferfähigkeit einer wettbewerbsfähigen und innovativen Industrie und nicht durch nationale Quoten bei Kooperationsprojekten bestimmt werden. |
5.8. |
Im Strategischen Kompass werden viele wichtige Sicherheitsaspekte abgedeckt, jedoch nicht genug auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse eingegangen. Die EU sollte den Kompass aktualisieren und eine klare Analyse der europäischen nachrichtendienstlichen Fähigkeiten sowie konkrete Vorschläge zu deren Verbesserung aufnehmen. |
5.9. |
Die nationalen Verteidigungskräfte müssen gestrafft, d. h., es müssen effiziente gemeinsame Kommandostrukturen geschaffen werden, die letztlich die Grundlage für gemeinsame europäische Streitkräfte bilden. Der Militärstab der Europäischen Union und die Europäische Verteidigungsagentur müssen eingerichtet werden. |
6. Beiträge der Zivilgesellschaft zu Europas Sicherheit und Verteidigung
6.1. |
Der Strategische Kompass ist ein bedeutender Fortschritt. Er sollte um eine Strategie für die europäische Außenpolitik erweitert werden, die sich durch einen umfassenderen Sicherheitsbegriff auszeichnet, der auch in Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen steht und eine aktive Einbeziehung der Zivilgesellschaft vorsieht. |
6.2. |
Mehr nachrichtendienstliche Informationsgewinnung, Prävention und Vorausschau sind von entscheidender Bedeutung, um militärische Konflikte zu vermeiden. Viele EU-Mitgliedstaaten müssen mehr in ihre Verteidigungsfähigkeiten investieren, und die meisten haben damit begonnen. Dies muss ein langfristiges, von der Zivilgesellschaft mitgetragenes Engagement sein. Die europäische Säule der NATO muss für militärische Abschreckung sorgen. Die EU muss jedoch ihre Fähigkeit stärken, um auch mit eigenen militärischen Mitteln konkrete präventive Beiträge zu Frieden und Stabilität in der Region zu leisten. |
6.3. |
Die EU sollte die Mitgliedstaaten, wie im Kompass vorgeschlagen, bei der Verbesserung ihrer Zusammenarbeit unterstützen, um die ineffiziente Fragmentierung und kostspielige Doppelungen der Verteidigungsfähigkeiten zu verringern. Solange sie jedoch nicht über echte Verteidigungskompetenz verfügt, sollte sie ihre begrenzten Ressourcen weiterhin hauptsächlich in zivile Strategien und Mechanismen zur Konfliktverhütung investieren. Diesbezüglich kann die Zivilgesellschaft über ihre sozialen und wirtschaftlichen Netzwerke und dank ihres großen Potenzials im Bereich Public Diplomacy und Kulturdiplomatie einen entscheidenden Beitrag leisten. |
6.4. |
Eine freie und lebendige Zivilgesellschaft kann in Krisenzeiten, in denen die europäische Sicherheit gefährdet ist, als automatischer Stabilisator wirken. Dies hat sich etwa im Zusammenhang mit der russischen Aggression gezeigt, haben doch Millionen von EU-Bürgern in vielen Mitgliedstaaten ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und unterstützt sowie insbesondere in den an die Ukraine angrenzenden EU-Mitgliedstaaten außergewöhnliche Hilfsbereitschaft bewiesen. Ein umfassendes Sicherheitskonzept muss auch europäische Notfallvorsorge und eine kontinuierliche Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen umfassen. |
6.5. |
Der EWSA betont die Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit, wirtschaftlichen Aussichten und ökologischer Nachhaltigkeit für die Sicherheit. Sozialer Frieden ist eine wichtige Voraussetzung für Gewaltfreiheit. Die Begrenzung der Erderwärmung und die Beherrschung ihrer Folgen sind elementar für den Erhalt der gesellschaftlichen Ordnung und den Frieden in der Welt. |
6.6. |
Der EWSA schlägt öffentliche Foren für strategische Debatten vor, damit die Zivilgesellschaft zur Entwicklung eines Europas beitragen kann, das vor feindlichen Angriffen schützt und widerstandsfähiger gegenüber Angriffen wird, die den Kampfgeist und die politische Stabilität in und zwischen den Mitgliedstaaten untergraben sollen. Im Kampf der Weltmächte um Vorteile sind nicht die militärische oder wirtschaftliche Stärke, sondern die grundlegenden Eigenschaften einer Gesellschaft entscheidend (4). |
6.7. |
Der EWSA, seine Fachgruppe Außenbeziehungen (REX) und — mit Blick auf die Verteidigungsindustrie — die Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) (5) können eine zentrale Scharnierfunktion im Dialog zwischen Politik und Gesellschaft über Sicherheit in Europa und der Welt einnehmen. Der EWSA wird weiterhin regelmäßige Aktualisierungen des Strategischen Kompasses fordern und neue damit zusammenhängende Initiativen wie das Verteidigungspaket gründlich bewerten. |
6.8. |
Die russische Aggression und die systemische Rivalität mit China machen deutlich, dass die EU bei der Anpassung an die geopolitischen Gegebenheiten keine Zeit verlieren darf. In liberalen Demokratien kann dies nur in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und mit ihrer politischen Unterstützung erreicht werden. |
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Für unsere gemeinsame Zukunft — Gemeinsame Sicherheit 2022, Stockholm, 2022.
(2) Fahrplan für kritische Technologien für Sicherheit und Verteidigung (COM(2022) 61 final), Ziffer 4.9.
(3) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Fahrplan für kritische Technologien für Sicherheit und Verteidigung“ (COM(2022) 61 final) (ABl. C 443 vom 22.11.2022, S. 112).
(4) Mazarr, M. J.: „What Makes a Power Great. The Real Drivers of Rise and Fall“, in: Foreign Affairs, Juli/August 2022, S. 52.
(5) https://www.eesc.europa.eu/en/sections-other-bodies/sections-commission/consultative-commission-industrial-change-ccmi
III Vorbereitende Rechtsakte
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
575. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 14.12.2022-15.12.2022
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/28 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung der Vorschriften über außervertragliche zivilrechtliche Haftung an künstliche Intelligenz (Richtlinie über KI-Haftung)“
(COM(2022) 496 final — 2022/0303 (COD))
(2023/C 140/05)
Hauptberichterstatter: |
Wautier ROBYNS DE SCHNEIDAUER |
Befassung |
Europäisches Parlament, 6.10.2022 |
|
Rat der Europäischen Union, 14.10.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
Beschluss des Präsidiums |
20.9.2023 |
Verabschiedung im Plenum |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
154/1/0 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat seinen Standpunkt zur künstlichen Intelligenz (KI) seit seiner im Jahr 2017 geleisteten Pionierarbeit weiterentwickelt. Er betont, dass die menschliche Überwachung von KI-Anwendungen auch Haftungsfragen umfassen und dass Vertrauen in diese Technologie geschaffen werden muss. In seiner Stellungnahme von 2019 (1) forderte er klare Regeln, einschließlich in Bezug auf die Haftung natürlicher oder juristischer Personen im Falle einer missbräuchlichen (oder vermutlich missbräuchlichen) Nutzung. |
1.2. |
Der EWSA begrüßt und unterstützt den Vorschlag der Kommission, die Rechte von Opfern, die aufgrund einer solchen missbräuchlichen Nutzung von KI Schäden erlitten haben, nach Maßgabe des nationalen Rechts zu stärken. Dafür werden zusätzlich zu den bestehenden nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf die verschuldensabhängige und die verschuldensunabhängige Haftung, den Bestimmungen der Produkthaftungsrichtlinie und dem Strafrecht spezifische Rechte vorgesehen. |
1.3. |
Der EWSA erkennt an, dass eine Mindestharmonisierung diesem Ziel am besten gereicht wird. Er ist jedoch besorgt angesichts der Gefahr unterschiedlicher Auslegungen durch die an der Entwicklungs- und Lieferkette beteiligten Akteure sowie durch die Gerichte. Er fordert daher nachdrücklich klare rechtliche Definitionen und die notwendige Stärkung der erforderlichen Sachkenntnis derjenigen Personen, die diese neuen Rechtsvorschriften in der gesamten EU anwenden und über entsprechende digitale Kenntnisse verfügen müssen. Die Kommission sollte letztlich eine Haftungsregelung mit einer möglichst einheitlichen Anwendung in der gesamten EU anstreben und konzipieren. |
1.4. |
Zusätzlich zu der Aufsichtsfunktion der Behörden nimmt der EWSA die Wechselwirkung zwischen Prävention und Sicherheitsvorschriften einerseits und rechtlichen Möglichkeiten andererseits zur Kenntnis. Es gilt, die Einhaltung der EU- und nationalen Standards für die verantwortungsvolle Entwicklung von KI sicherzustellen. Er fordert die Einrichtung eines Netzes alternativer Streitbeilegungsstellen, um Opfern die Wahrnehmung ihrer Rechte zu erleichtern und eine breitere Evidenzgrundlage für die Ergebnisse der Richtlinie zu schaffen. |
1.5. |
Der EWSA begrüßt das in der Richtlinie erreichte Gleichgewicht zwischen den Rechten der Opfer und den Interessen der KI-Entwickler. Dadurch können die Vorteile des digitalen Wandels genutzt und Drittländern, die diesem Ansatz folgen möchten, ein Standard geboten werden. |
1.6. |
Der EWSA fordert die Kommission auf, die Entwicklung von Finanzsicherheit bzw. des Versicherungsschutzes für KI-Haftung genau zu überwachen und dabei deren Verfügbarkeit und Umfang gebührend zu berücksichtigen, damit der neue Rahmen sowohl für Betreiber als auch für Versicherer Rechtssicherheit bietet. Nachweise über Unfälle sind von zentraler Bedeutung, um den Bedarf diesbezüglicher Maßnahmen bewerten zu können. Die Dokumentation und Meldung dieser Vorfälle sind daher entscheidend. |
1.7. |
Der EWSA fordert die Kommission auf, die Rechte der Opfer von durch KI verursachten Schäden in ihre Kommunikationsstrategie aufzunehmen, um das Vertrauen in den digitalen Wandel zu stärken. |
1.8. |
Angesichts der Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung unterstützt der EWSA die Absicht, diese Rechtsvorschriften zu überarbeiten, sobald die Faktenlage dies rechtfertigt. Seiner Auffassung nach sind fünf Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie viel zu spät. Er empfiehlt, diese Überprüfung drei Jahre nach Inkrafttreten durchzuführen. Der EWSA ist bereit, sich an dieser Überprüfung zu beteiligen und die Erfahrungen der Organisationen der Zivilgesellschaft in der EU zu bewerten. Dies gilt vor allem für die Rückmeldungen der Endnutzer in Bezug auf die Beweislast und die potenziell unterschiedlichen Begriffsbestimmungen für infrage kommende Schäden gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften. |
1.9. |
Der Einsatz von KI kann zu sensiblen politischen Entscheidungen führen, die nicht allein den an der KI-Lieferkette beteiligten Akteuren überlassen werden dürfen. Daher fordert der EWSA, bei der Festlegung ethischer Standards einbezogen und konsultiert zu werden. |
2. Zusammenfassung des Vorschlags
2.1. |
Der Vorschlag für eine Richtlinie über die außervertragliche zivilrechtliche Haftung im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz („Richtlinie über KI-Haftung“) stützt sich auf das Weißbuch der Kommission von 2020, ihren parallel dazu verabschiedeten Bericht über Sicherheit und Haftung im Bereich der KI und den Vorschlag für ein Gesetz über künstliche Intelligenz (KI-Gesetz) von 2021, dessen Schwerpunkt auf Prävention und Sicherheit liegt. Der Vorschlag steht im Zusammenhang mit der Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie von 1985 („überarbeitete Produkthaftungsrichtlinie“), die zum selben Zeitpunkt vorgelegt wurde wie die in dieser Stellungnahme geprüfte Richtlinie über KI-Haftung. Beide Vorschläge sehen das Recht für Kläger vor, Ansprüche gegen bestimmte Parteien geltend zu machen. Allerdings unterscheidet sich der Anwendungsbereich der beiden Rechtsinstrumente in einigen Punkten. |
2.2. |
Mit der Richtlinie über KI-Haftung sollen einheitliche Regeln für bestimmte Aspekte der außervertraglichen Haftung für durch KI-Systeme verursachte Schäden festgelegt werden. Damit soll das Funktionieren des Binnenmarkts verbessert, ein umfassenderer Opferschutz (sowohl für Einzelpersonen als auch für Unternehmen) geschaffen und das Vertrauen in KI durch harmonisierte Vorschriften gestärkt werden. Dies betrifft z. B. Verletzungen der Privatsphäre, Datenverlust oder durch Sicherheitsprobleme verursachte Schäden. Dank der neuen Vorschriften wird es bspw. leichter sein, im Falle einer Diskriminierung bei KI-gestützten Einstellungsverfahren Schadenersatz zu erlangen, wenngleich mehrere (rechtliche) Hürden fortbestehen. Um die verbleibende Rechtsunsicherheit zu beseitigen, empfiehlt der EWSA eine rechtliche Definition von Entscheidungen, die von Maschinen unter Einsatz von KI getroffen werden. |
2.3. |
Mit dieser Richtlinie schlägt die Kommission erstmals eine gezielte Harmonisierung der nationalen Haftungsvorschriften für KI vor, damit Opfer von KI-bedingten Schäden leichter Schadenersatz erhalten können. Die neuen Vorschriften stehen im Einklang mit den Zielen des Weißbuchs zur KI und dem Vorschlag der Kommission für ein KI-Gesetz von 2021, das den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit mithilfe eines Rahmens für Zuverlässigkeit und Vertrauen in KI festlegt. Sie werden sicherstellen, dass Opfer von durch KI-gestützte Produkte oder durch Dienstleistungen verursachten Schäden in gleicher Weise fairen Schutz erhalten wie Opfer von Schäden, die unter anderen Umständen verursacht wurden. |
2.4. |
Mit der Richtlinie, die den technologischen Fortschritt in Europa nicht gefährden oder zunichte machen soll, wird ein harmonisierter Rechtsrahmen eingeführt, der der Komplexität von KI-Systemen vom Laborstadium bis zur Marktreife Rechnung trägt. Der Rechtsweg für Opfer von durch KI-Systeme verursachten Schäden wird durch zwei wichtige rechtliche Neuerungen vereinfacht, die den aktuellen Erfordernissen entsprechen:
|
Dank dieser beiden Maßnahmen der vorgeschlagenen Richtlinie können Opfer individuelle oder ggf. kollektive Entschädigung erhalten, ohne dass der Begriff der Kausalität beseitigt wird.
3. Eine auf den Menschen ausgerichtete technologische Entwicklung gewährleisten
3.1. |
Der EWSA ist sich der mit KI einhergehenden Vorteile und potenziellen Risiken bewusst. Ihre Nutzung sollte sich nicht nur auf die Steigerung der Produktivität durch Ersetzung menschlicher Arbeitskräfte und durch Senkung der Kosten beschränken. Diese Entwicklung macht es erforderlich, auf die Gefahren in Bezug auf ihre Gesundheitsauswirkungen infolge veränderter Arbeitsbedingungen und auf Rechte wie den Schutz der Privatsphäre zu achten. Es gilt, das Gleichgewicht zwischen Mensch und Maschine am Arbeitsplatz zu überdenken, da die Kontrolle durch den Menschen zu bevorzugen ist. Ferner ist das mögliche Fortbestehen menschlicher Vorurteile und Voreingenommenheit in Maschinenfunktionen gebührend zu berücksichtigen. Wie von der hochrangigen Expertengruppe für KI in ihren Ethikleitlinien festgestellt, sollte die Verantwortung für anfängliche Konzeption und letztendliche Haftung für ein mögliches Versagen bei menschlichen Akteuren verbleiben. Zahlreiche andere Entwicklungen sind gegenwärtig weniger gut dokumentiert, wie z. B. die Umweltauswirkungen der Verwendung von Nanotechnologien. Der EWSA ist der Auffassung, dass sowohl KI-Betreiber als auch andere Interessenträger — wie Risikomanagementberater, Versicherer, Behörden und Arbeitnehmervertreter — die potenziellen Auswirkungen von KI mithilfe von Risikoanalysen, Audits und Sicherheitstechnik durch Tests in einem der realen Welt entsprechenden Umfeld überwachen sollten. Wie bereits in seiner früheren Stellungnahme (2) vorgebracht, würde der EWSA Zertifizierungsverfahren begrüßen, die die Sicherheit und die Anpassung an menschliche Interessen gewährleisten. |
3.2. |
Der EWSA ist sich der Tatsache bewusst, dass KI-Anwendungen anfällig für Funktionsstörungen und Cyberangriffe sind. Er verweist auf seine jüngsten Stellungnahmen zu den Vorschlägen für eine Verordnung über die digitale Betriebsstabilität (DORA) (3) und für Richtlinien über Cybersicherheit und Resilienz kritischer Einrichtungen (4). Diese Risiken und Bedrohungen rechtfertigen offensichtlich die bestehenden Präventions- und Überwachungsvorschriften sowie künftige Schritte, sollten sich neue Schwachstellen ergeben. |
3.3. |
Der EWSA begrüßt die Absicht, mit raschen künftigen Entwicklungen Schritt zu halten und die Auswirkungen der Richtlinie zu überprüfen, sobald es die Faktenlage rechtfertigt. Dies wird zu einer Aktualisierung unter dem Vorbehalt der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit führen. Er hält die im Vorschlag festgelegte Frist von fünf Jahren für zu lang und schlägt vor, früher tätig zu werden, nämlich spätestens drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie. Der EWSA fordert in seiner Eigenschaft als einzigartige Vertretung der Standpunkte der Bürger, Verbraucher, Arbeitnehmer und Unternehmen nachdrücklich die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in diese Bewertung. Dabei ist den grundlegenden Menschenrechten, einschließlich der Arbeitnehmerrechte, sowie den wirtschaftlichen Möglichkeiten und Hindernissen gebührend Rechnung zu tragen. |
4. Die Grundwerte der EU wahren
4.1. |
Der EWSA unterstützt den im KI-Gesetz verfolgten Ansatz der Kommission. Darin wird zwischen verbotenen KI-Nutzungen wie der Bewertung des sozialen Verhaltens (Social Scoring) durch in die Privatsphäre eingreifende Regierungen, Hochrisiko-Anwendungen durch Unternehmen einschließlich der Einstellungs- und Leistungsbewertung, kritischen Infrastrukturen und technischen Geräten, die im Gesundheitswesen eingesetzt werden, sowie einer Vielzahl weniger riskanter Tätigkeiten unterschieden. Der EWSA fordert, Hochrisiko-Tätigkeiten eindeutig zu definieren. Er bekräftigt seine Forderung, potenzielle Umweltschäden in die Kategorie „Hochrisiko“ aufzunehmen. Der EWSA stellt fest, dass Opfer unbeschadet der Einstufung von KI als Hochrisiko- bzw. weniger riskante Anwendungen entschädigt werden sollten. |
4.2. |
Wie bereits in seiner Stellungnahme zum Weißbuch zur KI von 2020 dargelegt, bekräftigt der EWSA sein Engagement für die Wahrung der Grundrechte und der Kontrolle durch den Menschen in der letzten Entscheidungsphase als Eckpfeiler einer verantwortungsvollen Entwicklung der KI in der Europäischen Union. Bei den von Maschinen getroffenen Entscheidungen könnte das menschliche Verständnis für unbeabsichtigte Folgen fehlen, zumal wenn diese Entscheidungen schutzbedürftige Menschen wie Kinder oder Senioren betreffen. |
4.3. |
Der EWSA betont, wie wichtig das Vertrauen der Öffentlichkeit in KI-Entwicklungen im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre, eine faire Behandlung und ggf. den Zugang zur Justiz ist. Mit der vorgeschlagenen Richtlinie soll sichergestellt werden, dass Schäden, die durch den Einsatz von KI-Systemen verursacht oder mitverursacht wurden, mindestens in gleicher Höhe ersetzt werden wie Schäden ohne Beteiligung von KI-Systemen. Es ist wichtig, dass die Kommission, die Mitgliedstaaten und die Nutzer von KI-Systemen diese Botschaft gemeinsam einer breiten Öffentlichkeit vermitteln. |
5. Die Entschädigung von Opfern von durch KI verursachten Schäden erleichtern
5.1. |
Die Richtlinie über KI-Haftung gewährt Bürgern, Arbeitnehmern und Wirtschaftsakteuren einen besseren Schutz vor Schäden als ihr entsprechendes einzelstaatliches rechtliches Umfeld. Denn sie geht über den in der Produkthaftlinie vorgesehenen Schutz für körperliche Schäden und materielle Verluste hinaus. Diese Erweiterung ermöglicht die Entschädigung rein wirtschaftlicher Schäden — z. B. aufgrund von unfairer Diskriminierung, Verweigerung des Zugangs zu Betreuung oder Bildung, falschem Profiling durch die Polizei oder Datenverlust. Der EWSA weist nachdrücklich darauf hin, dass ein klares Verständnis der infrage kommenden Schäden vermittelt werden muss, um unerwünschte divergierende Auslegungen durch einzelstaatliche Rechtsprechungen zu vermeiden. Dafür sind angemessene Mittel für die diesbezügliche Schulung der Fachleute einschließlich der nationalen Richter bereitzustellen. Der EWSA weist auf die Möglichkeit für die nationalen Gerichte hin, den EuGH um Vorabentscheidungen in Fragen zu ersuchen, in denen die Auslegungen abweichen könnten. |
5.2. |
Nach Auffassung des EWSA ist der Zugang zu rechtlichen Möglichkeiten und Entschädigungen für Bürger, Verbraucher, Arbeitnehmer und Unternehmen in der gesamten Europäischen Union nicht gleichwertig. Der gute Wille in Bezug auf die Kläger, die Verfahrensregeln, die Kosten für das Beschreiten des Rechtswegs sowie der Umfang des Versicherungsschutzes von Klägern in zivilrechtlichen Haftungsfällen gegen Gerichtskosten unterscheiden sich erheblich zwischen den Mitgliedstaaten und den sozialen Schichten. Der EWSA spricht sich daher, wie bereits in der allgemeineren Stellungnahme zur KI-Verordnung (5) vorgebracht, für die Einrichtung leicht zugänglicher, kostenloser und obligatorischer alternativer Streitbeilegungssysteme in Angelegenheiten der zivilrechtlichen Haftung bei KI-Anwendungen auf nationaler Ebene aus. Diese sollten mit einer EU-weiten Koordinierung — wie sie beispielsweise im Bereich der Finanzdienstleistungen (FIN-NET) besteht — einhergehen und in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Vertretungsgremien der Zivilgesellschaft erfolgen. Solche Dienste würden zur Bewertung der Auswirkungen der Richtlinie beitragen, indem sie die ihnen zur Kenntnis gebrachten außergerichtlichen Vergleiche weiterverfolgen. |
5.3. |
Der EWSA begrüßt, dass Opfern bessere Mittel an die Hand gegeben werden, eine gerechte Entschädigung zu verlangen, wenn sie Schäden aufgrund von KI-Anwendungen erleiden. Aufgrund der Undurchsichtigkeit und Komplexität von KI-Anwendungen wären solche Verfahren andernfalls eventuell nicht verfügbar bzw. kompliziert und teuer. Viele Bürger und Verbraucher sind gegenüber „Robotern“ und Algorithmen misstrauisch. Der EWSA empfiehlt, im Rahmen der Kommunikationsstrategie der Kommission — insbesondere durch Tutorials in weit verbreiteten sozialen Medien — vertrauensbildende Maßnahmen für die Bürger zu ergreifen. |
5.4. |
Opfer von durch KI-Systeme verursachten Schäden können die Vermutung geltend machen, dass Betreiber die Anforderungen der EU oder der Mitgliedstaaten nicht erfüllen. Die Tatsache, dass die Betreiber die Einhaltung dieser Vorschriften bestätigen müssen, schützt vor fahrlässigem Verhalten. |
6. Neue Rechtsgrundsätze in den Binnenmarkt aufnehmen
6.1. |
Die Richtlinie über KI-Haftung kommt zu einer Zeit, in der die Haftung für KI-Fehler auf der legislativen Agenda mehrerer Mitgliedstaaten steht. Der EWSA versteht den Ansatz des Vorschlags, zu diesem Zeitpunkt auf die Wahrung einzelstaatlicher Rechtsgrundsätze abzuzielen. Er unterstützt den Rückgriff auf eine Richtlinie, um einerseits übermäßige Inkohärenzen bei den Haftungsgrundsätzen in der EU zu vermeiden und andererseits den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu gewähren, den Schutz, den sie im allgemeinen Interesse für notwendig und verhältnismäßig halten, zu optimieren. Der EWSA macht die politischen Entscheidungsträger auf die Nachteile eines fragmentierten rechtlichen Umfelds aufmerksam, das die Verwirklichung eines echten digitalen Binnenmarkts behindert, die Unterschiede zwischen den europäischen Bürgern und Unternehmen zementiert und die technologische Innovation in Europa behindern könnte. Seiner Auffassung nach sollte die Gefahr einer falschen Auslegung des Grundsatzes des Allgemeininteresses nicht unterschätzt werden, zumal die Verfahren zu seiner Anfechtung umständlich sind und die Befugnisse nicht über die Frage hinausgehen, um die es in jedem einzelnen Verfahren vor dem Gerichtshof geht. |
6.2. |
Der EWSA ist sich bewusst, inwieweit sich die nationalen Rechtsvorschriften für zivilrechtliche Haftungsansprüche von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat nach wie vor unterscheiden. Er hat im Laufe der Jahre aufmerksam die Bemühungen verfolgt, diese Unterschiede zu überwinden, z. B. durch eine alternative Regelung zu den nationalen Vorschriften („28. Regelung“). Vor diesem Hintergrund anerkennt er die von der Kommission vorgeschlagene Wahl des Rechtsinstruments zu diesem Zeitpunkt. Er weist jedoch auf die Gefahr hin, dass mehrere Begriffe zu unterschiedlichen Auslegungen in den verschiedenen einzelstaatlichen Rechtsordnungen führen könnten. Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, letztendlich ein in der gesamten EU möglichst einheitlich angewandtes Haftungssystem anzustreben. |
6.3. |
Der EWSA betont das Recht der beklagten Partei, insbesondere auch (kleiner) Einzelhändler, rechtlich Ansprüche gegen ihren Anbieter oder einschlägige Akteure der vorgelagerten Lieferkette geltend zu machen, wobei letztere bei fahrlässigem oder mutmaßlich rechtswidrigem Verhalten für die Folgen haften müssen. Diese Lieferanten sollten in solchen Fällen rechtlich zur Entschädigung der Beklagten verpflichtet sein. |
7. Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen KI-Entwicklungen fördern
7.1. |
Nach Ansicht des EWSA bietet Rechtssicherheit einen wirtschaftlichen Anreiz für die europäische Forschung und Entwicklung durch wissenschaftliche Zentren, Behörden und Unternehmen und trägt zu bahnbrechenden Innovationen in einem globalen Umfeld bei. Die vorgeschlagene Richtlinie über KI-Haftung bietet zum richtigen Zeitpunkt die erforderlichen Leitlinien, um das notwendige Vertrauen der Innovatoren in Bezug auf rechtliche Risiken zu stärken. Dies gilt insbesondere für grenzüberschreitende Aktivitäten, da unterschiedliche Rechtsordnungen ihre eigenen Haftungsregelungen haben. Dies ist besonders nützlich für Start-ups und KMU, die nicht denselben Zugang zu Rechtsberatung haben wie größere Unternehmen. Der neue Rahmen kann auch dazu beitragen, dass Entwickler neue KI-Anwendungen mit einem besseren Verständnis der rechtlichen Auswirkungen auf den Weg bringen und so zur EU-Strategie für den digitalen und den grünen Wandel beitragen. |
7.2. |
Die vorgeschlagene Richtlinie über KI-Haftung sieht derzeit keine Pflichtversicherung für KI-Anwendungen vor. Da sich KI-Anwendungen, insbesondere die komplexen Systeme, noch in voller Entwicklung befinden, wäre es aufgrund mangelnder Erfahrungen schwierig, nach vernünftigem Ermessen ausreichend zuverlässige Bewertungsmethoden festzulegen, die für künftige Schäden und Ansprüche repräsentativ wären. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass das Auftreten von Schäden und Schadenersatzansprüchen miteinander verknüpft sein und zu einer Replikation von Fehlern und somit zu einer Eskalation der Schwere von Vorfällen und der Anhäufung von Verlusten führen könnte. Zudem sind die Kapazitäten der (Rück-)Versicherer derzeit begrenzt. Der EWSA versteht daher die Entscheidung der Kommission, sich nicht weiter damit zu befassen, ob, für welche Tätigkeiten und in welchem Umfang eine Pflichtversicherung oder andere finanzielle Garantien eingeführt werden sollten. Gleichwohl fordert er die Kommission auf, die Verfügbarkeit und den Umfang des Versicherungsschutzes genau zu überwachen. Um bewerten zu können, ob zusätzliche Maßnahmen wie die Einführung einer verschuldensunabhängigen Haftung oder einer Pflichtversicherung erforderlich sind, ist ein Überwachungssystem erforderlich, das Aufschluss über Vorfälle mit KI-Systemen gibt. |
7.3. |
Der EWSA stellt fest, dass mehrere Risiken nach nationalem oder EU-Recht bereits einer Pflichtversicherung oder anderen finanziellen Garantien unterliegen. Dies gilt insbesondere für Kraftfahrzeuge, wo die Entwicklung autonomer Fahrzeuge im Gange ist. In Fällen, in denen sich die Pflichtversicherung nicht nur auf das Verhalten des Fahrers oder der Fahrzeuginsassen erstreckt, sondern auch auf eine Fehlfunktion der Ausrüstung, insbesondere im Selbstfahrmodus, wird den Opfern nach den geltenden Rechtsvorschriften und Verträgen in den meisten Fällen (6) eine Entschädigung gewährt. Versicherungsunternehmen können gegebenenfalls die Erstattung ihrer Kosten von den Herstellern verlangen. Dies dürfte die Kosten für die Autofahrer senken und den wirtschaftlichen Schwerpunkt der einschlägigen Versicherungssparten von den Beziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern auf die Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen verlagern. Der EWSA hält daher in Bereichen, in denen bereits eine Pflichtversicherung besteht oder auf EU-Ebene eingeführt werden soll, keine weiteren nennenswerten gesetzgeberischen Maßnahmen für erforderlich. Dennoch wird der EWSA ethische Weichenstellungen, die Fragen wie Kollisionsvermeidung und Unfallmanagement zugrunde liegen, genau beobachten. |
7.4. |
Der EWSA hält die in der Richtlinie über KI-Haftung enthaltenen Auflagen für die Einhaltung der Vorschriften und das Risikomanagement sowie die Kausalitätsvermutung, der zufolge die Beweislast bei den Anbietern, in deren Auftrag handelnden Personen und Nutzern von KI-Systemen liegt, für verhältnismäßig. Sie sind auf das richtige Ausmaß des Schadensrisikos durch KI-Anwendungen ausgerichtet. |
7.5. |
In Bezug auf den Zugang zu Beweismitteln begrüßt der EWSA die Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, die ein wichtiger Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Innovatoren sind. Dies betrifft auch vertrauliche Informationen, wenn sie rechtmäßig und unter gebührender Achtung etablierter Rechte wie z. B. der gesetzlich anerkannten Vorrechte von Hinweisgebern am Arbeitsplatz erhoben werden. |
7.6. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Annahme einer moderaten Regelung wie der Kausalitätsvermutung anstelle einer verschuldensunabhängigen Haftung die Entwicklung der KI-Technologie in der Europäischen Union erleichtert und die Rolle der EU als globaler Normgeber bestätigt. Denn andere Länder könnten ihre Rechtsvorschriften durchaus an diese Regelung angleichen. Dieser Aspekt sollte auch Gegenstand der künftigen Überprüfung sein, ebenso wie die Klärung von Begriffen, die aufgrund dieser erstmaligen Erfahrung erforderlich sein könnte. |
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Schaffung von Vertrauen in eine auf den Menschen ausgerichtete künstliche Intelligenz (COM(2019) 168 final) (ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 64).
(2) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Schaffung von Vertrauen in eine auf den Menschen ausgerichtete künstliche Intelligenz (COM(2019) 168 final) (ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 64).
(3) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Betriebsstabilität digitaler Systeme des Finanzsektors und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009, (EU) Nr. 648/2012, (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 909/2014“ (COM(2020) 595 final — 2020/0266 (COD)) und „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2006/43/EG, 2009/65/EG, 2009/138/EG, 2011/61/EU, 2013/36/EU, 2014/65/EU, (EU) 2015/2366 und (EU) 2016/2341“ (COM(2020) 596 final — 2020/0268 (COD)) (ABl. C 155 vom 30.4.2021, S. 38).
(4) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie (EU) 2016/1148 und Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Resilienz kritischer Einrichtungen“ (COM(2020) 823 final — 2020/0359 (COD), COM(2020) 829 final — 2020/0365 (COD)) (ABl. C 286 vom 16.7.2021, S. 170).
(5) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz (Gesetz über künstliche Intelligenz) und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union“ (COM(2021) 206 final — 2021/106(COD)) (ABl. C 517 vom 22.12.2021, S. 61).
(6) Der Fahrer ist nach dem Produkthaftungsrecht berechtigt, Ansprüche geltend zu machen.
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/34 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haftung für fehlerhafte Produkte“
(COM(2022) 495 final — 2022/0302 (COD))
(2023/C 140/06)
Hauptberichterstatterin: |
Émilie PROUZET |
Befassung |
Europäisches Parlament, 17.10.2022 Rat, 28.10.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
Beschluss des Präsidiums |
20.9.2022 |
Verabschiedung im Plenum |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
156/0/2 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erkennt die Bedeutung der im Kommissionsvorschlag dargelegten zivilrechtlichen Haftungsregelung an, dank der alle Bürgerinnen und Bürger für ihnen durch fehlerhafte Produkte entstandene Schäden eine Entschädigung erhalten können. Diese Regelung ist umso wichtiger, als die Folgen neu auftretender Risiken immer häufiger Gegenstand von Gerichtsverfahren werden. |
1.2. |
Bei einer verschuldensunabhängigen Haftungsregelung geht es per definitionem darum, die Rechte des Herstellers und des potenziellen Opfers wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Der EWSA fordert die beiden gesetzgebenden Organe und die nationalen Behörden auf, das mit diesem Vorschlag erzielte Gleichgewicht bei seiner Annahme und Umsetzung zu wahren. |
1.3. |
Daher unterstützt der EWSA die Ansicht, dass allen Parteien Rechtssicherheit gewährleistet werden muss: dem Kläger durch Zugang zu einem vereinfachten Rechtsrahmen für den Erhalt einer Entschädigung und dem Hersteller durch Informationen über seine Pflichten und die Veranschlagung seiner Risiken, damit er auf dieser Grundlage weiter innovieren kann. |
1.4. |
Der EWSA stellt fest, dass bei der Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie zahlreichen Forderungen der Verbraucher Rechnung getragen wird, sei es in Bezug auf die Ermittlung des Haftenden, den Zugang zu Informationen und Entschädigungen oder die Ausweitung des Geltungsbereichs auf digitale und psychische Schäden. |
1.5. |
Der EWSA erkennt an, dass die Regelung an die Herausforderungen der Digitalisierung angepasst werden muss, und unterstützt die im vorliegenden Richtlinienvorschlag unterbreiteten Maßnahmen zur Bewältigung dieser Herausforderungen. Deshalb begrüßt der EWSA die Entscheidung der Europäischen Kommission, die künstliche Intelligenz (KI) in diesen Vorschlag einzubeziehen und dazu in den parallelen Richtlinienvorschlag eine verschuldensunabhängige Haftung und eine verschuldensbasierte Haftung aufzunehmen. Darüber hinaus betont er, wie wichtig es ist, die Produkthaftung technologieneutral zu gestalten. |
1.6. |
Der EWSA fordert, dass der Vorschlag hinsichtlich der Definition der Haftung und der Haftungsreihenfolge an den gemeinschaftlichen Besitzstand angeglichen sowie im Einklang mit den kurz vor der Annahme stehenden Rechtsvorschriften vereinfacht wird. |
1.7. |
Der EWSA fordert zudem mehr Kohärenz bei der Formulierung ein und derselben Verpflichtung, die in den verschiedenen Rechtstexten unterschiedlich dargestellt wird. Nach Ansicht des EWSA sollten Maßnahmen nicht dupliziert, sondern vereinfacht werden, insbesondere indem auf bereits eingeführte Verpflichtungen verwiesen oder diese erweitert werden. |
2. Hintergrund
2.1. |
Mit dem Vorschlag zur Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie und dem für eine Richtlinie über KI-Haftung soll das europäische System der verschuldensunabhängigen Haftung aus dem Jahr 1985 aktualisiert werden. Beide Vorschläge zielen darauf ab, diesen Rahmen an den digitalen und nachhaltigen Wandel anzupassen. Die neuen Vorschriften sollen Herstellern die für Innovationen nötige Rechtssicherheit und Klägern Schutz gegenüber neuartigen Schäden und Fehlern sowie die Gewissheit bieten, in Europa eine haftende Partei finden und somit vor Gericht eine Entschädigung erwirken zu können. |
2.2. |
In der Praxis werden die Mitgliedstaaten durch die Richtlinie verpflichtet, eine spezifische zivilrechtliche Haftungsregelung einzuführen. In diesem Rahmen kann jede natürliche Person für einen materiellen Verlust in Verbindung mit einem auf ein fehlerhaftes Produkt zurückzuführenden Schaden eine Entschädigung erwirken. A priori betrifft die überwiegende Mehrheit der Ansprüche im Rahmen der Produkthaftungsrichtlinie Personenschäden und in einigen Fällen schwere Sachschäden. Sehr geringfügige Ansprüche werden in der Regel gütlich geregelt. Die Bestimmungen der Produkthaftungsrichtlinie werden also im Rahmen einer gütlichen Einigung, eines Verfahrens der alternativen Streitbeilegung bzw. der Online-Streitbeilegung (alternative dispute resolution/online dispute resolution) oder eines Gerichtsverfahrens angewendet (1). Der EWSA fordert die Kommission auf, mehr Informationen und Statistiken zu den im Wege der alternativen Streitbeilegung oder der Online-Streitbeilegung behandelten Fällen zur Verfügung zu stellen, um sich hier ein besseres Bild zu machen. |
2.3. |
Haftungsklagen wegen fehlerhafter Produkte gehören zu den Klagen in der EU, deren Zahl am schnellsten wächst. Ausgehend von den Gerichtsurteilen in dieser Art von Verfahren sowie von den jüngsten Debatten über neu auftretende Risiken lässt sich feststellen, welche Produkte und Schäden derzeit im Fokus stehen: Asbest, Impfstoffe, Pestizide, Bisphenol A, Opioide (2), aber auch elektromagnetische Wellen für elektrosensible Personen oder „Angst vor Krebs durch die Exposition gegenüber einem gefährlichen Stoff“ (3). Seit mehreren Jahren treten vermehrt neue Risiken auf, was eine entsprechende Regelung unerlässlich macht. Der EWSA ist sich der Herausforderungen bei der künftigen Anwendung dieser Regelung bewusst und fordert alle an der Erarbeitung dieser Rechtsvorschriften Beteiligten auf, dem Rechnung zu tragen. |
2.4. |
Ein weiteres wichtiges Anliegen ist, dass der neue Rechtsrahmen allen Akteuren (Klägern und Beklagten) Rechtssicherheit bieten muss. Es muss sichergestellt werden, dass die Grundlagen unseres gemeinschaftlichen Besitzstands (Definitionen, Zivilrecht usw.) dabei nicht in Frage gestellt werden. |
2.5. |
Zudem muss bei diesem Prozess ein Gleichgewicht zwischen den europäischen Zielen der Förderung der industriellen und technologischen Innovation und dem Schutz der Verbraucher und ihrem Recht auf angemessene Entschädigung des verursachten Schadens gewahrt werden. Wie die Kommission feststellt (4), darf der vorgeschlagene Rahmen die Umsetzung der kürzlich angenommenen EU-Industriestrategie nicht behindern. Parallel dazu muss die EU auch den Verbrauchern und ganz allgemein den Unionsbürgerinnen und -bürgern ein Höchstmaß an Schutz bieten. |
2.6. |
Schließlich zielt die vorliegende Richtlinie darauf ab, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Diese Harmonisierung ist umso wichtiger, als die von dieser Haftungsregelung erfassten Situationen in der Regel nicht an den Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten enden. Erforderlich ist daher eine Maximalharmonisierung mit möglichst klaren und genau definierten Maßnahmen. |
3. Allgemeine Bemerkungen zur notwendigen Kohärenz des Vorschlags mit dem gemeinschaftlichen Besitzstand
3.1. |
Es geht um einen sehr breiten Anwendungsbereich, der auf nationaler Ebene kohärent umzusetzen ist. Der Richtlinienentwurf kommt natürlichen Personen zugute, die aufgrund eines Produktfehlers einen Schaden erlitten haben und vom Hersteller des Produkts eine Entschädigung verlangen möchten. Es geht hier also nicht um Verbraucher oder Endverbraucher, um B-to-B oder B-to-C. Dennoch wurde die bisherige Richtlinie von einigen Mitgliedstaaten bei Konflikten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bzw. zwischen Selbstständigen herangezogen, die unter andere Regelungen als die der verschuldensunabhängigen Haftung fallen. Der EWSA weist die Behörden darauf hin, dass die Regelung ordnungsgemäß umgesetzt und angewendet werden muss. |
3.2. |
Einige Begriffsbestimmungen müssen präzisiert werden, um die Kohärenz des Systems zu gewährleisten. In Artikel 4 müssen die Begriffsbestimmungen von „Komponente“, „Hersteller“ und „Produkt“ miteinander verknüpft werden, da sie alle in Artikel 7 aufgeführt sind, in dem die Haftung der Wirtschaftsakteure definiert ist. In Artikel 4 Absatz 10 sollte sich die Definition der Inbetriebnahme wie im „Blue Guide“ (Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU) und in anderen Harmonisierungsrechtsvorschriften auf die erstmalige Verwendung durch den Endnutzer beziehen. Das Datum der ersten Verwendung ist deshalb wichtig, weil davon die Verjährungsfristen abhängen. In Artikel 6 schließlich muss der Begriff „Verwendung des Produkts“ an die EU-Rechtsvorschriften angeglichen werden. Die unsachgemäße Verwendung eines Produkts darf nicht als Argument für die Bewertung und den Nachweis seiner Fehlerhaftigkeit herangezogen werden. Sie darf nicht geltend gemacht werden, um die Konformität und Sicherheit von Produkten zu bewerten, die unter die Harmonisierungsvorschriften der EU, z. B. für Spielzeug, fallen. Wie im „Blue Guide“ dargelegt, gelten die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union, wenn auf dem Markt bereitgestellte oder in Betrieb genommene Produkte ihrem vorgesehenen Verwendungszweck entsprechend genutzt werden. In jedem Fall kann der Hersteller nicht für Schäden aufgrund der unsachgemäßen Verwendung eines Produkts haftbar gemacht werden. |
3.3. |
Die Haftungsreihenfolge der Wirtschaftsakteure sollte in einem angemessenen Verhältnis zu ihrer Rolle in der Lieferkette stehen. Der EWSA begrüßt, dass in dem Vorschlag die verschiedenen für Konformität und Sicherheit haftenden Akteure aufgeführt sind, wie sie in der Verordnung (EU) 2019/1020 (5) und dem Vorschlag für eine Verordnung über digitale Dienste (6) festgelegt sind. Mit dem Vorschlag wird die Haftung für die Konformität und Sicherheit des Produkts an die Haftungsregelung für fehlerhafte Produkte angeglichen. Allerdings steht Artikel 7 Absatz 2 nicht im Einklang mit der im europäischen Rahmen für harmonisierte Produkte festgelegten Rangordnung für die Rolle und Haftung der Wirtschaftsakteure (7). Aus Gründen der Kohärenz sollte diese Bestimmung überarbeitet werden, damit klar zum Ausdruck kommt, dass es eine vorgegebene Haftungsreihenfolge der Wirtschaftsakteure und keine gemeinsame Haftung gibt. |
4. Bewertung der Maßnahmen zu Forderungen potenzieller Opfer
4.1. |
Die Ermittlung des für Schadensersatz haftenden Wirtschaftsakteurs ist nun durch zahlreiche Maßnahmen gewährleistet. Erstens können der Hersteller des Produkts und der Hersteller der fehlerhaften Komponente gemeinsam haftbar gemacht werden. Der EWSA begrüßt diese doppelte Haftung, die zu den Empfehlungen des BEUC (8) gehört. Zweitens gilt die Haftungsreihenfolge der Wirtschaftsakteure, die an der Lieferkette des fehlerhaften Produkts beteiligt sind. Ist die als erste haftende Partei nicht greifbar, haftet die nächste in der Lieferkette. In Ermangelung eines in der EU ansässigen Herstellers kann der Einführer oder andernfalls der bevollmächtigte Vertreter/Bevollmächtigte haftbar gemacht werden. Zudem hängt die Haftung des Händlers und des Marktplatzes davon ab, ob sie über ihre Lieferanten/Händler Auskunft geben können. |
4.2. |
Der EWSA erkennt an, dass diese beiden Maßnahmen die Ermittlung einer auf dem europäischen Markt haftenden Partei und damit den Zugang zu Entschädigung erleichtern. |
4.3. |
Darüber hinaus sind die Pflichten des Händlers mit den in der derzeit überarbeiteten Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit (9) und in den harmonisierten Produktvorschriften (Rückverfolgbarkeitsvorschriften) vorgesehenen Pflichten verknüpft. |
4.4. |
Das gilt auch für Marktplätze. Mit dem Gesetz über digitale Dienste wird die Pflicht eingeführt, „seine Händler zu kennen“, wozu auch die Kontaktdaten des Herstellers und der in der EU haftenden Partei gehören. Ferner ist in Artikel 5 Absatz 3 derselben Richtlinie — dem ursprünglichen Vorschlag für ein Gesetz über digitale Dienste — auch geregelt, dass bei fehlender Bereitstellung von Informationen über den Verkäufer der Haftungsausschluss für Plattformen wegfällt. Eine vergleichbare Verpflichtung findet sich in der Omnibus-Richtlinie: Werden die laut der Verbraucherschutzrichtlinie (EU) 2019/2161 (10) erforderlichen Informationen nicht bereitgestellt, haftet die Plattform anstelle des Verkäufers für den Verbraucherschutz. Die Verpflichtungen sind zwar vergleichbar, werden im Verordnungsvorschlag aber nicht genau so übernommen. Der EWSA fordert daher mehr Kohärenz bei der Formulierung ein und derselben Verpflichtung. |
4.5. |
Mit der neuen Regelung ist künftig auch die Entschädigung für Verluste infolge mangelhafter digitaler Dienste möglich. Zunächst bietet die Europäische Kommission mit einem parallelen Vorschlag zur KI-Haftung eine spezifische Lösung für diesen Bereich an. Gleichzeitig reagiert sie in ihrem Richtlinienvorschlag auf das Fehlen einer „digitalen Komponente“ mit mehreren nutzerorientierten Maßnahmen:
|
4.6. |
Der EWSA unterstützt die im vorliegenden Richtlinienvorschlag unterbreiteten Maßnahmen zur Regulierung des digitalen Bereichs. Allerdings fordert er die beiden gesetzgebenden Organe auf, kürzlich erlassene oder noch in der Verhandlungsphase befindliche parallele Rechtsvorschriften (u. a. Datenschutz-Grundverordnung (11), Vorschlag zur KI-Haftung, KI-Gesetz, Datengesetz, Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit, NIS 2 (12), Cyberresilienzgesetz) zu berücksichtigen. Es gilt, für Kohärenz zu sorgen und doppelte rechtliche Maßnahmen zu vermeiden. |
4.7. |
Mit dem Richtlinienvorschlag werden die Schwierigkeiten angegangen, technische Informationen auf unterschiedliche Weise zu erhalten bzw. zu verstehen. Der betreffende Rechtsrahmen gilt, wenn eine Person oder ihr Eigentum durch ein Produkt einen materiellen Schaden erlitten hat. Diese Produkte sind häufig wissenschaftlich oder technologisch komplex. 1985 reagierte die Europäische Kommission auf die Komplexität der Produkte, indem sie die verschuldensunabhängige Haftung im Zivilrecht einführte. Hier muss der Kläger den Fehler des Produkts, den erlittenen Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen den beiden nachweisen, um eine angemessene Entschädigung zu erhalten. Ein Verschulden des Herstellers braucht nicht nachgewiesen zu werden. Bereits in der Präambel erkannte die Europäische Union an, dass die verschuldensunabhängige Haftung notwendig ist, um der fortschreitenden Technisierung unseres Zeitalters gerecht zu werden. Dieser zivilrechtliche Notbehelf stellte für den Kläger bereits eine erhebliche Vereinfachung dar. Allerdings forderten die Verbraucherorganisationen bei der laufenden Überarbeitung der Rechtsvorschriften, einen Schritt weiter zu gehen und die Beweislast umzukehren oder die Haftungsbefreiung aufgrund des wissenschaftlichen Kenntnisstands zu streichen. Die Kommission hat die beiden letztgenannten Maßnahmen nicht aufgegriffen, sondern neue Vorschläge vorgelegt, um den Forderungen der Verbraucher gerecht zu werden. |
4.8. |
Der vorliegende Richtlinienvorschlag umfasst daher neue Maßnahmen zur Offenlegung von Beweismitteln und zur Vermutung der Fehlerhaftigkeit bzw. des ursächlichen Zusammenhangs. Beim ersten Punkt geht es vor allem darum, dieses Recht auf europäischer Ebene einzuführen. Inzwischen haben die meisten Mitgliedstaaten vergleichbare Vorschriften. Beim zweiten Punkt handelt es sich um eine Kodifizierung der Rechtsprechung, die für den Kläger als vorteilhaft angesehen und in Abschnitt 5 behandelt wird. |
4.9. |
Im Kommissionsvorschlag werden auch Situationen berücksichtigt, in denen der Schaden erst Jahre oder Jahrzehnte nach dem Kauf oder dem Inverkehrbringen des Produkts eintritt. Dies geschieht in zweierlei Form. Für den digitalen Bereich (im Zusammenhang mit Dienstleistungen) erfolgt keine Haftungsbefreiung aufgrund der Wahrscheinlichkeit, dass der Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens bzw. der Inbetriebnahme nicht bestand. Es erscheint außerdem ziemlich komplex, eine Haftungsbefreiung mit dem Stand der Technik zu begründen. Die Verjährungsfrist schließlich wird bei gefährlichen Stoffen, bei denen es eine Latenzzeit für die Körperverletzung gibt, auf 15 Jahre verlängert. |
5. Bewertung der Maßnahmen zu Forderungen der Unternehmen
5.1. |
Der Begriff „wesentliche Änderung“ ist in dieser Regelung von grundlegender Bedeutung und sollte definiert und präzisiert werden. Die wesentliche Änderung eines Produkts impliziert die Haftung desjenigen, der die Änderung vornimmt, und die Verlängerung der Verjährungsfrist. Deshalb fordert der EWSA, dass dieser Begriff auf der Grundlage des „Blue Guide“ (13) präzisiert wird. |
5.2. |
Bewertung von Fällen, in denen eines der drei Elemente (Fehler/Schaden/ursächlicher Zusammenhang) nicht nachgewiesen werden muss. Laut Artikel 9 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Kläger verpflichtet ist, die Fehlerhaftigkeit des Produkts, den erlittenen Schaden und den ursächlichen Zusammenhang der beiden nachzuweisen. Daher müssen, außer in zwei Fällen, der materielle Nachteil im Zusammenhang mit einem materiellen oder immateriellen Schaden an der Person oder am persönlichen Eigentum oder dem Verlust/der Verfälschung von Daten UND der Fehler des Produkts oder einer seiner Komponenten (Artikel/Dienstleistung) UND der Zusammenhang zwischen ihnen nachgewiesen werden. Die Beweislast wird im Rahmen eines bereits eingeleiteten Gerichtsverfahrens festgelegt. Die Klage wurde also als hinreichend zulässig erachtet und der Schaden als so erheblich, dass sich die betroffene Person entschied, rechtliche Schritte einzuleiten (die für den Kläger a priori kostenaufwändig sind). |
5.2.1. |
Zum einen werden in Artikel 9 (Beweislast) Absatz 3 die Fälle geregelt, in denen von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Schaden und einem Produktfehler ausgegangen wird, d. h., wenn ein Produktfehler nachgewiesen und der Schaden für den betreffenden Fehler typisch ist. Sobald der Fehler nachgewiesen ist, muss nur noch der mit dem Schaden verbundene materielle Verlust festgestellt werden. Der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs ist auch durch Vermutungen möglich. Bei dieser Bestimmung wird offenbar auch von einem Mangelpotenzial ausgegangen. In diesem Zusammenhang muss ein Hersteller, der einen Mangel bei einem Produkt festgestellt hat, alle Produkte desselben Postens zurückrufen bzw. vom Markt nehmen. Ein solches Vorgehen würde zu großer Verschwendung führen. |
5.2.2. |
Zum anderen werden in Artikel 9 Absatz 4 die Fälle geregelt, in denen der Nachweis des Fehlers und des ursächlichen Zusammenhangs auf Wahrscheinlichkeitsannahmen beruht. Das kann vorkommen, wenn das Gericht der Auffassung ist, dass der Nachweis für den Kläger aufgrund der technischen oder wissenschaftlichen Komplexität übermäßig schwierig ist. Folglich muss der Kläger nachweisen, dass das Produkt zum Schaden beigetragen hat UND wahrscheinlich fehlerhaft war und/oder seine Fehlerhaftigkeit den Schaden wahrscheinlich verursacht hat. In diesem Fall müssen weder der Fehler noch der ursächliche Zusammenhang wissenschaftlich nachgewiesen werden. |
5.2.3. |
Für die Beurteilung dieser Bestimmung ist die zugrunde liegende Rechtsprechung heranzuziehen. So sind die Gerichte in der Rechtssache Sanofi Pasteur (14) der Auffassung, dass sich der Nachweis der Fehlerhaftigkeit eines Impfstoffs und des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Fehler und der Krankheit bei fehlendem wissenschaftlichem Konsens durch ernsthafte, genaue und übereinstimmende Indizien erbringen lässt. Das Verfahren wird für den Kläger erheblich vereinfacht, der schließlich nur eine Reihe von Fakten und keine wissenschaftlichen Elemente vorlegen muss. Der EWSA erkennt an, dass der Begriff „Wahrscheinlichkeit der Fehlerhaftigkeit“ in bestimmten, komplexen Fällen von einem Richter beurteilt werden muss und nicht automatisch ein ursächlicher Zusammenhang vermutet werden kann. |
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Siehe Schätzungen im Rahmen der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission.
(2) Diese Stoffe stehen insbesondere in Schweden in der Diskussion. In Frankreich ist der Konsum von Opioiden in den zehn Jahren vor der COVID-19-Pandemie um mehr als 150 % gestiegen.
(3) Frankreich erkennt einen Entschädigungsanspruch im Falle einer angstbedingten Schädigung aufgrund der Sorge, in Zukunft zu erkranken, an. Spanien und Italien wollen diesem Beispiel offenbar folgen. Diese Entschädigung wurde 2019 für die Exposition gegenüber Asbest eingeführt und kurz darauf auf alle gefährlichen Stoffe oder Produkte ausgeweitet. So sind dort die Unternehmen auch 20 Jahre nach dem Asbestverbot von 1997 immer noch einem erheblichen Risiko in Bezug auf Schadensersatz ausgesetzt.
(4) Im Januar 2020 wies die Europäische Kommission im Rahmen einer Anhörung zur Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie darauf hin, dass dieses Thema von größter Bedeutung ist, da es darum geht, die Fähigkeit der EU-Industrie zur technologischen Souveränität zu stärken und den Herstellern einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, damit sie Neuerungen einführen und mit China und den USA konkurrieren können.
(5) Verordnung (EU) 2019/1020 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/42/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 765/2008 und (EU) Nr. 305/2011 (ABl. L 169 vom 25.6.2019, S. 1).
(6) COM(2020) 825 final — 2020/0361 (COD).
(7) Reihenfolge: i) der in der Union niedergelassenen Hersteller; ii) ein Einführer (per Definition in der Union niedergelassen), wenn der Hersteller nicht in der Union niedergelassen ist, iii) ein Bevollmächtigter (per Definition in der Union niedergelassen), der vom Hersteller schriftlich beauftragt wurde, Aufgaben im Namen des Herstellers wahrzunehmen, oder iv) ein in der Union niedergelassener Fulfilment-Dienstleister, sofern kein anderer Hersteller, Einführer oder Bevollmächtigter in der Union niedergelassen ist.
(8) Europäischer Verbraucherverband — www.beuc.eu.
(9) Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit (ABl. L 11 vom 15.1.2002, S. 4).
(10) Richtlinie (EU) 2019/2161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinien 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union (ABl. L 328 vom 18.12.2019, S. 7).
(11) Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1).
(12) Richtlinie (EU) 2022/2555 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 über Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der Union, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 und der Richtlinie (EU) 2018/1972 sowie zur Aufhebung der Richtlinie (EU) 2016/1148 (NIS-2-Richtlinie) (ABl. L 333 vom 27.12.2022, S. 80).
(13) Ein Produkt, an dem nach seiner Inbetriebnahme erhebliche Veränderungen oder Überarbeitungen vorgenommen wurden, ist als neues Produkt anzusehen, wenn: i) seine ursprüngliche Leistung, Verwendung oder Bauart geändert wurde, ohne dass dies bei der ursprünglichen Risikobewertung vorgesehen war; ii) sich die Art der Gefahr geändert oder das Risikoniveau im Vergleich zu den einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union erhöht hat; iii) das Produkt zur Verfügung gestellt wird (oder in Betrieb genommen wird, wenn die Inbetriebnahme ebenfalls in den Anwendungsbereich der geltenden Rechtsvorschriften fällt). Dies ist von Fall zu Fall und insbesondere vor dem Hintergrund des Ziels der Rechtsvorschriften und der Art der Produkte im Anwendungsbereich der betreffenden Rechtsvorschrift zu entscheiden.
(14) Urteil des Gerichtshofs vom 21. Juni 2017, N. W u. a. gegen Sanofi Pasteur MSD SNC u. a., C-621/15, ECLI:EU:C:2017:484.
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/39 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung“
(COM(2022) 440 final)
(2023/C 140/07)
Berichterstatterin: |
Kinga JOÓ |
Ko-Berichterstatterin: |
Zoe TZOTZE-LANARA |
Befassung |
Europäische Kommission, 27.10.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft |
Annahme in der Fachgruppe |
11.1.2023 |
Verabschiedung im Plenum |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
169/0/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die in der Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung (im Folgenden kurz: „die Strategie“) unterbreiteten Vorschläge für Maßnahmen auf EU- und nationaler Ebene zur Stärkung der Pflege- und Betreuungsinfrastruktur in Europa auf der Grundlage eines gesamtgesellschaftlichen Ansatzes. Zudem begrüßt er die in den damit einhergehenden Vorschlägen des Rates erhobene Forderung nach hochwertigeren Dienstleistungen während des gesamten Lebens. |
1.2. |
Der EWSA bekräftigt seinen Vorschlag zur Einführung einer europäischen Pflege- und Betreuungsgarantie, um für alle in der EU lebenden Menschen ihr gesamtes Leben lang Zugang zu einer erschwinglichen und hochwertigen Gesundheitsversorgung, Pflege und Betreuung zu gewährleisten. Mit der erfolgreichen Nutzung eines solchen Instruments könnten die Defizite in der Pflege und Betreuung angegangen und angemessene Arbeitsbedingungen für Pflege- und Betreuungskräfte, auch informelle, gefördert werden. |
1.3. |
Der EWSA betont, wie wichtig es ist, Familien in ihrer grundlegenden Rolle zu unterstützen. Dazu gehört, über sozialpolitische Maßnahmen hinaus sowie in Gemeinschaften zu investieren. Entsprechend gestärkte Familien in all ihrer Unterschiedlichkeit dienen als Sicherheitsnetz und sind wesentliche Faktoren für ein nachhaltiges, solidarisches Pflege- und Betreuungssystem. Es kann nicht genug betont werden, wie wichtig es ist, der Erschwinglichkeit und Kontinuität von Pflege- und Betreuungsdiensten im Fall außergewöhnlicher Belastungen Vorrang einzuräumen. |
1.4. |
Der EWSA spielt eine entscheidende Rolle bei der Sensibilisierung, denn er sammelt und verbreitet Schlüsselinformationen zu bewährten Verfahren in Bezug auf Instrumente und Infrastruktur unter den Sozialpartnern und zivilgesellschaftlichen Organisationen und sorgt für einen Austausch bezüglich neuer Formen von Pflege- und Betreuungsdiensten. Er fordert die Zuweisung spezifischer Finanzmittel, damit der Bedarf von Pflege- und Betreuungsbedürftigen sowie Pflege- bzw. Betreuungskräften erfasst werden kann. |
1.5. |
Die Gleichstellung der Geschlechter sollte bei der Umsetzung der Strategie weiterhin im Mittelpunkt stehen, unter anderem sollten Maßnahmen zur Bekämpfung schädlicher Geschlechterstereotype ergriffen werden, die den formellen und informellen Pflege- und Betreuungssektor gefährden. Der EWSA bekräftigt, dass mehr Anreize für Männer geschaffen werden sollten, einen Pflege- oder Betreuungsberuf zu ergreifen, und es für eine gerechtere Aufgabenteilung zwischen Frauen und Männern bei der Pflege und Betreuung von Angehörigen zu sorgen gilt. |
1.6. |
Der EWSA betont, wie wichtig es ist, während des gesamten Lebens für ein gesundes und aktives Altern vorzusorgen und gleichzeitig der Diskriminierung aus Altersgründen und anderen Formen der Diskriminierung, dem Missbrauch sowie der Misshandlung und Stereotypisierung älterer Menschen vorzubeugen und diese davor zu schützen. Zudem plädiert er für eine europäische Strategie für ältere Menschen. |
1.7. |
Der EWSA fordert, alle Ressourcen zu mobilisieren, damit der wachsende und vielfältige Bedarf an Pflege und Betreuung gedeckt werden kann: Es gilt, für Pflegeinfrastruktur und Pflegekräfte angemessene Mittel zur Verfügung zu stellen, um Wachstum und Beschäftigung zu erhöhen. Das gesamte Spektrum der Anbieter von Pflege- und Betreuungsdiensten muss im Rahmen solider Qualitätssicherungsrahmen mobilisiert werden. Die Mitgliedstaaten müssen die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze fördern und dafür sorgen, dass Arbeitsplätze in der Sozialfürsorge attraktiv, angemessen bezahlt und wertgeschätzt werden sowie gute Karriereaussichten bieten. |
1.8. |
Der EWSA spricht sich für die Schaffung einer besseren Datengrundlage zur Nutzung des Angebots an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) aus, um die Vergleichbarkeit und die Verfügbarkeit umfassenderer Informationen für die Gestaltung und Umsetzung von Reformen zu gewährleisten. |
1.9. |
Der EWSA fordert die EU-Institutionen auf, der Zusammenarbeit durch die Einsetzung einer hochrangigen Expertengruppe für Langzeitpflege, in der alle Akteure und ihre Organisationen vertreten sind, offiziellen Charakter zu verleihen und gemeinsam die Betreuungs- und Pflegedienste von morgen zu schaffen (1). Zudem sollten Pflege- und Betreuungsbedürftige, Pflege- und Betreuungskräfte sowie ihre Organisationen substanziell in den gesamten Politikzyklus eingebunden werden. |
1.10. |
Der EWSA betont, dass die Mobilität von Pflege- und Betreuungskräften und die Arbeitsmigration aus Nicht-EU-Ländern in Verbindung mit Instrumenten zur Abstimmung von Angebot und Nachfrage sowie zur Anerkennung von Qualifikationen berücksichtigt werden müssen. Außerdem stellt er fest, dass den zahlreichen Arbeitnehmern ohne gültige Papiere, die bereits in Europa Pflege- und Betreuungsleistungen erbringen, in der Strategie nicht ausreichend Rechnung getragen wird. |
1.11. |
Der EWSA fordert eine Halbzeitbewertung der Empfehlungen auf der Grundlage der Überwachung der Barcelona-Ziele und der allgemeinen Ziele für die Reformen im Bereich der Langzeitpflege entsprechend dem Finanzierungszyklus der EU. |
2. Ziele und Gegenstand der Stellungnahme
2.1. |
Der EWSA begrüßt die in der Strategie unterbreiteten Vorschläge für Maßnahmen auf EU- und nationaler Ebene zur Stärkung der Pflege- und Betreuungsinfrastruktur in Europa, mit denen sowohl Pflege- und Betreuungsbedürftige (von der Geburt bis ins hohe Alter) als auch (formelle und informelle) Pflege- und Betreuungspersonen unterstützt werden. Zudem begrüßt er den analytischen Ansatz der Mitteilung zur Ermittlung von Schwachstellen, Engpässen und Problembereichen, die sich auf die Bereitstellung integrierter hochwertiger Betreuung und Pflege auswirken. |
2.2. |
Diese Strategie steht im Einklang mit dem Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte aus dem Jahr 2021 und bietet den Mitgliedstaaten nützliche Leitlinien für eine zugängliche, angemessene und hochwertige Pflege und Betreuung, um den wachsenden und vielfältigen Bedarf zu decken. Sie beinhaltet ehrgeizige Ziele für die frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) sowie solide Steuerungsinstrumenten für die Überwachung von Maßnahmen im Bereich der Langzeitpflege. Sie baut auf den bestehenden EU-Rahmen (2) auf und zielt daher bereichsübergreifend auf die Behebung von Pflege- und Betreuungsdefiziten sowie die Förderung der Rechte von Pflege- und Betreuungspersonen und -bedürftigen ab. |
2.3. |
Es liegen zahlreiche Studien und Stellungnahmen vor, die Orientierungshilfen für die Umsetzung sowie Einblicke und Daten zu verschiedenen Aspekten von Pflege und Betreuung wie Geschlechtergleichstellung (3), (4), Kosten informeller Pflege und Betreuung (5), (6), Langzeitpflegesysteme in Europa (7), Arbeitskräfte und Beschäftigungsbedingungen (8), (9) bieten. |
2.4. |
Das Europäische Parlament betont, dass der Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von öffentlicher Fürsorge große Bedeutung zukommt und alle das Recht auf eine echte Wahl mit Blick auf die für sie und ihre Familien geeigneten Dienste (z. B. Pflege und Betreuung in der Familie bzw. in der lokalen Gemeinschaft, patientenorientierte Pflege und Betreuung oder personalisierte Pflege und Betreuung) haben sollten (10). |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1. |
Der EWSA bewertet positiv, dass in der Strategie die Verantwortung der Gesamtgesellschaft und nicht nur der betreffenden Familien für Pflege und Betreuung anerkannt wird, und begrüßt beide Vorschläge für Empfehlungen des Rates, in denen eine bessere Qualität der Dienstleistungen während des gesamten Lebens gefordert wird. Mit der Strategie wird ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel bei der Wertschätzung und Erbringung von Pflege- und Betreuungsdiensten in der EU mit dem Ziel unterstützt, kulturelle und nationalen Unterschiede zu überwinden. |
3.2. |
Die europäische Pflege- und Betreuungsdebatte soll auf ein nachhaltiges und menschenrechtsbasiertes Pflege- und Betreuungsmodell ausgerichtet werden, mit dem die Gleichstellung der Geschlechter in der formellen und informellen Pflege und Betreuung gefördert sowie die Menschenwürde, ein unabhängiges Leben und die Inklusion in die Gemeinschaft garantiert werden. Während der COVID-19-Pandemie wurden Widerstandsfähigkeit und Angemessenheit der Betreuungs- und Pflegesysteme durch die Verschärfung struktureller Probleme wie Unterfinanzierung und personelle Unterbesetzung in der gesamten EU auf die Probe gestellt. |
3.3. |
Eine wirksame Strategie erfordert einen transformativen und ehrgeizigen Ansatz, bei dem die Grundrechte und -bedürfnisse der Pflege- und Betreuungsbedürftigen und der Pflege- und Betreuungskräfte im Mittelpunkt stehen, unter anderem durch ihre umfassende und substanzielle Beteiligung an Konsultationen und Entscheidungen. |
3.4. |
Der EWSA betont, dass Vorbeugung, Befähigung und Rehabilitation integraler Bestandteil der Umsetzung der Strategie sein sollten. Die Maßnahmen sollten sich zunehmend auf frühzeitiges Eingreifen, gesundes und aktives Altern, Vorbeugung und die Förderung der Autonomie konzentrieren, die den Bedarf an Langzeitpflege verringern und die Inklusion in die Gesellschaft sowie die aktive Bürgerschaft erhöhen können. Zu diesem Zweck sollte insbesondere eine umfassende europäische Strategie für ältere Menschen konzipiert werden. |
3.5. |
Unter Hinweis auf die Erfahrungen mit den Sparmaßnahmen während der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrisen betont der EWSA, dass der Erschwinglichkeit und Kontinuität von Betreuungs- und Pflegediensten Vorrang eingeräumt werden muss, um den derzeitigen außergewöhnlichen Belastungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, der Energiekrise und den aktuell drastisch steigenden Lebenshaltungskosten zu begegnen. |
3.6. |
Die durchgängige Berücksichtigung der Gleichstellung der Geschlechter in der Strategie ist zu begrüßen. In der formellen und informellen Pflege und Betreuung sind vor allem Frauen tätig. In der EU geben 29 % der Frauen als Hauptgrund dafür, dass sie nicht auf dem Arbeitsmarkt tätig sind oder in Teilzeit arbeiten, Pflege- und Betreuungspflichten an. Bei den Männern liegt dieser Prozentsatz bei nur 6 % (11). Die Kosten für diese unausgewogene Verteilung der Betreuungs- und Pflegeaufgaben werden auf jährlich 242 Mrd. EUR geschätzt (12). Die Empfehlungen sind nützliche Leitlinien für die Mitgliedstaaten, um Geschlechterstereotype, das geschlechtsspezifische Lohn- und Rentengefälle sowie geschlechtsspezifische Lücken bei Betreuungs- und Pflegeaufgaben zu bekämpfen. |
3.7. |
Der EWSA betont die Bedeutung der familiären und informellen Pflege und Betreuung als Bestandteil nachhaltiger Betreuungs- und Pflegesysteme und fordert eine rasche Erfassung des diesbezüglichen Bedarfs und der praktischen Modalitäten. Die entsprechenden Betreuungs- und Pflegepersonen müssen bei der Gewährleistung von Kontinuität als Partner anerkannt werden und umfassende Unterstützung erhalten. So sollten ihnen z. B. Schulungsmöglichkeiten mit Programmen zur Validierung von Kompetenzen angeboten, durch Bereitstellung von Ressourcen, Dienstleistungen und Zeitregelungen (im Zusammenhang mit der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben) ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen Leben gewährleistet sowie gleichzeitig ihr Zugang zu sozialen Rechten, Kurzzeitpflege und Diensten im Bereich der psychischen Gesundheit sichergestellt werden (13). |
3.8. |
Der EWSA begrüßt, dass der bessere Schutz der Rechte von Pflege- und Betreuungskräften im Mittelpunkt steht. Er fordert die Mitgliedstaaten auf, Lücken bei der Durchsetzung des EU-Arbeitsrechts zu schließen, das IAO-Übereinkommen Nr. 189 mit Normen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Hausangestellte zu ratifizieren und Schritte zu unternehmen, um die Situation von im Haushalt lebenden Pflegekräften (14), einschließlich Wanderarbeitnehmern und mobiler Arbeitskräfte, zu regeln. Der EWSA stellt jedoch fest, dass den zahlreichen Arbeitnehmern ohne gültige Papiere, die bereits in Europa Pflege- und Betreuungsleistungen erbringen, in der Strategie nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Der Schwerpunkt sollte aber auf allen in der EU lebenden Pflege- und Betreuungskräften liegen, unabhängig von ihrem Migrations- und Aufenthaltsstatus. |
3.9. |
Der EWSA begrüßt das Engagement für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Pflege- und Betreuungssektor durch Weiterbildungs- und Umschulungsangebote, die Validierung von Kompetenzen, Lohnerhöhungen, die Förderung von Sozial- und Arbeitnehmerrechten, die Berücksichtigung physischer und psychosozialer Gesundheitsrisiken sowie die Bekämpfung der Risiken von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz. Er ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, das IAO-Übereinkommen Nr. 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt zu ratifizieren. Sozialpartner und Regierungen müssen zusammenarbeiten, um prekärer Beschäftigung in der Pflege und Betreuung ein Ende zu setzen und solide rechtliche, finanzielle und tarifvertragliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Der Mangel an qualifiziertem Personal in fast allen Mitgliedstaaten gefährdet die Gesundheits-, Pflege- und Betreuungsstandards, insbesondere angesichts des demografischen Wandels, der Mobilität der Arbeitnehmer und der Bevölkerungsalterung. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1. |
Der EWSA bekräftigt, dass dringend eine spezielle europäische Pflege- und Betreuungsgarantie (15) als wesentliches Element für die erfolgreiche Umsetzung der Strategie auf der Grundlage von politischen, praxisbezogenen und Finanzierungsinstrumenten ausgearbeitet werden muss, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen der Strategie vollständig in den jeweiligen nationalen Rechts-, Politik-, Finanzierungs- und Dienstleistungsrahmen integriert werden. Die Festlegung von Standards und ihre Überwachung ist von entscheidender Bedeutung, um Verbesserungen in dieser Branche zu gewährleisten (16). |
4.2. |
Die europäische Strategie für Pflege und Betreuung sollte durch einen strukturierten europäischen Umsetzungsplan und Finanzierungsprogramme ergänzt werden. Die öffentlichen Investitionen in Betreuung und Pflege sind in vielen Mitgliedstaaten unzureichend. Die Struktur- und Investitionsfonds der EU (ESF+, EFRE) sowie die Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) und das Instrument für technische Unterstützung müssen genutzt werden, um die Mitgliedstaaten in spezifischen pflege- und betreuungsbezogenen Bereichen zu unterstützen (von der Politikgestaltung bis zur Bereitstellung von Dienstleistungen und Überwachung der Auswirkungen), insbesondere durch eine sozial verantwortliche Vergabe öffentlicher Aufträge. |
4.3. |
Die Bewertung der Fortschritte und der Auswirkungen auf Pflege- und Betreuungsbedürftige und Pflege- und Betreuungskräfte ist von grundlegender Bedeutung. Spezifische technische Leitlinien für die Konzipierung von Überwachungs- und Bewertungsrahmen könnten den nationalen Ministerien gezielte Hilfestellung für die Entwicklung nachhaltiger Pflege- und Betreuungsmodelle, für die Messung der Auswirkungen und für Indikatoren bieten. Die Überwachung durch die Europäische Kommission sollte Berichte sowohl über die politischen Maßnahmen als auch über die Finanzierung sowie eine Aufforderung zur Halbzeitbewertung der Empfehlungen umfassen. Die länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters müssen gezielter sein, um die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, prioritär Betreuung und Pflege angemessen zu finanzieren und dies als produktive, nachhaltige Investition statt als wirtschaftliche Belastung zu sehen. |
4.4. |
Nach der Annahme der beiden Empfehlungen des Rates sollten Maßnahmen und Leitlinien rasch in den jeweiligen nationalen Politik- und Rechtsrahmen integriert werden. Der EWSA betont, wie wichtig es ist, dass die nationalen Koordinatoren für Langzeitpflege für Kohärenz sorgen und Pflege und Betreuung durchgängig auch in anderen Bereichen, Ministerien und Verwaltungsebenen, die über die Sozial- und Gesundheitspolitik hinausgehen (Wohnungswesen, Verkehr, Energie, Wirtschaft usw.), berücksichtigt werden. |
4.5. |
Unerwünschte Risikoselektion, Kommerzialisierung sowie das Streben nach Einkünften und Gewinn auf Kosten von Pflege, Betreuung und Gesundheit können Ungleichheiten beim Zugang zur entsprechenden Versorgung verschärfen. Es sind angemessene Kontrollmaßnahmen erforderlich, um schädliche Praktiken zu unterbinden und starke Garantien für hochwertige Dienstleistungen und eine ordnungsgemäße Verwendung der Mittel zu gewährleisten. Für Langzeitpflege sowie FBBE auf der Ebene der Mitgliedstaaten sind starke Sozialschutzsysteme und hochwertige öffentliche Dienste erforderlich, die auf Solidarität, sozialen Investitionen und der Tätigkeit sozialwirtschaftlicher Akteure (z. B. Organisationen auf Gegenseitigkeit) basieren, um verschiedene Finanzierungs- und Kostenteilungssysteme für die gemeindenahe und die häusliche Pflege und Betreuung durch entsprechend fachlich qualifizierte Pflege- und Betreuungskräfte bereitzustellen (17). Zur Finanzierung dieser Maßnahmen sollten Alternativen zu Sozialbeiträgen in Betracht gezogen werden (18). Auch die freiwillige Unterstützung durch gemeinnützige Organisationen, die sowohl dem Pflege- und Betreuungs- als auch dem Gesundheitssystem zugutekommt, ist zu prüfen, allerdings nicht als Kostensenkungsmaßnahme. |
4.6. |
Mit Blick auf die nationalen Zuständigkeiten und die Subsidiarität sollte die Europäische Kommission sicherstellen, dass die von den Mitgliedstaaten entwickelten hochwertigen Betreuungs- und Pflegedienste inklusiv sind. Mit der Strategie muss gewährleistet werden, dass alle Pflege- und Betreuungsbedürftigen uneingeschränkten und gleichberechtigten Zugang zu den Dienstleistungen haben, insbesondere durch starke und verbindliche Qualitätsrahmen. Besondere Aufmerksamkeit sollte oftmals marginalisierten Gruppen, wie z. B. Roma und Migranten, sowie den Auswirkungen sich überschneidender und struktureller Diskriminierungen gewidmet werden. Dafür muss auch in entlegenen und dünn besiedelten Gebieten für eine leicht zugängliche Pflege- und Betreuungsinfrastruktur gesorgt werden. |
4.7. |
Investitionen in die digitale Infrastruktur können eine effiziente Planung und Bereitstellung von Betreuungs- und Pflegediensten sowie die Speicherung, den Austausch und die Weitergabe von Informationen durch verschiedene Anbieter von Gesundheits- und Sozialdiensten erleichtern und so eine wirksame Überwachung von Qualität und gleichberechtigtem Zugang ermöglichen. Vielfältige Möglichkeiten wie u. a. assistive Technologien, Vorsorge, Robotik, Telegesundheitsdienste können, wenn sie vollständig inklusiv und uneingeschränkt zugänglich sind, einen positiven Beitrag in Bezug auf die Reichweite, Kontinuität, Koordinierung und Qualität von Pflege- und Betreuungsdiensten leisten. |
4.8. |
In der vorgeschlagenen Empfehlung zur Langzeitpflege wird darauf hingewiesen, dass die Systeme auch den Unterstützungsbedarf von Menschen mit Behinderungen berücksichtigen müssen, wobei ausdrücklich auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verwiesen wird. Die Kommission sollte sicherstellen, dass die im Rahmen der Strategie mobilisierten EU-Mittel dem Ziel der Deinstitutionalisierung dienen und durch die Entwicklung gemeindenaher Dienste mit gut ausgebildeten Arbeitskräften die Inklusion fördern (19). Der EWSA bekräftigt, dass Kinder und Eltern mit Behinderungen unterstützt werden müssen (20), und begrüßt, dass ihnen in der Empfehlung zur FBBE besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. |
5. Umsetzung der Empfehlung zur FBBE
5.1. |
Der EWSA unterstützt die Überarbeitung der Barcelona-Ziele, um die Verfügbarkeit zugänglicher, erschwinglicher, inklusiver und hochwertiger Kinderbetreuung zu verbessern. Die Mitgliedstaaten, die die Ziele erreicht oder übertroffen haben, sollten sich stärker auf die Bereitstellung von Qualitätsstandards und die Entwicklung unterschiedlicher, altersangepasster Formen der FBBE konzentrieren. Ziele zur Erhöhung der Verfügbarkeit von FBBE müssen mit Qualitätssicherungsrahmen und guten Arbeitsbedingungen einhergehen. Die Mitgliedstaaten sollten entsprechend den nationalen Präferenzen und Unterschieden Indikatoren zur Überwachung des Zugangs zu Pflege- und Betreuungsmodellen erarbeiten, die gleichzeitig die Ziele, die Qualität und weitere Standards der überarbeiteten Zielvorgaben erfüllen. |
5.2. |
Der EWSA begrüßt die Forderung, dafür zu sorgen, dass alle Kinder einen Rechtsanspruch auf Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen haben. Auch die Verknüpfung der Strategie mit der Europäischen Garantie für Kinder, deren Mehrgenerationen-Ansatz sie aufgreift, bewertet er positiv, da dieser für die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und das Wohlergehen der Familie von entscheidender Bedeutung ist. Der kostenlose Zugang bedürftiger Familien zu FBBE muss durch eine Reihe von Maßnahmen ergänzt werden, die kostenlose Mahlzeiten, kostenlose Hygieneprodukte (z. B. Windeln) sowie die Unterstützung der körperlichen und geistigen Entwicklung (feinmotorische Fähigkeiten, Logopädie usw.) umfassen. |
5.3. |
Der EWSA begrüßt die Verweise auf EU-Gleichstellungsrahmen und auf schutzbedürftige Kinder und spricht sich für die Schaffung inklusiver Systeme aus, die allen Familienformen Rechnung tragen. Die zu ergreifenden Maßnahmen sollten aufsuchende Sozialarbeit und Schulungen für das Personal zu den Rechten der Nutzer von Dienstleistungen sowie zu Inklusion und Voreingenommenheit umfassen. Der EWSA begrüßt insbesondere die Vorschläge für einen angemessenen Betreuungsschlüssel, die kontinuierliche Weiterbildung des Personals und die Aufnahme von Zeitvorgaben für die Betreuung in die Indikatoren, was besonders für Kinder mit Behinderungen relevant ist, die oft nur teilweise Zugang zu FBBE haben. |
5.4. |
Modelle für bewährte Verfahren in der FBBE müssen im Mittelpunkt der Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlung des Rates stehen. Diese sollten durch Strategien und Finanzierungsrahmen auf subnationaler Ebene mit spezifischen Mitteln zur Erfassung des Bedarfs von Pflege- und Betreuungsbedürftigen und Pflege- und Betreuungskräften sowie durch die Erprobung neuer Formen von Betreuungsdiensten flankiert werden. Die Rechte des Kindes sollten weiterhin im Mittelpunkt stehen. Kinder benötigen in den ersten Lebensjahren ein gesundes, entwicklungsförderndes Umfeld, unabhängig davon, ob sie in der Familie oder durch Fachkräfte betreut werden; daher müssen unter Berücksichtigung der Entwicklungsbedürfnisse von Kindern unterschiedlicher Altersgruppen unterschiedliche Betreuungsmodelle (Tageszentren, Kindertagesstätten, Tagesmütter oder -väter, Familienassistenz, Spielgruppen, außerschulische Betreuung) zur Verfügung stehen. |
6. Umsetzung der Empfehlung zur Langzeitpflege
6.1. |
Der EWSA fordert solide Umsetzungspläne, die das gesamte Spektrum der Langzeitpflege abdecken. Die Europäische Kommission sollte der Zusammenarbeit offiziellen Charakter verleihen, indem sie eine hochrangige Expertengruppe für Langzeitpflege einsetzt, in der Sozialpartner, Organisationen der Zivilgesellschaft, nationale Koordinatoren, Langzeitpflegebedürftige, insbesondere ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen, sowie andere einschlägige Experten und Praktiker vertreten sind. Um über die Arbeit der Gruppe zu informieren, könnte eine öffentliche Online-Plattform eingerichtet werden, über die sich Daten und Forschungsergebnisse sammeln und der Austausch bewährter Verfahren fördern ließen. |
6.2. |
Der EWSA hat in mehreren Stellungnahmen zum Langzeitpflegeangebot in der EU (21) die Notwendigkeit betont, in eine hochwertige, nachhaltige und zugängliche Pflege und Betreuung für alle zu investieren. Der EWSA betont, dass ein möglichst hohes Maß an Komplementarität und Synergien zwischen allen (kommerziellen oder gemeinnützigen) Erbringern von Pflege-, Betreuungs- und Gesundheitsleistungen des öffentlichen und privaten Sektors angestrebt werden muss, damit eine Versorgung für alle gewährleistet ist. Dabei sollten bewährte Verfahren aus den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden. |
6.3. |
Der EWSA begrüßt, dass im Vorschlag zur Langzeitpflege die Bedeutung der Akteure der Sozialwirtschaft als Dienstleister anerkannt wird. Er fordert die Kommission auf, weitere Möglichkeiten zur Schaffung strukturierter Kommunikationskanäle zwischen den Akteuren der Sozialwirtschaft und den EU-Organen in der Langzeitpflegepolitik auszuloten. |
6.4. |
Der EWSA weist darauf hin, wie wichtig die verschiedenen Initiativen im Rahmen des grünen und des digitalen Wandels sind, um das Potenzial der Technologien für die Schaffung, Neukonzipierung und Renovierung von Wohnraum auf inklusivere und nachhaltigere Weise voll auszuschöpfen. |
6.5. |
Bewährte Langzeitpflegemodelle können stärker strukturierte und effizientere häusliche Hilfe sowie neue Wohnalternativen, wie geschütztes, begleitetes oder gemeinschaftliches Wohnen, Wohngemeinschaften oder andere Alternativen umfassen, je nach den Bedürfnissen und Präferenzen der Pflege- und Betreuungsbedürftigen und entsprechend gesetzlich genehmigter Qualitätsrahmen. Es sollten auch andere Arten von Pflege- und Betreuungsmodellen in Betracht gezogen werden, um das gesamte Spektrum der Pflege und Betreuung im Rahmen eines integrierten Ansatzes abzudecken, wie z. B. Unterstützung im Bereich der psychischen Gesundheit, Familienzentren, Unterstützungsgruppen für Eltern oder Unterstützung für die kurzfristige Unterbringung. Dabei sollte der Übergang von einem Modell zum anderen erleichtert werden, indem Intensität oder Art der benötigten Dienstleistungen variiert werden können, ohne dass es zu Unterbrechungen bei Pflege und Betreuung kommt. |
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ko-Kreation von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse als Beitrag zur Stärkung der partizipativen Demokratie in der EU“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 76).
(2) Europäische Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021–2030, Europäische Garantie für Kinder, Europäische Strategie für die Rechte des Kindes, Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter und weitere einschlägige Initiativen im Rahmen der Europäischen Säule sozialer Rechte.
(3) Gender inequalities in care and pay in the EU: https://eige.europa.eu/publications/gender-inequalities-care-and-pay-eu.
(4) Gender Equality Index: https://eige.europa.eu/gender-equality-index/2022.
(5) What if care work were recognised as a driver of sustainable growth?: https://epthinktank.eu/2022/09/07/what-if-care-work-were-recognised-as-a-driver-of-sustainable-growth/.
(6) Study on exploring the incidence and costs of informal long-term care: https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=738&langId=de&pubId=8423&furtherPubs=yes.
(7) 2021 Long-term care in the EU: https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=738&langId=de&pubId=8396.
(8) Long-term care workforce: Employment and working conditions: https://www.eurofound.europa.eu/de/publications/customised-report/2020/long-term-care-workforce-employment-and-working-conditions.
(9) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Strategie für das Gesundheitswesen und seine Arbeitskräfte für die Zukunft Europas“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 37).
(10) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22.6.2022 — Bericht zu dem Thema „Hin zu gemeinsamen europäischen Maßnahmen im Bereich Pflege und Betreuung“.
(11) EIGE, ebd.
(12) Wissenschaftlicher Dienst des EP, ebd.
(13) Europäische Charta für pflegende Angehörige: https://coface-eu.org/european-charter-for-family-carers/.
(14) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rechte von im Haushalt lebenden Pflegekräften“(Initiativstellungnahme) (ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 7).
(15) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Strategie für das Gesundheitswesen und seine Arbeitskräfte für die Zukunft Europas“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 37).
(16) Improving healthcare quality in Europe — Characteristics, effectiveness and implementation of different strategies, OECD, 2019.
(17) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auswirkungen von Sozialinvestitionen auf die Beschäftigung und die öffentlichen Haushalte“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 21).
(18) Event report: European Care systems: Solidarity and sustainability — friends or foes?: https://www.aim-mutual.org/mediaroom/event-report-european-care-systems-solidarity-and-sustainability-friends-or-foes/.
(19) Europäische Sachverständigengruppe für den Übergang von der Heimunterbringung zur gemeindenahen Betreuung, EU Guidance on independent living and inclusion in the community und EU funds. Checklist to promote independent living and deinstitutionalisation.
(20) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Betreuung von Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen durch Angehörige — rapide Zunahme während der Pandemie“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 75 vom 28.2.2023, S. 75).
(21) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine Initiative zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben von berufstätigen Eltern und pflegenden Angehörigen“ (COM(2017) 252 final) und zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates“ (COM(2017) 253 final — 2017/0085 (COD)) (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 44); Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rechte von im Haushalt lebenden Pflegekräften“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 7); Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Sicherung des allgemeinen Zugangs zur Langzeitpflege und eine nachhaltige Finanzierung der Langzeitpflegesysteme für ältere Menschen (ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 103); Brochure on Economic, technological and social changes in advanced health services for the elderly; Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Wirtschaftliche, technische und soziale Veränderungen bei modernen Gesundheitsdienstleistungen für Senioren“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 240 vom 16.7.2019, S. 10); Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auf dem Weg zu einem neuen Betreuungsmodell für ältere Menschen: Lehren aus der COVID-19-Pandemie“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 194 vom 12.5.2022, S. 19).
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/46 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur“
(COM(2022) 304 final — 2022/0195 (COD))
(2023/C 140/08)
Berichterstatter: |
Arnold PUECH D’ALISSAC |
Befassung |
Rat der Europäischen Union, 11.7.2022 Europäisches Parlament, 14.7.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt |
Annahme in der Fachgruppe |
10.1.2023 |
Verabschiedung auf der Plenartagung |
25.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
201/4/11 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stimmt mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament darin überein, dass der Ansatz und die bisher ergriffenen Maßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt nicht wirksam sind. Er begrüßt das übergeordnete Ziel der vorgeschlagenen Verordnung, die Anstrengungen für die Wiederherstellung der Natur zu verstärken, um dem Verlust an biologischer Vielfalt Einhalt zu gebieten und die biologische Vielfalt in Europa auf den Weg der Erholung zu bringen. Die Mitgliedstaaten werden hiermit rechtlich bindenden Verpflichtungen unterliegen. Der EWSA stellt fest, dass der verfolgte Ansatz im Einklang mit den Beschlüssen der COP 15 in Montreal steht. |
1.2. |
Der EWSA hat jedoch eine Reihe von Anmerkungen und Bedenken zu dem Wortlaut der Ziele und der von der Kommission festgelegten Methode vorzubringen. Der absolut gravierendste Mangel besteht darin, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der notwendigerweise zu ergreifenden Maßnahmen auf die — zumeist privaten — Flächennutzer quasi keine Berücksichtigung finden. Der EWSA hat bereits in seiner Stellungnahme zur EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 darauf hingewiesen, „dass der Schutz der biologischen Vielfalt finanziell nicht den Land- und Forstwirten aufgebürdet werden darf. Vielmehr muss die Bereitstellung dieses „öffentlichen Werts und Guts“ zu einer attraktiven Einkommensmöglichkeit für sie werden. Nach Ansicht des Ausschusses „könnte im neuen Aufbauplan für die wirtschaftliche Erholung ein konkreter Schwerpunkt auf dieses Thema gelegt werden, indem Investitionen für personelle und materielle Ressourcen zur Gewährleistung der inhaltlichen Umsetzung der Strategie vorgesehen werden“ (1). Dieser Empfehlung sind weder die Kommission noch die Mitgliedstaaten gefolgt. Schon in früheren Stellungnahmen hat der EWSA u. a. die fatal hohe Unterfinanzierung der Natura-2000-Maßnahmen kritisiert. Der Ausschuss ist sich sehr sicher, dass auch der jetzt gewählte, neue Ansatz der Kommission zum Scheitern verurteilt ist, wenn nicht ausreichend Finanzmittel bereitgestellt werden. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um die finanziellen Einbußen zu kompensieren (und zusätzlich Biodiversitätsleistungen zu honorieren), die auf die Landnutzer zukommen werden, wenn sie ihre Landnutzungsform extensivieren, um mehr „Biodiversität“ vorweisen zu können. Der EWSA fordert daher die Einrichtung eines europäischen Fonds für Biodiversität und die Suche nach neuen Möglichkeiten, wie die verschiedenen EU-Politikbereiche (GAP, Energie, Wohnungsbau, Verkehr usw.) dazu beitragen können, die verbindlichen Ziele der Verordnung zu erreichen. |
1.3. |
Hinsichtlich der finanziellen Aspekte fordert der EWSA, die unter die Verordnung fallenden landwirtschaftlichen Flächen, Waldflächen und Wasserläufe im Vorfeld insgesamt genau abzuschätzen. Darüber hinaus weist der EWSA die Kommission darauf hin, dass gezielt Mittel für die Entschädigung insbesondere von Landwirten und Forstbesitzern bereitgestellt werden müssen, die ihre Anbauflächen gegebenenfalls komplett verlieren. |
1.4. |
Auch wenn eine Wiederherstellung der Natur in Schutzgebieten aufgrund der Verschlechterung ihres Zustands erforderlich ist, können und müssen nicht alle wiederhergestellten Gebiete als Schutzgebiete ausgewiesen werden. Der EWSA „hält es für unerlässlich, dass einige Teile der Schutzgebiete einem strengen Schutz (mit einer eingriffsfreien Bewirtschaftung (non-intervention management)) unterliegen sollten“ (2), ist jedoch gleichzeitig der Ansicht, dass es umso mehr darauf ankommt, eine Nutzung zu gewährleisten, durch die die Biodiversität generell erhalten wird. In den meisten Gebieten muss eine Rehabilitierung der Ökosysteme angestrebt werden, ohne dass dies bestimmte und angepasste wirtschaftliche Tätigkeiten ausschließt. Die extensive Land- und Forstwirtschaft hat zu der hohen biologischen Vielfalt beigetragen, die heute geschützt werden muss. Diese extensiven land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsformen, die heute aufgrund ihrer ökonomisch geringen Tragfähigkeit immer stärker aufgegeben werden, sollten daher ebenfalls unterstützt werden (3). „Rehabilitierung“ (franz. „réhabilitation“, engl. „rehabilitation“) ist daher möglicherweise ein geeigneterer wissenschaftlicher und politischer Begriff, der auf die Gewährleistung eines Gleichgewichts zwischen Leben und Produzieren abzielt. Der EWSA empfiehlt daher, anstatt von „Wiederherstellung“ von „Rehabilitierung“ (4) zu sprechen, zumal die Natur nichts Statisches ist, das sich wie ein kaputtes Haus oder Auto mittels „Wiederherstellung“ in einen ursprünglichen Zustand zurückversetzen lässt. So belegen zahlreiche Studien, dass Renaturierungsmaßnahmen (bspw. für Torfflächen) vielfach mit erheblichen Kosten verbunden sind, ohne dass eine vollumfängliche Wiederherstellung des „ursprünglichen Zustands“ tatsächlich möglich wäre. Dies führt zu einer semantischen Überlegung: Ziel der Verordnung sollte nicht die Wiederherstellung des natürlichen Zustands der Umwelt sein, sondern die Wiederherstellung ihrer Ökosystemleistungen und somit die Förderung einer nachhaltigen multifunktionalen Nutzung dieser Gebiete. Da der Mensch die Naturausstattung im Laufe der Jahre verändert hat, ist es aus wissenschaftlicher Sicht schlichtweg nicht möglich, die Natur in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Unter anderem aufgrund des fortschreitenden Klimawandels lassen sich die früheren Bedingungen einiger Ökosysteme nicht mehr vollständig wiederherstellen. Im Gegensatz hierzu kann das Ziel, die Nachhaltigkeit der Umwelt zu gewährleisten, sehr wohl erreicht werden, indem man sich auf die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme konzentriert. Der EWSA erwartet einen geeigneten politischen Rahmen; genau hier enttäuscht der Kommissionsvorschlag. |
1.5. |
Ein fester Zeitplan und strikte Grenzwerte sind für ein so schwer greifbares Thema wie die Natur nicht hundertprozentig geeignet. Den Mitgliedstaaten strenge Fristen vorzugeben, ist nur im Hinblick auf die zu schaffenden Verwaltungs- und Planungsbedingungen angemessen. Es bedarf jedoch eines flexiblen Ansatzes, um die genauen Anforderungen, Bedingungen, Chancen, Produktions- und Einkommensverhältnisse sowie den Ausgangspunkt des jeweiligen Naturgebiets zu berücksichtigen. In dem Verordnungsvorschlag bleibt die von den Mitgliedstaaten vorzunehmende Prioritätensetzung und Zuordnung der Wiederherstellungsmaßnahmen unklar, was die kosteneffiziente Erreichung qualitativ hochwertiger Ergebnisse gefährdet. Die Entscheidungsfindung auf Ebene der Mitgliedstaaten ist eindeutig ein berechtigter Grundsatz, da damit auch die Wahrung der Rechte der Grundeigentümer sowie die Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sichergestellt werden. |
1.6. |
Das Kommissionsdokument enttäuscht, was die allgemeine Folgenabschätzung angeht, in deren Mittelpunkt insbesondere die Folgen für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Ernährungssysteme stehen sollten, weshalb der EWSA eine zusätzliche Folgenabschätzung fordert. |
1.7. |
Der EWSA empfiehlt, dass Randzonen landwirtschaftlicher Flächen, die zwar nicht bewirtschaftet werden, aber für die biologische Vielfalt ebenfalls von großem Interesse sind, für das 10 %-Ziel eingerechnet werden. Der EWSA betont, dass die vorgeschlagene Verordnung besonders ehrgeizige Ziele für die Landwirte vorsieht, und erinnert daran, dass alle artenfreundlichen natürlichen Lebensräume berücksichtigt werden müssen. Allerdings muss die gesamte Gesellschaft in die Verbesserung unserer Ökosysteme einbezogen werden. In diesem Zusammenhang erinnert der EWSA an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen (gerechte Verteilung der Lasten und Kosten, aber auch des Nutzens) zwischen den verschiedenen Interessenträgern. |
1.8. |
Der EWSA unterstützt dieses Ziel, da dieses Bestreben für die Zukunft der EU von strategischer Bedeutung ist, und empfiehlt, die Ziele zu stärken, indem vor allem durch Formen extensiver Landwirtschaft die Wiederherstellung der aquatischen Umwelt — u. a. durch die Wiedervernässung von Torfmooren — gefördert wird. Dabei muss die soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit der Land- und Forstwirtschaft sichergestellt werden. |
1.9. |
Der EWSA ist sich im Klaren, dass wir in Europa eine völlig neue Wasserpolitik benötigen. Der seit Jahrhunderten verfolgte Ansatz, für einen möglichst schnellen Wasserabfluss aus der Landschaft zu sorgen, hatte zahlreiche negative Folgen für die Biodiversität. Mittlerweile werden aber — u. a. infolge des Klimawandels — auch die negativen Auswirkungen auf die Forst- und Landwirtschaft (Trockenheit/Brände) und die ortsansässige Bevölkerung (Überschwemmungen) deutlich. Der EWSA betont daher, dass Wasser wieder in die Landschaft zurückkehren bzw. dort gehalten werden muss. Hierbei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass menschliche Eingriffe in vielen Situationen weiterhin von Nutzen sind, etwa die Pflege der Wasserläufe. |
1.10. |
Der EWSA empfiehlt, das Zubetonieren ländlicher Flächen auf Kosten der natürlichen Landschaft zu begrenzen. Er plädiert ferner für mehr Grünflächen in Städten und für die Entsiegelung städtischer Flächen, um die Auswirkungen des Klimawandels bis 2030 erfolgreich abzufedern. |
1.11. |
Der EWSA unterstützt die Einführung eines Schutzmechanismus im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik im Hinblick auf die Ziele der Wiederherstellung der Meeresumwelt. Auch befürwortet er die Schaffung finanzieller Unterstützungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene, um die Suche nach innovativen Lösungen und die Verbesserung der Kenntnisse über einschlägige Ökosysteme anzuregen. |
1.12. |
Der EWSA betont, dass die wirtschaftliche und soziale Perspektive im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Natur uneingeschränkt anerkannt werden muss. Die Anerkennung und Gewährleistung der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit ist eine Voraussetzung für die Akzeptanz der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften und für ihre erfolgreiche Umsetzung, da die Ergebnisse weitgehend von der Motivation, Zustimmung und künftigen Einbeziehung von Grundbesitzern und anderen Akteuren vor Ort abhängen werden. Die Rechte der Grundbesitzer müssen unbedingt geachtet werden, und zwar durch offene Kommunikation, aktive Beteiligung und einen vollständigen finanziellen Ausgleich aller möglichen wirtschaftlichen Verluste. In diesem Zusammenhang hebt der EWSA das Potenzial von Ansätzen hervor, die auf freiwilligen Maßnahmen und wirtschaftlichen Anreizen beruhen. |
1.13. |
Der EWSA empfiehlt eine Unterstützung der EU für die Entstehung und den weiteren Ausbau vor- und nachgelagerter Bereiche der Forstwirtschaft, wodurch die Agroforstwirtschaft wirtschaftlich aufgewertet würde. |
1.14. |
Der EWSA warnt vor eventuellen negativen Auswirkungen auf den Generationswechsel in der Landwirtschaft und bekräftigt seine Empfehlung (5), die Attraktivität von Dörfern und ländlichen Gebieten zu steigern, indem die Möglichkeiten für die Erhaltung wirtschaftlich tragfähiger Lebensgrundlagen ausgehend von einer nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen gesichert werden. |
2. Einleitung
2.1. |
Vor dem generellen Hintergrund der wissenschaftlich belegten Auswirkungen des Klimawandels auf die Zukunft unserer Gesellschaften hat die Europäische Kommission durch die Vorlage einer Biodiversitätsstrategie mit ehrgeizigen Zielen für alle Mitgliedstaaten bis 2030 und 2050 ihr Engagement zum Ausdruck gebracht. Ferner hat die Kommission am 22. Juni 2022 einen Vorschlag für eine Verordnung über die Wiederherstellung der Natur angenommen. Bisher bildeten insbesondere die Habitat- und die Vogelschutzrichtlinie sowie die Aichi-Ziele den Rahmen für den Schutz und die Wiederherstellung der Natur in der EU. Nun hat sich die Kommission für einen neuen verbindlichen Regelungsrahmen entschlossen, um eine wirksame Umsetzung der Wiederherstellungsmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten sicherzustellen. |
2.2. |
Aus Arbeiten der Europäischen Umweltagentur geht hervor, dass sich 81 % der geschützten Lebensräume in der EU in einem schlechten Zustand befinden. Nur bei 9 % der Gebiete hat sich der Zustand verbessert. Darüber hinaus befinden sich 84 % der Torfmoore, die für die Aufnahme und Speicherung von Kohlenstoff und die Wasserfilterung von entscheidender Bedeutung sind, in einem schlechten Erhaltungszustand, und in den letzten zehn Jahren sind die Bestände von 71 % der Süßwasserfischarten und 60 % der Amphibien zurückgegangen. Mehr als die Hälfte des globalen BIP hängt jedoch von der Natur und den von ihr erbrachten Leistungen ab, und weltweit sind mehr als 75 % der Nahrungsmittelpflanzenarten auf Bestäuber angewiesen (6). |
2.3. |
Der EU-Legislativvorschlag fällt in die UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen unter der Federführung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Diese große weltweite Bewegung zielt darauf ab, Wiederherstellungsprojekte zu beschleunigen und die Welt auf Kurs für eine nachhaltige Zukunft zu bringen. Die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme ist entscheidend für die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, insbesondere der Nachhaltigkeitsziele zum Klimawandel, zur Armutsbekämpfung und zur Ernährungssicherheit. |
2.4. |
Ursprünglich hatte die Kommission auf eine Biodiversitätsstrategie bis 2030 mit freiwilligen Zielen gesetzt, schwenkte dann aber rasch auf eine entschlossenere Strategie um und legte für die Mitgliedstaaten verbindliche Legislativvorschläge vor. Ebenso wie die internationale Gemeinschaft musste die Kommission schnell auf den nachweisbaren Rückgang der biologischen Vielfalt und auf die Folgen reagieren, die auch in den jüngsten Berichten des Weltklimarats (IPCC) hervorgehoben wurden. So hat sich die Kommission mitten in den internationalen Verhandlungen im Rahmen der Biodiversitätskonvention dazu entschlossen, eine Führungsrolle zu übernehmen, um Europa auf Kurs für eine Wiederherstellung aller Ökosysteme bis 2050 zu bringen. |
2.5. |
So sollen mit dem Vorschlag rechtsverbindliche Ziele für die Mitgliedstaaten vorgegeben werden. Übergeordnetes Ziel ist es, einen Beitrag zur dauerhaften, langfristigen und nachhaltigen Erholung der biologischen Vielfalt und Widerstandsfähigkeit der Natur in allen Land- und Meeresgebieten der Union zu leisten. Im Hinblick darauf müssen die Mitgliedstaaten unverzüglich wirksame und gebietsbezogene Wiederherstellungsmaßnahmen einleiten, die zusammen bis 2030 mindestens 20 % der Land- und Meeresgebiete der Union und bis 2050 alle Ökosysteme abdecken werden, die der Wiederherstellung bedürfen. |
2.6. |
Die Bestimmungen greifen die Ziele der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie, der Wasserrahmenrichtlinie (WRR), der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und der Verordnung über invasive gebietsfremde Arten auf und stehen mit diesen in Verbindung, ebenso wie mit den Zielen der GAP, den Zielen der EU-Initiative für Bestäuber und der neuen EU-Waldstrategie für 2030. |
2.7. |
Diese Vorlage, die direkt im Rahmen einzelstaatlicher Maßnahmen berücksichtigt werden soll, steht für einen neuartigen Ansatz, da damit sowohl klima- als auch biodiversitätsbezogene Herausforderungen angegangen werden. Zwar wird die Politik schon seit Langem vor den Auswirkungen der Klimaerwärmung gewarnt, doch heben Wissenschaftler erst seit Kurzem den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Klimaänderungen und den gravierenden Folgen für die biologische Vielfalt hervor. Auf recht neuartige Weise ermutigt die Kommission zu einer ganzheitlichen Berücksichtigung der Herausforderungen und geht damit über die bisherige „Silopolitik“ hinaus. |
3. Analyse des Vorschlags für eine Verordnung
3.1. |
Der Vorschlag wirft eine Reihe tiefgründiger Fragen und Bedenken auf, sowohl hinsichtlich der Wahl der Ziele, die innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens erreicht werden sollen, als auch hinsichtlich der Begriffsbestimmungen und Indikatoren. So entsprechen einige Maßnahmen z. B. Konzepten aus dem Recht der Natur. Zum besseren Verständnis sollte daher im Verordnungsentwurf hierauf Bezug genommen werden. Darüber hinaus sollte für bestimmte Inhalte klargestellt werden, inwieweit die Subsidiarität der Mitgliedstaaten gewahrt wird. Insbesondere in Bezug auf Artikel 10, der Indikatoren für die Wiederherstellung von Waldökosystemen enthält, ist darauf hinzuweisen, dass die Zuständigkeit für die Forstwirtschaft im Wesentlichen bei den Mitgliedstaaten liegt (7). |
3.2. |
Die Formulierung einer Stellungnahme zu einem Verordnungsvorschlag, der auf die Wiederherstellung der Ökosysteme in den Mitgliedstaaten abzielt, ohne genau zu wissen, welche Herausforderungen und Anstrengungen auf die Mitgliedstaaten zukommen werden, ist nicht einfach. Der Legislativvorschlag sieht die Erstellung und Umsetzung „nationaler Wiederherstellungspläne“ vor, die auf der Grundlage der neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse der einzelnen Mitgliedstaaten ausgearbeitet werden. |
3.3. |
Die in der vorgeschlagenen Verordnung gewählten Begriffe sind von größter Bedeutung, da damit eine einheitliche Grundlage für die Mitgliedstaaten zur Verwirklichung der gesetzten Ziele festgelegt wird. Begriffe wie „guter Zustand“, „einen günstigen Zustand aufweisendes Bezugsgebiet“ und „ausreichende Qualität und Quantität des Lebensraums einer Art“ sollten zwar auf anerkannten wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen beruhen, ihre praktische Anwendung kann jedoch problematisch sein. Hinter diesen wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen stehen nämlich politische Erwägungen. Wie soll das „einen günstigen Zustand aufweisende Bezugsgebiet“ ausgewählt werden? Wer bestimmt die „ausreichende Qualität und Quantität des Lebensraums einer Art“? Da es keinen vorherigen Bezugsrahmen gibt, sind die Ziele weniger klar, was die Formulierung einer fundierten Stellungnahme erschwert. Der EWSA betont, dass es bei der Quantifizierung nach Artikel 11 des Verordnungsentwurfs richtig ist, sowohl die Biodiversitätsverluste eines bestimmten vergangenen Zeitraums (die Kommission schlägt ohne Angabe weiterer Gründe 70 Jahre vor) als auch die voraussichtlichen zukünftigen Veränderungen der Umweltbedingungen in Betracht zu ziehen. Es muss vermieden werden, dass nationale Unterschiede bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen zu Wettbewerbsverzerrungen unter den Landwirten in der EU führen. Darüber hinaus wird mit dem Vorschlag eine kontinuierliche Verbesserung der Ökosysteme angestrebt, deren Erfolg nach 2030 alle drei Jahre bewertet werden soll. Wie soll jedoch mit Ökosystemen umgegangen werden, deren Wiederherstellung vielleicht mehr oder weniger Zeit benötigt? Es ist fraglich, ob innerhalb dieser kurzen Berichtszeiträume signifikante Verbesserungen gemessen werden können. Müssen die Mitgliedstaaten negative Folgen befürchten, nur weil die Natur etwas länger braucht, um sich wieder auszubreiten? |
3.4. |
Der EWSA ist der Ansicht, dass Gebiete innerhalb des bestehenden Schutzgebietsnetzes, insbesondere Natura-2000-Gebiete, bei der Wiederherstellung Vorrang erhalten müssen, um das Potenzial dieser Gebiete voll auszuschöpfen. Hierdurch wird das Ziel, einen guten Zustand der in Anhang I der Habitat-Richtlinie aufgeführten Lebensräume zu erreichen, am besten gefördert. Die Ausrichtung von Wiederherstellungsmaßnahmen auf Schutzgebiete gewährleistet nicht nur den langfristigen Nutzen von Wiederherstellungsmaßnahmen, sondern trägt auch dazu bei, ggf. kollidierenden Interessen im Zusammenhang mit der Landnutzung zu vorzubeugen. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass das sehr weit gefasste und strikte Verschlechterungsverbot für Lebensräume, die sich auch außerhalb des Schutzgebietsnetzes befinden, unausgewogen und unverhältnismäßig ist. |
3.5. |
Im Rahmen des Mechanismus, mit dem die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Wiederherstellungsmaßnahmen und der Verwirklichung der Ziele zur Rechenschaft gezogen werden sollen, wird kaum klargestellt, wie die Umsetzung der Ziele überwacht werden soll. Diese mangelnde Klarheit gibt Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Frage, ob bezüglich der in den verschiedenen Mitgliedstaaten, in den verschiedenen Sektoren und durch verschiedene Gruppen von Menschen ergriffenen Maßnahmen gleiche Maßstäbe angelegt werden. Natürlich birgt die Wahl einer Verordnung echte Vorteile mit Blick auf die Erzielung einheitlicher Anstrengungen in den Mitgliedstaaten und die Wahrung gleicher Wettbewerbsbedingungen. Allerdings lässt dies den Mitgliedstaaten nicht genügend Spielraum, um ausgehend von ihren nationalen Bedürfnissen und Gegebenheiten über die Wiederherstellung zu entscheiden. Obwohl die Ziele mit einem Überwachungs- und Berichterstattungsmechanismus einhergehen müssen, sollte jeglicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand so gering wie möglich gehalten werden. Die bestehenden nationalen und europäischen Mechanismen für die kontinuierliche Bewertung und Berichterstattung über die Fortschritte sollten so weit wie möglich genutzt werden. |
4. Implikationen für die Land- und Forstwirtschaft in der EU
4.1. Die allgemeinen Ziele zur Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme
Der EWSA stellt fest, dass die meisten Wiederherstellungsziele private landwirtschaftliche Flächen betreffen. Eine erfolgreiche Umsetzung der Ziele ist daher nur möglich, wenn sie auf die volle Akzeptanz der Landwirtinnen und Landwirte bauen kann. Weitere rechtliche Auflagen hinsichtlich der Bewirtschaftung, die möglicherweise erforderlich sind, um die biologische Vielfalt auf landwirtschaftlichen Flächen zu erhöhen, können jedoch eine zusätzliche Belastung für die bereits stark regulierten landwirtschaftlichen Tätigkeiten bedeuten. Der EWSA unterstreicht (8), dass der Schutz der biologischen Vielfalt finanziell nicht den Land- und Forstwirten aufgebürdet werden darf. Vielmehr muss die Bereitstellung dieses „öffentlichen Werts und Guts“ zu einer attraktiven Einkommensmöglichkeit für sie werden. Der Erfolg der Wiederherstellungsziele hängt unweigerlich davon ab, ob sie entschlossen und dauerhaft von den Männern und Frauen mitgetragen werden können, die ihre Arbeit in den Dienst der Lebensmittelversorgung Europas stellen. Genau hier enttäuscht der Kommissionsvorschlag, der diese zentrale wirtschaftliche Frage ebenso ausklammert wie es die früheren Biodiversitätsstrategien und -aktionsprogramme der Kommission getan haben. So dürfte ein Scheitern auch dieser Verordnung vorprogrammiert sein.
4.2. Das Ziel der Wiedervernässung entwässerter Torfmoorflächen (Artikel 9 der Verordnung)
Dieses Ziel wird nicht unerhebliche Auswirkungen auf gewerbliche Tätigkeiten haben, und es betrifft insbesondere bestimmte Regionen einiger Mitgliedstaaten. Für diese Regionen könnte das vorgeschlagene Ziel im Hinblick auf die Abwägung der verschiedenen Ziele zu ehrgeizig sein. Der EWSA weist darauf hin, dass die Fortsetzung der produktiven Nutzung wiederhergestellter und wiedervernässter Torfmoore auf alternative Weise wirtschaftliche Lebensfähigkeit erfordert. Mit Blick auf den für die Umsetzung dieses Ziels vorgesehenen Zeitplan ist anzumerken, dass eine in mehr als 620 Renaturierungsprojekten in Feuchtgebieten durchgeführte wissenschaftliche Studie von 2012 ergeben hat, dass mit solchen Projekten selbst nach hundert Jahren nur durchschnittlich zwischen 65 und 70 % der ursprünglichen Artenvielfalt und der verschiedenen hydrologischen und ökologischen Funktionen (Wasserfilterung, Kohlenstoffspeicherung) eines vergleichbaren nicht geschädigten Referenzökosystems wiederhergestellt werden können. Dies wirft Fragen in Bezug auf die im Zeitplan der Kommission vorgesehene Frist für die Umsetzung und das Umweltziel an sich auf. Auch wenn Torfmoore nur 3 % der Landfläche ausmachen, speichern sie jedoch ein Drittel des im Boden gebundenen Kohlendioxids. Mithin sind sie für die Bekämpfung des Klimawandels strategisch extrem wichtig.
4.3. Das Ziel der Wiederherstellung der natürlichen Vernetzung von Flüssen (Artikel 7)
Ungünstige Veränderungen unseres Klimas und Probleme bei der Wasserbewirtschaftung führen zu einer zunehmenden Verschlechterung des Zustands der Umwelt. Wasser hat nicht nur eine Bedeutung und einen Wert für die Natur, sondern ist auch ein wichtiger Faktor für Nachhaltigkeit und damit für Sicherheit. Mal muss überschüssiges Wasser abgeleitet, mal muss es zurückgehalten werden, um die natürlichen Kreisläufe zu unterstützen. Der EWSA teilt die Auffassung, dass zur Wiederherstellung der natürlichen Verbindungen der Flüsse und der natürlichen Funktionen der damit verbundenen Überschwemmungsgebiete die Barrieren, die Verbindungen von Oberflächengewässern in der Länge und der Breite verhindern, unter strenger technischer Überwachung umgebaut werden können. Der EWSA lenkt die Aufmerksamkeit jedoch auf das Überschwemmungsrisiko, das mit der Beseitigung wasserbaulicher Anlagen einhergehen kann. Zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt ist Wasser erforderlich, weshalb strategische Eingriffe eine Gelegenheit bieten können, den Wasserhaushalt zu steuern und Wasser in Gebiete zu lenken, in denen es benötigt wird. Das Wasser muss in den Landschaften erhalten bleiben und ein zu schneller Abfluss verhindert werden. Der Sommer 2022 hat deutlich gezeigt, welchem Dürrerisiko wir in Europa ausgesetzt sind. Der EWSA empfiehlt einen diesbezüglichen Dialog unter Einbeziehung der Organisationen der Zivilgesellschaft. Der EWSA empfiehlt ferner, den Mitgliedstaaten Anreize für die Umsetzung grüner Infrastrukturprojekte zu geben, die dazu beitragen können, den Hochwasserschutz, die Erhaltung empfindlicher und für die biologische Vielfalt auf europäischer Ebene wichtiger Gebiete sowie die wirtschaftliche und touristische Entwicklung miteinander zu verbinden. In diesem Zusammenhang erinnert der EWSA daran, dass Hochwasser z. B. der Donau oder der Elbe zu erheblichen Schäden geführt haben (9).
4.4. Das Ziel, den Rückgang der Bestäuber umzukehren
Der EWSA kann diese für die Ernährungssicherheit sehr wichtige Maßnahme nur unterstützen. Allerdings weist der EWSA darauf hin, dass in der vorgeschlagenen Verordnung keinerlei Maßnahmen zu den verfügbaren Nahrungsressourcen für Bestäuber vorgesehen sind. Die langfristige Lebensfähigkeit dieser Arten kann nur dann gesichert werden, wenn ausreichend Honigpflanzen vorhanden sind, um eine dauerhafte Ernährung der Bestäuber zu gewährleisten. Nistplätze und eine schadstofffreie Umwelt sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung.
4.5. Die landwirtschaftlichen Ziele (Artikel 9 der Verordnung)
Der EWSA äußert Bedenken hinsichtlich des Ziels, dass 10 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche Landschaftselemente mit großer biologischer Vielfalt aufweisen soll. Besonders problematisch ist, dass diese Flächen gemäß Anhang IV nicht produktiv landwirtschaftlich genutzt werden dürfen (einschließlich Beweidung und Futtererzeugung). Es darf nicht vergessen werden, dass eine große biologische Vielfalt in vielen Gebieten überhaupt erst durch Kultivierung (insbesondere z. B. die Beweidung auf Almen, Heuwiesen oder Streuwiesen) ermöglicht wird. Daher ist es übertrieben, eine Bewirtschaftung in diesen Gebieten von vornherein auszuschließen. Diese Bedingung sollte gestrichen werden. Überdies wurde uns zu Beginn des Jahres 2022 erneut vor Augen geführt, wie wichtig die Nahrungsmittelsouveränität ist, um für die verschiedensten künftigen Unwägbarkeiten gerüstet zu sein. Durch das Erreichen des 10 %-Ziels bezüglich der landwirtschaftlich genutzten Fläche würde zwar die für die Produktivität der Landwirtschaft wichtige biologische Vielfalt verbessert, doch hätte dies ebenfalls erhebliche Ertragseinbußen zur Folge. Daher sollte sich das 10 %-Ziel nicht starr auf landwirtschaftliche Parzellen, sondern auch auf deren unmittelbare Umgebung beziehen. So sind beispielsweise die Randflächen von Straßen und landwirtschaftlichen Wegen von großem Interesse für die Artenvielfalt. Hier könnten bestäuberfreundliche Blühstreifen angelegt werden, die auch anderen Nützlingen zugutekommen. Solche Landschaftselemente können ihre Wirkung zudem nur dann voll entfalten, wenn sie im Verbund angelegt werden. So geht aus Studien hervor, dass es sinnvoller ist, mehrere Blühstreifen im Verbund anzulegen als eine große Blumeninsel. Schließlich weist der EWSA auch darauf hin, dass allen natürlichen Lebensräumen die gleiche Aufmerksamkeit zuteilwerden muss, damit alle Arten, die in unterschiedlichen Umgebungen leben, davon profitieren können. So haben Hecken oder Randflächen z. B. für den Kiebitz oder die Lerche so gut wie keinerlei Nutzen. Die Maßnahmen zur Erhaltung müssen sich daher auf die gesamte Fläche bzw. alle Arten der Flächennutzung über die land- und forstwirtschaftlichen Flächen hinaus und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Gesellschaften beziehen.
4.6. Die Ziele für die Wälder (Artikel 10 der Verordnung)
Die Wiederherstellung geschädigter Waldökosysteme ist ein wichtiges Anliegen im Hinblick auf die Anpassung unserer Gesellschaft an den Klimawandel und den Beitrag wirtschaftlicher Tätigkeiten zu den Biodiversitätszielen. Die in dem Verordnungsvorschlag formulierten allgemeinen Ziele sind bereits Teil eines globalen, weltweit verfolgten Ansatzes. Der EWSA begrüßt die politischen Bestrebungen der Kommission, die Mitgliedstaaten zur Wiederherstellung ihrer Waldökosysteme zu bewegen (10), betont jedoch, dass aufgrund der heterogenen Bedingungen der Wälder in Europa die Möglichkeit der Anpassung der Wiederherstellungsmaßnahmen an die örtlichen Bedingungen gegeben sein muss, sofern dies zu keiner Verzerrung des Wettbewerbs der europäischen Waldbesitzer untereinander führt. Der EWSA weist zudem darauf hin, dass diese Wiederherstellung im Rahmen des landschaftlichen Kontextes der betreffenden geografischen Gebiete unter Berücksichtigung der aktuellen klimatischen Extremereignisse in Europa (Feuer, extreme Großbrände usw.) erfolgen muss. Die verschiedenen Nutzungsformen der Flächen einer Landschaft sind miteinander verbunden und müssen deshalb sowohl ökologischen als auch gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen genügen. Beispielsweise können Wiederaufforstungsmaßnahmen zulasten landwirtschaftlicher Flächen zu wirtschaftlichen Verlusten für die lokalen Gemeinschaften führen und sich als nicht nachhaltig erweisen, während die Anpflanzung heimischer Baumarten (11) im Rahmen eines agroforstwirtschaftlichen Ansatzes unter Umständen sinnvoller ist und lokalen Rückhalt schaffen könnte. Daher ist es wichtig, den Mitgliedstaaten Ansätze nahezulegen, die es ermöglichen, den Schutz der natürlichen Ressourcen und die wirtschaftliche Entwicklung miteinander in Einklang zu bringen. Das forstwirtschaftliche Ziel kann nur dann erreicht werden, wenn eine dauerhafte Unterstützung für die Entstehung und den weiteren Ausbau vor- und nachgelagerter Bereiche der Forstwirtschaft bereitgestellt wird, wodurch auch die Agroforstwirtschaft wirtschaftlich aufgewertet würde.
5. Implikationen für die städtischen Gebiete der EU
5.1. |
Das Anliegen, der Natur in den Städten wieder mehr Raum zu geben, ist ein grundlegendes Ziel, das vom EWSA unterstützt wird. Es besteht kein Zweifel daran, wie wichtig die Begrünung unserer europäischen Städte zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger und für eine dauerhafte Wahrung der biologischen Vielfalt ist. Die Hitzewellen, die Europa im Juli 2022 heimgesucht haben, machen deutlich, dass Bäume eine wesentliche Rolle spielen, um die Temperaturen in den Städten zu senken. So ermöglichen Bäume einen Rückgang der Oberflächentemperatur um bis zu 12 oC. |
5.2. |
Außerdem werden heute riesige Flächen in Europa von Städten eingenommen, die einer freien Bewegung der Arten im Wege stehen und ihre Lebensräume einschränken. Den Mitgliedstaaten sollte unbedingt nahegelegt werden, Maßnahmen zu ergreifen, um die Denaturierung natürlicher Räume zu verhindern. Entsprechende Maßnahmen dürfen dabei nicht auf Programmen beruhen, die einen Tausch von Flächen vorsehen. |
5.3. |
Schließlich sollte das Ziel der Wiederherstellung der biologischen Vielfalt in den Städten durch den Aufbau grüner Infrastruktur als integraler Bestandteil der Entwicklung von Lebensräumen verstärkt werden. Parks, Grünstreifen oder Gründächer und Pflanzenwände verbessern das städtische Klima ohne hohe Kosten zu verursachen. In diesem Zusammenhang verweist der EWSA auf seine in der Stellungnahme NAT/607 (12) abgegebenen Empfehlungen. |
6. Implikationen für die Meeresumwelt der EU
6.1. |
Die Ziele zur Wiederherstellung der Meeresumwelt sind entscheidend für die Erhaltung der biologischen Vielfalt, zumal die Meere zahlreiche Arten und Ökosysteme beheimaten und im Zusammenhang mit dem Klimawandel strategisch wichtig sind. Der EWSA unterstützt die vorgeschlagenen Ziele zur Wiederherstellung dieser Umweltbereiche, in denen menschliche Tätigkeiten nachweislich zu einer Störung der Ökosysteme geführt haben. Neben dem Artenschutz und der Wiederherstellung von Lebensräumen müssen auch Maßnahmen für eine verantwortungsvolle Fischerei und zur Verringerung der Umweltverschmutzung ergriffen werden. Der EWSA unterstützt die Einführung eines Schutzmechanismus im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik im Hinblick auf den Umgang mit negativen Auswirkungen auf die Meeresumwelt. Wenn die Ziele für die Meeresumwelt erreicht werden sollen, müssen sich die Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Bewirtschaftung der Fischereiressourcen einigen. Angesichts der Bedeutung der Maßnahmen zugunsten der Meeresumwelt sollte die Kommission jedoch eingreifen können, um dafür zu sorgen, dass die Schutz- und Wiederherstellungsziele auch tatsächlich verwirklicht werden. |
6.2. |
Ferner unterstreicht der EWSA die wichtige Rolle der Meeresumwelt für die Bekämpfung des Klimawandels. Die Erhaltung der Kapazitäten der Meere zur Kohlenstoffbindung ist für unsere Zukunft von strategischer Bedeutung. Daher muss die EU finanzielle Unterstützung für Innovation und Forschung bereitstellen, um die Suche nach innovativen Lösungen und die Verbesserung des Wissensstands über diese Ökosysteme zu fördern. Beispielsweise belegen einschlägige Arbeiten die Bedeutung flacher Küstengewässer als wichtige Lebensräume für viele Fischarten, deren Nachwuchs in diesen Gewässern heranwächst, um dann als ausgewachsene Fische in andere Gebiete weiterzuziehen. Gerade diese Bereiche werden jedoch häufig durch die bauliche Erschließung von Küstengebieten (Häfen, Deiche usw.) beeinträchtigt, sodass neue Lösungen gefunden werden müssen. So wurden im Rahmen eines Versuchsprojekts in der Bucht von Toulon und im alten Hafen von La Seyne-sur-Mer künstliche Riffe und Wasserpflanzen unter Wasser befestigt. Das allgemeine ökologische Anliegen dieser Maßnahme besteht darin, die ökologischen Funktionen der Küstenumwelt neu zu beleben. |
7. Finanzielle Aspekte im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Natur
7.1. |
Der EWSA würdigt den herausragenden politischen Willen, den die Kommission mit dieser ehrgeizigen und für die EU neuartigen Verordnung zeigt. Er macht jedoch darauf aufmerksam, dass politischer Wille schnell an seine Grenzen stößt, wenn er nicht mit einer den Ambitionen entsprechenden Bereitstellung finanzieller Mittel einhergeht. Die Arbeiten der Kommission zur näheren Bestimmung der potenziellen Kosten für die Wiederherstellung der Ökosysteme geben eine erste Vorstellung von den Anstrengungen, die den Mitgliedstaaten abverlangt werden. In diesem Zusammenhang stellen sich jedoch einige Fragen. So soll das Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Erhalt der biologischen Vielfalt bei 1:8 liegen, allerdings wird nicht darauf eingegangen, welche wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Auswirkungen sich durch die Verwirklichung der Ziele ergeben. Welche wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen werden die eingeleiteten Wiederherstellungsmaßnahmen haben? Der EWSA fordert, dass im Vorfeld genau abgeschätzt werden sollte, welche landwirtschaftlichen Flächen, Waldflächen und Wasserläufe insgesamt unter die Verordnung fallen werden. Ferner verweist der EWSA erneut auf seine Bemerkungen aus der Stellungnahme NAT/786 (13), in der gefordert wird, dass der Finanzbedarf den Herausforderungen entsprechend gedeckt werden muss. So werden beispielsweise über das Natura-2000-Netz, das in Europa eine einzigartige Gelegenheit bietet, die Qualität bemerkenswerter natürlicher Lebensräume zu verbessern, nur 20 % der für die Maßnahmen zugesagten und erforderlichen Mittel bereitgestellt. Der EWSA legt besonderes Augenmerk auf die von der Kommission angekündigten finanziellen Verpflichtungen. Er weist erneut darauf hin, dass Mittel bereitgestellt werden müssen, die den Erwartungen entsprechen, da die Einführung weiterer EU-Rechtsvorschriften sonst zu keinerlei Ergebnis führen wird. |
7.2. |
Der EWSA weist mahnend auf das Risiko eines ausbleibenden Generationenwechsels in der Landwirtschaft hin. Die Festlegung von Zielen, die mit der Lebenswirklichkeit der Betriebe unvereinbar sind, wird zu erheblichen finanziellen Schwierigkeiten für diesen Wirtschaftszweig führen, in dem die Weiterführung der Betriebe ohnehin schon schwerfällt. Die Kommission muss den finanziellen Auswirkungen für diese Betriebe besondere Aufmerksamkeit widmen, um deren langfristige Überlebensfähigkeit zu gewährleisten, und gleichzeitig die Entwicklung von Verfahren begleiten, die dem Klimaschutz Rechnung tragen. |
Brüssel, den 25. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 — Mehr Raum für die Natur in unserem Leben“ (COM(2020) 380 final) (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 259).
(2) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 — Mehr Raum für die Natur in unserem Leben“ (COM(2020) 380 final) (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 259).
(3) EWSA-Informationsbericht „Vorteile der extensiven Viehhaltung und organischer Düngemittel im Rahmen des europäischen Grünen Deals“.
(4) Bei der Rehabilitierung liegt der Schwerpunkt auf der Wiederherstellung bestimmter ökologischer Funktionen.
(5) Siehe die EWSA-Informationsberichte „Bewertung der Auswirkungen der GAP auf den Generationswechsel in der Landwirtschaft“ und „Bewertung der Auswirkungen der GAP auf die territoriale Entwicklung ländlicher Gebiete“.
(6) IP/22/3746.
(7) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Klimagerechtigkeit“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 22) und Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Reflexionspapier „Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Europa bis 2030“ (COM(2019) 22 final) (ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 95).
(8) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 — Mehr Raum für die Natur in unserem Leben“ (COM(2020) 380 final) (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 259).
(9) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Grüne Infrastruktur (GI) — Aufwertung des europäischen Naturkapitals (COM(2013) 249 final) (ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 153).
(10) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Klima-Sozialfonds“ (COM(2021) 568 final — 2021/0206 (COD)) (ABl. C 152 vom 6.4.2022, S. 158).
(11) Baumart, die ohne menschliches Zutun natürlicherweise in einem von ihrer Art besiedelten Gebiet vorkommt.
(12) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Grüne Infrastruktur (GI) — Aufwertung des europäischen Naturkapitals (COM(2013) 249 final) (ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 153).
(13) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 — Mehr Raum für die Natur in unserem Leben“ (COM(2020) 380 final) (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 259).
ANHANG
Die folgenden abgelehnten Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:
Ziffer 3.4
Änderungsantrag 11
Ändern:
Stellungnahme der Fachgruppe |
Änderung |
Der EWSA ist der Ansicht, dass Gebiete innerhalb des bestehenden Schutzgebietsnetzes, insbesondere Natura-2000-Gebiete, bei der Wiederherstellung Vorrang erhalten müssen, um das Potenzial dieser Gebiete voll auszuschöpfen. Hierdurch wird das Ziel, einen guten Zustand der in Anhang I der Habitat-Richtlinie aufgeführten Lebensräume zu erreichen, am besten gefördert. Die Ausrichtung von Wiederherstellungsmaßnahmen auf Schutzgebiete gewährleistet nicht nur den langfristigen Nutzen von Wiederherstellungsmaßnahmen, sondern trägt auch dazu bei , ggf. kollidierenden Interessen im Zusammenhang mit der Landnutzung zu vorzubeugen. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass das sehr weit gefasste und strikte Verschlechterungsverbot für Lebensräume, die sich auch außerhalb des Schutzgebietsnetzes befinden, unausgewogen und unverhältnismäßig ist. |
Der EWSA ist der Ansicht, dass Gebiete innerhalb des bestehenden Schutzgebietsnetzes, insbesondere Natura-2000-Gebiete, bei der Wiederherstellung Vorrang erhalten müssen, um das Potenzial dieser Gebiete voll auszuschöpfen. Hierdurch wird das Ziel, einen guten Zustand der in Anhang I der Habitat-Richtlinie aufgeführten Lebensräume zu erreichen, am besten gefördert. Ein besonderes Augenmerk auf die NATURA-2000-Gebiete kann die Umsetzung der bereits 1992 beschlossenen FFH-Richtlinie gewährleisten, sie kann auch dazu beitragen , ggf. kollidierenden Interessen im Zusammenhang mit der Landnutzung zu vorzubeugen. |
Abstimmungsergebnis:
Ja-Stimmen |
91 |
Nein-Stimmen |
108 |
Enthaltungen |
18 |
Ziffer 4.2
Änderungsantrag 12
Ändern:
Stellungnahme der Fachgruppe |
Änderung |
Das Ziel der Wiedervernässung entwässerter Torfmoorflächen (Artikel 9 der Verordnung) Dieses Ziel wird nicht unerhebliche Auswirkungen auf gewerbliche Tätigkeiten haben, und es betrifft insbesondere bestimmte Regionen einiger Mitgliedstaaten. Für diese Regionen könnte das vorgeschlagene Ziel im Hinblick auf die Abwägung der verschiedenen Ziele zu ehrgeizig sein. Der EWSA weist darauf hin, dass die Fortsetzung der produktiven Nutzung wiederhergestellter und wiedervernässter Torfmoore auf alternative Weise wirtschaftliche Lebensfähigkeit erfordert . Mit Blick auf den für die Umsetzung dieses Ziels vorgesehenen Zeitplan ist anzumerken, dass eine in mehr als 620 Renaturierungsprojekten in Feuchtgebieten durchgeführte wissenschaftliche Studie von 2012 ergeben hat, dass mit solchen Projekten selbst nach hundert Jahren nur durchschnittlich zwischen 65 und 70 % der ursprünglichen Artenvielfalt und der verschiedenen hydrologischen und ökologischen Funktionen (Wasserfilterung, Kohlenstoffspeicherung) eines vergleichbaren nicht geschädigten Referenzökosystems wiederhergestellt werden können. Dies wirft Fragen in Bezug auf die im Zeitplan der Kommission vorgesehene Frist für die Umsetzung und das Umweltziel an sich auf. Auch wenn Torfmoore nur 3 % der Landfläche ausmachen, speichern sie jedoch ein Drittel des im Boden gebundenen Kohlendioxids. Mithin sind sie für die Bekämpfung des Klimawandels strategisch extrem wichtig. |
Das Ziel der Wiedervernässung entwässerter Torfmoorflächen (Artikel 9 der Verordnung) Dieses Ziel wird nicht unerhebliche Auswirkungen auf gewerbliche Tätigkeiten haben, und es betrifft insbesondere bestimmte Regionen einiger Mitgliedstaaten. Für diese Regionen könnte das vorgeschlagene Ziel im Hinblick auf die Abwägung der verschiedenen Ziele besondere Auswirkungen haben. Dem EWSA ist die besondere Bedeutung der Torfflächen für die Biodiversität und den Klimaschutz bewusst und betrachtet die Zielsetzungen der Kommission (Wiederherstellungsmaßnahmen auf 70 % der trockengelegten Torfmoorflächen, davon Wiedervernässung von 50 % bis 2050[3]) als Kompromiss zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen . Mit Blick auf den für die Umsetzung dieses Ziels vorgesehenen Zeitplan ist anzumerken, dass eine in mehr als 620 Renaturierungsprojekten in Feuchtgebieten durchgeführte wissenschaftliche Studie von 2012 ergeben hat, dass mit solchen Projekten selbst nach hundert Jahren nur durchschnittlich zwischen 65 und 70 % der ursprünglichen Artenvielfalt und der verschiedenen hydrologischen und ökologischen Funktionen (Wasserfilterung, Kohlenstoffspeicherung) eines vergleichbaren nicht geschädigten Referenzökosystems wiederhergestellt werden können. Dies wirft Fragen in Bezug auf die im Zeitplan der Kommission vorgesehene Frist für die Umsetzung und das Umweltziel an sich auf. Auch wenn Torfmoore nur 3 % der Landfläche ausmachen, speichern sie jedoch ein Drittel des im Boden gebundenen Kohlendioxids. Mithin sind sie für die Bekämpfung des Klimawandels strategisch extrem wichtig. |
Abstimmungsergebnis:
Ja-Stimmen |
99 |
Nein-Stimmen |
104 |
Enthaltungen |
18 |
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/55 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kennzeichnung von ökologischem/biologischem Heimtierfutter“
(COM(2022) 659 final — 2022/0390 (COD))
(2023/C 140/09)
Berichterstatter: |
Arnaud SCHWARTZ |
Befassung |
Rat der Europäischen Union, 8.12.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 43 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt |
Annahme in der Fachgruppe |
10.1.2023 |
Verabschiedung im Plenum |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
187/0/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag für eine Verordnung über die Kennzeichnung von ökologischem/biologischem Heimtierfutter und fordert seine rasche Annahme, um die Kontinuität mit den Anforderungen zu gewährleisten, die vor dem Inkrafttreten der neuen Verordnung über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen galten (1). |
1.2. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass der Heimtierfuttersektor einen Beitrag zu den Zielen des europäischen Grünen Deals leisten kann und dass diese neuen Kennzeichnungsmaßnahmen eine Entwicklung und Aufwertung dieser Branche ermöglichen, und zwar sowohl durch den Absatz an Verbraucher, die beim Einkaufen auf den ökologischen/biologischen Ursprung der Erzeugnisse achten, als auch durch die Möglichkeit, einen Mehrwert für ökologische/biologische Nebenerzeugnisse zu schaffen. Auf diese Weise kann die Branche — wenn auch in eher kleinem Maßstab — dazu beitragen, das in der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“, der Biodiversitätsstrategie und dem europäischen Aktionsplan zur Förderung der ökologischen/biologischen Produktion festgelegte Ziel zu erreichen, bis 2030 25 % der landwirtschaftlichen Flächen in der EU ökologisch/biologisch zu bewirtschaften. |
1.3. |
Der EWSA fordert die Kommission und die EU-Organe auf, diese neuen Vorschriften und ihre Ziele bekannt zu machen, um die Nachfrage der Verbraucher nach ökologischen/biologischen Erzeugnissen und das entsprechende Vertrauen weiter zu stärken. |
1.4. |
Da Heimtierfutter für den Verkauf an den Verbraucher bestimmt ist, empfiehlt der EWSA, die Branche in die Gesetzgebungsarbeiten zur Nachhaltigkeit von Lebensmitteln einzubeziehen und dazu zu konsultieren. Das betrifft z. B. die Kennzeichnung nachhaltiger Lebensmittel, die Umweltverträglichkeit von Produkten und nachhaltige Verpackungen (2). |
2. Hintergrund
2.1. |
Mit dem Inkrafttreten der neuen EU-Verordnung über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen (3) am 1. Januar 2022 wurden strenge Anforderungen an die Kennzeichnung ökologischer/biologischer Lebens-, Futter- und Heimtierfuttermittel eingeführt. Während Heimtierfutter, insbesondere für Katzen und Hunde, zuvor auf der Grundlage einzelstaatlicher Vorschriften oder privater Standards auch dann als ökologisch/biologisch gekennzeichnet werden durfte, wenn nicht alle Zutaten landwirtschaftlichen Ursprungs ökologisch/biologisch waren, ist eine solche Kennzeichnung seit dem 1. Januar 2022 nicht mehr möglich. |
2.2. |
Daher hat die Europäische Kommission am 28. November 2022 einen Vorschlag für eine Verordnung über die Kennzeichnung von ökologischem/biologischem Heimtierfutter (4) veröffentlicht, um spezifische Kennzeichnungsvorschriften für Heimtierfutter festzulegen. Mit diesen Vorschriften soll das Aufbringen des Logos der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion auf Heimtierfutter, insbesondere für Katzen und Hunde, zugelassen werden, sofern das Futter strengen, vom EU-Gesetzgeber festgelegten Kriterien entspricht. |
2.3. |
Die vorgeschlagenen Kennzeichnungsvorschriften für ökologisches/biologisches Heimtierfutter entsprechen den Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel: Damit das Futter als ökologisch/biologisch gekennzeichnet und mit dem Bio-Logo der EU versehen werden darf, müssen mindestens 95 Gewichtsprozent der Zutaten landwirtschaftlichen Ursprungs ökologisch/biologisch sein. (Sind es weniger als 95 % darf dieser Hinweis nur im Zutatenverzeichnis in Bezug auf ökologische/biologische Zutaten verwendet werden, wobei der Gesamtanteil ökologischer/biologischer Zutaten im Verhältnis zur Gesamtmenge der Zutaten landwirtschaftlichen Ursprungs anzugeben ist.) |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1. |
Der EWSA bekräftigt seine Unterstützung für den Aktionsplan zur Förderung der ökologischen/biologischen Produktion in der EU (5) und erkennt die Rolle der ökologischen/biologischen Landwirtschaft bei der Verwirklichung der Ziele des europäischen Grünen Deals und insbesondere der Maßnahmen zur weiteren Stärkung der Nachfrage der Verbraucher nach ökologischen/biologischen Erzeugnissen und des entsprechenden Vertrauens an. |
3.2. |
Nach Ansicht des EWSA muss dieser Verordnungsvorschlag so bald wie möglich angenommen werden, damit das EU-Bio-Logo für Heimtierfutter verwendet werden kann, das nicht zu 100 % (jedoch zu mindestens 95 Gewichtsprozent) aus ökologischen/biologischen Zutaten besteht, was bei einigen Erzeugnissen der Fall ist. Allerdings fordert er, dass ein solcher Rechtsakt künftig zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Dokuments angewendet wird, auf dem er aufbaut, um zu vermeiden, dass es zu sowohl für Erzeuger als auch für Verbraucher/Käufer nachteiligen Rechtslücken kommt. |
3.3. |
Der EWSA unterstützt die vorgeschlagenen Kennzeichnungsvorschriften für ökologisches/biologisches Heimtierfutter aufgrund des notwendigen Anteils an ökologischen/biologischen Erzeugnissen (mindestens 95 Gewichtsprozent) und der Ähnlichkeit mit den für ökologische/biologische Lebensmittel geltenden Vorschriften. Dadurch werden eine einheitliche Verwendung des EU-Logos und ein besseres Verständnis für die Verbraucher, für die diese beiden Arten von Erzeugnissen bestimmt sind, gefördert. |
3.4. |
Der EWSA weist darauf hin, dass der Heimtierfuttersektor trotz des geringen Anteils ökologischer/biologischer Erzeugnisse stark wächst (3,1 % jährliches Wachstum; 46 % der europäischen Haushalte besitzen mindestens ein Heimtier (6)). Nach Angaben der Branche selbst führt die Tendenz zur „Vermenschlichung“ von Heimtieren dazu, dass viele Heimtierbesitzer nach Lebensmitteln Ausschau halten, die ihren eigenen Vorlieben entsprechen, was zum Kauf hochwertiger, auch ökologischer/biologischer, Erzeugnisse führt (7). Deshalb begrüßt der EWSA die neuen Kennzeichnungsmaßnahmen, die diesen Markt für ökologisches/biologisches Heimtierfutter sowohl durch den Verkauf an Verbraucher, die auf den ökologischen/biologischen Ursprung ihrer Einkäufe achten, als auch durch die Schaffung eines Mehrwerts für ökologische/biologische Nebenprodukte ankurbeln können. |
3.5. |
Der EWSA ist daher der Auffassung, dass diese neuen Kennzeichnungsmaßnahmen — wenn auch in eher kleinem Maßstab — zur Erreichung des Ziels beitragen können, bis 2030 25 % der landwirtschaftlichen Flächen in der EU ökologisch/biologisch zu bewirtschaften. Dieses Ziel ist in der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“, der Biodiversitätsstrategie und dem europäischen Aktionsplan zur Förderung der ökologischen/biologischen Produktion festgelegt, die Teil des europäischen Grünen Deals sind. |
3.6. |
Der EWSA begrüßt die Anwendung der Maßnahmen zur obligatorischen Angabe der Herkunft von Lebensmitteln in Bezug auf Rohstoffe, die bei der Herstellung von Heimtierfuttermitteln verwendet werden, durch die Angaben „EU-Landwirtschaft“, „Nicht-EU-Landwirtschaft“, „EU-/Nicht-EU-Landwirtschaft“, „Landwirtschaft + Name eines Landes“ oder „Landwirtschaft + Name eines Landes und einer Region“. |
3.7. |
Der EWSA fordert die Kommission und die EU-Organe auf, diese neuen Vorschriften und ihre Ziele bekannt zu machen, um die Nachfrage der Verbraucher nach ökologischen/biologischen Erzeugnissen und das entsprechende Vertrauen weiter zu stärken. |
3.8. |
Schließlich sollten diese Kennzeichnungsmaßnahmen es nach Ansicht des EWSA ermöglichen, mit den Heimtierfutterherstellern in Dialog zu treten bzw. diesen zu vertiefen, um die Einhaltung der Grundsätze nachhaltiger Lebensmittelsysteme auch in dieser Branche zu gewährleisten und ihren Beitrag zu den Zielen des europäischen Grünen Deals fördern. |
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Verordnung (EU) 2018/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates (ABl. L 150 vom 14.6.2018, S. 1).
(2) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Rahmen zur Kennzeichnung nachhaltiger Lebensmittel für nachhaltige Kaufentscheidungen der Verbraucherinnen und Verbraucher“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 75 vom 28.2.2023, S. 97).
(3) Verordnung (EU) 2018/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates (ABl. L 150 vom 14.6.2018, S. 1).
(4) Vorschlag für eine Verordnung über die Kennzeichnung von ökologischem/biologischem Heimtierfutter (COM/2022/659 final).
(5) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über einen Aktionsplan zur Förderung der ökologischen/biologischen Produktion“ (COM(2021) 141 final) (ABl. C 517 vom 22.12.2021, S. 114).
(6) Quelle: FEDIAF (Europäischer Dachverband der Heimtierfutterindustrie) — https://europeanpetfood.org/about/statistics/.
(7) Quelle: FEDIAF (Europäischer Dachverband der Heimtierfutterindustrie) — https://europeanpetfood.org/pet-food-facts/pet-food-trends/.
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/58 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebietes“
(COM(2022) 782 final)
(2023/C 140/10)
Berichterstatter: |
Petru Sorin DANDEA |
Befassung |
Europäische Kommission, 19.12.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt |
Annahme in der Fachgruppe |
21.12.2022 |
Verabschiedung auf der Plenartagung |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
169/0/3 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt die Empfehlungen der Kommission und unterbreitet eine Reihe zusätzlicher Vorschläge. |
1.2. |
Der EWSA erinnert an die Schlussfolgerungen seiner früheren Stellungnahme (1), die auf der Plenartagung im Oktober 2022 mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. |
1.3. |
Der EWSA empfiehlt, die zweistufige Verbrauchsgrenze so festzulegen, dass alle Haushalte, die erhebliche Schwierigkeiten bei der Begleichung ihrer Energierechnungen haben, geschützt werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Herangehensweise mit zwei Niveaus sowohl Menschen unterhalb der Armutsgrenze als auch Menschen aus der unteren Mittelschicht helfen sollte, die aufgrund niedriger Einkommen nicht im Stande sein werden, den Marktpreis für ihre Energierechnungen zu zahlen. |
1.4. |
Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, dass die Mitgliedstaaten den Befristeten Krisenrahmen für staatliche Beihilfen nutzen sollten. Er empfiehlt den Mitgliedstaaten, alle verfügbaren Mittel heranzuziehen, um Unternehmen im Allgemeinen und kleine und mittlere Unternehmen im Besonderen zu unterstützen. |
1.5. |
Der EWSA empfiehlt, von der Geldpolitik umsichtig Gebrauch zu machen. Solange die Inflation durch exogene Faktoren bestimmt wird, kann die Geldpolitik in diesem komplexen Kontext einen zyklischen Effekt haben. |
1.6. |
Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, wonach die Länder des Euro-Währungsgebiets die Fiskalpolitik mit der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank abstimmen sollen. Dies ist wichtig für die erfolgreiche Inflationsbekämpfung mithilfe der Geldpolitik. |
1.7. |
Nach Ansicht des EWSA werden die Vollendung der Kapitalmarktunion und der Bankenunion wichtige Schritte zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion sein. Er empfiehlt den Mitgliedstaaten, diesen Prozesses beherzt voranzutreiben. |
1.8. |
Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten die rasche Umsetzung der Mindestlohn-Richtlinie auf nationaler Ebene. Dadurch könnte das Niveau des Mindestlohns verbessert und ein Sicherheitsnetz für Geringverdiener gespannt werden, damit die Kaufkraft der Löhne bei der gegenwärtig hohen Inflation erhalten bleibt. |
1.9. |
Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, den sozialen Dialogs zu nutzen, um die Sozialpartner in die Gestaltung und Umsetzung der Maßnahmen einzubeziehen, die erforderlich sind, um die Auswirkungen der Krise abzumildern. Der EWSA unterstützt nachdrücklich den Vorschlag der Kommission. |
2. Einleitung
2.1. |
Das Wirtschaftswachstum im Euro-Währungsgebiet und in der Europäischen Union zog im Jahr 2021 wieder an, wurde aber durch den Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine plötzlich unterbrochen. Die erhebliche Abhängigkeit des Euro-Währungsgebiets von eingeführten fossilen Brennstoffen aus der Russischen Föderation und die Sanktionen der EU haben zu Unsicherheit mit erheblichen Auswirkungen auf die Lieferketten geführt. Diese Faktoren haben die Energiekrise und in der Folge eine hohe Inflation ausgelöst, mit der das Euro-Währungsgebiet und die Europäische Union nun ringen. |
2.2. |
Obwohl die Inflation im November mit 10,0 % leicht unter dem Oktober-Wert von 10,6 % lag, könnte die problematische Brennstoffversorgung in der nun anbrechenden kalten Jahreszeit und die dadurch ausgelöste Energiekrise die Inflation in der nahen Zukunft erneut in die Höhe treiben. |
2.3. |
Die Europäische Zentralbank hat auf die Geldpolitik zurückgegriffen, um die Inflation auf einen tragbaren Wert (von mittelfristig 2 %) zurückzuführen. Allerdings könnten ihre Bemühungen sich angesichts der exogenen Faktoren, die zur Krise geführt haben, aber auch angesichts der Schwierigkeit, die Geldpolitik mit einer fragmentierten Finanzpolitik in den Mitgliedstaaten zu verknüpfen, als unzureichend erweisen. |
2.4. |
Diese Mehrfachkrise überlagert die Klimakrise, von der die Europäische Union zeitgleich betroffen ist. Festzustellen ist außerdem, dass das Tempo der Konvergenz wesentlich zurückgegangen ist; es gibt eine Fragmentierung und Divergenz zwischen bestimmten Branchen, und auch zwischen den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets. |
2.5. |
Die Energiekrise hat in vielen Branchen und bei den auf dem Binnenmarkt aktiven Unternehmen zu einer Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit geführt. |
2.6. |
Die Aufbau- und Resilienzfazilität sowie die Kohäsionspolitik haben erheblich dazu beigetragen, die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets dabei zu unterstützen, das für die Verwirklichung der Ziele des Grünen Deals erforderliche Investitionsniveau aufrechtzuerhalten. Allerdings müssen zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, um einen schnelleren Übergang zur Klimaneutralität zu gewährleisten und die Energieabhängigkeit wesentlich zu verringern. |
2.7. |
In diesem besonders schwierigen und komplexen Kontext hat die Europäische Kommission am 22. November ihren Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets für 2023 (2) vorgelegt. |
3. Allgemeine und besondere Bemerkungen
3.1. |
Der EWSA unterstützt die Empfehlungen der Kommission, hält indes auch die folgenden zusätzlichen Vorschläge für notwendig: |
3.2. |
Der EWSA erinnert an die Schlussfolgerungen der Stellungnahme ECO/590 (3), die auf der Plenartagung im Oktober 2022 mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. |
3.3. |
Angesichts der herrschenden Energiekrise dürfte der Winter 2022/2023 Haushalte und Unternehmen in der EU vor große Probleme stellen. Die Europäische Kommission schlägt ein zweistufiges Modell zum Schutz der am stärksten gefährdeten Personen vor. Demnach sollen schutzbedürftige Verbraucher bis zu einer bestimmten Verbrauchsgrenze einen Preis unter dem Marktpreis zahlen. Das von der Kommission vorgeschlagene zweistufige Modell zum Schutz bedürftiger Haushalte in der Energiekrise sollte von den Mitgliedstaaten inklusiv genutzt werden. Der EWSA empfiehlt, die zweistufige Verbrauchsgrenze so festzulegen, dass alle Haushalte, die erhebliche Schwierigkeiten bei der Begleichung ihrer Energierechnungen haben, geschützt werden.
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Herangehensweise mit zwei Niveaus sowohl Menschen unterhalb der Armutsgrenze als auch Menschen aus der unteren Mittelschicht helfen sollte, die aufgrund niedriger Einkommen nicht im Stande sein werden, den Marktpreis für ihre Energierechnungen zu zahlen. |
3.4. |
Die Kommission ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten Unternehmen unterstützen sollten, um Betriebsstilllegungen zu vermeiden, unter anderem durch die Anwendung des Befristeten Krisenrahmens für staatliche Beihilfen. Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission und empfiehlt den Mitgliedstaaten, alle verfügbaren Mittel zu nutzen, um Unternehmen im Allgemeinen und kleine und mittlere Unternehmen im Besonderen zu unterstützen. |
3.5. |
Die durch die Erdgaspreise und die Energiekrise angetriebene Inflation erreichte im Oktober 2022 mit 10,6 % ihren höchsten Stand seit der Einführung des Euro. Die Europäische Zentralbank reagierte rechtzeitig und nutzte die Geldpolitik, um das Inflationswachstum zu dämpfen und eine Rückkehr auf unter 2 % (mittelfristiges Ziel) zu ermöglichen. Der EWSA empfiehlt, von der Geldpolitik umsichtig Gebrauch zu machen. Solange die Inflation durch exogene Faktoren bestimmt wird, kann die Geldpolitik in diesem komplexen Kontext einen zyklischen Effekt haben. |
3.6. |
Die Löhne im Euro-Währungsgebiet stiegen 2022 leicht. Allerdings blieb die Lohnentwicklung deutlich hinter der Inflation zurück. Der EWSA begrüßt die Empfehlung der Europäischen Kommission an die Mitgliedstaaten, sich im Einklang mit ihren nationalen Gepflogenheiten und Tarifmodellen dafür einzusetzen, dass die Kaufkraft der Löhne und Gehälter, insbesondere der schutzbedürftigen Geringverdiener, erhalten bleibt. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten die rasche Umsetzung der Mindestlohn-Richtlinie auf nationaler Ebene. Dadurch könnte das Niveau des Mindestlohns verbessert und ein Sicherheitsnetz für Geringverdiener gespannt werden, um die Kaufkraft der Löhne zu erhalten. |
3.7. |
Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, wonach die Länder des Euro-Währungsgebiets die Fiskalpolitik mit der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank abstimmen sollen. Dies ist wichtig für die erfolgreiche Inflationsbekämpfung mithilfe der Geldpolitik. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen zur Umsetzung der ersten Säule, die im inklusiven Rahmen der OECD vorgeschlagen wird, verstärken sollten. Dies könnte erhebliche Einnahmen in Mitgliedstaaten generieren, die durch die Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie eine hohe Staatsverschuldung aufgetürmt haben und daher in Krisenzeiten einen immer stärker begrenzten haushaltspolitischen Spielraum haben. |
3.8. |
Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, die Bemühungen um die Vollendung der Kapitalmarktunion und der Bankenunion fortzusetzen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vollendung dieser beiden politischen Aufgaben ein wichtiger Schritt zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion ist. |
3.9. |
Vor dem Hintergrund der Mehrfachkrise müssen die Mitgliedstaaten handeln, um die Haushalte und Unternehmen vor den negativen Auswirkungen zu schützen. Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, den sozialen Dialog zu nutzen, um die Sozialpartner in die Gestaltung und Umsetzung der Maßnahmen einzubeziehen, die erforderlich sind, um die Auswirkungen der Krise abzumildern. Der EWSA unterstützt nachdrücklich den Vorschlag der Kommission. |
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses — Ergänzende Überlegungen zur „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets“ (COM(2021) 742 final (Initiativstellungnahme) (ABl. C 75 vom 28.2.2023, S. 43).
(2) Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (COM(2022) 782 final.
(3) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses — Ergänzende Überlegungen zur „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets“ (COM(2021) 742 final (Initiativstellungnahme) (ABl. C 75 vom 28.2.2023, S. 43).
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/61 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Festlegung des Kurses für einen nachhaltigen Blauen Planeten — Gemeinsame Mitteilung über die Agenda der EU für die internationale Meerespolitik“
(JOIN(2022) 28 final)
(2023/C 140/11)
Berichterstatter: |
Stefano PALMIERI |
Befassung |
Europäische Kommission, 25.11.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Beschluss des Plenums |
15.6.2022 |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Außenbeziehungen |
Annahme in der Fachgruppe |
20.12.2022 |
Verabschiedung im Plenum |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
184/0/1 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Die Meerespolitik als etwas zu betrachten, was nur das Meer betrifft, würde zu kurz greifen. Die Meeresumwelt ist hinsichtlich der Teilbereiche, der Rechtsvorschriften, der Interessenträger auf den verschiedenen Ebenen (lokal, regional und international) und der unterschiedlichen Dimensionen ein komplexes System. Sie ist eng mit terrestrischen Aktivitäten, Strategien und Maßnahmen verflochten und erfordert eine wissensbasierte Unterstützung der Entscheidungsfindung mit einem interdisziplinären integrierten Ansatz und Wissenschaftsdiplomatie. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die vorgeschlagene Einrichtung eines Zwischenstaatlichen Gremiums für die Nachhaltigkeit der Meere. |
1.2. |
Der EWSA begrüßt die Ausweisung von Meeresschutzgebieten und unterstützt die Verwirklichung der CO2-Neutralität und die nachhaltige Schiffsabwrackung. |
1.3. |
Bei der Beschlussfassung und Ergreifung von Maßnahmen muss für Stimmigkeit zwischen den verschiedenen Strategien und Vereinbarungen und für eine transparente Abwägung zwischen Durchführbarkeit und Auswirkungen gesorgt werden. Der EWSA begrüßt, dass die EU als rechtsetzender Akteur auftritt, internationale Netze und Partnerschaften stärkt und der Bedeutung von Forschung und Innovation Rechnung trägt. |
1.4. |
Der EWSA fordert finanzielle Abschreckungsmaßnahmen gegen die Verwendung von Billigflaggen (z. B. die Einrichtung eines aus Bürgschaften für Schiffsabwrackungen gespeisten speziellen Fonds) und schlägt vor, das CO2-Grenzausgleichssystem auf das breite Spektrum von Schadstoffen auszudehnen, die das Meeresökosystem belasten. |
1.5. |
Der EWSA begrüßt den Null-Toleranz-Ansatz in Bezug auf illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei (IUU-Fischerei) und Beifänge und fordert die EU auf, Marktteilnehmer, die sich an die Vorschriften halten, dabei zu unterstützen, auf eine nachhaltige Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände hinzuarbeiten. Der EWSA fordert die Kommission auf, eine nachhaltige schonende handwerkliche Fischerei und Industriefischerei sowie eine klimaneutrale Aquakultur und Algenkultur zu fördern, um die ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit der Regionen zu gewährleisten. |
1.6. |
Im Bereich des Tiefseebergbaus sind noch belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse erforderlich, um die langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt bewerten zu können. Der EWSA begrüßt, dass die Kommission den Vorsorgeansatz anwendet, und fordert ein Moratorium für die Vergabe von Bergbaulizenzen durch die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA). Der EWSA fordert die Einrichtung internationaler unabhängiger wissenschaftlicher Gremien, um eine wissensbasierte Unterstützung bei der Entscheidungsfindung und der Ergreifung von Maßnahmen zu ermöglichen. |
1.7. |
Die Auswirkungen nicht gezündeter Sprengkörper, neu auftretender Schadstoffe und von Naturkatastrophen können die Nutzung des Meeresraums und die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen/geopolitischen Szenarien verändern. Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Kommission, diese Problemstellungen anzugehen. |
1.8. |
Sicherheit und Gefahrenabwehr auf See sind von grundlegender Bedeutung. Bei Kompetenzen und Technologien bedarf es eines Generationswechsels, im Zuge dessen angemessene Lebens- und Arbeitsbedingungen sichergestellt werden müssen. Der EWSA ruft außerdem die Mitgliedstaaten dazu auf, das Übereinkommen Nr. 188/2007 (1) der Internationalen Arbeitsorganisation zu ratifizieren und wirksam in nationales Recht umzusetzen (2). Der EWSA begrüßt die Richtlinie (EU) 2017/159 des Rates (3) und fordert eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Verfahrens, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitskräfte im Seefischereisektor zu schützen. |
1.9. |
Der EWSA weist erneut darauf hin, wie wichtig es ist, dass die Gebiete in äußerster Randlage (4) aufgrund ihrer geografischen Merkmale eine Schlüsselrolle im Rahmen der Meerespolitik übernehmen, worauf zwar in der Mitteilung COM(2022) 198 final (5) hingewiesen wird, keineswegs aber in der gemeinsamen Mitteilung JOIN(2022) 28 final. |
1.10. |
Im Interesse einer neuen und gestärkten internationalen Meerespolitik, die von der EU gefördert wird, fordert der EWSA eine wirksame und transparente Einbeziehung verschiedener Interessenträger in die Entwicklung einer wissensbasierten Unterstützung der Politik in allen Phasen dieses Prozesses, von der Konsultation über die gemeinsame Planung bis hin zur Umsetzung und abschließenden Bewertung, sowie in die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Um der Komplexität der Herausforderungen gerecht zu werden, könnten neue Organisationsformen eingeführt werden. |
1.11. |
Der EWSA fordert eine weite Verbreitung von Kenntnissen über das Seerecht unter allen Unionsbürgerinnen und -bürgern. Es ist ein internationales Gesetz erforderlich, um verschiedene Zuständigkeitsbereiche (u. a. Küstengrenzen, Wirtschaftszonen, Schutz der Meeresressourcen, Definition des Begriffs „sicherer Hafen“) zu regeln, insbesondere um die internationalen Verpflichtungen hinsichtlich der Bergung und Rettung auf See klarzustellen, indem die Begriffe „Gefahr“ und „Such- und Rettungsmethoden“ (6) festgeschrieben werden. Der EWSA fordert eine angemessene Durchsetzung dieser Regel und bekräftigt das Grundprinzip, dass Menschen in Seenot selbstverständlich und bedingungslos gerettet und in einen sicheren Hafen gebracht werden müssen. |
1.12. |
Angesichts der geopolitischen und ökologischen Bedeutung der Arktis begrüßt der EWSA, dass sich die EU dazu verpflichtet, das Übereinkommen zur Verhinderung der unregulierten Hochseefischerei im zentralen Nordpolarmeer uneingeschränkt umzusetzen, die Bemühungen um die Ausweisung von Meeresschutzgebieten in der Arktis und das Verbot der Exploration von Kohlenwasserstoffen (7). |
1.13. |
Der EWSA hält die geplanten Investitionen zur Bewältigung der meerespolitischen Herausforderungen für nicht ehrgeizig genug und fordert daher die Einrichtung eines angemessenen Ozeanfonds zur Unterstützung bei der Bewältigung maritimer Herausforderungen. |
2. Allgemeine Bemerkungen zum Bezugsrahmen
2.1. |
Zu den größten Herausforderungen im Bereich der meeresbezogenen und maritimen Fragen gehört die Kohärenz zwischen den auf den verschiedenen Ebenen (international, national, regional und lokal) ergriffenen Maßnahmen und zwischen den Sektoren. Viele widerstreitende Forderungen können Maßnahmen beeinträchtigen und deren Wirkung drastisch schmälern. |
2.2. |
Die Meerespolitik erfordert eine wissensbasierte Unterstützung der Entscheidungsfindung. Der Mensch wirkt nicht nur durch seine Aktivitäten auf See (Bergbau, Fischerei, Verkehr) auf die Meeresumwelt ein, sondern auch durch Tätigkeiten an Land, die die Umwelt in größerem Maßstab verschmutzen (u. a. mit Abfall, Pestiziden, Antibiotika, Phosphaten, Kunststoffen und Sprengstoffen). Daher ist es wichtig, die Ozeane nicht nur in das Nachhaltigkeitsziel 14, sondern auch in diejenigen Ziele aufzunehmen, die die industrielle Produktion und kollektive Verhaltensweisen betreffen. Für ein gesundes und produktives Meeresökosystem ist ein stärker integrierter Ansatz erforderlich, der Aspekte umfasst, die sich nicht auf meeresbezogene und maritime Fragen beschränken. |
2.3. |
In den letzten Jahren, als sich in vielen Zusammenhängen herausgestellt hat, wie komplex die Ozeane sind, wurden neue Formen der meerespolitischen Steuerung entwickelt, die in erster Linie auf der Markt- und Netzwerkwissenschaft beruhen. Komplexe Systeme sind schwer zu kontrollieren, und ihre Dynamik lässt sich nicht leicht langfristig vorhersagen. Ozeane sind ein komplexes System, bei dem die enorme Unterschiedlichkeit der Regeln für Küsten- und Offshore-Gebiete, Streitigkeiten auf Ebene der nationalen Regierungen und des Privatsektors darauf hindeuten, dass eine erneuerte Wissenschaftsdiplomatie erforderlich sein könnte, um die Herausforderungen zu bewältigen. Der EWSA meint, dass zur Integration der verschiedenen und miteinander verknüpften Dimensionen zweckdienliche Managementinstrumente und Schnittstellen zwischen den Politikbereichen entwickelt werden müssen. |
2.4. |
Der EWSA begrüßt, dass die EU als rechtsetzender Akteur auftritt, internationale Netze und Partnerschaften stärkt, der Bedeutung von Forschung und Innovation Rechnung trägt, Lösungen und Leitlinien bietet und einschlägige Initiativen fördert. |
3. Bewertung der Kommissionsmitteilung
Der Vorschlag ist in vier Bereiche gegliedert: 1) Stärkung des Rahmens für die internationale Meerespolitik, 2) Nachhaltigkeit der Ozeane bis 2030, 3) Sicherheit und Gefahrenabwehr auf See und 4) Aufbau von Wissen über die Ozeane.
3.1. Stärkung des Rahmens für die internationale Meerespolitik
3.1.1. |
Der EWSA begrüßt, dass die Kommission zusagt, die Umsetzung höchster internationaler Standards in Bezug auf Transparenz, verantwortungsvolle Staatsführung und Einbeziehung der Interessenträger in internationalen Organisationen wie der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) und der Welthandelsorganisation (WTO) zu unterstützen. |
3.1.2. |
Der EWSA bekräftigt die Rolle, die die EU im legislativen Bereich spielt, auch durch die Wissenschaftsdiplomatie und die Stärkung von Netzwerken und Partnerschaften auf internationaler Ebene. Insbesondere betont er, dass ein System zur Überwachung und zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen eingeführt werden muss. Er begrüßt die Ausweisung von Meeresschutzgebieten und die Ergreifung anderer wirksamer gebietsbezogener Erhaltungsmaßnahmen mit einem Ziel von 30 % bis 2030, sofern ihre Bedeutung für das Funktionieren des Meeressystems anerkannt ist und die Maßnahmen auf der Grundlage einer Analyse der Wirkung und Effizienz in den einzelnen betroffenen Gebieten unter Berücksichtigung der Kosten, der Verantwortlichkeiten, des zeitlichen Rahmens und der Überwachung ergriffen werden. |
3.1.3. |
Der EWSA stellt fest, dass trotz einiger technischer Fortschritte in den letzten Jahren Berichten zufolge die langfristigen Folgen des Tiefseebergbaus nach wie vor sichtbar sind und sich das Ökosystem in Gebieten, in denen dieser bereits vor vielen Jahrzehnten betrieben wurde, noch immer nicht vollständig erholt hat (8). Der EWSA begrüßt, dass der Vorsorgeansatz angewendet wird, und fordert ein Moratorium für die Vergabe von Bergbaulizenzen durch die ISA. Der EWSA fordert die ISA auf, ein internationales unabhängiges wissenschaftliches Gremium einzurichten, um wissensbasierte Analysen in klare politische Entscheidungen umsetzen zu können. Zudem schlägt er vor, Investitionen in Forschung und Entwicklung zu fördern, um alternative Lösungen für auf dem Meeresgrund abgebaute Stoffe zu finden. |
3.1.4. |
Die handwerkliche Küstenfischerei und die Aquakultur tragen entscheidend zum Überleben vieler Küstenorte und zur Erhaltung ihres kulturellen Erbes bei. Die Fischerei im Allgemeinen, und insbesondere die traditionelle und die handwerkliche Fischerei mussten den höchsten Preis für die Wirtschaftskrise zahlen, weshalb der Sektor heute eine spezifische Strategie benötigt, um seine Marktstellung wieder zu festigen (9). Der EWSA fordert geeignete Maßnahmen, um diese Aktivitäten zu stärken, die Einkommensquellen vor Ort zu diversifizieren (z. B. Küstentourismus und Wassersportaktivitäten), eine berufliche Umorientierung zu erleichtern, wirtschaftlich schwache Regionen zu unterstützen und ökologische Nachhaltigkeit zu fördern (10). |
3.1.5. |
Der EWSA begrüßt den Null-Toleranz-Ansatz in Bezug auf illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei (IUU-Fischerei) und fordert die EU auf, Marktteilnehmer, die sich an die Vorschriften halten, dabei zu unterstützen, auf eine nachhaltige Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände hinzuarbeiten. Er bekräftigt, dass die EU in den Dialogen mit Drittstaaten über Fischereifragen die Einhaltung internationaler Verpflichtungen fördern sollte. In diesem Zusammenhang sieht der EWSA die partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei als wichtigen Beitrag zu einem soliden Rahmen für die Zusammenarbeit mit einer Reihe von Nicht-EU-Partnerländern. |
3.1.6. |
Durch die derzeitigen drastischen Veränderungen in der Arktis können die Umwelt und das geopolitische Gleichgewicht bedroht werden. Der EWSA begrüßt, dass sich die EU dazu verpflichtet, das Übereinkommen zur Verhinderung der unregulierten Hochseefischerei im zentralen Nordpolarmeer uneingeschränkt umzusetzen, die Bemühungen um die Ausweisung von Meeresschutzgebieten in der Arktis und das Verbot der Exploration von Kohlenwasserstoffen (11). |
3.1.7. |
Der EWSA ist sich bewusst, wie schwierig die Umsetzung von Maßnahmen in Gebieten außerhalb nationaler Hoheitsgewalt ist, betont, dass für Kohärenz zwischen den verschiedenen Partnerschaften und Abkommen gesorgt werden muss, und unterstützt die Bemühungen der EU in den laufenden Verhandlungen über einen Vertrag über die Hohe See. |
3.2. Nachhaltigkeit der Ozeane bis 2030
3.2.1. |
Der EWSA begrüßt die Zusagen und Anstrengungen, die mit Blick auf die Erreichung der CO2-Neutralität bis 2050 gemacht werden. Der EU kommt im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) eine wichtige Rolle dabei zu, einen globalen legislativen und operativen Prozess zur Dekarbonisierung der maritimen Wirtschaft und des Fischereisektors voranzutreiben. |
3.2.2. |
Der EWSA ist sich bewusst, dass die Bekämpfung der Meeresverschmutzung eine schwierige Aufgabe ist. Die Lage wird aufgrund des Zusammentreffens verschiedener Quellen, einschließlich landseitiger Quellen, sowie der Vielfalt der Interessenträger und der legislativen Grenzen verkompliziert. Der Ausschuss betont, dass die Vielfalt der Schadstoffe angegangen und wirksame Maßnahmen gefördert werden müssen. Der EWSA hält es für erforderlich, für Kohärenz zu sorgen und auch solche Aspekte einzubeziehen, die über die Meerespolitik hinausgehen (z. B. diejenigen, die in der Null-Schadstoff-Strategie, der Biodiversitätsstrategie und der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (12) genannt werden) und sich stark auf die Meeresverschmutzung auswirken (13). |
3.2.3. |
Nicht gezündete Sprengkörper (unexploded ordnance, UXO) umfassen im Meer versunkene konventionelle explosive Kampfmittel und chemische Waffen. In der Vergangenheit wurde die Bedrohung durch UXO auf See als niedrig eingestuft, obwohl sie unbestreitbar ist. Das Problem erfordert dringend eine Strategie, da die Nachfrage verschiedener Wirtschaftszweige nach Meeresraum steigt und die meisten Kampfmittel inzwischen korrodieren und toxische, krebserzeugende, erbgutverändernde und Fehlbildungen bewirkende Stoffe freisetzen. Es sind Detektions-, Überwachungs- und Eindämmungsmaßnahmen unter Rückgriff auf gemeinsame europäische Kenntnisse und technische Unterstützung erforderlich (14). |
3.2.4. |
Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Kommission um eine Verringerung der Umweltauswirkungen versunkener Munition und stellt fest, dass die Risiken nicht nur UXO aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, sondern auch solche anderer Konflikte (z. B. im Balkan und in der Ukraine) betreffen und sich zudem nicht auf die mögliche Toxizität ausgetretener Stoffe beschränken, sondern auch von einer unbeabsichtigten Detonation oder Selbstzündung Gefahr ausgeht. |
3.2.5. |
Der EWSA ist sich der ökologischen Auswirkungen von Fanggeräten auf das Ökosystem gewahr und stellt fest, dass viele vorgeschlagene Lösungen angesichts ihrer Kosten nicht tragfähig sind oder auf globaler Ebene nur geringe Wirkung zeigen. Der EWSA fordert zur leichteren Bewältigung dieser Herausforderung neue Technologien/Materialien, die von Ausgleichsmaßnahmen und maßgeschneiderten Kampagnen zur Sensibilisierung der Fischer für die ihnen gebotenen Möglichkeiten flankiert werden (15). |
3.2.6. |
Die Überfischung der Bestände und die Beifangfischerei werden weltweit als echtes Problem anerkannt. Die Fischerei hat für viele Arten weitreichende Folgen, weshalb es berechtigte Bedenken gibt, dass dies die Nachhaltigkeit einiger Arten gefährden könnte, wodurch das Gleichgewicht des gesamten Meeresökosystems bedroht würde. Gleichzeitig sind die Tätigkeiten lokaler Fischer ein wichtiger Aspekt der ortstypischen Kultur und der nachhaltigen Wirtschaft. Sie versorgen die Bürgerinnen und Bürger in einem aus ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Sicht nachhaltigen Prozess mit gesunden Nahrungsmitteln. Die anthropogene Belastung der Fischbestände lässt sich durch die Förderung einer klimaneutralen Aquakultur (einschließlich Algenkultur) verringern. |
3.2.6.1. |
Angesichts der genannten Aspekte fordert der EWSA
|
3.2.7. |
Der Seeverkehr macht mehr als 90 % des weltweiten Frachthandels aus und bildet damit das Rückgrat der Weltwirtschaft. Hochseeschiffe können auch am Ende ihrer Lebensdauer noch eine bedeutende Verschmutzungsquelle sein. Schiffseigner in Hocheinkommensländern verschleiern häufig die wahre Identität ihrer Schiffe, indem sie sie in Steueroasen registrieren lassen, auch um Umweltvorschriften zu umgehen. Diesbezügliche internationale und regionale Bemühungen zur Bekämpfung dieser Verhaltensweisen sind bislang gescheitert (16). Noch immer wird als letzte Flagge diejenige von Billigflaggennationen verwendet. Auch EU-Länder tun dies, um sich den Vorschriften zu entziehen und Geld zu sparen. Der EWSA schlägt vor, die Schiffsabwrackung als bedeutende Quelle der Meeresverschmutzung einzustufen, und fordert die EU auf a) sich für eine strengere verbindliche Regulierung einzusetzen, b) die Abwrackung zu überwachen, um Schlupflöcher zur Umgehung der Umweltschutzvorschriften zu schließen, und c) finanzielle Abschreckungsmaßnahmen gegen die Verwendung von Billigflaggen zu ergreifen, z. B. indem ein spezieller Fonds eingerichtet wird, der aus über die Lebensdauer des Schiffes hinweg geleisteten Bürgschaften für Schiffsabwrackungen gespeist wird, um die Einhaltung der EU-Standards im Bereich Umweltschutz und Sicherheit auch über das Hoheitsgebiet der EU hinaus zu gewährleisten. |
3.3. Sicherheit und Gefahrenabwehr auf See
3.3.1. |
Der EWSA rät der EU, ihre Rolle als Hüterin der maritimen Sicherheit inner- und außerhalb ihrer Grenzen stärker wahrzunehmen. Der EWSA fordert die EU auf, angesichts der jüngsten geopolitischen Entwicklungen mögliche Meeresgebiete von Interesse zu ermitteln und sich auf neue Prioritäten zu konzentrieren. |
3.3.2. |
Der EWSA begrüßt die Bemühungen der EU, jegliche Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit auf See zu fördern und umzusetzen. Der Ausschuss fordert die EU auf, die Palette der Sektoren, die an möglicherweise umwelt- und gesundheitsschädigenden Aktivitäten auf See beteiligt sind, um weitere Bereiche wie Tourismus, Schiffsabwrackung und Schiffbau, Energie und Aquakultur zu erweitern. Er ruft ferner dazu auf, bei der vielfältigen Logistik für meeresbezogene und maritime Tätigkeiten (u. a. Werften, Häfen und Schiffe) den Schwerpunkt auf die Modernisierung der Technologien (z. B. umweltfreundliche Antriebssysteme) die Arbeitsplätze und die Arbeitsbedingungen zu legen. |
3.3.3. |
Der EWSA empfiehlt, mithilfe von Folgenabschätzungen in den Bereichen i) Beschäftigung, ii) Arbeitsentgelt, iii) Technologien, iv) angemessene Lebens- und Arbeitsbedingungen und v) Ausbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für eine rechtliche Kohärenz zwischen den Maßnahmen zur Erhaltung der Meeresökosysteme und den Vorschriften über die Sicherheit und die Arbeitsbedingungen auf See zu sorgen. Außerdem fordert er im Sinne einer integrierten Bewirtschaftung des Meeresraums eine bessere Koordinierung zwischen den verschiedenen Ressorts und Dienststellen der Behörden auf allen Ebenen (17). |
3.3.4. |
Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, das Übereinkommen Nr. 188 der Internationalen Arbeitsorganisation zu ratifizieren und die erforderlichen Mittel für seine ordnungsgemäße Umsetzung in nationales Recht und seine Anwendung bereitzustellen. Der EWSA begrüßt die Richtlinie (EU) 2017/159 des Rates (18) und fordert, ihren Anwendungsbereich auf die kumulative Wirkung der langfristigen Folgen für die menschliche Gesundheit auszudehnen. Darüber hinaus weist der EWSA darauf hin, dass wirklich ehrgeizige EU-Rechtsvorschriften über die Nachhaltigkeit von Unternehmen und Zwangsarbeit erforderlich sind (19). |
3.3.5. |
Der EWSA erachtet es als erforderlich, allgemeine Grundsätze und praktische Leitlinien für faire Dienstleistungen im Hinblick auf den Arbeitsmarkt in diesen Sektoren zu entwickeln. Dazu gehören: a) ausreichende und angemessene Informationen für die Eigner von Fischereifahrzeugen und in Bezug auf (grenzüberschreitende) Arbeitsmarktdienstleistungen; b) Standardverträge für (grenzüberschreitende) Arbeitsmarktdienstleistungen; c) ausreichende und angemessene Informationen für Fischer, die eine Beschäftigung an Bord von (ausländischen) Fischereifahrzeugen suchen, und d) Beschwerdeverfahren (20). |
3.3.6. |
Mit dem Wissen über die Meere und Ozeane und der Sicherheit auf See ist das Erfordernis verbunden, möglichst weit Kenntnisse über das Seerecht zu verbreiten und dieses wirkungsvoll durchzusetzen. Es ist ein internationales Gesetz erforderlich, um verschiedene Zuständigkeitsbereiche (u. a. Küstengrenzen, Wirtschaftszonen, Schutz der Meeresressourcen, Definition des Begriffs „sicherer Hafen“) zu regeln, insbesondere um die internationalen Verpflichtungen hinsichtlich der Bergung und Rettung auf See klarzustellen, indem die Begriffe „Gefahr“ und „Such- und Rettungsmethoden“ festgeschrieben werden. |
3.3.7. |
Naturkatastrophen (Überschwemmungen, Tsunamis, Extremereignisse) können Auswirkungen auf die Meeresumwelt haben, was zu indirekten Risiken für menschliche Tätigkeiten und die menschliche Gesundheit führen kann. Der EWSA betont, dass Naturkatastrophen als mögliche Gefahrenquellen für die Umwelt und für Aktivitäten auf See im Allgemeinen angegangen werden müssen. |
3.4. Aufbau von Wissen über die Ozeane
3.4.1. |
Der EWSA stellt fest, dass Meere aufgrund der miteinander verflochtenen Umweltvariablen und der Vielfalt der Interessenträger, Rechtsvorschriften, Kulturen und lokalen Kapazitäten komplexe Systeme sind. Der EWSA fordert eine wirksame und transparente Einbeziehung verschiedener Disziplinen und Fachkenntnisse (Daten, Komplexität und Netzwerkwissenschaft, Psychologie, Soziologie, Wirtschaft) in die Entwicklung einer wissensbasierten Unterstützung der Politik (wie vom Zwischenstaatlichen Gremium für die Nachhaltigkeit der Meere (IPOS) vorgeschlagen). |
3.4.2. |
Die gewonnenen Kenntnisse und angewandten Verfahren belegen neue Formen der meerespolitischen Governance, bei denen im Falle der erfolgreichen Entwicklung einer dezentralen Organisation die Herausforderungen der Komplexität mit selbstorganisierenden Strukturen angegangen werden. Der EWSA fordert, bewährte Verfahren und Modelle auf alle Bereiche der blauen Wirtschaft auszudehnen, auch auf diejenigen, die neue Arbeitsplätze und Wachstum schaffen können (wie u. a. der Tourismus und der Tauchsport), und den öffentlichen Sektor. Die Zuweisung von Mitteln für eine nachhaltige blaue Wirtschaft sollte der heutigen und künftigen Generationen einen sozialen und wirtschaftlichen Nutzen bringen, die Vielfalt, Produktivität, Widerstandsfähigkeit und den inneren Wert von Meeresökosystemen wiederherstellen und erhalten und saubere Technologien, erneuerbare Energien sowie das Recycling unterstützen (21). |
3.4.3. |
Die Zivilgesellschaft und die lokalen Interessenträger sollten in alle Phasen eingebunden werden, d. h. von der Konsultation und der gemeinsamen Ausarbeitung von Plänen über die Umsetzung bis hin zur abschließenden Bewertung. Das Wissen über die Ozeane ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, einen gesellschaftlichen Wandel hin zu einer integrierten Nachhaltigkeit des Systems herbeizuführen. Bei den organisatorischen Strukturen und Prozessen sollten der sozialen Dimension und der wissenschaftlichen Unterstützung im Hinblick auf eine integrierte Nachhaltigkeit Vorrang gegeben und Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung des sozialen Dialogs, zur Erhöhung der Sicherheit, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, zur Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, zur Entwicklung der Kompetenzen der Arbeitnehmer und zur Gewährleistung des Generationswechsels (22) gestärkt und finanziert werden. |
3.4.4. |
Der EWSA begrüßt die Praxis der EU, Meeresdaten und Meeresbeobachtungen auszutauschen. Er erkennt die Bedeutung mariner Dienstleistungen und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft sowie die Kosten der Meeresinfrastrukturen an, die enorme Investitionen aus nationalen Mitteln erfordern. Der Ausschuss stellt fest, dass es nach wie vor schwierig ist, anhand einer Modellierung der Komplexität des Meeresökosystems zu verstehen, wie das Ökosystem funktioniert und mit menschlichen Tätigkeiten interagiert. Der EWSA fordert die EU auf, einen freien Zugang zu Daten und deren Weiterverwendung zu fördern und zudem innovative Ansätze zu finanzieren, um die Kosten für Meeresbeobachtungen zu senken und eine wirksame Bewertung des guten Umweltzustands (23) zu ermöglichen. |
3.4.5. |
Der EWSA unterstreicht, dass bei der Wissenschaftsdiplomatie und in Verhandlungen ein wissenschaftlicher Ansatz verfolgt werden muss. Im Interesse effektiver Nachhaltigkeit und praktikabler Maßnahmen fordert er Schulungen für Endnutzerinnen und Endnutzer sowie Führungskräfte, auch auf lokaler Ebene. |
4. Kritische Fragen
4.1. |
Der Begriff der Governance ist mit einer Vielzahl unterschiedlicher Gesichtspunkte verbunden, von der Entscheidungsfindung bis hin zu politischen Instrumenten. Die Unschärfe des Begriffs „Governance“ könnte dazu beigetragen haben, dass er so gern und manchmal wohl auch missbräuchlich verwendet wird. Ozeane kennen keine politischen Grenzen und sind außerdem eng mit terrestrischen Nutzungen verquickt. Die Herausforderungen können nicht von einzelnen Ländern allein bewältigt werden, sondern erfordern einen transnationalen Ansatz mit einer praktikablen und wirksamen Lastenteilung und Aufteilung der Verantwortlichkeiten und gemeinsam konzipierten Systemen, gemeinsamen Aktionsplänen und Maßnahmen, die die lokalen Anstrengungen in einen umfassenden regionalen Rahmen einbinden. Zur Bereitstellung organisatorischer Strukturen für verschiedene Dimensionen reicht eine einzige Governance-Methode nicht aus. In diesem Zusammenhang stellt der EWSA fest, dass eine wissensbasierte Unterstützung der Entscheidungsfindung, die Wissenschaftsdiplomatie und über Länder und Sektoren hinweg kohärente Rechtsvorschriften eine wesentliche Voraussetzung dafür sind, die komplexen Herausforderungen der Meere bewältigen zu können. |
4.2. |
Infolge der stetigen Nachfrage der Wirtschaft nach Meeresraum wird das Meeressystem angesichts der ineinandergreifenden Umweltvariablen immer komplexer. Die Vielfalt der Interessenträger, Rechtsvorschriften, Kulturen und lokalen Kapazitäten schlägt sich in der Konzipierung und Umsetzung von Maßnahmen nieder, die ökologisch, wirtschaftlich und sozial nachhaltig sein können. Der EWSA dringt darauf, bei der Entwicklung einer wissensbasierten Unterstützung der Meerespolitik einen transparenten wissenschaftlichen Ansatz zur Einbeziehung verschiedener Disziplinen (Daten, Komplexität und Netzwerkwissenschaft, Psychologie, Soziologie, Wirtschaft usw.) zu verfolgen. |
4.3. |
Ein entscheidender Faktor für die Zukunft vieler Sektoren, die an meeresbezogenen Aktivitäten teilhaben, ist der „Generationswechsel“. Einige Aspekte, die kaum mit der politischen Steuerung zusammenzuhängen scheinen, tragen indirekt zum Erfolg eines wirksamen Managements meeresbezogener Aktivitäten bei. Viele Initiativen zur Modernisierung der Technologien, für die berufliche Bildung und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen sind sinnvoll, erfordern aber auch flankierende Maßnahmen und eine akzeptable Kapitalrendite (24). |
4.4. |
Hauptziel einer erfolgreichen Meerespolitik ist und bleibt die Nachhaltigkeit der Aktivitäten, und alle Sektoren sollten in die Lage versetzt werden, dazu beizutragen. Der EWSA fordert die Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und der Arbeitsbedingungen, z. B. in den Bereichen Ausbildung, Beratung, Förderung des Humankapitals, sozialer Dialog, Gesundheit und Sicherheit. Der EWSA fordert die beiden gesetzgebenden Organe auf, bei den organisatorischen Strukturen und Prozessen (d. h. der Governance) der sozialen Dimension einen hohen Stellenwert zu geben, indem sie Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung des sozialen Dialogs, der Sicherheit, der Arbeitsbedingungen und der Kompetenzen stärken und finanzieren. |
4.5. |
Der EWSA hält die geplanten Investitionen zur Bewältigung der meerespolitischen Herausforderungen für nicht ehrgeizig genug. Für die Beseitigung von Verschmutzungsquellen, Eindämmungsmaßnahmen und das Management der Aktivitäten auf See in allen Sektoren sind angemessene finanzielle Anstrengungen, strukturiertes Handeln und ein Engagement der Zivilgesellschaft erforderlich. Der EWSA begrüßt die Bemühungen um eine Verringerung der Treibhausgasemissionen und zur Schaffung von Anreizen für die leistungsstärksten Akteure und Innovationen (25). Dies kann sowohl der Dekarbonisierung des Seeverkehrssektors als auch der Einrichtung eines Ozeanfonds zur Unterstützung bei der Bewältigung maritimer Herausforderungen dienlich sein. Der EWSA fordert außerdem, das CO2-Grenzausgleichssystem auf ökologische und soziale Aspekte auszudehnen. |
4.6. |
Die Gebiete in äußerster Randlage können aufgrund ihrer geografischen Merkmale maßgeblich dazu beitragen, alle Chancen im Bereich der Ozeane, Meere und Meeresressourcen zu nutzen, die angesichts ihres großen Potenzials zur Stärkung der Wirtschaft, zur Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze und zur Sicherung des Wohlergehens der Bürgerinnen und Bürger vorrangig behandelt werden müssen (26). Aus all diesen Gründen ist der EWSA der Ansicht, dass die besondere Rolle, die die Gebiete in äußerster Randlage bei der Umsetzung der Meerespolitik spielen können, gestärkt werden sollte, insbesondere a) im Rahmen der Mission „Wiederbelebung unserer Ozeane und Gewässer bis 2030“, b) bei der Erhebung und Überwachung von Daten über die Fischereitätigkeit, c) bei der Bekämpfung illegaler und nichtselektiver Fischerei und bei der Förderung nachhaltiger Fischerei und d) beim Austausch von Wissen über maritime Raumplanung (27). |
4.7. |
Bei der Verbreitung von Wissen über die Ozeane werden auch die meeresbezogenen Herausforderungen herausgestellt. Zudem kann sie zur Förderung von Lösungen beitragen. In den Medien und in der Politik ging es viel um Plastikmüll, dabei ist er lediglich eines der Probleme der Meere und Ozeane. Die Verbindungen zwischen meeresbezogenen Herausforderungen und sowohl terrestrischen Nutzungen als auch dem Verbraucherverhalten geraten oft aus dem Blick. Der EWSA mahnt eine umfassendere und transparentere Kommunikation über die Ozeane an, wobei auch eine Verbindung zwischen Rechtsetzung und Tätigwerden auf See und an Land herzustellen ist. Damit wird hoffentlich der Weg für eine Umstellung der Industrieproduktion und für neue Technologien und Arbeitsplätze geebnet, die stärker auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. |
4.8. |
Der jüngste Krieg in der Ukraine hat die politischen Verhältnisse verändert und die Aufmerksamkeit auf unerwartete Notlagen (Energieversorgung, Inflation) gelenkt. Unerwartete Herausforderungen (wie die Sicherheit der Nord-Stream-Pipelines und der im Schwarzen Meer versunkenen Munition sowie die geopolitische strategische Bedeutung der Arktis) erfordern zusätzliche Anstrengungen, um geeignete gemeinsame Maßnahmen zu ergreifen. Obwohl sich der Krieg auch auf die Zahl der Migranten auf der Westbalkanroute ausgewirkt hat, bleibt der Migrationsdruck durch Überfahrten auf der Mittelmeerroute groß, was eine starke Belastung für die Aufnahmekapazität einiger EU-Mitgliedstaaten bedeutet und für die Menschen die Gefahr von Zwischenfällen mit sich bringt. Der EWSA fordert die EU auf, größere Anstrengungen zur Finanzierung von Initiativen für die Förderung der Sicherheit auf See zu unternehmen, denn aufgrund der klimatischen und wirtschaftlichen Probleme wird sich die Lage voraussichtlich weiter verschlimmern. |
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Übereinkommen Nr. 188/2007 der ILO über die Arbeit im Fischereisektor.
(2) Bislang wurde das Übereinkommen Nr. 188 von 167 Staaten noch nicht ratifiziert; zu diesen gehören 19 EU-Mitgliedstaaten, darunter wichtige Küstenstaaten wie Deutschland, Finnland, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Malta, Schweden, Spanien und Zypern.
(3) Richtlinie (EU) 2017/159 des Rates vom 19. Dezember 2016 zur Durchführung der Vereinbarung über die Durchführung des Übereinkommens über die Arbeit im Fischereisektor von 2007 der Internationalen Arbeitsorganisation, die am 21. Mai 2012 zwischen dem Allgemeinen Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften der Europäischen Union (COGECA), der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) und der Vereinigung der nationalen Verbände von Fischereiunternehmen in der Europäischen Union (Europêche) geschlossen wurde (ABl. L 25 vom 31.1.2017, S. 12).
(4) Bei den Gebieten in äußerster Randlage handelt es sich um Inseln, Inselgruppen und ein Festlandgebiet (Französisch-Guayana). Diese insgesamt neun Gebiete liegen im westlichen Atlantik, in der Karibik, im Amazonasgebiet und im Indischen Ozean und umfassen Französisch-Guayana, Guadeloupe, Martinique, Saint-Martin, Réunion und Mayotte (Frankreich), die Azoren und Madeira (Portugal) und die Kanarischen Inseln (Spanien).
(5) COM(2022) 198 final, „Die Menschen in den Mittelpunkt stellen — nachhaltiges und inklusives Wachstum sichern — das Potenzial der Gebiete in äußerster Randlage der EU erschließen“.
(6) Internationales Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See, 29. April 1979, Hamburg; Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, 10. Dezember 1982, Montego Bay; Internationales Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, 25. Mai 1980.
(7) Gemeinsame Mitteilung der Kommission und des EAD „Verstärktes Engagement der EU für eine friedliche, nachhaltige und prosperierende Arktis“ (JOIN(2021) 27 final).
(8) Siehe https://www.jpi-oceans.eu/en/ecological-aspects-deep-sea-mining.
(9) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Die soziale Dimension der Fischerei“ (Sondierungsstellungnahme) (ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 67).
(10) https://oceans-and-fisheries.ec.europa.eu/publications/communication-commission-towards-strong-and-sustainable-eu-algae-sector_en.
(11) Gemeinsame Mitteilung „Verstärktes Engagement der EU für eine friedliche, nachhaltige und prosperierende Arktis“ (JOIN(2021) 27 final).
(12) Richtlinie 2005/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen für Verstöße (ABl. L 255 vom 30.9.2005, S. 11); Richtlinie (EU) 2019/883 des europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über Hafenauffangeinrichtungen für die Entladung von Abfällen von Schiffen, zur Änderung der Richtlinie 2010/65/EU und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/59/EG (ABl. L 151 vom 7.6.2019, S. 116).
(13) OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 2011 und Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte 2011.
(14) Siehe https://www.jpi-oceans.eu/en/munition-sea.
(15) Siehe die freiwilligen Leitlinien der FAO für die Kennzeichnung von Fanggerät und die Arbeiten der regionalen Fischereiorganisationen und im Rahmen regionaler Meeresübereinkommen.
(16) Siehe Wan et al.: Marine Policy, 2021.
(17) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Die soziale Dimension der Fischerei“ (Sondierungsstellungnahme) (ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 67).
(18) Richtlinie (EU) 2017/159 des Rates vom 19. Dezember 2016 zur Durchführung der Vereinbarung über die Durchführung des Übereinkommens über die Arbeit im Fischereisektor von 2007 der Internationalen Arbeitsorganisation, die am 21. Mai 2012 zwischen dem Allgemeinen Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften der Europäischen Union (COGECA), der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) und der Vereinigung der nationalen Verbände von Fischereiunternehmen in der Europäischen Union (Europêche) geschlossen wurde (ABl. L 25 vom 31.1.2017, S. 12).
(19) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Die soziale Dimension der Fischerei“ (Sondierungsstellungnahme) (ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 67); Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937 (COM(2022) 71 final); Vorschlag für eine Verordnung über ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt (COM(2022) 453 final).
(20) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Die soziale Dimension der Fischerei“ (Sondierungsstellungnahme) (ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 67).
(21) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 508/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates“ (COM(2018) 390 final — 2018/0210 (COD)) (ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 104).
(22) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 508/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates“ (COM(2018) 390 final — 2018/0210 (COD)) (ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 104).
(23) https://jpi-oceans.eu/en/science-good-environmental-status
(24) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Die soziale Dimension der Fischerei“ (Sondierungsstellungnahme) (ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 67).
(25) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union, des Beschlusses (EU) 2015/1814 über die Einrichtung und Anwendung einer Marktstabilitätsreserve für das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union und der Verordnung (EU) 2015/757“ (COM(2021) 551 final — 2021/0211 (COD)) sowie zum „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/1814 in Bezug auf die Menge der Zertifikate, die bis 2030 in die Marktstabilitätsreserve für das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union einzustellen sind“ (COM(2021) 571 final — 2021/0202 (COD)) (ABl. C 152 vom 6.4.2022, S. 175); Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Anpassung des EHS und des CO2-Grenzausgleichssystems an die Bedürfnisse der Städte und Regionen der EU (ABl. C 301 vom 5.8.2022, S. 116); Abänderungen des Europäischen Parlaments vom 22. Juni 2022 zur „Überarbeitung des Emissionshandelssystems der EU“.
(26) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Gebiete in äußerster Randlage und ihr Nutzen für die EU“ (Sondierungsstellungnahme) (ABl. C 194 vom 12.5.2022, S. 44).
(27) COM(2022) 198 final.
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/69 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Macht von Handelspartnerschaften: gemeinsam für ein grünes und gerechtes Wirtschaftswachstum“
(COM(2022) 409 final)
(2023/C 140/12)
Berichterstatterin: |
Tanja BUZEK |
Befassung |
Europäische Kommission, 26.7.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Beschluss des Plenums |
13.7.2022 |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Außenbeziehungen |
Annahme in der Fachgruppe |
20.12.2022 |
Verabschiedung im Plenum |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
158/3/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Ein offenes, regelbasiertes Handelssystem wird immer wichtiger, wobei auch das Potenzial des Handels für die Förderung der nachhaltigen Entwicklung genutzt werden muss. |
1.2. |
Nach Auffassung des EWSA benötigt die EU eine Handelspolitik mit der erforderlichen politischen Legitimität, Unterstützung und Rückhalt, um bereits ausgehandelte Handelsabkommen zum endgültigen Abschluss bringen zu können. Eine gesunde Erholung der Wirtschaft erfordert die weltweite Zusammenarbeit mit Handelspartnern, auch in puncto Nachhaltigkeit. |
1.3. |
Der EWSA unterstützt die umfassende Überprüfung der Politik, mit der ein neues Kriterium für Handel und nachhaltige Entwicklung (Trade and Sustainable Development, im Folgenden „TSD“) festgelegt wird. Er begrüßt, dass die Kommission in einigen Punkten seinen Empfehlungen gefolgt ist, um insbesondere die Rolle der Zivilgesellschaft und der Internen Beratungsgruppen (DAG) zu stärken. |
1.4. |
Der EWSA sieht weitere Möglichkeiten für die Stärkung der DAG sowohl in den Abkommen selbst als auch bei deren Umsetzung. Er bedauert jedoch, dass nichts unternommen wurde, um die Zivilgesellschaft stärker in den Verhandlungsprozess einzubeziehen. |
1.5. |
Der EWSA betont, dass klarere und detailliertere TSD-Bestimmungen erforderlich sind, um Fahrpläne besser zu definieren und die Handelspartner beider Seiten besser darüber zu informieren, was von ihnen erwartet wird. Er bedauert, dass der gerechte Übergang nicht zu einem übergreifenden Konzept gemacht wurde. |
1.6. |
Der EWSA begrüßt die neue politische Ausrichtung mit einem stärker ergebnisorientierten Ansatz durch mehr Transparenz und eine Stärkung der Rolle der Zivilgesellschaft bis hin zu gezielter Unterstützung. Außerdem werden die Partner stärker in die Verantwortung genommen, indem die Möglichkeit von Handelssanktionen als letztes Mittel geschaffen wird. |
1.7. |
Der EWSA sieht diese Elemente als feste Bestandteile aller Abkommen an, die zielgerichtet, länderspezifisch und mit maßgeschneiderten Zielen umzusetzen sind. Er erwartet, dass die Kommission sie in den verschiedenen Handelssystemen und Handelsabkommen, einschließlich bereits bestehenden Abkommen möglichst weitgehend umsetzt. |
1.8. |
Der EWSA begrüßt das Ziel, Nachhaltigkeit in künftigen Handelsabkommen durchgängig zu berücksichtigen. Er erinnert außerdem an den Aspekt der sowohl ökologischen als auch sozialen Nachhaltigkeit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Er erkennt an, dass es von entscheidender Bedeutung ist, den Ansatz mit anderen autonomen Instrumenten abzustimmen, um eine kohärente und sich wechselseitig verstärkende Wirkung zu erzielen. |
1.9. |
Der EWSA fordert die Kommission auf, stärker auf multilaterale Ansätze zu setzen und die Fortschritte und die Umsetzung der TSD-Strategie nach Möglichkeit mit den Partnern zu koordinieren. |
2. Hintergrund
2.1. |
Die EU ist beginnend mit dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den CARIFORUM-Staaten und dem Freihandelsabkommen mit Korea dazu übergegangen, TSD-Bestimmungen in ihre Handelsabkommen aufzunehmen. Alle Handelsabkommen der „neuen Generation“ enthalten seither spezielle Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung (TSD), deren Anwendungsbereich schrittweise ausgedehnt wurde. |
2.2. |
Diese Abkommen profitieren in hohem Maße von einem Mechanismus für die Überwachung durch die Zivilgesellschaft. Die DAG der EU und der Partnerländer bringen dabei das Fachwissen von Umwelt-, Arbeits- und Wirtschaftsverbänden ein und beraten die Parteien bei der Umsetzung der TSD-Kapitel. Seit dem Abkommen mit dem Vereinigten Königreich wurde ihr Wirkungsbereich auf das gesamte Abkommen ausgeweitet. Der EWSA, der das Sekretariat für alle DAG der EU stellt, hat seine organisatorische und politische Unterstützung verstärkt, u. a. durch die Organisation und Ausrichtung einer jährlichen gemeinsamen Sitzung aller DAG. Die Europäische Kommission hat die Rolle des EWSA in ihrem Jahresbericht über die Umsetzung und Durchsetzung der EU-Handelsabkommen 2022 ebenfalls anerkannt. |
2.3. |
Im Juni 2022 hat die Kommission nach einer entsprechenden öffentlichen Konsultation ihre neue Strategie für Handel und nachhaltige Entwicklung vorgelegt: „Die Macht von Handelspartnerschaften: gemeinsam für ein grünes und gerechtes Wirtschaftswachstum“. Bei dieser Überprüfung lagen die Schwerpunkte auf der proaktiveren Zusammenarbeit mit den Partnern, einem zielgerichteten und länderspezifischen Ansatz für TSD, der durchgängigen Berücksichtigung der Nachhaltigkeit über die TSD-Kapitel hinaus, der verstärkten Überwachung der Umsetzung der TSD-Verpflichtungen, der stärkeren Rolle der Zivilgesellschaft und der verbesserten Durchsetzung der TSD-Kapitel durch die Aufnahme der Möglichkeit von Handelssanktionen. Die Kommission bekräftigt zwar, dass die Verpflichtungen in allen TSD-Kapiteln in gleicher Weise verbindlich sind, spricht sich allerdings auch dafür aus, die Umsetzung ihrer Ziele im Bereich TSD besser auf die jeweiligen Herausforderungen, Bedürfnisse und Kapazitäten abzustimmen. |
2.4. |
Sowohl das Europäische Parlament (EP) als auch der Rat haben ihre Unterstützung für den neuen Ansatz bekundet und ihre Erwartungen dargelegt (1). In der Entschließung des EP wird ausdrücklich auf die Stellungnahme des EWSA „Die nächste Generation von Kapiteln über Handel und nachhaltige Entwicklung — Überprüfung des 15-Punkte-Aktionsplans“ verwiesen (2). |
3. Festlegung eines neuen Kriteriums für Handel und nachhaltige Entwicklung
3.1. |
Als neues Richtmaß gilt ein integrierter Ansatz in Bezug auf Handel und Nachhaltigkeit, der sich bereits in einer Reihe internationaler Handelsabkommen — auch über die Handelsbeziehungen der EU hinaus — abzeichnet. Der EWSA befürwortet eine ausgewogene und transparente Handelspolitik mit einem fairen Wettbewerb zwischen den internationalen Handelspartnern, bei der für alle die gleichen Umwelt-, Sozial- und Arbeitsstandards und Regeln gelten und der Handelsrahmen von beidseitigem Vorteil ist. |
3.2. |
Der EWSA vertritt seit Langem die Auffassung, dass Nachhaltigkeit eine Richtschnur der Handelspolitik sein sollte, weil der Handel maßgeblich zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG) beitragen muss. Er begrüßt den umfassenden Ansatz der Überprüfung durch die Kommission mit einer öffentlichen Konsultation, einer vergleichenden Analyse der TSD-Bestimmungen und bewährten Verfahren in ausgewählten Freihandelsabkommen mit Drittländern und prozessbegleitenden bilateralen Treffen mit der breiteren Zivilgesellschaft. Dieses gründliche Vorgehen ist ein Beleg für die Entschlossenheit, aus Fehlern zu lernen. |
3.3. |
Der EWSA unterstützt das Bestreben der Kommission, Nachhaltigkeit in künftigen Handelsabkommen durchgängig zu verankern und umfassendere Verpflichtungen der Partnerländer in Bezug auf die TSD-Kapitel zu erreichen. Gleichzeitig müssen die Handelspartner bei der Verwirklichung der TSD-Ziele durch technische Hilfe, Kapazitätsaufbau, Anreize, finanzielle Unterstützung und die Entwicklung allgemeiner politischer Instrumente unterstützt werden. |
3.4. |
In der Mitteilung werden sechs politische Prioritäten und Aktionsschwerpunkte hervorgehoben. Der EWSA betrachtet alle vorgestellten Aspekte als festen Bestandteil aller Abkommen, die es sinnvoll einzusetzen und durch einen zielgerichteten und länderspezifischen Ansatz mit maßgeschneiderten Zielen als Leitprinzip umzusetzen gilt. |
3.5. |
Der EWSA begrüßt, dass die Kommission einige seiner Empfehlungen berücksichtigt hat. Die gilt insbesondere für die Möglichkeit, von Handelssanktionen als letztes Mittel Gebrauch machen zu können, und für die detaillierten und zeitgebundenen Fahrpläne in Verbindung mit der Überwachung durch die Zivilgesellschaft und die kollektive horizontale Überwachung durch die Dienststellen der EU sowie institutionelle und internationale Akteure. Vor allem begrüßt der EWSA die stärkere Rolle für die Zivilgesellschaft und insbesondere die DAG, die in mehreren Aktionspunkten zum Ausdruck kommt. |
3.6. |
Der EWSA erwartet, dass sich das neue Kriterium für Handel und nachhaltige Entwicklung in allen künftigen Handelsabkommen der EU widerspiegeln wird, auch in denjenigen, über die derzeit verhandelt wird. Es sollte auch die Grundlage für die Modernisierung aller geltenden Freihandelsabkommen und insbesondere der Abkommen der ersten Generation bilden, in denen von TSD-Kapiteln noch nicht die Rede war, wobei hier so bald wie möglich die Überprüfungsklauseln ausgelöst werden sollten. Diese neuen Grundsätze sollten auch so weit wie möglich in die abgeschlossenen, aber noch nicht vollständig ratifizierten Freihandelsabkommen aufgenommen werden. Sollte es aus Zeitgründen nicht möglich sein, geschlossene Freihandelsabkommen wieder aufzuschnüren, könnten Bestimmungen aufgenommen werden, die es dem jeweiligen Handelsausschuss ermöglichen, Beschlüsse zur Änderung des TSD-Kapitels zu fassen. So wurde im TSD-Kapitel des Abkommens mit Neuseeland verfahren. |
3.7. |
Der EWSA sieht eine diesbezügliche Möglichkeit insbesondere für das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) und die frühzeitige TSD-Überprüfung, auf die sich beide Parteien im Gemeinsamen Auslegungsinstrument geeinigt haben. Der EWSA und die DAG sowohl der EU als auch Kanadas fordern die Vertragsparteien seit langem nachdrücklich dazu auf, dieser Verpflichtung zu wirksamer durchsetzbaren TSD-Kapiteln nachzukommen, unbeschadet einer eventuellen umfassenden Modernisierung des Abkommens nach einer gewissen Zeit. Der EWSA begrüßt, dass der neue Ansatz im Fall Neuseelands bereits übernommen wurde, und dass die Absicht signalisiert wurde, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen im Einklang mit den grundlegenden Prinzipien und Rechten am Arbeitsplatz gemäß der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zu berücksichtigen. Der EWSA befürwortet ferner die jüngsten Vorschläge der EU im Zusammenhang mit den laufenden Verhandlungen mit Indien. |
3.8. |
Der EWSA begrüßt das angestrebte Ziel, den Nachhaltigkeitsaspekt gerade auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge umfassend zu berücksichtigen. Bei letzteren sollten sowohl die ökologischen als auch die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit herangezogen werden. Er begrüßt, dass die Priorisierung des Marktzugangs für Umweltgüter und -dienstleistungen sowie für Rohstoffe und Energieerzeugnisse, ohne die eine CO2-neutrale Wirtschaft nicht funktionieren kann. Allerdings vermisst der EWSA eine größere Berücksichtigung der übergeordneten Dimension des ökologisch nachhaltigen Handels und der Auswirkungen auf die Arbeitnehmer- und Menschenrechte. Ebenso bedauert er, dass der gerechte Übergang nicht zu einem übergreifenden Konzept gemacht wird, obgleich im Übereinkommen von Paris die Notwendigkeit eines gerechten Übergangs für die Arbeitnehmer und die Schaffung menschenwürdiger Arbeit und hochwertiger Arbeitsplätze verankert wurde. In den jüngsten gemeinsamen Schlussfolgerungen des Forums der Zivilgesellschaft EU-Korea (3) wurde die Taskforce für einen gerechten maritimen Übergang der Sozialpartner in der internationalen maritimen Industrie als ein bewährtes Verfahren anerkannt. |
3.9. |
Die Handelsabkommen der EU werden zunehmend durch autonome Maßnahmen der EU für ökologische, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit ergänzt. Beispiele aus jüngster Zeit sind das CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) und die Vorschläge zur Sorgfaltspflicht, zur Entwaldung und zum Verbot von Produkten, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Der EWSA begrüßt, dass interne Maßnahmen und Handelspolitik aufeinander abgestimmt werden, um einen echten Wandel vor Ort herbeizuführen. Er teilt die Auffassung, dass die EU bei der Gestaltung zusätzlicher autonomer Instrumente zur Förderung der Nachhaltigkeit ehrgeizig sein muss. Er hält es für wichtig, dabei alle Instrumente zu berücksichtigen, damit ein kohärenter handelspolitischer Ansatz im Interesse von Unternehmen, Arbeitnehmern und der Zivilgesellschaft formuliert werden kann. Derartige autonome Maßnahmen dürfen allerdings nicht den Ehrgeiz schwächen, TSD-Kapitel abzuschließen, umzusetzen und durchzusetzen, sondern die Maßnahmen sollten sich gegenseitig verstärken. |
3.10. |
Die EU nimmt auch über ihr Allgemeines Präferenzsystems (APS) Nachhaltigkeitsbestimmungen in ihre einseitigen Präferenzen auf. Der EWSA begrüßt den jüngsten Vorschlag der Kommission für eine neue EU-Verordnung und fordert die Mitgesetzgeber auf, die TSD-Mitteilung in der neuen Verordnung umfassend zu berücksichtigen. Der EWSA ist der Auffassung, dass das APS transparenter werden muss und von öffentlichen Fahrplänen auf der Grundlage einer Lückenanalyse profitieren würde. Darüber hinaus sollte die Zivilgesellschaft stärker einbezogen und der Anhang um Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz betreffende grundlegende IAO-Übereinkommen ergänzt werden. |
3.11. |
Nachhaltigkeit wurde auf der 12. WTO-Ministerkonferenz auch erstmals in das WTO-Regelwerk aufgenommen, und zwar in Form von weltweiten Bestimmungen über schädliche Fischereisubventionen mit dem Schwerpunkt auf ökologischer Nachhaltigkeit. Schon seit geraumer Zeit fordert der EWSA eine engere Zusammenarbeit zwischen WTO und IAO, um menschenwürdige Arbeit und Arbeitsnormen durch handelspolitische Instrumente zu fördern. Der EWSA empfiehlt, die neue TSD-Strategie im WTO-Rahmen weiter zu fördern und Bündnisse für eine vertiefte Zusammenarbeit bei diesen Zielen zu schaffen. Als ersten Schritt in diese Richtung sollte die EU über ihre bilateralen Verpflichtungen hinaus eine plurilaterale Konferenz über Handel und nachhaltige Entwicklung mit den Partnerländern der Freihandelsabkommen und gleichgesinnten Ländern einberufen, um Erfahrungen mit der Um- und Durchsetzung von TSD-Bestimmungen in Handelsabkommen auszutauschen und gemeinsame Überlegungen über Bestimmungen der neuen Generation anzustellen. |
4. Von der Theorie zur Praxis: Einführung von TSD und Schließung der Lücken
Ergebnis- und prioritätsorientierte Zusammenarbeit mit Partnerländern
4.1. |
Der EWSA begrüßt den maßgeschneiderten TSD-Ansatz und eine frühzeitige Lückenanalyse zur Ermittlung länderspezifischer Prioritäten sowie Umsetzungsfahrpläne. Dies sollte die Zusammenarbeit mit den einschlägigen Gremien, wie EU-Institutionen und internationalen Organisationen wie IAO und Vereinten Nationen umfassen, aber auch die Kooperation mit der Zivilgesellschaft und den DAG. |
4.2. |
Solche maßgeschneiderten Fahrpläne wurden bereits aufgestellt, etwa im Falle des Nachhaltigkeitspakts EU-Bangladesch, und wurden auch in das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Vietnam aufgenommen. In beiden Fällen wurde frühzeitig die IAO einbezogen; es zeigte sich ein großer Mehrwert, wenn ein institutioneller Akteur mit beiden Handelspartnern zusammenarbeitet und Informationen bereitstellt. Im Falle Vietnams führte dies zu dem begrüßenswerten Spill-over-Effekt: die DAG haben einen entsprechenden Fahrplan für die Umsetzung der Umweltverpflichtungen gefordert. |
4.3. |
Der EWSA weist erneut darauf hin, dass die Fahrpläne stärker als Hebel für Anstrengungen vor der Umsetzungsphase genutzt werden sollten. Sie müssen spezifisch, konkret, öffentlich und zeitgebunden sein und gemeinsam mit dem Handelspartner vereinbart werden, um so zu einer verstärkten Überwachung, Umsetzung und möglichen Durchsetzung der TSD-Verpflichtungen beitragen zu können. |
4.4. |
Der EWSA erwartet, dass eine verstärkte öffentliche Transparenz, auch in Bezug auf die Fahrpläne und deren Umsetzung, für eine konstruktive und umfassendere Einbeziehung der Zivilgesellschaft grundlegend sein werden. |
Stärkere Fokussierung auf Umsetzung und Durchsetzung
4.5. |
Der EWSA hält die Stärkung der Um- und Durchsetzung der TSD-Kapitel für einen begrüßenswerten Schritt nach vorn. Damit wird den Erwartungen der Wirtschaft und auch anderer Handelspartner in Bezug auf gleiche Wettbewerbsbedingungen sowie dem Bestreben von Unternehmen, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und Verbrauchern entsprochen, die Nachhaltigkeit durch Handel zu verbessern. |
4.6. |
Um- und Durchsetzung werden jedoch nur insoweit funktionieren, wie es die Treffgenauigkeit der TSD-Kapitel hergibt. Auch wenn Fahrpläne hilfreich sein können, kommt es doch ebenso auf klare, in den Abkommens niedergelegte Verpflichtungen an. Die Formulierung „kontinuierliche und anhaltende Anstrengungen“ hat sich bereits im ersten TSD-Vertragsverletzungsverfahren gegen Korea als zu vage erwiesen. Die Klärung und Präzisierung der Verpflichtungen kommt auch den Parteien zugute, denn es würde ihnen helfen, zu verstehen, was von ihnen erwartet wird, und es würde sie im gesamten Umsetzungsprozess unterstützen. |
4.7. |
Im Zusammenhang mit der laufenden Reform des Zollkodex der Union (UZK) stellt der EWSA generell fest, dass die Handelsregeln überwiegend von den einzelstaatlichen Zollbehörden umgesetzt werden. Dort könnte Uneinheitlichkeit in Bezug auf Umsetzung, Ressourcen und Kapazitätsaufbau zu Wettbewerbsverzerrungen führen und die wirksame Durchsetzung untergraben. |
4.8. |
Der EWSA begrüßt die Schaffung eines Leitenden Handelsbeauftragten und die neu gestaltete zentrale Eingangsstelle (SEP) als wichtige Schritte, um die Umsetzung der TSD-Verpflichtungen zu verbessern und Beschwerden zu organisieren. Er begrüßt daher die Zusage der Kommission, mutmaßlichen Verstößen gegen die TSD-Bestimmungenmit der gleichen Aufmerksamkeit nachzugehen. Zusammen mit der oben genannten Einführung von Fahrplänen mit entsprechenden Kriterien kann die SEP zu einem wichtigen Instrument werden, um die Einhaltung der aus den TSD-Kapiteln erwachsenden Verpflichtungen zu verbessern. |
4.9. |
Der EWSA begrüßt ferner die Überarbeitung der operativen Leitlinien für die SEP, fordert jedoch weitere Präzisierungen. Es bleibt unklar, was die Beweisanforderungen sind, inwieweit die SEP Beweise für Vorwürfe sammeln wird und welche Art von Abhilfe Beschwerdeführer erwarten können. Bislang wurde über die SEP nur eine Beschwerde über TSD-Verstöße eingereicht, wobei der EWSA auf die Verzögerung bei deren vorläufiger Bewertung hinweist. Dies lässt erkennen, wie wichtig es ist, das SEP-System in künftigen TSD-Kapiteln zu verankern. Aktualisierte Leitlinien könnten künftigen Beschwerdeführern ebenfalls helfen. |
4.10. |
Der EWSA stellt fest, dass die Sanktionen auf schwerwiegende Verstöße gegen die TSD-Kernverpflichtungen und insbesondere gegen die grundlegenden Prinzipien und die IAO-Kernarbeitsnormen sowie gegen das Übereinkommen von Paris beschränkt sind. Allerdings müsste genauer geklärt werden, was laut Kommission als ein schwerwiegender Verstoß anzusehen ist und welche Sanktionen dagegen in Anschlag zu bringen sind. Der EWSA schlägt vor, dass die Kommission prüft, ob diese Aspekte mit den Fahrplänen verknüpft werden können. |
4.11. |
Der EWSA fordert die Kommission erneut auf, mit den Handelspartnern ein innovatives Instrument für eine schnelle Reaktion auf konkrete Verstöße von Unternehmen zu erwägen, wie es derzeit im Freihandelsabkommen USA-Mexiko-Kanada (USMCA) erfolgreich umgesetzt wird. |
5. Möglichkeiten zur weiteren Stärkung der DAG
5.1. |
Die DAG sind für das Funktionieren der TSD-Kapitel von überragender Bedeutung und tragen zu einer positiven Dynamik in der Zusammenarbeit und im Dialog der Handelspartner bei. In den DAG sind Organisationen vertreten, die Kontakte zu ihren zivilgesellschaftlichen Partnern in den Partnerländern aufgebaut haben. Sie können somit wertvolle, vor Ort gewonnene Erfahrungen beisteuern, über die Politiker und Beamte nicht verfügen. Die DAG verfügen auch über ein unerschlossenes Know-how in bereichsübergreifenden TSD-Fragen, von dem intensiv Gebrauch gemacht werden sollte. |
5.2. |
Der EWSA hat sich nachdrücklich für eine stärkere Rolle der DAG ausgesprochen und konkrete Vorschläge aus der Zivilgesellschaft propagiert (4). Er unterstützt daher die ehrgeizigere Einbeziehung der DAG in allen Phasen des Lebenszyklus von Handelsabkommen. Am Anfang steht dabei die Notwendigkeit, stärker darauf zu achten, dass DAG überhaupt erst eingerichtet werden, und zwar gerade in Partnerländern, in denen die Zivilgesellschaft nur begrenzten Handlungsspielraum hat und die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Zivilgesellschaft keine Selbstverständlichkeit ist. |
5.3. |
Die Handelspartner können bei der Einbeziehung ihrer jeweiligen Zivilgesellschaft unterschiedliche Ansätze verfolgen. Der EWSA weist abermals darauf hin, dass in den von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen angenommen Nachhaltigkeitszielen, die somit auch für die Handelspartner der EU Geltung haben, und insbesondere in Ziel 17 die herausragende Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Verwirklichung der globalen Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung anerkannt wird. Demnach gilt es, diese Zielsetzung im Geist und institutioneller Rahmen der Abkommen klar umzusetzen. |
5.4. |
Der EWSA hält es für wesentlich, dass die Rahmenbestimmungen für die DAG auf einer solideren Faktengrundlage ausgehandelt werden. Ohne ausreichende Klarheit im Abkommen könnten sich für die DAG in den kommenden Jahren Schwierigkeiten ergeben. Die Rolle der DAG bedarf einer genaueren Beschreibung. Die Vertragsparteien sollten dafür in die Verantwortung genommen werden, dass die von ihnen als DAG benannten Gremien ihrem Zweck entsprechend handlungsfähig sind, gerade wenn bereits bestehende Gremien mit dieser Aufgabe betraut werden. Aus der Einrichtung der DAG im Freihandelsabkommen EU-Japan kann die Lehre gezogen werden, dass die Strukturen für eine Zusammenarbeit zwischen den DAG ausgelegt sein und die Interaktion mit den TSD-Ausschüssen unterstützen und erleichtern müssen. Alles, was im Abkommen nicht ausdrücklich festgelegt ist, wird in der Praxis nur schwer zu verwirklichen sein. Das Freihandelsabkommen EU-Korea lehrt, dass die Beteiligung von Wissenschaftlern, insbesondere aufseiten der DAG der Partnerländer in Bezug auf die Repräsentativität und den Geist einer echten Beteiligung der Zivilgesellschaft noch problematisch ist. |
5.5. |
Weiterhin ist der EWSA der Auffassung, dass sich die DAG bei der Überwachung der konkreten Umsetzung auf alle Fragen konzentrieren sollten, die Nachhaltigkeitsrelevanz in den Freihandelsabkommen haben. Zu eine solche Rolle muss naturgemäß die Überwachung der Umsetzungsfahrpläne und ein besserer angemessener Zugang zu den gemeinsamen Ausschüssen gehören. Die Einbeziehung der DAG in die länderspezifische Prioritätensetzung und in die TSD-Arbeitsprogramme wird zur Operationalisierung der Aufgaben beitragen. Im Gegenzug teilt der EWSA die Erwartung, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft zeitnahe, fundierte und evidenzbasierte Beiträge leisten, die für die Ermittlung, Priorisierung und Lösung von TSD-Fragen wesentlich sind. |
5.6. |
Durch einen kontinuierlichen Austausch und Kontakt muss für einen echten Austausch zwischen den DAG-Mitgliedern aus der EU und den Partnerländern gesorgt werden. Es sollte unbedingt mehr Sitzungen zwischen den DAG der EU und den DAG der Partnerländern geben und erwogen werden, in speziellen thematischen Untergruppen oder gezielten Workshops zu arbeiten. Ein weiterer positiver Beitrag könnte sich aus Kontakten mit den Regierungen beider Handelspartner ergeben, die zwischen den einzelnen Sitzungen stattfinden und über die jährlichen zivilgesellschaftlichen Foren hinausgehen. Die gemeinsamen Sitzungen sollten so terminiert werden, dass die DAG das Forum der Zivilgesellschaft und den TSD-Ausschuss der Vertragsparteien durch Informationen und maßgebliche Beiträge in Form gemeinsamer Erklärungen unterstützen können, wobei die Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der DAG ihre Standpunkte im TSD-Ausschuss darlegen könnten, so wie dies bereits im Rahmen des CETA und des Abkommens mit Korea üblich ist. |
5.7. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass den DAG und den unterstützenden DAG-Sekretariaten beim EWSA ausreichende finanzielle Mittel und technische Unterstützung zur Verfügung gestellt werden sollten. Nur so können sie ihren Aufgaben ordnungsgemäß nachkommen und die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen. Ebenso müssen die Kommissionsdienststellen ausreichende Ressourcen bereitstellen, um den verstärkten TSD-Ansatz umzusetzen. Die ersten Erfahrungen mit Abkommen, bei denen die DAG über TSD hinaus in das gesamte Handelsabkommen einbezogen sind, wie beim Abkommen über Handel und Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, sollten sorgfältig bewertet werden. Die Ausweitung des Mitgliederkreises der DAG, um ein ganzes Abkommen abzudecken, könnte unbeabsichtigte Folgen für das erforderliche TSD-Know-how der DAG haben. |
5.8. |
Der EWSA begrüßt sowohl die engere Abstimmung der Sachverständigengruppe „Handel und nachhaltige Entwicklung“ mit den Mitgliedstaaten als auch das Ziel des EP, die Zusammenarbeit der DAG zu vertiefen, wozu auch eine jährliche Debatte mit Vertretern der DAG gehört. Der EWSA befürwortet einen regelmäßigen engen Austausch zwischen den Monitoring-Gruppen des EP und den ständigen Berichterstattern sowie den jeweiligen DAG als wesentlichen Bestandteil der kollektiven Überwachung. |
5.9. |
Nach Auffassung des EWSA gibt es einen großen Schwachpunkt im Lebenszyklus der Abkommen, nämlich die stärkere Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den Verhandlungsprozess. Der Ausschuss hat Vorschläge für ein neues Verhandlungsverfahren (5) unterbreitet, mit einem neuen Fahrplan, damit die Organisationen der Zivilgesellschaft und die Sozialpartner während der Verhandlungen tatsächlich einbezogen werden. Ziel dieses Vorschlags ist es, die Transparenz des Verhandlungsprozesses zu wahren und gleichzeitig dessen Vertraulichkeit zu gewährleisten. |
5.10. |
Der EWSA bedauert, dass seine wiederholte Forderung nach der Wiedereinsetzung der Sachverständigengruppe für Freihandelsabkommen in der Mitteilung nicht berücksichtigt wurde. Er appelliert nachdrücklich an die Kommission, dies entsprechend zu tun. Die Einrichtung dieser Gruppe war ein sehr positiver Schritt der Kommissionsstrategie, um die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft im Bereich der Handelspolitik zu verbessern und die Transparenz zu erhöhen, und sorgte für die logische Fortsetzung der Arbeit der TTIP-Beratungsgruppe. Die von europäischen Wirtschafts-, Gewerkschafts- und zivilgesellschaftlichen Organisationen entsandten Mitglieder konnten durch die Gruppe die Verhandlungsführer bei allen EU-Handelsabkommen maßgeblich beraten und Beiträge zu wichtigen EU-Vorschlägen wie der WTO-Reform leisten. Als ständiges Forum legten sie maßgeblich und fundiert ihre Standpunkte zur EU-Handelspolitik dar und vermittelten dabei ein ausgewogenes Bild der unterschiedlichen Herausforderungen und Chancen, die Handelsabkommen für die verschiedenen von ihnen vertretenen Interessengruppen bieten. In dem auf Ad-hoc-Basis angelegten zivilgesellschaftlichen Dialog ist das in diesem Umfang nicht möglich. Da es nun verstärkt um die Umsetzung und Durchsetzung der EU-Handelsagenda geht, könnte eine neue Expertengruppe auch als ständiges Gremium wertvolle Orientierungen und Ratschläge geben. |
Brüssel, den 24. Januar 2023.
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 6. Oktober 2022 zum Ergebnis der Überprüfung des 15-Punkte-Aktionsplans für Handel und nachhaltige Entwicklung durch die Kommission (2022/2692(RSP)) und Schlussfolgerungen des Rates zur Überprüfung in Bezug auf Handel und nachhaltige Entwicklung, 17. Oktober 2022.
(2) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die nächste Generation von Kapiteln über Handel und nachhaltige Entwicklung — Überprüfung des 15-Punkte-Aktionsplans“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 105 vom 4.3.2022, S. 40).
(3) Gemeinsame Schlussfolgerungen der Internen Beratungsgruppen Koreas und der EU, September 2022.
(4) Non-Paper of the EU DAGs, Oktober 2021.
(5) Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein neuer Rahmen für Freihandels-, Wirtschaftspartnerschafts- und Investitionsabkommen zur Sicherung einer echten Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner und einer umfassenden Information der Öffentlichkeit“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 290 vom 29.7.2022, S. 11).
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/75 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt“
(COM(2022) 453 final)
(2023/C 140/13)
Hauptberichterstatter: |
Thomas WAGNSONNER |
Befassung |
Europäisches Parlament, 6.10.2022 Rat, 12.10.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 114 und Artikel 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Beschluss des Plenums |
14.12.2022 |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Außenbeziehungen |
Verabschiedung im Plenum |
25.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
196/1/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt (COM(2022) 453 final) (1). Denn die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und arbeitsbezogenen Rechte und daher die Beseitigung aller Formen von Zwangsarbeit und Ausbeutung, wie in Ziffer 1.4 Buchstabe j des EU-Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie 2020–2024 (2) dargelegt, sind von entscheidender Bedeutung. |
1.2. |
Der EWSA stellt fest, dass in dem vorliegenden Verordnungsvorschlag die Perspektive der Arbeitnehmer, die innerhalb und außerhalb der Europäischen Union zur Ausbeutung gezwungen werden, nicht ausreichend berücksichtigt wird. Um die Stellung von Zwangsarbeit leistenden Arbeitnehmern zu stärken, sollte in europäischen Rechtsvorschriften eine angemessene Entschädigung der Opfer in Erwägung gezogen werden. Der EWSA weist darauf hin, dass der Ratifizierung des Protokolls von 2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) von 1930 (3) durch alle EU-Mitgliedstaaten zentrale Bedeutung zukommt. |
1.3. |
Der EWSA unterstützt die Definition in Artikel 2 Buchstabe a der Verordnung, die auf der Definition der IAO für Zwangsarbeit beruht. Diese Definition umfasst „jede Art von Arbeit oder Dienstleistungen“, daher sollten Waren, die mit Hilfe von Zwangsarbeit transportiert werden, in den Kommissionsvorschlag aufgenommen werden. |
1.4. |
Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission Kinderzwangsarbeit in der vorgeschlagenen Verordnung erwähnt. Um die Abschaffung der Kinderarbeit zu beschleunigen, sollte der Geltungsbereich dieser Verordnung jedoch das IAO-Übereinkommen über das Mindestalter von 1973 (Nr. 138) (4), die IAO-Empfehlung Nr. 146 (5), das IAO-Übereinkommen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 (Nr. 182) (6) und die IAO-Empfehlung Nr. 190 (7) einbeziehen. Der EWSA weist auf die Notwendigkeit einer entsprechenden EU-Gesetzgebungsinitiative zur Bekämpfung aller anderen Formen der Kinderarbeit hin. |
1.5. |
Der EWSA begrüßt, dass alle Wirtschaftsakteure berücksichtigt werden. Bei den Untersuchungen durch die zuständigen nationalen Behörden sollten die Größe und die wirtschaftlichen Ressourcen der Wirtschaftsakteure ausschlaggebend sein. Unternehmen, bei denen ein hohes Risiko des Einsatzes von Zwangsarbeit besteht, sowie große Wirtschaftsakteure sollten vorrangig untersucht werden. |
1.6. |
Der EWSA stellt fest, dass dem Vorschlag keine Folgenabschätzung vorausging, die hingegen zu anderen Initiativen wie bspw. dem Vorschlag für eine Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit durchgeführt wurden. Der Schwerpunkt dieser Verordnung liegt auf dem Verbot, der Aussetzung der Inverkehrbringung und dem Zurückhalten ein- und ausgeführter Erzeugnisse durch den Zoll bzw. in Häfen, was zu neuen Verfahren führen wird. Die Folgenabschätzung sollte ausgewogen sein und den Nutzen und die Kosten der Bekämpfung von Zwangsarbeit berücksichtigen. |
1.7. |
Der organisierten Zivilgesellschaft kommt eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu. Die Sozialpartner sind strategisch gut aufgestellt, um institutionelles Engagement und Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Die institutionelle Verankerung der Sozialpartner und NGO in diesen Rechtsvorschriften ist von größter Bedeutung. |
1.8. |
Aufgrund der Verknüpfung des vorliegenden Vorschlags mit dem Richtlinienvorschlag zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Hinblick auf Nachhaltigkeit muss noch geklärt werden, wie sich die beiden Rechtsakte in der Praxis zueinander verhalten. Die Europäische Kommission sollte abgestimmt vorgehen und Unstimmigkeiten vermeiden. |
1.9. |
Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, gemäß Artikel 23 der Verordnung Leitlinien herauszugeben, um Unternehmen dabei zu unterstützen, das Zwangsarbeitsrisiko in ihren Geschäftstätigkeiten und Wertschöpfungsketten zu erkennen, zu minimieren, zu verhindern oder zu beseitigen. Dies gilt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Die Leitlinien sollten unbedingt sofort bei Inkrafttreten der Verordnung herausgegeben werden. |
1.10. |
Die Europäische Kommission muss eine aktive und führende Rolle in dem in Artikel 24 der Verordnung vorgeschlagenen Unionsnetzwerk gegen in Zwangsarbeit hergestellte Produkte übernehmen, um die nationalen Behörden, die die Verordnung durchsetzen, zu unterstützen und zu koordinieren. Der EWSA betont, dass ausreichende Finanzmittel für die Schaffung einer angemessenen und wirksamen Infrastruktur auf europäischer und nationaler Ebene zur Bekämpfung von Zwangsarbeit von entscheidender Bedeutung sind. |
1.11. |
Der EWSA weist darauf hin, dass die in Artikel 11 vorgeschlagene Datenbank ein Kerninstrument des Zwangsarbeitsverbots sein wird. Wie diese Datenbank aufgebaut sein soll, muss detailliert dargelegt werden. Der EWSA betont die Notwendigkeit präziser und transparenter Risikoindikatoren, die sich auf den Ursprung und die Bestandteile eines Produkts sowie weitere relevante Informationen stützen, aber nicht darauf beschränkt sind. Um eine wirksame Durchsetzung zu gewährleisten, sind detaillierte Informationen über das Produkt, den Hersteller, den Einführer, den Ursprung und die Bestandteile sowie die in dem Produkt und seinen Bestandteilen verwendeten Ressourcen und Mineralien erforderlich. Diese Datenbank muss auf dem neuesten Stand gehalten und um neue Informationen z. T. aufgrund von Untersuchungsverfahren erweitert werden. |
1.12. |
Der EWSA betont, wie wichtig Transparenz und offener Informationszugang für Unternehmen, die zuständigen Behörden, die organisierte Zivilgesellschaft und die breite Öffentlichkeit sind. Der EWSA schlägt vor, ein Benchmarking-System als Teil der Datenbank einzuführen. Kernstück dieses Benchmarking-Systems ist ein System für die Einstufung von Regionen und Sektoren bis hin zu Produktgruppen, Produkten und Unternehmen mit hohem und geringem Risiko. Es beruht auf den von Experten in der Datenbank gesammelten Informationen, ist aber nicht auf diese beschränkt. Der EWSA betont, wie wichtig es ist, dass die organisierte Zivilgesellschaft, einschließlich der Sozialpartner die Möglichkeit haben, einschlägige Informationen beizusteuern. |
1.13. |
Nach Auffassung des EWSA sollten die zuständigen Behörden das Recht haben, Waren an der EU-Grenze zurückzuhalten, sobald sie einen begründeten Verdacht gemäß Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung hegen. Der EWSA schlägt vor, dass die Wirtschaftsakteure nach Maßgabe ihrer Risikoeinstufung unterschiedliche Pflichten haben sollten. Darüber hinaus sollten sich die zuständigen nationalen Behörden in der Voruntersuchungsphase auf Produkte konzentrieren, die mit Hochrisikoregionen, -unternehmen und/oder -sektoren verbunden sind. Geschäftsgeheimnisse müssen in jedem Fall z. B. durch geeignete Vertraulichkeitsklauseln gewährleistet werden. |
1.14. |
Im Rahmen der Voruntersuchung muss der Wirtschaftsakteur eine Sorgfaltserklärung abgeben, wenn das Produkt mit Hochrisikoregionen, -unternehmen und/oder -sektoren verbunden ist. Die Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten, die laut Artikel 23 in den Leitlinien detailliert angegeben werden sollen, sowie die Nichtübermittlung der erforderlichen Sorgfaltserklärungen müssen als begründete Bedenken eingestuft werden und die Zurückhaltung des Produkts und die direkte Einleitung einer Untersuchung zur Folge haben. |
1.15. |
Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, eine Machbarkeitsstudie bezüglich einer öffentlichen EU-Ratingagentur für ökologische und soziale Nachhaltigkeit sowie für Menschenrechte im wirtschaftlichen Kontext vorzulegen. Eine solche Agentur sollte neben anderen Aufgaben wie der technischen Unterstützung der zuständigen nationalen Behörden europäische Standards für Sorgfaltspflichtregelungen entwickeln. Diese Standards könnten im Wesentlichen zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen beitragen, was insbesondere im Interesse der europäischen Unternehmen liegt. |
1.16. |
Der EWSA weist darauf hin, dass sowohl klare als auch verständliche Formulierungen erforderlich sind, um Rechtssicherheit und einfache Leitlinien zu gewährleisten. Es gilt, den Verwaltungsaufwand für die Wirtschaftsakteure, insbesondere für KMU, überschaubar zu halten. Die zuständigen nationalen Behörden müssen Unternehmen, insbesondere KMU, bei der Ausarbeitung ihrer Sorgfaltspflichtregelungen technisch unterstützen. |
1.17. |
Der EWSA betont die Notwendigkeit eines einheitlichen EU-weiten Mindeststrafmaßes für Verstöße gegen die Verordnung. Dadurch wird ein Wettlauf nach unten durch die Mitgliedstaaten vermieden und es werden gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet. |
1.18. |
Die Europäische Kommission sollte sich verstärkt für die Schaffung internationaler Strukturen zur Lösung des Problems der Zwangsarbeit einsetzen. Der EWSA fordert erneut die Unterstützung der EU für ein verbindliches UN-Übereinkommen über Wirtschaft und Menschenrechte. Zudem sollte die Ausarbeitung eines eventuellen IAO-Übereinkommens über menschenwürdige Arbeit in Lieferketten erwogen werden. Die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch mit Drittländern und internationalen Organisationen sind wichtig für eine ordnungsgemäße Umsetzung. |
2. Hintergrund
2.1. |
Die IAO schätzt in ihrer jüngsten Veröffentlichung zu moderner Sklaverei, dass täglich ca. 27,6 Mio. Menschen Zwangsarbeit leisten müssen. Zwangsarbeit kommt überall auf der Welt vor, sogar in Europa. |
2.2. |
Im Übereinkommen Nr. 29 der IAO über Zwangsarbeit von 1930 (8) wird Zwangsarbeit definiert als „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“. Das Protokoll über Zwangsarbeit (Artikel 1 Absatz 3) umfasst drei Aspekte:
|
Die IAO stuft das IAO-Übereinkommen Nr. 29, das Protokoll von 2014 zum IAO-Übereinkommen Nr. 29 (9) und das IAO-Übereinkommen Nr. 105 (10) über die Abschaffung der Zwangsarbeit als grundlegende IAO-Übereinkommen ein.
2.3. |
Der EWSA weist darauf hin, dass Zwangsarbeit in mehreren grundlegenden internationalen und europäischen Übereinkommen verboten ist, bspw. gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (11) und Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (12). In Artikel 8 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (13) heißt es: „Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.“ Wirksame Instrumente zum Umgang mit Zwangsarbeit werden gebraucht, um die in den Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals — SDG) der Vereinten Nationen (14) (insbesondere SDG 8) festgelegten Zielsetzungen zu erreichen. Die Europäische Sozialcharta (15) bietet einen Rahmen für sozial gerechte Arbeitsbedingungen und faire soziale Rechte. Der EWSA verweist auf die entscheidende Bedeutung der Durchsetzung der Menschenrechte, einschließlich der Arbeitnehmerrechte, unabhängig von einem möglichen Konflikt mit den vier Freiheiten des Binnenmarkts (freier Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr). |
2.4. |
Der EWSA hat seine Stellungnahme REX/395 „Bekämpfung von Zwangsarbeit in Europa und weltweit: Die Rolle der EU — Beitrag des EWSA zur Konferenz der ILO 2014“ (16) diesem Thema gewidmet und es in weiteren Stellungnahmen aufgegriffen, u. a. in den Stellungnahmen SOC/727 (17), INT/911 (18), INT/973 (19), REX/532 (20) und REX/518 (21). |
2.5. |
Die Zahl der Zwangsarbeit leistenden Menschen ist zwischen 2016 und 2021 um 2,7 Mio. gestiegen. Die jüngsten Krisen, insbesondere die COVID-19-Pandemie, die Klimakrise sowie zahlreiche bewaffnete Konflikte, zuletzt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, haben zu Einkommensausfällen geführt und die Armut und dadurch das Problem der Zwangsarbeit verschärft. |
2.6. |
Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt (COM(2022) 453 final). Im Rahmen der Verpflichtung der EU, menschenwürdige Arbeit weltweit zu fördern, muss die Bekämpfung von Zwangsarbeit eine Priorität der Menschenrechtsagenda der EU sein. |
2.7. |
Wie in Ziffer 1.4 Buchstabe j des EU-Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie 2020-2024 dargelegt, ist die Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Rechte und der Arbeitnehmerrechte und damit die Beseitigung aller Formen von Zwangsarbeit und Ausbeutung von entscheidender Bedeutung, um insbesondere die weltweite Führungsrolle der EU in den Bereichen Menschenrechte und Demokratie zu sichern. Zusammen mit der Mitteilung der Kommission über menschenwürdige Arbeit weltweit (22) zählt diese Verordnung zu einer Reihe von Instrumenten, die erforderlich sind, um dieses Ziel zu erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit der sozial verantwortlichen europäischen Hersteller im Binnenmarkt und in Drittländern zu fördern. |
2.8. |
Der EWSA betont, dass unbedingt ein harmonisierter Rechtsrahmen der EU für diesen Bereich geschaffen werden muss. Zusammen mit dem Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (23), die sich mit dem Verhalten von Unternehmen und den Verfahren zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht für Unternehmen befasst, sollte diese Verordnung ein geeignetes Regulierungsinstrument sein, um Kohärenz zwischen den EU-Rechtsvorschriften (z. B. der Verordnung (EU) 2019/1020 (24)) und nationalen Rechtsvorschriften herzustellen. Sie sollte auch die Bemühungen um die Beseitigung von Zwangsarbeit und die Umsetzung internationaler Standards für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln ergänzen, wie bspw. die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (25) und die Leitlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für multinationale Unternehmen (26). Darüber hinaus können die dreigliedrige Grundsatzerklärung der IAO über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik (27) und das IAO-Handbuch für Arbeitgeber und Unternehmen zur Bekämpfung der Zwangsarbeit (28) als Unterstützung für Unternehmen und Regierungen bei der Beseitigung von Zwangsarbeit herangezogen werden. |
2.9. |
Der organisierten Zivilgesellschaft kommt eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu. Insbesondere die Sozialpartner sind strategisch gut aufgestellt, um institutionelles Engagement und Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Daher ist die institutionelle Verankerung der Sozialpartner und NGO in der künftigen Umsetzung auf allen Ebenen der Lieferkette in dieser Rechtsvorschrift von größter Bedeutung. |
2.10. |
Die Praxis der Gewinnmaximierung auf Kosten der Achtung der Menschenrechte ist eine der Hauptursachen für Zwangsarbeit. Der EWSA weist darauf hin, dass die Gründe und Ursachen von Zwangsarbeit umfassender angegangen werden müssen. Diese Verordnung kann dennoch ein wichtiger zusätzlicher Schritt zur Schaffung der globalen Grundlagen für gleiche Wettbewerbsbedingungen sein. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1. |
Der EWSA weist darauf hin, wie wichtig es ist, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um den Einsatz von Zwangsarbeit innerhalb und außerhalb der EU zu verhindern und zu unterbinden. Die Opfer müssen Schutz und Zugang zu geeigneten und wirksamen Rechtsbehelfen wie Entschädigungen erhalten und die Auftraggeber von Zwangs- oder Pflichtarbeit müssen bestraft werden. Der EWSA weist darauf hin, dass die Ratifizierung des IAO-Protokolls von 2014 zum Übereinkommen Nr. 29 (P029) (29) durch alle EU-Mitgliedstaaten der erste Schritt zur wirksamen Umsetzung dieser Maßnahmen ist. Die EU muss die Empfehlungen des Protokolls in ihrer politischen Arbeit und Legislativtätigkeit umsetzen und die internationale Ratifizierung mit allen zur Verfügung stehenden Instrumenten fördern (z. B. Handelsabkommen, Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechtsdialog usw.). Darüber hinaus ist die weltweite Förderung der Ratifizierung und wirksamen Umsetzung des IAO-Übereinkommens von 1949 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen (Nr. 98) (30) ein Schlüsselelement bei der Bekämpfung der Ursachen von Zwangsarbeit. |
3.2. |
Die Umsetzung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen ist ein wichtiger Schritt zur Anwendung der Verantwortung von Unternehmen im Produktionsprozess entlang der gesamten Lieferkette, auf dem daher der Fokus liegt. Sowohl die effektive Anwendung als auch die Sicherstellung eines überschaubaren Verwaltungsaufwands insbesondere für KMU erfordern klar definierte und realistische Verpflichtungen, die voll und ganz mit den bereits von der Europäischen Kommission vorgelegten Rechtsakten, insbesondere der Initiative zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit, im Einklang stehen. Der EWSA begrüßt, dass sich das Einfuhrverbot, das den bestehenden und geplanten Rechtsrahmen ergänzt, auf die Produktlinie konzentriert. |
3.3. |
Bei der Fokussierung auf die Produktlinie wird jedoch außer Acht gelassen, dass Zwangsarbeit häufig ein systemisches Muster in der gesamten Organisation eines Erzeugers, Herstellers oder Einführers ist. Der EWSA betont, dass die Identifizierung von Produkten zwar ein wichtiger Ausgangspunkt ist, das Thema Zwangsarbeit jedoch nicht isoliert angegangen werden darf. Die Verordnung muss ausdrücklich darauf abzielen, alle Produkte eines Wirtschaftsakteurs einzubeziehen, da Zwangsarbeit nicht auf eine Produktlinie innerhalb einer Fabrik beschränkt ist. |
3.4. |
Der EWSA stellt fest, dass dem Vorschlag keine Folgenabschätzung vorausging, die hingegen zu anderen Initiativen wie bspw. dem Vorschlag für eine Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit durchgeführt wurden. Der Schwerpunkt dieser Verordnung liegt auf dem Verbot, der Aussetzung der Inverkehrbringung und dem Zurückhalten ein- und ausgeführter Erzeugnisse durch den Zoll bzw. in Häfen, was zu neuen Verfahren führen wird. Dennoch sollte die Folgenabschätzung ausgewogen sein und den Nutzen und die Kosten der Bekämpfung von Zwangsarbeit berücksichtigen. |
3.5. |
Da der Vorschlag für eine Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Hinblick auf Nachhaltigkeit jedoch derzeit ausgearbeitet wird und der Verordnungsvorschlag auch deutliche Elemente der Sorgfaltspflicht in Lieferketten enthält, ist noch zu klären, wie sich die beiden Rechtsakte in der Praxis zueinander verhalten. Die Europäische Kommission sollte daher abgestimmt vorgehen und Unstimmigkeiten vermeiden. |
3.6. |
Der EWSA stellt fest, dass der Vorschlag gravierende Mängel bezüglich der Bekämpfung systemischer Zwangsarbeit aufweist. Um dieses Problem angemessen anzugehen, könnte ein klares Verfahren für die Berücksichtigung von Regionen und Sektoren mit hohem Zwangsarbeitsrisiko die Wirksamkeit der Verordnung erheblich steigern, um die Verbreitung staatlich auferlegter Zwangsarbeit, insbesondere in den Lieferketten der EU, zu bekämpfen und Unternehmen zu deren Beseitigung zu verpflichten. |
3.7. |
Der EWSA weist darauf hin, dass die in Artikel 11 beschriebene Datenbank ein zentrales Instrument zur Durchsetzung des Verbots sein wird. Gleichwohl muss der Aufbau dieser Datenbank detailliert ausgearbeitet werden. Der EWSA betont die Notwendigkeit klar definierter, präziser, transparenter und genauer Risikoindikatoren, die sich auf den Ursprung und die Bestandteile eines Produkts sowie weitere relevante Informationen stützen, aber nicht darauf beschränkt sind. Diese Datenbank muss auf dem neuesten Stand gehalten und um neue Informationen z. T. aufgrund von Untersuchungsverfahren erweitert werden. |
3.8. |
Der EWSA betont, wie wichtig Transparenz und offener Informationszugang für Unternehmen, die zuständigen Behörden, die organisierte Zivilgesellschaft und die breite Öffentlichkeit sind. Daher schlägt der EWSA vor, im Rahmen der Datenbank ein Benchmarking-System einzuführen, das sich an dem System orientiert, das die Kommission in ihrem Vorschlag für eine Verordnung über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt sowie ihre Ausfuhr aus der Union (COM(2021) 706 final) ausführt. Kernstück dieses Benchmarking-Systems ist ein System für die Einstufung von Regionen und Sektoren bis hin zu Produktgruppen, Produkten und Unternehmen mit hohem und geringem Risiko. Es beruht auf den von Experten in der Datenbank gesammelten Informationen, ist aber nicht auf diese beschränkt. Zudem betont der EWSA, wie wichtig es ist, dass die organisierte Zivilgesellschaft, einschließlich der Sozialpartner, die Möglichkeit haben, einschlägige Informationen beizusteuern. Ein besonderer Schwerpunkt muss sein, es Organisationen der Zivilgesellschaft in Drittländern zu ermöglichen, sachdienliche Informationen über Zwangsarbeit problemlos bereitzustellen. Eine enge Zusammenarbeit mit den Ständigen Vertretungen und Delegationen der EU sowie mit den Büros der Vereinten Nationen und der IAO, der kürzlich eingerichteten IAO-Beobachtungsstelle für Zwangsarbeit und ihrer Datenbank sowie anderen Organisationen der Zivilgesellschaft wie Delta 8.7, die sich mit dem Problem der Zwangsarbeit befassen, ist für die Sammlung einschlägiger Informationen von entscheidender Bedeutung. |
3.9. |
Ein Schlüsselelement der vorgeschlagenen Verordnung besteht darin, dass die zuständigen nationalen Behörden von sich aus oder aufgrund von Informationen, die sie erhalten haben, eine Untersuchung einleiten müssen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass diese Waren in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Nach Auffassung des EWSA sollten die zuständigen nationalen Behörden das Recht haben, Waren an der EU-Grenze zurückzuhalten, sobald sie einen begründeten Verdacht gemäß Artikel 2 Buchstabe n hegen. Ein ähnlicher Ansatz wird von den US-Zollbehörden bereits im Rahmen der Withhold Release Order verfolgt. Der EWSA schlägt vor, dass die Wirtschaftsakteure nach Maßgabe ihrer Risikoeinstufung unterschiedliche Pflichten haben sollten. |
3.10. |
Bei einem hohen Risiko muss eine Sorgfaltspflichtregelung verbindlich vorgeschrieben sein, die die Erhebung von Informationen, die Risikobewertung und die Risikominderung umfasst. Das Vorbild sollte hier das System sein, das in der Verordnung über entwaldungsfreie Produkte dargelegt ist, das jedoch auf den Vorschlag bezüglich der Zwangsarbeit abgestimmt werden muss. Daher sind detaillierte Informationen über das Produkt, den Hersteller, den Importeur, den Ursprung und die Bestandteile sowie die in dem Produkt und seinen Bestandteilen verwendeten Ressourcen und Mineralien im Rahmen der Nachvollziehung und Offenlegung der Lieferkette erforderlich. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Feststellung, wo genau in der Wertschöpfungskette Zwangsarbeit vorkommt. Für KMU sollte angesichts ihrer Voraussetzungen eine vereinfachte Sorgfaltspflicht gelten, die sich auf die Erhebung relevanter Informationen beschränkt. Darüber hinaus sollten die zuständigen nationalen Behörden ihre Voruntersuchungen auf Produkte im Zusammenhang mit Hochrisikoregionen, -unternehmen und/oder -sektoren konzentrieren. Geschäftsgeheimnisse müssen in jedem Fall z. B. durch geeignete Vertraulichkeitsklauseln gewährleistet werden. |
3.11. |
Im Rahmen der Voruntersuchung muss der Wirtschaftsakteur eine Sorgfaltserklärung abgeben, wenn das Produkt mit Hochrisikoregionen, -unternehmen und/oder -sektoren verbunden ist. Die Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten, die laut Artikel 23 in den Leitlinien detailliert angegeben werden sollen, sowie die Nichtübermittlung der erforderlichen Sorgfaltserklärungen müssen als begründete Bedenken eingestuft werden und die Zurückhaltung des Produkts und die direkte Einleitung einer Untersuchung zur Folge haben. Bei Produkten im Zusammenhang mit Regionen, Unternehmen und/oder Sektoren mit geringem Risiko sind die Wirtschaftsakteure von der obligatorischen Sorgfaltspflicht befreit, und das Verfahren muss wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen durchgeführt werden. Der EWSA betont jedoch, dass die Sorgfaltspflicht nicht als Schutz gegen die Einleitung von Untersuchungen eingesetzt werden sollte, um die verantwortungslose Beendigung bestehender Geschäftsverhältnisse zu vermeiden. |
3.12. |
Der EWSA weist darauf hin, dass eine ordnungsgemäße Durchsetzung nur dann möglich ist, wenn die EU-Mitgliedstaaten ihren zuständigen nationalen Behörden ausreichende Mittel und Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Europäische Kommission hat bereits eingestanden, dass eine unzureichende Ausstattung der nationalen Zollbehörden die wirksame Durchsetzung massiv beeinträchtigt. Darüber hinaus sollten die zuständigen nationalen Behörden ausreichend Zeit für eine eingehende und sorgfältige Untersuchung haben. |
3.13. |
Wie in der jüngsten Veröffentlichung der IAO zur modernen Sklaverei dargelegt, haben die Opfer von Zwangsarbeit ganz unterschiedliche soziodemografische Hintergründe. Insbesondere bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen wie Wanderarbeitnehmern ist das Zwangsarbeitsrisiko höher. Daher fordert der EWSA, die Situation von Wanderarbeitnehmern, Staatenlosen und Kindern zu berücksichtigen. Besonderes Augenmerk ist auf die Geschlechterperspektive zu legen. |
3.14. |
Nach Angaben der IAO müssen weltweit 160 Mio. Kinder Kinderarbeit leisten. Die effektive Abschaffung der Kinderarbeit ist Teil der Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit. Das Engagement der EU im Kampf gegen Kinderarbeit ist in ihrem Null-Toleranz-Ansatz gegenüber Kinderarbeit auf der Grundlage von Artikel 32 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der EU-Kinderrechtsstrategie (31) und Ziffer 1.4 Buchstabe c des EU-Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie 2020-2024 verankert. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission Kinderzwangsarbeit in Artikel 2 Buchstabe a des Vorschlags für eine Verordnung ausdrücklich erwähnt. Um die Abschaffung der Kinderarbeit zu beschleunigen, sollte der Geltungsbereich dieser Verordnung jedoch das IAO-Übereinkommen über das Mindestalter von 1973 (Nr. 138), die IAO-Empfehlung Nr. 146, das IAO-Übereinkommen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 (Nr. 182) und die IAO-Empfehlung Nr. 190 einbeziehen. Darüber verweist der EWSA auf die Notwendigkeit einer entsprechenden EU-Gesetzgebungsinitiative zur Bekämpfung aller anderen Formen der Kinderarbeit. |
3.15. |
Der EWSA stellt fest, dass in dem vorliegenden Verordnungsvorschlag die Perspektive der Arbeitnehmer, die innerhalb und außerhalb der Europäischen Union zur Ausbeutung gezwungen werden, nicht ausreichend berücksichtigt wird. Um die Stellung von Zwangsarbeit leistenden Arbeitnehmern zu stärken, sollte in europäischen Rechtsvorschriften eine angemessene Entschädigung der Opfer in Erwägung gezogen werden. Arbeitnehmervertreter, lokale Gewerkschaften, der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) und die Arbeitnehmer selbst sowie zivilgesellschaftliche Organisationen sollten in die Untersuchungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Es gilt sicherzustellen, dass die Ansichten und Interessen der betroffenen Arbeitnehmer in jeder Phase berücksichtigt werden. |
3.16. |
Die Europäische Kommission sollte sich verstärkt für die Schaffung internationaler Strukturen zur Lösung des Problems der Zwangsarbeit und die Harmonisierung der Aktivitäten und Maßnahmen zur Gewährleistung der Rechtssicherheit auf internationaler Ebene einsetzen. Außerdem hat der EWSA bereits mehrfach die Unterstützung der EU für ein verbindliches UN-Übereinkommen über Wirtschaft und Menschenrechte gefordert. Auch die Ausarbeitung eines eventuellen IAO-Übereinkommens über menschenwürdige Arbeit in Lieferketten sollte erwogen werden, wie bereits in der EWSA-Stellungnahme SOC/727 (32) erwähnt. Die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch mit Drittländern und internationalen Organisationen sind wichtig für eine ordnungsgemäße Umsetzung der Ziele der Verordnung. |
3.17. |
Der EWSA betont, dass starke und ambitionierte Rechtsvorschriften für die Bekämpfung von Zwangsarbeit in der EU und allen ihren Partnerländern entscheidend sind. Daher muss der vorliegende Vorschlag an die Definitionen und Kriterien insbesondere in den USA, Kanada und anderen entwickelten und ausgereiften Märkten (z. B. der US-amerikanische UFLPA, der US Tariff Act und das derzeit erörterte Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsarbeit und Kinderarbeit in Lieferketten) angepasst werden, um Inkohärenzen zu vermeiden und das Problem der Zwangsarbeit auf globaler Ebene wirksam anzugehen. Die EU sollte aber gleichwohl über ein effizientes institutionelles System zur Überprüfung von Fällen von Zwangsarbeit weltweit verfügen, das die Unternehmen befolgen müssen. Der Vorschlag sollte die Schaffung gemeinsamer internationaler Strukturen zur Bekämpfung von Zwangsarbeit fördern, um eine stärkere Harmonisierung, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit auf internationaler Ebene zu erreichen, insbesondere um zu verhindern, dass europäische Unternehmen mit ausländischen Rechtsvorschriften in Konflikt geraten. |
3.18. |
Da Zwangsarbeit ein globales Problem ist und die globalen Wertschöpfungsketten eng miteinander verflochten sind, muss die internationale Zusammenarbeit gegen Zwangsarbeit gefördert werden. Der EWSA betont, dass eine enge Zusammenarbeit und ein intensiver Informationsaustausch mit Behörden in Drittländern sowie mit internationalen Organisationen, insbesondere der IAO und den Vereinten Nationen, für die ordnungsgemäße Umsetzung des Verbots von entscheidender Bedeutung sind. |
3.19. |
Die Ständigen Vertretungen und Delegationen der EU vor Ort sollten eine Schlüsselrolle bei der Kommunikation mit Opfern von Zwangsarbeit und mit Organisationen der Zivilgesellschaft spielen. Sie sollten auch eine Schlüsselrolle bei der Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und der IAO bei der Erhebung und Bereitstellung wertvoller Daten für Risikobewertungen (z. B. durch die Einrichtung oder Unterstützung nationaler Erhebungen über Zwangsarbeit) spielen und als Kooperationspartner bei laufenden Untersuchungen fungieren. Ferner sollten sie die erste Anlaufstelle bei Beschwerden sein. |
3.20. |
Die Globalisierung hat die Stellung weltweit tätiger Unternehmen gestärkt und die Macht der staatlichen Institutionen, insbesondere im Globalen Süden, geschwächt. Der EWSA betont, dass die Bekämpfung der Zwangsarbeit in die Handels- und Entwicklungszusammenarbeit der EU einbezogen werden muss. In Bezug auf die weniger entwickelten Länder sollte die aktive Unterstützung der lokalen Arbeitsbehörden Priorität haben. Der EWSA betont, dass bei diesen Rechtsvorschriften alle Länder gleich behandelt werden sollten, und warnt davor, weniger und am wenigsten entwickelte Länder unverhältnismäßig zu benachteiligen. |
3.21. |
Der EWSA begrüßt den Geltungsbereich des Vorschlags, der alle Wirtschaftsakteure unabhängig von ihrer Größe umfasst. Dennoch sollten die Behörden bei ihren Untersuchungen vor allem die Größe und die wirtschaftlichen Ressourcen der Wirtschaftsakteure berücksichtigen. Daher sollten Unternehmen, bei denen ein hohes Risiko des Einsatzes von Zwangsarbeit besteht, sowie große Wirtschaftsakteure vorrangig untersucht werden. Der EWSA weist darauf hin, dass die Besonderheit der digitalen Märkte eine Sonderbehandlung bei der Durchsetzung dieser Rechtsvorschriften erforderlich macht. |
3.22. |
Der EWSA möchte die Vorlage dieses Rechtsakts zum Anlass nehmen und die Europäische Kommission bitten, die Durchführbarkeit einer öffentlichen EU-Ratingagentur für ökologische und soziale Nachhaltigkeit sowie Menschenrechte im wirtschaftlichen Kontext zu prüfen, wie dies bereits in der EWSA-Stellungnahme REX/518, Ziffer 3.11, erörtert wurde. Eine solche Agentur sollte europäische Standards für Sorgfaltspflichtregelungen entwickeln. Diese Standards könnten wesentlich zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen beitragen, was insbesondere im Interesse europäischer Unternehmen liegt. Darüber hinaus muss die Agentur verbindliche Qualitätsstandards für Unternehmen aufstellen, die Prüfungen und Akkreditierungsverfahren für diese Prüfungsgesellschaften in der EU durchführen, und ein Aufsichtssystem für regelmäßige Kontrollen dieser Unternehmen entwickeln. |
3.23. |
Der EWSA fordert, dass in den Mitgliedstaaten zuständige nationale Behörden benannt oder eingerichtet werden. Diese sollen für die Akkreditierung von Unternehmen zuständig sein, die Prüfungen im Bereich der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit sowie der Menschenrechte im wirtschaftlichen Kontext durchführen. Die öffentliche Rating-Agentur muss den zuständigen nationalen Behörden mittels technischer Unterstützung und Schulung bei der Umsetzung nationaler Systeme zur Unterstützung von Unternehmen in Bezug auf Haftung und Sorgfaltspflicht zur Seite stehen. Der EWSA weist darauf hin, dass für die Umsetzung dieser Verordnung klare und verständliche Formulierungen erforderlich sind, um Rechtssicherheit und leicht verständliche Leitlinien zu gewährleisten, und um den Verwaltungsaufwand für die Wirtschaftsakteure, insbesondere KMU, in ihrer täglichen Arbeit überschaubar zu halten. Daher müssen die zuständigen nationalen Behörden Unternehmen, insbesondere KMU technische Unterstützung leisten bei der Konzipierung ihrer Sorgfaltspflichtregelungen (im Einklang mit den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen und der dreigliedrigen Grundsatzerklärung der IAO über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik). |
4. Besondere Bemerkungen
4.1. |
Der EWSA begrüßt die Definition in Artikel 2 Buchstabe a, die auf der Definition der IAO für Zwangsarbeit beruht und „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung“ umfasst. Waren, die mit Hilfe von Zwangsarbeit transportiert werden, sollten daher in den Vorschlag aufgenommen werden, um der Definition zu entsprechen. Zudem sind Verkehrsdienstleistungen ein wesentlicher Teil der Lieferkette von Waren. |
4.2. |
Die Europäische Kommission muss eine starke, aktive und führende Rolle in dem in Artikel 24 vorgeschlagenen Unionsnetzwerk gegen in Zwangsarbeit hergestellte Produkte übernehmen, um die nationalen Behörden, die die Verordnung durchsetzen, zu unterstützen und zu koordinieren. Der EWSA fordert die Kommission auf, für dieses Netzwerk eine klar definierte Struktur vorzusehen und es finanziell ausreichend auszustatten, um die EU-Mitgliedstaaten bei der Sammlung von Informationen und der Nutzung des Netzwerks für die Gewährleistung eines ständigen Informationsflusses zu unterstützen. Das Netzwerk sollte Maßnahmen wie die Durchführung internationaler Untersuchungen koordinieren und die Durchsetzung von Einfuhrverboten unterstützen. Ferner sollte die Kommission die Möglichkeit in Betracht ziehen, selbst Untersuchungen durchzuführen, wie dies bereits bei der Überwachung und Untersuchung wettbewerbswidriger Praktiken der Fall ist. Der EWSA fordert die Kommission auf, die organisierte Zivilgesellschaft, insbesondere die Sozialpartner, an allen Tätigkeiten des Netzwerks zu beteiligen. |
4.3. |
Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, gemäß Artikel 23 des Vorschlags Leitlinien herauszugeben, um Unternehmen dabei zu unterstützen, das Zwangsarbeitsrisiko in ihren Geschäftstätigkeiten und Wertschöpfungsketten zu erkennen, zu minimieren, zu verhindern oder zu beseitigen. Darüber hinaus sollten die Kommission oder andere Behörden klare Empfehlungen dazu abgeben, wie Systeme zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht für KMU entwickelt werden können, und daher insbesondere KMU unterstützen. Der EWSA fordert die Kommission auf, die organisierte Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung zu beteiligen und diese Leitlinien (Artikel 11 und 23) so zeitig zu veröffentlichen, dass sie leicht — und möglichst bald, in jedem Fall vor Inkrafttreten der Verordnung, — zugänglich sind. Dadurch können sich die zuständigen nationalen Behörden, die Zollbehörden und die Unternehmen auf die Umsetzung des Rechtsakts und die damit verbundenen möglichen Schwierigkeiten vorbereiten. |
4.4. |
Der EWSA weist darauf hin, dass die zuständigen nationalen Behörden gemäß Artikel 5 Absatz 6 die Zustimmung der Wirtschaftsakteure benötigen, um Untersuchungen durchzuführen. Dies schwächt die Untersuchungen und schafft eine Lücke in der vorgeschlagenen Verordnung. |
4.5. |
Der EWSA betont die Notwendigkeit eines einheitlichen EU-weiten Mindeststrafmaßes für Verstöße gegen die Verordnung. Dadurch wird ein Wettlauf nach unten durch die Mitgliedstaaten vermieden und es werden gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet. Darüber hinaus wäre es hilfreich, wenn die Kommission regelmäßig (z. B. alle zwei Jahre) über die Durchführung der Verordnung in den einzelnen Mitgliedstaaten Bericht erstatten würde. |
4.6. |
Der EWSA bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die nationalen Zollbehörden für die Umsetzung der Verordnung zuständig sind (Artikel 12). Dies könnte zu Ineffizienzen bei der Umsetzung führen, da es Fälle unterschiedlicher Anwendung durch die verschiedenen nationalen Zollstellen geben kann, wodurch Inkonsistenzen innerhalb der EU entstehen könnten. Daher sollte eine ordnungsgemäße Umsetzung in den verschiedenen Ländern betont und institutionell sichergestellt werden. Die nationalen Durchsetzungsbehörden müssen klare Leitlinien und die erforderlichen Ressourcen erhalten, um die Verordnung wirksam überwachen und durchsetzen zu können. Den Unternehmen sollte technische Unterstützung an die Hand gegeben werden, damit sie die Rechtsvorschriften einhalten können. Zu diesem Zweck benötigt die EU nach Ansicht des EWSA ein Rahmenkonzept für eine gemeinsame Risikobewertung sowie klare Leitlinien, um — wenn möglich — Doppelarbeit zu vermeiden und die Verfahren zu erleichtern. |
4.7. |
In Bezug auf die Fristen für die Untersuchungen sollte der Zeitraum, der den Unternehmen für die Vorlage von Beweismitteln gewährt wird, länger sein als die im Rahmen der Voruntersuchung zugestandenen 15 Tage. Für die zweite Phase der Untersuchung sollten ihnen weitere 15 Tage gewährt werden. Darüber hinaus sollte die 30-Tage-Frist, die Unternehmen für den Rückruf von Produkten, die gegen die Verordnung verstoßen, eingeräumt wird, verlängert werden. Ferner muss mehr Klarheit darüber geschaffen werden, wie die Rücknahme in der Praxis erfolgen soll, einschließlich der eventuellen Vernichtung von Produkten. |
4.8. |
Wie in der EWSA-Stellungnahme INT/973 zum Thema „Nachhaltige Unternehmensführung“ (33) erwähnt, wissen Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter genau, wo Fehlverhalten auftreten kann. Der EWSA weist daher darauf hin, dass Arbeitnehmervertreter und lokale Gewerkschaften sowie der IGB in die Einrichtung von Verfahren bezüglich der Sorgfaltspflichten (Risikokartierung) sowie in deren Überwachung (Umsetzung) und die Meldung von Verstößen (Warnmechanismen) einbezogen werden müssen. Der EWSA fordert eine ausdrückliche Erwähnung der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter in der EU und in Drittländern in Artikel 26 Buchstabe a. |
4.9. |
Der EWSA weist darauf hin, dass die organisierte Zivilgesellschaft bei der Ausarbeitung der in Artikel 27 der Verordnung genannten delegierten Rechtsakte konsultiert werden sollte. |
Brüssel, den 25. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) COM(2022) 453 final.
(2) EU-Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie 2020–2024.
(3) ILO P029 — Protokoll von 2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit, 1930 (Nr. 29).
(4) ILO C138 — Übereinkommen über das Mindestalter, 1973 (Nr. 138).
(5) ILO R146 — Empfehlung betreffend das Mindestalter, 1973 (Nr. 146).
(6) ILO C182 — Übereinkommen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999 (Nr. 182).
(7) ILO R190 — Empfehlung zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999 (Nr. 190).
(8) ILO C029 — Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930 (Nr. 29).
(9) ILO P029 — Protokoll von 2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit, 1930 (Nr. 29).
(10) ILO C105 — Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit, 1957 (Nr. 105).
(11) Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
(12) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
(13) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte.
(14) UN Sustainable Development Goals
(15) Europäische Sozialcharta.
(16) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bekämpfung von Zwangsarbeit in Europa und weltweit: Die Rolle der EU — Beitrag des EWSA zur Konferenz der ILO 2014“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 311 vom 12.9.2014, S. 31).
(17) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Menschenwürdige Arbeit weltweit“ (COM(2022) 66 final) (ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 149).
(18) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbindliche Sorgfaltspflicht“ (Sondierungsstellungnahme) (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 136).
(19) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937“ (COM(2022) 71 final) (ABl. C 443 vom 22.11.2022, S. 81).
(20) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Nachhaltige Lieferketten und menschenwürdige Arbeit im internationalen Handel“ (Sondierungsstellungnahme) (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 197).
(21) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein verbindliches UN-Abkommen über Wirtschaft und Menschenrechte“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C 97 vom 24.3.2020, S. 9).
(22) COM(2022) 66 final.
(23) COM(2022) 71 final.
(24) Verordnung (EU) 2019/1020 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/42/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 765/2008 und (EU) Nr. 305/2011 (ABl. L 169 vom 25.6.2019, S. 1).
(25) UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.
(26) OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen.
(27) ILO MNE Declaration.
(28) ILO Handbook for Employers & Business on Combating Forced.
(29) Ratifizierung des IAO-Protokolls P029.
(30) ILO C098 — Übereinkommen über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechts und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen, 1949 (Nr. 98).
(31) Charta der Grundrechte der Europäischen Uinion (ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 391), EU-Kinderrechtsstrategie.
(32) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Menschenwürdige Arbeit weltweit“ (COM(2022) 66 final) (ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 149).
(33) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937“ (COM(2022) 71 final) (ABl. C 443 vom 22.11.2022, S. 81).
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/84 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EU) 2017/745 und (EU) 2017/746 hinsichtlich der Übergangsbestimmungen für bestimmte Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika“
(COM(2023) 10 final — 2023/0005 (COD))
(2023/C 140/14)
Befassung durch |
Rat der Europäischen Union, 23.1.2023 Europäisches Parlament, 26.1.2023 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 114 und Artikel 168 Absatz 4 Buchstabe c des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
Verabschiedung im Plenum |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
190/0/2 |
Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
21.4.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 140/85 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die an die Europäische Arzneimittel-Agentur zu entrichtenden Gebühren und Entgelte, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 297/95 des Rates und der Verordnung (EU) Nr. 658/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates“
(COM(2022) 721 final — 2022/0417 (COD))
(2023/C 140/15)
Befassung |
Rat der Europäischen Union, 22.12.2022 Europäisches Parlament, 15.12.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 114 und Artikel 168 Absatz 4 Buchstabe c und Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
Verabschiedung im Plenum |
24.1.2023 |
Plenartagung Nr. |
575 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
195/0/1 |
Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, hat er beschlossen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.
Brüssel, den 24. Januar 2023
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG