ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 282

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

62. Jahrgang
20. August 2019


Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

2019/C 282/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Schaffung eines auf sozialwirtschaftliche Unternehmen abgestimmten europäischen Rechtsrahmens (Initiativstellungnahme)

1

 

STELLUNGNAHMEN

2019/C 282/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Für eine bessere Umsetzung der Säule sozialer Rechte und die Förderung wesentlicher Dienstleistungen (Initiativstellungnahme)

7

2019/C 282/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Rolle transnationaler Cluster bei der Stärkung der wirtschaftlichen Konvergenz und der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb von Makroregionen am Beispiel der EU-Strategie für den Donauraum (Sondierungsstellungnahme)

14


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

2019/C 282/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Die Investitionsoffensive für Europa: Bestandsaufnahme und nächste Schritte(COM(2018) 771 final)

20

2019/C 282/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat (Euro-Gipfel), den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Hin zu einer stärkeren internationalen Rolle des Euro(COM(2018) 796 final)

27

2019/C 282/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten(COM(2019) 151 final)

32

2019/C 282/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat: Die weitere Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union — Aktuelle Lage und mögliche nächste Schritte (COM(2019) 163 final)

39

2019/C 282/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1313/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Katastrophenschutzverfahren der Union(COM(2019) 125 final — 2019/0070 (COD))

49

2019/C 282/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Ein sauberer Planet für alle — Eine Europäische strategische, langfristige Vision für eine wohlhabende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft(COM(2018) 773 final)

51


 

Berichtigungen

2019/C 282/10

Berichtigung der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2015/757 zwecks angemessener Berücksichtigung des globalen Datenerhebungssystems für den Kraftstoffverbrauch von Schiffen  ( Amtsblatt der Europäischen Union C 240 vom 16.7.2019 )

60


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Schaffung eines auf sozialwirtschaftliche Unternehmen abgestimmten europäischen Rechtsrahmens“

(Initiativstellungnahme)

(2019/C 282/01)

Berichterstatter: Alain COHEUR

Beschluss des Plenums

12.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

28.5.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

159/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die europäische Integration braucht gegenwärtig neue Impulse — die Förderung vielfältiger Unternehmensformen bietet die Chance, in Europa für Beschäftigung, Innovation, sozialen Zusammenhalt und Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen. Das EU-Recht beruht auf einer vereinfachenden Darstellung der auf dem Binnenmarkt bestehenden Unternehmensformen, sodass die sozialwirtschaftlichen Unternehmen, die weder gewinnorientierte Kapitalgesellschaften noch Organisationen ohne Erwerbszweck (gemeinnützige Organisationen) sind, schlicht aus dem Raster fallen.

1.2.

Für die Führung sozialwirtschaftlicher Unternehmen und Organisationen gelten gemeinsame Merkmale, Werte und Prinzipien wie z. B. der Vorrang des Menschen und des Gesellschaftsgegenstands gegenüber dem Kapital, die freiwillige und offene Beteiligung sowie die demokratische Steuerung. Ihr Ziel besteht nicht in der kurzfristigen Gewinnmaximierung, sondern in der Gewährleistung ihres langfristigen Bestands. Gewinne werden in die Schaffung bzw. in den Erhalt von Arbeitsplätzen oder in die Entwicklung von Aktivitäten investiert, die dem Gesellschaftsgegenstand entsprechen, alternativ dazu werden sie im Verhältnis zum jeweiligen Beitrag der einzelnen Mitglieder unter diesen aufgeteilt.

1.3.

Im EU-Recht wird den Spezifika der Sozialwirtschaft — insbesondere dem unterschiedlichen Ansatz in Bezug auf den Unternehmensgewinn — nicht Rechnung getragen. Artikel 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wird so ausgelegt, dass gemeinnützige Organisationen (ohne Erwerbszweck) Gesellschaften gegenüberstehen, die eine Wirtschaftstätigkeit mit Erwerbscharakter ausüben. Diese zweite Kategorie umfasst somit ohne weitere Differenzierung und ungeachtet der Rechtsform sämtliche Unternehmen, die Gewinne erwirtschaften, ohne zu berücksichtigen, ob die Gewinne weitergegeben werden oder nicht.

1.4.

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und die Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission lassen ein unzureichendes Interesse an Unternehmen erkennen, die im für sie jeweils geltenden nationalen Recht als „gemeinnützig“ bezeichnet werden oder die, unabhängig von einer solchen Bezeichnung, auf einer Konzeption von Eigentum, Unternehmensführung und Verwendung von Gewinnen beruhen, die sie erheblich von gewinnorientierten Kapitalgesellschaften unterscheiden, insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu Finanzierungsquellen. Angesichts der Notwendigkeit, das Potenzial aller Unternehmensformen auszuschöpfen, und eingedenk des Grundsatzes der Wertungsfreiheit des EU-Rechts gegenüber den einzelnen Unternehmenstypen dürfte sich die Herausbildung eines uniformen Unternehmenstypus verhindern lassen.

1.5.

Der EWSA

schlägt daher vor, einen EU-Rechtsrahmen für eine bessere Anerkennung sozialwirtschaftlicher Unternehmen zu schaffen. Dieser Rahmen würde sich auf einen neuen Begriff — die eingeschränkte Gewinnorientierung — stützen, die als Kriterium auf sämtliche Unternehmen angewandt würde, die zwar auf die Erwirtschaftung von Gewinnen abzielen, deren Zweck jedoch nicht in ihrer Ausschüttung an die Eigentümer besteht, da sie auf Solidarität bzw. das Allgemeinwohl ausgerichtet sind;

fordert die Kommission auf, eine Studie zum Begriff „eingeschränkte Gewinnorientierung“ sowie zu den Unternehmensformen durchzuführen, die den vorgenannten Kriterien entsprechen. Im Rahmen einer solchen Studie könnte zum einen genauer ermittelt werden, welche rechtlichen, finanziellen und steuerlichen Rahmenbedingungen die betroffenen Unternehmen zur Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit benötigen, zum anderen könnten gegebenenfalls bewährte Verfahren entwickelt werden;

fordert die Kommission auf, sich wie schon in ihrer Mitteilung über die Einstufung staatlicher Beihilfen weiter für Genossenschaften einzusetzen und die einschlägigen Bestimmungen auf alle sozialwirtschaftlichen Unternehmen auszuweiten;

fordert die Kommission ferner dazu auf, eine Auslegungsmitteilung zu Artikel 54 AEUV sowie zu den das Wettbewerbsrecht betreffenden Artikeln des Vertrags vorzulegen und darin den Begriff der Gemeinnützigkeit im EU-Recht klar zu definieren;

ist der Auffassung, dass dem AEUV nach dem Vorbild des Protokolls Nr. 26 über Dienste von allgemeinem Interesse ein Protokoll über die Vielfalt der Unternehmensformen beigefügt werden sollte, und fordert die Mitgliedstaaten auf, diese Änderung bei einer in der Zukunft vorzunehmenden Vertragsrevision zu berücksichtigen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.   Politische Anerkennung der Sozialwirtschaft

2.1.1.

Die Sozialwirtschaft entspricht der gelebten Realität in den Volkswirtschaften und Gebieten der Europäischen Union (EU). Sie umfasst 2,8 Mio. Unternehmen und Organisationen unterschiedlicher Art — u. a. Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften, Sozialunternehmen, Vereine und Stiftungen —, die eine Wirtschaftstätigkeit ausüben, 8 % des BIP der EU ausmachen und 13,6 Mio. Menschen beschäftigen — d. h. 6 % der Arbeitnehmer in Europa. Die Bandbreite reicht von Kleinstunternehmen über KMU bis hin zu großen sozialwirtschaftlichen Konzernen, die in sämtlichen Branchen tätig sind. Aufgrund ihrer Bedeutung und ihres breiten Tätigkeitsspektrums ist die Sozialwirtschaft ein ausschlaggebender Faktor für ein nachhaltiges, innovatives, sozial inklusives und ökologisches Wirtschaftswachstum in Europa.

2.1.2.

Die Sozialwirtschaft muss noch mehr politische Anerkennung erhalten. Allerdings wurden bereits beachtliche Fortschritte erzielt — dies zeigen die Erklärung von Luxemburg zur Sozialwirtschaft in Europa („A Roadmap towards a more comprehensive ecosystem for social economy enterprises“), die von den 28 Mitgliedstaaten erstmals einstimmig gebilligten Schlussfolgerungen des EU-Rates (Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz) zum Thema „Förderung der Sozialwirtschaft als treibende Kraft der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Europa“, die Erneuerung der Sachverständigengruppe für Sozialwirtschaft und Sozialunternehmen der Europäischen Kommission im Jahr 2018 sowie die Aufforderung des Europäischen Parlaments (EP) an die Kommission, dafür zu sorgen, dass die Spezifika der Sozialwirtschaft bei der Gestaltung von EU-Maßnahmen berücksichtigt werden.

2.1.3.

Der EWSA hat mehrfach darauf hingewiesen, wie wichtig die Anerkennung der Sozialwirtschaft ist und dass die EU der Vielfalt der Unternehmensformen in ihren Regeln und Vorschriften Rechnung tragen muss sowie ein eigener Aktionsplan für die Sozialwirtschaft erarbeitet werden sollte.

2.1.4.

Ohne den Beitrag der sozialwirtschaftlichen Unternehmen lässt sich die europäische Säule sozialer Rechte nicht wirksam umsetzen. Daher kommt es nun darauf an, konkret für deren Einbindung in die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der EU zu sorgen. In Krisenzeiten haben sich die sozialwirtschaftlichen Unternehmen als widerstandsfähiger erwiesen, zudem sind sie in der Lage, negative soziale Folgen abzufedern, vor allem aber erhalten und fördern sie durch ihre Tätigkeit den sozialen Zusammenhalt und sind Quelle sozialer Innovationen. Darüber hinaus entsprechen viele davon — in erster Linie aufgrund ihrer Organisationsform, aber auch wegen ihrer Wirtschaftstätigkeit — den in der europäischen Säule sozialer Rechte hoch gehaltenen Zielen: Sie sind per se darauf ausgerichtet, Ziele wie die Förderung sicherer und anpassungsfähiger Beschäftigung, den sozialen Dialog und die Arbeitnehmerbeteiligung sowie ein sicheres, gesundes und angemessenes Arbeitsumfeld zu verwirklichen oder innovative Lösungen für bestimmte grundlegende soziale Bedürfnisse zu bieten.

2.2.   Fehlende rechtliche Anerkennung — eine dichotomische und vereinfachende Konzeption von Unternehmensformen

2.2.1.

Die sozialwirtschaftlichen Unternehmen werden im EU-Recht nur zu einem sehr geringen Grad anerkannt. In der Vergangenheit wurde mit verschiedenen Initiativen versucht, die Gründung europäischer Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften, Vereine und Stiftungen zu fördern. Einziges Ergebnis war jedoch der Verordnungsentwurf über die Europäische Genossenschaft.

2.2.2.

Inzwischen scheint der satzungsmäßige kategoriespezifische Ansatz zugunsten zweier anderer Ansätze aufgegeben worden zu sein:

einerseits zugunsten der Bekanntmachung des Begriffs „sozialwirtschaftliches Unternehmen“ auf europäischer Ebene und der Schaffung mehrerer Finanzinstrumente, die deren Finanzierungsbedarf decken, und,

andererseits, zugunsten unverbindlicher Empfehlungen der Kommission insbesondere an jene Mitgliedstaaten, die noch nicht über einen entsprechenden nationalen Rechtsrahmen verfügen, sozialwirtschaftliche Unternehmen auf einzelstaatlicher Ebene zu fördern.

2.2.3.

Obwohl das EP, der Rat und die Kommission die Absicht bekunden, auf die Entwicklung aller sozialwirtschaftlichen Unternehmen abzustellen, sind die vorgenannten Maßnahmen nur auf gemeinnützige Unternehmen und nicht auf alle Arten von sozialwirtschaftlichen Unternehmen zugeschnitten. Zudem bergen diese Maßnahmen das Risiko einer eingeengten Sichtweise der Sozialwirtschaft, die auf gesellschaftlich relevante Tätigkeiten beschränkt ist.

2.2.4.

Vor allem verschleiern die geltenden Texte und jüngsten Vorschläge einen wesentlichen Punkt: das gesamte EU-Recht fußt auf einer dichotomischen und daher vereinfachten Konzeption von Wirtschaftsakteuren.

2.2.5.

Diese Dichotomie wurde bereits im Vertrag von Rom verankert und spiegelt sich im geltenden Artikel 54 AEUV zur Niederlassungsfreiheit wider. Demgemäß kennt das EU-Recht nur zwei Arten von Einrichtungen: auf der einen Seite die Organisationen ohne Erwerbszweck, zu denen ausschließlich die gemeinnützigen Organisationen zu zählen sind, und, auf der anderen Seite, die Unternehmen, unter die insbesondere Handelsgesellschaften und Gesellschaften des bürgerlichen Rechts fallen und zu denen auch die Genossenschaften gezählt werden.

2.2.6.

Ob Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften, sozialwirtschaftliche Unternehmen oder Vereine — alle Unternehmen, die eine wirtschaftlich tragfähige Geschäftstätigkeit ausüben und gegebenenfalls Überschüsse erzielen, werden demnach als kapitalistische, gewinnorientierte Unternehmen eingestuft. Sozialwirtschaftliche Unternehmen sind jedoch nicht auf Gewinnmaximierung oder Kapitalrendite ausgerichtet, sondern verfolgen ein soziales Ziel.

2.2.7.

Dieses mangelnde Interesse an den Besonderheiten der sozialwirtschaftlichen Unternehmen schlägt sich auch im Wettbewerbsrecht nieder, das die sozialwirtschaftlichen Unternehmen unterschiedslos allen anderen Unternehmen gleichstellt und diese ohne Berücksichtigung von Rechtsform und Art der Finanzierung als Rechtsträger versteht, der eine Wirtschaftstätigkeit auf einem Markt ausübt. Dieses Außerachtlassen der Rechtsform, der Ziele und damit der besonderen wirtschaftlichen und finanziellen Zwänge, denen sozialwirtschaftliche Unternehmen unterliegen, wird fallweise noch durch Auslegungen der Rechtsprechung und -lehre untermauert, in denen regelmäßig die Vorstellung verbreitet wird, dass nur ein Unternehmen, das einen Erwerbszweck verfolgt, um seine Gewinne oder die Kapitalrendite zu maximieren, der marktwirtschaftlichen Norm entspricht.

2.2.8.

Sämtliche EU-Vorschriften sind von dem Modell des kapitalistischen gewinnorientierten Unternehmens geprägt. So wird trotz der Vorteile, den solche Strukturen für das Gemeinwohl in den EU-Mitgliedstaaten bringen, — abgesehen von einer etwaigen Einstufung als DAWI — weder im Konzern- bzw. Gesellschaftsrecht noch im Vergabe- bzw. Steuerrecht zwischen sozialwirtschaftlichen Unternehmen und anderen Unternehmensformen unterschieden.

2.2.9.

Eine ernsthafte politische Anerkennung ist folglich ohne eine rechtliche, im AEUV verankerte Anerkennung nicht möglich. Dies wiederum erfordert notwendigerweise die Beseitigung der ursprünglichen grundlegenden Unklarheit.

2.2.10.

Im EU-Recht gilt in Bezug auf die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Neutralität.

Daraus folgt zum einen, dass die Eigentumsordnung in Unternehmen nicht in die Zuständigkeit der EU fällt, und zum anderen, dass die EU-Bestimmungen nicht dazu führen dürfen, dass eine Eigentumsordnung vorgeschrieben wird.

2.2.11.

Ebenso wenig findet das EU-Recht Anwendung bei der Entscheidung, einem Unternehmen entweder eine kapitalistische, gewinnorientierte Struktur zu geben, bei der das Kräfteverhältnis den Aktien- oder Gesellschaftsanteilen entspricht, oder es sozialwirtschaftlich auszurichten, sodass die Machtverteilung personen- und nicht kapitalabhängig ist und Überschüsse nur sehr begrenzt oder gar nicht ausgeschüttet werden, um sie wieder vollständig dem Gesellschaftszweck zuzuführen.

2.2.12.

Führt die Neutralität jedoch dazu, dass ganze Wirtschaftszweige nicht anerkannt werden und dass sich eine bestimmte Unternehmensform als Modell oder Bezugsnorm für die rechtliche Gestaltung durchsetzen kann, wird der Grundsatz untergraben.

2.2.13.

Der EWSA hat bereits 2009 in einer Initiativstellungnahme über die unterschiedlichen Unternehmensformen darauf hingewiesen, dass die wirtschaftliche Vielfalt in der EU anerkannt werden muss.

2.2.14.

Die gesamte EU-Rechtsordnung sollte überarbeitet werden, um ein besseres Verständnis der spezifischen Rolle und Funktionsweise von Unternehmen zu gewährleisten, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben erfüllen und die von ihnen erwirtschafteten Erträge strikt gemäß ihrem Gesellschaftszweck verwenden.

2.2.15.

Eine Lösungsmöglichkeit bestünde daher darin, die sozialwirtschaftlichen Unternehmen neben den gewinnorientierten Unternehmen einerseits und den gemeinnützigen Organisationen andererseits als eine dritte Kategorie von Wirtschaftsakteuren anzuerkennen, die ihre Gewinnorientierung freiwillig zugunsten anderer Zwecke einschränken.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.   Eingeschränkte Gewinnorientierung: gemeinsamer Nenner von Unternehmen der Sozialwirtschaft

3.1.1.

Durch die Einführung des Begriffs „eingeschränkt gewinnorientiertes Unternehmen“ könnte der grundlegende Unterschied zwischen sozialwirtschaftlichen Unternehmen und kapitalistisch ausgerichteten Unternehmen klargestellt werden. Eine Organisation als eingeschränkt gewinnorientiert zu bezeichnen, bedeutet, dass ihre Gewinnorientierung ein Mittel und nicht ein Ziel ihrer Tätigkeit ist.

3.1.2.

Erstens wird anerkannt, dass die Tätigkeit rentabel sein muss, sodass die Organisation nicht von Subventionen oder Schenkungen abhängt, um finanziell im Gleichgewicht zu sein.

3.1.3.

Zweitens müssen etwaige Überschüsse je nach Struktur für die Bildung von Rücklagen oder die Tätigkeit genutzt werden, um die Tragfähigkeit und Weiterentwicklung der Geschäftstätigkeit durch Investitionen sicherzustellen. Genossenschaften beispielsweise können einen Teil der Überschüsse in Form von Rückvergütungen oder Zinsen an ihre Mitglieder ausschütten; allerdings kann nur ein Teil der Überschüsse rückvergütet werden, dessen Höhe theoretisch davon abhängt, welche Geschäfte die Mitglieder getätigt haben, und nicht davon, welche Anteile sie am Kapital halten.

3.1.4.

Drittens darf die Gewinnerzielung nicht das einzige Ziel der Tätigkeit sein. Sozialwirtschaftliche Unternehmen verfolgen mit ihrem Geschäftszweck andere Ziele als Renditen auf eingesetztes Kapital oder Gewinnmaximierung. Ihre Ziele bestehen darin, entweder den Interessen ihrer Mitglieder oder dem allgemeinen Interesse zu dienen, häufig ergänzt durch weitere Ziele im Sinne des gesellschaftlichen, territorialen oder ökologischen Zusammenhalts.

3.1.5.

Die mit dem Geschäftszweck unmittelbar verbundenen Einschränkungen bei Betriebsabläufen und Unternehmensführung sind in den Statuten des Unternehmens festgelegt. Dennoch gilt es, der Existenz der Akteure, die sich für diese spezifischen Unternehmensformen entscheiden, auch im EU-Recht Geltung zu verschaffen und ihre Entwicklung innerhalb des Binnenmarkts zu ermöglichen.

3.1.6.

Durch die Einführung des Begriffs „eingeschränkte Gewinnorientierung“ werden folgende Möglichkeiten eröffnet:

a)

Es wird vermieden, dass die Anerkennung der Sozialwirtschaft allein auf gemeinnützige Unternehmen — das heißt auf Unternehmen, die bestimmte gemeinnützige Tätigkeiten ausüben — beschränkt ist, obwohl die sozialwirtschaftlichen Unternehmen unabhängig von ihrer Branche wirtschaftliche, soziale und gebietsbezogene Bedürfnisse erfüllen. Die von ihnen erwirtschafteten Überschüsse kommen in erster Linie den Mitgliedern von Genossenschaften und Gegenseitigkeitsgesellschaften sowie lokalen Nutzern von Vereinen im Dienstleistungssektor zugute. Sie werden niemals Vergütungen an Hedgefonds oder Investoren aus aller Welt leisten;

b)

die Achtung der vielfältigen nationalen Ausprägungen des Unternehmertums bei gleichzeitiger Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips wird sichergestellt.

3.2.   Transversale Anwendungen

Das Konzept des eingeschränkt gewinnorientierten Unternehmens lässt sich in verschiedenen Politikbereichen der EU umsetzen:

3.2.1.   Niederlassungsfreiheit

3.2.1.1.

Im Bereich der Niederlassungsfreiheit könnte die offizielle Anerkennung der Existenz eingeschränkt gewinnorientierter Unternehmen durch eine erste redaktionelle Änderung erreicht werden.

3.2.1.2.

Artikel 54 AEUV und die Niederlassungsfreiheit könnten sich auf Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und Handelsgesellschaften, einschließlich Genossenschaften und anderer juristischer Personen des öffentlichen und privaten Rechts, erstrecken und dabei sowohl vollständig als auch eingeschränkt gewinnorientierte Unternehmen umfassen.

3.2.1.3.

Die Niederlassungsfreiheit stellt für bestimmte Formen sozialwirtschaftlicher Unternehmen eine ernsthafte Herausforderung dar. Da sich die Rechtsvorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr stark voneinander unterscheiden, sind Unternehmen bei der Ausübung der Niederlassungsfreiheit oft gezwungen, im Mitgliedstaat der Niederlassung Statute zu erlassen, die nicht den im Herkunftsmitgliedstaat geltenden Bestimmungen entsprechen. Tatsächlich gibt es für sozialwirtschaftliche Unternehmen kein Äquivalent zur Europäischen Gesellschaft. Durch eine Mindestanerkennung sozialwirtschaftlicher Unternehmen — insbesondere im Wege einer Mitteilung zur Auslegung von Artikel 54 AEUV — könnte einerseits eine stärkere Berücksichtigung der Spezifika dieser Unternehmensform im EU-Recht bewerkstelligt und andererseits könnten Überlegungen zu den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten angestoßen werden, die sich für die Frage der Niederlassung anböten (etwa verstärkte Kooperationen).

3.2.1.4.

Damit wäre ein erster Schritt in einem umfassenderen Prozess der Bewusstseinsbildung und Begleitung auf europäischer Ebene zur Förderung der Sozialwirtschaft getan. An diesem Prozess müssen sich sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten beteiligen, die dazu ermutigt werden sollten, auf nationaler Ebene die notwendigen Rahmenbedingungen für die Sozialwirtschaft zur Förderung flexibler Strukturen eingeschränkt gewinnorientierter Unternehmen zu schaffen.

3.2.2.   Wettbewerbsrecht

3.2.2.1.

Der Begriff „eingeschränkte Gewinnorientierung“ sollte sich unbeschadet der für die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse geltenden Vorschriften (Artikel 106 Absatz 2 AEUV einschließlich Ergänzungs- und Auslegungstexte) auch im Wettbewerbsrecht anwenden lassen.

3.2.2.2.

Auch wenn für die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf einem Markt nur das Kriterium der wirtschaftlichen Tätigkeit auf einem Markt relevant ist, könnten bei der Anwendung der Regeln Anpassungen vorgenommen werden, um bestimmte Besonderheiten der sozialwirtschaftlichen Unternehmen zu berücksichtigen.

3.2.2.3.

Der EuGH hat im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen bestätigt, dass sich Genossenschaften gegenüber gewinnorientierten Unternehmen in Bezug auf Beschränkungen beim Zugang zu Finanzmitteln für ihre Geschäftstätigkeit in einer besonderen Situation befinden. In einer Entscheidung des Gerichtshofs wurde festgestellt, dass die Steuervergünstigungen für Genossenschaften nicht zur Begründung eines selektiven Vorteils für Genossenschaften herangezogen werden konnten, weil die jeweiligen Situationen der Genossenschaften und Kapitalgesellschaften nicht vergleichbar waren.

Der Gerichtshof begründet seine Auffassung mit den besonderen Eigenschaften von Genossenschaften hinsichtlich der Kontrolle, der nicht ausschließlich geschäftlichen Beziehung mit den Genossenschaftsmitgliedern sowie vor allem ihres erschwerten Zugangs zu den Kapitalmärkten und der Tatsache, dass sie sich zur Sicherstellung ihrer Entwicklung zwingend auf Eigenmittel und Kredite stützen müssen.

3.2.2.4.

In ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe nahm die Kommission den Standpunkt des EuGH zu Genossenschaften zur Kenntnis. Sie weist darauf hin, dass Steuervergünstigungen für Genossenschaften möglicherweise nicht in den Anwendungsbereich der Beihilfevorschriften fallen.

3.2.3.   Freier Dienstleistungsverkehr und Vergabe öffentlicher Aufträge

3.2.3.1.

Die Kommission hat den Zugang von Sozialunternehmen zu öffentlichen Aufträgen zu einem Schwerpunktthema erklärt und betont, dass die Teilnahme an Ausschreibungen für bestimmte Sozialunternehmen problematisch ist.

3.2.3.2.

Die Option eines geschützten Markts ist von vornherein ausgeschlossen. Es besteht jedoch eine allgemeine Ausnahme für Wirtschaftsakteure, deren Hauptanliegen die Förderung der sozialen und beruflichen Eingliederung von Personen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist. Darüber hinaus wird den Mitgliedstaaten in der Richtlinie 2014/24 auch die Möglichkeit eingeräumt, die Vergabe öffentlicher Aufträge im Gesundheits-, Sozial- und Kulturbereich eingeschränkt gewinnorientierten Unternehmen vorzubehalten, die bestimmte weitere betriebliche Kriterien erfüllen.

3.2.3.3.

Zu beachten ist aber, dass sich eingeschränkt gewinnorientierte Unternehmen im Bieterverfahren, d. h. in einem nach dem freien und liberalen Modell durchgeführten Auswahlverfahren, nicht immer in einer günstigen Wettbewerbsposition wiederfinden. Auch hier können die fallweise geringe Unternehmensgröße oder der erschwerte Zugang zu Finanzierungsquellen für Investitionen unabhängig von der angestrebten Tätigkeit einen Wettbewerbsnachteil darstellen. Daher sollten diese unterschiedlichen Voraussetzungen bei der Aufteilung öffentlicher Aufträge in Lose sowie bei den Zuschlagskriterien im Zusammenhang mit dem wirtschaftlich günstigsten Angebot berücksichtigt werden.

3.2.4.   Besteuerung

3.2.4.1.

In Bezug auf die Besteuerung erkannte die Kommission ebenfalls im Jahr 2013 an, dass ein vorteilhafter steuerlicher Rahmen die soziale Wirkung von Sozialunternehmen belohnt. Es sollte eine Debatte über einen vorteilhaften steuerlichen Rahmen eingeleitet werden, durch den die soziale Wirkung aller Unternehmen im Hinblick auf den sozialen, ökologischen und territorialen Zusammenhalt in umfassenderer Weise belohnt wird.

Brüssel, den 19. Juni 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


STELLUNGNAHMEN

20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Für eine bessere Umsetzung der Säule sozialer Rechte und die Förderung wesentlicher Dienstleistungen“

(Initiativstellungnahme)

(2019/C 282/02)

Berichterstatter: Raymond HENCKS

Mitberichterstatter: Krzysztof BALON

Beschluss des Plenums

24.1.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

22.5.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

128/3/6

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Schlussfolgerungen

1.1.

Der Begriff „essenzielle Dienstleistungen“ kommt zwar in dieser Form nicht in den Verträgen vor, wird jedoch in der EU durch den 20. Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte eingeführt, welcher besagt, dass „jede Person […] das Recht auf den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung, Verkehr, Finanzdienste und digitale Kommunikation [hat]. Hilfsbedürftigen wird Unterstützung für den Zugang zu diesen Dienstleistungen gewährt.“

1.2.

Angesichts der in diesem Grundsatz angeführten Beispiele für essenzielle Dienstleistungen vertritt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) die Auffassung, dass es sich dabei um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) handelt, die bereits im Unionsrecht sowie insbesondere in dem im Anhang des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) enthaltenen Protokoll Nr. 26 über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse verankert sind. In den Auslegungsbestimmungen zu diesem Protokoll wird der Begriff nicht nur als reine Gewährleistung eines „hochwertigen Zugangs“ verstanden, sondern weiter gefasst, wobei ein Teil dieser Dienstleistungen (mit erheblichen Unterschieden zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten) jedoch unzureichend geregelt und umgesetzt wird.

1.3.

Der EWSA begrüßt daher, dass im 20. Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte das Recht auf Zugang zu essenziellen Dienstleistungen bzw. DAWI bekräftigt wird, die ein wesentliches Element der sozialen Gerechtigkeit bilden und sich auf den Grundsatz der Gleichbehandlung der Nutzer unter Verbot jedweder Art von Diskriminierung bzw. Ausschluss sowie auf den Grundsatz des universellen Zugangs unter Gewährleistung eines hohen Maßes an Erschwinglichkeit und Qualität stützen.

Empfehlungen

Recht auf Zugang

1.4.

Damit der in der Säule festgeschriebene Grundsatz, demzufolge „jede Person […] Recht auf den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen [hat]“, wirksam umgesetzt werden kann, müssen konkrete Maßnahmen im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts ergriffen werden. Gleichzeitig muss:

a)

der Grundsatz durch Rechts- bzw. Verwaltungsbestimmungen garantiert werden, in denen er für die einzelnen Bereiche definiert wird und die jeweiligen Anwendungsmodalitäten festgelegt werden;

b)

angegeben werden, an welche Instanzen sich die Bürgerinnen und -bürger bei Verstößen wenden können;

c)

es möglich sein, gegen den Grundsatz Beschwerde einzulegen bzw. ein Rechtsmittel zu ergreifen.

Universeller Zugang

1.5.

Der EWSA fordert eine Klärung des Konzepts des universellen Zugangs zu DAWI sowie gesetzgeberische Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Festlegung von Indikatoren verpflichten, um für die einzelnen DAWI zu definieren, was der universelle Zugang umfasst (Dichte der Dienstzugangspunkte, maximale Entfernung zum nächsten Dienstzugangspunkt, Regelmäßigkeit der Dienste usw.). So soll verhindert werden, dass für die Nutzer essenzielle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse insbesondere in städtischen, ländlichen oder dünn besiedelten Gebieten (z. B. öffentlicher Nahverkehr, Postämter, Bankfilialen) überhaupt nicht mehr oder nur unzureichend angeboten werden. Sollte dies bereits der Fall sein, muss für ein gleichwertiges Alternativangebot gesorgt werden.

Universaldienst

1.6.

Der für Elektrizitätsversorgung, elektronische Kommunikationsdienste sowie Post- und Bankdienstleistungen geltende Universaldienst ist nicht gleichzusetzen mit einem universellen Zugang, da er nur einen beschränkten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen garantiert. Dies gilt insbesondere für die elektronischen Kommunikationsdienste: Die im Rahmen des Universaldienstes in diesem Bereich erbrachten Dienstleistungen hinken dem aktuellen Stand der Technik weit hinterher, entsprechen nicht mehr den auf dem Markt angebotenen modernen Kommunikationswerkzeugen und vertiefen die digitale Kluft in den von den großen Ballungszentren weit entfernten Regionen nur noch weiter.

1.7.

Der EWSA fordert daher, den Universaldienst anzupassen und Dienstleistungen auf dem aktuellen Stand der Technik sowie eine flächendeckende Versorgung mit netzgebundenen Diensten allgemein sowie insbesondere mit elektronischen Kommunikationsdiensten zu gewährleisten.

Erschwinglichkeit

1.8.

Ein erschwinglicher Zugang wird immer seltener mittels eines sogenannten „vernünftigen“ Sozialtarifs gewährleistet, sondern zunehmend durch Sozialleistungen, die ausschließlich den Ärmsten zustehen. Der Zugang zu DAWI stellt jedoch nicht nur diese vor erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der EWSA bekräftigt daher seine Forderung, das Kriterium der Erschwinglichkeit zu definieren, indem ein Korb von als essenziell eingestuften Dienstleistungen erstellt wird, wobei die Aufwandsrate der Haushalte für die einzelnen darin befindlichen Dienstleistungen so festzusetzen ist, dass sie im Verhältnis zum sozialen Mindestlohn bzw. Mindesteinkommen als angemessen gelten kann. Wird diese Aufwandsrate überschritten, gelten die Preise als überhöht und erfordern Regulierungsmaßnahmen bzw. führen zu einem Anspruch auf staatliche Unterstützung.

Dienstleistungsqualität

1.9.

Angesichts der Qualitätsmängel bei verschiedenen DAWI in bestimmten Mitgliedstaaten (Verspätungen bzw. Annullierungen im öffentlichen Verkehr, schlechtes bzw. nicht flächendeckendes Angebot an elektronischen Kommunikationsdiensten usw.) fordert der EWSA die Mitgliedstaaten dazu auf, Indikatoren für die DAWI festzulegen, mit denen sich die Zufriedenheit in Bereichen wie Schnelligkeit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Komfort, Verfügbarkeit, Kompetenz und Hilfsbereitschaft der Dienstleister sowie weitere Aspekte wie Umweltfreundlichkeit, Arbeitsbedingungen und Verbraucherschutz bewerten lassen.

1.10.

In Bezug auf die im EU-Recht vorgesehenen Entschädigungen für Qualitätsmängel (Verspätungen oder Annullierungen von Zugverbindungen oder Flügen, Verlust oder Beschädigung von Postsendungen) kann sich der EWSA nicht des Eindrucks erwehren, dass manche Dienstleister lieber (geringe) Entschädigungszahlungen leisten, als in Qualität zu investieren. Er fordert daher, die Höhe der aktuellen Entschädigungszahlungen zu überprüfen und bei Verstößen gegen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen bzw. Universaldienstverpflichtungen für alle DAWI generell angemessene Entschädigungen vorzusehen.

Bewertung

1.11.

Um einen hochwertigen Zugang zu gewährleisten, muss notwendigerweise für eine laufende Leistungsbewertung der betreffenden Dienstleistungen gesorgt werden. Der EWSA fordert die Entscheidungsträger zu diesem Zweck auf, zunächst einmal die Begriffe, Ziele und Aufgaben sämtlicher DAI und DAWI eindeutig zu definieren.

1.12.

Der EWSA spricht sich in diesem Zusammenhang für eine Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene aus, die unabhängig, pluralistisch und kontrovers erfolgen, die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekte berücksichtigen, auf einer großen Anzahl von Kriterien beruhen sowie alle betroffenen Parteien einbeziehen muss, wobei dafür auf EU-Ebene eine neue einheitliche Bewertungsmethodik auf der Grundlage gemeinsamer Indikatoren zu entwickeln ist.

Europäisches Semester

1.13.

In dem im Rahmen des Europäischen Semesters erstellten sozialpolitischen Scoreboard, das die Situation in Bezug auf die in der europäischen Säule sozialer Rechte verankerten Grundsätze abbilden soll, fehlen Indikatoren zu den DAWI. Der EWSA fordert daher, die essenziellen Dienstleistungen nach Maßgabe des 20. Grundsatzes der europäischen Säule sozialer Rechte als festen Bestandteil in das sozialpolitische Scoreboard des Europäischen Semesters aufzunehmen.

2.   Einleitung

2.1.

In der Göteborger Erklärung vom 17. November 2017 zur europäischen Säule sozialer Rechte haben sich das Europäische Parlament, der Rat und die Europäische Kommission dazu verpflichtet, das in den Gründungsverträgen gegebene Versprechen — die Schaffung einer in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt ausgerichtet ist — einzulösen.

2.2.

Mit den 20 Grundsätzen der europäischen Säule sozialer Rechte sollen vor allem die Schwachstellen der Verträge ausgeglichen werden — sie prägen daher die Struktur der europäischen Rechtsordnung mit, sind ausschlaggebend für die Wahrung der Grundrechte und tragen zur Angleichung der in den einzelstaatlichen Rechtssystemen und im EU-Recht geltenden Werte bei.

2.3.

In der Säule werden einige Rechte bekräftigt, die bereits Teil des Besitzstands der Union sind, und es werden neue Grundsätze hinzugefügt, welche auf die Herausforderungen abzielen, die sich aus den gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ergeben haben (1). Dies kommt dem Eingeständnis gleich, dass die sozialen Rechte — oder zumindest Teile davon — gegenwärtig unzureichend geregelt sind und umgesetzt werden, wobei dies von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variiert.

2.4.

Da die Mitgliedstaaten für die Nichteinhaltung der allgemeinen Grundsätze des EU-Rechts belangt werden können, „bedarf es zuerst der Annahme entsprechender Maßnahmen oder Rechtsvorschriften auf der zuständigen Ebene“, „damit die Grundsätze und Rechte rechtlich durchsetzbar sind“ (2).

3.   Essenzielle Dienstleistungen

3.1.

Laut dem 20. Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte zum „Zugang zu essenziellen Dienstleistungen“ hat „jede Person […] das Recht auf den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung, Verkehr, Finanzdienste und digitale Kommunikation. Hilfsbedürftigen wird Unterstützung für den Zugang zu diesen Dienstleistungen gewährt.“

3.2.

In den Verträgen kommen nur die Begriffe „öffentliche Dienstleistung“ (Verkehr) und „Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichem) Interesse“ vor, nicht jedoch der Begriff „essenzielle Dienstleistungen“. Der 20. Grundsatz enthält jedoch keinerlei Definition des Begriffs „essenzielle Dienstleistungen“. Es werden lediglich einige Beispiele angeführt, ohne dass diese Aufzählung erschöpfend wäre. Der Begriff „essenzielle Dienstleistungen“ wird aber im Zusammenhang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen häufig gebraucht und deckt bestimmte Dienstleistungen ab, die auch in anderen Grundsätzen der europäischen Säule sozialer Rechte genannt werden.

3.3.

Das Recht auf essenzielle Dienstleistungen ist somit nicht auf jene beschränkt, die im 20. Grundsatz aufgezählt werden, sondern betrifft auch andere Grundsätze, insbesondere zu den Bereichen Kinderbetreuung und -fürsorge, Gesundheitsdienste, Inklusion von Menschen mit Behinderungen, Langzeitpflege, Wohnen und Obdachlosenhilfe. Um das Recht auf Zugang zu hochwertigen essenziellen Dienstleistungen umzusetzen, müssen daher sowohl konkrete Maßnahmen im Zusammenhang mit DAWI als auch mit den vorgenannten Bereichen ergriffen werden. Der EWSA erinnert in diesem Zusammenhang an die Verantwortung und den weiten Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Definition, Organisation und Finanzierung von DAI, die den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger entsprechen.

3.4.

In Ermangelung einer Definition und mit Blick auf die im 20. Grundsatz aufgeführten Beispiele für Dienstleistungen ist eindeutig davon auszugehen, dass es sich hierbei um „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ handelt, die Universaldienstverpflichtungen oder gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegen, für die Artikel 36 der Europäischen Charta der Grundrechte und Artikel 14 AEUV sowie das Protokoll Nr. 26 über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse gelten.

3.5.

Im 20. Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte werden somit nur Rechte bekräftigt, die bereits im Vertrag verankert sind. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich die Auslegungsbestimmungen zu dem im Anhang zum AEUV enthaltenen Protokoll Nr. 26 zu DAI nicht auf die reine Gewährleistung eines „hochwertigen Zugangs“ beschränken, sondern „ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung und Förderung des universellen Zugangs und der Nutzerrechte“ vorsehen. Nach Auffassung des EWSA sind DAWI wesentliche Bestandteile eines Systems für soziale Gerechtigkeit, weshalb er es begrüßt, dass sie im 20. Grundsatz als „essenzielle Dienstleistungen“ bezeichnet werden.

3.6.

Damit der in der Säule festgeschriebene Grundsatz, demzufolge „jede Person […] Recht auf den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen [hat]“, wirksam umgesetzt werden kann, müssen konkrete Maßnahmen im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts ergriffen werden. Gleichzeitig muss:

a)

der Grundsatz durch Rechts- bzw. Verwaltungsbestimmungen garantiert werden, in denen er für die einzelnen Bereiche definiert wird und die jeweiligen Anwendungsmodalitäten festgelegt werden;

b)

angegeben werden, an welche Instanzen sich die Bürgerinnen und -bürger bei Verstößen wenden können;

c)

es möglich sein, gegen den Grundsatz Beschwerde einzulegen bzw. ein Rechtsmittel zu ergreifen.

3.7.

Die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) wie Stromversorgung, Personenschienen- und -straßenverkehr oder elektronische und postalische Kommunikation, die als „netzgebundene Wirtschaftszweige“ bezeichnet werden, sind seit Ende der 1980er-Jahre im Hinblick auf die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarkts für diese Dienste zunehmend „europäisiert“ und liberalisiert worden.

3.8.

Dabei musste jedoch schnell festgestellt werden, dass die gemeinsamen Wettbewerbs- und Binnenmarktregeln für die Bereitstellung dieser Dienstleistungen nicht ausreichen, sondern es notwendigerweise spezifischer Regelungen bedarf, um für alle Bürgerinnen und -bürger einen erschwinglichen Zugang zu diesen als essenziell eingestuften und als gemeinsame Werte der Union anerkannten Dienstleistungen zu gewährleisten.

3.9.

Ihre Verankerung im Primärrecht wurde im Vertrag von Lissabon aktualisiert. In dem Protokoll Nr. 26 zum AEUV werden die gemeinsamen Werte der Union und insbesondere die sechs Werte genannt, die für alle DAWI in der gesamten Europäischen Union gelten müssen: „Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung, universeller Zugang und Nutzerrechte“.

4.   Bewertung der Anwendung von Protokoll Nr. 26

4.1.

Es liegt keine umfassende Bewertung vor, inwiefern sich die Liberalisierung der DAWI positiv (Preissenkung, Diversifizierung des Angebots) bzw. negativ (Preisanstieg, Entstehung von Oligopolen, „Rosinenpicken“ auf den Märkten, Prekarisierung von Arbeitsplätzen, Sozialdumping) ausgewirkt hat. Einige der in der europäischen Säule sozialer Rechte genannten essenziellen Dienstleistungen tragen wirksam zum wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt sowie zu den sozialen Bindungen bei. Bei anderen ist es durch die Öffnung für den Wettbewerb zu Preissteigerungen und/oder dazu gekommen, dass sie ihren Gemeinwohlauftrag weniger gut als zuvor erfüllen (3).

4.2.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten werden nicht nur stärker dazu verpflichtet, für ein ordnungsgemäßes Funktionieren der DAWI zu sorgen, wofür insbesondere ein progressives Konzept zur Leistungsbewertung dieser Dienstleistungen entwickelt werden muss, sondern die Entscheidungsgremien müssen darüber hinaus klar die Begriffe, Ziele und Aufgaben definieren. Solange dies nicht geschehen ist, können die Leistungsbewertungen nicht dazu beitragen, den Bürgerinnen und Bürgern jene DAWI zu garantieren, die diese zu Recht von ihren nationalen und europäischen Institutionen erwarten können.

4.3.

Anfang der 2000er-Jahre hatte die Kommission damit begonnen, auf der Grundlage ihrer Mitteilung zur Methodik der horizontalen Bewertung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (4) alljährlich eine bereichsübergreifende Leistungsbewertung für die netzgebundenen Wirtschaftszweige zu erstellen. Diese Berichte wurden regelmäßig vorgelegt und im EWSA im Rahmen einer öffentlichen Anhörung kontrovers diskutiert. Noch 2007 veranstaltete die Kommission im EWSA einen Workshop zu einer neuen Bewertungsmethodik auf der Grundlage einer von einem externen Berater durchgeführten Studie, danach geriet die Idee einer Bewertung der DAI jedoch in Vergessenheit.

4.4.

Der EWSA bekräftigt die bereits in seiner Initiativstellungnahme „Eine unabhängige Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ (5) erhobene Forderung, wonach die Bewertung der DAI auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene unabhängig, pluralistisch und kontrovers erfolgen, die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekte berücksichtigen, auf einer großen Anzahl von Kriterien beruhen sowie alle betroffenen Parteien einbeziehen muss, wobei dafür auf EU-Ebene eine neue einheitliche Bewertungsmethodik auf der Grundlage gemeinsamer Indikatoren zu entwickeln ist.

5.   Recht auf Zugang zu essenziellen Dienstleistungen

5.1.

In Artikel 36 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist festgeschrieben, dass diese „den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wie er durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Einklang mit den Verträgen geregelt ist, [anerkennt und achtet]“, „um den sozialen und territorialen Zusammenhalt der Union zu fördern“.

5.2.

Im 20. Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte wird das Recht aller Bürgerinnen und -bürger auf Zugang zu hochwertigen DAI als Bestandteil der gemeinsamen Werte der EU somit nur bekräftigt. So wie im Protokoll Nr. 26 werden auch in der Säule weder die Bedingungen für diesen Zugang noch der Leistungsumfang oder Rechtsbehelfe definiert.

5.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich das Konzept eines garantierten Zugangs für alle auf die Grundsätze der Gleichbehandlung, Solidarität, Universalität, Kontinuität, Bürgernähe und Erschwinglichkeit stützen muss.

6.   Gleichbehandlung

6.1.

Gleichbehandlung ist im Zusammenhang mit DAI als Gewährleistung eines in vergleichbaren Situationen für alle Nutzer gleichberechtigten Zugangs (universeller Zugang) zu nationalen und grenzübergreifenden Dienstleistungen zu verstehen, wobei jedwede Form der Diskriminierung oder sozialen Ausgrenzung (aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Geschlechts, des Wohnorts, einer Behinderung, des Alters usw.) verboten ist.

6.2.

Die Gleichbehandlung bzw. die Verpflichtung zur Nichtdiskriminierung stehen jedoch nicht der Umsetzung von Maßnahmen entgegen, die bestimmten Kategorien von Nutzern (ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität usw.) bestimmte Vorteile einräumen.

6.3.

Im Falle mancher Dienstleistungen ist das Recht auf universellen Zugang entweder durch einen Universaldienst oder durch gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen für die Dienstleistungserbringer zu gewährleisten.

7.   Universaldienst

7.1.

Der Universaldienst ist im Rahmen der Liberalisierung bestimmter DAWI gerechtfertigt, bei denen der Markt alleine nicht in der Lage ist, für eine flächendeckende Versorgung, erschwingliche Preise oder eine angemessene Dienstleistungsqualität zu sorgen. Er umfasst ein „Bündel von Anforderungen an die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, durch die sichergestellt wird, dass bestimmte Dienste in einer bestimmten Qualität allen Verbrauchern und Nutzern im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unabhängig von ihrem geografischen Standort und unter Berücksichtigung der landesspezifischen Gegebenheiten zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung gestellt werden“ (6). Dieser Universaldienst ist auf Unionsebene bislang nur für die Wirtschaftszweige elektronische Kommunikation, Postdienste, Stromversorgung und Bankdienstleistungen definiert.

7.2.

Die Definition von „Universaldienst“ gilt also nur für „bestimmte Dienste“, d. h. für eine abschließende Aufzählung von Dienstleistungen. Der Universaldienst ist somit nicht mit dem universellen Zugang gleichzusetzen, gewährleistet er doch nicht den Zugang zu sämtlichen auf dem Markt angebotenen Dienstleistungen.

7.3.

Dies gilt insbesondere für die elektronischen Kommunikationsdienste (7): Die im Rahmen des Universaldienstes in diesem Bereich erbrachten Dienstleistungen hinken dem aktuellen Stand der Technik weit hinterher und entsprechen nicht mehr den auf dem Markt angebotenen modernen Kommunikationswerkzeugen.

7.4.

Viele Mitgliedstaaten, Regionen und Ballungsgebiete verzeichnen bei den Breitbanddiensten und/oder der flächendeckenden Versorgung mit Mobilfunkdiensten (graue bzw. weiße Flecken) einen erheblichen Rückstand, dabei kommt diesen Diensten heutzutage eine entscheidende Rolle für die Verbesserung der Lebensbedingungen zu, erleichtern sie doch beispielsweise den Zugang zu Gesundheitsdiensten, zu Bildung sowie zu weiteren öffentlichen Dienstleistungen. Die gegenwärtigen Mängel beim „Universaldienst im Bereich der elektronischen Kommunikation“ führen somit zu einer weiteren Vertiefung der digitalen Kluft.

7.5.

In der einschlägigen Richtlinie ist hingegen vorgesehen, dass das „Konzept des Universaldienstes […] weiterentwickelt werden [muss], um Fortschritten bei der Technik und der Marktentwicklung sowie geänderten Nutzerbedürfnissen zu entsprechen“ (8). Zu diesem Zweck muss die Kommission den Umfang des Universaldienstes laut der vorgenannten Richtlinie alle drei Jahre überprüfen, insbesondere im Hinblick auf Vorschläge an das Europäische Parlament und den Rat, mit denen bezweckt wird, den Umfang zu ändern oder neu festzulegen.

7.6.

Der EWSA empfiehlt daher, die Bedingungen für den Zugang zu elektronischen Kommunikationsdiensten an den technischen Fortschritt anzupassen und insbesondere eine komplette Abdeckung mit Mobilfunk- und Breitbanddiensten vorzuschreiben.

8.   Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen

8.1.

Für bestimmte DAWI, für die kein Universaldienst besteht, wird das Recht auf universellen Zugang durch gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen gewährleistet, die den Erbringern dieser Dienstleistungen auferlegt werden.

8.2.

Für den öffentlichen Personenverkehr auf Straße und Schiene beispielsweise wird kein Universaldienst bereitgestellt. Er unterliegt gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, die definiert werden als „eine von der zuständigen Behörde festgelegte oder bestimmte Anforderung im Hinblick auf die Sicherstellung von im allgemeinen Interesse liegenden öffentlichen Personenverkehrsdiensten, die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte“ (9). Daraus ergibt sich, dass ein öffentlicher Verkehrsdienst, der dem Bedarf der Nutzer entspricht, nicht notwendigerweise marktwirtschaftlichen Regeln folgen muss. In vielen Mitgliedstaaten werden jedoch in den ländlichen bzw. weniger dicht besiedelten Gebieten aus Rentabilitätsgründen Verbindungen im öffentlichen Schienen- und Straßenverkehr gestrichen oder nicht ausreichend instandgehalten. Dies gilt auch für weitere Dienstleistungen wie etwa Postdienste (Schließung von Postämtern) sowie Bankdienstleistungen (Filialschließungen).

8.3.

Der EWSA fordert daher eine Klärung des Konzepts des universellen Zugangs zu DAWI sowie gesetzgeberische Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Festlegung von Indikatoren verpflichten, um für die einzelnen DAWI zu definieren, was der universelle Zugang umfasst (Dichte der Dienstzugangspunkte, maximale Entfernung zum nächsten Dienstzugangspunkt, Regelmäßigkeit der Dienste, Zahl der Dienstzugangspunkte usw.).

9.   Erschwinglichkeit

9.1.

Der Markt kann selbst im Idealfall nur einen an den Kosten orientierten Preis anbieten. Möglicherweise lässt sich jedoch damit der Zugang zu einer erschwinglichen DAWI nicht für alle sicherstellen. Eines der Risiken des freien Wettbewerbs liegt darin, dass die Erbringer von DAWI versucht sein könnten, nur jene Kunden zu versorgen, die sie a priori als „zahlungskräftig“ ansehen.

9.2.

Um diesem Risiko entgegenzuwirken, wurden die Mitgliedstaaten im Protokoll Nr. 26 dazu verpflichtet, bei allen DAWI ein hohes Ausmaß an Erschwinglichkeit sicherzustellen.

9.3.

Die Erschwinglichkeit wird definiert als „Preis von Dienstleistungen im Vergleich zum Einkommen von Verbrauchern mit niedrigem/durchschnittlichem Einkommen (für Verbraucher unterschiedlicher Einkommensniveaus)“ (10).

9.4.

Der Verpflichtung zur Bereitstellung erschwinglicher Dienstleistungen kommt somit eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung zu, da sie den Zugang zu DAWI für alle — unabhängig vom Einkommen — ermöglichen soll. Im 20. Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte scheint diesbezüglich eine weiterreichende Einschränkung getroffen zu werden, ist doch darin vorgesehen, dass (nur) „Hilfsbedürftigen […] Unterstützung für den Zugang zu diesen Dienstleistungen gewährt [wird]“.

9.5.

Es ist also festzustellen, dass der erschwingliche Zugang nicht mehr über einen sogenannten „vernünftigen“ Sozialtarif gewährleistet wird, sondern zunehmend über eine ausschließlich den Ärmsten gewährte soziale Unterstützung. Allerdings fällt es nicht nur den Ärmsten sehr schwer, sich den Zugang zu DAWI leisten zu können.

9.6.

Bleibt das Ziel eines erschwinglichen Zugangs für alle unerreicht, ergreifen die Regulierungsbehörden fallweise Maßnahmen zur Preisregulierung. So haben etwa die Kommission und die gesetzgebenden Organe der EU mit einer Verordnung eingegriffen, um die Preise für Mobilfunkdienste innerhalb der Union (Roaming-Gebühren) in einem ersten Schritt zu senken und dann ganz abzuschaffen, wenn der Nutzer auf Reisen in der EU ist, nicht jedoch, wenn er von seinem Wohnort aus in einem anderen Mitgliedstaat anruft. In ihrem Vorschlag für eine Verordnung über grenzüberschreitende Paketzustelldienste hat die Kommission verpflichtende Maßnahmen angekündigt, wenn die überhöhten Preise für die grenzüberschreitende Paketzustellung nicht bis spätestens Ende 2018 sinken (11).

9.7.

Mit Blick auf die Bewertung der Erschwinglichkeit der Preise fordert der EWSA bereits seit Jahren, das Konzept der Erschwinglichkeit von DAWI zu klären und legislative Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, Indikatoren zur Definition der Erschwinglichkeit festzulegen.

9.8.

Der EWSA bekräftigt seine Forderung, den Begriff „Erschwinglichkeit“ zu definieren, indem ein Korb von als essenziell eingestuften Dienstleistungen erstellt wird, wobei die Aufwandsrate der Haushalte für die einzelnen darin befindlichen Dienstleistungen so festzusetzen ist, dass sie im Verhältnis zum sozialen Mindestlohn bzw. Mindesteinkommen als angemessen gelten kann. Wird die Aufwandsrate überschritten, gelten die Preise als überhöht und erfordern Regulierungsmaßnahmen bzw. führen zu einem Anspruch auf staatliche Unterstützung.

10.   Hochwertige essenzielle Dienstleistungen

10.1.

Im Protokoll Nr. 26 werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, bei DAWI für ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität zu sorgen, wohingegen in der europäischen Säule sozialer Rechte nur von „hochwertigen“ essenziellen Dienstleistungen die Rede ist.

10.2.

In jedem Fall muss eine hochwertige Dienstleistung ihre Nutzer zufriedenstellen. Um dies zu gewährleisten, müssen die Nutzer, ihre Bedürfnisse und ihre Erwartungen ermittelt werden. Häufig werden die Nutzer jedoch erst im Nachhinein zu ihren Erwartungen befragt — dann nämlich, wenn es Beschwerden über Fehlfunktionen gibt.

10.3.

Auf Unionsebene wurden für zahlreiche DAI wie etwa Postdienste, elektronische Kommunikation, Wasserversorgung, Abfallentsorgung, Personenverkehr, Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse usw. Qualitätsstandards in unterschiedlichem Ausmaß festgelegt, wobei letzteres manchmal ziemlich bescheiden ist. Obwohl die europäische Bevölkerung mehrheitlich Zugang zu hochwertigem Trinkwasser hat, trinken viele Bürgerinnen und Bürger in einigen Mitgliedstaaten wegen des unangenehmen Geschmacks von Leitungswasser lieber in Flaschen abgefülltes Wasser. Die geltenden Standards müssen regelmäßig aktualisiert werden, um das Vertrauen der Verbraucher zu stärken und die Qualität von Leitungswasser zu verbessern und durch die so erzielte Verringerung der Plastikabfälle auch einen positiven Effekt für die Umwelt zu bewirken.

10.4.

Die Qualität einer Dienstleistung ist in einer Bewertung, wie sie der EWSA vorstehend vorschlägt, ein ganz entscheidender Faktor. Die Mitgliedstaaten müssen daher Indikatoren für die DAWI festlegen, mit denen sich die Zufriedenheit in Bereichen wie Schnelligkeit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Komfort, Verfügbarkeit, Kompetenz und Hilfsbereitschaft der Dienstleister usw. messen lässt. Qualität deckt aber auch weitere Aspekte wie Umweltfreundlichkeit, Arbeitsbedingungen und Verbraucherschutz ab.

10.5.

Die Qualität von Dienstleistungen steht in direktem Zusammenhang mit den Verbraucherrechten. Bei bestimmten DAWI (Schienenverkehr, Postdienste) sieht das EU-Recht im Fall von Qualitätsmängeln (Verspätung oder Annullierung von Zugverbindungen und Flügen, Verlust oder Beschädigung von Postsendungen) Entschädigungen vor. Angesichts der enormen Störungen, die in einigen Mitgliedstaaten beim Personenschienenverkehr auftreten, kann sich der EWSA nicht des Eindrucks erwehren, dass es manche Dienstleister vorziehen, (geringe) Entschädigungszahlungen zu leisten, als in Qualität zu investieren. Außerdem besteht in vielen Mitgliedstaaten nur bei Verspätungen von Fernzügen ein Anspruch auf Entschädigung. Bei Schienenpersonenverkehrsdiensten des Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrs müssen gemäß der im EU-Recht getroffenen Ausnahmeregelungen keine Entschädigungen geleistet werden (12).

10.6.

Der EWSA fordert, die Regelungen für Entschädigungen im Fall von Verspätungen auf alle Zugfahrten unabhängig von der zurückgelegten Strecke auszuweiten und den Entschädigungsanspruch für jede halbe Stunde Verspätung bei der Ankunft im Vergleich zum offiziellen Fahrplan bzw. für 15-Minuten-Tranchen bei der Abfahrt zu gewähren.

10.7.

Mit Blick auf die Verbraucherrechte fordert der EWSA, bei Nichterfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen generell für alle DAI Entschädigungen vorzusehen.

11.   Sozialpolitisches Scoreboard des Europäischen Semesters

11.1.

Das im Rahmen des Europäischen Semesters erstellte sozialpolitische Scoreboard soll die sozialpolitischen Herausforderungen aufzeigen, auf die die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte stoßen.

11.2.

Dieses Instrument liefert eine erste Analyse ergänzt durch eine tiefer reichende Analyse auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten und soll die Situation in Bezug auf die in der europäischen Säule proklamierten sozialen Rechte unter dem Gesichtspunkt der Schlüsselindikatoren des sozialpolitischen Scoreboards abbilden. Jedoch fehlen bei den im statistischen Anhang zu den Länderberichten aufgezählten Schlüssel- und sekundären Indikatoren des sozialpolitischen Scoreboards die essenziellen Dienstleistungen im Sinne des 20. Grundsatzes der europäischen Säule sozialer Rechte.

11.3.

Der EWSA fordert daher, die essenziellen Dienstleistungen nach Maßgabe des 20. Grundsatzes der europäischen Säule sozialer Rechte als festen Bestandteil in das sozialpolitische Scoreboard des Europäischen Semesters aufzunehmen.

Brüssel, den 19. Juni 2019.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Siehe Ziffer 14 der Präambel der europäischen Säule sozialer Rechte.

(2)  Siehe Ziffer 14 der Präambel der europäischen Säule sozialer Rechte.

(3)  Siehe Eurobarometer-Umfragen zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse.

(4)  COM(2002) 331 final.

(5)  267/2008.

(6)  Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 21. Mai 2003.

(7)  Richtlinie 2002/22/EG vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten.

(8)  Erwägungsgrund 1 der Richtlinie 2002/22/EG vom 7. März 2002.

(9)  Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 vom 23. Oktober 2007.

(10)  COM(2002) 331 final.

(11)  Vorschlag für eine Verordnung COM(2016) 285 final.

(12)  Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 vom 23. Oktober 2007.


20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/14


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle transnationaler Cluster bei der Stärkung der wirtschaftlichen Konvergenz und der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb von Makroregionen am Beispiel der EU-Strategie für den Donauraum“

(Sondierungsstellungnahme)

(2019/C 282/03)

Berichterstatter: Dimitris DIMITRIADIS

Befassung

20.9.2018

Schreiben von Victor NEGRESCU, beigeordneter rumänischer Minister für europäische Angelegenheiten

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

4.6.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

202/1/2.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass eine interregionale und länderübergreifende Zusammenarbeit, die auf bestehenden, historisch gewachsenen sozioökonomischen und kulturellen Beziehungen aufbaut, die notwendige Antwort auf die Herausforderungen infolge der raschen Ausdehnung der Europäischen Union (EU) ist. Diese ist ihrerseits teilweise eine Reaktion auf den zunehmenden globalen Wettbewerb und die damit einhergehende dringende Notwendigkeit einer sowohl geografischen als auch wirtschaftlichen Erweiterung kontrollierter Märkte. Von großer Bedeutung ist der Aufbau eines vernetzten, grenz- und sektorübergreifenden Systems der Zusammenarbeit auf der Grundlage der Multi-Level-Governance und der Schaffung eines strategischen Rahmens für Themenschwerpunkte zur Umsetzung gezielter Projekte in den Makroregionen, an denen sich die Fördereinrichtungen orientieren können.

1.2.

Die vier makroregionalen Strategien haben sich in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens als nützliche Instrumente zur Umsetzung der Kohäsionspolitik erwiesen. Sie haben insbesondere dazu beigetragen, die Integration und die Zusammenarbeit zu verbessern und wichtige Entwicklungen unter Einbindung der Bürger und Regionen zu ermitteln. Diese Strategien helfen beim Aufbau eines sowohl vertieften als auch erweiterten Europas, indem sie Kandidaten- und Nachbarländer als gleichberechtigte Partner einbinden und den Austausch von Erfahrungen fördern.

1.3.

In puncto Verringerung der sozialen und territorialen Unterschiede und ökologische Nachhaltigkeit sind die Ergebnisse allerdings immer noch unbefriedigend. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die verwaltungstechnischen und zwischenstaatlichen Vereinbarungen kompliziert sind, der bürokratische Aufwand erheblich ist, die einzelnen Regionen vereinbarte gemeinsame Strategien nicht einheitlich umsetzen und Sozialpartner, sozioökonomische Akteure und zivilgesellschaftliche Organisationen nur unzureichend eingebunden sind.

1.4.

Der EWSA unterstützt makroregionale Strategien als Laboratorien, in denen ein basisnaher Ansatz für die Bewältigung der neuen Probleme in der europäischen Gesellschaft und Wirtschaft entwickelt werden kann. Die Herausforderungen betreffen Bereiche wie Migration, nachhaltige Energieversorgung, Arbeitsmarkt, Bildung und Digitalisierung, die von den Staaten, Regionen und Gemeinden im Alleingang nicht bewältigt werden können. Eine regionenübergreifende, internationale Zusammenarbeit hingegen ist wirksamer und ermöglicht gemeinsame Lösungen.

1.5.

Makroregionale Strategien können die europäische Integration voranbringen, da sie als wesentlicher strategischer Rahmen für die Kohäsions- und Nachhaltigkeitspolitik fungieren. Makroregionale Strategien sollten neben spezifischen Programmen wie dem Programm für innovative Maßnahmen in Städten („Urban Innovative Actions“) finanziert werden. Es erscheint ratsam, im Rahmen des überarbeiteten Programmplanungsprozesses für die Kohäsionspolitik nach 2020 vorzuschreiben, dass der thematische Strategierahmen, der sich aus den makroregionalen Strategien ergibt, auch auf andere Politikbereiche sowie auf die Erweiterung und die nachbarschaftlichen Beziehungen der EU anzuwenden ist.

1.6.

Darüber hinaus sollten die makroregionalen Strategien auch auf die verschiedenen politischen Strategien im Rahmen der 2015 angenommenen Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung ausgerichtet werden. Dies wird dazu beitragen, die internationale Sichtbarkeit, Anerkennung und Unterstützung der regionalen Zusammenarbeit im Rahmen der vier makroregionalen Strategien zu fördern.

1.7.

Ausgehend von einer eingehenden Erörterung der genannten Aspekte unterbreitet der EWSA in Ziffer 5 dieser Stellungnahme konkrete Vorschläge für politische Maßnahmen. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: a) Verstärkter Handlungsbedarf seitens der Politik und notwendige Verringerung des bürokratischen Aufwands, b) Schaffung funktionierender Netzwerke und angemessene Vernetzung und Verwaltung bestehender Datenbanken sowie Unterstützung der Öffentlichkeit bei der Nutzung vorhandener Daten und Informationen, c) Priorisierung sowohl der räumlichen (regionenübergreifende Cluster und Clusterpartnerschaften) als auch der sektoralen Vernetzung und Clusterbildung zwischen Sozialpartnern und lokalen sozioökonomischen Akteuren und Organisationen der Zivilgesellschaft (mithilfe des Vierfach-Helix-Ansatzes), sowie d) Etablierung effizienter Netzwerke für Bildungsaktivitäten und Initiativen für wirksame interregionale Forschungs- und Innovationsökosysteme für Grundlagenforschung sowie angewandte Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten. Derartige Maßnahmen werden für künftige makroregionale Strategien von großem Nutzen sein.

1.8.

Die Entwicklung und Umsetzung makroregionaler Kommunikationsstrategien für die Interessenträger unterstützt maßgeblich die Sichtbarkeit und fördert die Vernetzung und Beteiligung. Die Stärkung der Kommunikation und die Vertrauensbildung zwischen der Governance-Ebene der makroregionalen Strategien und den Sozialpartnern, der Wirtschaft, den lokalen Akteuren, der Zivilgesellschaft und den Hochschulen sollte durch Anhörungen sowie durch nationale und makroregionale Aktionstage weiter unterstützt werden.

2.   Hintergrund der Stellungnahme

2.1.

Die makroregionalen Strategien der EU wurden eingeführt, um die länderübergreifende Umsetzung politischer Maßnahmen zu erleichtern und so den Zusammenhalt in größeren geografischen Gebieten zu fördern. Eines ihrer Ziele bestand darin, die Wettbewerbsfähigkeit und die sozioökonomische Entwicklung in Gebieten zu stärken, die sich über mehrere Staaten, darunter auch Drittstaaten, erstrecken.

2.2.

Die vorliegende Sondierungsstellungnahme war zunächst als Initiativstellungnahme geplant, mit der bestehende politische Dokumente der EU zu diesem Thema, darunter der Bericht des EP über die Umsetzung der makroregionalen Strategien der EU (1), geprüft werden sollten. Grundlage hierfür sollten verschiedene Bewertungen des EWSA der EU-Politik zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Konvergenz bilden. Auf Ersuchen des rumänischen Ratsvorsitzes wurde der Themenbereich jedoch erweitert, sodass nun auch die Bedeutung transnationaler Cluster (2) für die Stärkung der Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit innerhalb von Makroregionen beleuchtet wird. Die Stellungnahme soll vor allem Wege für eine gezieltere Ausrichtung und bessere Umsetzung makroregionaler Strategien aufzeigen. Hierfür sollen zunächst die spezifischen Bedürfnisse in der gesamten Region genauer ermittelt und somit die Umsetzung konkreter Ergebnisse sichergestellt werden, um in einem weiteren Schritt die verschiedenen Akteure zu einer aktiveren Teilnahme anzuregen. Dabei gilt der Grundsatz des „dreifachen Nein“.

2.3.

Die Stellungnahme entspricht den politischen Prioritäten des EWSA für 2018, insbesondere im Hinblick auf die „Stärkung des sozialen und territorialen Zusammenhalts und Durchsetzung der Grundrechte“. Sie steht ebenso im Einklang mit den prioritären Maßnahmen des Ausschusses für den sechsmonatigen EU-Ratsvorsitz sowie den Interessen von Industrie, Wissenschaft, Sozialpartnern und Zivilgesellschaft in den Makroregionen.

2.4.

Die Stellungnahme soll den politischen Entscheidungsträgern in ganz Europa konstruktive Impulse und eine objektive Analyse sowie praktische Vorschläge dazu bieten, wie sich die Umsetzung makroregionaler Strategien verbessern lässt. Sie wird konkret auch Aufschluss darüber geben, ob der Umfang dieser Strategien erweitert werden muss und welche innovativen Instrumente vorgeschlagen werden könnten, um Anreize für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Akteuren zu setzen. Hierbei werden auch die Chancen berücksichtigt, die sich aus der länder- und bereichsübergreifende Clusterbildung ergeben.

3.   Allgemeine Anmerkungen: Rückschau auf die Entwicklung der makroregionalen Strategien

3.1.

Die Erfolge der makroregionalen Strategien waren bislang eher verhalten. Gründe hierfür sind die komplexen Verwaltungsvereinbarungen, der hohe bürokratische Aufwand in verschiedenen Ländern und die uneinheitliche Umsetzung gemeinsamer beschlossener Strategien in den betroffenen Regionen. Dies hat dazu geführt, dass die Sozialpartner, die sozioökonomischen Akteure und die Organisationen der Zivilgesellschaft nicht ausreichend eingebunden waren. Das führte wiederum zu der Notwendigkeit, die Umsetzung makroregionaler Strategien mittels geeigneter Indikatoren besser zu überwachen. Hierzu bedarf es verlässlicher und vergleichbarer Daten, die ausreichend detailliert sind, um die Situation in der gesamten Region abzubilden (3).

3.2.

Aktuelle Untersuchungen haben ergeben, dass sich die vier bislang angenommenen makroregionalen Strategien — für den Ostseeraum, die Region Adria-Ionisches Meer, den Donauraum und den Alpenraum — in Bezug auf den wirtschaftlichen Entwicklungsstand der teilnehmenden Länder erheblich unterscheiden. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Wirtschaftsleistung starke Auswirkungen auf den Umfang der regionalen Zusammenarbeit und die Wirksamkeit der politischen Umsetzung hat. Darüber hinaus bestehen nach wie vor Probleme etwa in Bezug auf Engagement, Eigenverantwortung, Mittelausstattung und insbesondere die ineffektive Verwaltung in bestimmten Gebieten.

3.3.

Trotz der Unterschiede in der makroökonomischen Leistungsfähigkeit zeichnet sich die Makroregion des Donauraums durch enge Beziehungen zwischen den verschiedenen Gebieten der Region sowie durch eine hinreichende Integration in den Bereichen Handel, Investitionen und Energie aus. Betrachtet man jedoch die Wettbewerbsfähigkeit, ergibt sich ein anderes Bild: Hier gibt es, vor allem zwischen Stadt und Land, erhebliche Unterschiede. Auch in Bezug auf verwaltungstechnische und institutionelle Aspekte sind die Unterschiede groß.

3.4.

Allen vier makroregionalen Strategien scheint es gelungen zu sein, unterschiedliche Akteure zusammenzubringen, darunter auch diverse private Akteure sowie öffentliche Einrichtungen verschiedener Regierungsebenen. Insbesondere die EU-Strategie für den Donauraum (EUSDR) hat einen breiten Dialog und eine umfassende Zusammenarbeit auf politischer Ebene — auch mit Drittländern — ermöglicht. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass die größten Fortschritte in denjenigen Gebieten erzielt wurden, in denen die Zusammenarbeit auf engeren, historisch gewachsenen sozioökonomischen Beziehungen basiert.

3.5.

Die hohen Erwartungen an die Ergebnisse der multiregionalen Zusammenarbeit führten offensichtlich dazu, dass die Bedeutung des Aufbaus institutioneller Kapazitäten in den Anfangsphasen der Gestaltung der makroregionalen Strategien unterschätzt wurde. Bei der Festlegung der Agenda für die Zusammenarbeit in einer Makroregion müssen Aspekte hervorgehoben werden, die eine sektor- und gebietsübergreifende Koordinierung insbesondere im Hinblick auf den Aufbau institutioneller Kapazitäten erfordern.

3.6.

Der Gesamterfolg einer makroregionalen Strategie hängt davon ab, dass durch gemeinsame, regionenübergreifende Anstrengungen politische Lösungen entwickelt werden. Um Erfolge zu erzielen, ist es von entscheidender Bedeutung, eine von der Basis ausgehende Zusammenarbeit mit Sozialpartnern, sozioökonomischen Akteuren, Organisationen der Zivilgesellschaft und engagierten Akteuren aus dem gesamten geografischen Gebiet mithilfe des Vierfach-Helix-Ansatzes zu etablieren. Daran teilnehmen könnten beispielsweise Akteure aus der Industrie, der Wissenschaft, der Forschung und Entwicklung, der Verwaltung (insbesondere auf lokaler und regionaler Ebene), der Zivilgesellschaft und der Sozialwirtschaft.

3.7.

Im Zusammenhang damit steht die Tatsache, dass die Kommission grenzüberschreitende Cluster durch einige Programme und Finanzierungsinstrumente — Europe INNOVA, Interreg, EFRE und ESF — erheblich unterstützt hat, um gerade auch die Entwicklung der Humanressourcen und des lebenslangen Lernens zu unterstützen. Da auch weitere lokale und/oder private Ressourcen mobilisiert werden können, wurde dieser bereits bestehende Rahmen durch die aktuelle Unterstützung für europäische strategische Cluster-Partnerschaften innerhalb von Clusterprojekten der Programme COSME und INNOSUP-1 für neue industrielle Wertschöpfungsketten im Rahmen von Horizont 2020 (4) ergänzt. Auch Instrumente wie „InvestEU“und die Fazilität „Connecting Europe“wurden dafür eingesetzt. Es bedarf dringend koordinierter Maßnahmen, um bürokratische Hindernisse abzubauen und die Schaffung und den Betrieb von Unternehmensnetzwerken direkt zu fördern. Dies kann durch steuerliche Anreize, finanzielle Unterstützung von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten innerhalb von Clustern sowie ganzheitliche Strategien für grenzüberschreitende Vermarktung erfolgen.

3.8.

Bei der Ex-post-Bewertung der Kohäsionspolitik wird die Verknüpfung zwischen intelligenter Spezialisierung und Clustern betrachtet. Einschlägige Erfahrungen haben Folgendes gezeigt: 1.) Die Förderung der Vernetzung und des Aufbaus von Clustern zwischen Unternehmen zählt zu den erfolgreichsten Mitteln zur Unterstützung von Innovationen und Entwicklung bei KMU. Allerdings wird dieses Instrument nur in geringem Maße angewendet. Ein Beispiel ist das Projekt DanuBioValNet, durch das neue Wertschöpfungsketten für Bioprodukte in der Donauregion geschaffen werden. 2.) Mithilfe einer Vermittlung in Form von Beratungs- und Verwaltungsdienstleistungen (z. B. durch regionale Entwicklungsagenturen, Handelskammern, Clustermanager usw.) lassen sich Netzwerke und Cluster wirksamer aufbauen (5).

3.9.

Unterschiedliche Durchführungsbestimmungen in den einzelnen Ländern sind ein erhebliches Hindernis für die Verwirklichung zentral entwickelter Strategiepläne. Die Zusammenarbeit verläuft nur dann optimal, wenn moderne Ansätze wie Projektcluster, Projektketten und Projektplattformen verfolgt werden und der Schwerpunkt von der Kommunikation hin zu Koordinierung und schließlich zur gemeinsamen Gestaltung verlagert wird. Die Finanzierungsplanung sollte flexibel sein; sie muss den Kompetenzen und Rahmenbedingungen der einzelnen Regionen Rechnung tragen. Das Spektrum der vorhandenen finanziellen Mittel und Instrumente muss sorgfältig untersucht werden; hierzu zählt auch das Instrument für Heranführungshilfe (IPA II), dem ganz besondere Bedeutung zukommt.

3.10.

Für eine bessere Koordinierung und Steuerung der makroregionalen Strategien müssen die Aufgaben der einzelnen Akteure — insbesondere in Bezug auf die Finanzierung — klar definiert werden. Künftige Programme sollten nicht nur einzelne Projekte fördern, sondern auch die länderübergreifende Zusammenarbeit erleichtern. Vor diesem Hintergrund könnten lokale Akteure ihre Beiträge zur laufenden Diskussion über die Priorisierung von Zielen und Instrumenten für den nächsten Programmplanungszeitraum 2021-2027 aufeinander abstimmen. Dies könnte eine ausgezeichnete Gelegenheit sein, die vier makroregionalen Strategien zu revitalisieren und die Prioritäten zu berücksichtigen, die sich aus den Ansätzen der intelligenten Spezialisierung ergeben.

4.   Besondere Anmerkungen: jüngste Entwicklungen mit Auswirkungen auf die Zukunft der makroregionalen Strategien

4.1.

Fast zehn Jahre nach dem Start der ersten makroregionalen Strategie (EU-Strategie für den Ostseeraum — EUSBSR) ist die gegenwärtige politische und sozioökonomische Lage international und regional durch Tendenzen und/oder Erfordernisse gekennzeichnet, die eindeutig mit den makroregionalen Strategien zusammenhängen. Im Folgenden werden zunächst die Tendenzen infolge der strukturellen, sozioökonomischen Entwicklungen beleuchtet, woran sich Betrachtungen der Entwicklungen im Umweltschutz und des Problems der Ressourcenknappheit anschließen.

4.2.

Die derzeitige globale wirtschaftliche Situation macht deutlich, dass die Vernetzung von Straßen wichtiger ist als die Kontrolle räumlich begrenzter Märkte und Ressourcen. Daraus ergibt sich wiederum die globale Bedeutung der einzelnen Regionen — von der Ostseeregion über Osteuropa bis hin zum Schwarzen Meer und dem (östlichen) Mittelmeerraum. Da die Mobilität von Waren und Kapital in Europa und Asien für das zukünftige wirtschaftliche (und politische) Gefüge entscheidend ist, nehmen die Interessensunterschiede und Spannungen in der gesamten Region gegenwärtig zu. Dies ist somit auch Beleg dafür, dass die Entwicklung spezifischer makroregionaler Strategien durchaus zweckdienlich ist. Es zeigt auch, wie wichtig global gesehen das Gelingen dieser Strategien ist, und unterstreicht, dass es überregionaler Prioritäten bedarf.

4.3.

Eng damit verbunden ist die Tatsache, dass die Hauptmigrationsströme durch den Donauraum und die Region Adria-Ionisches Meer verlaufen. Neben der bereits erwähnten Mobilität von Waren und Kapital hat sich die Mobilität der Menschen als wichtiges sozioökonomisches, kulturelles und politisches Thema herauskristallisiert. Humanitäre Fragen, wirtschaftliche Chancen und sicherheitspolitische Belange sind Aspekte eines zentralen und komplexen Themenbereichs, der entsprechend dem historischen sozialpolitischen Besitzstand Europas auf die Agenda einer jeden makroregionalen Strategie gesetzt werden muss.

4.4.

Die Tatsache, dass zwei makroregionale Strategien der EU maritime Regionen betreffen, macht deutlich, wie wichtig Seeverbindungen, ökologische Aspekte und meeresbezogene wirtschaftliche Tätigkeiten sind. Die Akteure der EU-Strategie für den Ostseeraum (EUSBSR) und der EU-Strategie für die Region Adria-Ionisches Meer (EUSAIR) sollten daher den Prioritäten des „Blauen Wachstums“und den Risiken und Chancen im Zusammenhang mit der „Blauen Wirtschaft“, auf die u. a. die EU, der EWSA, die VN, der WWF hingewiesen haben, besondere Beachtung schenken.

4.5.

Ein wesentliches strategisches Ziel der makroregionalen Strategien bestand darin, die wirtschaftliche Konvergenz innerhalb der EU zu fördern, die für die wirtschaftliche Nachhaltigkeit und ein progressives politisches Gleichgewicht auf nationaler und europäischer Ebene von enormer Bedeutung ist. Bedauerlicherweise zeigen die Statistiken, dass die Regionen trotz des politischen Willens und der Bereitstellung entsprechender EU-Haushaltsmittel sozioökonomisch auseinanderdriften, was zu politischen Unruhen führen könnte (6). In den makroregionalen Strategien, insbesondere für Mittel- und Osteuropa, müssen diese Aspekte unbedingt berücksichtigt und die Bemühungen zur Umsetzung politischer Maßnahmen in diesem Bereich verstärkt werden. Dabei ist für eine echte Beteiligung der Sozialpartner, der lokalen sozioökonomischen Akteure sowie der Organisationen der Zivilgesellschaft zu sorgen. Gleichzeitig erweisen sich die makroregionalen Strategien als überaus hilfreich bei der Integration neuer und künftiger Mitgliedstaaten in die EU. Dies zeigt sich besonders an den westlichen Balkanstaaten und deren Verbindungen zur EUSDR und EUSAIR, aber auch an Moldawien und der Ukraine, die Unterstützung für die Umsetzung ihrer mit der EU geschlossenen Assoziierungsabkommen erhalten.

4.6.

Untersuchungen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften haben gezeigt, dass es notwendig ist, von einem auf Sozialschutz basierenden Ansatz (welfare) zu einem Konzept überzugehen, bei dem die Maximierung des Wohlergehens (well-being) im Vordergrund steht. Der Fokus sollte von quantitativen Skaleneffekten hin zu mehr qualitativer Vielfalt verlagert werden. Vor diesem Hintergrund ist die große Vielfalt Europas, die sich insbesondere in den Regionen der bestehenden makroregionalen Strategien aus der Geschichte und den natürlichen Gegebenheiten ergibt, im neuen globalen Zeitalter ein bedeutender Wettbewerbsvorteil. Daher sollte darauf geachtet werden, dass die notwendige Förderung der sozioökonomischen Konvergenz nicht mit Maßnahmen einhergeht, mit denen „soziokulturelle und ökologische Vielfalt“als Ressource herabgestuft wird. Makroregionale Strategien sollten vielmehr die Bewahrung der qualitativen Vielfalt und die Umsetzung von Projekten unterstützen, welche die gemeinsame, regionenübergreifende Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen fördern.

4.7.

Allgemein gesehen führt die Verschärfung des internationalen Wettbewerbs zu einem Bedeutungsgewinn der Vernetzung. Gleichwohl macht der enorme Anstieg der Arbeitsproduktivität, durch den qualitative Unterschiede immer wichtiger werden, die Schaffung von Clustern und Kooperationsstrukturen erforderlich, um Skalenvorteile bei bereichsübergreifenden Tätigkeiten (z. B. Werbung, Logistik und Verkehr, Forschung und Entwicklung) zu nutzen. Dabei muss jedoch — und vielleicht mehr denn je — die Fähigkeit erhalten bleiben, spezialisierte Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Mit anderen Worten: Aufgrund der aktuellen Entwicklungen auf den internationalisierten Märkten müssen räumliche und sektorübergreifende Cluster (halb-) unabhängiger Hersteller entwickelt werden. Darin sollte eine der wesentlichen Prioritäten der vier makroregionalen Strategien liegen (7).

4.8.

Mehrwert kann durch die Verknüpfung einzelner makroregionaler Strategien nach dem Vorbild der EUSBSR und der EUSDR erzielt werden (8). Machbar erscheint dies insbesondere beim Umweltschutz und der rationalen Nutzung der begrenzten Ressourcen und der Energie. Einschlägige, erfolgreiche Kooperationsprojekte der Handelskammern im Gebiet der EU-Strategie für den Donauraum (EUSDR) und der EU-Strategie für die Region Adria-Ionisches Meer (EUSAIR) sind hierfür beispielhaft (9).

4.9.

Entsprechend ihrem Ziel, wirtschaftlichen Wohlstand zu fördern, sollte der Schwerpunkt der makroregionalen Strategien zunehmend auf Initiativen und Verfahren für saubere Technologien gelegt werden, die die Umstellung von einer linearen Wirtschaft auf eine Kreislaufwirtschaft begünstigen. Beispiele hierfür sind EUSBSR-Projekte, die im Rahmen der Initiative für saubereres Wachstum verfolgt werden, und die Projekte CirculAlps sowie AlpLinkBioECO innerhalb der EU-Strategie für den Alpenraum (EUSALP).

4.10.

Der Klimawandel ist eine Herausforderung, die in größeren geografischen Gebieten koordiniert angegangen werden muss: Gezielte Investitionen in den Umweltschutz sollten helfen, die Auswirkungen extremer Wetterereignisse und sonstige negative Auswirkungen des Klimawandels abzufedern. Gleichzeitig sollten die herrschenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und ökologischen Merkmale der betroffenen Gebiete respektiert werden. Ein weiteres Beispiel ist, dass vermehrte Schiffstransporte, vor allem auf der Donau, in allen vom Straßengüterverkehr betroffenen Gebieten die Treibhausgasemissionen senken und die Luftqualität verbessern könnten. Die makroregionale Zusammenarbeit sollte zu geeigneten nachhaltigen und ganzheitlichen Verkehrsstrategien führen.

4.11.

Aufgrund der Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen drastisch zu senken (wie im Übereinkommen von Paris 2015 gefordert), sind die Marktanteile erneuerbarer Energieträger gestiegen. Die „Energiewende“erfordert die allmähliche Abschaltung von mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerken und einen raschen Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik. Diese Umstellung bringt erhebliche Veränderungen im Stromversorgungssystem mit sich, wobei neue Konzepte auch einen flexibleren Handel mit elektrischer Energie zwischen Regionen und Ländern ermöglichen werden. Durch makroregionale Zusammenarbeit dürfte die Wahrscheinlichkeit steigen, dass im Zusammenhang mit der Energiewende die richtigen Entscheidungen getroffen werden.

4.12.

Im Großen und Ganzen entsprechen die genannten Aspekte bezüglich der notwendigen Ausrichtung der makroregionalen Strategie den Maßnahmen der im Rahmen der im Jahr 2015 von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen angenommenen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Insbesondere sollten bei makroregionalen Strategien die laufenden Maßnahmen zur Erfüllung verschiedener Ziele für nachhaltige Entwicklungen berücksichtigt und möglicherweise eine Zusammenarbeit mit bestehenden Strategienetzwerken für die nachhaltige Entwicklung von Regionen angestrebt werden (10). Eine entsprechende Anpassung der Agenden der vier makroregionalen Strategien wird den erforderlichen ganzheitlichen Ansatzes stärken und darüber hinaus die internationale Sichtbarkeit, Anerkennung und Unterstützung der regionalen Zusammenarbeit innerhalb der EU erhöhen.

5.   Vorschläge für politische Maßnahmen

5.1.

Obwohl die Interventionen der Politik und das aktive Engagement im Hinblick auf makroregionale Strategien verstärkt werden müssen, gilt es auch, den bereits erheblichen bürokratischen Aufwand zu verringern. Dafür könnte die direkte Koordinierung öffentlicher Akteure im Rahmen der Europäischen Verbünde für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) oder die Zusammenarbeit mit privaten Interessenträgern bei spezifischen thematischen Inhalten angeregt werden.

5.2.

Es gibt zu wenige verlässliche und ausführliche Daten, um Vergleiche zwischen Regionen und Sektoren anstellen zu können. Generell ist es notwendig, funktionierende Netzwerke zu bilden und für eine angemessene Verwaltung der vorhandenen Datenbanken zu sorgen, möglicherweise auf der Grundlage von Big Data, aber auch von spezifischen Informationen.

5.3.

Gleichzeitig ist es erforderlich, sowohl den öffentlichen Zugang zu diesen vernetzten funktionellen Datenbanken sicherzustellen als auch die Öffentlichkeit bei der Nutzung der bestehenden Daten und Informationen zu unterstützen. Es muss unbedingt eine technische Unterstützung für makroregionale Strategien und der Zugang zu Instrumenten für die Nutzung der einschlägigen Daten geboten werden, um sowohl lokale und nationale Regierungen als auch private Akteure zu unterstützen. Dies sollte zentral organisiert, aber auf die Bedürfnisse der jeweiligen Region abgestimmt werden.

5.4.

Die räumliche wie sektorale Vernetzung zwischen den Sozialpartnern, sozioökonomischen Akteuren und Organisationen der Zivilgesellschaft (mithilfe des Vierfach-Helix-Ansatzes) sowie ihre aktive Einbeziehung in die Beschlussfassung, Planung und Bewertung dieser Politiken ist äußerst hilfreich, um künftige makroregionale Strategien umzusetzen und dabei den Zusammenhalt sowie die soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu fördern.

5.5.

Darüber hinaus müssen konkrete politische Initiativen verabschiedet werden, um den Aufbau und die Entwicklung regionenübergreifender Cluster und Clusterpartnerschaften zu unterstützen (11):

i)

Die Kriterien für die Teilnahme an mit EU-Mitteln und nationalen Mitteln geförderten Clustern sollten neu formuliert werden, um die Teilnahme von erfolgreicheren Unternehmen zu fördern, ohne die Selbstbestimmung der Netzwerke und die relative Autonomie ihrer teilnehmenden Partner zu gefährden.

ii)

Die Finanzierung und insbesondere auch alternative Möglichkeiten der Unterstützung von Clustern und Netzwerken — z. B. steuerliche und prozessbezogene Maßnahmen — sollten zeitnah ausgeweitet werden, damit die Lebensdauer von Clustern nicht aufgrund ihrer Konzeption beschränkt wird und die Cluster ihre höchstmögliche organisatorische Reife und finanzielle Unabhängigkeit erreichen können (12).

iii)

Bei der nationalen und regionalen (bzw. regionenübergreifenden) Strategieplanung müssen Veränderungen der globalen Gegebenheiten und entsprechende Formen der Unterstützung lokaler Clusteraktivitäten berücksichtigt werden. Des Weiteren sollten mehr Anreize für Strukturen zur gegenseitigen regionalen und sektorübergreifenden Vernetzung bestehender Cluster geschaffen werden, wobei die einander ergänzenden Aspekte ganzheitlicher Maßnahmen genutzt werden sollten.

iv)

Der berechtigte Wunsch nach Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten und Besonderheiten führt oft zu Clustern, die abgesehen von der grenzüberschreitenden Dimension der betreffenden Region keine internationale Ausrichtung aufweisen. Dies muss verbessert werden, und geeignete Förderstrategien sollten angesichts der Internationalisierung der Unternehmen sozioökonomische Steuerungsprozesse mit weltweiter Ausrichtung unterstützen. Darüber hinaus wird dies dazu beitragen, die zeitliche Lücke zwischen politischen Initiativen und Unternehmensentscheidungen zu schließen.

5.6.

Effiziente Initiativen zur Netzwerkbildung in den Bereichen Bildung und Verwaltung, aber auch in Bezug auf wirksame interregionale Forschungs- und Innovationsökosysteme und Grundlagen- sowie angewandte Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten werden für bestehende und künftige makroregionale Strategien von großem Nutzen sein. In der laufenden Konsultation zur Überarbeitung des EUSDR-Aktionsplans wurde darauf hingewiesen, dass die Kapazitäten der lokalen und regionalen Verwaltungen durch Initiativen zum Kapazitätsaufbau, Kooperationsprojekte, Netzwerke für gegenseitiges Lernen, den Austausch bewährter Verfahren und politische Empfehlungen verbessert werden können. Diese könnten mithilfe von Kleinfinanzierungen (über Globalzuschüsse oder andere Instrumente) für lokale Akteure (Kleinunternehmen, Organisationen der Zivilgesellschaft, Jugendorganisationen, Hochschulen usw.) erreicht werden, die an einem integrativen Umfeld für Innovationen auf transnationaler Ebene mitwirken.

5.7.

Insbesondere bei der Vernetzung im Bildungsbereich könnten diese Aktivitäten in bestehende Strukturen, wie das Erasmus+-Programm, eingebettet werden. Politische Empfehlungen sollten sich auf die wesentlichen Aspekte des jeweiligen geografischen Gebiets konzentrieren, um neue Möglichkeiten für verbesserte Produkte und Dienstleistungen zu erschließen und das Unternehmertum zu fördern. Sie sollten auch das lebenslange Lernen der Arbeitskräfte mit Blick auf den Bedarf fördern, der sich aus der Digitalisierung der Produktion ergibt.

5.8.

In den Regionen der vier makroregionalen Strategien gibt es gewachsene historische, sozioökonomische, kulturelle und politische Beziehungen, die positiv, zuweilen aber auch problembeladen sind. Diese Beziehungen können konstruktiv genutzt werden, indem alternative Instrumente der regionenübergreifenden Clusterbildung und Zusammenarbeit, wie die Europäischen Verbunde für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ), gefördert werden.

Brüssel, den 19. Juni 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  (2017/2040 (INI)).

(2)  Unter dem Begriff „Cluster“wird die Vernetzung und die thematische oder ganzheitliche Zusammenarbeit von Akteuren und Institutionen aus dem privaten Sektor, den Verwaltungen, den Hochschulen und der Zivilgesellschaft verstanden (die durchaus über die Vernetzung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) hinausgehen kann).

(3)  Siehe http://ec.europa.eu/regional_policy/en/information/publications/studies/2017/macro-regional-strategies-and-their-links-with-cohesion-policy.

(4)  In diesem Zusammenhang ist auf den Erfolg der Initiative INNOSUP-1 bei der Förderung der Clusterbildung hinzuweisen. Mit den ersten sechs laufenden INNOSUP-2015-Projekten, die in den Jahren 2016 und 2017 anliefen, wurden mehr als 2 800 KMU erreicht (z. B. durch Vermittlungsveranstaltungen und Aufforderungen zur Einreichung von Ideen/Kooperationsprojekten usw.) und 449 KMU unmittelbar unterstützt (z. B. durch Gutscheine für Innovationsförderung). Insgesamt sollen durch Clusterprojekte der Initiative INNOSUP-1 2 000 KMU unterstützt werden.

(5)  Siehe die Ex-post-Bewertung der kohäsionspolitischen Programme für den Zeitraum 2007-2013, die aus dem EFRE und dem KF finanziert wurden, Arbeitspaket 2 — „Unterstützung für KMU – Mehr Forschung und Innovation in KMU und KMU-Entwicklung“, Kontrakt Nr. 2014CE16BAT002, Synthesebericht, S. 10-11 und 14-17.

(6)  Siehe Zarotiadis und Gkagka (2013), „European Union: A diverging Union?“, Journal of Post-Keynesian Economics, Bd. 35, S. 537-567.

(7)  Siehe die Schlussfolgerungen des Rates vom 12. März 2018, in denen die Weiterentwicklung der europäischen Clusterpolitik gefordert wurde, um die regionalen Cluster, basierend auf den Grundsätzen der intelligenten Spezialisierung zu vernetzen und zu europaweiten Clustern von Weltrang auszubauen, um so das Entstehen neuer Wertschöpfungsketten in ganz Europa zu unterstützen.

(8)  Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Durchführung makroregionaler Strategien der EU, COM(2019) 21 final.

(9)  Die Donaukammervereinigung hat mit dem Forum der Handelskammern im adriatisch-ionischen Raum eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet, die den Austausch von Erfahrungen und die Zusammenarbeit im Rahmen von Projekten, in denen die beiden Strategien einander ergänzen, zum Ziel hat.

(10)  Beispiele sind das neu geschaffene Lösungsnetzwerk für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Solutions Network — SDSN) für die Schwarzmeerregion ( http://sdsn-blacksea.auth.gr/undhttp://unsdsn.org/news/2018/10/31/presenting-a-new-regional-chapter-sdsn-black-sea/), das SDSN für den Mittelmeerraum ( http://www.sdsn-mediterranean.unisi.it/) und das SDSN für Nordeuropa ( https://www.unsdsn-ne.org/).

(11)  Die spezifischen Vorschläge stehen im Einklang mit dem ersten „Fortschrittsbericht über die Europäischen Strategischen Clusterpartnerschaften“der Europäischen Beobachtungsstelle für Cluster und den industriellen Wandel European Observatory for Clusters and Industrial Change – EOCIC), in dem ein Überblick über die ersten Ergebnisse, Erfahrungen und bewährte Verfahren im Zusammenhang mit der zweiten Generation der Europäischen Strategischen Clusterpartnerschaften für die Internationalisierung (ESCP-4i) gegeben wird.

(12)  Die Notwendigkeit einer zeitnahen Aufstockung der Finanzierung ist auch Teil des Vorschlags für gemeinsame Clusterinitiativen der das Programm COSME betreffenden Komponente des Binnenmarktprogramms.


III Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Die Investitionsoffensive für Europa: Bestandsaufnahme und nächste Schritte“

(COM(2018) 771 final)

(2019/C 282/04)

Berichterstatter: Petr ZAHRADNÍK

Mitberichterstatter: Javier DOZ ORRIT

Befassung

Europäische Kommission, 18.2.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

4.6.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

180/0/8

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt grundsätzlich die Investitionsoffensive für Europa. Sie trägt zur Förderung der Investitionstätigkeit in der EU und zur effizienteren Nutzung der begrenzten finanziellen Ressourcen für europaweite strategische Investitionen bei, die als eine neue Art finanzieller Umverteilung in der EU dienen können. Der EWSA empfiehlt, als eines der Kriterien für eine langfristige und nachhaltige Investitionspolitik ein Investitionsziel in der EU festzulegen, das Teil des regulären Zyklus des Europäischen Semesters sein und jährlich bewertet werden könnte.

1.2.

Ziel der Investitionsoffensive für Europa und öffentlicher Investitionsanreize im Allgemeinen sollte es sein, u. a. die folgenden strategischen Ziele der EU zu unterstützen: a) Förderung einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Aufwärtskonvergenz zwischen den Mitgliedstaaten, b) nachhaltige Investitionen, die mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen im Einklang stehen, c) gerechte Gestaltung der Übergänge im Umwelt- und Digitalbereich, d) Stärkung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften, e) Entwicklung einer strategischen Infrastruktur, f) Förderung von Produktivität, Forschung, Entwicklung, Innovation, allgemeiner und beruflicher Bildung, g) Steigerung der sozialen Investitionen und h) Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit Europas im globalen Kontext. Im Hinblick auf das Erreichen dieser Ziele für die einzelnen geografischen Gebiete und Branchen sind nach Ansicht des EWSA weitere Orientierungshilfen notwendig.

1.3.

Die Schaffung eines einheitlichen Klassifikationssystems und von Indikatoren zur Ermittlung des Nachhaltigkeitsgrads auf der Grundlage der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 20. Juni 2017 ist dringend notwendig. Dies würde Investoren dabei helfen, ihre Geldanlagen in nachhaltige Tätigkeiten (1) zu lenken.

1.4.

Der EWSA ist von dem gewaltigen Potenzial der innovativen Finanzinstrumente überzeugt, mit denen die im vorgeschlagenen Programm „InvestEU“ vorgesehenen Bereiche abgedeckt werden können. Der Ausschuss geht von der Entstehung von Synergien zwischen dem Programm „InvestEU“ und den zukünftigen, zentral verwalteten Programmen (zum Beispiel die Fazilität „Connecting Europe“, Horizont Europa) aus, wobei vorrangig ein renditebasiertes Instrument zum Einsatz kommen sollte. Um dies zu erreichen, ist eine Vereinfachung der Rechtsvorschriften notwendig, wenn mehrere Programme oder Projekte gebündelt werden.

1.5.

Einer der wichtigsten Mehrwertfaktoren des Programms „InvestEU“ ist die Unterstützung europäischer Großprojekte (SESAR, ERTMS, Smart-Grid-Projekte der EU) auf der Grundlage der Mobilisierung privater Mittel, deren Realisierung jedoch ebenfalls erfordert, dass die Kommission angemessene rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen schafft. Die Kommission sollte sich bemühen, die Mitgliedstaaten für diese Großprojekte zu gewinnen.

1.6.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die EU jetzt ein größeres Risiko übernehmen sollte, um die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Erhöhung des Lebensstandards wesentlich zu fördern. Daher empfiehlt der Ausschuss, einen höheren Anteil des MFR für dieses Instrument bereitzustellen.

1.7.

Der EWSA unterstützt voll und ganz die Bemühungen der Kommission zur Ermittlung der größten Hindernisse für eine Intensivierung der Investitionstätigkeiten in den Bereichen Binnenmarktumfeld, Integration der Infrastruktur, Bildung und Qualifikationsanforderungen sowie bei der Angleichung der Vorschriften über staatliche Beihilfen.

1.8.

Dennoch ist der Ausschuss der Auffassung, dass die Überwindung des Investitionsdefizits der EU, das eines der gravierendsten Risiken für die Zukunft der europäischen Wirtschaft darstellt, ein höheres finanzielles Engagement der EU, der Mitgliedstaaten und des privaten Sektors erfordert. Aus diesem Grund fordert er die Organe der EU auf, die finanzielle Kapazität von „InvestEU“ im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 zu stärken.

1.9.

Zudem sind nach Ansicht des Ausschusses größere Anstrengungen im Hinblick auf eine bessere Verknüpfung des EFSI (bzw. des Programms „InvestEU“) mit den anderen Investitionsprogrammen der EU und der Mitgliedstaaten erforderlich. Dabei sind notwendige Synergien zu fördern, Überschneidungen und Überlappungen zwischen ihnen zu vermeiden und Investitionen so zu lenken, dass die Ziele präziser erreicht werden.

1.10.

Der EWSA schlägt vor, den Anwendungsbereich des Programms „InvestEU“ auf die Garantien auszuweiten, die notwendig sind, damit europäische Unternehmen in Drittländern investieren und den Handel der EU fördern können.

1.11.

Der EWSA empfiehlt der Kommission nachdrücklich, die europäischen Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger stärker für den Nutzen der Investitionsoffensive für Europa zu sensibilisieren, insbesondere in Bezug auf KMU, und ihnen so deutlich zu machen, welchen Beitrag die EU leistet.

2.   Allgemeiner Hintergrund des Vorschlags und wichtigste Fakten

2.1.

In der vorliegenden Stellungnahme werden die Schlussfolgerungen der Stellungnahme zu „InvestEU“ (2) sowie weiterer Stellungnahmen zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU für 2021-2027 und zur Wirtschafts- und Investitionsleistung der EU (3) unmittelbar aufgegriffen und ergänzt. Das Dokument steht mit den in diesen Stellungnahmen ausdrücklich formulierten Schlussfolgerungen im Einklang, die daher nicht wiederholt werden.

2.2.

Die Mitteilung der Europäischen Kommission zu der „Investitionsoffensive für Europa: Bestandsaufnahme und nächste Schritte“ steht mit der verabschiedeten Stellungnahme zu „InvestEU“ (4) und insbesondere mit folgenden Punkten voll und ganz im Einklang:

Die Investitionstätigkeit ist der einzige wichtige makroökonomische Indikator, der noch nicht wieder sein Vorkrisenniveau von 2006-2007 erreicht hat. Deshalb sind Anreize für die Nutzung aller relevanten Instrumente zur Investitionsförderung vollkommen gerechtfertigt und legitim.

Die Schaffung eines Finanzierungsinstruments zur Investitionsförderung auf der Grundlage des Garantieprinzips stellt eine bedeutende Innovation im Bereich der Finanzierung großer Investitionsvorhaben im öffentlichen Interesse dar.

Die Beteiligung von privatem Kapital ist hierbei sehr vorteilhaft und wünschenswert. Allerdings können schlecht konzipierte öffentlich-private Partnerschaften am Ende mehr kosten als die direkte Bereitstellung der gleichen Dienste durch den öffentlichen Sektor. Öffentliche Investitionen in hochwertige, erschwingliche und zugängliche öffentliche Dienste in der EU müssen Priorität haben.

Neben inländischen Investitionen sollten aber auch Investitionen mit einer signifikanten grenzübergreifenden Dimension gefördert werden. Das Modell kann auch dafür eingesetzt werden, die entwicklungspolitischen -Investitionen der EU in Drittländern umzusetzen.

Die Durchführung von Strukturreformen auf der Ebene der Mitgliedstaaten sowie der EU kann die Wirksamkeit der Investitionsaktivitäten insgesamt verbessern.

Bei den Investitionen sollten gegebenenfalls die Erfordernisse des Binnenmarktes in allen seinen Dimensionen, das Funktionieren der Finanzmärkte und der Verkehrs- und Energieinfrastruktur sowie die Frage berücksichtigt werden, inwieweit die Humanressourcen für diese Herausforderungen gewappnet sind.

2.3.

In der Mitteilung der Kommission wird ein breiteres Themenspektrum als normalerweise üblich behandelt, da mit ihr auf die abzubauenden Hindernisse hingewiesen werden soll, die eine verstärkte Investitionstätigkeit und die effizientere Nutzung der Finanzierungsinstrumente zur Förderung der Investitionen hemmen.

2.4.

Während in dem Entwurf einer Verordnung über das Programm „InvestEU“ hauptsächlich die technischen Parameter dieses Instruments behandelt werden, liegt der Schwerpunkt der Mitteilung der Kommission vor allem auf den wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen sowie einer Analyse und Beschreibung des Umfeldes, in dem das Instrument zum Einsatz kommen wird. Der EWSA stimmt diesem allgemeinen Ansatz zu.

2.5.

Die erste vorrangige Priorität der Kommission Juncker (Ende 2014 bis Anfang 2015) war es, die Investitionslücke in der EU nach der Krise zu schließen oder zumindest zu verringern. Ohne ausreichende und rentable Investitionen können in der Zukunft der wirtschaftliche Wohlstand und die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas nicht sichergestellt werden. Aus diesem Grund wurde die Investitionsoffensive für Europa, das ab 2020 im Wesentlichen in dem Programm „InvestEU“ bestehen wird, angenommen und umgesetzt. Das Kernstück ist ein auf der Basis einer EU-Garantie konzipiertes Finanzierungsinstrument. Der EWSA ist der Auffassung, dass dieses Instrument nicht nur für Investitionen in der EU sorgen kann, sondern auch eine hocheffiziente EU-Plattform für die Entwicklung und Förderung von Investitionsprojekten in Drittländern bietet (im Hinblick auf die neuen Ziele des mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 in den Bereichen auswärtigen Handelns der Union, Globalisierung und mehr externe Projekte).

2.6.

Die Rentabilität und Wirksamkeit von Investitionen hängt von einer gesunden wirtschaftlichen Struktur ab. Strukturreformen sind daher eine Voraussetzung, damit die Investitionen die erwarteten Ergebnisse hervorbringen können. Signifikante strukturelle Defizite führen zu einer ganzen Reihe von Hindernissen in Bezug auf Regulierung, Verwaltung und fairen Wettbewerb usw., mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen sowohl auf nationaler als auch auf grenzüberschreitender Ebene.

2.7.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die EU die Schaffung eines möglichst offenen Umfeldes für sowohl Investitionen als auch den Handel fördert, sofern die Arbeitnehmer- und Sozialrechte und der Umweltschutz geachtet werden. Gleichzeitig legt er jedoch großes Augenmerk auf die immer größeren globalen und strategischen Risiken, die mit einigen ausländischen Investitionen einhergehen. Der EWSA begrüßt und befürwortet die Einführung eines Schutzmechanismus bei bestimmten ausländischen Investitionen, die nicht vorrangig geschäftlichen oder wirtschaftlichen Interessen, sondern eher politischen und machtpolitischen Interessen dienen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA schätzt die Vorteile der Investitionsoffensive für Europa insbesondere im Hinblick auf die folgenden Punkte positiv ein:

Während der Krise kam die private Finanzierung zum Erliegen, weshalb der Finanzbedarf nicht gedeckt werden konnte. Die Investoren begannen, Risiken sehr viel sorgfältiger und gründlicher abzuwägen. Die Investitionsoffensive für Europa hat sich als geeignete, sichere, praktikable und gut durchdachte Plattform zur Förderung von Investitionen und zur Mobilisierung von privaten Finanzmitteln bewährt.

Die Investitionsoffensive für Europa hat einen positiven Beitrag zur gezielten und systematischen Überwachung von Marktversagen und investitionshemmenden Rahmenbedingungen geleistet und dazu beigetragen, die Risikoeinschätzung auf eine marktfreundliche Weise anzupassen.

Die in der Mitteilung der Kommission genannten Beispiele für geförderte Projekte zeigen deutlich, dass es ohne die Investitionsoffensive für Europa und den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) nicht gelungen wäre, Privatkapital ohne ausreichende Garantien und angemessene Risikoabdeckung in diese Art von Projekten zu lenken (es sei denn zu Wohltätigkeitszwecken), und dass die öffentlichen Mittel für solche Vorhaben naturgemäß beschränkt sind.

Im Rahmen der Investitionsoffensive für Europa und des EFSI wird gefordert, dass Projekte einen direkten Rentabilitätstest durchlaufen und die gesetzten Mindestqualitätsstandards erfüllen müssen.

3.2.

Das Gesamtvolumen der öffentlichen und privaten Investitionen in der EU belief sich im Jahr 2018 auf 20,5 % des BIP der EU, lag also immer noch zwei Prozentpunkte unter dem Niveau von 2007. Seit 2013 ist eine langsame Erholung der Investitionsrate festzustellen, die sowohl auf öffentliche als auch auf private Investitionen zurückzuführen ist.

3.3.

Die öffentlichen Investitionen in der EU-27 lagen im Zeitraum 2014-2018 durchschnittlich bei 2,86 % des BIP (2,68 % im Euro-Währungsraum), im Vergleich zu 3,4 % des BIP zwischen 2009 und 2013 (3,2 % im Euro-Währungsraum) (5). Insbesondere die Nettoanlageinvestitionen lagen von 2014 bis 2017 zumeist im negativen Bereich, was auf einen schrumpfenden öffentlichen Kapitalstock hindeutet. Da dies makroökonomisch im Widerspruch zu den Zielen der Investitionsoffensive für Europa steht, fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die öffentlichen Investitionstätigkeit auf der Ebene der Mitgliedstaaten zu fördern. Diese Maßnahmen sollten zusammen mit den anderen einschlägigen Instrumenten des Europäischen Semesters in die länderspezifischen Empfehlungen aufgenommen werden.

3.4.

Der größte Teil der Investitionslücke ist auf fehlende private Investitionen zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund betrachtet war der Gesamtumfang der Investitionsoffensive von Anfang an zu gering angesetzt. Die EU plant daher, über einen Zeitraum von fünf Jahren Investitionen in Höhe von 500 Mrd. EUR zu mobilisieren, was 100 Mrd. EUR oder grob geschätzt 0,6 % des BIP der EU pro Jahr entspricht.

3.5.

Der EWSA ist sich des Umfangs der rückzahlbaren Finanzierungsinstrumente zur Förderung der Investitionstätigkeit in der EU bewusst, sowie auch des ihnen innewohnenden, noch nicht ausgeschöpften Potenzials. Diese bilden beispielsweise die Grundlage für eine wesentlich effizientere und bequemere Nutzung der verfügbaren Mittel. Im Gegensatz zu Subventionen können diese rückzahlbaren Finanzmittel nach der Rückzahlung erneut und wiederholt in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus könnten die erwartete strengere Geldpolitik und die eingeschränkte Verfügbarkeit von Krediten ihre Attraktivität weiter erhöhen. Sofern sie wirtschafts- und steuerungspolitisch richtig eingesetzt werden, erleichtern sie den Aufbau einer soliden wirtschaftlichen Basis für eine sehr langfristig (auch auf mehrere Jahrzehnte) ausgerichtete Förderung von Investitionen von öffentlichem Interesse. (Dabei muss unbedingt definiert werden, was unter öffentlichem Interesse zu verstehen ist; nach vorherrschender Auffassung ist die Nutzung von Finanzierungsinstrumenten angemessen, wenn sie der Behebung verschiedener Arten von Marktversagen dient). Die Entwicklung von Finanzierungsinstrumenten unterstützt zudem die Diversifizierung der Finanzprodukte, die auf den nationalen Märkten sowie auf dem gesamteuropäischen Finanz- und Kreditmarkt verfügbar sind, stärkt deren Diversität und fördert auch die Vielfalt der verfügbaren Finanzprodukte und -lösungen.

3.6.

Gleichzeitig betont der EWSA, dass durchaus nicht jedes Projekt geeignet ist, Unterstützung durch Finanzierungsinstrumente zu erhalten (das allgemeine Relevanzkriterium ist die Existenz eines Marktumfeldes und das Risiko eines Marktversagens in seinen vielen Erscheinungsformen). Wenn sich das Projekt als förderwürdig erwiesen hat, wird auf drei grundlegende Weisen eine Wirkung erzielt:

durch Förderung eines Projekts, das in der Lage ist, einen zusätzlichen und messbaren Nutzen zu generieren (zum Beispiel die Erhöhung der Rentabilität, Produktivitätssteigerungen). In diesem Fall sind die Begünstigten fast ausschließlich Einzelunternehmen oder Unternehmensgruppen wie Cluster;

durch Kosteneinsparungen bei der Ausführung von bestehenden Prozessen (beispielsweise der Senkung des Energieverbrauchs und der Energiekosten und der Reduzierung der Betriebskosten durch eine Optimierung der Prozesse). In diesem Fall können öffentliche Stellen in der gleichen Weise wie private Unternehmen durch Finanzierungsinstrumente unterstützt werden;

durch die Schaffung einer finanziellen Beteiligung von Verbrauchern eines bestimmten Produkts oder Dienstes. Diese Beteiligung könnte zusätzlich durch eine gezielte Subvention oder ein anderes nationales oder regionales Förderprogramm unterstützt werden, damit die Finanzierung durch das Instrument zurückbezahlt werden kann.

3.7.

Der EWSA nimmt den wesentlich Abschnitt der Mitteilung der Europäischen Kommission zur Kenntnis, in dem die Ermittlung bestehender Hindernisse behandelt wird. Hier geht es vorrangig um Hindernisse für den Binnenmarkt, dessen weitere Vertiefung und die Beseitigung von Hindernissen (sowohl durch Abbau bestehender administrativer und regulatorischer Hindernisse als auch durch die technische Modernisierung des Binnenmarktes durch die Verwirklichung des digitalen Binnenmarktes und der entsprechenden Umsetzungsstrategie). Diesbezüglich sei auch auf das Entwicklungspotenzial der Kapitalmärkte und deren Eingliederung in die Kapitalmarktunion hingewiesen. Zudem bestehen Hindernisse bezüglich der Integration der Verkehrs- und Energieinfrastruktur. Diesbezügliche Potenziale können entweder mittels Entwicklung der transeuropäischen Netze (TEN) oder im Rahmen einer Energieunion freigesetzt werden. Es ist ferner wichtig, die menschliche Dimension sowie die Ausbildung der Arbeitnehmer und die an sie gestellten Qualifikationsanforderungen (in Einklang mit den Grundsätzen der europäischen Säule sozialer Rechte) sowie die Angleichung der staatlichen Beihilferegelungen im Blick zu behalten. Unter dem Gesichtspunkt der Optimierung der Synergien im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 weist der EWSA ebenfalls darauf hin, dass eine maximale Einhaltung der Kriterien der ESI-Fonds sicherzustellen ist.

3.8.

Der EWSA ist der Ansicht, dass mehr Anstrengungen nötig sind, um eine größere Übereinstimmung des EFSI (bzw. des Programms „InvestEU“) mit den anderen Investitionsprogrammen der Europäischen Union und denen der Mitgliedstaaten zu erreichen. Das trägt dazu bei, die notwendigen Synergien zu schaffen und Überschneidungen zwischen den Programmen zu vermeiden.

3.9.

Öffentlich geförderte Investitionen sollten auf genaue Ziele ausgerichtet sein, die auf europäischer Ebene klar und strategisch formuliert sind, um die strategischen Zielvorgaben der Union erfüllen zu können. Die zu fördernden Bereiche werden in Ziffer 1.2 dieses Dokuments genannt. Angesichts dessen hält der EWSA weitere Hinweise sowohl über den EFSI als auch über das künftige Programm „InvestEU“ für notwendig, insbesondere im Hinblick auf die sektorale Kreditvergabe.

3.10.

Konkret müssen in Bezug auf den Aktionsplan der Europäischen Kommission für die Finanzierung nachhaltigen Wachstums dringend ein einheitliches Klassifizierungssystem und Indikatoren zur Ermittlung des Grades der Nachhaltigkeit geschaffen werden. Dies muss einhergehen mit einem ganzheitlichen Verständnis der Auswirkungen von Wirtschaftstätigkeiten und Investitionen auf die ökologische Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz sowie auf sozial- und ordnungspolitische Ziele im Einklang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 20. Juni 2017. Dieser Ansatz sollte Investoren dabei helfen, ihre Geldanlagen in nachhaltige Tätigkeiten zu lenken, die eine vollständige, umfassende, integrierte und wirksame Umsetzung der Agenda 2030 ermöglichen (6).

3.11.

Im ursprünglichen Juncker-Plan war für Garantien oder Backstop-Garantien ein Volumen von 21 Mrd. EUR vorgesehen, mit dem bis zu 315 Mrd. EUR mobilisiert werden sollten. Für „InvestEU“ schlägt die Kommission eine Backstop-Garantie in Höhe von 38 Mrd. EUR vor (+ 9,5 Mrd. EUR von den Finanzierungspartnern), um bis zu 650 Mrd. EUR zu mobilisieren. Dem ersten Anschein nach wird mit „InvestEU“ die Schlagkraft des ersten Juncker-Plans verdoppelt; zusätzlich dazu werden die Mitgliedstaaten in die Lage versetzt, bis zu 5 % der Mittel für die Kohäsionspolitik für die vier Garantiebereiche einzusetzen. Der EWSA begrüßt dieses aufgestockte Instrument, ist jedoch der Auffassung, dass die Ausstattung mit 15,2 Mrd. EUR, was 1,2 % des nächsten MFR entspricht, nicht angemessen ist, um die angestrebte Steigerung der Investitionen auf das Vorkrisenniveau zu erreichen. Eine Mittelzuweisung von 2 % (25,5 Mrd. EUR) könnte beispielsweise Investitionen aus öffentlichen und privaten Quellen in einer Höhe von über 1 Bio. EUR mobilisieren.

3.12.

Die Beteiligung europäischer Unternehmen und Konsortien an internationalen Ausschreibungen und öffentlichen Aufträgen muss unterstützt und gefördert werden. Der Anwendungsbereich des Programms „InvestEU“ könnte auf alle Gebiete ausgeweitet werden, um auch den europäischen Unternehmen, die außerhalb der EU Investitionen tätigen, Garantien zu bieten. Dies könnte eine erste zweckmäßige Reaktion auf die Initiative „Neue Seidenstraße“ sein.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA empfiehlt, im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip der Beseitigung von Hindernissen auf nationaler und regionaler Ebene gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

4.2.

Er fordert die Europäische Kommission auf, klar und unmissverständlich darzulegen, wie der EFSI in das künftige Programm „InvestEU“ und die ESI-Fonds integriert werden kann. In dem Vorschlag für eine Verordnung wird an vielen Stellen auf die Synergien zwischen den Kapiteln und Programmen des MFR verwiesen, allerdings entspricht die Realität diesen Synergien kaum. In der gegenwärtigen Praxis ist es nur begrenzt möglich, den EFSI mit den ESI-Fonds zu kombinieren. Der EWSA hält dies nicht für wünschenswert und schlägt daher die Festlegung von klaren Regeln vor, um die ESI-Fonds (in der Form einer Subvention) und den EFSI (in der Form eines Finanzierungsinstruments) für das gleiche Projekt nutzen zu können.

4.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, bezüglich einer Ausweitung des EFSI eine gesamtheitliche Betrachtungsweise auf die Investitionen anzuwenden. Die Mitgliedstaaten müssen in die Lage versetzt werden, über die notwendigen Finanzmittel für die öffentlichen Investitionen zu verfügen. Da die Ausgaben unter den derzeitigen Haushaltsvorschriften der Europäischen Union grundsätzlich an die Steuereinnahmen gebunden sind, muss die Europäische Kommission Vorreiter sein, wenn es darum geht, mit wirksamen Instrumenten beim entschlossenen gegen Steuerbetrug, Steuervermeidung, Geldwäsche und die rechtswidrigen Tätigkeiten von Steuerparadiesen vorzugehen. Dies beinhaltet auch, dem unlauteren Steuerwettbewerb, der gegenwärtig von einigen Mitgliedstaaten praktiziert wird und der die aggressive Steuerplanung multinationaler Unternehmen begünstigt, ein Ende zu setzen.

4.4.

Bestimmte Arten von Investitionen, beispielsweise in die öffentliche Infrastruktur, könnten effizienter und zu geringeren Kosten für die Gesellschaft umgesetzt werden, wenn der öffentliche Sektor statt öffentlich-privater Partnerschaften herangezogen wird. Wo dies der Fall ist, sollte die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, ausreichende Investitionen zu tätigen, ohne Einschnitte bei den Sozialausgaben zu machen. Nach der etablierten Theorie und Praxis des öffentlichen Finanzwesens sollten künftige Generationen, die von jetzt getätigten Investitionen profitieren, sich angemessen an deren Finanzierung beteiligen, was durch die Ausgabe von Staatsanleihen in der Gegenwart erfolgen kann. Würde man öffentliche Investitionen ausschließlich von der heutigen Generation durch höhere Steuern oder geringere Staatsausgaben finanzieren lassen, würde ihr eine unangemessen schwere Bürde auferlegt. In der Praxis bedeutet dies, den Stabilitäts- und Wachstumspakt durch die sogenannte goldene Haushaltsregel (Golden Rule) flexibler zu machen: die Aufwendungen für öffentliche Investitionen werden bei der Berechnung des angestrebten Haushaltsdefizits nicht berücksichtigt. Das flexible Konzept für die Umsetzung des von der Kommission 2014 neu angepassten Stabilitäts- und Wachstumspakts hat sich positiv auf das Wachstum ausgewirkt. Es sollte daher beibehalten und auf Investitionen ausgerichtet werden, die von großem öffentlichen Interesse sind.

4.5.

Eine Reform der Wirtschafts- und Währungsunion kann den notwendigen Steuerungsrahmen für eine angemessene Investitionspolitik liefern. Insbesondere die Vollendung der Bankenunion und der Kapitalmarktunion kann, wenn ihre Instrumente zum Einsatz kommen, die Förderung von Unternehmen, vor allem KMU, unterstützen. Der EWSA betrachtet dies als äußerst dringlich und bedauert die Verzögerungen bei der Behandlung im Europäischen Rat.

4.6.

Der EWSA hält weitere Hinweise bezüglich der sektoralen Zuteilung der EFSI-Förderung und des künftigen Programms „InvestEU“ für notwendig. Nach Auffassung des Ausschusses sollten Investitionen in folgenden Sektoren Priorität genießen: a) Aufbau eines europäischen grünen und digitalen Wirtschaftsmodells, b) Forschung, Entwicklung und Innovation und c) Bildung und Ausbildung. Um einen gerechten Übergang hin zu einem ökologisch und sozial tragfähigen Modell zu gewährleisten, sollten Investitionen mit sozialem Charakter gemäß den Empfehlungen der Hochrangigen Arbeitsgruppe für hochwertige Investitionen in die soziale Infrastruktur (7) gefördert werden.

4.7.

Audits des Europäischen Rechnungshofs (EuRH) und der Europäischen Investitionsbank (EIB) — anhand von Stichproben zu Projekten im Rahmen des „Infrastruktur- und Innovationsfensters“ — haben ergeben, dass rund ein Drittel der Projekte komplett aus anderen Quellen als dem EFSI hätten finanziert werden können. Projektträger wählen vorrangig den EFSI aufgrund niedrigerer Finanzierungskosten, teilweise auch aufgrund der längeren Laufzeit der Darlehen.

4.8.

Die Einstufung eines Projekts, das durch andere Finanzierungsquellen als den EFSI realisiert worden ist, als zusätzlich in Bezug zum EFSI, entspricht dem allgemeinen nicht-technischen Verständnis von Zusätzlichkeit. Dabei stellt sich die Frage nach der realwirtschaftlichen Relevanz der Definition und der praktischen Anwendung des Zusätzlichkeitsprinzips in der Verordnung über den Europäischen Fonds für strategische Investitionen. Dies könnte die Glaubwürdigkeit des dringend notwendigen EFSI untergraben. Daher ist der EWSA der Auffassung, dass der Europäische Investitionsfonds (EIF) seine Aktivitäten schwerpunktmäßig auf Projekte richten sollte, die wirklich zusätzlich sind, und zwar in dem Sinne, dass es ohne eine Finanzierung aus dem EFSI nicht möglich gewesen wäre, sie zu realisieren, um eine größtmögliche Wirkung auf die Realwirtschaft zu erzielen und das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit in den EFSI zu fördern.

4.9.

Wie der Europäische Rechnungshof festgestellt hat, wurde mit der Methode zur Schätzung des mobilisierten Investitionsvolumens in einigen Fällen das Ausmaß überschätzt, in dem die Förderung des EFSI tatsächlich zusätzliche Investitionen in die Realwirtschaft angestoßen hat. Deshalb ist der EWSA ferner der Ansicht, dass die Europäische Kommission der Empfehlung des Europäischen Rechnungshofs, vergleichbare Leistungs- und Überwachungsindikatoren für alle Finanzierungsinstrumente und Haushaltsgarantien der EU zu entwickeln, folgen sollte, um die Transparenz zu erhöhen und die Fähigkeit zur Auswertung der Ergebnisse zu verbessern.

4.10.

Wie der Rechnungshof festgestellt hat, ist der EFSI zudem teilweise an die Stelle der Finanzierung aus anderen zentral verwalteten Finanzierungsinstrumenten der EU getreten, insbesondere in den Bereichen Verkehr und Energie. Der EWSA fordert die Kommission und die EIB auf, potenziellen Überschneidungen bei den Vorhaben im Rahmen der EFSI-Infrastruktur und dem Innovationsfenster sowie den Finanzierungsinstrumenten der europäischen Struktur- und Investitionsfonds zu prüfen.

4.11.

Um eine angemessene Bewertung der durch den EFSI mobilisierten Investitionen sicherzustellen, fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, ein Konzept für eine systematische Datenerfassung zu erarbeiten, die für die Durchführung der statistischen Ex-post-Auswertung notwendig ist, um die Ex-ante-Multiplikatoren-Schätzungen für einzelne Projekte auswerten zu können. Dies könnte helfen, zukünftige Ex-ante-Berechnungen zu verbessern.

4.12.

Der EWSA empfiehlt, zusätzlich zur europäischen Plattform für Investitionsberatung (die vorrangig dafür vorgesehen ist, große Investitionsprojekte mit einem klaren europäischen Mehrwert zu fördern) ein Netzwerk aus nationalen und regionalen Beratungsstellen einzusetzen, die innerhalb der EU eine kohärente Methodik und Interpretation verfolgen und Beratungsdienste anbieten, die insbesondere auf KMU und ihre Projekte mit einem stärkeren regionalen Bezug ausgerichtet sind.

4.13.

Der EWSA bekräftigt die Notwendigkeit eines Tests der Förderungswürdigkeit von Projekten für rückzahlbare Finanzierungsinstrumente und empfiehlt der Kommission, diesbezüglich eine Expertenplattform einzurichten. In diesem Test müssen drei grundlegende Kriterien für Finanzierungsinstrumente berücksichtigt werden: Wirksamkeit (die durch den Verwalter dieser Fonds im Rahmen seiner Tätigkeit sichergestellt wird, wodurch das öffentliche Interesse in qualitativ anderer Weise als bei Subventionen geschützt wird), Nützlichkeit (die auf der Legitimität eines jeden Programms, das für rückzahlbare Instrumente vorgesehen ist, oder Teilen davon beruht) und wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit (die auf der Definition des Prinzips beruht, dass revolvierende Instrumente rückzahlbar sein sollten).

4.14.

In der EFSI-Verordnung sind keine Kriterien der geografischen Verteilung der durch ihn bereitgestellten Garantien festgelegt. In ihr ist vielmehr festgelegt, dass diese der Nachfrage unterliegen. Der Lenkungsausschuss des EFSI hat jedoch eine indikative geografische Diversifikation vorgenommen und Grenzen für die geografische Konzentration im Rahmen des Programms für Infrastruktur und Innovation festgelegt. In der Verordnung sind keine Konzentrationsbegrenzungen bezüglich des Rahmens für KMU festgesetzt. Der Ausschuss ist der festen Überzeugung, dass die Investitionsoffensive für Europa und das künftige Programm „InvestEU“ die wirtschaftliche und soziale Konvergenz, und nicht die Divergenz, zwischen den Mitgliedstaaten fördern müssen. Auch wenn die von der Europäischen Kommission bereitgestellten Informationen darauf hindeuten, dass der Trend hin zu einer geografischen Konzentration im Jahr 2018 teilweise korrigiert wurde, wird das Thema weiterhin für so wichtig erachtet, dass politische Leitlinien und die notwendigen Veränderungen in den Rechtsvorschriften auf den Weg gebracht werden müssen, um dieser Situation ein Ende zu setzen. Als einen Ansatz zur Verbesserung dieser Situation begrüßt der Ausschuss die Gründung von nationalen Förderbanken und Institutionen in Ländern, in denen diese bisher nicht vorhanden waren und die daher nicht in der Lage waren, mit dem EFSI und der EIB zu kooperieren, und fordert alle Mitgliedstaaten auf, dies zu tun.

4.15.

Der EWSA weist darauf hin, dass es vor allem im nächsten Programmplanungszeitraum des Haushaltsrahmens wichtiger sein wird, dass die Finanzierungsinstrumente eine spezifische Funktion für einen spezifischen Zweck haben, und dass die vorgeschlagenen Regeln umfassende Kombinationsmöglichkeiten zwischen ihnen zulassen und somit Spielraum eröffnen für „maßgeschneiderte“ Lösungen für individuelle Projekte. Die Finanzinstrumente sind vielgestaltig, und für eine bestimmte Art von Vorhaben können ein Darlehen, eine Garantie, eine direkte Kapitalbeteiligung oder Projektanleihe bereitgestellt können. Beim Einsatz dieser Instrumente sollte in der Praxis den „maßgeschneiderten“ Lösungen Vorrang gegeben werden, da sie es sind, durch die das Potenzial der Finanzinstrumente voll ausgeschöpft werden kann.

4.16.

Strukturreformen werden zwar generell als wichtig erachtet, um eine stärkere Investitionstätigkeit zu erreichen, doch sie müssen auch explizit und detailliert beschrieben werden. Eine Reihe struktureller Anpassungen und Reformen während der Zeit der Sparpolitik in den Programmländern eine hat die schleppende private und öffentliche Nachfrage noch weiter geschwächt, zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, mehr Unsicherheit und einer Verringerung der Einkommen der Haushalte und einer Senkung der Umsatzerwartungen der Unternehmen geführt. Diese Maßnahmen haben daher zu einer Vergrößerung der Investitionslücke beigetragen. Aus diesem Grund empfiehlt der EWSA, dass mit den Reformen Folgendes gefördert werden sollte: a) Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen, b) Vereinfachung der Finanzierung für Unternehmen, insbesondere KMU, c) Steigerung der Produktivität, d) Förderung von Forschung, Entwicklung, Innovation und Aus- und Fortbildung, e) Förderung der Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, f) Stärkung der Kollektivverhandlungen und des sozialen Dialogs auf europäischer und nationaler Ebene, g) Stärkung der Binnennachfrage, h) Steigerung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit und i) Schaffung eines angemessenen Niveaus an öffentlichen Investitionen, beispielsweise durch die Schaffung von effizienten Planungskapazitäten im öffentlichen Sektor.

4.17.

Neben der Notwendigkeit, die Synergien zwischen den Investitionsprogrammen der EU und der Mitgliedstaaten zu verbessern, müssen auch die Erfolge dieser Programme bei den Bürgern propagiert werden, etwa die Tatsache, dass vom EFSI etwa 945 000 KMU und vom Programm „InvestEU“ noch mehr Unternehmen profitieren werden. Die begünstigten KMU müssen auf die von der EU erhaltene Unterstützung hingewiesen werden, beispielsweise durch eine entsprechende Erklärung im Finanzierungsvertrag sowie durch die Verwendung des EU-Logos im Vertrag.

Brüssel, den 19. Juni 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Gemäß dem Aktionsplan der Europäischen Kommission für die Finanzierung nachhaltigen Wachstums.

(2)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 131.

(3)  ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 106; ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 83;ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 90; ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 126; ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 312 und ABl. C 159 vom 10.5.2019, S. 49.

(4)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 131.

(5)  Europäische Wirtschaftsprognose. Statistischer Anhang. Europäische Kommission, November 2018.

(6)  Siehe Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 28. März 2019 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen (COM(2018)0353 — C8-0207/2018-2018/0178(COD)).

(7)  Investitionen in soziale Betreuung & Unterstützung — ein Gebot der Stunde für Europa.


20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/27


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat (Euro-Gipfel), den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Hin zu einer stärkeren internationalen Rolle des Euro“

(COM(2018) 796 final)

(2019/C 282/05)

Berichterstatter: Philip VON BROCKDORFF

Mitberichterstatter: Dimitris DIMITRIADIS

Befassung

Europäische Kommission, 24.1.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

4.6.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

200/3/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) weist darauf hin, dass der Euro noch nicht wieder die internationale Bedeutung wie vor der Finanzkrise erreicht hat. Der EWSA begrüßt zwar die von der Europäischen Kommission in ihrer Mitteilung vorgeschlagenen Maßnahmen und hält sie für notwendig. Angesichts des Ausmaßes der sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen des Euro-Währungsgebiets reichen sie jedoch möglicherweise nicht aus. Sozialer Zusammenhalt, wirtschaftliche Aufwärtskonvergenz sowie die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), sollten die Grundlage bilden, auf der die Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets an Fahrt gewinnt und so eine stärkere internationale Rolle des Euro trägt.

1.2.

Der EWSA fordert die EU auf, sich stärker für den sozialen Zusammenhalt und eine größere wirtschaftliche Konvergenz in der EU einzusetzen. Es gibt noch immer große Unterschiede zwischen den und innerhalb der Mitgliedstaaten, die die Nutzung der wirtschaftlichen Chancen konterkarieren, die der gesamten EU zugutekommen könnten.

1.3.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass fortwährende technologische Durchbrüche wie Finanztechnologie und Digitalisierung sowie die Entstehung weiterer internationaler Währungen längerfristig ein multipolares System auf der Grundlage von mehr als einer Leitwährung begünstigen könnten.

1.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass es durchaus möglich ist, den internationalen Status des Euro zu verbessern. Gleichzeitig schlägt der EWSA jedoch vor, dass es sich die Mitglieder des Euro-Währungsgebiets zunächst einmal zur obersten Priorität machen, in ihrem eigenen Haus für Ordnung zu sorgen sowie Integrität und Wohlstand zu schaffen, indem sie die Wachstumsprognose für das Euro-Währungsgebiet verbessern und die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wiederherstellen. Dieser Prozess, für den es unter anderem erforderlich ist, die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und die Bankenunion zu vollenden, sollte im Rahmen der Bemühungen um eine stärkere internationale Rolle des Euro Priorität haben.

1.5.

Die Glaubwürdigkeit der einheitlichen Währung der EU ist eine Grundvoraussetzung für die Stärkung der internationalen Rolle des Euro und erfordert weitere Maßnahmen zugunsten einer soliden einzelstaatlichen Fiskal- und Wachstumspolitik sowie weitere Bemühungen um einen gesunden Finanzsektor. In diesem Zusammenhang weist der EWSA erneut darauf hin, wie wichtig die Unterstützung der KMU und die weitere Steigerung der Produktivität ist, um die Wettbewerbsfähigkeit des Euro-Währungsgebiets auf den internationalen Märkten zu steigern.

1.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vorteile einer Marktintegration nicht durch finanzielle Instabilität untergraben werden sollten, und fordert anhaltende Maßnahmen, um notleidende Kredite in sozial nachhaltiger Weise abzubauen, zumal Ende 2018 eine politische Einigung über Eigenkapitalanforderungen für notleidende Kredite von Banken erzielt wurde.

1.7.

Um die Rolle des Euro als internationale Währung zu stärken, sollte nach Ansicht des EWSA die Fragmentierung des Staatsanleihemarktes des Euro-Währungsgebiets angegangen werden, durch die die Staatsanleihemärkte wesentlich an Tiefe und Liquidität einbüßen. Der EWSA fordert die Kommission auf, Möglichkeiten zur Schaffung liquiderer und sichererer Euro-Vermögenswerte zu prüfen.

1.8.

Der Weg zu einer stärkeren internationalen Rolle des Euro könnte durch die EZB — in erster Linie durch die Erfüllung ihres Mandats der Wahrung der Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet — ein wenig geebnet werden. Zudem verleiht die Unterstützung der EZB für makroökonomische Maßnahmen und die Vertiefung der WWU und der Kapitalmarktunion einer verstärkten internationalen Rolle des Euro weitere Impulse.

1.9.

Der EWSA ist außerdem der Auffassung, dass zusätzliche Maßnahmen zur Vertiefung des europäischen Finanzsektors erforderlich sind, wie z. B. die Stärkung der europäischen Finanzmarktinfrastruktur und solide Referenzzinssätze. Ferner ist auch die Förderung einer breiteren Verwendung des Euro in strategischen Sektoren von zentraler Bedeutung für eine stärkere internationale Rolle des Euro.

1.10.

Schließlich fordert der EWSA die Mitgliedstaaten auf, in ihrer internationalen Diplomatie einheitlicher vorzugehen, was wiederum zu verbesserten Handelsmöglichkeiten führen kann. Eine solche einheitliche Herangehensweise könnte auch durch eine proaktivere Haltung gestärkt werden, mit der in erster Linie die Interessen der EU — insbesondere durch Antizipation strategischer und diplomatischer Initiativen Chinas und der USA — gefördert werden sollen.

2.   Hintergrund

2.1.

In ihrer im Dezember 2018 veröffentlichten Mitteilung „Hin zu einer stärkeren internationalen Rolle des Euro“ (1) führt die Kommission an, dass der Euro seine Bedeutung weltweit noch ausbauen kann, um dem politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Gewicht des Euro-Währungsgebiets besser zu entsprechen. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, müssen die Strukturen der WWU weiter gestärkt werden, unter anderem dadurch, dass alle noch anhängigen Vorschläge zur Vollendung der Bankenunion verabschiedet und bei der Kapitalmarktunion entscheidende Fortschritte erzielt werden.

2.2.

Der Inhalt dieses Arbeitsdokuments stimmt mit Forderungen des EWSA aus früheren Stellungnahmen (2) (3) überein. Darin wird betont, dass die Vollendung der Bankenunion — insbesondere eine stärkere und einheitlichere Einlagenversicherungsdeckung — und der Kapitalmarktunion von herausragender Bedeutung ist, um ein wettbewerbsfähiges europäisches Unternehmensumfeld sowohl für große als auch für kleinere Unternehmen sicherzustellen und eine wirklich einheitliche europäische Währung zu schaffen.

2.3.

2017 bekundeten die führenden Vertreter von 27 Mitgliedstaaten und des Europäischen Rates, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission in der Erklärung von Rom ihre Entschlossenheit, die Rolle der Europäischen Union als globaler Akteur durch den Ausbau bestehender und die Gründung neuer Partnerschaften, die Förderung von Stabilität und Wohlstand auf regionaler und globaler Ebene, die Mitgestaltung der Weltgeschicke sowie die Übernahme internationaler Verantwortung zu stärken (4).

2.4.

Der Präsident der Europäischen Kommission betonte in seiner Rede zur Lage der Union im September 2018 seinerseits die große Bedeutung des Euro im internationalen Währungssystem und forderte weitere Maßnahmen, damit der Euro auf dem internationalen Parkett die Bedeutung erlangen kann, die ihm zusteht (5).

2.5.

In diesem Zusammenhang hat die Kommission einen Fahrplan zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion (6) aufgestellt, in dem sie ein integriertes und gut funktionierendes Finanzsystem einschließlich der Vollendung der Bankenunion und der Kapitalmarktunion fordert.

2.6.

In ihrer Mitteilung zur Kapitalmarktunion (7) weist die Kommission darauf hin, dass die Europäische Union gut entwickelte, integrierte Kapitalmärkte braucht, um die internationale Bedeutung des Euro zu stärken. Eine erfolgreiche Kapitalmarktunion trägt zu einem stabilen Finanzsystem, einem besseren Zugang zu Finanzmitteln für Unternehmen und somit auch zu mehr Investitionsmöglichkeiten bei.

2.7.

Im gleichen Sinne zeigt die Gemeinsame Forschungsstelle in ihrem Science for Policy Report (Bericht Wissenschaft für Politik) aus dem Jahr 2016 (8) auf, dass sowohl eine solide makroökonomische Politik als auch die Vertiefung der WWU der EU und die Entwicklung der Kapitalmarktunion zur weiteren Stärkung der Rolle des Euro auf den globalen Handels- und Finanzmärkten beitragen.

2.8.

Die Europäische Kommission empfiehlt (9) eine breitere Nutzung des Euro bei Projekten und Finanztransaktionen im Energiebereich, um die energiepolitischen Ziele der EU zu erreichen, das Risiko einer Unterbrechung der Energieversorgung zu verringern und dadurch eine größere Autonomie europäischer Unternehmen zu fördern.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der Euro hat in seiner 20-jährigen Geschichte große Fortschritte gemacht. Er entpuppte sich rasch als die nach dem US-Dollar zweitwichtigste internationale Währung der Welt. (10) Konkret verwenden rund 60 Länder weltweit den Euro schon jetzt, wollen ihn verwenden oder haben ihre Währung an den Euro gebunden. Gleichzeitig macht der Euro rund 20 Prozent der internationalen Währungsreserven ausländischer Zentralbanken aus, was die Bedeutung seiner Wertbeständigkeit unterstreicht, und für ein Fünftel der von Unternehmen und Regierungen weltweit emittierten Schuldtitel wird ebenfalls der Euro verwendet. Nicht zuletzt wird der Euro häufig für internationale Zahlungen verwendet: 2017 wurden wertmäßig ca. ein Drittel aller internationalen Transaktionen in Euro fakturiert oder abgerechnet (gegenüber etwa zwei Fünftel in US-Dollar).

3.2.

Die internationale Verwendung des Euro hat folgende Vorteile: a) Das Wechselkursrisiko und damit verbundene Kosten für europäische Unternehmen werden gesenkt; b) die Preistransparenz wird erhöht, wodurch Unternehmen kostengünstigere Rohstoffe beziehen und Verbraucher kostengünstigere Waren erwerben können; c) es wird für eine strengere Inflationsdisziplin gesorgt, was grundsätzlich zu niedrigeren Zinssätzen für private Haushalte und Unternehmen führt; d) die finanzielle Autonomie wird gestärkt, und europäischen Unternehmen (einschließlich KMU) und Regierungen werden Finanzierungen zu günstigeren Konditionen zugänglich gemacht, da die europäischen Finanzmärkte stärker integriert, tiefer und liquider werden; und e) werden der unionsinterne als auch der internationale Handel gefördert.

3.3.

Gleichzeitig würde eine Stärkung der internationalen Rolle des Euro mehr Auswahl für Marktteilnehmer weltweit bedeuten und so die Anfälligkeit der Weltwirtschaft für Schocks aufgrund der starken Abhängigkeit vieler Sektoren (z. B. Energie, Rohstoffe und Flugzeugbau) vom US-Dollar senken.

3.4.

Der Rangunterschied zwischen dem US-Dollar und dem Euro hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht verändert. Zwar hatte sich der Abstand zwischen den beiden Währungen seit der Einführung des Euro allmählich verringert, doch mit dem Beginn der Krise im Euroraum wurde er wieder größer. Trotz der Tatsache, dass der Euro vom weltweit größten Handelsblock ausgegeben wird, dürfte sich diese Situation in absehbarer Zeit nicht ändern. Demnach scheint die Stärkung der internationalen Rolle des Euro nicht nur eine Frage der wirtschaftlichen Größe und Offenheit zu sein, sondern insbesondere damit zusammenzuhängen, dass der Euro in Zeiten weltweiter finanzieller Schwierigkeiten weniger Stabilität bieten kann.

3.5.

Eine stärkere internationale Verwendung des Euro wird auch noch durch weitere Faktoren erschwert, wie z. B.:

i)

die historische Dominanz des US-Dollars als globale Reservewährung;

ii)

die geringeren Kosten für die Nutzung des Dollars und seine höhere Liquidität, insbesondere bei Geldmarktgeschäften;

iii)

die aktuell noch nicht vollendete Integration der europäischen Finanzmärkte als Basis der gemeinsamen Währung.

iv)

Die Tatsache, dass die Mehrheit der internationalen Finanzsysteme für Handel, Geschäfts- und Zahlungsabwicklung Plattformen nutzen, die außerhalb des Euro-Währungsgebiets oder von nicht-europäischen Unternehmen betrieben werden, bietet ebenfalls keine günstige Ausgangsposition für eine stärkere internationale Rolle des Euro.

3.6.

Eine stärkere internationale Rolle des Euro erfordert auch ein noch stabileres und widerstandsfähigeres wirtschaftliches Umfeld sowie ein reibungslos funktionierendes Finanzsystem. Um dies zu erreichen, wurde eine Reihe von Initiativen vorgeschlagen, mit denen die Wirtschaftsleistung im Euro-Währungsgebiet gefördert (11) und große asymmetrische Schocks im Euroraum besser abgefedert werden sollen (12). Der Schwerpunkt sollte jedoch nicht nur auf die Abfederung asymmetrischer Schocks, sondern auch auf die Vereinheitlichung der unterschiedlichen Verhaltensweisen im Euro-Währungsgebiet gelegt werden, das aus den sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen seiner Mitgliedstaaten herrührt. Diese Unterschiede, insbesondere in der Fiskalpolitik sowie im Hinblick auf Lohnentwicklung, Produktivität und Regierungsgestaltung unterminieren die Zukunftschancen des Euro. Ohne eine gewisse Fiskalunion bleibt die Architektur der gemeinsamen Währung unvollständig und das Euro-Währungsgebiet anfällig für künftige Finanz- und Wirtschaftskrisen.

3.7.

Eine weitere Internationalisierung des Euro könnte die Gefahr einer unerwünschten vorübergehenden Währungsaufwertung zur Folge haben, insbesondere in Zeiten globaler Turbolenzen. Dadurch würden wiederum die Wettbewerbsfähigkeit einheimischer Hersteller verringert und die Exportleistung des Euro-Währungsgebiets geschmälert. Eine verstärkte internationale Verwendung des Euro könnte auch mit einigen Kosten verbunden sein, die allerdings durch andere Vorteile wie größere währungspolitische Autonomie und eine stärkere internationale Transmission der Geldpolitik aufgewogen werden.

3.8.

Die internationale Rolle des Euro wurde in gewissem Maße vom Euro-Währungsgebiet selbst angetrieben, denn Investoren aus dem Euro-Währungsgebiet kaufen in großem Maßstab auf Euro lautende Anleihen, die von Emittenten außerhalb des Euro-Währungsgebiets begeben werden. Dennoch ist die internationale Rolle des Euro von einem starken regionalen Fokus geprägt: Sie ist am stärksten in Ländern in unmittelbarer Nähe zum Euro-Währungsgebiet. So gibt es insbesondere zahlreiche Belege dafür, dass die Stadt London eine Schlüsselrolle auf dem Markt für Euro-Anleihen von nicht im Euro-Währungsgebiet ansässigen Emittenten spielt, ob im Hinblick auf Angebot, auf Nachfrage oder als Zwischenhändler. Diesbezüglich könnte sich der Brexit auf diesen Markt auswirken.

3.9.

Aus allgemeinerer Sicht würde die internationale Rolle des Euro gestärkt werden, wenn die EU eine einheitlichere Außenpolitik verfolgen und auf die Fortführung eines multilateralen Handelsansatzes pochen würde. Die Währung der EU kann nur dann ein hohes internationales Ansehen erlangen, wenn die EU vereint agiert und ihr Handeln von der kollektiven diplomatischen und wirtschaftlichen Kraft der EU gestützt werden. Dies sollte in Bereichen wie Energie, Verkehr, Industrie und anderen Sektoren gelten, in denen die Interessen der EU und des Euro-Währungsgebiets insgesamt an erster Stelle stehen sollten. Die EU muss zudem bei Fragen der geopolitischen Entwicklungen unbedingt mit einer Stimme sprechen. Dies gilt zum Beispiel für den wachsenden Einfluss Chinas auf den internationalen Handel durch die Initiative der neuen Seidenstraße (One Belt, One Road), einem wirtschaftlichen und diplomatischen Programm, mit dem China den Handel in Asien und darüber hinaus transformieren und dominieren könnte. Die EU muss die Auswirkungen dieses wirtschaftlichen und diplomatischen Programms gründlich prüfen, da es Chinas weltweite wirtschaftliche Präsenz verstärken würde. Die EU und insbesondere das Euro-Währungsgebiet können es sich nicht leisten, dem Verlauf dieses Programms untätig zuzusehen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

In Anbetracht der in Ziffer 3.2 genannten Vorteile des Euro scheint es möglicherweise überraschend, dass nicht alle Mitgliedstaaten dem Euro-Währungsgebiet beigetreten sind. Die Gründe hierfür mögen vielgestaltig sein und können den Vorbereitungsstand der betreffenden Mitgliedstaaten, ihre Einhaltung der für den Beitritt zum Euro erforderlichen wirtschaftlichen Kriterien sowie in bestimmten Fällen andauernde rechtliche Hindernisse für die Erfüllung dieser Kriterien umfassen. Alles in allem spiegelt die Nichtbeteiligung am Euro die bestehenden Unterschiede in der EU in puncto sozialen Zusammenhalts und wirtschaftlicher Konvergenz wider. Diese Unterschiede müssen bewältigt werden, wenn die Erweiterung des Euro-Währungsgebiets zu weiterer wirtschaftlicher Stabilität führen und seine Widerstandsfähigkeit gegen externe wirtschaftliche Schocks erhöhen soll. Dies wiederum würde die EU als globale Macht und die internationale Rolle des Euro stärken.

4.2.

Für die Zukunft des Euro und seine internationale Rolle ist das Zusammenwirken der Fiskal- und Geldpolitik im gesamten Euro-Währungsgebiet von entscheidender Bedeutung. Um stabile makroökonomische Bedingungen zu schaffen, müssen jedoch sowohl der fiskal- als auch der geldpolitische Kurs so ausgerichtet werden, dass Bedenken hinsichtlich der Tragfähigkeit von Staatsanleihen zerstreut und Wachstumsaussichten verbessert werden. Auch hier ist die Situation der einzelnen Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets verschieden; Grund dafür ist das nicht optimale Zusammenspiel zwischen Fiskal-, Struktur- und Geldpolitik im Anschluss an die weltweite Finanzkrise, in deren Folge die Anpassungslast ungleich auf die einzelnen Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets verteilt wurde. Dies liegt an dem bestehenden institutionellen Rahmen des Euro, der einzelne Mitgliedstaaten einschränkt und in dem Instrumente zur Sicherung einer wirksamen und koordinierten Wirtschafts- und Fiskalpolitik des gesamten Euro-Währungsgebiets fehlen.

4.3.

Dies ist mit ein Grund für die anhaltenden Ungleichgewichte und Ungleichheiten im Euro-Währungsgebiet und dafür, dass eine Beschleunigung der Aufwärtskonvergenz für so notwendig erachtet wird. Sie würde zu einer Verbesserung der Wirtschaftsleistung beitragen und die soziale und politische Stabilität fördern. All diese Aspekte sind für eine stärkere internationale Rolle des Euro von entscheidender Bedeutung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die geldpolitischen Herausforderungen in einem Wirtschaftsraum, dessen Mitgliedstaaten so unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Bedingungen aufweisen, gewaltig.

4.4.

Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um das Problem der notleidenden Kredite zu bewältigen. Sie sind eine erhebliche Belastung für die Finanzierung der EU-Wirtschaft, da sie die Kreditvergabe verzerren, das Marktvertrauen schmälern und letztlich das Wirtschaftswachstum verlangsamen. Es ist zu bedenken, dass in den nationalen Bankensektoren innerhalb des Euro-Währungsgebiets noch immer erhebliche Risiken vorhanden sind, die die Entwicklung eines gemeinsamen Einlagenversicherungssystems behindern. Zweifellos verursacht eine Verringerung notleidender Kredite und eine Bankenrekapitalisierung Kosten sowohl für Regierungen als auch für den Privatsektor. Der EWSA fordert im Einklang mit seiner früheren Stellungnahme (13) eine verantwortungsvolle Kreditvergabe durch die Kreditinstitute und betont, dass die einzelstaatlichen und die europäischen Behörden ihre Kräfte bündeln und weitere Fortschritte beim Aufbau eines umfassenden und verlässlichen EU-Rahmens für notleidende Kredite erzielen müssen.

4.5.

Die Vollendung der Bankenunion und die weitere Integration der Kapitalmarktunion werden ebenfalls als Voraussetzung für makroökonomische Stabilität angesehen. Die Bankenunion ist für die Nutzung der Vorteile grenzüberschreitender Bankgeschäfte in der Währungsunion von entscheidender Bedeutung. Zwar wurden bereits erhebliche Fortschritte erzielt, doch die Bankenunion ist noch nicht vollendet. Auch müssen im Euro-Währungsgebiet bei weiteren wichtigen Initiativen zur Festigung der Finanzunion weiterhin Fortschritte erzielt werden. Durch die Kapitalmarktunion wird die grenzüberschreitende finanzielle Integration gefördert, und Banken und Kapitalmärkte können sich bei der Finanzierung der Wirtschaft im Euro-Währungsgebiet ergänzen.

4.6.

Aus zwei Hauptgründen kann der Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen durch die Bankenunion und die Kapitalmarktunion gemeinsam auf eine neue Ebene gebracht werden: a) Unternehmen würden mit gesünderen, tieferen und stärker integrierten Finanzmärkten Zugang zu Krediten mit günstigeren Konditionen erhalten, mit denen sie profitable Investitionen tätigen könnten, und b) eine Integration der Finanzmärkte würde zu einer Verbesserung des Finanzierungsumfeldes führen, insbesondere für KMU, die häufig als das Rückgrat der europäischen Wirtschaft im Hinblick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, Innovationen und Wirtschaftswachstum bezeichnet werden. Auf einem integrierten Finanzmarkt könnten Banken Skaleneffekte besser nutzen, indem sie ähnliche oder identische Produkte und Dienstleistungen in mehreren Mitgliedstaaten anbieten. Zudem würden sie wahrscheinlich ihre grenzüberschreitenden Bestände an Vermögenswerten erweitern und wären in der Lage, größere und stärker diversifizierte Sicherheitspools für verbriefte Produkte und gedeckte Schuldverschreibungen zu schaffen.

4.7.

Ein gut funktionierender und integrierter Kapitalmarkt wird für ein funktionierendes Währungsgebiet als sehr wichtig erachtet, daher sollte die Überwindung der bestehenden Schwächen der europäischen Kapitalmärkte oberste Priorität genießen, insbesondere im Falle eines ungeregelten Brexits. Es sollte jedoch bedacht werden, dass das Projekt der Kapitalmarktunion sehr verschiedene Ansätze umfasst, von denen einige möglicherweise nicht zu dem ursprünglich angestrebten Ergebnis geführt haben. Beispiele umfassen europaweite private Altersvorsorgeprodukte und die Initiative für den Verbriefungsmarkt. Der EWSA erkennt jedoch die Rolle der staatlichen Altersrente für Menschen an, die sich eine private Altersvorsorge nicht leisten können. Tatsächlich war der Erfolg der Kapitalmarktunion bisher eher durchwachsen. Gleichwohl werden diese Initiativen langsam aber sicher letztlich zu einer Stärkung der internationalen Rolle des Euro beitragen.

4.8.

Darüber hinaus ist es in der Zeit nach der Finanzkrise wichtig zu begreifen, dass eine weitere Stärkung der internationalen Rolle des Euro von der finanziellen Stabilität des Euro-Währungsgebiets abhängt. Die Ausgabe gemeinsamer Schatzwechsel, Anleihen und Schuldverschreibungen des Euro-Währungsgebiets als sichere Anlagen, ähnlich wie sie vom US-Finanzministerium begeben werden, zusammen mit einer angemessenen Verwaltungsstruktur (einschließlich eines robusten und zuverlässigen fiskalpolitischen Rahmens), würde eine größere Stabilität fördern, indem besicherte und liquide Schuldtitel zur Finanzierung eines unerwarteten Anstiegs der öffentlichen Ausgaben bereitgestellt würden.

4.9.

Die Ausgabe gemeinsamer Anleihen des Euro-Währungsgebiets sollte vornehmlich auch mit einem verbesserten Aufsichtsrahmen einhergehen. Die Risiken derartiger Produkte müssen, beispielsweise durch Risiko- und Garantie-Pools, insbesondere im Kontext einer stark integrierten Kapitalmarktunion berücksichtigt werden.

4.10.

Die Stärkung der internationalen Rolle des Euro, insbesondere als Konkurrenz zum US-Dollar als Reservewährung, sollte nicht als Einbahnstraße zum Erlangen eines Wettbewerbsvorteils betrachtet werden. Sie kann auch zu globalem Druck auf die Binnenwirtschaft des Euro-Währungsgebiets in Relation zu wirtschaftlichen Entwicklungen in konkurrierenden Nationen führen. Eine wirksame und einstimmige Reaktion darauf kann jedoch stärkeren sozialen Zusammenhalt und größere wirtschaftliche Konvergenz im Euro-Währungsgebiet bewirken. Die geopolitische Rolle der EU und die globale Reichweite des Euro werden vermutlich auch durch europäische Initiativen zur Förderung der Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigung und internationale Beziehungen gesteigert.

4.11.

Der nicht einfache Weg zu einer stärkeren internationalen Rolle des Euro könnte durch die EZB — in erster Linie durch die Erfüllung ihres Mandats der Wahrung der Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet — ein wenig geebnet werden. Zudem verleiht die Unterstützung der EZB für makroökonomische Maßnahmen und die Vertiefung der WWU und der Kapitalmarktunion einer verstärkten internationalen Rolle des Euro weitere Impulse.

Brüssel, den 19. Juni 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 796 final.

(2)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 28.

(3)  ABl. C 197 vom 8.6.2018, S. 1.

(4)  https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2017/03/25/rome-declaration/

(5)  https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/soteu2018-speech_de.pdf

(6)  https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/reflection-paper-emu_de.pdf

(7)  COM(2018) 767 final.

(8)  http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstream/JRC96913/lbna27754enn.pdf

(9)  C(2018) 8111 final.

(10)  COM(2018) 767 final.

(11)  https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/communication_—_long-term_budget_for_europes_priorities.pdf

(12)  COM(2018) 387 final.

(13)  ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 43.


20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/32


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“

(COM(2019) 151 final)

(2019/C 282/06)

Berichterstatterin: Ana BONTEA

Befassung

Rat der Europäischen Union, 12.3.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.6.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

20.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

211/3/10

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bekräftigt seine früheren Feststellungen und Empfehlungen zu den Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten, damit sie sinnvoll genutzt werden (1).

1.2.

Der EWSA begrüßt die europäischen und einzelstaatlichen Maßnahmen, die zu Fortschritten im Bereich der Beschäftigung geführt haben, und empfiehlt, sie beizubehalten und weiterzuentwickeln, um die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit, qualifizierte, gut ausgebildete, anpassungsfähige und somit besser auf die Entwicklungen insbesondere im Bereich der Technologie vorbereitete Arbeitskräfte, Arbeitsmärkte, die auf den wirtschaftlichen Wandel reagieren können, die Verwirklichung der Ziele Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt, die Verringerung der Ungleichheiten sowie die Förderung der Chancengleichheit für alle, der sozialen Inklusion und der Armutsbekämpfung zu gewährleisten und so die regionalen Unterschiede bei den Lebens- und Arbeitsbedingungen zu beseitigen sowie die Funktionsweise des Arbeitsmarktes und die Wirksamkeit des sozialen Dialogs zu verbessern.

1.3.

Der EWSA bekräftigt, dass bei der Konzipierung von Maßnahmen zur Regulierung des Arbeitsmarkts und der sozialen Rechte die eng miteinander verwobenen Aspekte Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und soziale Nachhaltigkeit/Arbeitnehmerrechte in Einklang gebracht werden müssen. Sämtliche Maßnahmen der europäischen, einzelstaatlichen und lokalen Einrichtungen sollten einem angemessenen Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit Rechnung tragen.

1.4.

Es bedarf Strukturmaßnahmen und -reformen, welche die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, die Förderung eines verantwortungsvollen Unternehmertums sowie die Entwicklung der KMU und Sozialunternehmen erleichtern.

1.5.

Der EWSA betont, wie wichtig es ist, eine inklusive, gerechte und hochwertige technische, berufliche und tertiäre Bildung einschließlich der Hochschulbildung sicherzustellen, ein hohes Niveau an einschlägigen Kompetenzen und Kenntnissen in den Bereichen Beschäftigung, menschenwürdige Arbeitsplätze und Unternehmertum zu gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle zu fördern.

1.6.

Ein gut funktionierender sozialer Dialog ist von wesentlicher Bedeutung für die Verbesserung der Gestaltung, der Umsetzung, aber auch der Weiterverfolgung der Reformen (2).

1.7.

Der EWSA bekräftigt seine früheren Empfehlungen, die Anstrengungen zur Beseitigung der Unterschiede fortzusetzen, da die Aufwärtskonvergenz ein Querschnittsprinzip ist, das in allen Politikbereichen der Union berücksichtigt und dort verankert werden muss.

1.8.

Der EWSA bekräftigt seine Feststellungen und Empfehlungen zur europäischen Säule sozialer Rechte (3).

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

In dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates ist die Beibehaltung der vier im Anhang zu dem Beschluss 2018/1215/EU (4) enthaltenen Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Jahr 2019 vorgesehen.

2.2.

In seinen früheren Stellungnahmen (5) hat der EWSA Feststellungen und Empfehlungen zu den Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten formuliert, die er im Rahmen dieser Stellungnahme bekräftigt, damit sie sinnvoll genutzt werden.

2.3.

Der EWSA begrüßt die Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene, die Fortschritte ermöglicht haben (6) ‘ und empfiehlt ihre Fortsetzung und Weiterentwicklung, wobei darauf zu achten ist, dass die Qualität der Beschäftigung fortwährend verbessert und Ungleichheiten verringert werden — es bestehen nämlich nach wie vor Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, den Regionen und den verschiedenen Personengruppen auf dem Arbeitsmarkt, und das Wachstum kommt nicht allen Ländern, Regionen und Bürgern gleichermaßen zugute, denn in einigen Staaten werden nach wie vor hohe Arbeitslosenquoten verzeichnet, wobei das Realeinkommen der Haushalte unter dem Niveau vor der Krise liegt und die Armutsquoten hoch sind.

2.4.

Bis 2020 müssen sich die Mitgliedstaaten und die Union in Absprache mit den Sozialpartnern um die Entwicklung einer neuen koordinierten Beschäftigungsstrategie bemühen, die insbesondere die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit, qualifizierte, gut ausgebildete und somit besser auf die — vor allem technologischen — Entwicklungen vorbereitete Arbeitskräfte, Arbeitsmärkte, die rasch auf den wirtschaftlichen Wandel reagieren können, die Verwirklichung der Ziele Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt, die Verringerung der Ungleichheiten sowie eine bessere Funktionsweise des Arbeitsmarktes und einen wirksameren sozialen Dialog gewährleistet.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.   Ankurbelung der Nachfrage nach Arbeitskräften und der Investitionen

3.1.1.

Wie in den Länderberichten 2019 hervorgehoben wird, bestehen in allen Mitgliedstaaten Investitionshindernisse in einzelnen Politikbereichen. Beispiele hierfür sind der Verwaltungs- und Regelungsaufwand, die mangelnde Vorhersehbarkeit des Rechtsrahmens, die begrenzte Wirksamkeit der Justizsysteme und die Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung (7) (Reformen und Investitionen erfordern ausreichende administrative und technische Kapazitäten der Mitgliedstaaten, damit sie die erwarteten Ergebnisse erzielen können), die umständlichen und langwierigen Genehmigungsverfahren sowie insbesondere der Fachkräftemangel aufgrund der Schwächen in den Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung. Qualifikationsdefizite werden in mehreren Länderberichten als Faktor genannt, der Investitionen behindert bzw. verzögert. Trotz der jüngsten Bemühungen und Fortschritte (8) in Bezug auf bestimmte Mängel des Finanzsystems muss auf die verbleibenden Schwierigkeiten hingewiesen werden, auf die Unternehmen und insbesondere KMU beim Zugang zu Finanzmitteln für Investitionen (9) stoßen. All diese Schwachstellen mit relevanten grenzüberschreitenden Auswirkungen erfordern angemessene Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene‘ damit die Union und ihre Mitgliedstaaten wieder ihr jeweiliges Investitionsniveau von vor der Krise erreichen und die in der Strategie Europa 2020 für Unternehmen festgelegten Ziele in Bezug auf FuE und betriebliche Weiterbildung der Arbeitnehmer verwirklicht werden können.

3.1.2.

Es bedarf gezielterer Investitionsmaßnahmen in Verbindung mit einer Reihe gut durchdachter Strukturreformen, welche die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, die Förderung eines verantwortungsvollen Unternehmertums und echter selbständiger Tätigkeit sowie die Unterstützung der Gründung und des Wachstums von KMU und Sozialunternehmen erleichtern.

3.1.3.

Erforderlich sind eine integrative, kohärente und KMU-freundliche bereichsübergreifende europäische Politik sowie der Übergang vom Prinzip „Vorfahrt für KMU“ (Think small first) zu dem Ansatz „Vorrangiges Handeln für KMU“ (Act small first). Der EWSA bekräftigt seine früheren Empfehlungen (10), darunter auch jene zur Einführung eines Indikators zur Bewertung der Unternehmerfreundlichkeit des Wirtschaftsumfelds.

3.1.4.

Angesichts der demografischen Entwicklung sind Produktivitätssteigerungen von entscheidender Bedeutung für ein zukünftiges nachhaltiges Wirtschaftswachstum in allen Mitgliedstaaten. Die größte Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger und die Sozialpartner besteht darin, die Produktivität in Europa durch gezieltere Investitionen in Sach- und Humankapital, durch die Nutzung technologischer Fortschritte in der Industrie und im Dienstleistungssektor sowie durch eine Ausweitung der produktiven Investitionen in Innovation, Forschung und Entwicklung, in wachstumssichernde Projekte sowie in physische und soziale Infrastrukturen wie IKT-Netze und Betreuungseinrichtungen zu steigern (11). Es sind größere Anstrengungen erforderlich, um in die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze zu investieren und prekäre Arbeitsverhältnisse zu bekämpfen, da dadurch auch die Produktivität beeinträchtigt wird.“

3.2.   Verbesserung des Zugangs zu Beschäftigung, zu Kompetenzen und zu Qualifikationen (12)

3.2.1.

Besonderen Anlass zu Sorge gibt im Jahr 2019 das sich bestätigende Missverhältnis zwischen strukturellen Qualifikationen und Arbeitsmarkterfordernissen, aufgrund dessen Unternehmen aus der EU zunehmend Schwierigkeiten bei der Einstellung von Arbeitskräften haben. Dies ist auf den Mangel an relevanten Qualifikationen in der EU zurückzuführen, der die Produktionskapazität noch zusätzlich unter Druck bringt. Fachkräftemangel besteht nicht nur in Ländern mit hoher Beschäftigungs-, sondern auch in Ländern mit hoher Arbeitslosenrate, wobei er in bestimmten Branchen besonders akut ist: Baugewerbe, IKT-Dienstleistungen, Ingenieur- und Finanzdienstleistungen (13). Für eine Besserung dieser Situation sind effektivere Maßnahmen erforderlich, wobei die Priorität auf Reformen der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in den meisten Ländern sowie auf der Förderung eines ergebnisorientierten Ansatzes in der Hochschulbildung liegen sollte.

3.2.2.

Vorrang haben die Gewährleistung von Gleichberechtigung und Chancengleichheit, eines gleichberechtigten Zugangs zu hochwertiger Bildung und zu einem hohen Niveau an Kompetenzen und Kenntnissen sowie die gerechte Verteilung der Lernergebnisse.

3.2.3.

Angesichts der Herausforderungen bei der Integration von Migranten und Flüchtlingen, des Rechtsextremismus und des nationalistischen Populismus sollten Bildungseinrichtungen und Lehrkräfte die Unterstützung, den Raum und die Instrumente erhalten, die erforderlich sind, um die Werte der Demokratie, des aktiven Bürgersinns, des kritischen Denkens, der Toleranz und des Friedens zu integrieren.

3.2.4.

Gut funktionierende und auf die duale Ausbildung gestützte Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung tragen zu einem Anstieg der Erwerbstätigkeit junger Menschen bei.

3.2.5.

Zur Gewährleistung einer umfassenden digitalen Kompetenz aller Lehrkräfte und Schüler sowie aller Bürger, auch der Randgruppen, müssen angemessene öffentliche Mittel, modernste Ausrüstung und die Einstellung kompetenter Fachkräfte sichergestellt werden.

3.2.6.

Die Behebung des Fachkräftemangels ist eine mehrdimensionale Aufgabe, für die erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen. Es gilt, Kreativität, Unternehmergeist und Mobilität in der allgemeinen und beruflichen Bildung auf allen Ebenen sowie das lebenslange Lernen und die Knüpfung engerer Verbindungen zwischen Unternehmen und Bildungsanbietern zu fördern. Hierbei kommt auch den Sozialpartnern eine wichtige Rolle zu.

3.2.7.

Neben dem Zugang zu hochwertiger allgemeiner und beruflicher Bildung benötigen Menschen mit Behinderungen und andere Bevölkerungsgruppen, die mit Nachteilen konfrontiert sind, gezielte Maßnahmen und Unterstützung, um ihren Zugang zum Arbeitsmarkt zu verbessern.

3.3.   Verbesserung der Wirksamkeit des sozialen Dialogs auf nationaler und europäischer Ebene (14)

3.3.1.

Ein gut funktionierender sozialer Dialog ist von entscheidender Bedeutung für die Erreichung der vorgenannten Ziele — soziale Aufwärtskonvergenz, Zugang zu hochwertiger Beschäftigung, Qualifikationen und Kompetenzen — sowie für eine bessere Ausgestaltung und Umsetzung von sich aus diesen Zielen ergebenden Reformen zur Stärkung der Eigenverantwortung.

3.3.2.

Die rechtzeitige und sinnvolle Einbeziehung der Sozialpartner in das gesamte Europäische Semester ist ausschlaggebend für eine bessere Einbindung in die Politikgestaltung und trägt gleichzeitig zur erfolgreichen Umsetzung der Maßnahmen bei, indem für einen Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gesorgt wird. Die Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern kann wichtige Impulse für eine erfolgreiche, nachhaltige und integrative Wirtschaftspolitik sowie für Beschäftigung und soziale Inklusion sein.

3.3.3.

Die Sozialpartner sind in der Lage, innovative Lösungen zu finden, um die gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen, den demografischen Wandel, die Digitalisierung und die Auswirkungen der Globalisierung zu bewältigen. Der Rechtsrahmen auf nationaler und europäischer Ebene sollte einen Raum für Innovationen auf Unternehmens-, Branchen- und nationaler Ebene gewährleisten, um die Entwicklung der Sozialpartner zu fördern. Der Europäische Sozialfonds (ESF) spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des Ausbaus der Kapazitäten der Sozialpartner, wie die vierseitige Erklärung „Ein Neubeginn für den Sozialen Dialog“ (2016) zeigt, und der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Umsetzung der Empfehlungen der Sozialpartner sicherzustellen (15).

3.3.4.

Die Beteiligung der Sozialpartner am Europäischen Semester erfordert auch eine zusätzliche Unterstützung für den Kapazitätsaufbau, um zu den verschiedenen Phasen des Prozesses — einschließlich der Durchführung von Reformen — beitragen zu können. In einigen Ländern ist es zudem wichtig, die Kapazitäten der Sozialpartner zu stärken, damit die Ergebnisse des europäischen sozialen Dialogs umgesetzt werden können.

3.3.5.

Wie in den Länderberichten 2019 hervorgehoben wird, steht die positive Entwicklung in einigen Mitgliedstaaten im Gegensatz zu den Rückschritten in anderen Mitgliedstaaten. So ging in einigen Mitgliedstaaten die Beteiligung der Sozialpartner auf nationaler Ebene zurück. Die Anhörung der Sozialpartner sollte obligatorisch sein.

3.3.6.

Der soziale Dialog sollte bei der Gestaltung, Umsetzung und Überwachung der Reformen eine größere Rolle spielen. Die sozialpartnerschaftlichen Vereinbarungen zur Ermittlung dringender Probleme und politischer Faktoren für Verbesserungen der Arbeitsmärkte müssen ebenso berücksichtigt werden wie die Länderberichte und das sozialpolitische Scoreboard.

3.4.   Förderung von Chancengleichheit für alle und sozialer Inklusion sowie Armutsbekämpfung (16)

3.4.1.

Der EWSA bekräftigt, dass bei der Konzipierung von Maßnahmen zur Regulierung des Arbeitsmarkts und der sozialen Rechte die eng miteinander verwobenen Aspekte Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und soziale Nachhaltigkeit/Arbeitnehmerrechte in Einklang gebracht werden müssen. Alle Akteure müssen sich für ein integratives Wachstum und gleichzeitig für die Schaffung günstiger Bedingungen für Unternehmen einsetzen, mit dem Ziel, mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Eine gerechtere Gesellschaft kann nur dann entstehen, wenn für Wirtschaftswachstum gesorgt wird und inklusivere und nachhaltigere Arbeitsplätze geschaffen werden, die den Bürgerinnen und Bürgern menschenwürdige Arbeitsbedingungen, angemessene Gehälter und Renten sichern und ihnen die Möglichkeit eröffnen, ihre Rechte wahrzunehmen.

3.4.2.

Trotz der wirtschaftlichen Erholung in ganz Europa bestehen auf dem Arbeitsmarkt weiterhin Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, Regionen und Bevölkerungsgruppen. Das Wachstum in Europa kommt nicht allen Ländern, Regionen und Menschen in gleichem Maße zugute. So werden in einigen Mitgliedstaaten nach wie vor hohe Arbeitslosen- und Armutsquoten verzeichnet, und die realen Haushaltseinkommen liegen immer noch unter dem Vorkrisenniveau. Die regionalen Unterschiede sind nach wie vor erheblich und nehmen in einigen Mitgliedstaaten zu.

3.4.3.

Die länderspezifischen Empfehlungen (17) können eine Schlüsselrolle für die Steigerung der Wirksamkeit der beschäftigungspolitischen Leitlinien und der europäischen Säule sozialer Rechte spielen; dies bietet eine wichtige Gelegenheit, nationale Maßnahmen im Einklang mit den Leitlinien und den Grundsätzen der Säule zu gestalten, um gemeinsame Ergebnisse zu erzielen. Sie sollten darauf abzielen, diese Unterschiede zu verringern und die für diesen Zweck vorgesehenen Mittel aufzustocken und einzusetzen.

3.4.4.

In manchen Mitgliedstaaten ist die Arbeitslosenquote noch nicht auf ihr früheres Niveau zurückgegangen und liegt weiterhin bei über 10 %. Die Lage der jungen Menschen ist in mehreren Ländern nach wie vor problematisch: Der hohe Anteil junger Menschen, die sich weder in Beschäftigung noch in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung befinden, gibt Anlass zur Sorge, was die derzeitige und künftige Beschäftigungsfähigkeit dieser Jugendlichen betrifft (18). Andere Mitgliedstaaten verzeichnen dagegen einen zunehmenden Arbeitskräftemangel, wodurch das weitere Wachstum gebremst wird.

3.4.5.

Insgesamt bestehen trotz steigender Beschäftigungsquoten bei Frauen nach wie vor geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Beschäftigungsquote, was ein Lohngefälle nach sich zieht (19). Vor allem Geringqualifizierte und Menschen mit Migrationshintergrund haben Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden (20). Auch Menschen mit Behinderungen sind immer noch benachteiligt (21). Darüber hinaus gibt es in vielen Mitgliedstaaten große regionale Unterschiede, was die Teilhabe am Arbeitsmarkt angeht. Der demografische Wandel und die technologischen Entwicklungen verändern die europäischen Arbeitsmärkte. Diese Probleme müssen durch legislative und administrative Maßnahmen und die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Institutionen und den Sozialpartnern angegangen werden.

3.5.   Die europäische Säule sozialer Rechte

3.5.1.

Die europäische Säule sozialer Rechte bildet eine wesentliche Grundlage für die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und der Sozialschutzsysteme in Europa. Sie ist unter anderem essenziell für die Garantie der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und für die Verbesserung der Sozialstandards sowie der Konvergenz zwischen den EU-Mitgliedstaaten — hierzu zählen auch Tarifverhandlungen und der Zugang zu Sozialleistungen. In Bezug auf die europäische Säule sozialer Rechte bekräftigt der EWSA seine Feststellungen und Empfehlungen aus früheren Stellungnahmen (22).

3.5.2.

In den Länderberichten 2019 wird besonders darauf geachtet, welche Ergebnisse die Mitgliedstaaten bei den verschiedenen Aspekten der europäischen Säule sozialer Rechte erzielen. Die Umsetzung der Säule gibt die Richtung für die Verwirklichung eines inklusiven, fairen und nachhaltigen Wachstums vor.

3.5.3.

Die Zukunft des Arbeitsmarkts sollte eine Schlüsselpriorität in den Debatten über die Säule sozialer Rechte sein, in denen es um die wichtigsten Veränderungen in diesem Bereich gehen wird, und es bedarf einer kohärenten europäischen Beschäftigungsstrategie, die folgende Themen umfasst:

Investitionen und Innovation

Beschäftigung und Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze

faire Arbeitsbedingungen für alle

faire und reibungslose Übergänge, gefördert durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik

Einbeziehung aller Interessenträger, insbesondere der Sozialpartner.

3.5.4.

Alle Interessenträger müssen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Zukunft der Arbeit gerecht und inklusiv ist, Arbeitsplätze für alle bietet und für sozialen Fortschritt, qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte mit einem angemessenen Einkommen und einen Zugang zu hochwertiger Beschäftigung sorgt.

3.5.5.

Diese Fortschritte müssen finanziert werden: Eine wirksame Umsetzung der Säule in den Mitgliedstaaten wird nur möglich sein, wenn sie über ausreichende finanzielle Mittel für Investitionen in eine Sozialpolitik verfügen, die auf die Umsetzung der Rechte und Grundsätze in den einzelnen politischen Initiativen abzielt. Hierfür müssen Mechanismen wie der Europäische Sozialfonds und der Europäische Fonds für strategische Investitionen genutzt werden.

3.6.   EU-Fonds (23)

3.6.1.

Der EWSA begrüßt die im Entwurf der ESF+-Verordnung vorgesehene stärkere Verknüpfung zwischen dem ESF und dem Europäischen Semester, insbesondere die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen.

3.6.2.

In einigen Mitgliedstaaten machen EU-Mittel einen entscheidenden Teil der öffentlichen Investitionen aus. Ein gezielterer Einsatz von EU-Mitteln entsprechend der Analyse und den Empfehlungen des Europäischen Semesters sollte zu besseren Ergebnissen und einer stärkeren Wirksamkeit der kohäsionspolitischen Mittel führen.

3.6.3.

Dem Europäischem Fonds für strategische Investitionen und den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds sollte eine entscheidende Rolle bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum und der Förderung des territorialen und sozialen Zusammenhalts zukommen, doch müssen diese Mittel wirksamer und effizienter eingesetzt werden, und langfristige Investitionen der EU in hochwertige soziale Infrastrukturen und Dienstleistungen, u. a. durch den Europäischen Fonds für strategische Investitionen und die Europäische Investitionsbank, müssen vorrangig sein.

3.7.   Digitalisierung

3.7.1.

Der EWSA hat sich in zahlreichen Stellungnahmen (24) mit dem Phänomen der Digitalisierung und ihren Auswirkungen auf die Organisation der Arbeit und auf die Beschäftigung befasst.

3.7.2.

Durch die Entwicklungen in Bereichen wie Genetik, künstliche Intelligenz, Robotik, Nanotechnologie, 3D-Druck und Biotechnologie wird die vierte industrielle Revolution die Art und Weise, wie wir konsumieren, produzieren und arbeiten, erheblich verändern. Dies wird auch große Herausforderungen mit sich bringen, die eine proaktive Anpassung seitens der Unternehmen, Behörden und Bürger erfordert. Parallel zur technologischen Revolution verstärken sich die Auswirkungen einer Reihe sozioökonomischer, geopolitischer und demografischer Faktoren im Zusammenhang mit diesen Veränderungen, da sie jeweils in mehrere Richtungen wirken und sich gegenseitig verstärken. Im Zuge der Anpassung der gesamten Industrie werden sich die meisten Berufsbilder grundlegend verändern.

3.7.3.

Während einige Arbeitsplätze überflüssig werden und andere Berufe wiederum einen starken Aufschwung erleben könnten, müssen in den bestehenden Beschäftigungsverhältnissen die notwendigen Kompetenzen erworben werden. Spezifische Maßnahmen sind erforderlich, um Qualifikationsdefizite, Massenarbeitslosigkeit und zunehmende Ungleichheiten zu beheben, die eine Umschulung und Verbesserung der Qualifikationen, einen proaktiven Ansatz für lebenslanges Lernen, Anreize und entsprechende Einrichtungen sowie branchenübergreifende Partnerschaften erfordern.

3.7.4.

Dank eines besseren Verständnisses des Wandels der Arbeitswelt insgesamt und der Beschäftigungsverhältnisse im digitalen Zeitalter sollte es möglich sein, die Beschäftigungspolitik der EU wirksamer zu gestalten.

3.7.5.

Lebenslanges Lernen, Umschulungen und Weiterqualifizierung sollten Vorrang haben, um sicherzustellen, dass alle Menschen in dem globalisierten und hochtechnisierten Arbeitsumfeld einen Arbeitsplatz finden und Zugang zu Informationen und teilweise essenziellen Dienstleistungen erhalten.

3.7.6.

Im digitalen Zeitalter muss gewährleistet sein, dass alle Risikogruppen Zugang zum Internet und zu Schulungen in digitalen Kompetenzen haben, ihre Rechte wahrnehmen und insbesondere jene sozialen Dienste in Anspruch nehmen können, die von grundlegender Bedeutung sind.

3.7.7.

Die neuen Ungleichheiten und sozialen Risiken im digitalen Zeitalter ergeben sich möglicherweise auch aus dem Phänomen der digitalen Ausgrenzung, denn einige Bevölkerungsgruppen verfügen nicht über die notwendigen IT-Kompetenzen und grundlegenden Kenntnisse im digitalen Bereich, um auf zum Teil unabdingbare Informationen und Dienste zugreifen zu können.

Brüssel, den 20. Juni 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 57.

(2)  ABl. C 159 vom 10.5.2019, S. 1; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30.

(3)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 1; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145; ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10.

(4)  Beschluss 2018/1215/EU des Rates vom 16. Juli 2018 zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (ABl. L 224 vom 5.9.2018, S. 4).

Ankurbelung der Nachfrage nach Arbeitskräften;

Verbesserung des Arbeitskräfteangebots und des Zugangs zu Beschäftigung, Fähigkeiten und Kompetenzen;

Verbesserung der Funktionsweise der Arbeitsmärkte und der Wirksamkeit des sozialen Dialogs;

Förderung von Chancengleichheit für alle, Förderung der sozialen Inklusion und Bekämpfung der Armut.

(5)  ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 68; ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 57.

(6)  Mitteilung COM(2019) 150 final : Die Europäische Union blickt zum siebten Mal in Folge auf ein Jahr des Wirtschaftswachstums zurück. Die anhaltende wirtschaftliche Erholung wirkt sich positiv auf die Arbeitsmärkte und den sozialen Fortschritt aus. Die Beschäftigungslage verbessert sich weiter — die Zahl der Erwerbstätigen belief sich im vierten Quartal 2018 auf 240 Mio., die Arbeitslosenquote erreichte 6,6 % und damit den Stand von 2000. Allein im Jahr 2017 konnten mehr als fünf Millionen Menschen Armut und soziale Ausgrenzung hinter sich lassen.

(7)  Siehe die Mitteilung COM(2019) 150 final (Anhang 4) sowie die Mitteilung COM(2019) 500 final.

(8)  Zugang zu Finanzierung für KMU und Unternehmen mit mittlerer Kapitalausstattung im Zeitraum 2014-2020: Chancen und Herausforderungen (Informationsbericht); ABl. C 345 vom 13.10.2017, S. 15; ABl. C 197 vom 8.6.2018, S. 1.

(9)  Siehe Fußnote 8.

(10)  COM(2019) 150 final .

(11)  Siehe Fußnote 10.

(12)  SOC/622 (in Erarbeitung); ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 136; SOC/5,7, ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 8; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 167; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 57; ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 67.

(13)  Siehe die vom EWSA in Auftrag gegebene Studie zum Thema „Skills mismatches“, 2018.

(14)  ABl. C 159 vom 10.5.2019, S. 1; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30.

(15)  Erklärung des Vorsitzes des Rates der Europäischen Union, der Europäischen Kommission und der europäischen Sozialpartner zum Thema „Ein Neubeginn für den sozialen Dialog“, 2016 .

(16)  ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 15; ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 1; ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 135; SOC/620 (in Erarbeitung); ABL. C 228 vom 5.7.2019, S. 7.

(17)  Länderspezifische Empfehlungen.

(18)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 142.

(19)  SOC/610 (ABl. C 240 vom 16.7.2019, S. 3); ABl. C 110 vom 22.3.2018, S. 26; ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 37; ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 101; ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 20

(20)  Die Kosten für Nicht-Einwanderung und Nicht-Integration (Informationsbericht) ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 19; ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 46.

(21)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 15; ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 20; SOC/616 (in Erarbeitung).

(22)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145; SOC/614 (in Erarbeitung).

(23)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 165.

(24)  ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 8; ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 7; ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 1; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 36; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30; ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 45; ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 54; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 74; SOC/622 (in Erarbeitung).


ANHANG

Die folgende Ziffer der Stellungnahme der Fachgruppe wurde gemäß dem vom Plenum angenommenen Änderungsantrag geändert, obwohl ihre Beibehaltung in der ursprünglichen Fassung mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde (Artikel 59 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

1.4.

Es bedarf Strukturmaßnahmen und -reformen, welche die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, die Förderung eines verantwortungsvollen Unternehmertums, die Entwicklung der KMU und Sozialunternehmen sowie die Abkehr von dem Prinzip „Vorfahrt für KMU“ (Think small first) hin zu dem Ansatz „Vorrangiges Handeln für KMU“ (Act small first) erleichtern.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen

:

117

Nein-Stimmen

:

86

Enthaltungen

:

15


20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat: Die weitere Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union — Aktuelle Lage und mögliche nächste Schritte

(COM(2019) 163 final)

(2019/C 282/07)

Berichterstatter:

Jukka AHTELA

Karolina DRESZER-SMALEC

José Antonio MORENO DÍAZ

Befassung

Europäische Kommission, 10.5.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 62 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.6.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

190/11/12

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung der Kommission und ihre Bemühungen zur Nutzung weiterer Instrumente zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit. Fortschritte bei diesem Aspekt sind wichtig, da viele dieser Instrumente unterschiedlichen Zwecken dienen. Bei ihrer Umsetzung ist es wesentlich, die Zivilgesellschaft so intensiv wie möglich einzubeziehen.

1.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass für das Verständnis der Zusammenhänge in der Mitteilung stärker auf die Zivilgesellschaft, die Medien und politische Fragen eingegangen werden muss und dass die direkt Betroffenen besser zu beteiligen sind.

1.3.

Der EWSA meint, dass die Reflexionsphase im Sinne einer umfassenderen Konsultation und Beteiligung der Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten länger hätte sein sollen und dass die Kommission längerfristig ein systematischeres Verfahren für die Konsultation zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Lage der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten vorschlagen sollte.

1.4.

Es müssen Möglichkeiten gefunden werden, um zivilgesellschaftliche Organisationen mit Kontrollfunktionen („Watchdogs“) sowie investigative Journalisten und unabhängige Medien zu schützen. Die Vorschläge, wie dies zu bewerkstelligen ist und wie ihre aktive Rolle in der Frühwarnung aussehen könnte, müssen einen wesentlichen Teil der Vorschläge ausmachen, die die Kommission nach dem Reflexionszeitraum vorlegen will.

1.5.

Der EWSA begrüßt den verbesserten Mittelzugang für zivilgesellschaftliche Organisationen im neuen mehrjährigen Finanzrahmen. Allerdings hält er die im Kommissionsvorschlag für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte sowie für Organisationen der Zivilgesellschaft vorgesehenen Beträge für unzureichend (1). Darüber hinaus sollte die EU prüfen, wie eine Grundfinanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die mit Blick auf die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten Aufgaben der Beobachtung, Sensibilisierung, Interessenvertretung und der Prozessführung wahrnehmen, besser ermöglicht werden kann.

1.6.

Der EWSA befürwortet nach wie vor die Schaffung eines EU-Mechanismus zur Überwachung der Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte. Der EWSA erachtet es für unverzichtbar, einen rechtlich bindenden europäischen Mechanismus zu schaffen, einen Rahmen, an dem sich Kommission, Parlament und Rat aktiv beteiligen und in dem der EWSA eine wichtige Funktion zur Vertretung der Zivilgesellschaft innehat. Dieser Mechanismus sollte eine präventive Komponente enthalten, die es Experten und Vertretern der Zivilgesellschaft ermöglicht, bei speziellen Entwicklungen eine Frühwarnung auszulösen und Lösungsvorschläge unter Einbeziehung aller relevanten Interessenträger zu erörtern. Ein solcher Mechanismus würde auch dazu beitragen, die Lasten zwischen den Institutionen zu verteilen und die gemeinsame Verantwortung für EU-Maßnahmen zu erhöhen.-

1.7.

Des Weiteren schlägt der EWSA vor, bestehende Plattformen der Zivilgesellschaft anzuerkennen und zu stärken sowie auf EU-Ebene ein jährliches Forum für Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit unter Einbindung des EWSA einzurichten, damit erstens die Entscheidungsträger der EU unmittelbar von den Interessengruppen einschließlich Basisorganisationen frühzeitig vor sich abzeichnenden Problemen in Bezug auf die in Artikel 2 EUV festgeschriebenen Werte gewarnt werden und zweitens die wechselseitige Unterrichtung und die landesweite und länderübergreifende Zusammenarbeit zwischen allen einschlägigen Interessenträgern (Unternehmen, Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche Organisationen, nationale Menschenrechtsinstitutionen und staatliche Behörden) erleichtert wird.

1.8.

Der EWSA ist der Ansicht, dass unter den gegebenen Umständen eine Vielzahl von Stimmen von bestehenden Plattformen und Basisorganisationen gehört werden muss. Das Besondere am EWSA ist es gerade, dass er einen echten Dialog zwischen allen zivilgesellschaftlichen Akteuren einschließlich der Sozialpartner aus allen Mitgliedstaaten ermöglichen kann. Dies kommt der Vielfalt und der Dynamik der Zivilgesellschaft zugute. Durch ein solches Forum könnten zivilgesellschaftliche Organisationen frühzeitig Alarm schlagen.

1.9.

Die jüngste Rechtsprechung hat gezeigt, dass Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit das gegenseitige Vertrauen gefährden, auf dem die EU aufbaut. Die unabhängigen nationalen Gerichte sind das Bollwerk, mit dem ein reibungsloses Funktionieren der EU und ihres Binnenmarktes sichergestellt wird.

1.10.

Auch die wirtschaftlichen Aspekte der Rechtsstaatlichkeit dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Gegenseitiges Vertrauen ist ein Wert, der sich rein wirtschaftlich kaum beziffern lässt. Klar ist jedoch, dass sich mangelndes Vertrauen in Kombination mit einer politischen Beeinflussung der Justiz oder Korruption in wirtschaftlicher Hinsicht negativ auswirken. Dies ist ein Thema, das mehr Aufmerksamkeit verdient und bei dem mehr Daten und Forschung auf EU-Ebene benötigt werden.

1.11.

Die Bildung, sowohl die formale als auch die nichtformale, spielt eine wichtige Rolle beim Aufbau der demokratischen und rechtsstaatlichen Kultur. Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit sollten gefühls- und verstandesmäßig von den europäischen Bürgerinnen und Bürgern verinnerlicht werden; der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, eine ehrgeizige Kommunikations-, Bildungs- und Bürgersensibilisierungsstrategie für die Grundrechte, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie vorzuschlagen.

2.   Einleitung und Überblick über die Kommissionsmitteilung

2.1.

Mit Blick auf die Achtung der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit ist die Lage in der gesamten EU äußerst besorgniserregend, insbesondere da die Union in einigen Fällen Artikel 7 EUV anwenden musste. Aus diesem Grunde werden mit der vorliegenden Mitteilung der Europäischen Kommission Überlegungen darüber eingeleitet, wie die Rechtsstaatlichkeit in der EU verbessert werden könnte.

2.2.

In der Mitteilung wird darauf hingewiesen, wie wichtig die Rechtsstaatlichkeit als Grundwert der Europäischen Union ist und dass sie die Grundlage des demokratischen Systems und eine Voraussetzung für den Schutz der Grundrechte ist. Der Rechtsstaatlichkeit wohnen unter anderem folgende Grundsätze inne: Rechtmäßigkeit, wozu transparente, rechenschaftspflichtige, demokratische und pluralistische Gesetzgebungsverfahren zählen, Rechtssicherheit, Verbot der willkürlichen Ausübung exekutiver Gewalt, wirksamer Rechts- und Grundrechtsschutz sowie gerichtliche Überprüfung exekutiver Maßnahmen durch unabhängige und unparteiische Gerichte, Gewaltenteilung und die Gleichheit vor dem Gesetz.

2.3.

Die Kommission benennt drei Säulen einer wirksamen Durchsetzung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips in der Europäischen Union: 1.) Förderung der Rechtsstaatlichkeit: Aufbau von Wissen und Schaffung einer gemeinsamen Kultur der Rechtsstaatlichkeit; 2.) Vorbeugung gegen Probleme auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit: Zusammenarbeit und Unterstützung bei der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit auf nationaler Ebene; und 3.) Reaktion: Durchsetzung auf Unionsebene, wenn nationale Mechanismen versagen. Im Einzelnen legt die Kommission nachdrücklich dar, dass die Rechtstaatlichkeitsstandards gefördert, Warnzeichen erkannt, länderspezifische Kenntnisse vertieft, gemeinsame Reaktionsmöglichkeiten im Falle einer Eskalation verbessert und langfristig Mängel durch Strukturreformen beseitigt werden müssen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt die Anhörung, da mit ihr die Bedeutung der jüngsten Herausforderungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit in der EU anerkannt wird. Die Zahl dieser Beeinträchtigungen hat in den letzten Jahren zugenommen, was — insbesondere mit Blick auf einige der Mitgliedstaaten — auf das Risiko einer möglichen schweren Krise der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie hindeutet. Man muss sich das Ausmaß dieser Krise bewusst machen und entsprechend darauf reagieren. Dazu gehören eine entschiedene Bekräftigung der Werte der EU und wirksame Instrumente, mit denen eine weitere Verschlechterung der Rechtsstaatlichkeit verhindert und korrigiert werden kann.

3.2.

Bereits 2016 hat der EWSA seine tiefe Besorgnis über die Lage der Grundrechte und die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit zum Ausdruck gebracht und strengere Maßnahmen gefordert (2).

3.3.

Dabei ist zu bedenken, dass die Europäische Union mehr ist als ein nur gemeinsamer Markt, nämlich eine Union, die sich auf gemeinsame Werte gründet, wie es in Artikel 2 des Vertrags heißt. Außerdem erkennt sie die in der EU-Grundrechtecharta dargelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze an. Diese Werte, auf die sich die Union gründet, bilden die Grundlage für die Integration und sind Teil der europäischen Identität. Sie sind Kriterien für den Beitritt und müssen von den Mitgliedstaaten anschließend in der Praxis eingehalten werden.

3.4.

Die Rechtsstaatlichkeit bildet mit den Grundrechten und der Demokratie ein eng verwobenes und untrennbares Dreieck. Nur durch die Gewährleistung dieser drei miteinander verknüpften Werte ist es möglich, dem Missbrauch staatlicher Gewalt entgegenzuwirken. Der Schutz der Grundrechte ist eine Säule, die tragfähiger werden sollte, und zwar durch die Ratifizierung aller einschlägigen Instrumente (einschließlich der Übereinkommen der Vereinten Nationen und der Europäischen Menschenrechtskonvention), durch eine festere Zusammenarbeit zwischen den Organen und Einrichtungen der EU und durch eine stärkere Unterstützung von Basis- und Beobachtungsorganisationen in ganz Europa.

3.5.

Der EWSA bedauert, dass in den EU-Verträgen nicht ausdrücklich festgelegt ist, dass alle Mitgliedstaaten die Kopenhagener Kriterien (3) erfüllen müssen. Die Kriterien müssen in gleicher Weise und dauerhaft von neuen und langjährigen Mitgliedern der EU eingehalten werden. Der EWSA stellt fest, dass die EU-Organe derzeit nicht über ausreichend solide und abgestimmte Instrumente verfügen, um die Rechtsstaatlichkeit, die Grundrechte und die pluralistische Demokratie vor den ihnen derzeit in den Mitgliedstaaten drohenden Gefahren zu schützen.

3.6.

Auf nationaler und europäischer Ebene wird den gegenwärtigen Herausforderungen nicht zügig und effizient begegnet: Die Wirkung der bestehenden Instrumente auf die Verursacher dieser Herausforderungen war lediglich begrenzt.

3.7.

Die größten Herausforderungen bestehen in einigen Mitgliedstaaten, in denen sich mächtige politische Akteure gegen die Unabhängigkeit der Justiz und gegen Institutionen und Organisationen gewandt haben, die das pluralistische demokratische System ausmachen und aufrechterhalten. In der Mitteilung wird dieser grundlegende Sachverhalt nicht hinreichend bedacht. Stattdessen wurde eine Sichtweise gewählt, in der Institutionen — Parlamente, Regierungen, Ministerien; Verfassungsgerichte, Berufsverbände — getrennt vom politischen Wettbewerb und vom Kampf um Wählerstimmen gesehen werden. Jede Erklärung, warum mächtige Akteure gegen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie arbeiten und gleichzeitig populär und unaufhaltsam erscheinen, wird durch diesen von Parteipolitik und Wahlen losgelösten Ansatz unmöglich gemacht. Die politischen, kulturellen und soziologischen Gesichtspunkte der Herausforderungen für die Rechtsstaatlichkeit, mit denen sich demokratische Systeme auseinandersetzen müssen, sind ein wesentlicher Bereich, der in der Analyse und der Antwort der EU bislang nicht berücksichtigt wurde. Dies erklärt zum Teil die Grenzen des derzeitigen Ansatzes und der Instrumente, einschließlich des Verfahrens nach Artikel 7 Absatz 1. Durch seine Verbindung zur gesamten Zivilgesellschaft, einschließlich der Sozialpartner, ist der EWSA besonders gut geeignet, einen Raum für eine bessere Analyse, Diskussion und Antwort auf diese politischen, soziologischen und kulturellen Aspekte der Herausforderungen für die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zu bieten.

3.8.

Die Kommission hat sich in den letzten Jahren darum bemüht, ergänzende und kumulative Mechanismen aufzubauen, um die Lücke zwischen Nichtstun und dem Griff zum äußersten Mittel zu schließen. Dennoch erscheinen diese Mechanismen angesichts der aktuellen Herausforderungen unzureichend: Es kommt (sogar im Justizwesen) zu konzertierten Aktionen zur Vergrößerung der Machtfülle über die Grenzen von Institutionen hinweg, die, auch wenn sie nicht selbst durch Wahlen besetzt werden, so doch erheblich von Parteiorganisationen und -anhängern abhängen. Nicht einmal die gefestigten Demokratien sind vor schleichendem Autoritarismus und einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit gefeit. Sicherheitsbedenken werden zunehmend ins Feld geführt, um die Infragestellung oder Aussetzung demokratischer Garantien zu rechtfertigen. Einige Regierungen machen verschiedenen, an Brennpunkten tätigen zivilgesellschaftlichen Organisationen das Leben schwer, anstatt vernünftige Rahmenbedingungen für ihre Arbeit zu schaffen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass die EU vorausschauender und präventiver agiert.

3.9.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die jüngsten populistischen und autokratischen Entwicklungen ein Handeln aller EU-Institutionen und der gesamten Zivilgesellschaft der EU erfordern, um die Werte, auf denen die EU beruht, zu bewahren. Der EWSA lehnt jede Form der illiberalen Demokratie entschieden ab.

3.10.

Der EWSA ist daher des Weiteren der Auffassung, dass die Reflexionsphase im Sinne einer umfassenderen Konsultation und Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen in den Mitgliedstaaten länger hatte sein sollen.

3.11.

Viele zivilgesellschaftliche Organisationen haben dem EWSA mitgeteilt, dass zu wenig Zeit für Konsultationen ein häufiges Problem im Zusammenhang mit fehlender Transparenz und mangelnder Aussagekraft der Konsultation ist, was letztendlich die Qualität der Rechtsvorschriften und die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten untergräbt. Vor diesem Hintergrund meint der EWSA, dass die Kommission eine gründlichere Konsultation der direkt betroffenen Zivilgesellschaft hätte durchführen sollen.

3.12.

Zivilgesellschaftliche Organisationen, Menschenrechtsaktivisten, Hinweisgeber und Journalisten sind Erstbetroffene, wenn sich die rechtsstaatliche Situation verschlechtert, und sie geraten in eine äußerst schwierige Lage, wenn in einem bestimmten Mitgliedstaat das Recht missachtet wird. Sie sind es, die die Lage im Blick behalten und Verstöße melden. Ihre ersten Warnsignale geben sie an der Basis. Aus diesem Grunde ist der EWSA der Überzeugung, dass sie eine überaus wichtige Funktion innehaben, ebenso wie die Medien und der investigative Journalismus. Möglichkeiten des Schutzes zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Medien sind daher unabdingbar, um Fortschritte zu erreichen. Vorschläge zur Gestaltung ihrer Rolle müssen ein zentraler Teil in den von der Kommission nach dem Reflexionszeitraum vorgelegten Vorschlägen sein.

3.13.

Insbesondere sollte im künftigen MFR eine stärkere Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen vorgesehen werden, vor allem derer, die für die in Artikel 2 verankerten Werte eintreten. Zivilgesellschaftliche Organisationen aller Ebenen, sei es die lokale, nationale oder europäische, sollten eine Grundfinanzierung erhalten, um den Kapazitätsaufbau und ihre Arbeit in den Bereichen Bewusstseinsbildung, Überwachung und Dokumentation, Interessenvertretung und Rechtsstreitigkeiten zu unterstützen. Zum Zweck einer stärkeren EU-Unterstützung für die Aufgabe zivilgesellschaftlicher Organisationen in Europa sollte im künftigen MFR sichergestellt werden, dass alle relevanten EU-Fonds, vor allem im Bereich der Sozial-, Wirtschafts- und Kohäsionspolitik, der Zivilgesellschaft einen festen Platz in der Konzipierung, Umsetzung und Überwachung dieser Maßnahmen einräumen. Darüber hinaus sollte die EU die Unabhängigkeit und Pluralität der Medien in Europa stärker finanziell fördern und solche Erwägungen in allen relevanten Politikbereichen der EU, auch in der Wettbewerbspolitik, mitberücksichtigen. Um die politische Priorisierung dieser Fragen zu gewährleisten, sollte der künftig für Grundrechte zuständige Vizepräsident der Europäischen Kommission auch damit betraut werden, das Umfeld für die Tätigkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten zu beaufsichtigen. Der EWSA wiederholt außerdem seine Forderung nach Einsetzung eines EU-Mediators für die Freiheiten des zivilgesellschaftlichen Raums, dem diese Akteure Beeinträchtigungen und Einschränkungen ihrer Arbeit melden könnten (4).

3.14.

Gemäß dem Mandat, das dem EWSA als Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft im AEUV zugewiesen wird, muss er eng in die künftige Entwicklung institutioneller Initiativen in diesem Bereich eingebunden werden.

3.15.

Der EWSA hat eine besondere Funktion, und es ist seine Pflicht, aktiv zu werden, wenn die Tätigkeiten seiner Mitglieder und der gesamten Zivilgesellschaft in der EU gefährdet sind. Dem EWSA könnte und sollte eine entscheidende Rolle zukommen, damit allen relevanten Interessenträgern der Austausch über den aktuellen Stand der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten aus zivilgesellschaftlicher Sicht erleichtert wird, und wenn es darum geht, als Übermittler (Frühwarnnetz) zu fungieren, bevor die ersten Symptome von Grundrechts- und Rechtsstaatlichkeitsproblemen offenbar werden.

3.16.

Schon 2016 verabschiedete der EWSA eine Initiativstellungnahme, in der er verstärkte Maßnahmen der EU im Bereich Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten forderte. Im Nachgang dazu wurde im April 2018 eigens eine Gruppe geschaffen, die untersuchen soll, wie die organisierte Zivilgesellschaft am besten dazu beitragen kann.

3.17.

Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit gefährden das gegenseitige Vertrauen, auf dem die EU aufbaut. Dies lässt sich an einem aktuellen Beispiel ablesen: Der Europäische Gerichtshof hat eindeutig festgestellt, dass nationale Richter einen vom einem Mitgliedstaat der EU ausgestellten Europäischen Haftbefehl (EuHb) nicht unbedingt vollstrecken müssen, wenn es systembedingte oder allgemeine Mängel in der Rechtsstaatlichkeit dieses Mitgliedstaats gibt und diese die Unabhängigkeit der Justiz im ausstellenden Mitgliedstaat und das Grundrecht des Klägers auf ein faires Verfahren beeinträchtigen können (5).

3.18.

Die unabhängigen nationalen Gerichte sind ein Bollwerk: Sie stellen sicher, dass der Bürger seine Rechte in der EU geltend machen kann, europäische Unternehmen grenzüberschreitende Geschäfte tätigen können, ohne befürchten zu müssen, dass Verträge nicht unparteiisch und unabhängig durchgesetzt werden, dass in einem Nachbarland arbeitende Arbeitnehmer ihre Rechte durchsetzen können und dass die Organisationen der Zivilgesellschaft ungehindert über die Grenzen hinweg agieren können, ohne dass ausländische Solidaritätsmittel diskriminierend besteuert werden. Die Organisationen der Zivilgesellschaft, die Sozialpartner und die Räte für Auslandsinvestitionen äußern sich gegenüber dem EWSA besorgt über die Erosion der Rechtsstaatlichkeit und deren schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen.

3.19.

Bildung, sowohl die formale als auch die nichtformale, ist ein wichtiger Baustein der demokratischen und rechtsstaatlichen Kultur. Angesichts der Unterschiedlichkeit der politischen Kulturen in Europa ist dies eine schwierige Aufgabe. Es gibt jedoch Erfolgsbeispiele aus der Geschichte, bei denen demokratische Werte gelehrt, verbreitet und gefestigt werden. Langfristig ist eine aktive, aufgeklärte und teilhabende Bürgerschaft der beste Schutz gegen Erosionstendenzen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die liberale Demokratie, wie sie in einer früheren Stellungnahme (6) des EWSA definiert ist, und die Rechtsstaatlichkeit sollten von allen EU-Bürgerinnen und Bürgern verstandes- und gefühlsmäßig verinnerlicht sein. Die EU sollte den Weg zu diesem Ziel ebnen, beispielsweise durch die Förderung der Einbeziehung dieser Themen in die Lehrpläne der Schulen und Hochschulen und durch die Förderung des akademischen und beruflichen Austauschs zwischen Bürgern und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in diesen Bereichen aktiv sind. Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, eine ehrgeizige Kommunikations-, Bildungs- und Sensibilisierungsstrategie für die Grundrechte, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie vorzuschlagen.

4.   Anmerkungen zu den bestehenden Instrumenten

4.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass den EU-Organen derzeit nur unzureichende Instrumente zur Verfügung stehen, um die Werte des Artikels 2 zu schützen. Vertragsverletzungsverfahren greifen in der Regel zu kurz, um abgestimmte Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit verhindern oder unterbinden zu können. Weiterhin hat es sich auch als äußerst schwierig erwiesen, den politischen Willen ausreichend zu mobilisieren, um ein Verfahren nach Artikel 7 EUV einzuleiten.

4.2.

Was die 2014 von der Europäischen Kommission vorgelegte Mitteilung „Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“ (7) betrifft, so kann dieser zwar einfacher als Artikel 7 aktiviert werden, seine Wirksamkeit ist jedoch fraglich, wenn eine Regierung nicht kooperationswillig ist. Außerdem sind die für die Aktivierung erforderlichen Schwellen zu hoch und sie werden zu spät ausgelöst. Der EWSA empfiehlt, den Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips u. a. dadurch zu verbessern, dass eindeutigere Benchmarks, Indikatoren und Fristen festgelegt werden, um die Reaktion der betreffenden staatlichen Stellen und die flankierenden Maßnahmen der EU besser bewerten zu können.

4.3.   Vertragsverletzungs- und Vorabentscheidungsverfahren

4.3.1.

In den letzten Jahren hat die Kommission mehrere wertebezogene Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, die Fragen der Rechtsstaatlichkeit betrafen (8). Von diesen Verfahren sollte wann immer möglich Gebrauch gemacht werden. Sie allein reichen aber nicht aus, da nicht alle Verletzungen das EU-Recht betreffen. Einige Fachleute sind allerdings der Auffassung, dass Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 258 AEUV unmittelbar bei Verstoß gegen Artikel 2 EUV eingeleitet werden könnten (9) — eine Möglichkeit, die geprüft werden sollte.

4.3.2.

Auch die Vorabentscheidung kann ein nützliches Instrument sein. Dennoch gibt es verschiedene Hindernisse, die es den nationalen Gerichten erschweren, Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, und es handelt sich häufig um ein langwieriges Verfahren.

4.4.   Das Europäische Semester

4.4.1.

Der Hauptzweck des Europäischen Semesters ist es, einen Rahmen für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU zu schaffen. Daneben dient es jedoch auch der Korruptionsbekämpfung, leistungsfähigen Justizsystemen und der Reform der Verwaltung, was in länderspezifische Empfehlungen münden kann (10). Ein wirksames Follow-up ist jedoch nicht unbedingt gewährleistet.

4.4.2.

Das Europäische Semester wurde kritisiert, weil es weder auf der EU- noch auf der nationalen Ebene alle Sozialpartner einbezieht (11); außerdem werden nur 20 % der länderspezifischen Empfehlungen derzeit von den Mitgliedstaaten zufriedenstellend umgesetzt (12).

4.4.3.

Das Europäische Semester ist im Wesentlichen ein Instrument der Wirtschafts- und Sozialpolitik, mit dem Reformen in den Mitgliedstaaten gelenkt und unterstützt werden. Es könnte jedoch stärker zur Überwachung und Förderung von Rechtsstaatlichkeitsfragen genutzt werden, indem Indikatoren für Rechtsstaatlichkeit deutlicher darin aufgenommen werden, auch in Bezug auf Fragen wie Rechtssicherheit und Rechtsbehelfe für Unternehmen und Beschäftigte. Auch die Zivilgesellschaft sollte stärker einbezogen werden, und es müsste für eine bessere Verlaufskontrolle gesorgt werden, um die Einhaltung der Vorschriften zu verbessern.

4.5.   Das EU-Justizbarometer

4.5.1.

Das EU-Justizbarometer liefert Informationen über die Justizsysteme aller Mitgliedstaaten, was zu länderspezifische Empfehlungen im Europäischen Semester führen kann. Das EU-Justizbarometer stützt sich auf Umfragen bei Bürgern und Unternehmen, um die Unabhängigkeit des Justizwesens zu bewerten (13). Der EWSA empfiehlt jedoch, Organisationen der Zivilgesellschaft in diese Umfrage einzubeziehen.

4.6.   Das Kooperations- und Kontrollverfahren

4.6.1.

Das Kooperations- und Kontrollverfahren (CVM) (14) war als Übergangsmaßnahme geschaffen worden, um Rumänien und Bulgarien nach ihrem Beitritt bei der Behebung verschiedener Mängel in der Justizreform, in der Korruptionsbekämpfung und (im Fall Bulgariens) im Kampf gegen die organisierte Kriminalität zu unterstützen. Es beinhaltet eine Reihe von Kriterien, deren Einhaltung jedes Jahr von der Kommission in einem Fortschrittsbericht bewertet wird.

4.6.2.

Dieser Mechanismus hat sich als effizient erwiesen. Der letzte Bericht über Rumänien deutet allerdings einen Rückschritt an, wohingegen eigentlich erwartet worden war, dass das Verfahren in Kürze abgeschlossen sein würde. Dies wirft die Frage auf, ob die Fortschrittskriterien streng genug sind und ob der Wandel stärker verankert sein muss, bevor das Kooperations- und Kontrollverfahren beendet wird.

4.6.3.

Die Relevanz des Kooperations- und Kontrollverfahrens für Herausforderungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit in anderen Mitgliedstaaten bedarf einer eingehenderen Bewertung. Trotz der unterschiedlichen Mitwirkungsbereitschaft der jeweiligen Regierungsparteien in den beiden Ländern ermöglicht das Instrument einen strukturierten und kontinuierlichen Dialog zwischen der Europäischen Kommission und dem Mitgliedstaat.

4.7.   Der Dienst zur Unterstützung von Strukturreformen

4.7.1.

Der zur Kommission gehörende Dienst zur Unterstützung von Strukturreformen (SRSS) unterstützt die nationalen Behörden (Überprüfung von Verfahrensweisen, Schulungen, Analysen, Beratung durch Sachverständige) direkt in Belangen wie Regierungsführung, öffentliche Verwaltung, Transparenz und Korruptionsbekämpfung, ist jedoch in erster Linie makroökonomisch ausgerichtet. Nur wenige Projekte hingen im Wesentlichen mit der Rechtsstaatlichkeit zusammen (15).

4.7.2.

Der EWSA empfiehlt einen stärkeren Rückgriff auf Sonderaufträge, wenn einem Mitgliedstaat eine landesspezifische Empfehlung bezüglich der Rechtsstaatlichkeit unterbreitet wird, und die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen an den Reformprogrammen sollte gesichert werden.

4.8.   Europäische Struktur- und Investitionsfonds und Fonds zur Unterstützung der Justiz- und Sicherheitspolitik

4.8.1.

Einer der stärksten Hebel der EU zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit ist die Zuweisung von Finanzmitteln. Am 17. Januar 2019 stimmte das Europäische Parlament für einen Mechanismus (Instrument für europäische Werte), mit dem die Mittel für das Programm „Rechte und Werte“der EU aufgestockt werden sollen. Der Vorschlag der Kommission für einen Fonds für Justiz, Rechte und Werte wird den Erfordernissen nicht ganz gerecht.

4.8.2.

Der EWSA begrüßt zwar die Fonds, mit denen zivilgesellschaftliche Organisationen einen besseren Zugang zu Mitteln aus dem neuen mehrjährigen Finanzrahmen erhalten sollen, hält allerdings die für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte sowie für Organisationen der Zivilgesellschaft vorgesehenen Beträge für unzureichend (16).

4.9.   Neuer Mechanismus zum Schutz des Haushalts der Union in Fällen, in denen generelle Mängel in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten den Haushalt beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen

4.9.1.

Der EWSA begrüßte den Vorschlag, empfahl allerdings eine stärkere Einbeziehung des EWSA (17). Außerdem regte er an, den Vorschlag dahingehend zu ändern, dass der Begriff Rechtsstaatlichkeit weiter gefasst wird, sodass er sich auch auf die Achtung der Grundrechte und Garantien zum Schutz der pluralistischen Demokratie erstreckt.

4.9.2.

Der EWSA mahnt dabei allerdings zu großer Umsicht, damit die Endbegünstigten nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Es ist wichtig, unabhängige Organisationen, die sich in ihrem Mitgliedstaat in einer sehr schwierigen Lage befinden, zu berücksichtigen und besonders zu unterstützen.

4.10.   Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) und EUStA

4.10.1.

Korruption verträgt sich nicht mit Rechtsstaatlichkeit. Daher muss die EU alles daransetzen, dass ihre Mittel nicht missbraucht werden oder die Korruption begünstigen.

4.10.2.

Derzeit können OLAF-Untersuchungen nur von Staatsanwälten der Mitgliedstaaten (18) durchgeführt werden, und nur 45 % der Untersuchungen (19) führen zur Strafverfolgung. Daher unterstützt der EWSA die neue Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) (20) und fordert alle EU-Länder auf‘ sich zu beteiligen (21).

4.10.3.

Zivilgesellschaftliche Organisationen, Menschenrechtsaktivisten, Hinweisgeber und Journalisten spielen eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung von Betrug, weswegen der EWSA erneut auf die Wichtigkeit des strukturierten Dialogs mit der Zivilgesellschaft und einer stärkeren finanziellen und politischen Unterstützung dieser Akteure hinweist.

4.11.   EU-Beitrittsprozess und Nachbarschaftspolitik

4.11.1.

2011 führte die EU in Bezug auf die Mittel des Europäischen Nachbarschaftsinstruments (ENP) einen neuen Ansatz ein, um die Partnerländer dazu anzuhalten, sich auf die Werte und politischen Reformen der EU zu verpflichten (22).

4.11.2.

Politische Konditionalität ist ein positiver Aspekt der ENP, der sich bei reformwilligen Ländern bewährt hat.

4.11.3.

Die EU muss nachdrücklich klarmachen, dass sie politische Bedingungen in der Nachbarschaftspolitik und im EU-Beitrittsprozess stellt. Im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit muss sie die gleichen Kriterien aber auch intern anwenden. Jedes Land, das der Europäischen Union beitreten will, muss sich die „europäischen Werte“ohne Abstriche zu eigen machen. Die Beitrittskandidaten müssen die Kopenhagener Kriterien (23) erfüllen. Es ist wichtig, dass die EU diese Forderungen sehr streng durchsetzt. Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit ist nicht nur ein institutionelles Problem, sondern erfordert auch einen gesellschaftlichen Wandel.

5.   Vorschläge für die Zukunft

5.1.

Der EWSA befürwortete bereits 2016 die Schaffung eines EU-Mechanismus zur Überwachung der Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte (24).

5.2.

Der EWSA erachtet es für unverzichtbar, einen rechtlich bindenden europäischen Mechanismus zu schaffen, einen Rahmen, an dem sich Kommission, Parlament und Rat aktiv beteiligen und in dem der EWSA als Vertretung der Zivilgesellschaft eine wichtige Funktion hat. Dieser Mechanismus wird ergänzend zu bestehenden Instrumenten (25) hinzutreten und sollte eine präventive Komponente umfassen, damit die Interessenträger (Unternehmen, Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft, einzelstaatliche Menschenrechtsinstitutionen und staatliche Behörden) und Fachleute Mängel gleich dann, wenn sie auf nationaler Ebene auftreten, aufzeigen und frühzeitig Wege zu ihrer Behebung erörtern können. Ein solcher Mechanismus würde auch dazu beitragen, die Lasten zwischen den Institutionen zu verteilen und die gemeinsame Verantwortung für EU-Maßnahmen in diesem Bereich zu erhöhen.

5.3.

Die Rolle des EWSA in diesem Bereich sollte vor dem Hintergrund seiner einzigartigen Zusammensetzung und seiner Brückenposition zwischen der EU und der nationalen Ebene gesehen werden. Als zentrale Vertretung der Zivilgesellschaft umfasst er Organisationen, die sich für die Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte starkmachen, aber auch Sozialpartner und andere wichtige Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft mit deren nationalen und europäischen Vertretungen. Daher könnte der EWSA bei Förderung, Prävention und Reaktion einen eindeutigen Mehrwert erbringen, weil er Daten und Gesichtspunkte von der Basis beisteuern kann, die in dieser Art von anderen einschlägigen Quellen nicht zu haben sind.

5.4.

Der EWSA hat in einem ersten Schritt bereits begonnen, Informationsreisen durchzuführen, um einen Überblick darüber zu gewinnen, wie die Zivilgesellschaft in den einzelnen Mitgliedstaaten die Probleme wahrnimmt. Der EWSA beabsichtigt, alle 28 Mitgliedstaaten (26) zu besuchen, wird aber schon im Herbst einen Bericht über die Ergebnisse der ersten fünf Länderbesuche vorlegen. Diese Besuche sind nicht als Überwachung zu verstehen, sondern als ein wichtiger Beitrag zur Anhörung der Standpunkte der nationalen Organisationen der Zivilgesellschaft. Daher schlägt der EWSA als weitere Maßnahme vor, die bestehenden Plattformen der Zivilgesellschaft und Basisorganisationen anzuerkennen und zu stärken. Die Vielzahl der von ihnen ausgehenden Stimmen ist unter den gegebenen Umständen unumgänglich.

5.5.

Des Weiteren sollte auf europäischer Ebene unter Einbeziehung des EWSA ein jährliches Stakeholder-Forum zu Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit eingerichtet werden. Damit sollen erstens die EU-Entscheidungsträger direkt von Basisorganisationen vor aufkommenden Problemen in Bezug auf die in Artikel 2 EUV festgeschriebenen Werte frühzeitig gewarnt werden und zweitens Prozesse des Voneinander-Lernens, der Vertrauensbildung und des Zusammenwirkens zwischen einzelstaatlichen Akteuren, wie Unternehmen, Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen, nationalen Menschenrechtsinstitutionen und staatlichen Behörden, erleichtert werden. Das Stakeholder-Forum sollte sich in seinem Format und seinen Arbeitsmodalitäten an bestehende Strukturen wie das Europäische Migrationsforum und die Europäische Plattform der Interessenträger für die Kreislaufwirtschaft anlehnen. Der EWSA würde das Sekretariat des Forums stellen und Sitzungen bei sich ausrichten, die er gemeinsam mit der Europäischen Kommission organisieren würde.

5.6.

Der EWSA ist der Ansicht, dass unter den gegebenen Umständen eine Vielzahl von Stimmen gehört werden muss, weil die zivilgesellschaftlichen Organisationen auf diese Weise frühzeitig warnen könnten. Im Gegensatz zum Jahreskolloquium über Grundrechte, das von einer begrenzten Zahl wichtiger Interessenträger besucht wird, ist das EWSA-Forum als offenes Forum angelegt, um die öffentliche Debatte zu fördern. Das Mandat der Agentur für Grundrechte ist bedauerlicherweise durch Artikel 51 der Charta auf Interventionen bei Verstößen gegen Artikel 2 EUV beschränkt. Dieses Forum wird in erster Linie von Menschenrechtsorganisationen genutzt, während der EWSA ein Spektrum von Organisationen abdeckt, das über den Bereich der Menschenrechte hinausgeht, wie die Sozialpartner; außerdem hat er Erfahrung bei der Interaktion mit Organisationen auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene in einem breiten Themenfeld. Daraus ergibt sich ein Mehrwert für die Vielfalt und die Dynamik der Zivilgesellschaft, und wichtige Wirtschaftsakteure werden einbezogen.

5.7.

Die wirtschaftlichen Aspekte der Rechtsstaatlichkeit dürfen nicht vergessen werden. Gegenseitiges Vertrauen ist ein Wert, der sich rein wirtschaftlich kaum beziffern lässt. Klar ist jedoch, dass mangelndes Vertrauen in Kombination mit einer politischen Beeinflussung der Justiz oder Korruption negative wirtschaftliche Folgen hat. Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, den Folgen einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit für alle Beteiligten einschließlich der Wirtschaftsakteure mehr Aufmerksamkeit zu widmen und mehr Daten und Analysen darüber zusammenzutragen. Rechtsunsicherheit, intransparente Rechtsetzung, unlauterer Wettbewerb, Diskriminierung beim Zugang zu öffentlichen Märkten und das Fehlen eines echten Zugangs zu Rechtsmitteln sind Beispiele dafür, welche Folgen ein Verfall der Rechtsstaatlichkeit für die Wirtschaft haben kann. Dies sollte in der Analyse und der Reaktion der EU, auch im Rahmen des Europäischen Semesters, besser berücksichtigt werden.

5.8.

Ein spezifisches Problem ist die notwendige stärkere Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen (zentrale Finanzierung von Beobachtungsorganisationen). Die EU sollte dringend Mittel und Wege prüfen, wie sie zivilgesellschaftliche Organisationen, investigative Journalisten und Medien unterstützen kann, die schon im Frühstadium Verstöße gegen Artikel 2 aufdecken und darüber berichten. Der EWSA ist der Auffassung, dass ein Finanzierungsinstrument zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Förderung der Werte von Artikel 2 in den Mitgliedstaaten erforderlich ist, um die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit für diese Werte zu gewinnen. In dieser Hinsicht verweist der EWSA auf seine einschlägige Stellungnahme zu den Vorschlägen für einen neuen Fonds für Justiz, Rechte und Werte (27) und fordert den Rat und das Europäische Parlament auf, die Mittel für diesen Fonds im Rahmen des Beschlusses über den mehrjährigen Finanzrahmen für die Zeit nach 2020 erheblich aufzustocken.

Brüssel, den 19. Juni 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 88.

(2)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 8.

(3)  Festgelegt vom Europäischen Rat auf seiner Tagung in Kopenhagen 1993.

(4)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 9.

(5)  Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) - Rechtssache C-216/18 PPU, 25. Juli 2018.

(6)  SOC/605 — Eine widerstandsfähige Demokratie durch eine starke und vielfältige Zivilgesellschaft (ABl. C 228 vom 5.7.2019, S. 24).

(7)  Europäische Kommission, Mitteilung „Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“, 11. März 2014.

(8)  Europäische Kommission, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-19-1957_de.htm, 3. April 2019.

(9)  Michel Waelbroeck und Peter Oliver, Enforcing the Rule of Law in the EU: What can be done about Hungary and Poland?, 9. Februar 2018.

(10)  Europäische Kommission, Mitteilung Die weitere Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union - Aktuelle Lage und mögliche nächste Schritte, 3. April 2019.

(11)  Europäischer Gewerkschaftsbund, Pressemitteilung ETUC on European Semester Winter Package, 27. Februar 2019.

(12)  Business Europe, Newsletter Nr. 2019-13 A renewed role for the European Semester, 11. April 2019.

(13)  Europäische Kommission, EU-Justizbarometer 2019 (EN), 2019, S. 63, Abschnitt 3.3.3 Zusammenfassung betreffend die Unabhängigkeit der Justizsysteme.

(14)  https://ec.europa.eu/info/policies/justice-and-fundamental-rights/effective-justice/rule-law/assistance-bulgaria-and-romania-under-cvm_de

(15)  Nur sechs der Beispiele vom SRSS beziehen sich in erster Linie auf die Rechtsstaatlichkeit: unabhängige Analyse der Staatsanwaltschaft in Bulgarien, Reform der Einstufung von Behinderungen in Tschechien, Griechenland und Polen, Stärkung der Effektivität des Justizsystems in Kroatien, verbesserte Koordinierung interner Audits in Rumänien, bessere Handhabung der Meldung von Missständen in Italien, Hilfe bei der Integration junger Migranten und Flüchtlinge in Österreich.

(16)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 178.

(17)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 173.

(18)  Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 1/2019: Bekämpfung von Betrug bei den EU-Ausgaben: Es muss gehandelt werden.

(19)  Organized Crime and Corruption Reporting Project, EC Adopts New Anti-Fraud Strategy, 1. Mai 2019.

(20)  Europäische Kommission, Mitteilung Die Betrugsbekämpfungsstrategie der Kommission: verstärkte Maßnahmen zum Schutz.des EU-Haushalts, 29. April 2019.

(21)  Europäische Staatsanwaltschaft, Web-Seite Politik.

(22)  Momin Badarna, The ENP and its Political Conditionality Instrument: is it ineffective?, Junge Europäische Föderalisten, 15. September 2018.

(23)  Europäische Kommission, Mitteilung 2018 zur Erweiterungspolitik der EU, 17. April 2018.

(24)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 8.

(25)  Wie es das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 27. Januar 2014 zur Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2012) vorschlug, P7_TA(2014)1773, Berichterstatter: Louis Michel, 22. November, Ziffer 9.

(26)  27 Mitgliedstaaten, wenn das Vereinigte Königreich die EU verlässt.

(27)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 178 — COM(2018) 383 final und COM(2018) 384.


ANHANG

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen (Art. 59 Abs. 3 der Geschäftsordnung):

Ziffer 3.7

Die größten Herausforderungen bestehen in einigen Mitgliedstaaten, in denen sich mächtige politische Akteure gegen die Unabhängigkeit der Justiz und gegen Institutionen und Organisationen gewandt haben, die das pluralistische demokratische System ausmachen und aufrechterhalten. In der Mitteilung wird dieser grundlegende Sachverhalt nicht hinreichend bedacht. Stattdessen wurde eine Sichtweise gewählt, in der Institutionen — Parlamente, Regierungen, Ministerien; Verfassungsgerichte, Berufsverbände — getrennt vom politischen Wettbewerb und vom Kampf um Wählerstimmen gesehen werden. Jede Erklärung, warum mächtige Akteure gegen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie arbeiten und gleichzeitig populär und unaufhaltsam erscheinen, wird durch diesen von Parteipolitik und Wahlen losgelösten Ansatz unmöglich gemacht. Die politischen, kulturellen und soziologischen Gesichtspunkte der Herausforderungen für die Rechtsstaatlichkeit, mit denen sich demokratische Systeme auseinandersetzen müssen, sind ein wesentlicher Bereich, der in der Analyse und der Antwort der EU bislang nicht berücksichtigt wurde. Dies erklärt zum Teil die Grenzen des derzeitigen Ansatzes und der Instrumente, einschließlich des Verfahrens nach Artikel 7 Absatz 1. Durch seine Verbindung zur gesamten Zivilgesellschaft, einschließlich der Sozialpartner, ist der EWSA besonders gut geeignet, einen Raum für eine bessere Analyse, Diskussion und Antwort auf diese politischen, soziologischen und kulturellen Aspekte der Herausforderungen für die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zu bieten.

Begründung

Die Verfasser der Stellungnahme gehen bei ihrer Bewertung der Institutionen in den Mitgliedstaaten zu weit. Die vorgeschlagene Formulierung kann als Beleidigung gegenüber Institutionen aufgefasst werden, die für die Wahrung eines pluralistisches Systems einstehen sollen. Der restliche Teil spiegelt die Erwartungen an die von der EU vorgenommenen Analysen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit wider.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen

:

47

Nein-Stimmen

:

141

Enthaltungen

:

19

Ziffer 5.2

Der EWSA erachtet es für unverzichtbar, einen rechtlich bindenden europäischen Mechanismus zu schaffen, einen Rahmen, an dem sich Kommission, Parlament und Rat aktiv beteiligen und in dem der EWSA eine wichtige Funktion zur Vertretung der Zivilgesellschaft innehat. Dieser Mechanismus wird ergänzend zu bestehenden Instrumenten (1) hinzutreten und sollte eine präventive Komponente umfassen, damit die Interessenträger (Unternehmen, Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft, einzelstaatliche Menschenrechtsinstitutionen und staatliche Behörden) und Fachleute Mängel gleich dann, wenn sie auf nationaler Ebene auftreten, aufzeigen und frühzeitig Wege zu ihrer Behebung erörtern können. Ein solcher Mechanismus würde auch dazu beitragen, die Lasten zwischen den Institutionen zu verteilen und die gemeinsame Verantwortung für EU-Maßnahmen in diesem Bereich zu erhöhen. Der Mechanismus ist behutsam anzuwenden, damit er nicht etwa für aktuelle politische Ziele genutzt wird und kulturelle Konflikte auslöst.

Begründung

Die vorgeschlagene Ergänzung soll keine Einschränkung der Unterstützung des EWSA für den einzurichtenden Mechanismus darstellen, sondern ist als ergänzende Bemerkung bezüglich der politischen Neutralität und der Achtung der kulturellen Vielfalt zu verstehen.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen

:

42

Nein-Stimmen

:

153

Enthaltungen

:

23

Ziffer 1.6

Der EWSA befürwortet nach wie vor die Schaffung eines EU-Mechanismus zur Überwachung der Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte. Der EWSA erachtet es für unverzichtbar, einen rechtlich bindenden europäischen Mechanismus zu schaffen, einen Rahmen, an dem sich Kommission, Parlament und Rat aktiv beteiligen und in dem der EWSA eine wichtige Funktion zur Vertretung der Zivilgesellschaft innehat. Dieser Mechanismus sollte eine präventive Komponente enthalten, die es Experten und Vertretern der Zivilgesellschaft ermöglicht, bei speziellen Entwicklungen eine Frühwarnung auszulösen und Lösungsvorschläge unter Einbeziehung aller relevanten Interessenträger zu erörtern. Ein solcher Mechanismus würde auch dazu beitragen, die Lasten zwischen den Institutionen zu verteilen und die gemeinsame Verantwortung für EU-Maßnahmen zu erhöhen. Der Mechanismus ist behutsam anzuwenden, damit er nicht etwa für aktuelle politische Ziele genutzt wird und kulturelle Konflikte auslöst.

Begründung

Die vorgeschlagene Ergänzung mindert nicht die Unterstützung des EWSA für den Mechanismus. Sie bereichert sie vielmehr durch eine Anmerkung zur Entpolitisierung und zur Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt, auf die wir stolz sind.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen

:

42

Nein-Stimmen

:

153

Enthaltungen

:

23

Die folgenden Ziffern der Stellungnahme der Fachgruppe wurden gemäß dem vom Plenum angenommenen Änderungsantrag geändert, obwohl ihre Beibehaltung in der ursprünglichen Fassung mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde (Artikel 59 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

Ziffer 3.12

Zivilgesellschaftliche Organisationen, Menschenrechtsaktivisten, Hinweisgeber und Journalisten sind Erstbetroffene, wenn sich die rechtsstaatliche Situation verschlechtert, und sie geraten in eine äußerst schwierige Lage, wenn in einem bestimmten Mitgliedstaat das Recht missachtet wird. Sie sind es, die auf die Rechtsbefolgung achten, die Lage im Blick behalten und Verstöße melden. Ihre ersten Warnsignale geben sie an der Basis. Aus diesem Grunde ist der EWSA der Überzeugung, dass sie eine überaus wichtige Funktion innehaben, ebenso wie die Medien und der investigative Journalismus. Möglichkeiten des Schutzes zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Medien sind daher unabdingbar, um Fortschritte zu erreichen. Vorschläge zur Gestaltung ihrer Rolle müssen ein zentraler Teil in den von der Kommission nach dem Reflexionszeitraum vorgelegten Vorschlägen sein.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen

:

122

Nein-Stimmen

:

73

Enthaltungen

:

20

Ziffer 1.11

Die Bildung, sowohl die formale als auch die nichtformale, spielt eine wichtige Rolle beim Aufbau der demokratischen und rechtsstaatlichen Kultur. Eine liberale Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit sollten gefühls- und verstandesmäßig von den europäischen Bürgerinnen und Bürgern verinnerlicht werden; der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, eine ehrgeizige Kommunikations-, Bildungs- und Bürgersensibilisierungsstrategie für die Grundrechte, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie vorzuschlagen.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen

:

119

Nein-Stimmen

:

73

Enthaltungen

:

21


(1)  Wie vom Europäischen Parlament in seiner Entschließung vom 27. Februar 2014 zur Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2012) vorgeschlagen, P7_TA(2014)0173, Berichterstatter: Louis Michel, 22. November, Ziffer 9.


20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/49


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1313/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Katastrophenschutzverfahren der Union“

(COM(2019) 125 final — 2019/0070 (COD))

(2019/C 282/08)

Berichterstatter: Panagiotis GKOFAS

Befassung

Parlament, 14.3.2019

Rat, 27.3.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

23.5.2019

Verabschiedung im Plenum

19.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

171/01/04

1.   Hintergrund

1.1.

Am 13. März 2019 wurde mit dem Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1313/2013/EU ein neues Katastrophenschutzverfahren angenommen. Das EU-Katastrophenschutzverfahren bietet einen Rahmen für die Zusammenarbeit und Unterstützung bei größeren Notfällen innerhalb und außerhalb der EU. Seit 2001 ist es mehr als 300 Mal aktiviert worden. Alle EU-Mitgliedstaaten, zwei EWR-Länder (Island und Norwegen) sowie Montenegro, Serbien, die Republik Nordmazedonien und die Türkei nehmen am Katastrophenschutzverfahren teil, ebenso wie die Vereinten Nationen (Sendai-Rahmen für Katastrophenvorsorge 2015-2030) und einschlägige internationale Organisationen. Im Rechtsakt ist die Aufstellung eines zusätzlichen Pools von Ressourcen mit der Bezeichnung „rescEU“vorgesehen; damit soll in Situationen, in denen die gesamten verfügbaren Kapazitäten nicht ausreichen, Hilfe geleistet werden. RescEU wird insbesondere Mittel für die Waldbrandbekämpfung aus der Luft sowie Ressourcen zur Bewältigung medizinischer Notfälle und chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer Vorfälle umfassen. Ein weiterer strategischer Faktor bei der Prävention und Vorsorge wird das Wissensnetz für Katastrophenschutz sein, das Ausbildungsmaßnahmen umfasst und der Wissensverbreitung dient.

1.2.

Diese Änderung zielt auf eine bessere Risikoprävention ab. Die Mitgliedstaaten werden darin aufgefordert, ihre Risikomanagementfähigkeit und Risikomanagementplanung weiter auszubauen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie gleichzeitig von gleichartigen Katastrophen betroffen sind: Naturkatastrophen oder von Menschen verursachte Katastrophen, Katastrophen im Zusammenhang mit unerwarteten klimatischen Veränderungen oder unvorhersehbaren, starken Erdbeben mit hoher Frequenz, die Todesopfer fordern und gewaltige Zerstörungen der Ökosysteme, ziviler und öffentlicher Infrastrukturen, wirtschaftlicher Tätigkeiten und kleiner Unternehmen verursachen (1).

2.   Schlussfolgerungen

2.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt diesen Vorschlag, den geltenden Rahmen für das Katastrophenschutzverfahren und überarbeiten und zu stärken.

2.2.

Zur Gewährleistung einheitlicher Bedingungen für die Umsetzung des Katastrophenschutzverfahrens und im Hinblick auf die Einrichtung und Organisation des Wissensnetzes für Katastrophenschutz kann der EWSA in bestimmten Beratergruppen zur regelmäßigen Überarbeitung der Leitlinien für die Risikokartierung beitragen und sich im Rahmen geeigneter interinstitutioneller Initiativen (z. B. „Jahresforum der Zivilgesellschaft zur Risikobewertung, -minderung, -prävention und -bereitschaft“) in Partnerschaft mit anerkannten repräsentativen Sozial- und Wirtschaftspartnern und regionalen grenzüberschreitenden Netzen resilienter Städte einbringen.

2.3.

Der EWSA ruft den Rat, das Parlament und die Kommission auf, die Durchführbarkeit eines Europäischen Ausbildungs- und Wissenszentrums zu prüfen und seine Umsetzung zu planen. Dieses Zentrum würde auf bestehenden nationalen und subnationalen Strukturen aufbauen und Exzellenzzentren, spezialisierte unabhängige Forschungsnetze und andere Experten einschließen, die unverzügliche Interventionsanalysen zu ungewöhnlichen Katastrophen liefern können. Es könnte als ständig aktualisiertes, konkretes und zugängliches Instrument für den Erwerb grundlegender Kompetenzen im Bereich wirksamer Risikominderung dienen und sich an junge Fachkräfte und auch erfahrene Freiwillige auf dem Gebiet der Ausbildung für Notfallmanagement für lokale resiliente Kommunen richten. Gegebenenfalls könnte es auch auf Drittstaaten, insbesondere Nachbarländer, schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen in abgelegenen Gebieten, Akteure in den Bereichen Mobilität und Tourismus, Medien usw. ausgeweitet werden.

2.4.

Der EWSA hält es für erforderlich, die neuen Ziele und Ansätze des Katastrophenschutzverfahrens in die bestehende Struktur- und Investitionspolitik aufzunehmen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, eine angemessene territoriale und kommunale Ausrichtung zu gewährleisten (insbesondere in entlegenen Gebieten, Insel- und Bergregionen und im ländlichen Raum). Kommunale Maßnahmen sind die schnellste und wirksamste Art und Weise, Katastrophenschäden einzudämmen.

Brüssel, den 19. Juni 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Wir beziehen uns auf den Workshop vom 10. Februar 2018 in Neapel im Rahmen einer Partnerschaft zwischen dem EWSA und der Europäischen Kommission (GD ECHO) und in Zusammenarbeit mit dem EGB und Vertretern der UEAPME sowie des AdR, zivilgesellschaftlichen Organisationen (WWF, CIME), nationalen KMU-Organisationen (GSEBEE, CMA Corse, CNA) und Gewerkschaften, Fachakademikern aus EU- und nationalen Einrichtungen, Forschungs- und Ausbildungsnetzen (Universität Sapienza, Universität Federico II, nationales Institut für Geophysik und Vulkanologie in Neapel, KMU-Akademie Avignon, Anodos-Zentrum), EU-Netzen resilienter Städte und Regionen (Athen, Neapel und Thessaloniki), Medien und Fachpresse.


20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische

Investitionsbank — Ein sauberer Planet für alle — Eine Europäische strategische, langfristige Vision für eine wohlhabende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft“

(COM(2018) 773 final)

(2019/C 282/09)

Berichterstatter: Pierre Jean COULON

Mitberichterstatter: Stefan BACK

Befassung

Europäische Kommission, 17.6.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppen

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Verabschiedung auf der Plenartagung

20.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

152/1/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA stimmt der Einschätzung zu, dass der kurz nach 2060 drohende Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 2o C, der über dem im Übereinkommen von Paris definierten Höchstwert liegen würde, schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Lebensbedingungen und die Wirtschaft in Europa haben wird. Der EWSA befürwortet deshalb nachdrücklich die Zielsetzung, die EU bis 2050 in sozial gerechter und wirksamer Weise auf eine klimaneutrale Wirtschaft umzustellen. Ein solcher Wandel ist möglich und von Vorteil für Europa.

1.2.

Umgehendes Klimahandeln ist deshalb unausweichlich. Der EWSA befürwortet die in der Mitteilung formulierten übergeordneten Prioritäten und appelliert an die Mitgliedstaaten, das Ziel zu unterstützen, die Wirtschaft der Europäischen Union bis 2050 klimaneutral zu machen. Er fordert die Unternehmen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und nationalen Wirtschafts- und Sozialräte auf, sich hinter dieses Ziel zu stellen.

1.3.

Der EWSA begrüßt, dass durch die Umsetzung zahlreicher bereits beschlossener Maßnahmen konkrete Verbesserungen zu erwarten stehen. So sollen bis 2030 Emissionssenkungen von 45 % erreicht werden (womit die 40 %-Zusage der EU im Rahmen des Übereinkommens von Paris überboten wird) und bis 2050 von 60 %.

1.4.

Dies reicht indes nicht aus, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Mit Blick auf die bis 2030 prognostizierten Ergebnisse der bereits festgelegten Maßnahmen hält der EWSA fest, dass bei neuen Maßnahmen auf Vorhersehbarkeit geachtet werden muss, um die Planung zu erleichtern und den Verfall von Vermögenswerten zu vermeiden. Er hebt die Bedeutung klarer und zeitnaher Signale für die Unternehmen, insbesondere KMU, hervor.

1.5.

Der EWSA erachtet es aus eben diesen Gründen als dringlich, schleunigst eine Strategie für den Zeitraum nach 2030 aufzustellen, um den Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft bis 2050 abzuschließen.

1.6.

Der EWSA betont, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft auf einem wettbewerbsfähigen, sozial gerechten und multilateralen Ansatz gründen muss. Über den Einsatz geeigneter Instrumente ist die umfassende Einbeziehung und Akzeptanz der Zivilgesellschaft — aller Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Organisationen — sicherzustellen. Dementsprechend müssen bei der Gestaltung und Umsetzung von Kohlenstoffpreissystemen die Auswirkungen auf die Unternehmen und Bürger bedacht werden.

1.7.

Der EWSA unterstreicht die Relevanz des lokalen und regionalen Handelns und der umfassenden Einbeziehung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften.

1.8.

Der EWSA weist auf den maßgebenden Beitrag der Kreislaufwirtschaft, der Bioökonomie, der Digitalisierung und der kollaborativen Wirtschaft zur Verbesserung der Ressourceneffizienz und zur Verringerung der Emissionen hin.

1.9.

Der EWSA schließt sich dem in der Mitteilung vertretenen Argument an, dass Mobilität für das Funktionieren des EU-Binnenmarkts unverzichtbar ist, und erachtet es als wesentlich, Lösungen zu finden, die den CO2-Fußabdruck des Mobilitätssystems einschließlich der Luftfahrt verringern und gleichzeitig der wichtigen Rolle der Mobilität für die EU-Wirtschaft und -Gesellschaft insgesamt wie auch für die Menschen und Unternehmen umfassend Rechnung tragen.

1.10.

Der EWSA teilt die Ansicht, dass Strom so weit wie möglich aus allen verfügbaren und neuen emissionsfreien Quellen erzeugt werden sollte. Stromverbund, Energiespeicherung und Laststeuerung tragen entscheidend zur Sicherung der Versorgung mit zunehmend aus erneuerbaren Energieträgern erzeugter Elektrizität bei.

1.11.

Eine frühzeitige Planung und Festlegung von Zielen ist eine wichtige Voraussetzung für die Gewährleistung von Planungssicherheit für Unternehmen, die Förderung von Forschung und Entwicklung und die Schaffung eines günstigen Umfelds, das es Europa bzw. der europäischen Industrie und der europäischen Wirtschaft im Allgemeinen ermöglicht, Vorreitervorteile zu nutzen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Der EWSA hält in diesem Zusammenhang die Beziehungen zu Drittländern für wichtig, um mehr Länder in eine proaktive Klimastrategie einzubinden, gleiche Ausgangsbedingungen für die europäische Industrie sicherzustellen und Normensetzung zu beeinflussen.

1.12.

Finanzierung ist der Schlüssel zur Umsetzung der geplanten Strategie. Der EWSA bekräftigt in diesem Sinn seine Empfehlungen hinsichtlich der Bereitstellung angemessener Haushaltsmittel für Forschung, Entwicklung und industrielle Nutzung.

1.13.

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass Finanzierung von grundlegender Bedeutung ist. Es geht dabei nicht nur um die Bereitstellung öffentlicher Mittel, weshalb es wichtig ist, Mechanismen zu fördern, die grüne Investitionen unterstützen.

1.14.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Wende hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft nicht ohne weitreichende Forschung und Innovation gelingen wird. Sie erfordert allerlei Arten von Innovation, auch in Bezug auf neue Verhaltensweisen, Geschäftsmodelle, soziale Normen, Prozesse, Techniken, Vermarktung und Technologien.

1.15.

Der EWSA hebt die wichtige Rolle der Bioenergie, der CO2-Abscheidung und -Speicherung und natürlicher CO2-Senken hervor, wie Wälder und viele Landbewirtschaftungsmethoden, die eine stärkere Bindung von CO2 im Boden ermöglichen, bspw. Grün- und Weideland, Torfflächen usw. Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und die Nutzung des Potenzials landwirtschaftlicher Flächen zur Bindung von CO2 sind Teil der Lösung.

1.16.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass Europa einen Anteil von 7 % an der Weltbevölkerung hat, 20 % des globalen BIP erwirtschaftet und für 30 % der hochkarätigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen weltweit verantwortlich zeichnet. Die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft kann nur im Rahmen einer weltweiten Klimaschutzanstrengung gelingen. Nach Meinung des EWSA kann die EU den denkbar konstruktivsten Beitrag dazu leisten, wenn sie dem Rest der Welt vor Augen führt, dass diese Umstellung machbar und zum Nutzen der Gesellschaft ist. Wenn 100 europäische Städte bis 2030 Klimaneutralität erreichen würden, könnte damit gezeigt werden, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft möglich ist und die Lebensqualität hierdurch verbessert werden kann.

1.17.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass Europa einen Sozialpakt für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft benötigt, der zwischen der EU, den Mitgliedstaaten, den Regionen, den Städten, den Sozialpartnern und der organisierten Zivilgesellschaft vereinbart werden muss, um sicherzustellen, dass niemand außen vor bleibt. Zu diesem Zweck sollten der Europäische Sozialfonds und der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung angemessen konzipiert und finanziert werden. Die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft ist auch als Chance zu begreifen, die Energiearmut zu beseitigen und die Lebensqualität, die Beschäftigungslage wie auch die soziale Inklusion zu verbessern und für alle Europäer einen gleichberechtigten Zugang zu den grundlegenden Energiedienstleistungen zu gewährleisten.

1.18.

Der EWSA fordert das Europäische Parlament auf, einen unabhängigen EU-Ausschuss für Klimaschutz einzusetzen, der für wissenschaftlich fundierte Bewertungen und strategische Empfehlungen zuständig wäre. Er fordert diejenigen Mitgliedstaaten, in denen es noch keine vergleichbaren Gremien gibt, auf, auf nationaler Ebene solche Ausschüsse einzurichten, die den nationalen Parlamenten und den nationalen Wirtschafts- und Sozialräten unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten Bericht erstatten.

1.19.

Abschließend bekräftigt der EWSA die dringende Notwendigkeit, einen effizienten Dialog einzurichten, über den konstruktive Beiträge zur Gestaltung der bis 2020 aufzustellenden und vorzulegenden Strategie eingebracht und letztlich eine umfassende Akzeptanz und Unterstützung dieser Strategie erreicht werden können. Er schlägt deshalb vor, einen ständigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern einzurichten, der obligatorischer Bestandteil der Vorbereitung aller wichtigen politischen Entscheidungen und relevanten Rechtsetzungsinitiativen auf EU-, nationaler- und subnationaler Ebene sein sollte. Beiträge zum Dialog und ihre Berücksichtigung sollten öffentlich sichtbar sein. Um die öffentliche Wahrnehmung des Dialogs zu gewährleisten, sollte er der Zuständigkeit eines Kommissionsmitglieds unterstellt werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA sieht den Klimawandel als ernstliche gesellschaftliche Bedrohung an. Die globale Durchschnittstemperatur wird womöglich bis kurz nach 2060 um 2o C ansteigen — was deutlich über der im Übereinkommen von Paris festgelegten Begrenzung der Erderwärmung liegt —, und das wird sich sehr negativ auf die globale Wirtschaft und auf die Lebensbedingungen weltweit auswirken. Aus dem 2018 vorgelegten Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) (1) und der Mitteilung der Kommission „Ein sauberer Planet für alle“ (COM(2018) 773) (im Folgenden „Mitteilung“) wird deutlich, dass dringend gehandelt werden muss, um den Planeten und die Menschen in Europa vor dem Klimawandel zu schützen.

2.2.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft zwar mit Kosten verbunden ist, dass aber auch durch Nicht-Handeln Kosten entstehen. Der Mitteilung zufolge haben wetterbedingte Katastrophen im Jahr 2017 wirtschaftliche Kosten in einer Rekordhöhe von 283 Mrd. EUR verursacht, und Flusshochwasser in Europa könnten jedes Jahr Schäden in Höhe von 112 Mrd. EUR verursachen.

2.3.

Der EWSA befürwortet nachdrücklich die Zielsetzung, die EU bis 2050 durch einen sozial gerechten Übergang und auf kostenwirksame Weise auf eine klimaneutrale Wirtschaft (mit Netto-Treibhausgasemissionen von null) umzustellen. Aus der Mitteilung geht klar hervor, dass ein solcher Wandel möglich und von Vorteil ist. Auch steht er im Einklang mit den globalen Verpflichtungen der EU im Rahmen des Übereinkommens von Paris und der UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG).

2.4.

Der EWSA begrüßt, dass über das Paket „Saubere Energie für alle Europäer“ die EU-Energieziele bis 2030 für den Anteil erneuerbarer Energieträger (von 27 % auf 32 %) wie auch für Energieeffizienz (von 27 % auf 32,5 %) angehoben wurden. Der Mitteilung zufolge führt dies zu Emissionssenkungen von 45 % bis 2030 (womit die 40 %-Zusage der EU im Rahmen des Übereinkommens von Paris überboten wird) und von 60 % bis 2050. Damit kann jedoch nicht bis 2050 Klimaneutralität erreicht werden. Der EWSA stimmt deshalb zu, dass ein Zukunftsentwurf für einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel, wie in der Mitteilung dargelegt, zwingend notwendig ist.

2.5.

Der EWSA unterstreicht gleichzeitig die Bedeutung von Vorhersehbarkeit, da hierdurch die Planung erleichtert und der Verfall von Vermögenswerten vermieden werden kann. In diesem Sinn begrüßt der EWSA die Feststellung in der Mitteilung, dass derzeit keine neuen politischen Maßnahmen in die Wege geleitet und die Zielsetzungen für 2030 nicht geändert werden sollen. Er hebt die Bedeutung klarer und zeitnaher Signale für die Wirtschaft, insbesondere KMU, hervor.

2.6.

Der EWSA stimmt zu, dass Klimaneutralität strukturelle Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft erfordert, von denen alle Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Einrichtungen betroffen sein werden. Deshalb muss die Zivilgesellschaft umfassend eingebunden, mobilisiert und mit dem nötigen Handwerkszeug ausgerüstet werden, um auf die notwendigen Maßnahmen zur Verwirklichung von Klimaneutralität Einfluss nehmen zu können. Der EWSA bekräftigt ferner, dass die Abstimmung der langfristigen Planung auf die Anpassung an den Klimawandel entscheidend für die Sicherstellung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung ist.

2.7.

Der EWSA betont, dass die EU dringend mehr tun und wegweisend vorangehen sollte, um aus ihrem Vorsprung Gewinn zu ziehen.

2.8.

Der EWSA nimmt die Definition von sieben „strategischen Bausteinen“, die Bereiche mit Handlungsbedarf aufzeigen, und den abgesteckten Handlungsrahmen zur Kenntnis.

2.9.

Der EWSA befürwortet den Ansatz, insgesamt zwölf übergeordnete Prioritäten vorzugeben, die als Richtschnur für die Verwirklichung des Nullemissionsziels dienen sollten, und nimmt insbesondere zur Kenntnis, dass die Mitgliedstaaten, Unternehmen und Bürger die möglichen Wege wählen und an die nationalen Gegebenheiten anpassen können, um weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen in allen Wirtschaftszweigen zu erzielen.

2.10.

In diesem Zusammenhang unterstreicht der EWSA insbesondere die Bedeutung der Debatten auf nationaler und subnationaler Ebene sowie auf Ebene der Interessenträger und Bürger als Mittel zur demokratischen Mitgestaltung der verschiedenen Maßnahmen, die den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft sowie die dazugehörigen Verhaltensänderungen fördern. Solche Debatten werden auch dazu beitragen, unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten die Maßnahmen zu ermitteln, die von der Öffentlichkeit mitgetragen werden können, und die Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Bürgerinnen und Bürger fördern.

2.11.

Der EWSA bedauert, dass nicht klar ist, ob und inwieweit es den Mitgliedstaaten freisteht, die Durchführungsmaßnahmen an ihre jeweilige Situation anzupassen. Es wäre nützlich, wenn diese Frage in den geplanten Konsultationen geklärt würde. Die Umsetzung der Verordnung über das Governance-System der Energieunion ist hierfür ein Lackmustest.

2.12.

Der EWSA weist darauf hin, dass die meisten der in den übergeordneten Prioritäten genannten Aspekte bereits von der Kommission thematisiert wurden bzw. werden und er diese Initiativen unterstützt und Vorschläge unterbreitet hat, darunter die Einrichtung von Kontaktforen und die Hervorhebung der Bedeutung sozialer Aspekte und der Governance.

2.13.

Der EWSA unterstützt die dargelegten Prioritäten und betont, dass diese als Paket zu betrachten sind. Er unterstreicht insbesondere die Bedeutung der Finanzierung, der Rolle der Bürger, Prosumer und Verbraucher wie auch des sozialen Aspekts, da sichergestellt werden muss, dass niemand zurückgelassen wird. Die Bürger werden insbesondere dann zu einem positiven Engagement motiviert, wenn sie an den wirtschaftlichen Vorteilen der Energiewende teilhaben können. Dazu könnten beispielsweise Modelle der Eigentumsbeteiligung an dezentralen Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie — bspw. Solar- und Windenergie — aktiv gefördert werden. Es ist wichtig, die Akzeptanz jedweder Belastungen, wie sie bspw. in Verbindung mit Kohlenstoffpreissystemen entstehen, sicherzustellen.

2.14.

Der EWSA bekräftigt, wie wichtig es ist, Kontakte zwischen behördlichen und nichtstaatlichen Akteuren herzustellen und zu verbessern, und verweist auf seine Vorschläge für ein Bündnis aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft (2).

3.   Notwendigkeit einer echten, übergreifenden EU-Industriepolitik für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft, gestützt durch ambitionierte FuI, einen Sozialpakt und Demokratie

3.1.   Bemerkungen zu den zwölf Prioritäten

3.1.1.

Der EWSA ist sich der entscheidenden Bedeutung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energieträgern für ein klimaneutrales Europa bewusst, die keines Beweises mehr bedarf.

3.1.2.

Elektrizität weist in mehreren Bereichen ein beträchtliches Potenzial als Treiber der Dekarbonisierung auf, etwa bei der Wärme- und Kälteerzeugung (Wärmepumpen, Fernwärme und Fernkälte usw.), synthetischen Kraftstoffen (sog. E-Fuels) und der Elektromobilität. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass 55 % des in der EU erzeugten Stroms bereits aus emissionsneutralen Quellen stammt (25 % aus Kernkraft, 30 % aus Wind-, Wasser- und Solarkraft sowie weiteren erneuerbaren Energieträgern), und teilt die in der Mitteilung vertretene Ansicht, dass der erzeugte Strom so weit wie möglich aus sauberen, klimaneutralen, emissionsfreien Quellen stammen muss.

3.1.3.

Der EWSA setzt sich nachdrücklich für die Entwicklung der dezentralen Erzeugung erneuerbarer Energie, beispielsweise durch Energiegenossenschaften und Prosum, ein. (3) Die Entwicklung intelligenter und flexibler digitaler Systeme zur Steuerung der Nachfrage und des Angebots in einem dezentralisierten, auf erneuerbaren Energien basierenden Stromversorgungssystem mit großem Eigenerzeugungsanteil wird in Zukunft von großer Bedeutung sein. Auch Energiespeicher sind für den großflächigen Einsatz erneuerbarer Energieträger aufgrund der tages- und jahreszeitlichen Erzeugungsschwankungen von entscheidender Bedeutung.

3.1.4.

Der EWSA unterstützt die Entwicklung sauberer Mobilität im Wege alternativer Verkehrsmittel, auch im öffentlichen Verkehr, durch alternative Antriebssysteme für alle Verkehrsarten (u. a. Elektrifizierung, nachhaltiger Wasserstoff, nachhaltiges Gas und nachhaltige Biokraftstoffe, auch für schwere Nutzfahrzeuge, Schiffe und Luftfahrzeuge) sowie über Effizienzsteigerung durch Digitalisierung, Elektrifizierung und kollektive Mobilität. Dadurch wird ein verbessertes und effizienteres Verkehrssystem mit einem kleineren ökologischen Fußabdruck ermöglicht. Der EWSA spricht sich daher für ein neues verkehrspolitisches Weißbuch aus, das das derzeitige Weißbuch ablösen würde. Er verweist auf die begrenzten Emissionssenkungsziele für die nicht unter das EHS fallenden Sektoren, einschließlich des Verkehrs, auf die sich der Europäische Rat im Oktober 2014 (4) geeinigt hatte. Steuern und Abgaben wie auch die Internalisierung externer Kosten sollten als Anreiz für Effizienzverbesserungen dienen, für die Betroffenen annehmbar sein und nicht die Gesamtsteuerbelastung erhöhen.

3.1.5.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass eine wettbewerbsfähige Industrie in der EU und die Kreislaufwirtschaft für die Verringerung der Treibhausgasemissionen von großer Bedeutung sind, u. a. im Wege einer Umstellung auf alternative Kraftstoffe sowie der Abscheidung und Nutzung von CO2. Er plädiert für einen klaren Verweis auf Industrie 4.0, die Digitalisierung und die Entwicklung der kollaborativen Wirtschaft als Voraussetzung für die Verbesserung der Energieeffizienz und Verringerung der Emissionen. (5) Der EWSA betont, dass die Kreislaufwirtschaft ausschlaggebend für die Eindämmung des Klimawandels und den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist. Kreislaufwirtschaftskonzepte wie Maßnahmen zur Verringerung des Primärmaterialeinsatzes, zur Verbesserung der Nutzung bestehender Vermögenswerte und zur Verringerung des Abfallvolumens werden nachweislich maßgebend zur Eindämmung des Klimawandels und zum Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft beitragen (6).

3.1.6.

Die Förderung nachhaltiger Lebensmittelsysteme wird eine Senkung des Treibhausgasausstoßes bewirken, auch durch den Schutz und die Schaffung von mehr CO2-Senken. Der EWSA bekräftigt diesbezüglich, dass die Umweltauswirkungen von Lebensmittelsystemen durch die Förderung einer Ernährung auf der Grundlage einfacher Nährstoffe (7) sowie der Erzeugung und des Verbrauchs saisonaler Lebensmittel verringert werden können. Die Lebensmittelvertriebsketten sollten verkürzt und Produktverpackungen reduziert werden.

3.1.7.

Die europäische Industrie hat ihre Fähigkeit im Bereich der Entwicklung sauberer alternativer Energien unter Beweis gestellt. In einigen Kernsegmenten wie Windkraftanlagen ist die EU-Industrie nach wie vor Marktführer, in anderen Segmenten, bspw. bei der Herstellung von Solarmodulen, hat sie jedoch ihren Vorsprung verloren und musste u. a. aufgrund früherer einzelstaatlicher politischer Fehlentscheidungen die Marktführung abgeben. Nur ca. ein Prozent der weltweiten Lithiumbatterie-Produktionskapazitäten ist derzeit in Europa angesiedelt. Im Interesse einer Vermeidung entsprechender Fehler in neuen Branchen begrüßt der EWSA Initiativen wie den strategischen Aktionsplan für Batterien sowie die praktische Ausgestaltung der Europäischen Batterie-Allianz einschließlich der Entwicklung neuer Technik (8).

3.1.8.

Der EWSA verweist auf die wichtige Funktion der Normensetzung in internationalen Gremien, wo die EU eine Führungsrolle übernehmen kann, die mit entsprechenden Wettbewerbsvorteilen verbunden ist.

3.1.9.

Der EWSA erachtet es ebenfalls als wichtig, die anderen Industriestaaten und Schwellenländer einzubinden und weiterhin eine positive Dynamik zu fördern. Er unterstreicht in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, fairen Wettbewerb und gleiche Ausgangsbedingungen im Verhältnis zu Drittländern sicherzustellen. Dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit muss bei allen einschlägigen politischen Entscheidungen Rechnung getragen werden.

3.1.10.

Der EWSA unterstreicht den enormen Investitionsbedarf und die notwendige grenz- und sektorübergreifende Planungszusammenarbeit im Hinblick auf die Verwirklichung der intelligenten Netze, wozu auch der Einbau intelligenter Zähler und der Ausbau der Energiespeicherkapazitäten gehören, die grundlegende Voraussetzung für eine effiziente Umsetzung bestehender und künftiger Netzpläne und für den Ausgleich der Erzeugungsschwankungen bei alternativen Energien sind.

3.1.11.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) als siebter strategischer Baustein aufgeführt wird und dass hiermit, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, die Möglichkeit steht und fällt, bis 2050 insbesondere durch die Nutzung von Bioenergie und CCS eine klimaneutrale Gesellschaft zu erreichen. Er gibt zu bedenken, dass einer Analyse des Europäischen Rechnungshofs zufolge die bisherige EU-Finanzierung zur Unterstützung von CCS wie das NER-300-Programm „kein erfolgreiches Projekt für die CO2-Abscheidung und -Speicherung hervorgebracht“ hat. Es besteht somit eine große Unsicherheit hinsichtlich der technischen Machbarkeit von CCS, und es gibt Zweifel an der öffentlichen Akzeptanz von CCS.

3.1.12.

Der EWSA hebt die wichtige Rolle natürlicher CO2-Senken hervor, wie Wälder und viele Landbewirtschaftungsmethoden, die eine stärkere Bindung von CO2 im Boden ermöglichen, bspw. Grün- und Weideland, Torfflächen usw.Die nachhaltige Waldbewirtschaftung in Verbindung mit der Verwendung von Holzerzeugnissen, die Kohlenstoff speichern und fossile Materialien und Energiequellen ersetzen, tragen langfristig zur Eindämmung des Klimawandels bei und stärken die Anpassungsfähigkeit der Wälder an die Klimaveränderungen. Es ist wesentlich, dass die Kapazität landwirtschaftlicher Flächen zur Bindung von CO2 genutzt wird. Die Nutzung dieses Potenzials und eine nachhaltige Waldbewirtschaftung sind Teil der Lösung.

3.2.   Die Rahmenbedingungen — ein Überblick

3.2.1.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass der Zugang zu einer angemessenen Finanzierung für den Erfolg der angestrebten Wende unerlässlich ist. Es ist von entscheidender Bedeutung, ausreichende öffentliche wie auch private Investitionen zu mobilisieren. Er bekräftigt deshalb seine Forderung, zu gewährleisten, dass 40 % des Europäischen Fonds für strategische Investitionen und 40 % des EU-Haushalts für die Bekämpfung des Klimawandels bereitgestellt werden und dass alle Ausgaben im Rahmen der EU- und nationalen Haushalte klimaverträglich sind (9) (10). Der EWSA stellt den engen Zusammenhang zwischen der Finanzierung von Forschung und Innovation wie auch der Markteinführung innovativer Lösungen heraus (siehe Ziffern 3.3.5 und 3.3.6).

3.2.2.

Der EWSA begrüßt daher den Aktionsplan der Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums und die sich daraus ergebenden Legislativvorschläge. Er bekräftigt, dass es zum einen wichtig ist, grüne Finanzierung positiv darzustellen, und zum anderen, bei sämtlichen Kennzeichnungen oder Bewertungsvergleichen sektorale und lokale Besonderheiten sowie die Größe der betroffenen Unternehmen zu berücksichtigen. (11)

3.2.3.

Der EWSA erinnert an seine konkreten Vorschläge zur Neuausrichtung der Finanzierung auf nachhaltige Investitionen durch eine „grüne Zweckbindung“ (12), unter Nutzung der quantitativen Lockerung durch die Europäische Zentralbank als Finanzierungsquelle.

3.2.4.

Der EWSA verweist auf die Notwendigkeit, ein Instrumentarium bereitzustellen, das kleinen Akteuren den Zugang zu Finanzierung ermöglicht, damit sichergestellt ist, dass Akteure auf allen Ebenen Zugang zu Klimaschutzfinanzierung haben (13).

3.2.5.

Schließlich betont der EWSA, dass die für die Klima- und Energiewende relevanten Technologien einer ständigen und dynamischen Weiterentwicklung unterliegen. Eine regelmäßige Neubewertung der Mittel und Wege ist daher wesentlich.

3.3.   Forschung und Innovation

3.3.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Wende hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft nicht ohne weitreichende Forschung und Innovation, einschl. sozialer Innovation, gelingen wird, denn sie erfordert allerlei Arten von Innovation, darunter neue Verhaltensweisen, Geschäftsmodelle, soziale Normen, Prozesse, Techniken, Vermarktung und Technologien.

3.3.2.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass Europa einen Anteil von 7 % an der Weltbevölkerung hat, 10 % des globalen Klimagasausstoßes verursacht, 20 % des globalen BIP erwirtschaftet und für 30 % der hochkarätigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen weltweit verantwortlich zeichnet. Die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft kann nur im Rahmen einer weltweiten Klimaschutzanstrengung gelingen. Nach Meinung des EWSA kann die EU den denkbar konstruktivsten Beitrag dazu leisten, wenn sie dem Rest der Welt vor Augen führt, dass diese Umstellung machbar und zum Nutzen der Gesellschaft ist.

3.3.3.

Nach Meinung des EWSA tut Europa sich schwer, seine wissenschaftliche Exzellenz in wertvolle Innovationen umzumünzen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten Forschung und Innovation in allen Wertschöpfungsketten — von der Grundlagenforschung bis zur Markteinführung — besser unterstützen und die Sozial- und Geisteswissenschaften wirksamer hinzuziehen, um besser zu verstehen, auf welcher Grundlage die Endnutzer, einschließlich KMU und Bürger, ihre die Energieversorgung betreffenden Entscheidungen treffen.

3.3.4.

Der EWSA ist der Ansicht, dass der EU eine historische Chance gegeben wird, die europäischen Unternehmen, Innovatoren, Arbeitnehmer und Investoren in die Lage zu versetzen, ihre globale Führungsrolle auf den florierenden Märkten der sauberen Energie zu behaupten. Die EU sollte sich in allen Bereichen der sauberen Energie — von der Energieeffizienz bis zur Elektromobilität — ehrgeizigere Ziele setzen, um einen gesunden Binnenmarkt für die europäische Wirtschaft zu schaffen, in dem Innovationen sicher umgesetzt werden können, und sie sollte eine integrierte Industriestrategie ausarbeiten, die darauf ausgerichtet ist, Lösungen für die Nutzung sauberer Energie in die übrige Welt zu exportieren.

3.3.5.

Daher fordert der EWSA die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Europäischen Rat auf, dafür zu sorgen, dass die Energie- und Klimaforschung und -innovation und ggf. die Markteinführung innovativer Lösungen im kommenden mehrjährigen Finanzrahmen angemessen gefördert werden. Er unterstützt daher die Forderung des Europäischen Parlaments, die Mittelausstattung von Horizont Europa für den Programmplanungszeitraum 2021-2027 auf 120 Mrd. EUR zu erhöhen. Er spricht sich ferner dafür aus, Synergien zwischen den EU-Finanzierungsinstrumenten zu ermöglichen, darunter Horizont Europa, die Fazilität „Connecting Europe“, der Innovationsfonds, die Strukturfonds, ITER, das Euratom-Programm für Forschung und Ausbildung, das Erasmus-Programm und die von der Europäischen Investitionsbank und dem Europäischen Investitionsfonds verwalteten Instrumente.

3.3.6.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag, Forschungs- und Innovationsaufträge zu lancieren, um Forschung und Innovation besser auf Projekte auszurichten, die auf die gesellschaftlichen Herausforderungen, darunter den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft, abheben. In diesem Sinne fordert der EWSA die Europäische Kommission und den Rat auf, einen spezifischen Auftrag vorzuschlagen, um 100 Städte der EU bis 2030 klimaneutral zu machen. Dies wird den Europäerinnen und Europäern zeigen, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft möglich ist und ihre Lebensqualität hierdurch verbessert werden kann. Gleichzeitig bietet sich dadurch Gelegenheit, mit Städten in der ganzen Welt, angefangen bei der Östlichen Partnerschaft und der Union für den Mittelmeerraum, zusammenzuarbeiten und beispielhaft die europäischen Erfahrungen zu vermitteln.

3.3.7.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag zur Einrichtung eines europäischen Innovationsrates. Aufbauend auf den Erfahrungen mit bereits bestehenden Instrumenten — etwa dem Europäischen Innovations- und Technologieinstitut — hofft der EWSA, dass der europäische Innovationsrat das wichtigste Instrument der EU für die Bereitstellung von geduldigem und risikotolerantem Kapital für jene Innovationen wird, die für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft maßgebend sind. Er kann dazu beitragen, dass nationale Start-up-Unternehmen europäische Marktführer werden und nicht von US-amerikanischen und asiatischen Konkurrenten übernommen werden.

3.3.8.

Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf den maßgebenden Beitrag regionaler und lokaler Gemeinschaften zum Klimaschutz sowie zur Verbesserung von Anpassungsfähigkeit und Resilienz und ihren unmittelbaren Einfluss auf die Perspektiven der lokalen Ebene für einen umfassenden Wandel. Viele Gemeinschaften haben bereits entsprechende Initiativen ergriffen und tragen wirksam zu den notwendigen Lösungen bei. Der EWSA betont die Rolle der Inseln und der Gebiete in äußerster Randlage als potenzielle Innovatoren für EU- und internationale Maßnahmen zur Umstellung auf Klimaneutralität.

3.4.   Gemeinsamer Entwurf eines Sozialpakts für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft

3.4.1.

Der EWSA hält es für erforderlich, dass alle europäischen, nationalen und subnationalen Institutionen Unterstützung für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft aufbauen. Von Kohlearbeitern in vielen EU-Ländern vorgetragene berechtigte Bedenken und die jüngsten gesellschaftlichen Bewegungen in Frankreich haben noch deutlicher gemacht, dass der Übergang zu einer ökologisch nachhaltigeren Gesellschaft auch ein Übergang zu einer demokratischeren und sozial gerechteren Gesellschaft sein muss.

3.4.2.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass Europa einen Sozialpakt für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft benötigt, der zwischen der EU, den Mitgliedstaaten, den Regionen, den Städten, den Sozialpartnern und der organisierten Zivilgesellschaft vereinbart werden muss, um sicherzustellen, dass niemand außen vor bleibt.

3.4.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Europäische Union angemessene Finanzmittel zur Verfügung stellen muss, um Arbeitnehmer zu unterstützen, deren Arbeitsplatz infolge des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft bedroht ist. Zu diesem Zweck fordert der EWSA die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat auf, dafür zu sorgen, dass der Europäische Sozialfonds und der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung so konzipiert und finanziert werden, dass den Herausforderungen des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft entsprochen werden kann. Hierdurch würde Europa seinen festen Willen bekunden, dass niemand zurückgelassen werden soll.

3.4.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass zwischen den Fähigkeiten, die von Arbeitnehmern in einer klimaneutralen Wirtschaft verlangt werden, und denen, über die ein Großteil der Arbeitnehmer heute verfügt, erhebliche Unterschiede bestehen können. Die Programme im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung müssen angepasst werden, um sicherzustellen, dass die künftigen und derzeitigen Arbeitnehmer und Ausbildungsdienstleister den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft bei ihren Fortbildungsentscheidungen bzw. in ihrem Fortbildungsangebot berücksichtigen können. Dies wird eine raschere Anpassung der Arbeitskräfte in Europa ermöglichen und bei der Entwicklung neuer Talente behilflich sein.

3.4.5.

Der EWSA sieht den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft als Gelegenheit, um Arbeitsplätze für junge Europäerinnen und Europäer — auch junge Erwerbslose — zu schaffen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission daher auf, ein „Grünes Programm ErasmusPro“, das auf ihrem Pilotprojekt ErasmusPro aufbaut, sowie auch andere Programme aufzulegen, die mehr junge Menschen für die Wachstumsbranchen der klimaneutralen Wirtschaft (z. B. nachhaltige Landwirtschaft, Kreislaufwirtschaft, Abfallbewirtschaftung, Energieeffizienz, Erzeugung erneuerbarer Energie) begeistern können, indem sie das Image und die Arbeitsbedingungen dieser Tätigkeitsfelder verbessern.

3.4.6.

Der EWSA sieht den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft als Chance an, die Energiearmut in Europa zu beseitigen und die Lebensqualität, die Beschäftigungslage und die soziale Inklusion zu verbessern. Die EU sollte für alle Europäer einen gleichberechtigten Zugang zu den grundlegenden Energiedienstleistungen gewährleisten. Auf der Grundlage der Befunde der Europäischen Beobachtungsstelle für Energiearmut sollte in Zusammenarbeit mit den Interessenträgern, einschließlich der Verbraucherorganisationen, ein europäischer Aktionsplan zur Beseitigung der Energiearmut ausgearbeitet werden, um sicherzustellen, dass das öffentliche Handeln zunehmend die der Energiearmut zugrunde liegenden Ursachen ins Visier nimmt. Der EWSA betont, dass Linderungsmaßnahmen von Vorbeugungsmaßnahmen abgelöst und so zum Beispiel alte Gebäude saniert und in Netto-Nullenergiegebäude umgebaut werden sollten. Sozialtarife und Energieschecks können nur eine vorübergehende Entlastung darstellen, an deren Stelle nach und nach Mechanismen wie Subventionen für den Umbau von Bestandsgebäuden in Netto-Nullenergiegebäude und den Kauf von Elektroautos treten sollten.

3.4.7.

Der EWSA appelliert an die Mitgliedstaaten, verstärkt die Eigenverantwortung der Bürger und Gemeinschaften für alle lokalen Initiativen zu berücksichtigen und zu fördern, die erforderlich sind, um eine klimaneutrale Wirtschaft zu verwirklichen, darunter auch Initiativen, die auf veränderte Verhaltensweisen und die lokale Erzeugung erneuerbarer Energie abzielen. Unterstützungsmechanismen und Energiemarktreformen sollten die lokalen Gemeinschaften in die Lage versetzen, sich aktiv an der Energieerzeugung zu beteiligen und einen fairen Zugang zum Energiemarkt zu haben. Aktivere Hilfestellung sollten diejenigen Mitgliedstaaten erhalten, denen es an den institutionellen Kapazitäten mangelt.

3.4.8.

Der EWSA begrüßt das Bestreben der Europäischen Kommission, die Zahl der durch Luftverschmutzung verursachten vorzeitigen Todesfälle bis 2030 zu halbieren (2015 gab es in Europa 400 000 vorzeitige Todesfälle). Er ist der Ansicht, dass die EU und all ihre Mitgliedstaaten die Bekämpfung der Luftverunreinigung zu einer hohen politischen Priorität machen sollten. Regulierungsmaßnahmen zur Verringerung der Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen und Kraftwerken sollten verstärkt werden. Die Europäische Kommission sollte die Organisationen der Zivilgesellschaft stärker einbeziehen, und zwar insbesondere Verbände zum Schutz von Kindern und älteren Menschen, da diese Bevölkerungsgruppen am meisten Gefahr laufen, unter der Luftverschmutzung zu leiden und an ihr zu sterben.

3.4.9.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Ausarbeitung eines Sozialpakts für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ein wesentliches Element ist, um ein positives bürgerschaftliches Engagement zugunsten konkreter Maßnahmen für diesen Übergang sicherzustellen.

3.5.   Demokratie und Governance

3.5.1.

Der EWSA stimmt zu, dass die Rolle der Bürgerinnen und Bürger, der regionalen und lokalen Behörden und der Bürgerbeteiligung im Rahmen der Bürgerdialoge wichtig ist. In Anbetracht der enormen Mobilisation junger Menschen appelliert der EWSA an die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten, auch mit den jungen Bürgerinnen und Bürgern in Dialog zu treten.

3.5.2.

Der EWSA begrüßt die Feststellung der Kommission mit Blick auf saubere Mobilität, dass „Verhaltensänderungen von Einzelpersonen und Unternehmen (…) diese Entwicklung untermauern“ müssen. Der EWSA ist überzeugt, dass dies für alle vom Übergang zur klimaneutralen Wirtschaft betroffenen Wirtschaftszweige gilt, einschließlich Energie, Wohnungsbau, Landwirtschaft und Lebensmittel. Der EWSA betont, dass die geplanten weitreichenden Veränderungen, einschließlich Veränderungen des Verhaltens und der Lebensweise, die Akzeptanz der Betroffenen voraussetzen.

3.5.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die bestehenden Verfahren noch nicht ausreichend dafür geeignet sind, die notwendige Akzeptanz seitens der Bürger zu gewährleisten. Er unterstreicht, dass die Europäische Kommission nicht nur darauf abzielen sollte, die Energiewende „sozial tragbar“ zu gestalten, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie auf demokratische und gesellschaftliche Unterstützung zählen kann.

3.5.4.

Der EWSA schlägt auf der Grundlage der Verordnung über das Governance-System der Energieunion vor, einen ständigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern einzurichten, der obligatorischer Bestandteil der Vorbereitung aller wichtigen politischen Entscheidungen und klimaschutzrelevanten EU-Rechtsvorschriften sein sollte. Ein solcher bürgernah geführter Dialog sollte auf Transparenz und Rechenschaftspflicht beruhen. Auch wenn ein Dialog über das Internet notwendig sein mag, muss er durch Versammlungen und direkte Kontakte mit der Öffentlichkeit ergänzt werden. Er sollte angemessen finanziert, personell ausgestattet und der Zuständigkeit eines Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, der diesem Dialog ein Gesicht verleiht, unterstellt werden.

3.5.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten die Gestaltung der Energiepolitik weiter demokratisieren müssen, indem sie Instrumente wie Deliberationsforen nutzen und die Voraussetzungen für die systemische Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung und Durchführung der nationalen Energie- und Klimapläne schaffen.

3.5.6.

Der EWSA erinnert an die Schlüsselrolle der Regionen und lokalen Gebietskörperschaften bei der Umsetzung klima- und energiepolitischer Maßnahmen und bei der Förderung von Verhaltensänderungen, die für deren wirksame Umsetzung erforderlich sind. Er unterstreicht die Initiativen des Bürgermeisterkonvents und ruft die Kommission auf, ähnliche Maßnahmen gutzuheißen und einen ständigen Konsultationsmechanismus auf der Grundlage des Talanoa-Dialogs (14) einzurichten. Dazu gehört auch der vom EWSA geforderte europäische Dialog über nichtstaatliche Klimaschutzmaßnahmen.

3.5.7.

Der EWSA bekräftigt seine Forderung nach der Schaffung eines „Europäischen Energieinformationsdienstes“ innerhalb der Europäischen Umweltagentur, der imstande wäre, einen offenen Zugang zu hochwertigen Daten zu gewährleisten, eine zentrale Eingangsstelle für alle zur Bewertung des Fortschritts der Energieunion erforderlichen Daten zu entwickeln, mit den Interessenträgern die Annahmen für die verschiedenen Szenarien auszuarbeiten, Open-Source-Modelle zum Prüfen der verschiedenen Annahmen bereitzustellen und die Kohärenz zwischen den verschiedenen Projektionen zu prüfen. Seine Arbeit sollte allen Entscheidungsträgern, den Unternehmen und der Öffentlichkeit ohne Einschränkung zur Verfügung stehen.

3.5.8.

Der EWSA fordert das Europäische Parlament auf, einen unabhängigen EU-Ausschuss für Klimaschutz einzusetzen, der für wissenschaftlich fundierte Bewertungen und strategische Empfehlungen zuständig wäre. Er fordert diejenigen Mitgliedstaaten, in denen es noch keine vergleichbaren Gremien gibt, auf, auf nationaler Ebene solche Ausschüsse einzurichten, die den nationalen Parlamenten und den nationalen Wirtschafts- und Sozialräten unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten Bericht erstatten.

Brüssel, den 20. Juni 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Sonderbericht des Weltklimarats über 1,5 °C globale Erwärmung, Oktober 2018.

(2)  EWSA-Stellungnahmen „Bündnis zur Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen des Übereinkommens von Paris“ (ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 20) und „Förderung von Klimaschutzmaßnahmen nichtstaatlicher Akteure“ (ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 35).

(3)  EWSA-Stellungnahme „Änderung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie“ (ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 55).

(4)  Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 23./24.10.2014, EUCO 169/14, Punkte I 2.1, 2.2, 2.10-2.13.

(5)  EWSA-Stellungnahmen „Investitionen in eine intelligente, innovative und nachhaltige Industrie“ (ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 70) „Industriepolitik in Richtung 2030“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 16) und „Kollaborative Wirtschaft“ (ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 33).

(6)  Circle Economy and Ecofys report Circular Economy: A key lever in bridging the emissions gap to a 1.5°C pathway.

(7)  EWSA-Stellungnahme „Beitrag der Zivilgesellschaft zur Ausarbeitung einer umfassenden Ernährungspolitik in der EU“ (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 18).

(8)  Presseerklärung von Kommission-Vizepräsident Maroš Šefčovič, April 2019; gemeinsame Pressekonferenz mit Peter Altmaier und Bruno Le Maire, 2. Mai 2019.

(9)  EWSA-Stellungnahme „Europäischer Finanz-Klima-Pakt“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 8).

(10)  EWSA-Stellungnahme „Erleichterung des Zugangs nichtstaatlicher Akteure zur Klimaschutzfinanzierung“ (ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 14).

(11)  EWSA-Stellungnahmen „Aktionsplan für nachhaltige Finanzierung“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 73) und „Nachhaltiges Finanzwesen: Taxonomie und Referenzwerte“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 103).

(12)  EWSA-Stellungnahme „Europäischer Finanz-Klima-Pakt“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 8).

(13)  Siehe Fußnote 10.

(14)  https://unfccc.int/topics/2018-talanoa-dialogue-platform.


Berichtigungen

20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/60


Berichtigung der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2015/757 zwecks angemessener Berücksichtigung des globalen Datenerhebungssystems für den Kraftstoffverbrauch von Schiffen“

( Amtsblatt der Europäischen Union C 240 vom 16. Juli 2019 )

(2019/C 282/10)

Seite 43, Absatz 3.1:

Anstatt:

„Hier scheint aber ein Widerspruch zu der neuen, abgeänderten Bestimmung des Vorschlags in Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe f (neu) zu bestehen, in dem es heißt, dass die Überwachung (auf Grundlage der einzelnen Fahrten) der beförderten Ladung ‚auf freiwilliger Basis‘erfolgt.“

muss es heißen:

„Hier scheint aber ein Widerspruch zu der neuen, abgeänderten Bestimmung des Vorschlags in Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe f zu bestehen, in dem es heißt, dass die Überwachung (auf Grundlage der einzelnen Fahrten) der beförderten Ladung‚ auf freiwilliger Basis‘erfolgt.“

Seite 43, Absatz 3.2:

Anstatt:

„Der vorgeschlagene Artikel 11 Absatz 2 (neu) könnte wie folgt geändert werden:“

muss es heißen:

„Der vorgeschlagene Artikel 11 Absatz 2 könnte wie folgt geändert werden:“.