ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 120

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

63. Jahrgang
14. April 2020


Inhalt

Seite

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

550. Plenartagung des EWSA, 19.2.2020-20.2.2020

2020/C 120/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum 2020(COM(2019) 650 final)

1

2020/C 120/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets(COM(2019) 652 final)

7


DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

550. Plenartagung des EWSA, 19.2.2020-20.2.2020

14.4.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum 2020“

(COM(2019) 650 final)

(2020/C 120/01)

Berichterstatter:

Tommaso DI FAZIO

Befassung

Europäische Kommission, 6.2.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

4.2.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.2.2020

Plenartagung Nr.

550

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

120/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Ausrichtung der Jahreswachstumsstrategie 2020 mit den vier Säulen Umwelt, Produktivität, Stabilität und Gerechtigkeit. Er ist insbesondere der Auffassung, dass die ökologische Nachhaltigkeit, wie in der Strategie zu Recht festgehalten, das zentrale Ziel ist, auf das die Entscheidungen und das Engagement der gesamten Gesellschaft sowie die Mittel, die sie dafür bereitstellen kann und will, auszurichten sind. Ziel ist es, effektiv auf die für 2030 gesteckten Ziele und die Klimaneutralität bis 2050 hinzuarbeiten. Der EWSA empfiehlt, diese Ziele vorverlegen zu können, sofern die Indizes für die Umweltzerstörung dies erforderlich machen.

1.2.

Der EWSA begrüßt die Aufnahme der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) 2030 der Vereinten Nationen in die strategische Vision der Kommission für alle wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen. Dies trägt zu einer sozialen Marktwirtschaft im Dienste aller bei und gewährleistet Nachhaltigkeit, Inklusion und wettbewerbsfähiges Wachstum.

1.3.

Nach Überzeugung des EWSA ist Nachhaltigkeit ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Wettbewerbsstrategie. Europa sollte die ihr innewohnenden wirtschaftlichen Triebkräfte stärker nutzen und seine globale Stellung als Innovator auf der Grundlage der Kreislaufwirtschaft und des Übergangs zu neuen Paradigmen nachhaltiger Entwicklung stärken. Dies eröffnet neue wirtschaftliche Möglichkeiten, die auf der Nachfrage nach nachhaltigen Lösungen basieren.

1.4.

Der EWSA begrüßt nachdrücklich die in der Jahresstrategie angekündigte Verlagerung weg von der derzeitigen kurz- bis mittelfristigen Planung hin zu langfristigen Strategien. Diese Umstellung ist erforderlich für die Investitionen, die nötig sind für die Umsetzung der Strategie für ökologische Nachhaltigkeit im Rahmen komplexer integrierter Energie- und Klimapläne, die von den Mitgliedstaaten ausgearbeitet und von der Kommission genehmigt werden.

1.5.

Der EWSA legt der Kommission nahe, in dieser strategischen Vision den notwendigen raschen Ausbau materieller und immaterieller intelligenter und interoperativer Infrastrukturnetze vorzusehen. Diese sind unerlässlich für die Vollendung und die nachhaltige Weiterentwicklung eines entsprechend ausgestatteten und kohärenten kontinentalen Binnenmarkts im Dienst einer harmonischen, gerechten und inklusiven Entwicklung.

1.6.

Der EWSA begrüßt die in der jährlichen Strategie enthaltenen Hinweise auf unverzichtbare und entscheidende Investitionen in immaterielle Bereiche wie allgemeine und beruflichen Bildung und Kompetenzentwicklung. Dies sind auf lange bis sehr lange Sicht angelegte Investitionen in die Verbesserung der Gesellschaft, ihrer Kultur und internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

1.7.

Der EWSA befürwortet und unterstützt das Ziel, Forschung und Innovation voranzutreiben und die dafür vorgesehenen Mittel aufzustocken. Dies sind langfristige strategische Investitionen in die internationale Wettbewerbsfähigkeit der gesamten EU. Diese Investitionen betreffen insbesondere die Modernisierung und die Umstellung auf saubere Technologien in den Bereichen Energie, Verkehr und Heizung und Kühlung von Gebäuden sowie in allen Bereichen des verarbeitenden Gewerbes, aber auch in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor mittels immer breiterer Verwendung innovativer und insbesondere digitaler Technologien, der künstlichen Intelligenz und der 5G-Technologie.

1.8.

Der EWSA bedauert, dass der Analyse des jährlichen Wachstums in der Union in der Kommissionsmitteilung nur wenig Aufmerksamkeit zuteilwird. Es wird lediglich Folgendes festgestellt: „Der kurzfristige Konjunkturausblick wird durch deutlich weniger förderliche wirtschaftliche und geopolitische Rahmenbedingungen und große Unsicherheit belastet.“„Investitionen und Potenzialwachstum jedoch verharren noch immer auf niedrigeren Werten als vor der Krise.“ Auch ein nicht einvernehmlicher Brexit könnte weiter dazu beitragen. Oberste Priorität hat nach Ansicht des EWSA die Wiederankurbelung des nachhaltigen Wachstums, vor allem in den schwächsten Ländern und Regionen, mit einem starken Anstieg des BIP der EU, um den für die Unterstützung der Strategie unerlässlichen Wohlstand zu schaffen.

1.9.

Der EWSA unterstützt jedenfalls alle dargelegten Strategieansätze für das Wachstum und zur Ausgestaltung des Europäischen Semesters 2020. Er teilt auch die Feststellungen zu den für das Erreichen jeder dieser Ziele ausgemachten Schwachstellen, insbesondere bezüglich der für die Durchführung der Umweltprogramme erforderlichen Investitionen. Der derzeit geltende Stabilitätspakt und seine strikten Bestimmungen können die einheitliche Anwendung der Energie- und Klimapläne in den Mitgliedstaaten erschweren. Es kann durchaus sein, dass die Ziele der Umweltsanierung nur von denjenigen EU-Mitgliedstaaten erreicht werden, die den Anforderungen des Stabilitätspakts entsprechen oder diese übererfüllen. Dadurch wird das Ziel, das die gesamte EU erreichen muss, konterkariert. Gleichzeitig wird für den ganzen Planeten nur ein partielles Ergebnis erzielt, und die EU entfernt sich von ihrem Anspruch, als Block für die übrigen Länder der Welt ein Maßstab zu sein.

1.10.

Der EWSA fordert daher, unter Berücksichtigung der Auflagen des Stabilitätspakts bzw. die Ausnahmen davon und von den Beihilfevorschriften, Maßnahmen zur Regelung der Investitionen zu sondieren und anzunehmen. Denn alle Länder sollten die für das Erreichen ihrer in den integrierten Energie- und Klimaplänen festgelegten und von der Kommission genehmigten Ziele notwendigen Investitionen tätigen können.

1.11.

Der EWSA begrüßt den in der Wachstumsstrategie 2020 enthaltenen Vorschlag, alle finanziellen Mittel und Hebel, die mit den derzeitigen Instrumenten des mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 verfügbar sind, zu nutzen. Dieser Vorschlag wurde am 15. Januar 2020 im Europäischen Parlament öffentlich vorgestellt. Der EWSA hofft gleichwohl auch, dass die finanziellen Mittel erhöht werden, wenn immer dies für das Erreichen der Ziele erforderlich ist.

1.12.

Der EWSA fordert, dass die Kommission die Ergebnisse, die von den verschiedenen Mitgliedstaaten gemäß den vereinbarten Energie- und Klimaplänen erreicht werden müssen, wirksam und proaktiv überwacht. Dabei sollte eher die Lösung finanzieller und verfahrenstechnischer Probleme unterstützt — und nicht Kritik geübt — werden.

1.13.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems gestärkt und die Finanzmarktvorschriften verschärft werden müssen, um die internationale Rolle der europäischen Währung zu stärken und eventuelle künftige Krisen zu verhindern, die im Zuge der Globalisierung aus anderen Weltregionen überspringen können. Dies kann durch die Stärkung der makroprudenziellen Vorschriften und andere Maßnahmen zur Gewährleistung der Finanzstabilität der Mitgliedstaaten erreicht werden. Neben der laufenden Vollendung der Bankenunion und der Kapitalmarktunion sollte das Augenmerk bei der anstehenden strategischen Überprüfung der EZB-Geldpolitik (1) insbesondere auf die Förderung des Wirtschaftswachstums im Euro-Währungsgebiet und die Stärkung der internationalen Rolle des Euro gelegt werden.

1.14.

Der EWSA betont, dass das Wohlergehen der Menschen im Mittelpunkt der Wachstumsstrategie 2020 bleiben muss. Die sozialen Errungenschaften, die der EU weltweit eine Führungsrolle verleihen, müssen erhalten und ausgebaut werden.

1.15.

Der EWSA begrüßt, dass die grundlegende Säule sozialer Rechte in der Strategie für nachhaltiges Wachstum 2020 bekräftigt wird. Der EWSA fordert, bei den Zielen des Europäischen Semesters besonderes Augenmerk auf die Gleichstellung der Geschlechter zu legen, insbesondere auf die Rechte von Frauen am Arbeitsplatz, die Verwirklichung gleicher Löhne, den Beschäftigungsschutz von Müttern, auch zur Bekämpfung des Bevölkerungsrückgangs, sowie die Umsetzung wesentlicher Verbesserungen der Rechtsvorschriften zum Schutz der Familie, einschließlich Verbesserungen beim Elternurlaub für Väter sowie der Schaffung eines günstigen Arbeitsumfelds zur Verhinderung jedweder Form körperlicher und psychischer Gewalt gegen Frauen. Im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter muss zudem das Scheidungsrecht kohärent und gleichberechtigt angewendet werden, um sicherzustellen, dass beide Elternteile stets gleiche Rechte in Bezug auf minderjährige Kinder haben.

1.16.

Nach Auffassung des EWSA muss die EU ihre Position auf der internationalen Bühne stärken, um Wohlstand, Sicherheit und ihre grundlegenden Werte zu wahren. Sie muss eine weltweite Führungsrolle übernehmen bei der überzeugenden, kohärenten und umfassenden Umsetzung der SDG der Vereinten Nationen sowie bei der Schaffung einer multilateralen, regelbasierten Weltordnung, bei der die Vereinten Nationen im Mittelpunkt stehen und die Grundsätze der Demokratie, der Schutz des Planeten, die Rechtsstaatlichkeit sowie die Grundrechte entschlossen verteidigt werden.

1.17.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass die Vollendung eines gut ausgestatteten, kohärenten und auf die Bedürfnisse der Bürger und Unternehmen zugeschnittenen Binnenmarkts einen wesentlichen Beitrag zum Wachstum leisten kann. Dieses Ziel sollte im Mittelpunkt einer harmonischen, inklusiven wiederbelebten, aktualisierten europäischen Integration stehen, die im Sinne eines vollständig interoperablen digitalen Binnenmarkts mit den neuen Technologien und Infrastrukturen Schritt hält. Beim Übergang im Rahmen des europäischen Grünen Deals kommt dem Unternehmensmodell, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht, beispielsweise Unternehmen der Sozialwirtschaft, eine besondere Bedeutung und Rolle zu.

1.18.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Infrastruktur für die Steuerung des Binnenmarkts auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten gestärkt werden muss. Zudem sind eine tief greifende Verwaltungsvereinfachung, eine umfassende Digitalisierung und der verstärkte Aufbau der Kapazitäten aller Beteiligten erforderlich.

1.19.

Nach Ansicht des EWSA birgt die Verwirklichung der vorgeschlagenen strategischen Vision Risiken und kann auf Widerstände stoßen, wenn es keine neuen Steuerungsverfahren gibt, mit denen die Bürger und die Unternehmen sowie die öffentlichen und privaten Akteure auf lokaler und regionaler Ebene als proaktive Protagonisten eingebunden werden können. Dieser Prozess muss von der Basis ausgehen und den Bedürfnissen und konkreten Problemlagen vor Ort Stimme und Gewicht geben.

1.20.

Der EWSA empfiehlt daher neue Governance-Strukturen auf den verschiedenen Ebenen, um die Einbindung und Teilhabe der lokalen Ebene und der Zivilgesellschaft bei der Konzipierung und Realisierung gerechter und ihrem Umfeld angemessener Maßnahmen sicherstellen zu können.

2.   Die von der Kommission vorgeschlagene jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum 2020

2.1.

Mittlerweile scheinen sich alle einig zu sein, dass eine neue langfristige umfassende Strategie für nachhaltiges, inklusives und auf die Zukunft Europas ausgerichtetes Wachstum erforderlich ist. Diese muss mit einem vollständigen Durchführungsplan für die Erreichung der SDG bis 2030 einhergehen, der alle Aspekte umfasst, die sich auf die Gesellschaft und die Unionsbürger, die Unternehmen und ihr Umfeld, auf die Industrie und ihre Wettbewerbsfähigkeit auswirken und von Investitionen und der öffentlichen Auftragsvergabe über Handel, Kompetenzen, Innovation bis zur KMU-Förderung reichen.

2.2.

Die Mitgliedstaaten sollten die von der Kommission im Jahreswachstumsbericht ermittelten Prioritäten bei der Ausgestaltung der in ihren Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogrammen und nationalen Reformprogrammen festzulegenden nationalen Maßnahmen und Strategien berücksichtigen.

2.3.

Die Mitteilung über die jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum 2020 (2) gibt den Standpunkt der Kommission zu den politischen Strategien wider, die die Mitgliedstaaten bei der Erarbeitung ihrer Wirtschaftspolitik für 2020 berücksichtigen sollten. Sie basiert auf der Berücksichtigung der SDG der Vereinten Nationen für 2030 in allen europäischen Maßnahmen, insbesondere in Bezug auf:

die ökologische Nachhaltigkeit, Produktivitätszuwächse, Fairness und makroökonomische Stabilität als Säulen eines neuen Paradigmas der EU-Wirtschaftspolitik in den kommenden Jahren;

die nötige Entwicklung eines neuen Wachstumsmodells, um die langfristigen Herausforderungen, die die europäische Gesellschaft wandeln werden, wirksam zu bewältigen;

die Übernahme einer globalen politischen und wirtschaftlichen Führungsrolle Europas auf der Grundlage des neuen Paradigmas als Anreiz für das Potenzialwachstum;

die Abwägung von Kosten und Nutzen dieser Maßnahmen und Strukturreformen auf kurze und lange Sicht: Verteilung des Nutzens und Eindämmung der Kosten für die schwächsten Bevölkerungsgruppen;

die erheblichen öffentlichen und privaten Investitionen zur Maximierung der Synergien zwischen den verschiedenen strategischen Zielen, auch das Investieren von „Rekordsummen in Spitzenforschung und Innovation“ und in die Ausbildung, „um die derzeitigen Klima- und Energieziele für 2030 zu erreichen“;

die Optimierung des für die Realisierung dieser politischen Bestrebungen entscheidenden Faktors im EU-Haushalt 2021-2027: „Mit einer Investitionsoffensive für ein zukunftsfähiges Europa auf der Grundlage bestehender und neuer Mechanismen werden die für die Verwirklichung des europäischen Green Deals erforderlichen Investitionen mobilisiert“, sowie mit einem „Mechanismus für einen gerechten Übergang, der sich speziell an die am stärksten betroffenen Regionen richten und sicherstellen (wird), dass niemand zurückgelassen wird“;

die Stärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung und der demokratischen Rechenschaftspflicht, die Hand in Hand gehen müssen mit: verstärkter demokratischer Rechenschaftspflicht im Rahmen des Europäischen Semesters und im weiteren Sinne dem Bestreben der Kommission, den Dialog mit den Mitgliedstaaten fortzusetzen und diese aufzufordern, die nationalen Parlamente, die Sozialpartner und alle anderen einschlägigen Interessenträger einzubinden.

2.4.

Die EU und die Mitgliedstaaten sollten diese Aspekte in Form einer Strategie und einer Reihe umsetzbarer Maßnahmen konkretisieren. Die europäischen Organe, die Mitgliedstaaten und die Regionen sollten die Vielzahl der Instrumente bündeln, um die Nachhaltigkeit zum Dreh- und Angelpunkt der Politik und des Handels zu machen, die Teilhabe aller Bürger zu ermöglichen und gleichzeitig die Lebensqualität und die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft zu verbessern.

2.5.

In seiner Entschließung vom 30. Oktober 2019 betonte der EWSA die Notwendigkeit, gleichzeitig auf allen Ebenen zu handeln und eine Dynamik des Handelns zu schaffen, um die dringenden wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen zu bewältigen (3). Er forderte eine umfassende EU-Nachhaltigkeitsstrategie bis 2050 zur Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (4).

2.6.

In dieser Entschließung betonte der EWSA ferner, dass der Paradigmenwechsel Folgendes erfordert:

„Änderungen im Governancebereich, d. h. die Entwicklung spezifischer Governancemechanismen, um dringende Probleme schneller zu lösen und komplexe Fragestellungen zu bewältigen. Durch diese Mechanismen würden die EU- und nationale Ebene verknüpft, nicht aber Maßnahmen auf diesen Ebenen ersetzt;

die Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) im Rahmen der wirtschafts- und sozialpolitischen Überwachungs- und Haushaltsplanungsverfahren“;

die Zweckmäßigkeit, für „das Europäische Semester, (…) neue verbesserte quantifizierbare und sich ergänzende soziale, wirtschaftliche und ökologische Indikatoren (zu entwickeln), um alle Aspekte und Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte sowie die 17 SDG zu überwachen und zu begleiten“.

2.7.

Die Nachhaltigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Wettbewerbsstrategie. Europa sollte die ihr innewohnenden wirtschaftlichen Triebkräfte stärker nutzen und seine globale Stellung als Innovator auf der Grundlage der Kreislaufwirtschaft stärken. So werden neue wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet, die auf der Nachfrage nach nachhaltigen Lösungen basieren. Ein robustes Wachstum der Marktnachfrage nach nachhaltigen Lösungen erfordert Kohärenz zwischen den auf Nachhaltigkeit ausgerichteten politischen Zielen.

2.8.

In seiner ergänzenden Stellungnahme zum Jahreswachstumsbericht 2019 (5) betonte der EWSA:

die Notwendigkeit, die öffentlichen und privaten Investitionen, vor allem in die Sozial- und Bildungsinfrastruktur, zu erhöhen;

die Ausrichtung auf die Nachhaltigkeitsziele 2030 der Vereinten Nationen und den Plan für die Energiewende und das Klima;

die Intensivierung der Strukturreformen, insbesondere bei strukturellen Ungleichgewichten und Leistungsbilanzüberschüssen;

die Ausschöpfung der Mittel für materielle, digitale und ökologische Investitionen und für die Entwicklung von Kompetenzen und Qualifikationen;

die zentrale Rolle der Wahrung sozialer Rechte, die gleichberechtigt mit den makroökonomischen und haushaltspolitischen Zielen in das Europäische Semester aufgenommen werden müssen;

steuerliche Anreize für produktive Investitionen und Ausgaben in die Realwirtschaft;

die Konsultationen der Sozialpartner in den verschiedenen Phasen des Europäischen Semesters;

die Ausnahme strategisch wichtiger Güter von Privatisierungen.

2.9.

Auf makroökonomischer Ebene: „Eine neue wirtschaftspolitische Strategie ist eindeutig erforderlich: Es bedarf eines positiven Narrativs für die künftige Entwicklung der EU-Wirtschaft im breiteren internationalen Umfeld. Dadurch könnte die Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber wirtschaftlichen Schocks und die — ökonomische, soziale und ökologische — Nachhaltigkeit des europäischen Wirtschaftsmodells gestärkt werden. Zudem würde so Vertrauen zurückgewonnen und Stabilität und gemeinsamer Wohlstand für alle Europäerinnen und Europäer geschaffen werden“ (6).

2.10.

Erforderlich ist „nachhaltiges und inklusives Wachstum, Verringerung der Ungleichheiten, Aufwärtskonvergenz, Gewährleistung des Produktivitätswachstums und der Wettbewerbsfähigkeit im Sinne der Europa-2020-Ziele, ein unternehmens- und investitionsfreundliches Umfeld, qualitativ gute Arbeitsplätze und angemessene Entlohnung, Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, stabile und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete öffentliche Finanzen, ein stabiler Finanzsektor und die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele 2030 und der Ziele des Pariser Klimaabkommens“ (7).

2.11.

„In der Überzeugung, dass die Zukunft der Europäischen Union realistischerweise nur auf einer soliden wirtschaftlichen Grundlage in Verbindung mit einer starken sozialen Dimension aufbauen kann (8), spricht sich der EWSA seit jeher konsequent für eine Aufwärtskonvergenz und eine wirksamere Sozialpolitik sowohl auf Ebene der EU als auch der Mitgliedstaaten aus“ (9). Ebenso hat er „einen klaren und koordinierten Fahrplan“ gefordert, in dem „die Prioritäten für die Umsetzung der Säule und die Durchsetzung der geltenden sozialen Rechte und Standards festgelegt sind“. „Mit einem neuen Europäischen Semester sollten im Rahmen der Überwachung sozialer Ungleichgewichte soziale Ziele umgesetzt werden, und es sollten neue, messbare Indikatoren sowie gezielte länderspezifische Empfehlungen für den sozialen Bereich eingeführt werden“ (10).

2.12.

Im Rahmen der Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes muss „die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für die Entwicklung verschiedenster Unternehmensformen (gefördert werden), die für die vor der Gesellschaft stehenden Herausforderungen gewappnet sind.“„Es muss dafür gesorgt werden, dass die unterschiedlichen Unternehmensformen (…) koexistieren und sich integrieren können, wobei jedoch jeder dieser Bereiche besondere Aufmerksamkeit in Bezug auf die jeweiligen legislativen Maßnahmen und öffentlichen Investitionen verdient“. „Ein Pauschalansatz ist abzulehnen“ (11).

2.13.

Der EWSA hat unterstrichen: „Die neuen Technologien, die künstliche Intelligenz und die Big Data bewirken Umwälzungen in den Produktionsverfahren und der Wirtschaft im Allgemeinen und werden auch den Arbeitsmarkt tief greifend verändern“, und weiter: „Diese Veränderungen müssen sich (…) im Rahmen eines fruchtbaren sozialen Dialogs und unter Wahrung der Rechte und der Lebensqualität der Arbeitnehmer vollziehen“ (12).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Folgende Empfehlungen haben für den EWSA oberste Priorität: zum einen die Stärkung des nachhaltigen Wirtschaftswachstums zur Schaffung neuer und dauerhafter Beschäftigung. Dadurch wird der Wohlstand erzeugt, der für Investitionen zur Ankurbelung von Wachstum und Multifaktorproduktivität in einer Kreislaufwirtschaft erforderlich ist. Zum anderen müssen die Strukturreformen vorangetrieben werden, um die Steuerung zu verbessern und mehr Verantwortlichkeit zu schaffen, insbesondere in den Bereichen Digitalisierung und Umwelt. Es gilt, Kompetenzen und Qualifikationen zu entwickeln und die sozialen Rechte zu schützen. All dies ist für das neue Paradigma des europäischen Grünen Deals erforderlich.

3.2.

Der Übergang zu einem neuen Entwicklungsmodell muss auf wettbewerbsfähiger Nachhaltigkeit als Eckpfeiler einer erfolgreichen europäischen sozialen Marktwirtschaft basieren, die auch in Zukunft das Leitprinzip bleiben muss. Dies unter der Bedingung, dass die Menschen und Regionen vor den unweigerlich durch den Wandel verursachten Kosten mittels Investitionen in wirksame und integrierte Sozialsysteme geschützt werden.

3.3.

Während der Finanzkrise wurde deutlich, welche Bedeutung Stabilität und Integration auf den Kapital- und Finanzmärkten haben, wo Unternehmenswachstum und Investitionen nach wie vor durch Fragmentierung behindert werden. Vor allem für den Finanzsektor sollten weitere Maßnahmen ergriffen werden, um das Vertrauen des Marktes und das Vertrauen in alle Mitgliedstaaten wieder herzustellen.

3.4.

Die EU braucht eine neue Wirtschaftsstrategie, mit der eine kontinuierliche, inklusive und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung gefördert wird und die produktive Vollbeschäftigung und gute Arbeit für alle bietet. Der EWSA ist davon überzeugt, dass die Vollendung eines gut ausgestatteten, kohärenten und auf die Bedürfnisse der Bürger und Unternehmen zugeschnittenen Binnenmarkts im Mittelpunkt einer harmonischen, inklusiven, wiederbelebten und aktualisierten europäischen Integration stehen muss, die mit den neuen Technologien und Infrastrukturen für einen vollständig interoperablen digitalen Binnenmarkt Schritt hält. Beim Übergang im Rahmen des europäischen Grünen Deals kommt dem Unternehmensmodell, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht, beispielsweise Unternehmen der Sozialwirtschaft, eine besondere Bedeutung und Rolle zu.

3.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Infrastruktur für die Steuerung des Binnenmarkts auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten gestärkt werden muss. Zudem sind eine tief greifende Verwaltungsvereinfachung, eine umfassende Digitalisierung und der verstärkte Aufbau der Kapazitäten aller Beteiligten erforderlich. Es bedarf der proaktiven Integration der Bürger, Verbraucher und Unternehmen, um vereinfachte und nutzerfreundliche Konzepte und eine zeitnahe, transparente und wirksame Durchführung und Anwendung der Binnenmarktvorschriften durchzusetzen. Dies ist die Grundlage für einen erfolgreichen Übergang zu einer EU, die sich durch Digitalisierung, Wirksamkeit, Kohärenz, Ausgewogenheit sowie ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit auszeichnet.

3.6.

Der EWSA bekräftigt erneut, „wie wichtig es ist, so bald wie möglich die infrastrukturelle, regionale und kulturelle digitale Kluft zu schließen, die derzeit die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der EU hemmt und zu ungleichen Chancen und Lebensbedingungen von Bürgern und Unternehmen führt“ (13).

3.7.

Nach Ansicht des EWSA birgt die Verwirklichung der vorgeschlagenen strategischen Vision Risiken und kann auf Widerstände stoßen und deren Umsetzung verlangsamen, wenn es keine neuen Steuerungsverfahren gibt, mit denen die Bürger und die Unternehmen sowie die öffentlichen und privaten Akteure auf lokaler und regionaler Ebene als proaktive Protagonisten eingebunden werden können. Dieser Prozess muss von der Basis ausgehen und den Bedürfnissen und konkreten Problemlagen vor Ort Stimme und Gewicht geben. Daher empfiehlt er den europäischen und nationalen Institutionen, neue Governance-Strukturen aufzubauen, mit denen die Beteiligung und die Teilhabe der lokalen Ebene und der Zivilgesellschaft an der Gestaltung und Umsetzung gerechter und für ihr Umfeld geeigneter Maßnahmen sichergestellt werden können.

Brüssel, den 19. Februar 2020

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Einleitende Bemerkungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz am 12. Dezember 2019.

(2)  Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum 2020 (COM(2019) 650 final).

(3)  Entschließung des EWSA zum „Beitrag des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Arbeitsprogramm der Kommission für den Zeitraum ab 2020“ Reflexionspapier (ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 1).

(4)  „Transformation unserer Welt: Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ (Vereinte Nationen).

(5)  ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 24.

(6)  Stellungnahme des EWSA vom 17. Juli 2019„Eine krisenfestere und nachhaltige europäische Wirtschaft“ (ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 23).

(7)  Stellungnahme des EWSA vom 17. Juli 2019 zum Thema „Eine neue Vision für die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion“ (ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 32).

(8)  Stellungnahme des EWSA vom 19. Oktober 2017 zum Thema ‚Auswirkungen der sozialen Dimension und der europäischen Säule sozialer Rechte auf die Zukunft der Europäischen Union‘ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145), Ziffern 1.2 und 2.2.

(9)  Siehe bspw. folgende Stellungnahmen: „Grundsätze wirksamer und verlässlicher Sozialleistungssysteme“ (ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 40), „Auswirkungen der sozialen Dimension und der europäischen Säule sozialer Rechte auf die Zukunft der Europäischen Union“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145) und „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zum Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbstständige“ (Abl. C 440 vom 6.12.2018, S. 135).

(10)  Stellungnahme des EWSA von 25. September 2019 zum Thema „Die europäische Säule sozialer Rechte — Bewertung der ersten Umsetzungsschritte und Empfehlungen für die Zukunft“ (ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 1).

(11)  Stellungnahme des EWSA vom 17. Juli 2019 zum Thema „Förderung eines Binnenmarktes für Unternehmertum und Innovationen“ (ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 6), Ziffern 1.3 und 1.5.

(12)  Stellungnahme des EWSA vom 17. Juli 2019 zum Thema „Förderung eines Binnenmarktes für Unternehmertum und Innovationen“ (ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 6), Ziffern 1.3 und 1.5.

(13)  Stellungnahme des EWSA vom 18. Oktober 2017 zum Thema „Digitaler Binnenmarkt / Halbzeitüberprüfung“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 102), Ziffer 1.8.


14.4.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets“

(COM(2019) 652 final)

(2020/C 120/02)

Berichterstatter:

Petr ZAHRADNÍK

Befassung

Europäische Kommission, 6.2.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

4.2.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.2.2020

Plenartagung Nr.

550

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

129/10/17

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, dass sich die Konjunktur des Euro-Währungsgebiets abschwächt und der Rückgang der Arbeitslosenquote allmählich zum Stillstand kommt. Dies geht mit einer weiteren Zunahme von Risikofaktoren einher, die die Wirtschaftsleistung beeinflussen.

1.2.

Dennoch erachtet der EWSA den Grünen Deal für Europa als wesentliches Element des künftigen Wirtschaftsparadigmas der EU und des Euroraums, der ein Ausgangspunkt für einen grundlegenden Wandel und ein Wendepunkt sein kann. Es wird viel davon abhängen, wie dieser Wandel bewältigt wird: Sein Erfolg kann Europa sowohl in wirtschaftlicher also auch in sozialer Hinsicht qualitativ voranbringen; andererseits könnte sein etwaiges Versagen die Integrität der EU als Ganzes ernsthaft gefährden.

1.3.

Ein wichtiger Parameter für die wirtschaftliche Entwicklung sowohl aus traditioneller Perspektive als auch aus Sicht der neuen Elemente des Grünen Deals für Europa sind die territorialen Divergenzen und Unterschiede innerhalb der EU, die trotz einiger recht erfolgreicher Konvergenzbemühungen der letzten Jahre weiter bestehen.

1.4.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass der Grüne Deal für Europa eine Plattform zur Förderung eines gemeinsamen europäischen Mehrwerts bieten kann, zumal dringender Handlungsbedarf besteht und der Konvergenzprozess beschleunigt werden muss.

1.5.

Der EWSA stellt fest, dass trotz anhaltender Risiken — insbesondere in einigen Mitgliedstaaten — Verbesserungen in Bezug auf den Zustand, die Stabilität und die Funktionsweise des Finanzsektors im Euro-Währungsgebiet zu verzeichnen sind.

1.6.

Der EWSA ist überzeugt, dass Strukturreformen und Investitionen zusammen mit der Umsetzung des Grünen Deals für Europa erheblich zum wirtschaftlichen Wohlstand des Euro-Währungsgebiets beitragen können, auch in den Mitgliedstaaten mit derzeit unterdurchschnittlichem Wachstumspotenzial. Dies kann dem Konvergenzprozess innerhalb des Euroraums und der EU insgesamt zugutekommen.

1.7.

Der EWSA betont, dass die Verwirklichung der Ziele des Grünen Deals für Europa unbedingt eine solide Finanzgrundlage erfordert, die derzeit nicht gänzlich gesichert ist. Besorgniserregend sind insbesondere die unzureichenden Finanzmittel, die für den Fonds und den Mechanismus für einen gerechten Übergang vorgesehen sind. Zu diesem Zweck ist es von grundlegender Bedeutung, weitere nationale öffentliche und private Mittel in den Prozess einzubinden und die erforderlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie für das Erreichen der Ziele des Grünen Deals eingesetzt werden.

1.8.

Der EWSA betont, dass insbesondere mit Blick auf die erwartete Konjunkturabschwächung auch weiterhin eine behutsam-offensive Finanzpolitik erforderlich sein wird. Dabei sollte eine ausgewogene Mischung zwischen der Wirtschaftspolitik und den Säulen, auf denen die WWU beruht, gewährleistet werden. Die Anwendung der „goldenen Regel“ für öffentliche Investitionen würde dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen.

1.9.

Der EWSA empfiehlt, die Aufmerksamkeit stärker auf die Anpassung des Steuersystems an die künftigen Erfordernisse zu richten, sowohl im Hinblick auf ein umweltfreundlicheres Verhalten von Verbrauchern und Erzeugern und die Gewährleistung einer gerechten Besteuerung, damit sich die Einkommens- und Wohlstandsunterschiede nicht weiter vertiefen, als auch um Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuerumgehung zu verhindern.

1.10.

Der EWSA weist darauf hin, dass angesichts der dynamischen Entwicklung neuer Arten von Finanzplattformen die Entwicklung von Finanzinnovationen und die Festlegung von Vorschriften für die Beaufsichtigung und Regulierung der Finanzmärkte miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Seines Erachtens ist die Gewährleistung der Finanzmarktstabilität von größter Bedeutung. Er hat wiederholt auf die Verzögerungen bei der Umsetzung zentraler Elemente hingewiesen, die für die Vollendung der Finanzunion grundlegend sind.

2.   Hintergrund

2.1.

Das Wachstum der Wirtschaftsleistung des Euroraums verlangsamt sich, die Arbeitslosigkeit ist nicht mehr rückläufig, und die Inflation ist trotz eines geringen Anstiegs nach wie vor gering und liegt weiterhin unter dem Inflationsziel.

2.2.

Die Prognosen für 2020 weisen auf eine Zunahme von Risikofaktoren und den daraus resultierenden Unsicherheiten hin. Diese Risiken können in den kommenden Jahren zu einer längeren Phase schwachen Wachstums, niedriger Inflation, niedrigen Lohnwachstums und zunehmender Einkommensungleichheit führen, es sei denn, die Investitionen werden erheblich gesteigert, insbesondere in Wirtschaftszweigen mit hoher Produktivität, in denen das Euro-Währungsgebiet und die EU global wettbewerbsfähig sind.

2.3.

Trotz guter Arbeitsmarktbedingungen war 2018 und 2019 nur ein langsamer, moderater Anstieg der Reallöhne um weniger als 1 % zu verzeichnen. Dieser Anstieg ist jedoch nach wie vor sehr uneinheitlich, und die Verteilung des Wohlstands ist nicht ausgewogen. Das Lohngefälle ist in vielen Fällen sogar größer geworden, und in einigen Ländern sind die Reallöhne immer noch niedriger als vor zehn Jahren. Dies führt zu einer Zunahme der Erwerbsarmut, bei der Menschen zwar erwerbstätig sind, aber nur schwer ein Einkommen erzielen können, das über der Armutsgrenze liegt, und der Gefahr der sozialen Ausgrenzung ausgesetzt sind. Das Wachstum der Reallöhne und die Verringerung der Armut sind wichtig, um den Lebensstandard zu erhöhen und den privaten Verbrauch anzukurbeln, was sich positiv auf Produktion und Wirtschaftswachstum auswirkt.

2.4.

Der hohe Leistungsbilanzüberschuss ging zurück, und die Kluft zwischen den Überschuss- und Defizitländern wurde etwas kleiner, vor allem aufgrund der Abschwächung der Auslandsnachfrage. In einigen Mitgliedstaaten bestehen jedoch nach wie vor übermäßige Überschüsse. Maßnahmen im Bereich der Investitionen und Löhne würden dazu beitragen, das schwache Wachstum im Euro Währungsgebiet wieder anzukurbeln.

2.5.

Der Grüne Deal für Europa ist ein entscheidendes neues, als langfristige Chance wahrgenommenes Element, das sich aber auch kurzfristig auf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum auswirken kann. Kurz- und mittelfristig werden dadurch enorme finanzielle Kosten entstehen. Die vorgeschlagenen neuen Instrumente — der Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa und der Fonds für einen gerechten Übergang — werden dabei von großer Bedeutung sein.

2.6.

Die uneinheitliche wirtschaftliche Entwicklung des Euro-Währungsgebiets ist nach wie vor ein Problem. Davon zeugen sowohl die tief greifenden Folgen der letzten Wirtschaftskrise als auch die unterschiedlichen strukturellen Probleme in den Volkswirtschaften, die es unmöglich machen, das wirtschaftliche Potenzial der einzelnen Mitgliedstaaten voll auszuschöpfen. Diese Unterschiede spiegeln sich auch in schwerwiegenden sozialen Folgen wider, insbesondere in anhaltender Armut und sozialer Ausgrenzung. Obwohl es derzeit im Vergleich zu 2012 etwa 5 Mio. weniger Menschen in dieser Kategorie gibt, stellt der EWSA die berechtigte Frage, ob angesichts des erwarteten Wirtschaftsabschwungs nicht die Gefahr besteht, dass sich diese Situation wiederholt. Sind die EU und die Mitgliedstaaten nun besser darauf vorbereitet, einer solchen Bedrohung zu begegnen?

2.7.

Die Lage, Stabilität und Funktionsweise des Finanzsektors im Euro-Währungsgebiet haben sich seit der Krise erheblich verbessert, doch gibt es nach wie vor risikobehaftete Schwachstellen, insbesondere in einigen nationalen Finanzsystemen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA stellt fest, dass sich das Euro-Währungsgebiet noch in einer Phase — sich indes abschwächenden — Wirtschaftswachstums befindet. In dieser Phase muss man sich dessen bewusst sein, dass die WWU auf einer monetären und finanziellen Säule, einer wirtschaftlichen Säule, einer sozialen Säule und einer politischen Säule beruht. Im Einklang mit seinen früheren Stellungnahmen (1) empfiehlt der EWSA, für Ausgleich und Ausgewogenheit zwischen diesen Säulen der WWU zu sorgen; eine Vernachlässigung und Beeinträchtigung dieses Gleichgewichts könnte zu gefährlichen Ungleichheiten führen.

3.2.

Der EWSA ist gleichwohl der Auffassung, dass der Grüne Deal für Europa als grundlegender Parameter für die Durchführung der notwendigen Strukturreformen und die damit einhergehenden Investitionen angesehen werden kann. Eine Symbiose aus dem Grünen Deal für Europa und Strukturreformen kann unter Berücksichtigung der Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung und der Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte die Voraussetzungen für ein langfristig nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Beseitigung negativer sozialer und ökologischer externer Effekte und bestimmter weiterer Ausdrucksformen von Marktversagen erheblich verbessern.

3.3.

Nach Ansicht des EWSA sind diese Reformen von besonderer Bedeutung für diejenigen Mitgliedstaaten, deren Wachstumspotenzial deutlich unter dem Durchschnitt des Euro-Währungsgebiets liegt. Solide und gezielte Investitionen in produktive Branchen werden es ihnen ermöglichen, diese Kluft in den kommenden zehn Jahren zu überbrücken.

3.4.

Der EWSA weist nachdrücklich auf die ernst zu nehmende Warnung hin, dass das Euro-Währungsgebiet ohne entsprechende nachhaltige Investitionen in angemessener Höhe dem Risiko eines längeren Zeitraums mit niedrigem Potenzialwachstum und niedriger Produktivität, niedrigen Löhnen, zunehmenden Ungleichheiten und einer nicht absehbaren Inflation ausgesetzt ist.

3.5.

Der EWSA stellt fest, dass das Euro-Währungsgebiet künftig ein höheres Maß an Verantwortung und Feingefühl für die Auswirkungen der Wirtschaft auf den Klimawandel an den Tag legen muss. Das Ausmaß und die Intensität des Klimawandels gehören derzeit zu den weltweit größten, zudem wohlbekannten und anerkannten Systemrisiken.

3.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass 2020 sehr wahrscheinlich ein Wendepunkt sein wird, an dem es zu einem wirtschaftlichen Paradigmenwechsel und zur Berücksichtigung von Umweltkriterien als feste Bestandteile der Marktentscheidungen kommen wird. Dies wird weitreichende Folgen auch über das Jahr 2020 hinaus haben. Dieser Wendepunkt wird nicht nur für das Funktionieren des Wirtschaftssystems, sondern auch bezüglich der zu erwartenden Leistungen der Wirtschaftspolitik als wesentlich angesehen. Der EWSA warnt davor, dass ein Scheitern der Steuerung dieser Umbruchphase verheerende Auswirkungen auf das gesamte Projekt Europa haben kann. Demnach müssen die verschiedenen Akteure unbedingt zu einem gemeinsamen Verständnis in dieser Frage gelangen, so z. B. die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten, die Mitgliedstaaten untereinander (wobei die erheblichen territorialen Unterschiede zu berücksichtigen sind), die Interessenträger der verschiedenen Bereiche der Zivilgesellschaft usw.

3.7.

Der EWSA sieht daher den Grünen Deal für Europa sowie die Schlüsselinstrumente für seine Umsetzung, insbesondere den Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa und den Fonds für einen gerechten Übergang, als Gelegenheit, auf die bestehenden Herausforderungen und Bedürfnisse zu reagieren; seine Umsetzung wird ein wichtiger Test für die Kohärenz der Interessen sowohl der Mitglieder des Euro-Währungsgebiets als auch der EU sein. Dabei müssen die Mitgliedstaaten nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse verteidigen, sondern auch die Bedürfnisse der anderen Mitgliedstaaten berücksichtigen und sich um einen gemeinsamen Standpunkt bemühen, der für alle Beteiligten von Vorteil ist. Die Auswirkungen auf die einzelnen Teile der Gesellschaft sind auch zu berücksichtigen, und unter anderem ist zu gewährleisten, dass Kosten und Nutzen der Klimapolitik zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb der Mitgliedstaaten gerecht verteilt werden.

3.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass die gemeinsamen Mittel des EU-Haushalts zweifellos völlig unzureichend sind, um die enorme Herausforderung im Zusammenhang mit dem Grünen Deal für Europa zu bewältigen. Daher sollte unbedingt über einen neuen Rahmen für die Finanzierung gemeinsamer strategischer Erfordernisse in der EU nachgedacht werden, um auch nationale öffentliche und private Mittel wirksam in diesen Prozess einzubinden. Der EWSA fügt hinzu, dass nicht nur rein „grüne Projekte“ von diesen Mitteln profitieren können. Sie können auch in Bereiche fließen, die einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele des Grünen Deals für Europa leisten können, zum Beispiel in den digitalen Wandel, die Entwicklung netzgebundener Wirtschaftszweige oder in eine intelligente und nachhaltige Verkehrsinfrastruktur.

3.9.

Der EWSA hält es für sehr wichtig, dass die Investitionsstrategien sowohl des Euroraums als auch der gesamten EU in den nächsten zehn Jahren eng miteinander koordiniert und die Interessen aller relevanten Akteure gewahrt werden. Ab 2021 können zwei neue Instrumente — das Haushaltsinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit und das Programm „InvestEU“ (2) — einen erheblichen Beitrag dazu leisten, und zwar in einer wirksamen Kombination mit traditionellen Methoden der Verwaltung der EU-Haushaltsmittel wie etwa der Kohäsionspolitik.

3.10.

Die Wirtschaftskrise von 2008 brachte den Prozess der wirtschaftlichen Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets zum Stillstand. Nicht überall kam er während des Aufschwungs wieder in Gang: Eine entsprechende Tendenz ist in Mittel- und Osteuropa zu beobachten, nicht jedoch im Süden. Gleichzeitig haben die erfolgreichsten Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas einige der traditionellen Volkswirtschaften der EU eingeholt oder sogar hinter sich gelassen. Es steht zu erwarten, dass sich dieser Prozess in den kommenden zehn Jahren fortsetzen wird. Die Konvergenz muss jedoch weiter verstärkt werden, da weiterhin erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In diesem Zusammenhang spricht sich der EWSA für ein nachhaltiges und integratives Wachstum in der EU als Ganzes und für den Abbau sozialer und wirtschaftlicher Ungleichgewichte innerhalb der Mitgliedstaaten und zwischen ihnen aus.

3.11.

Der EWSA legt großen Wert auf die Ausgewogenheit der verschiedenen Komponenten der Wirtschaftspolitik. Insbesondere ist es wichtig, auch finanzpolitische Instrumente einzusetzen, wie das die EZB in den letzten Jahren gefordert hat. Die EZB wird voraussichtlich auch in Zukunft eine wachstumsorientierte, akkommodierende Geldpolitik verfolgen, die nicht nur auf eine Annäherung der Inflation an die Inflationsziele abzielt, sondern auch darauf, weiterhin günstige wachstumsfördernde Rahmenbedingungen zu bieten und gleichzeitig die Finanzstabilität zu gewährleisten. Der EWSA regt außerdem an, die Rolle der EZB als Kreditgeber der letzten Instanz zu verankern.

3.12.

Die Verbesserung der Haushaltsdisziplin in der Vergangenheit ermöglicht in nächster Zukunft den behutsamen Übergang zu einer offensiven Finanzpolitik, wobei die Auswirkungen des realen Konjunkturabschwungs in den kommenden Jahren berücksichtigt werden müssen. Es besteht nunmehr ein erheblicher Spielraum nicht nur für Investitionen, sondern auch für einen weiteren, deutlich verstärkten Einsatz der Strukturpolitik, um das wirtschaftliche Potenzial zu stärken und die verbleibenden Ungleichgewichte und Formen von Marktversagen zu beheben und gleichzeitig faire Arbeitsbedingungen und Sozialschutz zu gewährleisten. Das bedeutet beispielsweise Unterstützung für das Funktionieren leistungsfähiger Institutionen, eine unabhängige und wirksame Justiz, eine qualitativ hochwertige öffentliche Verwaltung, solide Rahmenbedingungen für die Korruptionsbekämpfung, wirksame Steuersysteme, solide Bildungssysteme, marktkonforme Instrumente zur Förderung des Unternehmertums, hohe Standards für die Gewährleistung von Arbeitslosenunterstützung und die Stärkung der Strukturen des sozialen Dialogs, einschließlich Tarifverhandlungen.

3.13.

Der EWSA hält weitere Überlegungen über die Relevanz und Nachhaltigkeit der bestehenden Parameter des Steuersystems für erforderlich. Die Steuern im Euro-Währungsgebiet sind relativ hoch, wobei vor allem der Faktor Arbeit stark besteuert wird, die Umwelt- und die Vermögensteuern im Durchschnitt indes nur einen sehr geringen Teil des gesamten Steueraufkommens ausmachen. Der EWSA weist daher darauf hin, dass neue Besteuerungsformen eingeführt werden müssen, durch die einerseits die steuerliche Belastung der Arbeit verringert wird, während beispielsweise Finanzspekulationen stärker besteuert werden. Er empfiehlt, faire steuerrechtliche Bedingungen einzuführen, insbesondere in Bezug auf neue Formen der digitalen Wirtschaft, in denen das Kapital hauptsächlich dazu genutzt wird, Werte abzuschöpfen (value extraction), anstatt Waren herzustellen oder Dienstleistungen zu erbringen. In Zukunft könnten Umweltsteuern ein wichtiges Instrument sein, um das Verhalten von Verbrauchern und Erzeugern stärker auf die Umwelt auszurichten, ohne die Bedingungen für das Wirtschaftswachstum erheblich zu beeinträchtigen. Gleichzeitig weist der EWSA darauf hin, dass etwaige Änderungen der Steuersysteme die ohnehin schon ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung nicht noch mehr verschärfen dürfen. Der EWSA fordert, die Anstrengungen zur Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuerumgehung (aggressive Steuerplanung) fortzusetzen und zu verstärken, um das Steuersystem effizienter zu machen. Der EWSA stimmt mit der Europäischen Kommission darin überein, dass bei der Festlegung der Parameter für die Steuerpolitik eine engere Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich ist, um faire Bedingungen im Binnenmarkt zu schaffen. Der EWSA unterstützt die Europäische Kommission auch in ihren Bemühungen und Überlegungen, einen Konsens über die GKKB und einen Überblick über die Gewinnverteilung unter den Mitgliedstaaten zu erzielen. Wie bereits in der vorangehenden Stellungnahme (3) und der Veröffentlichung „Steuerwesen — Die Standpunkte der organisierten Zivilgesellschaft“ dargelegt, ist der EWSA der Auffassung, dass Steuerpolitik im Allgemeinen und die Bekämpfung von Steuerbetrug im Besonderen für die nächste Europäische Kommission von vorrangiger Bedeutung bleiben muss. In diesem Sinne befürwortet der EWSA eine Debatte über die schrittweise Umstellung auf die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit und das ordentliche Gesetzgebungsverfahren in Steuerangelegenheiten. Gleichzeitig wird anerkannt, dass alle Mitgliedstaaten jederzeit über ausreichende Möglichkeiten verfügen müssen, um am Entscheidungsprozess teilzunehmen.

3.14.

Der EWSA hat wiederholt festgestellt, dass das Funktionieren des Binnenmarkts nach wie vor unbedingt gefördert und verbessert werden muss und dass es wichtig ist, die erforderlichen Bedingungen für einen fairen Wettbewerb und ein gutes Unternehmensumfeld zu schaffen und zu sichern. Dieses Problem kann durch Aktionen und Maßnahmen im Rahmen des Europäischen Semesters gelöst werden.

3.15.

Der EWSA ist sich der Tatsache bewusst, dass die enormen strukturellen Herausforderungen der europäischen Wirtschaft unvermeidbare soziale Auswirkungen und Folgen haben. Diese Herausforderungen können nur dann erfolgreich bewältigt werden, wenn die nötigen Voraussetzungen geschaffen und garantiert werden, um neue berufliche Fähigkeiten sowie Systeme für den Wechsel zwischen Berufen zu entwickeln, und wenn ein wirksamer und angemessener Sozialschutz gewährleistet wird. Der EWSA hält die europäische Säule sozialer Rechte für eine geeignete Plattform, um dieses Ziel zu erreichen, und befürwortet die Aufnahme ihrer Bestimmungen in die EU-Rechtsvorschriften.

3.16.

Der EWSA verweist auf das Ungleichgewicht zwischen dem Tempo, in dem im Finanzsektor Innovationen eingeführt werden, und der Fähigkeit der Regulierungssysteme, in Form von Regelungen und Schutzbestimmungen darauf zu reagieren. Der traditionelle Kreditsektor scheint dank immer strengerer Vorschriften sehr gut geschützt zu sein, doch verursachen diese Vorschriften hohe Befolgungskosten, während das Unternehmensumfeld häufig flexiblere und zugänglichere Instrumente brauchte. In diesem Sinne bilden die Bankenunion und das Euro-Währungsgebiet ein bedeutendes Ökosystem, von dem indes erwartet wird, dass es über bessere Regulierungssysteme und -vorschriften verfügt, um Investitionen im gesamten Binnenmarkt anzukurbeln und Hindernisse zu beseitigen, damit die Finanzmärkte nicht länger in durch nationale Grenzen stark eingeengt werden.

3.17.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Schaffung einer Finanzunion (einer Bankenunion, die funktional in eine Kapitalmarktunion integriert ist) und einer Wirtschafts- und Währungsunion zum Ende des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts noch immer unvollendet ist. Der EWSA begrüßt die Fortschritte, die insbesondere im Bereich der Wirtschaftsunion erzielt wurden, wobei sich das kontinuierlich verbesserte Instrument des Europäischen Semesters als positiv erwiesen hat. Gleichzeitig stellt er mit Besorgnis fest, dass im Falle der Währungsunion (sowohl aus Sicht einiger Mitgliedstaaten, die noch nicht dem Euro-Währungsgebiet angehören, als auch im Hinblick auf die Außenvertretung und Verwaltung des Euro-Währungsgebiets), aber auch der Finanzunion in den letzten Monaten keine greifbaren Fortschritte erzielt wurden. Der EWSA begrüßt, dass die Widerstandsfähigkeit und Robustheit des Finanzsektors des Euro-Währungsgebiets zugenommen haben, und unterstützt Maßnahmen zur Beseitigung der verbliebenen Schwächen. Er fordert eine rasche Umsetzung des europäischen Einlagenversicherungssystems (EDIS) und begrüßt die Ankündigung der Europäischen Kommission, den europäischen Aufsichts- und Regelungsrahmen einschließlich der Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche zu verstärken.

3.18.

Im Hinblick auf die Stärkung der politischen Säule der WWU begrüßt der EWSA die Auffassung der Europäischen Kommission bezüglich der Einbindung der Sozialpartner in beschäftigungspolitische und sozioökonomische Reformen. Er hält dies für einen wesentlichen Schritt zur Stärkung der Eigenverantwortung und zur Unterstützung der Umsetzung von Reformen. Vor allem aber ist die Einbeziehung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft insgesamt von entscheidender Bedeutung für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der finanziellen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Säule der WWU.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Nach Ansicht des EWSA ist die Berücksichtigung der ökologischen Dimension und ihrer sozialen Auswirkungen im Wirtschaftssystem und im täglichen Verhalten der Wirtschaftsakteure sowie der Entscheidungsträger und Akteure auf politischer Ebene unabdingbar.

4.2.

Der Grüne Deal muss inhaltlich mit der sozialen Dimension verknüpft werden. Wir müssen einerseits die Herausforderungen des Klimawandels angehen, andererseits aber auch inklusives Wachstum fördern, die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft verbessern, Ungleichheiten verringern, faire Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmer schaffen, die Weiterbildungssysteme für Arbeitnehmer ausbauen und die Probleme im Zusammenhang mit Armut und sozialer Ausgrenzung lösen. Der EWSA begrüßt die Einbeziehung der europäischen Säule sozialer Rechte und der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung in das Europäische Semester. Diese Bemühungen müssen jedoch weiter formalisiert werden.

4.3.

Der EWSA nimmt mit großem Interesse den Vorschlag zur Schaffung eines Investitionsplans für ein zukunftsfähiges Europa und eines Fonds für einen gerechten Übergang zur Kenntnis. Er begrüßt die Festlegung der diesbezüglichen Ziele und die in diesem Zusammenhang vorgeschlagenen Maßnahmen wie die Erhöhung der für Klima- und Umweltmaßnahmen aufgewendeten Mittel aus dem EU-Haushalt. Er fügt jedoch hinzu, dass der Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa nicht ausreichen wird. Der Investitionsplan soll Investitionen in Höhe von rund 100 Mrd. EUR pro Jahr ermöglichen, während nach Schätzungen der Europäischen Kommission bis 2030 jährlich rund 260 Mrd. EUR an zusätzlichen Investitionen erforderlich sein werden, um die Klima- und Energieziele der EU zu erreichen. In dieser Hinsicht sollte insbesondere der Fonds für einen gerechten Übergang als Kernstück des Mechanismus für einen gerechten Übergang gestärkt werden. Die künftigen Stellungnahmen des EWSA zu diesen Initiativen werden detailliertere Bewertungen dazu enthalten.

4.4.

Der EWSA schlägt vor, den Grünen Deal für Europa als Plattform für die Förderung des gemeinsamen europäischen Mehrwerts, der gemeinsamen Erfordernisse und Interessen und der gemeinsamen Investitionen zu betrachten, deren Erträge nicht nur für die einzelnen Akteure, sondern für die gesamte EU und den gesamten Euroraum von Nutzen sein wird.

4.5.

Im Hinblick auf die erfolgreiche Umsetzung des Grünen Deals für Europa ist ein ausgewogener Ansatz für die gesamte EU und das Euro-Währungsgebiet sehr wichtig. Der EWSA hält diesen Parameter für ausschlaggebend, um günstige Bedingungen für eine fortschreitende Konvergenz und makroökonomische Stabilität zu gewährleisten.

4.6.

Der EWSA ist sich bewusst, dass unter dem Gesichtspunkt der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen ein umsichtiges und reibungsloses Funktionieren der nationalen fiskalpolitischen Mechanismen sehr wichtig ist. Dazu gehören auf der Einnahmenseite beispielsweise die Fairness und Transparenz der Steuersysteme und die Einhaltung der Steuervorschriften und auf der Ausgabenseite die Festlegung angemessener Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen und die Anwendung von Kriterien zur Festlegung und Messung der Wirksamkeit und Qualität der öffentlichen Ausgaben.

4.7.

Im Hinblick auf eine verbesserte Funktionsweise des Binnenmarkts und seiner Verbindungen zum Europäischen Semester mittels genauer Zielvorgaben in den länderspezifischen Empfehlungen, der Verknüpfung mit dem EU-Haushalt und der konsequenten Einhaltung der sich aus diesen Empfehlungen ergebenden Verpflichtungen empfiehlt der EWSA, den Nutzen dieser Maßnahmen systematisch zu bewerten, um eine Fiskalkapazität zu schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit Europas insgesamt zu stärken und die ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu verbessern.

4.8.

Gegenstand unseres Interesses sollte nicht nur die öffentliche Verschuldung, sondern auch der Schutz des öffentlichen Wohlstands sein. Nicht nur für Klimaschutzmaßnahmen werden erhebliche Ressourcen nötig sein. Nach der Stagnation bei den öffentlichen Investitionen ist es nun von entscheidender Bedeutung, die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur (z. B. im Bereich der Digitalisierung) zu erhöhen, was nicht nur kurzfristig das Wirtschaftswachstum ankurbeln, sondern auch längerfristige Produktionskapazitäten für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft sicherstellen wird. Nach Ansicht der Europäischen Kommission muss die Haushaltspolitik den geldpolitischen Kurs der EZB ergänzen. Mit der Haushaltsregel für öffentliche Investitionen (sog. „goldene Regel“) könnte unter Wahrung der Haushaltsdisziplin ein Anstieg der öffentlichen Investitionen zu diesem Zweck angeregt und weiter stimuliert werden.

4.9.

Um die Flexibilität und Widerstandsfähigkeit des Euro-Währungsgebiets gegenüber wirtschaftlichen Schocks zu erhöhen, sollte ein Instrument eingeführt werden, mit dem die Mitgliedstaaten bei der Bewältigung der Folgen solcher Schocks unterstützt und im Vorfeld besser darauf vorbereitet werden, ihnen standzuhalten. Der EWSA begrüßt daher sowohl das vorgeschlagene Haushaltsinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit (BICC) (4) als auch die Einigung über die Stärkung der Rolle des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Gleichzeitig warnt der EWSA vor der Gefahr, dass das Gleichgewicht zwischen den wichtigsten Säulen (siehe oben), auf denen die WWU beruht, gestört wird. Im Hinblick auf die Steuerung der Stabilisierungsinstrumente unterstützt der EWSA deren Demokratisierung durch eine stärkere Einbeziehung des Europäischen Parlaments und der Sozialpartner im Rahmen der politischen Säule der WWU unter gleichzeitiger Wahrung der Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte und der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung.

Brüssel, den 19. Februar 2020

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 106; ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 32.

(2)  Diese Themen waren unlängst Gegenstand von Stellungnahmen des EWSA: ABl. C 47 vom 11.2.2020, S.106, ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 131, ABl. C 282 vom 20.8.2019, S. 20.

(3)  ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 90.

(4)  Siehe die EWSA-Stellungnahme ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 106.


ANHANG

Die folgende Ziffer der Stellungnahme der Fachgruppe wurde gemäß dem vom Plenum angenommenen Änderungsantrag geändert. Die bisherige Fassung wurde allerdings mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt (Artikel 59 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

3.13.

Der EWSA hält weitere Überlegungen über die Relevanz und Nachhaltigkeit der bestehenden Parameter des Steuersystems für erforderlich. Die Steuern im Euro-Währungsgebiet sind relativ hoch, wobei vor allem der Faktor Arbeit stark besteuert wird, die Umwelt- und die Vermögensteuern im Durchschnitt indes nur einen sehr geringen Teil des gesamten Steueraufkommens ausmachen. Der EWSA weist daher darauf hin, dass neue Besteuerungsformen eingeführt werden müssen, durch die einerseits die steuerliche Belastung der Arbeit verringert wird, während beispielsweise Finanzspekulationen stärker besteuert werden. Er empfiehlt, faire steuerrechtliche Bedingungen einzuführen, insbesondere in Bezug auf neue Formen der digitalen Wirtschaft, in denen das Kapital hauptsächlich dazu genutzt wird, Werte abzuschöpfen (value extraction), anstatt Waren herzustellen oder Dienstleistungen zu erbringen. In Zukunft könnten Umweltsteuern ein wichtiges Instrument sein, um das Verhalten von Verbrauchern und Erzeugern stärker auf die Umwelt auszurichten, ohne die Bedingungen für das Wirtschaftswachstum erheblich zu beeinträchtigen. Gleichzeitig weist der EWSA darauf hin, dass etwaige Änderungen der Steuersysteme die ohnehin schon ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung nicht noch mehr verschärfen dürfen. Der EWSA fordert, die Anstrengungen zur Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuerumgehung (aggressive Steuerplanung) fortzusetzen und zu verstärken, um das Steuersystem effizienter zu machen. Der EWSA stimmt mit der Europäischen Kommission darin überein, dass bei der Festlegung der Parameter für die Steuerpolitik eine engere Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich ist, um faire Bedingungen im Binnenmarkt zu schaffen. Der EWSA unterstützt die Europäische Kommission auch in ihren Bemühungen und Überlegungen, einen Konsens über die GKKB und einen Überblick über die Gewinnverteilung unter den Mitgliedstaaten zu erzielen. Der EWSA unterstützt die Initiative der Kommission zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit und hält es für wichtig, dass diese Initiative schrittweise umgesetzt und ein breiter Konsens über die Bedingungen für die Anwendung dieser Art der Beschlussfassung erzielt wird.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

80

Nein-Stimmen:

48

Enthaltungen:

21