ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 367

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

61. Jahrgang
10. Oktober 2018


Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

536. Plenartagung des EWSA, 11.7.2018-12.7.2018

2018/C 367/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Wirkungen einer neuen kohlenstofffreien, dezentralen und digitalisierten Energieversorgungsstruktur auf Arbeitsplätze und Regionalwirtschaft (Initiativstellungnahme)

1

2018/C 367/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Bedeutung des Verkehrs für die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und die Auswirkungen auf die EU-Politikgestaltung (Initiativstellungnahme)

9

2018/C 367/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema EU-Konzepte zur Gestaltung von Übergängen in eine digitalisierte Arbeitswelt — ein wesentlicher Input für ein EU-Weißbuch zur Zukunft der Arbeit (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des österreichischen Ratsvorsitzes)

15

2018/C 367/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Situation von Frauen mit Behinderungen(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des Europäischen Parlaments)

20


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

536. Plenartagung des EWSA, 11.7.2018-12.7.2018

2018/C 367/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 in Bezug auf Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen in der Union und Entgelte für Währungsumrechnungen(COM(2018) 163 final — 2018/0076 (COD))

28

2018/C 367/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 168/2013 hinsichtlich der Anwendung der Stufe Euro 5 auf die Typgenehmigung von zwei- oder dreirädrigen und vierrädrigen Fahrzeugen(COM(2018) 137 final — 2018/0065 (COD))

32

2018/C 367/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermarktung und Verwendung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe, zur Änderung von Anhang XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 über die Vermarktung und Verwendung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe (COM(2018) 209 final — 2018/0103 (COD))

35

2018/C 367/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union(COM(2018) 259 final — 2018/0123 (COD))

39

2018/C 367/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 im Hinblick auf die Mindestdeckung notleidender Risikopositionen(COM(2018) 134 final — 2018/0060 (COD)) und Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Kreditdienstleister, Kreditnehmer und die Verwertung von Sicherheiten(COM(2018) 135 final — 2018/0063 (COD))

43

2018/C 367/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über das auf die dingliche Wirkung von Wertpapiergeschäften anzuwendende Recht (COM(2018) 89 final); Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds (COM(2018) 92 final — 2018/0041 (COD)); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht (COM(2018) 96 final — 2018/0044 (COD)); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Vertriebs von Investmentfonds und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 345/2013 und (EU) Nr. 346/2013 (COM(2018) 110 final — 2018/0045 (COD))

50

2018/C 367/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 hinsichtlich Risikopositionen in Form gedeckter Schuldverschreibungen(COM(2018) 93 final — 2018/0042 (COD)) und Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Emission gedeckter Schuldverschreibungen und die öffentliche Aufsicht über gedeckte Schuldverschreibungen und zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG und der Richtlinie 2014/59/EU(COM(2018) 94 final — 2018/0043 (COD))

56

2018/C 367/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — FinTech-Aktionsplan: Für einen wettbewerbsfähigeren und innovativeren EU-Finanzsektor (COM(2018) 109 final)

61

2018/C 367/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente(COM(2018) 99 final — 2018/0047 (COD)) und demVorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Crowdfunding-Dienstleister für Unternehmen(COM(2018) 113 final — 2018/0048 (COD))

65

2018/C 367/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz(COM(2018) 147 final — 2018/0072 (CNS)) und dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum gemeinsamen System einer Digitalsteuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen(COM(2018) 148 final — 2018/0073 (CNS))

73

2018/C 367/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erhöhung der Sicherheit der Personalausweise von Unionsbürgern und der Aufenthaltsdokumente, die Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen in Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit ausgestellt werden(COM(2018) 212 final — 2018/0104 (COD))

78

2018/C 367/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Vorschriften zur Erleichterung der Nutzung von Finanz- und sonstigen Informationen für die Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung bestimmter Straftaten und zur Aufhebung des Beschlusses 2000/642/JI des Rates (COM(2018) 213 final — 2018/0105 (COD))

84

2018/C 367/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen(COM(2018) 225 final — 2018/0108 (COD)) und Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Regeln für die Bestellung von Vertretern zu Zwecken der Beweiserhebung in Strafverfahren(COM(2018) 226 final — 2018/0107 (COD))

88

2018/C 367/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusseses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über persistente organische Schadstoffe (Neufassung)(COM(2018) 144 final — 2018/0070 (COD))

93

2018/C 367/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über einen Überwachungsrahmen für die Kreislaufwirtschaft(COM(2018) 29 final)

97

2018/C 367/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Mehrjahresplans für die Fischereien, die Grundfischbestände im westlichen Mittelmeer befischen (COM(2018) 115 final — 2018/0050 (COD))

103

2018/C 367/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Neufassung)(COM(2017) 753 final — 2017/0332 (COD))

107

2018/C 367/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchführung und Funktionsweise der Domäne oberster Stufe .eu sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 733/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 der Kommission(COM(2018) 231 final — 2018/0110 (COD))

112

2018/C 367/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien 2006/112/EG und 2008/118/EG hinsichtlich der Aufnahme der italienischen Gemeinde Campione d’Italia und des zum italienischen Gebiet gehörenden Teils des Luganer Sees in das Zollgebiet der Union und in den räumlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/118/EG(COM(2018) 261 final — 2018/0124 (CNS))

117

2018/C 367/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im Hinblick auf den Anwendungszeitraum der fakultativen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft bei Lieferungen bestimmter betrugsanfälliger Gegenstände und Dienstleistungen und des Schnellreaktionsmechanismus gegen Mehrwertsteuerbetrug(COM(2018) 298 final — 2018/0150 (CNS))

118

2018/C 367/25

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 110/2008 hinsichtlich der Nennfüllmengen für das Inverkehrbringen von in einer Destillationsblase hergestelltem und in Japan abgefülltem einmal destilliertem Shochu in der Union(COM(2018) 199 final — 2018/0097 COD)

119

2018/C 367/26

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidung 2003/17/EG des Rates hinsichtlich der Gleichstellung von Feldbesichtigungen von Futterpflanzen- und Getreidesaatgutvermehrungsbeständen in Brasilien und der Gleichstellung von in Brasilien erzeugtem Futterpflanzen- und Getreidesaatgut sowie hinsichtlich der Gleichstellung von Feldbesichtigungen von Getreide-, Gemüse-, Öl- und Faserpflanzensaatgutvermehrungsbeständen in der Republik Moldau und von in der Republik Moldau erzeugtem Getreide-, Gemüse-, Ölpflanzen- und Faserpflanzensaatgut(COM(2017) 643 final — 2017/0297 (COD))

120


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

536. Plenartagung des EWSA, 11.7.2018-12.7.2018

10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Wirkungen einer neuen kohlenstofffreien, dezentralen und digitalisierten Energieversorgungsstruktur auf Arbeitsplätze und Regionalwirtschaft“

(Initiativstellungnahme)

(2018/C 367/01)

Berichterstatter:

Lutz RIBBE

Beschluss des Plenums

15.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

28.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

123/1/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Umstellung des Energiesystems auf eine kohlenstofffreie, dezentrale und digitalisierte Versorgung bietet große Chancen — insbesondere für die strukturschwachen und ländlichen Regionen Europas. Der Ausbau erneuerbarer Energien (im Folgenden „EE“) kann zu beträchtlichen positiven Beschäftigungseffekten führen und so gestalten werden, dass ganz neue Impulse für die regionale Wirtschaft erzielt werden.

1.2.

Insbesondere besteht das Potenzial, dass sich die europäische Energie- und Kohäsionspolitik in ihren positiven Auswirkungen gegenseitig bestärken könnten. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bedauert, dass dieses Potenzial sowohl auf Seiten der Kommission als auch der Mitgliedstaaten noch nicht hinreichend erkannt, geschweige denn aktiviert wurde.

1.3.

Zwar trägt die Kohäsionspolitik seit ihrer Neuausrichtung zur Förderung der EE und der Energieeffizienz bei, was der EWSA begrüßt. Die europäische Energiepolitik hingegen unterstützt bisher kaum die Kohäsionspolitik. Es wird nicht gesehen, dass EE die wirtschaftliche Entwicklung gerade benachteiligter Regionen substanziell befördern könnten. So wird ein enormes politisches Potenzial für regionales Wachstum vergeben.

1.4.

Damit dieses Potenzial zur Geltung kommt, müssen die Regionen in die Lage versetzt und dabei unterstützt werden, durch den Ausbau von EE und der damit verbundenen spezifischen Netzinfrastruktur, Wachstumsimpulse für die regionale Wirtschaft zu erwirken und eine breite gesellschaftliche Teilhabe an diesem Wachstum zu schaffen. Eine für die regionale Wertschöpfung besonders wichtige Form der Partizipation ist die Aufwertung der Rolle der Verbraucher, die als Prosumenten auch dank der Digitalisierung eine ganz neue energiewirtschaftliche Verantwortung übernehmen, ökonomische Teilhabe erzielen und mit dem Ansatz „Klimaschutz von unten“ größere politische Ziele unterstützen könnten.

1.5.

Wichtig ist, einen ganzheitlichen regionalwirtschaftlichen Ansatz für den Ausbau von EE zu verfolgen. Damit ist gemeint, dass die Erzeugung und Nutzung von EE — und zwar die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität übergreifend — vor Ort aufeinander abgestimmt werden. Künstliche Intelligenz und „smart grids“ könnten hier einen wichtigen Beitrag leisten.

1.6.

Inwieweit den Regionen dies gelingt, ist anhand des Verhältnisses aus regional nachgefragter Energie und den regional erzeugten bzw. erzeugbaren EE nachzuvollziehen. Der EWSA empfiehlt, im Rahmen von „regionalen Energie-Kreislaufwirtschaftsplänen“ Analysen zu erstellen, die eine differenzierte Bewertung des regionalwirtschaftlichen Potenzials von EE für jede einzelne Region möglich machen. Die Pläne sollten auch für die jeweilige Region die beschäftigungspolitischen Effekte abbilden. Denn selbst wenn allgemein gelten kann, dass durch die Energiewende mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, als es im bisherigen Energiesystem gab, wird es Regionen geben, die von diesem Effekt mehr profitieren als andere.

1.7.

Die regionalen Energie-Kreislaufwirtschaftspläne könnten die Basis für einen strukturierten und differenzierten Dialog mit den Menschen vor Ort sein, der a) für den Erhalt bzw. die Schaffung der lokalen Akzeptanz der EE und b) für die Stärkung der regionalen Wirtschaftsstandorte wichtig ist. Der EWSA ist erstaunt, dass es solche Analysen und Pläne bisher nur in sehr wenigen Einzelfällen gibt.

1.8.

Ein ganzheitlicher regionalwirtschaftlicher Ansatz für den Ausbau von EE könnte nicht nur einen wichtigen Beitrag zur europäischen Kohäsionspolitik leisten. Für ihn spricht auch eine Reihe von energiepolitischen Gründen (Reduktion der Energieabhängigkeit und Energiearmut, Unterstützung der Sektorenkopplung, Nutzung des Innovationspotenzials der Digitalisierung, Netzentlastung).

1.9.

Vor diesem Hintergrund ruft der EWSA die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die erforderlichen Schritte für die Verwirklichung eines ganzheitlichen energiewirtschaftlichen Ansatzes beim Ausbau von EE zu verfolgen: Definition von Energieregionen, Unterstützung bei der empirischen Erfassung des Verhältnisses aus regional nachgefragter Energie und regional erzeugter bzw. erzeugbarer EE, gezielte Aus- und Weiterbildung, Anreize für die Umsetzung, z. B. durch die Unterstützung des Ausbaus der EE-Infrastruktur, Öffnung der Netze und eine entsprechende Bepreisung von Netzkosten.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Europäische Union steht vor tiefgreifenden Veränderungen in ihrer Energieversorgung und -politik. Diese betreffen nicht nur die Erzeugung (weg von kohlenstoffhaltigen fossilen Energieträgern hin zum Ausbau von erneuerbaren Energien), sie werden auch immense strukturelle Veränderungen mit sich bringen, sowohl was den Ort der Energieproduktion (weg von zentralen Großkraftwerken hin zu dezentraleren Strukturen) als auch die Anbieter- und Verbrauchsstruktur (neue Stakeholder sowie Verbrauchs- wie Verteilermodelle, unter anderem in Folge der Digitalisierung) angeht.

2.2.

Der EWSA hat sich bereits in verschiedenen Stellungnahmen mit den Auswirkungen der Energiewende auf die Regionen befasst, die negativ betroffen sein werden, z. B. die Kohleregionen (1). In solchen Regionen haben bereits etliche Menschen ihren Arbeitsplatz verloren; weitere Arbeitsplatzverluste sind kaum zu vermeiden. Umso wichtiger ist es, den Strukturwandel frühzeitig zu erkennen und politisch zu begleiten, damit die wirtschaftlichen und sozialen Folgen möglichst gering gehalten und abgefedert werden. Der EWSA begrüßt diesbezüglich erste Initiativen der Kommission (2).

2.3.

Dem EWSA ist allerdings aufgefallen, dass die positiven Veränderungen, die z. B. auf regionale Wertschöpfung und Arbeitsplatzschaffung ausgehen können, bisher nur am Rande diskutiert werden. Zwar geht die Kommission in den Erwägungen zur geltenden EE-Richtlinie (2009/28/EG) an verschiedenen Stellen auf die Bedeutung von EE für die regionale Wirtschaftsentwicklung ein, doch hat der EWSA während seiner Recherchen feststellen müssen, dass es a) kaum Studien über die möglichen regionalwirtschaftlichen Folgen des Ausbaus von EE gibt und b) innerhalb der Kommission, aber auch der Mitgliedstaaten keine Strategie erkennbar ist, Energiepolitik und Regionalentwicklung tatsächlich zielgerichteter zu koppeln. Von einer erkennbaren politischen Strategie zur vollen Erschließung des genannten Potenzials kann also keine Rede sein.

2.4.

Gleichwohl gibt es in Europa schon heute eine riesige Anzahl von positiven „Bottom-up“-Beispielen beim Ausbau von EE auf lokaler und regionaler Ebene. So wurde — um nur ein zufälliges Beispiel zu nennen — im ostfranzösischen Langres (10 000 Einwohner) ein Holzheizwerk errichtet, das über ein Nahwärmenetz von 5 km Länge 22 Warmwasseraufbereitungsanlagen und mittelbar unter anderem ein Hotel, ein Erlebnisbad und ein Altenheim versorgt; pro Jahr werden 3 400 Tonnen CO2 eingespart. Bei vielen solcher Initiativen fällt auf, dass sie nur selten systematisch auf ihre regionalwirtschaftliche Relevanz ausgewertet werden. Insofern muss ein großes „lack of statistical knowledge“ festgestellt werden.

2.5.

In Feldheim (bei Berlin) allerdings werden nicht nur seit ca. 20 Jahren die lokalen Ressourcen konsequent zur lokalen Energieproduktion und -versorgung genutzt, sondern auch die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen ausführlich beschrieben. Der Strombedarf des Dorfes wird mittlerweile mehrfach, der Wärmebedarf vollständig gedeckt. Neben den direkten Einkünften aus dem Energieverkauf sind die Ausgabeneinsparungen bemerkenswert: die Einwohner zahlen dort einen Strompreis von nur 16,6 ct/kWh, was nur knapp mehr als 50 % des durchschnittlichen Strompreises von Deutschland entspricht. In der konsequent betriebenen Energiekreislaufwirtschaft ist die lokale Bevölkerung als „treibende Kraft“ intensivst einbezogen (3).

Dem EWSA ist es ein wichtiges Anliegen, diese möglichen positiven regionalwirtschaftlichen Effekte den erwähnten negativen Begleiterscheinungen der Energietransformation in einer Gesamtbilanz gegenüberzustellen.

2.6.

Diese Initiativstellungnahme soll dazu beitragen, endlich eine vertiefende Diskussion anzuregen, indem die Potenziale und beispielhafte Ansätze beschrieben sowie Defizite benannt werden.

3.   Die Bedeutung der EE für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Europas und seiner Regionen

3.1.

Die EU ist der weltweit größte Energieimporteur; 53 % unseres Primärenergiebedarfs werden jährlich für eine Gesamtsumme von über 400 Mrd. EUR eingeführt. Die Energieabhängigkeit der Union ist ein gravierendes volkswirtschaftliches und geopolitisches Problem.

3.2.

Ziel der „Europäischen Energieunion“ ist es, a) die Energiesicherheit Europas zu erhöhen, indem die Energieimporte reduziert werden, b) den Klimaschutz zu fördern, c) neue Arbeitsplätze zu schaffen. Der EWSA ist der Auffassung, dass diese europäisch-makroökonomische Zielsetzung auch auf regionaler Ebene sinnvoll ist und angewendet werden sollte.

3.3.

Vor diesem Hintergrund muss die Förderung von EE als „heimische“ Energiequellen, die — anders als fossile Ressourcen — in allen Regionen der Union zur Verfügung stehen, nicht nur unter Klimaschutzgründen diskutiert, sondern als wichtiges regionalwirtschaftliches Ziel gesehen werden: Energieproduktion könnte und sollte regionale Wirtschaften stimulieren.

3.4.

Je mehr es gelingt, regionalen Akteuren — seien es Bürger, regionale Unternehmen oder die Kommunen selbst — eine ökonomische Teilhabe hieran zu ermöglichen, umso höher wird die notwendige Akzeptanz beim Ausbau der EE-Infrastruktur sein. Regionale Wertschöpfung durch EE steigt, je aktiver regionale Stakeholder einbezogen werden.

3.5.

Wie eine solche ökonomische Teilhabe im Einzelnen aussehen kann, erklärt ein differenzierter Blick auf die Wertschöpfungskette bei EE.

Zunächst ist die eigentliche Investition in EE-Anlagen zu nennen: Die Anlagen selbst werden meist aus anderen Regionen „importiert“. Gleiches gilt für den Planungsprozess, der — besonders bei größeren Vorhaben — häufig von Ingenieur- oder Entwicklungsbüros geleistet wird, die ebenfalls oft selbst nicht in der Region ansässig sind; die Wirkung auf die regionale Wirtschaft ist also eher begrenzt.

Eine unmittelbare regionale Wertschöpfung entsteht hingegen durch die Betriebs- und Wartungskosten der Anlagen. Diese Aufwände sind aber bei EE-Anlagen vergleichsweise gering. Positiv wirken, z. B. bei Wind- oder Photovoltaikfreiflächenanlagen, Pachtzahlungen an die lokalen Grundeigentümer, hinzu kommen eventuelle Steuereinnahmen für die Gemeinden.

Der eigentliche wirtschaftliche Gewinn von EE-Anlagen resultiert aus der Nutzung bzw. dem Verkauf der gewonnenen Energie. Für die regionale Wirtschaft ist es folglich entscheidend, wer die Anlagen betreibt und wer aus deren Betrieb Gewinne generieren kann.

3.6.

Eine Form von ökonomischer Teilhabe findet ihren Ausdruck in regionalen Arbeitsplätzen, die im Energiesektor im Zuge des Ausbaus der EE neu entstehen können. Zahlreiche Studien zeigen, dass der Nettoeffekt der Transformation des Energiesystems auf die Beschäftigung klar positiv ist — zuletzt etwa eine Untersuchung für die Niederlande (4). Hervorzuheben ist, dass dieser Studie zufolge alle niederländischen Provinzen von diesem positiven Effekt profitieren werden.

Damit solche positiven Entwicklungen in allen Regionen Europas erreicht werden können, ist es notwendig, möglichst frühzeitig in eine entsprechende Qualifizierung der Menschen zu investieren.

3.7.

Es ist offensichtlich, dass diese positiven Effekte nicht in jedem Fall alle Nachteile des Strukturwandels, zum Beispiel für Kohleregionen, voll kompensieren können. Aber die Umstellung auf EE bietet doch große Chancen für eine positive Entwicklung in den vielen Regionen Europas, die heute reine Importeure von Energien sind.

3.8.

Eine weitere Form der regionalen ökonomischen Teilhabe erfolgt über die direkte Beteiligung an den Investitionen in EE-Anlagen und somit über deren Betrieb. Bei EE-Anlagen machen Kapitalkosten den größten Teil der Gesamtkosten aus. Umso wichtiger ist es für die regionale Wertschöpfung, dass es regionalen Akteuren möglich ist, in EE-Anlagen zu investieren. Laut einer Studie für das deutsche Bundesland Hessen kann die regionale Wertschöpfung bis zu achtmal so groß ausfallen, wenn ein Windpark in regionaler Hand betrieben wird (5).

3.9.

In einigen europäischen Regionen haben die politischen Verantwortlichen diese Bedeutung erkannt und Initiativen gestartet, mit denen die regionale Teilhabe an EE gestärkt werden soll, etwa: Community Empowerment Bill (Schottland), Lov om fremme af vedvarende energi (Dänemark), Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz (im deutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern) oder die „National Energy Independence Strategy“ Litauens.

3.10.

Eine dritte mögliche Form der Teilhabe besteht darin, dass Verbraucher die Energie, die aus Anlagen in ihrer Region gewonnen wird, direkt beziehen können, beispielsweise über sogenannte „power purchase agreements“ (PPA). Die Digitalisierung wird ppa auch für kleinere Energieverbraucher zugänglich machen, und die Kostenentwicklung verspricht, dass die Kosten des lokal gewonnenen Wind- oder Solarstroms immer häufiger unter dem Großhandelsmarktpreis liegen wird.

3.11.

Ein weiterer möglicher Effekt ist wichtig. Wenn eine regionale Energiekreislaufwirtschaft durch Einsparungen bzw. durch Einnahmen aufgrund von EE für neue Wertschöpfungen in einer Region sorgt bzw. den Geldabfluss durch den Import von Energie verringert, wird Kapital verfügbar, dass auch in anderen Wirtschaftsbereichen — also außerhalb der Energiebranche — investiert werden kann. Es sind also nicht nur die „direkten“ Arbeitsplatzeffekte zu betrachten (wie Jobs im EE-Bereich), sondern auch die „indirekten“, die sich aus neuen regionalen Finanzströmen ergeben können.

4.   EE als Regionalpolitik — ein „Best Case“ aus Polen (Podlachien)

4.1.

Die polnische Woiwodschaft Podlachien liefert ein Beispiel, das besonders anschaulich zeigt, wie die Überlegungen aus Kapitel 3 regional umgesetzt werden können. Das Beispiel verdeutlicht, wie in einer strukturschwachen Region mit dem Ausbau von EE erfolgreiche Regionalpolitik betrieben werden kann — und dies selbst bei alles anderen als optimalen nationalen Vorgaben. Voraussetzung ist allerdings ein systematisches Vorgehen, das im Folgenden beschrieben wird.

4.2.

Im Jahr 2012 verabschiedete das Regionalparlament (Sejmik) einen Regionalentwicklungsplan, der die Grundlage für die Umsetzung der Operationalen Programme zur Nutzung der Europäischen Strukturfonds bildete.

4.3.

Podlachien, das zu den struktur- und einkommensschwächsten Regionen Europas zählt, importiert jährlich für ca. 5,2 Mrd. PLN (= 1,25 Mrd. EUR) Energie. Eigene fossile Energiequellen gibt es in der Woiwodschaft nicht.

4.4.

Die Entwicklungsstrategie spricht von einer geplanten „Revolution“ mit vier Zielen: 1.) Unabhängigkeit vom Import von Strom, 2.) Steigerung der Anteile von EE im Energieverbrauch, 3.) Reduktion der CO2-Emission und 4.) Steigerung des wirtschaftlichen Potenzials der Region, in dem importierte (kohlenstofflastige) Energieträger durch regionale (saubere) Energieformen substituiert werden.

4.5.

In Podlachien hat man erkannt, dass eine „regionale Energiepolitik“ nur gelingen kann, wenn man auch die Akteursstruktur auf dem Energiemarkt betrachtet. So wird angestrebt, „dass Einwohner und Unternehmer von Podlachien Besitzer der dezentralen Energiequellen werden“.

4.6.

Seit Ende 2016 organisierte die podlachische Gemeinde Turośń Kościelna aus EFRE-Mitteln für ihre Bürger den Kauf von 38 Wärmepumpen, 77 PV- und 270 Solarthermieanlagen. Sie koordiniert die Berechnungen, die Bestellungen und die Installation und nimmt ihren Einwohnern alle rechtlichen und technischen Arbeiten ab. Die Investitionen wurden zu 85 % aus EU-Strukturfondsmitteln bezuschusst. Zukünftig werden ca. 25 % aller Häuser mit moderner EE-Technik ausgestattet sein.

4.7.

In Verbindung mit dem in Polen für kleine PV-Anlagen existierenden „net-metering“ produzieren die Bürger ihren eigenen „grünen“ Strom (inkl. aller Nebenkosten) für ca. 0,18 PLN/kWh (ca. 4,3 ct/kWh). Im Vergleich dazu: beim Netzbezug (von hauptsächlich aus Kohle hergestellten Strom) sind derzeit 0,65 PLN/kWh (= 15,5 ct/kWh) zu zahlen. Daraus ergibt sich eine Reduktion der Stromkosten um ca. 75 % — das eingesparte Geld kommt der regionalen Wirtschaft zugute.

4.8.

Das Marschallamt hat diesen Ansatz aufgegriffen und im Jahr 2017 ähnliche Projekte in 62 anderen Gemeinden ermöglicht. Insgesamt wurde die Förderung von ca. 4 700 Solarthermie-Dachanlagen und 2 250 PV-Hausdachanlagen mit einer Gesamtkapazität von etwas mehr als 7 mWp beantragt; die Umsetzung soll 2018 erfolgen.

4.9.

Längst wird allerdings weitergedacht, z. B. in Richtung Elektromobilität. Von den 5,2 Mrd. PLN, die jährlich für Energieimporte aus Podlachien abfließen, entfallen allein rund 1,5 Mrd. PLN auf den Import von Benzin und Diesel für Pkw.

4.9.1.

Die „podlachische Überlegung“ hierzu: Die in der Region zugelassenen Pkw legen pro Jahr ca. 5,2 Mrd. km zurück. Würden alle Fahrzeuge mit Strom betrieben, bräuchte man dafür bei einem Verbrauch von 15 kWh/100 km ca. 800 000 MWh Strom. Bei den derzeitigen Netzbezugskosten von 0,63 PLN/kWh wären dafür ca. 500 Mio. PLN aufzuwenden anstatt der 1,5 Mrd. PLN für fossile Kraftstoffe, die heute aufgewendet werden. Rund 1 Mrd. PLN verbliebe allein dadurch in der Region und könnten zur Stärkung der Wirtschaft beitragen!!

4.9.2.

Die benötigte Strommenge könnte mit rund 70 (regional installierten) Windkraftanlagen hergestellt werden. Der jährliche Strom einer solchen Anlage reicht für den Betrieb von ca. 7 000 Pkw, eine kWh kostet rund 6-7 ct. Würden sich 7 000 Autofahrer zusammenschließen und eine solche Anlage genossenschaftlich betreiben, würde sich ihr Kostenaufwand für den Betrieb von E-Fahrzeugen nochmals signifikant senken lassen. Dies müsste allerdings rechtlich und administrativ ermöglicht werden, z. B. dadurch, dass die Netze für die Peer-to-Peer-Verteilung geöffnet werden, die Digitalisierung eröffnet solche Möglichkeiten, die politische Realität blockiert sie hingegen!

4.10.

Auch wird in Podlachien die Nutzung von regional erzeugtem Windstrom zur Substitution von Kohle in Heizwerken erwogen. Der Windstrom käme in Industriewärmepumpen sowie Wärmespeicher zum Einsatz. Dies erscheint höchst wirtschaftlich. Dennoch sind die Überlegungen bisher nicht über eine Vorplanungsphase hinausgekommen. Nicht einmal für eine Machbarkeitsstudie finden sich Finanztöpfe.

5.   Mehr regionale Wertschöpfung durch regionale Nutzung der regional erzeugten EE

5.1.

Das „podlachische Beispiel“ zeigt: Ein bedeutender Effekt der EE liegt in der potenziellen Stärkung der regionalen Kaufkraft. Um diesen zu erfassen, ist es wichtig, im Rahmen einer „regionalen Energiekreislaufwirtschaft“ als erstes die Potenziale abzuschätzen, und zwar sowohl im Bereich Strom, als auch Wärme und Verkehr.

5.2.

Das Potenzial des regionalwirtschaftlichen Ansatzes lässt sich am Beispiel der Solarthermie gut veranschaulichen. Die regionale Wertschöpfung durch Installation und Betrieb ist gering, zumal ihr auch negative Effekte gegenüberstehen, z. B. dann, wenn eine Ölheizung ersetzt wird und dadurch Arbeitsplätze von Heizölhändlern unter Druck geraten. Tatsächlich hat Solarthermie aber einen höchst positiven Effekt für die Verbraucher. Denn je größer der Anteil der solaren Wärme an ihrem gesamten Wärmebedarf ist, umso mehr können sie auf den Import von Energierohstoffen wie Kohle, Erdöl oder Erdgas verzichten, der einen Abfluss von Kaufkraft aus der Region und zugunsten kohle-, öl- und gasexportierender Länder bzw. multinationaler Mineralöl- und Erdgaskonzerne darstellt.

5.3.

Insgesamt erscheint es erforderlich, in einer regionalen Energiebilanz zu erfassen, bis zu welchem Grad es gelingt bzw. gelingen könnte, den regionalen Energieverbrauch mit regional erzeugten (und unter Umständen zwischengespeicherten) EE zu decken. Die Bilanz muss vier Aspekte umfassen:

1.

Es ist zu bestimmen, wieviel Bedarf an Energie eine Region in den Sektoren Elektrizität, Wärme und Mobilität hat. Die Berücksichtigung des Wärme- und des Mobilitätssektors ist aus zwei Gründen wichtig: Zum einen entfallen 75 % des Energieverbrauchs auf diese Bereiche. Zum anderen sind Wärme- und Mobilitätsanwendungen wichtige Flexibilitätsoptionen, die meist nur vor Ort zur Verfügung stehen.

2.

Es ist zu erfassen, wieviel Potenzial besteht, diesen Bedarf mit EE aus der Region zu decken. Dafür ist auch zu bestimmen, inwieweit dadurch tatsächlich ein Umlenken des Kapitalflusses zu Gunsten der Region erreicht wird. Dafür kommt es im Falle von Bioenergie auf die Herkunft der Biomasse an sowie bei allen EE-Technologien auf die Herkunft der Anlagen und der mit der Installation und Wartung beauftragten Unternehmen. Außerdem ist anhand der Betreiberstruktur und ggf. des Volumens des intraregionalen Stromverbrauchs zu bestimmen, ob der mit dem Betrieb erwirtschaftete Umsatz in der Region verbleibt und insofern eine ökonomische Teilhabe regionaler Akteure impliziert.

3.

Die Differenz zwischen dem regionalen Energiebedarf und dem Anteil daran, der aus regionalen EE gedeckt werden kann, zeigt, wieviel Energie aus anderen Regionen importiert werden muss (Kapitalabfluss aus der Region). Auch in Zukunft werden viele europäische Regionen auf Energieimport nicht verzichten können — sei es, weil es ineffizient, unwirtschaftlich oder schlichtweg technisch nicht möglich ist, den gesamten regionalen Energiebedarf regional zu decken.

4.

Soweit in der Region mehr Energie erzeugt wird als regional verbraucht wird, ist zu bestimmen, wer an den Verkaufserlösen des Stroms partizipiert.

5.4.

Die Bilanz aus der regionalen Energieerzeugung und dem regionalen Energieverbrauch sollte für jede europäische Region aufgestellt werden, ohne dass hierfür eine gesetzliche Verpflichtung vorzusehen ist. Vielmehr sollte jede Region ein Eigeninteresse haben, entsprechende Bilanzen freiwillig zu erstellen. Es ist zu prüfen, ob hierfür die etablierte Kategorie von NUTS 3-Regionen genutzt werden kann. In einigen Fällen erscheinen auch grenzüberschreitende Energieregionen attraktiv, auch im Sinne der „Europa der Regionen“-Idee. In diesem Zusammenhang könnte die Energieinformationsstelle, deren Einrichtung der EWSA in einer früheren Stellungnahme (6) gefordert hat, eine Koordinationsaufgabe übernehmen.

6.   Energie- und regionalpolitisches Potenzial einer ausgeglichenen oder positiven Energiebilanz

6.1.

Wenn es gelingt, die in Kapitel 5 beschriebene Bilanz aus regional erzeugten und regional genutzten EE zu verbessern, wird ein Beitrag zur Reduzierung der Energieabhängigkeit Europas geleistet.

6.2.

Wenn regionale Akteure verstärkt an EE ökonomisch teilhaben könnten, würde dies die regionale Kohäsion stärken. Dies liegt daran, dass strukturschwache Regionen häufig die größten Flächenpotenziale für EE aufweisen und hier also der regionalökonomische Effekt von EE am meisten wirkt.

6.3.

Die Erstellung spezifischer regionaler Energiebilanzen würde es erlauben zu erfassen, welche Bedeutung die Energiewende für die einzelnen Regionen hat. Die Debatte um einen Strukturwandel in bestimmten Regionen ließe sich auf eine fundierte Basis stellen. Entsprechende regionalpolitische Interventionen ließen sich besser entwickeln als heute, da relativ pauschal von „Kohleregionen“ oder „Energie-Inseln“ gesprochen wird.

6.4.

Ob eine Region Energieexportregion oder Energieimportregion ist oder eine ausgeglichene Energiebilanz hat — dies hat konkrete Auswirkungen für die dort lebenden Menschen. Hierüber muss ein Dialog mit regionalen Stakeholdern geführt werden. Es gibt nicht die perfekte Lösung, die für alle Regionen gleichermaßen passt. Stattdessen müssen gerechtere Lösungen — auch im Hinblick auf Raumgerechtigkeit („spatial justice“), also die Frage, wofür welche Flächen genutzt werden — regionenspezifisch vereinbart werden. Vertreter der regionalen Politik und Verwaltung müssen entsprechend qualifiziert werden.

6.5.

Je mehr es gelingt, den regionalen Energiebedarf mit regionalen EE zu decken, umso unabhängiger würden die in der Region lebenden und arbeitenden Verbraucher von der Entwicklung der Weltmarktpreise, insbesondere von Mineralöl und Erdgas. Dies ist die beste Voraussetzung, Energiearmut und die Verletzlichkeit von Endverbrauchern zu reduzieren. Da Energiepreise ein zunehmend wichtiges Kriterium für Investitionsentscheidungen sind, kann gleichzeitig die Attraktivität des örtlichen Wirtschafts- und Industriestandortes erhöht werden.

6.6.

Die anstehende Integration des Wärme- und Mobilitätssektors in das Stromsystem ließe sich durch Anreize zur regionalen Verwendung der regional erzeugten EE und somit zur Stärkung gezielt fördern.

6.7.

Die Digitalisierung der Energiewirtschaft bietet große Chancen. Auch in dieser Hinsicht könnten Anreize zur Verbesserung der regionalen Verwendung der regional erzeugten EE bewirken, das spezifische Potenzial der Digitalisierung freizusetzen und so innovationsfördernd zu werden.

6.8.

Es ist Ziel der europäischen Energieunion, die Rolle der Bürgerinnen und Bürger bzw. der Energieverbraucherinnen und -verbraucher in der Energiewende zu stärken. Allerdings bestehen in überregionalen Energiemärkten hohe Markteintrittsbarrieren, und Größenvorteile spielen eine wichtige Rolle (7). Letztlich ist dies eine Folge von historisch gewachsenen monopolistischen Marktstrukturen. Im regionalen Maßstab ist die neue, aktivere Rolle der Bürger und Verbraucher, d. h. im Rahmen einer regionalen Energie-Kreislaufwirtschaft, sehr viel einfacher auszuüben.

6.9.

Wenn regional erzeugte EE verstärkt regional genutzt würden, würde dies netzentlastend wirken und unter Umständen den Bedarf, die europäischen Stromübertragungsnetze massiv auszubauen, reduzieren (vgl. auch Erwägungsgrund 52 des Vorschlags für eine Richtlinie zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (COM(2016) 767 final)).

7.   Forderungen mit Bezug auf eine regionale Energie-Kreislaufwirtschaft

7.1.

Der EWSA ruft die EU-Institutionen dazu auf, die regionale Nutzung von regional erzeugten EE als Ziel einer europäischen Energiepolitik wie auch der Kohäsionspolitik anzusehen und als Zielmaßstab die Bilanz aus regionalem Energiebedarf und regionaler EE-Erzeugung anzuwenden. Dazu gehört zum einen, dass in der weiteren Gestaltung der Förderung der EE die besonderen Charakteristika von Bürgerenergie und anderen regionalen Akteuren, die nicht von Größenvorteilen profitieren, berücksichtigt werden (8). Ziel muss es insbesondere sein, Marktzugangsbarrieren abzubauen, die die Marktchancen von kleinen (regionalen) Akteuren beeinträchtigen. Hilfreich ist auch ein europäisches Programm zur Qualifizierung von regionalen Akteuren sowie zum verstärkten Austausch von Best Practices.

7.2.

Voraussetzung dafür ist eine strategische Entscheidung, die Energiepolitik auf Dezentralität auszurichten. In dieser Hinsicht gibt es im „Saubere Energie für alle Europäer“-Paket noch deutlich zu viele Widersprüche zwischen einer eher dezentralen und einer eindeutig zentralistischen Energiepolitik. Zu befürworten wäre es, wenn die europäischen Regionen und Kommunen die Befugnis erhielten, die Teilhabe von regionalen Akteuren an der Nutzung von regionalen erneuerbaren Energien direkt zu regeln. Dies entspräche auch der in vielen europäischen Mitgliedstaaten gewachsenen Tradition der kommunalen Daseinsvorsorge.

7.3.

Der EWSA fordert die Kommission auf, ein Konzept vorzulegen, welche Maßnahmen des energiepolitischen Mix auf europäischer, nationaler und sub-nationaler Ebene helfen, um die regionale Energie zu befördern. Teil dessen kann eine entsprechende Fassung des Vergabe- und Beschaffungsrechts sein. Außerdem sollte eine Methodik entwickelt werden, nach der die Regionen ihre spezifische Energiebilanz erstellen können. Eine Online-Applikation für regionale Politiker und Stakeholder, die mindestens annähernde Ergebnisse ausgibt, wäre wünschenswert.

7.4.

Eine Neustrukturierung der Netzentgelte, möglicherweise auch von weiteren Abgaben und Steuern könnte helfen, die beschriebenen regionalwirtschaftlichen Effekte beim Ausbau von EE zu erreichen. Der Ex- und vor allem der Import von Energie sollte so bepreist werden, dass dadurch mindestens die Transportkosten berücksichtigt werden.

7.5.

Eine differenzierte Erhebung der Netzentgelte — also die Bepreisung einer Stromhandelstransaktion danach, wie viele Netzebenen für die Abwicklung der Transaktion in Anspruch genommen werden — erleichtert es in Verbindung mit einer stärkeren Deckung des regionalen Energiebedarfs durch regional erzeugte EE auch, den tatsächlichen Bedarf an Netzausbau marktorientiert festzustellen. Zwar wird es wichtig sein, die Energieregionen Europas gut zu vernetzen. Doch bedeutet dies nicht, dass unbedingt und in jedem Fall dem Netzausbau Priorität zu geben ist. Dies wird heute noch zu häufig getan, ohne dass dies ökonomisch begründbar wäre (9).

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 1.

(2)  https://ec.europa.eu/info/news/no-region-left-behind-launch-platform-coal-regions-transition-2017-dec-08_en.

(3)  Für weitere Details siehe die Präsentation der Fallstudie in der EWSA-Anhörung „Die Energiewende in Europas Regionen — Bewertung der Wirkungen der Umstellung auf eine intelligente und kohlenstoffarme Energieversorgung auf die Regionalwirtschaft“ am 31. Mai 2018, https://www.eesc.europa.eu/en/news-media/presentations/presentation-michael-knape.

(4)  Weterings, A. et al. (2018): Effecten van de energietransitie op de regionale arbeidsmarkt — een quickscan, PBL, Den Haag, S. 36.

(5)  Institut für dezentrale Energietechnologien (2016). Regionale Wertschöpfung in der Windindustrie am Beispiel Nordhessen.

(6)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 86.

(7)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 91.

(8)  ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 55.

(9)  Vgl. Peter, F.; Grimm, V. & Zöttl, G. (2016). Dezentralität und zellulare Optimierung — Auswirkungen auf den Netzausbaubedarf. https://www.fau.de/files/2016/10/Energiestudie_Studie.pdf.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/9


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Bedeutung des Verkehrs für die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und die Auswirkungen auf die EU-Politikgestaltung“

(Initiativstellungnahme)

(2018/C 367/02)

Berichterstatterin:

Tellervo KYLÄ-HARAKKA-RUONALA

Beschluss des Präsidiums

15.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

28.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

136/0/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Verkehr ist ein Schlüsselfaktor für mehrere Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) und trägt erheblich zu den für wirtschaftliche Entwicklung, Industrie und KMU sowie Handel und Investitionen relevanten SDG bei. Somit hat er auch eine große Bedeutung für die Verwirklichung jener SDG, die auf die Förderung von Beschäftigung und Wohlergehen wie auch den Abbau von Ungleichheiten und Ausgrenzung gerichtet sind. Indes gehen auch viele Herausforderungen bei der Umsetzung der SDG auf den Verkehr zurück, so u. a. die Notwendigkeit, Klima- und Umweltfolgen einzudämmen, die Verkehrssysteme und Verkehrssicherheit zu verbessern und Anliegen im Zusammenhang mit Beschäftigung und guten Arbeitsplätzen zu lösen.

1.2.

Der EWSA fordert die Kommission auf, einen neuen, integrierten strategischen Rahmen für die nächste Generation der Verkehrspolitik aufzustellen. Das Ziel sollte dabei sein, die Voraussetzungen für Verbesserungen von Verkehr und Mobilität zu schaffen und zugleich die sozialen und umweltpolitischen Ziele im Auge zu behalten.

1.3.

Daher muss über die EU-Politikgestaltung dafür gesorgt werden, dass der Verkehr dem Mobilitätsbedarf der Menschen und Unternehmen gerecht werden kann. Das erfordert — im Einklang mit den SDG — umfangreiche Investitionen in eine angemessene Infrastruktur, Innovation und einwandfrei funktionierende Verkehrssysteme, einschließlich des öffentlichen Verkehrs.

1.4.

Es müssen auch Anstrengungen unternommen werden, um jenen SDG gerecht zu werden, die die sozialen Aspekte des Verkehrs betreffen, u. a. produktive Vollbeschäftigung, menschenwürdige Arbeit und Kompetenzentwicklung sowie die Gleichstellung der Geschlechter, wobei den Bedürfnissen besonders schutzbedürftiger Gruppen wie Kindern, Menschen mit Behinderungen und Senioren besondere Aufmerksamkeit gelten muss. Dem sozialen Dialog sollte eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung des Strukturwandels zukommen.

1.5.

Das Ziel der Bekämpfung des Klimawandels stellt den Verkehr vor große Herausforderungen und erfordert eine konzentrierte Weiterentwicklung der Verkehrssysteme, die Einführung breitgefächerter Emissionssenkungsmaßnahmen sowie neue und innovative Mobilitätskonzepte.

1.6.

Digitalisierung und Robotisierung gehören zu den Megatrends, die die Entwicklung des Verkehrs beeinflussen, und erfordern einen angemessenen Umgang mit den Chancen und Herausforderungen. Die Digitalisierung fördert eine effizientere Logistik, bessere Verkehrsinformationen für Reisende sowie eine verbesserte Verkehrssicherheit und trägt dadurch zu einem nachhaltigen Verkehr bei.

1.7.

Da der Verkehr die gesamte Gesellschaft betrifft, ist es unerlässlich, die Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung und Umsetzung der Verkehrspolitik einzubeziehen. Dem öffentlichen Sektor kommt zwar eine maßgebende Rolle zu, doch sollten „Bottom-up“-Maßnahmen und Partnerschaften ebenfalls erleichtert werden, um die bestmöglichen Verkehrslösungen zu finden.

1.8.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission zudem auf, die SDG-Indikatoren unter verkehrsrelevanten Gesichtspunkten zu prüfen und die Entwicklung entsprechender Indikatoren zu fördern, die ein realistisches und informatives Bild der Entwicklungen vermitteln und mit dem integrierten Ansatz übereinstimmen.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) der Agenda 2030 der Vereinten Nationen decken die verschiedenen Aspekte der globalen wirtschaftlichen, sozialen und umweltpolitischen Herausforderungen weitgehend ab. Bei keinem der SDG geht es vorrangig um Verkehr und Mobilität, doch steht der Verkehr implizit im Zusammenhang mit einigen dieser Ziele. Zudem stehen einige der 169 Unterziele der SDG in direktem Zusammenhang mit Verkehr, vor allem diejenigen mit Bezug zu Infrastruktur, lokalen Verkehrssystemen und Straßenverkehrssicherheit. Dementsprechend weisen drei der 232 Indikatoren zur Überwachung der Fortschritte einen Bezug zum Verkehr auf und messen das Passagier- und Frachtaufkommen, den Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln und die Zahl der verkehrsunfallbedingten Todesfälle.

2.2.

Verkehr und SDG sind in unterschiedlicher Weise miteinander verflochten. Die SDG sind für den Verkehr sowohl Chancen als auch Herausforderungen, und der Verkehr trägt zur Umsetzung der SDG sowohl durch Weichenstellungen als auch durch Anpassungen bei. In dieser Stellungnahme ist unter Verkehr die Personen- und Güterbeförderung unter Einschluss aller Verkehrsträger zu verstehen.

2.3.

Ziel dieser Initiativstellungnahme ist es,

festzustellen, wie der Verkehr zur Umsetzung der SDG beiträgt und wie die SDG wiederum dem Verkehr oder seiner Gestaltung zugutekommen,

die möglichen Auswirkungen der Zusammenhänge zwischen Verkehr und SDG auf verkehrspolitische Maßnahmen der EU zu analysieren, und zwar sowohl in Bezug auf die EU als auch in Bezug auf die internationale Ebene,

die Standpunkte und Vorschläge des EWSA zu der Frage vorzulegen, wie diese Zusammenhänge in den Maßnahmen und in der Politikgestaltung der EU berücksichtigt werden sollten, um auf angemessene Weise die Chancen zu nutzen und die Risiken zu beherrschen.

Die Rolle des Verkehrs als Weichensteller für die Umsetzung der SDG ist Gegenstand der Abschnitte 3 und 4. In Abschnitt 5 wird erörtert, wie die SDG die Verkehrsgrundlagen verbessern können. In den Abschnitten 6 und 7 werden die mit den SDG verbundenen Herausforderungen und Erwartungen für den Verkehrssektor untersucht. Und in Abschnitt 8 schließlich werden die Erkenntnisse aus all dem zusammengefasst und Handlungserfordernisse und Empfehlungen für die Politikgestaltung abgeleitet.

3.   Verkehr und SDG: Weichensteller für wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung

3.1.

Der Verkehr zählt sowohl in der EU als auch im weltweiten Kontext zu den wichtigsten Weichenstellern der wirtschaftlichen Entwicklung und verdient daher einen zentralen Platz auf der Agenda der EU. Der Verkehr trägt wesentlich dazu bei, Nachhaltigkeitsziel 8 zu erreichen — ein dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle.

3.2.

Auch wenn die Digitalisierung alle Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft erfasst, bedeutet sie nicht das Ende der Produktion und des Konsums von materiellen Gütern. In der Logistik werden die verschiedenen Komponenten von Lieferketten zusammengeführt, die den Transport von Rohstoffen, Zwischenprodukten und Endprodukten bis zum Verbraucher umfassen. Verkehr ist somit eine Notwendigkeit für die Industrie, die Landwirtschaft und den Handel.

3.3.

Ein angemessen gesteuerter Verkehr kann auch zu dem Unterziel von Ziel 8 beitragen, das die Erarbeitung von Politiken zur Förderung eines nachhaltigen Tourismus verlangt, der Arbeitsplätze schafft und die lokale Kultur und lokale Produkte fördert.

3.4.

Der Verkehr bedient nicht nur andere Wirtschaftsbereiche, sondern ist ein eigener wichtiger Wirtschaftsbereich, der Millionen Arbeitsplätze stellt und einen großen wirtschaftlichen Beitrag leistet. Fertigungsindustrien wie der Automobil-, Eisenbahn- und Schiffbau sowie die Luftfahrt wären ohne den Verkehr gar nicht denkbar.

3.5.

Insgesamt trägt der Verkehr dazu bei, das Unterziel von Nachhaltigkeitsziel 9 zu erreichen, demzufolge der Anteil der Industrie an der Beschäftigung und am Bruttoinlandsprodukt erheblich gesteigert werden soll. Da verkehrsbezogene Unternehmen häufig zum Mittelstand zählen, trägt der Verkehr auch dazu bei, entsprechend den Zielen 9 und 8 KMU in die Wertschöpfungsketten und Märkte zu integrieren und ihr Wachstum zu fördern.

3.6.

Dementsprechend leistet der Verkehr im Einklang mit Ziel 8 einen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen in verkehrsbezogenen Wirtschaftsbereichen. Verkehr erleichtert ferner geografische Mobilität und führt somit zu einer höheren Beschäftigungsquote. Es gibt jedoch auch Herausforderungen wie den von der Digitalisierung und Robotisierung vorangetriebenen Wandel, der Prognosen zufolge zu tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitsplätze und Aufgaben führen wird.

3.7.

Auf globaler Ebene trägt der Verkehr zu Nachhaltigkeitsziel 17 bei, das auf den Ausbau der globalen Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist. Um dieses Ziel zu erreichen, soll ein universales, regelgestütztes, offenes, nichtdiskriminierendes und gerechtes multilaterales Handelssystem unter dem Dach der Welthandelsorganisation gefördert werden. Da der Verkehr das Rückgrat des Handels darstellt, kann er maßgebend zur Umsetzung dieses Ziels beitragen.

3.8.

Ziel 9 hebt auf die Entwicklung einer nachhaltigen und widerstandsfähigen Infrastruktur in den Entwicklungsländern ab. Es ist eng verbunden mit Nachhaltigkeitsziel 10, das darauf ausgerichtet ist, die Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern zu verringern und Entwicklungshilfe und ausländische Direktinvestitionen in den Staaten zu fördern, in denen der Bedarf am größten ist.

3.9.

Durch seinen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und Schaffung von guten Arbeitsplätzen über Produktion, Handel und Investitionen ist Verkehr auch für Nachhaltigkeitsziel 1 relevant, demzufolge Armut in allen ihren Formen und überall beendet werden soll.

4.   Verkehr und SDG: Weichensteller für den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen

4.1.

Verbraucher nutzen den Verkehr für den Zugang zugrunderzeugnissen, seien es Nahrungsmittel, um die es in Nachhaltigkeitsziel 2 geht, und andere Grundbedarfsgüter oder Erzeugnisse, die darüber hinausgehen und eher als Luxusgüter betrachtet werden könnten. Darüber hinaus benötigen Menschen Verkehrsmittel, um Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, etwa im Zusammenhang mit Tourismus, Freizeitgestaltung oder Sozialdienstleistungen.

4.2.

Verkehr ist eines der wichtigsten Verbindungselemente zwischen Märkten, sowohl im Rahmen des Binnenmarktes als auch im internationalen Handel. Verbundene Märkte bringen Effizienz- und Größenvorteile mit sich und steigern dadurch die Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit von Gütern für die Verbraucher.

4.3.

Der Verkehr ist auch von grundlegender Bedeutung für die Bereitstellung und Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen in der EU und weltweit. Er trägt daher zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsziel 3 bei, das darauf ausgerichtet ist, Krankheiten vorzubeugen und zu behandeln sowie ein gesundes Leben für alle Menschen zu gewährleisten und ihr Wohlergehen zu fördern.

4.4.

Für die Bereitstellung und Nutzung von Bildungsmaßnahmen gilt dasselbe. Verkehr trägt somit zu Nachhaltigkeitsziel 4 bei, demzufolge eine inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleistet und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle gefördert werden sollen.

5.   Verkehr und SDG: Voraussetzungen für Mobilität schaffen

5.1.

Verkehr muss zugänglich, bezahlbar, reibungslos und effektiv sowie sicher sein, um die Mobilität der Menschen und Güter zu ermöglichen. Daher muss die EU Investitionen in eine angemessene Infrastruktur und geeignete Technologien fördern und gut funktionierende Verkehrssysteme stärken.

5.2.

Ziel 9 hat eine unmittelbare positive Wirkung auf den Verkehr, da es vorsieht, eine „hochwertige, verlässliche, nachhaltige und widerstandsfähige Infrastruktur“ aufzubauen, um wirtschaftliche Entwicklung und menschliches Wohlergehen zu unterstützen.

5.3.

Der reibungslose Grenzübertritt innerhalb des Binnenmarkts und im internationalen Güter- und Reiseverkehr ist von größter Bedeutung für gut funktionierende Märkte und den Waren- und Personenverkehr. Ziel 9 trägt dem durch die Hervorhebung der grenzüberschreitenden Infrastruktur Rechnung.

5.4.

Gemäß Nachhaltigkeitsziel 11 sollen Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestaltet werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Zugang zu sicheren, bezahlbaren, zugänglichen und nachhaltigen Verkehrssystemen für alle ermöglicht werden, wobei den Bedürfnissen besonders schutzbedürftiger Gruppen wie Frauen, Kindern, Menschen mit Behinderungen und Senioren besondere Aufmerksamkeit gelten muss. Das erfordert eine angemessene Planung der Landnutzung und Verkehrssysteme sowie hinreichende öffentliche Investitionen in die Infrastruktur. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs spielt dabei eine wichtige Rolle sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten.

5.5.

Im Bereich der Innovation wird im Rahmen von Ziel 9 empfohlen, die wissenschaftliche Forschung zu verbessern und die technologischen Kapazitäten der Industriesektoren auszubauen. Das ist auch im Hinblick auf die Entwicklung des Verkehrs und der mit ihm zusammenhängenden Bereiche von Bedeutung.

5.6.

Zusätzlich ist im Rahmen von Nachhaltigkeitsziel 7 vorgesehen, die internationale Zusammenarbeit zu verstärken, um den Zugang zu Forschung und Technologie im Bereich saubere Energie zu erleichtern sowie Investitionen in die Energieinfrastruktur und saubere Energietechnologien zu fördern. Diese Maßnahmen, die auch die Lade- und Tankinfrastruktur für alternative Kraftstoffe und Strom umfassen, kommen ebenfalls der Dekarbonisierung des Verkehrs zugute.

5.7.

Mit der zunehmenden Digitalisierung und Robotisierung des Verkehrs sollte noch größeres Augenmerk auf die benötigte digitale Infrastruktur, einschließlich automatisierter Verkehrsmanagement- und -steuerungssysteme, gerichtet werden. In Ziel 9 heißt es, dass der Zugang zur Informations- und Kommunikationstechnologie erheblich erweitert werden muss und angestrebt werden sollte, einen allgemeinen und erschwinglichen Zugang zum Internet bereitzustellen. Im Rahmen von Ziel 17 wird wiederum gefordert, die Nutzung von Grundlagentechnologien, insbesondere von Informations- und Kommunikationstechnologien, zu verbessern. So fördert etwa die Digitalisierung eine effizientere Logistik und bessere Verkehrsinformationen für Reisende.

6.   Verkehr und SDG: Den Erwartungen der Gesellschaft gerecht werden

6.1.

Zwar trägt der Verkehr zur Gesundheitsversorgung und zum Wohlergehen bei, doch erzeugt er zugleich auch Gesundheitsrisiken durch Umweltverschmutzung wie etwa Feinstaub und Verkehrsunfälle. Mit Ziel 3 wird eine erhebliche Senkung dieser Risiken angestrebt. Effiziente Verkehrsmanagementsysteme, Regulierung und Durchsetzung sind allesamt notwendige Voraussetzungen für die Verbesserung der Verkehrssicherheit. Durch fortgeschrittene Automatisierung wird trotz neuer technologischer Risiken die Verkehrssicherheit erhöht, da die Häufigkeit menschlicher Fehler zurückgeht.

6.2.

Die im Rahmen von Ziel 4 geforderte Schul- und Berufsbildung ist entscheidend, um die erforderlichen Kompetenzen von Arbeitskräften und Unternehmern in den verkehrsbezogenen Branchen sicherzustellen. Veränderte Aufgaben, etwa infolge der Digitalisierung, verändern den Kompetenzbedarf erheblich. Ziel 4 ist daher ein wichtiger Weichensteller für Verkehr.

6.3.

Nachhaltigkeitsziel 5 hebt darauf ab, Geschlechtergleichstellung zu erreichen und alle Mädchen und Frauen zur Selbstbestimmung zu befähigen. Wenn mehr Frauen für eine Tätigkeit als Unternehmerinnen oder Arbeitnehmerinnen im Verkehrssektor gewonnen werden können, werden die Gleichstellung gefördert und das Potenzial der Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht mobilisiert. Zudem muss die Sicherheit für Frauen im Verkehr und insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln gewährleistet werden.

6.4.

Ziel 8 beinhaltet die Forderung, produktive Vollbeschäftigung zu fördern, die Ausgrenzung junger Menschen zu verhindern, menschenwürdige Arbeit für alle zu schaffen und die Arbeitsrechte zu schützen. Diesbezüglich sind die Bedingungen unterschiedlich. In Entwicklungsländern dürfte die Durchsetzung der Grundrechte der Arbeitnehmer die wichtigste Zielvorgabe sein, während die Zukunftsanliegen der EU in erster Linie Vollbeschäftigung und gute Arbeit für alle betreffen.

6.5.

Ebenso sind, um die in der EU anstehenden strukturellen Veränderungen im Kontext der Digitalisierung und des Übergangs zu einer CO2-armen Wirtschaft zu bewältigen, umfassende Strategien erforderlich, um einen gerechten und reibungslosen Übergang sicherzustellen, negative soziale Auswirkungen abzufedern und Qualifikationsdefizite zu beheben.

6.6.

Mit Ziel 10 wird angestrebt, die soziale, wirtschaftliche und politische Inklusion aller zu fördern und politische Maßnahmen zu beschließen, um größere Gleichheit zu erzielen. Damit wird auch auf Ziel 1 hingearbeitet, die Beendigung der Armut. Was den Verkehr betrifft, soll Ziel 9 zufolge der Schwerpunkt auf einen erschwinglichen und gleichberechtigten Zugang für alle gelegt werden. Indem der Verkehr — insbesondere der öffentliche Verkehr — den Zugang zu Arbeit, Gütern und Dienstleistungen ermöglicht, trägt er dazu bei, die Ausgrenzung von Menschen zu verhindern.

6.7.

Im Rahmen von Ziel 10 wird auch danach getrachtet, eine geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Migration und Mobilität von Menschen zu erleichtern. Dieses Ziel ist in zweifacher Weise verkehrsrelevant: Der Verkehr spielt eine Rolle für die Rettung von Menschenleben und für sichere und legale Flucht- und Migrationswege. Zudem bietet der Verkehrssektor Migranten Chancen zur Integration in den Arbeitsmarkt.

7.   Verkehr und SDG: Umweltziele verwirklichen

7.1.

Der Verkehr muss neben seiner Aufgabe, dem Mobilitätsbedarf von Menschen und Unternehmen gerecht zu werden, auch die Anforderungen an den Umwelt- und Klimaschutz erfüllen. Im Rahmen von Nachhaltigkeitsziel 13 wird hervorgehoben, dass umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergriffen werden müssen. Für den Verkehrssektor als einen Hauptverursacher des globalen Klimagasausstoßes, dessen Emissionen weiter im Steigen begriffen sind, stellt die Verwirklichung dieses Ziels eine außerordentlich anspruchsvolle Aufgabe dar, denn sie erfordert verstärkte Anstrengungen zur Umsetzung der in EU-Strategien festgelegten Ziele sowie eine internationale Zusammenarbeit im Luft- und Seeverkehrsbereich.

7.2.

Die im Rahmen von Ziel 8 geforderte Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung stellt den Verkehrssektor ebenfalls vor eine erhebliche Herausforderung, denn es besteht eine enge Korrelation zwischen Verkehr und Wirtschaftswachstum. Um diese Entkopplung zu erreichen, müssen die gezielte Entwicklung nachhaltiger und weitestgehend umweltverträglicher Verkehrssysteme und die Einführung von Zukunftstechnologien sowie neuen und innovativen Mobilitätskonzepten vorangetrieben werden. Dies entspricht auch Nachhaltigkeitsziel 12, das auf verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster ausgerichtet ist.

7.3.

Ein wichtiger Aspekt der Umweltauswirkungen des Verkehrs ist die Infrastruktur. Gemäß Nachhaltigkeitsziel 15 sollen Landökosysteme geschützt, wiederhergestellt und ihre nachhaltige Nutzung gefördert werden, was bei der Landnutzungsplanung und bei Infrastrukturprojekten zu berücksichtigen ist. Das gleiche gilt für Ziel 11, in dessen Rahmen es darum geht, die Anstrengungen zum Schutz und zur Wahrung des Weltkultur- und -naturerbes zu verstärken.

7.4.

Da Energie eine Voraussetzung für Verkehr ist, betrifft das auf den Zugang zu Energie bezogene Ziel 7 unmittelbar auch den Verkehr. Es hebt u. a. auf die beträchtliche Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energieträger am globalen Energiemix und die deutliche Verbesserung der Energieeffizienz ab. Ein Unterziel von Nachhaltigkeitsziel 12 wiederum beinhaltet die Vorgabe, schädliche Subventionen für fossile Brennstoffe abzuschaffen. Angesichts der weitverbreiteten Nutzung fossiler Brennstoffe im Verkehr hat dieses Unterziel offenkundige Auswirkungen auf den Verkehrssektor und die Verkehrsteilnehmer.

7.5.

Nachhaltigkeitsziel 14 beinhaltet, Ozeane, Meere und Meeresressourcen zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Die durch landseitige Tätigkeiten und den Seeverkehr verursachten Abfälle sollen besser bewirtschaftet und Emissionen sollen verringert werden.

7.6.

Die Umweltauswirkungen werden nicht nur durch den Verkehr an sich verursacht, auch der Lebenszyklus der Fahrzeuge, Luftfahrzeuge und Schiffe von der Herstellung bis zur Entsorgung spielt eine Rolle. Sie können durch effizienteren Ressourceneinsatz, die Nutzung sauberer Technologien und Industrieprozesse sowie Wiederverwertung und Wiederverwendung im Einklang mit den Zielen 9 und 12 verringert werden.

7.7.

Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrsflusses sind ebenfalls wichtig für die Senkung von Emissionen. Unverzichtbare Voraussetzung hierfür sind auch hochwertige Infrastrukturen, ein reibungsloser grenzüberschreitender Verkehr, Landnutzungs- und Stadtplanung, ein effizienter öffentlicher Verkehr sowie intermodale Güterverkehrskonzepte.

7.8.

Die Entwicklung des autonomen Verkehrs könnte aufgrund des Komfortgewinns zur verstärkten Nutzung von Privatfahrzeugen führen. Auf der anderen Seite sollen Carsharing und die Nutzung des öffentlichen Verkehrs bewirken, dass die Zahl der Privatfahrzeuge zurückgeht. Insgesamt führen Digitalisierung und Robotisierung zu mehr Effizienz in Verkehr und Logistik, was sich positiv auf die Klima- und Umweltfolgen des Verkehrs auswirkt.

7.9.

Abgesehen von der Tatsache, dass die durch den Verkehr erzeugten Emissionen verringert werden müssen, trägt der Verkehr auch dazu bei, Klima- und Umweltproblemen vorzubeugen und diese zu lösen, indem er die Verbreitung von CO2-armen und umweltverträglichen Technologien, Produkten und Lösungen, wie sie im Rahmen von Ziel 17 gefordert werden, ermöglicht.

8.   Verkehr und SDG: Konsequenzen für die Politikgestaltung

8.1.

Wie die in den vorangegangenen Abschnitten vorgelegte Analyse zeigt, spielt der Verkehr für eine Vielzahl von SDG eine Rolle. Da der Verkehr wichtiger Weichensteller für einige SDG ist, sollte seiner Bedeutung bei der Umsetzung der SDG auf EU-, Mitgliedstaats- und lokaler Ebene umfassend Rechnung getragen werden.

8.2.

Die Verkehrspolitik der EU sollte die SDG im Rahmen eines integrierten Ansatzes mit dem Ziel berücksichtigen, die Voraussetzungen für Verbesserungen von Verkehr und Mobilität zu schaffen und zugleich die sozialen und umweltpolitischen Ziele im Auge zu behalten.

8.3.

Der Versuch einer schrittweisen Annäherung an die Verkehrsproblematik von unterschiedlichen strategischen Ansatzpunkten aus führt nicht zu optimalen Ergebnissen. Deshalb ist es wichtig, die Verkehrspolitik im Rahmen eines holistischen Ansatzes zu entwickeln. Dementsprechend fordert der EWSA die Kommission auf, einen neuen, integrierten Rahmen für die nächste Generation der Verkehrspolitik auszuarbeiten. Dieser Rahmen sollte dann als Richtschnur für detailliertere verkehrsrelevante Entscheidungen dienen.

8.4.

Der strategische Rahmen sollte auch eine globale Dimension beinhalten, um die SDG in die internationale Zusammenarbeit und das auswärtige Handeln der EU im Verkehrsbereich zu integrieren.

8.5.

Da der Verkehr die gesamte Gesellschaft betrifft, ist es unerlässlich, die Zivilgesellschaft in die Entwicklung und Umsetzung der Verkehrspolitik einzubeziehen. Das würde mit Nachhaltigkeitsziel 16 übereinstimmen, das die Forderung beinhaltet, dafür zu sorgen, dass die Entscheidungsfindung auf allen Ebenen bedarfsorientiert, inklusiv, partizipatorisch und repräsentativ ist. Bei arbeitsmarktbezogenen Fragen und Veränderungsprozessen sollte der soziale Dialog eine Schlüsselrolle spielen.

8.6.

Im Rahmen von Ziel 17 wird wiederum empfohlen, die Bildung wirksamer öffentlicher, öffentlich-privater und zivilgesellschaftlicher Partnerschaften, aufbauend auf den Erfahrungen und Mittelbeschaffungsstrategien bestehender Partnerschaften, zu unterstützen und zu fördern. Dem öffentlichen Sektor kommt zwar eine maßgebende Rolle zu, doch fordert der EWSA die Entscheidungsträger der EU auf, die wichtige Bedeutung von „Bottom-up“-Maßnahmen und Partnerschaften umfassend anzuerkennen, da sie dazu beitragen, die bestmöglichen Lösungen für verkehrsbezogene Herausforderungen zu finden und vorhandene Chancen zu nutzen, etwa durch neue, von Unternehmen und Bürgern entwickelte Produktions- und Konsummodelle.

8.7.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auch auf, die SDG-Indikatoren unter verkehrsrelevanten Gesichtspunkten zu prüfen und die Entwicklung entsprechender Indikatoren zu fördern, die ein realistisches und informatives Bild der Entwicklungen vermitteln und mit dem integrierten Ansatz (s. o.) übereinstimmen.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „EU-Konzepte zur Gestaltung von Übergängen in eine digitalisierte Arbeitswelt — ein wesentlicher Input für ein EU-Weißbuch zur Zukunft der Arbeit“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des österreichischen Ratsvorsitzes)

(2018/C 367/03)

Berichterstatterin:

Franca SALIS-MADINIER (FR-II)

Mitberichterstatter:

Ulrich SAMM (DE-I)

Ersuchen des österreichischen Ratsvorsitzes

Schreiben vom 12.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Artikel 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung

Sondierungsstellungnahme

Beschluss des Präsidiums

13.3.2018

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

6.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

152/1/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt einen fairen digitalen Wandel unter Wahrung der europäischen Werte, die auf Vollbeschäftigung, sozialen Fortschritt, ein hohes Schutzniveau sowie die Verringerung von Armut und Ungleichheiten abzielen.

1.2.

Der EWSA plädiert dafür, dass die enormen Möglichkeiten, die die neuen Technologien bieten, allen zugutekommen: Arbeitnehmern, Bürgern und Unternehmen. Bei dieser Entwicklung darf es keine Verlierer geben. Die Politik sollte vorrangig auf die Stärkung der individuellen Lebenswege und die Vermittlung der notwendigen Kompetenzen an alle Bürger ausgerichtet werden wie auch auf die Stärkung der kollektiv organisierten Systeme der sozialen Sicherheit, um den Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit zu fördern, wie es in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in den von den europäischen Instanzen im Rahmen der europäischen Säule sozialer Rechte in Göteborg proklamierten Prioritäten und in den Übereinkommen der ILO vorgesehen ist.

1.3.

Die Arbeitsplätze werden sich wahrscheinlich infolge der Automatisierung, Digitalisierung und künstlichen Intelligenz (KI) verändern. Nach Ansicht des EWSA ist es von vorrangiger Bedeutung, die Kompetenzen der europäischen Arbeitnehmer zu verbessern, insbesondere derjenigen, denen es aufgrund ihres Qualifikationsniveaus und ihrer überholten Kompetenzen nicht möglich ist, einen der neu entstehenden oder technologiebedingt veränderten Arbeitsplätze zu besetzen. Er hält eine Politik der EU und der Mitgliedstaaten für eine Neugestaltung der Erstausbildung und die lebensbegleitende Weiterbildung für dringend geboten, um die einschlägigen pädagogischen Konzepte zu fördern, durch die die kreativen und digitalen Kompetenzen, die für die neuen Arbeitsplätze zunehmend erforderlich sind, entwickelt werden können.

1.4.

Die Durchmischung der Geschlechter muss hier zu den obersten Prioritäten gehören: In Bildungsgängen mit Schwerpunkt Digitalisierung sind alarmierend wenig Frauen vertreten (1). Es ist wichtig, diese Tendenzen zu überwachen und zu messen und in diesen Bereichen den Zugang der Frauen zu fördern.

1.5.

Der EWSA weist darauf hin, dass derzeit nur 0,3 % der gesamten öffentlichen Ausgaben in der EU (2) für Investitionen in die Sozialpolitik aufgewendet werden. Insbesondere im Rahmen des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens der EU nach 2020 (3) müssen ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden, um diese Politik zu stärken und den digitalen Wandel in der Arbeitswelt zum Wohle der Arbeitnehmer, der Unternehmen und der Gesellschaft als Ganzes zu flankieren.

1.6.

Zusätzliche Mittel lassen sich über Produktivitätszuwächse infolge der Digitalisierung freisetzen. Der EWSA empfiehlt, auf Branchen- und Unternehmensebene einen sozialen Dialog über die Verteilung des Mehrwerts zur Festlegung von Verwendungsmodalitäten zu organisieren.

1.7.

Der Erhalt der Qualität und der finanziellen Tragfähigkeit der Sozialschutzsysteme ist eine der Prioritäten des EWSA, denn nur so kann sichergestellt werden, dass alle infolge der Digitalisierung entstandenen flexiblen Beschäftigungsformen abgedeckt sind und kein Arbeitnehmer außen vor bleibt (4). Er fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, für die Konzertierung mit den Sozialpartnern Sorge zu tragen, damit die Sozialschutzsysteme insbesondere zugunsten derjenigen Arbeitnehmer angepasst werden, die aufgrund ihres Beschäftigungsstatus nicht ausreichend durch diese Systeme abgedeckt sind.

1.8.

Im Zusammenhang mit der Einführung neuer Technologien wie Roboter oder intelligenter Maschinen weist der EWSA in seiner Studie darauf hin, dass es wichtig ist, die Arbeitnehmervertreter vorab zu informieren und konsultieren, und dass Kollektivverhandlungen zur Flankierung der technologieinduzierten Veränderungen erforderlich sind (5). Er macht ferner darauf aufmerksam, dass diese Konsultation in der Richtlinie über Europäische Betriebsräte vorgeschrieben ist (6).

1.9.

Der EWSA betont in Verbindung mit KI, dass die Undurchsichtigkeit der Funktionsweise von Algorithmen und der Art und Weise, in der sie außerhalb der menschlichen Kontrolle liegende Entscheidungen treffen, die EU vor enorme Herausforderungen sowie grundlegende Fragen zu der Gesellschaft stellt, in der wir leben wollen. Er hat bereits darauf hingewiesen, dass die Definition der Beziehung zwischen Mensch und Maschine in der neuen Arbeitswelt von entscheidender Bedeutung ist. Dabei ist ein Ansatz, dessen Schwerpunkt auf der Kontrolle des Menschen über die Maschine liegt, von grundlegender Bedeutung (7).

1.10.

Der EWSA unterstützt globale Leitlinien für KI, die der EU einen Wettbewerbsvorteil verschaffen (8), und propagiert die Entwicklung einer sozial verantwortlichen und im Dienste des Gemeinwohls stehenden KI. Seiner Ansicht nach sollte die EU den neuen Forschungsbereich „kognitive Ergonomie“ unterstützen, dessen Ziel die Annahme von Maßnahmen zur Förderung einer auf den Menschen ausgerichteten Nutzung intelligenter Technologien ist.

2.   Einleitung

2.1.

Der EWSA hat sich bereits im Rahmen von drei Sondierungsstellungnahmen auf Ersuchen des estnischen und des bulgarischen Ratsvorsitzes zu den neuen Beschäftigungsformen und der Zukunft der Arbeit geäußert (9). Diese Stellungnahmen wurden durch umfassendere Überlegungen zum Thema „Ein sozial nachhaltiges Konzept für das digitale Zeitalter“ in einer weiteren Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des bulgarischen Ratsvorsitzes ergänzt (10).

2.2.

Der EWSA weist die Annahme zurück, dass es bei der Digitalisierung Gewinner und Verlierer geben wird. In dieser Stellungnahme unterbreitet er Vorschläge, um sicherzustellen, dass die Digitalisierung allen Bürgern zugutekommt und niemand ausgegrenzt wird.

2.3.

Die für Investitionen in die Sozialpolitik aufgewendeten Mittel, die derzeit nur 0,3 % der gesamten öffentlichen Ausgaben in der EU (11) ausmachen, sollten aufgestockt werden, um zu verhindern, dass ein Teil der Arbeitnehmer und Bürger außen vor bleibt. Insbesondere im Rahmen des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens der EU nach 2020 (12) müssen ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden, um den digitalen Wandel in der Arbeitswelt zu flankieren.

2.4.

Der EWSA betont, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten über ein leistungsfähiges und hochwertiges System des lebenslangen Lernens, einen ständigen sozialen Dialog zwischen den Interessenträgern, angemessene Kollektivverhandlungen und ein geeignetes Steuersystem verfügen müssen, damit die Automatisierung der Gesellschaft als Ganzes zugutekommt.

2.5.

Es muss jetzt dringend gehandelt werden, um zu gewährleisten, dass in Zukunft die geeigneten Kompetenzen zur Verfügung stehen, damit die EU und alle ihre Mitgliedstaaten wettbewerbsfähig bleiben, neue Unternehmen und Arbeitsplätze entstehen können, die Menschen während ihrer gesamten beruflichen Laufbahn am Arbeitsmarkt anschlussfähig bleiben und das Wohlergehen aller gesichert ist.

3.   Künstliche Intelligenz im Dienste des Menschen für einen gerechten und hochwertigen Wandel

3.1.

Der EWSA weist auf die Herausforderungen hin, vor denen die EU durch KI — verstanden als die Gesamtheit der Technologien zur Ausführung traditionell vom Menschen erledigter kognitiver Aufgaben mithilfe der Informatik — steht.

3.2.

Wenn die Digitalisierung und eine immer stärkere und leistungsfähigere KI Arbeitnehmern, Bürgern, Unternehmen sowie den Mitgliedstaaten und Europa zugutekommen sollen, muss KI beherrschbar sein, d. h. ihre potenziell negativen Auswirkungen müssen im Vorfeld erkannt und gesteuert werden.

3.3.

Der EWSA hält die neue Generation so genannter „kollaborativer Roboter“ für eine Chance, die der Gesellschaft als Ganzes zugutekommen kann. Diese Roboter können zu echten Partnern der Arbeiternehmer werden und sie in ihrer täglichen Arbeit entlasten. Sie können auch Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung und vor allem auch eingeschränkter Mobilität helfen.

3.4.

Der EWSA spricht sich einmal mehr (13) für einen menschenkontrollierten Ansatz für alle Teile des Digitalisierungsprozesses aus. Unsere Gesellschaft muss mit der Angst zurechtkommen, dass insbesondere KI-Systeme eines Tages ohne jegliches menschliche Zutun über wichtige Aspekte unseres Lebens entscheiden. Der menschenkontrollierte Ansatz folgt dem Grundsatz, dass Maschinen eindeutig dem Menschen dienen und dass komplexere, mit dem Menschen zusammenhängende Aspekte, wie die Übernahme von Verantwortung oder die Beurteilung kontroverser/ethischer Fragen oder irrationalen Verhaltens, weiterhin der Kontrolle des Menschen unterliegen. Dieser allgemeine Grundsatz kann als Leitprinzip für künftige Regelungen fungieren.

3.5.

Wie der EWSA in seiner Initiativstellungnahme zum Thema „Künstliche Intelligenz“ (14) festgestellt hat, sind die Kontrolle und Transparenz der Algorithmen eine enorme Herausforderung für unsere Demokratien und unsere Grundfreiheiten, auch in der Arbeitswelt. Ein sozial und ethisch verantwortlicher digitaler Wandel muss eines der Ziele der EU sein. Der EWSA unterstützt globale Leitlinien, die der EU einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Seiner Ansicht nach sollte die EU den neuen Forschungsbereich „kognitive Ergonomie“ unterstützen, dessen Ziel die Annahme von Maßnahmen zur Förderung einer auf den Menschen ausgerichteten Nutzung intelligenter Technologien ist.

3.6.

Durch voreingenommene Algorithmen können die getroffenen Entscheidungen Diskriminierungen in Unternehmen verstärken, z. B. bei Einstellungsverfahren und der Personalpolitik im Allgemeinen (15). Allerdings können Einstellungsverfahren und Personalpolitik dank einer guten Programmierung der Daten und Algorithmen auch „intelligenter“ und fairer werden.

3.7.

Europäische Forscher, Ingenieure und Unternehmer, die an Konzipierung, Entwicklung und Vermarktung von KI-Systemen mitwirken, müssen nach den Kriterien der ethischen und sozialen Verantwortung handeln. Durch die Einbeziehung von Ethik und Geisteswissenschaften in den Ausbildungsgang für Ingenieure lässt sich diesem Gebot Rechnung tragen (16). Ein Verhaltenskodex für KI könnte angebracht sein.

3.8.

Der EWSA möchte auf eine von KI ausgehende Bedrohung für die Cybersicherheit und die Privatsphäre aufmerksam machen: Mit der neuen Technologie ist es wesentlich einfacher, qualitativ hochwertige gefälschte Bilder, Videos, Reden und Texte zu produzieren. Die Bewältigung dieser ernsthaften Bedrohung muss in der EU-Politik höchste Priorität haben.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.   Auswirkungen auf die Arbeitsplätze

4.1.1.

Die Frage, wie sich Automatisierung, Digitalisierung und KI auf das Beschäftigungsvolumen in den verschiedenen Produktionsverfahren auswirken werden, ist höchst umstritten. Je nach angewandter Methode — Analyse der Aufgaben oder der Arbeitsplätze — schwanken die Prognosen für die induzierten Arbeitsplatzverluste enorm (17).

4.1.2.

Unabhängig von diesen Schwankungen ist eines sicher: Die Digitalisierung wird sich auf die große Mehrheit der Arbeitsplätze auswirken, wobei einige Berufe mehr als andere betroffen sein werden und kurzfristig verschwinden könnten (18). Andere Tätigkeiten wiederum werden sich stark verändern und Anpassungsqualifikationen notwendig machen.

4.1.3.

Die Auswirkungen der Automatisierung auf die Arbeitsplätze weichen in den einzelnen Ländern der Europäischen Union stark voneinander ab (19). Laut einer Studie der OECD sind die Arbeitsplätze im Vereinigten Königreich, den nordischen Ländern und den Niederlanden generell weniger von der Automatisierung betroffen als die Arbeitsplätze in den östlichen und südlichen EU-Mitgliedstaaten (20). Dafür gibt es verschiedene Gründe: Unterschiede bei der Aufgabenstruktur innerhalb der Wirtschaftssektoren, in der Branchenstruktur und in der Investitionsstrategie (die Arbeitsstruktur derjenigen Länder, die noch nicht in arbeitssparende Technologien investiert haben, weist ein höheres Automatisierungspotenzial auf). Auch bei der allgemeinen Arbeitsplatzorganisation sowie beim Bildungsniveau der Arbeitnehmer bestehen Unterschiede.

4.2.   Gewährleistung der Schlüsselkompetenzen aller Bürger

4.2.1.

Mit Hilfe der richtigen Kompetenzen ist es für die Mitgliedstaaten der EU leichter, sich mit innovativeren, weiterhin wettbewerbsfähigen Unternehmen in die globalisierten Märkte zu integrieren und sich in den Spitzentechnologien zu spezialisieren. Hierfür werden in allen Sektoren Arbeitnehmer benötigt, die nicht nur über große kreative und kognitive Kompetenzen (Lesen, Schreiben, Rechnen und Lösung komplexer Probleme), sondern auch über Management- und Kommunikationsfähigkeiten sowie Lernfähigkeit verfügen.

4.2.2.

Vorrangige Maßnahmen und eine intensivere Unterstützung werden für diejenigen Arbeitnehmer benötigt, die Tätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforderungen ausüben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit automatisiert, tiefgreifend verändert oder ersetzt werden oder gar verschwinden.

4.2.3.

In der EU wächst die Kluft zwischen den Kompetenzen und den künftigen Arbeitsplätzen. 22 % der Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten der EU laufen Gefahr, angesichts der Entwicklung ihres Arbeitsplatzes nicht über die richtigen digitalen Kompetenzen zu verfügen (21). Seit 2008 ist die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit insbesondere für gering qualifizierte Arbeitnehmer gestiegen.

4.2.4.

Wie der EWSA in einer unlängst verabschiedeten Stellungnahme angesichts der Schwierigkeiten dieser Arbeitslosen beim Zugang zur Beschäftigung festgestellt hat, muss auf Ebene der Branchen sowie auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene im Rahmen des sozialen Dialogs dringend die Frage von Ausbildung und Kompetenzen erörtert werden (22), um allen Arbeitnehmern den Zugang zu guter Arbeit und beruflicher Weiterentwicklung zu ermöglichen.

4.3.   Neugestaltung der Erstausbildung und Förderung der lebensbegleitenden Weiterbildung

4.3.1.

Angesichts dieser Herausforderungen hält der EWSA eine gezielte Politik der EU und der Mitgliedstaaten für die Umgestaltung der Erstausbildung und der lebensbegleitenden Weiterbildung für dringend geboten, um die einschlägigen pädagogischen Konzepte zu fördern, über die zunehmend wichtigere kreative Fähigkeiten entwickelt werden können.

4.3.2.

Eine einheitliche Politik auf europäischer Ebene ist möglicherweise unwirksam, da die Probleme in den Mitgliedstaaten unterschiedlich sind, aber eine Politik zur Verringerung der Kluft zwischen den vorhandenen Kompetenzen und den künftigen Arbeitsplätzen ist generell notwendig (23).

4.4.   Schwachstellen hinsichtlich des Diskriminierungsrisikos am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft

4.4.1.

Gleichstellung von Frauen und Männern: Die Arbeitsplätze der Zukunft, die auch am besten anerkannt und bezahlt sein werden, gehören dem Bereich der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) an und insbesondere dem Sektor der Informationstechnologie (IT). Die Durchmischung der Geschlechter muss hier zu den obersten Prioritäten gehören: In Bildungsgängen mit Schwerpunkt Digitalisierung sind alarmierend wenig Frauen vertreten (24). Es ist wichtig, diese Tendenzen zu überwachen und zu messen und in diesen Bereichen den Zugang der Frauen zu fördern, wenn noch mehr Ungleichheiten in der künftigen Arbeitswelt verhindert werden sollen (25).

4.4.2.

Altersbedingte Ungleichheiten: Die Veränderungen in der Arbeitswelt haben altersunabhängig Folgen für die Beschäftigungsbedingungen aller Arbeitnehmer. Von diesen Veränderungen kann abhängen, ob Menschen während des gesamten Arbeitslebens einen dauerhaften Arbeitsplatz haben. So können beispielsweise befristete Verträge, die derzeit eher ungerechterweise vor allem junge Arbeitnehmer betreffen (26), mit eventuellen Folgen auch auf ältere Arbeitnehmer ausgedehnt werden. Gleichzeitig kann die technologische Entwicklung in Verbindung mit der Digitalisierung älteren Arbeitnehmern Chancen bieten. Diese Entwicklungen müssen in Untersuchungen zum Thema Arbeit verfolgt werden.

5.   Ein innovativer und vorausdenkender sozialer und ziviler Dialog

5.1.

Im sozialen Dialog auf allen Ebenen — in der EU, den Mitgliedstaaten, in den Branchen, Regionen und Unternehmen — müssen unter umfassender Berücksichtigung der digitalen Herausforderungen und auf der Grundlage einschlägiger Daten über die von Veränderungen betroffenen Berufe, die neu geschaffenen Arbeitsplätze sowie die dafür erforderlichen Kompetenzen vorausschauende Maßnahmen entwickelt werden.

5.2.

Es gilt, die Arbeitsbedingungen im Zeitalter der Automatisierung über den sozialen Dialog umfassender zu beleuchten, um den neuen Risiken und Chancen Rechnung zu tragen. Die Vereinbarungen, die aus dem sozialen Dialog in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten und Sektoren hervorgegangen sind, sollten von der Europäischen Kommission mit Blick auf die Umsetzung der entsprechenden Ergebnisse (Recht auf Unerreichbarkeit (27), Vereinbarungen zu Telearbeit, übertragbare Persönlichkeitsrechte, mit einer Plattform geschlossener Tarifvertrag (28) usw.) analysiert werden (29).

5.3.

Der Erhalt der Qualität und der finanziellen Tragfähigkeit der Sozialschutzsysteme steht im Einklang mit der europäischen Säule sozialer Rechte und ist somit eine der Prioritäten des EWSA, denn nur so kann sichergestellt werden, dass alle infolge der Digitalisierung entstandenen flexiblen Beschäftigungsformen abgedeckt sind und kein Arbeitnehmer außen vor bleibt (30). Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, für die Konzertierung mit den Sozialpartnern Sorge zu tragen, damit die Sozialschutzsysteme an die neuen Beschäftigungsformen angepasst werden.

5.4.

Zusätzliche Mittel lassen sich über Produktivitätszuwächse infolge der Digitalisierung freisetzen. Auf Branchen- und Unternehmensebene sollte ein sozialer Dialog über die Verteilung und Umverteilung des Mehrwerts stattfinden.

5.5.

Steuerrechtlich gesehen sollten Reformen der Steuersysteme sorgfältig geprüft werden, damit sowohl die in den konventionell organisierten Branchen als auch in der „Sharing Economy“ erwirtschafteten Einkommen in vergleichbarer Höhe besteuert werden.

5.6.

Die Interessenträger der Zivilgesellschaft sollten aktiv in diese Entwicklungen eingebunden werden. Angesichts der notwendigen Bildungsmaßnahmen zur Anpassung benachteiligter Gruppen an den rasanten technologischen Wandel und der gesamtgesellschaftlich relevanten KI- und Digitalisierungsstrategien haben die zivilgesellschaftlichen Organisationen einen wichtigen Beitrag zu leisten.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Europäische Kommission (2018), Women in the Digital Age.

(2)  COM(2017) 206 final, S. 28.

(3)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 1.

(4)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 54 und ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 7.

(5)  EWSA (2017), Impact of digitalization and the on-demand economy on labour markets and the consequences for employment and industrial relations.

(6)  ABl. L 122 vom 16.5.2009, S. 28.

(7)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 1.

(8)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 1.

(9)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30 und S. 36 und ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 8.

(10)  ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 1.

(11)  Europäische Union (2017). Reflexionspapier zur sozialen Dimension Europas, S. 24.

(12)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 1.

(13)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 1.

(14)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 1.

(15)  IAO (2018), Impact des technologies sur la qualité et la quantité des emplois; cf. Villani, C. (2018). Donner un sens à l'intelligence artificielle: Pour une stratégie nationale et européenne.

(16)  Siehe den o. g. Bericht von Cédric Villani über KI (März 2018).

(17)  Nedelkoska, L. and G. Quintini (2018), „Automation, skills use and training“, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, No. 202, OECD Publishing, Paris.

(18)  France Stratégie (2018), Intelligence artificielle et travail: rapport à la ministre du travail et au secrétaire d'État auprès du premier ministre, chargé du numérique.

(19)  Cedefop (2018), Insights into skill shortages and skill mismatch: learning from Cedefop’s European skills and job survey.

(20)  Nedelkoska, L. and G. Quintini (2018), „Automation, skills use and training“, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, No. 202, OECD Publishing, Paris.

(21)  Cedefop (2018), Insights into skill shortages and skill mismatch: learning from Cedefop’s European skills and job survey.

(22)  ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 8.

(23)  Cedefop (2018), Insights into skill shortages and skill mismatch: learning from Cedefop’s European skills and job survey.

(24)  Europäische Kommission (2018), Women in the Digital Age.

(25)  Europäische Kommission (2015), Monitoring the digital economy & society 2016-2021.

(26)  Eurofound (2017), Non-standard forms of employment: Recent trends and future prospects, S. 7, und Eurofound (2017), Working conditions of workers at different ages.

(27)  ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 8.

(28)  Siehe die in Dänemark unterzeichnete Vereinbarung.

(29)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30.

(30)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 54 und ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 7.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Situation von Frauen mit Behinderungen“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des Europäischen Parlaments)

(2018/C 367/04)

Berichterstatterin:

Gunta ANČA

Befassung

Europäisches Parlament, 3.4.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

13.3.2018

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

6.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

187/2/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind nach wie vor mit mehrfacher und intersektioneller Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Behinderung konfrontiert. Frauen mit Behinderungen haben nicht die gleichen Chancen auf eine gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft. Sie sind nur zu oft unter anderem von inklusiver allgemeiner und beruflicher Bildung, Beschäftigung, Zugang zu Armutsbekämpfungsprogrammen, angemessenem Wohnraum und der Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben ausgeschlossen, und ihnen wird durch einige Rechtsvorschriften die Selbstbestimmung über ihr eigenes Leben, einschließlich ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte, verwehrt. Sie werden daran gehindert, ihre Rechte als Bürgerinnen der EU in vollem Umfang auszuüben (1).

1.2.

Mit dieser Stellungnahme wird die EU aufgefordert, zusammen mit all ihren Mitgliedstaaten das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNCRPD) (2), die Empfehlungen in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die die EU im Jahr 2015 vom Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen erhalten hat, und die Allgemeine Bemerkung Nr. 3 dieses Ausschusses zu Artikel 6 der Behindertenrechtskonvention umzusetzen.

1.3.

Der EWSA fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Perspektive von Menschen mit Behinderungen in ihrer künftigen Strategie und ihren künftigen Maßnahmen und Programmen für die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Geschlechterperspektive in ihren Strategien zugunsten von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen, auch in ihrer künftigen europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2020-2030 und in der europäischen Säule sozialer Rechte (3). In der Nachfolgestrategie der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum sollte auch die Perspektive von Frauen mit Behinderungen berücksichtigt werden, da deren wirtschaftliche und soziale Teilhabe von wesentlicher Bedeutung für den Erfolg der wirtschaftlichen und sozialen Gesamtstrategie Europas ist (4).

1.4.

Sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene sollten die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um einen strukturierten Dialog einzurichten, mit einer eigenen und ausreichend ausgestatteten Haushaltslinie, um eine angemessene Konsultation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, einschließlich Frauen, Mädchen und Jungen mit Behinderungen, über ihre Vertretungsorganisationen im Rahmen der Umsetzung und Überwachung der Behindertenrechtskonvention sicherzustellen (5).

1.5.

Die derzeitigen und künftigen Finanzierungsinstrumente der EU, insbesondere die Strukturfonds und der Europäische Sozialfonds, sollten als Schlüsselinstrumente eingesetzt werden, um die Mitgliedstaaten bei der Förderung von Barrierefreiheit und Nichtdiskriminierung in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu unterstützen (6).

1.6.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten im Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen umgehend dem Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) beitreten (7). Zu diesen Maßnahmen sollte auch zählen, dass sexuelle und andere Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen unter Strafe gestellt und die Zwangssterilisierung beendet wird (8).

1.7.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten alle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zu einer barrierefreien Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen sowie zu zugänglichen allgemeinen Gesundheitsdiensten haben. Alle Frauen und Mädchen mit Behinderungen müssen in der Lage sind, ihre Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit auszuüben, indem sie ihre eigenen Entscheidungen, auf Wunsch auch mit Unterstützung, über medizinische und/oder therapeutische Behandlungen treffen. Dazu gehören auch Entscheidungen in Bezug auf den Erhalt ihrer Fruchtbarkeit und ihre reproduktive Autonomie (9).

2.   Einführung

2.1.

Frauen mit Behinderungen stehen noch immer am Rande der Gesellschaft. Die Situation von Frauen mit Behinderungen ist nicht nur schlechter als die von Frauen ohne Behinderungen, sondern auch schlechter als die von Männern mit Behinderungen (10).

2.2.

Der Anteil von Frauen mit Behinderungen liegt bei 16 % der gesamten weiblichen Bevölkerung in Europa. Bei einer weiblichen Bevölkerung von derzeit knapp unter 250 Mio. bedeutet diese Zahl, dass in der Europäischen Union (EU) ca. 40 Mio. Frauen und Mädchen mit Behinderungen leben (11).

2.3.

In Europa und weltweit gibt es immer mehr ältere Menschen, und damit wird auch die Zahl der Menschen mit Behinderungen entsprechend zunehmen. Aufgrund der höheren Lebenserwartung von Frauen wird die Zahl der Frauen mit Behinderungen überproportional ansteigen (12).

2.4.

Mit dieser Stellungnahme wird die EU aufgefordert, zusammen mit all ihren Mitgliedstaaten das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNCRPD) (13), die Empfehlungen in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die die EU im Jahr 2015 vom Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen erhalten hat, und die Allgemeine Bemerkung Nr. 3 dieses Ausschusses zu Artikel 6 der Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Für die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention sollten die EU und die Mitgliedstaaten unverzüglich einen Aktionsplan und einen Zeitplan erarbeiten sowie Ressourcen bereitstellen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

Internationaler und europäischer Rechtsrahmen

3.1.

Die EU ist zusammen mit ihren 28 Mitgliedstaaten Vertragspartei der Behindertenrechtskonvention. Sie sind heute durch das Völkerrecht an die Behindertenrechtskonvention gebunden, d. h. sie sind verpflichtet, die dort verankerten Rechte von Menschen mit Behinderungen, auch die von Frauen und Mädchen mit Behinderungen, gemeinsam zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten mit gutem Beispiel vorangehen, da sie als einzige Organisation der regionalen Integration weltweit Vertragspartei der Behindertenrechtskonvention und in einer einzigartigen Position sind, um europaweit den einheitlichen und gleichen Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderungen sicherzustellen.

3.2.

In Artikel 6 der Behindertenrechtskonvention wird anerkannt, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt sind und dass in dieser Hinsicht Maßnahmen ergriffen werden müssen, um zu gewährleisten, dass sie alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll und gleichberechtigt genießen können. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Sicherung der vollen Entfaltung, der Förderung und der Stärkung der Autonomie der Frauen, um zu garantieren, dass sie die in diesem Übereinkommen genannten Menschenrechte und Grundfreiheiten ausüben und genießen können.

3.3.

Im Jahr 2015 hat die EU wichtige Empfehlungen vom Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen dazu erhalten, wie die Situation von Menschen mit Behinderungen, also auch die der Frauen und Mädchen mit Behinderungen, in der Europäischen Union verbessert werden kann.

3.4.

Im Jahr 2016 nahm der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen seine Allgemeine Bemerkung Nr. 3 zu Artikel 6 der Behindertenrechtskonvention an, in der betont wird, dass ihre Vertragsstaaten, einschließlich der EU, die oben genannten Maßnahmen zur Förderung der Rechte von Frauen und Mädchen mit Behinderungen ergreifen sollten.

3.5.

Alle Mitgliedstaaten der EU sind außerdem Vertragsstaaten des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, dem umfassendsten internationalen Rechtsinstrument zur Förderung von Gleichberechtigung bei der Anerkennung, dem Genuss und der Ausübung aller Menschenrechte von Frauen im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen und familiären Bereich. Auch Frauen und Mädchen mit Behinderungen sollten von den nationalen Bemühungen zur Umsetzung der Frauenrechtskonvention uneingeschränkt profitieren und darin einbezogen werden.

3.6.

Artikel 10 und Artikel 19 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verpflichten die EU dazu, bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen darauf abzuzielen, Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Artikel 8 AEUV besagt: „Bei allen ihren Tätigkeiten wirkt die Union darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern“.

3.7.

In Artikel 20 und 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union wird die Diskriminierung aufgrund einer Behinderung verboten und der Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft anerkannt. In der Charta wird auch auf die Gleichheit von Männern und Frauen und auf die Nichtdiskriminierung aus verschiedenen Gründen, einschließlich des Geschlechts, Bezug genommen.

4.   Allgemeine Empfehlungen

4.1.

Im Gegensatz zu den Bestimmungen der Behindertenrechtskonvention, der Frauenrechtskonvention, des AEUV und in der Charta hat die Europäische Union weder die Perspektive von Menschen mit Behinderungen bei all ihren politischen Maßnahmen, Programmen und Strategien zur Gleichstellung der Geschlechter durchgängig berücksichtigt, noch die Geschlechterperspektive in ihre Strategien zugunsten von Menschen mit Behinderungen aufgenommen. Der EU und ihren Mitgliedstaaten fehlt es derzeit an einem soliden Rechtsrahmen, um alle Menschenrechte aller Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu schützen, zu fördern und zu gewährleisten. Der EWSA fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Perspektive von Menschen mit Behinderungen in ihrer künftigen Strategie und ihren künftigen Maßnahmen und Programmen für die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Geschlechterperspektive in ihren Strategien zugunsten von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen, auch in ihrer künftigen europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2020-2030 und in der europäischen Säule sozialer Rechte. In der Nachfolgestrategie der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum sollte auch die Perspektive von Frauen mit Behinderungen berücksichtigt werden, da deren wirtschaftliche und soziale Teilhabe von wesentlicher Bedeutung für den Erfolg der wirtschaftlichen und sozialen Gesamtstrategie Europas ist (14).

4.2.

Organisationen, die Frauen und Mädchen mit Behinderungen vertreten, werden von der EU und ihren Mitgliedstaaten nicht in ausreichendem Maße konsultiert und finanziert. Sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene sollten die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um einen strukturierten Dialog einzurichten, mit einer eigenen und ausreichend ausgestatteten Haushaltslinie, um eine angemessene Konsultation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, einschließlich Frauen, Mädchen und Jungen mit Behinderungen, über ihre Vertretungsorganisationen im Rahmen der Umsetzung und Überwachung der Behindertenrechtskonvention sicherzustellen (15).

4.3.

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind für alle Menschenrechtsorganisationen nach wie vor eher Randfiguren. In die regelmäßigen Berichte, die von den entsprechenden Menschenrechtsvertragsorganen der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten erstellt werden, müssen automatisch Informationen über Frauen mit Behinderungen aufgenommen werden. Diese Praxis sollte auf alle Einrichtungen ausgeweitet werden, die sich sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, einschließlich Vertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen und ihren Familien, Frauen im Allgemeinen und Frauen mit Behinderungen (16).

4.4.

In der EU und ihren Mitgliedstaaten gibt es weder genügend kohärente und vergleichbare Daten und Menschenrechtsindikatoren in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen noch Untersuchungen zur Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen in der EU (17). Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die europäischen Agenturen, insbesondere Eurofound, Cedefop, FRA und EIGE, in ihrer Arbeit einen systematischeren Ansatz in Bezug auf Menschen mit Behinderungen und ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft verfolgen. Dabei sollten insbesondere die Lage von Frauen und die Tatsache, dass Intersektionalität zu Formen der Mehrfachdiskriminierung führen kann, berücksichtigt werden. Der EWSA empfiehlt des Weiteren, dass sie dieses Thema eindeutig in ihr Arbeitsprogramm aufnehmen. Sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene sollten Fragen, die Frauen und Mädchen mit Behinderungen betreffen, gemäß den Grundsätzen der Behindertenrechtskonvention in die Erhebung geschlechts- und altersspezifischer Daten und Statistiken sowie in die bestehenden statistischen Datenreihen und Erhebungen aufgenommen werden. Es sollte ein Mechanismus eingerichtet werden, um Fortschritte zu überwachen und die Datenerhebung, Studien und Forschung in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen — einschließlich der am stärksten ausgegrenzten Gruppen der Gesellschaft wie Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten — und die intersektionelle Diskriminierung, der sie ausgesetzt sind, zu finanzieren, an dem sich auch die Politikplanung orientieren sollte. Bei jedweder Forschung zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen sollte die Geschlechterperspektive berücksichtigt werden, ebenso wie bei der Forschung zu Frauen und Mädchen die Perspektive von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden sollte.

4.5.

Die derzeitigen und künftigen Finanzierungsinstrumente der EU, insbesondere die Strukturfonds und der Europäische Sozialfonds, sollten als Schlüsselinstrumente eingesetzt werden, um die Mitgliedstaaten bei der Förderung von Barrierefreiheit und Nichtdiskriminierung in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu unterstützen (18) und um auf Finanzierungsmöglichkeiten für Maßnahmen dieser Art in den Programmen für die Zeit nach 2020 aufmerksam und diese bekannter zu machen. Der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten sollte Behindertenverbänden durch zugängliche Informationen und Unterstützung erleichtert werden.

4.6.

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind in Europa einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer von mehrfacher und intersektioneller Diskriminierung zu werden. Die Überschneidung von Rasse, ethnischer oder sozialer Herkunft, Alter, sexueller Ausrichtung, Staatsangehörigkeit, Religion, Geschlecht, Behinderung, Flüchtlings- oder Migrantenstatus usw. hat eine Multiplikatorwirkung, die dazu führt, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen einer verstärkten Diskriminierung ausgesetzt sind (19). Diese Diskriminierung entsteht aus der Art und Weise, wie Menschen ihre Identität konstruieren, indem die großen Unterschiede, die es bei Frauen mit Behinderungen gibt, ignoriert und Frauen mit Behinderungen in allen Bereichen der Gesellschaft über einen Kamm geschoren werden und ihre Realität aus einer ausgrenzenden Perspektive betrachtet wird (20). Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten alle diskriminierenden Rechtsvorschriften, Strategien und Praktiken abschaffen und jedwede Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts oder einer Behinderung sowie intersektionelle Diskriminierung gesetzlich verbieten, u. a. durch den Erlass starker und umfassender EU-Rechtsvorschriften, mit denen Frauen mit Behinderungen vor intersektioneller Diskriminierung in allen Lebensbereichen geschützt werden (21).

4.7.

Die Geschichte sowie Einstellungen und Vorurteile in der Gesellschaft, auch im Familienkreis, haben zu einer negativen Stereotypisierung von Frauen und Mädchen mit Behinderungen geführt und so zu deren sozialer Isolation und Ausgrenzung beigetragen. Von den Medien werden sie fast vollständig ignoriert, und wenn doch über sie berichtet wird, dann werden Frauen mit Behinderungen aus einer asexuellen medizinischen Perspektive betrachtet und ihre Fähigkeiten sowie ihr Beitrag zu ihrem Umfeld werden vernachlässigt (22). Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind sich ihrer Rechte im Rahmen der Behindertenrechtskonvention, der Frauenrechtskonvention und des EU-Rechts nicht ausreichend bewusst. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten eine umfassende Kampagne entwickeln, um auf die Behindertenrechtskonvention und die Frauenrechtskonvention aufmerksam zu machen, für die Situation von Frauen mit Behinderungen zu sensibilisieren und Vorurteile gegenüber Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu bekämpfen (23). Die Medien sollten dazu angehalten werden, Frauen mit Behinderungen anzuhören und einzubeziehen (vorzugsweise Frauen, die von ihren Organisationen benannt wurden), wobei diese auch an Präsentationen und an der Überwachung von Programmen beteiligt werden sollten. Den Behindertenverbänden sollten die erforderlichen finanziellen Mittel für die Aufklärung der Frauen und Mädchen mit Behinderungen und ihrer Familien über ihre Rechte im Rahmen der Behindertenrechtskonvention und für entsprechende Schulungsmaßnahmen bereitgestellt werden.

4.8.

Die EU hat als öffentliche Verwaltung die Verpflichtung, die Behindertenrechtskonvention intern in ihren Organen und Einrichtungen umzusetzen. Die EU sollte sicherstellen, dass Fragen, die Frauen und Mädchen mit Behinderungen betreffen, bei ihren Veranstaltungen und Sitzungen, in ihrer Kommunikation, bei Informationen und Konsultationen sowie bei ihrer Sozialschutz- und Beschäftigungspolitik vollständig einbezogen und berücksichtigt werden, und sie sollte Anstrengungen unternehmen, um sicherzustellen, dass ihre Haushalte geschlechtsspezifischen Fragen Rechnung tragen. Positive Maßnahmen sollten ergriffen werden, um dafür zu sorgen, dass Frauen mit Behinderungen gleichberechtigt zu den Arbeiten und zur Tätigkeit der europäischen Institutionen beitragen können.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.   Gewalt

5.1.1.

Frauen mit Behinderungen sind im Vergleich zu anderen Frauen einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch zu werden. Gewalt kann zwischen Personen oder in Institutionen auftreten und/oder struktureller Natur sein. Institutionelle und/oder strukturelle Gewalt bedeutet jede Form von struktureller Ungleichheit oder institutioneller Diskriminierung, durch die eine Frau physisch oder ideologisch gegenüber anderen Personen in ihrer Familie, ihrem Haushalt oder ihrer Gemeinschaft in einer untergeordneten Stellung gehalten wird (24). In einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2014 wurde geschätzt, dass bei Frauen und Mädchen mit Behinderungen die Gefahr, Opfer von Gewalt und insbesondere häuslicher Gewalt zu werden, drei- bis fünfmal höher ist (25).

5.1.2.

In den EU-Rechtsvorschriften und im nationalen Recht zur Vorbeugung von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch fehlt häufig ein Schwerpunkt auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Die EU sollte die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das Thema Behinderung in all ihren Rechtsvorschriften, Maßnahmen und Strategien zur Bekämpfung von Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung durchgängig zu berücksichtigen (26). Gewalt gegen Frauen sollte unter Strafe gestellt werden. Es sollten alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen ergreifen werden, um Frauen und Mädchen mit Behinderungen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Wohnung vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch zu schützen und ihnen — unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse einschließlich Hilfsgeräten — den Zugang zur Justiz durch die Bereitstellung geeigneter gemeinschaftsbasierter Hilfe und Unterstützung zu erleichtern, um zu verhindern, dass sie zu Hause isoliert und eingesperrt werden (27).

5.1.3.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten im Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen umgehend dem Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) beitreten. Zu diesen Maßnahmen sollte auch zählen, dass sexuelle und andere Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen unter Strafe gestellt und die Zwangssterilisierung beendet wird (28).

5.2.   Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte einschließlich der Achtung von Wohnung und Familie

5.2.1.

Falsche Stereotypisierung im Zusammenhang mit Behinderung und Geschlecht ist eine Form der Diskriminierung, die sich insbesondere auf den Genuss sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte sowie auf das Recht auf Familiengründung auswirkt. Zu schädlichen Stereotypen in Bezug auf Frauen mit Behinderungen gehören, dass diese Frauen asexuell, unfähig, irrational, unkontrolliert und/oder hypersexuell sind (29).

5.2.2.

Die Wahlmöglichkeiten von Frauen mit Behinderungen und insbesondere von Frauen mit psychosozialen oder intellektuellen Behinderungen werden häufig ignoriert, und Entscheidungen werden oftmals stellvertretend von Dritten wie gesetzlichen Vertretern, Dienstleistern, Betreuern und Familienmitgliedern getroffen, wodurch ihre Rechte nach Artikel 12 der Behindertenrechtskonvention verletzt werden (30). Nur allzu oft werden Frauen und Mädchen mit Behinderungen zur Sterilisierung und zum Schwangerschaftsabbruch oder zu anderen Formen der Fertilitätskontrolle gezwungen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten alle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass alle Frauen mit Behinderungen in der Lage sind, ihre Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit auszuüben, indem sie ihre eigenen Entscheidungen, auf Wunsch auch mit Unterstützung, über medizinische und/oder therapeutische Behandlungen treffen. Dazu gehören Entscheidungen bezüglich: Erhalt ihrer Fruchtbarkeit, reproduktive Autonomie, das Recht, die Anzahl und den Abstand zwischen den Geburten ihrer Kinder zu wählen, Angelegenheiten, die mit ihrer Sexualität zusammenhängen, sowie ihr Recht, Beziehungen einzugehen. Dies sollte frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt erfolgen. Bei der Zwangssterilisierung und -abtreibung handelt es sich um eine Form der Gewalt gegen Frauen, die im Sinne von Artikel 39 des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt unter Strafe gestellt werden sollte (31).

5.2.3.

Frauen mit Behinderungen wird unter Umständen aufgrund von schädlichen Stereotypen auch der Zugang zu Information, Kommunikation und Aufklärung hinsichtlich ihrer sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte vorenthalten, weil man unterstellt, dass sie asexuell sind und daher solche Informationen nicht benötigen wie andere Menschen. Informationen stehen unter Umständen auch nicht in zugänglichen Formaten zur Verfügung. Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und Geräte, einschließlich Mammografiegeräten und gynäkologischen Untersuchungsstühlen, sind für Frauen mit Behinderungen häufig physisch nicht zugänglich (32). Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten alle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zu einer barrierefreien Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen sowie zu zugänglichen allgemeinen Gesundheitsdiensten wie zahnmedizinischer und augenärztlicher Behandlung und Diensten für die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Vorsorge haben, wozu gynäkologische Beratung, ärztliche Untersuchungen, Familienplanung und individuell angepasste Unterstützung während einer Schwangerschaft zählen.

5.2.4.

Zu den erforderlichen Maßnahmen zählt die Schulung von Fachkräften, vor allem im Gesundheitswesen und im rechtlichen Bereich, um dafür zu sorgen, dass den Frauen und Mädchen mit Behinderungen bei rechtlichen Ermittlungen und Verfahren Gehör geschenkt wird. Diese Maßnahmen sollten in enger Zusammenarbeit mit Vertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen ergriffen werden.

5.3.   Allgemeine und berufliche Bildung

5.3.1.

Schädliche Stereotype in Bezug auf Geschlecht und Behinderung kommen zusammen und fördern so diskriminierende Einstellungen, Konzepte und Praktiken. Dazu gehören Bildungsmaterialien, die falsche Stereotype in Bezug auf Geschlecht und Behinderung fortschreiben, die auf Geschlechterklischees beruhende Aufteilung der Aufgaben in der Familie, die Vorstellung, dass Frauen aufgrund ihre Geschlechts für Pflegeaufgaben prädestiniert sind, die höhere Wertschätzung der Bildung von Jungen im Vergleich zu Mädchen in einigen Bereichen, Kinderehen von Mädchen mit Behinderungen und der Mangel an zugänglichen sanitären Einrichtungen in Schulen, um eine hygienische Menstruation sicherzustellen. Dies führt wiederum zu höheren Analphabetismusquoten, Schulversagen, Unregelmäßigkeiten beim täglichen Schulbesuch, Fehlstunden und vollständigem Schulabbruch (33).

5.3.2.

Aus einer vergleichenden Analyse der EU geht hervor, dass 2011 in der EU nur 27 % der Menschen mit Behinderungen in der Altersgruppe 30–34 über einen Hochschulabschluss oder gleichwertigen Bildungsabschluss verfügten (34). Allerdings stehen für Frauen und Mädchen mit Behinderungen keine spezifischen Daten zur Verfügung. In den europäischen Schulen und in verschiedenen Mitgliedstaaten der EU haben viele Mädchen und Frauen mit Behinderungen keinen Zugang zu inklusiver hochwertiger Bildung im Sinne der Behindertenrechtskonvention. Die Finanzkrise hat sich nachgewiesenermaßen nachteilig auf die Bemühungen um Inklusion in der Bildung ausgewirkt.

5.3.3.

Die Inklusion von Mädchen und Frauen mit Behinderungen in das reguläre Bildungssystem muss dem Paradigma von hochwertiger Bildung, Chancengleichheit, Unterstützung und angemessenen Vorkehrungen (35) sowie universeller Zugänglichkeit in allen Lebensphasen folgen, wobei sicherzustellen ist, dass Frauen mit Behinderungen Zugang zu Weiterbildung als Mittel zur Förderung ihrer persönlichen Unabhängigkeit, der freien Entfaltung der Persönlichkeit und ihrer sozialen Inklusion haben und dauerhaft ihr Recht auf eigene Entscheidungen und ein selbstbestimmtes Leben ausüben. Eltern von Schülern bzw. Studierenden mit Behinderungen sollten die erforderlichen Informationen über die Vorteile des inklusiven regulären Bildungssystems zur Verfügung gestellt werden.

5.3.4.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten die aktuelle Situation bewerten und Maßnahmen ergreifen, um durch eine stärkere Nutzung europäischer Finanzierungsinstrumente allen Schülerinnen und Schülern und Studierenden mit Behinderungen den Zugang zu und Genuss von inklusiver und hochwertiger Bildung im Sinne der Behindertenrechtskonvention zu erleichtern. Außerdem sollten sie beim Verfolgen des Ziels im Bereich allgemeine und berufliche Bildung spezifisch auf Behinderungen ausgerichtete Indikatoren in die Strategie Europa 2020 aufnehmen.

5.3.5.

Einschlägige EU-Verordnungen und Austauschprogramme für Schüler und Studierende (wie Erasmus+) wurden in den letzten Jahren verbessert, indem eine finanzielle Unterstützung für die Mobilität von Schülern und Studierenden mit Behinderungen aufgenommen wurde. In der Praxis jedoch treffen Schüler und Studierende mit Behinderungen auf viele Barrieren, wenn sie versuchen, Zugang zu den nationalen Bildungsdienstleistungen des Ziellandes zu erhalten (Barrieren der Einstellung sowie physische, Kommunikations- und Informationsbarrieren und mangelnde Flexibilität in den Lehrplänen) (36). In den EU-Programmen für Hochschulbildung, Berufsbildung und lebenslanges Lernen sollte die Unterstützung von Frauen mit Behinderungen vorgesehen werden. Das europäische Austauschprogramm für Unternehmerinnen und Unternehmer sollte die finanzielle Unterstützung junger Menschen mit Behinderungen einschließen, was derzeit nicht der Fall ist. Im Zusammenhang mit den Austauschprogrammen für Schüler und Studierende sowie junge Unternehmerinnen und Unternehmer sollten bewährte Verfahren und Herausforderungen ausgetauscht und Schulungen für Fachkräfte aus dem Bildungswesen, die Sozialpartner und die Medien angeboten werden.

5.3.6.

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sollte ein gleichberechtigter Zugang zu den verschiedenen Komponenten der IKT-Infrastruktur und zur Informationsgesellschaft gewährt werden. Bei der Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien sollte wirtschaftlichen Faktoren, dem Schulungsbedarf und Chancengleichheit unabhängig vom Alter Rechnung getragen werden, um von sozialer Ausgrenzung bedrohten oder armutsgefährdeten Frauen und Mädchen mit Behinderungen den Zugang hierzu zu ermöglichen.

5.4.   Beschäftigung

5.4.1.

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist im Allgemeinen nach wie vor viel geringer als die von Männern (46,6 % im Vergleich zu 61,9 %). Auf den Arbeitsmärkten aller Mitgliedstaaten herrscht eine anhaltende und ausgeprägte Geschlechtertrennung. Frauen mit Behinderungen sind jedoch noch viel stärker vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Dem Gleichstellungsindex des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen von 2015 zufolge sind in der EU nur 18,8 % der Frauen mit Behinderungen erwerbstätig. Dagegen sind 28,1 % der Männer mit Behinderungen erwerbstätig. Die hohe Arbeitslosenquote unter Frauen mit Behinderungen ist nicht hinnehmbar und erhöht ihr Armutsrisiko und die Gefahr sozialer Ausgrenzung. Frauen und Mädchen mit Behinderungen haben größere Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, weshalb es ihnen schwerer fällt, ein unabhängiges Leben zu führen. Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind oftmals unterbezahlt. Hindernisse für die Mobilität sowie die größere Abhängigkeit von Familienangehörigen und Pflegepersonen schaffen Hindernisse für ihre aktive Teilhabe an Bildung, am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben der Gemeinschaft (37).

5.4.2.

Angesichts der hohen Zahlen arbeitsloser und nicht erwerbstätiger Frauen mit Behinderungen müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten gezielte Gender-Mainstreaming und positive Maßnahmen für Frauen mit Behinderungen ergreifen, um Berufsbildung, Arbeitsplatzvermittlung, Zugang zu Beschäftigung, Arbeitsplatzerhaltung, Entgeltgerechtigkeit, gleiche Karrierechancen, Anpassungen am Arbeitsplatz sowie die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zu fördern. Frauen mit Behinderungen müssen das gleiche Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen wie andere auch haben, einschließlich Chancengleichheit und Entgeltgerechtigkeit (38).

5.4.3.

Unter Berücksichtigung des Instruments für Mikrofinanzierung der EU und des Europäischen Sozialfonds zur Förderung von Beschäftigung und sozialer Inklusion sollten Möglichkeiten für Selbstständigkeit, das Unternehmertum unter Frauen mit Behinderungen, eine ausgewogene Vertretung in der Unternehmensleitung, die Entwicklung sozialer Unternehmen und die Gründung eines eigenen Unternehmens gefördert werden. Frauen mit Behinderungen sollten das gleiche Recht auf finanzielle Unterstützung während des gesamten Lebenszyklus ihres Unternehmens haben und als fähige Unternehmerinnen angesehen werden. In dieser Hinsicht sollten für Unternehmerinnen mit Behinderungen, einschließlich Frauen in ländlichen Gebieten, positive Maßnahmen in Form von zinsgünstigen Darlehen, Mikrokrediten und nicht rückzahlbaren Zuschüssen bereitgestellt werden.

5.4.4.

Die Zunahme der Zahl von Menschen mit Behinderungen wird zu einer höheren Belastung der Pflegepersonen und insbesondere der pflegenden Familienangehörigen führen, bei denen es sich überwiegend um Frauen handelt, die gezwungen sind, ihre Arbeitszeiten zu verkürzen oder sogar aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, um sich um ihre pflegebedürftigen Familienmitglieder zu kümmern (39).

5.4.5.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten für ein besseres Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben von Frauen mit Behinderungen und Pflegepersonen von Menschen mit Behinderungen sorgen, mittels wirksamer Maßnahmen, die auf deren besonderen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Zu den möglichen Maßnahmen, die Optionen zur Erreichung dieses Ziels sein können, gehören Entgelttransparenz, Einstellungsverfahren und Sozialbeiträge, flexible Arbeitszeiten oder Teilzeit-Telearbeit, ein Gleichgewicht zwischen behinderungsbedingten Ausgaben im Zusammenhang mit Mutterschaft und der Pflege anderer Personen mit hohem Unterstützungsbedarf sowie die Förderung des universellen Zugangs zu erschwinglichen und hochwertigen Unterstützungsdiensten wie Pflegeheimen oder Pflegediensten für ältere Menschen und andere Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf zu verschiedenen Tageszeiten (40).

5.4.6.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten Frauen mit Behinderungen und die Familien von Menschen mit Behinderungen in ihrem Vorschlag für eine Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige sowie in anderen Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Arbeitnehmer und pflegende Angehörige berücksichtigen (41).

5.4.7.

Frauen mit Behinderungen sind auch bezüglich ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsplatz mit einzigartigen Barrieren konfrontiert, einschließlich sexueller Belästigung, ungleicher Bezahlung sowie dem fehlenden Zugang zu Entschädigung, weil ihre Ansprüche aufgrund diskriminierender Einstellungen abgelehnt werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten auch für sichere und gesunde Arbeitsbedingungen für Frauen mit Behinderungen und Pflegepersonen von Menschen mit Behinderungen sorgen, einschließlich des Schutzes vor Belästigungen und Abhilfe bei Missständen. Belästigung am Arbeitsplatz sollte im Einklang mit der Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG durch wirksame Belästigungsprotokolle vorgebeugt werden (42).

5.5.   Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben

5.5.1.

Die Stimmen von Frauen und Mädchen mit Behinderungen wurden historisch immer zum Verstummen gebracht, und daher sind Frauen und Mädchen mit Behinderungen in öffentlichen Entscheidungsprozessen extrem unterrepräsentiert. In den meisten Mitgliedstaaten der EU führt der Entzug der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderungen zum Verlust ihres Wahlrechts. Barrieren beim Wahlrecht bestehen auch in Form von nicht barrierefreien Abstimmungsverfahren einschließlich unzugänglicher Wahllokale (43). Die EU sollte sicherstellen, dass Frauen mit Behinderungen uneingeschränkt am öffentlichen und politischen Leben und insbesondere an den Europawahlen 2019 teilnehmen können.

5.5.2.

Aufgrund von Machtungleichgewichten und Mehrfachdiskriminierung haben sie geringere Chancen, Organisationen zu gründen bzw. ihnen beizutreten, die ihre Bedürfnisse als Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderungen vertreten können. Die EU sollte Maßnahmen ergreifen, um Frauen mit Behinderungen zu ermutigen, Führungspositionen in öffentlichen Entscheidungsgremien auf allen Ebenen zu übernehmen, und sie zu befähigen, Organisationen und Netzwerke für Frauen mit Behinderungen zu gründen und diesen beizutreten (44). Damit Frauen mit Behinderungen am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, sollten entsprechende Schulungs- und Mentoring-Programme aufgesetzt werden.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Allgemeine Bemerkung Nr. 3 (CRPD/C/GC/3), S. 1; Europäisches Behindertenforum, Alternative report to the UNCRPD, S. 57.

(2)  Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

(3)  Abschließende Bemerkungen des Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen zum ersten Bericht der Europäischen Union, Vereinte Nationen (Artikel 6 CRPD/C/EU/CO/1).

(4)  Bericht über Frauen mit Behinderungen, Europäisches Parlament, 14.10.2013, S. 6.

(5)  Siehe Fußnote 3, Absatz 4.3; siehe Fußnote 1, S. 17.

(6)  Siehe Fußnote 4, S. 9.

(7)  Siehe Fußnote 3, Absatz 16.

(8)  Report on ending forced sterilisation against women and girls with disabilities, Europäisches Behindertenforum, 2018, S. 49.

(9)  2nd Manifesto on the Rights of Women and Girls with Disabilities in the EU, Europäisches Behindertenforum, 2011, S. 18 und 34.

(10)  Siehe Fußnote 9, S. 4.

(11)  Ad-hoc-Modul der Arbeitskräfteerhebung der EU über Menschen mit Behinderungen und chronisch Kranke, 2002.

(12)  Siehe Fußnote 4, S. 24.

(13)  Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

(14)  Siehe Fußnote 3, Absatz 6; siehe Fußnote 4, S. 6.

(15)  Siehe Fußnote 3, Absatz 4.3; siehe Fußnote 1, S. 17.

(16)  Siehe Fußnote 9, S. 47.

(17)  Siehe Fußnote 4, S. 16.

(18)  Siehe Fußnote 4, S. 9.

(19)  Siehe Fußnote 1, S. 2.

(20)  Siehe Fußnote 9, S. 52.

(21)  Siehe Fußnote 1, S. 15.

(22)  Siehe Fußnote 9, S. 11.

(23)  Siehe Fußnote 3, Absatz 8.

(24)  Siehe Fußnote 1, S. 8.

(25)  Erhebung über Gewalt gegen Frauen, Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, 2014, S. 186.

(26)  Siehe Fußnote 3, Absatz 16.

(27)  Siehe Fußnote 9, S. 21.

(28)  Siehe Fußnote 3, Absatz 16; siehe Fußnote 8, S. 49.

(29)  Siehe Fußnote 1, S. 10.

(30)  Siehe Fußnote 1, S. 11.

(31)  Report on ending forced sterilisation against women and girls with disabilities, Europäisches Behindertenforum, 2018, S. 49 und 50.

(32)  Siehe Fußnote 1, S. 11; siehe Fußnote 9, S. 34.

(33)  Siehe Fußnote 1, S. 14.

(34)  EU-Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) 2011.

(35)  Siehe Fußnote 9, S. 32.

(36)  Alternative report to the UNCRPD, S. 43.

(37)  Siehe Fußnote 4, S. 7.

(38)  Siehe Fußnote 9, S. 41.

(39)  Siehe Fußnote 9, S. 45; siehe Fußnote 4, S. 6.

(40)  Siehe Fußnote 4, S. 14; siehe Fußnote 9, S. 43.

(41)  Siehe Fußnote 3, Absatz 23.

(42)  Siehe Fußnote 4, S. 25.

(43)  Alternative report to the UNCRPD.

(44)  Siehe Fußnote 1, S. 16.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

536. Plenartagung des EWSA, 11.7.2018-12.7.2018

10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 in Bezug auf Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen in der Union und Entgelte für Währungsumrechnungen“

(COM(2018) 163 final — 2018/0076 (COD))

(2018/C 367/05)

Berichterstatter:

Daniel MAREELS

Befassung

Europäisches Parlament, 19.4.2018

Europäischer Rat, 3.5.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

7.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

116/0/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den vorliegenden Vorschlag, der eine Senkung der Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro aus Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraums auf den Weg bringt sowie für mehr Transparenz bei Entgelten für Währungsumrechnungen sorgt. Der EWSA fordert die rasche Umsetzung dieses Vorschlags.

1.2.

Die unmittelbaren Auswirkungen dieses Vorschlags werden zunächst in den Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraums zu spüren sein. Die dort für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro innerhalb der EU erhobenen hohen Gebühren werden entfallen, da sie an die niedrigeren Entgelte für Inlandsgeschäfte in der Landeswährung angeglichen werden müssen. Der EWSA begrüßt diese niedrigeren Entgelte, die vor allem Verbrauchern und Unternehmen, insbesondere KMU, zugutekommen werden.

1.3.

Diese Kostensenkung wiederum wird ohne Zweifel zu einer Zunahme des grenzüberschreitenden freien Verkehrs und Handels innerhalb der gesamten EU führen und folglich allen Mitgliedstaaten der Union Vorteile bringen. Der EWSA hält diese Vertiefung des Binnenmarkts und die positiven wirtschaftlichen Folgen, die darauf zurückzuführen sind, für wichtig.

1.4.

Der EWSA begrüßt, dass auf diesem Wege auch das eigentliche Ziel des Europäischen Zahlungsverkehrsraums (SEPA) erreicht wird, nämlich sämtliche Zahlungen in Euro innerhalb der EU als Inlandszahlungen zu betrachten. Gleichzeitig wird auch der Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen für Privatkunden realisiert, indem die bestehende Zweiteilung dieses Marktes mit einer Trennung zwischen den Nutzern außerhalb und innerhalb des Euroraums aufgehoben wird. Dadurch profitieren auch die Nutzer außerhalb des Euroraums von den geringeren Entgelten, die Nutzer innerhalb des Euroraums zahlen.

1.5.

Ausgehend von seiner wiederholten Forderung nach mehr Vielfalt in der Bankenlandschaft, um die Stabilität und Effizienz des Systems sicherzustellen sowie den verschiedenen zukunftsorientierten Entwicklungen und Herausforderungen, vor denen die Banken stehen, Rechnung zu tragen, fordert der EWSA, den Kosten, die infolge dieses Vorschlags auf die Banken zukommen, mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

1.6.

Die Marktteilnehmer werden verpflichtet, die Gesamtkosten für eine Währungsumrechnung im Ausland offenzulegen, sodass sie den Beteiligten vor der Tätigung ihrer Transaktionen bekannt sind. Der EWSA hält diese neuen, zusätzlichen Transparenzpflichten für angebracht, da sie es den Verbrauchern ermöglichen, bei diesen Transaktionen die richtige Entscheidung zu treffen — und das zu einem angemessenen Preis. Aber auch hier gilt es, dem technisch sehr komplexen Charakter dieses Themas und den damit für die Anbieter verbundenen Kosten Rechnung zu tragen.

1.7.

Schließlich hebt der EWSA hervor, dass dies trotz des sehr technischen Themas zweifellos eine ausgezeichnete Gelegenheit für eine gute und klare Kommunikation mit allen Bürgern in der Europäischen Union ist. Mit den in diesem Bereich vorgenommenen Änderungen lässt sich erklären, wie die EU positive Veränderungen für alle erreicht und Alltagsprobleme löst.

2.   Hintergrund

2.1.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wird an der Harmonisierung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs innerhalb Europas gearbeitet. Dazu wurde bereits bei der Einführung des Euros ein einheitlicher europäischer Zahlungsverkehrsraum (Single Euro Payments Area, abgekürzt SEPA) angestrebt (1). So erfolgte ein schrittweiser Übergang von nationalen zu europäischen Zahlungssystemen. Dieser Prozess wurde im Jahr 2014 abgeschlossen.

2.2.

Damit können Behörden, Händler und Unternehmen durch die Nutzung identischer Zahlungsmittel (Karten, Überweisungen und Lastschriften) ihre Zahlungen innerhalb des gesamten Euroraums und der Europäischen Union (2) problemlos ausführen. Unabhängig vom Mitgliedstaat des Wohnsitzes gelten jetzt alle Zahlungen innerhalb Europas als „Inlandszahlungen“.

2.3.

Darüber hinaus wurden mehrere weitere Initiativen eingeleitet, die nicht nur darauf abzielen, die Entgelte für Zahlungen transparenter zu machen, sondern auch, sie zu senken. Aus diesem Grund wurden nun u. a. die Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro innerhalb der Union an die Entgelte für Inlandszahlungen in Euro angeglichen. Das geschah mittels der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001, die später durch die Verordnung (EG) Nr. 924/2009 ersetzt wurde.

2.4.

De facto wirkte sich diese Entwicklung ausschließlich in den Mitgliedstaaten des Euroraums (3) und in Schweden aus, das die den übrigen Mitgliedstaaten gebotene Möglichkeit nutzte (4), diese Regelung auf ihre Landeswährung auszudehnen.

2.5.

Im Rahmen des „Aktionsplans Finanzdienstleistungen für Verbraucher: Bessere Produkte, mehr Auswahl“ vom März 2017 hatte die Kommission sich verpflichtet, Maßnahmen zur Senkung der Entgelte für grenzüberschreitende Transaktionen in allen Mitgliedstaaten vorzulegen und die Praktiken der dynamischen Währungsumrechnung zu bewerten (5).

2.6.

Mit dem vorliegenden Vorschlag (6) zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 sollen die aus der genannten Regelung erwachsenden Vorteile bei Transaktionen in Euro innerhalb der EU auf Personen und Unternehmen in Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraums ausgedehnt und dadurch die Kosten für grenzüberschreitende Zahlungen innerhalb der EU durch ihre Angleichung an die Entgelte für Inlandsgeschäfte in der Landeswährung eines Mitgliedstaats gesenkt werden.

2.7.

Gleichzeitig (7) werden zusätzliche Transparenzpflichten bei der Währungsumrechnung auferlegt. Auf diese Weise werden die Kosten einer grenzüberschreitenden Transaktion künftig offengelegt.

2.8.

Der EWSA begrüßt, dass auch den Marktteilnehmern bei einer Währungsumrechnung eine Reihe zusätzlicher Transparenzpflichten auferlegt wird. Dadurch sind die Beteiligten über die Gesamtkosten einer grenzüberschreitenden Transaktion vorab informiert.

3.   Kommentare und Anmerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt die Vorschläge, mit denen die durch den SEPA herbeigeführten Vorteile auf die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen aus den Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraums ausgedehnt werden. Dies führt in der Regel zu einer Senkung der Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro innerhalb der EU, insbesondere in den letztgenannten Mitgliedstaaten. Zeitgleich und ergänzend werden mehr Transparenzpflichten im Hinblick auf Entgelte für Währungsumrechnungen eingeführt.

3.2.

Diese Vorschläge leisten folglich einen Beitrag zur Verwirklichung eines Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen für Privatkunden, indem der bestehenden Zweiteilung des Markts für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro innerhalb der EU ein Ende gesetzt wird. Nutzer innerhalb des Euroraums kommen bei dieser Art von Zahlungen voll und ganz in den Genuss der Vorteile des SEPA, während dies heute für Nutzer in Mitgliedstaaten mit einer anderen Landeswährung als dem Euro nicht der Fall ist.

3.3.

Die meisten Nutzer innerhalb des Euroraums können die betreffenden Zahlungen zu geringen oder sogar zu vernachlässigbaren Kosten tätigen, während dies Nutzern außerhalb des Euroraums nicht möglich ist. In der Regel zahlen sie hierfür hohe Gebühren. Es ist gut und sehr wichtig, dass dieser Situation ein Ende gesetzt wird. Die Anbieter von Zahlungsdienstleistungen in diesen Mitgliedstaaten werden ihre Entgelte für grenzüberschreitende Transaktionen in Euro an die — normalerweise niedrigeren — Entgelte für Inlandsgeschäfte in der Landeswährung angleichen müssen.

3.4.

Diese Kostensenkung sollte sich in allen Mitgliedstaaten positiv auf den grenzüberschreitenden freien Verkehr und Handel innerhalb der EU auswirken. Auf diese Weise werden Verbraucher außerhalb des Euroraums leichter Zugang zu den Märkten im Euroraum erhalten und dies zu ihren Gunsten nutzen können. Derselbe vereinfachte Zugang gilt auch für Unternehmen, insbesondere KMU, die so ihre Position auf den Märkten und ihre Konkurrenzfähigkeit verbessern können, was ihnen wiederum Vorteile bringt.

3.5.

Der EWSA befürwortet die Entscheidung, die vorgeschlagene Regelung auf Transaktionen in Euro zu konzentrieren. In der Tat begrüßte der EWSA in seiner Stellungnahme zum „Aktionsplan Finanzdienstleistungen für Verbraucher“, „dass die Kommission derzeit von regulatorischen Maßnahmen absieht“ (8). Gleichzeitig bedeutet dies einen großen Fortschritt für die betroffenen Mitgliedstaaten, die seit geraumer Zeit die Möglichkeit hatten, selbst diese Initiative zu ergreifen, es jedoch nicht taten (9).

3.6.

Unbeschadet verschiedener anderer Gründe (10) wird mit dieser Entscheidung zudem ein Ausgleich zwischen den nachdrücklicheren Forderungen der Anbieter von Zahlungsdienstleistungen (11) und denen der Nutzer dieser Dienstleistungen erzielt (12) und mit der vorgeschlagenen Lösung eher die Idee einer „maßgeschneiderten“ Lösung verwirklicht. Denn sie ermöglicht es, die spezifischen Merkmale der betreffenden Mitgliedstaaten sowie die dortige Lage unter anderem mit Blick auf die Zahlungssysteme und die Anbieter von Zahlungsdienstleistungen zu berücksichtigen.

3.7.

Damit die Verbraucher bei einer Währungsumrechnung im Ausland die richtige Entscheidung treffen können, was derzeit schwierig erscheint, da sie nicht immer rechtzeitig über die richtigen Informationen verfügen, wird auch den Marktteilnehmern eine Reihe zusätzlicher Transparenzpflichten auferlegt. Dadurch werden die Gesamtkosten einer grenzüberschreitenden Transaktion offengelegt und sind den Betroffenen vorab bekannt.

3.8.

Der EWSA hält die Transparenzpflicht zugunsten der Nutzer und Verbraucher für sehr wichtig, ebenso wie die Sicherheit der Transaktionen. Dieselbe Bedeutung hat die Festsetzung einer Obergrenze für die Kosten für derartige Dienstleistungen bis zur Ausarbeitung konkreter endgültiger Durchführungsmaßnahmen (13). Für Zahlungsdienstleister handelt es sich um eine sehr komplexe und schwierige Frage, weshalb dem damit einhergehenden Kostenaspekt entsprechende Aufmerksamkeit gebührt.

3.9.

Die Kosten und Mindereinnahmen der Anbieter von Zahlungsdienstleistungen infolge dieser Vorschläge sind nicht gering (14). Auch wenn die heutige Situation vielleicht nicht ganz zufriedenstellend ist und die Verluste in absehbarer Zeit etwas verringert werden können, sollte diesem Kostenaspekt dennoch angemessen Rechnung getragen werden.

3.10.

Wie der EWSA übrigens unlängst im Rahmen seines Plädoyers zugunsten der Vielfalt der Bankenlandschaft anführte (15), muss dem Kostenaspekt die entsprechende Aufmerksamkeit zuteilwerden, damit die Stabilität und Effizienz des Systems sichergestellt werden (16). Im Übrigen ist zu bedenken, dass sich die Banken derzeit zahlreichen Herausforderungen stellen müssen, unter anderem wegen des Regulierungs- und Aufsichtsrahmens, einer Reihe zukunftsorientierter Entwicklungen (17), des anhaltend niedrigen Zinsniveaus und verschiedener weiterer Situationen (18).

3.11.

Schließlich hebt der EWSA hervor, dass dies trotz des sehr technischen Themas zweifellos eine ausgezeichnete Gelegenheit für eine gute und klare Kommunikation mit allen Bürgern in der Europäischen Union ist. Denn mit den in diesem Bereich vorgenommenen Änderungen ließe sich erklären, wie die EU positive Veränderungen für Unternehmer, Bürger und Verbraucher erreicht und Alltagsprobleme löst, z. B. bei Reisen.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Zum SEPA siehe die Website des European Payments Council unter https://www.europeanpaymentscouncil.eu/.

(2)  Das SEPA-Verfahren wird derzeit in 34 Ländern und Gebieten genutzt: in den 28 Mitgliedstaaten der EU sowie in Island, Norwegen, Liechtenstein, der Schweiz, Monaco und San Marino. Siehe die Website Fußnote 1.

(3)  Und folglich für die Zahlungen in Euro.

(4)  In der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 und ihrer Folgeverordnung (EG) Nr. 924/2009 über grenzüberschreitende Zahlungen zugunsten aller Mitgliedstaaten vorgesehene Möglichkeit.

(5)  Siehe COM(2017) 139 final; http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52017DC0139. Siehe insbesondere die vorgeschlagenen Aktionen 1 und 2.

(6)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 in Bezug auf Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen in der Union und Entgelte für Währungsumrechnungen. Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1524213305690&uri=CELEX:52018PC0163.

(7)  In demselben Verordnungsvorschlag.

(8)  Siehe ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 51, Ziffer 1.1.

(9)  Vgl. die in Ziffer 2.4 genannte Möglichkeit.

(10)  Einige davon sind in „Häufig gestellte Fragen: Grenzüberschreitende Zahlungen“ zusammengefasst, die gemeinsam mit der Pressemitteilung zu den jetzigen Vorschlägen veröffentlicht wurden. Siehe http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-18-2424_de.htm.

(11)  Die eher den Status quo befürworteten.

(12)  Die sich eher für die Regelung noch weiterer Vorgänge aussprachen.

(13)  Wegen des sich schnell verändernden Umfelds und der technischen Art dieses Sachverhalts ist eine Frist von maximal 36 Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung vorgesehen.

(14)  In der Begründung zu dem Vorschlag wird ein Betrag in Höhe von 900 Mio. EUR pro Jahr für grenzüberschreitende Transaktionen in Euro genannt.

(15)  Siehe ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 51; Stellungnahme INT/822, Ziffer 3.6.

(16)  Siehe ABl. C 251 vom 31.7.2015, S. 7, Ziffer 1.1 und ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 45, Ziffer 1.11.

(17)  Beispielsweise in Sachen FinTech und Blockchain sowie Finanzierung einer nachhaltigen Wirtschaft. Bezüglich des Aktionsplans der Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums siehe https://ec.europa.eu/info/publications/180308-action-plan-sustainable-growth_en (COM(2018) 97 final)

(18)  Unter anderem der Strategie der EU angesichts notleidender Kredite (https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/banking-and-finance/financial-supervision-and-risk-management/managing-risks-banks-and-financial-institutions/non-performing-loans-npls_de).


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/32


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 168/2013 hinsichtlich der Anwendung der Stufe Euro 5 auf die Typgenehmigung von zwei- oder dreirädrigen und vierrädrigen Fahrzeugen“

(COM(2018) 137 final — 2018/0065 (COD))

(2018/C 367/06)

Berichterstatter:

Gerardo LARGHI

Befassung

Europäisches Parlament, 16.4.2018

Rat, 4.4.2018

 

 

Rechtsgrundlage

Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

7.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

125/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Verordnungsvorschlag COM(2018) 137 final zur punktuellen Änderung der Verordnung (EU) Nr. 168/2013. Ziel ist es, zwischen der notwendigen Entwicklung umweltfreundlicher Technologien (Typgenehmigung Euro 5) und der effektiven Fähigkeit einiger Unternehmen, diese innerhalb der vorgesehenen Fristen umzusetzen (technische Machbarkeit) ein Gleichgewicht zu finden. Die Ausnahmen sollten daher negative Auswirkungen auf den Markt und die Beschäftigung vermeiden und dabei das rasche Erreichen besserer Umweltnormen gewährleisten.

1.2.

Der EWSA unterstreicht, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen mit den in der früheren Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema ausgesprochenen Empfehlungen (1) im Einklang stehen. Insbesondere sei hier verwiesen auf: die schrittweise und flexible Anwendung der Verordnung nach Maßgabe der effektiven technischen Machbarkeit, akzeptable Kosten für Unternehmen und Verbraucher und Ausschluss der Fahrzeuge der Klasse L1 und L2 vom On-Board-Diagnosesystem (OBD-System) (2). Der Ausschuss nimmt auch die breite Unterstützung der Mitgliedstaaten und aller beteiligter Interessenträger für den Vorschlag zur Kenntnis.

1.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Regelung positive Auswirkungen auf die von den Unternehmen und folglich von den Verbrauchern zu tragenden Kosten haben wird. In diesem Zusammenhang wird auf die gesellschaftliche Rolle von Fahrzeugen der Klasse L hingewiesen — sowohl im ländlichen Raum, wo sie häufig eine Alternative zum dürftigen Angebot öffentlicher Verkehrsmittel darstellen, als auch in den Städten, wo sie zur Senkung der Verkehrsüberlastung beitragen.

1.4.

Der EWSA begrüßt, dass die Befugnisübertragung an die Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte für weitere fünf Jahre erneuert wird. Der Ausschuss erachtet dies als eine entscheidende Voraussetzung für eine zügige Anpassung der geltenden Vorschriften an die laufenden, den Sektor betreffenden Veränderungen der Technologie und des Markts.

1.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Studie der Kommission (3) nicht den Kosten, der technischen Machbarkeit und der Reproduzierbarkeit der Messung des Energieverbrauchs (Prüfung Typ VII) für typgenehmigte Fahrräder mit Elektroantrieb (L1e-A) und zweirädrige Kleinkrafträder (L1e-B) Rechnung trägt. Besagte Studie bezieht sich nur auf die Untersuchung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Der Ausschuss empfiehlt daher der Kommission, möglichst rasch eine zusätzliche Studie über den Energieverbrauch von Fahrzeugen der Klasse L1e-A und L1e-B zu veranlassen, um den Unternehmen des Sektors einen sicheren Rechtsrahmen zu gewähren.

1.6.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, die Anwendung der Euro-5-Emissionsgrenzwerte auf Fahrzeuge der Klasse L6e-B (leichte Vierradmobile), Fahrzeuge der Klasse L2eU (dreirädriges Moped), L3e-AxT (Trial-Krafträder) und L3e-AxE (Enduro-Krafträder) aufzuschieben. Da es sich indes um von Klein- und Kleinstunternehmen hergestellte Nischenprodukte (4) handelt, empfiehlt der EWSA, die Ausnahme bis 2024 — wie ursprünglich in der Folgenabschätzung angedacht — zu verlängern. Dies würde den Unternehmen der Branche einen weniger traumatischen Übergang sowie den Erhalt des Beschäftigungsniveaus ermöglichen.

2.   Einleitung

2.1.

Der Begriff „Fahrzeuge der Klasse L“ erfasst ein breites Spektrum leichter Fahrzeugtypen mit zwei, drei oder vier Rädern. Dieses Spektrum umfasst sieben Fahrzeugklassen: Fahrräder mit Antriebssystem und zweirädrige Kleinkrafträder (L1e), dreirädrige Kleinkrafträder (L2e), zweirädrige Krafträder (L3e) und dreirädrige Krafträder mit Beiwagen (L4e), dreirädrige Kraftfahrzeuge (L5e) und leichte vierrädrige Kraftfahrzeuge L6e) und schwere vierrädrige Kraftfahrzeug (L7e — Straßen-Quad). Jede Klasse ist weiter in insgesamt 25 Unterklassen unterteilt.

2.2.

Aufgrund der Vielzahl der Modelle, Antriebssysteme und Verwendungszwecke gehört die Klasse L zu den differenziertesten und vielfältigsten Fahrzeugklassen. Schätzungen zufolge nehmen über 35 Mio. Fahrzeuge der Klasse L am Straßenverkehr in der EU teil.

2.3.

Die Typgenehmigungsanforderungen, die seit dem 1. Januar 2016 für „Fahrzeuge der Klasse L“ (5) gelten, sind in der Verordnung (EU) Nr. 168/2013 und den vier dazugehörigen Delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten (6) festgelegt.

2.4.

Die Kommission schlägt auf der Grundlage der in der Verträglichkeitsstudie der Umweltanforderungsstufe Euro 5 für Fahrzeuge der Klasse L aufgezeigten Probleme vor, einige Artikel der Verordnung (EU) Nr. 168/2013 zu ändern oder zu ergänzen, um die Grundsätze klarzustellen und die Durchführung zu erleichtern.

2.5.

Dieser auch von den Unternehmen der Branche gewünschte (7) Vorschlag wurde nach der förmlichen Konsultation aller relevanten Interessenträger des Sektors (Hersteller, Typgenehmigungsbehörden und Sozialpartner) erarbeitet.

3.   Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags

3.1.   On-Board-Diagnosesystem

3.1.1.

Über das OBD (8) werden die allgemeine Funktionsweise des Fahrzeugs kontrolliert und insbesondere Fehler oder Funktionsminderungen mit Blick auf die Schadstoffemissionen gemeldet. Bereits in Fahrzeugen der Euro-4-Norm vorhanden, wurde das OBD für Euro 5 weiterentwickelt. Nach Maßgabe der Euro-5-Norm überwacht das OBD mittels Sensoren und Aktoren der Fahrzeuge nicht nur das reibungslose Funktionieren des Motors, sondern auch der Abgasbehandlung und des Katalysators.

3.1.2.

Die Kommission schlägt vor, einige Aspekte bezüglich des obligatorischen Einbaus von OBD-II und insbesondere bezüglich der Kontrolle des Katalysators bis 2025 aufzuschieben. Dies ist nur für bestimmte Arten von Fahrzeugen vorgesehen, da dieses System aus technischen Gründen im Jahr 2020 noch nicht verfügbar sein wird. Die Änderung dieser Bestimmung dürfte den Unternehmen ausreichend Zeit für die Anwendung der Vorschrift gewähren.

3.1.3.

Die Kommission stellt außerdem klar, dass Kleinkrafträder (Klasse L1 und L2) sowie leichte vierrädrige Kraftfahrzeuge (Klasse L6e) und Krafträder der Unterklasse Enduro (L3-AxE) und Trial (L3e-AxT) vom OSB-II-System ausgenommen werden.

3.2.   Emissionskontrollsystem (mathematisches Dauerhaltbarkeitsverfahren)

3.2.1.

In der Umweltverträglichkeitsstudie zu Euro 5 wird betont, dass mit der Methode zur Überprüfung von Fahrzeugen „nach 100 km Gebrauch“ die tatsächliche Verschlechterung des Emissionsminderungssystems eines Fahrzeugs während seiner Lebensdauer (9) nicht bewertet werden kann.

3.2.2.

Die Kommission schlägt vor, diese Methode bis 2025 schrittweise auslaufen zu lassen. In der Zwischenzeit soll die Wegstrecke, die das Fahrzeug vor der Prüfung zurückgelegt hat, angehoben werden, um eine größere Zuverlässigkeit der Daten zu gewährleisten. Daher wird im Vorschlag vorgesehen, dass zwischen dem 1. Januar 2020 und dem 31. Dezember 2024 zugelassene Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von weniger als 130 km/h nach einer Laufleistung von 2 500 km und Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von mindestens 130 km/h nach einer Laufleistung von 3 500 km einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen.

3.3.   Anwendung der Euro-5-Grenzwerte

3.3.1.

In der Umweltverträglichkeitsstudie zu Euro 5 wird bestätigt, dass die zur Erfüllung der Euro-5-Grenzwerte erforderliche Technologie mit Ausnahme bestimmter Fahrzeuge der Klasse L (L6e-B, L2e-U, L3e-AxT und L3e-AxE) bereits verfügbar ist.

3.3.2.

Die Kommission schlägt daher vor, die Anwendung dieser Grenzwerte auf besagte Unterklassen von 2020 auf 2022 zu verschieben. Diese Maßnahme wird es den Herstellern, insbesondere den KMU gestatten, die Fristen für den Übergang zu emissionsfreien Antriebssträngen sicherzustellen, und sie wird sich auf die Kosten für die Verbraucher günstig auswirken.

3.3.3.

Ferner ist die Kommission der Ansicht, dass die Geräuschpegelgrenzwerte für Euro 5 weiter präzisiert werden müssen. Deshalb schlägt sie vor, die bestehenden Grenzwerte für Euro 4 so lange beizubehalten, bis die neuen Grenzwerte für Euro 5 festgelegt werden.

3.4.   Delegierte Rechtsakte

3.4.1.

Der Kommission wurde mit der Verordnung (EU) Nr. 168/2013 die Befugnis übertragen, für einen Zeitraum von fünf Jahren delegierte Rechtsakte zu erlassen; dieser Zeitraum lief am 21. März 2018 aus. Da es erforderlich ist, die Vorschriften ständig an den technischen Fortschritt anzupassen, fordert die Kommission, eine Befugnisübertragung für weitere fünf Jahre mit der Möglichkeit einer stillschweigenden Verlängerung vorzusehen.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 84 vom 17.3 2011, S. 30.

(2)  ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 30, Ziffern 4.1, 4.3 und 5.3.

(3)  Bericht über die Studie „Effect study of the environmental step Euro 5 for L-category vehicles“ (Verträglichkeitsstudie der Umweltanforderungsstufe 5 für Fahrzeuge der Klasse L), EU-Books, ET-04-17-619-EN-N.

(4)  Diese Fahrzeugklassen machen weniger als 1 % der gesamten Produktion von Fahrzeugen der Klasse L aus.

(5)  Verordnung (EU) Nr. 168/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2013 über die Genehmigung und Marktüberwachung von zwei- oder dreirädrigen und vierrädrigen Fahrzeugen (ABl. L 60 vom 2.3.2013, S. 52).

Delegierte Verordnung (EU) Nr. 134/2014 der Kommission vom 16. Dezember 2013 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 168/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Anforderungen an die Umweltverträglichkeit und die Leistung der Antriebseinheit sowie zur Änderung ihres Anhangs V (ABl. L 53 vom 21.2.2014, S. 1).

Delegierte Verordnung (EU) Nr. 44/2014 der Kommission vom 21. November 2013 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 168/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Anforderungen an die Bauweise von Fahrzeugen und der allgemeinen Anforderungen im Zusammenhang mit der Typgenehmigung von zwei-, drei- und vierrädrigen Fahrzeugen (ABl. L 25 vom 28.1.2014, S. 1).

Delegierte Verordnung (EU) Nr. 3/2014 der Kommission vom 24. Oktober 2013 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 168/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Anforderungen an die funktionale Sicherheit von Fahrzeugen für die Genehmigung von zwei- oder dreirädrigen und vierrädrigen Fahrzeugen (ABl. L 7 vom 10.1.2014, S. 1).

(6)  Siehe Fußnote 3.

(7)  https://www.acem.eu/newsroom/press-releases/329-stefan-pierer-acem-president-we-urgently-need-clarity-from-the-ec-regarding-the-implementation-of-euro-5.

(8)  On-Board-Technologie. Verordnung (EU) Nr. 168/2013, Artikel 21, und Anhang IV, Ziffern 1.8.1, 1.8.2 und 1.8.3.

(9)  Artikel 23 Absatz 3 Buchstabe c.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermarktung und Verwendung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe, zur Änderung von Anhang XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 über die Vermarktung und Verwendung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe

(COM(2018) 209 final — 2018/0103 (COD))

(2018/C 367/07)

Berichterstatter:

David SEARS

Befassung

Europäisches Parlament, 28.5.2018

Rat, 31.5.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 AEUV

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

7.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

128/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt die vorgeschlagene Verordnung, die an die geltende Verordnung anknüpft und diese ersetzt. Zu der geltenden Verordnung hatte der EWSA im Januar 2011 (1) Stellung genommen. Die Grundlage der neuen Verordnung sind die Erfahrungen auf nationaler und europäischer Ebene seit Inkrafttreten der geltenden Bestimmungen im Jahr 2013 und der (beabsichtigten) Umsetzung bis September 2014.

1.2.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Zeit zur Ausarbeitung der neuen Verordnung aufgrund der verfahrenstechnischen Vorgaben begrenzt war, denn unter anderem werden die Amtszeit der amtierenden Kommission und die Legislaturperiode des Europäischen Parlaments bald auslaufen. Dies ist bedauerlich, wenn man das relativ geringe Alter und die schleppende Umsetzung der geltenden Verordnung sowie die erforderliche umfassende Unterstützung und Beteiligung der Mitgliedstaaten und aller Akteure in der Lieferkette an der Ersetzung dieses Rechtsakts bedenkt. Die Gründe für die schleppende Umsetzung sind gerade auch in den großen Ländern, die mit terroristischen Anschlägen auf ihre Bevölkerung konfrontiert sind, genauer zu untersuchen.

1.3.

Der EWSA stellt fest, dass in einigen Bereichen mehr Klarheit in Bezug auf die Anwendungsbreite und die Umsetzung der Verordnung zu schaffen ist. Darüber muss mit den Mitgliedstaaten in den kommenden Monaten ausführlich beraten werden. Die Bestimmungen für den Verkauf im Internet müssen klarer gefasst werden, wenn sie eine konkrete Wirkung haben sollen. Es ist nur schwer vorstellbar, wie sie allein auf mitgliedsstaatlicher Ebene wirken könnten.

1.4.

Schließlich meldet der EWSA erneut Zweifel an der Wirksamkeit einer Klassifizierung derart unterschiedlicher Substanzen unter dem Dach eines einzigen Regelwerks an. Sie erschwert die Ausarbeitung von Rechtsvorschriften und ihre Umsetzung für gewerbliche Anwender und die breite Öffentlichkeit noch zusätzlich. Daher sollte ein anderer substanzspezifischer Ansatz gewählt werden. Die EU-Rechtsvorschriften für Drogenausgangsstoffe könnten hier als Vorbild dienen (2).

2.   Einleitung

2.1.

Zu den unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) zählt eine Vielzahl selbst hergestellter Explosivstoffe, die von Terroristen und nichtstaatlichen Akteuren an einem Ort, mit Fahrzeugen oder durch Tragen am Körper eingesetzt werden, um Anschläge auf militärische Ziele oder Wirtschaftsstrukturen auszuüben. Die Verbreitung von Angst und Schrecken in der Zivilbevölkerung dient der Verfolgung politischer oder religiöser Ideale.

2.2.

Das erforderliche Wissen zum Bau und zur Lagerung sowie zum Einsatz derartiger Produkte ist im Internet leicht zugänglich. Die Rohstoffe können alltägliche Stoffe wie Mehl, Zucker, Diesel oder Dünger sein. Leistungsfähigere Sprengstoffe und Zünder (TATP, PETN, HMTD) müssen chemisch aus anderen Stoffen synthetisiert werden, die auf dem Endkundenmarkt für legale Zwecke erworben werden können. Kommerzielle Explosivstoffe (einschließlich Dynamit, Schwarzpulver und TNT) sind bereits streng kontrolliert und werden heutzutage zumindest in der entwickelten Welt selten verwendet.

2.3.

Die meisten — der oft sogar täglich stattfindenden und oft nicht einmal registrierten — Terroranschläge werden in den weniger entwickelten Ländern verübt. Dort ereignen sich fast 99 % aller Todesfälle mit terroristischem Hintergrund. Allerdings können auch die reicheren Länder, die stabiler und besser geschützt sind, Ziel terroristischer Angriffe werden, die bei Gelingen verheerende Folgen haben können, wie die Bürger einiger großer Städte in der EU (und in den USA) mittlerweile bezeugen können.

2.4.

Dessen ungeachtet ist das Risiko, im Alltag Opfer eines Terroranschlags zu werden, nach wie vor gering (zumindest im Vergleich zu anderen natürlichen oder allgemein anerkannten Gefahren). Wie die Regierungen auf solche Vorfälle reagieren, schwankt je nach ihrer Erfahrung und der üblichen nationalen Handhabung. Es überrascht kaum, dass autoritäre Regime (vorerst) noch nicht ins Visier der Terroristen geraten sind, richten sich deren Angriffe doch eher gegen liberale Gemeinwesen, die den Menschenrechten verpflichtet sind. Wie immer gibt es keine einfachen Antworten.

2.5.

Diese Fragen wurden in einer früheren Stellungnahme des EWSA aus dem Jahr 2008 (3) behandelt. Darin ging es um das Inverkehrbringen und die Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe, einschließlich Ammoniumnitrat, das in großem Umfang als Stickstoffdünger verwendet wird und als billige Grundsubstanz kommerzieller und selbst hergestellter Explosivstoffe dient. Im Jahr 2011 (4) wurde die Problematik im Wege der ersten Verordnung über Ausgangsstoffe für Explosivstoffe angegangen, die nun aufgehoben und im Lichte der gesammelten Erfahrungen ersetzt werden soll. Auch die Ausgangsstoffe für illegale Drogen und ihre Abzweigung zu illegalen Verwendungszwecken wurden angesprochen. Die damit zusammenhängenden Rechtsvorschriften könnten im vorliegenden Fall als Modell dienen.

3.   Vorschläge der Kommission

3.1.

Die vorgeschlagene neue Verordnung über Ausgangsstoffe für Explosivstoffe (15 S.) besteht aus einer Einleitung (17 S.), drei Anhängen (jeweils 1 S.) und einer Folgenabschätzung (188 S.). Ihre Rechtsgrundlage ist Artikel 114 AEUV, der das Funktionieren des Binnenmarktes regelt. Sie enthält neue Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten und alle Beteiligten, die mit den in den Anhängen I („beschränkte Ausgangsstoffe“) und II („meldepflichtige Ausgangsstoffe“) aufgeführten Stoffen handeln. Außerdem wird in Anhang III ein Muster für Genehmigungen für gewerbliche Nutzer gegeben. Die Verordnung tritt 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft und gilt ein Jahr ab diesem Zeitpunkt.

3.2.

Die allgemeine Herangehensweise ist somit dieselbe wie früher. Für einige Stoffe (neun) werden Konzentrationsgrenzwerte vorgegeben (was ihren Wert und ihre Einsatzmöglichkeit in selbst hergestellten Explosivstoffen minimiert), und ihr Verkauf an die Allgemeinheit wird ebenfalls eingeschränkt. Einige weitere Stoffe (ebenfalls neun) können frei verkauft werden, allerdings müssen den ausgewiesenen nationalen Kontaktstellen „verdächtige“ Transaktionen gemeldet werden.

3.3.

Ammoniumnitrat wurde von der zweiten auf die erste Liste gesetzt (mit einer entsprechenden Änderung in Anhang XVII der REACH-Verordnung über die Registrierung chemischer Stoffe), und drei neue Stoffe oder Stoffgruppen, die im November 2016 durch delegierte Rechtsakte der Kommission hinzugefügt worden waren, wurden der zweiten Liste hinzugefügt (Aluminiumpulver, Magnesiumpulver und Magnesiumnitrat-Hexahydrat). Die übrigen 14 aufgeführten Stoffe sind unverändert. In der Folgenabschätzung werden die Gründe für diese Änderungen angegeben (obgleich die drei Hinzufügungen nicht eingehend erläutert werden und weder hier noch in den delegierten Rechtsakten Informationen enthalten sind über die betroffenen Lieferketten, die möglichen Auswirkungen auf den Markt oder die Mengen, die von professionellen Nutzern oder Bürgern vermutlich erworben werden).

3.4.

In der Verordnung wird zudem die unbedingt erforderliche Klarstellung der verschiedenen Funktionen in den diversen Lieferketten vorgenommen. Insbesondere werden „Wirtschaftsakteure“, „gewerbliche Verwender“, „Landwirte“ und „Mitglieder der Allgemeinheit“ definiert.

3.5.

Die geltende Verordnung unterliegt dem REFIT-Programm der Kommission, und folglich zielt der neue Vorschlag auch darauf ab, die Kosten zu senken sowie die Effizienz (und hoffentlich auch die Effektivität) zu steigern, indem den Mitgliedstaaten weniger Optionen geboten werden. Für die Bürger (d. h. nicht gewerbliche Verwender) wird eine Genehmigungspflicht für die Verwendung beschränkter Ausgangsstoffe ab einem bestimmten, in Anhang I angegebenen Konzentrationsgrenzwert eingeführt. Die bislang praktizierte, weniger strenge Selbstregistrierung reicht nicht mehr aus. Geltende Genehmigungen dürfen nur verlängert werden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass sie mit Anforderungen der neuen Verordnung konform sind.

3.6.

Einigkeit herrscht darüber, dass all diejenigen, die in den physischen und elektronischen Lieferketten agieren, über die neuen Maßnahmen informiert werden müssen. Allerdings ist unklar, wie das geschehen soll. So dienen die Sicherheitsdatenblätter beispielsweise dazu, die Sicherheit der Arbeitnehmer und Verbraucher bei der Verwendung dieser Stoffe zu gewährleisten, nicht jedoch deren illegale Verwendung zu verhindern. Die in Anhang I aufgeführten Grenzwerte sind von herausragender Bedeutung, jedoch für einige der Stoffe schwierig zu interpretieren; sie bedürfen eventuell einer Überarbeitung, insbesondere weil sie sich auf verschiedene Lieferketten und Wirtschaftsakteure beziehen, und wenn es diesbezüglich vorbildliche Verfahrensweisen in den Mitgliedstaaten gibt, so sollten sie in möglichst großem Umfang bekannt gemacht werden.

3.7.

Die Mitgliedstaaten können strengere Kontrollen vorschlagen (einschließlich niedrigerer Konzentrationen und Totalverbote), und die Kommission kann neue Stoffe in die Anhänge aufnehmen, sofern sich dies zur Bekämpfung des Terrorismus als notwendig erweist.

3.8.

Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, der Kommission jährliche Zusammenfassungen der Zahl der verdächtigen Transaktionen, der Genehmigungsanträge, der Gründe für die Ablehnung, Öffentlichkeitsmaßnahmen und die Einzelheiten der durchgeführten Kontrollen für Online- und Offline-Aktivitäten zu übermitteln.

3.9.

Frühestens sechs Jahre nach dem Tag der Geltungskraft dieser Verordnung führt die Kommission eine Evaluierung der Verordnung durch und legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss einen Bericht mit den wichtigsten Ergebnissen vor.

4.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag für die neue Verordnung, deren Ziele er mit Nachdruck unterstützt. Bei den zu kontrollierenden Stoffen handelt es sich im großen Ganzen um Substanzen, die auch in anderen Teilen der entwickelten Welt ganz oben auf der Liste der zu kontrollierenden Stoffe stehen. Die neuen Begriffsbestimmungen dürften den Anwendern Klarheit bringen. Es werden einige zusätzliche Kosten für die Regierungen entstehen, die aber im angemessenen Verhältnis zu der Verringerung des Terrorrisikos stehen. Ein gemeinsames Regulierungssystem in allen Mitgliedstaaten dürfte im Interesse der Lieferanten und der übrigen Wirtschaftsakteure stehen. Es geht darum, die Risiken für die Allgemeinheit (und andere, wie exponierte Personenkreise, Polizisten und Angehörige der Streitkräfte) zu senken, ohne den freien Verkehr von Waren für legitime Anwendungszwecke unverhältnismäßig zu beschneiden.

4.2.

Der EWSA teilt ebenfalls die Auffassung, dass prompte und koordinierte Maßnahmen der Mitgliedstaaten geboten sind, und er teilt die Sorge der Kommission bezüglich der schleppenden und uneinheitlichen Umsetzung der geltenden Verordnung.

4.3.

Allerdings melden sich gerade in diesem Punkt Bedenken in Bezug auf die Verfahren bei der Ersetzung des Rechtsakts, insbesondere bezüglich des Inhalts und der Qualität der Begleitunterlagen. Die von der Kommission vorbereitete Folgenabschätzung, die auf der Arbeit der Beratungsfirma Ernst & Young aufbaut, stützt sich in hohem Maße auf öffentlich zugängliche Statistiken in der EU, deren Aussagekraft und Vollständigkeit mitunter zweifelhaft erscheinen. Das Format, das internen Leitlinien folgt, ist kein Musterbeispiel für gute Lesbarkeit und Klarheit. In der öffentlichen Konsultation gingen nur 83 Antworten von unterschiedlicher Bedeutung ein. Beide wurden in einem Zeitraum über Weihnachten und den Jahreswechsel 2017-18 vorbereitet, und es blieb wenig oder gar keine Zeit, um lückenhafte Angaben zu vervollständigen. Die Verfügbarkeit von Produkten im Internet wurde durch eine Suche bei Amazon geprüft, während die obskuren Quellen im Darknet nicht einmal erwähnt wurden.

4.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die wichtige Frage nach dem Anwendungsbereich der Verordnung, also welche Substanzen der Kontrolle unterliegen sollen, von der Kommission bereits in einer frühen Phase geklärt worden ist, doch wird in der Folgenabschätzung nicht näher darauf eingegangen. Wie bereits erwähnt, scheint es keine Marktanalyse für die drei Stoffe zu geben, die im Jahr 2016 durch delegierte Akte hinzugefügt wurden. Warum Salzsäure, die in der Folgenabschätzung zur geltenden Verordnung enthalten war, keinen Kontrollen unterliegt und im letzten Moment kommentarlos von der geltenden Liste genommen wurde, bleibt unerklärt. Auch andere Ausgangsstoffe mittlerer Priorität, darunter Kaliumpermanganat, Natriumnitrit, Harnstoff und Zinkpulver, die auf anderen Listen für Produkte mit potenziell doppeltem Gebrauch stehen, sollten zumindest erörtert werden. Fortschritte bei der Ausarbeitung einer weltweit oder doch zumindest in der entwickelten Welt anerkannten Liste wären ein nützliches Ziel.

4.5.

Der EWSA ist mit der Liste der möglichen Kontrollmaßnahmen, die in einer frühen Phase verworfen wurden, einverstanden. Allerdings gibt es noch Bedenken in Bezug auf die enge Bandbreite der vorgeschlagenen Kontrollen, wo es sich doch um sehr unterschiedliche Arten von Erzeugnissen handelt. Packungsgrößen, Strichcodes und das Festhalten an der Rückverfolgbarkeit der Zahlungen mit Karten oder Banküberweisungen von persönlichen oder geschäftlichen Konten können allesamt als Begrenzungsfaktor wirken und die Rückverfolgbarkeit der Verkäufe erleichtern. Die gegenwärtigen Vorgehensweisen in den Mitgliedstaaten mögen durchaus unterschiedlich sein, was aber kein überzeugendes Argument im Kampf gegen den Terror ist.

4.6.

Die unterschiedliche Anwendung der geltenden Verordnung wird sich allerdings auf die Kosten für einige Mitgliedstaaten und die am legalen Vertrieb und der legalen Verwendung der Erzeugnisse beteiligten Personen auswirken. Hält man sich vor Augen, dass zahlreiche Verfahren wegen Verstößen gegen die geltende Regelung angestrengt werden mussten, so erklärt dies eine gewisse Skepsis in Bezug auf die geplante Genehmigungspflicht, ganz gleich, welche langfristigen Vorteile sie möglicherweise bietet. Kontrollen von Verkäufen im Internet werden erwähnt, aber ohne weitere Prüfung in den nationalen Bereich verwiesen.

4.7.

Der Vorschlag enthält eine umfangreiche Analyse der Vereinbarkeit mit und der Rechtmäßigkeit nach anderen EU-Rechtsvorschriften, einschließlich der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO), die nun in vollem Umfang in Kraft getreten ist. Begrenzungen des gegenwärtigen Systems der KN-Codes zur Identifizierung bei der grenzüberschreitenden Verbringung von Stoffen und Gemischen werden, wie bereits vor acht Jahren, als die Vorgängerstellungnahme verfasst wurde, ebenfalls diskutiert. In Anbetracht der Tatsache, dass derzeit nur 18 Stoffe auf der Liste stehen und wahrscheinlich nicht mehr als zwölf hinzugefügt werden, sollte die Ausarbeitung entsprechender Zollcodes speziell zum Zwecke dieser Verordnung machbar sein. Sicherzustellen ist, dass die übrige Rechtsetzung der EU, die auf andere Bereiche abzielt, nicht im Widerspruch zu den grundlegenden Zielen der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger der EU steht.

4.8.

Der EWSA stellt weiterhin fest, dass die Erzeugnisse auf der Liste in stark unterschiedlichen Produktionsmengen hergestellt werden. Auch ihre Lieferketten und rechtmäßigen Endverwendungen durch gewerbliche Anwender und die Allgemeinheit gestalten sich sehr unterschiedlich. Das einzige, was sie gemeinsam haben, ist ihr Missbrauchspotenzial für Terrorzwecke. Der Zweck der Rechtsetzung ist daher, diese unerwünschten Lieferketten unter Nutzung aller verfügbaren Maßnahmen zu unterbrechen.

4.9.

Die Maßnahmen werden von Produkt zu Produkt verschieden sein — alle Produkte ein und demselben Kontrollsystem zu unterwerfen, dürfte nicht die geforderte Wirkung bringen. Eine bessere Herangehensweise bestünde in einer einfachen Rahmenrichtlinie mit breiter Zielvorgabe, spezifischen Konsultationen, Analysen, Folgenabschätzungen und Regeln für jede aufgeführte Substanz. So könnte man insgesamt Zeit sparen und Leben retten und sicherlich besser den REFIT-Erfordernissen nachkommen.

4.10.

Dies würde eine engere langfristige Zusammenarbeit bzw. den Informationsaustausch mit den Herstellern und anderen Betroffenen ermöglichen, die durchgängig Maßnahmen zur Eindämmung des Missbrauchs ihrer Produkte begrüßen. Die Stoffmengen, die für illegale Zwecke abgezweigt werden, fallen im Vergleich zum etwaigen Verlust des guten Rufs oder des Risikos weiterer Einschränkungen nicht ins Gewicht. Die globalen Anstrengungen zur Kontrolle der sehr geringen Mengen von Essigsäureanhydrid, das für die Produktion illegaler Drogen, darunter Heroin, verwendet wird, sind ein anschauliches Beispiel dafür, was in der Sache erreicht werden kann. Der EWSA hat im Januar 2013 eine Stellungnahme zu diesem Vorschlag mit Blick auf Drogenausgangsstoffe (5) erarbeitet. Viele der seinerzeit vorgebrachten Gedanken treffen auch für die Ausgangsstoffe für Explosivstoffe zu, die den Beschränkungen oder der Berichterstattungspflicht gemäß diesem Vorschlag unterliegen.

4.11.

Schließlich begrüßt der EWSA seine kontinuierliche Einbeziehung in die Entwicklung und Umsetzung dieser Verordnung, vertritt jedoch insbesondere angesichts des engen Zeitplans bei der Ausarbeitung des Vorschlags die Ansicht, dass die künftige Überprüfung durch die Kommission spätestens nach sechs Jahren anstatt frühestens in sechs Jahren nach der Umsetzung erfolgen sollte.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 25.

(2)  ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 54.

(3)  ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 13.

(4)  ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 25.

(5)  ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 54.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union“

(COM(2018) 259 final — 2018/0123 (COD))

(2018/C 367/08)

Berichterstatter:

Antonello PEZZINI

Befassung

Europäisches Parlament, 28.5.2018

Rat, 29.5.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Verabschiedung auf der Plenartagung

12.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

147/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) sieht seit jeher in einer effizienten Zollunion eine unabdingbare Voraussetzung für den Prozess der europäischen Integration und die Gewährleistung eines reibungslosen, sicheren und transparenten freien Warenverkehrs, der mit einem Höchstmaß an Verbraucher- und Umweltschutz und Beschäftigung sowie einer wirksamen Bekämpfung von Betrug und Fälschung einhergeht.

1.2.

Der EWSA betont, dass für alle im Zollgebiet der EU tätigen privaten und öffentlichen Akteure ein klarer, transparenter und eindeutiger Rechtsrahmen gewährleistet sein muss. Dieser muss sich auf sichere und auf alle in das und aus dem Zollgebiet der Union verbrachten Waren anwendbare Definitionen, Verfahren und Fristen stützen und ein effizientes und der Umsetzung der gemeinsamen Handelspolitik dienliches Funktionieren der Zollunion ermöglichen.

1.3.

Der EWSA unterstützt daher den vorgeschlagenen Rechtsrahmen, d. h.:

die Änderung der Normen und technischen Vorschriften des Zollkodex der Union (UZK);

die Behebung der technischen Fehler und Lücken und die Anpassung an das internationale Abkommen zwischen der EU und Kanada (CETA);

die Einbeziehung der Exklave Campione d’Italia und des zum italienischen Hoheitsgebiet gehörenden Teils des Luganer Sees in das Zollgebiet der EU, wie vom betreffenden Mitgliedstaat gefordert.

1.4.

Der EWSA erachtet es für grundlegend, dass die Union und die Staaten, mit denen sie Freihandelsabkommen abgeschlossen hat, diesen gemeinsamen Ansatz unterstützen. Dieser zielt darauf ab, einen freien und fairen Handel in einer dynamischen und weitsichtigen Gesellschaft zu fördern mit dem Zweck, die Wirtschaftstätigkeit anzukurbeln und die gemeinsamen Werte und Ideen zu unterstützen. Diese Werte haben in der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 und dem Zollkodex von 1992, der 2013 durch den UZK vervollständigt wurde, konkreten Ausdruck gefunden und sind Teil des langfristigen Haushaltsvorschlags für den Zeitraum 2021-2027 zur Förderung einer effizienteren Zusammenarbeit der Union im Steuer- und Zollbereich.

1.5.

Bezüglich der Einbeziehung der Exklaven empfiehlt der Ausschuss, besonders darauf zu achten, dass gleichzeitig die erforderlichen Änderungen der Richtlinie 2008/118/EG (Verbrauchsteuerrichtlinie) und der Richtlinie 2006/112/EG (Mehrwertsteuerrichtlinie) vorgenommen werden.

1.6.

Der EWSA fordert die Kommission auf, ihm 2021 den vorgesehenen Bericht über die Zwischenbewertung des Rechtsrahmens des UZK zu übermitteln. In diesem Bericht sollen die Angemessenheit der im Zuge dieser Verordnung vorgenommenen Änderungen und die Wirksamkeit der bis dahin aktivierten gemeinsamen digitalen Systeme bewertet werden.

2.   Einleitung

2.1.

Die Zollunion liegt gemäß Artikel 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in der ausschließlichen Zuständigkeit der Europäischen Union. Der UZK hat ermöglicht:

die verschiedenen früheren Vorschriften zu harmonisieren;

die Gleichbehandlung durchzusetzen;

rechtmäßig Sanktionen zu verhängen.

2.2.

Am 1. Mai 2016 sind neue Zollbestimmungen in Kraft getreten mit dem Ziel, die Bedingungen für die in Europa tätigen Unternehmen zu erleichtern und den Verbraucherschutz zu verbessern. Mit dem 1992 in Kraft getretenen neuen Zollkodex der Union wurden die EU-Zollvorschriften umfassend modernisiert.

2.3.

Mit der im Juli 1987 in Kraft getretenen Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 wurde ein Weg beschritten, der über drei Etappen (1990 für Kapital, 1993 für Waren und 1999 mit der einheitlichen Währung) zur Verwirklichung des in Artikel 28 des AEUV niedergelegten „Verbots, zwischen den Mitgliedstaaten Ein- und Ausfuhrzölle und Abgaben gleicher Wirkung zu erheben“ führte.

2.4.

Auf den Kodex von 1992 und die Verordnung von 2008 folgte der derzeitige UZK von 2013, der durch verschiedene delegierte Verordnungen und Durchführungsbestimmungen ergänzt wurde. Der UZK ist ein Meilenstein der EU-Zollunion und macht es möglich, dass jedes Jahr Waren im Wert von über 3 Billionen EUR in die und aus der EU verbracht werden.

2.5.

Nach dem Inkrafttreten der neuen grundlegenden Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 zur Festlegung des UZK wurden im Rahmen der regelmäßigen Konsultation der Mitgliedstaaten und Unternehmen technische Fehler und Defizite festgestellt, die behoben werden müssen, um Rechtssicherheit und Kohärenz zu gewährleisten.

2.6.

Das Zollgebiet der EU stimmt nicht genau mit der Summe der Gebiete überein, die zum geophysischen Territorium der EU gehören. Einige Teile der verschiedenen nationalen Hoheitsgebiete gehören nicht zum Zollgebiet der EU, wohingegen andere Gebiete, die nicht zum geophysischen Territorium der EU gehören, als voll und ganz in der Zollunion belegen gelten.

2.7.

Während die österreichischen Gebiete von Jungholz und Mittelberg (Kleines Walsertal), das Fürstentum Monaco, die Republik San Marino, die französischen überseeischen Departements (DOM — Martinique, Guadeloupe, Französisch-Guayana und Réunion), die Insel Man und die Kanarischen Inseln zum Zollgebiet der EU gehören, sind einige zum geophysischen Territorium der EU gehörenden Gebiete davon ausgenommen, wie z. B. die Färöer-Inseln, Helgoland und Büsingen am Hochrhein, Ceuta und Melilla, die französischen überseeischen Gebiete (TOM — Französisch-Polynesien, Wallis und Futuna, Neukaledonien, die Französischen Süd- und Antarktisgebiete und die Gebietskörperschaften Mayotte und Saint-Pierre-et-Miquelon), Livigno. Bislang gehörten auch Campione d’Italia und der zum italienischen Hoheitsgebiet gehörende Teil des Luganer Sees zwischen Ponte Tresa und Porto Ceresio nicht zum Zollgebiet und sollen nun auf Antrag Italiens eingegliedert werden.

2.8.

Die Verhandlungen über ein umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen der EU und Kanada wurden im September 2014 abgeschlossen, der entsprechende Beschluss (EU) 2017/37 des Rates folgte am 28. Oktober 2016. Mit dem am 21. September 2017 in Kraft getretenen Abkommen wurden 99 % aller Zölle und zahlreiche weitere Hindernisse beseitigt, die bis dahin die Wirtschaftsbeteiligten belastet haben.

2.9.

CETA, zu dem der EWSA mehrfach Stellung genommen hat (1), enthält zahlreiche Aspekte von hoher Relevanz für Zollfragen, da laut Artikel 1.4 dieses Abkommens Kanada und die EU im Einklang mit Artikel XXIV GATT (1994) (2) und Artikel V GATS (3) eine Freihandelszone errichten. Das Abkommen hat jedenfalls keine Auswirkungen auf die zwischen den Vertragspartnern bereits bestehenden Rechte und Pflichten aus dem WTO-Übereinkommen, auch nicht auf andere Übereinkünfte, deren Vertragsparteien sie sind (4).

2.10.

Die Freihandelszone umfasst, sofern nichts anderes bestimmt ist (5):

Im Falle Kanadas: das Landgebiet, den Luftraum, die Binnen- und Hoheitsgewässer sowie seine ausschließliche Wirtschaftszone nach kanadischem Recht im Einklang mit Teil V des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von Montego Bay vom 10. Dezember 1982 (SRÜ) (6); den Festlandssockel nach kanadischem Recht im Einklang mit Teil VI SRÜ;

Im Falle der Europäischen Union die Gebiete, in denen der EUV und der AEUV unter den in diesen Verträgen festgelegten Bedingungen Anwendung finden. Was die Bestimmungen über die Zollbehandlung von Waren anbelangt, auch die nicht von diesen Verträgen erfassten Teile des Zollgebiets der Europäischen Union.

2.10.1.

Die EU und Kanada haben zusammen mit dem CETA ein rechtlich bindendes gemeinsames Auslegungsinstrument (7) unterzeichnet, in dem die zwischen Kanada und der Europäischen Union in einer Reihe von Artikeln des CETA vereinbarten Bestimmungen klar und eindeutig beschrieben werden. Hierzu gehören die neue Investitionsgerichtsbarkeit, die Regulierungsbefugnis, öffentliche Dienstleistungen, Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte.

2.10.2.

Mithilfe des Verfahrens der regelmäßigen Konsultation der Mitgliedstaaten und der Unternehmen konnten einige technischen Fehler und Anomalien ermittelt werden, die zu korrigieren sind, um Rechtssicherheit und Kohärenz zu gewährleisten. In diesen Zusammenhang fügen sich auch die Kommissionsvorschläge ein, einschließlich der Anpassung des UZK an ein internationales Abkommen, das zum Zeitpunkt der Annahme des Kodex noch nicht in Kraft war, und des Antrags Italiens auf Aufnahme eines Teils seines Hoheitsgebiets in den UZK.

3.   Die Vorschläge der Kommission

3.1.

Die Kommission schlägt eine Änderung des UZK vor, um

die technischen Fehler und Lücken zu beseitigen, einschließlich der Anpassung des UZK an die Bestimmungen der internationalen Abkommen, die zum Zeitpunkt seiner Annahme noch nicht in Kraft waren, wie z. B. das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) der EU mit Kanada;

die Definition des Zollgebiets dergestalt zu ändern, dass die italienische Gemeinde Campione d’Italia und der zum italienischen Hoheitsgebiet gehörende Teil des Luganer Sees einbezogen werden;

Spezifikationen und Ergänzungen vorzusehen für die Entscheidungen und die Verfahrensfristen bei verbindlichen Zolltarifauskünften (vZTA), summarischen Eingangsanmeldungen, Anmeldungen zur vorübergehenden Verwahrung, summarischen Ausgangsanmeldungen oder Wiederausfuhrmitteilungen, Befreiungen von den Einfuhrabgaben und bei der passiven Veredelung.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA unterstützt voll und ganz das Ziel der Kommission, technische Änderungen am Zollkodex der Union (UZK) vorzunehmen, um sicherzustellen, dass der Kodex den Zielen der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen entspricht, aber auch Verbesserungen in puncto Schutz der finanziellen und wirtschaftlichen Interessen der EU, Beschäftigung und Verbraucherschutz in der EU bringt.

4.2.

Der EWSA hebt die Bedeutung hervor, die dem Handel und der nachhaltigen Entwicklung im CETA beigemessen wird, und weist nachdrücklich darauf hin, dass die Vertragsparteien im Rahmen des Gemeinsamen Auslegungsinstruments zugesagt haben, die einschlägigen Bestimmungen im CETA zu stärken. Er betont den positiven Ansatz des neuen Modells zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten.

4.3.

Der Ausschuss begrüßt daher die Absicht, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EU in folgenden Bereichen an die mit Kanada unterzeichneten Abkommen anzugleichen:

verbindliche Zolltarifauskünfte;

vorübergehende Verwahrung;

summarische Eingangsanmeldung und erforderliche Angaben, wenn keine Vorabinformationen über Nicht-Unionswaren vorgelegt wurden;

Ungültigerklärung einer Anmeldung zur vorübergehenden Verwahrung;

vollständige Befreiung von den Einfuhrabgaben in bestimmten Fällen;

genaue Fristen für die Ungültigerklärung in Fällen der Anmeldung zur vorübergehenden Verwahrung, der summarischen Ausgangsanmeldung oder der Wiederausfuhrmitteilung.

4.4.

Der Ausschuss begrüßt, dass dem Antrag der italienischen Regierung auf Einbeziehung der Gemeinde Campione d’Italia und des zum italienischen Hoheitsgebiet gehörenden Teils des Luganer Sees in das Zollgebiet ab dem 1. Januar 2019 entsprochen wird.

4.5.

Der Ausschuss empfiehlt, die mit dieser Einbeziehung verbundenen, parallel erforderlichen Änderungen der Richtlinien 2008/118/EG (Verbrauchsteuerrichtlinie) und 2006/112/EG (Mehrwertsteuerrichtlinie) vorzunehmen, die ab dem selben Datum (1. Januar 2019) gelten sollen.

4.6.

Der EWSA fordert die Kommission auf, dem EWSA den für 2021 vorgesehenen Bericht über die Bewertung der Wirksamkeit, Kohärenz und Korrektheit des neuen, durch diesen Rechtsvorschlag geänderten Rechtsrahmens des UZK vorzulegen.

Brüssel, den 12. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 87; ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 45; ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 27.

(2)  General Agreement on Tariffs and Trade.

(3)  General Agreement on Trade in Services.

(4)  Siehe Artikel 1.5 CETA.

(5)  Siehe Artikel 1.3 CETA.

(6)  Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen.

(7)  Genehmigt vom Rat zum Zeitpunkt der Unterzeichnung am 28. Oktober 2016. Es bietet eine verbindliche Auslegung der Bestimmungen des CETA im Sinne von Artikel 31 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens, http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13541-2016-INIT/de/pdf.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/43


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 im Hinblick auf die Mindestdeckung notleidender Risikopositionen“

(COM(2018) 134 final — 2018/0060 (COD))

und „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Kreditdienstleister, Kreditnehmer und die Verwertung von Sicherheiten“

(COM(2018) 135 final — 2018/0063 (COD))

(2018/C 367/09)

Berichterstatter:

Juan MENDOZA CASTRO

Befassung

Rat der Europäischen Union, 24.4.2018;

EP, 19.4.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und Artikel 53 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

27.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

145/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Paket zu notleidenden Krediten

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt das Paket der Kommission, das das Kernstück der EU-Offensive zur Lösung des anhaltenden Problems der notleidenden Kredite (NLP) bildet und für Fortschritte auf dem Weg zur Bankenunion von wesentlicher Bedeutung ist.

1.2.

Die Finanzinstitute in der EU haben in Bezug auf die Qualität ihrer Kreditportfolios und den Gesamtbestand an NLP zwar Fortschritte gemacht, doch bedarf es weiterer Maßnahmen auf EU-Ebene, damit sich solche Kredite in Zukunft nicht mehr ansammeln können.

1.3.

Bei jedem Vergleich der NLP-Bestände auf EU-Ebene muss berücksichtigt werden, dass die Banken in einigen Ländern in der frühen Phase der Krise (2008-2012) in erheblichem Maße von staatlichen Beihilfen profitieren konnten, während anderen dies aufgrund geänderter Beihilfevorschriften verwehrt war.

1.4.

Der EWSA verweist auf die sozialen Folgen der Finanzkrise in Bezug auf die soziale Ausgrenzung, soziale Gerechtigkeit und die Hindernisse für die Vollendung des Binnenmarktes.

1.5.

Die Bankbilanzen von wertgeminderten Krediten zu bereinigen ist unerlässlich, um die Folgen von Überschuldung in der Zukunft zu vermeiden. Der EWSA fordert überdies eine verantwortungsvolle Kreditvergabe durch die Finanzinstitute.

Gesetzlich vorgeschriebene aufsichtsrechtliche Letztsicherung

1.6.

Der EWSA begrüßt die Anwendung einer gesetzlich festgelegten aufsichtsrechtlichen Letztsicherung als vorbeugende Maßnahme, um sicherzustellen, dass ausreichende Rückstellungen für künftige notleidende Krediten gebildet werden.

1.7.

Der EWSA nimmt die Begründung des Kommissionsvorschlags zur Kenntnis und fügt hinzu, dass Letztsicherungen aufgrund der unterschiedlichen Zielstellungen des Rechnungslegungsrahmens und der aufsichtsrechtlichen Vorschriften gerechtfertigt sind.

1.8.

Der EWSA muss jedoch auch auf Folgendes hinweisen:

Bei dem Pauschalansatz bleiben die fortbestehenden Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen zivilrechtlichen Vorschriften und bei der Dauer von zivilrechtlichen Verfahren unberücksichtigt.

Der Zeitplan für die Bildung von Rückstellungen für die NPL könnte die Banken zwingen, diese Kredite schnell zu verkaufen, anstatt eine Erholung der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen/Firmen abzuwarten.

1.9.

Die Kommission sollte die besondere Lage kleinerer und spezialisierter Unternehmen mit einer nicht so komplexen Vermögensstruktur berücksichtigen.

1.10.

Der EWSA ist der Auffassung, dass IFRS 9 für alle Banken in der EU verbindlich gelten sollte.

1.11.

Der EWSA schlägt vor, eine spezifische Folgenabschätzung zur Bewertung der potenziellen Auswirkungen der vorgeschlagenen Verordnung auf die Banken, die Kreditvergabe an private Haushalte und KMU und auf das Wachstum des BIP vorzunehmen.

1.12.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die EZB bereits ihr Addendum zu diesem Thema veröffentlicht hat, ohne Rücksicht darauf, dass die Befugnis für Vorschriften der „Säule 1“ bei EP/Rat/Kommission liegt — und ohne die Leitlinien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) abzuwarten.

Entwicklung von Sekundärmärkten

1.13.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission eine Antwort auf zahlreiche Probleme der fragmentierten Sekundärmärkte für notleidende Kredite in der EU gibt und hebt die konkreten diesbezüglichen Vorschläge hervor. Gleichwohl ist er der Ansicht, dass die Regulierungsbehörden den Verkauf solcher Kredite nicht fördern dürfen.

1.14.

Der EWSA empfiehlt in Bezug auf die Auswirkungen der Kreditübertragungen:

Verbraucherschutz: Die Kommissionsvorschläge werden im Großen und Ganzen begrüßt. Die nationalen Behörden müssen die spezifischen Maßnahmen und Empfehlungen zum Schutz der Rechte des Schuldners beachten.

Arbeitnehmerschutz: die zuständigen Behörden müssen die Mobilität und den Schutz der Arbeitnehmer der an Unternehmensübertragungen beteiligten Unternehmen gemäß den EU- und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigen.

Beschleunigte außergerichtliche Realisierung von Sicherheiten

1.15.

Der EWSA begrüßt das Recht auf ein faires Verfahren vor einem nationalen Gericht, falls erforderlich und wenn die Anwendung dieses Verfahrens, wie im Richtlinienvorschlag vorgesehen, eingeschränkt wird.

1.16.

In vielen Mitgliedstaaten ist das Verfahren zur Realisierung von Sicherheiten bereits wirksam. Die Lösung des Problems der notleidenden Kredite liegt im Wesentlichen in der Stärkung der Gerichtsverfahren in der gesamten EU.

2.   Vorschläge der Europäischen Kommission

2.1.

Am 14. März legte die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung (1) zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 im Hinblick auf die Mindestdeckung notleidender Risikopositionen (NPE) zusammen mit einem Vorschlag für eine Richtlinie (2) über Kreditdienstleister, Kreditkäufer und die Verwertung von Sicherheiten vor.

2.2.

Beide Vorschläge werden von Arbeitsdokumenten der Kommission sowie Folgenabschätzungen begleitet, und am selben Tag veröffentlichte die Kommission auch ihren Zweiten Fortschrittsbericht über den Abbau notleidender Kredite in Europa (3) und eine Blaupause für die Einrichtung nationaler Vermögensverwaltungsgesellschaften (4).

2.3.

Diese Vorschläge sind wichtiger Teil der Bemühungen der Kommission um eine Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und von wesentlicher Bedeutung für die Vollendung der Bankenunion. Die hohen Bestände an notleidenden Krediten (NPL) und notleidenden Risikopositionen (NPE) abzubauen und ihre künftige Anhäufung zu verhindern, ist fester Teil der Unionsbemühungen mit dem Ziel, die Risiken im Bankensystem weiter zu verringern und dafür zu sorgen, dass sich die Banken auf die Kreditvergabe an Unternehmen und Bürger konzentrieren können.

2.4.

Der Verordnungsvorschlag der Kommission sieht eine gesetzlich vorgeschriebene aufsichtsrechtliche Letztsicherung vor. Dazu wird eine standardisierte Mindestdeckung für neu bereitgestellte Kredite, die notleidend werden, eingeführt, um ein künftiges übermäßiges Anwachsen von NPL ohne ausreichende Verlustdeckung in den Bankbilanzen zu verhindern und die Abwicklung solcher Kredite zu erleichtern.

2.5.

Mit dem Vorschlag für eine Richtlinie will die Kommission die Beitreibung von Forderungen durch ein eigenständiges gemeinsames Verfahren für die beschleunigte außergerichtliche Realisierung von Sicherheiten (AECE) effizienter gestalten. Zudem soll der Vorschlag die Entwicklung von Sekundärmärkten für notleidende Kredite fördern, indem die Anforderungen vereinheitlicht und ein einheitlicher EU-weiter Markt für die Kreditverwaltung durch Dritte und die Übertragung von Krediten an Dritte geschaffen wird.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt das Paket der Kommission, das das Kernstück der EU-Offensive zur Lösung des anhaltenden Problems der notleidenden Kredite (NLP) bildet (5) und für Fortschritte auf dem Weg zur Bankenunion von wesentlicher Bedeutung ist.

3.2.

Die Solvenz und die Stabilität des Finanzsystems sind für die EU von grundlegender Bedeutung. Deshalb ist der hohe NLP-Bestand, der sich während der Krise und der sich anschließenden Rezession in den Banken einiger Mitgliedstaaten angesammelt und in bestimmten Fällen hohe Kosten für die Steuerzahler verursacht hat, schlecht für das Finanzsystem insgesamt und die Wirtschaft.

3.3.

In den letzten Jahren haben die Finanzinstitute in der EU Fortschritte in Bezug auf die Qualität ihrer Kreditportfolios und den Gesamtbestand an NLP gemacht, wobei sich letzterer jedoch immer noch auf dem hohen Niveau von ca. 813 Mrd. EUR (6) befindet. Die Banken und die Aufsichtsbehörden verfügen zwar über die notwendigen Instrumente zur Verringerung der Zahl ausgefallener oder wertgeminderter Kredite, doch bedarf es weiterer Maßnahmen auf EU-Ebene, damit sich solche Kredite in Zukunft nicht mehr ansammeln können.

3.4.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Banken in einigen Ländern in der frühen Phase der Krise (2008-2012) in erheblichem Maße von staatlichen Beihilfen profitieren konnten, während anderen dies aufgrund geänderter Beihilferegelungen für den Finanzsektor verwehrt blieb. Aus diesem Grund sollten diese Unterschiede bei jedem Vergleich der NPL-Bestände berücksichtigt werden.

3.5.

Der EWSA weist auf die sozialen Folgen der Finanzkrise in Bezug auf die soziale Ausgrenzung, soziale Gerechtigkeit und die Hindernisse für die Vollendung des Binnenmarktes hin. In einigen Mitgliedstaaten zeigt der NLP-Bestand, wie stark die privaten Haushalte und die KMU von der Krise betroffen sind und sogar Gefahr laufen, ihren Wohnraum zu verlieren oder gepfändet zu werden.

3.6.

Die Bankbilanzen von wertgeminderten Krediten zu bereinigen ist unerlässlich, um die Folgen von Überschuldung in der Zukunft zu vermeiden, wobei der Plan des Ecofin-Rates zu diesem Ziel beitragen muss. Der EWSA fordert überdies eine verantwortungsvolle Kreditvergabe, d. h. eine stärkere Berücksichtigung der spezifischen Erfordernisse und Lebensbedingungen der einzelnen Kreditnehmer durch die Finanzinstitute und die Suche nach dem jeweils geeignetsten Finanzierungsinstrument (7).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.    Gesetzlich vorgeschriebene aufsichtsrechtliche Letztsicherung

4.1.1.

Der EWSA begrüßt die Anwendung einer gesetzlich festgelegten aufsichtsrechtlichen Letztsicherung als vorbeugende Maßnahme, um sicherzustellen, dass ausreichende Rückstellungen für künftige notleidende Krediten gebildet werden.

4.1.2.

Im Hinblick auf die Verringerung des Bestands an NPL und NPE (8) ist in der vorgeschlagenen Änderung der Eigenkapitalverordnung ein abgestufter Zeitplan für besicherte Kredite (über 8 Jahre) und unbesicherte Kredite (2 Jahre) vorgesehen.

4.1.3.

Die Kommission begründet den Vorschlag folgendermaßen (9):

Die Arbeit mit Kreditrisiken ist aus aufsichtsrechtlicher Perspektive möglicherweise nicht immer angemessen, denn die Beaufsichtigung unterscheidet sich in Anwendungsbereich, Ziel und Zweck.

Der IFRS 9 (10) wird wahrscheinlich eine viel stärkere Annäherung an die aufsichtsrechtlichen Standards bewirken als die IAS 39 (11) und zur Bewältigung des Problems verspäteter oder nicht ausreichender Rückstellungen beitragen, da dieser Standard dem Ansatz des „erwarteten Ausfalls“ folgt. Der neue Standard lässt jedoch einen Ermessensspielraum, unter anderem wenn es um die Bewertung der NPL und der zugrunde liegenden Sicherheiten und somit um die Bestimmung der Rückstellungen geht.

Im Rahmen der aufsichtsrechtlichen Vorschriften können die für das Finanzinstitut zuständigen Aufsichtsbehörden die Höhe der Rückstellungen eines Instituts (auch für NPL) beeinflussen und spezifische Anpassungen der Eigenmittelberechnungen dieses Instituts verlangen. Verbindliche Maßnahmen und Anforderungen (Maßnahmen der Säule 2) können jedoch von der Aufsichtsbehörde nur auf einer Einzelfallbasis in Abhängigkeit von den spezifischen Umständen des jeweiligen Instituts angewandt werden.

Maßgeschneiderte aufsichtsrechtliche Maßnahmen auf der Grundlage einer Einzelfallbewertung durch eine zuständige Aufsichtsbehörde sind geeignete Maßnahmen zur Bewältigung spezifischer NPL-bedingter Risiken bestimmter Institute.

4.1.4.

Der EWSA würde hinzufügen, dass Letztsicherungen auch aufgrund der unterschiedlichen Zielstellungen des Rechnungslegungsrahmens und der aufsichtsrechtlichen Vorschriften gerechtfertigt sind.

4.1.5.

Der EWSA muss jedoch auch auf Folgendes hinweisen:

In der vorgeschlagenen Verordnung, die einem Pauschalansatz folgt, bleiben die fortbestehenden Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen zivilrechtlichen Vorschriften und bei der Dauer von zivilrechtlichen Verfahren unberücksichtigt.

Der Zeitplan für die Bildung von Rückstellungen für die NPL könnte die Banken zwingen, diese Kredite schnell zu verkaufen, anstatt eine Erholung der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen/Firmen abzuwarten. Das könnte die Chancen für eine Umschuldung und für eine zweite Chance für Unternehmer schmälern, mit potentiell schweren negativen Auswirkungen auf sozialer Ebene und auf die Beschäftigung.

Einer Untersuchung (12) zufolge ist für kleinere und spezialisierte Unternehmen mit einer nicht so komplexen Vermögensstruktur die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie von der gleichzeitigen Einführung des IFRS 9 und der aufsichtsrechtlichen Letztsicherung für NPE besonders hart getroffen werden. Die Kommission sollte prüfen, ob der Vorschlag nicht genauer und in die Tiefe ausgearbeitet werden sollte, um dieses Problem zu berücksichtigen.

4.1.6.

Die vorgeschlagenen Letztsicherungen könnten zwar die Unterschiede bei den Rückstellungen verringern, die sich aus der Übernahme unterschiedlicher Rechnungslegungsvorschriften ergeben (IFRS 9 gegenüber nationalen GAAP (13)), doch der EWSA ist der Ansicht, dass IFRS 9 für alle Banken in der EU verbindlich gelten sollte.

4.1.7.

Der EWSA schlägt vor, dass eine spezifische Folgenabschätzung zur Bewertung der potenziellen Auswirkungen der vorgeschlagenen Verordnung auf die Banken, die Kreditvergabe an private Haushalte und KMU und auf das Wachstum des BIP vorgenommen werden sollte.

4.1.8.

Andere Risiken könnten ähnliche Probleme hervorbringen wie NPL, insbesondere Risiken im Zusammenhang mit hochkomplexen Derivaten und eingezogenen Sicherheiten der Stufe 2 und 3. Vor diesem Hintergrund ist der EWSA der Ansicht, dass diese Risiken in die Prioritätenliste für die Risikominderung aufgenommen werden sollten.

4.1.9.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die EZB bereits ihr Addendum zu diesem Thema veröffentlicht hat, ohne Rücksicht darauf, dass die Befugnis für Vorschriften der „Säule 1“ bei EP/Rat/Kommission liegt — und ohne die EBA-Leitlinien abzuwarten, über die derzeit noch beraten wird. Dies ist möglicherweise ein Verstoß gegen die Grundsätze der besseren Rechtsetzung. Das Addendum der EZB zu NPL sollte deshalb an den künftigen NPL-Rahmen der Säule 1 angepasst werden, um die Kohärenz der EU-Vorschriften auch weiterhin zu gewährleisten.

4.2.    Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Sekundärmärkte für NPL

4.2.1.

In der EU sind Transaktionen auf Sekundärmärkten relativ gering ausgeprägt (14). Zu den Ursachen gehören: Fragmentierte Rechtsvorschriften, rechtliche Einschränkungen für die Inhaber bestimmter Anlageklassen, für den Geltungsbereich der Mitwirkung von Dienstleistungsunternehmen und für die Art von Anlegern (in einigen Fällen dürfen nur Kreditinstitute NPL erwerben oder Dienstleistungen dafür erbringen) und unterschiedliche Ansichten der lokalen Finanzinstitute und der ausländischen Anleger in Bezug auf die gesamtwirtschaftlichen Aussichten. Nach Ansicht des EWSA gibt die Kommission auf viele dieser Probleme eine Antwort.

4.2.2.

Eines der Hauptprobleme für den NPL-Markt ist das Fehlen hochwertiger Daten zu notleidenden Krediten, was zu Informationsasymmetrien führt. Der EWSA begrüßt die Datenvorlagen, die für einheitliche und standardisierte Daten zu notleidenden Krediten sorgen sollen.

4.2.3.

Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass die Regulierungsbehörden den Verkauf von NPL nicht fördern dürfen, denn die Verwaltung wertgeminderter Kredite innerhalb der Banken könnte bei einer Beitreibung der Kredite einen höheren Wert abwerfen als ihr Verkauf.

4.2.4.

Der EWSA betont und begrüßt folgende Aspekte des Kommissionsvorschlags:

Kreditdienstleister: In den Bestimmungen werden EU-weit besondere Voraussetzungen und Verfahren für die Erteilung, Verweigerung oder den Entzug einer Zulassung von Kreditdienstleistern festgelegt (Artikel 5 bis 7). „Sie müssen ausreichend gut beleumundet sein, sie dürfen nicht […] in das Strafregister […] eingetragen sein, sie dürfen nicht Gegenstand eines laufenden Insolvenzverfahrens sein […]“. Darin geregelt werden auch die Register der Kreditdienstleister (Artikel 8), die vertragliche Beziehung mit dem Kreditgeber (Artikel 9), die Auslagerung von Dienstleistungen (Artikel 10) und die grenzübergreifende Erbringung von Kreditdienstleistungen (Artikel 11 und 12).

Kreditkäufer: Der Kreditgeber wird verpflichtet, dem Kreditkäufer alle benötigten Informationen über den Kreditvertrag zur Verfügung zu stellen (Artikel 13), und zwar nach den technischen Standards, die die EBA ausarbeiten wird (Artikel 14). Der Kreditkäufer unterliegt keinen anderen Anforderungen als den nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie (Artikel 15). Kreditkäufer können den Kreditvertrag direkt durchsetzen (Artikel 18) oder weiter übertragen (Artikel 19).

Die Inanspruchnahme von Kreditdienstleistern, Kreditinstituten oder deren Tochterunternehmen, die eine aktive Rolle bei den Transaktionen im Zusammenhang mit NPL spielen, wird in Artikel 16 geregelt.

Beaufsichtigung: Ein wesentlicher Aspekt, bei dem EU-weit die gleichen Regeln angewandt werden müssen, ist die Aufsichtsfunktion der zuständigen nationalen Behörden und die Verhängung von Verwaltungsstrafen (Artikel 20-22).

Datenschutz: Eine Bedingung für die Übertragung eines Kredits ist „die Achtung der Rechte von Kreditnehmern und die Einhaltung der Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten gemäß den für den Kreditvertrag geltenden gesetzlichen Vorschriften“ (Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c).

4.2.5.   Verbraucherschutz

Nach Auffassung des EWSA ist im Bereich der Finanzdienstleistungen ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten.

Diesbezüglich begrüßt er den Grundsatz, dass „unabhängig davon, wer den Kredit besitzt oder verwaltet und welche Rechtsvorschriften im Mitgliedstaat des Kreditkäufers oder Kreditdienstleisters gelten, dasselbe Schutzniveau zu gewährleisten“ ist. Insbesondere sind die Bestimmungen der Hypothekarkredit-Richtlinie (15), der Verbraucherkreditrichtlinie (16) und der Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln (17) zu beachten.

Der EWSA unterstreicht auch die Pflichten des Kreditgebers gegenüber dem Verbraucher im Fall von Änderungen des Kreditvertrags (Artikel 34).

Der EWSA stellt fest, dass die Übertragung eines Kredits bedeutet, dass der Schuldner es nun mit einem Nichtfinanzunternehmen zu tun hat, das andere Mitarbeiter hat, andere Arbeitsmethoden anwendet und einen anderen Zweck verfolgt. Daher sollten die nationalen Behörden die Maßnahmen und Empfehlungen zum Schutz der Rechte des Schuldners beachten; als Beispiel hierfür sei das Consumer Financial Protection Bureau in den USA angeführt (18).

4.2.6.   Schutz der Arbeitnehmer

In allen Fällen von Kreditübertragungen auf externe Unternehmen müssen die zuständigen Behörden die Mobilität und den Schutz der Arbeitnehmer der an diesen Übertragungen beteiligten Unternehmen gemäß den EU- und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigen.

4.3.    Beschleunigte außergerichtliche Realisierung von Sicherheiten (AECE)

4.3.1.

Der EWSA begrüßt, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass der Unternehmensschuldner die Anwendung dieses Verfahrens vor einem nationalen Gericht anfechten kann (Artikel 28). Dadurch sollte das Grundrecht der Bürger und der Unternehmen auf ein faires Verfahren (19) angemessen gewährleistet sein, insbesondere im Fall unlauterer oder missbräuchlicher Vertragsklauseln.

4.3.2.

Gleichwohl nimmt der EWSA die von einigen Mitgliedstaaten geäußerten Bedenken zur Kenntnis, dass ein solches Instrument die Realisierung von Sicherheiten gerade in den Mitgliedstaaten deutlich beschleunigen könnte, in denen die Vollstreckungsverfahren bei Gericht bereits in kurzer Zeit durchgeführt werden. Außergerichtliche Verfahren mögen im Interesse des Kreditgebers liegen, doch die Lösung des Problems der NPL besteht hauptsächlich darin, die gerichtlichen Verfahren in der gesamten EU zu stärken.

4.3.3.

In jedem Fall begrüßt der EWSA die in dem Vorschlag vorgesehenen Einschränkungen für die Verwendung des AECE-Verfahrens. Erstens erstreckt sich das Verfahren nur auf Vereinbarungen zwischen Kreditgebern und Unternehmensschuldnern. Darüber hinaus sind ausdrücklich ausgenommen:

Verbraucher im Rahmen einer nicht gewerblichen Tätigkeit (20);

Gesellschaften, die keinen Erwerbszweck verfolgen;

Finanzsicherheiten (21), und

Wohnimmobilien, die der Hauptwohnsitz eines Unternehmensschuldners sind (22).

4.4.    Blaupause über Vermögensverwaltungsgesellschaften

Vorschriften über staatliche Beihilfen

4.4.1.

Der EWSA stimmt mit der Kommission überein, dass Vermögensverwaltungsgesellschaften in einigen Mitgliedstaaten, vor allem im Zuge der Finanzkrise, ein wichtiger Teil der Lösungen zur Bereinigung der Bankbilanzen waren. Er ist jedoch ebenfalls der Auffassung, dass sie im Falle von öffentlich geförderten oder besicherten Instrumenten auch das Risiko für die Finanzstabilität erhöhen und auch die negative Rückkopplung zwischen Staaten und Banken (sovereign feedback loop) verstärken können.

4.4.2.

Der EWSA spricht sich daher für die Kohärenz und Konsistenz mit dem EU-Rechtsrahmen und insbesondere mit der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD) (23) und mit der Verordnung über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRMR) (24) aus.

4.4.3.

In der Praxis sind fast alle nationalen Vermögensverwaltungsgesellschaften in irgendeiner Form in den Genuss staatlicher Unterstützung gekommen: Sicherheiten zur Deckung von Verlusten oder zur Sicherstellung der Finanzierung dieser Gesellschaften (das kann dazu führen, dass diese Gesellschaften ein „Länderrating“ bekommen, sodass ihre Wertpapiere zum Beispiel als Sicherheiten bei Pensionsgeschäften eingesetzt werden können); Vermögensverwaltungsgesellschaften kaufen Vermögenswerte über ihrem Marktwert (den Preis, den ein Anleger zahlen würde), da sie von der langfristigen wirtschaftlichen Perspektive ausgehen, wobei der über den Marktwert hinausgehende Preis eine staatliche Beihilfe darstellt und von der Europäischen Kommission auf Bankenebene genehmigt werden muss; Rekapitalisierung von Banken, die an Vermögensverwaltungsgesellschafts-Systemen beteiligt sind, durch den Staat (25).

4.4.4.

Auch wenn staatliche Unterstützung in einigen Formen erlaubt ist, verlangen die jüngsten EU-Vorschriften, dass zumindest die nachrangigen Verbindlichkeiten einer Bank für einen Bail-in herangezogen werden (abgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt werden), sodass die Last von Rekapitalisierungen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor zumindest geteilt wird.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 134 final — Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 im Hinblick auf die Mindestdeckung notleidender Risikopositionen.

(2)  COM(2018) 135 final — Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Kreditdienstleister, Kreditkäufer und die Verwertung von Sicherheiten.

(3)  COM(2018) 133 final — Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat und die Europäische Zentralbank — Zweiter Fortschrittsbericht über den Abbau notleidender Kredite in Europa.

(4)  SWD(2018) 72 final — AMC Blueprint (Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen als Beilage zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat und die Europäische Zentralbank — Zweiter Fortschrittsbericht über den Abbau notleidender Kredite in Europa).

(5)  Schlussfolgerungen des Rates zum Aktionsplan für den Abbau notleidender Kredite in Europa (11. Juli 2017).

(6)  EBA risk dashboard, Daten für Q4 2017.

(7)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Verschuldung und soziale Ausgrenzung in der Überflussgesellschaft“ (ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 74).

(8)  NPE-Definition der Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA): „NPE ist jede Position, die seit über 90 Tagen fällig ist oder ohne die Verwertung von Sicherheiten wahrscheinlich nicht bedient wird, selbst wenn sie nicht als ausgefallene oder wertgeminderte Position anerkannt ist. Ausgefallene oder wertgeminderte Risikopositionen im Sinne von Artikel 178 der Eigenkapitalverordnung bzw. des geltenden Rechnungslegungsrahmens sind grundsätzlich als notleidend zu betrachten. Außerdem sind alle Risikopositionen gegenüber einem Schuldner als notleidend zu betrachten, wenn die seit mehr als 90 Tagen überfällige Kredite dieses Schuldners in den Büchern 20 % der bilanziellen Gesamtrisikoposition gegenüber diesem Schuldner erreichen (Sogwirkung). Die Gesamt-NPE ergibt sich als Summe der notleidenden Kredite, notleidenden Schuldtitel und notleidenden außerbilanziellen Posten.“

(9)  Konsultationspapier zu gesetzlichen Letztsicherungen.

(10)  International Financial Reporting Standard (Internationaler Rechnungslegungsstandard). Seit 1.1.2018 in Kraft.

(11)  International Accounting Standards (Internationale Rechnungslegungsstandards).

(12)  Eurofinas: Beitrag zu der von der Kommission eingeleiteten Konsultation zu gesetzlich vorgeschriebenen aufsichtsrechtlichen Letztsicherungen.

(13)  Allgemein anerkannte Rechnungslegungsgrundsätze.

(14)  KPGM: 100 Mrd. EUR, d. h. weniger als 10 % des NPL-Bestands.

(15)  Richtlinie 2014/17/EU (ABl. L 60 vom 28.2.2014, S. 34).

(16)  Richtlinie 2011/83/EU (ABl. L 304 vom 22.11.2011, S. 64).

(17)  Richtlinie 93/13/EU (ABl. L 95 vom 21.4.1993, S. 29).

(18)  https://www.consumerfinance.gov/about-us/newsroom/consumer-financial-protection-bureau-reminds-mortgage-servicers-of-legal-protections-for-consumers-when-transferring-loans.

(19)  Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Artikel 47.

(20)  Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge, Artikel 3 Buchstabe a.

(21)  Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten, Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a.

(22)  „Im Zuge der Finanzkrise wurden zahlreiche Immobilienerwerber zahlungsunfähig und mussten ihre Immobilien zu Schleuderpreisen verkaufen“. Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Wohnimmobilienkreditverträge“ (ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 133).

(23)  Richtlinie 2014/59/EU.

(24)  Verordnung (EU) Nr. 806/2014 (ABl. L 225 vom 30.7.2014, S. 1).

(25)  KPGM.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/50


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über das auf die dingliche Wirkung von Wertpapiergeschäften anzuwendende Recht

(COM(2018) 89 final)

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds

(COM(2018) 92 final — 2018/0041 (COD))

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht

(COM(2018) 96 final — 2018/0044 (COD))

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Vertriebs von Investmentfonds und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 345/2013 und (EU) Nr. 346/2013

(COM(2018) 110 final — 2018/0045 (COD))

(2018/C 367/10)

Berichterstatter:

Petr ZAHRADNÍK

Befassung

Rat der Europäischen Union, 12.4.2018

Europäisches Parlament, 16.4.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 53 Absatz 1 und Artikel 114 und 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

27.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

152/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA unterstützt die systematischen Bemühungen um eine Bereitstellung aller wesentlichen Elemente der Kapitalmarktunion bis zum Jahr 2019 und geht davon aus, dass die Kapitalmarktunion Vorteile in Gestalt erweiterter Investitionsmöglichkeiten, eines effektiveren Finanzvermittlungsprozesses, einer Diversifizierung der Investitionen und einer besseren Fähigkeit zur Risikobewältigung mit sich bringen wird.

1.2.

Für den EWSA ist es wichtig, dass bei der Schaffung neuer Möglichkeiten für den grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Anforderungen des Investorenschutzes, der in dieser Frage an erster Stelle steht, und der Sicherstellung ausreichender Innovationsmöglichkeiten für die Entwickler und Vertriebshändler von Anlageprodukten gewahrt wird.

1.3.

Der EWSA ist übereinstimmend mit der Europäischen Kommission der Auffassung, dass Anforderungen an das Marketing, behördliche Gebühren, Anzeigeverfahren und Verwaltungsanforderungen auf einzelstaatlicher Ebene gegenwärtig die wesentlichen regulatorischen Hindernisse für den grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds darstellen. Er ist sich gleichzeitig weiterer Hindernisse bewusst, die jedoch nicht Gegenstand der vorgeschlagenen Maßnahmen sind, z. B. steuerlicher Regelungen, deren Harmonisierung eher auf lange Sicht tatsächlich durchführbar ist.

1.4.

Der EWSA ist jedoch gleichzeitig der Ansicht, dass sich die Hauptgründe für die Hindernisse beim grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds nicht in erster Linie aus den gegenwärtigen Verordnungen und Richtlinien, sondern vor allem aus dem Fehlen detaillierter Leitlinien und Anweisungen seitens der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) ableiten lassen, was zur Folge hat, dass in den einzelnen nationalen Rechtsprechungen unterschiedliche Vorschriften gelten. Die Mehrzahl der Vorschläge sollte daher mit detaillierten und erläuternden Anweisungen der ESMA einhergehen. Der Vorschlag für die neue Verordnung sollte nur den allgemeinen Rahmen vorgeben, durch den ein einheitliches Herangehen an die Regelungen gewährleistet wird.

1.5.

Nach dem Dafürhalten des EWSA müssen die Möglichkeiten zur „kreativen“ Gestaltung von Gebührenstrukturen auf einzelstaatlicher Ebene eingeschränkt und klar definierte, eindeutige und innerhalb der EU einheitliche nationale Bestimmungen angestrebt werden, damit Größenvorteile ihre Wirkung entfalten können.

1.6.

Der EWSA begrüßt und unterstützt die Absicht, die Transparenz im Bereich der behördlichen Gebühren zu stärken, da dies zu einer wesentlichen Beschleunigung der Verfahren beim grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds beitragen kann. Der ESMA kommt in dieser Hinsicht eine maßgebliche Rolle zu.

1.7.

Der EWSA fordert, dass Vorschriften für die systematische Anzeige von Marketingmitteilungen eingeführt werden, die letztendlich ausreichend streng sein müssen, damit Praktiken, die möglicherweise zu einer Fragmentierung des Marktes in der EU führen, nicht fortgeführt werden können.

1.8.

Der EWSA begrüßt die Schaffung einer ESMA-Datenbank, merkt jedoch an, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu zusätzlichen Meldeanforderungen für die Vermögensverwalter kommen sollte und dass diese Anforderungen ausschließlich für die jeweiligen nationalen Behörden gelten sollten.

1.9.

Im Zusammenhang mit den vorgeschlagenen Vorschriften für die Einstellung des Vertriebs und des Marketings von Investmentfonds neigt der EWSA zu der Meinung, dass die Entscheidung über eine solche Einstellung nicht zwingend und von der Entscheidung der Vermögensverwalter abhängig sein sollte.

1.10.

Der EWSA empfiehlt, ausführlichere Vorschriften festzulegen, damit eine Prüfung der Qualifikation und Eignung der Personen garantiert ist, die die Wertpapierdienstleistungen erbringen.

2.   Hintergrund und weiterer Kontext: bis zum Jahr 2019 alle Elemente der Kapitalmarktunion einführen

2.1.

Die Kapitalmarktunion ist ein langfristiges Projekt der EU zur Stärkung der Effizienz und Wirksamkeit des Finanzvermittlungsprozesses. Ihre Auswirkungen sollen sich nach 2019, wenn voraussichtlich alle jetzt erwogenen Komponenten der Kapitalmarktunion bereitgestellt sein werden, in der Schaffung eines langfristig günstigen Umfelds für Investitionen bemerkbar machen, das zu einem starken wirtschaftlichen Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung beitragen wird.

2.2.

Im Zusammenspiel mit der Bankenunion fördert eine funktionierende Kapitalmarktunion den Binnenmarkt und stärkt die Wirtschafts- und Währungsunion. Gleichzeitig trägt sie zu einer weltweit höheren Attraktivität der EU für Investitionen bei. Sehr wesentlich ist die Stärkung des Aspekts der Diversifizierung als Verfahren der grenzüberschreitenden privaten Risikoteilung. Damit der gewünschte Effekt eintritt, muss die Verbreitung von Aktiva geringer Qualität verhindert werden, anderenfalls würde sich das Risiko noch erhöhen.

2.3.

Die Vorschläge der Europäischen Kommission knüpfen an die seit dem Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion von 2015 ergriffenen Maßnahmen an und zielen auf eine effektive Mobilisierung von Kapital und dessen renditeabhängiger Verteilung ab, damit dieses für alle Unternehmenstypen einschließlich kleiner und mittlerer Betriebe zur Verfügung steht.

2.4.

Die aktuellen Vorschläge der Europäischen Kommission betreffen die Förderung des grenzüberschreitenden Markts für Investmentfonds und sind auf den Markt für gedeckte Schuldverschreibungen innerhalb der EU als Quelle der langfristigen Finanzierung sowie auf die Schaffung von mehr Rechtssicherheit für grenzüberschreitende Geschäfte mit Wertpapieren und Forderungen ausgerichtet. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollten unter Berücksichtigung ihrer Verknüpfung untereinander wahrgenommen werden. Dabei ist es ebenso unbedingt erforderlich, den Aktionsplan zur Finanztechnologie und den Aktionsplan für nachhaltige Finanzierung zu berücksichtigen, da diese Aktionspläne für die Schaffung einer vollwertigen Kapitalmarktunion auch sehr wichtig sind.

2.5.

Ziel ist es, bis zum Jahr 2019 zumindest in drei Bereichen größere Fortschritte bei der Kapitalmarktunion zu erreichen: Stärkung der Rolle der „europäischen Marken und Pässe“ für Finanzprodukte, harmonisierte und vereinfachte Vorschriften für die grenzüberschreitende Vertiefung und Homogenisierung der Kapitalmärkte und Sicherstellung einer konsequenteren und wirksameren Kapitalmarktaufsicht.

2.6.

Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen werden ein höheres Maß an Integration und Homogenität auf dem Markt für Investmentfonds, eine Verringerung der Kosten auf grenzüberschreitender Ebene, eine deutliche Stärkung des Angebots für Investoren und ein auf gemeinsamen Vorschriften beruhender stärkerer Investorenschutz bezweckt. Somit stellt die Öffnung der Märkte für den grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds eine Chance dar, die jedoch die Notwendigkeit mit sich bringt, rechtliche und sonstige Hindernisse in den Mitgliedstaaten zu beseitigen.

3.   Sinn der Maßnahmen zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Vertriebs von Investmentfonds

3.1.

Investitionsfonds sind ein wichtiges Instrument der Finanzvermittlung, das es ermöglicht, privates und öffentliches Finanzvermögen zuzuweisen und in reale unternehmerische Projekte sowie in Projekte im Rahmen produktiver öffentlicher Investitionen fließen zu lassen. Das Volumen der Investmentfonds in der EU beträgt 14 300 Milliarden EUR und kommt so dem Wert des BIP der Union sehr nahe.

3.2.

Das Potenzial der Investmentfonds wird jedoch bisher im grenzüberschreitenden Kontext noch nicht voll ausgeschöpft, da nur ungefähr 37 % der Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren und nur ca. 3 % der alternativen Investmentfonds in mehr als drei Mitgliedstaaten für den Verkauf registriert sind.

3.3.

Neben den weiterhin bestehenden natürlichen Hindernissen liegt dies auch in den regulatorischen Beschränkungen begründet, die einem grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds in größerem Umfang im Wege stehen. Der Sinn der Vorschläge der Europäischen Kommission besteht darin, die Zahl dieser Beschränkungen für alle Arten von Investmentfonds zu reduzieren und den grenzüberschreitenden Vertrieb dieser Fonds zu vereinfachen, was zu einer Beschleunigung des Vertriebs und dank der Größenvorteile zu einer Verbilligung der vertriebenen Produkte führen sollte. Regulatorische Hindernisse lassen sich vor allem im Hinblick auf Anforderungen an das Marketing, behördliche Gebühren, Anzeigeverfahren und Verwaltungsanforderungen auf einzelstaatlicher Ebene ausmachen. Die Hindernisse können beseitigt werden, indem für Transparenz und Harmonisierung gesorgt wird. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind durchweg technischer Art.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die Hauptgründe der Hindernisse beim grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds nicht in erster Linie aus den vorhandenen einschlägigen Verordnungen und Richtlinien, sondern aus dem Fehlen detaillierter Leitlinien bzw. Anweisungen seitens der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) und somit auch aus den in den verschiedenen europäischen Rechtsprechungen geltenden unterschiedlichen Vorschriften ableiten lassen. Die neue Verordnung sollte somit für ein Minimum an Fällen eingesetzt werden, während die Mehrzahl der Vorschläge auf detaillierte und erläuternde Anweisungen der ESMA, mit denen eine klare Erläuterung der geltenden Vorschriften sichergestellt würde, und nicht auf die Einführung neuer Normen abzielen sollte. Dadurch würde an den bisherigen, positiven Beitrag der ESMA zu einer Vereinheitlichung der geltenden Vorschriften angeknüpft.

4.2.

Der EWSA hält die in dieser Stellungnahme vorgeschlagenen Maßnahmen für wesentlich, wenngleich eine Reihe dieser Maßnahmen vorrangig flankierende Lösungen technischer Art sind. In ihrem Gesamtzusammenhang leisten sie jedoch einen erheblichen Beitrag zum Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Gleichzeitig empfiehlt der EWSA die Aufnahme der vier Vorlagen in einen neuen, umfassenden Vorschlag für eine Verordnung.

4.3.

Nach dem Dafürhalten des EWSA muss bei der Einführung neuer Spielregeln ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Anforderungen an den Investorenschutz und der Sicherstellung ausreichender Innovationsmöglichkeiten für die Entwickler und Vertriebshändler von Anlageprodukten gewahrt bleiben. Der Effekt des Investorenschutzes wird durch eine systematische Finanzbildung verstärkt.

4.4.

Hochwertige EU-Rechtsvorschriften, z. B. die Vorschriften in Bezug auf bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere (OGAW) und die Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds, sollten Vorrang vor allgemeinen Vorschriften in der Art der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) haben, da die praktische Erfahrung zeigt, dass die OGAW und die Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds einen hochwertigen Rahmen für Investmentfonds bilden, während die MiFID nach Ansicht des EWSA neben einer Reihe von Vorteilen auch mit einer Reihe von Unsicherheiten verbunden ist und infolgedessen paradoxerweise eine weitere Fragmentierung des Binnenmarktes und Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten mit sich gebracht hat.

4.5.

Der EWSA erkennt die Tatsache an, dass es für den grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds eines stabilen Steuersystems bedarf, mit dem die Voraussetzungen für ein nachhaltiges Geschäftsumfeld geschaffen werden. Eine vollständige Harmonisierung der Steuervorschriften einschließlich der Steuersätze steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht an. Dennoch kann eingeräumt werden, dass das Bemühen um eine Steuerharmonisierung in der Zukunft zur Schaffung einheitlicher Steuerbedingungen innerhalb dieses Bereichs in der gesamten EU beitragen kann. Die momentanen Bemühungen um eine Annäherung von Steuerparametern sind jedoch auf andere steuerliche Instrumente gerichtet.

4.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten zur „kreativen“ Gestaltung von Gebührenstrukturen (die zur Deckung notwendiger Kosten oftmals über den Rahmen der europäischen Vorschriften hinausgehen) eingeschränkt und klar definierte, eindeutige und einheitliche nationale Bestimmungen angestrebt werden müssen, damit Größenvorteile ihre Wirkung entfalten können.

4.7.   Mitteilung der Kommission über das auf die dingliche Wirkung von Wertpapiergeschäften anzuwendende Recht

4.7.1.

Der EWSA begrüßt das Ziel, Maßnahmen zur Verringerung der Rechtsunsicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäften mit Wertpapieren und Forderungen zu treffen. Er erachtet es als wichtig, für Klarheit und Vorhersehbarkeit zu sorgen, wenn es um die Frage geht, nach welchem nationalen Recht bestimmt werden soll, wer Eigentümer der einem Geschäft zugrunde liegenden Aktiva ist, da aus Unsicherheit resultierende rechtliche Risiken zur Entstehung nachträglicher Verluste führen können. Es ist daher von grundsätzlicher Bedeutung und unbedingt erforderlich, die Rechtsterminologie zur Spezifizierung der dinglichen und der schuldrechtlichen Komponente zu erläutern.

4.8.   Verordnung über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht

4.8.1.

Bezug nehmend auf diese Mitteilung begrüßt der EWSA die Absicht, die vorstehend beschriebene Rechtsunsicherheit zu beseitigen, indem durch die vorgeschlagenen einheitlichen Vorschriften das nationale Recht bezeichnet wird, nach dem sich das Inhaberrecht an einer grenzüberschreitend übertragenen Forderung bestimmen soll. Durch grenzüberschreitende Forderungsübertragungen können sich Unternehmen mithilfe spezialisierter Unternehmen Liquidität und Zugang zu Krediten verschaffen. Der EWSA erkennt an, dass Rechtssicherheit in diesen Bereichen grenzüberschreitende Investitionen und die Einbeziehung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) fördert; das betrifft Factoring, Besicherung und Verbriefung.

4.9.   Richtlinie über den grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds

4.9.1.

Der EWSA unterstützt die Schaffung entsprechender Voraussetzungen, damit das grenzüberschreitende Potenzial für den Vertrieb von Investmentfonds besser genutzt werden kann, wobei die einzelstaatlichen Anforderungen an das Inverkehrbringen auf nationaler und auf EU-Ebene und die Gestaltung der behördlichen Gebühren auf EU-Ebene transparenter sein sollten und bestimmte gemeinsame allgemeine Grundsätze bei deren Festlegung respektiert werden sollten.

4.9.2.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Auswahl der Einrichtungen zur Unterstützung der lokalen Anleger vorrangig den Verwaltern von Investmentfonds überlassen werden.

4.9.3.

Der EWSA begrüßt die Vereinheitlichung der Verfahren für die Anwendung des „Passes“, der den Vertrieb von Investmentfonds im grenzüberschreitenden Kontext ermöglicht.

4.9.4.

Der EWSA ist einverstanden mit der Schaffung harmonisierter Vorschriften für Marketing-Anzeigen.

4.9.5.

Der EWSA unterstützt die Entwicklung eines Systems, mit dem die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Rechtsvorschriften, die den grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds auf ihrem Hoheitsgebiet regeln, problemlos zugänglich sind (in elektronischer Form und in einer im internationalen Finanzwesen üblichen Sprache).

4.10.   Verordnung zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Vertriebs von Investmentfonds

4.10.1.

Der EWSA begrüßt den wesentlichen Zweck der vorgeschlagenen Verordnung, nämlich ein gemeinsames Verständnis bei der Definition der Anforderungen an Marketing-Anzeigen und der Maßnahmen zu gewährleisten, um die Transparenz der nationalen Bestimmungen bezüglich der Anforderungen beim Vertrieb von Fonds sicherzustellen.

4.10.2.

Der EWSA befürwortet das vorgeschlagene Verfahren, bei dem die Gebühren in einem angemessenen Verhältnis zu den wahrgenommenen Aufsichtsaufgaben stehen. Der EWSA erwartet einen Beitrag dazu durch die Einrichtung einer Online-Datenbank mit den Gebühren und den einschlägigen Methoden für die Berechnung dieser Gebühren. Er empfiehlt jedoch, diesen Beitrag gegenüber den verursachten Kosten zu bewerten und mögliche Risiken im Zusammenhang mit der Funktionsweise der Datenbank zu ermitteln. Der EWSA erwartet die Ausarbeitung technischer Durchführungsstandards für die Informationen über die Gebühren und deren Veröffentlichung sowie die Pflege der Online-Datenbank über die Gebühren durch die ESMA.

4.10.3.

Der EWSA begrüßt die Festlegung von Anforderungen für den Informationsfluss und deren Standardisierung und Vereinfachung ebenso wie die Regelung des Pre-Marketings, in dessen Verlauf das Interesse der Investoren an den Investitionsmöglichkeiten und -strategien getestet wird.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Im Zusammenhang mit den von den zuständigen nationalen Behörden auferlegten Gebühren und Zahlungen und mit deren Transparenz unterstützt der EWSA die Absicht, die Transparenz der behördlichen Gebühren zu erhöhen und die Rolle der ESMA bei der Erfassung der erforderlichen Informationen genau zu definieren. Nach Auffassung des EWSA kann diese Maßnahme zu einer weiteren Vereinfachung des grenzüberschreitenden Vertriebs von Investmentfonds beitragen.

5.2.

Es wird vorgeschlagen, auf der Ebene der zuständigen nationalen Behörden Vorschriften für die systematische Anzeige von Marketing-Mitteilungen einzuführen, um diese einer Ex-ante-Prüfung unterziehen zu können. Dennoch können unterschiedliche Vorschriften der zuständigen nationalen Behörden nach Ansicht des EWSA zu einer Fragmentierung des Markts in der EU führen, und daher sollte es hier innerhalb des Binnenmarktes keine Unterschiede geben. Deshalb empfiehlt der EWSA, den einzelnen zuständigen nationalen Behörden diesbezüglich keine unterschiedliche Herangehensweise zu ermöglichen.

5.3.

Der EWSA begrüßt zwar die Schaffung einer Datenbank der ESMA, die die Verwalter alternativer Investmentfonds und die OGAW-Verwaltungsgesellschaften, die AIF und OGAW enthält, fügt jedoch hinzu, dass es nicht wünschenswert ist, den Vermögensverwaltern weitere Meldepflichten aufzuerlegen. Nach Auffassung des EWSA sollte somit klar sein, dass die Meldepflichten, die in den Artikeln 10 und 11 des Vorschlags für eine Verordnung vorgesehen sind, Meldepflichten für die einzelnen zuständigen nationalen Behörden sein sollten, die ihrerseits den Marktteilnehmern keine weitere Meldepflicht auferlegen sollten.

5.4.

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass der Vorschlag für eine Definition des Pre-Marketings sich nicht auf die Definition in der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds stützen sollte, wobei es weiterer Rechtssicherheit und Kohärenz bedarf, die sich — wie praktische Erfahrungen zeigen — eher bzw. ausschließlich auf dem Weg nichtlegislativer Mittel und Instrumente erreichen lassen. Der EWSA befürchtet, dass der Vorschlag zu unterschiedlichen, der Erläuterung dienenden Auslegungen in den Mitgliedstaaten und so zu einer weiteren Fragmentierung des Binnenmarktes führen könnte.

5.5.

Im Zusammenhang mit den Vorschriften für die Einstellung des Vertriebs und des Marketings von Investmentfonds ist der EWSA der Auffassung, dass die vorgeschlagenen Bestimmungen aus der Perspektive der Investmentfonds zu Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt führen könnten. Die Entscheidung über eine Einstellung des Marketings von Anteilen/Aktien eines beliebigen Investmentfonds in einer beliebigen Rechtsordnung sollte ausschließlich eine unternehmerische Entscheidung der betreffenden Vermögensverwaltungsgesellschaft sein. Unter dem Gesichtspunkt des Investorenschutzes werden folgende (mit praktischen Erfahrungen belegte) Schutzmaßnahmen als ausreichend angesehen:

öffentliche Bekanntmachung der Entscheidung,

Unterrichtung der Investoren,

Gewährung der Möglichkeit für die Investoren, innerhalb eines bestimmten Zeitraums kostenlos aus dem Fonds auszusteigen.

5.6.   Weitere Hindernisse für den grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds

5.6.1.

Ein weiteres Hindernis für den grenzüberschreitenden Vertrieb sind die Vorschriften für die Prüfung der Qualifikation der Personen, die die Wertpapierdienstleistungen erbringen. Der EWSA ist der Ansicht, dass detailliertere Vorschriften angenommen werden sollten. So sollte z. B. geregelt werden,

für welche Dienstleistungen die bestehenden Vorschriften gelten,

für welche Aktivitäten im Rahmen der Erbringung dieser Dienstleistungen die Vorschriften gelten,

wie die Prüfung der Qualifikation erfolgen soll, wenn die örtlichen (nationalen) Regulierungsbehörden keine Möglichkeit haben, nationale Verfahren einzuführen und

dass verschiedene Verfahren zur Prüfung der Qualifikation auf EU-Ebene unter Verwendung gesamteuropäischer oder globaler Verfahren, z. B. der CFA-Prüfung, anerkannt werden.

5.6.2.

Der EWSA empfiehlt die Festlegung detaillierter und eindeutiger Vorschriften bezüglich der Frage, welche Gesetzgebung für den Vertrieb von Investmentfonds gilt, da bisher in der Praxis nicht klar ist, welche Vorschriften (MiFID oder OGAW/Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds) für den Vertrieb von Fonds gelten. Wenn von jeder Regulierungsstelle ein anderes Verfahren angewandt wird, ist das nach Auffassung des EWSA eines der Haupthindernisse für den grenzüberschreitenden Vertrieb. Es sollte ganz eindeutig festgelegt werden, dass der Vertrieb von Fonds nur in den Anwendungsbereich der Vorschriften der OGAW/der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (für eigene Fonds, verwaltete Fonds und Fonds Dritter) fällt, denen zufolge die verwaltende Gesellschaft weder eine MiFID-Lizenz noch eine Lizenz für die Erbringung von Dienstleistungen gemäß MiFID benötigt.

5.6.3.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass keine lokale (nationale) Berichterstattung verlangt werden sollte. Die Regulierungsbehörden sollten keine Möglichkeit haben, eine Berichterstattung über lokale (nationale) Fonds einzuführen, und zwar weder in Form von vorgeschriebenen Berichten an die Regulierungsbehörden noch in Form irgendeiner Verpflichtung, Daten z. B. in der Presse zu veröffentlichen.

5.6.4.

Nach Ansicht des EWSA sollte die interaktive Datenbank der ESMA für Gebühren und Entgelte über kurz oder lang auch um Folgendes erweitert werden:

Angaben zur Zeit, die für eine beliebige Art von Lizenzierung/Registrierung erforderlich ist,

Angaben zu den detaillierten Informationen, die für die lokale (nationale) Berichterstattung erforderlich sind,

Angaben zu den lokalen (nationalen) Vertriebsvorschriften.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/56


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 hinsichtlich Risikopositionen in Form gedeckter Schuldverschreibungen“

(COM(2018) 93 final — 2018/0042 (COD))

und „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Emission gedeckter Schuldverschreibungen und die öffentliche Aufsicht über gedeckte Schuldverschreibungen und zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG und der Richtlinie 2014/59/EU“

(COM(2018) 94 final — 2018/0043 (COD))

(2018/C 367/11)

Berichterstatter:

Daniel MAREELS

Befassung

Rat der Europäischen Union, 28.3.2018

Europäisches Parlament, 16.4.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 53, 114 und 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

27.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

165/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Aus den verschiedenen nachstehenden Gründen begrüßt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) die Vorschläge in Bezug auf gedeckte Schuldverschreibungen sehr (siehe Ziffer 1.2 ff.). Der EWSA ruft dazu auf, sich mit ganzer Kraft dafür einzusetzen, schnelle Fortschritte zu erzielen und rasch zu einem Ergebnis zu gelangen. In diesem Zusammenhang unterbreitet er eine Reihe von Vorschlägen (siehe Ziffer 1.7 ff.).

1.2.

Diese Vorschläge sind zunächst Teil eines allgemeineren Rahmens und leisten einen Beitrag zur Verwirklichung von Zielen, die dem EWSA sehr am Herzen liegen, wie dem zügigen Aufbau einer Kapitalmarktunion sowie der Vollendung der WWU. Zudem fördern gedeckte Schuldverschreibungen grenzüberschreitende Finanzierungen und damit auch eine verstärkte private Risikoteilung.

1.3.

Ferner hat eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten auf den internationalen und globalen Märkten traditionell eine sehr starke Position inne. Der europäische Ansatz im Bereich der aufsichtlichen Behandlung gedeckter Schuldverschreibungen ist weltweit maßgeblich. Die aktuellen Vorschläge sollten genutzt werden — nicht nur, um diese Führungsposition zu festigen, sondern, soweit möglich, auch um sie auszubauen. Sicherlich ist es angesichts von Kräfte- und Machtverschiebungen zwischen Ost und West wichtig, dass die EU sich entschlossen und energisch positioniert.

1.4.

Die durch die Vorschläge gebotene Gelegenheit sollte genutzt werden, um gedeckte Schuldverschreibungen in der gesamten Union generalisiert einzuführen und entsprechende Märkte zu entwickeln. Es muss alles getan werden, damit insbesondere in den Mitgliedstaaten Erfolge erzielt werden, in denen diese Instrumente und Märkte bisher unbekannt sind.

1.5.

Der EWSA begrüßt auch nachdrücklich den gewählten Ansatz der Mindestharmonisierung auf der Grundlage nationaler Regelungen sowie den Inhalt der Vorschläge, für die das Europäische Parlament, die Aufsichtsbehörden und weitere Interessenvertreter im Übrigen solide Grundlagen gelegt haben. Dadurch war es möglich, zu tragbaren Kosten ein hochwertiges Ergebnis zu erzielen, ohne die bestehenden Märkte zu stören.

1.6.

Besonders wichtig ist, dass gedeckte Schuldverschreibungen es Banken gestatten, zusätzliche Mittel für die langfristige Finanzierung der Wirtschaft zu schaffen. Diese neuen Ressourcen müssen in zusätzliche Finanzmittel für Behörden, Unternehmen und Haushalte umgesetzt werden. Wenn das gegeben ist, kann dieser Vorschlag einen Beitrag zur Wiederherstellung des Vertrauens in das Banken- und Finanzwesen leisten.

1.7.

Der EWSA begrüßt insbesondere, dass in dem Vorschlag darauf geachtet wird, auch kleinere Banken von den gedeckten Schuldverschreibungen profitieren zu lassen. Allerdings fordert er, dass genauer untersucht wird, wie diese Möglichkeit bestmöglich genutzt werden kann. So sollte beispielsweise geprüft werden können, welche administrativen und weiteren Verpflichtungen sich für kleinere Banken anpassen lassen, ohne von den allgemein geltenden Vorschriften abzuweichen.

1.8.

Der EWSA empfiehlt ferner nachdrücklich, die Verwendung des Gütesiegels „Europäische gedeckte Schuldverschreibung“ für verbindlich zu erklären und nicht, wie derzeit vorgesehen, freizustellen. Es gilt hier, den Sachverhalt global und zukunftsorientiert zu betrachten. Eine allgemeine Verpflichtung zur Verwendung des europäischen Gütesiegels kann der europäischen Führung auf globaler Ebene nur zugutekommen und denjenigen (vor allem kleineren) Mitgliedstaaten Chancen eröffnen, die die durch die neuen Rechtsvorschriften gebotenen Möglichkeiten in vollem Umfang nutzen möchten. Auf diese Weise ist für ihre Produkte gewährleistet, dass sie auf dem Markt vertrieben werden können, und die Verpflichtung zur Verwendung des europäischen Gütesiegels dürfte auch das Vertrauen der Anleger stärken.

1.9.

Unter Berücksichtigung der allgemein vorausgesetzten Sicherheit und Liquidität gedeckter Schuldverschreibungen sowie des zusätzlichen Schutzes, den sie bieten, weil sie als Bail-in-Instrument nicht in Frage kommen, fordert der EWSA, zu prüfen, welche Maßnahmen erforderlich und wünschenswert sind, um auch private Sparer und Verbraucher für dieses Produkt zu interessieren. Da es sich um langfristige Futures handelt, scheinen sich gedeckte Schuldverschreibungen insbesondere zum Aufbau der Altersvorsorge zu eignen, wobei an die PEPP-Vorschläge gedacht werden kann.

1.10.

Der EWSA begrüßt die vorgesehene Bewertung der neuen Regelung, obschon ihm die vorgeschlagene Frist von drei Jahren, nach der diese Bewertung vorgenommen werden soll, zu kurz erscheint. Da es sich um eine marktrelevante Frage handelt und genügend Zeit zur Verfügung stehen muss, um mit der neuen Regelung nützliche Erfahrungen zu sammeln, empfiehlt der EWSA eine Verlängerung dieser Frist auf beispielsweise fünf Jahre. Die Mitgliedstaaten können natürlich auf nationaler Ebene die Dinge genau verfolgen.

2.   Hintergrund

2.1.

Bereits kurz nach ihrem Amtsantritt im Jahr 2014 legte die Juncker-Kommission eine „Investitionsoffensive für Europa“ zur Umsetzung ihrer wichtigsten Prioritäten, nämlich Wachstum, Beschäftigung und Investitionen, vor (1). Eines der vorrangigen Ziele dieser Offensive ist neben einem digitalen Binnenmarkt und einer Energieunion die schrittweise Einführung einer Kapitalmarktunion. Auf diesem Weg soll eine gut funktionierende integrierte Kapitalmarktunion geschaffen werden, der alle Mitgliedstaaten angehören.

2.2.

Mit dem „Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“ (2) verpflichtete sich die Kommission dazu, alle dafür nötigen Bausteine bis 2019 zur Verfügung zu stellen. Insgesamt wurden mehr als 33 Initiativen und Maßnahmen geplant.

2.3.

Nachdem Forderungen nach raschen Fortschritten laut geworden waren (3)(4), kam es bereits 2017 zu einer Halbzeitüberprüfung des Aktionsplans, die zu einer Reihe neuer prioritärer Maßnahmen führte, um den sich ändernden Herausforderungen und den sich wandelnden Umständen einschließlich des Brexits Rechnung zu tragen.

2.4.

Ferner erklärte die Kommission bei dieser Gelegenheit, dass „wir uns ehrgeizigere Ziele setzen [müssen], um die Hindernisse zu beseitigen, vor allem aber, um die sich bietenden neuen Chancen zu nutzen“ (5). In diesem Zusammenhang veröffentlichte die Kommission am 8. März 2018 eine Mitteilung zum Thema „Vollendung der Kapitalmarktunion bis 2019: Beschleunigung der Umsetzung“ und gab ein Maßnahmenpaket bekannt.

2.5.

Die jetzigen Vorschläge in Bezug auf gedeckte Schuldverschreibungen, die ein Teil dieses Pakets (6) sind, umfassen zwei Texte, nämlich:

2.5.1.

einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Emission gedeckter Schuldverschreibungen und die öffentliche Aufsicht über gedeckte Schuldverschreibungen und zur Änderung der Richtlinien 2009/65/EG und 2014/59/EU (7);

2.5.2.

einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 hinsichtlich Risikopositionen in Form gedeckter Schuldverschreibungen (8).

2.6.

Diese Vorschläge zielen auf die Schaffung eines EU-Rahmens für gedeckte Schuldverschreibungen ab. Dazu zählen unter anderem eine Definition solcher Schuldverschreibungen, die marktweite Verwendung eines europäischen Gütesiegels, die aufsichtsrechtlichen Vorschriften für eine günstigere Kapitalbehandlung sowie gewisse Verpflichtungen seitens der zuständigen Behörden.

3.   Bemerkungen und Kommentare

3.1.

Der EWSA begrüßt diese Vorschläge, die Teil des Prozesses zum Aufbau einer Kapitalmarktunion sind, und fordert, sich mit ganzer Kraft dafür einzusetzen, dass diese rasch umgesetzt und Ergebnisse erzielt werden.

3.2.

In erster Linie sind diese Vorschläge ein Beitrag zu einigen größeren Zielen, die dem EWSA sehr am Herzen liegen und für die er sich bereits früher eingesetzt hat (9). Hier lässt sich auf Folgendes verweisen:

3.2.1.

Der Aufbau der Kapitalmarktunion, die mit einer stärkeren wirtschaftlichen und sozialen Konvergenz und mit einer größeren finanziellen und ökonomischen Integration einhergehen muss, soll durch die Erweiterung und Diversifizierung der für die Wirtschaft zur Verfügung stehenden Finanzierungsquellen zu mehr Sicherheit, Stabilität und Schwungkraft des Finanz- und Wirtschaftssystems führen. Einer raschen Umsetzung dieses Vorhabens sollte nach wie vor hohe Priorität eingeräumt werden.

3.2.2.

Die vorgeschlagene Regelung für gedeckte Schuldverschreibungen fördert grenzüberschreitende Finanzierungen und damit auch die private Risikoteilung. Für die Mitgliedstaaten ist dies besonders wichtig, um in Krisenzeiten asymmetrische Schocks zu vermeiden oder deren Auswirkungen zu verringern. Im Übrigen leistet die Kapitalmarktunion einen wichtigen Beitrag zu einem konvergenten Wachstum zwischen den Mitgliedstaaten der Union, was es Staaten mit weniger stabilen Volkswirtschaften ermöglichen soll, ihren Rückstand gegenüber den stärkeren Volkswirtschaften schneller aufzuholen.

3.2.3.

Auch für die Vollendung der WWU ist die Kapitalmarktunion von entscheidender Bedeutung und ihre Verwirklichung eine Grundvoraussetzung. Zusammen mit einer vollwertigen Bankenunion muss die Kapitalmarktunion zu einer echten Finanzunion, einem der vier Grundpfeiler der WWU, führen.

3.2.4.

Europa ist traditionell im Hinblick auf gedeckte Schuldverschreibungen sehr stark aufgestellt (10). Diese Vorschläge sollten genutzt werden, um die europäische Führungsposition auf globaler Ebene auszubauen. Allgemeiner und aus einer internationalen Perspektive betrachtet, ist es wichtig, dass die EU entschlossen handelt und sich stark positioniert, zumal auf globaler Ebene eine Reihe von Kräfte- und Machtverschiebungen zwischen Ost und West im Gange sind.

3.3.

Diese Vorschläge tragen dazu bei, zusätzliche Mittel für die langfristige Finanzierung der Wirtschaft zu schaffen. Tatsächlich ermöglicht die Emission gedeckter Schuldverschreibungen den Banken eine kosteneffiziente und langfristige Finanzierung. Insgesamt beläuft sich das Potenzial zusätzlicher Emissionen gedeckter Schuldverschreibungen auf 342 Mrd. EUR und die daran gekoppelten jährlichen Einsparungen für die europäischen Kreditnehmer auf 1,5 bis 1,9 Mrd. EUR (11).

3.4.

In jedem Fall ist es wichtig, dass die neuen Mittel zum Nutzen der Wirtschaft eingesetzt werden. Die zusätzlichen Finanzmittel sollten von den Banken für die zusätzliche Kreditvergabe an Behörden, Haushalte und Unternehmen verwendet werden. Wenn das gegeben ist, kann dieser Vorschlag einen Beitrag zur Wiederherstellung des Vertrauens in das Banken- und Finanzwesen leisten.

3.5.

Im Interesse der Stabilität und Sicherheit des Finanzsystems ist es wichtig, dass diese neuen Mittel in der Form von Instrumenten zur Verfügung gestellt werden, die unter allen Umständen sicher und liquide sind. Die vorliegenden Vorschläge sehen dafür gewisse Garantien vor. Eine solide Regelung für gedeckte Schuldverschreibungen sollte auch den Anlegern durch eine größere und bessere Auswahl auf den Märkten zugutekommen. Für die Investoren ist die Doppelbesicherung (12), über die sie verfügen, von großer Bedeutung, weshalb die Behörden darauf dringen müssen, dass die ihnen zugrunde liegenden Vermögenswerte von den Emittenten korrekt bewertet werden.

3.6.

Insofern verdient der Vorschlag, einen Rahmen zu schaffen, der die Entwicklung von gedeckten Schuldverschreibungen und Märkten für diese Instrumente in der gesamten Union begünstigt, die volle Unterstützung des EWSA. Es muss alles getan werden, damit insbesondere in den Mitgliedstaaten (13) Erfolge erzielt werden, in denen diese Instrumente und Märkte bisher unbekannt sind. Es gilt, die letzten weißen Flecken auf der Karte zu entfernen und dafür zu sorgen, dass es in allen Mitgliedstaaten eine Regelung für gedeckte Schuldverschreibungen gibt!

3.7.

Durch seine Unterstützung möchte der EWSA die Anstrengungen, die seit einigen Jahren unter anderem von der Kommission, dem Europäischen Parlament und der EBA zugunsten einer Regelung für gedeckte Schuldverschreibungen auf europäischer Ebene unternommen werden, anerkennen und gutheißen. Die meisten Mitgliedstaaten und weitere Interessenvertreter wie der Branchenverband European Covered Bond Council haben sich diesbezüglich ebenfalls positiv geäußert (14).

3.8.

Auch die Option, auf europäischer Ebene eine Mindestharmonisierung auf der Grundlage nationaler Vorschriften zu wählen, wird vom EWSA voll und ganz unterstützt, da sie die Realisierung mehrerer Ziele zu angemessenen Kosten ermöglicht. Gleichzeitig werden Störungen der bestehenden Märkte vermieden und die Übergangskosten reduziert. Es ist jedoch wichtig, dass die bestehenden nationalen Regelungen zum Ziel des europäischen Vorschlags beitragen, den Markt für gedeckte Schuldverschreibungen zu stimulieren. Etwaige nationale Hindernisse oder Beschränkungen, die dem im Wege stehen, sind daher unerwünscht.

3.9.

Wie bereits erwähnt, haben einige Mitgliedstaaten eine sehr starke Marktposition inne, gleichzeitig jedoch zeigen jüngste Entwicklungen, dass das Interesse an gedeckten Schuldverschreibungen auch in anderen Teilen der Welt zunimmt. Vor diesem Hintergrund ist es für den EWSA wichtig, dass die heutige europäische Führungsposition in diesem Bereich im internationalen Kontext weiter ausgebaut wird und Anstrengungen unternommen werden, um den europäischen Ansatz als weltweiten Maßstab zu propagieren.

3.10.

Der EWSA begrüßt ferner, dass eine Bewertung der Ergebnisse und des Erfolgs dieser neuen Regelung vorgesehen ist. Da es sich einerseits um eine marktrelevante Frage handelt und andererseits ausreichend Zeit eingeplant werden muss, um insbesondere in den Mitgliedstaaten, in denen dies neu ist, nützliche Erfahrungen zu sammeln, hält der EWSA die derzeitige Frist von drei Jahren für zu kurz und empfiehlt, sie auf beispielsweise fünf Jahre zu verlängern. Den Mitgliedstaaten steht es natürlich jederzeit frei, die Dinge genau zu verfolgen.

4.   Besondere Bemerkungen und Kommentare

4.1.

Insgesamt kann dem Ansatz der Kommission, eine klare und umfassende Regelung einzuführen, die unter anderem eine Definition, eine Beschreibung der strukturellen Merkmale, eine öffentliche Aufsicht und die Einführung eines europäischen Gütesiegels für gedeckte Schuldverschreibungen sowie die aufsichtliche Behandlung dieses Instruments vorsieht, beigepflichtet werden.

4.2.

Es ist allerdings wichtig, dass diese Regelung zugänglich ist und tatsächlich von allen Banken genutzt werden kann. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA, dass den Schwierigkeiten und Problemen, die sich kleineren Banken bei der Emission gedeckter Schuldverschreibungen stellen können, besondere Aufmerksamkeit zukommt. Nach Ansicht des EWSA sollte diese Möglichkeit bestmöglich erschlossen werden. So sollte beispielsweise geprüft werden können, welche administrativen und weiteren Verpflichtungen sich für kleinere Banken anpassen lassen, ohne von den allgemein geltenden Vorschriften abzuweichen.

4.3.

Die Verwendung des Gütesiegels „Europäische gedeckte Schuldverschreibung“ ist nur fakultativ vorgesehen, um es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, weiterhin ihre eigenen nationalen Bezeichnungen und Gütesiegel zu verwenden (15). Der EWSA teilt diese Sichtweise nicht und befürwortet vielmehr nachdrücklich die Verpflichtung zur Verwendung des europäischen Gütesiegels. Es gilt hier, den Sachverhalt global und zukunftsorientiert zu betrachten. Die Verpflichtung zur Verwendung des europäischen Gütesiegels kann der europäischen Führungsposition auf globaler Ebene nur zugutekommen und Chancen für (vor allem kleinere) Mitgliedstaaten schaffen, die die durch die neuen Rechtsvorschriften gebotenen Möglichkeiten in vollem Umfang nutzen möchten. Für sie ist das europäische Gütesiegel die Garantie dafür, dass ihre gedeckten Schuldverschreibungen auf den Märkten vertrieben werden können. Diese obligatorische Verwendung könnte auch das Vertrauen der Anleger stärken.

4.4.

Der Markt für gedeckte Schuldverschreibungen wird derzeit von professionellen und institutionellen Anlegern beherrscht (16). Der EWSA fordert, zu prüfen, welche Maßnahmen erforderlich und wünschenswert sind, um auch private Sparer und Verbraucher aktiver für dieses Produkt zu interessieren. Dafür sprechen verschiedene Aspekte. Gedeckte Schuldverschreibungen gelten nicht nur traditionell und selbst in Krisenzeiten als sichere und liquide Mittel, sondern es kann auch auf den Beitrag verwiesen werden, den die aktuellen Vorschläge leisten. Zudem können sie nicht als Bail-in-Instrumente genutzt werden, was im Rahmen des Schutzes privater Sparer nicht unerheblich ist. Aus diesem Grund scheinen sie auch besser geeignet zu sein als manche andere Produkte (17). Da es sich um langfristige Futures handelt, können gedeckte Schuldverschreibungen sicherlich für den Aufbau der Altersvorsorge von Nutzen sein. Hier lässt sich an die Vorschläge zu einer europaweiten privaten Altersvorsorge (PEPP) denken.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Siehe die Website der Europäischen Kommission.

(2)  Aktionsplan vom September 2015. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion. Siehe COM(2015) 468 final.

(3)  Siehe So forderte der Europäische Rat „zügige und entschlossene Fortschritte“ des Plans, „damit Unternehmen leichter Zugang zu Finanzierungen erhalten und Investitionen in die Realwirtschaft gefördert werden“.

(4)  Auch die Kommission nahm eine Mitteilung an, in der eine Beschleunigung der Reformen gefordert wurde. Siehe COM(2016) 601 final.

(5)  Vergleiche Mitteilung der Kommission „Vollendung der Kapitalmarktunion bis 2019: Beschleunigung der Umsetzung“. Siehe COM(2018) 114 final.

(6)  Neben dem genannten Vorschlag umfasst das Paket einen weiteren Vorschlag zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Vertriebs von Investmentfonds, einen Vorschlag zur Schaffung eines Rahmens für Europäische Crowdfunding-Dienstleister für Unternehmen sowie einen Vorschlag bezüglich des auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendenden Rechts und eine Mitteilung über das auf die dingliche Wirkung von Wertpapiergeschäften anzuwendende Recht.

(7)  Siehe Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Emission gedeckter Schuldverschreibungen und die öffentliche Aufsicht über gedeckte Schuldverschreibungen und zur Änderung der Richtlinien 2009/65/EG und 2014/59/EU.

(8)  Siehe Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 hinsichtlich Risikopositionen in Form gedeckter Schuldverschreibungen.

(9)  Siehe unter anderem ECO/437 — „Kapitalmarktunion: Halbzeitbilanz“, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 117.

(10)  Etwa 90 % aller gedeckten Schuldverschreibungen werden von neun europäischen Ländern begeben. Siehe auch die Zahlen, die der European Covered Bond Council (ECBC) in seinem European Covered Bond Fact Book, 12. Ausgabe (2017), veröffentlicht hat. Weltweit liegt der ausstehende Betrag an gedeckten Schuldverschreibungen bei 2,5 Bio. EUR, wovon 2,1 Bio. EUR von in Europa ansässigen Instituten begeben wurden (siehe „Commission Staff Working Document — Impact Assessment“ (SWD(2018) 50 final).

(11)  Siehe „Commission Staff Working Document — Impact Assessment“ (SWD(2018) 50 final), Begleitunterlage zu den hier erörterten Vorschlägen.

(12)  Die Doppelbesicherung von Inhabern gedeckter Schuldverschreibungen besteht im Forderungsanspruch zum einen gegenüber dem Deckungspool und zum anderen gegenüber dem Emittenten.

(13)  Derzeit gibt es in der EU noch ein Dutzend Mitgliedstaaten, die über keinen gesetzlichen Rahmen für gedeckte Schuldverschreibungen verfügen.

(14)  Für eine Übersicht siehe den Vorschlag für eine Richtlinie und den Vorschlag für eine Verordnung, jeweils Kapitel 3.

(15)  Siehe Vorschlag für eine Richtlinie, Erwägungsgrund 33.

(16)  Laut mündlicher Auskunft von Vertretern der Kommission entfällt ein Drittel davon auf Banken, ein Drittel auf die EZB und ein Drittel auf andere Parteien wie Investment- und Rentenfonds.

(17)  An dieser Stelle könnte auch auf die Vorschläge zum Thema Crowdfunding und P2P-Kredite verwiesen werden. Die in diesem Rahmen angebotenen Finanzinstrumente sind im Wesentlichen begebbare Finanzinstrumente, die für Eigenkapital (z. B. Anteile) oder Fremdkapital (z. B. Schuldverschreibungen) stehen. Der Schutz der Sparer und Anleger kann in diesem Zusammenhang als äußerst beschränkt betrachtet werden.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/61


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — FinTech-Aktionsplan: Für einen wettbewerbsfähigeren und innovativeren EU-Finanzsektor

(COM(2018) 109 final)

(2018/C 367/12)

Berichterstatter:

Petru Sorin DANDEA

Befassung

Europäische Kommission 10.4.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

27.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

12.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

126/1/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt den Plan der Kommission und ist der Auffassung, dass die FinTech-Entwicklung im Rahmen des europäischen Finanzsektors den europäischen Unternehmen und ihren Kunden zahlreiche Vorteile bringen kann.

1.2.

Der von der Kommission vorgelegte Plan könnte Anreize für die Entwicklung von Kapitalmärkten schaffen, wie auch für kleine und mittlere Unternehmen im Finanzsektor.

1.3.

Der Ausschuss vertritt die Meinung, dass die Maßnahmen des FinTech-Aktionsplans zur Erhöhung der Cybersicherheit und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors wichtig sind, aber durch Vorschriften ergänzt werden müssen, die für eine einheitliche FinTech-Entwicklung in der EU sorgen. Überdies müssen für die Akteure im FinTech-Bereich die gleichen Regeln gelten wie für den Finanzsektor, insbesondere was die Widerstandsfähigkeit, die Cybersicherheit und die Aufsicht betrifft.

1.4.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass es von grundlegender Bedeutung ist, das Recht auf Übertragbarkeit von personenbezogenen Daten im Einklang mit der Richtlinie über Zahlungsdienste umzusetzen, wenn gleiche Ausgangsbedingungen für den Zugang zu den Kundendaten im Rahmen dieser Richtlinie und der Datenschutzverordnung gewährleistet werden sollen.

1.5.

In Anbetracht der Entwicklungen von Kryptowährungen und der hohen Preisschwankungen, denen sie unterworfen sind, empfiehlt der EWSA der Kommission, die Lage auf diesem Gebiet in Zusammenarbeit mit den europäischen Aufsichtsbehörden fortwährend genau zu überwachen. Falls erforderlich, müssen auf europäischer Ebene alle notwendigen Maßnahmen getroffen werden, damit die Sicherheit und Stabilität des Finanz- und Wirtschaftssystems zu keinem Zeitpunkt und in keiner Weise gefährdet werden können.

1.6.

Laut neuesten Studien führt die Einführung von Technologien im Finanzbereich zu einem massiven Arbeitsplatzverlust in der Finanzwirtschaft. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, aktive Maßnahmen für den Arbeitsmarkt zu planen und umzusetzen, damit Arbeitnehmer, die von der Einführung technischer Innovationen im Finanzdienstleistungsbereich betroffen sind, so schnell wie möglich eine neue Arbeit finden können.

1.7.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Verantwortung von Cloud-Diensteanbietern für die Gewährleistung der Sicherheit der gehosteten Daten durch mögliche Regelungen zu klären. Für diese Anbieter sollten dieselben Vorschriften für den Schutz personenbezogener Daten gelten wie für Unternehmen, die bestimmte Arten von Dienstleistungen auslagern.

2.   Vorschlag der Kommission

2.1.

Mit dem Ziel, einen wettbewerbsfähigeren und innovativeren europäischen Finanzsektor zu fördern, legte die Europäische Kommission am 8. März 2018 einen Aktionsplan für die Nutzung der Möglichkeiten vor, die sich durch technische Innovationen im Finanzdienstleistungsbereich bieten.

2.2.

Der Aktionsplan der Kommission soll es dem Finanzsektor ermöglichen, den raschen Fortschritt neuer Technologien wie Blockchain (1), künstlicher Intelligenz oder Cloud-Dienste zu berücksichtigen und zu nutzen. Nach der Ansicht der Kommission sollte Europa zu einem internationalen FinTech-Zentrum werden, mit Unternehmen und Investoren, die in diesem dynamischen Bereich von den Vorteilen des Binnenmarkts profitieren können.

2.3.

Ausgehend von den Ergebnissen der öffentlichen Konsultation von März bis Juni 2017 sieht die Kommission derzeit wenig Notwendigkeit einer Gesetzesänderung oder einer Regulierung auf EU-Ebene. Es bedarf jedoch einer Reihe spezifischer Initiativen, um die Digitalisierung im Finanzsektor auf EU-Ebene zu übernehmen.

2.4.

Der FinTech-Aktionsplan sieht Maßnahmen vor, die notwendig sind, um den innovativen Geschäftsmodellen eine europäische Dimension zu verleihen, die Einführung der innovativen Technologien im Finanzsektor zu fördern und die Sicherheit und Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors zu verbessern.

2.5.

Zusammen mit dieser Mitteilung bzw. dem Aktionsplan legt die Kommission einen Vorschlag für eine EU-Verordnung für Crowdfunding-Dienstleister für Unternehmen (ECSP) vor, die sowohl investitionsbasiertes als auch kreditbasiertes Crowdfunding abdeckt.

2.6.

Im Hinblick auf die Zulassung als FinTech-Unternehmen hat die Kommission die europäischen Aufsichtsbehörden aufgefordert, die aktuellen Zulassungsanforderungen zu prüfen und der Kommission gegebenenfalls die Anpassung der EU-Rechtsvorschriften im Finanzdienstleistungsbereich zu empfehlen. Im Verlauf des Jahres 2018 wird die Kommission die Entwicklung bei den Kryptowährungen zusammen mit den europäischen Aufsichtsbehörden, der Europäischen Zentralbank und dem Rat für Finanzstabilität weiter beobachten. Ausgehend von der Bewertung der Risiken wird die Kommission prüfen, ob Regulierungsmaßnahmen auf EU-Ebene erforderlich sind.

2.7.

Was gemeinsame Normen und interoperable Lösungen betrifft, wird die Kommission mit dem Europäischen Komitee für Normung und der Internationalen Organisation für Normung zusammenarbeiten, insbesondere im Bereich der Blockchain. Für die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle auf EU-Ebene wird die Kommission die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten dazu aufrufen, Initiativen auf den Weg zu bringen, um Innovation zu fördern. Die Kommission wird zudem die europäischen Aufsichtsbehörden auffordern, die Zusammenarbeit, insbesondere auch die Koordinierung und Verbreitung von Informationen über innovative Technologien, die Einrichtung von Innovationspolen und regulatorischen „Sandkästen“ zu erleichtern.

2.8.

Zur Förderung technologischer Innovationen wird die Kommission eine Expertengruppe einsetzen, die prüfen soll, ob regulatorische Hemmnisse die Finanzinnovationen erschweren. Die Kommission ersucht die Europäischen Aufsichtsbehörden zu prüfen, ob Leitlinien für die Auslagerung an Cloud-Diensteanbieter erforderlich sind. In diesem Zusammenhang wird die Kommission die Entwicklung von Standardvertragsklauseln für die Inanspruchnahme von Cloud-Diensten durch Finanzinstitute erleichtern und fördern.

2.9.

Die Kommission vertritt die Ansicht, dass der Regulierungs- und Aufsichtsrahmen der EU den im EU-Binnenmarkt tätigen Unternehmen die Möglichkeit geben sollte, Finanzinnovationen zu nutzen und ihren Kunden erstklassige Produkte anzubieten.

2.10.

Die Kommission wird eine öffentliche Konsultation zur weiteren Digitalisierung von aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Informationen über die auf geregelten Märkten in der EU notierten Unternehmen durchführen, einschließlich zur möglichen Einführung eines Europäischen Finanztransparenzportals auf der Grundlage der Distributed-Ledger-Technologie — RegTech.

2.11.

Was die Blockchain betrifft, hat die Kommission im Februar 2018 das „EU Blockchain Observatory and Forum“ aus der Taufe gehoben und eine Durchführbarkeitsstudie zu der Frage auf den Weg gebracht, inwieweit eine öffentliche EU-Blockchain-Infrastruktur die Entwicklung grenzüberschreitender Dienstleistungen fördern könnte. Die Kommission möchte bewerten, ob die Blockchain im Rahmen der Fazilität „Connecting Europe“ als Infrastruktur für digitale Dienste eingeführt werden kann. Die Kommission wird ein EU-FinTech-Labor einrichten.

2.12.

Zur Verbesserung der Sicherheit und Widerstandsfähigkeit im Finanzsektor wird die Kommission einen öffentlich-privaten Workshop veranstalten, um in Erfahrung zu bringen und zu bewerten, welche Hindernisse den Informationsaustausch über Cyberbedrohungen zwischen den Finanzmarktteilnehmern einschränken, und um mögliche Lösungen zu finden. Die Kommission fordert die europäischen Aufsichtsbehörden auf, eine Kosten-/Nutzenanalyse zur Entwicklung eines kohärenten Testrahmens für die Cyber-Resilienz bedeutender Marktteilnehmer und Infrastrukturen im gesamten EU-Finanzsektor durchzuführen.

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

3.1.

Der Ausschuss unterstützt den Plan der Kommission und ist der Auffassung, dass die FinTech-Entwicklung im europäischen Finanzsektor den europäischen Unternehmen und den Verbrauchern zahlreiche Vorteile bietet.

3.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der FinTech-Aktionsplan für die Vertiefung und Erweiterung von Kapitalmärkten durch die Integration der Digitalisierung äußerst wichtig ist, und damit auch für die Kapitalmarktunion, die weit oben auf der Tagesordnung der EU steht. Des Weiteren kann dieser Aktionsplan den KMU und damit 99 % der Unternehmen auf EU-Ebene erheblichen Anreiz verschaffen, indem ihre Finanzierungsmöglichkeiten vergrößert werden und es ihnen ermöglicht wird, einfachere und zugänglichere Lösungen einzuführen.

3.3.

Der Ausschuss vertritt die Meinung, dass die Maßnahmen des FinTech-Aktionsplans zur Erhöhung der Cybersicherheit und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors wichtig sind, dass sie aber durch Vorschriften ergänzt werden müssen, die für eine einheitliche FinTech-Entwicklung in der EU sorgen.

3.4.

Der EWSA teilt die Ansicht der Kommission, dass der Regulierungs- und Aufsichtsrahmen der EU den im EU-Binnenmarkt tätigen Unternehmen die Möglichkeit geben sollte, Finanzinnovationen zu nutzen und ihren Kunden erstklassige Produkte anzubieten. Allerdings darf das seiner Ansicht nach nicht auf Kosten der Sicherheit gehen. Es bedarf gleicher Ausgangsbedingungen für alle Teilnehmer, unabhängig von der Art und Weise ihrer Teilnahme (2).

3.5.

Die Vorschriften für Finanzinstitute wurden nach der letzten Finanzkrise auf europäischer, aber auch auf nationaler Ebene verschärft. Sie betreffen auch die Cybersicherheit und legen verbindliche Sicherheitsregeln und -normen für Finanzinstitute fest. Der EWSA ist der Auffassung, dass Normen zur Cybersicherheit auch für FinTech-Dienstleister auf EU-Ebene eingeführt werden sollten. Um die einheitliche Anwendung sicherzustellen, sollten diese Normen auf europäischer Ebene festgelegt und sogar global ausgeweitet werden.

3.6.

Der EWSA erinnert daran, dass Cyberangriffe in der Regel über die Grenzen hinweg erfolgen. Derzeit ist der Informationsaustausch zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten zu den Bedrohungen durch Cyberkriminalität und Cyberangriffe aufgrund der nationalen Rechtsvorschriften recht begrenzt. Ein höheres Maß an Koordinierung, Regulierung und Beaufsichtigung auf EU-Ebene ist unerlässlich.

3.7.

In Bezug auf Kryptowährungen und insbesondere Kryptobargeld hat man in jüngster Zeit in Europa sehen können, welchen Aufschwung sie nehmen und welchen Preisschwankungen sie ausgesetzt sind. In Anbetracht dieser Entwicklungen, der fehlenden Transparenz und der hohen Risiken, die sie mit sich bringen, empfiehlt der EWSA der Kommission, die Lage auf diesem Gebiet in Zusammenarbeit mit den europäischen Aufsichtsbehörden fortwährend genau zu überwachen. Wenn die Sicherheit und Stabilität des Finanzsystems zu irgendeinem Zeitpunkt oder auf irgendeine Art und Weise beeinträchtigt werden könnten, müssen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Diese Maßnahmen müssen in erster Linie für die gesamte EU gelten und daher auf europäischer Ebene getroffen werden.

3.8.

Bei Kryptowährungen zeigt sich, dass technologische Innovationen die Vorschriften sogar in einem stark geregelten Markt umgehen können. In Anbetracht der starken Wertschwankungen, der mangelnden Markttransparenz von Kryptowährungen und der großen Risiken, die für die Investoren damit verbunden sind, empfiehlt der EWSA der Kommission und den Mitgliedstaaten, Methoden zu prüfen, die für die Überwachung von Transaktionen mit Kryptowährungen eingeführt werden sollten.

3.9.

Die Kommission hat die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für die Blockchain-Technologie vorgeschlagen. Der EWSA ist der Auffassung, dass angesichts der hohen Dynamik bei der Entwicklung von Anwendungen im Bereich der Finanztechnologie das Mandat der Beobachtungsstelle auf den ganzen FinTech-Bereich erweitert werden sollte. Blockchain-Anwendungen werfen ebenfalls Fragen der Zuständigkeit und Verantwortung im Hinblick auf die anzuwendenden Rechtsvorschriften auf. Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission für die Lancierung einer Blockchain-Initiative auf Unionsebene, um das Anwendungsmodell zu erklären und die derzeitige Uneinheitlichkeit zu bekämpfen.

3.10.

Es wurde festgestellt, dass die FinTech-Einführung zu massivem Arbeitsplatzverlust im Finanzsektor führt. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, aktive Maßnahmen für den Arbeitsmarkt zu planen und umzusetzen, damit Arbeitnehmer, die von der Einführung technischer Innovationen im Finanzdienstleistungsbereich betroffen sind, so schnell wie möglich eine neue Arbeit finden können.

3.11.

Die Kommission ist besorgt, dass durch die Auslagerung von Finanzdienstleistungen an Cloud-Dienstleister ein stark konzentrierter Daten- und Informationstransfer entsteht, in dem einige wenige Marktteilnehmer, meistens nicht-europäische Unternehmen, dominieren. Der EWSA empfiehlt der Kommission, im Hinblick auf die Verantwortung von Cloud-Diensteanbietern für die Gewährleistung der Sicherheit der gehosteten Daten mögliche Regelungen in Betracht zu ziehen.

Brüssel, den 12. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Eine Blockchain ist eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen, sogenannter „Blöcke“, die mittels kryptografischer Verfahren miteinander verbunden und gesichert werden. Eine Blockchain ist so angelegt, dass ihre Daten nicht geändert werden können. Es handelt sich hierbei um eine offene, dezentrale Buchführung, mit der Transaktionen zwischen zwei Parteien wirksam, überprüfbar und kontinuierlich aufgezeichnet werden können. Wenn die Daten einmal aufgezeichnet sind, können sie nicht rückwirkend verändert werden, ohne dass alle nachfolgenden Blöcke geändert werden, da dies nur durch einen Konsens der Mehrheit des Netzes geschehen könnte. (Quelle: Wikipedia, Übersetzung).

(2)  ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 63.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/65


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente“

(COM(2018) 99 final — 2018/0047 (COD)) und dem

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Crowdfunding-Dienstleister für Unternehmen“

(COM(2018) 113 final — 2018/0048 (COD))

(2018/C 367/13)

Berichterstatter:

Daniel MAREELS

Befassung

Europäisches Parlament, 16.4.2018

Rat der Europäischen Union, 27.3.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und Artikel 53 Absatz 1 AEUV

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

27.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

146/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt nachdrücklich den Vorschlag, durch einen eigenen EU-Rechtsrahmen („29. Regelung“) das Crowdfunding zu erleichtern. Er fordert daher eine rasche Umsetzung, um gute Ergebnisse zu erzielen, zumal sich diese Initiative in einen größeren Rahmen einfügt, der für den EWSA von großer Bedeutung ist (1).

1.2.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Finanzierung kleiner, junger und innovativer Unternehmen nun ins Blickfeld gerückt wird. Für diese Unternehmen ist das Crowdfunding als Teil ihrer Finanzierungsleiter besonders zu einem Zeitpunkt von Bedeutung, zu dem sie aus der Startphase in die Expansionsphase eintreten und eine herkömmliche Finanzierung nicht immer zur Verfügung steht. Gleichzeitig werden mehr und bessere Investitionsmöglichkeiten für Anleger geschaffen.

1.3.

Es ist sehr zu begrüßen, dass dabei innovative und durch den Einsatz moderner Technologie verbesserte Produkte und Lösungen zum Einsatz kommen, damit dieser zukunftsorientierte Vorschlag zur Verwirklichung des digitalen Binnenmarktes beiträgt. Zugleich wird auch eine grenzüberschreitende Dimension hinzugefügt, die zur wirksamen Integration und Vertiefung der Kapitalmärkte beiträgt. Die Verwirklichung eines einheitlichen Marktes in der EU, auf dem sowohl für Unternehmer als auch für Anleger dieselben Regeln gelten, sollte an erster Stelle stehen.

1.4.

In Anbetracht der Tatsache, dass dieser innovative Rahmen nicht durch künstliche Hindernisse gebremst werden darf, plädiert der EWSA ausgehend von einer globalen und ganzheitlichen Perspektive für eine Präzisierung der Vorschläge und für zusätzliche Maßnahmen zu bestimmten Punkten zumindest in der Anfangsphase (siehe unten, Ziffern 1.5 ff.). Der EWSA lässt sich dabei insbesondere durch die Grundsätze der Glaubwürdigkeit, der Klarheit und des Vertrauens leiten, was dann auch Sicherheit und Schutz für alle Beteiligten impliziert.

1.5.

Der EWSA begrüßt zunächst die Aufmerksamkeit für die mit Crowdfunding und Crowdfunding-Märkten verbundenen Risiken, ist jedoch gleichzeitig der Ansicht, dass diesen Aspekten zumindest in der ersten Zeit noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, um sie besser erkennen und nach Möglichkeit einschränken zu können. Dies betrifft unter anderem folgende Bereiche:

1.5.1.

Transparenz und Anlegerschutz. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Risikobewertung für bestimmte Projekte auf Crowdfunding-Plattformen zu sehr den Märkten und Anlegern überlassen bleibt. Hier müssten geeignete Maßnahmen getroffen werden, um alle Risiken — sowohl die finanziellen als auch sonstige Risiken — besser zu erkennen und in Grenzen zu halten. Letztlich kommt es darauf an, dass die Anleger besser geschützt werden. Hierfür sollte man sich auf den MiFID-Ansatz stützen können. Im Übrigen besteht die Gefahr ungleicher Ausgangsbedingungen im Vergleich zu herkömmlichen Anbietern wie beispielsweise den Finanzinstituten, die in den Beziehungen zu ihren Kunden strenge Schutzbestimmungen anwenden müssen.

1.5.2.

Mögliche Spannungen in Bezug auf den Status der Dienstleister und der von ihnen erbrachten Dienste. Die Möglichkeit, mit den Anlegern Verträge über „Ermessensbefugnisse“ abzuschließen, um für sie das beste Ergebnis zu erzielen, kann zu heiklen Situationen für die Dienstleister führen, die in erster Linie als „neutrale Vermittler“ auftreten müssen.

1.5.3.

Die Kontrolle. Der Auftrag der ESMA scheint klar zu sein; für die Rolle der nationalen Aufsichtsbehörden ist dies jedoch anscheinend weniger der Fall. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass in dieser Hinsicht für mehr Klarheit gesorgt werden muss. Der EWSA stellt sich die Frage, ob nicht auch die nationalen Aufsichtsbehörden eine wesentliche Rolle spielen sollten, da sie den nationalen Märkten näher sind und die Gegebenheiten vor Ort besser einschätzen können. Der EWSA hält es außerdem und in jedem Fall für wichtig, dass die Behörden und Aufsichtsorgane auf nationaler und europäischer Ebene ununterbrochen und in kohärenter Weise zusammenarbeiten und miteinander in Kontakt stehen, sowohl mit Blick auf die weitere Harmonisierung und Integration in der Europäischen Union, als auch um die vorliegenden Vorschläge zum Erfolg zu führen.

1.6.

Daher kann es sein, dass Interessierte nun, da aufgrund der getroffenen Entscheidungen die EU-Regelung und die nationalen Systeme nebeneinander existieren werden, gleichzeitig und auf ein und demselben Markt mit verschiedenen Rechtsvorschriften, unterschiedlichen Bedingungen und ungleichem Schutz konfrontiert werden, was zu Verwirrung und Unklarheiten führen kann. Hier sind zusätzliche Maßnahmen für mehr Klarheit erforderlich:

1.6.1.

Nach Ansicht des EWSA sollten die Behörden und Aufsichtsorgane zusätzlich verpflichtet werden, alle Nutzer in deren Sprachen mit korrekten, leicht zugänglichen und Rechtssicherheit bietenden Informationen zu versorgen.

1.6.2.

Die Crowdfunding-Plattformen könnten verpflichtet werden, in allen Fällen, in denen sie sich an die Öffentlichkeit richten, sowie in ihrer gesamten externen Kommunikation ausdrücklich auf ihre „EU-Zulassung“ zu verweisen.

1.7.

Darüber hinaus ist der EWSA der Ansicht, dass die vorgeschlagenen Bestimmungen über die Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung nach wie vor recht eingeschränkt sind und das Problem zum großen Teil nur indirekt betreffen. Auch sollten die Bestimmungen zur Anwendung dieser Regeln auf die Crowdfunding-Plattformen ausgeweitet und verschärft werden. Nach Ansicht des EWSA kann es nicht angehen, dass diese Möglichkeit nur ein einziges Mal besteht und dass lediglich die Kommission die Befugnis hat, die Ausweitung der vorgenannten Regeln auf bestimmte Kreise vorzuschlagen. Außerdem müssen klare Kriterien und Bedingungen für eine derartige Entscheidung formuliert werden.

1.8.

Auffallend ist darüber hinaus, dass die steuerliche Behandlung der Einkünfte aus dem Crowdfunding und die Verpflichtungen der Steuerschuldner nicht angesprochen werden, obwohl Grund zu der Annahme besteht, dass die Besteuerung ein ausschlaggebender Faktor für den Erfolg dieser Initiative sein wird. Der EWSA empfiehlt daher, diese Aspekte in der Debatte zu berücksichtigen. Falls erforderlich, muss eine angepasste Regelung auf der entsprechenden Ebene ausgearbeitet werden.

1.9.

Da es sich um eine Angelegenheit des Marktes handelt, hält es der EWSA für ausgesprochen wichtig, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen, um diese Vorschläge erfolgreich zu verwirklichen. Es ist unabdingbar, dass Unternehmen und Anleger die 29. Regelung in wirksamer und umfassender Weise nutzen. Aus der Sicht des Marktes stellt sich hier die Frage, ob sich die Beschränkung auf 1 Mio. EUR je Projekt nicht als Hindernis erweisen könnte.

1.10.

Um die Zukunft und den anhaltenden Erfolg der Crowdfunding-Plattformen zu sichern, sollte diese EU-Regelung nach Ansicht des EWSA regelmäßig beobachtet und evaluiert sowie ihr Erfolg bewertet werden. Die Konsultation mit allen Beteiligten und Interessenträgern sowie der Dialog mit ihnen sind dabei gleichermaßen unerlässlich.

2.   Hintergrund

2.1.

Bereits kurz nach ihrem Amtsantritt im Jahr 2014 legte die Juncker-Kommission eine „Investitionsoffensive für Europa“ zur Umsetzung ihrer wichtigsten Prioritäten, nämlich Wachstum, Beschäftigung und Investitionen, vor (2). Eines der vorrangigen Ziele dieser Offensive ist neben einem digitalen Binnenmarkt und einer Energieunion die schrittweise Einführung einer Kapitalmarktunion. Letztendlich soll es zu einer gut funktionierenden integrierten Kapitalmarktunion kommen, der alle Mitgliedstaaten angehören.

2.2.

Mit dem „Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“ (3) verpflichtete sich die Kommission dazu, alle dafür nötigen Bausteine bis 2019 vorzulegen. Insgesamt wurden mehr als 33 Initiativen und Maßnahmen geplant.

2.3.

Nachdem Forderungen nach raschen Fortschritten laut geworden waren (4) (5), kam es bereits 2017 zu einer Halbzeitüberprüfung des Aktionsplans, die zu einer Reihe neuer prioritärer Maßnahmen führten, um den sich ändernden Herausforderungen und den sich wandelnden Umständen einschließlich des Brexits Rechnung zu tragen. Zugleich müssen wirkliche Fortschritte bei der Verwirklichung der Banken- und der Kapitalmarktunion erzielt werden. Dabei müssen Kohäsion und Kohärenz im Vordergrund stehen.

2.4.

Ferner erklärte die Kommission bei dieser Gelegenheit, dass „wir uns ehrgeizigere Ziele setzen [müssen], um die Hindernisse zu beseitigen, vor allem aber, um die sich bietenden neuen Chancen zu nutzen“ (6). In diesem Zusammenhang legte die Kommission am 8. März 2018 eine Mitteilung mit zwei Aktionsplänen (7) vor.

2.5.

Mit dem Aktionsplan zur Finanztechnologie (FinTech) soll dem Ehrgeiz Ausdruck verliehen werden, Europa zu einem globalen Knotenpunkt für Finanztechnologie zu machen, wodurch Unternehmen und Anlegern in der EU die Möglichkeit geboten wird, die Vorteile des Binnenmarkts in diesem schnelllebigen Sektor bestmöglich zu nutzen (8).

2.6.

Die Förderung von Crowdfunding und Peer-to-peer-Krediten ist eine der wichtigsten Maßnahmen des Aktionsplans. Der Schwerpunkt liegt dabei sowohl auf der Entwicklung neuer Dienste und Zulassungen als auch auf der Integration von Kapitalmärkten.

2.7.

Konkreter manifestieren sich diese Ideen der Kommission in:

2.7.1.

dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Crowdfunding-Dienstleister für Unternehmen (9) und

2.7.2.

dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente (10).

2.8.

Diese Vorschläge zielen darauf ab, eine europäische Zulassung für Crowdfunding-Plattformen einzuführen, die grenzüberschreitende Aktivitäten ermöglicht. Dadurch sollten Crowdfunding-Dienstleister die Möglichkeit haben, ihre Tätigkeiten auszuweiten und auf EU-Ebene zu entfalten, und gleichzeitig soll Unternehmen, insbesondere kleinen, jungen und innovativen Unternehmen, ein besserer Zugang zu Finanzierungen geboten werden. Die Vorschläge gelten nur im Zusammenhang mit begebbaren Wertpapieren für investitionsbasierte Crowdfunding-Dienstleistungen.

2.9.

Darüber hinaus geht es darum, diese Plattformen einer angepassten und angemessenen Regulierung und einer entsprechenden Aufsicht zu unterwerfen. Dadurch soll nicht nur die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität in der Union gesichert werden — gleichzeitig soll auch das Vertrauen der Anleger gestärkt werden, insbesondere im grenzüberschreitenden Kontext.

3.   Bemerkungen und Kommentare

Allgemein — eine willkommene Initiative

3.1.

Der EWSA begrüßt diese Vorschläge für eine EU-Regelung zum Thema Crowdfunding und ruft dazu auf, sich mit ganzer Kraft dafür einzusetzen, rasch gute Ergebnisse zu erzielen.

3.2.

In erster Linie sind diese Vorschläge ein Beitrag zu einigen größeren Zielen, die dem EWSA sehr am Herzen liegen und für die er sich bereits früher (11) eingesetzt hat. Dazu gehören:

3.2.1.

Der Aufbau der Kapitalmarktunion, die einhergehen muss mit einer stärkeren wirtschaftlichen und sozialen Konvergenz und mit einer größeren finanziellen und ökonomischen Integration, muss durch die Erweiterung und Diversifizierung der für die Wirtschaft zur Verfügung stehenden Finanzierungsquellen zu mehr Sicherheit, Stabilität und Schwungkraft des Finanz- und Wirtschaftssystems führen. Einer raschen Umsetzung dieses Vorhabens sollte nach wie vor hohe Priorität eingeräumt werden.

3.2.2.

Eine einheitliche EU-Zulassung für Crowdfunding-Plattformen fördert grenzüberschreitende Finanzierungen und damit auch die private Risikoteilung. Dies ist besonders wichtig, um in Krisenzeiten asymmetrische Schocks zu vermeiden oder deren Auswirkungen zu verringern. Darüber hinaus wird dadurch ein wichtiger Beitrag zu einem konvergenten Wachstum zwischen den Mitgliedstaaten der EU geleistet. Weniger leistungsstarke Volkswirtschaften werden hierdurch in der Lage sein, ihren Rückstand auf die leistungsstärkeren Volkswirtschaften rascher aufzuholen.

3.2.3.

Auch für die weitere Vertiefung und Vollendung der WWU ist die Kapitalmarktunion und ihre Verwirklichung von entscheidender Bedeutung. Zusammen mit einer vollwertigen Bankenunion muss die Kapitalmarktunion zu einer echten Finanzunion, einem der vier Grundpfeiler der WWU, führen.

3.2.4.

Da das Crowdfunding in der EU im Vergleich mit anderen großen Volkswirtschaften kaum entwickelt ist, kann hier auch die Position der EU gegenüber dem Rest der Welt angeführt werden. Die EU muss sich stark und entschlossen positionieren, umso mehr als sich weltweit eine Reihe von Kräfte- und Machtverschiebungen zwischen Ost und West vollzieht.

3.3.

In früheren Stellungnahmen (12) hat der EWSA seine Bedenken und Einwände im Hinblick auf die Relevanz und Wirksamkeit der Kapitalmarktunion für KMU geäußert. Er begrüßt die Tatsache, dass jetzt ein entsprechendes Konzept ausgearbeitet wird. Das Crowdfunding zielt in erster Linie auf eine bestimmte Gruppe von KMU und auf bestimmte Stufen der Finanzierungsleiter ab. Der EWSA begrüßt die Vorschläge, die die Finanzierung kleiner, junger und innovativer Unternehmen verbessern und erleichtern und gleichzeitig Investoren mehr und bessere Investitionsmöglichkeiten bieten.

3.4.

Zum Schluss kann hier auf den zukunftsorientierten Charakter der Vorschläge als Teil des Aktionsplans zur Finanztechnologie verwiesen werden, durch den der Ehrgeiz der EU zum Ausdruck gebracht werden soll, Europa zu einem globalen Knotenpunkt für Finanztechnologien zu machen. Durch die Mobilisierung innovativer und mittels moderner Technologie verbesserter Produkte und Lösungen trägt dieser Vorschlag auch zur Verwirklichung des digitalen Binnenmarktes bei.

Die Vorschläge — eine gute Grundlage, doch sind zusätzliche Schutzmaßnahmen wünschenswert

3.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass alles getan werden muss, um diese Vorschläge erfolgreich zu verwirklichen. Er legt großen Wert darauf, dass die neue Regelung durch Glaubwürdigkeit, Klarheit und Vertrauen gekennzeichnet ist. Crowdfunding sollte in einem Rahmen angeboten werden, der allen Beteiligten Rechtssicherheit und Schutz bietet.

3.6.

Der EWSA begrüßt insbesondere die Wahl der „29. Regelung“, durch die unter Rückgriff auf zukunftsorientierte Technologien die Grundlagen für die Verwirklichung eines einheitlichen harmonisierten Marktes gelegt werden, auf dem sowohl für junge Unternehmer, die auf der Suche nach grenzüberschreitenden Finanzierungsmöglichkeiten sind, als auch für Investoren, die zusätzliche Investitionsmöglichkeiten suchen, die gleichen Vorschriften gelten.

3.7.

Die Wahl einer Verordnung zur Verwirklichung dieses Ziels ist hier daher auch voll und ganz angemessen. Dieser Vorschlag kann als ein Beispiel für eine wirksame Integration und Vertiefung der Kapitalmärkte gelten.

3.8.

Unbeschadet der nachstehenden Ausführungen begrüßt der Ausschuss außerdem, dass die Kommission sich von Anfang an der Risiken bewusst war, mit denen Crowdfunding und Crowdfunding-Märkte behaftet sind. Der EWSA unterstützt außerdem die Bedingungen, die die Crowdfunding-Plattformen und die von ihnen erbrachten Dienstleistungen (13) erfüllen müssen, sowie die vorgesehene Kontrolle. Außerdem wird den Investoren empfohlen, ihre Risiken zu begrenzen (14).

3.9.

Gleichzeitig und aus allgemeinen Überlegungen heraus vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass diesen Risiken zumindest in der ersten Zeit noch mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Alle Risiken — sowohl die finanziellen als auch sonstige Risiken — müssen noch besser aufgezeigt und soweit möglich verringert werden. Mehr Aufmerksamkeit verdient auch eine Reihe weiterer mittelbarer Faktoren, die für den Erfolg dieser Vorschläge entscheidend sind.

3.10.

Die politische Entscheidung für eine ergänzende dienstleistungsbasierte Lösung (15) hat zur Folge, dass nationale und europäische Vorschriften parallel laufen und zur Anwendung kommen werden. Potenzielle Investoren werden zur gleichen Zeit auf dem gleichen Markt mit Marktteilnehmern mit einem anderen Status in Konkurrenz treten, etwa mit grenzüberschreitend tätigen Anbietern mit EU-Zulassung, denselben vor Ort tätigen Anbietern sowie Anbietern, die unter die (bestehenden) nationalen Vorschriften oder bestehende Genehmigungen (16) fallen. Dies kann zu verschiedenen Gesetzgebungen, unterschiedlichen Bedingungen und ungleichem Schutz (17) führen. Der Ausschuss fordert mehr Aufmerksamkeit für diese Situation, die zu Unklarheiten und Verwirrung führen kann (18). Eine Reihe konkreter Vorschläge wird im weiteren Verlauf dieser Stellungnahme präsentiert.

Anbieter von Crowdfunding-Dienstleistungen

3.11.

Anbieter von Crowdfunding-Dienstleistungen sollen ihre Tätigkeit mit einer einzigen Genehmigung auf dem gesamten Hoheitsgebiet der Union ausüben können, was ihnen auch die Ausweitung ihrer Aktivitäten ermöglicht. Dies ist eine bedeutende Neuerung und ein großer Fortschritt gegenüber der derzeitigen Situation, in der grenzüberschreitende Tätigkeiten kaum möglich sind.

3.12.

Unbeschadet dessen, was vorstehend ausgeführt wird (19), fordert der EWSA mehr Aufmerksamkeit für Bereiche, in denen es möglicherweise Spannungen bezüglich des Status der Anbieter und den von ihnen erbrachten Dienstleistungen gibt. So scheint etwa die Möglichkeit der „Ermessensbefugnis“, die sie beim Abschließen von Verträgen mit Investoren erhalten, zu heiklen Situationen führen zu können. Sie müssen als „neutrale Vermittler“ auftreten, während sie vertraglich verpflichtet sind, „das bestmögliche Ergebnis für ihre Kunden zu erreichen“ (20). Die Verpflichtung zur Neutralität muss nach Ansicht des Ausschusses unbedingt gewährleistet werden. Hierfür bedarf es zusätzlicher Maßnahmen. Die Plattformen müssen qualitativ hochwertige Dienste anbieten.

3.13.

Für alle potenziellen Nutzer — Unternehmer als auch Investoren — ist es unerlässlich und dringend geboten, jederzeit genau zu wissen, auf welcher Plattform sie sich befinden. Dies ist umso wichtiger, als dass jetzt, wie vorstehend ausgeführt, nationale und europäische Vorschriften parallel existieren und zur Anwendung kommen werden (21). In diesem Zusammenhang werden die von der ESMA zu führenden Register von EU-Plattformen als Marketinginstrument als unzureichend angesehen. Nach Ansicht des EWSA sollten die Behörden und Aufsichtsorgane zusätzlich verpflichtet werden, alle Nutzer in deren Sprachen mit korrekten, leicht zugänglichen und Rechtssicherheit bietenden Informationen zu versorgen.

3.14.

Der Ausschuss fordert, dass es auch für die Plattformen Bekanntmachungspflichten geben muss. Konkret kann vorgesehen werden, dass Plattformen ihre „EU-Zulassung“ ausdrücklich und deutlich in allen Fällen, in denen sie sich an die Öffentlichkeit richten (22), sowie in ihrer gesamten externen Kommunikation (23) verwenden.

3.15.

Die Rolle und die Verantwortung der ESMA in Bezug auf die Aufsicht scheint klar zu sein, gleichzeitig jedoch kann man sich fragen, ob nicht auch die nationalen Aufsichtsbehörden dabei eine Rolle spielen sollten, da sie den nationalen Märkten näher sind und die Gegebenheiten vor Ort besser kennen. In jedem Fall erscheint es angebracht, dass hier für Klarheit gesorgt wird. Dies ist auch für andere wichtig, etwa für Unternehmer, die Crowdfunding nutzen wollen.

3.16.

Da jetzt — wie bereits erwähnt — nationale und europäische Vorschriften gleichzeitig nebeneinander bestehen und angewendet werden, ist es für den Ausschuss ganz allgemein in jedem Fall (24) wichtig, dass die verschiedenen Verwaltungen und Aufsichtsbehörden auf nationaler und europäischer Ebene sich fortwährend und kohärent abstimmen und zusammenarbeiten, auch im Hinblick auf die weitere Harmonisierung und Integration in der Union. Im Übrigen kommt ihnen auch eine wichtige Rolle in Bezug auf das „Vertrauen“ zu, das eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg von Crowdfunding ist.

3.17.

Wenn die ESMA im Rahmen ihrer Aufsichtsfunktion Sanktionen verhängt, muss eine eventuelle Berufung dagegen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union eingelegt werden. Dies ist nicht nur ein aufwendiges Verfahren, sondern es stellt sich auch die Frage, ob dies zu den Aufgaben des Gerichtshofs gehören sollte.

Unternehmen, die auf Crowdfunding zurückgreifen

3.18.

Interessant ist Crowdfunding hauptsächlich für Unternehmen in der Gründungs- und Startphase, die weniger leichten Zugang zu Finanzierung durch Banken haben oder die in der Anfangsphase ihrer Tätigkeit riskantere und innovative Projekte vorantreiben, insbesondere während des Übergangs von der Gründungs- zur Wachstumsphase. Der Ausschuss begrüßt, dass durch die neuen Vorschläge zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten für diese Art von KMU und Unternehmen geschaffen werden, die vielfältiger und leichter zugänglich sind und die überdies eine grenzüberschreitende Dimension haben.

3.19.

Außerdem schließt sich der Ausschuss auch der Erwägung (25) an, nach der es neben den bereits erwähnten Vorteilen noch weitere gibt, etwa den Beitrag einer Crowdfundingkampagne zur Bestätigung des Konzepts und der Idee des Projektträgers, das Erreichen einer großen Zahl von Personen, die Unternehmern mit Wissen und Informationen weiterhelfen können, und die Tatsache, dass Crowdfunding im Erfolgsfall als Marketinginstrument dienen kann.

3.20.

Unternehmen erhalten die Möglichkeit, ihre Projekte bis zu einem Höchstbetrag von 1 Mio. EUR über einen Zeitraum von zwölf Monaten finanzieren zu lassen. Hier stellt sich die Frage, ob diese Schwelle nicht zu niedrig angesetzt wurde, insbesondere wenn es sich um investitionsbasiertes Crowdfunding (26) handelt. In solchen Fällen bildet die obligatorische Übertragbarkeit der Wertpapiere eine wichtige Garantie für Anleger, die aus dem Projekt aussteigen wollen (27). Es stellt sich die Frage, ob die geplante Schwelle von 1 Mio. EUR kein Hemmnis für ein künftiges reibungsloses Funktionieren der Märkte für diese Art von Wertpapieren ist. Überdies ist es in Regelungen auf nationaler Ebene anscheinend möglich, höhere Schwellenwerte vorzusehen (28).

(Mögliche) Investoren

3.21.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass sich Investoren eine neue Tür auftut, die außerdem grenzüberschreitende Tätigkeiten ermöglicht. Sie erhalten hiermit mehr Möglichkeiten und ein größeres Angebot.

3.22.

Es ist sicherlich zu begrüßen, dass eine erste Bewertung der Eignung eines potenziellen Investors durch eine Kenntnisprüfung und die Möglichkeit zur Simulation der Verlustfähigkeit vorgesehen ist (29), allerdings wird das Risiko (und dessen Bewertung) leider vollständig dem Markt und den potenziellen Investoren überlassen.

3.23.

So geht die Tatsache, dass keine „ante factum“-Genehmigung (30) des Basisinformationsblatts durch die zuständigen Behörden oder nicht einmal eine Meldepflicht (31) vorgesehen ist, zulasten des Schutzes der potenziellen Investoren, ebenso wie die beschränkten Verpflichtungen zur Übersetzung wichtiger Dokumente (32). Diese Situation ist eher nicht zufriedenstellend. Der Ausschuss fordert daher zumindest bei der Einführung dieser Regelung geeignete Maßnahmen, um das Risiko für die Investoren besser aufzuzeigen bzw. nach Möglichkeit zu verringern. Das Gleiche gilt für die Informationen, die sie erhalten.

3.24.

Berücksichtigt man ferner die eher traditionelle Weise, auf die Wertpapiere angeboten werden, insbesondere über Banken und Börsengesellschaften, besteht die Gefahr, dass der in den Vorschlägen vorgesehene begrenzte Anlegerschutz zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen den verschiedenen Dienstleistern führt (33). Der Ausschuss ist der Auffassung, dass übermäßige Unterschiede in diesem Bereich vermieden werden müssen, da dies das Vertrauen in bestimmte Marktteilnehmer beeinträchtigen und zu Unsicherheit und Aufsichtsarbitrage führen könnte. Letztlich könnte dies auch Auswirkungen auf die Finanzstabilität in der EU haben.

Sonstige Bemerkungen

3.25.

In Bezug auf die Bekämpfung der Geldwäsche und der Finanzierung des Terrorismus erscheint die vorgeschlagene Regelung nicht entschlossen genug, zumal die ESMA bereits auf bestimmte Risiken und Gefahren in diesem Bereich hingewiesen hat (34). Die relativ begrenzte Regelung dieser Angelegenheit (35) und die der Kommission übertragene Befugnis, Anbieter von Crowdfundingdiensten gegebenenfalls den entsprechenden Vorschriften zu unterwerfen (36), ist fragwürdig. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob eine solche Entscheidung von der Kommission getroffen werden sollte. Wenn ja, nach welchen Kriterien (37)? Warum gibt es diese Möglichkeit, Anbieter zur Einhaltung der Vorschriften zu verpflichten, zudem nur einmal (38)? Der Ausschuss ist der Ansicht, dass diese Möglichkeit jederzeit bestehen muss und nicht unter die alleinige Zuständigkeit der Kommission fallen darf. Darüber hinaus müssen die Bedingungen und Kriterien, unter denen diese Verpflichtung möglich ist, eindeutig dargelegt werden.

3.26.

Insbesondere in Anbetracht der verfolgten Ziele fällt auf, dass die steuerliche Behandlung der Einkünfte aus dem Crowdfunding und die Verpflichtungen für die diesbezüglichen Schuldner (39) nicht angesprochen werden und in den vorliegenden Vorschlägen fehlen (40), obwohl Grund zu der Annahme besteht, dass die Besteuerung ein ausschlaggebender Faktor für den Erfolg dieser Initiative sein wird. Der EWSA empfiehlt daher, diese Aspekte in den Erwägungen zu berücksichtigen. Falls erforderlich, muss eine angepasste Regelung auf der entsprechenden Ebene ausgearbeitet werden.

Vorsichtig beginnen, Glaubwürdigkeit kultivieren und die Zukunft im Blick haben

3.27.

Damit dieser marktbezogene Vorschlag ein echter Erfolg wird, müssen alle Akteure dieselbe Richtung einschlagen. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn Unternehmen und Investoren die Rahmenbedingungen wirksam und umfassend nutzen, die in diesen Vorschlägen festgelegt werden. Erst dann wird es einen echten Markt geben, auf dem sich Kreditangebot und -nachfrage die Waage halten. Der EWSA hält es für wichtig, dass in der Startphase Glaubwürdigkeit kultiviert wird, indem überlegt und vorsichtig vorgegangen wird, wobei der Schwerpunkt stärker auf Risikomanagement und den mittelbaren Faktoren liegen sollte.

3.28.

Eine regelmäßige Beobachtung, Bewertung und Evaluierung dieses EU-Rechtsrahmens ist äußerst angebracht, um seine Zukunft zu sichern. Auch die anderen in den Mitgliedstaaten bestehenden Crowdfundingregelungen sollten in diese Beobachtung eingebunden werden. Es geht darum, Lehren aus den auf den Märkten bewährten Verfahren zu ziehen und diese in die europäische Regelung zu integrieren. Die Konsultation aller Beteiligten und Interessenträger sowie der Dialog mit ihnen sind dabei gleichermaßen unerlässlich.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Vgl. die Ziffern 3.1 bis 3.4.

(2)  Siehe die Internetseite der Europäischen Kommission: http://ec.europa.eu/priorities/jobs-growth-investment/plan/index_de.htm.

(3)  Aktionsplan vom September 2015. „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“, COM(2015) 468 final. Siehe http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1447000363413&uri=CELEX%3A52015DC0468.

(4)  Auch die Kommission nahm eine Mitteilung an, in welcher eine Beschleunigung der Reformen gefordert wurde. Siehe COM(2016) 601 final.

(5)  So forderte der Europäische Rat „zügige und entschlossene Fortschritte“ des Plans, „damit Unternehmen leichter Zugang zu Finanzierungen erhalten und Investitionen in die Realwirtschaft gefördert werden“. Siehe http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2016/06/28/euco-conclusions/.

(6)  Vgl. die Mitteilung der Kommission „Vollendung der Kapitalmarktunion bis 2019: Beschleunigung der Umsetzung“. Siehe https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2018/DE/COM-2018-114-F1-DE-MAIN-PART-1.PDF.

(7)  Neben dem in Ziffer 2.5 genannten Aktionsplan geht es um den „Aktionsplan für nachhaltige Finanzierungen“.

(8)  Pressemitteilung vom 8. März 2018„FinTech: Kommission leitet Maßnahmen für einen wettbewerbsfähigeren und innovativeren Finanzmarkt ein“. Siehe http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-1403_de.htm.

(9)  Siehe http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1521456325451&uri=CELEX:52018PC0113.

(10)  Siehe http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1521456325451&uri=CELEX:52018PC0099.

(11)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Kapitalmarktunion: Halbzeitbilanz“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 117).

(12)  Siehe insbesondere die EWSA-Stellungnahme „Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“ (ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 17), sowie die EWSA-Stellungnahme „Kapitalmarktunion: Halbzeitbilanz“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 117).

(13)  Siehe die Begründung zu dem Verordnungsentwurf und dessen Artikel 1 bis 9.

(14)  Siehe Artikel 16 des Verordnungsentwurfs. Das Basisinformationsblatt, das potenziellen Investoren zur Verfügung gestellt werden muss, enthält unter anderem die folgende Empfehlung: „Sie sollten nicht mehr als 10 % Ihres Nettovermögens in Crowdfunding-Projekte investieren.“

(15)  In der Folgenabschätzung wurden vier Optionen geprüft. Siehe Verordnungsentwurf, Kapitel 3 — Folgenabschätzung.

(16)  Einschließlich Vorschriften im Einklang mit der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II), der Richtlinie über Zahlungsdienste (PSD) und der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFMD).

(17)  Je nachdem, ob der potenzielle Akteur Wirtschaftsteilnehmer oder Investor ist.

(18)  Hierbei handelt es sich um einen der „mittelbaren Faktoren“, auf die unter Ziffer 3.9 hingewiesen wird.

(19)  Siehe Ziffer 3.8.

(20)  Siehe Erwägungsgrund 16 des Verordnungsentwurfs.

(21)  Siehe Ziffer 3.10.

(22)  Zum Beispiel auf ihrem Internetportal.

(23)  Zum Beispiel in allen Dokumenten, die an interessierte Kreise gerichtet sind.

(24)  Unabhängig von der Frage der Aufsicht und der unter Ziffer 3.15 behandelten Frage.

(25)  Erwägungsgrund 4 des Verordnungsentwurfs.

(26)  Zum Beispiel Aktien oder ähnliche Wertpapiere.

(27)  Siehe Erwägungsgrund 11 des Verordnungsentwurfs.

(28)  In der Prospektverordnung (die im Juli 2018 in Kraft tritt) gibt es keine spezifische Ausnahme für Crowdfunding. Viele Mitgliedstaaten, darunter Belgien, verfügen über eine entsprechende Ausnahmeregelung. Dies ist für nicht harmonisierte Transaktionen von weniger als 8 Mio. EUR möglich (über dieser Schwelle muss in jedem Fall ein Prospekt erstellt werden). Das Ergebnis ist, dass jetzt jeder Mitgliedstaat seine eigenen Regeln in Bezug auf die Ausnahme von der Pflicht zur Erstellung eines Prospekts im Zusammenhang mit Crowdfunding-Transaktionen hat, was in einer Fragmentierung des Marktes resultiert. Plattformen, die ihre Tätigkeiten in mehreren Mitgliedstaaten ausüben wollen, müssen daher die jeweiligen nationalen Regelungen prüfen und einhalten. Der Vorschlag beschränkt sich nunmehr auf Transaktionen von weniger als 1 Mio. EUR und ist daher für den Crowdfundingmarkt für Transaktionen von mehr als 1 Mio. EUR nur wenig relevant.

(29)  Artikel 15 des Verordnungsentwurfs.

(30)  Siehe Artikel 16 des Verordnungsentwurfs.

(31)  Insbesondere die zuständigen nationalen Behörden. Siehe Artikel 16 Absatz 8 des Verordnungsentwurfs.

(32)  Vorgesehen ist, dass „(d)as Basisinformationsblatt für Investoren (…) in (…) einer der Amtssprachen des betreffenden Mitgliedstaats oder in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache abgefasst“ wird. Ein Investor kann einen Anbieter zwar „auffordern, eine Übersetzung des Basisinformationsblatts in eine vom Investor gewählte Sprache zu veranlassen“, allerdings unterliegt der Anbieter offenbar keiner entsprechenden absoluten Verpflichtung. Siehe Artikel 16 des Verordnungsentwurfs.

(33)  Banken und Börsengesellschaften unterliegen der MiFID-Regelung, während Crowdfunding-Plattformen hiervon ausgenommen sind (vgl. Richtlinienentwurf). Letztere unterliegen einer besonderen Regelung, so wie dies im Verordnungsentwurf dargelegt wird.

(34)  Die ESMA vertrat die Auffassung, dass bei auf Investitionen fußendem Crowdfunding die Gefahr eines Missbrauchs zum Zwecke der Terrorismusfinanzierung besteht, insbesondere wenn die Plattformen nur eine begrenzte oder gar keine Sorgfaltspflicht bezüglich der Projektträger und ihrer Vorhaben wahrnehmen, um offen oder insgeheim Mittel für die Finanzierung von Terroristen zu beschaffen (ESMA, Questions and Answers Investment-based crowdfunding: money laundering/terrorist financing). Siehe https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/esma_2015_1005_qa_crowdfunding_money_laundering_and_terrorist_financing.pdf.

(35)  Siehe Verordnungsentwurf. Insbesondere müssen nach Artikel 9 Zahlungen für Crowdfunding-Transaktionen von Einrichtungen erbracht werden, die nach der Zahlungsdiensterichtlinie zugelassen sind und somit der vierten Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche unterliegen, unabhängig davon, ob die Zahlungen von der Plattform selbst oder von einem Dritten erbracht werden. Ferner müssen Crowdfunding-Dienstleister nach Artikel 9 gewährleisten, dass Projektträger Finanzmittel für Crowdfunding-Angebote oder sonstige Zahlungen nur über Einrichtungen annehmen, die nach der Zahlungsdiensterichtlinie zugelassen sind. In Artikel 10 werden Anforderungen für den „guten Leumund“ der Geschäftsleitung formuliert, wozu gehört, dass keine Vorstrafen im Rahmen der Rechtsvorschriften zur Geldwäschebekämpfung vorliegen. Artikel 13 sieht vor, dass die zuständigen nationalen Behörden, einschließlich der nach der Richtlinie (EU) 2015/849 benannten zuständigen nationalen Behörden, unverzüglich die ESMA von allen nach der Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche relevanten Fragen, bei denen Crowdfunding-Plattformen eine Rolle spielen, unterrichten. Die ESMA kann anschließend auf der Grundlage dieser Information die Zulassung entziehen.

(36)  Artikel 38 des Verordnungsentwurfs.

(37)  Vgl. Artikel 38 des Verordnungsentwurfs. Schematisch zusammengefasst wird dort festgelegt, dass die Kommission innerhalb einer näher zu bestimmenden Frist (zwei Jahre) dem Parlament und dem Rat einen Bericht über die Anwendung der Verordnung vorlegt. Dieser Bericht soll eine Bewertung der Frage enthalten, „inwieweit es notwendig und verhältnismäßig ist, die Crowdfunding-Dienstleister zur Einhaltung der nationalen Vorschriften (…) in Bezug auf Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu verpflichten“. Gegebenenfalls muss diesem Bericht ein Legislativvorschlag beigefügt werden.

(38)  Vgl. vorige Fußnote; auf der Grundlage von Artikel 38 ist dies offenbar der einzige Zeitpunkt, zu dem diese Verpflichtung zur Einhaltung der geltenden Vorschriften beschlossen werden könnte.

(39)  Dies gilt insbesondere für die Verpflichtungen, die dem Schuldner von (unter anderem) Zinsen und Dividenden aufgrund der Transparenzpflichten — z. B. Einbehaltungs- und Meldepflichten — auferlegt werden.

(40)  Hierbei handelt es sich um einen der „mittelbaren Faktoren“, auf die unter Ziffer 3.9 hingewiesen wird.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/73


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz“

(COM(2018) 147 final — 2018/0072 (CNS))

und dem

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum gemeinsamen System einer Digitalsteuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen“

(COM(2018) 148 final — 2018/0073 (CNS))

(2018/C 367/14)

Berichterstatter:

Krister ANDERSSON

Mitberichterstatter:

Petru Sorin DANDEA

Befassung

Rat der Europäischen Union, 11.4.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 113 und 115 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

27.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

12.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

175/6/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Initiativen der Kommission im Bereich der Besteuerung der digitalen Wirtschaft, die konkret verdeutlichen, wie die derzeit geltenden Besteuerungsgrundsätze geändert werden können, und dadurch den internationalen Diskussionen weitere Impulse geben werden.

1.2.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die gesamte Wirtschaft von der Digitalisierung erfasst wird. Er ist wie die Kommission fest davon überzeugt, dass letztlich eine globale Lösung gefunden werden muss, um die Vorteile der Globalisierung mithilfe einer angemessenen globalen Governance und angemessener globaler Vorschriften besser zu nutzen. Der EWSA begrüßt daher die enge Zusammenarbeit zwischen der Kommission, den Mitgliedstaaten und der OECD, um die Entwicklung einer Lösung auf internationaler Ebene voranzutreiben.

1.3.

Nach Auffassung des EWSA ist es sehr wichtig, neue Regeln für die Zuordnung von Unternehmensgewinnen zu einem EU-Mitgliedstaat und für die Besteuerung dieser Gewinne zu entwickeln, was im Dialog mit den Handelspartnern geschehen muss, um eine Eskalation der Spannungen im Bereich Handel und Besteuerung zwischen den großen Wirtschaftsakteuren der Welt zu vermeiden. Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit fairer und einvernehmlicher Lösungen.

1.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Folgenabschätzung ergänzt werden sollte durch eine Analyse der Auswirkungen der vorläufigen Maßnahme auf Investitionen, Start-up-Unternehmen, die Beschäftigung und das Wachstum. Zudem muss geklärt werden, welche Folgen der Vorschlag für die KMU haben wird.

1.5.

Mit der von der Kommission vorgeschlagenen vorläufigen Maßnahme zur Besteuerung bestimmter digitaler Dienstleistungen werden nicht Unternehmensgewinne, sondern der Umsatz besteuert. Der EWSA unterstreicht, dass dieser Ansatz vom weltweit üblichen Körperschaftsteuersystem abweicht, welches auf der Besteuerung von Gewinnen beruht, bei dem jedoch anerkanntermaßen das Land, in dem die Umsätze getätigt werden, keine Steuern auf Unternehmensgewinne von Digitalunternehmen ohne physische Präsenz einnimmt.

1.6.

Der EWSA ist besorgt, dass eine solche Verlagerung der Besteuerung großen Volkswirtschaften mit vielen Verbrauchern zugutekommt und zulasten kleiner exportorientierter Volkswirtschaften geht. Der EWSA betont, dass jede (kurz- oder langfristige) Lösung für die Besteuerung der Geschäftsmodelle der digitalen Wirtschaft zu einem Ergebnis führen muss, bei dem alle Volkswirtschaften in der EU wirtschaftlich fair und gleich behandelt werden.

1.7.

Bei der Beurteilung des tatsächlichen Besteuerungsniveaus der digitalen Wirtschaft müssen nach Ansicht des EWSA die Änderungen in den Steuervorschriften im Zuge der Umsetzung der BEPS-Regeln und insbesondere die Tatsache berücksichtigt werden, dass das Besteuerungsniveau in den USA für in der EU tätige US-amerikanische Digitalunternehmen aufgrund von Änderungen in den amerikanischen Steuergesetzen erheblich gestiegen ist.

1.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass keine Auslaufklausel und kein sonstiger Mechanismus vorgesehen sind, durch die bzw. den die vorläufige Besteuerungsmaßnahme endet, sobald eine längerfristige Lösung gefunden ist. Der EWSA empfiehlt dem Rat nachdrücklich, eine solche Bestimmung vorzusehen, sollte die vorläufige Steuermaßnahme eingeführt werden.

1.9.

Der EWSA betont, dass der Vorschlag zur Einführung einer umsatzbasierten Steuer eine intensive internationale Debatte ausgelöst hat, was ja eines der Ziele dieser Initiative war. Die EU muss sich jetzt auf einen gemeinsamen Standpunkt für die laufenden Beratungen in der OECD einigen.

2.   Einführung und Kontext

2.1.

Die Kommission hat am 21. März 2018 eine Mitteilung mit dem Titel „Zeit für einen modernen, fairen und effizienten Steuerstandard für die digitale Wirtschaft“ veröffentlicht und darin ihr Legislativpaket für eine Reform zur Harmonisierung der Körperschaftsteuer-Vorschriften der EU für digitale Tätigkeiten vorgestellt. Das Paket umfasst zwei Richtlinien des Rates und eine nicht verbindliche Empfehlung in Bezug auf die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz.

2.2.

Konkret schlägt die Kommission zwei neue Richtlinien vor: a) einen langfristigen Vorschlag, in dem Vorschriften und Bestimmungen in Bezug auf eine „digitale Präsenz“ (digitale Betriebsstätte) festgelegt werden (1) und der darauf ausgerichtet ist, die Vorschriften für die Körperschaftssteuer zu reformieren, damit Gewinne dort registriert und besteuert werden, wo Unternehmen über digitale Kanäle in großem Maßstab mit Nutzern interagieren, und nicht dort, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften, und b) einen kurzfristigen Vorschlag für eine umsatzbasierte Zwischen- oder Übergangssteuer auf bestimmte digitale Dienstleistungen (2). Der EU-Binnenmarkt braucht stabile steuerliche Rahmenbedingungen, die den digitalen Geschäftsmodellen Rechnung tragen. Durch die Schaffung eines stabilen Umfelds für Investitionen der Unternehmen werden Innovationsanreize geschaffen. Im digitalen Bereich tätige Unternehmen müssen — so wie alle anderen Unternehmen — zu den öffentlichen Finanzen beitragen und einen Teil der Steuerlast tragen, die zur Finanzierung der öffentlichen Dienstleistungen erforderlich ist (3).

2.3.

Im Einzelnen werden in dem langfristigen Vorschlag die Vorschriften für die Ermittlung des steuerlichen Anknüpfungspunkts für grenzüberschreitend tätige digitale Unternehmen ohne physische Präsenz sowie die Grundsätze für die Zuordnung von Gewinnen zu einem digitalen Unternehmen, durch die die Wertschöpfung digitaler Geschäftsmodelle besser erfasst wird, festgelegt. Diese Maßnahmen sollen für Unternehmen gelten, die eines der folgenden Kriterien erfüllen: a) jährliche Erträge von mehr als 7 Mio. EUR in einem Mitgliedstaat, b) mehr als 100 000 Nutzer in einem Steuerjahr in einem Mitgliedstaat, c) Abschluss von mehr als 3 000 Geschäftsverträgen über digitale Dienstleistungen zwischen dem Unternehmen und gewerblichen Nutzern in einem Steuerjahr.

2.4.

Der kurzfristige Vorschlag ist die Einführung einer Zwischen- oder Übergangssteuer, die als indirekte Steuer gelten würde für: a) Erträge aus dem Verkauf von Online-Werbeflächen, b) Erträge aus digitalen Vermittlungsgeschäften, die Nutzern erlauben, mit anderen Nutzern zu interagieren und die den Verkauf von Gegenständen und Dienstleistungen zwischen ihnen ermöglichen, c) Erträge aus dem Verkauf von Daten, die aus Nutzerinformationen generiert werden. Diese Steuer würde nur für Unternehmen mit jährlichen weltweiten Gesamterträgen ab 750 Mio. EUR und jährlichen EU-Erträgen ab 50 Mio. EUR gelten. Mit einem Steuersatz von 3 % könnten in den Mitgliedstaaten jährlich schätzungsweise Einnahmen von 5 Mrd. EUR erzielt werden.

2.5.

Die Verknüpfung der neuen Richtlinie über die digitale Präsenz mit den Änderungen zur gemeinsamen konsolidierten Steuerbemessungsgrundlage (GKKB) wird sicherstellen, dass sowohl die Körperschaftsteuersysteme der Mitgliedstaaten als auch die vorgeschlagene GKKB Vorschriften beinhalten, um die Herausforderung der Besteuerung der digitalen Wirtschaft zu bewältigen (4).

2.6.

Die Kommission ist mit Blick auf die Zukunft fest davon überzeugt, dass letztlich eine globale Lösung erforderlich ist. Sie arbeitet daher eng mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zusammen, um im Einklang mit dem am 16. März 2018 vorgelegten OECD-Zwischenbericht über die Besteuerung der digitalen Wirtschaft einen Beitrag zur Entwicklung einer internationalen Lösung zu leisten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Nach Einschätzung des EWSA wird die gesamte Wirtschaft von der Digitalisierung erfasst. Angesichts der raschen Entwicklung der Geschäftsmodelle, insbesondere im Bereich der digitalen Dienstleistungen, müssen unbedingt auch unsere Steuersysteme weiterentwickelt werden. Die digitalisierte Wirtschaft agiert grenzüberschreitend, und ein neues Steuerrecht, das den digitalen Geschäftsmodellen Rechnung trägt, wird zunehmend dringlicher.

3.2.

Der EWSA ist wie die Kommission fest davon überzeugt, dass letztlich eine globale Lösung gefunden werden muss, um die Vorteile der Globalisierung mithilfe einer angemessenen globalen Governance und angemessener globaler Vorschriften besser zu nutzen. Der EWSA begrüßt daher die enge Zusammenarbeit zwischen der Kommission, den Mitgliedstaaten und der OECD, um die Entwicklung einer Lösung auf internationaler Ebene voranzutreiben.

3.3.

Parallel zu den internationalen Diskussionen und auf der Grundlage ihrer im September 2017 vorgelegten Mitteilung (5) schlägt die Kommission nunmehr Lösungen auf EU-Ebene vor. Nach Aussage der Kommission (6) werden diese konkret verdeutlichen, wie die auf internationaler Ebene diskutierten Grundsätze in einen modernen, fairen, effizienten und an das digitale Zeitalter angepassten Rahmen für die Unternehmensbesteuerung münden können, und dadurch den internationalen Diskussionen weitere Impulse verleihen.

3.4.

Der EWSA misst gleichen Wettbewerbsbedingungen im Bereich der Unternehmensbesteuerung sehr große Bedeutung bei. In den letzten Jahren ist es einzelnen Unternehmen gelungen, die in einigen Mitgliedstaaten geltenden besonderen Steuerregelungen so in Anspruch zu nehmen, dass der effektive Steuersatz gegen null tendierte. Die mangelnde Transparenz hat dazu beigetragen. In einigen Fällen waren multinationale Unternehmen im Bereich digitaler Dienstleistungen daran beteiligt. Der Ausschuss unterstützt daher die Absicht der Kommission, die Praktiken der aggressiven Steuerplanung und Intransparenz seitens der Mitgliedstaaten weiter zu bekämpfen, um eine Gleichbehandlung der Unternehmen und die Förderung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten.

3.5.

Der EWSA begrüßt die Initiativen der Kommission im Bereich der Besteuerung der digitalen Wirtschaft, die den internationalen Diskussionen weitere Impulse geben werden, indem sie konkret verdeutlichen, wie die derzeit geltenden Besteuerungsgrundsätze geändert werden können. Der Vorschlag zur Einführung einer umsatzbasierten Steuer hat eine intensive internationale Debatte ausgelöst, was ja eines der Ziele dieser Initiative war. Die EU muss sich jetzt auf einen gemeinsamen Standpunkt für die laufenden Beratungen in der OECD einigen.

3.6.

Der EWSA teilt die Ansicht der Kommission, wonach jede auf EU-Ebene vorgeschlagene Lösung auch der globalen Dimension Rechnung tragen muss. Er stimmt auch mit folgender Aussage überein: „Diese Vorschläge sind der Beitrag der Kommission zur Ausgestaltung der einvernehmlichen Lösung, die von der OECD bis zum Jahr 2020 angestrebt wird. Sie veranschaulichen, wie die auf internationaler Ebene erörterten Grundsätze konkret umgesetzt werden können“ (7).

3.7.

Es ist sehr wichtig, neue Regeln für die Zuordnung von Unternehmensgewinnen zu einem EU-Mitgliedstaat und für die Besteuerung dieser Gewinne zu entwickeln. Dies muss im Dialog mit den Handelspartnern geschehen, um eine Eskalation der Spannungen im Bereich Handel und Besteuerung zwischen den großen Wirtschaftsakteuren der Welt zu vermeiden. Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit fairer und einvernehmlicher Lösungen.

3.8.

Die derzeit in der Welt existierenden Körperschaftsteuersysteme beruhen auf der Bewertung der Unternehmensgewinne und ihrer Zuweisung zu den einzelnen Hoheitsgebieten. Die Besteuerung sollte danach erfolgen, wo die Wertschöpfung stattfindet. Da sich nur schwer sagen lässt, wo genau in der Wertschöpfungskette der Gewinn entsteht, sind universelle Grundsätze zur Ermittlung des Ortes der Wertschöpfung erforderlich. Solche Regeln wurden im Rahmen der umfassenden Arbeiten der OECD entwickelt, wobei steuerliche Grundsätze und Definitionen für die Bepreisung von Waren und Dienstleistungen (Vorschriften über die Verrechnungspreisgestaltung) für die Unternehmen innerhalb einer Gruppe festgelegt wurden.

3.9.

Nach Ansicht des EWSA müssen die internationalen Steuervorschriften im Zuge der Entwicklung der Geschäftsmodelle regelmäßig überprüft werden. Die derzeitigen Vorschriften sind erst vor Kurzem im Zusammenhang mit der Initiative zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS) (8) überarbeitet worden. Die neuen Vorschriften und Definitionen befinden sich derzeit in der Umsetzungsphase. Sie dürften die Möglichkeiten für aggressive Steuerplanung und Gewinnverkürzung wesentlich einschränken (9).

3.10.

Es kommt darauf an, dass die sonstigen Entwicklungen im Bereich der Körperschaftsteuer mit den bisherigen Ergebnissen der BEPS-Initiative im Einklang stehen. Ein BEPS-Grundsatz besteht in der Zuweisung der Gewinne zu den Ländern nach dem Ort der Wertschöpfung.

3.11.

Der EWSA weist auf die Notwendigkeit ordnungsgemäßer Folgenabschätzungen hin. Nach Ansicht des EWSA ist die Folgenabschätzung nicht umfangreich genug. So hat die Kommission nicht untersucht, welche Auswirkungen die vorläufige Maßnahme auf Investitionen, Start-up-Unternehmen, die Beschäftigung und das Wachstum haben wird. Aus der Folgenabschätzung wird auch nicht ersichtlich, welche Folgen die Vorschläge für die KMU haben werden.

3.12.

Die Auswirkungen auf die Einnahmen kleinerer und größerer Volkswirtschaften müssen ebenfalls untersucht werden, ebenso die Auswirkungen der Maßnahmen, die parallel zur Umsetzung des BEPS in verschiedenen Ländern ergriffen wurden und die sich aus der Steuerreform in den USA ergeben.

3.13.

Der ESWA ist besorgt, dass die negativen Kaskadeneffekte der Umsatzbesteuerung, deren Existenz die Kommission ausdrücklich einräumt, die Entwicklung digitaler Dienstleistungen und insbesondere von Start-up-Unternehmen beeinträchtigen könnten. Kaskadeneffekte entstehen, wenn eine Dienstleistung mehrmals verkauft und dabei jedes Mal besteuert wird.

3.14.

Nach Ansicht des EWSA sollte der Schwellenwert von 7 Mio. EUR für eine neue Betriebsstätte, ab dem die neuen Vorschriften gelten würden, angehoben werden. Die Beratungen des Rates sollten zu Ergebnissen führen, die nicht die Digitalisierung beeinträchtigen, sondern vielmehr die Funktionsweise des Binnenmarktes verbessern. Bei der Beurteilung des tatsächlichen Besteuerungsniveaus der digitalen Wirtschaft müssen nach Ansicht des EWSA die Änderungen in den Steuervorschriften im Zuge der Umsetzung der BEPS-Regeln und insbesondere die Tatsache berücksichtigt werden, dass das Besteuerungsniveau in den USA für in der EU tätige US-amerikanische Digitalunternehmen aufgrund von Änderungen in den amerikanischen Steuergesetzen (10) erheblich gestiegen ist.

3.15.

Die Besteuerung von Umsatz statt Gewinn und die Erhebung von Steuern an dem Ort, an dem die Umsätze getätigt werden, und nicht dort, wo die Wertschöpfung stattfindet, ist eine grundsätzliche Neuerung gegenüber den bisherigen Steuergrundsätzen. Der EWSA ist besorgt, dass eine solche Verlagerung der Besteuerung großen Volkswirtschaften mit vielen Verbrauchern zugutekommt und zulasten kleiner exportorientierter Volkswirtschaften geht. Der EWSA betont, dass jede (kurz- oder langfristige) Lösung für die Besteuerung der Geschäftsmodelle der digitalen Wirtschaft zu einem Ergebnis führen muss, bei dem alle Volkswirtschaften in der EU wirtschaftlich fair und gleich behandelt werden.

3.16.

Die vorgeschlagene vorläufige Maßnahme bedeutet, dass auch unrentable Unternehmen besteuert würden. Der EWSA unterstreicht, dass das weltweit übliche Körperschaftsteuersystem auf der Besteuerung von Gewinnen beruht, räumt aber ein, dass dabei das Land, in dem die Umsätze getätigt werden, keine Steuern auf Unternehmensgewinne von Digitalunternehmen ohne physische Präsenz einnimmt.

3.17.

Der EWSA weist darauf hin, dass keine Auslaufklausel und kein sonstiger Mechanismus vorgesehen sind, durch die bzw. den die vorläufige Besteuerungsmaßnahme endet, sobald eine längerfristige Lösung gefunden ist. Der EWSA empfiehlt dem Rat nachdrücklich, eine solche Bestimmung vorzusehen, sollte die vorläufige Steuermaßnahme eingeführt werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der von der Europäischen Kommission vorgesehene einheitliche Steuersatz von 3 % kann nur als Anhaltspunkt dienen und muss noch bewertet werden. Zudem sollte eine Flexibilität angestrebt werden, um die individuelle steuerliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen.

4.2.

Das Fehlen eines grenzüberschreitenden Verlustausgleichs und die große Zahl von Streitigkeiten über die Verrechnungspreisgestaltung und Betriebsstätten in der EU führt häufig zu einer Doppelbesteuerung auf internationaler Ebene, was den Binnenmarkt erheblich beeinträchtigt. Die Einführung einer umsatzbasierten Steuer auf digitale Dienstleistungen, die nicht mit der Ertragssteuer in anderen Ländern verrechnet wird, würde die Doppelbesteuerung verschärfen und damit ein weiteres Hindernis für den Binnenmarkt bedeuten. Nach Ansicht des EWSA sollten auf keinen Fall Maßnahmen eingeführt werden, die zu irgendeiner Form von Doppelbesteuerung führen würden.

4.3.

Das OECD-Verfahren zur Entwicklung einer Definition für Betriebsstätte ist ein dynamischer Prozess, bei dem die eingeführten Änderungen grundsätzlich weltweit auf Akzeptanz gestoßen sind. Wenn jetzt unilateral eine Definition vorgeschlagen und damit von diesem Verfahren abgewichen wird, dürfte das die Komplexität des internationalen Steuersystems und die Unsicherheit für Investoren erhöhen. Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass die OECD in ihrem für 2020 erwarteten Schlussbericht über die digitale Wirtschaft die gleiche Definition übernehmen sollte, würde es nicht lange dauern, bis die beiden Systeme voneinander abweichen (11).

4.4.

Der EWSA ist besorgt darüber, dass die Zahl der Nutzer digitaler Dienstleistungen als Kriterium für die Ermittlung des steuerlichen Anknüpfungspunkts herangezogen wird. Die Zahl der Klicks auf einer Webseite kann leicht manipuliert werden, und Unternehmen könnten die Kontrolle darüber verlieren, in welchem rechtlichen Hoheitsgebiet (Staat) sie agieren.

Brüssel, den 12. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 147 final.

(2)  COM(2018) 148 final.

(3)  COM(2018) 146 final.

(4)  COM(2018) 146 final. Für weitere Informationen siehe ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 58,

https://www.eesc.europa.eu/en/our-work/opinions-information-reports/opinions/common-consolidated-corporate-tax-base.

(5)  COM(2017) 547 final.

(6)  COM(2018) 146 final, S. 5.

(7)  COM(2018) 146 final, S. 6.

(8)  OECD (2015).

(9)  Nach Angaben der Kommission belaufen sich die Gewinnverlagerung und Gewinnverkürzung durch Unternehmen in der EU auf ein Volumen von 50-70 Mrd. EUR, was 0,4 % des BIP entspricht (COM(2018) 81 final).

(10)  Tax Cuts and Jobs Act, 22. Dezember 2017.

(11)  Der Grund dafür ist, dass die von der EU durch eine Richtlinie eingeführte Definition für Betriebsstätte in der Folge durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weiterentwickelt würde, während sich die im Rest der Welt geltende OECD-Definition durch internationalen Konsens weiter entwickeln würde, der durch die ständigen Überprüfungen im Rahmen der OECD zum Ausdruck kommt.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/78


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erhöhung der Sicherheit der Personalausweise von Unionsbürgern und der Aufenthaltsdokumente, die Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen in Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit ausgestellt werden“

(COM(2018) 212 final — 2018/0104 (COD))

(2018/C 367/15)

Hauptberichterstatter:

Jorge PEGADO LIZ

Befassung

Europäisches Parlament, 28.5.2018

Rat, 18.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 21 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Beschluss des Präsidiums

22.5.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

155/8/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt nachdrücklich die hier behandelte, seines Erachtens dringend notwendige Initiative, deren Rechtsgrundlage er angesichts des begrenzten Geltungsbereichs des Vorschlags für richtig hält, und stimmt auch dem gewählten Rechtsinstrument zu. Er ist der Ansicht, dass der Vorschlag mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie den Grundrechten im Einklang steht, und fordert seine möglichst baldige Annahme.

1.2.

Der EWSA unterstützt zudem die Pflicht zur Aufnahme eines Gesichtsbilds des Personalausweisinhabers und zweier Fingerabdrücke in interoperablen Formaten und die Verpflichtung zur Trennung der biometrischen Daten von allen anderen Daten, die die Dokumente gegebenenfalls enthalten.

1.3.

Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass die Kommission die von ihr gewählte legislative Option nicht hinreichend begründet und nicht die Gründe darlegt, die sie darin gehindert haben, eine umfassendere Harmonisierung der Rechtsvorschriften vorzuschlagen, mit der sie ein wirklich einheitliches System von Identitätsdokumenten mit offenkundigen Sicherheitsvorteilen wie einfachen und schnellen Kontrollen und einheitlichen Verfahren und damit ein System von unbestreitbarem Nutzen für die Bürger hätte schaffen können. Der EWSA kann nicht nachvollziehen, warum nicht, so wie im Falle der Aufenthaltsdokumente für Unionsbürger, die im Anhang zur Folgenabschätzung vorgesehenen obligatorischen Elemente berücksichtigt wurden, d. h. Titel des Dokuments, Name, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum, Geburtsort und Ort der Ausstellung, Unterschrift und Datum des Ablaufs der Gültigkeit des Dokuments.

1.4.

Der EWSA vertritt zudem die Auffassung, dass der Vorschlag hinter den Schlussfolgerungen des REFIT-Programms und der Bürgerkonsultationen zurückbleibt, in denen Beispiele für die eindeutige Einschränkung der Freizügigkeit im europäischen Raum aufgezeigt wurden, da sowohl die Einführung von Personalausweisen im Hoheitsgebiet als auch die Festlegung des Geltungsbereichs, der Mindestangaben und der Art der Personalausweise dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen bleiben.

1.5.

Der EWSA hätte es begrüßt, wenn die Kommission die etwaige Einführung eines europäischen Personalausweises geprüft hätte, der es den europäischen Bürgern ermöglichen würde, ihr Wahlrecht über dieses Dokument auszuüben. Dies hätte allerdings eine andere Rechtsgrundlage erfordert.

1.6.

Der EWSA befürchtet, dass die Verwaltungskosten für die neuen Ausweise in nicht begründeter, unangemessener und unverhältnismäßiger Höhe auf die Bürger abgewälzt werden, da dieser Aspekt vollständig den Behörden der Mitgliedstaaten überlassen bleibt.

1.7.

Nach Ansicht des EWSA hätten auch andere zusätzliche Elemente, mit denen die Mitgliedstaaten die genannten Ausweisdokumente versehen, in der Regelung behandelt und soweit zweckmäßig vereinheitlicht werden können, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Aufnahme in die Dokumente als auch ihrer Verwendung durch die Betroffenen selbst oder durch Dritte.

1.8.

Für den EWSA ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Umsetzung dieses Vorschlags von der Europäischen Kommission begleitet und überwacht wird, um eine eindeutige Anerkennung der in dem Vorschlag geregelten Dokumente als Instrumente zu gewährleisten, mit denen sich der Inhaber nicht nur ausweisen, sondern eine ganze Reihe von Handlungen in jedem beliebigen Mitgliedstaat vornehmen kann. Dies betrifft insbesondere die Freizügigkeit im Schengen-Raum und den Kauf von Gütern und Dienstleistungen, vor allem Finanzdienstleistungen, und den Zugang zu öffentlichen und privaten Dienstleistungen.

1.9.

Angesichts der Notwendigkeit und Dringlichkeit dieser Verordnung empfiehlt der EWSA, die Fristen für ihr Inkrafttreten und ihre künftige Überwachung durchgängig zu verkürzen.

1.10.

Der EWSA fordert die Kommission, das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten auf, seine Vorschläge zu berücksichtigen, insbesondere in Bezug auf die von ihm als wesentlich erachteten Aspekte sowie bestimmte Vorschriften für die Verwendung von Ausweisdokumenten durch Dritte, die sich in einigen Mitgliedstaaten als wesentlich erwiesen haben.

2.   Kurzzusammenfassung des Inhalts und der Grundlage des Vorschlags

2.1.

In ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat „Auf dem Weg zu einer wirksamen und echten Sicherheitsunion — Vierzehnter Fortschrittsbericht“ (1) beleuchtet die Kommission nicht nur zwei wichtige Säulen der europäischen Verteidigung: „Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität sowie der Instrumente zu ihrer Unterstützung“ und „Stärkung der Abwehrbereitschaft und Widerstandsfähigkeit gegen diese Bedrohungen“. Sie verweist darin neben anderen Maßnahmen (2) auch auf einen Legislativvorschlag zur Verbesserung der Sicherheit nationaler Personalausweise und Reisedokumente, der „es Terroristen und anderen Straftätern erschweren [soll], solche Dokumente zu missbrauchen oder zu fälschen, um in die EU einzureisen oder sich innerhalb der EU zu bewegen“.

2.2.

In dieser Mitteilung wird insbesondere festgestellt, dass „nationale Personalausweise mit schwachen Sicherheitsmerkmalen innerhalb der EU die am häufigsten missbräuchlich verwendeten Reisedokumente [sind]“, wie die Statistik der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache über gefälschte Dokumente zeigt. Als Teil der europäischen Reaktion auf die Fälschung von Reisedokumenten im Aktionsplan vom Dezember 2016 verabschiedete die Kommission zusammen mit dem Fortschrittsbericht einen Vorschlag für eine Verordnung zur Verbesserung der Sicherheit von Personalausweisen, die für Unionsbürger ausgestellt werden, und von Aufenthaltsdokumenten, die für Unionsbürger und deren Familien ausgestellt werden. „Durch die Verbesserung der Sicherheitsmerkmale von Personalausweisen und Reisedokumenten wird es Straftätern erschwert, solche Dokumente zu missbrauchen oder zu fälschen, um sich innerhalb der EU zu bewegen oder die Außengrenzen der EU zu überqueren. Sicherere Personalausweise werden zur Stärkung der Verwaltung der EU-Außengrenzen beitragen (auch hinsichtlich der Herausforderung in Bezug auf zurückkehrende terroristische Kämpfer und deren Familienangehörige); gleichzeitig erleichtern es sicherere und zuverlässigere Dokumente den EU-Bürgerinnen und Bürgern, ihr Recht auf Freizügigkeit wahrzunehmen“, heißt es in dem Vorschlag.

2.3.

Der Vorschlag der Kommission, der auf einer Folgenabschätzung und einer öffentlichen Konsultation basiert, legt Mindeststandards für die Dokumentensicherheit bei nationalen Personalausweisen fest, wozu insbesondere ein biometrisches Foto und Fingerabdrücke gehören, die in einem Chip im Personalausweis gespeichert werden. In dem Vorschlag sind außerdem Mindestinformationen, die in den ausgestellten Aufenthaltsdokumenten von mobilen Unionsbürgern enthalten sein müssen, sowie eine vollständige Harmonisierung der Aufenthaltsdokumente von Familienmitgliedern aus Nicht-EU-Ländern vorgesehen. Die Kommission fordert die gesetzgebenden Organe auf, den Legislativvorschlag unverzüglich zu prüfen, um rasch zu einer Einigung zu gelangen.

2.4.

In diesem umfassenden Rahmen sollte auch der Vorschlag für eine Verordnung geprüft und bewertet werden, der insbesondere folgende Ziele beinhaltet:

a)

Verbesserung und Stärkung des Außengrenzenmanagements;

b)

Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität sowie Aufbau einer echten Sicherheitsunion;

c)

Erleichterung der Mobilität der Unionsbürger bei der Wahrnehmung ihres Freizügigkeitsrechts und der Möglichkeit, bei öffentlichen und privaten Stellen ihre Identität nachzuweisen, wenn sie von ihrem Recht auf Aufenthalt in einem anderen EU-Land Gebrauch machen;

d)

wirksameres europäisches Vorgehen gegen Reisedokumentenbetrug und Verringerung des Fälschungs- und Dokumentenbetrugsrisikos;

e)

Verhütung von Missbrauch und Abwendung von Bedrohungen der inneren Sicherheit aufgrund von Mängeln bei der Dokumentensicherheit;

f)

Verhinderung von Reisen in Drittstaaten mit dem Ziel der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten sowie der ungestraften Rückkehr in die EU.

2.5.

Um diese Ziele zu erreichen, hat die Kommission den vorliegenden Vorschlag für eine Verordnung veröffentlicht, die sie angesichts der Rechtsgrundlage (Artikel 21 Absatz 2 AEUV) für das geeignete Rechtsinstrument hält und ihrer Ansicht nach mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.

2.6.

Es wurden drei Optionen bewertet: Beibehaltung des Status quo, umfassende Harmonisierung oder Festlegung von Mindestsicherheitsnormen für Personalausweise und gemeinsamen Mindestanforderungen für Unionsbürger ausgestellte Aufenthaltsdokumente, und bei Aufenthaltskarten für Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige von Unionsbürgern sind, Verwendung einer einheitlichen Gestaltung für Aufenthaltstitel für Drittstaatsangehörige. Den Vorzug bekam die zuletzt genannte Option, bei der die Achtung der Grundrechte und insbesondere der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre gewährleistet sind.

2.7.

Der Vorschlag wird zudem von nicht verbindlichen Maßnahmen (auf dem Gebiet der Sensibilisierung und Bildung) im Hinblick auf eine reibungslose Umsetzung flankiert, die auf die jeweilige Situation und die besonderen Bedürfnisse der einzelnen Mitgliedstaaten zugeschnitten ist. Zu diesen Maßnahmen gehören insbesondere:

a)

ein Programm für das Monitoring der Leistungen, Ergebnisse und Auswirkungen dieser Verordnung;

b)

die Mitgliedstaaten werden der Kommission ein Jahr nach dem Geltungsbeginn der Verordnung und danach jährlich einige Informationen übermitteln, die für ein wirksames Monitoring der Funktionsweise der Verordnung als wesentlich erachtet werden;

c)

eine Bewertung der Wirksamkeit, Effizienz, Relevanz, Kohärenz und des EU-Mehrwerts des aus dem Vorschlag resultierenden Rechtsrahmens durch die Kommission, und zwar frühestens sechs Jahre nach dem Geltungsbeginn der Verordnung, um zu gewährleisten, dass genügend Daten vorliegen, und Konsultationen der Interessenträger, um Rückmeldungen zu den Auswirkungen der legislativen Änderungen und der umgesetzten nichtlegislativen Maßnahmen einzuholen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt nachdrücklich die hier behandelte Initiative, auf deren Notwendigkeit er bereits in früheren Stellungnahmen hingewiesen hat. Er hält die Rechtsgrundlage angesichts des begrenzten Geltungsbereichs des Vorschlags für richtig, und stimmt auch dem gewählten Rechtsinstrument zu. Er ist der Ansicht, dass der Vorschlag mit den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sowie den Grundrechten im Einklang steht, und fordert seine möglichst baldige Annahme.

3.2.

Der EWSA unterstützt zudem die Pflicht zur Aufnahme eines Gesichtsbilds des Personalausweisinhabers und zweier Fingerabdrücke in interoperablen Formaten sowie die diesbezüglich vorgesehenen Ausnahmen und die Verpflichtung zur Trennung der biometrischen Daten von allen anderen Daten, die die Dokumente gegebenenfalls enthalten.

3.3.

Der EWSA verweist auf die Schlussfolgerungen des REFIT-Programms und der Bürgerkonsultationen, in denen Beispiele für die eindeutige Einschränkung der Freizügigkeit im europäischen Raum aufgezeigt wurden, insbesondere in Bezug auf Personalausweise, die von den Behörden nicht als gültige Reisedokumente anerkannt werden, unterschiedliche Geltungszeiträume, die die Anerkennung durch die Mitgliedstaaten erschweren, und Schwierigkeiten beim Zugang der Bürger zu Gütern und Dienstleistungen.

3.4.

Der EWSA vertritt jedoch die Auffassung, dass der Vorschlag hinter den Schlussfolgerungen des REFIT-Programms und der Bürgerkonsultationen zurückbleibt, da sowohl die Einführung von Personalausweisen im Hoheitsgebiet als auch die Festlegung des Geltungsbereichs, der Mindestangaben und der Art der Personalausweise dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen bleiben.

3.5.

Der EWSA verweist darauf, dass Personalausweise in der Regel als Hauptidentitätsnachweis des Inhabers ausgestellt werden, den Bürgern den Zugang zu Finanzdienstleistungen (insbesondere die Möglichkeit der Eröffnung eines Bankkontos), Sozialleistungen, medizinischer Versorgung und Bildung gewähren und ihnen die Ausübung von gesetzlich verankerten und politischen Rechten ermöglichen.

3.6.

Der EWSA bringt zudem im Einklang mit der Studie des Europäischen Parlaments „The legal and political context for setting up a European identity document“ (Der rechtliche und politische Kontext der Einführung eines europäischen Ausweises) zum Ausdruck, dass die Kommission durchaus die etwaige Einführung eines europäischen Personalausweises hätte prüfen können, der es den europäischen Bürgern ermöglichen würde, ihr Wahlrecht ausschließlich über dieses Dokument auszuüben. Dies hätte allerdings eine andere Rechtsgrundlage erfordert.

3.7.

Der EWSA befürchtet darüber hinaus, dass die Verwaltungskosten für die neuen Ausweise in nicht begründeter Höhe auf die Bürger abgewälzt werden, da dieser Aspekt vollständig den Behörden der Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Daher hält es der EWSA für erforderlich, die Kosten der Auswirkungen dieses Vorschlags vorab zu schätzen und auf ihre Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit hin zu prüfen.

3.8.

Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass gemäß der Folgenabschätzung zum vorliegenden Vorschlag viele der Ausweise ausstellenden Mitgliedstaaten nach wie vor nicht die Aufnahme biometrischer Daten zulassen (Italien, Frankreich, Rumänien, Kroatien, Tschechien, Finnland, Malta, die Slowakei und Slowenien). Daher sollten ermittelt werden, wie sich die geplanten Maßnahmen auf finanzieller und technischer Ebene konkret auf die Bürger und die jeweiligen Behörden auswirken werden.

3.9.

Der EWSA betont ferner, dass mit dem vorliegenden Vorschlag geklärt werden muss, dass der Personalausweis ein legitimes Instrument ist, das seinen Inhaber berechtigt, eine Reihe von Handlungen in jedem beliebigen Mitgliedstaat vorzunehmen. Dies betrifft insbesondere die Freizügigkeit im Schengen-Raum und den Kauf von Gütern und Dienstleistungen, vor allem Finanzdienstleistungen.

3.10.

Der EWSA weist zudem auf die im Zusammenhang mit Aufenthaltsdokumenten aufgetretenen Probleme hin, insbesondere die Vielzahl dieser Dokumente und die Fälle, in denen die Einreise in einen Mitgliedstaat oder der Zugang zu Waren und Dienstleistungen der Grundversorgung verweigert wird, und befürchtet, dass der Vorschlag nicht ausreicht, um hier Abhilfe zu schaffen.

3.11.

Er betont aber auch, dass der Grundsatz der möglichst geringfügigen Verarbeitung der Daten beachtet und zugleich gewährleistet werden muss, dass die biometrischen Daten zu klaren, transparenten, rechtmäßigen und klar umrissenen Zwecken erhoben werden.

3.12.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Europäische Kommission die von ihr gewählte legislative Option nicht hinreichend begründet und nicht die Gründe darlegt, die sie darin gehindert haben, eine umfassendere Harmonisierung der Rechtsvorschriften vorzuschlagen, mit der sie ein wirklich einheitliches System von Identitätsdokumenten mit den offenkundigen Sicherheitsvorteilen wie einfachen und schnellen Kontrollen und einheitlichen Verfahren und damit ein System von unbestreitbarem Nutzen für die Bürger hätte schaffen können. Er versteht nicht, warum diese Harmonisierung nicht wenigstens als mittelfristiges Ziel genannt wird. Im Übrigen findet diese Option breite Unterstützung, wie aus der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (SWD(2018) 111 final (3)) klar hervorgeht: „Eine Mehrheit der befragten EU-Bürger sprach sich für eine stärkere Harmonisierung der nationalen Personalausweise auf EU-Ebene (ID 2) und für insgesamt harmonisierte Aufenthaltsdokumente aus (RES 3).“

3.13.

Der EWSA kann nicht nachvollziehen, warum nicht, so wie im Falle der Aufenthaltsdokumente für Unionsbürger, die im Anhang zur Folgenabschätzung vorgesehenen obligatorischen Elemente berücksichtigt wurden, d. h. Titel des Dokuments, Name, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum, Geburtsort und Ort der Ausstellung, Unterschrift und Datum des Ablaufs der Gültigkeit des Dokuments.

3.14.

Der EWSA hält es für notwendig, die Kontrollen zur Bekämpfung von Betrugsfällen — insbesondere im Luft-, Land- und Seeverkehr — zu verstärken und die Grenzbehörden mit entsprechenden personellen, logistischen und technischen Kapazitäten auszustatten, um sicherzustellen, dass die Dokumente aller Mitgliedstaaten nicht nur anerkannt, sondern auch stärker kontrolliert werden.

3.15.

In diesem Zusammenhang ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Umsetzung dieses Vorschlags von der Europäischen Kommission begleitet und überwacht wird, um zu garantieren, dass die in dem Vorschlag geregelten Ausweise als Reisedokumente und den Zugang zu öffentlichen und privaten Dienstleistungen gewährende Dokumente eindeutig anerkannt werden.

3.16.

Nach Ansicht des EWSA hätten auch andere zusätzliche Elemente, mit denen die Mitgliedstaaten die genannten Ausweisdokumente versehen, gegebenenfalls in der Regelung behandelt und soweit zweckmäßig vereinheitlicht werden können, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Aufnahme in die Dokumente als auch ihrer Verwendung durch die Betroffenen selbst oder durch Dritte.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Artikel 1 — Angesichts des Geltungsbereichs des hier untersuchten Vorschlags ist der EWSA der Ansicht, dass unter „Gegenstand“ auch die vorgeschriebenen Mindestangaben genannt werden sollten.

Der EWSA betont, dass klar festgehalten werden muss, dass die Verordnung dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit entspricht und die Grundsätze der Echtheit, Richtigkeit, Eindeutigkeit und Sicherheit der zur Identifizierung der Bürger verwendeten Daten beachtet werden.

4.2.

Artikel 2 — Zusätzlich zu dem Geltungsbereich und unbeschadet der Richtlinie 2004/38/EG weist der EWSA auf die Notwendigkeit hin, den Begriff „Personalausweis“ in dem Vorschlag zu definieren, um sicherzustellen, dass es sich um ein in allen Mitgliedstaaten harmonisiertes Dokument handelt.

4.3.

Artikel 3 Absatz 2 — Der EWSA hinterfragt die Bestimmung, wonach der Titel des Dokuments in „einer weiteren Amtssprache“ eingetragen sein muss, da dies im Hinblick auf die einfachere grenzüberschreitende Anerkennung nicht angemessen und geeignet scheint.

4.4.

Artikel 3 Absatz 10 — Nach Ansicht des EWSA sollte die Gültigkeitsdauer dieser Ausweise in der Verordnung für jede Altersgruppe einheitlich festgelegt werden.

4.5.

Artikel 5 — Die Frist für das Auslaufen nicht mehr gültiger Personalausweise sollte drei und nicht fünf Jahre betragen.

4.6.

Artikel 6

4.6.1.

Die Aufenthaltsdokumente sollten außerdem folgende Angaben enthalten:

Name des Vaters, Name der Mutter,

Staatsangehörigkeit,

Geburtsort,

Geschlecht,

Größe,

Augenfarbe,

Unterschrift.

4.6.2.

Im Hinblick auf den Vor- und Nachnamen des Inhabers sollte der vollständige Name entsprechend den Eintragungen in der Geburtsurkunde und unter Beachtung der offiziellen Schreibweise angegeben werden, um die individuelle Identitätsfeststellung der Bürger zu gewährleisten.

4.7.

Artikel 8 Absatz 2 — Die Frist für das Auslaufen nicht mehr gültiger Karten sollte drei und nicht fünf Jahre betragen.

4.8.

Artikel 10 — Unbeschadet der Anwendung der Verordnung (EU) 2016/679 sollten nach Ansicht des EWSA spezifische Bestimmungen in Bezug auf folgende Aspekte in den Vorschlag aufgenommen werden: Verwendungszweck der Datenbank, Art der Erfassung und Aktualisierung, Weitergabe, Einsichtnahme und Zugang zu den Daten sowie Vorratsspeicherung personenbezogener Daten.

4.9.

Artikel 12 Absatz 1 — Der Bericht über die Durchführung der Verordnung sollte im Einklang mit Erwägungsgrund 21 nicht nach vier, sondern nach drei Jahren vorgelegt werden.

4.10.

Artikel 12 Absatz 2 — Der Bewertungsbericht sollte nicht nach sechs, sondern nach fünf Jahren vorgelegt werden.

4.11.

Nach Ansicht des EWSA wäre es ratsam, in der Verordnung eine Frist nach der Geburt festzulegen, innerhalb derer eine Identitätskarte beantragt werden muss (zum Beispiel 30 Tage).

4.12.

In der Verordnung sollte auch festgelegt werden, dass eine öffentliche oder private Stelle, die die Identität einer Person mittels eines gültigen Personalausweises überprüft, bei der Vorlage des Ausweises diesen nur in absolut notwendigen Fällen einziehen oder einbehalten darf — nämlich dann, wenn dies erforderlich ist, um die Sicherheit und die Verteidigung des betreffenden Mitgliedstaats aufrechtzuerhalten. Ebenso wenig darf der Ausweis ohne ausdrückliche Zustimmung des Inhabers fotokopiert oder auf andere Weise reproduziert werden, es sei denn, dies erfolgt aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung, aus offensichtlichen Gründen der Sicherheit oder der Betrugs- oder Missbrauchsbekämpfung, und unter Berücksichtigung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre.

4.13.

Außerdem sollte ausdrücklich festgelegt werden, dass im Falle von Verlust, Diebstahl, Raub oder Ersatz von Ausweisen die entsprechenden Daten unmittelbar gelöscht werden müssen, um eine betrügerische Verwendung der amtlichen Dokumente zu verhindern.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 211 final vom 17.4.2018.

(2)  Besonders hervorzuheben sind: neue Instrumente zum Sammeln elektronischer Beweismittel in Strafverfahren; die Vereinfachung des Einsatzes von Finanzdaten zur Prävention, Erkennung, Untersuchung und Verfolgung von schweren Straftaten; strengere Vorschriften für Ausgangsstoffe für Explosivstoffe, die zur Selbstherstellung von Explosivstoffen verwendet werden; verbesserte Kontrollen der Ein- und Ausfuhr von Schusswaffen zur Bekämpfung des illegalen Waffenhandels; Bekämpfung terroristischer Inhalte im Internet; Interoperabilität von Informationssystemen und verbesserter Datenaustausch; Schutz gegen chemische, biologische, radiologische und nukleare Bedrohungen und Schutz des öffentlichen Raums; Bekämpfung der Cyberkriminalität und Verbesserung der Cybersicherheit.

(3)  Zusammenfassung der Folgenabschätzung — Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erhöhung der Sicherheit der Personalausweise von Unionsbürgern und der Aufenthaltsdokumente, die Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen in Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit ausgestellt werden.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/84


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Vorschriften zur Erleichterung der Nutzung von Finanz- und sonstigen Informationen für die Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung bestimmter Straftaten und zur Aufhebung des Beschlusses 2000/642/JI des Rates

(COM(2018) 213 final — 2018/0105 (COD))

(2018/C 367/16)

Hauptberichterstatter:

Victor ALISTAR

Befassung

Europäisches Parlament, 28.5.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 87 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Beschluss des Präsidiums

22.5.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

12.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

176/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA stellt fest, dass die Union bestrebt ist, durch einen harmonisierten Ansatz, mit dem die innerstaatliche und grenzübergreifende Zusammenarbeit bei Finanzermittlungen zu schweren Straftaten und Terrorismus gestärkt wird, einen Mehrwert zu schaffen. Außerdem werden Maßnahmen auf Ebene der EU zur Harmonisierung von Vorschriften, u. a. im Bereich des Datenschutzes, und damit dazu beitragen, einen wirksamen Raum der Sicherheit und des Rechts zu gewährleisten.

1.2.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine Vervollständigung des auf der Grundlage von Artikel 114 errichteten Rechtsrahmens für die zentralen Meldestellen (Financial Intelligence Unit — FIU) durch einen Rechtsakt auf der Rechtsgrundlage von Artikel 87 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erforderlich. Als Lösung wird eine Einbindung des Zugangs zu Finanzdaten gemäß der Fünften Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche (1) in die Mechanismen der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten vorgeschlagen.

1.3.

Durch den Richtlinienvorschlag werden die Fähigkeiten zur Untersuchung und Ahndung von Straftaten auf dem Gebiet der Europäischen Union gestärkt, da die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einen direkteren Zugang zu Finanzdaten erhalten, um die Erträge aus Straftaten aufzuspüren und kriminelle Muster zu erkennen.

1.4.

Als Anwendungsbereich nennt die Kommission die Untersuchung und Ahndung von Straftaten durch Mechanismen der justiziellen Zusammenarbeit, wobei hinsichtlich der Definition von schweren Straftaten in Artikel 2 Buchstabe l des Vorschlags auf Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/794 über Europol (2) verwiesen wird. In dieser Hinsicht ist nach Auffassung des EWSA eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs durch eine genauere Liste der Straftaten erforderlich, bei denen dieser Mechanismus eingesetzt werden darf.

1.5.

Der Richtlinienvorschlag sollte dahingehend verbessert werden, dass mehr Ausgewogenheit zwischen den (im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten) Grundrechten der Person und der Notwendigkeit einer wirksameren Anwendung des Rechts bei der Bekämpfung und Ahndung von Straftaten erzielt wird, um in der gesamten Union ein Klima der Sicherheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten.

1.6.

Im Interesse der Ausgewogenheit zwischen dem Zugang zu den Finanzdaten der Bürgerinnen und Bürger Europas und dem Grundsatz „Kenntnis nur, wenn nötig“ sollten in der Richtlinie die Grundlagen für einen derartigen Zugang streng auf die Aufdeckung und Ahndung von Straftaten eingeschränkt und allzu allgemeine Präventionszwecke ausgeschlossen werden. Der EWSA empfiehlt somit die Verwendung des Grundsatzes des „begründeten Einzelfalls“.

1.7.

Die zentralen Bankkontenregister könnten auch durch Finanzdaten über Wertpapierdepots bei Verwaltern von Anlagen auf dem Kapitalmarkt ergänzt werden, da zu den modernen Formen der Geldwäsche und des Versteckens von Erträgen aus Straftaten bekanntlich auch Anlagen auf dem Kapitalmarkt zählen. Ferner ersucht der EWSA die Kommission zu prüfen, ob die Möglichkeit besteht, die Daten, die gemäß der Fünften Geldwäscherichtlinie (3), gemäß dem vorliegenden Richtlinienvorschlag und gemäß der Vierten Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung (4) erhoben werden, zusammenzuführen. In Bezug auf die zuletzt genannte Richtlinie sollte dies jedoch nur zur Dokumentation von schweren Straftaten und zum ausschließlichen Zweck des Abgleichs der während der Ermittlungen erhobenen Daten mit den verwalteten Informationen erfolgen.

1.8.

Hinsichtlich des Verhältnisses zu anderen Rechtsinstrumenten empfiehlt der EWSA, die in Artikel 17 enthaltenen Bestimmungen um verfahrenstechnische Bestimmungen zu ergänzen, mit denen auf andere europäische Rechtsvorschriften bezüglich der justiziellen Zusammenarbeit und des Austauschs von Finanzinformationen mit Drittstaaten verwiesen wird.

1.9.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Begriffsbestimmungen in Artikel 2 Buchstabe f „Strafverfolgungsinformationen“ und Buchstabe l „schwere Straftaten“ zu überarbeiten, um die Klarheit, Vorhersehbarkeit und Verhältnismäßigkeit der Rechtsvorschriften zur Einführung von Mechanismen für den Zugang zu Finanzdaten der Bürger der Union sicherzustellen.

1.10.

Ferner fordert der EWSA die Kommission auf, den Zweck des Zugangs zu den Daten in den zentralen Bankkontenregistern der Mitgliedstaaten zu regeln und auf die Verhütung von Straftaten, welche die kollektive und individuelle Sicherheit der Bürger Europas beeinträchtigen (Terrorismus, Menschenhandel und Drogenhandel) und in Bezug auf alle schweren Straftaten auf die Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung und die Einziehung von Erträgen aus Straftaten zu beschränken.

2.   Hintergrund der Stellungnahme

2.1.

Kriminelle Gruppen, u. a. Terroristen, operieren häufig in verschiedenen Mitgliedstaaten, und ihre Vermögenswerte, einschließlich Bankkonten, sind in der Regel auf mehrere Orte in der EU oder sogar außerhalb der EU verteilt. Sie nutzen modernste Technologien, mit denen sie ihr Geld binnen Stunden zwischen mehreren Bankkonten und in verschiedenen Währungen transferieren können.

2.2.

Der EWSA stellt fest, dass die Union bestrebt ist, durch einen harmonisierten Ansatz, mit dem die innerstaatliche und grenzübergreifende Zusammenarbeit bei Finanzermittlungen zu schweren Straftaten und Terrorismus gestärkt wird, einen Mehrwert zu schaffen. Außerdem werden Maßnahmen auf Ebene der EU zur Harmonisierung von Vorschriften, u. a. im Bereich des Datenschutzes, beitragen. Würden die Mitgliedstaaten ihre eigenen Vorschriften erlassen, wäre die Harmonisierung derartiger Schutzvorschriften sehr viel schwieriger.

2.3.

Mit der Fünften Geldwäscherichtlinie (5) werden in den Mitgliedstaaten zentrale Bankkontenregister eingeführt, welche die Kapazität zur Verarbeitung von Daten und die Wirksamkeit der zentralen Meldestellen (FIU) stärken. Um die Wirksamkeit von Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen zu erhöhen, müssen die zuständigen Justizbehörden schneller auf Finanzinformationen zugreifen können. Deshalb ist eine Vervollständigung des auf der Grundlage von Artikel 114 errichteten Rechtsrahmens für die FIU durch einen Rechtsakt nach Artikel 87 Absatz 2 AEUV erforderlich.

2.4.

So werden die zuständigen Justizbehörden direkten Zugang zu den zentralen Bankkontenregistern der Mitgliedstaaten haben, wodurch die Tätigkeit der Justizbehörden, der Steuerbehörden und der Korruptionsbekämpfungsbehörden erleichtert wird, die über Untersuchungsbefugnisse gemäß nationalem Recht verfügen. Ferner zählen dazu Vermögensabschöpfungsstellen, deren Aufgabe es ist, Erträge aus Straftaten zurückzuverfolgen und aufzuspüren, damit sie dann gegebenenfalls eingefroren und eingezogen und die Straftäter so um ihre Gewinne gebracht werden können.

2.5.

Als Anwendungsbereich nennt die Kommission die Untersuchung und Ahndung von Straftaten durch Mechanismen der justiziellen Zusammenarbeit, wobei hinsichtlich der Definition von schweren Straftaten in Artikel 2 Buchstabe l des Vorschlags auf Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/794 über Europol (6) verwiesen wird. In dieser Hinsicht ist nach Auffassung des EWSA eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs durch eine genauere Liste der Straftaten erforderlich, bei denen dieser Mechanismus eingesetzt werden darf.

2.6.

Ferner erhalten gemäß den Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/1939 (7) auch die Europäischen Staatsanwälte Zugang zu den zentralen Bankkontenregistern der Mitgliedstaaten, was dazu beitragen wird, ihre Kapazität zur Untersuchung von Betrugsfällen gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union zu stärken.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA erkennt die Bedeutung der Mechanismen zur Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten an und begrüßt die Initiative der Kommission, noch schnellere und direktere Mechanismen für den Zugang der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zu Finanzdaten zu schaffen, die auf dem Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten der Union verwahrt werden.

3.2.

Durch den Richtlinienvorschlag werden die Fähigkeiten zur Untersuchung und Ahndung von Straftaten auf dem Gebiet der Europäischen Union gestärkt, da die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einen direkteren Zugang zu Finanzdaten erhalten, um die Erträge aus Straftaten aufzuspüren und kriminelle Muster zu erkennen.

3.3.

Der Richtlinienvorschlag sollte dahingehend verbessert werden, dass mehr Ausgewogenheit zwischen den (im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten) Grundrechten der Person und der Notwendigkeit einer wirksameren Anwendung des Rechts bei der Bekämpfung und Ahndung von Straftaten erzielt wird.

3.4.

So darf das Recht auf Achtung und Schutz der Privatsphäre nur eingeschränkt werden, soweit diese Einschränkung in Bezug auf das öffentliche Interesse, in der gesamten Union ein Klima der Sicherheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten, verhältnismäßig ist.

3.5.

Im Interesse der Ausgewogenheit zwischen dem Zugang zu Finanzdaten der Bürgerinnen und Bürger Europas und dem Grundsatz „Kenntnis nur, wenn nötig“ sollten in der Richtlinie die Grundlagen für einen derartigen Zugang streng auf die Aufdeckung und Ahndung von Straftaten eingeschränkt und allzu allgemeine Präventionszwecke ausgeschlossen werden. Der EWSA empfiehlt somit die Verwendung des Grundsatzes des „begründeten Einzelfalls“.

3.6.

Der Zugang zu Finanzdaten darf nur im begründeten Einzelfall und nur den Behörden, die über Befugnisse zur Untersuchung und Bestrafung von Rechtsverstößen verfügen, sowie den Vermögensabschöpfungsstellen gestattet werden, damit bei nationalen oder europäischen Stellen, die über keine eigenen Befugnisse zur Aufdeckung oder Untersuchung von Straftaten verfügen, keine Metadatenbestände entstehen.

3.7.

Die zentralen Bankkontenregister könnten auch durch Finanzdaten über Wertpapierdepots bei Verwaltern von Anlagen auf dem Kapitalmarkt ergänzt werden, da zu den modernen Formen der Geldwäsche und des Versteckens von Erträgen aus Straftaten bekanntlich auch Anlagen auf dem Kapitalmarkt zählen.

3.8.

Der Richtlinienvorschlag sollte auch um verfahrenstechnische Bestimmungen ergänzt werden, mit denen auf andere europäische Rechtsvorschriften bezüglich der justiziellen Zusammenarbeit und des Austauschs von Finanzinformationen mit Drittstaaten verwiesen wird, um zwei Notwendigkeiten Rechnung zu tragen: Zum einen müssen allgemeine Rechtsvorschriften für die Verfahren zur ordnungsgemäßen Beweiserhebung in Fällen festgelegt werden, in denen ergänzend auch andere Rechtsinstrumente anwendbar sind, und zum anderen gilt es, die in der Begründung des Richtlinienvorschlags und in der von der Kommission durchgeführten Ex-post-Bewertung genannten ordnungspolitische Ziele in stärkerem Maße umzusetzen.

3.9.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis und begrüßt, dass im Richtlinienvorschlag der Kommission sehr deutliche Bestimmungen zum Schutz der Grundrechte enthalten sind, merkt jedoch an, dass sich diese Bestimmungen auf den Schutz personenbezogener Daten, die durch den eingerichteten Mechanismus gemeldet werden, und auf den Zugang zu den zentralen Bankkontenregistern beschränken, wohingegen spezifische Bestimmungen zur Gewährleistung der Grundrechte auf Schutz der Privatsphäre und der Verfahrensgarantien bei Einschränkungen dieser Grundrechte fehlen.

4.   Besondere Bemerkungen und Empfehlungen

4.1.

Um bei der Anwendung der mit dem vorliegenden Richtlinienvorschlag geschaffenen Instrumente für die Zusammenarbeit die gebotene Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit bei der Einschränkung des Grundrechts auf den Schutz der Privatsphäre sicherzustellen, ist es erforderlich, den präventiven Zweck aus den Begriffsbestimmungen in Artikel 2 Buchstabe e zu streichen, unbeschadet der entsprechenden Begriffsbestimmung in der Fünften Geldwäscherichtlinie (8), die gemäß Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a vom vorliegenden Richtlinienvorschlag unberührt bleibt. Auf diese Weise wird das Risiko einer Verletzung der im AEUV enthaltenen Bestimmungen bezüglich der Grundrechte ausgeschaltet.

4.2.

Aus der Analyse der in Artikel 2 Buchstabe l enthaltenen Begriffsbestimmung für schwere Straftaten, in der auf Anhang I der Verordnung (EU) 2016/794 über Europol (9) verwiesen wird, aus dem Tenor des Richtlinienvorschlags und unter Berücksichtigung der Vorschriften über den Zugang zu Finanzdaten zum Zweck der Verhütung von schweren Straftaten, ergibt sich, dass bei dem im Richtlinienvorschlag vorgesehenen Datenzugang die Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der garantierten Grundrechte nicht gewahrt ist. So könnte nach dem Richtlinienvorschlag der Zugang zu Finanzdaten der Bürger beispielsweise gewährt werden, um Straftaten im Zusammenhang mit tödlichen Verkehrsunfällen oder rassistischen und fremdenfeindlichen Handlungen oder Erpressungen zu verhüten.

4.3.

Der EWSA empfiehlt, die Begriffsbestimmung in Artikel 2 Buchstabe l in den folgenden Wortlaut zu ändern: „schwere Straftaten“ Straftaten folgender Art: Terrorismus, organisierte Kriminalität, Drogenhandel, Menschenhandel, Korruption, Geldwäsche, Kriminalität im Zusammenhang mit nuklearen und radioaktiven Substanzen, Schleuserkriminalität, illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe, Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme, Raub und schwerer Diebstahl, illegaler Handel mit Kunstgegenständen, Antiquitäten und Kulturgütern, gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Tätigkeiten, Insider-Geschäfte und Finanzmarktmanipulation, Schutzgelderpressung, Produkt- und Markenpiraterie, Fälschung von Geld und sonstigen Zahlungsmitteln, unerlaubter Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoff, Umweltstraftaten einschließlich Verklappung, sexueller Missbrauch, sexuelle Ausbeutung einschließlich Material, das den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen zeigt, sowie einschließlich der Kontaktaufnahme zu Kindern für sexuelle Zwecke, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

4.4.

Um den Zweck der Richtlinie zu verdeutlichen und die Übereinstimmung mit den erklärten ordnungspolitischen Zielen sicherzustellen, ist es ferner erforderlich, den Zugang zu den zentralen Bankkontenregistern der Mitgliedstaaten wie folgt einzuschränken: zum Zwecke der Verhütung von Straftaten — auf die Bereiche Terrorismus, Menschenhandel und Drogenhandel sowie zum Zwecke der Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten und Einziehung von Erträgen aus Straftaten sowohl auf Straftaten in den genannten Bereichen als auch auf alle anderen schweren Straftaten im Sinne der im Richtlinienvorschlag enthaltenen Begriffsbestimmung.

4.5.

Artikel 5 des Richtlinienvorschlags muss um einen neuen Absatz 3 ergänzt werden, um Garantien hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und der Rechtmäßigkeit des Zugriffs von Strafverfolgungsbehörden auf Daten der Privatsphäre (einschließlich Finanzdaten) festzulegen. Deshalb muss in diesem neuen Absatz 3 die Verpflichtung festgelegt werden, jeden Antrag auf den Zugriff auf Daten einer Einzelfallprüfung — gemäß dem Grundsatz des „begründeten Einzelfalls“ — zu unterziehen, damit, wenn die Daten in der Folge als gerichtliche Beweismittel herangezogen werden, den Bedingungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit bei der Erhebung und Würdigung von Beweismitteln sowie den Grundrechten und Grundfreiheiten, einschließlich des Grundrechts auf ein faires Gerichtsverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, Rechnung getragen wird und die die Gerichte der Mitgliedstaaten die Beweismittel somit erfolgreich zur Ahndung von Straftaten verwenden können.

4.6.

In dieser Hinsicht sind die Bestimmungen der Artikel 7 und 8, dass der Zugang zu den Finanzdaten natürlicher Personen vorbehaltlich nationaler verfahrensrechtlicher Schutzvorschriften erfolgt, nicht ausreichend, da zu diesen Daten auch Stellen Zugang haben, die über keine eigenen Untersuchungsbefugnisse verfügen, wie Europol, das gemäß Artikel 10 Zugang zu den Finanzdaten erhalten soll.

4.7.

Artikel 7 Absatz 1 ist in Beziehung zu den in Ziffer 4.1 formulierten Bemerkungen zu Artikel 2 Buchstabe e des Richtlinienvorschlags zu setzen. Deshalb schlägt der EWSA vor, diese Bestimmung wie folgt zu ändern: „[…] wenn diese Informationen oder Analysen zur Verhütung von Straftaten in den Bereichen Terrorismus, Menschenhandel und Drogenhandel oder zur Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung derartiger Straftaten oder anderer schwerer Straftaten erforderlich sind“. Im Interesse der Einheitlichkeit und der Symmetrie wird die gleiche Änderung auch für Artikel 7 Absatz 2 vorgeschlagen.

4.8.

Im Hinblick auf Artikel 9 Absatz 4 begrüßt der EWSA, dass im Richtlinienvorschlag vorgesehen ist, dass bei einem technischen Versagen des FIU.net die Übermittlung der Daten auf einem Weg erfolgen muss, der ein ebenso hohes Maß an Datensicherheit gewährleistet wie das FIU.net. Zudem muss ein solcher alternativer Mechanismus zur Übertragung von Finanzdaten die Möglichkeit bieten, wie beim FIU.net einen schriftlichen Beleg zum Nachweis der Authentizität der Daten zu erstellen.

4.9.

Im Hinblick auf Artikel 10, in dem vorgesehen ist, dass parallel zu dem gemäß Artikel 3 vorgesehenen Zugang der zuständigen Behörden auch Europol Zugang zu den Finanzdaten erhält, fordert der EWSA, dieses Zugangsrecht von den jeweiligen Untersuchungsbefugnissen von Europol abhängig zu machen und die erforderlichen Garantien hinsichtlich der Auswertung von Metadaten vorzusehen.

Brüssel, den 12. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinien 2009/138/EG und 2013/36/EU (ABl. L 156 vom 19.6.2018, S. 43).

(2)  Verordnung (EU) 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) und zur Ersetzung und Aufhebung der Beschlüsse 2009/371/JI, 2009/934/JI, 2009/935/JI, 2009/936/JI und 2009/968/JI des Rates (ABl. L 135 vom 24.5.2016, S. 53).

(3)  Siehe Fußnote 1.

(4)  Richtlinie (EU) 2016/881 des Rates vom 25. Mai 2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (ABl. L 146 vom 3.6.2016, S. 8).

(5)  Siehe Fußnote 1.

(6)  Siehe Fußnote 2.

(7)  Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) (ABl. L 283 vom 31.10.2017, S. 1).

(8)  Siehe Fußnote 1.

(9)  Siehe Fußnote 2.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/88


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen“

(COM(2018) 225 final — 2018/0108 (COD))

und „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Regeln für die Bestellung von Vertretern zu Zwecken der Beweiserhebung in Strafverfahren“

(COM(2018) 226 final — 2018/0107 (COD))

(2018/C 367/17)

Hauptberichterstatter:

Christian BÄUMLER

Befassung

Europäisches Parlament, 31.5.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 82 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Beschluss des Präsidiums

22.5.2018

Verabschiedung im Plenum

12.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

157/2/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA sieht die zunehmende Nutzung von Informationsdiensten als Herausforderung für die Strafverfolgung. Es fehlt bisher an einer verlässlichen Zusammenarbeit mit den Diensteanbietern sowie an Transparenz, und es herrscht Rechtsunsicherheit bezüglich der Zuständigkeit für Ermittlungsmaßnahmen.

1.2.

Der EWSA begrüßt, dass die vorgeschlagene Verordnung über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel bindende europäische Instrumente für die Sicherstellung und den Zugriff auf Daten einführt.

1.3.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Herausgabeanordnung und die Europäische Sicherungsanordnung Ermittlungsmaßnahmen sind, die nur im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungen oder Strafverfahren für konkrete Straftaten erlassen werden können.

1.4.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Herausgabeanordnung nur für schwerwiegendere Straftaten gelten soll. Der EWSA gibt zu bedenken, dass dieses Ziel eher durch eine Orientierung an einem Mindestmaß der Strafe von 3 Monaten als an einem Höchstmaß von 3 Jahren erreicht würde.

1.5.

Der EWSA betont, dass die Verordnung im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehen muss, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in den Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt wurden.

1.6.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Fragen, unter welcher Voraussetzung ein Datenzugriff in einem Strafverfahren erfolgt und wer dies zu entscheiden hat, auf nationaler Ebene häufig unterschiedlich beantwortet werden. Der EWSA spricht sich für die Entwicklung europaweit einheitlicher Standards hinsichtlich der Voraussetzungen für einen Datenzugriff aus.

1.7.

Der EWSA begrüßt, dass beide Anordnungen von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats erlassen oder bestätigt werden müssen. Der EWSA hält es aber für problematisch, dass bei Teilnehmer- oder Zugangsdaten eine Herausgabeanordnung auch von einem Staatsanwalt veranlasst werden kann, und befürwortet eine Ausweitung des Richtervorbehalts auf die Erhebung aller personenbezogen Daten.

1.8.

Der EWSA sieht ebenso wie die Kommission ein Problem darin, dass Drittstaaten Verpflichtungen für EU-Diensteanbieter einführen könnten, die nicht mit den EU-Grundrechten in Einklang stehen. Der EWSA begrüßt, dass der Vorschlag starke Garantien und ausdrückliche Verweise auf die dem EU-Besitzstand bereits zugrunde liegenden Voraussetzungen und Garantien enthält.

1.9.

Der EWSA befürwortet die im Vorschlag der Kommission vorgesehene Möglichkeit, dass die Rechtmäßigkeit, Notwendigkeit oder Verhältnismäßigkeit einer Herausgabeanordnung vom Adressaten angefochten werden kann und dass die Immunitäten und Vorrechte, die die im Mitgliedstaat des Diensteanbieters angeforderten Daten schützen, vom Anwendungsstaat respektiert werden müssen.

1.10.

Der EWSA begrüßt, dass der Vorschlag der Kommission zwingend vorschreibt, dass Diensteanbieter einen Vertreter in der Union bestellen müssen, der Beweisbeschlüsse entgegennimmt, befolgt und durchsetzt.

1.11.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Diensteanbieter in allen Fällen das Recht auf eine Kostenerstattung haben sollten, wenn dies im Recht des Anordnungsstaates vorgesehen ist.

2.   Kontext des Vorschlags

2.1.

Mehr als die Hälfte aller strafrechtlichen Ermittlungen beinhalten heute eine grenzüberschreitende Anfrage auf Zugang zu elektronischen Beweismitteln wie Texten, E-Mails oder Messaging-Apps. Deshalb schlägt die Kommission neue Regeln vor, die es den Polizei- und Justizbehörden ermöglichen sollen, einfacher und schneller Zugang zu den elektronischen Beweismitteln zu erhalten, die sie für Ermittlungen zur Festnahme und Verurteilung von Kriminellen und Terroristen für nötig halten.

2.2.

Der Rat (1) forderte im Jahr 2016 konkrete Maßnahmen auf Grundlage eines gemeinsamen EU-Konzepts, um die Rechtshilfe effizienter zu gestalten, um die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten und Diensteanbietern in Drittstaaten zu verbessern und um Lösungen in Zusammenhang mit der Bestimmung der Zuständigkeit für Ermittlungsmaßnahmen im Cyberspace und mit der entsprechenden Verfolgungszuständigkeit vorzuschlagen.

2.3.

Auch das Europäische Parlament (2) wies darauf hin, dass die derzeit fragmentierten rechtlichen Rahmenbedingungen ein Problem für Diensteanbieter sein können, die den Ersuchen von Strafverfolgungsbehörden Folge leisten wollen. Das Parlament forderte einen europäischen Rechtsrahmen, der Garantien hinsichtlich der Rechte und Freiheiten aller Betroffenen umfasst.

2.4.

In Fällen, in denen sich entweder die Beweismittel in einem anderen Land befinden oder der Diensteanbieter in einem anderen Land ansässig ist, wurden bereits vor einigen Jahrzehnten Verfahren für die Zusammenarbeit zwischen den Ländern entwickelt. Trotz regelmäßiger Reformen geraten diese Kooperationsverfahren immer stärker unter Druck, denn es gibt immer mehr Bedarf an raschem grenzüberschreitendem Zugang zu elektronischen Beweismitteln. Als Reaktion darauf bauen eine Reihe von Mitgliedstaaten und Drittstaaten ihre nationalen Instrumente aus. Die daraus resultierende Zersplitterung führt nach Einschätzung des EWSA zu Rechtsunsicherheit und einander widersprechenden Verpflichtungen. Sie wirft Fragen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte und nach Verfahrensgarantien für Menschen auf, die von solchen Ersuchen betroffen sind.

2.5.

Der EWSA sieht die zunehmende Nutzung von Informationsdiensten als Herausforderung für die Strafverfolgung, da die zuständigen Behörden oft nur schlecht für den Umgang mit Online-Beweismitteln gerüstet sind. Auch das langwierige Verfahren zum Einholen von Beweismitteln ist eine der zentralen Hürden. Es fehlt bisher an einer verlässlichen Zusammenarbeit mit den Diensteanbietern sowie an Transparenz, und es herrscht Rechtsunsicherheit bezüglich der Zuständigkeit für Ermittlungsmaßnahmen. Der EWSA befürwortet eine direkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und Anbietern digitaler Dienste bei strafrechtlichen Ermittlungen.

2.6.

Der derzeitige EU-Rechtsrahmen besteht aus Instrumenten der Union für die Zusammenarbeit in Strafsachen wie der Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (3) (EEA-Richtlinie), dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (4), dem Beschluss 2002/187/JI des Rates über die Errichtung von Eurojust (5), der Verordnung (EU) 2016/794 über Europol (6), dem Rahmenbeschluss 2002/465/JI des Rates über gemeinsame Ermittlungsgruppen (7) sowie aus bilateralen Abkommen zwischen der Union und Drittstaaten.

3.   Sicherungs- und Herausgabeanordnungen

3.1.

Der EWSA begrüßt, dass die vorgeschlagene Verordnung über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen (COM(2018) 225) bindende europäische Instrumente für die Sicherstellung und den Zugriff auf Daten einführt. Adressaten sind Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste, sozialer Netzwerke, Online-Marktplätze, Anbieter von Hosting-Diensten und Anbieter von Internetinfrastruktur wie Registern von IP-Adressen und Domänennamen.

3.2.

Die EEA-Richtlinie deckt jede grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahme in der EU ab. Dies schließt den Zugang zu elektronischen Beweismitteln mit ein, jedoch enthält die EEA-Richtlinie keine spezifischen Bestimmungen über die grenzüberschreitende Erhebung elektronischer Beweismittel. Der EWSA begrüßt deshalb, dass die Kommission neue Regeln vorschlägt, die es den Polizei- und Justizbehörden ermöglichen, einfacher und schneller Zugang zu den elektronischen Beweismitteln zu erhalten.

3.3.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Herausgabeanordnung und die Europäische Sicherungsanordnung Ermittlungsmaßnahmen sind, die nur im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungen oder Strafverfahren für konkrete Straftaten erlassen werden können. Die Verbindung zu einer konkreten Ermittlung unterscheidet sie von vorbeugenden Maßnahmen oder gesetzlich festgelegten Verpflichtungen zur Vorratsdatenspeicherung und gewährleistet die Anwendung der für Strafverfahren geltenden Verfahrensrechte.

3.4.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Anordnungen zur Herausgabe von Teilnehmer- und Zugangsdaten für jede Art von Straftaten erlassen werden sollen, während die Anordnung zur Herausgabe von Transaktions- und Inhaltsdaten nur für Straftaten, die im Anordnungsstaat mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren geahndet werden, oder für bestimmte im Vorschlag angeführte Straftaten erlassen werden sollen, bei denen eine bestimmte Verbindung zu elektronischen Tools und Straftaten besteht, die unter die Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung fallen. Diese Orientierung am Höchstmaß von 3 Jahren soll gewährleisten, dass die Europäische Herausgabeanordnung nur für schwerwiegendere Straftaten in Bezug auf solche Daten verwendet wird. Der EWSA gibt zu bedenken, dass dieses Ziel, welches der EWSA teilt, durch eine Orientierung an einem Mindestmaß der Strafe von 3 Monaten eher erreicht würde.

3.5.

Die Rechtsgrundlage für die Unterstützung von Maßnahmen in der Justiz ist Artikel 82 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Nach Artikel 82 Absatz 1 können Maßnahmen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden, um Regeln und Verfahren festzulegen, mit denen die Anerkennung aller Arten von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen in der gesamten Union sichergestellt wird.

3.6.

Die neuen Instrumente bauen auf diesen Grundsätzen der gegenseitigen Anerkennung auf, um das grenzüberschreitende Erheben elektronischer Beweismittel zu erleichtern. Eine Behörde in dem Land, in dem der Adressat der Anordnung ansässig ist, muss nicht direkt bei der Zustellung und Ausführung der Anordnung beteiligt werden. Der EWSA weist darauf hin, dass dies zur Folge haben kann, dass ein EU-Bürger einem Datenzugriff einer Behörde eines anderen EU Mitgliedstaats nach deren Regeln ausgesetzt wird.

3.7.

Der EWSA betont, dass die Verordnung im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehen muss, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in den Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt wurden. Dazu gehören das Recht auf Freiheit und Sicherheit, die Achtung des Privat- und Familienlebens, der Schutz personenbezogener Daten, die unternehmerische Freiheit, das Recht auf Eigentum, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren, die Unschuldsvermutung und das Recht auf Verteidigung, die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit sowie das Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden. Der EWSA weist darauf hin, dass der Schutz dieser Rechte auch davon abhängt, unter welchen Voraussetzungen in diese Rechte eingegriffen werden kann und wer dies zu entscheiden hat.

3.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Fragen, unter welcher Voraussetzung ein Datenzugriff in einem Strafverfahren erfolgt und wer dies zu entscheiden hat, auf nationaler Ebene häufig unterschiedlich beantwortet werden. Zuständig für einen Datenzugriff können die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht sein. Unterschiede ergeben sich auch bei der Frage, in welchem Stadium eines Ermittlungsverfahrens und bei welchem Grad eines Verdachts ein Datenzugriff rechtlich zulässig ist. Der EWSA spricht sich dafür aus, dass für die Frage, wann ein Datenzugriff erfolgen darf, europaweit einheitliche Standards entwickelt werden müssen.

3.9.

Der EWSA begrüßt, dass beide Anordnungen von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats erlassen oder bestätigt werden müssen. Wenn eine Europäische Herausgabeanordnung oder Sicherungsanordnung erlassen wird, muss stets eine Justizbehörde entweder als anordnende oder als validierende Behörde beteiligt sein. Für Anordnungen zur Herausgabe von Transaktions- oder Inhaltsdaten ist ein Richter oder ein Gericht erforderlich. Der Vorschlag der Kommission würde insgesamt das Niveau des Rechtsschutzes in Europa erhöhen.

3.10.

Der EWSA hält es aber für problematisch, dass bei Teilnehmer- oder Zugangsdaten eine Herausgabeanordnung auch von einem Staatsanwalt veranlasst werden kann, da es sich auch bei Teilnehmer- und Zugangsdaten um personenbezogene Daten handelt und der nachträgliche Rechtsschutz bei einem Datenzugriff aus einem anderen Mitgliedstaat schwierig ist. Der EWSA befürwortet eine Ausweitung des Richtervorbehalts auf die Erhebung aller personenbezogenen Daten.

3.11.

Der EWSA befürwortet die im Vorschlag der Kommission vorgesehene Möglichkeit, dass die Rechtmäßigkeit, Notwendigkeit oder Verhältnismäßigkeit einer Herausgabeanordnung vom Adressaten angefochten werden kann. Die nach dem Recht des Vollstreckungsstaats bestehenden Rechte werden nach dem Vorschlag der Kommission vollständig durch die Gewährleistung gewahrt, sodass die Immunitäten und Vorrechte, die die im Mitgliedstaat des Diensteanbieters angeforderten Daten schützen, im Anwendungsstaat respektiert werden müssen. Das gilt nach dem Vorschlag insbesondere dann, wenn sie einen stärkeren Schutz gewähren als das Recht des Anordnungsstaats.

3.12.

Der EWSA weist darauf hin, dass sich die Anordnung auch auf die Rechte der Diensteanbieter, insbesondere das Recht auf die unternehmerische Freiheit, auswirkt. Der EWSA begrüßt, dass der Vorschlag ein Anrecht des Diensteanbieters umfasst, bestimmte Ansprüche im Anordnungsmitgliedstaat geltend zu machen, beispielsweise wenn die Anordnung nicht von einer Justizbehörde erlassen oder bestätigt wurde. Wenn die Anordnung zwecks Vollstreckung an den Vollstreckungsstaat übermittelt wird, kann die Vollstreckungsbehörde beschließen, die Anordnung nach Konsultation der Anordnungsbehörde bei Vorliegen zulässiger Ablehnungsgründe nicht anzuerkennen oder nicht zu vollstrecken.

3.13.

Der Vorschlag der Kommission sieht vor, dass Diensteanbieter gemäß den Rechtsvorschriften des Anordnungsstaats eine Erstattung ihrer Kosten durch diesen Staat geltend machen können, sofern die nationalen Rechtsvorschriften des Anordnungsstaats dies für innerstaatliche Anordnungen in ähnlichen innerstaatlichen Fällen vorsehen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Diensteanbieter in allen Fällen das Recht auf eine Kostenerstattung haben sollten, wenn dies im Recht des Anordnungsstaates vorgesehen ist.

4.   Pflichtenkollisionen

4.1.

Der EWSA sieht ebenso wie die Kommission ein Problem darin, dass Drittstaaten Verpflichtungen für EU-Diensteanbieter einführen könnten, die nicht mit den EU-Grundrechten in Einklang stehen und damit auch nicht mit dem hohen Maß an Datenschutz, das durch den EU-Besitzstand gewährleistet wird.

4.2.

Der Vorschlag behandelt diese Problematik dadurch, dass eine Maßnahme vorgesehen ist, die starke Garantien und ausdrückliche Verweise auf die dem EU-Besitzstand bereits zugrunde liegenden Voraussetzungen und Garantien enthält. Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass dies Modellcharakter für die Gesetzgebung von Drittstaaten haben könnte.

4.3.

Der EWSA befürwortet außerdem die im Vorschlag vorgesehene Aufnahme einer spezifischen Klausel zu einander widersprechenden Verpflichtungen. Diese ermöglicht es Diensteanbietern, einander widersprechende Verpflichtungen zu identifizieren und zu thematisieren, mit denen sie sich konfrontiert sehen, was wiederum eine gerichtliche Überprüfung in Gang setzt. Diese Klausel soll die Einhaltung zweier Arten von Gesetzen sicherstellen: einerseits von generell blockierenden Gesetzen (blocking statutes) wie etwa dem US-amerikanischen Electronic Communications Privacy Act (ECPA) — der Offenlegung in Zusammenhang mit Inhaltsdaten innerhalb seines geografischen Geltungsbereich außer unter bestimmten Voraussetzungen verbietet —, andererseits von Gesetzen, durch die Offenlegung nicht generell, sondern gegebenenfalls in Einzelfällen verboten wird.

4.4.

Der EWSA ist wie die Kommission der Auffassung, dass internationale Übereinkommen mit anderen Schlüsselpartnern das Risiko von Gesetzeskollisionen weiter senken könnten. Dies wäre der beste Weg, Konflikte zu vermeiden.

5.   Richtlinie über die Bestellung von Vertretern

5.1.

Der Vorschlag der Kommission über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen soll durch eine Richtlinie zur Festlegung einheitlicher Regelungen für die Bestellung von Vertretern in Strafverfahren (COM(2018) 226) vervollständigt werden. Derzeit gibt es in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorgehensweisen in Bezug auf die Verpflichtungen, die Diensteanbietern auferlegt werden. Diese Fragmentierung zeigt sich insbesondere bei elektronischen Beweismitteln. Sie hat Rechtsunsicherheit bei den Beteiligten zur Folge und kann dazu führen, dass für Diensteanbieter in diesem Zusammenhang unterschiedliche, mitunter kollidierende Verpflichtungen und Sanktionsregelungen gelten, je nachdem, ob sie ihre Dienstleistungen im Inland, grenzüberschreitend innerhalb der Union oder von außerhalb der Union erbringen.

5.2.

Die von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie schreibt zwingend vor, dass Diensteanbieter einen Vertreter in der Union bestellen müssen, der Beweisbeschlüsse der zuständigen nationalen Behörden in Strafverfahren entgegennimmt, befolgt und durchsetzt.

5.3.

Nach Auffassung des EWSA würde diese Regelung ein besseres Funktionieren des Binnenmarkts in einer Weise gewährleisten, die mit der Schaffung eines gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Einklang steht. Die Verpflichtung für alle in der Union tätigen Diensteanbieter, einen Vertreter zu bestellen, würde sicherstellen, dass stets ein eindeutig bestimmter Adressat für Ermittlungsmaßnahmen vorhanden ist. Dies wiederum würde es den Diensteanbietern erleichtern, diesen Anordnungen nachzukommen, da der Vertreter im Namen des Diensteanbieters für die Entgegennahme, Befolgung und Durchsetzung dieser Anordnungen verantwortlich wäre.

Brüssel, den 12. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union vom 9. Juni 2016 zur Verbesserung der Strafjustiz im Cyberspace, ST9579/16.

(2)  P8_TA(2017)0366.

(3)  Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABl. L 130 vom 1.5.2014, S. 1).

(4)  Rechtsakt des Rates vom 29. Mai 2000 über die Erstellung des Übereinkommens — gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union — über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

(5)  Beschluss 2002/187/JI des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität.

(6)  Verordnung (EU) 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol).

(7)  Rahmenbeschluss 2002/465/JI des Rates vom 13. Juni 2002.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/93


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusseses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über persistente organische Schadstoffe (Neufassung)“

(COM(2018) 144 final — 2018/0070 (COD))

(2018/C 367/18)

Berichterstatter:

Brian CURTIS

Befassung durch den Rat

Befassung durch das EP

13.4.2018

16.4.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 192 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Präsidiums

19.9.2017 (im Vorgriff auf die Befassung)

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

26.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

12.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

157/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission zur Neufassung der Verordnung über persistente organische Schadstoffe (POP), um eine einheitliche und wirksame Umsetzung der Verpflichtungen der EU aus dem Übereinkommen von Stockholm zu gewährleisten.

1.2.

Der EWSA weist darauf hin, dass in der EU das Inverkehrbringen und die Verwendung der meisten POP bereits untersagt worden sind. Wegen der äußerst gefährlichen Auswirkungen der POP auf Mensch und Umwelt müssen jedoch auch die Herstellung solcher Stoffe verboten und die Ausnahmeregelungen auf ganz spezifische Anwendungen beschränkt werden. Aus diesem Grund fordert der EWSA die Kommission auf, strengere Kontrollmaßnahmen im Einklang mit dem Vorsorgegrundsatz und der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung einzuführen.

1.3.

Der EWSA befürwortet den Vorschlag, Aufgaben von der Kommission an die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) als geeigneterem Rahmen für die administrative, wissenschaftliche und technische Unterstützung der Durchführung zu übertragen. Der EWSA betont indes, dass eine solide Arbeitsmethode unter Beteiligung der Kommission, der ECHA, der Mitgliedstaaten und der Interessenträger geschaffen werden muss.

1.4.

Der EWSA empfiehlt eine angemessene und begrenzte Verwendung delegierter Rechtsakte, um den offenen Dialog mit allen Beteiligten aufrechtzuerhalten und dabei den Schwerpunkt vor allem auf die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und die Transparenz zu legen.

1.5.

Der EWSA ruft die EU auf, weltweit als Vorreiter im Kampf gegen die POP aufzutreten. Das Handeln der EU sollte vorrangig auf die Harmonisierung der einzelstaatlichen Strategien und Rechtsvorschriften über die Überwachung und Kontrolle der POP ausgerichtet sein. Der EWSA ist insbesondere der Auffassung, dass die EU die Nachhaltigkeit fördern und die Bestimmungen über die POP in bilateralen und multilateralen Handelsabkommen durchsetzen sollte.

1.6.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, eine umfassende Sensibilisierungskampagne über POP auf EU-Ebene im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung durchzuführen. Der EWSA ist der Ansicht, dass eine offen zugängliche Datenbank über POP ein nützliches Instrument für Unternehmen und Verbraucher sein könnte.

1.7.

Er verweist darauf, dass Schulungen über POP für alle jene Arbeitnehmer in der EU verfügbar und verbindlich sein sollten, die bei ihrer Tätigkeit unmittelbar oder mittelbar mit diesen Stoffen in Berührung kommen. Insbesondere empfiehlt der EWSA, die Initiativen in der allgemeinen und beruflichen Bildung zu harmonisieren und als Teil einer einzigen Strategie anzusehen, die auf ein Konzept des lebenslangen Lernens gestützt ist.

2.   Einleitung

2.1.

Persistente organische Schadstoffe (POP) sind organische Verbindungen, die gegen den Abbau in der Umwelt durch chemische, biologische und fotolytische Prozesse resistent sind. Aufgrund ihrer Persistenz reichern sich die POP in Organismen an, und dies kann potenziell schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt haben. Viele POP wurden in der Vergangenheit oder werden derzeit noch als Pestizide, Lösungsmittel, Arzneimittel und Industriechemikalien verwendet. Zwar kommen einige POP natürlich vor, z. B. in Vulkanen und durch verschiedene Wege der Biosynthese, die meisten sind jedoch menschengemacht — durch Totalsynthese.

2.2.

Die Auswirkungen der POP auf die menschliche Gesundheit und den Zustand der Umwelt wurden von der internationalen Gemeinschaft auf der Konferenz zum Abschluss des Stockholmer Übereinkommens über persistente organische Schadstoffe im Jahr 2001 (1) erörtert. Das von 180 Vertragsparteien ratifizierte Stockholmer Übereinkommen stützt sich auf das Vorsorgeprinzip ratifiziert und bietet als internationales Übereinkommen einen rechtlichen Rahmen für die Beendigung der Herstellung und des Einsatzes von POP sowie der Ein- und Ausfuhr dieser Stoffe. Das Übereinkommen mit einer Liste von zwölf Substanzen (z. B. DDT) wurde 2005 auch von der EU unterzeichnet.

2.3.

Die Europäische Union verpflichtete sich, Maßnahmen zur Verringerung der Freisetzung von POP in die Umwelt zu treffen, um so die Exposition von Menschen und wildlebenden Tieren gegenüber diesen Stoffen zu minimieren. Die Europäische Union engagierte sich stark für die Aufnahme neuer Stoffe in die Liste des Übereinkommens (2). Die Verordnung (EG) Nr. 850/2004 („POP-Verordnung“) ist das Rechtsinstrument, mit dem das Engagement der EU und ihrer Mitgliedstaaten im Rahmen des Übereinkommens verwirklicht wird.

2.4.

In einer zweiten Übereinkunft zum weiträumigen grenzüberschreitenden Transport von Luftschadstoffen, dem Aarhus-Protokoll über persistente organische Schadstoffe (zuletzt geändert 2009), wird unmittelbar die Herstellung bestimmter Schadstoffe verboten; für andere Stoffe wird eine Frist für die Beendigung der Verwendung gesetzt. Derzeit sind in der Liste des Protokolls 22 Stoffe aufgeführt.

3.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags

3.1.

Der Vorschlag der Kommission zielt auf eine Neufassung der POP-Verordnung. Mit dieser Initiative sollen keine geltenden Rechtsvorschriften in Bezug auf Grundsätze (Vorsorgeprinzip) und Ziele (Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt) geändert, sondern vielmehr auf die Notwendigkeit einer vollständigen Rechtsangleichung und einer verbesserten Umsetzung reagiert werden.

3.2.

Insbesondere werden in dem Vorschlag folgende Aufgaben genannt:

Angleichung der POP-Verordnung, die sich auf die Richtlinie 67/548/EWG und die Richtlinie 75/442/EWG bezieht, an die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 und die Richtlinie 2008/98/EG. Insbesondere bezieht sich die POP-Verordnung auf einen Regelungsausschuss, der nicht mehr tätig ist (3), und sie muss an den Vertrag von Lissabon (AEUV) angepasst werden. Und schließlich soll präzisiert werden, welche Bestimmungen Gegenstand von Durchführungsrechtsakten sind und welche Bedingungen für den Erlass delegierter Rechtsakte gelten.

Übertragung von Aufgaben von der Kommission an die (ECHA) (4), um so einen geeigneteren Rahmen für die administrative, wissenschaftliche und technische Unterstützung der Durchführung zu schaffen. Ferner wird vorgeschlagen, die Durchsetzung der POP-Verordnung durch die Mitgliedstaaten zu unterstützen, indem das Forum für den Austausch von Informationen zur Durchsetzung, das mit der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden die „REACH-Verordnung“) (5) eingerichtet wurde, eine Koordinierungsfunktion erhält.

Aufnahme bestimmter technischer Änderungen an den operativen Bestimmungen, wie die Präzisierung bestehender Begriffsbestimmungen und die Hinzufügung von Begriffsbestimmungen für „Herstellung“, „Verwendung“ und „Zwischenprodukt im standortinternen geschlossenen System“, um die bestehenden Verfahren zu verbessern und zu vereinfachen.

3.3.

Im Vorschlag wird besonderer Wert auf Transparenz und den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen gelegt. Programme zur Bewusstseinsbildung für die Öffentlichkeit in Bezug auf die POP, besonders für die gefährdetsten Bevölkerungsgruppen, sowie die Ausbildung von Arbeitnehmern, Wissenschaftlern, Lehrkräften sowie Fach- und Führungskräften sollen gefördert bzw. erleichtert werden. Die Öffentlichkeit sollte die Möglichkeit haben, sich an der Ausarbeitung, Durchführung und Aktualisierung der Durchführungspläne auf nationaler Ebene zu beteiligen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission zur Neufassung der POP-Verordnung, um eine einheitliche und wirksame Umsetzung der Verpflichtungen der EU aus dem Übereinkommen von Stockholm zu gewährleisten. Dies ist von grundlegender Bedeutung für die Schaffung eines gemeinsamen Rechtsrahmens, in dem Maßnahmen ergriffen werden können, um die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung absichtlich hergestellter POP zu unterbinden, in den einzelnen Mitgliedstaaten jährliche Kontrollen durchzuführen und EU-weit vergleichbare Daten zu erstellen.

4.2.

Der EWSA weist darauf hin, dass in der EU das Inverkehrbringen und die Verwendung der meisten POP bereits untersagt worden sind. Damit die Freisetzung der POP möglichst minimiert wird, muss jedoch die Herstellung solcher Stoffe verboten werden; zudem sind die Ausnahmen auf jene POP zu beschränken, die für einen spezifischen Verwendungszweck eine wesentliche Funktion erfüllen. Deshalb fordert der EWSA die Kommission auf, strengere Kontrollmaßnahmen als die im Rahmen des Stockholmer Übereinkommens geltenden einzuführen und dabei dem Vorsorgegrundsatz zum Schutz der Umwelt gerecht zu werden, wie er in der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung (6) verankert ist.

4.3.

Der EWSA ist sich der Tatsache bewusst, dass sich die Kommission gegen eine formale Konsultation der Interessenträger und Mitgliedstaaten entschieden hat, weil ein allgemeines praktisches Einvernehmen mit allen öffentlichen und privaten Akteuren über die zu ergreifenden Maßnahmen zur Neufassung der POP-Verordnung besteht. Der EWSA empfiehlt jedoch, dass die Kommission einen effektiven und integrativen Ansatz für die nächsten Schritte zur Umsetzung verfolgt.

4.4.

Der EWSA befürwortet den Vorschlag, Aufgaben von der Kommission an die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) als geeigneterem Rahmen für die administrative, wissenschaftliche und technische Unterstützung der Durchführung zu übertragen. Der EWSA betont indes die Notwendigkeit der Schaffung einer soliden Arbeitsmethode unter Beteiligung der Kommission, der ECHA und der Mitgliedstaaten im Interesse einer wirksamen Zusammenarbeit und besserer Ergebnisse. Ein Eckpfeiler dieses neuen Rahmens für die Arbeit sollte die Konsultation von Interessenträgern sein.

4.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass einige Aspekte der Neufassung rein technischer Natur sind. Im Einklang mit seinen früheren Stellungnahmen (7) betont der EWSA, dass POP eine erhebliche Gefahr für die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung darstellen. Der EWSA empfiehlt daher eine angemessene und begrenzte Verwendung delegierter Rechtsakte (in unbedingt notwendigen Fällen), um den offenen Dialog mit allen Beteiligten aufrechtzuerhalten und dabei den Schwerpunkt vor allem auf die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und die Transparenz zu legen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, ihren Vorschlag genauer darzulegen, dass die Mitgliedstaaten bei der Erstellung, Umsetzung und Aktualisierung ihrer Durchführungspläne Möglichkeiten für die Beteiligung der Öffentlichkeit schaffen sollten. Der EWSA ist insbesondere der Ansicht, dass die Verfahren für diese Beteiligung klar geregelt sein müssen und in gleichem Maße für alle Mitgliedstaaten gelten sollten. Der EWSA ist davon überzeugt, dass die organisierte Zivilgesellschaft mehr als einzelne Bürger dabei eine wichtige Rolle spielen könnte. Darüber hinaus ist nicht klar, ob und wie diese Initiativen von der Kommission finanziell unterstützt werden und wie diese wichtige Gelegenheit bekannt gemacht werden soll.

5.2.

POP sind eine globale Bedrohung. Derzeit geht es auf globaler Ebene in erster Linie darum, die einzelstaatlichen Strategien und die Rechtsvorschriften über die Überwachung und Kontrolle der POP zu harmonisieren. Daher unterstützt der EWSA den Vorschlag der Kommission für eine proaktivere Rolle der EU gegenüber den Drittstaaten im Hinblick auf die Bekämpfung der POP-Emissionen.

5.3.

Allerdings ist er der Ansicht, dass „Informationsaustausch“ (8) mit Drittstaaten, die nicht Vertragsparteien des Stockholmer Übereinkommens sind, oder „rechtzeitige technische Hilfe“„auf Anfrage“ und „im Rahmen der verfügbaren Mittel“ (9) zur Umsetzung des Übereinkommens noch zu vage sind, um die POP eliminieren zu können. Der EWSA ist insbesondere der Auffassung, dass die EU die Nachhaltigkeit fördern und die Bestimmungen über die POP in bilateralen und multilateralen Handelsabkommen (10) durchsetzen sollte. Auch internationale Vermittler, wie z. B. der im Rahmen des Übereinkommens von Minamata eingesetzte Ausschuss für die Durchführung und Einhaltung des Übereinkommens, könnten hier wichtige Bezugspunkte sein (11). Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die EU bei nachhaltigen Innovationen eine Führungsrolle übernehmen kann.

5.4.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, eine umfassende Sensibilisierungskampagne über POP auf EU-Ebene durchzuführen. Gleichzeitig sollte Europa eine aktivere Rolle bei der Förderung der Nachhaltigkeitserziehung und dem Informationsaustausch über bewährte Verfahren im Bereich der Nachhaltigkeit spielen (12). Insbesondere empfiehlt der EWSA die Einrichtung einer offen zugänglichen Datenbank über POP, um Unternehmen und Verbrauchern ein nützliches Instrument an die Hand zu geben.

5.5.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass Schulungen über POP für alle jene Arbeitnehmer in der EU verfügbar und verbindlich sein sollten, die bei ihrer Tätigkeit unmittelbar oder mittelbar mit diesen Stoffen in Berührung kommen. Der EWSA weist darauf hin, dass diese Aspekte bereits in den geltenden Rechtsvorschriften verankert sind, dass wegen der ungewissen und schwachen Umsetzung jedoch neue Instrumente für eine effizientere Umsetzung gefunden werden müssen. Insbesondere empfiehlt der EWSA, die Informations-, Bildungs- und Schulungsinitiativen zu harmonisieren und als Teil einer einzigen Strategie anzusehen, die auf ein Konzept des lebenslangen Lernens gestützt ist.

Brüssel, den 12. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  http://chm.pops.int/.

(2)  In den letzten Jahren wurden der ursprünglichen Liste 16 weitere Substanzen hinzugefügt. http://chm.pops.int/TheConvention/ThePOPs/TheNewPOPs/tabid/2511/Default.aspx.

(3)  Seit dem 1. Juni 2015.

(4)  Verordnung (EG) Nr. 1907/2006.

(5)  Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH).

(6)  Rio-Erklärung, 1992. Grundsatz 15: „Zum Schutz der Umwelt wenden die Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten allgemein den Vorsorgegrundsatz an. Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.“

(7)  Stellungnahme des EWSA über Persistente organische Schadstoffe (ABl. C 32 vom 5.2.2004, S. 45).

(8)  COM(2018) 144 final, Ziffer 18.

(9)  COM(2018) 144 final, Ziffer 21.

(10)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft Europas“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 44).

(11)  Das Übereinkommen von Minamata über Quecksilber ist ein internationales Übereinkommen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen von Quecksilber. Es wurde in Genf (Schweiz) am 19. Januar 2013 vereinbart, auf einer Diplomatischen Konferenz am 10. Oktober 2013 in Kumamoto (Japan) unterzeichnet und trat am 16. August 2017 in Kraft. Es folgt einem innovativen und umfassenden Konzept für Quecksilber über dessen gesamten Lebenszyklus, von der Gewinnung bis hin zur Abfallbewirtschaftung. http://www.mercuryction.org/. Artikel 15.

(12)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Rio+20: Hin zu einer umweltverträglichen Wirtschaft und besserer Governance“ (ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 102), siehe Nummer 4.13.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/97


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über einen Überwachungsrahmen für die Kreislaufwirtschaft“

(COM(2018) 29 final)

(2018/C 367/19)

Berichterstatter:

Cillian LOHAN

Mitberichterstatterin:

Tellervo KYLÄ-HARAKKA-RUONALA

Befassung

Europäische Kommission, 12.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

19.9.2017

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

26.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

172/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung über einen Überwachungsrahmen für die Kreislaufwirtschaft als wichtige Folgemaßnahme zum Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft im Einklang mit den Empfehlungen in seiner einschlägigen Stellungnahme (NAT/676).

1.2.

Diese Mitteilung ist im Ansatz begrüßenswert, doch werden eine Reihe relevanter und wesentlicher Indikatoren außer Acht gelassen:

Ökodesign

Entwicklung von (neuen) Geschäftsmodellen

Kollaborative Wirtschaft

Soziale Indikatoren

Emissionsdaten

1.3.

Der EWSA stellt fest, dass er als beratende Einrichtung der EU-Organe dennoch nicht im Rahmen der Konsultation zur Erarbeitung dieser Indikatoren angehört wurde.

1.4.

Die Kreislaufwirtschaft ist mit der Niedrigemissionswirtschaft und den Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDG) verknüpft, was in den Indikatoren des Überwachungsrahmens zum Ausdruck kommen sollte.

1.5.

Die übermäßig abfallorientierte Überwachung ist neu auszurichten.

1.6.

Die knappe Definition der „Sektoren der Kreislaufwirtschaft“ sollte weiter ausdifferenziert werden, da sie für mehrere Indikatoren relevant ist.

1.7.

Fehlende Daten in einem bestimmten Bereich dürfen kein Ausschlussgrund sein. Die Datenlücken sollten deutlich herausgestellt und durch gezielte Strategien geschlossen werden. Wenn wir weiterhin nur herkömmliche, schon bestehende Daten auswerten, können wir die Fortschritte bei der Umstellung auf ein neues Wirtschaftsmodell nicht zuverlässig messen.

1.8.

Es gibt Unstimmigkeiten in politischen Maßnahmen und Regelungen, die den Unternehmen die Umstellung auf ein Kreislaufwirtschaftsmodell erschweren und die in dem Überwachungsrahmen erfasst werden sollten.

1.9.

Die Verwendung öffentlicher Mittel sollte anhand eines spezifischen Indikators überwacht werden. Gezielte Investitionen in Kreislaufwirtschaftsinitiativen sollten mit einer eigenen Datenerfassung verknüpft werden, um diesen Indikator zu entwickeln. Es sollten sowohl „Ausgaben“ als auch „Investitionen“ überwacht werden.

1.10.

Über die europäische Plattform der Interessenträger für die Kreislaufwirtschaft sollte die Einbindung der relevanten Akteure angestrebt werden. Dazu sollte eine zielgerichtete Kommunikationsstrategie erarbeitet und durchgeführt werden.

1.11.

Das Sensibilisierungs- und Bildungsniveau der Verbraucher und Nutzer sollte gemessen werden, um ein besseres Verständnis der Rolle der Verbraucher in der Kreislaufwirtschaft und ihres Einflusses auf die Materialströme zu ermöglichen. Infrastrukturelle Unterstützungsmaßnahmen, die ein ressourcenschonendes Verbraucherverhalten ermöglichen, sowie Tätigkeiten, die den Wandel vom „Verbraucher“ zum „Nutzer“ begünstigen, sollten gefördert und gemessen werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Europäischen Kommission. Die Überwachung der Fortschritte ist ein wesentlicher Bestandteil der Umsetzung des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft.

2.2.

Zielgruppe der Konsultation zur Erarbeitung des Überwachungsrahmens waren die Interessenträger. Demnach hätte auch der EWSA angehört werden müssen, denn seine Beratungsfunktion ist in den Verträgen verankert und zu seinen Mitgliedern zählen Vertreter diverser einschlägiger Interessengruppen.

2.3.

Ein wirksames Überwachungssystem setzt voraus, dass die Metriken auf zuverlässigen und zwischen den Mitgliedstaaten vergleichbaren Daten beruhen.

2.4.

Die Überwachung der Fortschritte auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft ist in jedem Fall eine anspruchsvolle Aufgabe. Es ist von entscheidender Bedeutung, alle Elemente des Übergangs zur Kreislaufwirtschaft zu messen und Datenlücken aufzudecken.

2.5.

Es sollten Mittel bereitgestellt werden, um Datenlücken durch die unverzügliche Aufstellung geeigneter Kriterien und die Erhebung von Daten zur Festlegung von Basiswerten zu schließen. Eine kontinuierliche Forschungs- und Überwachungstätigkeit auf dem Gebiet der Kriterien, Messungen und Indikatoren ist zu empfehlen.

2.6.

Es wäre vorteilhaft, die knappe Definition der „Sektoren der Kreislaufwirtschaft“ weiter auszudifferenzieren, denn sie beschränkt die Metriken für die Bewertung der Wirtschaftstätigkeit, der Arbeitsplatzschaffung, der Innovation und anderer Indikatoren.

Abbildung 1: Materialströme innerhalb der Wirtschaft (EU-28, 2014)

Image

Abbildung1: Abrufbar auf http://ec.europa.eu/eurostat/web/circular-economy/material-flow-diagram

2.7.

Die allgemeine Abbildung der Materialströme zeigt, dass in der EU jährlich 8 Mrd. Tonnen Rohstoffe zu Energie und Produkten verarbeitet werden. 0,6 Mrd. Tonnen davon werden anschließend exportiert, d. h. der Großteil wird weiterhin von Akteuren in der EU kontrolliert. Allerdings ist die Analyse selektiv und bezieht relevante Materialströme wie bspw. Lebensmittel und Textilien nicht mit ein. Auch sollten die Auswirkungen der Produktion gegenüber den Auswirkungen des Verbrauchs berücksichtigt werden, indem untersucht wird, wie und was wir produzieren, exportieren und importieren.

2.8.

In der Mitteilung sollte berücksichtigt werden, dass die Autoren der Studie darauf hinweisen, dass die Recyclingzahlen eher optimistisch sind und die Praxis schönen.

2.9.

Die Kreislaufwirtschaft muss mit der Niedrigemissionswirtschaft verknüpft werden. Ein Überwachungsrahmen sollte dem Rechnung tragen, um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu verstärken, Überschneidungen zu vermeiden und einen effizienten Wandel zu fördern.

2.10.

Die Mitteilung ist einseitig abfallorientiert. Teilweise dürfte das darauf zurückzuführen sein, dass die Abfalldaten aussagekräftig, kohärent und vergleichbar sind. In einem künftigen Überwachungsrahmen müssen jedoch neben Abfall und Recycling auch Design, Produktion und Verbrauch im Blickpunkt stehen.

2.11.

Das Sensibilisierungs- und Bildungsniveau der Verbraucher und Nutzer sollte gemessen werden, um ein besseres Verständnis der Rolle der Verbraucher in der Kreislaufwirtschaft und ihres Einflusses auf die Materialströme zu ermöglichen. Faktengestützte und praktische Lösungskonzepte sind angesagt — das Engagement der Zivilgesellschaft ist maßgebend, und eine Kreislaufkultur, die auf einem Wertewandel und veränderten Konsummustern beruht, ist entscheidend.

2.12.

Es sollte ein EU-geprüftes Wörterbuch kreislaufwirtschaftsrelevanter Definitionen erstellt werden. Die derzeitige Überwachung der Sektoren der Kreislaufwirtschaft ist definitionsbedingt zu begrenzt, um den durch den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft angestrebten und gesellschaftlich erwünschten systemischen Wandel zu erfassen. Auch muss die Abfalldefinition überdacht werden.

3.   Die zehn Indikatoren

3.1.

Die zehn Indikatoren sind vier Überschriften zugeordnet: Herstellung und Verbrauch, Abfallbewirtschaftung, Sekundärrohstoffe sowie Wettbewerbsfähigkeit und Innovation.

3.2.

Es gibt keine Indikatoren zur Überprüfung der mit dem bestehenden linearen Modell verbundenen Schadstoffemissionen einschl. THG. Sie sind aber die entscheidende Voraussetzung für die Verknüpfung der Kreislaufwirtschaft mit der Niedrigemissionswirtschaft, den EU-Klima- und -Energiezielen und dem Übereinkommen von Paris.

3.3.

Die zehn Indikatoren sind in erster Linie abfallorientiert. Die Analyse sollte breiter angelegt werden und sich auf die gesamte Produkt- und Materialwertschöpfungskette einschl. Ökodesign, neue Geschäftsmodelle, veränderte Geschäftssysteme und Industriesymbiose sowie neue Konsummodelle erstrecken.

3.4.

Allgemein sollten die Indikatoren zum einen die Leistung und Vorteile der Kreislaufwirtschaft und zum anderen die Kreislauffähigkeit der Ressourcen messen.

3.5.

Kürzere und kleinere Kreisläufe sind in einer Kreislaufwirtschaft zwar zu bevorzugen, doch ist Selbstversorgung als Einzelindikator kein Maß für Kreislauforientiertheit. Die Rohstoffrückgewinnungsquote und die Sekundärrohstoffeinsatzquote können die Selbstversorgung steigern. Durch die Schwerpunktsetzung auf die Selbstversorgung als Indikator entsteht die Gefahr, dass sie ungewollt zum eigentlichen Ziel wird und das Hauptaugenmerk nicht länger der effizientesten Nutzung von Rohstoffen und Produkten gilt. Systemisches Denken ist angesagt.

3.6.

Es ist verständlich, dass die zehn Indikatoren unter Berücksichtigung der Datenverfügbarkeit ausgewählt wurden. Datenlücken sollten jedoch klar und ausdrücklich ermittelt werden. Ein Plan zur Schließung dieser Datenlücken sollte als Teil des Überwachungsrahmens erstellt werden.

3.7.

Der derzeitige Plan zur Verbesserung der Wissensbasis ist nach wie vor sehr abfalllastig und sollte auf andere Aspekte der Kreislaufwirtschaft ausgeweitet werden.

3.8.

Die europäische Plattform der Interessenträger für die Kreislaufwirtschaft, eine gemeinsame Initiative der Europäischen Kommission und des EWSA, sollte als Instrument zur Ermittlung von Datenlücken, Stakeholdertrends und Hemmnissen für den Wandel genutzt werden.

4.   Erste Ergebnisse

4.1.   Herstellung und Verbrauch

4.1.1.

Die Indikatoren für Produktion und Verbrauch sind zu einseitig auf Abfall ausgerichtet.

4.1.2.

Mangels einschlägiger Daten wird die Selbstversorgung mit Rohstoffen gemessen. Selbstversorgung an sich ist kein Kreislaufwirtschafts-Indikator (siehe Ziffer 3.4). Es sollte zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärrohstoffen unterschieden werden. Es wäre auch zweckmäßig, der Überwachung der Entwicklungen einen stärker differenzierten Ansatz zugrunde zu legen und bspw. den Verbrauch erneuerbarer Ressourcen im Vergleich zum Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen, die Rückgewinnung von kritischen Rohstoffen wie Seltenerdmetallen sowie die Auswirkungen von Produktion, Importen und Exporten (siehe Ziffer 2.8) zu messen.

4.1.3.

Umweltverträgliche öffentliche Auftragsvergabe (Green Public Procurement, GPP) ist ein geeigneter Indikator für die Verwendung öffentlicher Mittel und kann Kreislauforientiertheit fördern. Die Umsetzung der GPP in den Mitgliedstaaten könnte durch eine klare Kommunikation sowie durch die Finanzierung von Bildungsmaßnahmen zur Vermittlung der Zusammenhänge zwischen GPP und Kreislauforientiertheit, den SDG und den Zielen des Übereinkommens von Paris für eine Niedrigemissionswirtschaft erleichtert werden.

4.1.4.

Im Zuge der Bewertung regionaler und nationaler GPP-Pläne sollten Schulungsprogramme für öffentliche Auftraggeber überwacht und Informationen ausgetauscht werden. Ein mangelndes Verständnis der anscheinenden Widersprüche zwischen einer kreislauforientierten oder grünen Beschaffung und den Binnenmarktvorschriften erfordert Handlungsbedarf.

4.1.5.

Instrumente zur Messung der Lebensmittelverschwendung, mit deren Hilfe der komplexe Sachverhalt der Verschwendung von Lebensmitteln in der Versorgungskette aufgeklärt werden kann, sind von entscheidender Bedeutung. Es reicht nicht aus, Lebensmittelverschwendung lediglich auf der Verbraucherebene zu ermitteln, vielmehr erfordert dieses riesige Problem einen systemischen Wandel.

4.1.6.

Lebensmittelverschwendung ist jedoch nur ein Aspekt der Förderung einer kreislauforientierten Ernährungswirtschaft. Zur Ermittlung kreislauforientierter landwirtschaftlicher Praktiken sind klare Definitionen notwendig, die dringend gemeinsam mit den Interessenträgern entwickelt werden müssen (siehe Ziffer 2.13). Lebensmittelverschwendung sollte im Rahmen eines systemischen Ansatzes überwacht werden, der auch den Wechselwirkungen zwischen Lebensmittelerzeugung, Lebensmittelverschwendung und anderen Bereichen wie Energie, Mobilität und Wasserwirtschaft Rechnung trägt.

4.1.7.

In dieser Mitteilung sind wichtige Aspekte des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft außer Acht gelassen worden, die für die Phase „Herstellung und Verbrauch“ des Überwachungsrahmens relevant wären, u. a. Ökodesign, neue Eigentumsmodelle, freiwillige Vereinbarungen, Verbraucherinformationen, Verbraucherverhalten, unterstützende Infrastruktur, Bestandsaufnahme von Beihilfen für nicht-kreislauforientierte Tätigkeiten sowie Verknüpfungen mit der Niedrigemissionswirtschaft und den SDG.

4.2.   Abfallbewirtschaftung

4.2.1.

Wichtige Voraussetzungen für die Kreislaufwirtschaft sind eine Neudefinition der Begriffe Abfallbewirtschaftung und Abfall, die Förderung von Forschung und Innovation im Bereich Recycling, neue Geschäftsmodelle, neue Wertschöpfungsketten und eine über Recycling hinausreichende Perspektive. In diesem Sinn sollte die Abfallbewirtschaftung von einer Ressourcenbewirtschaftung abgelöst werden.

4.2.2.

Bei der Überwachung von Siedlungsabfällen und ihren Recyclingraten muss vor allem geklärt werden, an welcher Stelle der Abfallkette die Messung erfolgt, vor oder nach der Sortierung. Diese Frage wird in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen angesprochen, nicht aber in der Mitteilung. Der EWSA hat stets eine Messung nach der Sortierung für einen möglichst genauen Messwert befürwortet.

4.2.3.

Die Überwachung von Siedlungsabfällen sollte auch Abwasser einbeziehen. Aus menschlichen Abfällen kann durch anaerobe Fermentation Energie gewonnen werden, die wiederum zur Senkung von durch andere Energiequellen verursachten Emissionen beitragen kann.

4.3.   Sekundärrohstoffe

4.3.1.

Ein dynamischer, funktionierender Sekundärrohstoffmarkt ist unverzichtbarer Bestandteil einer Kreislaufwirtschaft.

4.3.2.

In einer Kreislaufwirtschaft müssen Materialstromansätze über Recycling hinausgehen; die Materialströme müssen auch in den Bereichen Reparatur und Wiederverwendung wie auch Refabrikation überwacht werden. Auch hier sind Definitionen entscheidend, denn der in einem Sektor erzeugte Abfall sollte der in einem anderen Sektor genutzte Rohstoff sein.

4.3.3.

Dem Unterschied zwischen dem Ende der Lebensdauer eines Produkts (also dem Ende der Funktionsfähigkeit des Produkts) und dem Ende der Lebensdauer der darin enthaltenen Bestandteile und Stoffe muss Rechnung getragen werden.

4.3.4.

Die Materialströme innerhalb einer Kreislaufwirtschaft sollten auch Änderungen der Eigentumsverhältnisse in einem dienstleistungsorientierten Geschäftsmodell abbilden.

4.3.5.

Im Mittelpunkt dieses Abschnitts steht die Bewirtschaftung der derzeit erzeugten Abfälle und in Verbindung damit die Möglichkeit, daraus Sekundärrohstoffe zu gewinnen. Diese begrüßenswerte Initiative stößt jedoch an Grenzen, da umfangreiche Materialströme wie bspw. Lebensmittel und Textilien nicht in die Bewertung miteinbezogen werden.

4.3.6.

Das Design der gesellschaftlichen Bestände muss überwacht werden, um sicherzustellen, dass die darin eingesetzten Rohstoffe am Ende der Funktionalität und Attraktivität eines Bestands zurückgewonnen werden können. Das Bewirtschaftungspotenzial von Materialströmen würde dadurch verdoppelt. Durch Digitalisierung könnte die Überwachung dieses Aspekts erleichtert werden.

4.3.7.

In der Mitteilung könnte zu mehr Transparenz und Klarheit hinsichtlich der in den gesellschaftlichen Beständen eingesetzten Materialien sowie ihrer Messung und Überwachung beigetragen werden.

4.4.   Wettbewerbsfähigkeit und Innovation

4.4.1.

Unternehmen tragen in erster Linie über Innovation, Investition und Handel zur Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft bei. Da die Kreislaufwirtschaft alle Wirtschaftsbereiche betrifft und unbedingt eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit erfordert, müssen die Sektoren der Kreislaufwirtschaft auf eine breitere Grundlage gestellt werden.

4.4.2.

Spezifische Entwicklungen in den Bereichen Ökodesign, neue dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle und flexible Eigentumsverhältnisse sollten überwacht werden. So sollten die Entwicklung und Annahme kreislaufwirtschaftsrelevanter Ökodesign-Standards überwacht werden.

4.4.3.

Unternehmen, die die Marktnische Refabrikation besetzt haben, beherrschen mittlerweile wesentliche Teile des Markts. Sie müssen in einen Überwachungsrahmen eingebunden werden.

4.4.4.

Die Verwendung öffentlicher Mittel sollte anhand spezifischer Indikatoren überwacht werden. Gezielte Investitionen in Kreislaufwirtschaftsinitiativen sollten mit einer eigenen Datenerfassung verknüpft werden, um diesen Indikator zu entwickeln, sodass sowohl die Ausgaben als auch die erzielte Wirkung gemessen werden.

4.4.5.

Privatwirtschaftliche Investitionen spielen auch eine entscheidende Rolle bei der Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft. Im Investment-, Versicherungs- und Bankensektor gibt es bereits einschlägige Instrumente und Bewertungsmodelle. Der Umfang der privaten wie auch der öffentlichen Investitionen sollte in dem Überwachungsrahmen angegeben werden.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/103


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Mehrjahresplans für die Fischereien, die Grundfischbestände im westlichen Mittelmeer befischen

(COM(2018) 115 final — 2018/0050 (COD))

(2018/C 367/20)

Berichterstatter:

Gabriel SARRÓ IPARRAGUIRRE

Befassung

Europäisches Parlament, 15.3.2018

Rat, 20.3.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 43 Absatz 2, Artikel 114 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

13.2.2018 (im Vorgriff auf die Befassung)

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

26.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

165/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stimmt der Kommission zu, dass ein Mehrjahresplan für Fischereien auf Grundfischarten im westlichen Mittelmeer mit Maßnahmen angenommen werden sollte, mit denen der Überfischung der meisten Grundfischbestände, für die Daten zur Verfügung stehen, begegnet werden kann. Insofern hält der EWSA die Verwendung eines Systems zur Steuerung des Fischereiaufwands auf der Grundlage von Fangtagen und nach Bewirtschaftungseinheiten für die Schleppnetzfischerei für angemessen und begrüßt die Möglichkeit der Anwendung eines Systems zulässiger Gesamtfangmengen für den Fall, dass eine Steuerung auf der Grundlage des Aufwands scheitert.

1.2

Ziel des Plans muss eine aus ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Sicht nachhaltige Fischerei sein. Daher müssen verhältnismäßige Maßnahmen angenommen werden, sodass die sozioökonomischen Auswirkungen für die Mittelmeerfischer akzeptabel und tragbar sind. Insofern ist es mit Blick auf das erwartete Datum der Annahme und des Inkrafttretens dieses Vorschlags (nicht vor Mitte 2019) schwierig, bis 2020 für sämtliche Bestände den höchstmöglichen Dauerertrag (maximum sustainable yield, MSY) zu erreichen. Dennoch unterstützt der EWSA das internationale Engagement der EU, den höchstmöglichen Dauerertrag bis 2020 zu erreichen, was ein zentrales Ziel im Mehrjahresplan ist, insbesondere für die am stärksten überfischten und vom biologischen Zusammenbruch bedrohten Arten. Daher wäre es sinnvoll, für alle Bestände realistischere und angemessenere Fristen vorzusehen, um den jeweiligen höchstmöglichen Dauerertrag zu erreichen.

1.3

Der EWSA sieht zwar die regionalen Besonderheiten der Fischereien im Mittelmeer, ist allerdings der Ansicht, dass aufgrund der „spezifischen“ Gegebenheiten des Mittelmeeres Reformen im Fischereibereich durchgeführt werden müssen, und empfiehlt den Mitgesetzgebern, eine geeignete Bewirtschaftungsregelung zu unterstützen, die eine Gleichbehandlung der verschiedenen europäischen Meeresgebiete gewährleistet und es dem Mittelmeerraum erlaubt, die Ziele der gemeinsamen Fischereipolitik im vollen Umfang zu erreichen.

1.4

Der EWSA erkennt zwar an, dass die Zahl der Fischereifahrzeuge in den letzten Jahren erheblich verringert wurde, bedauert jedoch, dass diese Anstrengungen des Fischereisektors zu keiner echten Senkung der fischereilichen Sterblichkeit bei den wichtigsten Beständen geführt hat, insbesondere aufgrund der strukturellen Überkapazitäten in einigen Segmenten der Fangflotte, vor allem in der Schleppnetzfischerei, und aufgrund der gesteigerten Effizienz des Fischfangs durch modernere Maschinen, Fanggeräte und Fangtechniken.

1.5

Der EWSA fordert die Kommission auf, auch die anderen Faktoren und menschlichen Tätigkeiten, die diese Fischbestände und die Ökosysteme des Mittelmeers beeinflussen, zu berücksichtigen, wie in Ziffer 3.5 dieser Stellungnahme dargelegt, und schlägt die Annahme geeigneter Maßnahmen vor, um die Auswirkungen auf die Fischbestände zu verringern.

1.6

Da das Mittelmeer ein halb geschlossenes Meer mit 22 Anrainerstaaten ist, von denen die meisten Drittländer sind, empfiehlt der EWSA der Kommission, größtmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um die Bewirtschaftungsmaßnahmen für die gemeinsam befischten Arten mit den anderen Ländern, insbesondere im Rahmen der Allgemeinen Kommission für die Fischerei im Mittelmeer (GFCM), zu koordinieren.

1.7

Der EWSA erkennt vor dem Hintergrund der starken Überfischung in dieser Region an, dass gezielte räumliche und zeitliche Beschränkungen für die Fischerei mit Schleppnetzen (dem Hauptfanggerät der im Plan geregelten Fischereien) notwendig sind, um die Auswirkungen dieser Fischerei durch unerwünschte Fänge von Grundfischarten, insbesondere von Jungfischen, und auf wichtige Lebensräume der Fische (Laichgründe und Aufwuchsgebiete) erheblich zu reduzieren, wenn das laut wissenschaftlichen Untersuchungen erforderlich ist.

1.8

Der EWSA empfiehlt den Mitgesetzgebern aus den in Ziffer 4.3 dieser Stellungnahme dargelegten Gründen, das Verbot des Einsatzes von Schleppnetzen innerhalb der 100-Meter-Tiefenlinie (Isobathe) vom 1. Mai bis zum 31. Juli jeden Jahres aufzuheben.

1.9

Zudem empfiehlt er der Kommission, außerordentliche Begleitmaßnahmen vorzuschlagen, um die Fischer für die Verluste durch die Verringerung des Fischereiaufwands und der fischereilichen Sterblichkeit zu entschädigen. Insofern wäre es gut, die Beihilfen für die vorübergehende Einstellung der Fangtätigkeit aufzustocken und erneut Beihilfen für ihre endgültige Einstellung zu erwägen.

1.10

Schließlich empfiehlt der Ausschuss der Kommission, sämtliche Kommentare in den allgemeinen und besonderen Bemerkungen dieser Stellungnahme zu berücksichtigen.

2.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags der Kommission

2.1

Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung eines Mehrjahresplans für die Fischereien, die Grundfischbestände im westlichen Mittelmeer befischen, vorgelegt, der die Fischerei auf Afrikanische Tiefseegarnele, Rosa Geißelgarnele, Rote Tiefseegarnele, Seehecht, Kaisergranat und Rote Meerbarbe betrifft, die die Fangflotten, insbesondere die Schleppnetzflotten, aus Italien, Frankreich und Spanien durchführen.

2.2

Die allgemeinen Ziele des Vorschlags bestehen darin, den höchstmöglichen Dauerertrag für die betreffenden Bestände zu erreichen, den Vorsorge- und den Ökosystemansatz anzuwenden und die Umsetzung der Anlandeverpflichtung zu erleichtern, um zu gewährleisten, dass die Fischereitätigkeiten langfristig umweltverträglich sind und so gestaltet werden, dass sie einen wirtschaftlichen, sozialen und beschäftigungspolitischen Nutzen bringen.

2.3

Die Europäische Kommission legt diesen Vorschlag vor, weil sie der Auffassung ist, dass die Verordnung (EG) Nr. 1967/2006 des Rates (1) und die nationalen Bewirtschaftungspläne nicht hinreichend funktionieren, denn laut europäischen und internationalen Wissenschaftlern sind mehr als 80 % der bewerteten Bestände in dieser Teilregion überfischt, da die Befischung weit über die Spannen der fischereilichen Sterblichkeit, die mit dem Ziel des höchstmöglichen Dauerertrags vereinbar wären, hinausgeht.

2.4

In dem Vorschlag sind verschiedene Maßnahmen vorgesehen, wie die Festlegung von Zielvorgaben für die fischereiliche Sterblichkeit (FMSY), Referenzpunkten für die Bestandserhaltung, Soforthilfemaßnahmen und einer Höchstzahl der Fangtage bei erheblicher Verringerung des Fischereiaufwands im ersten Jahr. Sollten diese Maßnahmen nicht greifen, wird vorgeschlagen, zulässige Gesamtfangmengen (TAC) und im Wege von delegierten Rechtsakten breit gefächerte technische Bestandserhaltungsmaßnahmen festzulegen. Zudem wird für den gesamten räumlichen Geltungsbereich des Vorschlags ein zeitlich begrenztes Schongebiet vorgeschlagen, in dem innerhalb der 100-Meter-Isobathe vom 1. Mai bis zum 31. Juli jeden Jahres die Verwendung von Schleppnetzen verboten ist.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA ist sich angesichts der einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen der Tragweite des Problems der Überfischung und der damit zusammenhängenden schweren ökologischen Krise bewusst, weshalb er die Auffassung teilt, dass zusätzliche Bewirtschaftungsmaßnahmen ergriffen werden müssen, um den Fischereiaufwand und die fischereiliche Sterblichkeit zu verringern, damit sich die wichtigsten überfischten Grundfischbestände im westlichen Mittelmeer erholen können.

3.2

Allerdings müssen diese Maßnahmen nach Ansicht des EWSA verhältnismäßig sein und dürfen das wirtschaftliche Überleben der Mittelmeerfischer nicht gefährden, da diese in den vergangenen Jahren bereits eine erhebliche Verringerung der Zahl der Fischereifahrzeuge und damit einen entsprechenden Rückgang der Beschäftigung zu verkraften hatten.

3.3

Zudem hält es der EWSA angesichts der Lage der Bestände und mit Blick auf das erwartete Datum der Annahme und des Inkrafttretens dieses Vorschlags (nicht vor Mitte 2019) für schwierig, bis 2020 für sämtliche Bestände den höchstmöglichen Dauerertrag zu erreichen. Deshalb plädiert der EWSA dafür, den am stärksten überfischten und vom biologischen Zusammenbruch bedrohten Arten (z. B. Seehecht, Rote Meerbarbe) besondere Aufmerksamkeit zu widmen, damit diese Ziele nicht verfehlt werden. Daher wäre es sinnvoll, für alle Bestände realistischere und angemessenere Fristen vorzusehen, um den jeweiligen höchstmöglichen Dauerertrag zu erreichen.

3.4

Außerdem weist der EWSA darauf hin, dass die Europäische Kommission bei der Analyse des Zustands der Fischbestände und der Unterbreitung von Verbesserungsmaßnahmen einmal mehr die Berücksichtigung der anderen Faktoren und menschlichen Tätigkeiten, die diese Bestände beeinflussen, zu vergessen scheint, wie Klimawandel, Versauerung, Verschmutzung, Aktivitäten im Zusammenhang mit Erdöl und Erdgas, Seeverkehr, Abfälle im Meer, schlechte Verwaltung von Aktivitäten im Küstenbereich usw. Deshalb vertritt er die Auffassung, dass nicht ausschließlich der Fischereisektor für den Zustand der Fischbestände verantwortlich gemacht werden kann und eigentlich ein Ökosystemansatz unter Berücksichtigung all dieser genannten Faktoren und Tätigkeiten angewandt werden müsste.

3.5

Demgegenüber plädiert der EWSA dafür, die sozioökonomische Bedeutung der Schleppnetzfischerei im Mittelmeerraum anzuerkennen. Ungefähr 75 % der Fänge von Grundfischarten entfallen auf die Schleppnetzfischerei. Deshalb gilt es, diese Fangmethode angemessen zu regulieren (zeitlich begrenzte Schongebiete) und für eine bessere Selektivität der Fanggeräte zu sorgen. Das Schleppnetz ist das einzige Fanggerät, mit dem sich im Mittelmeer Arten wie Rosa Geißelgarnele und Afrikanische Tiefseegarnele, Kaisergranat, Gemeiner Heuschreckenkrebs, Blauer Wittling, Gabeldorsch, Kleiner Katzenhai, Kalmar, Sepia und Jungkalmar in großen Mengen fangen lassen. Für bestimmte Arten gibt es jedoch selektivere und schonendere Fangmethoden wie z. B. Fischfallen, Reusen, Kiemen- oder Spiegelnetze.

3.6

Der EWSA sieht es als wichtig an, dass funktionale Fischereigebiete und die empfindlichen Lebensräume in tieferen Zonen wirksam geschützt werden, insbesondere in den Fällen, in denen wissenschaftliche Gutachten dort eine Konzentration von Jungfischen oder Laichgebiete von Grundfischarten wie Seehecht, Kaisergranat oder Garnelen ausweisen. Diese Gebiete sind von großer Bedeutung für die Erholung der Bestände und müssen gemäß Artikel 8 der GFP-Verordnung (Einrichtung von Bestandsauffüllungsgebieten) daher dauerhaft oder vorübergehend für die Fischerei geschlossen werden. Der EWSA spricht sich dafür aus, mehrere funktionale Gebiete in diesen Plan aufzunehmen, so im Ebro-Delta, im Golfe du Lion und in den flacheren Gewässern um Carloforte.

3.7

Nach Ansicht des EWSA schlägt die Europäische Kommission erneut einen übermäßigen Rückgriff auf delegierte Rechtsakte vor. Viele der von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen fallen in den Bereich der Mitentscheidung (Artikel 13, 16 und 18).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA nimmt das Gutachten des STECF (17-02) zur Kenntnis, wonach die Steuerung anhand des Fischereiaufwands relativ wenig nützt, um die fischereiliche Sterblichkeit effektiv zu senken, und drastische Einschränkungen notwendig sind, um die Bestände auf ein nachhaltiges Maß wiederaufzufüllen. Zudem spricht sich der EWSA für einen Übergang zu einer Steuerung durch Fangbeschränkungen (zulässige Gesamtfangmengen) aus, die auf wissenschaftlichen Gutachten basiert und die einzige Methode ist, die eine wirkliche Kontrolle der fischereilichen Sterblichkeit erlaubt.

4.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass in Erwägungsgrund 5, der sich auf die Ziele der gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) bezieht, neben der ökologischen auch die soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit genannt werden sollte.

4.3

In Erwägungsgrund 26 und in dem damit zusammenhängenden Artikel 8 sollte nach Meinung des EWSA die Bezugnahme auf den Erlass von Bewirtschaftungsmaßnahmen auf der Grundlage der zulässigen Gesamtfangmengen im Hinblick auf eine langfristige Bewirtschaftung der Mehrartenfischereien im Mittelmeer beibehalten werden. Der STECF sollte Empfehlungen zu den wichtigsten Fischbeständen abgeben, für die sich wissenschaftliche Gutachten mit vorsorglichen zulässigen Gesamtfangmengen in Bezug auf den höchstmöglichen Dauerertrag erstellen lassen.

4.4

In Erwägungsgrund 28 und Artikel 11 Absatz 1 wird vorgeschlagen, den Einsatz von Schleppnetzen innerhalb der 100-Meter-Isobathe vom 1. Mai bis zum 31. Juli jeden Jahres zu verbieten. Der EWSA hält diese Maßnahme für unverhältnismäßig und ungerechtfertigt. In den Rechtsvorschriften der EU und der Mitgliedstaaten gibt es bereits ausreichende Schutzbestimmungen, um die Schleppnetzfischerei in gefährdeten Meeresgründen zu verhindern. Zudem gibt es Bereiche im Mittelmeer mit einer seichteren Schelfplattform, weshalb viele Trawler in dem vorgeschlagenen Schongebiet überhaupt nicht fischen könnten. Stattdessen spricht sich der EWSA dafür aus, spezifische Schongebiete einzurichten, für die es eine wissenschaftlich hinreichende Begründung gibt, wie die bereits vom Fischereisektor selbst in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten vorgeschlagenen.

4.5

Mit Blick auf Erwägungsgrund 37 und den damit zusammenhängenden Artikel 19 zum Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF), in dem Maßnahmen zur vorübergehenden Einstellung der Fischereitätigkeit vorgeschlagen werden, fordert der EWSA die Kommission auf, auch die endgültige Einstellung der Fischereitätigkeit vorzusehen, die über den derzeitigen EMFF und den 2021 in Kraft tretenden finanziert werden könnte, da eine Verringerung des Fischereiaufwands und der Kapazitäten gefordert werden wird, weshalb Ausgleichsmaßnahmen für Reeder und Arbeitskräfte erforderlich sein werden.

4.6

Wie unter Ziffer 3.3 ausgeführt, hält es der Ausschuss realistischerweise für schwierig, die FMSY-Wertebereiche für die betroffenen Bestände gemäß Artikel 4 Absatz 1 bis spätestens 2020 ohne inakzeptable sozioökonomische Auswirkungen für die Flotte zu erreichen. Die Mehrjahrespläne wurden aus Gründen, die nicht dem Fischereisektor zuzuschreiben sind, im Vergleich zum Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 1380/2013 über die gemeinsame Fischereipolitik mit großer Verspätung vorgelegt. Deshalb kann nach Meinung des EWSA jetzt nicht die Einhaltung unerreichbarer Ziele gefordert werden.

4.7

In Bezug auf Artikel 7 Absatz 1 hält der EWSA die Verwendung eines Systems zur Steuerung des Fischereiaufwands auf der Grundlage von Fangtagen für die Schleppnetzfischerei für angemessen. Andererseits ist der EWSA weder für eine Unterscheidung nach Längenklassen gemäß Anhang I noch für Aufwandsgruppen nach Zielarten, seien es nun Afrikanische Tiefseegarnele und Rote Tiefseegarnele in der Tiefsee oder Rote Meerbarbe, Seehecht, Rosa Geißelgarnele und Kaisergranat im Bereich des Schelfs und des oberen Kontinentalhangs. Der EWSA hält es für zweckmäßiger, die Gesamtheit der Trawler über Bewirtschaftungseinheiten (geographical sub-areas, GSA) zu verwalten, ohne nach Schiffslängen oder Meerestiefen zu unterscheiden, da diese in der Praxis nicht bestehende Unterscheidung künstlich wäre, denn Trawler können auf derselben Fangreise sowohl im Bereich des Schelfs als auch in der Tiefsee lebende Arten fangen. Zudem ist es wichtig, dass jedes Untergebiet für sich mit spezifischen Maßnahmen für die Erholung der dort lebenden Arten bewirtschaftet wird, unbeschadet der Situation von Arten in anderen Untergebieten.

4.8

Mit Blick auf den in Artikel 7 Absatz 4 genannten Ausgangswert hält es der EWSA für sinnvoll, eine Mindestzahl an Tagen in Erwägung zu ziehen, die nicht unterschritten werden dürfte, damit die Rentabilität der Unternehmen nicht unter einen kritischen Punkt sinkt.

4.9

Der EWSA stimmt zu, die Fischerei gemäß Artikel 9 Absatz 3 im Allgemeinen auf zwölf Stunden pro Fangtag, auf fünf Fangtage pro Woche oder vergleichbare Werte zu begrenzen. Er empfiehlt jedoch, in wohlbegründeten Fällen und mit besonderer Genehmigung für ferne Fischfanggründe oder Hochseegewässer des Mittelmeers die Möglichkeit von Ausnahmeregelungen vorzusehen, bei denen die Reisezeit verlängert (nicht aber die Zahl der Fangstunden erhöht) wird, wie das bereits in einigen Ländern geschieht.

4.10

Nach Ansicht des EWSA sollte in Artikel 9 Absatz 5 die Möglichkeit offengelassen werden, die Kapazität zwischen den verschiedenen Bewirtschaftungsgebieten zu tauschen, sofern die Bestandserholung dies zulässt (und unter Einhaltung der bereits in den Vorschriften über die globalen Kapazitätsgrenzen festgelegten Kriterien).

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Verordnung (EG) Nr. 1967/2006 des Rates vom 21. Dezember 2006 betreffend die Maßnahmen für die nachhaltige Bewirtschaftung der Fischereiressourcen im Mittelmeer und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2847/93 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1626/94 (ABl. L 409 vom 30.12.2006, S. 11).


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/107


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Neufassung)“

(COM(2017) 753 final — 2017/0332 (COD))

(2018/C 367/21)

Berichterstatter:

Gerardo LARGHI

Befassung

Europäisches Parlament, 8.2.2018

Rat, 28.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

13.2.2018

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

26.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

12.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

161/1/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission, die Trinkwasserrichtlinie zu aktualisieren, und befürwortet im Großen und Ganzen den Aufbau, die Ziele und die Maßnahmen. Der Ausschuss stellt mit Zufriedenheit fest, dass erstmals ein mit einer europäischen Bürgerinitiative eingeleitetes Gesetzgebungsverfahren zu Ende geführt wurde, wobei den allgemeinen Anliegen Rechnung getragen wurde. Der Ausschuss weist auch darauf hin, dass das in der EU angebotene Trinkwasser zu mehr als 99 % den Vorgaben der bisherigen Richtlinie 98/83/EG entspricht.

1.2.

Im Einklang mit seiner früheren Stellungnahme (1) bedauert der EWSA, dass in dem Richtlinienvorschlag nicht — wie von der Initiative „Right2Water“ gefordert — ausdrücklich die Anerkennung des in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (2) enthaltenen universellen Rechts auf Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung vorgesehen ist.

1.3.

Der EWSA hält das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgeschlagene Modell, das sich auf die Wassermindestmenge pro Tag und Person stützt, für einen gangbaren Weg. Bei dieser Frage ist ein ganzheitlicher Ansatz (3) wichtig, bei dem den Vorschriften in Bezug auf die Nachhaltigkeit und die Kreislaufwirtschaft sowie der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Dimension Rechnung getragen wird (4).

1.4.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Kommission die von der WHO vorgeschlagenen Parameterwerte befürworten, den Mechanismus für Ausnahmeregelungen in seiner heutigen Form weiterführen und den in Artikel 12 der Richtlinie vorgesehenen Automatismus überprüfen. Mit diesem Vorschlag sollen höchste Qualitätsstandards gewährleistet und Protokolle ermittelt werden, auf die zurückgegriffen werden kann, wenn eine ernsthafte Gefahr für die Nutzer besteht.

1.5.

Der EWSA begrüßt die Einführung von Maßnahmen für die Mitgliedstaaten, um den Trinkwasserzugang schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen oder Menschen, die in abgelegenen bzw. schwer zu erreichenden oder sich in Randlage befindlichen Orten leben, zu fördern. Die genaue Ausgestaltung sollte jedoch im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten erfolgen.

1.6.

Der EWSA begrüßt die Einführung des Vorsorge- und Verursacherprinzips (5) und befürwortet die Durchführung von Kommunikationskampagnen zur Förderung eines breiteren Zugangs zu und bewussteren Umgangs mit Wasser. Er empfiehlt indes, sämtliche verfügbaren Instrumente — und nicht nur Online-Instrumente — zu nutzen.

1.7.

Der EWSA erkennt an, dass die Richtlinie bedeutende Neuerungen im Hinblick auf die Überwachung und die Transparenz der Informationen enthält. Um die Nutzer für die Bedeutung der Verwendung von Leitungswasser zu sensibilisieren, empfiehlt er jedoch, klare und leicht verständliche Informationen bereitzustellen. Der EWSA hebt die wichtige Rolle der KMU bei der Wasserversorgung hervor. Um bürokratische Hürden für KMU zu vermeiden, müssen die Aufgaben verhältnismäßig sein.

1.8.

Der EWSA hält es für wichtig, die Wasserversorgungsquellen gemäß der Richtlinie 2000/60/EG zu überwachen und — wo die Notwendigkeit besteht — Wasserreserven anzulegen, mit denen auf Notsituationen reagiert werden kann, neue Konzepte für alternative Quellen wie Regenwasser zu prüfen, für eine rationellere Nutzung des Grundwassers zu sorgen, um die Verschwendung zu begrenzen.

1.9.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Versorgung der Privathaushalte mit Wasser unter die Kreislaufwirtschaft fallen und in der Kommissionsrichtlinie in diesen Kontext gestellt werden, wobei darin die Gewinnung, die Wiedergewinnung und die Wiederverwendung von Abwasser neu geregelt werden sollten.

1.10.

Der EWSA äußert seine Besorgnis darüber, dass die höheren Kosten für die Kontrollen und die Maßnahmen für die Modernisierung des Versorgungsnetzes und dessen Anpassung an die geltenden Normen ausschließlich den Endkunden aufgebürdet werden könnten, anstatt sie auch auf die öffentlichen Verwaltungen und die Versorgungsunternehmen zu verteilen.

1.11.

Der EWSA plädiert dafür, dass die Mitgliedstaaten für die bedürftigsten oder unter der Armutsgrenze lebenden Bürger sowie die Einwohner ländlicher benachteiligter Gebiete bei den Wassergebühren flexible Tarife einführen. Zugleich empfiehlt der Ausschuss Maßnahmen, die einem übermäßigen Wasserverbrauch entgegenwirken, um dadurch verantwortungsbewusste Verhaltensweisen zu fördern. Dies sollte auch für die industrielle und landwirtschaftliche Nutzung von Wasser gelten. Der EWSA weist darauf hin, dass eine effiziente Wartung des Wasserversorgungsnetzes erforderlich ist. Damit sollte der Unterschied zwischen den Fördermengen und dem in Rechnung gestellten Wasser verringert werden, um Verschwendung zu bekämpfen. Zur Gewährleistung der Solidarität mit Bevölkerungsgruppen mit niedrigerem Einkommen ist es ebenso von grundlegender Bedeutung, degressive Tarife für Großkunden beizubehalten, die zur Senkung der Fixkosten beitragen könnten.

1.12.

Der EWSA sieht Wasser als ein elementares öffentliches Gut an. Daher dürfen das Grundwasser, Einzugsgebiete und große natürliche Wasservorkommen nicht mehr privatisiert werden bzw. müssen auf jeden Fall der Öffentlichkeit zugänglich bleiben. Um sicherzustellen, dass Trinkwasser für alle zur Verfügung steht, können die Mitgliedstaaten private Unternehmen an der Wasserversorgung der Privathaushalte oder der Industrie beteiligen. Die privaten Unternehmen sollten indes eine unterstützende Funktion haben und dürfen im Verhältnis zu öffentlichen Einrichtungen nicht überwiegen.

1.13.

Der EWSA fordert, künftig zwischen der Anerkennung des Rechts auf Wasser und dem Recht auf Gesundheitsschutz zu unterscheiden.

2.   Hintergrund

2.1.

Trinkwasser ist ein elementares Gut, das für die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Würde aller Menschen von entscheidender Bedeutung ist. Die Lebensqualität aller Menschen sowie die Wirtschafts- und Produktionstätigkeiten werden stark von der Verfügbarkeit von Wasser und durch Störungen des Wasserkreislaufs beeinflusst.

2.2.

Bislang hängt die Versorgung der Weltbevölkerung mit Wasser zu etwa 40 % von grenzüberschreitenden Wassereinzugsgebieten ab, und bis 2030 könnten ca. 2 Mrd. Menschen in Gebieten mit Wassermangel leben.

2.3.

Die EU geht zweifellos bei der Wasserbewirtschaftung besonders vorbildlich mit Wasser um, dennoch verfügen noch heute zwei Millionen EU-Bürger über keine sichere Versorgung mit sauberem Wasser zu erschwinglichen Preisen, wobei das bereitgestellte Trinkwasser zu mehr als 99 % den Vorgaben der Richtlinie 98/83/EG entspricht.

2.4.

Die Qualität des Wassers wirkt sich auf die Lebensmittelkette aus, weshalb gemäß der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 in allen Bereichen der Lebensmittelkette für Zugang zu sauberem Wasser gesorgt werden muss.

2.5.

Viele Faktoren, wie z. B. die zunehmende Weltbevölkerung, der steigende Wasserbedarf der Haushalte, der Industrie und der Landwirtschaft, die Umweltverschmutzung und der Klimawandel führen zu neuen Herausforderungen bei der Versorgung mit, dem Zugang zu sowie der Bewirtschaftung und Wiederverwendung von Wasser. Dies macht eine Aktualisierung der geltenden Rechtsvorschriften, u. a. der Richtlinie 98/83/EG, erforderlich.

2.6.

2013 wurden für die europäische Bürgerinitiative „Right2Water“ über 1,8 Mio. Unterschriften gesammelt mit dem Ziel, die geltenden Rechtsvorschriften an die neuen Herausforderungen anzupassen. Im Grunde wurde gefordert, das universelle Recht auf Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung anzuerkennen (6).

2.7.

Diese Initiative, die auf der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (7) basiert, wurde vom Europäischen Parlament (8) und vom EWSA (9) nachdrücklich unterstützt.

2.8.

Infolge der Initiative „Right2Water“ hat die Kommission eine öffentliche Konsultation (10) durchgeführt, auf die eine förmliche Konsultation aller betroffenen Interessenträgern folgte, die u. a. zur Überarbeitung der Richtlinie 98/83/EG im Rahmen des REFIT-Programms führte. Der Zugang zu qualitativ hochwertigem Trinkwasser sowie seine effiziente Bewirtschaftung sind ein grundlegender Bestandteil der europäischen Säule sozialer Rechte, der Gesundheitsvorsorge sowie der Versorgung mit einwandfreien Lebensmitteln und können mit der Wiederverwendung von Wasser Teil des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft (11) sein.

3.   Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags

3.1.

In der Richtlinie werden folgende zentrale Elemente aufgeführt: Aktualisierung der Parameterliste, Einführung eines risikobasierten Ansatzes, Verbesserung der Vorschriften für Transparenz und Zugang zu aktuellen Verbraucherinformationen, größere Transparenz und Datenzugang, Verbesserung des freien Handels mit Materialien, die mit Trinkwasser in Berührung kommen, und Zugang zu sauberem Trinkwasser für alle.

3.2.

In dem Vorschlag ist vorgesehen, die für Wasser für den menschlichen Gebrauch geltenden Parameterwerte anzuheben, zum Teil im Einklang mit den spezifischen Empfehlungen der WHO (12), um die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Wassers zu garantieren, schärfere Kontrollen in Bezug auf Krankheitserreger und Legionella vorzunehmen und neue chemische Parameter und neue Parameterwerte für endokrin wirksame Stoffe sowie niedrigere Grenzwerte für Blei und Chrom einzuführen.

3.3.

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass bei der Versorgung, Aufbereitung und Verteilung von Wasser für den menschlichen Gebrauch ein risikobasierter Ansatz angewendet wird, der den Gefahren der für die Wasserentnahme genutzten Wasserkörper, der Wasserversorgung und der Hausinstallationen (bei Letzteren finden die Risikobewertungen alle drei Jahre, bei der Wasserversorgung alle sechs Jahre statt) Rechnung trägt.

3.3.1.

Den Mitgliedstaaten wird die Möglichkeit eingeräumt, zusätzliche Kontrollen für Stoffe oder Mikroorganismen einzuführen, für die keine Parameter festgelegt wurden.

3.3.2.

Der neue risikobasierte Ansatz wird durch das Verursacherprinzip ergänzt.

3.4.

In dem Vorschlag werden Bestimmungen eingeführt, um die bestehenden Unterschiede zu verringern und die Normen für mit Trinkwasser in Berührung kommende Materialien zu harmonisieren, die bislang den freien Handel behindern.

3.5.

Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, den Zugang aller, insbesondere schutzbedürftiger und ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen, zu Wasser zu gewährleisten, die Qualität der bereits verfügbaren Wasserversorgung zu verbessern, eine erschwingliche Wasserversorgung der Haushalte zu gewährleisten, Kampagnen für die Nutzung von Trinkwasser, zur Aufklärung der Bevölkerung über die Qualität des ihnen zur Verfügung stehenden Trinkwassers und über die für die Kontrolle, Abwasserkontrolle, -entsorgung und -behandlung ergriffenen Maßnahmen durchzuführen.

3.6.

Die entstehenden Kosten werden im Wesentlichen von den Versorgungsunternehmen getragen. Verbraucher müssten mit einer sehr geringfügigen Zunahme ihrer Haushaltskosten rechnen. Es besteht jedoch keinerlei Risiko, dass Trinkwasser unbezahlbar wird. Die Kosten der Privathaushalte könnten zwar um 0,73 % bis 0,76 %, d. h. um 7,90 bis 10,40 EUR pro Jahr, steigen, aber die bessere Qualität des Leitungswassers könnte die Verbraucher dazu bewegen, kein Flaschenwasser mehr zu konsumieren.

3.7.

Der eventuelle Verlust von Arbeitsplätzen ließe sich durch einen Anstieg der Beschäftigung im Bereich der Wasserversorgung und Einsparungen bei den Verpackungen und beim Recycling von Kunststoff ausgleichen. Arbeitsplätze müssen vor allem dort geschaffen werden, wo sich Wasserversorgungsquellen befinden.

3.8.

Es werden positive Auswirkungen auf KMU erwartet, insbesondere für die im Bereich Wasseranalyse und -aufbereitung tätigen Unternehmen. Die Verwaltungskosten für die nationalen Behörden wurden als vernachlässigbar oder geringfügig bewertet.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA hat sich mit dem Vorschlag der Kommission zur Aktualisierung der Trinkwasserrichtlinie intensiv befasst. Insbesondere begrüßt der Ausschuss, dass erstmals ein mit einer europäischen Bürgerinitiative eingeleitetes Gesetzgebungsverfahren durchgeführt wurde, wobei den allgemeinen Anliegen Rechnung getragen wurde. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass das in der EU angebotene Trinkwasser zu mehr als 99 % den Vorgaben der bisherigen Richtlinie 98/83/EG entspricht und von bester Qualität ist (13).

4.2.

Der EWSA bedauert jedoch, dass in der Richtlinie nicht — wie von der europäischen Bürgerinitiative „Right2Water“ gefordert — eindeutig die Anerkennung des universellen Rechts auf Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung vorgesehen ist, das in der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 25. September 2015„Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ und in den Nachhaltigkeitszielen (Ziel 6 „allgemeinen und gerechten Zugang zu einwandfreiem und bezahlbarem Trinkwasser für alle zu erreichen“) anerkannt wird.

4.3.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip das Rechtsinstrument einer Richtlinie gewählt hat, da diese besser den besonderen Anforderungen und Problemen auf nationaler und lokaler Ebene gerecht wird, allerdings unter der Voraussetzung, dass stets ein integrierter Ansatz verfolgt wird, der insbesondere alle anderen Rechtsvorschriften in Bezug auf die nachhaltige Entwicklung und die Kreislaufwirtschaft einbezieht, um für eine qualitativ hochwertige Trinkwasserversorgung zu sorgen.

4.4.

Der EWSA schlägt vor, dass die Mitgliedstaaten im Sinne der Subsidiarität spezifische Maßnahmen ergreifen können, um den Zugang schutzbedürftiger und ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen zu Trinkwasser zu fördern. Der Ausschuss ist jedoch ernst darüber besorgt, dass einerseits vorgesehen ist, die derzeit auf nationaler Ebene geltenden Ausnahmeregelungen abzuschaffen, und andererseits, Automatismen im Sinne von Artikel 12 der Richtlinie einzuführen. Mit diesen Maßnahmen wird den territorialen Besonderheiten nicht ausreichend Rechnung getragen, und sie könnten zu plötzlichen Unterbrechungen in der Wasserversorgung ohne eine echte Gefahr für die menschliche Gesundheit führen. Mit Blick hierauf sollte den bei der Wasserbeschaffenheit festgestellten Trends größere Bedeutung beigemessen werden als punktuell gemessenen Werten.

4.5.

Der Ausschuss begrüßt die Durchführung umfassender Kommunikationskampagnen, um die Bürger über die neuen Vorschriften zum Schutz der Gesundheit zu informieren und einen breiteren Zugang zu und bewussteren Umgang mit Wasser zu fördern. Diese Kampagnen sollten auch über nicht digitale Kanäle durchgeführt werden, um alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Die Kommission sollte wirtschaftliche Maßnahmen für Recyclingkampagnen sowie zur Bereitstellung von Fördermitteln für Verbraucher, die sich Haushaltsgeräte mit geringem Wasserverbrauch anschaffen, erwägen.

4.6.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, die bestehenden Rechtsvorschriften über mit Trinkwasser in Berührung kommende Materialien zu harmonisieren. Der Ausschuss geht insbesondere davon aus, dass diese Maßnahme zu bedeutenden Skaleneffekten im Binnenmarkt und Fortschritten im Gesundheitsbereich führen könnte.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der EWSA betrachtet die Initiative „Right2Water“ als wichtiges Fallbeispiel, dem die Kommission im Hinblick auf die Stärkung des Instruments der europäischen Bürgerinitiative Rechnung tragen muss. Insbesondere weist der Ausschuss darauf hin, dass es sich hierbei um die erste und einzige Bürgerinitiative handelt, die zu Ende geführt worden ist, was zeigt, dass dieses Instrument sowohl in der Phase der Einbringung und der Unterschriftensammlung durch den Initiativausschuss als auch der Folgemaßnahmen der Kommission (14) übermäßig komplex ist, wie bereits teilweise in dem kürzlich vorgelegten Verordnungsvorschlag COM(2017) 482 final anerkannt wird.

5.2.

Der Ausschuss hält das Modell der WHO, das sich auf die Wassermindestmenge pro Tag und Person stützt, für einen gangbaren Weg (15). Nach Auffassung des EWSA sollte die EU beim Kampf gegen die weltweite Wasserarmut unbedingt eine Führungsrolle übernehmen.

5.3.

Im Einklang mit den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) müssen Maßnahmen für die Nutzer vorgesehen werden, um den Zugang zu Trinkwasser auf der Grundlage der folgenden Indikatoren zu verbessern:

sicher: eventuelle Spuren von pathogenen Mikroorganismen und chemischen Stoffen dürfen nicht die Toleranzschwelle überschreiten oder zu Strahlungsrisiken führen;

akzeptabel: das Wasser muss in puncto Farbe, Geruch und Geschmack akzeptabel sein;

zugänglich: alle Menschen haben Recht auf eine im Haushalt, in der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Gesundheitseinrichtung direkt oder in unmittelbarer Nähe zugängliche Wasser- und Sanitärversorgung;

erschwinglich: laut Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) sollten die Kosten für die Wasserversorgung nicht 3 % des Familieneinkommens übersteigen.

5.4.

Der EWSA befürchtet, dass die Kosten für die Verbraucher steigen könnten, und fordert erneut, dass allen Bürgern das Recht auf Trinkwasser zu erschwinglichen Preisen zuerkannt werden muss. Daher werden die Mitgliedstaaten und die Kommission dazu angehalten, die Preisentwicklung mit Blick auf eine größere Transparenz zu überwachen.

5.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass eine Aktualisierung der Richtlinie vielen KMU neue Möglichkeiten eröffnen und neue Arbeitsplätze verschaffen könnte, vor allem denjenigen, die im Bereich Wasseranalyse und -kontrolle, Wartung und neue Anlagen tätig sind. Der Ausschuss gibt jedoch zu bedenken, dass die Kommission außer Acht lässt, dass es ausreichend vieler Arbeitnehmer mit angemessenen Kompetenzen und der Fähigkeit, die neuen Herausforderungen des Sektors zu bewältigen, bedarf. Der EWSA hebt die wichtige Rolle der KMU bei der Wasserversorgung hervor. Um bürokratische Hürden für KMU zu vermeiden, müssen die Aufgaben verhältnismäßig sein.

5.6.

Der EWSA warnt vor den Risiken, die die Richtlinie für die Mineralwasser herstellende Industrie in Form heftiger Auswirkungen auf die Arbeitsplätze mit sich bringen könnte. Dieses Risiko wird von der Kommission nicht ausreichend berücksichtigt, weder im Hinblick auf die Unterstützung der Unternehmen bei eventuellen industriellen Umstrukturierungen noch mit Blick auf eine eventuelle Unterstützung der Arbeitnehmer in Zeiten der Arbeitslosigkeit und bei der Umschulung zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Nach Ansicht des EWSA müssen diese Probleme unter Nutzung sämtlicher vorgesehener Instrumente — darunter auch der soziale Dialog — auf europäischer Ebene gelöst werden.

5.7.

Der EWSA hält es für wichtig, die Wasserversorgungsquellen gemäß der Richtlinie 2000/60/EG zu überwachen und — wo die Notwendigkeit besteht — Wasserreserven anzulegen, mit denen auf Notsituationen reagiert werden kann, neue Konzepte für alternative Quellen wie Regenwasser und Entsalzung zu prüfen und für eine rationellere Nutzung des Grundwassers zu sorgen, um die Verschwendung zu begrenzen.

Brüssel, den 12. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Wasser und sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht“ (ABl. C 12 vom 15.1.2015, S. 33), Ziffer 1.8.

(2)  Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 25. September 2015 — „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“. Ziel 6: „allgemeinen und gerechten Zugang zu einwandfreiem und bezahlbarem Trinkwasser für alle erreichen“.

(3)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Europäischen Innovationspartnerschaft für Wasser“ (ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 147),Ziffer 1.2.

(4)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Integration der Wasserpolitik in andere relevante Politikfelder der EU“ (ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 43), Ziffer 1.1.

(5)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Eine mögliche Umgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 93), Ziffer 1.5.

(6)  www.right2water.eu.

(7)  Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 25. September 2015 — „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“. Ziel 6: „allgemeinen und gerechten Zugang zu einwandfreiem und bezahlbarem Trinkwasser für alle erreichen“.

(8)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. September 2015 zu den Folgemaßnahmen zur Europäischen Bürgerinitiative „Right2Water“ („Recht auf Wasser“).

(9)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Wasser und sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht“ (ABl. C 12 vom 15.1.2015, S. 33).

(10)  Bei der Kommission sind über 5 900 Antworten eingegangen, woraufhin sie formelle Sitzungen veranstaltete, um über die Transparenz und die Vergleichsanalyse zu diskutieren.

(11)  COM(2017) 614 final.

(12)  Kooperationsprojekt zu Trinkwasserparametern des WHO-Regionalbüros für Europa: „Support to the revision of Annex I Council Directive 98/83/EC on the quality of water intended for human consumption (Drinking Water Directive) Recommendation“, 11. September 2017.

(13)  COM(2016) 666 final.

(14)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Europäische Bürgerinitiative“ (ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 74).

(15)  http://www.ohchr.org/Documents/Publications/FactSheet35en.pdf.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/112


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchführung und Funktionsweise der Domäne oberster Stufe ‚.eu‘ sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 733/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 der Kommission“

(COM(2018) 231 final — 2018/0110 (COD))

(2018/C 367/22)

Berichterstatter:

Philippe DE BUCK

Befassung

Europäisches Parlament, 28.5.2018

Rat, 5.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 172 erster Absatz des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

28.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

133/1/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA befürwortet die Ziele des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchführung und Funktionsweise der Domäne oberster Stufe „.eu“ sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 733/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 der Kommission. Zum einen sollen überholte Bestimmungen aufgehoben und zum anderen raschere Reaktionen auf neue Entwicklungen ermöglicht werden.

1.2.

Der EWSA unterstreicht, dass der „.eu“-Domänenname in Anbetracht der Bedeutung einer Internet-Kennung für die Bürger, Unternehmen und Organisationen der EU als Dienst von allgemeinem Interesse (DAI) einzuordnen ist. Deshalb sollte bedacht werden, dass das Register eine Einrichtung ohne Erwerbszweck sein sollte, die nur für den operativen Betrieb des Domänennamens zuständig ist, und dass Überschüsse in den EU-Haushalt fließen sollten.

1.3.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass das Register im Rahmen eines offenen Ausschreibungsverfahren benannt wird, möchte indes hervorheben, dass alles daran gesetzt werden sollte, einen störungsfreien Betrieb des „.eu“-Domänennamens aufrechtzuerhalten. Ein offenes Ausschreibungsverfahren könnte eine Personalfluktuation bewirken, die Beziehungen zu den zahlreichen Registrierstellen beeinträchtigen, das Vertrauen in den Domänennamen erschüttern und zu Reputationsverlust führen. Sämtliche Auswahlkriterien sollten daher frühzeitig klar festgelegt werden, insbesondere dann, wenn das Register auch ein gewerbliches Unternehmen sein könnte. In jedem Fall pocht der EWSA auf komplette Transparenz des gesamten Verfahrens.

1.4.

Die Europäische Kommission sollte festlegen, ob das Register eine Organisation ohne Erwerbszweck sein muss oder nicht.

1.5.

Der EWSA befürwortet die Einsetzung eines Multi-Stakeholder-Beirats, in dem er vertreten sein möchte.

1.6.

Der EWSA heißt die Ausweitung der Registrierungsvoraussetzungen für „.eu“-Domänennamen durch natürliche Personen gut. Ein Wohnort innerhalb eines EU-Mitgliedstaats ist nicht mehr unabdingbare Voraussetzung. Wenn jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats unabhängig von seinem Wohnort einen „.eu“-Domänennamen registrieren lassen kann, wird nicht nur das Profil der EU geschärft, sondern auch explizit ein Zugehörigkeitsgefühl zur EU gefördert.

1.7.

Der Brexit wird zum Zeitpunkt eines eventuellen Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU bzw. am Ende einer möglichen Übergangszeit Auswirkungen auf die Registrierungsvoraussetzungen haben. Alle Einrichtungen, die für die Governance und den operativen Betrieb des „.eu“-Domänennamens zuständig sind, sollten sich auf die neue Situation vorbereiten. Die Inhaber von „.eu“-Domänennamen sollten rechtzeitig über die Kündigung ihrer Domäne informiert werden. Es sollten realistische Fristen gesetzt werden.

1.8.

Der EWSA fordert einen reibungslosen Übergang zwischen dem derzeit etablierten und dem künftigen Betreiber. Der Vertrag des aktuellen Registers — EURid — läuft im Oktober 2019 aus. Da die neue Verordnung und die Durchführungsrechtsakte der Europäischen Kommission bis dahin noch nicht in vollem Umfang durchsetzbar sein dürften, wird ein Übergangszeitraum erforderlich sein, sprich: Der Vertrag mit EURid muss verlängert oder neu verhandelt werden. In Anbetracht einer möglicherweise erforderlichen Vertragsänderung sollten die betreffenden Verhandlungen nach Meinung des EWSA frühestmöglich aufgenommen werden, um jedwede Störung des Betriebs des „.eu“-Domänennamens zu vermeiden.

2.   Einleitung

2.1.

Die Domäne oberster Stufe (Top Level Domain, TLD) „.eu“ ist die Domäne der Europäischen Union und ihrer Bürger. Sie ist der EU zugewiesen worden und wird von der Europäischen Kommission verwaltet. Sie wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 733/2002 zur Einführung der Domäne oberster Stufe „.eu“ eingerichtet und wird darüber hinaus durch die Vorschriften und späteren Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 der Kommission zur Festlegung von allgemeinen Regeln für die Durchführung und die Funktionen der Domäne oberster Stufe „.eu“ und der allgemeinen Grundregeln für die Registrierung geregelt. Die TLD „.eu“ wurde im März 2005 von der Zentralstelle für die Vergabe von Internet-Namen und -Adressen (ICANN) genehmigt. Im Dezember 2005 startete die Vorabregistrierung (Sunrise Period) und ab April 2006 wurde die TLD „.eu“ öffentlich zugänglich gemacht.

2.2.

Durch die Einführung der TLD „.eu“ sollten die Internetidentität der Europäischen Union und ihrer Bürger gestärkt, das Profil der EU in den globalen Informationsnetzen geschärft und die Sichtbarkeit des EU-Binnenmarkts auf dem virtuellen Marktplatz verbessert werden.

2.3.

Im Einklang mit den Zielen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt ermöglicht die TLD „.eu“ den europäischen Unternehmen und Bürgern die Teilnahme am elektronischen Geschäftsverkehr und steigert ihre Beteiligung am Online-Binnenmarkt.

2.4.

Das Register für die TLD „.eu“ ist eine Organisation, die von der Europäischen Kommission in einem offenen Vergabeverfahren für einen Zeitraum von fünf Jahren benannt wird. Seit seiner Einführung wird das „.eu“-Register im Rahmen eines Vertrags mit der Europäischen Kommission von der Einrichtung ohne Erwerbszweck EURid verwaltet. Der aktuelle Vertrag mit EURid läuft im Oktober 2019 aus. Die „.eu“-Domäne ist bislang gut verwaltet worden. EURid wurde aufgrund einer Zufriedenheitsumfrage unter den Registrierstellen als bestes Register ausgezeichnet.

2.5.

Die „.eu“-Domänennamen können über ein Netz zugelassener Registrierstellen registriert werden. Derzeit können nur natürliche Personen, Unternehmen oder Organisationen, die innerhalb der Europäischen Union oder in Island, Liechtenstein oder Norwegen (Beschränkung des Wohnorts) ansässig sind, als Registranten die Registrierung einer „.eu“-Domäne beantragen.

2.6.

Bestimmte Domänennamen mit geografischem Bezug sind reserviert. Die Reservierungen können von den EU-Institutionen, den EU- und EWR-Mitgliedstaaten, Beitrittsländern sowie EURid vorgenommen werden. Die Verordnung (EG) Nr. 1654/2005 enthält die Liste reservierter Namen (bspw. „republicaportuguesa“ oder „hrvatska“), und die im Anhang dieser Verordnung aufgelisteten Namen dürfen nur als Domänen zweiter Stufe direkt unter der Domäne oberster Stufe „.eu“ reserviert oder registriert werden.

2.7.

Die „.eu“-Domäne gehört zu den weltweit größten Domänen oberster Stufe. Laut Europäischer Kommission sind mittlerweile mehr als 3,8 Mio. Domänennamen registriert worden. In Europa liegt die „.eu“-TLD an vierter Stelle nach „.de“,„.uk“ und „.nl“. Weltweit gibt es mehr als 700 zugelassene Registrierstellen. Die Zahl der Registrierungen innerhalb der „.eu“-Domäne seit ihrer Einführung ist beeindruckend hoch, doch in den vergangenen beiden Jahren ist ein rückläufiges Wachstum zu verzeichnen. Die Verlängerungsrate der „.eu“-Domänennamen liegt mit durchschnittlich 80 % über dem Branchendurchschnitt von 70-75 %. Mobile Anwendungen, Suchmaschinen und soziale Netzwerke führen ebenfalls dazu, dass traditionelle Domänennamen an Kontur verlieren und unter Druck geraten.

2.8.

Seit dem Erlass der Verordnungen über die „.eu“-Domäne haben sich das Online-Umfeld wie auch der politische und rechtliche Kontext in der Union beträchtlich verändert. Mit der rasanten Verbreitung neuer generischer Top-Level-Domains (wie bspw.„.top“,„.trade“,„.club“ oder „.xyz“) hat auch der Wettbewerb um Domänennamen stark zugenommen. Dadurch hat sich das Kräftegleichgewicht zwischen Registern und Registrierstellen verschoben, denn die Registrierstellen können nun durch die Bereitstellung von Domänennamen für ihre Kunden stärker beeinflussen, wie die Register wahrgenommen werden. Gleichzeitig hat sich bei der Internet-Governance und in dem dynamischen TLD-Ökosystem ein umfassender technischer Wandel vollzogen. Der Betreiber des Registers für die TLD „.eu“ muss zunehmend komplexe Qualitätsanforderungen erfüllen.

2.8.1.

Mit dem Aufkommen von Social-Media-Plattformen hat sich auch die Nachfrage nach eindeutigen Online-Kennungen geändert. Eindeutige Kennungen bestehen aus einer Zeichenfolge (Domänen, Benutzernamen), die einen Internetauftritt ermöglichen. Privatpersonen und KMU verfügen über preisgünstige praktische Alternativen für einen eigenen Internetauftritt, was sich wiederum erheblich auf den Domänennamenmarkt auswirkt.

2.9.

Der Europäischen Kommission zufolge müssen vor allem folgende grundlegende Probleme des bestehenden Rechtsrahmens behoben werden:

2.9.1.

Die TLD „.eu“ wird durch einen überholten und starren Rechtsrahmen geregelt, der sich nicht ohne weiteres aktualisieren lässt. Die Verordnungen enthalten sehr detaillierte Bestimmungen, die mittlerweile womöglich nicht mehr relevant sind und die laufende Verwaltung der „.eu“-Domäne beeinträchtigen. Es mangelt an der notwendigen Flexibilität, um auf das sich rasch verändernde Umfeld des Domänennamensystems (DNS) reagieren zu können.

2.9.2.

Die aktuelle Struktur bietet keine optimale Governance-Struktur für die Aufsicht des Registerbetreibers und seine Rechenschaftspflicht, trägt dem Multi-Stakeholder-Ansatz der Internet-Governance keine Rechnung und räumt der Europäischen Kommission keine ausreichenden Aufsichtsbefugnisse gegenüber dem Registerbetreiber ein.

2.9.3.

Den aktuellen Vorschriften zufolge kann das Register für die Verwaltung der TLD „.eu“„.eu“-Domänennamen nicht selbst unmittelbar an Kunden verkaufen, was eine wirksame Vermarktung seiner Dienste erschweren kann.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1.

Kernpunkte des neuen Vorschlags:

3.1.1.

Ein Rechtsrahmen, der Folgendes umfasst:

grundsatzbezogene, flexible und zukunftsfähige Rechtsvorschriften;

auf maßgebliche Aspekte der Verwaltung der TLD „.eu“ beschränkte Komitologieverfahren, bspw. die Auswahlkriterien für den Registerbetreiber oder reservierte Domänennamen;

einen Vertrag zwischen der Europäischen Kommission und dem Betreiber des Registers, in dem die einschlägigen Grundsätze und Verfahren detailliert dargelegt sind. Die Maßnahmen und Verfahren in Bezug auf die Verwaltung der Domänennamen werden in einem Anhang aufgeführt. Demzufolge machen künftige technische Änderungen Vertragsanpassungen erforderlich.

3.1.2.

Verbesserte Governance und Verwaltung der TLD „.eu“ durch:

die Einsetzung eines Beratungsgremiums, des Multi-Stakeholder-Beirats, der die Europäische Kommission bei der richtigen Umsetzung der Verordnung und der Verwaltung der „.eu“-Domäne unterstützen und beraten soll;

neue Aufsichtsbefugnisse der Europäischen Kommission gegenüber dem Register, um die Organisation, Verwaltung und den Betrieb der TLD „.eu“ sowie die Einhaltung der Verordnung seitens des Registers besser überwachen zu können. Das Register wird alle zwei Jahre von einer unabhängigen Stelle überprüft.

3.1.3.

Erweiterung der geltenden Registrierungsvoraussetzungen für „.eu“-Domänennamen:

EU-Bürger, die in einem Drittland wohnen, können „.eu“-Domänennamen registrieren lassen, ebenso wie natürliche Personen und Unternehmen aus Drittländern, die in der EU ansässig bzw. niedergelassen sind.

3.1.4.

Aufhebung der strikten Verbote in Bezug auf die vertikale Trennung:

Unbeschadet der Anwendung der Wettbewerbsregeln könnte die Europäische Kommission das Dienstleistungsspektrum des Registers erweitern (Verkauf von Domänennamen an Endnutzer; direkte Registrierung von Domänennamen auf der Register-Website).

3.2.

Die Kommission wird die Anwendung der Verordnung überwachen und spätestens fünf Jahre nach ihrem Wirksamwerden einen Bewertungsbericht vorlegen. Zudem werden die Fortschritte der TLD „.eu“ regelmäßig überwacht werden, und zwar im Rahmen eines Berichts über die Durchführung, Wirksamkeit und Funktionsweise der Domäne, der drei Jahre nach der Vorlage des vorgenannten Berichts und danach alle drei Jahre vorgelegt werden wird.

3.3.

Der Vorschlag steht im Einklang mit den Zielen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt, die u. a. darauf abheben, das Unternehmertum und Unternehmensgründungen in Europa zu fördern und die Sicherheit und das Vertrauen in das Online-Umfeld zu stärken. Die Verordnung sollte unter Wahrung der Grundrechte in den Bereichen Datenschutz, Privatsphäre, Sicherheit und Mehrsprachigkeit durchgeführt werden. Der Schutz personenbezogener Daten durch Technikgestaltung und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen sollte ein festes Merkmal aller entwickelten und/oder gepflegten Datenverarbeitungssysteme und Datenbanken sein.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA befürwortet die Ziele des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchführung und Funktionsweise der Domäne oberster Stufe „.eu“ sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 733/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 der Kommission. Zum einen sollen überholte Bestimmungen aufgehoben und zum anderen raschere Reaktionen auf neue Entwicklungen ermöglicht werden.

4.2.

Der EWSA unterstreicht, dass der „.eu“-Domänenname in Anbetracht der Bedeutung einer Internet-Kennung für die Bürger, Unternehmen und Organisationen der EU als Dienst von allgemeinem Interesse (DAI) einzuordnen ist. Deshalb sollte bedacht werden, dass das Register eine Einrichtung ohne Erwerbszweck sein sollte, die nur für den operativen Betrieb des Domänennamens zuständig ist, und dass Überschüsse in den EU-Haushalt fließen sollten.

4.3.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass das Register im Rahmen eines offenen Ausschreibungsverfahren benannt wird, möchte indes hervorheben, dass alles daran gesetzt werden sollte, einen störungsfreien Betrieb des „.eu“-Domänennamens aufrechtzuerhalten. Ein offenes Ausschreibungsverfahren könnte eine Personalfluktuation bewirken, die Beziehungen zu den zahlreichen Registrierstellen beeinträchtigen, das Vertrauen in den Domänennamen erschüttern und zu Reputationsverlust führen. Sämtliche Auswahlkriterien sollten daher frühzeitig klar festgelegt werden, insbesondere dann, wenn das Register auch ein gewerbliches Unternehmen sein könnte.

4.4.

Das Umfeld und der Markt für Domänennamen verändern sich infolge des Auftretens neuer Internet-Interessenträger, der Zunahme generischer Domänennamen und der raschen Weiterentwicklung der Internetkommunikation von Unternehmen und privaten Nutzern.

4.5.

Der EWSA heißt gut, dass die neue Verordnung auf Grundsätzen beruhen wird, d. h., dass in den vorgeschlagenen Vorschriften nur die wesentlichen und allgemeinen Grundsätze festgelegt werden. Verschiedene spezifische Aspekte hingegen, wie reservierte Domänennamen und die Kriterien für die Benennung des Registers, werden im Einzelnen durch die Europäische Kommission im Wege von Durchführungsrechtsakten und Komitologieverfahren geregelt. Weitere und detailliertere Vorgaben für das benannte Register werden verhandelt und vertraglich festgelegt.

4.6.

Der EWSA unterstützt zwar einen flexibleren Ansatz in den Verhandlungen über die Verordnung und den Vertrag, fordert jedoch von Anfang an und durchgängig eine vollständige Transparenz des Ausschreibungsverfahrens und der Vertragsverhandlungen. Bewerber sollten sowohl zum Zeitpunkt der Bewerbung als auch bei der Vorbereitung von Vertragsverhandlungen eine klare Vorstellung von den Verpflichtungen, Bedingungen und Rechten haben.

4.6.1.

Anders als in der geltenden Verordnung lässt die neue Verordnung eine vertikale Integration zu, d. h. das benannte Register darf auch als Registrierstelle tätig sein und den Domänennamen „.eu“ vermarkten. Der EWSA könnte diese Neuerung gutheißen, zumal in Ländern oder Regionen, in denen Registranten nur unter wenigen Registrierstellen wählen können. So könnte die Marktdurchdringung des „.eu“-Domänennamens, insbesondere seiner Varianten in anderen Schriftzeichen, verbessert werden.

4.6.2.

Das benannte Register braucht dem Vorschlag zufolge auch nicht mehr notwendigerweise eine Einrichtung ohne Erwerbszweck sein. Eine Entscheidung zugunsten dieses Ansatzes würde eine tiefgreifende und folgenschwere Änderung bedeuten, denn gewerbliche Akteure müssen anders vorgehen und mit dem „.eu“-Domänennamen einen Gewinn erwirtschaften. Die von dem Register erwirtschafteten Überschüsse würden nicht mehr in den EU-Haushalt fließen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, dies baldmöglichst zu klären, damit das Legislativverfahren in Kenntnis des gesamten Sachverhalts fortgeführt werden kann.

4.6.3.

Wie in der Folgenabschätzung hervorgehoben, sollte bedacht werden, dass das bisherige System für die EU von Vorteil war und die Europäische Kommission in die Lage versetzt hat, verschiedene Projekte und Initiativen wie die EuroDIG- und ICANN-Sitzungen in Brüssel zu unterstützen.

4.7.

Eine wichtige Neuerung ist die Einsetzung eines Multi-Stakeholder-Beirats, der laut Erwägungsgrund 20 auf kohärenten, weltweit geltenden und inklusiven Internet-Governance-Grundsätzen beruhen wird. Artikel 14 Absatz 2 zufolge wird sich dieser Beirat aus Vertretern folgender sechs Gruppen zusammensetzen: Mitgliedstaatsregierungen, Privatsektor, Zivilgesellschaft, Hochschulen, internationale Organisationen und Fachkreise.

4.7.1.

Der EWSA pflichtet diesem Ansatz bei, denn diese Interessenträger können die EU-Institutionen hinsichtlich der für die Nutzung und Entwicklung des Internets maßgebenden gemeinsamen Grundsätze, Normen, Vorschriften, Entscheidungsfindungsverfahren und Programme beraten. Er betont jedoch, dass besser klargestellt werden muss, dass es nicht Aufgabe des Multi-Stakeholder-Beirats sein wird, in den operativen „.eu“-Betrieb einzugreifen. Der EWSA fordert daher die Europäische Kommission auf, die Rolle und den Aufgabenbereich dieses Beirats zu klären. Es müssen genügend Mittel bereitgestellt werden, damit der Beirat seine Aufgaben angemessen wahrnehmen kann.

4.7.2.

Der EWSA, der die organisierte Zivilgesellschaft repräsentiert und sachkundige Stellungnahmen zu einschlägigen Themen wie der Digitalisierung der Wirtschaft und der Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs verfasst hat, verfügt über das geeignete Kompetenzprofil für die Mitarbeit in diesem Beirat.

4.8.

Der EWSA begrüßt außerdem, dass die Überwachung der gesamten Tätigkeit des Registers im Hinblick auf ihre Rechtskonformität durch die Auflage verstärkt wird, alle zwei Jahre eine externe Prüfung durchzuführen. Der Multi-Stakeholder-Beirat wird Ratschläge zu Gestaltung und Umfang der Prüfung erteilen.

4.9.

Der EWSA heißt die Ausweitung der Registrierungsvoraussetzungen für „.eu“-Domänennamen durch natürliche Personen gut. Ein Wohnort innerhalb eines EU-Mitgliedstaats ist nicht mehr unabdingbare Voraussetzung. Wenn jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats unabhängig von seinem Wohnort einen „.eu“-Domänennamen registrieren lassen kann, wird nicht nur das Profil der EU geschärft, sondern auch explizit ein Zugehörigkeitsgefühl zur EU gefördert.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der Vertrag des aktuellen Registers — EURid — läuft im Oktober 2019 aus. Da die neue Verordnung und die Durchführungsrechtsakte der Europäischen Kommission bis dahin noch nicht in vollem Umfang durchsetzbar sein dürften, wird ein Übergangszeitraum erforderlich sein, sprich: Der Vertrag mit EURid muss verlängert oder neu verhandelt werden. In Anbetracht einer möglicherweise erforderlichen Vertragsänderung sollten die betreffenden Verhandlungen nach Meinung des EWSA frühestmöglich aufgenommen werden, um jedwede Störung des Betriebs des „.eu“-Domänennamens zu vermeiden.

5.2.

Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass alternative Streitbeilegungsverfahren durch die Möglichkeit der Online-Streitbeilegung ergänzt werden.

5.3.

Gemäß Erwägungsgrund 16 und Artikel 11 Buchstabe f können die zuständigen Behörden zu Zwecken der Verhütung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten auf die Daten des Registers zugreifen. Die derzeitige Formulierung könnte dahingehend ausgelegt werden, dass Strafverfolgungsbehörden ungehinderten und wahllosen Zugang zu Registrierungsdaten haben. Jede rechtliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden sollte auch einschlägige Kontrollmechanismen und Beschränkungen beinhalten.

5.4.

Artikel 12 Absatz 1 lautet: „Das Register richtet eine WHOIS-Datenbank ein und verwaltet diese, um korrekte und aktuelle Registrierungsinformationen über die Domänennamen der TLD ‚.eu‘ bereitzustellen.“ Die Sicherstellung der Genauigkeit der Daten in der WHOIS-Datenbank ist ein schwieriges Unterfangen, denn die Daten im Domänennamensystem (DNS) werden von unterschiedlichen Teilnehmern eingegeben, die sich einer wirksamen Kontrolle des Registers entziehen. Meistens sind die Registrierstellen für den Kontakt zum Endnutzer (Registranten) zuständig. Einige Register überprüfen zwar noch nachträglich die Datengenauigkeit, doch kann kein Domänennamenregister garantieren, dass die Daten in der WHOIS-Datenbank vollkommen genau und auf dem neuesten Stand sind. Es besteht die Gefahr, dass durch diese Bestimmung ein unrealistischer und unerreichbarer Grad an Genauigkeit vorgegeben wird.

5.5.

Die Definition für „Register“ (Artikel 2 Buchstabe a) enthält die Formulierung „ […] und der Verbreitung der TLD-Zonendateien, betraut wird; “. Dies ist missverständlich und könnte als Verpflichtung des Registers ausgelegt werden, seine Zonendateien zu veröffentlichen. Die meisten länderspezifischen Domänen oberster Stufe (ccTLD) veröffentlichen ihre Zonendateien aus Gründen des Datenschutzes und der Cybersicherheit nicht. Aus der Definition sollte klar hervorgehen, dass die Veröffentlichung der Zonendateien nicht erforderlich ist.

5.6.

Der Brexit wird zum Zeitpunkt eines eventuellen Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU bzw. am Ende einer möglichen Übergangszeit Auswirkungen auf die Registrierungsvoraussetzungen haben. Alle Einrichtungen, die für die Governance und den operativen Betrieb des „.eu“-Domänennamens zuständig sind, sollten sich auf die neue Situation vorbereiten. Die Inhaber von „.eu“-Domänennamen sollten rechtzeitig über die Kündigung ihrer Domäne informiert werden. Es sollten realistische Fristen gesetzt werden.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/117


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien 2006/112/EG und 2008/118/EG hinsichtlich der Aufnahme der italienischen Gemeinde Campione d’Italia und des zum italienischen Gebiet gehörenden Teils des Luganer Sees in das Zollgebiet der Union und in den räumlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/118/EG“

(COM(2018) 261 final — 2018/0124 (CNS))

(2018/C 367/23)

Befassung

Rat der Europäischen Union, 29.5.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 113 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

174/0/2

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er einstimmig, auf eine allgemeine Aussprache zu verzichten und sofort zur Abstimmung überzugehen (Artikel 50 Absatz 4 und Artikel 56 Absatz 3 der Geschäftsordnung).

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/118


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im Hinblick auf den Anwendungszeitraum der fakultativen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft bei Lieferungen bestimmter betrugsanfälliger Gegenstände und Dienstleistungen und des Schnellreaktionsmechanismus gegen Mehrwertsteuerbetrug“

(COM(2018) 298 final — 2018/0150 (CNS))

(2018/C 367/24)

Befassung

Rat der Europäischen Union, 11.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 113 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

175/1/3

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme „MwSt.-Ausnahmeregelungen — Umkehrung der Steuerschuldnerschaft“ (1) vom 31. Mai 2017 zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 536. Plenartagung am 11./12. Juli 2018 (Sitzung vom 11. Juli) mit 175 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der vorgenannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 52.


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/119


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 110/2008 hinsichtlich der Nennfüllmengen für das Inverkehrbringen von in einer Destillationsblase hergestelltem und in Japan abgefülltem einmal destilliertem Shochu in der Union“

(COM(2018) 199 final — 2018/0097 COD)

(2018/C 367/25)

Befassung

Europäisches Parlament, 2.5.2018

Rat der Europäischen Union, 30.4.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

170/0/5

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 536. Plenartagung am 11./12. Juli 2018 (Sitzung vom 11. Juli) mit 170 Stimmen ohne Gegenstimmen bei 5 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/120


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidung 2003/17/EG des Rates hinsichtlich der Gleichstellung von Feldbesichtigungen von Futterpflanzen- und Getreidesaatgutvermehrungsbeständen in Brasilien und der Gleichstellung von in Brasilien erzeugtem Futterpflanzen- und Getreidesaatgut sowie hinsichtlich der Gleichstellung von Feldbesichtigungen von Getreide-, Gemüse-, Öl- und Faserpflanzensaatgutvermehrungsbeständen in der Republik Moldau und von in der Republik Moldau erzeugtem Getreide-, Gemüse-, Ölpflanzen- und Faserpflanzensaatgut“

(COM(2017) 643 final — 2017/0297 (COD))

(2018/C 367/26)

Befassung

Rat der Europäischen Union, 18.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 43 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

166/0/4

Am 18. Juni 2018 hat der Rat beschlossen, dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss den vom Ausschuss der Ständigen Vertreter in seiner Sitzung vom 27. April 2018 angenommenen Kompromisstext 9299/18 zur Stellungnahme zu übermitteln, nachdem die Rechtsgrundlage zu Artikel 43 Absatz 2 AEUV geändert wurde.

Da der Ausschuss sich bereits in seiner Stellungnahme EESC 2018/00043 (NAT/726) vom 14. Februar 2018 (*1) zum ursprünglichen Vorschlag geäußert hat, beschloss er auf seiner 536. Plenartagung am 11./12. Juli 2018 (Sitzung vom 11. Juli) mit 166 Stimmen ohne Gegenstimme bei 4 Enthaltungen, von der Erarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(*1)  ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 76.