ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 56

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

64. Jahrgang
16. Februar 2021


Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

556. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses – Videokonferenz über Interactio, 2.12.2020-3.12.2020

2021/C 56/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Eine EU-Strategie für bessere grüne Fähigkeiten und Kompetenzen für alle (Initiativstellungnahme)

1

2021/C 56/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Umstellung auf eine grüne und digitale Wirtschaft in Europa: nötige rechtliche Vorgaben und die Rolle der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft (Sondierungsstellungnahme)

10

2021/C 56/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: Grundsätze für öffentliche Dienstleistungen/Stabilität der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des deutschen Ratsvorsitzes)

29

2021/C 56/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Gewährleistung der praktischen Ausübung des Wahlrechts durch Menschen mit Behinderungen bei der Wahl zum Europäischen Parlament (ergänzende Initiativstellungnahme)

36


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

556. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses – Videokonferenz über Interactio, 2.12.2020-3.12.2020

2021/C 56/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über grenzüberschreitende Zahlungen in der Union (kodifizierter Text)(COM(2020) 323 final — 2020/0145 (COD))

43

2021/C 56/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — EU-Agenda zur Drogenbekämpfung und Aktionsplan für den Zeitraum 2021–2025(COM(2020) 606 final)

47

2021/C 56/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums (Neufassung)(COM(2020) 579) und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1139 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Fähigkeit der Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit, als Leistungsüberprüfungsgremium für den einheitlichen europäischen Luftraum zu handeln(COM(2020) 577)

53

2021/C 56/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Bewirtschaftungs-, Bestandserhaltungs- und Kontrollmaßnahmen für den Übereinkommensbereich der Interamerikanischen Kommission für tropischen Thunfisch und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 520/2007 des Rates(COM(2020) 308 final — 2020/0139 (COD))

59

2021/C 56/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates in Bezug auf zeitlich befristete Maßnahmen im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer für COVID-19-Impfstoffe und -In-vitro-Diagnostika als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie(COM(2020) 688 final — 2020/0311 (CNS))

61

2021/C 56/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ermächtigung der Kommission, für die Aufstockung des Kapitals des Europäischen Investitionsfonds zu stimmen(COM(2020) 774 final — 2020/0343 (COD))

62

2021/C 56/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit(COM(2020) 0571-2020/0262 (COD))

63

2021/C 56/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Sicherheit und Konnektivität im Eisenbahnverkehr im Hinblick auf die die Union und das Vereinigte Königreich über die feste Ärmelkanal-Verbindung verbindende grenzüberschreitende Infrastruktur(COM(2020) 782 final — 2020/0347 (COD))

64


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

556. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses – Videokonferenz über Interactio, 2.12.2020-3.12.2020

16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine EU-Strategie für bessere grüne Fähigkeiten und Kompetenzen für alle“

(Initiativstellungnahme)

(2021/C 56/01)

Berichterstatterin:

Tatjana BABRAUSKIENĖ

Beschluss des Plenums

20.2.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

11.11.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

2.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

241/4/8

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstreicht, dass wir alle die Pflicht haben, uns ökologisch verantwortungsbewusst zu verhalten. Eine nachhaltige ökologische Entwicklung erfordert einen drastischen Wandel unserer Gesellschaften, der auch persönliche und kollektive Veränderungen unserer Einstellung, unseres Verhaltens, unserer Lebensweise sowie in der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Organisation unserer Länder und Gesellschaften einschließt.

1.2.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, unter Einbeziehung der Sozialpartner und der einschlägigen Interessenträger wirksame nationale Strategien aufzustellen, um bei der dringend erforderlichen Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG) Fortschritte zu machen, denen zufolge die Länder Maßnahmen in den Bereichen inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung (SDG 4) und Klimawandel (SDG 13) ergreifen müssen. Insbesondere wird mit Einzelziel 13.3 darauf abgezielt, „die Aufklärung und Sensibilisierung sowie die personellen und institutionellen Kapazitäten im Bereich der Abschwächung des Klimawandels, der Klimaanpassung, der Reduzierung der Klimaauswirkungen sowie der Frühwarnung [zu] verbessern“. Einzelziel 4.7 soll „sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben“; dabei geht es nicht nur um die Verbesserung der Kompetenzen und die Förderung der Wirtschaft, sondern auch darum, die Ziele Weltbürgerschaft und Frieden voranzubringen. Die Bildung spielt eine entscheidende Rolle für diesen Wandel, was viel mehr beinhaltet als die bloße Behandlung von Umweltfragen im Unterricht.

1.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den ersten Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte umzusetzen, der für alle in Europa ein Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form vorsieht, und diesen anzuwenden, um die Entwicklung von grünen Kompetenzen und Fertigkeiten für den Umweltschutz und von Fachkompetenz für alle zu verbessern. Die Umsetzung dieses Grundsatzes muss in Absprache mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft nachhaltig mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden.

1.4.

Der EWSA ist der Ansicht, dass grüne Kompetenzen, ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln und nachhaltige Entwicklung allgemein in die Lernergebnisse (Wissen, Kompetenzen, Einstellungen und Werte) im Rahmen des formalen, informellen und nichtformalen Lernens aller Altersgruppen in sämtlichen Bildungsbereichen, Berufsausbildungen und Arbeitnehmerfortbildungen in den grünen Wirtschaftszweigen und darüber hinaus eingebunden werden sollten.

1.5.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, an eine stärkere Verknüpfung der umweltpolitischen Maßnahmen mit den beschäftigungs- und bildungspolitischen Maßnahmen zu denken. Dies dürfte unter anderem zu einer Fokussierung auf die Antizipation des Kompetenzbedarfs und die Entwicklung von Kompetenzen bei Arbeitslosen und Beschäftigten beitragen, in deren Aus- und Weiterbildung ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln und vor allem grüne Kompetenzen berücksichtigt werden sollten. Daher muss unbedingt sichergestellt werden, dass das Thema Klimawandel im Unterricht mit einer demokratischen Schulkultur und einem umweltbewussten Lernumfeld einhergeht und dass grüne Schulen geschaffen werden, die über eine klimagerechte und umweltfreundliche Infrastruktur verfügen, in Partnerschaft mit allen schulischen Interessenträgern nachhaltig geführt werden und die Schülerinnen und Schüler auf die Bekämpfung des Klimawandels als aktive Bürger und in ihrem späteren Beruf vorbereiten.

1.6.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, auf EU-Ebene Studien zum Thema Entwicklung grüner Kompetenzen und Fertigkeiten in den Mitgliedstaaten durchzuführen und ihre politische Strategie an diesen Studien auszurichten. Die Schulen sind für die Schülerinnen und Schüler eine wichtige Informationsquelle zu Umweltfragen, insbesondere im Zeitalter des allwissenden Internets, der sozialen Medien und von Fake News. Es sind jedoch weitere Informationen zu den Strategien der Mitgliedstaaten nötig, wie sie das Bewusstsein für den Klimawandel, ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln und die nachhaltige Entwicklung als grüne Kompetenzen und Fertigkeiten in die Bildungspolitik und die Lehrpläne in der frühkindlichen Bildung, der allgemeinen Bildung und der Hochschulbildung integrieren. In diesem Rahmen sollten auch soziale und fachliche grüne Kompetenzen und Fertigkeiten in der beruflichen Bildung, der beruflichen Erstausbildung und in der beruflichen Fortbildung sowie in der Weiterqualifizierung und Umschulung von Arbeitslosen und Beschäftigten erforscht werden.

1.7.

Der EWSA verweist darauf, dass Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen grüne Kompetenzen und Fertigkeiten benötigen, weswegen diese bei der Umsetzung des Referenzrahmens für Schlüsselkompetenzen (1) für alle Bildungsarten stärker berücksichtigt werden müssen. Ferner sollte der Referenzrahmen für Schlüsselkompetenzen dafür genutzt werden, die Bürgerkompetenz, die für ein ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln erforderlich ist, und die „mathematische Kompetenz und Kompetenz in Naturwissenschaften, Informatik und Technik“, die als Grundlage für die ökologische Nachhaltigkeit insbesondere mit Blick auf den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt dienen sollte, zu verbessern. Darüber hinaus sollten grüne Kompetenzen und Fragen der ökologischen Verantwortung in alle Unterrichtsfächer einbezogen werden, insbesondere in die Fächer Geografie, Ethik und Philosophie.

1.8.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission in der neuen europäischen Kompetenzagenda (2) (2020) grüne Kompetenzen in den Blick nimmt. Er bedauert allerdings, dass zwar für die Länder eine Zielvorgabe für den Anteil der Erwachsenen mit grundlegenden digitalen Kompetenzen vorgeschlagen wird, aber keine Zielvorgabe zu dem Anteil der Erwachsenen angegeben wird, die eine hochwertige und inklusive Schulung in zumindest grundlegenden grünen Kompetenzen und Fertigkeiten erhalten haben.

1.9.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass mit dem europäischen Grünen Deal (3) (2019) eine umfassende EU-Strategie für die Bekämpfung des Klimawandels und den Umweltschutz vorgelegt wurde, um bis zum Jahr 2050 die Klimaneutralität in der EU zu verwirklichen, und verschiedene Strategien angekündigt wurden, die in Zukunft durch Rechtsakte, finanzielle Mittel und nationale Reformen unterstützt werden. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, nationale Strategien aufzustellen, die auch auf die Bildung im Bereich ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln und grüne Kompetenzen sowie proaktive Weiterqualifizierung und Umschulung ausgerichtet sind, um den gerechten Übergang zu einer grünen Wirtschaft für alle zu erleichtern, insbesondere für Beschäftigte in schrumpfenden Branchen. Der EWSA erinnert daran, dass solche Reformen im Rahmen eines wirksamen sozialen Dialogs mit den Lehrer- und Arbeitnehmergewerkschaften, den Arbeitgebern und in Absprache mit den einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft durchgeführt werden müssen.

1.10.

Der EWSA begrüßt, dass im Rahmen des europäischen Grünen Deals ein „europäischer Kompetenzrahmen“ eingerichtet werden soll, und empfiehlt der Kommission, diesen weiterzuentwickeln, sodass er auf das formale, informelle und nichtformale Lernen im Rahmen der Methode der offenen Koordinierung angewandt werden kann, was die Einbindung von Vertretern der Bildungsministerien, der Sozialpartner aus dem Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung und anderer einschlägiger Interessenträger wie nichtstaatlicher Organisationen aus dem Jugend- und Bildungsbereich erfordert.

1.11.

Der EWSA begrüßt, dass das Europäische Parlament eine Entschließung zum europäischen Grünen Deal (4) angenommen und darin hervorgehoben hat, dass im Rahmen der Industriestrategie die Auswirkungen auf die Arbeitskräfte sowie Ausbildung, Umschulung und Weiterqualifizierung der Arbeitnehmer (5) berücksichtigt werden müssen, und unterstützt die regionale Dimension dieser Strategie und eine starke Steuerung mit sozialem Dialog. Der EWSA unterstreicht, dass auch die Unternehmen Strategien für den Umweltschutz entwickeln müssen, weshalb die Kompetenzentwicklung auch bei den Arbeitgebern wichtig ist.

1.12.

Der EWSA fordert die künftigen EU-Ratsvorsitze und die Europäische Kommission auf, die Zusammenarbeit zwischen den Ratsformationen „Bildung“, „Beschäftigung“ und „Umwelt“ zu stärken, damit die Entscheidungsträger auf oberster Ebene eine Brücke schlagen zwischen der Bekämpfung des Klimawandels und der Bedeutung der Vermittlung grüner Kompetenzen und Fertigkeiten für alle Altersgruppen in allen Arten und Formen der allgemeinen und beruflichen Bildung.

1.13.

Der EWSA fordert eine umfassende Strategie auf EU-Ebene, etwa in Form einer Empfehlung des Rates. Gegenstand einer solchen Strategie sollten die Verbesserung der allgemeinen und beruflichen Bildung im Bereich der grünen Kompetenzen und Fertigkeiten, die Entwicklung von Strategien für grüne Schulen und die Weiterqualifizierung und Umschulung von Erwachsenen am Arbeitsplatz und darüber hinaus in Fertigkeiten sein, die für den Umweltschutz, die Gesellschaft und die Ökologisierung der Wirtschaft erforderlich sind. Der EWSA schlägt vor, in einer Empfehlung des Rates die Empfehlungen der neuen europäischen Kompetenzagenda weiterzuentwickeln und dabei den Fokus darauf zu richten, wie alle Bürgerinnen und Bürgern zu umweltbewusstem Denken und Verhalten motiviert werden können. Ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln sollte zu einer Querschnittskompetenz in der allgemeinen und beruflichen Bildung im europäischen Bildungsraum gemacht werden. Der gleichberechtigte Zugang zum Erwerb grüner Kompetenzen für alle Altersstufen, Geschlechter und insbesondere sozioökonomisch benachteiligte Gruppen sollte hierbei besonders berücksichtigt werden. Die Umsetzung der Strategie auf diese Art sollte auch mit einer Aufwertung der allgemeinen und beruflichen Bildung durch die staatlich finanzierte, nachhaltige Ausstattung mit angemessenen fachlichen, finanziellen und personellen Ressourcen einhergehen.

1.14.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten umfassende Strategien entwickeln und Mittel bereitstellen sollten, um die berufliche Erstausbildung und Weiterbildung von Lehrkräften und Ausbildern im Bereich Umweltschutz als fächerübergreifendes Thema in allen Stufen sämtlicher Arten der allgemeinen und beruflichen Bildung sowie spezifische Fortbildungen zu grünen Kompetenzen und Fertigkeiten zu fördern. Die Mitgliedstaaten sollten zudem für die Bereitstellung einer angemessenen fachlichen Unterstützung für Lehrkräfte und Ausbilder sowie einschlägige, aktuelle Unterrichtsmaterialien, -instrumente, -methoden und -verfahren zu diesem Thema sorgen.

1.15.

Der EWSA hebt hervor, dass der Erwerb grüner Kompetenzen am Arbeitsplatz zu einer stärkeren Resilienz und größeren Anpassungsfähigkeit der Beschäftigten, Führungskräfte und Interessenträger und somit gleichzeitig zu einem grünen Wachstum beiträgt. Der EWSA ruft dazu auf, die Zusammenarbeit und die Bündelung der Ressourcen von Unternehmen (vor allem KMU) zu unterstützen, um den Fortbildungsbedarf in Bezug auf grüne Sozial- und Fachkompetenzen und -fertigkeiten zu decken.

1.16.

Der EWSA fordert die Bereitstellung von EU-Fördermitteln für grüne Kompetenzen und Fertigkeiten im Bereich Umweltschutz, z. B. sollten Erasmus+, der ESF+, das Aufbaupaket und der Fonds für einen gerechten Übergang darauf ausgerichtet werden, die Entwicklung grüner Kompetenzen bei den Lernenden aller Altersstufen finanziell zu unterstützen.

1.17.

Der EWSA fordert eine Ökologisierung des Europäischen Semesters (6), weswegen er die Kommission zur Zusammenarbeit mit den Bildungsministerien, den Sozialpartnern und entsprechenden Organisationen der Zivilgesellschaft aufruft, um länderspezifische Empfehlungen für die Mitgliedstaaten für eine bessere Vermittlung grüner Kompetenzen und Fertigkeiten auf allen Ebenen und für alle Arten der allgemeinen und beruflichen Bildung zu entwerfen, von der frühkindlichen Bildung bis zur Hochschulbildung und Erwachsenenbildung unter Berücksichtigung einer wirksamen Unterstützung für Erwachsene nicht nur am Arbeitsplatz.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Die Bekämpfung des Klimawandels hat enorme Auswirkungen auf die sozialen Bedingungen, die Bildung, die Beschäftigung und den Arbeitsmarkt. Das Jahr 2019 stand in Europa im Zeichen einer besonders großen Mobilisierung der Bürger, vor allem getragen von Schülern und Studierenden, die die Regierungen aufforderten, dringend und entschieden etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Wir alle, Verbraucher und Bürger im Allgemeinen, aber auch politische Entscheidungsträger, Unternehmen und Beschäftigte müssen ökologisch verantwortungsbewusst handeln und benötigen grüne Kompetenzen. Dies gilt für alle Branchen und Tätigkeiten, sowohl im Berufsleben (in Bezug auf Aufgaben von strategischer Planung und Innovation bis hin zu ganz grundlegender Arbeit in Fabriken und Dienstleistungen) als auch im Alltag (z. B. in Bezug auf Haushalt, Verkehr und Konsum) vor allem als Bestandteil jeder beruflichen Tätigkeit, auch wenn einige Tätigkeiten besondere Fachkenntnisse im Umweltbereich erfordern.

2.2.

Störungen der Wirtschaft aufgrund der COVID-19-Pandemie dürfen nicht dazu führen, dass die Klimapolitik bei den Regierungen und Menschen in ganz Europa in den Hintergrund gerät. Die Politiker, Unternehmen, Gesetzgeber und Aktivisten in Europa haben ihre Entscheidungsträger zu grünen Investitionen aufgefordert, um dem Wachstum nach der Coronavirus-Pandemie wieder auf die Beine zu helfen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Wirtschaft unter anderem durch die Bekämpfung des Klimawandels und die Förderung der biologischen Vielfalt wieder stark gemacht wird. Die Konjunkturpakete für die Zeit nach der COVID-19-Pandemie sind eine Gelegenheit zur Einleitung eines grünen Wandels und Aufschwungs, der mit der Schaffung grüner Arbeitsplätze einhergeht.

2.3.

Parallel zur COVID-19-Krise kam es in mehreren Ländern zu heftigen Protesten infolge steuerlicher und sozialer Reformen, die von Teilen der Bevölkerung als ungerecht empfunden wurden. Diese jüngsten Entwicklungen zeigen die Dringlichkeit und die Notwendigkeit ehrgeiziger und wirksamer Klimaschutzmaßnahmen, die den am stärksten gefährdeten Regionen, Branchen, Arbeitnehmern und Bürgern im Allgemeinen Rechnung tragen und diese unterstützen sollten. Diese Klimaschutzmaßnahmen haben unweigerlich Auswirkungen auf das formale, informelle und nichtformale Lernen in allen Altersgruppen, weswegen grüne Kompetenzen, ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln und nachhaltige Entwicklung als Querschnittskompetenzen in die Lernergebnisse (Wissen, Kompetenzen, Einstellungen und Werte) in sämtliche Bildungsbereichen, Berufsausbildungen und Weiterbildungen von Arbeitnehmern in den grünen Wirtschaftszweigen und darüber hinaus integriert werden sollten. Grüne Kompetenzen und Fertigkeiten sollten als Fähigkeiten begriffen werden, die für die Gesellschaft und die Wirtschaft benötigt werden, um den ökologischen Anforderungen gerecht zu werden. Diese betreffen eine große Bandbreite ökologischer Aspekte, angefangen bei Klimawandel und Umweltverschmutzung bis hin zu natürlichen Ressourcen und biologischer Vielfalt.

2.4.

Die Bildung spielt bei der Bewusstmachung der ökologischen Herausforderungen und der Prägung der Einstellungen und Verhaltensweisen, die etwas bewirken können, eine grundlegende Rolle. Während laut OECD (7) viele 15-Jährige aus ökologischer Sicht pessimistisch auf ihre Zukunft blicken (8), haben bereits zahlreiche Länder Umweltthemen in ihre Lehrpläne aufgenommen, in denen Themen wie Recycling, Verbrauchsgewohnheiten im Alltag und nachhaltiges Verhalten behandelt werden. Die Schulen sind eine wesentliche Informationsquelle für Schülerinnen und Schüler, wenn es um Umweltwissen geht, und ein Ort, der verantwortungsbewusste und kritisch denkende Bürgerinnen und Bürger ausbildet, die um die Ursachen und Folgen von Umweltproblemen wissen und über die Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen verfügen, die für die Suche nach nachhaltigeren Lösungen benötigt werden. Es sind jedoch weitere Informationen zu den Strategien der Mitgliedstaaten nötig, wie sie das Bewusstsein für den Klimawandel, ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln und die nachhaltige Entwicklung als grüne Kompetenzen und Fertigkeiten in die Lehrpläne in der frühkindlichen Bildung, der allgemeinen Bildung und der Hochschulbildung integrieren.

2.5.

Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen benötigen grüne Kompetenzen und Fertigkeiten. Der Begriff „grüne Kompetenzen“ ist bereichsübergreifend und bezieht sich auf die Fähigkeit, Umweltaspekte mit anderen Kompetenzen zu verknüpfen. Dies erfordert ein ausreichendes Verständnis und Wissen über Umweltthemen, zugleich aber auch eine solide Grundlage allgemeiner und fachlicher Kompetenzen. Im Referenzrahmen der Schlüsselkompetenzen (9) wird erwähnt, dass mathematische Kompetenz und Kompetenz in Naturwissenschaften, Informatik und Technik (MINT) die ökologische Nachhaltigkeit unterstützen müssen, insbesondere mit Blick auf den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, und dass für ein ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln Bürgerkompetenz erforderlich ist. Kompetenzen in den MINT-Fächern sind eine wichtige Grundlage für das Verständnis von Umweltthemen und außerdem für die Entwicklung von Problemlösungen. Kompetenzen wie kritisches Denken, Kreativität und Zusammenarbeit/Teamwork sind ebenfalls wichtig für eine umweltbewusste und aktive Bürgerschaft.

2.6.

Laut OECD gibt es in den meisten Ländern nur sehr wenige Schulen, die über ein spezielles Lehrangebot zum Thema Umwelt verfügen; häufiger wird das Thema allerdings im Rahmen anderer Kernlehrpläne behandelt, und viele Schulen bieten eher außerschulische Aktivitäten zum Thema Umwelt an (10). Es liegen jedoch noch keine speziellen internationalen Studien zu den nationalen Strategien und Lehrplänen über Umweltwissenschaften, zum Umweltbewusstsein und zur spezifischen Entwicklung von Angeboten für die Vermittlung und Bewertung grüner Kompetenzen vor. Der EWSA fordert die Europäische Kommission daher auf, die Forschung zum Thema Entwicklung grüner Kompetenzen und Fertigkeiten in den Mitgliedstaaten zu verstärken und ihre politische Strategie an den Forschungsergebnissen auszurichten.

2.7.

Die Ökologisierung der Wirtschaft bedeutet, Produkte herzustellen und Dienstleistungen anzubieten, deren Herstellung weniger Energie und Rohstoffe benötigt und zu geringeren CO2-Emissionen führt. Dies gilt für sämtliche Wirtschaftstätigkeiten in allen Branchen und umfasst Beschäftigte und Verbraucher (11). Die Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft erfordert strukturelle Veränderungen in allen Sektoren und Berufsfeldern in dem Maße, in dem neue „grüne“ Berufe entstehen oder verstärkt gebraucht werden. Am dringendsten ist jedoch die Ökologisierung der bestehenden Branchen. Dies erfordert ein neues Qualifikationsprofil, was durch aktualisierte Lehrpläne oder auch ganz neue Qualifikationen auf allen Stufen der allgemeinen und beruflichen Bildung zu erreichen ist.

2.8.

In jedem Beruf sind spezifische Umweltaspekte zu berücksichtigen. Während die Ökologisierung der Wirtschaft vor allem in bestimmten Branchen wie Energie- und Ressourceneffizienz, Baugewerbe oder verarbeitendem Gewerbe einen Kompetenzbedarf schafft, führt der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft in zahlreichen Branchen zu einem Bedarf an grünen Kompetenzen. Diese neuen Kompetenzen müssen zudem in verschiedenen Bildungsbereichen berücksichtigt werden, unter anderem in der beruflichen Bildung, angefangen bei der beruflichen Erstausbildung bis hin zu Weiterqualifizierungsmaßnahmen, sowie im Rahmen von Ausbildungslehrplänen. Diese neuen grünen Kompetenzen können von sehr fachlichen und arbeitsplatzspezifischen Kompetenzen bis hin zu persönlichen Kompetenzen wie einer verantwortungsbewussten Ressourcennutzung reichen, die für alle Berufsarten, Hierarchieebenen und Branchen wichtig sein können (12).

2.9.

Noch immer steht eine umfassende Strategie auf EU-Ebene, etwa in Form einer Empfehlung des Rates, aus. Gegenstand einer solchen Strategie sollten die Verbesserung der allgemeinen und beruflichen Bildung im Bereich der grünen Kompetenzen und Fertigkeiten, die Entwicklung von Strategien für grüne Schulen und die Weiterqualifizierung und Umschulung von Erwachsenen nicht nur am Arbeitsplatz in Fertigkeiten sein, die für den Umweltschutz, die Gesellschaft und die Ökologisierung der Wirtschaft erforderlich sind. Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission in der neuen europäischen Kompetenzagenda (13) (2020) grüne Kompetenzen in den Blick nimmt. Er bedauert allerdings, dass zwar für die Länder eine Zielvorgabe für den Anteil von Erwachsenen mit grundlegenden digitalen Kompetenzen vorgeschlagen wird, aber keine Zielvorgabe zu dem Anteil der Erwachsenen angegeben wird, die zumindest in grundlegenden grünen Kompetenzen und Fertigkeiten geschult sind. Der EWSA schlägt vor, in einer Empfehlung des Rates die Empfehlungen der neuen europäischen Kompetenzagenda weiterzuentwickeln und dabei den Fokus darauf zu richten, wie bei allen Bürgerinnen und Bürgern umweltbewusstes Denken und Verhalten angeregt werden kann. Ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln sollte zu einer Querschnittskompetenz in der allgemeinen und beruflichen Bildung im europäischen Bildungsraum gemacht werden. Der gleichberechtigte Zugang zum Erwerb grüner Kompetenzen für alle Altersstufen, Geschlechter und sozioökonomisch benachteiligte Gruppen sollte hierbei besonders berücksichtigt werden.

2.10.

Der Übergang zu einer emissionsarmen Kreislaufwirtschaft wird unweigerlich die Strukturen der Branchen und Tätigkeitsprofile verändern und Chancen, aber auch Herausforderungen mit sich bringen, darunter schrumpfende Branchen und Branchen mit Einstellungsengpässen. Aus dieser Perspektive würden maßgeschneiderte Ansätze für stärker gefährdete Gruppen von Erwachsenen wie Geringqualifizierte (14) einen weiteren sozioökonomischen Nutzen erzielen.

2.11.

Es sollten umfassende Strategien entwickelt und Fördermittel bereitgestellt werden, um die berufliche Erstausbildung und Weiterbildung von Lehrkräften und Ausbildern im Bereich Umweltschutz als fächerübergreifendes Thema in allen Stufen sämtlicher Arten der allgemeinen und beruflichen Bildung sowie spezifische Fortbildungen zu grünen Kompetenzen und Fertigkeiten zu fördern. Daneben sollte für die Bereitstellung einer angemessenen fachlichen Unterstützung für Lehrkräfte und Ausbilder sowie einschlägige, aktuelle Unterrichtsmaterialien, -instrumente, -methoden und -verfahren zu diesem Thema gesorgt werden.

2.12.

Laut jüngsten Studien (15) liegt der Schwerpunkt von Weiterbildungsprogrammen zur Kompetenzentwicklung von Arbeitslosen oder Beschäftigten im Allgemeinen selten auf grünen Kompetenzen. Manche Branchenverbände und Wohltätigkeitsorganisationen oder gemeinnützigen Organisationen setzen sich jedoch für die Entwicklung dieser Kompetenzen ein. Daran zeigt sich vielleicht, wie schwach umweltrelevante Strategien den Feststellungen zufolge mit Strategien im Bereich Beschäftigung und Kompetenzen, darunter die Antizipation des Kompetenzbedarfs, miteinander verknüpft sind. In den untersuchten Ländern stehen grüne Kompetenzen und Arbeitsplätze allein selten im Fokus der Rechtsakte, Maßnahmen und Strategien. Gleichzeitig existieren kaum finanzielle Förderungen und Anreize für Unternehmen, die grünen Kompetenzen entwickeln.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Länder im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen in den Bereichen inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung (SDG 4) und Klimawandel (SDG 13) tätig werden müssen. Insbesondere wird mit Einzelziel 13.3 darauf abgezielt, „die Aufklärung und Sensibilisierung sowie die personellen und institutionellen Kapazitäten im Bereich der Abschwächung des Klimawandels, der Klimaanpassung, der Reduzierung der Klimaauswirkungen sowie der Frühwarnung [zu] verbessern“. Einzelziel 4.7 soll „sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben“; dabei geht es nicht nur um die Verbesserung der Kompetenzen und die Förderung der Wirtschaft, sondern auch darum, die Ziele Weltbürgerschaft, aktive demokratische Bürgerschaft und Frieden voranzubringen.

3.2.

Der EWSA betont, dass der erste Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte, der für alle in Europa ein Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form vorsieht, im Rahmen einer besseren Vermittlung grüner Kompetenzen und Fertigkeiten für alle umgesetzt und die Umsetzung dieses Grundsatzes in Abstimmung mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft nachhaltig mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden muss.

3.3.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass mit dem am 11. Dezember 2019 vorgestellten europäischen Grünen Deal (16) eine umfassende EU-Strategie für die Bekämpfung des Klimawandels und den Umweltschutz vorgelegt wurde, um bis zum Jahr 2050 die Klimaneutralität in der EU zu erreichen, und verschiedene Strategien angekündigt wurden, die in Zukunft durch Rechtsakte, finanzielle Mittel und nationale Reformen unterstützt werden. Der EWSA begrüßt besonders, dass im europäischen Grünen Deal hervorgehoben wird, dass „Schulen, Berufsbildungseinrichtungen und Hochschulen […] sich besonders [eignen], um mit Lernenden, Eltern und der Gemeinschaft insgesamt über die Veränderungen zu diskutieren, die für einen erfolgreichen Übergang erforderlich sind“. Im Rahmen des europäischen Grünen Deals wird außerdem hervorgehoben, wie wichtig proaktive Weiterqualifizierung und Umschulung sind, um den gerechten Übergang zu einer grünen Wirtschaft für alle zu erleichtern, insbesondere für Beschäftigte in schrumpfenden Branchen.

3.4.

Mit dem europäischen Grünen Deal kündigte die Europäische Kommission an, „einen europäischen Kompetenzrahmen [zu] erarbeiten, der dazu beitragen soll, Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen in den Bereichen Klimawandel und nachhaltige Entwicklung zu entwickeln und zu bewerten. Außerdem wird sie Hilfsmaterialien bereitstellen und den Austausch bewährter Verfahren in EU-weit vernetzten Ausbildungsprogrammen für Lehrkräfte erleichtern.“ Der EWSA begrüßt diesen Vorschlag und empfiehlt, dass die Kommission einen Kompetenzrahmen entwickelt, der auf das formale, informelle und nichtformale Lernen im Rahmen der offenen Methode der Koordinierung anzuwenden ist, die die Einbindung von Vertretern der Bildungsministerien, der Sozialpartner aus dem Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung und anderer einschlägiger Interessenträger wie nichtstaatlicher Organisationen aus dem Jugend- und Bildungsbereich erfordert.

3.5.

Mit Blick auf das formale Lernen gehen grüne Kompetenzen und ein Fokus auf Klimawandel beim Lernen und Lehren mit mehr Demokratie in den Schulen und einem umweltbewussten Lernumfeld einher, was zur Schaffung grüner Schulen führt, die durch eine klimabewusste und eine umweltfreundliche Infrastruktur in Partnerschaft mit der gesamten Schulgemeinschaft nachhaltig geführt werden und die Schüler auf die Bekämpfung des Klimawandels als aktive Bürger und in ihrem späteren Beruf vorbereiten.

3.6.

Im Rahmen nationaler aktiver Strategien für die Bereiche allgemeine und berufliche Bildung und Kompetenzen müssen in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Akteuren, im Rahmen eines wirksamen sozialen Dialogs sowie in Absprache mit den entsprechenden Organisationen der Zivilgesellschaft, einschließlich Schülern und Studierenden, jungen Menschen, Lehrkräften und Elternorganisationen, grüne Kompetenzen zur Förderung einer ressourceneffizienten und sozial integrativen Niedrigemissionswirtschaft entwickelt werden. Diese Strategien müssen darüber hinaus auf der Grundlage einer Antizipation des Qualifikationsbedarfs und wirksamer Systeme zur Abstimmung von Kompetenzen (17) ausgestaltet und stets aktuell gehalten werden. An diesem System müssen die einschlägigen Interessenträger, insbesondere die Sozialpartner und im Bereich Jugend und Bildung tätige nichtstaatliche Organisationen, beteiligt sein, und es muss weiteren politischen Zielen Rechnung getragen werden, etwa den Zielen im Bereich Bildung, Beschäftigung, Umweltschutz, Kreislaufwirtschaft und Migration. Dadurch könnte die allgemeine und berufliche Bildung rechtzeitig und gezielt auf den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedarf im Bereich grüne Kompetenzen ausgerichtet werden. Da der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft als strategisches Ziel der Mitgliedstaaten betrachtet wird, sollte die Förderung der Vermittlung grüner Kompetenzen darüber hinaus an die nationalen Wachstumsstrategien angepasst werden, damit Initiativen für die allgemeine und berufliche Bildung die nationalen strategischen Ziele erfüllen.

3.7.

Neben der formalen Bildung tragen nichtformale Lernumgebungen zur Herausbildung umweltbewusster Bürgerinnen und Bürgern bei, indem die Gelegenheiten und Voraussetzungen geschaffen werden, die es jungen Menschen ermöglichen, sich das Grundwissen sowie die Kompetenzen, Werte, Einstellungen und umweltfreundlichen Verhaltensweisen anzueignen, die sie als umweltbewusste Bürger benötigen. Darüber hinaus wird ein umweltbewusster Bürger befähigt und motiviert, sich als Akteur für den Wandel in der Gesellschaft zu engagieren, der an der Lösung der derzeitigen Umweltprobleme und der Vermeidung neuer Probleme sowie an der Erreichung der Nachhaltigkeit und Wiederherstellung unserer (menschlichen) Beziehung mit der Natur mitwirken möchte. Lernformen wie ortsbezogenes Lernen, Bildung über städtische Ökologie (Civic Ecology), Handlungskompetenz und sozialwissenschaftliches Lernen durch Fragen (enquiry-based learning) können dazu beitragen, die Kompetenzen junger Menschen für die intensive gesellschaftliche Teilhabe zu entwickeln, die zur Verwirklichung eines ökologischen und gesellschaftlichen Wandels gebraucht werden (18). Daher ist es von grundlegender Bedeutung, Programme für die nichtformale Bildung und Organisationen, die mit diesen Weiterqualifizierungsmethoden arbeiten, zu unterstützen, da sie die formale Bildung in den Schulen ergänzen.

3.8.

Nach dem Vorbild der ersten gemeinsamen Tagung des Rates der Minister für Finanzen und für Bildung im Jahr 2019 (19) fordert der EWSA die künftigen EU-Ratsvorsitze und die Europäische Kommission auf, die Zusammenarbeit zwischen den Ratsformationen „Bildung“, „Beschäftigung“ und „Umwelt“ zu stärken, damit die Entscheidungsträger auf oberster Ebene eine Brücke schlagen zwischen der Bekämpfung des Klimawandels und der Bedeutung der Vermittlung grüner Kompetenzen und Fertigkeiten für alle Altersgruppen.

3.9.

Der EWSA begrüßt ferner, dass das Europäische Parlament eine Entschließung zum europäischen Grünen Deal (20) angenommen hat, in der es „unterstreicht, dass im Rahmen der Industriestrategie die Auswirkungen auf die Arbeitskräfte sowie Ausbildung, Umschulung und Weiterqualifizierung der Arbeitnehmer (21) angemessen berücksichtigt werden müssen“, und die Kommission auffordert, „die regionale Dimension dieser Strategie genau zu prüfen und sicherzustellen, dass keine Menschen und Regionen zurückbleiben“ und außerdem darauf besteht, „dass die Strategie einen sozialen Dialog umfasst, an dem die Arbeitnehmer umfassend beteiligt werden“. Der EWSA unterstreicht, dass auch die Unternehmen Strategien für den Umweltschutz entwickeln müssen, weshalb auch die Arbeitgeber Kompetenzen entwickeln müssen.

3.10.

Ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln beginnt damit, die Menschen über die technischen Lösungen zu informieren, mit denen die Ökologisierung der Wirtschaft, des Privatlebens und der Haushalte eingeleitet werden kann. Zu diesem Zweck müssen dringend Maßnahmen entwickelt werden, damit den Unternehmen, Behörden und Haushalten mehr umweltfreundliche technische Lösungen zur Verfügung stehen. Außerdem muss die Handhabung dieser technischen Lösungen durch praktische Gebrauchsanleitungen gezeigt werden. Daher sollte die Strategie für einen gerechten Übergang (22) die Entwicklung von Kompetenzen und Fertigkeiten von Erwachsenen aller Altersgruppen nicht nur am Arbeitsplatz unterstützen und ihnen eine Berufswahl bzw. einen beruflichen Wechsel entsprechend einer nachhaltigen Lebenseinstellung ermöglichen.

3.11.

Der erste Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte muss Realität werden, damit alle Erwachsenen den gleichen Zugang zu hochwertiger und inklusiver Bildung und lebenslangem Lernen mit Blick auf grüne Kompetenzen, grüne Technologien und die für bestimmte Berufe notwendigen fachlichen und persönlichen Kompetenzen nicht nur am Arbeitsplatz haben und so ihr Qualifikationsniveau verbessern können. Den Arbeitnehmern aller Qualifikationsniveaus und aller Unternehmensgrößen sollte unabhängig von Branche und geografischem Gebiet, in dem sie tätig sind, wirksame Unterstützung für eine bessere Weiterqualifizierung im Bereich grüne Kompetenzen und Kompetenzen für grüne Arbeitsplätze geboten werden. Diese Unterstützung muss als nationale und branchenspezifische Strategie unter Einbindung von Branchenräten für Kompetenzen und der Sozialpartner und unter besonderer Berücksichtigung der Qualität der Bildungsanbieter konzipiert werden.

3.12.

Die EU muss ihre Investitionen zur Verringerung ihrer CO2-Emissionen und ihres CO2-Fußabdrucks durch Projekte ankurbeln, die auch hochwertige Arbeitsplätze schaffen können. Finanzielle Fördermittel für den Erwerb grüner Kompetenzen und Fertigkeiten im Bereich Umweltschutz im Rahmen von Erasmus+ sind von grundlegender Bedeutung, damit Projekte in den Bereichen Jugend und Bildungszusammenarbeit zur Bekämpfung des Klimawandels, die Mobilität und der Austausch von Studierenden, jungen Menschen und Lehrkräften in Bezug auf das Lernen, die Schaffung grüner Schulen und die Lehrerfortbildung unterstützt werden können. Der EWSA nimmt die Bemühungen der Kommission zur Kenntnis, den Mitgliedstaaten neue Finanzmittel an die Hand zu geben, um Schulgebäude und den Schulbetrieb nachhaltiger zu machen. Diesbezüglich wird angestrebt, im Jahr 2020 3 Mrd. EUR für Investitionen in die Schulinfrastruktur bereitzustellen. Der EWSA begrüßt, dass andere EU-Fonds wie der ESF+, das Aufbaupaket und der Fonds für einen gerechten Übergang darauf ausgerichtet werden, die Entwicklung grüner Kompetenzen bei Lernenden aller Altersstufen finanziell zu unterstützen. Gleichzeitig müssen nachhaltige öffentliche Investitionen in allgemeine und berufliche Bildung sichergestellt werden (23).

3.13.

Vor dem Hintergrund einer hauptsächlich durch den Klimawandel bedingten grundlegenden Transformation der Arbeitswelt bietet die Unterstützung der Weiterqualifizierung von Erwachsenen wichtige Vorteile für jeden Einzelnen, die Arbeitgeber und die gesamte Wirtschaft. Die Finanzierung von Weiterqualifizierung und Umschulung der Arbeitskräfte mit Unterstützung durch den ESF+ und andere europäische Fonds, die Unterstützung durch die nationalen öffentlichen Arbeitsverwaltungen und der Beitrag der Arbeitgeber sind immens wichtig und sollten durch wirksame Strategien für Weiterqualifizierung und Umschulung ergänzt werden. Die Unterstützung der Zusammenarbeit und die Bündelung der Ressourcen von Unternehmen zur Deckung des Fortbildungsbedarfs können vor allem für KMU hilfreich sein, die selbst weder über die Zeit noch über die Ressourcen für entsprechende Fortbildungen verfügen (24). Der Erwerb grüner Kompetenzen am Arbeitsplatz würde zu einer stärkeren Resilienz und größeren Anpassungsfähigkeit der Beschäftigten, Führungskräfte und Interessenträger und gleichzeitig zu einem grünen Wachstum beitragen.

3.14.

Der EWSA begrüßt, dass auf der Tagung des Rates „Umwelt“ am 5. März 2020 der Grüne Deal und die Ökologisierung des Europäischen Semesters (25) erörtert wurden und die Kommission aufgefordert wurde, mit den Bildungsministerien, den Sozialpartnern und entsprechenden Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, um länderspezifische Empfehlungen für die EU-Mitgliedstaaten für eine bessere Vermittlung von grünen Kompetenzen und Fertigkeiten auf allen Ebenen und für alle Arten der allgemeinen und beruflichen Bildung zu erstellen, von der frühkindlichen Bildung bis hin zur Hochschulbildung und der Erwachsenenbildung, wobei eine wirksame Unterstützung für Erwachsene am Arbeitsplatz und darüber hinaus zu berücksichtigen ist.

Brüssel, den 2. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 189 vom 4.6.2018, S. 1.

(2)  COM(2020) 274 final.

(3)  COM(2019) 640 final.

(4)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Januar 2020 zu dem Thema „Der europäische Grüne Deal“.

(5)  Eigene Hervorhebung.

(6)  Rat „Umwelt“, 5. März 2019.

(7)  OECD (2014), Trends shaping education 2014 Spotlight 4 (Entwicklungen mit Einfluss auf die Bildung 2014, Spotlight 4).

(8)  OECD (2019), Avvisati, F., Is there a generational divide in environmental optimism?, PISA in Focus (Gibt es eine Kluft zwischen den Generationen in Bezug auf den Umweltoptimismus?, PISA im Fokus), Nr. 95.

(9)  ABl. C 189 vom 4.6.2018, S. 1.

(10)  OECD (2012), How „green“ are today’s 15-year-olds? PISA in Focus (Wie umweltbewusst sind die heutigen 15-Jährigen? PISA im Fokus), Nr. 15.

(11)  Eurofound (2011), Industrial relations and sustainability: the role of social partners in the transition towards a green economy (Arbeitsbeziehungen und Nachhaltigkeit: die Rolle der Sozialpartner beim Übergang zu einer grünen Wirtschaft).

(12)  Cedefop (2019), Skills for green jobs: 2018 update (Kompetenzen für grüne Arbeitsplätze: Update 2018). European synthesis report (Kompetenzen für grüne Arbeitsplätze: Update 2018. Synthesebericht für Europa). Die Cedefop-Studie behandelt Entwicklungen in Deutschland, Dänemark, Spanien, Estland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich.

(13)  COM(2020) 274 final.

(14)  Ein umfassender Überblick über geringqualifizierte Erwachsene in der EU-27 und im Vereinigten Königreich ist zu finden in Cedefop (2020), Empowering adults through upskilling and reskilling pathways (Befähigung von Erwachsenen durch Weiterqualifizierung und Umschulung), Band 1: Adult population with potential for upskilling and reskilling (Erwachsene Bevölkerung mit Weiterqualifizierungs- und Umschulungspotenzial).

(15)  Cedefop (2019), Skills for green jobs: 2018 update (Kompetenzen für grüne Arbeitsplätze: Update 2018). European synthesis report (Kompetenzen für grüne Arbeitsplätze: Update 2018. Synthesebericht für Europa). Diese Studie behandelt Entwicklungen in Deutschland, Dänemark, Spanien, Estland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich.

(16)  COM(2019) 640 final.

(17)  Weitere Informationen zu Antizipation des Qualifikationsbedarfs und Abstimmung von Kompetenzen im Rahmen eines umfassenden Kompetenzsteuerungssystems sind zu finden auf der Cedefop-Website zu Antizipation des Qualifikationsbedarfs und Abstimmung von Kompetenzen. Zur Bedeutung der Antizipation des Qualifikationsbedarfs im Bereich grüne Kompetenzen vgl. Cedefop (2019), Skills for green jobs: 2018 update (Kompetenzen für grüne Arbeitsplätze: Update 2018).

(18)  Paraskeva-Hadjichambi D. et al. (2020) Educating for Environmental Citizenship in Non-formal Frameworks for Secondary Level Youth (Bildung für die Umweltbürgerschaft in nichtformalen Lernumgebungen für Jugendliche der Sekundarstufe). In: Hadjichambis A. et al. (Hrsgg.) Conceptualising Environmental Citizenship for 21st Century Education (Konzeptionierung einer Umweltbürgerschaft für die Bildung im 21. Jahrhundert). Environmental Discourses in Science Education (Umweltdiskurse in der wissenschaftlichen Bildung), Band 4. Springer, Cham.

(19)  Gemeinsame Tagung der Minister für Bildung und Finanzen.

(20)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Januar 2020 zu dem Thema „Der europäische Grüne Deal“.

(21)  Eigene Hervorhebung.

(22)  Der Mechanismus für einen gerechten Übergang ist Teil des Investitionsplans des europäischen Grünen Deals und wird mindestens 100 Mrd. EUR an Investitionen mobilisieren, um den Regionen, die von den Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft am stärksten betroffen sind und die damit einhergehenden Herausforderungen weniger gut bewältigen können, zusätzliche gezielte Unterstützung zu bieten.

(23)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 1.

(24)  Cedefop (2019), Skills for green jobs: 2018 update (Kompetenzen für grüne Arbeitsplätze: Update 2018). In der Studie werden Entwicklungen in Deutschland, Dänemark, Spanien, Estland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich erörtert.

(25)  Rat „Umwelt“, 5. März 2019.


16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/10


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Umstellung auf eine grüne und digitale Wirtschaft in Europa: nötige rechtliche Vorgaben und die Rolle der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft“

(Sondierungsstellungnahme)

(2021/C 56/02)

Berichterstatterin:

Lucie STUDNIČNÁ

Befassung

Europäisches Parlament, 15.9.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Verabschiedung im Plenum

2.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

148/89/19

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Für einen industriellen Wandel hin zu einer grünen und digitalen europäischen Wirtschaft im Sinne einer nachhaltigen, fairen und sozialen Zukunft in Europa müssen eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein. Die COVID-19-Pandemie hat die Notwendigkeit einer wesentlich breiteren und stärkeren Beteiligung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft auf allen Ebenen der Politikgestaltung verdeutlicht. Gleichermaßen bedarf es eines starken Regelungsrahmens und Standards auf europäischer Ebene, insbesondere für die Sozialagenda. Der angekündigte Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte sollte dabei eine wichtige Rolle spielen.

1.2.

Nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) muss die Komplementarität zwischen Klimawandel, politischen Maßnahmen zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und sozialer Verantwortung von Unternehmen unbedingt anerkannt werden. Die kreislauforientierten Merkmale der Energieversorgung aus erneuerbaren Energien sind herauszustellen.

1.3.

Für den industriellen Wandel sind Arbeitgeber, Unternehmer und das Engagement der Privatwirtschaft als dynamisches Element im Strukturwandel unverzichtbar. Innovationen gehen in Europa typischerweise von kleinen Unternehmen aus. Deshalb sollte schwerpunktmäßig ein KMU-freundliches Umfeld geschaffen und das Potenzial von KMU gefördert werden, die hochwertige wissensbasierte Dienstleistungen anbieten. Sie sind häufig Vorreiter bei der Marktpositionierung verwandter Branchen, und sie sind zuverlässige und krisenfeste Arbeitgeber. Auch die Erfahrungen sozialwirtschaftlicher Unternehmen und Organisationen sollten genutzt werden, denn sie arbeiten überwiegend in Bereichen, die vom digitalen und ökologischen Wandel betroffen sind. Deshalb müssen solche Unternehmen und soziale Innovationsprozesse gefördert werden.

1.4.

Es sollte ein Mechanismus eingerichtet werden, um Finanzmittel des Privatsektors in Investitionen zu lenken, die den ESG-Kriterien (Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien) entsprechen. Die Strategien für die Bankenunion, die Kapitalmarktunion, das nachhaltige Finanzwesen, das digitale Finanzwesen und die KMU verstärken sich daher gegenseitig und garantieren, dass in einer Wirtschaft, deren Finanzierungsbedarf bis zu 80 % vom Bankensektor abhängt, die Mittel in produktivere Projekte fließen.

1.5.

Ein robustes, nachhaltiges, faires und wohlhabendes Europa braucht einen Regelungsrahmen, der einen gerechten Übergang unter Berücksichtigung der ethischen Folgen und des öffentlichen Interesses — Verbraucherschutz, Gesundheit, Sicherheit und Qualität — unterstützt. Der EWSA empfiehlt den europäischen und nationalen Institutionen neue Lenkungsstrukturen, die eine aktive Beteiligung der lokalen Wirtschaft, der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft an der Gestaltung und Umsetzung von fairen Maßnahmen für einen sozial gerechten Wandel ermöglichen. Einer der wichtigsten Lenkungsmechanismen zur Umsetzung und Überwachung der Fortschritte eines sozial gerechten Wandels ist das Europäische Semester. Der EWSA empfiehlt, neue, verbesserte, quantitative Indikatoren in das Europäische Semester aufzunehmen, die ergänzend soziale, wirtschaftliche und ökologische Gegebenheiten abbilden, um alle Prinzipien der europäischen Säule sozialer Rechte zu erfassen und zu verfolgen.

1.6.

Die Rolle der Regionen sollte auf der europäischen politischen Tagesordnung des Übergangsprozesses mehr Gewicht bekommen. Zentrale Aspekte sind die langfristige Planung, eine starke Ortsbezogenheit, intelligente Spezialisierung, eine Agenda für Humanressourcen und die Vereinbarkeit langfristiger Ziele für den Übergang mit kurzfristigen Prioritäten.

1.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Finanzierungs- und Unterstützungsinstrumente für Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Übergang auf EU-Ebene durch nationale Mittel ergänzt werden müssen. Dabei ist eine Koordinierung zwischen den verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsebenen unerlässlich. Um ausreichende Finanzmittel zu gewährleisten, spricht sich der EWSA außerdem für ein breiteres Spektrum an Eigenmitteln aus.

1.8.

Voraussetzung für einen erfolgreichen Übergang ist eine Agenda für Humanressourcen. Zahlreiche Akteure, darunter Bildungseinrichtungen, Arbeitgeber, Gewerkschaften, öffentliche Arbeitsverwaltungen, NRO und Berufsverbände müssen bei der Kompetenzentwicklung und der Vorwegnahme des vollständigen künftigen Bedarfs an neuen und an traditionellen Qualifikationen an einem Strang ziehen.

1.9.

Der EWSA begrüßt den angekündigten Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte. Der einschlägige EU-Besitzstand im Bereich des Arbeitsrechts sollte gestärkt werden, um den gerechten Übergang für die Arbeitnehmer besser zu unterstützen. Der Aktionsplan sollte ein Mindestmaß an Rechten auf EU-Ebene festlegen, u. a.: das Recht auf Gesundheit und Sicherheit für alle Arbeitnehmer, auch in den neuen Arbeitsformen; Unterrichtungs-, Anhörungs-, Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte, die nicht auf Übergangssituationen beschränkt sind; Mindeststandards für die Arbeitslosenversicherung; Mindestlohn und Tarifverhandlungen.

2.   Allgemeine Bemerkungen und zukunftsorientierter Ansatz

2.1.

Diese Sondierungsstellungnahme wird auf Ersuchen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments vorgelegt. Sie ist ein Beitrag zum angekündigten Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte und zum nächsten EU-Sozialgipfel im Mai 2021 in Porto.

2.2.

Die europäischen Unternehmen und Arbeitnehmer leiden unter den massiven sozialen und wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie. Viele Unternehmen müssen aufgeben, Arbeitsplätze verschwinden und Haushalte verlieren ihre Lebensgrundlage. Trotz beispielloser wirtschaftlicher Rettungsmaßnahmen, die darauf abzielen, die Auswirkungen des Lockdowns auf Arbeitsplätze und Unternehmen abzufedern, zeichnen die Wirtschaftsprognosen ein sehr besorgniserregendes Bild. Die EU-Wirtschaft dürfte 2020 um 8,3 % schrumpfen und 2021 um 5,8 % wachsen. Auch das Wachstum im Jahr 2021 dürfte etwas weniger robust ausfallen als im Frühjahr prognostiziert (1). Der Schuldenstand der Mitgliedstaaten hat eine Rekordhöhe erreicht, und die EU hat zum ersten Mal gemeinsame Schulden aufgenommen. Auch die Folgen des Brexits sind noch nicht abzusehen.

2.3.

Schlüsselindustrien und -sektoren, von den Humanressourcen bis zur Forschung, müssen benannt und unterstützt werden. Davon ausgehend soll eine europäische Industriepolitik geführt werden, die diese strategischen Sektoren auf dem Markt schützt und die Sicherheit der Versorgung mit den wichtigsten Ressourcen gewährleistet. Die europäische Industriepolitik sollte auf kohärente und umfassende Weise die verschiedenen europäischen Politikbereiche übergreifend koordinieren, damit Synergien entstehen. Ein solcher Wandel setzt voraus, dass die Europäische Kommission die Richtung vorgibt und dafür sorgt, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf die der EU abgestimmt sind. Das ist nicht mit Mikromanagement gleichzusetzen, sondern es geht darum, die Politiken so abzustimmen, dass sie kohärent sind und den Wandel fördern. Dieser Prozess wird nur möglich sein, wenn die Zivilgesellschaft und die Sozialpartner aktiv daran teilnehmen. Ohne einen „Sozialen Deal“, der auf einer demokratischen und wirksamen Teilhabe der Unionsbürger beruht, wird es keinen für alle vorteilhaften Grünen Deal geben.

2.4.

Es sollte ein Mechanismus eingerichtet werden, um Finanzmittel des Privatsektors in Investitionen zu lenken, die den ESG-Kriterien (Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien) entsprechen. Die Strategien für die Bankenunion, die Kapitalmarktunion, das nachhaltige Finanzwesen, das digitale Finanzwesen und die KMU verstärken sich daher gegenseitig und garantieren, dass in einer Wirtschaft, deren Finanzierungsbedarf bis zu 80 % vom Bankensektor abhängt, die Mittel in produktivere Projekte fließen.

2.5.

Im Zusammenhang mit dem ökologischen und technologischen Wandel ist viel von einem „gerechten Übergang“ die Rede. Der EWSA ist der Auffassung, dass der gerechte Übergang sowohl im Haushalt als auch im Aufbauplan eine zentrale Komponente sein und zu einer grüneren europäischen Wirtschaft führen muss. Deshalb ist (über den Kohleausstieg hinaus) ein breiteres Verständnis des Begriffs „gerechter Übergang“ erforderlich. Die europäische Säule sozialer Rechte (2) muss auf der Basis eines neuen Sozialvertrags vollständig umgesetzt werden. Gleichzeitig müssen die Umverteilungssysteme reformiert und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie die Geschlechtergleichstellung gefördert werden. Bei der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte sind folgende Aspekte besonders wichtig: gute Arbeitsplätze für alle, Zugang zu hochwertiger allgemeiner und beruflicher Bildung, wozu auch das Recht auf lebenslanges Lernen gehört (gerade auch für die schutzbedürftigen Gruppen), Gesundheitsversorgung und soziale Dienstleistungen für alle, Sozialschutz und die Inklusion von schutzbedürftigen Gruppen (bspw. Langzeitarbeitslose, Frauen Jugendliche, Migranten oder Menschen mit Behinderungen). All diese wichtigen Ziele können erreicht werden, wenn es eine florierende Wirtschaft gibt, Arbeitgeber neue und hochwertige Arbeitsplätze schaffen und die notwendigen Investitionen in neue Technologien getätigt werden.

2.6.

Länder und Regionen, die sich im industriellen Wandel befinden, stehen in der Regel vor Herausforderungen bei der Modernisierung ihrer Industrie, der Verbesserung der Qualifikationen ihrer Arbeitnehmer, dem Ausgleich von Arbeitsplatzverlusten in Schlüsselbranchen und der Verbesserung einer niedrigen Produktivität, die dem Einkommenswachstum Grenzen setzt. Insgesamt würden sie von der Ökologisierung, dem technologischen Fortschritt und den damit verbundenen Entwicklungen profitieren. Allerdings besteht für einige Orte und bestimmte Bevölkerungsgruppen — darunter insbesondere schutzbedürftige Gruppen, wie Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Roma und Migranten — die Gefahr, abgehängt zu werden. Die Bewältigung der mit dem langfristigen Wandel verbundenen Herausforderungen erfordert ein frühzeitiges Sich-Einstellen auf den Wandel und ein aktives Übergangsmanagement seitens der politischen Entscheidungsträger, der Sozialpartner, der Organisationen der Zivilgesellschaft und der wichtigsten Interessenträger in den betroffenen Ländern und Regionen. Sozialer Dialog, Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer und ihrer Vertretungsorganisationen, auch in Entscheidungsgremien (Vorstände und Aufsichtsräte), spielen eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung und Gestaltung von Unternehmensentscheidungen, um Übergänge zukunftsorientiert zu bewältigen. Der EWSA fordert die Kommission auf, die soziale Dimension in der künftigen aktualisierten Industriestrategie auszubauen und weiterzuentwickeln.

2.7.

Die Bewältigung der Pandemie und die Ermöglichung eines erfolgreichen industriellen Wandels sind im Interesse aller. Dazu bedarf es gemeinsamer Anstrengungen und gemeinsamer Ziele (z. B. langfristige Unternehmensentwicklung) sowie eines wirksamen sozialen Dialogs in einem Klima des Vertrauens. Dafür ist auch eine positive Grundhaltung erforderlich. Der EWSA ist der Auffassung, dass eine gute — d. h. nachhaltige — Unternehmensführung mit einer gemeinsamen Antizipierung des Wandels auf den bewährten rechtlichen Mindeststandards des Binnenmarkts beruhen muss. Die Arbeitnehmer müssen sich über ihre Unterrichtungs-, Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte auf der Führungsebene der Unternehmen Gehör verschaffen können.

2.8.

Digitalisierung und Automatisierung sind für Wirtschaft und Gesellschaft ein zweischneidiges Schwert. Dieser Übergang erfordert eine Regulierung, die dem technischen Fortschritt folgen bzw. den Wandel antizipieren kann, indem bspw. die Sozialpartner einbezogen werden. Europäische Betriebsräte und die Betriebsräte Europäischer Aktiengesellschaften sind ein positives Beispiel für die verpflichtende grenzüberschreitende Beteiligung der Arbeitnehmer im Sinne des Interessenausgleichs und der Sondierung sozialpartnerschaftlicher Lösungen. Dazu gehört, die Aus- und Weiterbildung der Arbeitnehmer zu gewährleisten und Tarifverträge auszuhandeln, um die Selbstbestimmung bei der Arbeit und eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu fördern. Mit der Digitalisierung und der Internetwirtschaft sind auch neue Formen der Arbeit aufgekommen, wie etwa die Plattformwirtschaft, bei denen die Arbeitnehmer weder soziale Absicherung noch Arbeitsplatzsicherheit genießen und häufig unter sehr prekären Bedingungen und mit unklarem Status für die Plattform arbeiten. Ihre Arbeitsbedingungen und ihr Status müssen EU-weit harmonisiert werden, um faire Mobilität und Integration in den Binnenmarkt zu fördern (3). Nach Auffassung des EWSA muss für diese Arbeitnehmer Rechtssicherheit im Wege eines rechtlichen Status für Arbeitnehmer in der digitalen Plattformwirtschaft geschaffen werden. Schlechter oder nicht vorhandener Sozialschutz belastet nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Kassen der Sozialversicherungssysteme.

2.9.

Der digitale Wandel birgt auch potenzielle Risiken in Bereichen wie Finanzstabilität, Finanzkriminalität und Verbraucherschutz. Diese Risiken könnten sich aufgrund der fragmentierten Regulierung in der EU und der uneinheitlichen globalen Entwicklung der Regulierung dieses Bereichs noch vergrößern. Nach Auffassung des EWSA muss die EU daher einen umfassenden und stabilen Rechtsrahmen in diesem Bereich schaffen. Ferner empfiehlt er der EU, ihre Initiative zur Besteuerung der großen Unternehmen in der Internetwirtschaft weiterzuverfolgen (4).

2.10.

Die Arbeitnehmer müssen in der Lage sein, sich auf den Arbeitsmarkt und die bereits im Gange befindlichen Veränderungen der Wirtschaft angemessen vorzubereiten. Dies ist für das industrielle Wachstum und den allgemeinen wirtschaftlichen Erfolg Europas grundlegend. Neue und höhere Qualifikationen, auch für Arbeiter, fordern unsere Betriebsbildungssysteme heraus. Höhere Qualifikationen erfordern mehr Berufsbildungsmaßnahmen in tertiären Bildungseinrichtungen. Im Vergleich zu den am besten konzipierten ursprünglichen Systemen der Lehrlingsausbildung sind fehlende nationale Rahmen und Qualitätskontrollen problematisch, ebenso wie der Übergang von der ursprünglichen Lehrlingsausbildung zur tertiären Bildung. Zusammenarbeit und Innovation wird in der Zukunft sowohl der Zivilgesellschaft als auch den Regierungen auf allen Ebenen abverlangt werden, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Diese werden von den im EWSA vertretenen Organisationen eingefordert (5).

2.11.

Der EWSA stellt fest, dass digitale Technologien und Anwendungen künstlicher Intelligenz dem Menschen dienen und unserer Gesellschaft insgesamt zugutekommen sollten. Er spricht sich für einen Regelungsrahmen für künstliche Intelligenz aus. Der ökologische und der digitale Wandel darf nicht gebremst werden, und die EU sollte die Entwicklung von KI-Systemen fördern, die auf spezifische Anwendungen ausgerichtet sind, um den ökologischen Wandel und die klimapolitische Wende zu beschleunigen (6).

3.   Innovationen

3.1.

Ein großer Innovationsbedarf zeichnet sich ab. Er betrifft die Schaffung und beschleunigte Einführung neuer emissionsarmer Entwicklungs- und Produktionsverfahren (die oft außer neuen Rohstoffen und/oder industriellen Kernprozessen völlig unterschiedliche Produktionsverfahren erfordern) und geht bis hin zu Innovationen, die nicht nur die verstärkt kreislauforientierten Wertschöpfungsketten der Grundstoffindustrie, sondern auch deren Energieversorgung betreffen. Außerdem müssen die aussichtsreichsten CO2-armen Technologien auch im industriellen Maßstab einsetzbar sein. Eine zügige politische Unterstützung ist gefordert, um neue kohlenstoffarme Produktionswege und eine entsprechende Materialwirtschaft einzuführen und sie bis spätestens 2030 großumfänglich zum Einsatz zu bringen.

3.2.

Die Veränderungen, die für einen gerechten Übergang in der gesamten EU erforderlich sind, bedürfen eines gemeinsamen Rahmens, um Regierungen, Unternehmen und die Zivilgesellschaft für gezielte Problemlösungen zu mobilisieren. Soziale Innovation spielt dabei eine herausragende Rolle. Ein wichtiger diesbezüglicher Schritt könnte darin bestehen, eine sektorübergreifende EU-Strategie für soziale Innovation zu entwickeln. Die sozialwirtschaftlichen Akteure werden dabei stärker anerkannt und ihre Geschäftsmodelle geprüft und gegebenenfalls übernommen. So könnte ein Ökosystem für die auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene geförderte Erprobung entwickelt werden.

4.   Förderung der unternehmerischen Initiative und der Beteiligung des Privatsektors

4.1.

Der Unternehmergeist und das Engagement der Privatwirtschaft sind die treibenden Kräfte des Strukturwandels und somit der Schlüssel zum industriellen Wandel. Hartnäckige Hindernisse für innovatives Unternehmertum findet man häufig dort, wo es ein starkes industrielles Erbe, auffallend wenige Unternehmensneugründungen, schwache Unternehmensexpansion, eine unterentwickelte Unternehmerkultur, Innovationsschwäche und schwache Wissensnetze gibt.

4.2.

Da Innovationen in Europa typischerweise von kleinen Einheiten ausgehen, muss schwerpunktmäßig das Potenzial von KMU — auch finanziell — gefördert werden, die wie z. B. Freiberufler hochwertige wissensbasierte Dienstleistungen anbieten. Sie sind häufig Vorreiter bei der Marktpositionierung verwandter Branchen, und sie sind zuverlässige und krisenfeste Arbeitgeber.

4.3.

Sozialwirtschaftliche Unternehmen und Organisationen — Akteure in einem Sektor, der sich als überaus resilient erwiesen und zur Abmilderung der Auswirkungen der COVID-19-Krise beigetragen hat — sind vornehmlich in den vom digitalen und ökologischen Wandel erfassten Bereichen tätig. Demnach müssen ihre Aktivitäten und soziale Innovationsprozesse gefördert werden.

5.   Die Rolle der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft

5.1.

Der EWSA hat unterstrichen: „Die neuen Technologien, die künstliche Intelligenz und die Big Data bewirken Umwälzungen in den Produktionsverfahren und der Wirtschaft im Allgemeinen und werden auch den Arbeitsmarkt tiefgreifend verändern“, und weiter: „Diese Veränderungen müssen sich (…) im Rahmen eines fruchtbaren sozialen Dialogs und unter Wahrung der Rechte und der Lebensqualität der Arbeitnehmer vollziehen“ (7).

5.2.

Eine enge Zusammenarbeit zwischen wichtigen lokalen und regionalen Akteuren ist unerlässlich, um besonders nachhaltige Nutzungsmöglichkeiten zu finden und die sozioökonomische Entwicklung möglichst gut voranzubringen. Die bewährten Verfahren der Sozialpartner auf allen Ebenen auf der Grundlage von Tarifverträgen, die gleiche Wettbewerbsbedingungen für wirtschaftliche Wettbewerber in einer Branche oder einer Region schaffen, bilden den Maßstab, an dem eine Strategie für einen gerechten Übergang in Bezug auf die Dekarbonisierung und andere klimapolitische Ziele ausgerichtet werden könnte (8).

6.   Ein gerechter Übergang — politische Steuerung und Regulierungsanforderungen

6.1.

Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft stellt die politischen Entscheidungsträger vor komplexe ordnungspolitische Aufgaben. Davon besteht eine darin, die langfristige strategische Dimension des Übergangs und drängende, kurzfristige Maßnahmen auf einen Nenner zu bringen. Der Übergang erfordert strategischen Weitblick und eine langfristige Politikgestaltung. Gleichzeitig muss den Wahlzyklen und den mit ihnen verbundenen Wünschen der Regierungen und anderer Interessenträger Rechnung getragen werden, die Ergebnisse bei den durchgeführten Projekten sehen wollen.

6.2.

Einer der wichtigsten Steuerungsmechanimen für die Umsetzung und Überwachung der Fortschritte eines sozial gerechten Übergangs ist das Europäische Semester. Es ist von größter Bedeutung, die europäische und nationale Politik in ihrer sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Dimension fortlaufend zu bewerten. Die soziale Komponente des europäischen Semesters wurde erst nach und nach entwickelt, die makroökonomische und fiskalische Ausrichtung ist immer noch dominierend. Der EWSA schlägt daher vor, neuartige, verbesserte, quantitative und komplementäre soziale, wirtschaftliche und ökologische Indikatoren in das Europäische Semester aufzunehmen. Mit ihrer Hilfe sollen sämtliche Aspekte der europäischen Säule sozialer Rechte und ihrer Grundsätze sowie die 17 Nachhaltigkeitsziele (9) erfasst und verfolgt werden. Dabei geht es auch um die Schaffung von Synergien mit dem sozialpolitischen Scoreboard, indem das Konzept einer nachhaltigen Ökonomie des Wohlergehens für alle (10) eingeführt sowie gezielte soziale und umweltbezogene länderspezifische Empfehlungen ausgesprochen werden (11). Das Semester wurde mittlerweile neu gestaltet, um mehr Maßnahmen zur Unterstützung der Erholung zu bieten. Der EWSA hofft, dass es zu einer Erneuerung des gesamten Steuerungsmechanismus der EU beitragen und eine treibende Kraft für den Fortbestand der Demokratie und die Aufwärtskonvergenz innerhalb der EU werden kann.

6.3.

Eine umfassende Analyse der Synergien und der Kompromisse zwischen den Zielen, Initiativen und Empfehlungen, die von der EU in den verschiedenen Politikbereichen des Semesters vorgeschlagen werden, würde ein hohes Maß an politischer Integration, Kohärenz und Koordinierung zwischen den verschiedenen institutionellen Akteuren, die für die Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik zuständig sind, sowie eine Verbesserung ihrer Analysekapazitäten erfordern.

6.4.

Um das institutionelle Ungleichgewicht in der wirtschafts- und sozialpolitischen Steuerung auszugleichen, empfiehlt der EWSA bei der Anwendung der Haushaltsvorschriften der EU eine „goldene Regel“ (12). Sie besagt, dass öffentliche Investitionen bei der Defizitberechnung ausgenommen und die Tragfähigkeit der aufgelaufenen Schuldenstände berücksichtigt werden sollen. Dahinter steht das Ziel, eine moderne Gesundheits-, Umwelt-, Bildungs- und Technologieinfrastruktur zu ermöglichen und eine beispiellose Rezession zu vermeiden (13).

6.5.

Weiterhin begrüßt der EWSA die Aussetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts durch die Europäische Kommission und fordert dessen Überarbeitung (14), um sowohl Stabilität als auch Wachstum zu gewährleisten. Es gilt, die Erholung der EU-Industrie und der Übergang zu einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft und digitalen Wirtschaft zu unterstützen.

7.   Regionale Voraussetzungen für den industriellen Wandel

7.1.

Der industrielle Wandel ist so vielschichtig, dass eine Einheitslösung für die Entwicklung neuer industrieller Pfade kaum zu finden ist. Während sich für einige Wirtschaftszweige ein Niedergang mit einem „unumkehrbaren“ Rückgang der Wirtschaftsproduktion und der Beschäftigung abzeichnet, werden andere Branchen drastische Umstrukturierungen durchlaufen müssen. Dies bedarf eines umfassenden politischen Ansatzes und massiver öffentlicher und privater Investitionen und muss mit reibungslos funktionierenden lokalen und regionalen Arbeitsmärkten einhergehen.

7.2.

Langfristige Ziele für den Übergang müssen mit kurzfristigen Prioritäten in Einklang gebracht werden, was durchaus mit Schwierigkeiten verbunden sein kann. Unter Umständen ist es nicht leicht, die Zustimmung der Öffentlichkeit für politische Maßnahmen zu finden, deren Wirkung nicht sofort erkennbar ist. Regionen im Strukturwandel befinden sich diesbezüglich in einer schwierigen Lage. Einerseits haben sie infolge des Niedergangs ihrer traditionellen Industrien einen unmittelbaren Handlungsbedarf. Sie müssen Probleme lösen wie höhere Arbeitslosigkeit, Einkommensverluste, schlechtere Lebensbedingungen für Teile der Bevölkerung, insbesondere benachteiligte und schutzbedürftige Gruppen, z. B. Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen. Andererseits dürfen sie aber auch nicht die Chancen ungenutzt lassen, die sich durch die Modernisierung der Industrie auftun, wie die Ansiedlung von Industrien, die einen höheren Mehrwert bieten, oder wenn neue Unternehmen bzw. Geschäftsmodelle gegründet und/oder angezogen werden, die Grundlagentechnologien besser nutzen. Ein diesbezügliches Scheitern hätte politische Folgen, auch hinsichtlich der Unterstützung des Klimaschutzes. Der Zulauf für Rechtspopulisten in Europa und anderswo ist zum Teil auch auf die Deindustrialisierung und das Zurückfallen ganzer Regionen zurückführen (15).

8.   Treffen mit Regionen im Strukturwandel: Hauptergebnisse

8.1.

Die Rolle der Regionen im Übergangsprozess sollte auf der europäischen politischen Tagesordnung mehr Augenmerk bekommen. Regionale Verwaltungen einzubeziehen, könnte zum Entstehen der für den erfolgreichen Wandel notwendigen Ökosysteme beitragen. Die Voraussetzungen dafür sind eine nachdrückliche Langzeitplanung, Ortsbezogenheit, intelligente Spezialisierung und ein Entwicklungsplan für Humanressourcen.

8.2.

Einige Regionen in Europa — insbesondere die Kohle- und Stahlregionen — haben bereits einen wirtschafts- oder klimapolitisch bedingten Wandel durchlaufen müssen. Die wichtigste Voraussetzung für den erfolgreichen Übergang ist ein inklusiver, antizipierender Ansatz, damit den Bürgern gute Zukunftsperspektiven geboten werden können. Dazu gehören die Erstellung eines realistischen Plans, der Aufbau der erforderlichen Forschungsinfrastruktur und die Bereitstellung der technischen, innovativen, akademischen und pädagogischen Einrichtungen sowie die erforderlichen Finanzmittel. Europäische Instrumente zur Unterstützung dieser Regionen (z. B. Europäischer Fonds für einen gerechten Übergang) können dabei die nationalen Anstrengungen um eine angemessene Finanzierung nicht ersetzen.

9.   Finanzierung und Unterstützung von Maßnahmen und Projekten im Zusammenhang mit dem Übergang auf EU-Ebene

9.1.

Der industrielle Wandel bietet enorme Chancen, die allerdings nur genutzt werden können, wenn mit Nachdruck in moderne Herstellungsverfahren, zugängliche Infrastrukturen sowie Forschung und Entwicklung investiert wird. Dabei entstehen anfänglich Kosten, darunter Einkommensersatzleistungen und Ausgaben für die (Um-)Schulungs der Arbeitskräfte.

9.2.

Auf nationaler und europäischer Ebene gibt es mittlerweile zahlreiche Instrumente für übergangsbegleitende Maßnahmen und Projekte. Das Ziel eines gerechten Übergangs wurde auch im Aufbauplan der EU bekräftigt. Allzu oft wird die politische Unterstützung auf verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsebenen ohne bzw. mit mangelhafter Koordinierung konzipiert und durchgeführt. Zudem bestehen Schwachstellen bei Monitoring und Evaluierung.

9.3.

Der EWSA fordert den Rat und das Europäische Parlament auf, im MFR 2021-2027 zur Deckung des Investitionsbedarfs für einen echten und umfassenden ökologischen und digitalen Wandel den Mittelansatz zu erhöhen und ausreichend Mittel bereitzustellen. Damit ausreichende Finanzmittel bereitstehen, plädiert der EWSA außerdem für eine breitere Palette an Eigenmitteln. Diese könnten auch eine Digitalsteuer, eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und eine Finanztransaktionssteuer umfassen (16).

9.4.

Im laufenden Programmplanungszeitraum gilt die Vorschrift, dass Großunternehmen, die Fördergelder aus den europäische Struktur- und Investitionsfonds erhalten haben, diese zurückzahlen müssen, wenn sie die Produktionstätigkeit innerhalb von zehn Jahren nach der Abschlusszahlung der Beihilfen aus der Union auslagern (Artikel 71 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (17)). Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vorschriften im kommenden Programmplanungszeitraum verstärkt werden müssen, um die Rückverlagerung zu fördern, den Zusammenhalt zu gewährleisten, das Produktionsgefüge/die Produktionskapazität zu erhalten, die Beschäftigung anzukurbeln und eine nachhaltigere territoriale Entwicklung zu fördern.

9.5.

Der EWSA unterstützt ferner die Verbesserung der haushaltspolitischen Steuerung der EU, die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken und die Überprüfung bewährter Verfahren der umweltgerechten Haushaltsplanung und Haushaltspläne. Darüber hinaus sind steuerliche Anreize nötig, damit Unternehmen und Einzelpersonen in grüne Initiativen mit sozialer Wirkung investieren (18).

9.6.

Die Herausforderungen für Europa beim Übergang zu einer grünen und digitalen Wirtschaft erfordern massive Investitionen, die von der öffentlichen Hand und über die herkömmliche Finanzierung durch Bankkredite allein nicht aufgebracht werden können. Der Privatsektor wird enorme Mittel für Investitionen einsetzen müssen. Es sollte ein Mechanismus eingerichtet werden, um Finanzmittel des Privatsektors in Investitionen zu lenken, die den ESG-Kriterien (Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien) entsprechen. Die Strategien für die Bankenunion, die Kapitalmarktunion, das nachhaltige Finanzwesen, das digitale Finanzwesen und die KMU verstärken sich daher gegenseitig und garantieren, dass die Mittel in produktivere Projekte fließen. Der EWSA begrüßt die Einrichtung der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen und erwartet eine Beschleunigung der Entwicklung der Sozialtaxonomie.

10.   Beschäftigungspolitische Auswirkungen

10.1.

Der industrielle Wandel erfordert häufig eine Abkehr von alten, traditionellen Fertigungsindustrien zugunsten einer zukunftsorientierten Produktion (auch in Traditionsbranchen). Dabei kann es bei einer lokal konzentrierten Deindustrialisierung zu einer (zumindest vorübergehend) überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit und zu einem Qualifikationsüberhang in schrumpfenden Branchen kommen. Antizipation und Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter auf Branchen- und Betriebsebene vor einer Beschlussfassung sind von zentraler Bedeutung. Es ist entscheidend, den Strukturwandel durch politische Maßnahmen zu flankieren, um Arbeitnehmern und der Bevölkerung vor Ort — und insbesondere Arbeitnehmern mit Behinderungen sowie anderen schutzbedürftigen Gruppen — zu helfen, den Übergang möglichst unbeschadet zu überstehen und gleichzeitig den potenziellen Nutzen zu maximieren.

10.2.   Qualifikationen

10.2.1.

Ein erfolgreicher Übergang in die Zukunft der Arbeit erfordert eine für die lokalen Arbeitsmarktbedingungen maßgeschneiderte Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie. Gleichzeitig muss das Qualifikationsangebot auf den Bedarf abgestimmt werden. Eine bessere Antizipation des künftigen Qualifikationsbedarfs und ein angemessenes Angebot an Arbeitnehmern durch Umschulung und Weiterqualifizierung, einschließlich des Zugangs zu lebenslangem Lernen, müssen mit Maßnahmen kombiniert werden, die Investitionen in neue Quellen für Beschäftigung und Produktivitätswachstum anregen. Forschung und Entwicklung in der Industrie müssen speziell nach Möglichkeiten suchen, eine Technologieführerschaft aufzubauen, die wiederum Möglichkeiten für die Weiterqualifizierung schaffen würde. Technische Institute, Berufsverbände und NRO sowie öffentliche Arbeitsvermittlungen werden ebenfalls eine wichtige Unterstützung in Form von Umschulungsprogrammen liefern können.

10.2.2.

Der EWSA stellt fest, dass die Unterstützung von Menschen durch Schulungen im Rahmen eines gerechten digitalen und ökologischen Wandels mit der Validierung des nichtformalen und informellen Lernens (NFIL) sowie mit der Gewährleistung der Anerkennung und Zertifizierung von Ausbildungen beginnt, sodass diese Teil vollwertiger Qualifikationen werden können (19).

10.3.

In der Kompetenzagenda sollte der Entwicklung von Schlüsselkompetenzen in den Pflichtlehrplänen sowie dem Lernen junger Menschen und Erwachsener mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.

10.4.

Die Kommission hat einen Aktionsplan für digitale Bildung (2021-2027) vorgelegt (20). Er sollte eine bereichsübergreifende Strategie enthalten, die auch die strategische Bedeutung der allgemeinen und beruflichen Bildung in den diversen Politikbereichen auf europäischer Ebene erhöhen könnte.

10.5.   Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte

Ein gerechter Übergang bedarf angemessener sozialpolitischer Maßnahmen. Diese sollen für gute Arbeitsbedingungen, reibungslos funktionierende Tarifverhandlungen und Arbeitsbeziehungen sowie einen angemessenen Sozialschutz zur Unterstützung von Arbeitnehmern im Übergang sorgen. Der EWSA möchte einige Vorschläge für den künftigen Aktionsplan der Kommission zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte vorlegen.

10.5.1.

Der EWSA schlägt der Kommission vor, den EU-Besitzstand im Bereich des Arbeitsrechts neu zu bewerten und zu stärken, um den gerechten Übergang für die Arbeitnehmer besser zu unterstützen.

10.5.2.

Das Recht auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist ein grundlegendes Recht aller Arbeitnehmer, unabhängig von ihrem Beschäftigungsverhältnis oder der Art des Geschäftsmodells, in dem sie arbeiten. Der EWSA ist darüber besorgt, dass einige neue Arbeitsformen infolge des Klimawandels und der Digitalisierung nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz fallen könnten. Darüber hinaus wurden bereits erhebliche Risiken im Zusammenhang mit digitalisierten Arbeitsplätzen festgestellt, wie z. B. Erhöhung des Arbeitsrhythmus, Stress und psychosoziale Gewalt (21). In Zukunft dürfte wohl auch mit Unfällen durch künstliche Intelligenz (22) zu rechnen sein, die es zu verhindern gilt. Der EWSA fordert daher, dass alle Arbeitnehmer in der EU durch Rechtsvorschriften zu Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz geschützt werden (23).

10.5.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die Datenschutz-Grundverordnung und die damit zusammenhängenden Verordnungen regelmäßig im Lichte der technologischen Entwicklung zu überprüfen (24).

10.5.4.

Der soziale Dialog auf nationaler und europäischer Ebene ist ein Schlüsselfaktor für die Gestaltung der Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik. Der EWSA unterstützt die Entwicklung angemessener Ansätze für einen „gerechten Übergang“ im Rahmen eines sozialen Dialogs auf geeigneter nationaler, regionaler und europäischer Ebene und in Verbindung damit die Einführung von Maßnahmen zur Gestaltung, Änderung und Festlegung von Mindestschutzstandards bei Umstrukturierungen am Arbeitsplatz oder Massenentlassungen aufgrund des Wandels (Technologiewende, Demografiewende, Globalisierung, Klimawandel, Umstellung auf die Kreislaufwirtschaft), einschließlich des Rechts auf Tarifverhandlungen zur vorausschauenden Gestaltung der Veränderungen und zur Gewährleistung einer Unterstützung für die betroffenen Arbeitnehmer (Aktualisierung der Richtlinie über Massenentlassungen) (25).

10.5.5.

Der EWSA bekräftigt die Notwendigkeit der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter bei Änderungen, neuen Technologien und KI-Systemen, die zu Veränderungen in der Arbeitsorganisation, der Arbeitsaufsicht und -kontrolle sowie in den Systemen für die Bewertung und Einstellung von Arbeitnehmern führen können. Das Recht auf Unterrichtung und Anhörung sowie die ordnungsgemäße Anwendung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte ist in allen Unternehmen zu gewährleisten, und es sollte ein harmonisierter Rahmen auf EU-Ebene für die Mitbestimmung in Leitungsorganen eingeführt werden. Der EWSA fordert daher einen starken und soliden europäischen Rahmen für Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer (26). Dies ist ein wesentlicher Aspekt der Entwicklung gerechter und fairer Wege des Wiederaufbaus und des ökologischen und digitalen Wandels. Die Kommission sollte den sozialen Dialog im Hinblick auf die Einbeziehung der Arbeitnehmer bei der Anpassung an den Klimawandel und den digitalen Wandel in allen Mitgliedstaaten fördern und dessen Ergebnisse im Rahmen des Europäischen Semesters überwachen.

10.5.6.

Es muss einen Rahmen für die sozialverträgliche Restrukturierung und die Antizipierung betrieblicher Änderungen geben, um bereits geltende Informations-, Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in Übereinstimmung mit den wichtigsten Elementen des europäischen Sozialmodells zu ergänzen (27). Der EWSA ist der Auffassung, dass die Europäische Kommission den EU-Qualitätsrahmen für die Antizipierung von Veränderungen und Umstrukturierungen überarbeiten und eine Rechtsgrundlage mit spezifischen Rahmenbedingungen für die Beteiligung der Arbeitnehmer vorschlagen sollte, um sie stärker an der Bewältigung der Herausforderungen des Grünen Deals und des digitalen Wandels zu beteiligen (28).

10.5.7.

Der Aktionsplan sollte ein Mindestmaß an Rechten auf EU-Ebene festlegen. Der EWSA hat Maßnahmen zum Schutz des Mindesteinkommens gefordert (29), um Armut einzudämmen und einen integrativen Arbeitsmarkt zu fördern. Er begrüßt daher die Pläne der Kommission und des deutschen Ratsvorsitzes, einen europäischen Rahmen für Mindesteinkommen zu schaffen (30). Der EWSA hat die Prüfung der Möglichkeit empfohlenen, gemeinsame Mindestnormen für die Arbeitslosenversicherung in den EU-Mitgliedstaaten festzulegen (31). Der Ausschuss hat ferner eine europäische Initiative für Mindestlöhne und Tarifverhandlungen (32) gefordert, und begrüßt (33) daher die Kommissionsinitiative für angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union (34).

10.6.   Ein neuer Sozialvertrag

Der EWSA plädiert für einen Wiederaufbau durch Investitionen in die Beschäftigung, den Schutz von Rechten, angemessene Löhne und starke Arbeitsmarktinstitutionen für die gesamte Arbeitnehmerschaft gemäß den eingegangenen Verpflichtungen sowie durch die Gewährleistung des Sozialschutzes. Deshalb fordert er, den gerechten Übergang zum Dreh- und Angelpunkt des Aufbaus zu machen: der soziale Dialog kann mit aktiver Beteiligung der Zivilgesellschaft zum sozialen, gerechten und inklusiven industriellen Wandel beitragen.

Brüssel, den 2. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Sommerprognose 2020 der Europäischen Kommission.

(2)  ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 1.

(3)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 173.

(4)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 6.

(5)  Studie des EWSA — Die Suche nach einem neuen Konsens über die Werte der europäischen Zivilgesellschaft und ihre Bewertung.

(6)  ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 64.

(7)  ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 6.

(8)  Rahmenabkommen über den gerechten Übergang von der Kohleförderung zur nachhaltigen Entwicklung der Bergbauorte für 2019-2027 (Spanien), Klimafreundliche Arbeitsplätze (Portugal), Abkommen der Sozialpartner über einen gerechten Übergang und den Klimawandel (Griechenland), Thyssenkrupp Steel Europe: Zukunftspakt Stahl 20-30 (Deutschland, März 2020).

(9)  ABl. C 120 vom 14.4.2020, S. 1.

(10)  Charveriat, C. and Bodin, E. (2020), Delivering the Green Deal: the role of a reformed European Semester within a new sustainable economy strategy.

(11)  ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 1.

(12)  ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 1.

(13)  ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 1.

(14)  ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 1.

(15)  Rodríguez-Pose, A. (2017), „The revenge of the places that don’t matter (and what to do about it)“, Cambridge Journal of Regions, Economy and Society, Vol. 11, No. 1, S. 189-209.

(16)  ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 106.

(17)  ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 320.

(18)  ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 63.

(19)  ABl. C 10 vom 11.1.2021, S. 40.

(20)  https://ec.europa.eu/education/sites/default/files/document-library-docs/deap-factsheet-sept2020_en.pdf.

(21)  ILO (2019) The Threat of Physical and Psychosocial Violence and Harassment in Digitalised Work.

(22)  ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 64.

(23)  ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 52.

(24)  ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 64.

(25)  ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 1.

(26)  ABl. C 10 vom 11.1.2021, S. 14.

(27)  ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 35.

(28)  ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 1.

(29)  ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 1.

(30)  Schlussfolgerungen des Rates zur Stärkung der Mindestsicherung zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in der COVID-19-Pandemie und darüber hinaus.

(31)  ABl. C 97 vom 24.3.2020, S. 32.

(32)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 159.

(33)  ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 1.

(34)  COM(2020) 682 final.


ANHANG

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen (Art. 59 Abs. 3 der Geschäftsordnung):

a)    Ziffer 2.1 (Änderungsantrag 9)

Ändern:

2.1.

Diese Sondierungsstellungnahme wird auf Ersuchen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments vorgelegt. Sie ist ein Beitrag zum angekündigten Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte und zum nächsten EU-Sozialgipfel im Mai 2021 in Porto. Diese Sondierungsstellungnahme wurde auf Ersuchen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments erarbeitet. Laut dem Schreiben des Europäischen Parlaments sollte sich die Stellungnahme insbesondere auf folgende Themen erstrecken: gerechter Übergang, Grüner Deal, digitaler Wandel, industriepolitische Strategie, Beschäftigung und soziale Inklusion. Sie bilden den Kern einer Reihe laufender und künftiger legislativer und nichtlegislativer Dossiers im Zusammenhang mit der Umstellung auf eine grüne und digitale Wirtschaft.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

99

Nein-Stimmen:

129

Enthaltungen:

20

b)    Ziffer 2.2 (Änderungsantrag 10)

Ändern:

2.2.

Die europäischen Unternehmen und Arbeitnehmer leiden unter den massiven wirtschaftlichen und sozialen und wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie. Viele Unternehmen müssen aufgeben, Menschen werden arbeitslos Arbeitsplätze verschwinden und Haushalte verlieren ihre Lebensgrundlage. Trotz beispielloser wirtschaftlicher Rettungsmaßnahmen, die darauf abzielen, die Auswirkungen des Lockdowns auf Arbeitsplätze und Unternehmen abzufedern, zeichnen die Wirtschaftsprognosen ein sehr besorgniserregendes Bild. Die EU-Wirtschaft dürfte 2020 um 8,3 % schrumpfen und 2021 um 5,8 % wachsen. Auch das Wachstum im Jahr 2021 dürfte etwas weniger robust ausfallen als im Frühjahr prognostiziert (1) . Die COVID-19-Pandemie hat die europäische Wirtschaft hart getroffen: zahlreiche Unternehmen müssen aufgeben, Arbeitsplätze gehen verloren, Haushalte verlieren die Lebensgrundlage und das Gesundheitssystem verliert an Effizienz. Der Schuldenstand der Mitgliedstaaten hat eine Rekordhöhe erreicht, festgelegte Ausgabengrenzen werden überschritten und die EU hat zum ersten Mal gemeinsame Schulden aufgenommen. Auch die Folgen des Brexits sind noch nicht abzusehen und niemand kann sagen, wann die Pandemie enden wird .

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

95

Nein-Stimmen:

140

Enthaltungen:

22

c)    Ziffer 2.3 (Änderungsantrag 11)

Ändern:

2.3.

Schlüsselindustrien und -sektoren, von den Humanressourcen bis zur Forschung, müssen benannt und unterstützt werden. Davon ausgehend soll eine europäische Industriepolitik geführt werden, die diese strategischen Sektoren auf dem Markt schützt und die Sicherheit der Versorgung mit den wichtigsten Ressourcen gewährleistet. Die europäische Industriepolitik sollte auf kohärente und umfassende Weise die verschiedenen europäischen Politikbereiche übergreifend koordinieren, damit Synergien entstehen. Ein solcher Wandel setzt voraus, dass die Europäische Kommission die Richtung vorgibt und dafür sorgt, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf die der EU abgestimmt sind. Das ist nicht mit Mikromanagement gleichzusetzen, sondern es geht darum, die Politiken so abzustimmen, dass sie kohärent sind und den Wandel fördern. Dieser Prozess wird nur möglich sein, wenn die Zivilgesellschaft und die Sozialpartner aktiv daran teilnehmen. Ohne einen „Sozialen Deal“, der auf einer demokratischen und wirksamen Teilhabe der Unionsbürger beruht, wird es keinen für alle vorteilhaften Grünen Deal geben.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

91

Nein-Stimmen:

137

Enthaltungen:

18

d)    Neue Ziffer 2.5 (Änderungsantrag 13)

Neue Ziffer:

2.5.

Die beste politische Antwort besteht darin, die Erwartungen in NextGenerationEU, das eine einzigartige Chance für eine schnelle und den Wandel begünstigende Erholung darstellt, zu erfüllen. Der Einleitung dieses Prozesses und der Zusammenarbeit mit dem Privatsektor sollte höchste Priorität eingeräumt werden.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

97

Nein-Stimmen:

136

Enthaltungen:

22

e)    Neue Ziffer 2.6 (Änderungsantrag 14)

Neue Ziffer:

2.6.

Die Herausforderungen infolge des Brexits sollten durch einen starken Impuls zur Stärkung des Binnenmarkts bewältigt werden, der ein stabileres und wettbewerbsfähigeres Umfeld für Unternehmen schafft.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

93

Nein-Stimmen:

141

Enthaltungen:

20

f)    Ziffer 2.4 (Änderungsantrag 15)

Ändern:

2.4.

Im Zusammenhang mit dem ökologischen und technologischen Wandel ist viel von einem „gerechten Übergang“ die Rede. Der EWSA ist der Auffassung, dass der gerechte Übergang sowohl im Haushalt als auch im Aufbauplan eine zentrale Komponente sein und zu einer grüneren europäischen Wirtschaft führen muss. Deshalb ist (über den Kohleausstieg hinaus) ein breiteres Verständnis des Begriffs „gerechter Übergang“ erforderlich, auf der Grundlage der . Die europäische Säule sozialer Rechte  (2) muss auf der Basis eines neuen Sozialvertrags vollständig umgesetzt werden. Gleichzeitig müssen die Umverteilungssysteme reformiert und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, sowie die Geschlechtergleichstellung gefördert werden. Bei der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte sind folgende Aspekte besonders wichtig: gute guter Arbeitsplätze für alle, des Zugangs Zugang zu hochwertiger allgemeiner und beruflicher Bildung, wozu auch das Recht auf lebenslanges einschließlich des lebenslangen Lernens Lernen gehört (gerade auch für die schutzbedürftigen Gruppen), der Gesundheitsversorgung und sozialen soziale Dienstleistungen für alle, Sozialschutz und die der Inklusion von schutzbedürftigen Gruppen (bspw. Langzeitarbeitslose, Frauen Jugendliche, legale Migranten oder Menschen mit Behinderungen). All diese wichtigen Ziele können erreicht werden, wenn es eine florierende Wirtschaft gibt, Arbeitgeber neue und hochwertige Arbeitsplätze schaffen und die notwendigen Investitionen in neue Technologien getätigt werden.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

82

Nein-Stimmen:

152

Enthaltungen:

20

g)    Ziffer 2.5 (Änderungsantrag 16)

Ändern:

2.5.

Länder und Regionen, die sich im industriellen Wandel befinden, stehen in der Regel vor Herausforderungen bei der Modernisierung ihrer Industrie, der Verbesserung der Qualifikationen ihrer Arbeitnehmer, dem Ausgleich von Arbeitsplatzverlusten in Schlüsselbranchen und der Verbesserung einer niedrigen Produktivität, die dem Einkommenswachstum, der Aufwärtskonvergenz und dem Auffangen negativer demografischer Entwicklungen Grenzen setzt. Insgesamt würden sie von der Ökologisierung, dem technologischen Fortschritt und den damit verbundenen Entwicklungen profitieren. Allerdings besteht für einige Orte und bestimmte Bevölkerungsgruppen — darunter insbesondere schutzbedürftige Gruppen, wie Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Roma und legale Migranten — die Gefahr, abgehängt zu werden. Die Bewältigung der mit dem langfristigen Wandel verbundenen Herausforderungen erfordert ein frühzeitiges Sich-Einstellen auf den Wandel und ein aktives Übergangsmanagement seitens der politischen Entscheidungsträger, der Sozialpartner, der Organisationen der Zivilgesellschaft und der wichtigsten Interessenträger in den betroffenen Ländern und Regionen. Sozialer Dialog, Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer und ihrer Vertretungsorganisationen, auch in am Beschlussfassungsprozess Entscheidungsgremien (Vorstände und Aufsichtsräte), spielen eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung und Gestaltung von Unternehmensentscheidungen, um Übergänge zukunftsorientiert zu bewältigen. Der EWSA fordert die Kommission auf, die soziale Dimension in der künftigen aktualisierten Industriestrategie auszubauen und weiterzuentwickeln.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

92

Nein-Stimmen:

152

Enthaltungen:

17

h)    Ziffer 2.6 (Änderungsantrag 17)

Ändern:

2.6.

Die Bewältigung der Pandemie und die Ermöglichung eines erfolgreichen industriellen Wandels sind im Interesse aller. Dazu bedarf es gemeinsamer Anstrengungen und gemeinsamer Ziele (z. B. langfristige Unternehmensentwicklung) sowie eines wirksamen sozialen Dialogs in einem Klima des Vertrauens. Dafür ist auch eine positive Grundhaltung erforderlich. Der EWSA ist der Auffassung, dass eine gute — d. h. nachhaltige — Unternehmensführung mit einer gemeinsamen Antizipierung des Wandels der Schlüssel zum Erfolg ist auf den bewährten rechtlichen Mindeststandards des Binnenmarkts beruhen muss. Die Arbeitnehmer müssen sich über ihre Unterrichtungs-, Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte auf der Führungsebene der Unternehmen Gehör verschaffen können.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

90

Nein-Stimmen:

151

Enthaltungen:

18

i)    Ziffer 2.7 (Änderungsantrag 18)

Ändern:

2.7.

Digitalisierung und Automatisierung sind für Wirtschaft und Gesellschaft ein zweischneidiges Schwert. Dieser Übergang erfordert Ansätze eine Regulierung, die dem technischen Fortschritt folgen bzw. den Wandel antizipieren können kann, indem bspw. die Sozialpartner einbezogen werden. Europäische Betriebsräte und die Betriebsräte Europäischer Aktiengesellschaften sind ein positives Beispiel für die verpflichtende grenzüberschreitende Beteiligung der Arbeitnehmer im Sinne des Interessenausgleichs und der Sondierung sozialpartnerschaftlicher Lösungen. Dazu gehört, die Aus- und Weiterbildung der Arbeitnehmer zu gewährleisten und Tarifverträge bzw. andere Sozialvereinbarungen auszuhandeln, um die Selbstbestimmung bei der Arbeit und eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu fördern. Mit der Digitalisierung und der Internetwirtschaft sind auch neue Formen der Arbeit aufgekommen, wie etwa die Plattformwirtschaft, bei denen die Arbeitnehmer weder soziale Absicherung noch Arbeitsplatzsicherheit genießen und häufig unter sehr prekären Bedingungen und mit unklarem Status für die Plattform arbeiten. Ihre Arbeitsbedingungen und ihr Status müssen EU-weit harmonisiert werden, um faire Mobilität und Integration in den Binnenmarkt zu fördern  (3) . Nach Auffassung des EWSA muss für diese Arbeitnehmer Rechtssicherheit im Wege eines rechtlichen Status für Arbeitnehmer in der digitalen Plattformwirtschaft geschaffen werden. Schlechter oder nicht vorhandener Sozialschutz belastet nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Kassen der Sozialversicherungssysteme.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

88

Nein-Stimmen:

149

Enthaltungen:

24

j)    Ziffer 2.8 (Änderungsantrag 19)

Ändern:

2.8.

Der digitale Wandel birgt auch potenzielle Risiken in Bereichen wie Finanzstabilität, Finanzkriminalität und Verbraucherschutz. Diese Risiken könnten sich aufgrund der fragmentierten Regulierung in der EU und der uneinheitlichen globalen Entwicklung der Regulierung dieses Bereichs noch vergrößern. Nach Auffassung des EWSA muss die EU daher einen umfassenden und stabilen Rechtsrahmen in diesem Bereich schaffen. Ferner spricht er sich dafür aus, dass 2021 auf OECD-Ebene eine globale Lösung im Steuerbereich gefunden wird empfiehlt er der EU, ihre Initiative zur Besteuerung der großen Unternehmen in der Internetwirtschaft weiterzuverfolgen  (4).

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

89

Nein-Stimmen:

149

Enthaltungen:

22

k)    Ziffer 5.2 (Änderungsantrag 21)

Ändern:

5.2.

Eine enge Zusammenarbeit zwischen wichtigen lokalen und regionalen Akteuren ist unerlässlich, um besonders nachhaltige Nutzungsmöglichkeiten zu finden und die sozioökonomische Entwicklung möglichst gut voranzubringen. Die bewährten Verfahren der Sozialpartner auf allen Ebenen auf der Grundlage von Tarifverträgen bzw. anderen Formen des sozialen Dialogs, die gleiche Wettbewerbsbedingungen für wirtschaftliche Wettbewerber in einer Branche oder einer Region schaffen, bilden den Maßstab, an dem eine Strategie für einen gerechten Übergang in Bezug auf die Dekarbonisierung und andere klimapolitische Ziele ausgerichtet werden könnte (5).

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

93

Nein-Stimmen:

146

Enthaltungen:

19

l)    Ziffer 6.2 (Änderungsantrag 22)

Ändern:

6.2.

Einer der wichtigsten Steuerungsmechanimen für die Umsetzung und Überwachung der Fortschritte eines sozial gerechten Übergangs ist das Europäische Semester. Es ist von größter Bedeutung, die europäische und nationale Politik in ihrer sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Dimension fortlaufend zyklisch zu bewerten. Die soziale Komponente des europäischen Semesters wurde erst nach und nach entwickelt, die makroökonomische und fiskalische Ausrichtung ist immer noch dominierend. Der EWSA schlägt daher vor, neuartige, verbesserte, quantitative und komplementäre soziale, wirtschaftliche und ökologische Indikatoren in das Europäische Semester aufzunehmen. Mit ihrer Hilfe sollen sämtliche Aspekte der europäischen Säule sozialer Rechte und ihrer Grundsätze sowie die 17 Nachhaltigkeitsziele  (6) erfasst und verfolgt werden. Dabei geht es auch um die Schaffung von Synergien mit dem sozialpolitischen Scoreboard, indem das Konzept einer nachhaltigen Ökonomie des Wohlergehens für alle  (7) eingeführt sowie gezielte soziale und umweltbezogene länderspezifische Empfehlungen ausgesprochen werden  (8) . Das Semester wurde mittlerweile neu gestaltet, um mehr Maßnahmen zur Unterstützung der Erholung zu bieten. Der EWSA hofft, dass es zu einer Erneuerung Stärkung des gesamten Steuerungsmechanismus der EU beitragen und eine treibende Kraft für den Fortbestand die Festigung der Demokratie und die Aufwärtskonvergenz innerhalb der EU werden kann.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

87

Nein-Stimmen:

148

Enthaltungen:

21

m)    Ziffer 6.4 (Änderungsantrag 23)

Ändern:

6.4.

Um das institutionelle Ungleichgewicht in der wirtschafts- und sozialpolitischen Steuerung auszugleichen, empfiehlt der EWSA bei der Anwendung der Haushaltsvorschriften der EU eine ausgewogene„goldene Regel“ (9) , die die mittelfristige Finanzstabilität nicht gefährdet. Sie besagt, dass gerechtfertigte öffentliche Investitionen bei der Defizitberechnung ausgenommen und die Tragfähigkeit der aufgelaufenen sowie künftiger Schuldenstände berücksichtigt werden sollen. Dahinter steht das Ziel, eine moderne Gesundheits-, Umwelt-, Bildungs- und Technologieinfrastruktur zu ermöglichen und eine beispiellose Rezession zu vermeiden (10).

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

87

Nein-Stimmen:

159

Enthaltungen:

16

n)    Ziffer 9.3 (Änderungsantrag 24)

Ändern:

9.3.

Der EWSA fordert den Rat und das Europäische Parlament auf, das Geschäftsklima zu verbessern sowie im MFR 2021-2027 zur Deckung des Investitionsbedarfs für einen echten und umfassenden ökologischen und digitalen Wandel den Mittelansatz zu erhöhen und ausreichend Mittel bereitzustellen. Damit ausreichende Finanzmittel bereitstehen, plädiert der EWSA außerdem dafür, die Auswirkungen einer Verbreiterung der für eine breitere Palette an Eigenmitteln zu prüfen, wobei diese aus den Einnahmen des EU-Emissionshandelssystems, aus einem CO2-Grenzausgleichssystem sowie aus einer Digitalabgabe kommen könnten Diese könnten auch eine Digitalsteuer, eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und eine Finanztransaktionssteuer umfassen  (11).

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

91

Nein-Stimmen:

157

Enthaltungen:

13

o)    Ziffer 9.4 (Änderungsantrag 25)

Ändern:

9.4.

Im laufenden Programmplanungszeitraum gilt die Vorschrift, dass Großunternehmen, die Fördergelder aus den europäische Struktur- und Investitionsfonds erhalten haben, diese zurückzahlen müssen, wenn sie die Produktionstätigkeit innerhalb von zehn Jahren nach der Abschlusszahlung der Beihilfen aus der Union auslagern (Artikel 71 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates). Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vorschriften im kommenden Programmplanungszeitraum verstärkt werden müssen, um die Rückverlagerung zu fördern, den Zusammenhalt im Geiste der strategischen Autonomie zu gewährleisten, das Produktionsgefüge/die Produktionskapazität zu erhalten, die Beschäftigung anzukurbeln und eine nachhaltigere territoriale Entwicklung zu fördern.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

89

Nein-Stimmen:

149

Enthaltungen:

19

p)    Ziffer 9.5 (Änderungsantrag 26)

Ändern:

9.5.

Der EWSA unterstützt ferner die Verbesserung der haushaltspolitischen Steuerung der EU, die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken und die Überprüfung bewährter Verfahren der umweltgerechten Haushaltsplanung und Haushaltspläne. Darüber hinaus könnten sind steuerliche Anreize nötig sein, damit Unternehmen und Einzelpersonen zu Investitionen in grüne Initiativen mit sozialer Wirkung motiviert werden investieren  (12). Solche Subventionen sollten mittels einer Kosten-Nutzen-Analyse sorgfältig bewertet werden.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

93

Nein-Stimmen:

154

Enthaltungen:

16

q)    Ziffer 9.6 (Änderungsantrag 27)

Ändern:

9.6.

Die Herausforderungen für Europa beim Übergang zu einer grünen und digitalen Wirtschaft erfordern massive Investitionen, die von der öffentlichen Hand und über die herkömmliche Finanzierung durch Bankkredite allein nicht aufgebracht werden können. Der Privatsektor wird enorme Mittel für Investitionen einsetzen müssen Alljährlich werden Unsummen privater Mittel der verschiedensten Art in schadbringende Wirtschaftstätigkeiten in allen Industriebranchen investiert, die als verlorene Vermögenswerte (sunken assets) enden könnten. Es sollte ein Mechanismus eingerichtet werden, um Finanzmittel des Privatsektors in Investitionen zu lenken, die den ESG-Kriterien (Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien) entsprechen. Die Strategien für die Bankenunion, die Kapitalmarktunion, das nachhaltige Finanzwesen, das digitale Finanzwesen und die KMU verstärken sich daher gegenseitig und garantieren, dass die Mittel in produktivere Projekte fließen. Der EWSA begrüßt die Einrichtung der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen und erwartet eine Beschleunigung der Entwicklung der Sozialtaxonomie.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

74

Nein-Stimmen:

154

Enthaltungen:

31

r)    Ziffer 10.1 (Änderungsantrag 28)

Ändern:

10.1.

Der industrielle Wandel erfordert häufig eine Abkehr von alten, traditionellen Fertigungsindustrien zugunsten einer zukunftsorientierten Produktion (auch in Traditionsbranchen). Dabei kann es bei einer lokal konzentrierten Deindustrialisierung zu einer (zumindest vorübergehend) überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit und zu einem Qualifikationsüberhang in schrumpfenden Branchen kommen. Antizipation und Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter auf Branchen- und Betriebsebene vor einer Beschlussfassung sind von zentraler Bedeutung. Es ist entscheidend, den Strukturwandel durch politische Maßnahmen zu flankieren, um Arbeitnehmern und der Bevölkerung vor Ort — und insbesondere Arbeitnehmern mit Behinderungen sowie anderen schutzbedürftigen Gruppen — zu helfen, den Übergang möglichst unbeschadet zu überstehen und gleichzeitig den potenziellen Nutzen zu maximieren.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

88

Nein-Stimmen:

149

Enthaltungen:

17

s)    Ziffern 10.5, 10.5.1, 10.5.2, 10.5.3, 10.5.4, 10.5.5, 10.5.6, 10.5.7 (Änderungsantrag 30)

Streichen:

10.5.

Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte

Ein gerechter Übergang bedarf angemessener sozialpolitischer Maßnahmen. Diese sollen für gute Arbeitsbedingungen, reibungslos funktionierende Tarifverhandlungen und Arbeitsbeziehungen sowie einen angemessenen Sozialschutz zur Unterstützung von Arbeitnehmern im Übergang sorgen. Der EWSA möchte einige Vorschläge für den künftigen Aktionsplan der Kommission zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte vorlegen.

10.5.1.

Der EWSA schlägt der Kommission vor, den EU-Besitzstand im Bereich des Arbeitsrechts neu zu bewerten und zu stärken, um den gerechten Übergang für die Arbeitnehmer besser zu unterstützen.

10.5.2.

Das Recht auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist ein grundlegendes Recht aller Arbeitnehmer, unabhängig von ihrem Beschäftigungsverhältnis oder der Art des Geschäftsmodells, in dem sie arbeiten. Der EWSA ist darüber besorgt, dass einige neue Arbeitsformen infolge des Klimawandels und der Digitalisierung nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz fallen könnten. Darüber hinaus wurden bereits erhebliche Risiken im Zusammenhang mit digitalisierten Arbeitsplätzen festgestellt, wie z. B. Erhöhung des Arbeitsrhythmus, Stress und psychosoziale Gewalt  (13) . In Zukunft dürfte wohl auch mit Unfällen durch künstliche Intelligenz  (14) zu rechnen sein, die es zu verhindern gilt. Der EWSA fordert daher, dass alle Arbeitnehmer in der EU durch Rechtsvorschriften zu Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz geschützt werden  (15).

10.5.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die Datenschutz-Grundverordnung und die damit zusammenhängenden Verordnungen regelmäßig im Lichte der technologischen Entwicklung zu überprüfen  (16).

10.5.4.

Der soziale Dialog auf nationaler und europäischer Ebene ist ein Schlüsselfaktor für die Gestaltung der Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik. Der EWSA unterstützt die Entwicklung angemessener Ansätze für einen „gerechten Übergang“ im Rahmen eines sozialen Dialogs auf geeigneter nationaler, regionaler und europäischer Ebene und in Verbindung damit die Einführung von Maßnahmen zur Gestaltung, Änderung und Festlegung von Mindestschutzstandards bei Umstrukturierungen am Arbeitsplatz oder Massenentlassungen aufgrund des Wandels (Technologiewende, Demografiewende, Globalisierung, Klimawandel, Umstellung auf die Kreislaufwirtschaft), einschließlich des Rechts auf Tarifverhandlungen zur vorausschauenden Gestaltung der Veränderungen und zur Gewährleistung einer Unterstützung für die betroffenen Arbeitnehmer (Aktualisierung der Richtlinie über Massenentlassungen)  (17).

10.5.5.

Der EWSA bekräftigt die Notwendigkeit der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter bei Änderungen, neuen Technologien und KI-Systemen, die zu Veränderungen in der Arbeitsorganisation, der Arbeitsaufsicht und -kontrolle sowie in den Systemen für die Bewertung und Einstellung von Arbeitnehmern führen können. Das Recht auf Unterrichtung und Anhörung sowie die ordnungsgemäße Anwendung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte ist in allen Unternehmen zu gewährleisten, und es sollte ein harmonisierter Rahmen auf EU-Ebene für die Mitbestimmung in Leitungsorganen eingeführt werden. Der EWSA fordert daher einen starken und soliden europäischen Rahmen für Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer  (18) . Dies ist ein wesentlicher Aspekt der Entwicklung gerechter und fairer Wege des Wiederaufbaus und des ökologischen und digitalen Wandels. Die Kommission sollte den sozialen Dialog im Hinblick auf die Einbeziehung der Arbeitnehmer bei der Anpassung an den Klimawandel und den digitalen Wandel in allen Mitgliedstaaten fördern und dessen Ergebnisse im Rahmen des Europäischen Semesters überwachen.

10.5.6.

Es muss einen Rahmen für die sozialverträgliche Restrukturierung und die Antizipierung betrieblicher Änderungen geben, um bereits geltende Informations-, Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in Übereinstimmung mit den wichtigsten Elementen des europäischen Sozialmodells zu ergänzen  (19) . Der EWSA ist der Auffassung, dass die Europäische Kommission den EU-Qualitätsrahmen für die Antizipierung von Veränderungen und Umstrukturierungen überarbeiten und eine Rechtsgrundlage mit spezifischen Rahmenbedingungen für die Beteiligung der Arbeitnehmer vorschlagen sollte, um sie stärker an der Bewältigung der Herausforderungen des Grünen Deals und des digitalen Wandels zu beteiligen  (20).

10.5.7.

Der Aktionsplan sollte ein Mindestmaß an Rechten auf EU-Ebene festlegen. Der EWSA hat Maßnahmen zum Schutz des Mindesteinkommens gefordert  (21) , um Armut einzudämmen und einen integrativen Arbeitsmarkt zu fördern. Er begrüßt daher die Pläne der Kommission und des deutschen Ratsvorsitzes, einen europäischen Rahmen für Mindesteinkommen zu schaffen  (22) . Der EWSA hat die Prüfung der Möglichkeit empfohlenen, gemeinsame Mindestnormen für die Arbeitslosenversicherung in den EU-Mitgliedstaaten festzulegen  (23) . Der Ausschuss hat ferner eine europäische Initiative für Mindestlöhne und Tarifverhandlungen  (24) gefordert, und begrüßt  (25) daher die Kommissionsinitiative für angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union  (26).

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

93

Nein-Stimmen:

149

Enthaltungen:

17

t)    Ziffer 10.6 (Änderungsantrag 31)

Streichen:

10.6.

Ein neuer Sozialvertrag

Der EWSA plädiert für einen Wiederaufbau durch Investitionen in die Beschäftigung, den Schutz von Rechten, angemessene Löhne und starke Arbeitsmarktinstitutionen für die gesamte Arbeitnehmerschaft gemäß den eingegangenen Verpflichtungen sowie durch die Gewährleistung des Sozialschutzes. Deshalb fordert er, den gerechten Übergang zum Dreh- und Angelpunkt des Aufbaus zu machen: der soziale Dialog kann mit aktiver Beteiligung der Zivilgesellschaft zum sozialen, gerechten und inklusiven industriellen Wandel beitragen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

85

Nein-Stimmen:

146

Enthaltungen:

19

u)    Ziffer 1.1 (Änderungsantrag 1)

Ändern:

1.1.

Für einen industriellen Wandel hin zu einer grünen und digitalen europäischen Wirtschaft im Sinne einer nachhaltigen, fairen und sozialen Zukunft in Europa müssen eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein. Allerdings muss eine neue Situation berücksichtigt werden. Die COVID-19-Pandemie hat die europäische Wirtschaft hart getroffen: zahlreiche Unternehmen müssen aufgeben, Arbeitsplätze gehen verloren, Haushalte verlieren die Lebensgrundlage und das Gesundheitssystem an Effizienz. Die Pandemie hat die Notwendigkeit einer wesentlich breiteren und stärkeren Beteiligung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft auf allen Ebenen der Politikgestaltung verdeutlicht. Gleichermaßen bedarf es eines starken Regelungsrahmens realistischen Rahmens und Standards auf europäischer Ebene, insbesondere für die Sozialagenda, die den Besonderheiten der Mitgliedstaaten und der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedgliedstaaten sowie dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung trägt. Der angekündigte Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte sollte dabei eine wichtige Rolle spielen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

90

Nein-Stimmen:

146

Enthaltungen:

18

v)    Neue Ziffer 1.5 (Änderungsantrag 4)

Neue Ziffer:

1.5.

Die beste politische Antwort besteht darin, die Erwartungen in NextGenerationEU, das eine einzigartige Chance für eine schnelle und den Wandel begünstigende Erholung darstellt, zu erfüllen. Der Einleitung dieses Prozesses und der Zusammenarbeit mit dem Privatsektor sollte höchste Priorität eingeräumt werden.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

97

Nein-Stimmen:

136

Enthaltungen:

22

w)    Neue Ziffer 1.6 (Änderungsantrag 5)

Neue Ziffer:

1.6.

Die Herausforderungen infolge des Brexits sollten durch einen starken Impuls zur Stärkung des Binnenmarkts bewältigt werden, der ein stabileres und wettbewerbsfähigeres Umfeld für Unternehmen schafft.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

93

Nein-Stimmen:

141

Enthaltungen:

20

x)    Ziffer 1.4 (Änderungsantrag 6)

Ändern:

1.4.

Ein robustes, nachhaltiges, faires und wohlhabendes Europa braucht einen Regelungsrahmen kohärenten Rahmen, der einen gerechten Übergang unter Berücksichtigung der ethischen Folgen und des öffentlichen Interesses — Verbraucherschutz, Gesundheit, Sicherheit und Qualität — unterstützt. Der EWSA empfiehlt den europäischen und nationalen Institutionen neue Lenkungsstrukturen, die eine aktive Beteiligung der lokalen Wirtschaft, der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft an der Gestaltung und Umsetzung von fairen Maßnahmen für einen sozial gerechten Wandel ermöglichen. Einer der wichtigsten Lenkungsmechanismen zur Umsetzung und Überwachung der Fortschritte eines sozial gerechten Wandels ist das Europäische Semester. Der EWSA empfiehlt, neue, verbesserte, quantitative Indikatoren in das Europäische Semester aufzunehmen, die ergänzend soziale, wirtschaftliche und ökologische Gegebenheiten abbilden, um alle Prinzipien der europäischen Säule sozialer Rechte zu erfassen und zu verfolgen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

80

Nein-Stimmen:

145

Enthaltungen:

16

y)    Ziffer 1.8 (Änderungsantrag 8)

Ändern:

1.8.

Der EWSA begrüßt den angekündigten Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte. Der einschlägige EU-Besitzstand im Bereich des Arbeitsrechts sollte Die einschlägigen beschäftigungspolitischen Strategien der EU sollten gestärkt werden, um den gerechten Übergang für die Arbeitnehmer besser zu unterstützen.: Der Aktionsplan sollte ein Mindestmaß an Rechten auf EU-Ebene festlegen, u. a.: das Recht auf Gesundheit und Sicherheit für alle Arbeitnehmer, auch in den neuen Arbeitsformen; Unterrichtungs-, Anhörungs-, Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte, die nicht auf Unterrichtung, Anhörung, Mitbestimmung und Beteiligung in Übergangssituationen beschränkt sind; Mindeststandards für die Arbeitslosenversicherung; Mindestlohn und Tarifverhandlungen oder andere Formen von Vereinbarungen im Einklang mit den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

98

Nein-Stimmen:

148

Enthaltungen:

17


(1)  Sommerprognose 2020 der Europäischen Kommission: Eine noch tiefere und uneinheitlichere Rezession.

(2)  Beitrag des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2021.

(3)  Stellungnahme des EWSA (SOC/636) — Faire Beschäftigungsbedingungen in der Plattformökonomie.

(4)  Stellungnahmen des EWSA — Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuervermeidung und Geldwäsche.

(5)  Rahmenabkommen über den gerechten Übergang von der Kohleförderung zur nachhaltigen Entwicklung der Bergbauorte für 2019-2027 (Spanien), Klimafreundliche Arbeitsplätze (Portugal), Abkommen der Sozialpartner über einen gerechten Übergang und den Klimawandel (Griechenland), Thyssenkrupp Steel Europe: Zukunftspakt Stahl 20-30 (Deutschland, März 2020).

(6)  Stellungnahme des EWSA — Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum 2020, ABl. C 120 vom 14.4.2020, S. 1.

(7)  Charveriat, C., Bodin, E. (2020), Delivering the Green Deal: the role of a reformed European Semester within a new sustainable economy strategy.

(8)  Stellungnahme des EWSA — Die europäische Säule sozialer Rechte — Bewertung der ersten Umsetzungsschritte und Empfehlungen für die Zukunft, ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 1.

(9)  ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 1.

(10)  ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 1.

(11)  ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 106.

(12)  ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 63.

(13)  ILO (2019) The Threat of Physical and Psychosocial Violence and Harassment in Digitalized Work.

(14)   ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 64.

(15)   ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 52.

(16)   ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 64.

(17)   ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 1.

(18)  EWSA-Stellungnahme (SOC/644) — Sozialer Dialog für wirtschaftliche Nachhaltigkeit und Resilienz (verabschiedet am 29.10.2020, noch nicht veröffentlicht).

(19)   ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 35.

(20)  Entschließung des EWSA „Beitrag des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Arbeitsprogramm der Kommission für den Zeitraum ab 2021“.

(21)   ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 1.

(22)  Schlussfolgerungen des Rates zur Stärkung der Mindestsicherung zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in der COVID-19-Pandemie und darüber hinaus.

(23)   ABl. C 97 vom 24.3.2020, S. 32.

(24)  Stellungnahme des EWSA — Angemessene Mindestlöhne in ganz Europa.

(25)  Entschließung des EWSA „Beitrag des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Arbeitsprogramm der Kommission für den Zeitraum ab 2021“.

(26)  COM(2020) 682 final.


16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/29


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Grundsätze für öffentliche Dienstleistungen/Stabilität der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des deutschen Ratsvorsitzes)

(2021/C 56/03)

Berichterstatter:

Christian MOOS (DE-III)

Mitberichterstatter:

Philip VON BROCKDORFF (MT-II)

Ersuchen des deutschen Ratsvorsitzes

Schreiben vom 18/2/2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Präsidiums

17/3/2020

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

11/11/2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

2/12/2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

220/0/15

1.   Zusammenfassung

1.1.

Der deutsche Ratsvorsitz hat den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ersucht, zu der Frage Stellung zu nehmen, welche Grundsätze für die öffentlichen Dienste der EU-Mitgliedstaaten gelten müssen, um die obersten Grundwerte der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu garantieren und unter welchen Voraussetzungen sie als automatische Stabilisatoren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Krisenzeiten wirken.

1.2.

Seit mehr als zehn Jahren muss die EU schwere Krisen bewältigen, darunter die Terrorismusbekämpfung, die globalen Finanz- und Wirtschaftskrisen, die Krise des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die Umwelt- und Klimakrise sowie die COVID-19-Pandemie. Effiziente öffentliche Dienste spielen eine entscheidende Rolle bei der Krisenbewältigung, indem sie für öffentliche Sicherheit und Versorgungssicherheit sorgen und den Zugang zu ihren Dienstleistungen auf der Grundlage des Grundsatzes des gleichberechtigten Zugangs und der garantierten Universalität anbieten.

1.3.

In einigen dieser außergewöhnlichen Krisensituationen mussten die Grundrechte im Rahmen eines Ausnahmezustands vorübergehend eingeschränkt werden. Um zu gewährleisten, dass solche Maßnahmen gerechtfertigt und verhältnismäßig sind, stehen die öffentlichen Dienste vor einem Balanceakt zwischen Grundrechtseingriff und Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit sowie Gesetzesbindung allen Verwaltungshandelns.

1.4.

In Bezug auf die Bedrohung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit weltweit und auch in der EU kommt den öffentlichen Diensten insofern eine Abwehrfunktion zu, als sie sich unrechtmäßigen Dienstanweisungen verweigern und so die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung schützen können. Durch die Achtung der Grundprinzipien Objektivität, Integrität, Transparenz, Respekt für andere und Engagement für die Europäische Union und ihre Bürgerinnen und Bürger bilden die öffentlichen Dienste Säulen der Demokratie und ein Bollwerk gegen Populismus.

1.5.

Um zu gewährleisten, dass die öffentlichen Dienste in Europa in allen Krisensituationen als automatische Stabilisatoren wirken, müssen die europäischen Werte, die in den EU-Verträgen, der EU-Grundrechtecharta, der Europäischen Menschenrechtskonvention und den mitgliedstaatlichen Garantien der Grund- und Menschenrechte in den nationalen Verfassungen verankert sind, sowie die gemeinsamen Werte der Union in Bezug auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne von Artikel 14 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), wie sie im Protokoll Nr. 26 über Dienste von allgemeinem Interesse zum Vertrag über die Europäische Union (EUV) festgelegt sind, Richtschnur des Verwaltungshandelns auf europäischer Ebene und — im Einklang mit der jeweiligen Verfassung — in allen EU-Mitgliedstaaten sein.

1.6.

Der EWSA betont ferner, dass funktionierende öffentliche Dienste auf allen Ebenen in der gesamten EU mit den notwendigen Kompetenzen sowie personellen, fachlichen, sachlichen und finanziellen Ressourcen ausgestattet sein und ihren Beschäftigten angemessene Arbeitsbedingungen und eine ausreichende Vergütung sowie einen sozialen Dialog bieten müssen, damit diese die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen und die öffentlichen Dienste als automatischer Stabilisator wirken können.

1.7.

Die Mitgliedstaaten haben die alleinige Zuständigkeit für ihre öffentlichen Dienste, die sie nach ihren tradierten Grundsätzen und im Einklang mit ihrem Verfassungsrecht organisieren. Unbeschadet dessen plädiert der EWSA für einen wirksamen europäischen Rechtsrahmen (einschließlich Sanktionen), der garantiert, dass alle Mitgliedstaaten die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit gemäß den „Kopenhagener Kriterien“ uneingeschränkt achten, die eine notwendige Grundlage für eine gute Verwaltungspraxis in der EU und ihren Mitgliedstaaten bilden.

2.   Fragestellung, Definitionen und Zielsetzung der Stellungnahme

2.1.

Eine EU-weit einheitliche Definition des Begriffs „öffentlicher Dienst“ fehlt. Für die Zwecke dieser Stellungnahme versteht der EWSA unter öffentlichen Diensten die verschiedenen hoheitlichen und administrativen öffentlichen Dienste, darin eingeschlossen die gewerblichen und kommerziellen öffentlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene.

2.2.

Öffentliche Dienste tragen Sorge für die Achtung der obersten Grundwerte der Demokratie, dazu gehören die Achtung der Grund- und Menschenrechte, die verfassungsgebende Gewalt des Volkes, die Gewaltenteilung, die richterliche Unabhängigkeit, die Verantwortlichkeit der Regierung, Parteienpluralismus, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Oppositionsrechte, die Medienfreiheit, das Diskriminierungsverbot, Minderheitenrechte sowie die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Für die EU sind diese Grundwerte als europäische Werte insbesondere in Artikel 2 EUV sowie in der Grundrechtecharta niedergelegt.

2.3.

Der Begriff „automatische Stabilisatoren“ ist der Wirtschaftstheorie entlehnt. In Analogie zu deren Definition werden Grundsätze öffentlicher Dienste als automatische Stabilisatoren angesehen, die insbesondere in Krisenzeiten sichernd auf die obersten Grundwerte der Demokratie wirken.

2.4.

In dieser Stellungnahme sollen Kriterien und europäische Empfehlungen dazu aufgestellt werden, wie öffentliche Dienste, die nationalen Rechtsvorschriften unterliegen, als Stabilisatoren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wirken können. Dabei geht es um den grundlegenden Wert gut funktionierender öffentlicher Dienste für den Schutz der obersten Grundwerte der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in Europa.

2.5.

Natürliche wie juristische Personen sind auf gut funktionierende öffentliche Dienste angewiesen, die einen wichtigen Beitrag zu einer lebendigen Gesellschaft, produktiven Wirtschaft und vertrauensvollen Zusammenarbeit der Sozialpartner leisten. Der öffentliche Dienst sollte dabei alle Personen diskriminierungsfrei behandeln, sodass allen Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung barrierefreier Zugang zu bspw. einer guten Bildung, sozialen Diensten, Gesundheitsversorgung, Wohnraum, Wasser- und Energieversorgung sowie Postzustellung garantiert wird.

2.6.

Der öffentliche Dienst spielt eine Schlüsselrolle für die Aufrechterhaltung der demokratischen Grundordnung, kann dieser Aufgabe jedoch ohne politischen Pluralismus, Meinungsfreiheit, Demokratie sowie Rechten für die Zivilgesellschaft und zwischengeschaltete Stellen wie Gewerkschaften nicht nachkommen. Der öffentliche Dienst ist fester Bestandteil einer Demokratie. Zusammen mit weiteren demokratischen Akteuren ist er ein Garant des sozialen Fortschritts.

3.   Krisenzeiten — Herausforderung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

3.1.   Demokratie und Krisenpolitik

3.1.1.

Gerade in Krisenzeiten ist essenziell, dafür zu sorgen, dass beispielsweise Hilfe allen nunmehr Schutzbedürftigen, natürlichen wie juristischen Personen, nach klaren Maßstäben, mit denen Gleichheit vor dem Gesetz angestrebt wird, gewährt wird und diese Hilfe auch benachteiligten Personen und Gruppen zugänglich ist.

3.1.2.

Jede in einer krisenhaften Ausnahmelage mögliche Beschränkung von Grundrechten aufgrund eines Notstands muss begründet, zeitlich begrenzt und verhältnismäßig sein und von einem demokratisch gewählten Parlament in einem bestimmten Rahmen genehmigt werden. Eine unabhängige Justiz schützt zwar vor rechtswidrigen Verwaltungsakten, doch kann die Demokratie langfristig nicht funktionieren, wenn die Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte nicht in vollem Umfang wahrnehmen können. Gesetzgeber, Regierungen und öffentliche Dienste müssen nicht nur in Übereinstimmung mit den Grundrechten handeln, sondern auch deren Garanten sein.

3.1.3.

Das Neutralitätsgebot der Akteure des öffentlichen Diensts ist eine Grundvoraussetzung für die Gleichbehandlung aller Nutzer und die Vorbeugung von Diskriminierung. Es muss in allen Mitgliedstaaten garantiert sein, um die Akteure des öffentlichen Diensts vor Populismus zu schützen.

3.2.   Terrorismus und staatliche Anti-Terrormaßnahmen

3.2.1.

Spätestens seit „9/11“ vollzieht sich ein schwieriger Balanceakt zwischen der Garantie von Freiheitsrechten und einer effektiven Gefahrenabwehr. Auch für die öffentlichen Dienste ist dies eine besondere Herausforderung, weil der Schutz der Grundfreiheiten und der rechtsstaatlichen Ordnung und neue Exekutivbefugnisse in einem Spannungsverhältnis stehen können.

3.2.2.

Gerade bei der effektiven Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols konkretisiert sich der Balanceakt zwischen Grundrechtseingriff und Gefahrenabwehr nicht nur auf abstrakter Ebene, sondern in der direkten Anwendung im Alltag. Nur ein öffentlicher Dienst, der über das fachlich geschulte Personal und die erforderlichen Ressourcen verfügt, kann seine Aufgaben unter Wahrung der Freiheitsrechte wahrnehmen. Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, um jeglichen Amtsmissbrauch zu verhindern und das Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen Handlungen zu gewährleisten, die über den öffentlich-rechtlichen Auftrag hinausgehen, sei es durch einen Rechtsakt oder durch Einzelpersonen.

3.2.3.

Öffentliche Dienste gewährleisten die öffentliche Ordnung. Sie müssen dabei in dem Rahmen, den ihnen der Grundsatz der pflichtgemäßen Ermessensausübung lässt, eine Balance zwischen Gefahrenabwehr und Grundrechtschutz finden.

3.2.4.

Neben zivilgesellschaftlichen Organisationen und vielfältigen sozialen Diensten in freier Trägerschaft leisten die öffentlichen Dienste unverzichtbare Beiträge zur Prävention von extremistischer Radikalisierung, Gewalt und Intoleranz, zur Förderung von Demokratie und sozialem Zusammenhalt sowie zur Verteidigung der europäischen Werte. Dies gilt u. a. für das öffentliche Bildungswesen.

3.3.   Die globale Finanz- und Schuldenkrise

3.3.1.

Jahrelange Sparmaßnahmen in Folge der globalen Finanz- und Schuldenkrise betrafen die öffentlichen Dienste, was die Wirksamkeit ihrer Tätigkeit negativ beeinflusst hat.

3.3.2.

Diese Zeit hat uns gelehrt, dass der kurzfristige Schuldenabbau nicht unbedingt über die Privatisierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse erfolgen muss.

3.3.3.

Die kontinuierliche, verlässliche Gewährleistung hochwertiger Dienstleistungen von allgemeinem Interesse mit barrierefreiem Zugang muss auf EU-Ebene garantiert sein; der öffentliche Dienst in Europa muss gerade auch in Krisenzeiten dank dieser Kontinuität seine Leistungsfähigkeit als kraftvolle soziale Abfederung unter Beweis stellen.

3.3.4.

Ein gut funktionierender, effizienter öffentlicher Dienst leistet einen wichtigen Beitrag zu einem angemessenen Niveau der Staatsausgaben. Effizienz meint nicht einen „schlanken Staat“, denn ein schlechtes Funktionieren verursacht insgesamt höhere gesellschaftliche und wirtschaftliche Kosten.

3.3.5.

Ein öffentlicher Dienst, der über fachlich geschultes Personal und angemessene Ressourcen verfügt, wirkt durch eine effektive Regeldurchsetzung präventiv gegenüber künftigen Krisen. Dies gilt beispielsweise für eine Verwaltung, die erfolgreich Steuervermeidung und -hinterziehung bekämpft und so die staatlichen Einnahmen garantiert genauso wie für eine funktionierende Aufsicht des Finanzsektors.

3.4.   Die Krise des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems

3.4.1.

Seit 2015 nimmt die Anzahl an Flüchtlingen in Europa stark zu. Für die Bewältigung dieser Herausforderung sind sowohl leistungsfähige öffentliche Dienste als auch zivilgesellschaftliches Engagement von entscheidender Bedeutung. Der EWSA unterstreicht nachdrücklich, dass das Asylrecht und die einschlägigen Völkerrechtsnormen in allen EU-Mitgliedstaaten garantiert sein müssen und das Gemeinsame Europäische Asylsystem vollendet werden muss.

3.4.2.

Wo die Kapazitäten der öffentlichen Dienste in einem oder mehreren Mitgliedstaaten nicht ausreichen, um Flüchtlingen insbesondere an den Eingangstoren zur EU einen hinreichenden Schutz der Grund- und Menschenrechte zu gewährleisten, bedarf es einer gesamteuropäischen Lösung. Die öffentlichen Dienste müssen überall in der EU in die Lage versetzt werden, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die europäischen Werte einzuhalten.

3.4.3.

Wenn öffentliche Dienste eines Mitgliedstaats hoheitliche Aufgaben stellvertretend für alle Mitgliedstaaten ausüben, bedarf es einer fairen Teilung der daraus entstehenden Lasten. Zugleich muss dabei das höchstmögliche Schutzniveau der Grund- und Menschenrechte und die Einhaltung der europäischen Werte garantiert sein.

3.4.4.

Die digitale Interoperabilität der Grenzkontrollsysteme muss im Einklang mit den Datenschutzvorschriften stehen. Die EU muss die Achtung des Schutzes personenbezogener Daten durch alle ihre Verwaltungen gewährleisten.

3.5.   Die Umwelt- und Klimakrise

3.5.1.

Öffentliche Dienste sind für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele (SDG) und die Umsetzung des Grünen Deals wichtig. Öffentliche Dienste können einen Wandel anstoßen, indem sie umweltfreundliche Initiativen und Maßnahmen bei öffentlichen Aufträgen und ihren Arbeitsverfahren fördern.

3.5.2.

Die ökologische Transformation wird auch zu einer Frage der sozialen Gerechtigkeit. Damit die Teilung von Lasten Akzeptanz findet, ist deren gerechte Verteilung und eine diskriminierungsfreie Durchsetzung der Auflagen unverzichtbar.

3.5.3.

Die öffentlichen Dienste können Anreizsysteme umsetzen und neue Dienstleistungen, vor allem in den Bereichen der Mobilität und der Energieversorgung und -sicherheit, anbieten. Auch Nachhaltigkeit und CO2-Neutralität gehören zu den grundlegenden Prinzipien, deren Einhaltung durch alle öffentlichen Dienste in Europa von der EU sichergestellt werden sollte.

3.6.   Die COVID-19-Pandemie

3.6.1.

Der Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen Rechten und Notstand ist während der COVID-19-Krise erneut zutage getreten. Alle sind gleichermaßen von den Risiken und der Einschränkung der Freiheiten betroffen.

3.6.2.

Die öffentlichen Dienste und ihre Beschäftigten stehen bei der Bekämpfung des Virus an vorderster Front. Sie müssen die öffentliche Gesundheit, die Risikoprävention und die Versorgungssicherheit unter allen Umständen gewährleisten.

3.6.3.

Die COVID-19-Krise zeigt, wie sehr die Mitgliedstaaten und ihre Bürgerinnen und Bürger reaktions- und leistungsfähige, finanziell gut ausgestattete und moderne öffentliche Dienstleistungen benötigen. Eine akute Krise kann schnelle Entscheidungen fordern. Diese müssen gut begründet sein und dürfen der demokratischen Kontrolle nicht entzogen werden. Sonst droht die Demokratie Schaden zu nehmen. Eine unzureichende Legitimation schwächt die Bereitschaft zur Regelbefolgung. Regierungen brauchen einen Vertrauensvorschuss der Gesellschaft für schnelles Handeln in der Krise, wobei sie sich auf einen effizienten öffentlichen Dienst stützen können müssen. Der öffentliche Dienst bedarf als administrativer Teil der vollziehenden Gewalt selbst des Vertrauens, um Entscheidungen effektiv umsetzen zu können.

3.6.4.

Die Pandemie zeigt, dass öffentliche Dienste über genügend fachlich geschulte und kompetente Beschäftigte, Ressourcen und Reserven verfügen müssen. Der grundlegende Charakter von Gemeinwohlaufgaben rechtfertigt eine angemessene Bezahlung und die EU-weite Anwendung sozialer Mindeststandards auf die Beschäftigten des öffentlichen Diensts. In vielen EU-Staaten bestehen demografische Probleme, denen insoweit Rechnung zu tragen ist, als der öffentliche Dienst im „Wettbewerb um die besten Köpfe“ auch finanziell attraktiv bleiben oder werden muss.

3.6.5.

Die Qualität der Grundsätze öffentlicher Dienste und angemessene Arbeitsbedingungen für Beamte, einschließlich eines guten sozialen Dialogs und eines demokratischen Klimas, stärken das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Regierungen.

3.6.6.

In der jüngsten Zeit haben alle EU-Staaten in Abwägung ihrer Kapazitäten zur Sicherung des Rechts auf Leben und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit in einem für Demokratien unbekannten Ausmaß andere Grundrechte eingeschränkt. Diese präzedenzlose Maßnahme darf nur befristet erfolgen und bedarf der regelmäßigen Überprüfung durch die gewählten Parlamente.

3.6.7.

Die öffentlichen Dienste sind auf eindeutige Regierungsentscheidungen sowie auf Rechtsklarheit und -sicherheit angewiesen. Die EU sollte den Grundsatz der Transparenz und der guten Verwaltung nicht nur auf sich selbst anwenden, sondern dessen Einhaltung auch in allen öffentlichen Diensten in Europa gewährleisten.

3.6.8.

Viele öffentliche Dienste sind für die Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise zuständig. In ihrer Gesamtheit zeigen sie den grundlegenden Wert einer effektiven Verwaltung in Krisenzeiten.

4.   Öffentliche Dienste als automatische Stabilisatoren

4.1.

Um als automatischer Stabilisator wirken zu können, muss in der gesamten EU, auf der europäischen, zentralstaatlichen, regionalen und kommunalen Ebene, eine funktionierende Verwaltung existieren, die mit den notwendigen Kompetenzen sowie personellen, fachlichen, sachlichen und finanziellen Ressourcen ausgestattet ist, um die ihr übertragenen Aufgaben erfüllen zu können.

4.2.

Außer auf europäischer Ebene muss die Zuordnung der Aufgaben zu den einzelnen Ebenen nicht EU-weit einheitlich geregelt sein, sondern mit dem Ziel effektiven Verwaltungshandelns den spezifischen mitgliedstaatlichen Bedingungen Rechnung tragen.

4.3.

Die Entscheidung, welche Dienstleistungen öffentlich-rechtlich und welche privat erbracht werden, obliegt den Mitgliedstaaten. Diese sollten sich bei ihrer Entscheidung vergewissern, dass der Ausfall privatwirtschaftlicher oder staatlicher Leistungserbringer in Krisenzeiten keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder die Versorgungssicherheit bedeutet.

4.4.

Wenn alle öffentlichen Dienste die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung konsequent befolgen und das Recht auf eine gute Verwaltung verwirklichen, stärken sie das Vertrauen in Rechtsstaat und Demokratie und die Resilienz gegenüber populistischen Verheißungen.

4.5.

Transparente öffentliche Dienste leisten einen zentralen Beitrag zum Kampf gegen Korruption und damit zu einer zuverlässigen und kostengünstigen Leistungserbringung. Die Einhaltung der grundlegenden Prinzipien des öffentlichen Diensts in Europa, ihre Verfügbarkeit und Sachkompetenz sowie ein leichter Zugang zu unabhängigen Kontrollorganen stärken das Vertrauen.

4.6.

Insbesondere in der Frage der Einhaltung der Grund- und Menschenrechte durch die Regierungen und Gesetzgeber aller Ebenen kommt den öffentlichen Diensten — bei entsprechend gelebten Grundsätzen — eine Umverteilungs- und Abwehrfunktion zu, in dem sie sich unrechtmäßigen Dienstanweisungen verweigern und so die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung schützen können.

4.7.

Das öffentliche Bildungswesen muss durch die Vermittlung der europäischen Werte und die Pflege einer demokratischen Zivilkultur einen entscheidenden Beitrag leisten. Formale Bildung ist eine wichtige öffentliche Dienstleistung an sich, insbesondere für die Vorbereitung der Bürgerinnen und Bürger von morgen.

4.8.

Die gegenwärtige Pandemie zeigt, wie ein überlastetes Gesundheitssystem zu Verletzungen der Menschenwürde führen kann und wie wichtig ausreichende Personal- und Behandlungsressourcen sind.

4.9.

Eine funktionierende Sozialverwaltung, die barriere- und diskriminierungsfreien Zugang zu Leistungen sozialer Sicherheit bietet, unterstützt das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit. Der öffentliche Dienst manifestiert sich hier als Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität.

5.   Grundsätze für öffentliche Dienste in der Europäischen Union

5.1.

Die Mitgliedstaaten sind und bleiben allein verantwortlich für ihre öffentlichen Dienste, die sie nach ihren traditionellen Grundsätzen und im Einklang mit ihrem Verfassungsrecht organisieren. Unbeschadet dessen sind angesichts der Bedrohungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weltweit und leider auch in Europa gemeinsame europäische Grundsätze und Garantien erforderlich, um sicherzustellen, dass der öffentliche Dienst und die öffentlichen Dienstleistungen weiterhin Garanten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bleiben.

5.2.

Der EWSA plädiert für einen wirksamen europäischen Rechtsrahmen, der die uneingeschränkte Achtung der „Kopenhagener Kriterien“ gewährleistet, die seit 1993 für alle Mitgliedstaaten die Kriterien für den EU-Beitritt bilden. Dieser Rahmen sollte die Möglichkeit von Sanktionen vorsehen.

5.3.

Für alle öffentlichen Dienste der EU und ihrer Mitgliedstaaten sind die in den EU-Verträgen verankerten europäischen Werte, die Charta der Grundrechte, die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte sowie mitgliedstaatliche Garantien der Grund- und Menschenrechte in den nationalen Verfassungen Richtschnur des Verwaltungshandelns.

5.4.

Die gemeinsamen Werte der Union in Bezug auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne von Artikel 14 AEUV, wie sie im Protokoll (Nr. 26) über Dienste von allgemeinem Interesse zum EUV niedergelegt sind, bilden die Leitlinien für die Anwendung der Grundsätze für öffentliche Dienstleistungen in allen Mitgliedstaaten.

5.5.

Die öffentlichen Dienste in den EU-Mitgliedstaaten müssen sich bei all ihrer Vielfalt drei Grundsätzen verschreiben: Neutralität, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Transparenz. Eine mangelnde richterliche Unabhängigkeit sowie Verfassungsänderungen, die die oben genannten Grundsätze für den öffentlichen Dienst und somit die traditionellen Grundsätze öffentlicher Dienstleistungen untergraben, müssen mit wirksamen Sanktionen geahndet werden.

5.6.

Gemäß dem Grundsatz der Neutralität müssen öffentliche Dienste den Zugang zu ihren Dienstleistungen auf der Grundlage des Grundsatzes des gleichberechtigten Zugangs und der garantierten Universalität gewährleisten. Die Barrierefreiheit der öffentlichen Dienste muss auch für gesellschaftliche Gruppen mit benachteiligtem Zugang wie Menschen mit Behinderung und in ländlichen Regionen uneingeschränkt gewährleistet werden.

5.7.

Die Gesetzesbindung allen Verwaltungshandelns ist essenziell, Gesetze und Weisungen dürfen der verfassungsmäßigen Ordnung bzw. den europäischen Werten nicht widersprechen. Sie befolgen darüber hinaus die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der pflichtgemäßen Ermessensausübung.

5.8.

Öffentliche Dienste verwirklichen das Recht auf eine gute Verwaltung und sind zum Zwecke der öffentlichen Kontrolle der Exekutive transparent in ihrem Handeln. Sie gewähren freien Zugang zu Verwaltungsinformationen und entsprechen vorbehaltlos Informationsbegehren. Ausnahmen sind eng auszulegen.

5.9.

Die öffentlichen Dienste sind dem UNO-Übereinkommen gegen Korruption verpflichtet und ergreifen alle notwendigen Maßnahmen zu deren Bekämpfung. Dazu setzen sie die Empfehlungen aus den europäischen Antikorruptionsberichten um.

5.10.

Die öffentlichen Dienste orientieren sich uneingeschränkt an demokratischen Grundsätzen. Die Rolle einer handlungsfähigen und strukturiert organisierten Zivilgesellschaft und politischen Opposition ist für die Wahrung dieses Grundsatzes von entscheidender Bedeutung.

5.11.

Beschäftigte der öffentlichen Dienste müssen in ihrem Beschäftigungsstatus rechtlich so geschützt und gesichert sein, dass sie unrechtmäßigen Dienstanweisungen die Folge verweigern und in geeigneter Weise Beschwerde einlegen können. Dies trägt zum reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Dienste bei und ist ein Garant für die Demokratie sowie für die Verteidigung des allgemeinen Interesses gegen Korruption, Betrug oder Missbrauch.

5.12.

Die EU-Richtlinie über den verstärkten Schutz von Hinweisgebern gilt für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Wie in der Stellungnahme des EWSA „Stärkung des Schutzes von Hinweisgebern auf EU-Ebene“ (SOC/593) (1) betont wird, entscheidet der Beschäftigte selbst, ob er eine Angelegenheit intern oder extern an die zuständigen Behörden (weder die Medien noch die Öffentlichkeit) meldet.

5.13.

Trotz der Digitalisierung der Dienste muss auch in Zukunft die Möglichkeit des persönlichen Kontakts zur Verwaltung garantiert sein. Dies gilt für alle öffentlichen Dienste auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, damit schutzbedürftigen Personen (älteren Menschen, Armen, Migrantinnen und Migranten usw.) persönlich geholfen und die Digitalisierung für diese Bevölkerungsgruppen nicht zu einem zusätzlichen Faktor der sozialen Ausgrenzung wird.

5.14.

Die öffentlichen Dienste müssen dem aktuellen Stand der Digitalisierung entsprechen, ohne dass dabei Grundrechte (einschließlich der Arbeitnehmerrechte) geschwächt werden. Dies gilt in Bezug auf die digitale Verwaltung insbesondere für den Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

5.15.

Öffentliche Dienste müssen über die notwendigen Kompetenzen sowie personellen, fachlichen, sachlichen und finanziellen Ressourcen verfügen, um die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen zu können. Um ihr gutes Funktionieren auch in krisenbedingten Ausnahmezuständen zu sichern, bedarf die Ausstattung in allen genannten Dimensionen entsprechender Reserven.

5.16.

Die nationalen öffentlichen Dienste liegen in alleiniger organisatorischer Verantwortung der Mitgliedstaaten, weil sie wesentlich für deren staatliche Identität sind. Sie müssen aber im europäischen Mehrebenensystem interoperabel sein.

5.17.

Die europäische Zusammenarbeit und die praktische Anwendung der Grundsätze für öffentliche Dienste in der EU müssen Ausbildungsinhalt aller öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Mitarbeitenden sein.

5.18.

Der Personalaustausch zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten sowie zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten muss ausgeweitet werden, um die Verwaltungsebenen im europäischen Mehrebenensystem besser zu verzahnen. Der Arbeitsplatzwechsel innerhalb der Mitgliedstaaten muss für den öffentlichen Dienst ohne Nachteile möglich sein.

5.19.

Europäische Einrichtungen, die berufsbegleitende Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen anbieten, sollten ein Angebot zur Umsetzung der Grundsätze der öffentlichen Dienste und zur Sicherung ihrer automatischen Stabilisierungswirkung für Beschäftigte der öffentlichen Dienste aller Ebenen schaffen.

5.20.

Alle öffentlichen Dienste, die an der Vergabe europäischer Gelder beteiligt sind, müssen die Grundsätze für den öffentlichen Dienst einhalten und umsetzen.

Brüssel, den 2. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 155.


16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/36


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Gewährleistung der praktischen Ausübung des Wahlrechts durch Menschen mit Behinderungen bei der Wahl zum Europäischen Parlament“

(ergänzende Initiativstellungnahme)

(2021/C 56/04)

Berichterstatter:

Krzysztof PATER

Beschluss des Plenums

20.2.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Ergänzende Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

11.11.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

2.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

246/0/0

1.   Einführung

1.1.

In dieser Stellungnahme werden die Ergebnisse der zweiten Phase der Arbeiten des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) zusammengefasst, mit denen sichergestellt werden soll, dass alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union mit Behinderungen ihr Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) tatsächlich ausüben können.

1.2.

In der ersten Phase, die im März 2019 endete, erstellte der EWSA den Informationsbericht „Die praktische Ausübung des Wahlrechts durch Menschen mit Behinderungen bei der Wahl zum Europäischen Parlament“ (1). In diesem Bericht werden die rechtlichen und technischen Hindernisse, die der praktischen Ausübung dieses Rechts in allen EU-Mitgliedstaaten im Wege stehen, ausführlich beschrieben. In dieser Stellungnahme werden nur einige der Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieses Berichts angeführt. Für ein umfassendes Bild der Lage empfiehlt es sich, den vollständigen Bericht zu lesen.

2.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

2.1.

In jedem der 27 EU-Mitgliedstaaten gibt es Vorschriften oder organisatorische Regelungen, die einen Teil der Wählerinnen und Wähler mit Behinderungen von der Teilnahme an den Wahlen zum EP ausschließen.

2.2.

Ohne größere Gesetzesänderungen wird es mit zunehmender Bevölkerungsalterung zu einem stetigen Anstieg der Zahl der Menschen kommen, die ihr Wahlrecht aufgrund einer Behinderung nicht wahrnehmen können — dies gilt sowohl für Menschen, die zu Hause leben, als auch für Personen in Langzeitpflegeeinrichtungen. Von dieser faktischen Unmöglichkeit, das Wahlrecht wahrzunehmen, sind auch viele weitere Personen betroffen, etwa vorübergehend hospitalisierte Patientinnen und Patienten, solche die zu Hause behandelt werden bzw. Rehabilitationsmaßnahmen absolvieren sowie Menschen, die sich aufgrund epidemiologischer Risiken in Isolation oder Quarantäne befinden.

2.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass dies nicht hinnehmbar ist und im Widerspruch zu den Grundwerten der EU und den Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Union (EUV) steht. Es besteht auch ein Widerspruch zu zahlreichen völkerrechtlichen und politischen Vereinbarungen wie dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates.

2.4.

Der EWSA fordert das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und die Mitgliedstaaten auf, den Akt zur Einführung von Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments von 1976 (2) dringend zu ändern und grundsätzlich festzustellen, dass diese Wahlen allgemein, unmittelbar und geheim sind, wodurch EU-weit Standards angewandt werden könnten, die Menschen mit Behinderungen gemäß Artikel 29 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Ausübung ihres passiven und aktiven Wahlrechts ermöglichen. Diese Standards müssten mindestens Folgendes umfassen:

das Verbot eines Wahlrechtsausschlusses bei den Wahlen zum Europäischen Parlament aufgrund einer Behinderung oder des Gesundheitszustands;

die Verpflichtung, Informationen über die Abstimmungsmodalitäten in einer Form bereitzustellen, die den sich aus der jeweiligen Behinderung ergebenden Bedürfnissen entspricht;

die Möglichkeit für Menschen, die das Wahllokal aufgrund ihrer Behinderung nicht aufsuchen können, außerhalb des Wahllokals eigenständig abzustimmen;

das Angebot von Lösungen, die es Menschen mit Behinderungen mit erheblichem Unterstützungsbedarf — Taubblinde, Blinde, Sehbehinderte oder Menschen mit verminderter manueller Geschicklichkeit —, ermöglichen würden, eigenständig und ohne Hilfsperson zu wählen;

die Möglichkeit, zu einem anderen Wahllokal zu wechseln, das besser an die Bedürfnisse von Wählern mit Behinderungen angepasst ist;

das Recht einer Person, eine Hilfsperson zur Unterstützung bei der Ausübung des Wahlrechts frei zu wählen.

2.5.

Bei der Umsetzung dieser Vorschriften haben die Mitgliedstaaten weiterhin weiten Ermessensspielraum, dennoch wird gewährleistet, dass ab 2024 alle Unionsbürgerinnen und -bürger unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrem Wohnsitzland faktisch das Recht haben, ihre EP-Abgeordneten zu wählen.

3.   Aktueller Stand

3.1.   Hindernisse für Menschen mit Behinderungen bei der Ausübung ihres Wahlrechts

3.1.1.

Die Politik in ganz Europa ist sich der Tatsache bewusst, dass viele Menschen mit Behinderungen ihr Wahlrecht nicht ausüben können, da Vertreter von Organisationen, die sich mit den Rechten von Menschen mit Behinderungen und den Menschenrechten befassen, sowie einzelne Menschen mit Behinderungen und ihre Familien schon seit vielen Jahren ein wirkliches und uneingeschränktes Wahlrecht fordern. Auch der vormalige Präsident des Europäischen Parlaments Antonio Tajani wies in seinem Schreiben aus dem Jahr 2017 an die Regierungschefinnen und -chefs aller EU-Mitgliedstaaten auf dieses Problem hin und forderte sie auf, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen ihr Wahlrecht bei den Wahlen 2019 ausüben können. Das erhoffte Ergebnis blieb jedoch aus.

3.1.2.

Am 20. März 2019 übermittelte der EWSA seinen Informationsbericht „Die praktische Ausübung des Wahlrechts durch Menschen mit Behinderungen bei der Wahl zum Europäischen Parlament“ an die EU-Organe und die Mitgliedstaaten.

3.1.2.1.

In diesem Bericht werden die rechtlichen und technischen Hindernisse, auf die Menschen mit Behinderungen bei der Ausübung ihres Wahlrechts in allen EU-Mitgliedstaaten stoßen, ausführlich beschrieben. Darüber hinaus werden mehr als 200 Beispiele für bewährte Verfahren vorgestellt, insbesondere Lösungen, die Menschen mit Behinderungen die Teilnahme an Wahlen erleichtern.

3.1.2.2.

Der Bericht enthält eine Analyse der Rechte von Menschen mit Behinderungen auf uneingeschränkte Teilhabe am politischen Leben, die sich aus den wichtigsten internationalen Rechtsakten und politischen Handlungen ergeben und zu denen auch das Wahlrecht zählt.

3.1.2.3.

Zudem enthält er eine ausführliche Beschreibung der in der EU geltenden Vorschriften, die den Ablauf der Wahlen zum Europäischen Parlament regeln, sowie Vorschläge für Änderungen an diesen Vorschriften.

3.1.3.

Die in dem Bericht beschriebenen Einschränkungen wurden durch Berichte europäischer Medien und zivilgesellschaftlicher Organisationen von den letzten Wahlen zum Europäischen Parlament, die vom 23. bis 26. Mai 2019 stattfanden, bestätigt.

3.1.4.

In den zwei Monaten zwischen der Veröffentlichung des Berichts im März und den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai wurden in Deutschland (3) und Frankreich (4) Gesetzesänderungen beschlossen, die es den Menschen, die zuvor von einem Wahlrechtsausschluss betroffen waren, ermöglichten, ihr Wahlrecht auszuüben. Dennoch sind nach wie vor insgesamt etwa 400 000 Unionsbürgerinnen und -bürger aufgrund einer geistigen Behinderung oder psychischer Probleme in 14 Mitgliedstaaten gesetzlich von der Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament ausgeschlossen — in der Regel betrifft dies Menschen, die ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht selbst besorgen können und für die ein Betreuer bestellt wurde.

3.1.5.

Organisatorische Aspekte (technische Einschränkungen), die sich aus Vorschriften oder Praktiken in den Mitgliedstaaten ergeben, führen dazu, dass Millionen von Unionsbürgerinnen und -bürgern nicht an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen können. Einige Beispiele:

In acht Mitgliedstaaten verfügen Menschen, die aufgrund einer Behinderung oder Krankheit kein Wahllokal aufsuchen können, darunter auch Personen in Einrichtungen der 24-Stunden-Pflege, keine andere Möglichkeit, ihre Stimme abzugeben.

In 18 Ländern haben Blinde keine Möglichkeit, eigenständig zu wählen.

In 12 Ländern können Wähler mit Behinderungen ihr bevorzugtes Wahllokal nicht selbst auswählen.

In neun Ländern müssen Wähler die Nummer des Kandidaten, seinen Namen oder den Namen der Partei, die er unterstützt, auf dem Stimmzettel handschriftlich angeben, was nicht nur für Blinde ein ernstes Hindernis darstellt.

Nur in einem EU-Land sind die Ausstattung und der Betrieb der Wahllokale so geregelt, dass sie den Bedürfnissen von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen entsprechen (diese Regelungen gelten für die Hälfte der Wahllokale im Land).

3.1.6.

In jedem der 27 EU-Mitgliedstaaten gibt es Vorschriften oder organisatorische Regelungen, die verhindern, dass ein Teil der Wählerinnen und Wähler mit Behinderungen sein Wahlrecht bei den Wahlen zum EP wahrnehmen kann. Würden jedoch die bewährten Verfahren aus allen Ländern umgesetzt, hätten wir ein ideales System, mit dem alle Unionsbürgerinnen und -bürger mit einer Behinderung nicht nur ihr Wahlrecht uneingeschränkt wahrnehmen, sondern auch die für sie am besten passende Wahlmethode aus mehreren Optionen wählen könnten.

3.1.7.

Die COVID-19-Pandemie hat die Länder, in denen 2020 Wahlen stattfinden, veranlasst, neue und oft innovative Lösungen umzusetzen, die die Möglichkeit schaffen, an Wahlen teilzunehmen, ohne ins Wahllokal kommen zu müssen, wodurch das Spektrum positiver Lösungen, die nicht nur Menschen mit Behinderungen zugute kommen, in den Mitgliedstaaten erweitert wurde.

3.1.8.

Am 26. November 2020 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung zur Bestandsaufnahme zu den Wahlen zum EP (5) an, in der es unter Verweis auf den vorgenannten EWSA-Bericht auf schwerwiegende Einschränkungen bei der Ausübung des Wahlrechts durch Menschen mit Behinderungen hingewiesen hat.

3.2.   Demografische und gesundheitliche Faktoren

3.2.1.

Eurostat-Prognosen (6) zufolge wird der Anteil der Personen ab 65 Jahren an der Gesamtbevölkerung der EU von 19,8 % im Jahr 2018 auf 31,3 % im Jahr 2100 steigen.

3.2.2.

Laut Eurostat kann ein Mädchen, das 2015 geboren wurde, von durchschnittlich 63,3 gesunden und gänzlich behinderungsfreien Lebensjahren ausgehen, während ein neugeborener Junge mit 62,6 behinderungsfreien Lebensjahren rechnen kann (7). Ausgehend von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 83,3 Jahren für Mädchen und 77,9 Jahren für Jungen, haben im Jahr 2015 geborene Frauen durchschnittlich 20 Jahre und im selben Jahr geborene Männer etwa 15 Jahre mit einer Behinderung zu leben.

3.2.3.

Nach Schätzungen von Eurostat (8) liegt die Quote der Menschen mit Behinderungen in der Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen je nach Definitionsweise zwischen 11 und 14 %. Wird die Definition in Artikel 1 des von der EU und allen Mitgliedstaaten ratifizierten Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zugrunde gelegt, übersteigt die Quote 15 %.

3.2.4.

Es ist daher davon auszugehen, dass fast 20 % der erwachsenen Unionsbürgerinnen und -bürger, d. h. etwa 80 Mio. Menschen, derzeit unter einer Behinderung leiden, die es schwierig macht, den Alltag zu bewältigen. Diese Quote wird im Durchschnitt alle sechs Jahre um 1 % ansteigen.

3.2.5.

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bezieht sich auf Menschen, „die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben“. Der EWSA unterstreicht jedoch, dass andere Menschen, die offiziell nicht als Menschen mit Behinderungen gelten, weil ihre Beeinträchtigung vorübergehend ist, bei der Ausübung ihres Wahlrechts auf die gleichen Schwierigkeiten stoßen.

3.2.5.1.

Dazu zählen beispielsweise kurzzeitig hospitalisierte Patienten sowie Personen, die zu Hause Behandlungen oder Rehabilitationsmaßnahmen absolvieren, und die wegen der vorübergehenden Einschränkungen aufgrund ihres derzeitigen Gesundheitszustands kein Wahllokal aufsuchen können, um zu wählen. Hiervon könnten mehrere hunderttausend Patientinnen und Patienten in der EU betroffen sein.

3.2.5.2.

Ferner könnten Personen betroffen sein, die aufgrund eines epidemiologischen Risikos Ausgangsbeschränkungen unterliegen, einschließlich der Isolierung in einer geschlossenen Einrichtung oder der häuslichen Absonderung. Die Erfahrungen mit der COVID-19-Pandemie zeigen, dass viele Millionen Unionsbürgerinnen und -bürger gleichzeitig betroffen sein könnten.

4.   Der maßgebliche internationale Rechtsrahmen und politische Rahmen zur Regelung des Wahlrechts von Menschen mit Behinderungen

4.1.

Nach Artikel 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 hat jeder „das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken“.

4.2.

In Artikel 25 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, angenommen von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 16. Dezember 1966, ist Folgendes vorgesehen: „Jeder Staatsbürger hat das Recht und die Möglichkeit, ohne Unterschied nach den in Artikel 2 genannten Merkmalen und ohne unangemessene Einschränkungen: […] b) bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen zu wählen.“

4.3.

Gemäß dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das am 3. Mai 2008 in Kraft getreten ist,

verpflichten sich die Vertragsstaaten, „sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, […] was auch das Recht und die Möglichkeit einschließt, zu wählen und gewählt zu werden“. Außerdem werden einige Maßnahmen festgelegt, um dies zu ermöglichen, wobei „die Wahlverfahren, -einrichtungen und -materialien geeignet, zugänglich und leicht zu verstehen und zu handhaben sind“ (Artikel 29).

Es wird betont, dass „Menschen mit Behinderungen das Recht haben, überall als Rechtssubjekt anerkannt zu werden“ und „in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen“ (Artikel 12).

Gefordert wird auch, dass Menschen mit Behinderungen Zugang haben zu „Gebäuden, Straßen, Transportmitteln sowie anderen Einrichtungen in Gebäuden und im Freien“, die der Öffentlichkeit offen stehen (Artikel 9).

4.4.

Der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen stellte 2015 fest, dass Menschen mit Behinderungen, insbesondere nicht rechts- und geschäftsfähige oder in Einrichtungen untergebrachte Personen in der gesamten Europäischen Union, ihr Wahlrecht faktisch nicht ausüben können und die Teilnahme an Wahlen nicht uneingeschränkt barrierefrei ist. Er empfahl, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit alle Menschen mit Behinderungen ihr Wahlrecht ausüben können (9).

4.5.

Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union heißt es in Artikel 20 Absatz 2 Buchstabe b eindeutig: „Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben unter anderem: […] in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament […], wobei für sie dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats.“

4.6.

In Artikel 39 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union wird das aktive Wahlrecht aller Unionsbürger und -bürgerinnen bei Wahlen zum Europäischen Parlament bekräftigt. Ferner sind gemäß Artikel 21 Absatz 1 der Charta „Diskriminierungen, insbesondere wegen […] einer Behinderung […] verboten“. Artikel 26 lautet: „Die Union anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer […] Teilnahme am Leben der Gemeinschaft.“

4.7.

In der am 16. November 2011 verabschiedeten Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates (10) wird bekräftigt, dass alle Menschen mit Behinderungen das Recht haben, gleichberechtigt mit anderen am politischen und öffentlichen Leben teilzuhaben, und dass barrierefreie Stimmzettel und Einrichtungen zum Zeitpunkt der Wahlen verfügbar sein sollten.

5.   Zu ergreifende Maßnahmen

5.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass gemäß Artikel 10 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV — konsolidierte Fassung) „die Bürgerinnen und Bürger auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten“ sind. In Artikel 14 Absatz 3 EUV heißt es: „Die Mitglieder des Europäischen Parlaments werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt“. Diese Bestimmungen können nicht herangezogen werden, um beim Recht von Menschen mit Behinderungen auf Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament je nach deren Staatsangehörigkeit oder Wohnsitzmitgliedstaat Unterscheidungen zu treffen.

5.2.

Derzeit gibt es in der EU viele Beispiele für ungerechtfertigte Unterscheidungen bei den Rechten von Menschen mit Behinderungen und somit für ihre Diskriminierung. Einige Beispiele:

Eine Person mit doppelter Staatsangehörigkeit von zwei EU-Mitgliedstaaten kann je nach dem von ihr gewählten Ausweisdokument entweder völlig eigenständig wählen oder aufgrund ihrer geistigen Behinderung von einem Wahlrechtsausschluss betroffen sein.

Eine bettlägerige Person, die 24-Stunden-Pflege benötigt, kann nicht wählen, weil sie nicht in das Wahllokal gelangen kann und es in ihrem Wohnsitzland keine andere Wahlmöglichkeit gibt. Lebt sie jedoch in einem anderen EU-Land, kann sie per Briefwahl, an einer mobilen Wahlurne oder per elektronischer Stimmabgabe frei wählen.

In einem Mitgliedstaat können blinde Menschen völlig eigenständig ohne jegliche Unterstützung wählen, in einem anderen Land ist dies hingegen unmöglich — dort können sie nur mit einer Hilfsperson in einem Wahllokal wählen.

In einem Land, in dem die Stimmabgabe durch handschriftliches Setzen eines einfachen grafischen Zeichens (z. B. „X“) oder das Ziehen der entsprechenden Karte aus einem zuvor erhaltenen Kartenstapel erfolgt, können Parkinson-Patienten eigenständig wählen. In einem Land, in dem eine lesbare Zahl oder ein Vor- und Nachname auf den Stimmzettel geschrieben werden müssen, stehen sie jedoch vor einem unüberwindbaren Hindernis.

Menschen mit schwerwiegenden Mobilitätsproblemen (die z. B. auf Gehhilfen oder einen Rollstuhl angewiesen sind) können in einigen Ländern ein für sie geeignetes Wahllokal wählen, während andere Länder die freie Wahl des Wahllokals nicht zulassen, was diese Menschen häufig daran hindert, an Wahlen teilzunehmen.

Der EWSA ist der Ansicht, dass diese Situation nicht hinnehmbar ist und im Widerspruch zu den Grundwerten der EU und den Bestimmungen des EUV steht.

5.3.

Die Mitgliedstaaten sind für die Organisation der Wahlen zum Europäischen Parlament und die Festlegung der Wahlvorschriften zuständig. Ihr Ermessensspielraum wird jedoch durch das Unionsrecht eingeschränkt. Der Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments von 1976, der die Rechtsgrundlage für die EP-Wahlen bildet, enthält Vorgaben, die sich bisweilen von den Vorschriften der Mitgliedstaaten für Kommunal- oder Parlamentswahlen unterscheiden (11). Der EWSA ist der Auffassung, dass eine Änderung dieses Akts durch die Aufnahme der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Standards anzuwenden, die Menschen mit Behinderungen ein faktisches Wahlrecht garantieren, ein geeignetes und schnelles Mittel ist, um bestehende Praktiken, die diese Bürgerinnen und Bürger diskriminieren, aufzuheben.

5.3.1.

Der EWSA ist zudem der Auffassung, dass der in Artikel 1 Absatz 3 dieses Akts verankerte Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts durch die Aufnahme einer Bestimmung präzisiert werden muss, wonach Unionsbürgerinnen und -bürger wegen einer Behinderung oder ihres Gesundheitszustands nicht durch nationale Vorschriften an der Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament gehindert werden dürfen.

5.3.2.

Der EWSA hält es für wesentlich, die in Artikel 1 Absatz 3 dieses Akts genannten Grundsätze der unmittelbaren und geheimen Wahl zu präzisieren, indem klargestellt wird, dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung detaillierter Wahlgrundsätze zur Beachtung folgender Aspekte verpflichtet sind:

Personen, die aufgrund einer Behinderung nicht in einem Wahllokal wählen können, müssen die Möglichkeit erhalten, ihre Stimme unmittelbar und eigenständig abzugeben.

Informationen über die Abstimmungsmodalitäten sind in einer Form bereitzustellen, die den sich aus der jeweiligen Behinderung ergebenden Bedürfnissen angepasst ist.

Sie müssen sich auf ein Wahlverfahren festlegen und die notwendigen technischen Vorkehrungen treffen, damit Menschen mit Behinderungen mit erheblichem Unterstützungsbedarf — z. B. Taubblinde, Blinde, Sehbehinderte oder Menschen mit verminderter manueller Geschicklichkeit — ohne Hilfsperson eigenständig wählen können.

Allen Menschen mit Behinderungen ist die Möglichkeit zu garantieren, ihr Wahllokal zu wechseln, wenn sie der Ansicht sind, dass ein anderes Wahllokal mit Blick auf ihre Behinderung besser geeignet ist.

Allen Wählerinnen und Wählern mit Behinderungen ist das Recht zu garantieren, die Person, die sie bei der Wahl unterstützen soll (Hilfsperson), frei zu bestimmen.

5.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass auf die zahlreichen positiven Erfahrungen vieler Länder zurückgegriffen werden könnte und sollte, um die vorgeschlagenen Lösungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten und Wahltraditionen der einzelnen Mitgliedstaaten rasch umzusetzen.

5.4.1.

In 17 EU-Ländern gibt es bereits Regelungen für die Stimmabgabe in mobilen Wahlurnen für bestimmte Wählergruppen. In acht Ländern ist die Briefwahl möglich. In einem Land ist die elektronische Stimmabgabe möglich. Einige EU-Länder organisieren mobile Wahlkommissionen in 24-Stunden-Betreuungseinrichtungen. Diese Lösungen ermöglichen jenen Personen die Teilnahme an der Wahl, die das ihnen zugewiesene Wahllokal nicht aufsuchen können.

5.4.2.

Neun Mitgliedstaaten haben Lösungen eingeführt, damit blinde Menschen eigenständig wählen können. Dabei handelt es sich um spezielle Schablonen für Stimmzettel, auf dem bei der Abstimmung ein einfaches grafisches Symbol anzubringen ist, oder auch um mit Braille-Schrift versehene Umschläge für die Abstimmungskarten, die es den Wählerinnen und Wählern ermöglichen, leicht die richtige Karte zu finden, die dann in die Wahlurne einzuwerfen ist. Spezielle Stimmzettelschablonen sind auch für Sehbehinderte sowie für Menschen mit verminderter manueller Geschicklichkeit sehr hilfreich. Länder, die derzeit verlangen, dass die Wähler die fortlaufende Nummer oder den Familiennamen eines Kandidaten auf dem Stimmzettel angeben, können von diesem Fachwissen profitieren, wenn sie beschließen, das System auf ein besser geeignetes umzustellen.

5.4.3.

In 15 Ländern können Wählerinnen und Wähler auf Wunsch das Wahllokal wechseln, sofern dies durch eine Behinderung gerechtfertigt ist. In zehn Ländern ist es zumindest für bestimmte Gruppen von Menschen möglich, im Voraus abzustimmen, meist in Einrichtungen, die gut an die Bedürfnisse von Menschen mit verschiedenen Arten von Behinderungen angepasst sind. Da in keinem EU-Land alle Wahllokale für Menschen mit Behinderungen aller Art barrierefrei sind, besteht die einzig gangbare Lösung darin, den Wählerinnen und Wählern das Recht zu geben, das für sie geeignete Wahllokal frei zu wählen.

5.4.4.

In vielen Ländern kann jede von Wählerinnen und Wählern mit Behinderungen dafür bezeichnete Person als Hilfsperson bei Wahlen fungieren. In vielen Ländern ist jedoch das Recht der freien Wahl einer solchen Hilfsperson eingeschränkt. Eine solche Einschränkung ist nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um eine Person handelt, die gleichzeitig andere Aufgaben wahrnimmt (z. B. ein Mitglied der Wahlkommission oder ein Beobachter). In anderen Fällen sind derartige Einschränkungen nicht gerechtfertigt. Die in einigen Ländern praktizierte Zuweisung einer Hilfsperson ist für Wählerinnen und Wählern mit Behinderungen entwürdigend.

5.5.

Die Umsetzung dieser Grundsätze schränkt den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten in keiner Weise ein und würde gewährleisten, dass alle Unionsbürgerinnen und -bürger mit einer Behinderung unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrem Wohnsitzland ihr Recht ausüben können, ihre Vertreter im EP zu wählen. Der EWSA hält es für unerlässlich, diese Grundsätze zu übernehmen, damit die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament als wirklich allgemein gelten können.

5.5.1.

In Artikel 223 Absatz 1 AEUV heißt es: „Das Europäische Parlament erstellt einen Entwurf der erforderlichen Bestimmungen für die allgemeine unmittelbare Wahl seiner Mitglieder nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen. Der Rat erlässt die erforderlichen Bestimmungen einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, die mit der Mehrheit seiner Mitglieder erteilt wird. Diese Bestimmungen treten nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“.

5.5.2.

Vor diesem Hintergrund und mit dem Ziel vor Augen, allen Unionsbürgerinnen und -bürgern mit Behinderungen das Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2024 zu garantieren, fordert der EWSA

das Europäische Parlament auf, dringend einen Entwurf zur Änderung des Wahlakts von 1976 auszuarbeiten,

den Europäischen Rat auf, im Einklang mit den in dieser Stellungnahme dargelegten Zielen überarbeitete Regeln festzulegen,

die Mitgliedstaaten auf, die vom Rat festgelegten Regeln unverzüglich zu billigen.

5.5.2.1.

Der EWSA ist sich bewusst, dass in den letzten Jahren zahlreiche, häufig kontroverse Vorschläge für eine Änderung des Wahlrechts für die Wahlen zum Europäischen Parlament im Gespräch waren. Dennoch ist er der Ansicht, dass die Vorschläge für das Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen von dieser allgemeinen Debatte ausgenommen und als eigenständiges Projekt vorgelegt werden sollten, da nur so die Chance auf einen breiten Konsens besteht, mit dem die vorgeschlagenen Änderungen rasch umgesetzt werden können. Die Einführung von Standards für die Ausübung des Wahlrechts durch Menschen mit Behinderungen könnte auch eine gute Grundlage für ähnliche künftige Initiativen zu anderen Themen bieten, die das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 26. November 2020 (12) anspricht.

Brüssel, den 2. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  https://www.eesc.europa.eu/de/node/68473.

(2)  ABl. L 278 vom 8.10.1976, ABl. C 340 vom 10.11.1997, ABl. L 283 vom 21.10.2002.

(3)  https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2019/04/qs20190415_2bvq002219.html;jsessionid=75CBB962D5032CC85140E4F8E52F6F43.2_cid386.

(4)  https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000038261631&categorieLien=id.

(5)  P9_TA(2020)0327.

(6)  https://ec.europa.eu/eurostat/statisticsexplained/index.php/Population_structure_and_ageing#The_share_of_elderly_people_continues_to_increase.

(7)  https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=People_in_the_EU_-_statistics_on_an_ageing_society&oldid=458862.

(8)  https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/pdfscache/34409.pdf.

(9)  Abschließende Bemerkungen zum ersten Bericht an die Europäische Union.

(10)  Recommendation CM/Rec(2011)14.

(11)  https://www.eesc.europa.eu/en/node/68473 — Teil 4.

(12)  Ziffer 23 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. November 2020 zur Bestandsaufnahme zu den Wahlen zum Europäischen Parlament (2020/2088(INI)), P9_TA(2020)0327.


III Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

556. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses – Videokonferenz über Interactio, 2.12.2020-3.12.2020

16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/43


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über grenzüberschreitende Zahlungen in der Union (kodifizierter Text)“

(COM(2020) 323 final — 2020/0145 (COD))

(2021/C 56/05)

Berichterstatter:

Gonçalo LOBO XAVIER

Befassung

Europäisches Parlament: 23.7.2020

Rat der Europäischen Union, 15.10.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 114 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

10.11.2020

Verabschiedung im Plenum

3.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

242/2/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission zu grenzüberschreitenden Zahlungen in der Union. Er dient dem Ziel, die Kosten für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro zu senken und die Gebühren für die Währungsumrechnung transparenter zu machen.

1.2.

Der EWSA unterstützt, dass die Kommission auch weitere Möglichkeiten — und die technische Durchführbarkeit dieser Möglichkeiten — prüft, die Regelung der Gleichheit der Entgelte auf alle Währungen der Union auszudehnen und die Transparenz und Vergleichbarkeit der Währungsumrechnungsentgelte weiter zu verbessern. Durch die Ausdehnung der Regelung der Gleichheit der Entgelte auf alle Währungen der Union würde überdies der Binnenmarkt weiter vertieft und jedwede Diskriminierung von Bürgern vermieden, die außerhalb des Euro-Währungsgebiets leben und bspw. eine grenzüberschreitende Transaktion in einer anderen Währung als dem Euro tätigen möchten.

1.3.

In Bezug auf die Vorlage und den Bezugszeitraum des Berichts über die Anwendung und die Auswirkungen dieser Verordnung stimmt der EWSA zu, dass er spätestens am 19. April 2022 vorliegen und mindestens den Zeitraum vom 15. Dezember 2019 bis zum 19. Oktober 2021 umfassen sollte.

1.4.

Im Sinne der Kodifizierung und angesichts der Tatsache, dass das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission in einer interinstitutionellen Vereinbarung vom 20. Dezember 1994 vereinbart haben, dass Kodifizierungsinstrumente in einem beschleunigten Verfahren angenommen werden können (da an den von der Kodifizierung betroffenen Rechtsakten keine materiell-inhaltlichen Änderungen vorgenommen werden dürfen), unterstützt der EWSA den 20. April 2021 als Datum des Inkrafttretens dieser Verordnung in vollem Umfang.

2.   Der Kommissionsvorschlag

2.1.

Im Zusammenhang mit dem „Europa der Bürger“ bemüht sich die Kommission um die Vereinfachung und klarere Fassung des Unionsrechts, damit es für die Bürgerinnen und Bürger besser verständlich und zugänglich wird. Dieses Ziel lässt sich nicht erreichen, wenn zahlreiche Vorschriften, die mehrfach und oftmals in wesentlichen Punkten geändert wurden, in verschiedenen Rechtsakten, vom ursprünglichen Rechtsakt bis zu dessen letzter geänderter Fassung, verstreut sind und es einer aufwendigen Suche und eines Vergleichs vieler Rechtsakte bedarf, um die jeweils geltenden Vorschriften zu ermitteln. Soll das Recht verständlich und transparent sein, müssen häufig geänderte Rechtsakte kodifiziert werden (1).

2.2.

Mit dem vorliegenden Vorschlag der Kommission — COM(2020) 323 final — soll die Verordnung (EG) Nr. 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) kodifiziert werden. Verordnung (EG) Nr. 924/2009 wurde durch Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (3) und weiter durch die Verordnung (EU) 2019/518 des Europäischen Parlaments und des Rates geändert (4).

2.3.

Die neue Verordnung ersetzt die verschiedenen Rechtsakte, die Gegenstand der Kodifizierung sind. Der vorliegende Vorschlag behält den materiellen Inhalt der kodifizierten Rechtsakte vollständig bei und beschränkt sich darauf, sie in einem Rechtsakt zu vereinen. Dabei werden formale Änderungen nur insoweit vorgenommen, als diese aufgrund der Kodifizierung erforderlich sind (5).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Grenzüberschreitende Zahlungen sind für die Integration der EU-Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Sie tragen maßgeblich dazu bei, dass Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen aller EU-Mitgliedstaaten auf dem Binnenmarkt die gleichen Rechte genießen (6). Tatsächlich sind Zahlungen ein wesentliches Element des Binnenmarkts mit seinem freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. In der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen Folgenabschätzung als Begleitunterlage zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 in Bezug auf Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen in der Union und Entgelte für Währungsumrechnungen (7) wird darauf hingewiesen, dass die hohen Kosten für grenzüberschreitende Zahlungen dem Binnenmarkt schaden. Sie sind ein Hemmnis für grenzüberschreitende Tätigkeiten von Haushalten (beim Erwerb von Waren/Dienstleistungen in einem anderen Währungsgebiet) und Unternehmen (die Lieferanten im Ausland oder Kunden in einem Land mit einer anderen Währung haben). Die hohen Kosten grenzüberschreitender Zahlungen bewirken zudem, dass sich die Nutzer von Zahlungsdienstleistungen in zwei Kategorien spalten: Die Nutzer im Euroraum können mit ihren Zahlungen die meisten Menschen und Unternehmen in der EU zu sehr geringen Kosten erreichen. Die Nutzer in Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraums können hingegen nur für einen beschränkten Kreis von Personen und Unternehmen kostengünstige Zahlungen nutzen. Beide Aspekte können im Einklang mit den Zielen der Verträge wirksam durch Legislativmaßnahmen der EU angegangen werden.

3.2.

Seit der Einführung des Euro hat die EU mehrere Initiativen ergriffen, um die Kosten grenzüberschreitender Transaktionen zu senken (8). Im Laufe der Zeit wurden die Rechtsvorschriften für grenzüberschreitende Zahlungen durch verschiedene Initiativen mit dem Ziel weiterentwickelt, die Kosten für Bürger und Unternehmen im Euro-Währungsgebiet zu reduzieren. In der genannten Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen heißt es jedoch (9), dass grenzüberschreitende Zahlungen in Euro aus Ländern außerhalb des Euro-Währungsgebiets sowie grenzüberschreitende Zahlungen, die — unabhängig von ihrem Herkunfts- oder Bestimmungsland — nicht in Euro getätigt werden, sich in Bezug auf die Höhe der von Zahlungsdienstnutzern zu entrichtenden Gebühren nicht gleich entwickelt haben.

3.3.

Der vorliegende Vorschlag der Kommission ist ein weiterer Schritt zur Senkung der operativen Kosten. Die Verordnung (EG) Nr. 924/2009 wird mit folgender Zielsetzung abgeändert:

a)

Senkung der Kosten für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro. d. h., zwischen grenzüberschreitenden Zahlungen in Euro innerhalb der EU und inländischen Zahlungsvorgängen innerhalb der Mitgliedstaaten in der jeweiligen Landeswährung darf kein Preisunterschied bestehen. Mitgliedstaaten, die den Euro nicht als Landeswährung verwenden, können beschließen, die Anwendung der geltenden Verordnung auf ihre Landeswährung auszuweiten („Opt-in“), sofern sie dies der Kommission mitteilen;

b)

zusätzliche Maßnahmen, um die Verbraucher vor überhöhten Entgelten für die Währungsumrechnung zu schützen und sicherzustellen, dass sie die notwendigen Informationen bekommen, um die günstigste Möglichkeit der Währungsumrechnung wählen zu können (10).

3.4.

Die beiden von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen wären ein Schritt zu europaweit gleichen Chancen für KMU und einer besseren Entfaltung der Potenziale des Binnenmarkts (11). Im Euroraum ansässige KMU könnten möglicherweise von einer höheren Nachfrage seitens der Verbraucher und der Unternehmen aus den EU-Mitgliedstaaten außerhalb des Euro-Währungsgebiets profitieren (wo hohe Gebühren für grenzüberschreitende Zahlungen ein erhebliches Hindernis darstellen). KMU mit Sitz in einem Mitgliedstaat außerhalb des Euro-Währungsgebiets hätten wiederum kostengünstigeren Zugang zu 360 Mio. Bürgern (und potenziellen Kunden) und 16 Mio. Unternehmen im Euro-Währungsgebiet (Kunden und Anbieter). Sie wären dadurch auf dem Binnenmarkt wettbewerbsfähiger (12). Weiterhin ist eine bessere Gleichbehandlung der Menschen in Europa in Bezug auf kostengünstige grenzüberschreitende Zahlungen zu erwarten.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Mit der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 über grenzüberschreitende Zahlungen wurden EU-weit die Gebühren für grenzüberschreitende Euro-Zahlungen innerhalb der EU an die Gebühren für inländische Euro-Zahlungen (d. h. für Transaktionen innerhalb eines Mitgliedstaats) angeglichen. EU-Mitgliedstaaten, die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehören, können beschließen, die geltende Verordnung auf ihre Landeswährung anzuwenden, sofern sie dies der Kommission mitteilen.

4.2.

Wenngleich der Verordnungsvorschlag ein Meilenstein auf dem Weg zur Vertiefung des Binnenmarkts ist, sollte — wie in Erwägungsgrund 12 angeregt — erwogen werden, die Regelung der Gleichheit der Entgelte auf alle Währungen der Union auszudehnen. Tatsächlich wird von Fällen berichtet, in denen Banken in Mitgliedstaaten außerhalb des Euro-Währungsgebiets 15-30 EUR für eine grenzüberschreitende Zahlung in Höhe von 100 EUR in Rechnung stellen.

4.3.

Es wäre für die Nutzer von Finanzdienstleistungen vorteilhaft, wenn die Regel der Gleichheit der Entgelte auf alle Währungen der Union ausgedehnt würde. Dadurch würden alle Akteure — unabhängig von dem Mitgliedstaat oder der Währung, in der sie eine grenzüberschreitende Transaktion tätigen — in den Genuss der Gleichbehandlung kommen. Die Ausdehnung der Regelung der Gleichheit der Entgelte auf alle Währungen der Union wäre sogar noch ehrgeiziger, weil dadurch die Zahlungsdienstleister ihre Gebühren für sämtliche grenzüberschreitenden Transaktionen zwischen EU-Ländern in sämtlichen EU-Währungen an die Gebühren für inländische Transaktionen angleichen müssten; dies würde auch die Währungen einschließen, die nicht Währung des Herkunfts- oder Empfängerlandes sind. Nutzer von Zahlungsdiensten würden davon sicherlich profitieren. Hingegen kämen auf die Zahlungsdienstleister erhebliche Kosten zu, unter anderem für die Infrastruktur (13).

4.4.

Die Europäische Kommission sollte diese Möglichkeit unbedingt eingehender prüfen und den Nutzen und die Kosten für alle Beteiligten analysieren.

4.5.

Nach Auffassung des EWSA ist bei einer künftigen Überarbeitung der Verordnung die Frage der Gebühren auf Kontenerträge zu klären, weiter über die Informationen nachzudenken, die den Kunden vor der Ausstellung eines Zahlungsauftrags zur Verfügung zu stellen sind, und ausdrücklich darauf hinzuweisen, wann und mit welcher Häufigkeit eine elektronische Mitteilung zu erfolgen hat.

Brüssel, den 3. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  COM(2020) 323 final.

(2)  Verordnung (EG) Nr. 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 (ABl. L 266 vom 9.10.2009, S. 11).

(3)  ABl. L 94 vom 30.3.2012, S. 22.

(4)  ABl. L 91 vom 29.3.2019, S. 36.

(5)  COM(2020) 323 final.

(6)  Siehe Briefing des EP Cross-border euro transfers and currency conversions — A step forward in favour of the single market: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2018/628291/EPRS_BRI(2018)628291_EN.pdf

(7)  Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CONSIL%3AST_7844_2018_ADD_1

(8)  Siehe bspw. die SEPA-Verordnung (EU) Nr. 260/2012, durch die eine Reihe von Standards für Euro-Transaktionen (SEPA-Überweisungen, SEPA-Lastschriften) eingeführt wurde, oder die Zahlungsdiensterichtlinien, die die Transparenz der Gebühren verbesserten und neuen Marktteilnehmern den Markteintritt ermöglichten.

(9)  Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CONSIL%3AST_7844_2018_ADD_1

(10)  Siehe https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2018/628291/EPRS_BRI(2018)628291_EN.pdf

(11)  Siehe https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2018/628291/EPRS_BRI(2018)628291_EN.pdf

(12)  Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CONSIL%3AST_7844_2018_ADD_1

(13)  Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CONSIL%3AST_7844_2018_ADD_1


16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — EU-Agenda zur Drogenbekämpfung und Aktionsplan für den Zeitraum 2021–2025“

(COM(2020) 606 final)

(2021/C 56/06)

Hauptberichterstatter:

Ákos TOPOLÁNSZKY

Befassung

Europäische Kommission, 23.9.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Präsidiumsbeschluss

15.9.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

3.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

246/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

In der nunmehr auslaufenden Drogenstrategie der EU werden die Rolle und Bedeutung einer ausgewogenen und faktengestützten Planung sowie der Überwachung und Evaluierung der Drogenpolitik hervorgehoben und erläutert.

1.2.

In den Schlussfolgerungen des Berichts zur externen Evaluierung der EU-Drogenstrategie heißt es jedoch, dass die Ziele der Strategie zur Angebots- und Nachfragereduzierung nur teilweise erreicht wurden, während bei der internationalen Zusammenarbeit, der Überwachung, Evaluierung und Forschung erhebliche Fortschritte zu verzeichnen sind. In dem Bericht wird auf Missverhältnisse bei der Verwendung der Finanzmittel hingewiesen, insbesondere zu Lasten von Maßnahmen zur Nachfragereduzierung.

1.3.

Eine Untersuchung des Drogenforums der Zivilgesellschaft der Europäischen Kommission ergab erhebliche Mängel bei der Umsetzung der Gesundheits- und Sozialmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten und Gemeinden. In den meisten Mitgliedstaaten fehlen viele faktengestützte Präventions- und Schadensminimierungsmaßnahmen entweder komplett oder werden nur in geringem Umfang durchgeführt.

1.4.

Am 24. Juli 2020 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre neue Strategie für die Sicherheitsunion (2020–2025), die auch das Drogenprogramm umfasst. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) betrachtet das Programm, in dem der bisherige ausgewogene, faktengestützte, konsensgetragene und daher positiv bewertete Ansatz für die Drogenpolitik aufgegeben wurde, in seiner derzeitigen Form als einen erheblichen Rückschritt.

1.5.

Der EWSA begrüßt den Beschluss der Horizontalen Arbeitsgruppe „Drogen“ des Europäischen Rates vom 28. September, in dem der deutsche Ratsvorsitz aufgefordert wird, das Dokument der Europäischen Kommission bis Dezember zu überarbeiten. Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass dieser fachliche und politische Ansatz, der die konsensgetragene Grundlage der vorherigen Drogenstrategie war, mit dieser zehnten Drogenstrategie der EU weiterverfolgt und ausgebaut werden sollte.

1.6.

Die EU sollte die in ihrer bisherigen Strategie dargelegten Grundwerte beibehalten und nachdrücklich verteidigen und sich hierzu in ihrem Strategiedokument verpflichten.

1.7.

Der EWSA empfiehlt, das Gleichgewicht zwischen Maßnahmen zur Nachfragereduzierung und zur Schadensminimierung in der neuen europäischen Drogenstrategie sowie dem neuen Aktionsplan (bzw. den neuen Aktionsplänen) sowohl in Bezug auf die Zahl der strategischen Maßnahmen als auch auf die Mittelzuweisung deutlich zu verbessern.

1.8.

Es ist ein Programm erforderlich, in dem das Drogenphänomen mit einem wirklich ausgewogenen, integrierten und multidisziplinären Ansatz im Rahmen der Menschenrechte, der internationalen Zusammenarbeit, der Aspekte der öffentlichen Gesundheit sowie der wissenschaftlichen Erkenntnisse und einer kontinuierlichen Bewertung angegangen wird. In der EU-Drogenstrategie sollten die Grundrechte der Drogenkonsumenten bei ihrer Behandlung und Versorgung anerkannt werden, wie dies auch bei allen anderen Krankheitskategorien der Fall ist.

1.9.

Der EWSA hält es für notwendig, auch hier die Rechtsanwendungspraxis der Mitgliedstaaten im Einklang mit den Harmonisierungserfordernissen langfristig kohärenter zu gestalten, da die derzeitigen Unterschiede in der Praxis der Mitgliedstaaten eindeutig gegen die Menschenrechte verstoßen.

1.10.

Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass die schutzbedürftigen Gruppen von Drogenkonsumenten besonders stark unter den negativen Auswirkungen der epidemiologischen Lage leiden, durch die der Drogenkonsum wesentlich riskanter werden kann.

1.11.

Auf der Grundlage des bereits zur Nachfragereduzierung verwendeten Modells sollten so bald wie möglich Indikatoren zur Bewertung der Auswirkungen der angebotssenkenden Maßnahmen sowie Qualitätsstandards festgelegt werden.

2.   Hintergrund

2.1.

Der erste gemeinsame Drogenaktionsplan der Europäischen Union wurde 1990 vom Europäischen Ausschuss für Drogenbekämpfung (CELAD) ausgearbeitet, der auf Initiative des französischen Präsidenten Mitterand eingerichtet wurde. 1995 übernahm die Europäische Kommission die Aufgabe, europäische Drogenstrategien zu entwickeln. Die jüngste EU-Drogenstrategie wurde am 7. Dezember 2012 vom Europäischen Rat für einen Zeitraum von sieben Jahren (2013–2020) angenommen und beruhte auf einem „ausgewogenen, integrierten und faktengestützten Konzept“. In diesem Zeitraum wurden kurzfristige Ziele und Zuständigkeiten in zwei Aktionsplänen (2013–2016, 2017–2020) festgelegt.

2.2.

Auch wenn die EU-Drogenstrategie nicht rechtsverbindlich ist, bringt sie doch die gemeinsamen politischen Verpflichtungen sowie die Ambitionen der EU und ihrer Mitgliedstaaten zum Ausdruck. In der Strategie werden die Tätigkeiten der europäischen Organe und Agenturen definiert, sie beeinflusst die politischen Ansätze der Mitgliedstaaten, umfasst gemeinsame Zielvorstellungen und Prioritäten und gewährleistet ein einvernehmliches Auftreten auf der internationalen Bühne. Die EU hat das auch entschlossen verdeutlicht, z. B. anlässlich der außerordentlichen Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGASS) im Jahr 2016 oder auf der Tagung der Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen im Jahr 2019 (1).

2.3.

In der EU-Drogenstrategie werden die Rolle und Bedeutung einer ausgewogenen und faktengestützten Planung sowie der Überwachung und Evaluierung der Drogenpolitik hervorgehoben und erläutert.

2.4.

In den Schlussfolgerungen des Berichts zur externen Evaluierung der EU-Drogenstrategie (2) heißt es, dass die Ziele der Strategie zur Angebots- und Nachfragereduzierung nur teilweise erreicht wurden, während bei der internationalen Zusammenarbeit, der Überwachung, Evaluierung und Forschung erhebliche Fortschritte zu verzeichnen sind. In dem Bericht wird auf Missverhältnisse bei der Verwendung der Finanzmittel hingewiesen — insbesondere zu Lasten von Maßnahmen zur Nachfragereduzierung. Außerdem wird empfohlen, zur wirksameren Nutzung der begrenzten Mittel die Maßnahmen zu priorisieren und die bisherige, achtjährige Laufzeit der Strategie zu verkürzen.

2.5.

Das Drogenforum der Zivilgesellschaft der Europäischen Kommission hat — unter Mitwirkung von 169 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus 32 Ländern — untersucht, inwieweit die Ziele des Aktionsplans (2017–2020) auf nationaler und lokaler Ebene erreicht wurden. (3) In seinem Bericht werden erhebliche Mängel bei der Umsetzung der Gesundheits- und Sozialmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten und Gemeinden konstatiert. In den meisten Mitgliedstaaten fehlen viele faktengestützte Präventions- und Schadensminimierungsmaßnahmen entweder komplett oder werden nur in geringem Umfang durchgeführt. Dies ist hauptsächlich auf unzureichende Finanzmittel und mangelnde politische Akzeptanz zurückzuführen.

2.6.

Mit der Strategie wurde erstmals ein gemeinsamer Rahmen zur Evaluierung von Nachfragereduzierungsmaßnahmen geschaffen: „eine Reihe gleich wichtiger und einander verstärkender Maßnahmen, einschließlich Prävention (umweltbezogene, allgemeine, selektive und indizierte Prävention), frühzeitiges Erkennen und Eingreifen, Minderung von Gesundheitsrisiken und -schäden, Therapie, Rehabilitation, soziale Wiedereingliederung und Genesung“.

2.7.

In dem Aktionsplan der Strategie und in ihrer abschließenden Bewertung wird die Notwendigkeit einer wissenschaftlich fundierten Überwachung der Maßnahmen zur Verringerung des Drogenangebots und des Einsatzes alternativer Sanktionen für Drogenkonsumenten sowie die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Konzipierung, Umsetzung, Überwachung und Bewertung der Strategien auf europäischer wie auf nationaler Ebene hervorgehoben.

3.   Die Mitteilung der Europäischen Kommission

3.1.

Am 24. Juli 2020 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre neue Strategie für eine Sicherheitsunion (2020–2025), die aus drei Elementen besteht: der Strategie zur Bekämpfung des Kindesmissbrauchs, dem Drogenprogramm (im Folgenden: Programm) und der Strategie zur Bekämpfung des illegalen Waffenhandels. In der Einleitung des Programms wird ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der europäischen Drogenpolitik hingewiesen, deren Maßnahmen zur Angebotsreduzierung mehr Gewicht erhalten und verstärkt werden sollten. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der ersten der drei Säulen des Programms (mehr Sicherheit/Angebotsreduzierung, Prävention, Schadensminimierung).

3.2.

Der Anhang des Programms umfasst den Entwurf des Aktionsplans zur Drogenbekämpfung. Sechsundzwanzig Maßnahmen fallen unter die Säule „Angebotsreduzierung“, nur fünf Maßnahmen hingegen unter die Säule „Prävention“ und dreizehn Maßnahmen unter die Säule „Schadensminimierung“. Unter letzterer Säule finden sich jedoch auch vier Maßnahmen, deren Einordnung strittig ist (40–41: Fahren unter Drogeneinfluss, 42: Alternativen zu Zwangssanktionen und 43: Austausch von kriminaltechnischem Fachwissen). Insgesamt bestehen gravierende Missverhältnisse beim Aufbau des Aktionsplans zugunsten der Säule „Angebotsreduzierung“.

3.3.

Der EWSA betrachtet das Programm, in dem der bisherige ausgewogene, faktengestützte, konsensgetragene und daher positiv bewertete Ansatz für die Drogenpolitik aufgegeben wurde, als einen erheblichen Rückschritt.

3.4.

In der Sitzung der Horizontalen Gruppe „Drogen“ des Europäischen Rates vom 28. September wurde das Programm auch von zahlreichen Mitgliedstaaten heftig kritisiert; sie stellten die Umstände seiner Erarbeitung, seine Ausrichtung und seinen Inhalt infrage und beschlossen daher, dass der deutsche Ratsvorsitz das von der Europäischen Kommission erstellte Dokument bis Dezember überarbeiten soll.

3.5.

Das Drogenforum der Zivilgesellschaft der Europäischen Kommission kritisierte das Programm in zahlreichen Punkten und hält es für inakzeptabel:

a)

während der Erarbeitung konnten die zivilgesellschaftlichen Akteure und die Mitgliedstaaten die Ergebnisse der externen Bewertung erst nach Veröffentlichung des Programms zur Kenntnis nehmen und hatten somit keine Möglichkeit, ex ante eine Stellungnahme zu dem Programmentwurf abzugeben;

b)

das Programm spiegelt nicht die von den zivilgesellschaftlichen Akteuren vorgeschlagenen Prioritäten wider, sondern hat das Gewicht der Gesundheits- und Sozialmaßnahmen im Rahmen einer Drogenpolitik, die den Maßnahmen zur Angebotsreduzierung bereits jetzt eine unverhältnismäßige Bedeutung beimisst, weiter verringert;

c)

durch den sicherheitspolitischen Rahmen und den Sprachgebrauch des Programms wird eine veraltete und stigmatisierende Anschauung verstärkt;

d)

die in dem Aktionsplan bestehenden Missverhältnisse und ihre zu erwartenden Auswirkungen auf die Mittelzuweisungen sind ebenso wie das Fehlen messbarer Indikatoren mit Blick auf die Rechenschaftspflicht besorgniserregend.

3.6.

Die in diesem Bereich meinungsbildenden zivilgesellschaftlichen Organisationen haben den allgemeinen Geist und die Einzelheiten des Entwurfs einstimmig kritisiert und seine grundlegende Überarbeitung gefordert.

4.   Politische Erwägungen

4.1.

Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass dieser fachliche und politische Ansatz, der die konsensgetragene Grundlage der vorherigen Drogenstrategie bildete, mit dieser zehnten Drogenstrategie der EU weiterverfolgt und ausgebaut werden sollte. Daher begrüßt er das Engagement des Europäischen Rates für eine ausgewogene, integrierte und faktengestützte europäische Drogenstrategie. Er fordert die derzeit den Vorsitz im Rat der EU führende deutsche Regierung auf, bei der Ausarbeitung der neuen Drogenstrategie die nachstehenden Aspekte zu berücksichtigen.

4.2.

Der EWSA empfiehlt, das Programm sprachlich unverändert zu lassen sowie die darin verwendete fachliche und wissenschaftliche Terminologie beizubehalten und es im Hinblick auf seinen bisherigen politischen Ansatz inhaltlich weiterzuentwickeln. Dabei sollte es an eine behördliche Nutzung angepasst und eine kontinuierliche Überwachung und kritische Bewertung seiner Durchführung ermöglicht werden.

4.3.

Die EU sollte die in ihrer bisherigen Strategie (4) vertretenen Grundwerte (5) beibehalten und nachdrücklich verteidigen und sich hierzu auch in ihrem Strategiedokument verpflichten.

4.4.

Es wird vorgeschlagen, in dem zu verabschiedenden Dokument ausdrücklich auf die internationalen Übereinkommen und politischen Empfehlungen zu verweisen, die seine materielle und rechtliche Wirksamkeit untermauern, und es darauf zu stützen (6). Der EWSA fordert die Entscheidungsgremien der EU auf, die führende Position der EU und ihre beispielhaften Verpflichtungen in internationalen Foren für Drogenpolitik aufrechtzuerhalten.

4.5.

Nach Ansicht des EWSA sollte auch die Schwerpunktsetzung der vorherigen Strategie in das neue Programm übernommen und der Rahmen für Prävention, Behandlung, Schadensminimierung, Therapiemöglichkeiten und Genesungsprozesse entsprechend den wissenschaftlichen Erkenntnissen weiterentwickelt werden.

4.6.

Die Evaluierung der vorherigen Drogenstrategie und des dazugehörigen Aktionsplans zeigte erhebliche Ungleichgewichte bei den Prioritäten und der Ressourcenverteilung in der Drogenpolitik zugunsten von Maßnahmen im Bereich der Strafjustiz. Gesundheitliche und soziale Maßnahmen machen nur einen Bruchteil der Ausgaben der Mitgliedstaaten für die Reduzierung des Drogenangebots aus. Dies führte in vielen Ländern zur Einstellung oder einem extrem geringen Angebot an entsprechenden Diensten mit mitunter schwerwiegenden Folgen in Form einer erhöhten Sterblichkeit und Morbidität. Der EWSA empfiehlt, den Anteil der Maßnahmen zur Nachfragereduzierung in der Drogenpolitik mittels der neuen europäischen Drogenstrategie sowie des neuen Aktionsplans (bzw. der neuen Aktionspläne) sowohl in Bezug auf die Zahl der strategischen Maßnahmen als auch auf die Mittelzuweisung deutlich zu erhöhen. Zugleich hofft er, dass die Kommission alles unternimmt, damit die Mitgliedstaaten Verbreitung und Qualität der Maßnahmen erheblich verbessern.

4.7.

Außerdem sollten das Mandat und die Instrumente der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) erweitert werden und wissenschaftliche Erkenntnisse direkt in den Entscheidungsprozess einfließen.

4.8.

Es ist ein Programm erforderlich, mit dem das Drogenphänomen mithilfe eines wirklich ausgewogenen, integrierten und multidisziplinären Ansatzes im Rahmen der Menschenrechte, der internationalen Zusammenarbeit, der Aspekte der öffentlichen Gesundheit sowie der wissenschaftlichen Erkenntnisse und einer kontinuierlichen Bewertung angegangen wird.

4.9.

Der EWSA weist darauf hin, dass der Drogenkonsum ein komplexes biologisches, psychisches und soziales Phänomen ist und daher eventuelle ungeeignete drogenpolitische Maßnahmen, wie bspw. die einseitige Kriminalisierung der Drogenkonsumenten, schwerwiegende gesundheitliche und soziale Schäden mit sich bringen und somit die Probleme der sozialen Sicherheit verschärfen statt sie zu beheben. Deshalb

a)

empfiehlt der EWSA dem Europäischen Rat, seinen bisherigen Ansatz weiterzuverfolgen und das Drogenprogramm aus dem Paket der Strategie für eine Sicherheitsunion herauszunehmen;

b)

die mit den verschiedenen Facetten des Problems verbundenen Phänomene differenziert zu behandeln;

c)

bei der Reaktion auf diese Phänomene einen multidisziplinären Ansatz zu verfolgen;

d)

Strafen und die strafrechtliche Verfolgung nur dann als letztes Mittel einzusetzen, wenn andere Interventionsinstrumente nachweislich nicht wirksam sind.

4.10.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Kultur der Überwachung und Evaluierung der Angebotsreduzierungs- und Schadensminderungsmaßnahmen erheblich verbessert. Im Sinne einer faktengestützten Drogenpolitik empfiehlt der EWSA für die neue Drogenstrategie und den neuen Drogenaktionsplan:

a)

dafür zu sorgen, dass besonderes Gewicht auf eine deutliche Verbesserung des Angebots an und der Qualität von Gesundheits- und Sozialdiensten für Drogenkonsumenten gelegt wird, indem die bereits im vorherigen Aktionsplan verwendeten Indikatoren überprüft werden;

b)

unter Einbeziehung der EMCDDA und des Drogenforums der Zivilgesellschaft ein einheitliches System zu konzipieren, mit dem sich die Entwicklungen von Angebot und Qualität der im EU-Drogenaktionsplan in den einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehenen Maßnahmen kontinuierlich überwachen und bewerten lassen;

c)

auf der Grundlage des bereits bei der Nachfragereduzierung verwendeten Modells so bald wie möglich Indikatoren zur Bewertung der Auswirkungen angebotssenkender Maßnahmen sowie Qualitätsstandards festzulegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Maßnahmen sehr selten einer faktengestützten Bewertung unterzogen werden, obwohl sie direkte und schwerwiegende Auswirkungen auf die Lebensumstände und Freiheiten der Betroffenen haben können;

d)

das Mandat der EMCDDA auf die Bewertung der Folgen der Drogenpolitik für die Menschenrechte auszudehnen; so sollte etwa geprüft werden, inwieweit sich die Kriminalisierung und die institutionelle Diskriminierung negativ auf schutzbedürftigen Gruppen angehörende Drogenkonsumenten auswirkt.

4.11.

Der EWSA hält es für notwendig, auch hier die Rechtsanwendungspraxis der Mitgliedstaaten im Einklang mit den Harmonisierungserfordernissen langfristig kohärenter zu gestalten, da die derzeitigen Unterschiede in der Praxis der Mitgliedstaaten eindeutig gegen die Menschenrechte verstoßen (7).

4.12.

Aus diesem Grund ist der EWSA davon überzeugt, dass die Europäische Union Mittel und Wege finden muss, um die Mitgliedstaaten künftig zu einer deutlichen Annäherung ihrer Ansätze in der Drogenpolitik zu bewegen, und zwar nicht nur mithilfe politischer Empfehlungen.

4.13.

Der EWSA hält es außerdem für wichtig, wissenschaftlich fundierte innovative Maßnahmen in den politischen Programmen der EU und ihrer Mitgliedstaaten anzuerkennen, sicherzustellen und zu fördern.

4.14.

Es ist Teil der gesellschaftlichen Realität, dass aus legalen (Alkohol, Rauchen, die meisten Verhaltensstörungen usw.) und illegalen Abhängigkeiten familiäre und gemeinschaftliche Beziehungssysteme entstehen. Daher empfiehlt der EWSA der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten, diese Risiken künftig nicht mehr getrennt, sondern eher als miteinander verknüpfte Elemente ein und desselben Systems zu bewerten und zu behandeln und in zunehmendem Maße gemeinsame politische Maßnahmen vorzuschlagen.

4.15.

Auf der Grundlage des Grundsatzes „nil nocere“ („nicht schaden“) ist eine ehrliche und entschiedene Bewertung und Konfrontation erforderlich, um die negativen Folgen der politischen Maßnahmen und des Regulierungsrahmens, die Auswirkungen der gesellschaftlichen Stigmatisierung und ungerechtfertigten Kriminalisierung, die soziale Ausgrenzung und die Hindernisse für den Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten angehen zu können. Der EWSA empfiehlt, auch die von 32 Agenturen der Vereinten Nationen 2019 in einem gemeinsamen Standpunkt vorgenommene fachliche Bewertung zu berücksichtigen (8).

4.16.

In der EU-Drogenstrategie sollten die Grundrechte der Drogenkonsumenten bei ihrer Behandlung und Versorgung anerkannt werden, wie dies auch bei allen anderen Krankheitskategorien der Fall ist.

4.17.

Die budgetären Aufwendungen der Mitgliedstaaten sollten an der Verfügbarkeit und Kapazität der anerkannten und empfohlenen Versorgungsdienste gemessen werden.

4.18.

Unbedingte Voraussetzung für die Umsetzung der Grundprinzipien ist eine stärkere fachliche Beteiligung der Zivilgesellschaft. Daher muss innerhalb der EU das Mandat des EU-Drogenforums der Zivilgesellschaft erweitert und in den Mitgliedstaaten für eine größere Einbindung von Fachleuten aus der Zivilgesellschaft gesorgt werden. Hierzu müssen regelmäßig die Offenheit der Mitgliedstaaten und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit ebenso wie die Praxis zur Einbeziehung der Berufsverbände in den Entscheidungsprozess überprüft werden.

4.19.

Der EWSA erachtet die Maßnahmen zur Angebotsreduzierung zwar als wichtig, sie müssen aber auf jeden Fall mit den Maßnahmen zur Nachfragereduzierung abgestimmt werden. Wirksame Strafverfolgung und justizielle Instrumente sind unerlässlich, um den illegalen Drogenhandel einzudämmen. Indes ist in den letzten Jahrzehnten deutlich geworden, dass sich die einseitige Kriminalisierung negativ auf die Gesundheit von Einzelpersonen und Gemeinschaften sowie die soziale Integration der Drogenkonsumenten auswirkt.

4.20.

Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass die schutzbedürftigen Gruppen von Drogenkonsumenten besonders stark unter den negativen Auswirkungen der epidemiologischen Lage leiden, durch die der Drogenkonsum wesentlich riskanter werden kann (geringerer Zugang zur Gesundheitsversorgung, risikoreichere Drogenbeschaffung, größere Gefährlichkeit der beschafften Drogen, zunehmende Auswirkungen von Kriminalisierung und Stigmatisierung, negative Folgen für die öffentliche Gesundheit, weitere Beschneidung der Existenzgrundlage usw.). Zugleich sind es in vielen Ländern gerade diejenigen Dienste, die die einzige Schnittstelle zwischen diesen Gruppen und der Behandlungskette bilden, die aufgrund der Pandemie in Schwierigkeiten geraten können und sich dadurch gezwungen sehen, ihre Kapazitäten zu reduzieren.

Brüssel, den 3. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Erklärung der EU anlässlich der 62. Tagung der Suchtstoffkommission, 14.–22. März 2019 in Wien. „Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten unterstützen nachdrücklich die konkrete Umsetzung des Abschlussdokuments der UNGASS für eine echte, ausgewogene Drogenpolitik auf internationaler Ebene, bei der ein größeres Augenmerk auf Prävention, öffentliche Gesundheit und Menschenrechte gelegt wird, um unser gemeinsames Engagement für eine wirksame Verbesserung der weltweiten Drogensituation zu beschleunigen. […] Maßnahmen zur Verringerung des gesamten Spektrums der Drogennachfrage: Prävention, Risiko- und Schadensminderung, Behandlung sowie soziale Integration und Rehabilitation“.

(2)  SWD(2020) 150.

(3)  https://drogriporter.hu/wp-content/uploads/2018/12/2018_CSF-report_final.pdf.

(4)  https://www.consilium.europa.eu/media/30727/drugs-strategy-2013_content.pdf.

(5)  „[…] stützt sich zuallererst auf die Grundprinzipien des EU-Rechts und wahrt in jeder Hinsicht die Grundwerte der Union: Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Ziel der Drogenstrategie ist es, das Wohl der Gesellschaft und des Einzelnen zu wahren und zu steigern, der Öffentlichkeit ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten und das Drogenproblem mit einem ausgewogenen integrierten Konzept anzugehen.“

(6)  https://www.unodc.org/documents/postungass2016//outcome/V1603301-E.pdf.

https://www.unodc.org/documents/ungass2016/Contributions/IO/EU_COMMON_POSITION_ON_UNGASS.pdf.

(7)  Ein und dasselbe Verhalten führt in einigen Ländern zu Strafverfolgung und einer strengen Anwendung des Gesetzes und in anderen Ländern zur Bereitstellung von Gesundheits- und Sozialdiensten — eine einzig auf der Staatsangehörigkeit oder dem Wohnsitz des betreffenden Drogenkonsumenten beruhende Ungleichbehandlung. Ebenso wird in einigen Ländern die Bereitstellung bestimmter Dienste als Grundrecht erachtet, während diese Auffassung in anderen Ländern abgelehnt wird.

(8)  CEB/2018/2, S. 12–14.


16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/53


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums (Neufassung)“

(COM(2020) 579)

und „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1139 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Fähigkeit der Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit, als Leistungsüberprüfungsgremium für den einheitlichen europäischen Luftraum zu handeln“

(COM(2020) 577)

(2021/C 56/07)

Hauptberichterstatter:

Dumitru FORNEA

Befassung

Rat der Europäischen Union, 26-27.10.2020

Europäisches Parlament, 22.10.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 100 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Beschluss des Präsidiums

28.10.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

2.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

198/21/34

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und der einschlägigen EU-Institutionen, neue rechtliche und administrative Lösungen zu finden, die die nachhaltige Entwicklung des Luftverkehrssystems zum Nutzen aller Bürgerinnen und Bürger, der Nutzerinnen und Nutzer des Luftraums sowie der Umwelt sicherstellen können. Wir alle teilen die Auffassung, dass es notwendig ist, die Flugsicherheit zu gewährleisten und die Gesamtleistung, die Skalierbarkeit und die Resilienz des Flugverkehrsmanagements (Air traffic management, ATM) und der Flugsicherungsdienste (Air navigations services, ANS) zu verbessern. Wir unterstützen auch das Ziel des einheitlichen europäischen Luftraums (SES) als zusammenhängendes europaweites Netz und eines schrittweise stärker integrierten und technologisch moderneren ATM/ANS.

1.2.

Der geänderte Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Neufassung des einheitlichen europäischen Luftraums wird von vielen Interessenträgern allgemein begrüßt und als notwendig erachtet, um die von der Kommission festgelegten Ziele zu erreichen: Reduzierung des CO2-Ausstoßes, Abbau von Verspätungen am Boden (Flughäfen) und mehr Kosteneffizienz bei der Erbringung von ATM-Diensten. Diese Ziele werden auch in anderen Berichten unterstützt, so beispielsweise im Bericht der Gruppe der Weisen über die Zukunft des einheitlichen europäischen Luftraums aus dem Jahr 2019 (1).

1.3.

Der geänderte Vorschlag für eine Neufassung des einheitlichen europäischen Luftraums sieht einen aktualisierten Rechtsrahmen vor, mit dem die ursprünglichen Ziele des einheitlichen europäischen Luftraums in Bezug auf die Verringerung der CO2-Emissionen, den Abbau von Verspätungen und die Verbesserung der Kosteneffizienz bei der Erbringung von ATM-Diensten umgesetzt werden sollen. Zwar stellt der Vorschlag der Kommission gegenüber der bisherigen Verordnung eine Verbesserung dar, doch ist nach wie vor unklar, ob er ausreicht, um die ursprünglichen Ziele im Zusammenhang mit dem einheitlichen europäischen Luftraum zu erreichen. Deshalb wollen wir eine Debatte über die Tragweite der neuen Verordnung über den einheitlichen europäischen Luftraum anstoßen.

1.4.

Die Funktion des Netzmanagers muss präzisiert werden, insbesondere im Hinblick auf den Gesamtumfang, die Auswirkungen auf die Flugplanung, das Kapazitätsmanagement, die Luftraumauslegung, die Umwelt und die Priorisierung bei der Nachfrage.

1.5.

Alle Interessenträger der Luftfahrt sollten an wichtigen Entscheidungen beteiligt werden. Der Rahmenvorschlag muss grundsätzlich eine aussagekräftige Konsultation vorsehen.

1.6.

Es besteht die Sorge, dass die Zielsetzung des Vorschlags zu weit gefasst ist. Deshalb sollten Umweltmaßnahmen außerhalb dieses Vorschlags genauer geprüft und weiterentwickelt werden. Bei einer solchen zusätzlichen Strategie sollten alle relevanten Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Luftfahrt berücksichtigt werden, einschließlich der Einführung und Integration nachhaltiger Flugkraftstoffe. Im Rahmen dieser Debatten sollte auch geprüft werden, ob die Differenzierung von Gebühren als Anreiz für ein besseres Umweltverhalten der Luftfahrtunternehmen dienen kann.

1.7.

Auch wenn das Flugverkehrsmanagement zur allgemeinen Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen kann, kann auch der wirksame nachhaltige Einsatz entsprechender Technologie zur Senkung des CO2-Ausstoßes im Luftverkehr führen. Dieser Ansatz sollte als Mittel zur weiteren Reduzierung des Fußabdrucks der Luftfahrtindustrie angesehen werden. Anerkanntermaßen können Technologien wie nachhaltige Flugkraftstoffe die CO2-Emissionen erheblich senken — weitaus mehr, als sich mit dem vorliegenden Vorschlag erreichen lässt.

1.8.

Im Vorschlag werden die dramatischen Auswirkungen von COVID-19 auf die Branche nicht berücksichtigt. Insbesondere der im Vorschlag angeregte Strukturwandel birgt die Gefahr, zu einer weiteren Fragmentierung und größeren Komplexität in einer Zeit zu führen, in der die Branche eigentlich Stabilität braucht, um sich erholen zu können. Deshalb sind weitere Untersuchungen und Überlegungen erforderlich, um den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowohl für Arbeitnehmer als auch für Dienstleistungsnutzer angemessen Rechnung zu tragen. Darüber hinaus hat das Ziel des Vorschlags, die Kapazitäten im Flugverkehrsmanagement zu verbessern, an Bedeutung verloren, da der Luftverkehr seit Beginn der COVID-19-Pandemie drastisch zurückgegangen ist. Laut aktuellen Schätzungen von Eurocontrol ist davon auszugehen, dass der Luftverkehr erst im Jahr 2024 wieder das Niveau von 2019 erreichen wird (2).

1.9.

In Bezug auf das Leistungssystem sollten bei einem von der EASA geleiteten Top-down-Ansatz bei der Leistungsüberprüfung die lokalen Bedingungen angemessen berücksichtigt werden. Ein strukturierter sozialer Dialog über die Leistungen muss den örtlichen Gegebenheiten und Faktoren Rechnung tragen.

1.10.

Die Unabhängigkeit einer neuen wirtschaftlichen Regulierungsstelle muss gewährleistet und eine klare Trennung zwischen der Regulierung und der Erbringung von Dienstleistungen beibehalten werden. Deshalb sollten folgende Änderungen am Leistungssystem vorgenommen werden:

Der wesentliche Leistungsbereich Sicherheit sollte auf demselben Niveau weiterentwickelt werden wie die anderen wesentlichen Leistungsbereiche (mit EU-weiten Zielvorgaben und Indikatoren).

Auf lokaler Ebene sollten obligatorische Konsultationsmechanismen eingeführt werden, um eine angemessene Einbeziehung der Personalvertreter in die Annahme lokaler Leistungspläne zu gewährleisten.

Die wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen wesentlichen Leistungsbereiche sollte anerkannt und angemessen gemindert werden.

1.11.

Es sollte sichergestellt werden, dass bei der strukturellen Trennung zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und den zuständigen nationalen Behörden größere Interessenkonflikte vermieden werden, die die Wirksamkeit und Kosteneffizienz der Branche, das Leben der Arbeitnehmer und die Sicherheit der Luftfahrt beeinträchtigen könnten. Die nationalen Aufsichtsbehörden und die nationalen zuständigen Behörden müssen unabhängig von industriellem, wirtschaftlichem, sozialem oder politischem Druck handeln und sollten deshalb im Einklang mit den einzelstaatlichen Normen weiterhin im Rahmen des öffentlichen Sektors agieren. Vorschriften über die Verfahren zur Einstellung von Bediensteten der nationalen Aufsichtsbehörden und der nationalen zuständigen Behörden sollten nicht im Widerspruch zu den üblichen Auswahlverfahren für Beamte der Mitgliedstaaten stehen.

1.12.

Die funktionalen Luftraumblöcke, die mit diesem Vorschlag aufgelöst werden sollen, haben bislang dazu beigetragen, eine gemeinsame Kultur unter allen Sozialpartnern zu schaffen und die Leistung zu verbessern.

1.13.

In Bezug auf die Erbringung der Unterstützungsdienste (Kommunikation, Navigation und Überwachung [CNS], Flugberatungsdienste [AIS], meteorologische Dienste [MET]) befürchten wir, dass mit diesem Vorschlag das Ziel der vorhergehenden Vorschläge (SES1 und SES2) verfolgt wird, den Sektor zu privatisieren und zu fragmentieren, was in der Zeit zwischen dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission und der Annahme der verschiedenen Texte bestritten wurde. Während im Rahmen des SES2-Prozesses ein Kompromiss erzielt wurde, ist der im vorliegenden Vorschlag verfolgte Ansatz nicht ausgewogen, da er eine Loslösung der Unterstützungsdienste und die Anwendung der Marktgrundsätze begünstigt. Im Rahmen des Vorschlags sollte eine ausgewogene Sichtweise gewährleistet werden, unter Berücksichtigung der negativen sozioökonomischen Folgen eines solchen Ansatzes, des Ziels der Schaffung eines effizienten und wirksamen Dienstes und des fehlenden politischen Willens, der in den vorhergehenden SES-Vorschlägen zum Ausdruck kam.

1.14.

Es wird empfohlen, während des Gesetzgebungsverfahrens einigen Aspekten dieses Vorschlags angemessen Rechnung zu tragen, insbesondere allen Vorschlägen zur Entflechtung oder Liberalisierung der Dienstleistungserbringung. Diese Faktoren können anerkanntermaßen nachteilige Folgen für die Arbeitnehmer haben, weshalb die Sozialpartner in diesen Prozess einbezogen werden sollten.

2.   Kontext und allgemeine Bemerkungen

2.1.   Bei der Annahme dieses Legislativpakets erklärte Absicht der Europäischen Kommission

Die Kommission verfolgt das Ziel, die Organisation und Verwaltung des europäischen Luftraums durch eine Reform des Monopols der Anbieter von Flugverkehrsdiensten insgesamt effizienter zu gestalten. Das Paket ist längst überfällig. Die Vorschriften zum einheitlichen europäischen Luftraum sind seit mehr als zehn Jahren nicht mehr aktualisiert worden. Den Veränderungen bei der Entwicklung des Flugverkehrsmanagements wurde Rechnung getragen. Das europäische ATM-Netz muss reformiert werden, um sowohl der steten Zunahme des Luftverkehrs in den letzten zehn Jahren als auch wichtigen unvorhergesehenen Verkehrsschwankungen (wie beispielsweise infolge der COVID-19-Pandemie) gerecht zu werden. Dies erfordert Änderungen, die es ermöglichen, den Flugbetrieb unter den sichersten, kosteneffizientesten, flugeffizientesten und umweltfreundlichsten Bedingungen durchzuführen. Außerdem sind Maßnahmen erforderlich, die zur Verringerung der Luftverkehrsemissionen im Einklang mit den Zielen des europäischen Grünen Deals beitragen. Dies bedeutet, weiter gegen die Fragmentierung des europäischen Luftraums vorzugehen, Verspätungen zu reduzieren, Sicherheitsstandards und Flugeffizienz zu erhöhen, um den ökologischen Fußabdruck des Luftverkehrs zu senken, und Gebühren im Zusammenhang mit Monopolen bei der Erbringung von Dienstleistungen zu regulieren.

Die Effizienz der Flugstrecken kann durch den Einsatz neuer digitaler Technologien gesteigert werden. Grundlage hierfür sind Zusammenarbeit und Vertrauensbildung zwischen den Ländern der Europäischen Union und den Interessenträgern der Branche.

2.2.   Gesellschaftliche Akzeptanz für die Tätigkeit der Branche und Beziehungen zur organisierten Zivilgesellschaft

2.2.1.

Dieser SES2+-Vorschlag ist teilweise eine Neufassung eines früheren SES2+-Vorschlags, zu dem die Beratungen aufgrund einer bilateralen Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Mitgliedstaaten auf Eis gelegt wurden. Da der vorliegende Vorschlag inhaltlich den früheren erfolglosen SES-Vorschlägen ähnelt, ist es nach wie vor möglich, dass kein politischer Konsens erzielt wird. Zu den von den Mitgliedstaaten angeführten Problemen zählen in der Regel politische Bedenken, Souveränitätsbedenken, sozioökonomische Faktoren, die Liberalisierung des nationalen Luftraums und erzwungene Privatisierungen. Es wird empfohlen, diesen Bedenken während des Gesetzgebungsverfahrens angemessen Rechnung zu tragen.

2.2.2.

Laut Europäischer Kommission wurden soziale Fragen in der Folgenabschätzung zum ursprünglichen SES2+-Vorschlag aus dem Jahr 2013 berücksichtigt. Derzeit wird eine Studie über die Arbeitsbedingungen von Fluglotsen und flugsicherungstechnischem Personal durchgeführt, die bei der Ausarbeitung von sekundärrechtlichen Vorschriften nach Annahme des SES-Vorschlags berücksichtigt wird. Die sozialen Rahmenbedingungen haben sich jedoch seitdem stark gewandelt. Bei der Studie zu den Arbeitsbedingungen wird hauptsächlich die aktuelle Situation beleuchtet, und die Rückmeldungen der Sozialpartner sind im Hinblick auf die künftigen Szenarien nicht allzu positiv.

2.2.3.

Eine Reihe von Problemen, die sich aus den Rückmeldungen der Interessenträger in früheren Diskussionen ergeben hatten, wurde nicht berücksichtigt. Dazu gehören Rundtischgespräche, die zur hochrangigen Erklärung zum digitalen europäischen Luftraum geführt haben, und bestehende Konsultationsinstrumente wie der sektorale soziale Dialog zum Flugverkehrsmanagement, die Gruppe der Weisen und die SES-Expertengruppe zur menschlichen Dimension. Vor diesem Hintergrund stellen sich nach wie vor einige sozioökonomische Fragen, darunter die Einführung neuer Technologien und eine Initiative der ATM-Sozialpartner zur Entwicklung eines Fahrplans für die soziale und menschliche Dimension des einheitlichen europäischen Luftraums.

2.2.4.

Führende Akteure in der Luftfahrt unterstützen die kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, den Flugsicherungsorganisationen und dem Netzmanager. Die SES-Initiative unterstützt ein solches grenzüberschreitendes Engagement und sollte fortgesetzt werden, um Instrumente zu entwickeln, mit denen Betriebssicherheit, Effizienz und Kosteneffizienz verbessert werden können, unter anderem durch den Zugang zu Schulungsprogrammen für das Personal, von dem die Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums abhängt.

2.2.5.

Häufigere Arbeitssitzungen zwischen den militärischen Luftverkehrsverwaltungen der Mitgliedstaaten und ein ständiger Dialog zwischen zivilen und militärischen Luftverkehrsverwaltungen können zu effizienteren Flugverbindungen führen, und zwar sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere aus ökologischer Sicht und zum Nutzen für Fluggäste/Verbraucher.

2.2.6.

Die Festlegung der Umweltleistung muss stärker an konkreten Parametern als an den Kosten ausgerichtet werden. Eine Reform ist erforderlich, um das Gewicht der Ökologisierung der Flüge und damit der Dienste, die von Flugsicherungsorganisationen und Netzmanagern erbracht werden, zu stärken und die bestmögliche Nutzung des Netzes durch die Luftraumnutzer sicherzustellen.

2.3.   Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie

2.3.1.

Von dem wirtschaftlichen Zusammenbruch infolge der COVID-19-Krise wurde die Luftfahrtindustrie besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Internationalen Schätzungen zufolge wird das Luftverkehrsaufkommen frühestens 2024 das Niveau von 2019 erreicht haben, vorausgesetzt im ersten Halbjahr 2021 kommt ein wirksamer Impfstoff gegen COVID-19 auf den Markt. Angesichts des zunehmenden Drucks auf die Industrie, in der einen oder anderen Form wieder ihren normalen Betrieb aufzunehmen, ist es wichtig, in vollem Umfang zu verstehen, welche Auswirkungen dieser Vorschlag angesichts der darin vorgeschlagenen erheblichen strukturellen Veränderungen der europäischen ATM-Branche haben wird. Der Vorschlag sollte die Fähigkeit des Flugverkehrsmanagements oder sonstiger Bereiche der Luftfahrt zur Wiederaufnahme des regulären Betriebs nicht beeinträchtigen.

2.3.2.

Festzustellen ist, dass der Vorschlag nicht an die neuen Bedingungen der COVID-19-Krise angepasst wurde. Dies belegen die bereits geäußerten Bedenken, dass der Vorschlag der Situation der Luftfahrtindustrie in der Zeit nach COVID-19 nicht Rechnung trägt. Alle Folgenabschätzungen des Vorschlags sind offenbar vor der COVID-19-Pandemie durchgeführt worden und folglich nicht mehr relevant.

2.3.3.

Die COVID-19-Krise hat dramatische Auswirkungen auf die Beschäftigten der Luftfahrt, wo Zehntausende Arbeitnehmer in Europa bereits ihren Arbeitsplatz verloren haben. Die „Unterstützungsfunktionen“ der ATM-Branche (wie CNS, AIS und MET) könnten weitere negative soziale Folgen haben, da der Vorschlag auf eine Entflechtung der Dienstleistungen abzielt. Dies gilt es anzuerkennen, und im Rahmen des Vorschlags sollten die sozioökonomischen Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitnehmer der Branche sowie die Volatilität des Sektors in der heutigen Zeit berücksichtigt werden.

2.3.4.

Da die Zukunft der Branche unsicher ist, ist es schwierig, Rechtsvorschriften auszuarbeiten, die ausreichende Lösungen für die Probleme bieten, die Gegenstand des Vorschlags sind. Darüber hinaus sind die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Krise bislang noch nicht in vollem Umfang absehbar. Es wäre verfrüht, Bewertungen oder Schlussfolgerungen auf der Grundlage aktueller Prognosen vorzunehmen, die sich mit der Entwicklung der Pandemie schnell ändern.

2.4.   Anwendung der Marktgrundsätze

2.4.1.

Die Kommission fordert finanzielle Solidität. Die Flugsicherungsorganisationen könnten die vorgeschlagene neue institutionelle Struktur jedoch als recht bürokratisch empfinden, zumal sie mit neuen Kosten einhergeht, die nicht unbedingt mit der operativen Arbeit zusammenhängen. Ein weiterer Aspekt, der Fragen aufwerfen könnte, ist die Berufungsinstanz, die in der vorgeschlagenen Form möglicherweise nicht völlig unabhängig vom Leistungsüberprüfungsgremium ist — auch wenn die Absicht der Kommission in dieser Hinsicht eindeutig ist, nämlich die Schaffung einer Stelle, die Fälle im Rahmen eines außergerichtlichen Verfahrens lösen kann (und nicht nur vor dem Europäischen Gerichtshof).

2.4.2.

Im Gegensatz zu den anderen Bereichen der Branche muss die operative Kapazität des Flugverkehrsmanagements unabhängig von der Nachfrage im gewerblichen Luftverkehr auf einem hohen Niveau aufrechterhalten werden. Dieser Bereich und seine Arbeitnehmer arbeiten unabhängig von der Pandemie weiter und erbringen die notwendigen Dienstleistungen für den wesentlichen Luftverkehr (Frachtflüge, medizinische Flüge und Militärflüge u. a.).

2.4.3.

Aus sozioökonomischer Sicht besteht die Sorge, dass die Anwendung der Marktgrundsätze auf die Flugplatz- und Flugverkehrsdienste zu Instabilität auf dem Arbeitsmarkt und zu einer Absenkung der Arbeitsstandards in dieser Branche zum Nachteil der Arbeitskräfte und der Allgemeinheit führen kann. Dies würde dem Ziel einer Steigerung der Betriebseffizienz zuwiderlaufen und dürfte deshalb auch nicht zu einer Senkung der Kosten für die Dienstleistungen führen. Darüber hinaus würde dadurch möglicherweise die Zahl der Flugplätze sinken, an denen Flugverkehrsdienste bereitgestellt werden, was direkte Auswirkungen auf die Sicherheit solcher Flugplätze hätte.

2.4.4.

In der Flugverkehrsdienstleistungsbranche gibt es seit jeher erhebliche Spannungen, zumal es Versuche gab, den Sektor zu liberalisieren. Viele dieser Spannungen hingen speziell mit den früheren Vorschlägen zum einheitlichen europäischen Luftraum zusammen. Es ist durchaus möglich, dass der vorliegende Vorschlag in seiner jetzigen Form zu weiteren sozialen Spannungen und Arbeitskonflikten führen wird, da er eine stärkere Liberalisierung der Branche und weitere Privatisierung und eine Fragmentierung des Flugverkehrsmanagements, insbesondere in den sogenannten „Unterstützungsfunktionen“, zum Ziel hat.

2.5.   Trennung zwischen der Aufsichtsbehörde und der Erbringung von Dienstleistungen

Gemäß der SES1-Verordnung besteht eine obligatorische Trennung zwischen Aufsicht und Dienstleistungserbringung, zumindest auf der Funktionsebene. Diese Änderung sollte im SES+-Vorschlag berücksichtigt werden, da die Erfahrung im Rahmen der funktionalen Trennung gezeigt hat, dass die Leistung auf demselben Niveau aufrechterhalten werden kann wie in einem strukturell getrennten Sektor. Ebenso wäre eine weitere Klarstellung des Gesamtumfangs des Vorschlags begrüßenswert.

Brüssel, den 2. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  https://www.sesarju.eu/node/3330.

(2)  Eurocontrol, Market Update [10. November 2020]. Erläutert von Eamonn Brennan auf https://www.youtube.com/watch?v=-VSQe97wDmc.


ANHANG

Die folgenden Textstellen des Stellungnahmeentwurfs wurden aufgrund von im Plenum angenommenen Änderungsanträgen geändert, erhielten jedoch mindestens ein Viertel der Stimmen (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

a)    Ziffer 1.14

1.14

Es wird empfohlen, während des Gesetzgebungsverfahrens Zu einigen Aspekten dieses Vorschlags sollte eine soziale Folgenabschätzung durchgeführt werden angemessen Rechnung zu tragen, insbesondere zu allen Vorschlägen zur Entflechtung oder Liberalisierung der Dienstleistungserbringung. Diese Faktoren können anerkanntermaßen nachteilige Folgen für die Arbeitnehmer haben, weshalb die Sozialpartner in diesen Prozess einbezogen werden sollten.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

119

Nein-Stimmen:

104

Enthaltungen:

26

b)    Ziffer 2.2.1

2.2.1

Dieser SES2+-Vorschlag ist teilweise eine Neufassung eines früheren SES2+-Vorschlags, zu dem die Beratungen aufgrund einer bilateralen Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Mitgliedstaaten auf Eis gelegt wurden. Da der vorliegende Vorschlag inhaltlich den früheren erfolglosen SES-Vorschlägen ähnelt, ist es nach wie vor möglich, dass kein politischer Konsens erzielt wird. Zu den von den Mitgliedstaaten angeführten Problemen zählen in der Regel politische Bedenken, Souveränitätsbedenken, sozioökonomische Faktoren, die Liberalisierung des nationalen Luftraums und erzwungene Privatisierungen. Eine gezielte Reihe von Folgenabschätzungen würde dazu beitragen, diese Bedenken offenzulegen und möglichst auszuräumen. Es wird empfohlen, diesen Bedenken während des Gesetzgebungsverfahrens angemessen Rechnung zu tragen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

113

Nein-Stimmen:

113

Enthaltungen:

23

Gemäß Artikel 61 der Geschäftsordnung gibt bei Stimmengleichheit (gleiche Anzahl an Ja- und Nein-Stimmen) in einer Abstimmung die Stimme des Sitzungsleiters den Ausschlag. Dieser hat für den Änderungsantrag gestimmt.


16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/59


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Bewirtschaftungs-, Bestandserhaltungs- und Kontrollmaßnahmen für den Übereinkommensbereich der Interamerikanischen Kommission für tropischen Thunfisch und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 520/2007 des Rates“

(COM(2020) 308 final — 2020/0139 (COD))

(2021/C 56/08)

Alleinberichterstatter:

Javier GARAT PÉREZ

Befassung

Europäisches Parlament, 23/07/2020

Rat, 20.7.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 43 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

12.11.2020

Verabschiedung im Plenum

2.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

228/0/9

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA hält es für notwendig, die Kontroll-, Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen der der Interamerikanischen Kommission für tropischen Thunfisch (IATTC) in EU-Recht umzusetzen, damit sie innerhalb der EU einheitlich und wirksam angewandt werden. Die Umsetzung in EU-Recht muss strikt im Einklang mit den Beschlüssen der IATTC erfolgen, ohne neue Verpflichtungen für europäische Fischereifahrzeuge einzuführen. Der Ausschuss unterstützt daher den Verordnungsvorschlag.

1.2.

Der EWSA empfiehlt jedoch, die Überlegungen zu berücksichtigen, die er in seiner Stellungnahme zu den Erhaltungs- und Kontrollmaßnahmen für den Regelungsbereich der Organisation für die Fischerei im Nordwestatlantik (NAFO) formuliert hat (1).

1.3.

Der EWSA ist somit der Ansicht, dass mit dem vorgelegten Vorschlag kein effizienter Mechanismus für die Umsetzung der von der IATTC angenommenen Bestimmungen eingeführt und keine Lösung für das Problem geboten wird, dass sie jedes Jahr aktualisiert werden müssen.

1.4.

Der EWSA befürwortet einen effizienteren und einfacheren Mechanismus und schlägt deshalb eine Verordnung mit einem einzigen Artikel vor, in dem festgelegt wird, dass die Europäische Union die von der IATTC angenommenen Bestimmungen zwingend auf ihre Flotte anwenden muss.

1.5.

Der EWSA weist nachdrücklich auf die Gefahr hin, die die Einführung des Systems der delegierten Rechtsakte mit sich bringt, da die Kommission dadurch befugt ist, außerhalb der ordentlichen Verfahren gesetzgeberisch tätig zu werden.

2.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags der Kommission

2.1.

Mit dem vorliegenden Vorschlag (2) sollen die Kontroll-, Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen der Interamerikanischen Kommission für tropischen Thunfisch (IATTC), der die Europäische Union (EU) seit 2006 als Vertragspartei angehört, in EU-Recht umgesetzt werden.

2.2.

Das IATTC-Übereinkommen besagt, dass die von der IATTC angenommenen Entschließungen verbindlich sind und dass die Vertragsparteien die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Durchführung und Einhaltung des Übereinkommens und der auf dessen Grundlage erlassenen Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen sicherzustellen.

2.3.

Es obliegt somit der EU, für die Einhaltung der von der IATTC beschlossenen Maßnahmen zu sorgen, wobei sich der Vorschlag der Kommission auf die von der IATTC seit 2008 erlassenen Maßnahmen bezieht. Der Vorschlag sieht auch einen Mechanismus vor, der die Umsetzung der IATTC-Maßnahmen künftig erleichtern soll.

2.4.

Er sieht zudem Befugnisse vor, die der Kommission gemäß Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) übertragen werden, um etwaigen Änderungen von Maßnahmen Rechnung tragen zu können, die in den Jahressitzungen dieser Organisation beschlossen werden, und um gleiche Wettbewerbsbedingungen für europäische Fischereifahrzeuge und für Schiffe anderer Vertragsparteien der IATTC sicherzustellen.

2.5.

Die in dem Vorschlag vorgesehenen Maßnahmen beziehen sich auf die technischen Spezifikationen für Haileinen und auf folgende allgemeine Aspekte: Schutz bestimmter Haiarten, Schließungszeiten, Bestimmungen für den Aufbau und den Einsatz von Fischsammelgeräten, Datenerhebung, Schutz von Seevögeln, wissenschaftliche Beobachter, regionale Schiffsregister, statistisches Datenprogramm und Leitlinien zur Verringerung der Sterblichkeit von Meeresschildkröten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA hält es für notwendig, die Kontroll-, Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen der der Interamerikanischen Kommission für tropischen Thunfisch (IATTC) in EU-Recht umzusetzen, damit sie innerhalb der EU einheitlich und wirksam angewandt werden. Die Umsetzung in EU-Recht muss strikt im Einklang mit den Beschlüssen der IATTC erfolgen, ohne neue Verpflichtungen für europäische Fischereifahrzeuge einzuführen.

3.2.

Der EWSA ist allerdings der Auffassung, dass angesichts der häufigen Änderung der Erhaltungs- und Kontrollmaßnahmen im Rahmen der Jahressitzungen der IATTC kein effizienter Mechanismus für die Umsetzung der von der IATTC angenommenen Bestimmungen und ihrer jährlichen Aktualisierungen eingeführt wird.

3.3.

Nach Ansicht des EWSA wäre der beste Weg zur Berücksichtigung der regelmäßigen Aktualisierungen der IATTC-Bestimmungen eine einfache Verordnung mit einem einzigen Artikel, im dem die EU aufgrund der regelmäßig notwendigen Aktualisierung zumindest für die übertragenen Befugnisse verpflichtet wird, die jährlich von der IATTC angenommenen Bestimmungen zwingend auf ihre Flotte anzuwenden.

3.4.

Nach Ansicht des EWSA besteht andernfalls die Gefahr eines ständigen Rückstands der Rechtsvorschriften der EU gegenüber den von der IATTC angenommenen Bestimmungen mit dem Maß an Rechtsunsicherheit, die dies nach sich ziehen kann.

Brüssel, den 2. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Siehe EWSA-Stellungnahme zur NAFO-Erhaltungs- und Kontrollmaßnahmen (ABl. C 429, 11.12.2020, S. 279).

(2)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Bewirtschaftungs-, Bestandserhaltungs- und Kontrollmaßnahmen für den Übereinkommensbereich der Interamerikanischen Kommission für tropischen Thunfisch und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 520/2007 des Rates [COM(2020) 308 final]: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0308&qid=1603701098515.


16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/61


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates in Bezug auf zeitlich befristete Maßnahmen im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer für COVID-19-Impfstoffe und -In-vitro-Diagnostika als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie“

(COM(2020) 688 final — 2020/0311 (CNS))

(2021/C 56/09)

Befassung

Rat der Europäischen Union, 6.11.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 113 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Verabschiedung auf der Plenartagung

2.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

195/0/3

Da der Ausschuss seine Unterstützung der Steuervorschriften aufgrund der COVID-19-Krise bereits in seinen am 10. Juni 2020 verabschiedeten Stellungnahmen zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU, um der dringenden Notwendigkeit einer Verlängerung bestimmter Fristen für die Vorlage und den Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung infolge der COVID-19-Pandemie Rechnung zu tragen [COM(2020) 197 final — 2020/0081 (CNS)], zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung der Richtlinien (EU) 2017/2455 und (EU) 2019/1995 in Bezug auf die Umsetzungsfrist und den Geltungsbeginn aufgrund des Ausbruchs der COVID-19-Krise [COM(2020) 198 final — 2020/0082 (CNS)] und zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2454 in Bezug auf den Geltungsbeginn aufgrund des Ausbruchs der COVID-19-Krise [COM(2020) 201 final — 2020/0084 (CNS)] (1) zum Ausdruck gebracht hat und die Änderung der Richtlinie 2006/112/EG keine weiteren Punkte enthält, zu denen der EWSA eine Stellungnahme abzugeben hat, beschloss er auf seiner 556. Plenartagung am 2./3. Dezember 2020 (Sitzung vom 2. Dezember) mit 195 Stimmen bei 3 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den vorgenannten Stellungnahmen vertreten hat.

Brüssel, den 2. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 76.


16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/62


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ermächtigung der Kommission, für die Aufstockung des Kapitals des Europäischen Investitionsfonds zu stimmen“

(COM(2020) 774 final — 2020/0343 (COD))

(2021/C 56/10)

Befassungen

Europäisches Parlament, 26.11.2020

Rat der Europäischen Union, 30.11.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 173 Absatz 3 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Verabschiedung auf der Plenartagung

2.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

207/1/8

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und sich bereits früher zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur Aufstellung des Programms „InvestEU“ (Stellungnahme vom 17. Oktober 2018) (1) und dessen Änderung (Stellungnahme vom 15. Juli 2020) (2) geäußert hat, beschloss er auf seiner 556. Plenartagung am 2./3. Dezember 2020 (Sitzung vom 2. Dezember) mit 207 Stimmen gegen 1 Stimme bei 8 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Dokumenten vertreten hat.

Brüssel, den 2. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 131.

(2)  ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 139.


16.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 56/63


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit“

(COM(2020) 0571-2020/0262 (COD))

(2021/C 56/11)

Befassung

Rat der Europäischen Union, 21.10.2020

Europäisches Parlament, 5.10.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 153 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Verabschiedung im Plenum

2.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

224/0/6

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und sich bereits in seinen Stellungnahmen SOC/545 — Schutz gegen krebserzeugende chemische Arbeitsstoffe, verabschiedet am 21. September 2016, SOC/559 — Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit, verabschiedet am 31. Mai 2017, SOC/591 — Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit, verabschiedet am 19. September 2018, und CCMI/130 — Ein asbestfreies Europa, verabschiedet am 18. Februar 2015 (1), zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 556. Plenartagung am 2./3. Dezember 2020 mit 224 Stimmen bei 6 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den vorgenannten Stellungnahmen vertreten hat.

Brüssel, den 2. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 113; ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 56; ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 145; ABl. C 251 vom 31.7.2015, S. 13.


16.2.2021   

DE

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C 56/64


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Sicherheit und Konnektivität im Eisenbahnverkehr im Hinblick auf die die Union und das Vereinigte Königreich über die feste Ärmelkanal-Verbindung verbindende grenzüberschreitende Infrastruktur“

(COM(2020) 782 final — 2020/0347 (COD))

(2021/C 56/12)

Befassung

Rat der Europäischen Union, 2.12.2020

 

Europäisches Parlament, 14.12.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 91 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Verabschiedung auf der Plenartagung

2.12.2020

Plenartagung Nr.

556

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

210/1/4

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 556. Plenartagung vom 2./3. Dezember 2020 (Sitzung vom 2. Dezember) mit 210 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 2. Dezember 2020.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG