ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 262

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

61. Jahrgang
25. Juli 2018


Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

534. Plenartagung des EWSA — Neubesetzung, 18.-19.4.2018

2018/C 262/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Finanzierung der europäischen Säule sozialer Rechte (Initiativstellungnahme)

1

2018/C 262/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Strategie LeaderSHIP 2020 als Vision für die meerestechnische Industrie: Gestaltung einer innovativen, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen meerestechnischen Industrie bis 2020 (Initiativstellungnahme)

8

2018/C 262/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt und europäische Integration auf dem Westbalkan — Herausforderungen und Prioritäten (Sondierungsstellungnahme)

15

2018/C 262/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Vollendung der Agenda für bessere Rechtsetzung: bessere Lösungen für bessere Ergebnisse(COM(2017) 651 final) (Initiativstellungnahme)

22


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

534. Plenartagung des EWSA — Neubesetzung, 18.-19.4.2018

2018/C 262/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat und die Europäische Zentralbank: Weitere Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion Europas — ein Fahrplan(COM(2017) 821 final), zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat und die Europäische Zentralbank: Neue Haushaltsinstrumente für ein stabiles Euro-Währungsgebiet innerhalb des Unionsrahmens(COM(2017) 822 final), zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat und die Europäische Zentralbank: Ein europäischer Minister für Wirtschaft und Finanzen(COM(2017) 823 final), zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Bestimmungen zur Stärkung der haushaltspolitischen Verantwortung und der mittelfristigen Ausrichtung der Haushalte in den Mitgliedstaaten(COM(2017) 824 final — 2017/0335 (CNS)), zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Einrichtung des Europäischen Währungsfonds(COM(2017) 827 final — 2017/0333 (APP))

28

2018/C 262/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Aufsichtsanforderungen an Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 575/2013, (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 1093/2010(COM(2017) 790 final — 2017/0359 (COD)) und zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 2013/36/EU und 2014/65/EU(COM(2017) 791 final — 2017/0358 (COD))

35

2018/C 262/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zu einem Europäischen Rahmen für hochwertige und nachhaltige Berufsausbildungen(COM(2017) 563 final — 2017/0244 (NLE))

41

2018/C 262/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt(COM(2017) 647 final — 2017/0288 (COD))

47

2018/C 262/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/106/EWG über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten(COM(2017) 648 final/2 — 2017/0290 (COD))

52

2018/C 262/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge(COM(2017) 653 final — 2017/0291 (COD))

58

2018/C 262/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt(COM(2017) 660 final — 2017/0294 (COD))

64

2018/C 262/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Hin zu einer möglichst breiten Verwendung alternativer Kraftstoffe — ein Aktionsplan zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe nach Artikel 10 Absatz 6 der Richtlinie 2014/94/EU, einschließlich einer Bewertung der nationalen Strategierahmen nach Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie 2014/94/EU (COM(2017) 652 final)

69

2018/C 262/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Verwirklichung emissionsarmer Mobilität — Eine Europäische Union, die den Planeten schützt, ihre Bürger stärkt und ihre Industrie und Arbeitnehmer verteidigt(COM(2017) 675 final)

75

2018/C 262/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Mitteilung über die Stärkung der europäischen Energienetze(COM(2017) 718 final)

80

2018/C 262/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank: Dritter Bericht zur Lage der Energieunion(COM(2017) 688 final)

86

2018/C 262/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Europäischen Union(COM(2017) 487 final — 2017/0224 (COD))

94

2018/C 262/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles(COM(2017) 678 final)

101


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

534. Plenartagung des EWSA — Neubesetzung, 18.-19.4.2018

25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Finanzierung der europäischen Säule sozialer Rechte

(Initiativstellungnahme)

(2018/C 262/01)

Berichterstatterin:

Anne DEMELENNE

Beschluss des Plenums

15.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

26.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

155/3/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Grundsätze der Europäischen Säule sozialer Rechte („soziale Säule“) und die Notwendigkeit ihrer Umsetzung zusammen mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sollten bei den Verhandlungen des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens der EU für die Zeit nach 2020 eine der Leitlinien bilden.

1.2

Um die soziale Säule zu verwirklichen, bedarf es Verbesserungen in den Mitgliedstaaten. Im sozialpolitischen Scoreboard, das zur Flankierung der Säule erstellt wurde, werden Defizite und erhebliche Unterschiede innerhalb der EU hervorgehoben. Um diese Defizite auszugleichen, ist ein Engagement auf allen Ebenen nötig, auch das der Mitgliedstaaten, Sozialpartner und Akteure der Zivilgesellschaft. Außerdem bedarf es einer soliden Haushaltsgrundlage sowie massiver Investitionen und laufender Ausgaben. Es ist sorgfältig zu überlegen, wie dies finanziert werden soll.

1.3

Der Ausgabenbedarf ist in Ländern mit niedrigerem Einkommen und in Ländern, die in den letzten Jahren Einkommensrückgänge erfahren haben, besonders groß. Alle diese Länder sind in gewissem Maß durch EU-Vorschriften zu Haushalt und Schuldenstand eingeschränkt. Spielräume für höhere Ausgaben lassen sich innerhalb der Mitgliedstaaten mithilfe verschiedener Programme auf EU-Ebene schaffen.

1.4

In einigen Bereichen — wie beispielsweise bei der Ausweitung des digitalen Zugangs — können private Investitionen hierzu einen Beitrag leisten, sofern geeignete regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden. Private Investitionen sind jedoch nicht ausreichend und können die Ausgrenzung der sozial Schwächsten nicht verhindern, die als erhebliches Problem im Rahmen der sozialen Säule betrachtet wird.

Höhere öffentliche Investitionen innerhalb der Mitgliedstaaten können unter Anwendung einer goldenen Regel für öffentliche Investitionen mit einer sozialen Zielsetzung erleichtert werden, die mehr Flexibilität bei den Haushaltsregeln (1) ermöglichen würde, damit die Ziele der europäischen Säule sozialer Rechte verwirklicht werden können.

1.5

Auch durch den Einsatz bestehender EU-Instrumente, insbesondere der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds), lassen sich öffentliche Investitionen unterstützen, die klarer auf Ziele innerhalb der sozialen Säule ausgerichtet werden können. Zudem lassen sich öffentliche Investitionen über die Europäische Investitionsbank mithilfe des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) fördern. Der EFSI ermöglichte es der Europäischen Investitionsbank, ihren Kreditrahmen in den letzten Jahren beizubehalten. Ihrer Aufgabe entsprechend sollte diese Förderung ausdrücklich Ziele im Zusammenhang mit der sozialen Säule einschließen.

1.6

Durch eine angemessene Steuerpolitik, die Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und eine aggressive Steuergestaltung wirksam bekämpft, sollte es den Mitgliedstaaten und der EU möglich sein, zusätzliche Mittel zur Finanzierung der sozialen Säule aufzubringen. Ein effizienter Einsatz der zusätzlichen Mittel erfordert die Umsetzung der Aktionsprogramme und Fahrpläne zur Umsetzung der sozialen Säule als wichtiger Bestandteil des Europäischen Semesters und insbesondere bei der Entwicklung nationaler Reformprogramme und Konvergenzprogramme. In dieser Hinsicht sollte die EU auch neue Wege beschreiten, um ihre Eigenmittel aufzustocken.

1.7

Die Umsetzung der sozialen Säule erfordert die aktive Teilhabe, Verantwortung und Beteiligung einschlägiger Interessenträger auf allen Ebenen: der europäischen Institutionen, der Mitgliedstaaten und der regionalen und lokalen Behörden sowie der Sozialpartner und weiterer Akteure der Zivilgesellschaft.

2.   Hintergrund

2.1

Die europäische Säule sozialer Rechte, die am 17. November 2017 vom Rat der Europäischen Union, dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission proklamiert und unterzeichnet wurde, ist als Maßnahme zur Stärkung der sozialen Rechte und als Beitrag zur kurz- und mittelfristigen Verbesserung der Lebensqualität der Menschen gedacht. Die Umsetzung der sozialen Säule stellt eine gemeinsame Verpflichtung und Verantwortung der EU, der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner dar.

2.2

Die Säule ist Ausdruck der von den Staats- und Regierungschefs von 27 Mitgliedstaaten anerkannten Notwendigkeit, wirtschaftliche und soziale Unsicherheit mit Vorrang anzugehen (2). Für die Dringlichkeit der sozialen Säule werden u. a. folgende Gründe angeführt: schlechte Wirtschafts- und Sozialbilanz in vielen Ländern seit 2008; neue Chancen und Herausforderungen infolge der Globalisierung, Klimawandel, Migration in großem Umfang, Digitalisierung und Bevölkerungsüberalterung; zunehmende Vielfalt im wirtschaftlichen und sozialen Bereich innerhalb der EU infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise; sowie politische Entwicklungen in vielen Ländern, die Einheit und Zusammenhalt Europas bedrohen. Der gewählte Präsident der Europäischen Kommission erklärte im Oktober 2014 vor dem Europäischen Parlament, dass das Anheben der EU auf ein „soziales ‚Triple-A‘“ genauso wichtig sei wie ein „wirtschaftliches und finanzielles ‚Triple-A‘“ (3). Um ein solches Ziel zu erreichen, muss die Verantwortung auf allen Ebenen der EU akzeptiert werden. Mit dem Erreichen eines solchen Ziels dürfte eine Verbesserung des Zusammenhalts, der politischen und sozialen Stabilität und der Wirtschaftsleistung zu erwarten sein, ohne dabei die Bedeutung automatischer Stabilisatoren im Falle wirtschaftlicher Schocks außer Acht zu lassen.

2.3

Wie auch vom EWSA eingeräumt (4), handelt es sich bei der sozialen Säule um eine politische Absichtserklärung, da es nach wie vor keinen klaren Fahrplan für ihre Umsetzung gibt. Insofern bleibt die Säule unvollständig und ermangelt der Anerkennung neuer Rechte und Pflichten. Im Hinblick auf eine starke Wirtschaft und Steuergerechtigkeit müssen mit Unterstützung der Europäischen Union ausreichende Finanzmittel auf der Ebene der Mitgliedstaaten bereitgestellt werden. Dies ist ein wichtiger Aspekt für die Umsetzung der sozialen Säule.

2.4

Im Mai 2018 muss die Europäische Kommission ihre Vorschläge für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) vorlegen. Hierbei ist es von ausschlaggebender Bedeutung, dass die soziale Säule sowie die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung bei der Vorbereitung des nächsten langfristigen EU-Haushalts, der ab 2020 zur Anwendung kommt, eine der Leitlinien bilden.

2.5

Die ordnungsgemäße Umsetzung der sozialen Säule hängt von angemessenen politischen Reformen in den Mitgliedstaaten ab, wie zum Beispiel der Einführung geeigneter Mechanismen zur Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, zur Verbesserung von Qualifikationen und zur Sicherstellung des effizienten Einsatzes öffentlicher Mittel. Im Einklang mit seinen vorherigen Stellungnahmen befürwortet der EWSA auf soziale und wirtschaftliche Entwicklung ausgerichtete Strukturreformen: mehr und bessere Arbeitsplätze, nachhaltiges Wachstum, Qualität der Verwaltung und der Institutionen sowie Umweltverträglichkeit (5). Solche Reformen sollten länderspezifisch und im Einklang mit nationalen Reformprogrammen (NRP) durchgeführt werden, um den Wohlstand zu fördern, und Rückhalt durch demokratische Unterstützung erfahren. Eine Einheitslösung für alle Mitgliedstaaten sollte vermieden werden (6).

2.6

Zur sachgerechten Umsetzung der sozialen Säule müssen auch die finanziellen Mittel aufgestockt werden (7). Derzeit machen die EU-Ausgaben für soziale Belange im Durchschnitt nur 0,3 % der gesamten öffentlichen Sozialausgaben in der EU aus, wobei ein Großteil aus den Haushalten der Mitgliedstaaten bereitgestellt wird (8). Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU wird erhebliche Auswirkungen auf den EU-Haushalt haben. Der EWSA betont, dass für die Umsetzung der Sozialpolitik ausreichende Ressourcen bereitgestellt werden müssen. Er unterstützt den Antrag des Europäischen Parlaments, dass die derzeitige Obergrenze für EU-Ausgaben von 1 % auf 1,3 % des BNE angehoben werden sollte (9), und ist der Ansicht, dass eine Aufstockung der Eigenmittel der EU, beispielsweise durch eine Mehrwertsteuererhöhung, aus sozialer Sicht äußerst ungerecht wäre. Der EWSA unterstreicht weiterhin die Notwendigkeit, mehr Ressourcen zur Unterstützung der Kohäsionspolitik sowie zur Unterstützung von Arbeitnehmern und Bürgern im Allgemeinen bereitzustellen. Besonderer Wert wird darauf gelegt, dass die Arbeitnehmer neue Fähigkeiten erwerben, um die Wirtschaft zu stärken. Gleichzeitig stimmt der EWSA zu, dass die zusätzliche Finanzierung nicht auf Sicherheit, Verteidigung und Kontrolle der Außengrenzen beschränkt werden darf. Der Europäische Sozialfonds ist ein wichtiger Faktor für mehr Konvergenz, und der EWSA bekräftigt seine Forderung, dass er nicht gekürzt werden sollte, wenn die Herausforderungen der Zukunft im Hinblick auf den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU angegangen werden sollen (10).

2.7

Das sozialpolitische Scoreboard, das die Erläuterungen der Europäischen Kommission zur sozialen Säule flankiert (11), ist als Instrument zur Fortschrittsüberwachung im Hinblick auf das Ziel eines faireren Europa mit einer stärkeren sozialen Dimension gedacht. Es wurde wegen der Auswahl einiger Indikatoren, wegen der zu Vergleichszwecken verwendeten Zeiträume und in manchen Fällen wegen der zugehörigen Interpretationen kritisiert (12). Der EWSA hat bereits früher gefordert, das Scoreboard zu verbessern (13).

2.8

In einigen Fällen wurden eindeutig ungeeignete Indikatoren verwendet. Das gilt für die Fortschritte im Hinblick auf die Unterschiede bei Entlohnung und Beschäftigung von Männern und Frauen. Beide Geschlechter hatten unter dem Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden zu leiden. Bei Männern war der Rückgang jedoch stärker als bei Frauen, sodass die Verringerung der Abweichung (der im Scoreboard verwendete Indikator) keine klare Verbesserung widerspiegelt. Darüber hinaus variieren die Zeiträume zur Messung des Fortschritts. Manchmal umfassen sie nur ein Jahr, manchmal jedoch auch einen längeren Zeitraum, der bis vor die Krise im Jahre 2008 zurückreicht. Mithilfe von längeren Zeiträumen lassen sich längerfristige Trends besser aufzeigen. Die Indikatoren müssen auch flexibel interpretiert und mit der Zeit angepasst werden, wobei hierzu die sich entwickelnden Fachkenntnisse und Daten aus Quellen wie Eurofound zu verwenden sind. Die Überprüfung und Aktualisierung von Indikatoren sollten das Ergebnis einer offenen Debatte sein und Sozialpartner und weitere Interessenträger der Zivilgesellschaft einschließen.

2.9

Trotz einiger Vorbehalte gibt das Scoreboard Aufschluss über den Umfang der zu bewältigenden Aufgabe, wenn die angegebenen Ziele erreicht werden sollen. Es zeigt Unzulänglichkeiten innerhalb aller Mitgliedstaaten und erhebliche Niveauunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten auf, die zu zunehmender sozialer Ungleichheit führen können. In einigen Mitgliedstaaten ist das Niveau bei Einkommen, Lebensstandard, sozialer Sicherheit, sozialer Absicherung, Bildung und Zugang zu digitalen Technologien eindeutig nicht akzeptabel.

2.10

Die Zahlen zu Beschäftigungs- und Arbeitslosenquoten verdeutlichen, wie groß die Unterschiede sind. Die Beschäftigungsquote liegt in Griechenland bei 56 %, während sie in Schweden 81 % erreicht. Die Arbeitslosenquote beträgt in Griechenland 23 % gegenüber 4 % in Deutschland, der niedrigsten Quote in der ganzen EU. Diese Zahlen des Scoreboards deuten auf sehr unterschiedliche soziale Bedingungen innerhalb der EU hin, wobei das ungenutzte Potenzial in einigen Ländern wesentlich größer als in anderen ist.

2.11

Viele weitere Indikatoren weisen in dieselbe Richtung. So liegt zum Beispiel der Anteil der frühzeitigen Schulabgänger in Spanien bei 20 % der 18- bis 24-Jährigen, aber bei weniger als 3 % in Kroatien. Die letztere Zahl ist auch im Hinblick auf die allgemeine Lage junger Menschen irreführend: Der Indikator für die Jugendarbeitslosenquote weist Kroatien als einen der am schlechtesten aufgestellten Mitgliedstaaten der EU aus. Der Anteil der von Armut bedrohten Menschen erreicht in Bulgarien 40 % gegenüber einem EU-Durchschnitt von 23 %.

2.12

Die NEET-Quote (14) (Prozentsatz der 15- bis 24-Jährigen, die weder in Beschäftigung noch in Ausbildung sind) schwankt von 20 % in Italien bis zu unter 5 % in den Niederlanden. Unterstützung durch Aktivierungsmaßnahmen (einschließlich Schulungen, Beschäftigungsanreizen und ähnlichen Maßnahmen) wird in Dänemark von 54 % der Arbeitswilligen, in Bulgarien aber nur von 3 % der Arbeitswilligen in Anspruch genommen.

2.13

Der Anteil der 0- bis 3-Jährigen in Vollzeitbetreuungseinrichtungen reicht von 1,1 % in der Slowakei bis zu über 77 % in Dänemark. Nicht gedeckter Gesundheitsbedarf, der für gewöhnlich auf finanzielle Einschränkungen zurückzuführen ist, wird in Estland und Griechenland mit über 12 % angegeben, ist in Österreich hingegen minimal.

2.14

In der EU als Ganzes betrachtet fehlen 44 % der Menschen angemessene digitale Kompetenzen, wobei die Zahlen von 74 % in Bulgarien bis zu 14 % in Luxemburg reichen.

2.15

Die soziale Säule in die Tat umzusetzen, würde daher für viele Bürger die sozialen Verhältnisse und die Arbeitsmarktbedingungen verbessern und somit zudem das Wirtschaftspotenzial der EU erhöhen. Dies setzt eine Aufwärtskonvergenz der Länder voraus, die derzeit hinterherhinken. Zwar zeigen einige der Indikatoren in den letzten Jahren Verbesserungen; dies gilt jedoch nicht für alle, und auch bei den verbesserten Indikatoren gibt es nach wie vor große Abweichungen.

2.16

Die soziale Säule in die Tat umzusetzen, wird eine enorme Herausforderung sein, die das Engagement der Mitgliedstaaten mit Unterstützung der Europäischen Union erfordert. Zudem wird es dafür notwendig sein, die Sozialpartner uneingeschränkt einzubeziehen und ihr gemeinsames Handeln anzuregen und zu fördern, insbesondere den Abschluss von Tarifverträgen mit erweitertem Geltungsbereich, vor allem bezüglich Beschäftigungssicherheit, Arbeitsqualität, Lohnbedingungen sowie Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen mit ihrer Erfahrung und Kenntnis der Probleme können sich hier entscheidend einbringen. Außerdem kann die Privatwirtschaft über öffentlich-private-Partnerschaften und Investitionen in den Auf- und Ausbau von Kompetenzen und Qualifikationen in Unternehmen einen wichtigen Beitrag leisten.

3.   Politikbereiche

3.1

Initiativen zur weiteren Umsetzung können neue legislative und nichtlegislative Maßnahmen (auch solche, die sicherstellen, dass bereits beschlossene politische Maßnahmen auch tatsächlich in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden), den Einsatz des europäischen Semesters und die Nutzung der im Rahmen dieses Prozesses abgegebenen länderspezifischen Empfehlungen umfassen (15). Für die erfolgreiche Umsetzung dieser Initiativen ist die Einbeziehung von Sozialpartnern von ausschlaggebender Bedeutung.

3.2

Im Jahr 2015 bzw. 2016 abgegebene länderspezifische Empfehlungen deckten bestimmte Bereiche der sozialen Säule ab, insbesondere im Hinblick auf Renten, öffentliche Dienste, Sozialfürsorge, Gesundheitspflege, Kinderbetreuung, Wohnraum, Verbesserung von Qualifikationen, aktive Beschäftigungsmaßnahmen und Bildung.

3.3

Solche Empfehlungen ergeben jedoch nur dann Sinn, wenn davon auszugehen ist, dass die notwendigen Finanzmittel bereitgestellt werden. Hier kann die EU über ihre verschiedenen Programme und eine flexible Handhabung der Regeln zu Staatshaushalt und Staatsverschuldung positiv eingreifen.

3.4

Die Fragen nach Investitionen und Finanzierung stellen sich in unterschiedlicher Weise in allen von der sozialen Säule abgedeckten Bereichen. Das soziale Scoreboard verdeutlicht auch die Notwendigkeit, in bestimmten Bereichen in allen Mitgliedstaaten, und insbesondere in Mitgliedstaaten mit niedrigerem Einkommen, zu investieren. Die Finanzierung der sozialen Säule ist daher auch mit Elementen aus dem Bereich der makroökonomischen Politik verknüpft: mit einer auf die soziale Konvergenz statt auf soziale Unterschiede ausgerichteten Wirtschaftspolitik, mit Diskussionen zur Verwaltung der Eurozone und mit Maßnahmen zur Förderung von Investitionen, einschließlich Sozialinvestitionen.

3.5

Der EWSA hat bereits die vielen positiven Auswirkungen von sorgfältig geplanten, wirksamen und effizienten, zukunftsorientierten Sozialinvestitionen herausgestellt, die, wie von der Europäischen Kommission in ihrem Sozialinvestitionspaket anerkannt, nicht als Kosten, sondern vielmehr als Investitionen in das Wachstums- und Beschäftigungspotenzial Europas verstanden werden sollten. Der EWSA hat sein Bedauern darüber geäußert, dass nicht mehr zur wirksamen Umsetzung dieser Ziele unternommen wurde. Sozialinvestitionen machen sich mit der Zeit wirtschaftlich und gesellschaftlich bezahlt, was in höheren Arbeits- oder Erwerbseinkommen, besseren Gesundheitsbedingungen, geringerer Arbeitslosigkeit, besserer Bildung, weniger Armut und sozialer Ausgrenzung usw. zum Ausdruck kommt. Außerdem verbessern sie den Wohlstand und das Wohlergehen des Einzelnen und kurbeln die Wirtschaft an, indem sie für höherqualifizierte Arbeitskräfte sowie für mehr Produktivität und Beschäftigung sorgen. Derartige Investitionen, insbesondere wenn sie das nachhaltige Wachstum fördern, würden auch dazu beitragen, die Fertigkeiten und Qualifikationen der Menschen zu stärken, ihre Chancen in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen sowie die Wirtschaft anzukurbeln und würden mithelfen, dass die EU stärker und wettbewerbsfähiger aus der Krise hervorgeht. Zudem würden sie der gesteigerten Effizienz und Wirksamkeit der öffentlichen Ausgaben dienen, was mittel- und langfristig zu Einsparungen bei den öffentlichen Haushalten führen würde (16). Der EWSA hat auch auf die langfristigen Kosten hingewiesen, die entstehen, wenn im Sozialbereich nicht gehandelt und investiert wird. In diesem Zusammenhang hat der EWSA zudem auf die Bedeutung von Investitionen in robuste Sozialversicherungssysteme hingewiesen, da diese als automatische Stabilisatoren wirken (17).

3.6

Zu den Elementen der sozialen Säule, die nicht ohne höhere Investitionen oder laufende Ausgaben in Angriff genommen werden können, gehören: das Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form; Unterstützung bei der Arbeitssuche; Verbesserung der Gleichstellung der Geschlechter und Verringerung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles; Verhinderung von Armut trotz Erwerbstätigkeit; Zugang zu Betreuungs- und Pflegediensten; bezahlbare frühkindliche Bildung; angemessener Sozialschutz; angemessene Arbeitslosenleistungen; Ruhegehälter, die ein angemessenes Einkommen sicherstellen; Würde im Alter; hochwertige und bezahlbare Gesundheitsvorsorge und Heilbehandlung; bezahlbare und hochwertige Langzeitpflegedienste; hochwertige Sozialwohnungen oder hochwertige Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung; sowie Zugang zu Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung, Verkehr, Finanzdiensten und digitaler Kommunikation.

3.7

Die wichtigsten EU-Fonds für wirtschaftliches und soziales Wachstum sind die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds), die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen, Programme für Wettbewerbsfähigkeit und der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI). Investitionen können auch aus den eigenen Haushalten der Mitgliedstaaten und aus privaten Quellen stammen.

3.8

Die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds stellen die bedeutendste Quelle dar mit komplexen Verfahren zur Überwachung und Bewertung von Investitionen. Sie ermöglichen es, wie bereits zuvor in einer Stellungnahme des EWSA festgestellt, höhere Investitionen in die Realwirtschaft zu erzielen. Dank dieser Fonds wurden in Ländern mit niedrigerem Einkommen mehr öffentliche Investitionen getätigt, die jedoch die sinkenden Investitionen aus anderen Quellen nicht ausgleichen bzw. keine rasche Konvergenz auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene sicherstellen konnten. Es muss dafür gesorgt werden, dass diese Fonds gestärkt und aufgestockt werden, um die Bemühungen zur Umsetzung der sozialen Säule zu unterstützen. Der EWSA bekräftigt seine Forderung, die für die ESIF geltenden Verordnungen zu überprüfen und die Bewertung der Wirksamkeit und Effizienz ihres Beitrags zu verbessern (18).

3.9

Die Investitionen können an den Zielen der sozialen Säule ausgerichtet werden, sowohl mit Blick auf die ergriffenen Initiativen als auch mit Blick auf die Bedingungen zur Gewährleistung fairer Beschäftigungspraktiken und zur Unterstützung andernfalls ausgegrenzter Gruppen.

3.10

Der EFSI leistet der Europäischen Investitionsbank eine Garantie, dank derer diese die Höhe ihrer Kredite aufrechterhalten kann, die sonst gesenkt worden wären. Wie EIB-Projekte im Allgemeinen können über den EFSI Projekte unterstützt werden, die mit der sozialen Säule vereinbar sind. Beispiele hierfür sind einige Projekte in den Bereichen soziales Unternehmertum, Gesundheitsversorgung und Sozialfürsorge. Die Tendenz ging bisher eher zu typisch kommerziellen Projekten, bei denen der soziale Nutzen eher einen Nebeneffekt als ein Ziel an sich darstellt.

3.11

Der EWSA hat eine Stärkung der sozialen Dimension des EFSI gefordert durch seinen Einsatz für Bildung, Ausbildung und Berufsbildung für Kompetenzen und lebenslanges Lernen, die Entwicklung der Kreativ- und Kulturwirtschaft, Innovation im Gesundheitswesen und in der Medizin sowie für Infrastrukturen in den Bereichen Sozialfürsorge, sozialer Wohnungsbau und Kinderbetreuung, Tourismus und Umweltschutz. Die Investitionsoffensive für Europa sollte die auf der COP 21 eingegangenen Verpflichtungen ganz klar unterstützen (19).

3.12

Es wird nur wenig Gewicht auf die Bewertung und Überwachung von Projekten zu Beschäftigungsbedingungen, zur Inklusion benachteiligter Gruppen und zu Investitionen in die physische Infrastruktur für soziale Dienste gelegt.

3.13

Ursprünglich bestand die Verpflichtung, bei der Zuweisung der EFSI-Ressourcen geographische Überlegungen zu vermeiden. Einige Länder mit niedrigerem Einkommen erhalten sehr wenige Mittel, obwohl sie nachweislich einen hohen Bedarf haben. Mithilfe von entsprechenden Regelungsänderungen kann sichergestellt werden, dass die weniger entwickelten Länder in der zweiten Phase Priorität erhalten.

3.14

Die Finanzierung der Umsetzung der sozialen Säule hängt außerdem stark von den Ressourcen ab, die auf der Ebene der Mitgliedstaaten verfügbar sind. Dafür sind Mittel aus Staatshaushalten für Investitionen und auch für die laufenden Kosten von Maßnahmen in den kommenden Jahren erforderlich. Diese können durch die Haushalts- und Schuldenregeln der EU eingeschränkt sein (20). Wie bereits mehrfach vom EWSA betont (21), sollten Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, die im Rahmen dieser Regeln zulässige Flexibilität zu vergrößern, wie zum Beispiel durch eine „goldene Regel“, die öffentliche Investitionen mit einer sozialen Zielsetzung ermöglichen würde, damit die Ziele der europäischen Säule sozialer Rechte insbesondere durch folgende Faktoren verwirklicht werden können: höheres Einkommensniveau, stärkerer sozialer Zusammenhalt und Verhinderung der Ausgrenzung benachteiligter Gruppen, die sonst nicht uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Gleichzeitig würde ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum geschaffen.

3.15

Bei der Finanzierung von sozialen Zielen spielt auch die Unternehmensverantwortung eine wesentliche Rolle. Mit Privatinvestitionen allein können die Ziele der sozialen Säule nicht erreicht werden. Vielmehr sollten Privatinvestitionen zusätzlich zu in die öffentliche Verantwortung fallenden Investitionen getätigt werden, um einen Beitrag in vielen einschlägigen Bereichen zu leisten (darunter Beschäftigung, Verbesserung digitaler Kompetenzen und Sozialfürsorge), insbesondere wenn dafür geeignete Regelungsrahmen und finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Quellen, wie den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds und/oder der EIB, zur Verfügung stehen.

3.16

Der Bedarf an finanziellen Mitteln zur Umsetzung der sozialen Säule muss anerkannt und es muss entsprechend geplant werden. Geeignete institutionelle Rahmenbedingungen sind bereits vorhanden. Die Aufgabe der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) und des EFSI sollte durch ausdrückliche Bezugnahme auf die soziale Säule verdeutlicht werden. Zudem sollte es möglich sein, die mit der Verfolgung der Ziele dieser Säule verbundenen Kosten über den EU-Haushalt und die Haushalte der Mitgliedstaaten zu decken.

3.17

Schließlich sollte die Europäische Kommission im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Steuerbetrug, Steueroasen und aggressive Steuerplanung sowie zur Verringerung des unfairen Steuerwettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten (22) verstärkt Maßnahmen für eine gerechte Besteuerung (von multinationalen Unternehmen und Einzelpersonen) (23) sowie für die Bekämpfung der missbräuchlichen und betrügerischen Verwendung von EU-Haushaltsmitteln ergreifen. Bei der Suche nach neuen Steuereinnahmequellen für die Finanzierung der sozialen Säule unter uneingeschränkter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips wäre es angebracht, Besteuerungsarten zu fördern, die die Beitragskapazität des Einzelnen berücksichtigen und gleichzeitig den Anreizen für nachhaltiges Wachstum Rechnung tragen.

3.18

Im Hinblick auf die Finanzierung des EU-Haushalts stimmt der EWSA der im Bericht „Künftige Finanzierung der EU“ vorgenommenen Bewertung der hochrangigen Gruppe „Eigenmittel“ zu, in dem ein EU-Haushalt mit dem Schwergewicht auf unabhängigen, transparenten und gerechten Eigenmitteln gefordert wird (24). Außerdem sollte der Haushalt nach Ansicht des EWSA aufgestockt werden.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Aus den Erfahrungen lernen: Härten der Sparpolitik in der EU vermeiden, Ziffer 1.6, noch nicht veröffentlicht; Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2018, Ziffern 1.8 und 3.6, noch nicht veröffentlicht; ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 11; Jahreswachstumsbericht 2018, Ziffer 1.4, noch nicht veröffentlicht; ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 21.

(2)  Die europäische Säule sozialer Rechte, Broschüre, S. 6 (ISBN 978-92-79-74080-0).

(3)  http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-14-1525_de.htm.

(4)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145.

(5)  Beispielsweise Verbesserung der Rahmenbedingungen und Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen sowie FuE-Ausgaben; Steigerung der Produktivität von Unternehmen, einzelnen Branchen und der Volkswirtschaft; Förderung der Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze mit höheren Löhnen bei gleichzeitigem Abbau von befristeten und prekären Beschäftigungsverhältnissen im Niedriglohnbereich; Stärkung von Tarifverhandlungen und der Autonomie der Sozialpartner in diesem Bereich sowie des sozialen Dialogs auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene; Reform der öffentlichen Verwaltungen, damit sie wirkungsvoller der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dienen können und für die Öffentlichkeit transparenter sind; Förderung hochwertiger Bildungs- und Berufsbildungssysteme für Arbeitnehmer im Sinne von Chancengleichheit und positiven Ergebnissen für alle gesellschaftlichen Gruppen.

(6)  Unterstützung von Strukturreformen in den Mitgliedstaaten, Ziffer 3.9, noch nicht veröffentlicht.

(7)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145.

(8)  Reflexionspapier zur sozialen Dimension Europas, S. 24.

(9)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. März 2018 zum nächsten MFR: Vorbereitung des Standpunkts des Parlaments zum MFR nach 2020 (2017/2052(INI)), Mitberichterstatter: Jan Olbrycht, Isabelle Thomas, Ziffer 14.

(10)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 131.

(11)  https://composite-indicators.jrc.ec.europa.eu/social-scoreboard/#.

(12)  Galgoczi, B. et al., „The Social Scoreboard Revisited“ (Überprüfung des sozialpolitischen Scoreboard), ETUI, 2017.

(13)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145.

(14)  „Not in education, employment or training“.

(15)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145.

(16)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10.

(17)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 21.

(18)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 94.

(19)  ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 57.

(20)  ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 35.

(21)  Aus den Erfahrungen lernen: Härten der Sparpolitik in der EU vermeiden, Ziffer 1.6, noch nicht veröffentlicht; Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2018, Ziffern 1.8 und 3.6, noch nicht veröffentlicht; ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 11; Jahreswachstumsbericht 2018, Ziffer 1.4, noch nicht veröffentlicht; ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 21.

(22)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 131.

(23)  EU-Finanzen bis 2018, Ziffern 3.3.4, noch nicht veröffentlicht.

(24)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 131.


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Strategie LeaderSHIP 2020 als Vision für die meerestechnische Industrie: Gestaltung einer innovativen, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen meerestechnischen Industrie bis 2020“

(Initiativstellungnahme)

(2018/C 262/02)

Berichterstatter:

Marian KRZAKLEWSKI

Ko-Berichterstatter:

Patrizio PESCI

Beschluss des Plenums

1.6.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

 

 

Zuständige Fachgruppe

Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI)

Annahme in der CCMI

4.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

197/1/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) empfiehlt, dass sich alle Dienststellen der Kommission verstärkt darum bemühen, Verantwortung für die vollständige Umsetzung der Strategie LeaderSHIP 2020 sowie für die Erarbeitung und Umsetzung einer neuen Strategie für die Branche — LeaderSHIP 2030 — zu übernehmen, und dass sie dazu mit den Interessenträgern zusammenarbeiten.

1.2

Da die Strategie 2013 verabschiedet wurde, schlugen sich die Folgen der Wirtschaftskrise von 2008 in den Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Dokuments LeaderSHIP 2020 nieder. In den vergangenen Jahren vollzogen sich jedoch zahlreiche Entwicklungen und ergaben sich ernsthafte Probleme, aber auch neue Chancen für die meerestechnische Industrie in Europa. Der EWSA fordert die Europäische Kommission deshalb auf, die meerestechnische Industrie bei der Bewältigung der vor ihr stehenden Herausforderungen und der Nutzung der sich bietenden Chancen stärker zu unterstützen.

1.3

Im Rahmen der Ankündigung der Strategie LeaderSHIP 2020 haben die Kommission und die Interessengruppen 19 Empfehlungen vereinbart, deren Umsetzung der Verwirklichung der Strategie dienen sollten. Während der Anhörung bewerteten die Interessenvertreter der Industrie die Umsetzung dieser Empfehlungen in einer Umfrage, deren Ergebnisse in Abschnitt 3 dargelegt werden.

1.3.1

Der EWSA stellt fest, dass die Umsetzung aller Empfehlungen vier Jahre nach Bekanntgabe der Strategie ungleichmäßig fortgeschritten und im Schnitt nur zu einem Viertel erfolgt ist. Relativ gut wurden die Empfehlungen zur Säule Forschung, Entwicklung und Innovation (FEI) umgesetzt. Insgesamt positiv, wenn auch etwas weniger gut, steht es um die Umsetzung der Empfehlungen der Säule „Kompetenzen und Beschäftigung“, mit Ausnahme von Fragen des informellen Lernens. Schlechter sieht es mit der Umsetzung der Empfehlungen zum Thema „Verbesserung des Marktzugangs und des fairen Wettbewerbs“ aus, bei dem die Bewertung nur Fortschritte von 20 % ergab. Am wenigsten wurde in der Säule „Zugang zu Finanzmitteln“ umgesetzt, nämlich durchschnittlich nur 15 %, mit Ausnahme von Maßnahmen zur Förderung der Finanzierung durch die EIB. Der EWSA fordert die Kommission und die Interessenträger auf, die Durchführung der Strategie zu verstärken und die Umsetzung der zentralen Empfehlungen auf die von den Interessengruppen der Branche geforderte neue Strategie für die Branche — LeaderSHIP 2030 — zu übertragen.

1.4

Bei der Anhörung wurde betont, dass die europäische meerestechnische Industrie ein strategischer Schlüsselfaktor für Europa ist und sich in einer relativ guten Verfassung befindet, trotz der vielen Schwierigkeiten, mit denen die Branche insbesondere nach der Wirtschaftskrise konfrontiert war. Asiatische Werften hingegen befinden sich unter anderem als Ergebnis einer intensiven Beihilfepolitik in einer schwierigen Situation. Aber gerade wegen ihrer derzeitigen Schwierigkeiten wird die Konkurrenz aus Asien, vor allem China, den Druck auf Europa erhöhen. Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, einen Rahmen zu verabschieden, der der europäischen meerestechnischen Industrie weltweit tatsächlich gleiche Wettbewerbsbedingungen bietet.

1.5

Die chinesische Regierung und die Banken leisten den chinesischen Staatsunternehmen umfassende finanzielle Unterstützung bei der Umsetzung der kürzlich angekündigten Strategie, die darauf abzielt, die europäische Führungsrolle beim Bau von High-End-Schiffen wie Kreuzfahrtschiffen und High-Tech-Schiffsausrüstungen zu übernehmen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt der EWSA der Europäischen Kommission, eine entschlossene Industriepolitik auf der Grundlage von Gegenseitigkeit zu verfolgen, die es der europäischen meerestechnischen Industrie ermöglicht, im Wettbewerb zu bestehen.

1.6

Die meerestechnische Industrie steht derzeit unter ordnungspolitischem und sozialem Druck. Im Hinblick auf regulatorische Fragen ist die Branche gefordert, ihre Leistungen in den Bereichen Umwelt und Sicherheit zu verbessern. Im sozialen Bereich hingegen sind Digitalisierung, Automatisierung, Cybersicherheit oder das Internet der Dinge potenziell bahnbrechende Technologien, die die Zukunft der Branche grundlegend verändern können. Gleichzeitig gehen mit diesen Herausforderungen aber auch interessante Chancen für die europäische meerestechnische Industrie einher. Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission deshalb, Investitionen der europäischen meerestechnischen Industrie im Bereich FEI, beispielsweise durch öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP), zu fördern, um den Bedürfnissen der Branche gerecht zu werden. FEI sind der Schlüssel zur Erhaltung der führenden Wettbewerbsposition der europäischen Meerestechnik gegenüber ihren weltweiten Konkurrenten.

1.7

Europas meerestechnische Industrie hat ein zunehmendes Interesse daran, das wirtschaftliche Potenzial der Meere und Ozeane nachhaltig zu nutzen. Die Erzeugung von Energie in Offshore-Windparks, die Nutzung von Meeresenergie oder die Aquakultur sind nur einige Beispiele. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen und neue Möglichkeiten (z. B. Offshore-Energiespeicherung) zu erschließen, empfiehlt der EWSA der Europäischen Kommission, die europäische meerestechnische Industrie mit blauen ÖPP zu unterstützen.

1.8

Im Gegensatz zu den asiatischen Konkurrenten ist der Zugang zu Finanzmitteln für europäische Werften und europäische Hersteller von Schiffsausrüstung ein großes Problem. Die existierenden europäischen Finanzinstrumente sind entweder unzureichend bekannt oder in einer so kapitalintensiven Branche überhaupt nicht anwendbar. Der EWSA fordert die Europäische Kommission daher auf, ein eigenes Finanzinstrument zu schaffen, das die Investitionen in einen Risikokapitalsektor wie die europäische Schiffbauindustrie fördert.

1.9

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Rolle der Seestreitkräfte für die Aufrechterhaltung der kritischen Masse des gesamten europäischen Schiffbaus von großer Bedeutung und zudem eine treibende Kraft für Forschung und Innovation in der Branche und darüber hinaus ist. Er fordert die Kommission deshalb auf, die maritime Rüstungsindustrie im Rahmen der Fortsetzung der Strategie LeaderSHIP zu einer der Säulen der Strategie zu machen.

1.10

Um wettbewerbsfähig und innovativ zu bleiben, muss die europäische meerestechnische Industrie neue Technologien einsetzen und über ausreichend qualifiziertes und geschultes Personal verfügen. Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Sozialpartner des Schiffbaus erheblich zu unterstützen, damit sie ihre Arbeit im Rahmen des europäischen Qualifikationsrates für die Meerestechnikbranche fortsetzen können. Der EWSA weist die Kommission darauf hin, dass zur Beseitigung der Qualifikationslücken in der Branche Initiativen unter der Federführung der Industrie und der Sachverstand gefördert werden müssen.

1.11

Der EWSA nimmt die Ergebnisse des Berichts New trends in the shipbuilding and marine supply industries (1) (Neue Trends in der Schiffbau- und Schiffsausrüstungsindustrie) zur Kenntnis und fordert die Europäische Kommission auf, mit SEA Europe und IndustriALL sowie anderen Interessenträgern zusammenzuarbeiten, um die Empfehlungen dieses Berichts umzusetzen.

2.   Hintergrund

Die aktuelle Situation der europäischen meerestechnischen Industrie

2.1

Die meerestechnische Industrie der EU umfasst alle Unternehmen, die an der Planung, dem Bau, der Instandhaltung und der Reparatur von Schiffen und anderer Meeresinfrastruktur beteiligt sind, einschließlich der gesamten Lieferkette von Systemen, Ausrüstungen und Dienstleistungen, die von Forschungs- und Bildungseinrichtungen unterstützt werden. Die Unternehmen der EU sind führend auf dem Gebiet der Innovation und liefern jedes Jahr etwa die Hälfte der Schiffsausrüstung weltweit.

2.2

Die europäischen Werften sind erfolgreich beim Bau, der Instandsetzung, der Wartung oder dem Umbau sehr komplexer und technisch fortgeschrittener ziviler und militärischer Schiffe, wie Kreuzfahrtschiffe, Fähren, Offshore-Schiffe und -Anlagen, Fregatten, U-Boote usw. Sie produzieren und liefern auch Technologien im Zusammenhang mit der Entwicklung des blauen Wachstums (z. B. Offshore-Energie, Aquakultur, Gewinnung von Bodenschätzen aus dem Meeresboden). Sie erwirtschaften einen Jahresumsatz von ca. 31 Milliarden Euro und beschäftigen direkt mehr als 200 000 Menschen. Derzeit gibt es rund 300 Werften in Europa (2).

2.3

Die Hersteller und Anbieter von Schiffsausrüstungen aus der EU sind führend auf dem Weltmarkt. Es gibt etwa 22 000 große, kleine und mittlere Unternehmen, die unterschiedlichste Materialien, Systeme, Technologien und Ausrüstungen liefern sowie Ingenieurs- und Beratungsleistungen erbringen. Sie erwirtschaften einen Jahresumsatz von ca. 60 Milliarden Euro und beschäftigen direkt mehr als 350 000 Menschen. Ihr Anteil am Weltmarkt beträgt etwa 50 %.

2.4

Die europäische meerestechnische Industrie investiert 9 % ihrer Gewinne aus Verkäufen in die Forschung, Entwicklung und Innovation — damit ist sie die Branche mit der höchsten FEI-Intensität in Europa.

2.5

Weltweit kämpft der Schiffbau mit einer der schwersten Krisen der letzten Jahre, und 2016 war das bisher schlimmste Jahr, wobei sich die Situation in den nächsten zwei oder drei Jahren weiter verschärfen dürfte. Die geringere Nachfrage im Bereich des Güterverkehrs in Asien hat zu einem deutlichen Rückgang der Aufträge geführt. Nur in Europa ist es gelungen, den positiven Trend bei den Aufträgen seit 2012 fortzusetzen, ohne dass finanzielle Unterstützung und Zuschüsse geflossen sind. Gleichzeitig sehen sich die europäischen Hersteller von meerestechnischen Ausrüstungen den negativen Folgen der dramatisch zurückgehenden Nachfrage aus Asien gegenüber.

2.6

Im Jahr 2016 war das Volumen der Neuaufträge der europäischen Werften höher als das der bereits ausgelieferten Schiffe. In Europa wurden Verträge über neue Schiffe im Wert von 14,7 Milliarden US-Dollar geschlossen, was 55 % des Werts der Neubestellungen weltweit entspricht.

2.7

Die Wettbewerbsfähigkeit der Länder Ostasiens stützt sich zum großen Teil auf protektionistische staatliche Maßnahmen, darunter Subventionen und andere Formen der finanziellen Unterstützung, Auflagen in Bezug auf einen inländischen Fertigungsanteil usw. Darüber hinaus geben diese Länder, anders als Europa, neue Schiffe grundsätzlich bei einheimischen Werften in Auftrag. Europäische Reeder wiederum haben ihre Aufträge für den Bau von Frachtschiffen sowie von Offshore-Versorgungsschiffen zunehmend nicht mehr europäischen Werften, sondern Werften in Asien erteilt. Infolgedessen hat sich die Struktur der europäischen Auftragsbücher in den letzten zehn Jahren verschoben, und zwar in Richtung des Baus komplexer Schiffstypen mit höherer Wertschöpfung. Interessanterweise vollzogen sich diese Veränderungen zu einer Zeit, da die europäische Schiffsbranche selbst von finanziellen bzw. steuerlichen Unterstützungsprogrammen profitiert hat.

Hintergrund der Strategie LeaderSHIP 2020

2.8

Die Strategie LeaderSHIP 2020 (3) ging aus der Initiative LeaderSHIP 2015 hervor, die 2003 ins Leben gerufen wurde, um ein koordiniertes Vorgehen in Reaktion auf die Herausforderungen zu gewährleisten, mit denen der europäische Schiffbau konfrontiert war. Der Schwerpunkt lag auf wissensbasierten Tätigkeiten und der Notwendigkeit einer höheren Rentabilität der Investitionen in die Werften in Bezug auf Forschung, Entwicklung und Innovation.

2.9

2008 wurde der europäische Schiffbau schwer von der internationalen Wirtschaftskrise getroffen, deren Auswirkungen auf die Branche bis heute zu spüren sind. Deshalb waren starke Anreize in Form einer neuen Strategie LeaderSHIP 2020 nötig.

2.10

Das 2013 vorgestellte Dokument zur Strategie LeaderSHIP 2020 wurde von einer breit aufgestellten Gruppe von Interessenträgern erarbeitet, an deren Spitze Branchenvertreter, die Europäische Kommission, das Parlament und die Sozialpartner (SEA Europe und IndustriALL) standen.

2.11

In der Strategie werden folgende Merkmale genannt, die die Branche auszeichnen sollten: Innovationskraft, Umweltfreundlichkeit, Spezialisierung auf High-Tech-Märkte, Energieeffizienz und Fähigkeit zur Erschließung neuer Märkte.

2.12

In dem Bericht über die Strategie LeaderSHIP 2020 werden folgende vier Säulen aufgeführt:

Beschäftigung und Qualifikationen;

Verbesserung des Marktzugangs und faire Wettbewerbsbedingungen;

Zugang zu Finanzmitteln;

Forschung, Entwicklung und Innovation (FEI).

3.   Bewertung des Stands der Umsetzung der Empfehlungen der Strategie LeaderSHIP 2020

3.1

Der Stand der Umsetzung der Empfehlungen der Strategie LeaderSHIP 2020 wurde auf der Grundlage einer Umfrage unter den Teilnehmern einer öffentlichen Anhörung bewertet. Die Ergebnisse der Umfrage werden im Folgenden dargestellt.

3.2

Die Fortschritte in Bezug auf die Säule „Beschäftigung und Qualifizierung“ der Strategie LeaderSHIP 2020 werden als moderat bewertet. Die besten Ergebnisse sind mit 30 % bei der Umsetzung der Empfehlungen „Schaffung einer Untergruppe Meerestechnische Industrie in der ESCO-Klassifikation“ sowie „Förderung der Branche der meerestechnischen Industrie“ zu verzeichnen. Schlecht werden die Pläne zu „Untersuchungen zum informellen Lernen“ bewertet — sie erhielten die Bewertung „0“. Die übrigen Empfehlungen aus diesem Bereich werden mit 15-20 % bewertet.

3.3

Die Umsetzung der Empfehlungen der zweiten Säule „Verbesserung des Marktzugangs und fairer Wettbewerb“ wird als eher unzulänglich bewertet. Es wurden drei Maßnahmen eingeleitet: die OECD-Arbeitsgruppe „Werften“, eine engere Zusammenarbeit zwischen der Industrie und der Kommission zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums und zur Anwendung der IMO-Verordnungen sowie „die Nutzung verschiedener handelspolitischer Instrumente und die Arbeit an Freihandelsabkommen“. Sie sind laut den Bewertungen zu 20 % fortgeschritten. Die anderen Maßnahmen aus diesem Bereich wurden praktisch nicht umgesetzt.

3.4

In Bezug auf die Säule „Zugang zu Finanzmitteln“ stellten die Beteiligten Fortschritte nur im Punkt „Prüfung und Bekanntmachung der Möglichkeiten der Finanzierung und Ausweitung der Kreditvergabe durch die EIB“ fest — hier ergab sich die Bewertung 20-30 %. Die Umsetzung der Empfehlung „Prüfung der Möglichkeiten für blaue ÖPP“ wird auf 15 % geschätzt, und die Empfehlung „Möglichkeiten einer langfristigen Finanzierung durch die Kommission“ wurde praktisch gar nicht umgesetzt (5 %).

3.5

In Bezug auf die Umsetzung der Empfehlungen zu FEI herrscht gedämpfter Optimismus. Drei Empfehlungen wurden bereits zur Hälfte oder mehr umgesetzt. Hier die Bewertungen für diesen Bereich:

Prüfung der Durchführbarkeit von öffentlich-privaten FEI-Projekten im Bereich der Meerestechnik — Bewertung 50 %,

Aufnahme von Bestimmungen über FEI in die EU-Verordnung nach dem Auslaufen der Rahmenvorschriften für staatliche Beihilfen im Schiffbau durch die Kommission — 60 %,

Prüfung der Möglichkeiten für die Zuweisung von Strukturfondsmitteln zur Diversifizierung der Branche, insbesondere im Rahmen regionaler Strategien zur intelligenten Spezialisierung — 45 %,

Entwicklung einer umfassenden ÖPP auf EU-Ebene durch die meerestechnische Industrie, um die Meeresforschung unter anderem auf die emissionsfreie und energieeffiziente Nutzung von Schiffen zu konzentrieren — 30 %.

4.   Allgemeine und besondere Anmerkungen zur Umsetzung der Prioritäten der Strategie LeaderSHIP 2020

Beschäftigung und Qualifikationen

4.1

Dringend erforderlich sind die Behebung des Fachkräftemangels, die Verbesserung der Qualifikation der Arbeitskräfte und eine entsprechende Aus- und Weiterbildung mit dem Ziel, eine kritische Masse an Fachwissen und Know-how in der europäischen meerestechnischen Industrie aufrechtzuerhalten. Daher ist es wichtig, die von den Sozialpartnern mit dem Qualifikationsrat (4) begonnene Arbeit zu unterstützen und fortzusetzen. Darüber hinaus ist es unerlässlich, dass die Sozialpartner von den EU-Organen in die Politikgestaltung eingebunden und zu jeder die Branche betreffenden EU-Initiative konsultiert werden und dass die Berufsverbände, die die Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten, weiterhin in den Dialog eingebunden werden, insbesondere im Rahmen des sozialen Dialogs.

4.2

Für die Arbeitnehmer muss es angemessene Schulungsmaßnahmen geben, damit sie den Herausforderungen der Industrie 4.0 und des künftigen technologischen Wandels (z. B. Digitalisierung) gewachsen sind. Künftige Beschäftigte der meerestechnischen Industrie müssen über Qualifikationen verfügen, die sie in die Lage versetzen, die Chancen und Herausforderungen der blauen Wirtschaft zu meistern.

4.3

Es muss mehr unternommen werden, um den Sektors attraktiver zu machen. Die verschiedenen Laufbahnen, die die Branche Arbeitnehmern bietet, müssen ermittelt und zusammengeführt werden, und die Mobilität der Studierenden (z. B. Erasmus für die meerestechnische Industrie) muss erhöht werden. Die Europäische Kommission sollte die Aktivitäten von SEA Europe und IndustriALL auf europäischer Ebene, im Rahmen des Ausschusses für den sektoralen Dialog weiterhin uneingeschränkt unterstützen.

Verbesserung des Marktzugangs und faire Wettbewerbsbedingungen

4.4

Die europäische Industrie ist nach wie vor unlauterem Wettbewerb durch Drittländer ausgesetzt, und zwar sowohl im Schiffbau als auch zunehmend im Bereich der Schiffsausrüstung. Die Krise in Asien, hervorgerufen durch Produktionsüberkapazitäten, vor allem infolge massiver staatlicher Subventionen, hat zur Folge, dass die Regierungen dieser Länder lokale Werften sowie lokale Hersteller von Schiffsausrüstung unterstützen wollen, was mehr Exporte und damit zusätzlichen Wettbewerbsdruck auf europäische Werften und Schiffsausrüster bedeutet.

4.5

Die asiatischen Werften richten ihr Augenmerk nun auf die erfolgreichen europäischen Märkte für komplexere Schiffstypen wie Kreuzfahrtschiffe und Passagierschiffe. Darüber hinaus kündigte China in seinen jüngst vorgelegten offiziellen Strategiepapieren „Made in China 2025“ und „China Manufacturing 2025“ an, dass es sich zum Ziel gesetzt hat, der weltweit führende Hersteller von High-End-Schiffen, einschließlich Kreuzfahrtschiffen, und hochwertiger Marineausrüstung zu werden, was bedeutet, dass es in unmittelbaren Wettbewerb mit erfolgreichen europäischen Märkten treten wird. Diese Politik erhält volle staatliche Unterstützung in Form staatlicher Beihilfen. Sie stellt auch eine Bedrohung für die europäische meerestechnische Industrie dar.

4.6

Der US-Markt bleibt aufgrund des Jones Act verschlossen. Die Lockerung dieses Gesetzes und die Öffnung des US-Markts würden der europäischen Schiffbauindustrie interessante Möglichkeiten eröffnen. Die EU sollte darauf drängen, obwohl das derzeitige politische Klima in den Vereinigten Staaten eher protektionistisch ausgerichtet ist.

4.7

Wie China, die Vereinigten Staaten, Japan und Südkorea sollten auch die Entscheidungsträger in Europa und den Mitgliedstaaten erkennen, dass die europäische Schiffbauindustrie und der Schiffsausrüstungsbau strategische Bereiche der europäischen Wirtschaft sind, die besonderer Aufmerksamkeit und eines zielgerichteten Ansatzes bedürfen, und zwar sowohl in kommerzieller Hinsicht als auch in Bezug auf die Marine.

4.8

Die Europäische Kommission sollte sich um den Abschluss eines umfassenden OECD-Abkommens (das auch China einschließt) bemühen, in dem Regeln für Beihilfen und eventuell Preisdisziplin festgelegt sind, und die Bemühungen in dieser Richtung unterstützen.

4.9

Die Gegenseitigkeit zwischen Europa und Drittländern ist von wesentlicher Bedeutung und sollte daher ein Leitprinzip sowohl bei bilateralen als auch multilateralen Handelsverhandlungen und bei Fragen im Zusammenhang mit dem Marktzugang sein. Sie ist der entscheidende Faktor, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, einschließlich der meerestechnischen Industrie, gegenüber ihren globalen Konkurrenten zu stärken. Wenn europäische Unternehmen in einem Drittland mit protektionistischen Maßnahmen konfrontiert sind, sollte die EU die gleichen Schritte gegenüber Unternehmen aus diesen Ländern setzen, wenn diese mit Europa Handel treiben wollen. Nur so kann es einen faireren Wettbewerb für die europäischen Werften und die europäische Schiffsausrüstungsindustrie geben.

Zugang zu Finanzmitteln

4.10

Die Kommission stellt den EFSI, ein Finanzinstrument der Investitionsoffensive von EU-Kommissionspräsident Juncker, häufig als Instrument für die Industrie dar, allerdings sind sein Umfang und auch seine Vorteile nicht ausreichend bekannt (er richtet sich hauptsächlich an KMU). Dieses Instrument und seine Vorteile für die meerestechnische Industrie sollten besser erläutert und bekannt gemacht werden.

4.11

Die Schiffbauindustrie benötigt große Mengen an Kapital, aber die europäischen Werften haben es in jüngster Zeit schwerer, Zugang zu Finanzmitteln zu erhalten. Gleichzeitig profitieren ausländische Werften von erheblichen finanziellen Anreizen, einschließlich staatlicher Beihilfen. Die Kommission sollte daher die Schaffung eines besonderen Systems in Erwägung ziehen, um der kapitalintensiven europäischen Schiffbauindustrie den Zugang zu Finanzmitteln zu erleichtern.

4.12

Finanzielle Anreize (z. B. durch europäische Finanzierungsprogramme, wie die Fazilität „Connecting Europe“, Anreize für Reeder, in umweltfreundliche Schiffe, Ausrüstungen oder Technologien zu investieren) sollten genutzt werden, da sie sich für Europa lohnen.

4.13

Geprüft werden sollte, ob eine spezielle branchenspezifische Regelung getroffen werden kann, die Anreize schafft, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen meerestechnischen Industrie zu verbessern, und gleichzeitig Verhältnissen vorbeugt, die zu Spannungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten führen. In diesem Zusammenhang können Beispiele für bewährte Verfahren aus anderen Branchen, insbesondere aus der Schifffahrtsbranche, bis zu einem gewissem Grad als Inspirationsquelle dienen.

4.14

Die EU sollte gemeinsam mit Norwegen erwägen, ein spezifisches Programm zur Förderung des umweltfreundlichen und energieeffizienten Kurzstreckenseeverkehrs durch die europäische Schiffbauindustrie und den Schiffsausrüstungssektor aufzulegen. Der EWSA ruft dazu auf, seine auf Ersuchen des maltesischen Ratsvorsitzes ausgearbeitete Sondierungsstellungnahme zum Thema „Diversifizierungsstrategien für den Wasser- und Meerestourismus“ (5) zu nutzen.

4.15

Ferner sollte die Einrichtung eines Finanzierungsprogramms erwogen werden, das es den europäischen Schiffsrecyclinganlagen ermöglicht, größere Schiffstypen zu recyceln.

4.16

Für die technisch hochentwickelte meerestechnische Industrie der EU sind Finanzinstrumente zur Ausführung von öffentlichen Aufträgen für die Seestreitkräfte eine sehr wichtige treibende Kraft und leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer kritischen Masse der Produktion im gesamten Schiffbausektor der EU, während gleichzeitig Forschung und Innovation in diesem Sektor insgesamt und in seinem Umfeld gefördert werden. In diesem Zusammenhang würdigt der EWSA die positive Rolle des EU-Aktionsplans für die Verteidigung, den die Kommission kürzlich vorgelegt hat.

Forschung, Entwicklung und Innovation

4.17

Die Europäische Kommission sollte eine vertragliche öffentlich-private Partnerschaft für die meerestechnische Industrie einrichten, damit die Branche weiter in die Bewältigung der ordnungspolitischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der Schifffahrtsindustrie investieren und das wirtschaftliche Potenzial der Maßnahmen für blaues Wachstum ausschöpfen kann. Ein spezifisches (europäisches) Programm zur Innovationsförderung sollte europäische Innovationen voranbringen.

4.18

Europa sollte die europäische Forschung und Entwicklung finanziell unterstützen. Ebenso sollten europäische Innovationen im Hinblick auf die Rechte des geistigen Eigentums angemessen geschützt werden. Das Europäische Patentamt sollte die europäischen Patente, auch im Bereich der europäischen Meerestechnik, wirksam überwachen und bei Verstößen Sanktionen verhängen.

4.19

Im künftigen (9.) Rahmenprogramm sollte ausreichende (finanzielle) Unterstützung für die meerestechnische Industrie bereitgestellt werden, um sie in die Lage zu versetzen, die großen künftigen (internationalen oder europäischen) ordnungspolitischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, wie z. B. eine umweltfreundlichere Schifffahrt (6), die Digitalisierung, bahnbrechende Technologien und die vernetzte bzw. automatisierte Schifffahrt, zu bewältigen.

4.20

Der EWSA ist der Auffassung, dass das künftige 9. Rahmenprogramm auch ein Kapitel über die finanzielle Unterstützung der europäischen Industrie enthalten sollte, damit sie das wirtschaftliche Potenzial der blauen Wirtschaft in Europa voll ausschöpfen kann.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  „Neue Trends in der Schiffbau- und Schiffsausrüstungsindustrie“.

(2)  SEA Europe — The Voice of Maritime Civil & Naval Industries in Europe, 2017 Newsletter.

(3)  http://ec.europa.eu/growth/sectors/maritime/shipbuilding/ec-support_de.

(4)  Branchenrat für Qualifikationsfragen.

(5)  EWSA-Stellungnahme (ABl. C 209 vom 30.6.2017, S. 1).

(6)  Als internationale Branche, die im weltweiten Wettbewerb steht, bevorzugen die Schifffahrt und die meerestechnische Industrie internationale Lösungen für die Ökologisierung der Schifffahrt, die im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) erarbeitet werden sollten.


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt und europäische Integration auf dem Westbalkan — Herausforderungen und Prioritäten“

(Sondierungsstellungnahme)

(2018/C 262/03)

Berichterstatter:

Andrej ZORKO (SI-II)

Mitberichterstatter:

Dimitris DIMITRIADIS (EL-I)

Befassung

Bulgarischer EU-Ratsvorsitz, 5.9.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Artikel 30 der Geschäftsordnung des EWSA

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe REX

Annahme in der Fachgruppe

28.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

189/2/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt, dass die Integration der Westbalkanländer in die EU und ihr wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt eine der Prioritäten des bulgarischen Ratsvorsitzes ist.

1.2.

Der EWSA ist überzeugt, dass die Erweiterung der Europäischen Union sowohl dem Interesse der Westbalkanländer als auch dem der EU dient. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Verbreitung ihrer demokratischen Werte und Rechtsnormen im Westbalkan. Die Erweiterungspolitik ist für die globale Strategie der EU wie auch für die Stabilität und den Wohlstand in Europa unerlässlich. Deshalb empfiehlt der EWSA, die Integration der Westbalkanländer künftig als eine der obersten Prioritäten der EU einzustufen, vorausgesetzt, diese Länder fahren auf ihrem Weg zur Erfüllung der notwendigen Bedingungen für einen EU-Beitritt fort (1).

1.3.

Der EWSA begrüßt es, dass die Staats- und Regierungschefs der EU und der Westbalkanstaaten am 17. Mai in Sofia zu einem Gipfeltreffen zusammenkommen. Der EWSA wird kurz vor dem Gipfel (am 15. Mai) gemeinsam mit seinen Partnern die Konferenz der Zivilgesellschaft des Westbalkans in Sofia veranstalten. Der EWSA hat vor, vor jedem derartigen Gipfeltreffen eine gemeinsame Veranstaltung mit Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen (2) des Westbalkans und der EU zu organisieren. Der EWSA regt an, dass die EU-Organe und -Mitgliedstaaten regelmäßig Staats- und Regierungschefs aus den Westbalkanländern zu EU-Gipfeln einladen, um damit zu zeigen, dass die EU diese Region als Teil ihrer Zukunft sieht.

1.4.

Der EWSA hofft, dass das Gipfeltreffen von Sofia die erneuerte Dynamik in der Hinwendung der EU zu der Region bekräftigt und andere künftige Ratsvorsitze ermutigt, der Integration der Westbalkanländer weiterhin einen hohen Stellenwert beizumessen. Die Erweiterung der EU um die Westbalkanländer sollte parallel zu der Stärkung des politischen Projekts der EU und ihrer Institutionen verlaufen.

1.5.

Der EWSA fordert die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel in Sofia auf, sich klar zu einer konsequenteren, direkten Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen auf allen Ebenen zu bekennen. Vom Gipfel sollte auch ein Signal für eine direktere öffentliche Unterstützung für unabhängige Medien ausgehen.

1.6.

Der EWSA ersucht die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel in Sofia, in bilateralen Streitigkeiten eine proaktive Rolle einzunehmen, indem sie eine gezielte Zusammenarbeit mit der OSZE und dem Europarat fördern und die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Lösung solcher bilateralen Streitfälle unterstützen.

1.7.

Ebenso ist der EWSA davon überzeugt, dass sich die effektive Erweiterung der EU und die Förderung ihrer Werte in den Westbalkanländern positiv auswirken, wenn es darum geht, für Sicherheit und Stabilität zu sorgen, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie den Wohlstand zu fördern, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stärken, den freien Personen- und Warenverkehr zu erleichtern, die Investitionspolitik anzuregen und die Mobilität zu verbessern.

1.8.

Der EWSA meint, dass die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Minderheitenrechte für die demokratische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Länder im Westbalkanraum von zentraler Bedeutung ist.

1.9.

Zudem ist der EWSA der Ansicht, dass Bildung und freie, unabhängige Medien eine überaus wichtige Rolle bei der Überwindung der Konflikte der Vergangenheit und der Stärkung der demokratischen Werte spielen.

1.10.

Der EWSA betont, dass der EU-Beitrittsprozess für die Länder des Westbalkans nach wie vor einen bedeutenden Anreiz zu Reformen darstellt. Ferner weist der EWSA darauf hin, dass den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der durchgeführten Reformen angesichts der erheblichen Unterschiede, die bei der wirtschaftlichen und sozialen Sicherheit der Bevölkerung zwischen den Mitgliedstaaten der EU einerseits und den Bewerberländern andererseits bestehen, zu wenig Beachtung geschenkt wird. Der EWSA empfiehlt daher, bei der Prüfung der Erfüllung der Kriterien für den EU-Beitritt auch den sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalt zu bewerten.

1.11.

Der EWSA ist der Ansicht, dass den Bereichen Infrastruktur, Verkehr und Energie in den Verhandlungen mit den Ländern des westlichen Balkans hohe Priorität eingeräumt werden muss. Außerdem meint er, dass die Schaffung einer digitalen Gesellschaft und die Entwicklung digitaler Kompetenzen in allen Westbalkanländern sowohl dem öffentlichen als auch dem privaten Sektor zugutekommen würde. Die EU kann und sollte einen Beitrag zur Verbesserung der Infrastruktur und zum Aufbau eines Breitbandnetzes in diesen Ländern leisten, die in einigen Fällen deutlich schlechter als im EU-Durchschnitt sind.

1.12.

Der EWSA schlägt vor, dass die Organe der EU in Erwägung ziehen, einen funktionierenden sozialen und zivilen Dialog auf nationaler Ebene zu einem der Kriterien für die EU-Mitgliedschaft zu machen.

1.13.

Die EU sollte einen spezifischen Fahrplan für Verhandlungen mit den Westbalkanländern mit einem genauen Zeitplan und greifbaren Verpflichtungen für jedes Westbalkanland erarbeiten. Darüber hinaus wäre es notwendig, eine Kommunikationsstrategie für die EU-Mitgliedstaaten auszuarbeiten, durch die die Vorteile der Erweiterungspolitik der EU für die Westbalkanländer hervorgehoben werden, insbesondere im Hinblick auf die Sicherung von Frieden, Stabilität und Wohlstand und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung.

1.14.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Achtung der Minderheitenrechte und die Gleichstellung von Frauen und Männern in den EU-Beitrittsverhandlungen mit den Westbalkanländern unter den höchsten Prioritäten einzustufen.

1.15.

Der EWSA begrüßt die neue Strategie der Kommission für den westlichen Balkan unter dem Titel „Eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive für und ein verstärktes Engagement der EU gegenüber dem westlichen Balkan“ (3), die am 6. Februar 2018 vorgelegt wurde, und deren sechs Leitinitiativen, die von der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, der Intensivierung der Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Migration durch gemeinsame Ermittlungsgruppen, der Europäischen Grenz- und Küstenwache bis hin zur Ausdehnung der EU-Energieunion auf den westlichen Balkan, zur Senkung der Roamingkosten und zum Aufbau von Breitbandverbindungen in der Region reichen.

1.16.

Der EWSA ist bereit, in Verbindung mit der Zivilgesellschaft der Westbalkanländer zu treten, um zu konkreten Maßnahmen in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Migration, sozioökonomische Entwicklung, Konnektivität, digitale Agenda und Aussöhnung und gutnachbarliche Beziehungen beizutragen, die im Aktionsplan zur Unterstützung des Transformationsprozesses im westlichen Balkan für die Jahre 2018-2020 vorgesehen sind.

1.17.

Der EWSA meint, dass die Kommission spezielle Programme entwickeln könnte, welche die Länder des westlichen Balkans zu rascheren Fortschritten im Bereich der sozialen Konvergenz befähigen. Der schleppende Verlauf ihrer Annäherung an die EU ist nämlich in erheblichem Maße auf die ungleichmäßigen und langsamen Fortschritte bei der Behandlung dieser Fragen zurückzuführen. Ein neuer Impuls für die Europäisierung ist dringend erforderlich.

1.18.

Die Sozialpartner und die übrigen Organisationen der Zivilgesellschaft, sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene, müssen in signifikanter Weise in den gesamten Prozess der EU-Integration der Westbalkanländer einbezogen werden. Dazu ist es nötig, die Kapazitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen durch technische und wirtschaftliche Hilfe zu stärken, indem sie einen leichteren Zugang zu EU-Finanzierungsquellen (Kommission, Europäische Investitionsbank, EuropeAid, EBWE usw.) erhalten und zeitgerecht und eingehend über den Ablauf der Beitrittsverhandlungen informiert werden.

1.19.

Der EWSA ermuntert die Sozialpartner und andere Organisationen der Zivilgesellschaft in den Ländern des westlichen Balkans, im Prozess der Integration in die EU sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene eng zusammenzuarbeiten.

2.   Politische Lage

2.1.

Der Westbalkan ist nach wie vor eine von politischer Instabilität geprägte Region, doch ist er gleichzeitig auch eine Wachstumsregion mit beträchtlichem Entwicklungspotenzial.

2.2.

Der EWSA empfiehlt, dass die Kommission, der Rat und das Europäische Parlament ihre Öffentlichkeitsarbeit verstärken, um den Unionsbürgern die Vorteile und Herausforderungen der Erweiterungspolitik darzulegen, und dass sie dabei die Organisationen der Zivilgesellschaft als engen Partner und Übermittler von Botschaften betrachten (4).

2.3.

Es ist äußerst wichtig, dass die Integration der westlichen Balkanländer nicht nur während des bulgarischen Ratsvorsitzes, sondern auch darüber hinaus eine Priorität für die EU bleibt und diese aktiv zu Stabilität und Frieden auf dem Westbalkan beiträgt und diesem die Aussicht auf einen Beitritt zu den europäisch-atlantischen Organisationen bietet. Die Mitgliedschaft in diesen Organisationen kann durch die Gewährleistung von Sicherheit und Wohlstand ebenfalls zur Stabilität in der Region beitragen und Ländern die Chance bieten, sich in einem Europa ohne Grenzen wieder zu vereinen.

2.4.

Der EWSA begrüßt das angekündigte EU-Gipfeltreffen in Sofia mit führenden Persönlichkeiten der EU und der Westbalkanländer, vertritt jedoch die Ansicht, dass auch den Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen auf EU-Ebene dabei eine aktivere Rolle eingeräumt werden sollte.

2.5.

Der EWSA begrüßt die jüngst angekündigte Agenda für den „Berlin-Prozess Plus“ (5), in der Sonderfonds für den Aufbau der Wirtschaft, die berufliche Bildung, Infrastruktur und Technologie sowie für verschiedene Projekte wie etwa Verkehrsverbindungen zwischen den am schlechtesten vernetzten Ländern der Region vorgesehen sind. Dieser „Marshall-Plan“ für den Balkan soll eine Zollunion und einen gemeinsamen Markt in der Region vorantreiben. Jedoch sollte diese regionale Zusammenarbeit weder den Erweiterungsprozess hinauszögern noch als Ersatz dafür gelten.

2.6.

Der EWSA stellt fest, dass in den Westbalkanländern der Wunsch und die Bereitschaft zu Reformen besteht, die zur Integration in die Europäische Union führen könnten. Zugleich weist der Ausschuss jedoch darauf hin, dass sich der Erfolg eines solchen Vorhabens danach richtet, in welchem Umfang die staatlichen Institutionen entsprechende Reformen wirksam um- und durchsetzen können und inwieweit zivilgesellschaftliche Organisationen und die Allgemeinheit sich den Prozess zu eigen machen. Ein spezifischer Fahrplan für die EU-Beitrittsverhandlungen mit einem genauen Zeitplan und greifbaren Verpflichtungen für jedes Westbalkanland könnte diese Länder zu einer zügigeren Umsetzung der notwendigen Reformen motivieren.

2.7.

Der EWSA hebt seine sehr guten Beziehungen zu den Organisationen der Zivilgesellschaft im westlichen Balkan und seine gute Kenntnis der Lage in diesen Ländern hervor. Er ist überzeugt, dass gemischte beratende Ausschüsse (GBA) der Zivilgesellschaft „leere Nischen“ füllen könnten, die im Verhandlungsprozess nicht von anderen Gremien besetzt sind; sie könnten sich auf einige ausgewählte Bereiche konzentrieren. In diesem Zusammenhang dringt der EWSA auf einen besseren Informationsaustausch zwischen den GBA und der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament. Der EWSA plädiert für eine Stärkung der Rolle dieser GBA (6).

2.8.

Korruption, die Auswirkungen des organisierten Verbrechens, die generelle Schwäche der staatlichen Institutionen und des Rechtsstaats, bilaterale Konflikte sowie die Diskriminierung von Minderheiten stellen indes weitere schwerwiegende und anhaltende Probleme für die Teilhabe und die Integration dar.

2.9.

In den Kopenhagener Kriterien sind die Voraussetzungen für den Beitritt eines Landes zur Europäischen Union festgelegt (7). Ein Staat muss demnach über die nötigen Einrichtungen verfügen, um die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung sicherzustellen, er muss die Menschenrechte achten, über eine funktionierende Marktwirtschaft verfügen und bereit sein, die Verpflichtungen und Ziele der EU zu übernehmen.

2.10.

Der EU-Beitritt kann nicht für alle Westbalkanstaaten zur selben Zeit erfolgen. Der EWSA begrüßt, dass Serbien und Montenegro die derzeitigen Vorreiter im Integrationsprozess sind. Er erwartet zudem, dass die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und Albanien die Verhandlungen mit der EU zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufnehmen werden. Er begrüßt es, dass Bosnien und Herzegowina die Antworten auf den Fragebogen der Kommission vorgelegt hat und dass die Kommission derzeit die Möglichkeit prüft, dem Land den Status eines Bewerberlandes zu gewähren.

2.11.

Die Länder des Westbalkans kämpfen noch immer mit den Folgen von Kriegen und Konflikten, ethnischem Hass, irredentistischen Anschauungen und schwelenden Konflikten, die jederzeit wieder aufflammen könnten. Es ist notwendig, die Beilegung der dringendsten bilateralen Fragen vor einem EU-Beitritt nachdrücklich zu fördern, wobei es andererseits den Prozess verzögern könnte, wenn man auf der Lösung aller noch offenen Fragen bestünde.

2.12.

Außerdem ist der EWSA überzeugt davon, dass die Zivilgesellschaft hier einen wesentlichen Beitrag leisten kann, indem sie die jüngeren Generationen aus unterschiedlichen Ländern zusammenbringt und zum öffentlichen Dialog über eine Reihe von Fragen anregt, die für die Region von entscheidender Bedeutung sind. Die wirtschaftliche Entwicklung, die Anhebung des Lebensstandards, Arbeitsplätze und soziale Sicherheit sind dabei Faktoren, die eine friedliche Koexistenz auf regionaler Ebene fördern.

2.13.

Die Westbalkanländer könnten nationale Räte für europäische Integration einrichten, in denen hochrangige politische Entscheidungsträger und wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen regelmäßig zusammenkommen, um den Prozess der Integration in die EU transparenter und in der Öffentlichkeit bekannter zu machen (8).

2.14.

Der EWSA hat bereits die Rolle der Zivilgesellschaft im Beitrittsprozess beschrieben und dabei deutlich gemacht, dass das zivilgesellschaftliche Engagement im Beitrittsprozess besteht in (1) der unmittelbaren Einbindung in die eigentlichen Verhandlungen (d. h. Screening, Vorbereitung der nationalen Standpunkte, Beaufsichtigung der Fortschritte), (2) dem sozialen und zivilen Dialog im Zusammenhang mit der Politikgestaltung und der Angleichung der Rechtsvorschriften an den Besitzstand der Union, (3) der Beteiligung an der Programmplanung der Heranführungshilfen, (4) der unabhängigen Überwachung der Fortschritte und sozialen Auswirkungen der Reformprozesse. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erfordert eine angemessene finanzielle Unterstützung durch die nationalen Regierungen und die EU-Heranführungshilfen (9).

2.15.

Der EWSA weist darauf hin, dass das Interesse der EU an einer schnellen und effektiven Integration der Westbalkanländer in die EU zurückgegangen ist, weil sich die politischen Prioritäten verschoben haben und eine EU-Erweiterungsstrategie fehlt, aber auch aufgrund der unterschiedlichen politischen Haltungen der einzelnen Mitgliedstaaten. In den vergangenen Jahren haben enttäuschte Erwartungen die EU-Skepsis im Westbalkanraum ansteigen lassen. Dies hat die Wirkung der Beitrittskriterien geschwächt und die Reformen verlangsamt. Am deutlichsten tritt dies im Hinblick auf die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, der Medienfreiheit und der Korruptionsbekämpfung zutage.

2.16.

Die Reformen in den Ländern des Westbalkans gehen zwar voran, allerdings in sehr unterschiedlichem Tempo. Es muss deutlich mehr unternommen werden, um dem ungezügelten Ausmaß von Korruption, organisiertem Verbrechen und Geldwäsche Einhalt zu gebieten. Die Unabhängigkeit der Justiz ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung für eine gesunde Demokratie.

2.17.

Der EWSA hält eine entschiedenere Terrorismusbekämpfung in den Ländern des Westbalkans für erforderlich und unterstützt nachdrücklich die Initiative zur Bekämpfung des Terrorismus im Westbalkan (WBCTi) (10).

2.18.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Zusammenarbeit zwischen den Westbalkanländern und der EU und ihren einschlägigen Agenturen (wie z. B. Europol) weiter ausgebaut werden sollte, um den Erweiterungsprozess zu beschleunigen. Dieser Schritt ist besonders dringlich in Bereichen wie Sicherheit und Migration.

3.   Wirtschaftliche Stabilität und Wohlstand

3.1.

Die Volkswirtschaften im Westbalkan verzeichnen ein anhaltendes Wachstum. Für 2017 wurde mit einem Zuwachs des realen BIP in der Region um 2,6 % gerechnet. Dieser Wert dürfte 2018 auf 3,0 % ansteigen, angetrieben vom privaten Konsum und von privaten Investitionen sowie von einer allmählichen Erholung der Kreditvergabe, Heimatüberweisungen und großen Infrastrukturprojekten. Verglichen mit der Lage im Jahr 1995 ist der Lebensstandard in allen sechs Westbalkanländern deutlich gestiegen. Dennoch zählen diese sechs Länder nach wie vor zu den ärmsten Europas. Die wirtschaftliche Konvergenz der Westbalkanländer wurde zudem durch die Krise gebremst und ist schwächer als jene in den neuen mittel- und südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten.

3.2.

Die wirtschaftliche Annäherung in den Westbalkanstaaten ist ein sehr langwieriges Unterfangen. Daher muss dringend ein Umfeld geschaffen werden, das ausländische Investitionen ermöglicht bzw. beschleunigt, und es müssen geeignete Wirtschaftsreformen eingeleitet, die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert und gute Arbeitsplätze geschaffen werden.

3.3.

Der EWSA begrüßt die Fortschritte bei der wirtschaftlichen Integration des Westbalkans im Zusammenhang mit der Zusage der Staats- und Regierungschefs der Region, ihre Beziehungen zu vertiefen und gemeinsam auf einen Beitritt zur Europäischen Union hinzuarbeiten, und fordert eine bessere Einbindung der Sozialpartner und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung von Wirtschaftsreformprogrammen wie auch gemeinsamer Schlussfolgerungen mit spezifischen Empfehlungen für jedes Land in der Region (11).

3.4.

Der EWSA ist der Überzeugung, dass den Bewerberländern stärkere Anreize zu Reformen geboten werden müssen. Insbesondere muss eine engere regionale Zusammenarbeit gefördert werden, um den Ländern die Erfüllung der EU-Beitrittskriterien zu erleichtern.

3.5.

Der EWSA hält es für erforderlich, neue ausländische Direktinvestitionen verstärkt in das verarbeitende Gewerbe zu lenken, indem örtliche Lieferketten unterstützt und die Kompetenzen und die technische Kapazität von KMU verbessert werden.

3.6.

Energie und Verkehr sollten als Vektoren für die Entwicklung und den Verbund der Region aufgefasst werden. Dies würde helfen, den Bürgern der Westbalkanländer eine klare Vorstellung von den sozialen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Vorteilen eines EU-Beitritts zu vermitteln. So geben zum Beispiel Energieeffizienz und Energieeinsparungen Impulse für neue Unternehmenstätigkeiten und tragen zur Schaffung „grüner“ wie auch herkömmlicher Arbeitsplätze bei.

3.7.

Der EWSA unterstützt den Vertrag über eine Verkehrsgemeinschaft, der am 12. Juli 2017 von der EU und den Westlbalkanländern unterzeichnet wurde, und ruft die Parteien auf, ihn weiter auszugestalten. In diesem Zusammenhang sollten die Europäische Kommission, die Europäische Investitionsbank und die Länder des Westbalkans ihre Investitionen auf den Anschluss der Westbalkan-Infrastruktur an das TEN-V-Kernnetz der EU konzentrieren. Ein gemeinsames Programm, in dem die verfügbaren Mittel festgestellt werden und ein gemeinsamer Plan festgelegt wird, ist daher erforderlich.

3.8.

Eine verbesserte Infrastruktur wird zur Senkung der Transport- und Energiekosten beitragen und große Investitionen in der Region reizvoller machen. Darüber hinaus wird die Förderung des Digitalausbaus in den Westbalkanstaaten zur Entwicklung von Unternehmen, zur Steigerung der Produktivität und zu Verbesserungen der Lebensqualität beitragen.

3.9.

Des Weiteren ist der EWSA überzeugt, dass komplementäre Ansätze neben der traditionellen Wirtschaftspolitik (Kreislaufwirtschaft, Sozialwirtschaft, Einbeziehung der Nachhaltigkeitsziele) allgemein Wachstum und Beschäftigung sichern können.

3.10.

Der EWSA stellt fest, dass dem Staat in allen Ländern des Westbalkans noch immer eine überdimensionierte Rolle zukommt, während der Privatsektor in der Region kleiner ist als in den sieben kleinen Transformationsländern Europas (12).

3.11.

Der EWSA hält es für erforderlich, dass der Staat öffentliche Dienste effizienter und zuverlässiger bereitstellt und ein für private Unternehmen förderliches Umfeld schafft.

3.12.

Der EWSA meint, dass kleine und mittelständische Unternehmen, die das Gros der Unternehmen ausmachen, sich in allen sechs Westbalkanländern zum Motor des Wirtschaftswachstums entwickeln könnten. Damit das geschieht, bedarf es eines Bürokratieabbaus, mehr Transparenz in der öffentlichen Verwaltung, einer Bekämpfung der Korruption und einer wirklich unabhängigen Justiz.

3.13.

Der EWSA unterstützt die Schlussfolgerungen des sechsten Forums der Zivilgesellschaft des Westbalkans und äußert seine tiefe Sorge angesichts enger werdender Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft in immer mehr Ländern des Westbalkans. Er hält fest, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, der Zivilgesellschaft mehr Handlungsspielräume zu verschaffen und den Kapazitätsaufbau zivilgesellschaftlicher Organisationen stärker zu unterstützen, um deren Stimme im Entwicklungsprozess mehr Gewicht zu verleihen und den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Dialog voranzubringen.

3.14.

Der EWSA unterstreicht, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft in die Reformprozesse in Wirtschaft, Gesellschaft, Verwaltung und Gesetzgebung in allen Westbalkanländern signifikant eingebunden werden müssen. Es ist nötig, ihre Kapazitäten durch technische und finanzielle Hilfe zu stärken, indem sie einen leichteren Zugang zu EU-Finanzierungsquellen erhalten und zeitgerecht über den Beitrittsprozess informiert werden.

4.   Soziale Stabilität — Arbeitslosigkeit — Auswanderung

4.1.

Seit der Wirtschaftskrise hat sich die Einkommens- und insbesondere die soziale Konvergenz zwischen den ärmeren und den wohlhabenderen EU-Ländern verlangsamt, in manchen Fällen ist sie sogar rückläufig. Dadurch werden auch die Ziele der EU selbst untergraben, und die Attraktivität der Union für künftige Mitglieder wird infrage gestellt. Armut, hohe Arbeitslosigkeit, Schattenwirtschaft, niedrige Löhne, Korruption, Amtsmissbrauch, Abwanderung von Fachkräften, Diskriminierung von Minderheiten und Braindrain sind Faktoren, mit denen alle Westbalkanländer zu kämpfen haben.

4.2.

Obwohl in den Ländern des Westbalkans eine Konvergenz hin zum Niveau der EU-28 festzustellen ist, kommen sie dabei nur langsam voran und hinken im Vergleich zum EU-Raum hinterher. Bis zu einer vollständige Konvergenz mit dem Lebensstandard der EU können den verfügbaren Daten zufolge bis zu 40 Jahre vergehen.

4.3.

Eine Lohnkonvergenz hat in den Westbalkanländern noch nicht stattgefunden. In manchen Ländern hat sich das Lohngefälle zur EU sogar verschärft, was sich spürbar auf die wirtschaftliche und soziale Sicherheit der Menschen in den Westbalkanländern auswirkt. Die meisten Länder des Westbalkans haben seit der Krise keinen Reallohnanstieg mehr verzeichnet. In allen Westbalkanstaaten sind zwar gesetzliche Mindestlöhne festgesetzt, jedoch sind diese in vielen Fällen nicht ausreichend, um das Existenzminimum einer Familie zu decken.

4.4.

Der EWSA stellt weiter fest, dass die Arbeitsmigration aus allen sechs Westbalkanländern aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit ein bestimmendes Thema bleibt. Nach Schätzungen ist bisher rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung aller sechs Westbalkanstaaten ins Ausland abgewandert. Auch wenn Heimatüberweisungen von Arbeitsmigranten eine wichtige Einkommensquelle sind und kurzfristig die heimische Wirtschaft stützen, haben die massive Migration und der Bevölkerungsschwund schwerwiegende langfristige Konsequenzen für die wirtschaftlichen Entwicklungsaussichten dieser Länder (13).

4.5.

Mit Ausnahme von Montenegro waren im Westbalkanraum geringqualifizierte junge Menschen und Frauen vom Rückgang des Beschäftigungsniveaus am stärksten betroffen. Entscheidend ist hierbei auch, dass 2015 in allen sechs Westbalkanländern über 70 % der Arbeitslosen im Durchschnitt mehr als ein Jahr lang ohne Arbeit waren (14).

4.6.

Nach Überzeugung des EWSA sollten die EU und die Westbalkanländer der Lebensqualität und der sozialen Sicherheit der Bürger dieser Länder mehr Beachtung schenken. Der EWSA regt an, die Möglichkeit zu erwägen, bei der Beurteilung der Erfüllung der Bedingungen für die EU-Mitgliedschaft die Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte anzuwenden. Die Kommission könnte auch spezielle Programme entwickeln, die dafür sorgen, dass die Länder des westlichen Balkans schneller soziale Konvergenz erreichen.

4.7.

Der EWSA geht zudem davon aus, dass in allen sechs Westbalkanländern die Wettbewerbsfähigkeit weiter gesteigert und Strukturreformen vorangetrieben werden müssen, um den Arbeitsmarkt zu stärken und die Abwanderung einzudämmen. Die Organisationen der Zivilgesellschaft sollten ernsthaft in die Ausarbeitung von Strukturreformen eingebunden werden (15).

4.8.

Der EWSA betont, dass die Arbeitsmarkttrends in der Region auf hohe Nichterwerbsquoten von Frauen hindeuten, und fordert die Regierungen auf, dafür zu sorgen, dass höhere Beschäftigungsraten für Frauen erreicht werden. Darüber hinaus fordert der EWSA die Kommission auf, die Gleichstellung von Frauen und Männern in den EU-Beitrittsverhandlungen mit den Ländern des Westbalkans unter den höchsten Prioritäten einzustufen.

4.9.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Achtung der Rechte und der Kultur von Minderheiten grundlegend für die Entwicklung einer demokratischen Zivilgesellschaft in allen Westbalkanländern ist.

4.10.

Als eminent wichtig sieht der EWSA die Rolle der Bildung, einschließlich des gleichberechtigten Zugangs zu Bildungssystemen, in allen Westbalkanländern für die Förderung der europäischen Werte und der Toleranz gegenüber Minderheiten, die Bekämpfung von Vorurteilen und die Stärkung des sozialen Zusammenhalts.

4.11.

Der EWSA ist ferner der Auffassung, dass eine „Agenda des sozialen Zusammenhalts“ nötig ist, um durch die Verbesserung der Wirksamkeit und Effizienz der Bildungssysteme Qualifikationsdefizite und Fehlqualifizierungen zu beseitigen. Eine stärkere finanzielle Unterstützung von Berufsbildungsprogrammen würde helfen, das Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu beheben und die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen.

4.12.

Der EWSA begrüßt Initiativen — sei es vonseiten staatlicher Bildungs- und Kultureinrichtungen, von Hochschulen oder von Organisationen der Zivilgesellschaft —, die auf Aussöhnung, gutnachbarschaftliche Beziehungen und eine kritische Haltung gegenüber der Vergangenheit gerichtet sind.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Die Grundprinzipien der EU-Strategie für den Westbalkan wurden von der Kommission am 6. Februar 2018 in ihrer Mitteilung „Eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive für und ein verstärktes Engagement der EU gegenüber dem westlichen Balkan“ (COM(2018) 65 final) dargelegt.

(2)  Gemäß der im EWSA gebräuchlichen Terminologie schließen die Begriffe „Zivilgesellschaft“ und „Organisationen der Zivilgesellschaft“ in dieser Stellungnahme die Sozialpartner (d. h. Arbeitgeber und Gewerkschaften) und andere nichtstaatliche Akteure ein.

(3)  COM(2018) 65 final vom 6.2.2018.

(4)  ABl. C 133 vom 14.4 2016, S. 31.

(5)  http://shtetiweb.org/berlin-process/.

(6)  ABl. C 133 vom 14.4 2016, S. 31.

(7)  https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/policy/glossary/terms/accession-criteria_en.

(8)  ABl. C 133 vom 14.4 2016, S. 31.

(9)  ABl. C 133 vom 14.4 2016, S. 31.

(10)  http://wbcti.wb-iisg.com/, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/ipa_ii_2016_039-858.13_mc_pcve.pdf.

(11)  Abschlusserklärung des sechsten Forums der Zivilgesellschaft des Westbalkans.

(12)  Weltbankgruppe, The Western Balkans: Revving up the Engines of Growth and Prosperity (Westbalkan: Impulse für Wirtschafts- und Wohlstandswachstum), 2017.

(13)  Die Arbeitslosigkeit im Westbalkanraum liegt deutlich über dem Durchschnitt der EU-28, wobei sich die Lage in den vergangenen Jahren etwas verbessert hat. Insbesondere in Bosnien und Herzegowina, in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien sowie in Montenegro herrscht eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Serbien schneidet in der Region nach den jüngsten Verbesserungen mit einer Arbeitslosenquote von derzeit 13,5 % zwar am besten ab, doch selbst diese Zahl ist im Vergleich zu den Mitgliedstaaten der EU noch deutlich zu hoch. Ungeachtet der erschreckend hohen Arbeitslosigkeit entstanden in den zwölf Monaten bis einschließlich Juni 2017 rund 230 000 Arbeitsplätze (3,8 % Zuwachs), mehr als die Hälfte davon im Privatsektor. Die Beschäftigung erreichte damit (bezogen auf die Arbeitsplätze, nicht aber auf die Arbeitsstunden) in allen Westbalkanländern mit Ausnahme von Bosnien und Herzegowina wieder das Niveau von vor 2008. — Weltbankgruppe, Western Balkans Regular Economic Report (Regelmäßiger Bericht über die Wirtschaft des Westbalkans), Ausgabe 12, Herbst 2017.

(14)  Weltbankgruppe, Western Balkans Labor Market Trends 2017 (Arbeitsmarktentwicklungen im Westbalkan 2017).

(15)  Entsprechend der Stellungnahme des EWSA zu der „Erweiterungsstrategie der EU“ (ABl. C 133 vom 14.4 2016, S. 31) und der Abschlusserklärung des sechsten, vom EWSA mitveranstalteten Forums der Zivilgesellschaft des Westbalkans am 10./11. Juli 2017 in Sarajewo.


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Vollendung der Agenda für bessere Rechtsetzung: bessere Lösungen für bessere Ergebnisse“

(COM(2017) 651 final)

(Initiativstellungnahme)

(2018/C 262/04)

Berichterstatter:

Bernd DITTMANN

Beschluss des Plenums

15.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

9.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

185/0/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Ansicht, dass die Agenda für bessere Rechtsetzung ein ständiges Programm werden sollte, in dessen Rahmen Rechtsvorschriften der Union von hoher Qualität verabschiedet werden, ohne dabei die wichtigsten politischen Ziele zu unterminieren oder Druck im Sinne einer Deregulierung zu erzeugen. Sie sollte von der neuen Kommission nach 2019 fortgeführt; weiterentwickelt und verbessert werden.

1.2.

Der EWSA fordert die Kommission auf, einen detaillierten Fahrplan für die bevorstehende Bewertung der Initiative Bessere Rechtsetzung vorzulegen und zu erläutern, welche Form der Einbindung des EWSA und der Interessenträger geplant ist.

2.   Die Mitteilung der Kommission zum Thema „Bessere Rechtsetzung“

2.1.

Am 24. Oktober 2017 veröffentlichte die Kommission ihre Mitteilung Vollendung der Agenda für bessere Rechtsetzung: bessere Lösungen für bessere Ergebnisse (1) (nachstehend „die Mitteilung“).

2.2.

In dieser Mitteilung zieht die Kommission eine Bilanz der Fortschritte bei der Umsetzung der Agenda für bessere Rechtsetzung (im Folgenden die „Agenda“) seit deren Annahme im Mai 2015.

2.3.

Im Jahr 2018 wird die Kommission das System der besseren Rechtsetzung en bloc prüfen. Die vorliegende Stellungnahme ist eine Reaktion auf die Mitteilung sowie ein Beitrag zu den Vorbereitungen auf diese kommende Überprüfung.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt das fortgesetzte Engagement der Kommission für eine bessere Rechtsetzung und die laufenden Bemühungen zur Umsetzung der Ziele der Agenda vom Mai 2015, wie sie in der Mitteilung dargelegt sind. Die bessere Rechtsetzung ist ein Prozess, der laufend verbessert wird und das Engagement und die Mitwirkung aller beteiligten Akteure erfordert.

3.2.

Eine bessere Rechtsetzung sollte u. a. dazu beitragen, eine verantwortungsbewusste, partizipative und transparente Politikgestaltung zu erreichen, die einfache, klare, kohärente und leicht umsetzbare Vorschriften produziert, die ihren Zweck erfüllen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die EU und ihre Institutionen zu bewahren. Sie sollte dazu beitragen, wirksame und kohärente Regulierungsrahmen zu schaffen, damit Innovation und nachhaltiges Wachstum ermöglicht sowie die Vollendung und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts gefördert werden können.

3.3.

Bessere Rechtsetzung sollte nicht zu einer übermäßigen Bürokratisierung der politischen Entscheidungsprozesse der EU führen. Politische Entscheidungen dürfen nicht durch technische Verfahren ersetzt werden.

3.4.

In einer früheren Stellungnahme (2) betonte der EWSA, dass es bei der „besseren Rechtsetzung (BR) nicht um ein ‚Mehr‘ oder ‚Weniger‘ an Regulierung in der EU gehen soll(e), oder darum, bestimmte Politikbereiche zu deregulieren oder gegenüber anderen Prioritäten zurückzustellen und damit die Werte in Frage zu stellen, für die die EU steht: sozialer Schutz, Umweltschutz und Grundrechte (3). BR ist in erster Linie ein Hilfsmittel, mit dem sichergestellt werden soll, dass politische Ziele auf einer evidenzbasierten Grundlage im Lichte der vorgenannten Werte effektiv verwirklicht werden, ohne dass Umwelt- oder Verbraucherrechte oder soziale Standards eingeschränkt werden oder durch die Einrichtung von Gremien eine Kompetenzverschiebung im Institutionengefüge bewirkt wird. BR kann und darf politische Entscheidungen nicht substituieren.“

3.5.

Der EWSA würdigt die bislang erzielten Fortschritte bei der Umsetzung der Agenda. Er begrüßt insbesondere den systematischeren Einsatz von Folgenabschätzungen und nachträglichen Bewertungen; die systematischere Anhörung der Interessenträger; die überarbeiteten Leitlinien und das Instrumentarium für eine bessere Rechtsetzung; das REFIT-Programm und die REFIT-Plattform sowie die Einsetzung des Ausschusses für Regulierungskontrolle (RSB).

3.6.

Der EWSA bringt sich aktiv in die Bemühungen um eine bessere Rechtsetzung ein, insbesondere durch seine Beteiligung an der REFIT-Plattform und die Erstellung von Ex-post-Bewertungen. Er verweist auf seine zahlreichen Stellungnahmen in diesem Zusammenhang (4). Der EWSA wird jedoch weder in der Agenda noch in der Mitteilung erwähnt. Der EWSA ist auch nicht Vertragspartei der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung. Dies zeigt, dass die Kommission und die Gesetzgeber der Rolle und der Funktion des EWSA, wie sie in den Verträgen verankert sind, sowie dem Wissen und der Sachkenntnis seiner Mitglieder und der Zivilgesellschaft, die sie vertreten, weiterhin nur unzureichend Rechnung tragen.

3.7.

Für eine Teilnahme am Programm für bessere Rechtsetzung und seinen jeweiligen Instrumenten und Verfahren sind finanzielle und personelle Ressourcen erforderlich, über die nicht alle Organisationen der Zivilgesellschaft verfügen (z. B. Generierung von Daten, Teilnahme an öffentlichen Konsultationen usw.). Das Gleiche gilt für kleine Unternehmen. Der EWSA fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass das Programm „Bessere Rechtsetzung“ nach wie vor für alle Einrichtungen und Interessen offen und zugänglich bleibt, unabhängig von ihrer Größe und ihren finanziellen und personellen Ressourcen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist das institutionelle Sprachrohr der organisierten Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene und dient als Mittler zwischen den beiden gesetzgebenden Organen der EU und den Organisationen der Zivilgesellschaft und den Sozialpartnern. Der EWSA hat umfassende Erfahrung und Fachkenntnisse in Bezug auf alle Fragen, die im Zusammenhang mit dem Thema Bessere Rechtsetzung stehen. Er möchte die Kommission an dieser Stelle an einige spezifische Empfehlungen zu Aspekten erinnern, die Gegenstand der Mitteilung sind, sowie an weitere Aspekte, die seines Erachtens hervorgehoben werden müssen.

4.2.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mitteilung einen guten allgemeinen Überblick über die Fortschritte gibt, die bei der Umsetzung der Agenda für eine bessere Rechtsetzung in den einzelnen Bereichen erzielt wurden. Die Kommission bleibt jedoch in ihrer Mitteilung zu vage zu den genauen Maßnahmen, die sie ergreifen will, um das Programm „Bessere Rechtsetzung“ weiter zu entwickeln. Darüber hinaus wird in der Mitteilung auch nicht darauf eingegangen, wie die 2018 anstehende Bewertung des Programms für eine bessere Rechtsetzung aussehen soll, welches die wichtigsten Schwerpunktbereiche sind und welche Form der Beteiligung des EWSA sowie der Interessenträger geplant ist.

4.3.   Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität

4.3.1.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission den Schwerpunkt auf die wichtigsten Prioritäten legt und „Großes bei den großen Themen leisten“ will. Er weist erneut darauf hin, dass die EU nur dann tätig werden sollte, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Subsidiaritätsprinzip eingehalten werden und wenn gemeinsame Maßnahmen einen Mehrwert für alle bedeuten.

4.3.2.

In seiner Stellungnahme zum Thema (5) spricht sich der EWSA „für eine Klarstellung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus, die bisweilen von den Gegnern von Rechtsetzungsinitiativen ohne fundierte Begründung ins Feld geführt werden.“

4.3.3.

Der EWSA nimmt die Einsetzung einer Taskforce für Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (6) zur Kenntnis. Er fordert die Taskforce auf, die Stellungnahmen und Empfehlungen des EWSA zu diesem Thema umfassend zu berücksichtigen.

4.3.4.

Der EWSA fordert eine bessere Kontrolle der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit und eine stärkere Beteiligung der Mitgliedstaaten und ihrer Parlamente an den Ex-post-Bewertungen.

4.3.5.

Der EWSA fordert die Kommission auf, quer durch alle Dienststellen (horizontal und vertikal) mehr für das Instrument Nr. 5 des Instrumentariums für eine bessere Rechtsetzung („Rechtsgrundlage, Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität“) zu werben, damit dieses Instrument bei der Erstellung von Folgenabschätzungen verstärkt zum Einsatz kommt.

4.4.   Folgenabschätzungen

4.4.1.

Der EWSA verweist auf die Empfehlungen aus seiner Stellungnahme (7) zu der Frage, wie das europäische „Ökosystem“ für die Folgenabschätzung zu verbessern ist.

4.4.2.

Folgenabschätzungen sollten ein Teil des regulären Verfahrens für jeden neuen Legislativvorschlag sein, einschließlich der einschlägigen delegierten Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte. Bei Vorschlägen, die nicht mit einer Folgenabschätzung vorgelegt werden, sollte die Kommission detailliert die Gründe dafür erläutern und alle Daten und Belege beibringen, die ihren Vorschlag bedingt haben bzw. untermauern.

4.4.3.

In den Leitlinien für eine bessere Rechtsetzung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Folgenabschätzungen für Legislativvorschläge wie auch für delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte durchgeführt werden können und müssen. Wir fordern daher die Kommission auf, eingehender und mit größerer Transparenz gegenüber den Interessenträgern und dem EWSA die Notwendigkeit der Durchführung einer Folgenabschätzung zu diesen Rechtsakten zu bewerten. Die Tatsache, dass eine Folgenabschätzung zu dem Rechtsakt durchgeführt wurde, auf dem die delegierten Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte basieren, reicht nicht aus als Begründung, dass zu den abgeleiteten Rechtsakten keine Folgenabschätzung notwendig sei. Einzelne Rechtsakte müssen auf ihre eigenen Qualitäten hin bewertet werden, insbesondere da delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte entscheidende Auswirkungen auf einzelne Interessenträger wie auch auf die Zivilgesellschaft als Ganzes haben können.

4.4.4.

Die Leitlinien für eine bessere Rechtsetzung und das Instrumentarium (8) sind der zentrale Leitfaden für die Dienststellen der Kommission bei der Durchführung von Folgenabschätzungen. Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass die Leitlinien und das Instrumentarium vorrangig für die spezifische Verwendung durch Dienststellen der EU entwickelt werden und dass deren Spezifikationen die Beteiligten darin hindern zu verstehen, wie die für die Folgenabschätzung erforderlichen Instrumente richtig einzusetzen sind. Daher fordert der EWSA die Kommission auf, diese Instrumente einer breiteren Öffentlichkeit mit einer funktionsfähigen Version zugänglich zu machen.

4.4.5.

Der EWSA beobachtet jedoch einen Mangel an Übereinstimmung mit diesen Leitlinien, was zu mangelhaften Folgenabschätzungen führt. Dies wurde im Jahresbericht 2016 des Ausschusses für Regulierungskontrolle (RSB) (9) bestätigt und hinreichend begründet. Der EWSA fordert daher die Kommission auf, die Grundsätze der besseren Rechtsetzung in ihren Dienststellen stärker durchzusetzen, z. B. über obligatorische regelmäßige Schulungsprogramme für das Personal.

4.4.6.

Der Ausschuss für Regulierungskontrolle zeigt in seinem Jahresbericht 2016, dass die Dienststellen der Kommission die Empfehlungen des Ausschusses nach einer zunächst ablehnenden Stellungnahme nur teilweise umsetzen. Der EWSA schlägt daher vor, dass der RSB ein Vetorecht mit aufschiebender Wirkung in den Fällen erhält, in denen er eine doppelt ablehnende Stellungnahme abgibt, damit die Dienststelle der Kommission gezwungen wird, ihre Folgenabschätzung zu überarbeiten, bis die erforderlichen Qualitätsanforderungen erfüllt sind. Der RSB sollte nicht das Recht haben, gegen politische Entscheidungen ein Veto einzulegen.

4.4.7.

Der EWSA unterstützt den Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ und fordert die Kommission auf, den Schwerpunkt in ihren Folgenabschätzungen verstärkt auf die KMU, einschließlich der Kleinstunternehmen und sehr kleinen Unternehmen, zu legen.

4.5.   Transparenz, Legitimität und Rechenschaftspflicht

4.5.1.

Mit Blick auf das Transparenz-Register begrüßt der EWSA den Vorschlag der Kommission von 2016, eine rechtlich bindende Interinstitutionelle Vereinbarung für ein verbindliches Transparenzregister zu schließen, die für Kommission und Parlament und auch für den Rat gelten würde.

4.5.2.

Der EWSA begrüßt, dass die öffentliche Konsultation für wichtige Initiativen nunmehr in allen Amtssprachen verfügbar sein wird, während alle anderen Konsultationen mindestens in deutscher, englischer und französischer Sprache stattfinden werden. Der EWSA erinnert die Kommission an die Notwendigkeit, Übersetzungen der Zusammenfassung der Folgenabschätzung in allen Amtssprachen zur Verfügung zu stellen (10).

4.5.3.

Zur Mitwirkung der Interessenträger verweist der EWSA auf seine Stellungnahme (11) und auf die Stellungnahme der REFIT-Plattform (12), zu deren Erarbeitung die Vertreter des EWSA in der REFIT-Plattform beigetragen haben. Der EWSA begrüßt die von der Kommission unternommenen Anstrengungen zur Verbesserung ihrer Verfahren zur Anhörung der Interessenträger, hält jedoch zusätzliche Anstrengungen für erforderlich, um die Beteiligung, Transparenz und Rechenschaftspflicht zu erhöhen und die Wirksamkeit und Kohärenz dieser Konsultationen zu verbessern. Zu diesem Zweck ersucht der EWSA die Kommission, die in den beiden oben genannten Stellungnahmen dargelegten Empfehlungen zu prüfen und in vollem Umfange umzusetzen.

4.5.4.

Dank seiner repräsentativen Funktion kann der EWSA gut an der Ermittlung der Interessengruppen mitwirken, die am stärksten von vorgeschlagenen politischen Maßnahmen betroffen sind, und er kann dazu beitragen, Erfahrungen mit bereits bestehenden Rechtsvorschriften zusammenzutragen. Die Kommission sollte den EWSA stärker einbeziehen, wenn sie Konsultationsstrategien entwickelt und die relevanten Zielgruppen ermittelt, sowohl vor als auch nach den Anhörungen.

4.6.   Vereinfachung der Vorschriften und Einsparung unnötiger Kosten

4.6.1.

In seiner Stellungnahme (13) erinnert der EWSA daran, dass „die Rechtsvorschriften der EU ein wesentlicher Integrationsfaktor sind und keine Belastung oder zu verringernde Kosten darstellen. Wenn die Rechtsvorschriften verhältnismäßig sind, dann sind sie vielmehr ein Garant des Schutzes, der Förderung und der Rechtssicherheit, die für sämtliche Akteure und europäische Bürger wichtig sind.“

4.6.2.

Gleichzeitig erklärt der EWSA in seiner Stellungnahme (14): „Unnötige Regulierungskosten sind zu vermeiden. Die Regulierungskosten müssen in einem angemessenen Verhältnis zum entstehenden Nutzen stehen.“

4.6.3.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich den „Grundsatz der vorherigen Bewertung“. Wie bereits in seiner Stellungnahme ausgeführt (15), kann der EWSA „eine nützliche Rolle als Mittler zwischen den Gesetzgebern und den Nutzern der EU-Gesetzgebung spielen. Der EWSA passt seine Arbeitsmethoden im Hinblick auf die Bewertung der Qualität der Anwendung des Rechts der EU laufend an. So hat er vor Kurzem beschlossen, sich aktiv an der Bewertung des Gesetzgebungsverfahrens zu beteiligen, indem er seine eigenen Ex-post-Bewertungen des Besitzstands der Union durchführt.“

4.6.4.

Der EWSA spricht sich in seiner Stellungnahme (16)„für einen qualitativen Ansatz aus, der gleichrangig neben der quantitativen Analyse steht und durch den die zu erwartenden Vorteile der Rechtsvorschriften berücksichtigt werden.“ Neben den Regulierungskosten sollte die Kommission in ihren Folgenabschätzungen auch den regulatorischen Nutzen, gegebenenfalls einschließlich der Nettovorteile, beziffern und systematischer berücksichtigen.

4.6.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass bestimmte Kosten unvermeidbar sind, um politische Ziele zu erreichen. Die Kosten sollten nur dann verringert werden, wenn nachgewiesen wird, dass sie nicht notwendigerweise der Erreichung des verfolgten politischen Ziels dienen. Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Senkung unnötiger Kosten auf der Grundlage der bei einer Einzelfallbewertung gewonnenen Erkenntnisse vorgenommen und nicht auf einfache numerische Ziele abstellen sollte, so dass die angestrebten Ziele der Rechtsvorschriften vollständig beibehalten werden.

4.6.6.

Zum Thema REFIT verweist der EWSA auf seine einschlägigen Stellungnahmen (17). Der EWSA beteiligt sich an REFIT durch seine Mitgliedschaft in der REFIT-Plattform mit drei Mitgliedern aus seinen drei Gruppen, die nach dem Rotationsprinzip an den Sitzungen der Plattform teilnehmen. Die Mitglieder arbeiten eng zusammen, um die politischen Prioritäten des EWSA zu ermitteln und gemeinsame Standpunkte für die Sitzungen der Plattform auf der Grundlage der vereinbarten Positionen zu erarbeiten, die in früheren Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht wurden.

4.6.7.

Der EWSA weist erneut darauf hin, dass der Schwerpunkt der Arbeit der REFIT-Plattform nachträgliche Bewertungen sind. Die Plattform hat die Aufgabe, Vorschläge zu prüfen, die über das Internetportal Bürokratieabbau („Lighten the Load“) eingebracht werden, und Vorschläge zur Vereinfachung der bereits bestehenden EU-Rechtsvorschriften zu entwickeln. Die Plattform sollte nicht dazu benutzt werden, neue Rechtsvorschriften vorzuschlagen.

4.6.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass die besonderen Interessen der KMU nicht ausdrücklich in der REFIT-Plattform vertreten sind. Er fordert daher die Kommission auf, einen geeigneten Vertreter zur Teilnahme an der Gruppe der Interessenträger in der REFIT-Plattform einzuladen.

4.7.   Bewertung alternativer Ansätze für Vereinfachung und Kostensenkung

4.7.1.

Mit Blick auf die Festlegung von Zielen für die Verringerung der Verwaltungslasten im Bereich bessere Rechtsetzung ist der EWSA der Auffassung, dass die Ziele zur Reduzierung des Verwaltungsaufwands im Rahmen des Programms REFIT nachträglich und auf der Grundlage einer umfassenden Bewertung unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und des Dialogs mit den Interessenträgern festgelegt werden sollten.

4.7.2.

In Anbetracht der Schwierigkeiten bei der Erlangung der notwendigen Daten für wissenschaftlich fundierte Berechnungen der Ausgangsbasis für die Ex-ante-Festlegung der Ziele zur Reduzierung des Verwaltungsaufwands spricht sich der EWSA gegen die Festsetzung entsprechender Zielvorgaben aus — diese sollten weder für einzelne Branchen noch für die Wirtschaft insgesamt gelten. Das Gleiche gilt für politisch festgelegte numerische Zielvorgaben wie den Grundsatz, für jede neue gesetzliche Regelung die bis dato geltende Vorschrift aufzuheben („one-in/one-out“).

4.8.   Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts

4.8.1.

Zur Durchführung und Durchsetzung des Unionsrechts verweist der EWSA auf seine zahlreichen Stellungnahmen (18).

4.8.2.

Die Anwendbarkeit des Unionsrechts muss bereits frühzeitig im Prozess der Politikgestaltung Teil der Folgenabschätzungen sein. Der EWSA fordert die Kommissiondienststellen auf, sich strikt an die Leitlinien für die Folgenabschätzung im Kapitel IV des „Instrumentariums für eine bessere Rechtsetzung“ („Durchführung, Umsetzung und Ausarbeitung von Vorschlägen“) zu halten. Besonderes Augenmerk sollte auf die Besonderheiten der verschiedenen nationalen politischen und rechtlichen Systeme gelegt werden, sowie auf die unterschiedlichen Ressourcen und Fähigkeiten der Mitgliedstaaten, das EU-Recht umzusetzen und durchzuführen.

4.8.3.

Verwaltungsaufwand entsteht hauptsächlich auf nationaler Ebene bei der Umsetzung und Anwendung von EU-Recht durch die Behörden der Mitgliedstaaten (Überregulierung). In seinen Stellungnahmen (19) hat der EWSA erklärt, dass die meisten Fälle, in denen Unionsrecht nicht ordnungsgemäß angewandt bzw. umgesetzt wird, aus Mängeln bei der Umsetzung der Richtlinien herrühren. Der EWSA befürwortet daher einen Rückgriff auf Verordnungen anstelle von Richtlinien, um EU-weit uneinheitliche Regelungen zu vermeiden (20). Das derzeit bestehende Schutzniveau für Bürger, Verbraucher und Arbeitnehmer sowie die Umwelt darf jedoch in keinem Mitgliedstaat abgesenkt werden.

4.8.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass eine ordnungsgemäße Umsetzung des EU-Rechts das Ergebnis gemeinsamer und koordinierte Anstrengungen seitens der Hauptakteure sein muss, d. h. der Kommission, des Europäischen Parlaments, des Rates und der Mitgliedstaaten, wobei die regionale und lokale Ebene sowie die Zivilgesellschaft und die Interessenträger so weit wie möglich einzubeziehen sind. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Kommission bei der Koordinierung dieser Bemühungen führend sein sollte, um, wie er in seiner Stellungnahme (21) erklärt hat, „das Vertrauen zwischen den für die Durchsetzung des EU-Rechts zuständigen Behörden zu fördern und die Netze der einzelstaatlichen Behörden, die systematische Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit und damit die Ermittlung und Verbreitung bewährter Verfahrensweisen zu unterstützen.“

4.8.5.

Die Kommission schlägt in ihrer Mitteilung eine Reihe von Maßnahmen für eine bessere Umsetzung der Rechtsvorschriften der Union vor. Dazu zählen die Schaffung eines systematischeren Ansatzes zur Überwachung und Evaluierung der Leistungsfähigkeit bestehender Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung; die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei ihren Umsetzungsplänen; sowie die Erstellung von Länderberichten, in denen die Stärken und Schwachpunkte der einzelnen Staaten bei der Umsetzung aufgezeigt werden. Der EWSA begrüßt die besondere Beachtung dieses Problems durch die Kommission wie auch die vorgeschlagenen Maßnahmen, hält es jedoch für bedauerlich, dass offenbar bei keiner Maßnahme eine Einbeziehung des EWSA erwogen wird.

4.8.6.

Wie in seiner Stellungnahme gefordert (22), möchte der EWSA bei der Umsetzung bestimmter Richtlinien „einen spezifischen Beitrag zu dem Initiativbericht des Europäischen Parlaments über den Jahresbericht zu der Umsetzung der EU-Gesetzgebung durch die Mitgliedstaaten leisten, indem er auf die Hinzufügungen der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung hinweist.“

4.8.7.

Und schließlich begrüßt der EWSA den strategischen Ansatz für das Vorgehen gegen Vertragsverletzungen, den die Kommission in ihrer Mitteilung „EU-Recht: Bessere Ergebnisse durch bessere Anwendung“ (23) dargelegt hat. Er unterstützt die Kommission darin, rascher und rigoroser Fälle zu verfolgen, in denen Mitgliedstaaten EU-Recht mangelhaft oder überhaupt nicht umsetzen.

4.9.   Zusammenarbeit mit anderen Institutionen

4.9.1.

Der EWSA vertritt die organisierten Endnutzer des Unionsrechts und sollte als solcher vom Rat, vom Europäischen Parlament und der Kommission als Partner und als Ressource für die Bewertung der Durchführbarkeit von Gesetzgebungsvorhaben aus einer praktischen und empirischen Perspektive angesehen werden.

4.9.2.

Angesichts der vorstehend dargelegten aktiven Rolle des EWSA bei der besseren Regulierung und Rechtsetzung fordert der EWSA die Kommission, das Europäische Parlament und den Rat nachdrücklich auf, ihn förmlich an der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung zu beteiligen.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2017) 651 final.

(2)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 192.

(3)  COM(2015) 215 final.

(4)  Siehe u. a.: Ad-hoc-Gruppe zur Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts; ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 51; ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 45; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 192; ABl. C 345 vom 13.10.2017, S. 67; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 145; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 11; ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 29; ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 66; ABl. C 43 vom 15.2.2012, S. 14; ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 87; ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 95; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 103; ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 6; ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 28; ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 9.

(5)  ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 51.

(6)  C(2017) 7810.

(7)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 11.

(8)  SWD (2017) 350 und https://ec.europa.eu/info/better-regulation-toolbox_de.

(9)  Ausschuss für Regulierungskontrolle, Jahresbericht 2016, https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/2016-rsb-report_en.pdf. Vgl. insbesondere S. 13 und S. 15.

(10)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 11 — Ziffer 4.3.1.

(11)  ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 57.

(12)  Stellungnahme der REFIT-Plattform zu den Befassungen XXII.4.a der DIHK und XXII.4.b von einem Bürger über die Verfahren für die Konsultation der Interessenträger. Tag der Verabschiedung: 7.6.2017.

(13)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 45.

(14)  ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 51.

(15)  Ad-hoc-Gruppe zur Kontrolle der Anwendung des Unionsrechts — Prüfung durch den Europäischen Rechnungshof. Ad-hoc-Gruppe zur Kontrolle der Anwendung des Unionsrechts, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 81.

(16)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 11.

(17)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 66; ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 45.

(18)  Ad-hoc-Gruppe; ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 45; ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 29; ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 95; ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 26; ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 9; ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 3; ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 52; ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 39.

(19)  Ad-hoc-Gruppe; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 192.

(20)  ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 95.

(21)  ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 52.

(22)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 45.

(23)  C(2016) 8600, ABl. C 18 vom 19.1.2017, S. 10.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

534. Plenartagung des EWSA — Neubesetzung, 18.-19.4.2018

25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat und die Europäische Zentralbank: Weitere Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion Europas — ein Fahrplan“

(COM(2017) 821 final)

zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat und die Europäische Zentralbank: Neue Haushaltsinstrumente für ein stabiles Euro-Währungsgebiet innerhalb des Unionsrahmens“

(COM(2017) 822 final)

zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat und die Europäische Zentralbank: Ein europäischer Minister für Wirtschaft und Finanzen“

(COM(2017) 823 final)

zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Bestimmungen zur Stärkung der haushaltspolitischen Verantwortung und der mittelfristigen Ausrichtung der Haushalte in den Mitgliedstaaten“

(COM(2017) 824 final — 2017/0335 (CNS))

zum „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Einrichtung des Europäischen Währungsfonds“

(COM(2017) 827 final — 2017/0333 (APP))

(2018/C 262/05)

Berichterstatter:

Mihai IVAŞCU

Mitberichterstatter:

Stefano PALMIERI

Befassung

Europäische Kommission, 12.2.2018 und 28.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

26.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

152/3/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den vorgeschlagenen Fahrplan für die Vollendung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), er unterstützt ihn jedoch weder uneingeschränkt noch mit Begeisterung, da eine Reihe von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fragen, die er in seinen früheren Stellungnahmen hervorgehoben hat, nicht berücksichtigt wurden. Die Vollendung der WWU erfordert in erster Linie starkes politisches Engagement, eine effiziente Steuerung und eine bessere Nutzung der verfügbaren Finanzmittel, um sowohl der Risikominderung als auch der Risikoteilung zwischen Mitgliedstaaten wirklich gerecht zu werden. Der EWSA betont, dass deshalb die Grundsätze der Verantwortlichkeit und der Solidarität auf EU-Ebene Hand in Hand gehen sollten.

1.2.

Der EWSA bedauert sehr, dass die beiden institutionellen beratenden Organe der EU — der EWSA und der AdR — in der Mitteilung nicht erwähnt werden und dass die Rolle des Europäischen Parlaments eher begrenzt bleibt. Außerdem ist an keiner Stelle von einer verstärkten Beteiligung der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft an der Bewertung des Europäischen Semesters die Rede.

1.3.

Der EWSA hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es eindeutig an einer strategischen Vision für die Zukunft sowie an der nötigen Kapazität mangelt, um auf weitere Wirtschafts- und Finanzkrisen angemessen zu reagieren. Bei der Bewertung und Umsetzung des WWU-Pakets sollte berücksichtigt werden, dass die Europäer mehr und ein besseres Europa brauchen.

1.4.

Die vom EWSA geforderte Sozialunion fehlt auf der Liste der verschiedenen „Unionen“, aus denen sich die WWU zusammensetzt, und es ist keine Zusage bezüglich einer Integration der Europäischen Säule sozialer Rechte zu erkennen.

1.5.

Der EWSA muss erneut warnend darauf hinweisen, dass Europas Prosperität zunehmend gefährdet ist, je länger die gegenwärtige Sparpolitik ohne ein wirksames Investitionsprogramm anhält.

1.6.

Es ist wichtig, „das Dach zu reparieren, wenn die Sonne scheint“, und dies muss schnell und im Anschluss an eine aktuelle Bewertung der Gründe und der Verantwortung dafür geschehen, warum „das Dach beschädigt“ ist, um im Bild zu bleiben. Der EWSA betont, dass neue Finanzinstrumente zur Krisenprävention und Abfederung prozyklischer Maßnahmen entwickelt werden müssen.

1.7.

Die Vollendung der Bankenunion und der Kapitalmarktunion sollte weiterhin ganz oben auf der Agenda stehen. Im aktuellen Vorschlag wird das europäische Einlagenversicherungssystem an keiner Stelle erwähnt, obwohl der EWSA bereits eine Stellungnahme zu diesem Thema abgegeben hat (1). Außerdem müssen Maßnahmen für eine sofortige und wirksame Bewältigung des Problems der notleidenden Kredite ergriffen werden.

1.8.   Europäischer Währungsfonds (EWF)

1.8.1.

Die vorgeschlagene Aufgabe des neuen EWF — die gemeinsame Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds zu übernehmen — ist äußerst wichtig und wird uneingeschränkt unterstützt. Allerdings muss nach Ansicht des EWSA sichergestellt werden, dass diese Maßnahme nicht die Wirkung eines „goldenen Fallschirms“ hat und Banken dazu ermutigt, unnötige und gefährliche Risiken einzugehen.

1.8.2.

Dem EWF muss im Kontext der EU unbedingt eine aktivere Aufgabe zukommen, die mit der des Internationalen Währungsfonds im internationalen Kontext vergleichbar ist: d. h., die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und Schocks abzufangen, anstatt lediglich Bankenkrisen vorzubeugen.

1.9.   Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (SKS-Vertrag)

1.9.1.

Der SKS-Vertrag sollte in das EU-Recht übernommen werden, zusammen mit der Umwandlung des ESM in den EWF, ohne dass die Mitgliedstaaten Möglichkeiten zum Rosinenpicken haben.

1.9.2.

Der EWSA nimmt die flexible Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) zwar zur Kenntnis, er hält diese jedoch für unzureichend und empfiehlt, auf Ebene der EU Diskussionen darüber in Gang zu setzen, wertschöpfende strategische öffentliche Investitionen vom Geltungsbereich des SWP auszunehmen. Diese sollten nicht als Kosten, sondern vielmehr als eine Quelle künftiger Einnahmen betrachtet werden, die eine reibungslose konjunkturelle Entwicklung ermöglichen und sowohl die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze als auch den Abbau von Ungleichheiten sicherstellen, entsprechend den Forderungen in früheren Stellungnahmen des EWSA (2) und den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (3).

1.9.3.

Öffentliche Investitionen — einschließlich sozialer Investitionen — würden tatsächlich kurzfristig zu einem Anziehen der Nachfrage, aber langfristig auch zu einer Steigerung der Wachstumspotenziale führen, womit die Frage der Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung angegangen würde.

1.10.   Neue Haushaltsinstrumente

1.10.1.

Der EWSA befürwortet uneingeschränkt den Vorschlag, eine spezifische Konvergenzfazilität für Mitgliedstaaten einzuführen, die dabei sind, dem Euro-Währungsgebiet beizutreten. Technische Unterstützung muss auf das Erreichen echter Konvergenz abzielen.

1.10.2.

Die makroökonomische Stabilisierungsfunktion ist für die Verringerung der bestehenden Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften der EU besonders wichtig, da die Mitgliedstaaten aufgrund der WWU-Auflagen immer weniger in der Lage sind, unabhängig zu handeln.

1.11.   Minister für Wirtschaft und Finanzen

1.11.1.

Der EWSA unterstützt die Einsetzung eines Ministers für Wirtschaft und Finanzen in der WWU als einen ersten Schritt zur Stärkung der Kohärenz derzeit fragmentierter Maßnahmen. Eine solche Person sollte den Euroraum in internationalen Gremien vertreten, den vorgeschlagenen spezifischen Haushalt für den Euroraum in voller Transparenz verwalten und den wünschenswerten gemeinsamen haushaltspolitischen Kurs des Euro-Währungsgebiets sowie seine Realisierung festlegen.

1.11.2.

Gleichwohl birgt der Kommissionsvorschlag die Gefahr einer exzessiven Konzentration von Exekutivbefugnissen in den Händen einer einzigen Person. Der EWSA fordert daher weitere Überlegungen darüber und über die Stärkung der demokratischen Rechenschaftspflicht des vorgeschlagenen Ministers.

2.   Einleitung und allgemeine Bemerkungen

2.1.

Nach Jahren des Krisenmanagements, in denen zur Überwindung der interinstitutionellen Mängel einer unvollendeten Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) die zwischenstaatliche Methode bevorzugt wurde, begrüßt der EWSA diesen erneuten Ansatz, die Gemeinschaftsmethode anzuwenden. Nur mit dieser Methode kann die demokratische Legitimität des Entscheidungsprozesses auf EU-Ebene sowie die Vertiefung der europäischen Integration sichergestellt werden. In diesem Rahmen erfordert die Vollendung der WWU starkes politisches Engagement, eine effiziente Steuerung und eine bessere Nutzung der verfügbaren finanziellen Ressourcen.

2.2.

Der EWSA begrüßt, dass der vorgeschlagene Fahrplan sowohl im Umfang als auch in zeitlicher Hinsicht ehrgeizig ist und in die richtige Richtung geht, wie bereits in seinen früheren Stellungnahmen erwähnt wird (4). Dennoch unterstützt er den Vorschlag nicht uneingeschränkt und mit verhaltener Begeisterung, da eine ganze Reihe von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fragen, die in früheren Stellungnahmen hervorgehoben wurden, bei diesem Paket nicht berücksichtigt wurden.

2.3.

Erstens bleibt die Rolle des Europäischen Parlaments (EP) zu beschränkt, und die beiden institutionellen beratenden Organe der EU — der EWSA und der AdR — werden nicht erwähnt. Von einem verstärkten sozialen und zivilen Dialog über das Europäische Semester durch eine aktivere Beteiligung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft ist nicht die Rede. Der EWSA hat in einer früheren Stellungnahme Folgendes nahegelegt: „wegen der demokratischen Rechenschaftspflicht und der gemeinsamen Verantwortung sollten das Europäische Parlament, nationale Parlamente, Sozialpartner sowie die Zivilgesellschaft in das Verfahren des Europäischen Semesters einbezogen werden. Soziale Gesichtspunkte müssen gleichrangig mit wirtschaftlichen Interessen berücksichtigt werden“ (5).

2.4.

Die zügige und effiziente Vollendung der Bankenunion ist von herausragender Bedeutung für die Sicherstellung eines wettbewerbsfähigen europäischen Unternehmensumfelds und die Schaffung einer wirklich einheitlichen europäischen Währung.

2.5.

Außerdem fehlt die vom EWSA befürwortete Sozialunion in der Liste der verschiedenen „Unionen“, aus denen die WWU besteht. Es gibt keine Zusage bezüglich einer Integration der im November 2017 in Göteborg (6) angekündigten europäischen Säule sozialer Rechte in die Steuerung des Euro-Währungsgebiets. Soziale Rechte sollten den gleichen Stellenwert wie wirtschaftliche Freiheiten haben, um das im Vertrag verankerte Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“ zu stärken.

2.6.

Des Weiteren scheint die Kommission den Begriff der „politischen Union“ nur widerwillig und mit Angst zu verwenden und ersetzt ihn stattdessen mit schwächeren und weniger expliziten Begriffen wie „demokratische Rechenschaftspflicht“ und „verstärkte Steuerung“. Dies ist nicht gerechtfertigt, wenn deutlich erklärt wird, dass mit „politischer Union“ nicht unbedingt eine politische Einheit, sondern eher eine Reihe kleiner Schritte gemeint ist, mit denen die Notwendigkeit einer gemeinsamen politischen Steuerung in bestimmten Bereichen auf Unionsebene anerkannt wird. Dieses Konzept wurde vom EWSA in seinen Stellungnahmen sehr deutlich erklärt (7).

2.7.

Bei der Bewertung und Umsetzung des Pakets zur Wirtschafts- und Währungsunion sollte berücksichtigt werden, dass die Europäer mehr und ein besseres Europa brauchen. Der EWSA hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es an einer strategischen Vision für die Zukunft sowie an der nötigen Kapazität mangelt, um angemessen auf die Wirtschafts- und Finanzkrise zu reagieren. Leitprinzip der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU sollte sein, dass auf EU-Ebene ein größerer Mehrwert erzielt wird als durch individuelles Handeln der Mitgliedstaaten (8).

2.8.

Trotz anhaltender Erholung sind die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den Alltag und in der derzeitigen Politik der Mitgliedstaaten immer noch allgegenwärtig. Der EWSA hat davor gewarnt: es wird sich immer deutlicher zeigen, dass die wachsende soziale Ungleichheit die wirtschaftliche Integration und Prosperität Europas gefährdet, je länger die gegenwärtige, vorrangig auf Ausgabenkürzungen angelegte Sparpolitik ohne ein wirksames Investitionsprogramm zur Generierung von Einkommen durch Wachstum, soziale Kohäsion und Solidarität anhält (9).

2.9.

Außerdem sind die Kapitalmärkte von einer Integration weit entfernt und noch nicht in der Lage, symmetrische und asymmetrische Schocks zu absorbieren, wie es in den Vereinigten Staaten der Fall war. Angesichts der Entwicklung der Brexit-Verhandlungen und des bevorstehenden Austritts eines der weltweit größten Kapitalmärkte aus dem Europäischen Binnenmarkt wird eine weitere Fragmentierung erwartet. Um dem entgegenzuwirken, müssen geeignete Maßnahmen getroffen werden.

3.   Einrichtung des Europäischen Währungsfonds (EWF)

3.1.

Der EWSA begrüßt die Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zum EWF und ist der Ansicht, dass die vorgeschlagene institutionelle Verankerung das Vertrauen in die Fähigkeit der EU, auf künftige Finanz- und Wirtschaftskrisen zu reagieren, weiter stärken wird.

3.2.

Der EWSA betont, dass neue Finanzinstrumente zur Krisenprävention und Förderung antizyklischer Maßnahmen entwickelt werden müssen. Die Metapher „Das Dach reparieren, während die Sonne scheint“ findet hier wie auch auf das gesamte Paket Anwendung. Da der EWF die Nachfolge des ESM mit seinen derzeitigen finanziellen und institutionellen Strukturen übernimmt, ist es sehr wichtig, seine Potenziale und Kapazitäten unter direkter Aufsicht der Europäischen Kommission, des Rats und des Europäischen Parlaments und in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank auszubauen.

3.3.

Eine sehr wichtige Neuigkeit des Kommissionsvorschlags ist die Fähigkeit des EWF, die gemeinsame Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds zu übernehmen, auf den sich die Mitgliedstaaten im Jahr 2013 geeinigt haben. Der EWSA nimmt zwar zur Kenntnis, dass die Letztsicherung dem Bankensektor zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen wird, doch muss sichergestellt werden, dass die vorgeschlagene Maßnahme nicht die Wirkung eines goldenen Fallschirms hat und Banken dazu ermutigt, unnötige und gefährliche Risiken einzugehen.

3.4.

Die EU muss nicht die Finanzkontrolle über die Mitgliedstaaten verstärken, sondern vielmehr die bestehenden Finanzinstrumente effizienter und nachhaltiger gestalten. Dem neuen EWF sollte im Kontext der EU eine aktivere Aufgabe zukommen, die mit der des internationalen Währungsfonds im internationalen Kontext vergleichbar ist, d. h. die wirtschaftliche Entwicklung europaweit zu fördern sowie symmetrische und asymmetrische Schocks abzufedern, anstatt lediglich Bankenkrisen vorzubeugen.

3.5.

Der EWF sollte vor allem in der Lage sein, schnell einzugreifen und asymmetrische Schocks zu bewältigen, die sich auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht in den Griff bekommen lassen und die sich möglicherweise auf weitere EU-Staaten ausweiten und damit die Integrität des Euro-Währungsgebiets und des Binnenmarkts gefährden könnten. Auch Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, die aber an der Bankenunion teilnehmen, sollten nach Zeichnung und Entrichtung ihres Beitrags zum genehmigten Stammkapital vom EWF profitieren können.

3.6.

Der steigende Anteil notleidender Kredite belastet die Bilanzen der Banken nach wie vor und stellt ein enormes Hindernis für die weitere Finanzierung der Wirtschaft der EU dar. Sie schränken das Kreditangebot ein, verzerren die Kreditvergabe, verschlechtern das Marktvertrauen und verlangsamen das Wirtschaftswachstum. Maßnahmen zur Senkung des Anteils notleidender Kredite sind dringend erforderlich und sollten auf der Agenda der europäischen Organe weiterhin an oberster Stelle stehen.

3.7.

Die notwendige Förderung der Glaubwürdigkeit des neuen EWF sollte mit Maßnahmen einhergehen, um Krisen vorzubeugen und die Steuerzahler vor der Haftung für die Schulden insolventer Banken zu schützen.

3.8.

Der EWF sollte in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank (EZB) tätig werden, da er helfen könnte, massive Spekulationen in Mitgliedstaaten abzuwehren, während die EZB lediglich Finanzmittel zur Abwehr von Angriffen auf große Wirtschaftssysteme mobilisieren kann. In dieser Hinsicht bedauert der EWSA, dass im Paket der Kommission keine Debatte über die Verbesserung der Satzung der EZB vorgeschlagen wird, um — zusätzlich zur Preisstabilität — Wachstum und Vollbeschäftigung als zweites Ziel der Währungspolitik aufzunehmen.

3.9.

Der EWSA befürwortet die vorgesehene Anhörung des Europäischen Parlaments im Verfahren zur Ernennung des Geschäftsführenden Direktors des EWF und die Verpflichtung zur jährlichen Berichterstattung an das Parlament, den Rat und die Kommission.

3.10.

Im aktuellen Vorschlag ist an keiner Stelle von einem europäischen Einlagenversicherungssystem die Rede — zwar hat die Kommission im November 2015 tatsächlich einen diesbezüglichen Vorschlag gemacht, bislang konnten die Gesetzgeber aber noch zu keiner Einigung darüber gelangen, obgleich der EWSA bereits seine Stellungnahme abgegeben hat (10).

4.   Integration des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung (SKS-Vertrag) in den Rechtsrahmen der EU

4.1.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass der SKS-Vertrag und der ESM beide auf dem Höhepunkt der Krise als zwischenstaatliche Lösungen eingerichtet wurden, die weitgehend die Grundsätze der Verantwortung und Solidarität auf EU-Ebene verkörpern. Nach Ansicht des Ausschusses gehören diese Grundsätze fest zusammen, und ohne den jeweils anderen können wir bei keinem von beiden vorankommen. Sie müssen daher zusammen übernommen werden und nach EU-Recht gleichgestellt sein, ohne Rosinenpickerei durch die Mitgliedstaaten. Verantwortung und Solidarität sollten eine Einheit bilden.

4.2.

Während in der vorgeschlagenen Richtlinie zur Integration des SKS-Vertrags in das EU-Recht der flexiblen Auslegung der Vorschriften des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) durch die Kommission Rechnung getragen wird, hat der EWSA bereits darauf hingewiesen, dass diese Flexibilität unzureichend ist und dass auf Ebene der EU Diskussionen über eine vollumfängliche Regelung, die im Allgemeinen als „goldene Regel“ bezeichnet wird, in Gang gesetzt werden sollten, mit der wertschöpfende öffentliche Investitionen vom Geltungsbereich des SWP ausgenommen werden.

4.3.

Daher hält der EWSA den Vorschlag, den SKS-Vertrag und insbesondere den Fiskalpakt ohne zusätzliche Flexibilität in den Rechtsrahmen der EU zu integrieren, vor allem hinsichtlich öffentlicher Investitionen oder sozialer Überlegungen für problematisch. Solche Investitionen sollten ggf. auf die Verbesserung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit mittels Finanzierung von Projekten in den Bereichen Forschung und Entwicklung, physische und soziale Infrastruktur, Digitalisierung der Wirtschaft und kontinuierliche Kompetenzentwicklung abzielen, um den technologischen Wandel und die globale Öffnung zu bewältigen.

4.4.

Ausgeglichene Haushalte, die keine schuldenfinanzierten öffentlichen Investitionen ermöglichen, beeinträchtigen (durch Steuererhöhungen und Kürzungen bei öffentlichen Ausgaben) die wirtschaftliche Entwicklung. Öffentliche Investitionen — die in der EU ihren tiefsten Stand seit 20 Jahren erreicht haben — sollten nicht als Kosten und somit als Teil der Haushaltsdefizite, sondern vielmehr als eine Quelle künftiger Einnahmen betrachtet werden, um eine reibungslose konjunkturelle Entwicklung zu ermöglichen sowie Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen sicherzustellen.

4.5.

Der EWSA unterstützt den Bericht der hochrangigen Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Romano Prodi und Christian Sautter über die Förderung von Investitionen in die soziale Infrastruktur in Europa, um die Schaffung von Arbeitsplätzen zu beschleunigen und das Wohlbefinden, die Gesundheit, die Wohnsituation sowie die Kompetenzen der Menschen zu verbessern (11).

4.6.

Sollte eine Einigung darüber erzielt werden, zukunftsorientierte produktive öffentliche Investitionen günstiger zu behandeln, so birgt die Integration des SKS-Vertrags zusammen mit dem EWF in den Rechtsrahmen der EU das Potenzial zur Stärkung des fiskalpolitischen Instrumentariums der EU und zur Förderung einer wirksameren, legitimeren und demokratischeren Steuerung der WWU.

5.   Neue Haushaltsinstrumente für ein stabiles Euro-Währungsgebiet

5.1.

Die makroökonomische Stabilisierungsfunktion ist besonders wichtig, denn ihr Fehlen war eine der Ursachen der strategischen Krise in der EU. Zum einen verfügen die Mitgliedstaaten über einen geringeren Spielraum zur Einflussnahme auf den Arbeitsmarkt und den Sozialschutz, zum anderen sind noch keine Netze der sozialen Sicherheit auf EU-Ebene geschaffen worden, damit alle Bürger vom Wachstum und dem globalen Wettbewerb profitieren können (12).

5.2.

Der EWSA befürwortet uneingeschränkt den Vorschlag, eine spezifische Konvergenzfazilität für Mitgliedstaaten einzuführen, die dabei sind, dem Euro-Währungsgebiet beizutreten. Damit würde die Rolle des Euro-Währungsgebiets international gestärkt und die Verwendung des Euro als Währung gesteigert. Technische Unterstützung muss auf das Erreichen echter Konvergenz abzielen, damit Risiken für das allgemeine Wohl der Bürgerinnen und Bürger und für die Volkswirtschaften der Beitrittskandidaten zum Euro-Währungsgebiet abgewehrt und gemindert werden.

5.3.

Der Weg in die Zukunft muss über eine solide Haushaltspolitik und investitionsorientierte Ausgaben führen, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass hohe öffentliche Schuldenquoten oft das Ergebnis von Wirtschaftskrise und Rezession sind. Daher fordert der EWSA einen reibungslosen Mechanismus, der im Fall eines Konjunkturabschwungs schnell aktiviert werden kann, und hält den vorgeschlagenen Anteil von 1 % des BIP für angemessen.

5.4.

Der EWSA befürwortet die Schaffung eines Haushalts des Euro-Währungsgebiets als Teil des EU-Haushalts. Dadurch würde die Einrichtung neuer Institutionen vermieden, die einen politischen Keil zwischen Mitgliedstaaten innerhalb und außerhalb des Euroraums treiben könnten. Eine ernsthafte Reform des EU-Haushalts ist in jedem Fall notwendig.

5.5.

Ein eigenständiger und umfangreicher Haushalt für das Euro-Währungsgebiet mit eigenen zweckgebundenen Steuereinnahmen würde im Fall regionaler Schocks einen zeitlich befristeten, aber erheblichen Mitteltransfer ermöglichen, schwere Rezessionen im gesamten Euroraum abfedern und die nötige Finanzstabilität gewährleisten, mit einer makroökonomischen Stabilisierungsfunktion zum Schutz der Investitionen und zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut, wie bereits früher vom EWSA vertreten wurde (13).

6.   Europäischer Minister für Wirtschaft und Finanzen

6.1.

Der EWSA verwies wiederholt (14) auf die Notwendigkeit eines Wirtschafts- und Finanzministers für die WWU als einen ersten Schritt hin zu kohärenteren Maßnahmen, die derzeit aufgrund zahlreicher unterschiedlicher beteiligter Institutionen fragmentiert sind. Eine solche Person sollte die WWU in internationalen Gremien vertreten und nach Maßgabe der Grundsätze der Einfachheit, Transparenz, Gerechtigkeit und demokratischer Rechenschaftspflicht einen eigenen Haushalt verwalten. Der Minister sollte auch für die Definition des gewünschten gemeinsamen haushaltspolitischen Kurses des Euro-Währungsgebiets und seine Realisierung verantwortlich sein.

6.2.

Die in der Mitteilung der Kommission beschriebenen Funktionen und Eigenschaften entsprechen eher denen eines Finanzministers für das Euro-Währungsgebiet als für die gesamte EU. Allerdings ist das Amt im Vorschlag der Kommission nicht wirklich das eines Finanzministers im eigentlichen Sinne, und die Fehlbezeichnung könnte zu falschen Erwartungen und Verwirrung führen.

6.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Verknüpfung eines Amts zur Vertretung des Euro-Währungsgebiets auf EU-Ebene mit dem des Vorsitzenden der Eurogruppe, des Vorsitzes im Gouverneursrat des neuen Europäischen Währungsfonds und des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission einer übermäßigen Konzentration von Exekutivbefugnissen in den Händen einer Person gleichkommen würde. Außerdem hält der EWSA den Vorschlag, dass der Vorsitzende der Eurogruppe automatisch zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten erhalten soll, um sein Mandat der Eurogruppe mit dem der Europäischen Kommission zu koordinieren, für undemokratisch.

6.4.

Der EWSA befürchtet, dass bei der vorgeschlagenen Struktur in ihrer gegenwärtigen Form die Rolle der Kommission mit der des Rates verwechselt und damit das empfindliche Gleichgewicht zwischen Gemeinschaftsinteressen und nationalen Interessen, auf dem die EU basiert, untergraben würde. Der EWSA fordert daher weitere Überlegungen darüber und über die Stärkung der demokratischen Rechenschaftspflicht des vorgeschlagenen Ministers.

6.5.

Auch geht aus der Mitteilung nicht deutlich hervor, ob weitere Ministerämter geschaffen werden oder ob dies nur ein Einzelfall ist. Dieses Amt ist nur dann sinnvoll, wenn die EU über einen eigenständigen Haushalt und eigene Steuereinnahmen sowie Instrumente und Strategien zur Verwaltung des Haushalts verfügt und somit in der Lage ist, Wirtschaftswachstum und soziale Gerechtigkeit zu fördern.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Europäisches Einlagenversicherungssystem, ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 21.

(2)  Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (2016), ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 41; Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (2017), ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 33; und Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2017 (ergänzende Stellungnahme), ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 216.

(3)  Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG).

(4)  Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit/Größere politische Reformvorhaben, ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 45, Vollendung der WWU — die nächste europäische Legislaturperiode, ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 10, Vollendung der WWU: Die politische Säule, ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8.

(5)  Vertiefung der WWU bis 2025, Ziffer 1.5, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 124.

(6)  Europäische Säule sozialer Rechte.

(7)  Vollendung der WWU: Die politische Säule, ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8 und Vertiefung der WWU bis 2025, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 124.

(8)  EU-Finanzen bis 2025, Ziffer 1.2 und 1.3, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 131.

(9)  Eine demokratische und soziale WWU durch die Gemeinschaftsmethode, Ziffer 1.2, ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 33.

(10)  Europäisches Einlagenversicherungssystem, ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 21.

(11)  L. Fransen, G. del Bufalo und E. Reviglio: Boosting Investment in Social Infrastructure in Europe. Report of the High-Level Task Force on Investing in Social Infrastructure in Europe (Förderung von Investitionen in die soziale Infrastruktur in Europa. Bericht der hochrangigen Arbeitsgruppe für Investitionen in die soziale Infrastruktur in Europa). European Economy Discussion Paper (Diskussionspapier zur europäischen Wirtschaft), Nr. 74, Januar 2018.

(12)  EU-Finanzen bis 2025, Ziffer 3.3.1, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 131.

(13)  EU-Finanzen bis 2025, Ziffer 3.3, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 131.

(14)  Wachstum und Staatsverschuldung, Ziffer 3.2, ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10; Vollendung der WWU: Die politische Säule, Ziffern 4.3.1 und 4.3.4, ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8; Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets, Ziffer 3.5, ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 41; Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (2017), Ziffer 1.13; ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 33 und Vertiefung der WWU bis 2015, Ziffer 1.11, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 124.


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Aufsichtsanforderungen an Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 575/2013, (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 1093/2010“

(COM(2017) 790 final — 2017/0359 (COD))

und zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 2013/36/EU und 2014/65/EU“

(COM(2017) 791 final — 2017/0358 (COD))

(2018/C 262/06)

Berichterstatter:

Jarosław MULEWICZ

Befassung

Europäisches Parlament: COM(2017) 790 final: 18.1.2018 und COM(2017) 791 final: 18.1.2018

Rat der Europäischen Union: COM(2017) 790 final: 14.2.2018 und COM(2017) 791 final: 14.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

26.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

193/2/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Vorschläge der Kommission und hofft, dass sie wirksam zur Erreichung der von der Kommission gesteckten Ziele beitragen werden.

1.1.1.

Die EU braucht stärkere Kapitalmärkte, um Investitionen zu fördern, die bestehenden Finanzierungsquellen auszuschöpfen und für Unternehmen neue Finanzierungsquellen zu erschließen, privaten Haushalten bessere finanzielle Chancen zu bieten und die Wirtschafts- und Währungsunion zu stärken. Die Kommission hat sich dazu verpflichtet, bis 2019 alle Komponenten zur Vollendung der Kapitalmarktunion zu realisieren.

1.1.2.

Das zweite Ziel bezieht sich auf den Brexit und die Notwendigkeit für die EU, Wertpapierfirmen anzuziehen. Aufgrund der Entscheidung des Vereinigten Königreichs, aus der EU auszutreten, muss der Regelungsrahmen der EU aktualisiert werden, um die EU für Finanzunternehmen attraktiv zu machen. Als wichtige Drehscheibe für Kapitalmarkt- und Anlagegeschäfte zählt das Vereinigte Königreich die meisten Wertpapierfirmen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Etwa die Hälfte dieser Firmen hat dort auch ihren Sitz, gefolgt von Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Spanien. Die meisten Wertpapierfirmen im EWR sind kleine oder mittlere Unternehmen. Schätzungen der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) zufolge kontrollieren acht im Vereinigten Königreich ansässige Wertpapierfirmen ca. 80 % der Vermögenswerte aller Wertpapierfirmen im EWR.

1.1.3.

Das dritte Ziel besteht darin, einen spezifischen Rechtsrahmen für Wertpapierfirmen zu schaffen. Der derzeitige Aufsichtsrahmen ist vor allem auf Kreditinstitute und die mit ihnen verbundenen Risiken ausgerichtet. Wertpapierfirmen nehmen keine Einlagen entgegen und gewähren keine Kredite. Das bedeutet, dass das Kreditrisiko und das Risiko, dass Einleger ihr Geld kurzfristig zurückfordern, bei ihnen wesentlich geringer sind. Ihre Dienstleistungen beziehen sich auf Finanzinstrumente, die — im Gegensatz zu Einlagen — nicht zum Nennwert ausgezahlt werden, sondern deren Wert in Abhängigkeit von den Marktentwicklungen schwankt. Bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen stehen sie allerdings im Wettbewerb mit Kreditinstituten, die ihren Kunden diese Art von Dienstleistungen im Rahmen ihrer Bankenzulassung anbieten können. Bei Kreditinstituten und Wertpapierfirmen handelt es sich also um zwei unterschiedliche Arten von Instituten. Systemrelevante Wertpapierfirmen fallen indes nicht aus dem Anwendungsbereich der Eigenkapitalverordnung und -richtlinie (CRR/CDR IV) (1) heraus und werden als Finanzinstitute behandelt. Daher sollten diese Firmen angesichts der Tatsache, dass sie zu Kreditinstituten werden, auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU weiterhin der Beaufsichtigung der für Kreditinstitute zuständigen Behörden unterliegen, u. a. auch der Beaufsichtigung durch die EZB im Rahmen des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus.

1.1.4.

Das vierte von der Kommission verfolgte Ziel ist die Errichtung eines einheitlichen integrierten europäischen Aufsichtsrahmens für Wertpapierfirmen. Aufgrund der unterschiedlichen Geschäftsprofile der Wertpapierfirmen bestehen je nach Staat ihrer Niederlassung zahlreiche rechtliche Ausnahmen. Für viele Unternehmen, insbesondere solche mit Aktivitäten in mehreren Ländern, führt dies zu regulatorischer Komplexität. Dies birgt zusätzliche Risiken. Die Umsetzung des derzeitigen Rechtsrahmens durch die Mitgliedstaaten führt zu einer Fragmentierung des Regulierungsumfelds für Wertpapierfirmen, die Spielraum für schädliche Regulierungsarbitrage bietet. Dies könnte die Integrität und das Funktionieren des Binnenmarktes gefährden. Die von der Kommission vorgeschlagenen Aufsichtsregeln für Wertpapierfirmen gelten für die Mehrheit kleiner und mittlerer Wertpapierfirmen in allen Mitgliedstaaten der EU.

1.2.

Der EWSA stellt fest, dass sich die Tätigkeit von Wertpapierfirmen mit Niederlassung im Vereinigten Königreich nolens volens in einen Mitgliedstaat innerhalb der Bankenunion bzw. des Euro-Währungsgebiets verlagern würde, vor allem in die Finanzzentren der Staaten des Euroraums wie Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und Irland. EU-Mitgliedstaaten, die nicht Teil des Euroraums sind, kämen nicht zum Zug.

1.3.

Der EWSA begrüßt, dass KMU voraussichtlich zu den Hauptbegünstigten der Richtlinie und der Verordnung zählen. Ein verhältnismäßigerer und angemessenerer Aufsichtsrahmen dürfte dazu beitragen, die Bedingungen für die Geschäftstätigkeit dieser Firmen zu verbessern und Marktzutrittsschranken zu verringern. Dies gilt insbesondere für Kapitalanforderungen und Verwaltungsaufwand. Der EWSA weist darauf hin, dass diese Vorschriften innovativen Unternehmen, die Wachstum durch digitale Mittel anstreben, neue Impulse verleihen dürften. Dies umfasst auch die Erleichterung des Zugangs zu Finanzierungen für KMU, die selbst nicht Banken oder Wertpapierfirmen sind. Ein geeigneterer Aufsichtsrahmen dürfte auch dabei behilflich sein, aufgrund unproduktiver Regulierungsverfahren gebundenes Kapital freizusetzen und es kleinen Wertpapierfirmen gestatten, ihren Kunden — einschließlich anderen KMU — bessere Dienstleistungen anzubieten. Dies sollte es auch Wertpapierfirmen ermöglichen, als Intermediäre bei der Mobilisierung von Anlagen von Sparern in der gesamten EU zu agieren und dadurch den europäischen Unternehmen den Zugang zu alternativen Finanzierungsquellen außerhalb des Bankensektors zu erleichtern.

1.4.

Die vorgeschlagene Richtlinie und die vorgeschlagene Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen und die Überwachung von Wertpapierfirmen enthalten die notwendigen Vorschriften und Anforderungen in Bezug auf das Anfangskapital und das bestehende Kapital, die Aufsichtsbefugnisse, Veröffentlichungspflichten und Vergütung. Dadurch verringert sich das mit den Finanzgeschäften von Wertpapierfirmen verbundene Risiko. Es bleibt die Frage, in welchem Maße das von den Wertpapierfirmen getragene Risiko auf ihre Kunden — die einzelnen Anleger und Unternehmen — weitergegeben wird. Führen Wertpapierfirmen ausschließlich Vermittlertätigkeiten für ihre Kunden durch, und beschränken sie sich auf Anlageberatung oder Portfoliomanagement, wird das mit den Finanzinstrumenten verbundene Risiko vorwiegend vom Kunden getragen.

1.5.

Offen bleibt die Frage, ob die einseitige Einführung eines spezifischen Rechtsrahmens für in der EU tätige Wertpapierfirmen durch die Union ohne Berücksichtigung von Märkten wie den USA, Japan, China und Indien mit Blick auf die Globalisierung und den elektronischen Handel nicht zu einer Flucht von Investoren aus Europa führen würde. Der sehr komplexe Rechtsrahmen von MiFID II und die Registrierungspflicht für Finanzprodukte haben dazu geführt, dass 20 bis 50 % der Produkte nicht mehr angeboten werden. Aus diesem Grund sollten die neuen Regelungen bei einem spezifischen Rechtsrahmen für Wertpapierfirmen überwacht und flexibel abgeändert werden, falls es zu einer negativen Reaktion der Finanzmärkte kommt. Der EWSA schließt sich der Auffassung an, dass die Finanztransaktionen, die bis zu 54 % des globalen BIP ausmachen, ein eminentes Risiko darstellen. Nichtsdestoweniger bieten sie auch eine große Chance zur Finanzierung von Entwicklung. Wird der Rechtsrahmen nicht flexibel geändert, so werden die Wertpapierfirmen aus dem Vereinigten Königreich trotz aller guten Absichten nicht in die EU, sondern in die USA abwandern.

2.   Hintergrund

2.1.

In der EU bestehen viele verschiedene Arten von Wertpapierfirmen, die für unterschiedliche Kunden verschiedene Dienstleistungen erbringen. Laut Informationen der EBA gab es Ende 2015 6 051 Wertpapierfirmen im EWR. Überwiegend handelt es sich dabei um KMU. Der EBA zufolge kontrollieren ungefähr acht Wertpapierfirmen, die ihren Firmensitz im Vereinigten Königreich haben, etwa 80 % der Vermögenswerte aller Wertpapierfirmen im EWR. Nach Informationen der EBA dürfen ca. 40 % der Wertpapierfirmen im EWR ausschließlich Anlageberatung leisten. 80 % der EWR-Wertpapierfirmen beschränken ihre Tätigkeiten auf Anlageberatung, Entgegennahme und Weiterleitung von Aufträgen, Portfoliomanagement und die Auftragsausführung. Etwa 20 % von ihnen sind befugt, Handel für eigene Rechnung zu betreiben oder Emissionen zu übernehmen. Diese Dienstleistungen unterliegen derzeit den strengsten aufsichtsrechtlichen Anforderungen.

2.2.

Als wichtige Drehscheibe für Kapitalmarkt- und Anlagegeschäfte zählt das Vereinigte Königreich die meisten EWR-Wertpapierfirmen: Etwa die Hälfte von ihnen haben dort ihren Sitz, gefolgt von Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Spanien. Die meisten Wertpapierfirmen im EWR sind kleine oder mittlere Unternehmen. Als systemrelevant festgestellte Wertpapierfirmen sind derzeit in der Regel Tochtergesellschaften von Bankenkonzernen bzw. Broker-Dealern mit Sitz in den USA, der Schweiz oder Japan.

2.3.

Die EBA unterscheidet bisher elf Kategorien von Wertpapierfirmen, in erster Linie aufgrund der Wertpapierdienstleistungen, die sie nach der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (2) anbieten dürfen, und ob sie Geld und Wertpapiere ihrer Kunden halten. Wertpapierfirmen, die ein breites Spektrum von Dienstleistungen erbringen, unterliegen denselben für Kreditinstitute geltenden Anforderungen in puncto Kapitalanforderungen für Kredite, Markt und operatives Risiko, potenzielle Liquidität, Vergütung und Regeln für die Unternehmensführung. Unternehmen mit begrenzten Befugnissen (die in der Regel als weniger riskant gelten wie Anlageberatung und Entgegennahme und Weiterleitung von Aufträgen) sind hingegen von den meisten dieser Anforderungen ausgenommen. Die EBA schlägt eine neue Klassifizierung der Wertpapierfirmen mit drei anstatt elf Kategorien vor. Den ursprünglichen Empfehlungen zufolge bilden systemrelevante Wertpapierfirmen Klasse 1 und würden weiterhin dem CRR/CRD IV-Rahmen unterliegen. Zur Klasse 2 gehören Unternehmen, die einem der folgenden Kriterien entsprechen: sie betreiben Handel auf eigene Rechnung und unterliegen Markt- und Gegenparteiausfallsrisiken; sie halten und verwalten Vermögenswerte von Kunden; sie halten Kundengelder oder überschreiten bestimmte Größenschwellen (verwaltete Vermögenswerte sowohl im Rahmen einer Portfolioverwaltung mit Ermessensspielraum als auch Beratungsdienste ohne Ermessensspielraum über 1,2 Mrd. EUR; durchgeführte Kundenaufträge mit einem Mindestwert von 100 Millionen EUR pro Tag für Spot-Geschäfte und/oder mindestens 1 Milliarde EUR pro Tag für Derivate; sie verfügen über Aktiva, die insgesamt über 100 Millionen EUR hinausgehen; sie erzielen Gesamtbruttoerlöse, die 30 Millionen EUR übersteigen). Diese Unternehmen müssen ihre Kapitalanforderungen auf der Grundlage der neuen Risikoparameter (K-Faktoren) berechnen. Zu Klasse 3 gehören Unternehmen, die keine der genannten Tätigkeiten durchführen und unterhalb der genannten Schwellenwerte liegen. Diese müssen nicht den Kapitalanforderungen gemäß den K-Faktoren entsprechen.

2.4.

Der EU-Regelungsrahmen für Wertpapierfirmen besteht aus zwei Hauptteilen: erstens, der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID), und seit dem Januar 2018, aus MiFID II/MiFIR (3), in denen die Zulassungsbedingungen sowie Vorschriften für Organisation und Unternehmen festgelegt sind. Zweitens unterliegen sie ebenso wie Kreditinstitute dem Aufsichtsrahmen nach CRR/CRD IV, denn sie können bei der Durchführung dieser Wertpapierdienstleistungen mit Kreditinstituten konkurrieren, die letztere dank ihrer Bankenzulassung ihren Kunden anbieten können. Kreditinstitute unterliegen hingegen den zentralen Vorschriften der MiFID, wodurch die Bedingungen für die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen für Wertpapierfirmen und Kreditinstitute angeglichen werden, sowohl im Hinblick auf den Anlegerschutz und die Wohlverhaltensregeln nach MiFID als auch bezüglich der zentralen Aufsichtsanforderungen der CRR/CRD IV.

2.5.

Wie in den Bestimmungen der CRR vorgesehen, wurde eine Überarbeitung des Aufsichtsrahmens für Wertpapierfirmen in Abstimmung mit der EBA, der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) und den zuständigen nationalen Behörden durchgeführt. Nachdem die Kommission im Dezember 2014 um Stellungnahme ersucht hatte, legte die EBA im Dezember 2015 einen Bericht über die bestehenden Aufsichtsrahmen für Wertpapierfirmen vor, in dem sie eine Änderung des derzeitigen Ansatzes forderte. Im Anschluss an ein zweites Ersuchen der Kommission um Stellungnahme vom Juni 2016 veröffentlichte die EBA im November 2016 ein Diskussionspapier zu einem möglichen neuen Aufsichtssystem für die überwiegende Mehrheit der Wertpapierfirmen. Zu diesem Papier konnte drei Monate lang Stellung genommen werden. Unter Berücksichtigung der Rückmeldungen und der zusätzlichen Daten, die die EBA zusammen mit den zuständigen nationalen Behörden von den Wertpapierfirmen erhoben hat, legte sie im September 2017 ihre abschließenden Empfehlungen vor und bat die Interessenträger um Kommentare. Die genaue Kalibrierung der Empfehlungen für die neuen Kapitalanforderungen stützte sich auf eine detaillierte Datenerhebung, unter anderem bei Wertpapierfirmen. Diese Datenerhebung wurde in den Jahren 2016 und 2017 von den zuständigen nationalen Behörden im Namen der EBA in zwei Stufen durchgeführt.

2.6.

Der Bericht der EBA enthält eine umfassende und öffentlich zugängliche Analyse des Status quo mit Daten über Anzahl und Art der Wertpapierfirmen in den Mitgliedstaaten. Im Bericht wird auch eine neue Regelung für den Großteil der Wertpapierfirmen vorgeschlagen, wobei diese vollständig aus dem CRR/CRD IV-Rahmen herausgenommen und nur die nach dem in dem Vorschlag enthaltenen überarbeiteten Ansatz ermittelten systemrelevanten Firmen in dessen Anwendungsbereich belassen werden. Der Vorschlag steht zudem mit der MiFID und der MiFID II/MiFIR im Einklang. Durch die Festlegung von Aufsichtsanforderungen, die auf die Geschäftstätigkeiten und Risiken von Wertpapierfirmen zugeschnitten sind, wird klargestellt, unter welchen Umständen und aus welchen Gründen diese Anforderungen gelten. Insofern würde eine mitunter willkürliche Anwendung der Aufsichtsanforderungen beseitigt werden, die darauf zurückzuführen ist, dass die Anforderungen für die in der MiFID aufgelisteten Wertpapierdienstleistungen der Banken festgelegt wurden, anstatt für Geschäfte der Wertpapierfirmen zu gelten.

2.7.

Die Ergebnisse der Überprüfung der EBA (4) wurden im März und Oktober 2017 im Ausschuss für Finanzdienstleistungen und im Juni und September 2017 in der Expertengruppe für Bankenwesen, Zahlungsverkehr und Versicherungswesen mit den Mitgliedstaaten erörtert. Die Beiträge der Interessenträger zu der im März 2017 veröffentlichten Folgenabschätzung der Kommission in der Anfangsphase wurden ebenfalls berücksichtigt. Schließlich trug die Kommission auch Stellungnahmen Rechnung, die zuvor im Rahmen der umfassenden Sondierung zur Effizienz, Konformität und Kohärenz des allgemeinen EU-Rechtsrahmens für Finanzdienstleistungen eingegangen waren. In Anbetracht der von der EBA durchgeführten umfassenden öffentlichen Konsultation und ausführlichen Datenerhebung hielt es die Kommission nicht für erforderlich, parallel dazu eine allgemeine öffentliche Konsultation durchzuführen. Stattdessen haben die Kommissionsdienststellen gezielte Konsultationen der Interessenträger durchgeführt. Diese Konsultationen umfassten:

ein Diskussionsforum am 27. Januar 2017 mit Interessenträgern der Branche (Wertpapierfirmen, Anlegern, Anwaltskanzleien und Beratern) zu dem Entwurf von Vorschlägen der EBA für eine künftige Regelung,

einen Workshop zu den Kosten der derzeitigen Regelung am 30. Mai 2017 und

einen Workshop zum Entwurf der endgültigen Empfehlungen der EBA am 17. Juli 2017.

2.8.

Die EBA geht davon aus, dass die neuen Regelungen insgesamt für alle nicht systemrelevanten Wertpapierfirmen in der EU zu einer Erhöhung der Kapitalanforderungen um 10 % gegenüber den gegenwärtigen Anforderungen und zu einer Verringerung um 16 % gegenüber den Gesamtanforderungen führen werden, die sich unter Berücksichtigung der Aufschläge der Säule 1 ergeben. Wie sich diese Auswirkungen auf die einzelnen Wertpapierfirmen verteilen würden, hängt von ihrer Größe, den von ihnen erbrachten Wertpapierdienstleistungen sowie davon ab, inwieweit die neuen Kapitalanforderungen für sie gelten. In Bezug auf die verfügbaren Eigenmittel vertritt die EBA die Auffassung, dass es nur wenige Firmen gibt, die nicht über ausreichend Kapital verfügen, um die neuen Anforderungen zu erfüllen. Dazu gehört nur eine kleine Zahl von Anlageberatern, Handels- und Multi-Service-Unternehmen. Bei den Unternehmen, die in diese Kategorie fallen und deren Anforderungen um mehr als die Hälfte steigen würden, könnten die Anforderungen für eine bestimmte Anzahl von Jahren gedeckelt werden.

2.9.

Durch den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union wird der EU die Befugnis übertragen, geeignete Vorschriften über die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu erlassen (Artikel 114 AEUV). Richtlinien werden erlassen, um die Aufnahme und Ausübung gewerblicher Tätigkeiten innerhalb der EU zu erleichtern (Artikel 53 AEUV). Dies gilt auch für die Rechtsvorschriften über die Beaufsichtigung von Finanzdienstleistungsanbietern, in diesem Fall von Wertpapierfirmen. Die Bestimmungen der vorgeschlagenen Richtlinie ersetzen die in der CRD IV enthaltenen Bestimmungen in Bezug auf Wertpapierfirmen, die sich ebenfalls auf Artikel 53 AEUV stützen. Die Bestimmungen der Verordnung, auf die sich dieser Vorschlag bezieht, ersetzen die in der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 enthaltenen Bestimmungen in Bezug auf Wertpapierfirmen, die sich ebenfalls auf Artikel 114 AEUV stützen.

2.10.

Die neuen Regelungen werden keine Auswirkungen auf den EU-Haushalt haben.

3.   Bemerkungen und Kommentare

3.1.

Der EWSA begrüßt, dass der Vorschlag die Anforderungen in Bezug auf die Benennung der Aufsichtsbehörden, das Anfangskapital und das vorhandene Kapital von Wertpapierfirmen, die Liquidität, das Konzentrationsrisiko, die Aufsichtsbefugnisse und Instrumente für die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen durch die zuständigen Behörden sowie für die Berichts- und Veröffentlichungspflichten, die aufsichtliche Überprüfung und Bewertung, die Unternehmensführung und die Vergütung enthält. Die Richtlinie enthält somit Regeln für die Überwachung und Kontrolle von Wertpapierfirmen und führt zu einer Verringerung aller Arten von Risiken, die durch die Geschäftstätigkeit dieser Firmen entstehen können. Die Richtlinie gilt für alle Wertpapierfirmen, die unter die ab Januar 2018 geltende MiFID II fallen.

3.2.

Der EWSA weist darauf hin, dass in dem Vorschlag vorgesehen ist, dass die Mitgliedstaaten eine Behörde benennen, die die Aufsichtsbefugnisse nach dieser Richtlinie wahrnimmt. Die Mitgliedstaaten können diese Befugnisse gemäß der CRD IV entweder einer bestehenden Behörde oder aber einer neuen Behörde übertragen. Die zuständigen Behörden sollten befugt sein, die aufsichtsrechtliche Lage von Wertpapierfirmen zu überprüfen und zu bewerten und, wo nötig, Änderungen in Bereichen wie interne Unternehmensführung und Kontrolle sowie Risikomanagementverfahren zu verlangen und gegebenenfalls zusätzliche Anforderungen, insbesondere zusätzliche Kapital- und Liquiditätsanforderungen, festzulegen.

3.3.

Nach Auffassung des EWSA ist es wichtig, dass die zuständigen Behörden eng mit den in ihrem jeweiligen Mitgliedstaat für die Beaufsichtigung der Kredit- und Finanzinstitute zuständigen Behörden oder öffentlichen Stellen zusammenzuarbeiten haben. Die Mitgliedstaaten werden sicherstellen müssen, dass die zuständigen Behörden als Teilnehmer am Europäischen Finanzaufsichtssystem (ESFS) zusammenarbeiten und insbesondere die Weitergabe von angemessenen und zuverlässigen Informationen untereinander und an andere Teilnehmer am ESFS sicherstellen. Insbesondere sollten die Behörden den Informationsaustausch in folgenden Bereichen sicherstellen: Verwaltungs- und Eigentumsstruktur der Wertpapierfirma, Einhaltung der Kapitalanforderungen, Konzentrationsrisiko und Liquidität der Wertpapierfirma, Verwaltungs- und Rechnungslegungsverfahren und interne Kontrollmechanismen der Firma sowie alle anderen relevanten Faktoren, die das von einer Wertpapierfirma ausgehende Risiko beeinflussen können. Nach Ansicht des EWSA wird der europäische Markt für Investitionen so transparenter werden.

3.4.

Die zuständigen Behörden können der EBA, der ESMA, dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB), den Zentralbanken der Mitgliedstaaten, dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) und der EZB in ihren Eigenschaften als Währungsbehörden und gegebenenfalls als Behörden, die für die Aufsicht über Zahlungs- und Abwicklungssysteme zuständig sind, vertrauliche Informationen übermitteln, wenn diese die Informationen für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigen. So entstünde nach Auffassung des EWSA ein europäisches Informationssystem über Wertpapierfirmen, das es unlauteren Unternehmen theoretisch unmöglich macht, Finanztransaktionen vorzunehmen.

3.5.

Das erforderliche Anfangskapital einer Wertpapierfirma, insbesondere von KMU, die keine Kundengelder oder -wertpapiere halten, steigt leicht von 50 000 EUR auf 75 000 EUR. Die Anfangskapitalanforderungen einer systemrelevanten Wertpapierfirma werden durch CRR/CRD IV geregelt. Der EWSA stellt erneut fest, dass der Vorschlag für eine Richtlinie über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen eine Chance für KMU ist — insbesondere für solche, die mithilfe digitaler Mittel wachsen.

3.6.

Aus den Daten über mehr als 1 200 Unternehmen geht hervor, dass 80 % der Unternehmen die vorgeschlagenen Liquiditätsanforderungen erfüllen. Etwa 70 % der Unternehmen verfügen über mehr als das Dreifache des erforderlichen Betrags. Daher ist der EWSA der Auffassung, dass die neuen Regelungen nicht dazu führen werden, dass die überwiegende Mehrheit der derzeit existierenden Wertpapierfirmen vom Markt verschwindet.

3.7.

Die Vergütungspolitik in Wertpapierfirmen muss transparent und an die Risiken und die erzielten Gewinne geknüpft sein. Die Vergütungssysteme müssen durch die Aufsichtsbehörden kontrolliert und genehmigt werden. Die Mitgliedstaaten würden von den Wertpapierfirmen eine Offenlegung ihrer Vergütungspolitik verlangen und sicherstellen, dass die Wertpapierfirmen den zuständigen Behörden auf Ersuchen Angaben dazu liefern, wie viele natürliche Personen eine Vergütung von 1 Million EUR oder mehr pro Geschäftsjahr beziehen. In solchen Fällen müssen den Behörden auch Angaben zu den Aufgabenbereichen, dem betreffenden Geschäftsbereich und den wesentlichen Gehaltsbestandteilen sowie zu Bonuszahlungen, langfristigen Prämienzahlungen und Altersvorsorgebeiträgen gemacht werden. Diese Angaben werden an die EBA weitergeleitet und veröffentlicht. Nach Ansicht des EWSA ist diese Vorgehensweise, die darauf abzielt, die Gehälter an die wirtschaftlichen Ergebnisse von Wertpapierfirmen zu koppeln, durchaus gerechtfertigt.

3.8.

Der EWSA begrüßt, dass Zweigniederlassungen ausländischer Wertpapierfirmen kontrolliert werden und verpflichtet sind, jährlich Informationen bereitzustellen über die Firma, die Art der Tätigkeiten und den Standort etwaiger Tochterunternehmen und Zweigniederlassungen, den Umsatz, die Zahl der Lohn- und Gehaltsempfänger in Vollzeitäquivalenten, den Gewinn oder Verlust vor Steuern, die Steuern auf Gewinn oder Verlust sowie die erhaltenen staatlichen Zuschüsse.

3.9.

Der EWSA befürwortet zudem, dass nach Artikel 33 des Richtlinienvorschlags die zuständigen Behörden geeignete Maßnahmen treffen, wenn bei der Überprüfung und Bewertung gemäß Absatz 1 Buchstabe e) festgestellt wird, dass sich der wirtschaftliche Wert des Eigenkapitals einer Wertpapierfirma um mehr als 15 % des Kernkapitals verringert hat. Dies gilt generell auch für Wertpapierfirmen, die ihr Eigenkapital erhöhen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass mit der Ausweitung der MiFID auf alle Derivatemärkte im Jahr 2007 einige auf den Handel mit Warenderivaten spezialisierte Unternehmen vollständig aus der MiFID und den aufsichtsrechtlichen Vorschriften ausgeklammert wurden. Die Geschäftstätigkeit vieler dieser Unternehmen, die mit Finanzinstrumenten zu tun haben, zielt tendenziell darauf ab, die Risiken ihrer Muttergesellschaften in Bezug auf die physische Produktion, Übermittlung, Lagerung oder den Erwerb der zugrunde liegenden physischen Grundstoffe abzusichern. Je nach Branche (z. B. Energie, Landwirtschaft) können Absicherungsmaßnahmen einen beträchtlichen Umfang annehmen, was nach dem derzeitigen Rechtsrahmen größere Auswirkungen auf die Kapitalanforderungen zur Folge hat. Diese Unternehmen werden nun von dem Vorschlag für eine Richtlinie über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen erfasst.

4.2.

Nach Auffassung des EWSA kommt es darauf an, dass mit dem Richtlinien- und dem Verordnungsvorschlag nun neue Risikoparameter (K-Faktoren) sowie die Möglichkeit geschaffen werden, strengere Anforderungen schrittweise einzuführen und zu begrenzen. Die K-Faktoren erfassen die Risiken für die Kunden („Risk-to-Customer“, RtC) und bei Unternehmen, die im Handel auf eigene Rechnung tätig sind und Kundenaufträge in eigenem Namen ausführen, die Marktrisiken („Risk-to-Market“, RtM) sowie die Firmenrisiken („Risk-to-Firm“, RtF).

4.3.

Der EWSA weist darauf hin, dass er sich in seinen Stellungnahmen „Reform des Bankwesens — Eigenkapitalanforderungen und Änderungen des Abwicklungsrahmens“ (ECO/424) (5) und „MiFID/MiFIR“ (INT/790) (6) sowie in früheren Stellungnahmen zu CRR/CDR IV stets für Aufsichtsregeln für die EU-Kapitalmärkte ausgesprochen hat.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 1). Zusammen mit der Richtlinie 2013/36/EU (Eigenkapitalrichtlinie oder CRD IV) (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 338) bildet sie den derzeitigen aufsichtsrechtlichen Rahmen für Wertpapierfirmen.

(2)  Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID): Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1).

(3)  Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU des Rates (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349) und Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 84).

(4)  Bericht der EBA über Wertpapierfirmen, Antwort auf das Beratungsersuchen der Kommission vom Dezember 2014 (EBA/Op/2015/20). Wie in den einschlägigen Artikeln der CRR festgelegt, wurde diese Überprüfung im Benehmen mit der EBA, der ESMA und den in diesen Europäischen Aufsichtsbehörden vertretenen zuständigen nationalen Behörden durchgeführt.

(5)  ABl. C 209 vom 30.6.2017, S. 36.

(6)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 91.


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/41


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zu einem Europäischen Rahmen für hochwertige und nachhaltige Berufsausbildungen“

(COM(2017) 563 final — 2017/0244 (NLE))

(2018/C 262/07)

Berichterstatterin:

Imse SPRAGG NILSSON

Mitberichterstatterin:

Vladimíra DRBALOVÁ

Befassung

Europäische Kommission, 17.11.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 1 AEUV

 

 

Beschluss des Plenums

17.10.2017

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

27.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

194/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt, dass diese Empfehlung angesichts laufender umfangreicher Reformen des Ausbildungssystems in den meisten Mitgliedstaaten genau zum richtigen Zeitpunkt vorgelegt wird und dass die Europäische Kommission zu einem gemeinsamen europäischen Verständnis dessen gelangen möchte, was eine hochwertige und nachhaltige Berufsausbildung ausmacht.

1.2.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass das von der Europäischen Kommission gewählte Rechtsinstrument die Koordinierung gemeinsamer Anstrengungen zur Verbesserung der Qualität und Wirksamkeit der Berufsausbildung fördert. Gleichzeitig lässt es genügend Spielraum auf der nationalen Ebene.

1.3.

Der EWSA stellt fest, dass die Europäische Kommission bei der Begriffsbestimmung und den Kriterien, die sie in dem Vorschlag für eine Empfehlung des Rates aufstellt, die Vielfalt der nationalen Systeme im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung berücksichtigt.

1.4.

Der EWSA begrüßt, dass die Mitgliedstaaten in dem Vorschlag für eine Empfehlung aufgefordert werden, die Sozialpartner im Einklang mit dem nationalen System der Arbeitsbeziehungen sowie den Bildungs- und Ausbildungspraktiken aktiv in die Konzipierung, Verwaltung und Durchführung von Berufsausbildungsprogrammen einzubeziehen.

1.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass an der Konzipierung, Verwaltung und Durchführung von Berufsausbildungsprogrammen auch diejenigen aktiv beteiligt werden sollten, die traditionell nicht automatisch als Akteure in diesem Bereich angesehen werden, aber ebenso wichtig für den Prozess sind, wie etwa Jugend- und Elternorganisationen, Studierendenverbände und die Auszubildenden selbst.

1.6.

Der EWSA ist sich der positiven Rolle bewusst, die eine Berufsausbildung für den Ausbau der Kompetenzen und die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit insbesondere junger Menschen spielen kann, weist aber darauf hin, dass die Arbeitslosigkeit ein komplexes Phänomen ist, für dessen Bewältigung ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich ist, um das Problem über die Frage des Missverhältnisses zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage hinaus an der Wurzel anzugehen.

1.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass in dem Vorschlag für eine Empfehlung stärker auf die Möglichkeiten hätte eingegangen werden sollen, die Auszubildenden zur Verfügung stehen, um die Konzipierung und Verwaltung ihrer eigenen Ausbildung in größerem Maße selbst zu gestalten. Wenn den Auszubildenden die Möglichkeit gegeben wird, ihre Lernerfahrung selbst zu beeinflussen, würde diese Lernerfahrung produktiver, was auch dem Anbieter des Ausbildungs- oder Praktikumsplatzes zugutekäme.

1.8.

Der EWSA fordert klar ersichtliche Verbindungen, eine wirksame Koordinierung und Synergien mit den über das EQAVET-Netz (1) und im Zusammenhang mit EURES (2) bereits eingeleiteten Initiativen.

1.9.

Der EWSA spricht sich für die Einleitung von Initiativen aus, mit denen das Potenzial der transnationalen Mobilität von Auszubildenden in der EU untersucht werden kann. Hierbei sollte den Fortschritten Rechnung getragen werden, die in den Mitgliedstaaten insbesondere im Hinblick auf die Herausforderungen erzielt wurden, die sich im Zusammenhang mit der Schaffung der Voraussetzungen für die Förderung der Mobilität von Auszubildenden stellen.

1.10.

Der EWSA begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, die Umsetzung der Empfehlung mit Hilfe des Beratenden Ausschusses für Berufsbildung (BAB) sowie im Rahmen des Europäischen Semesters zu beobachten, und schlägt vor, Indikatoren zur Bewertung der Wirkung auf der nationalen Ebene zu entwickeln. Der EWSA ist gerne bereit, eine Bewertung der Umsetzung der Empfehlung in den Mitgliedstaaten aus der Perspektive der organisierten Zivilgesellschaft vorzunehmen.

2.   Kontext des Vorschlags für eine Empfehlung des Rates

2.1.

Der Vorschlag für einen Europäischen Qualitätsrahmen für Berufsausbildungen ist eine Weiterführung der neuen europäischen Agenda für Kompetenzen (3) von 2016 und trägt zur Umsetzung der EU-Prioritäten Beschäftigung, Wachstum und Investition bei. Der Vorschlag ergänzt die in der europäischen Säule sozialer Rechte festgeschriebenen Grundsätze und unterstützt ihre Umsetzung auf der nationalen Ebene. Eine hochwertige und nachhaltige Berufsausbildung ist ebenfalls von grundlegender Bedeutung für die erfolgreiche Umsetzung der Jugendgarantie, und der Vorschlag ist eine Reaktion auf den immer dringlicher werdenden Ruf, eine bessere Qualität der Ausbildungs- bzw. Praktikumsplätze im Rahmen der Jugendgarantie zu sichern.

2.2.

Im Rahmen des Programms integrierter Projekte 2014-2016 des sozialen Dialogs der EU haben die europäischen Sozialpartner getrennt Projekte zur Berufsausbildung durchgeführt: der EGB hat sich auf die Qualität der Berufsausbildung konzentriert, während bei BusinessEurope, der UEAPME und dem CEEP die Wirtschaftlichkeit im Mittelpunkt stand. Ergebnis ihrer Arbeit war eine gemeinsame Erklärung Towards a Shared Vision of Apprenticeships (4) („Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vision für die Lehrlingsausbildung“), in der die Bedeutung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Berufsausbildung hervorgehoben wurde.

2.3.

Im Juli 2013 wurde die Europäische Ausbildungsallianz als eine einzigartige Plattform ins Leben gerufen, die Mitgliedstaaten und verschiedene Interessenträger (Unternehmen, Sozialpartner, Kammern, Berufsbildungsanbieter, Regionen, Jugendorganisationen und Thinktanks) zusammenbringt, um die Qualität, das Angebot und die Attraktivität der Berufsausbildung in Europa zu fördern (5).

2.4.

Mit dem vorgeschlagenen Instrument, einer Empfehlung des Rates, wird den Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen. Als Rechtsinstrument zeigt sie, dass sich die Mitgliedstaaten den in der Empfehlung festgelegten Maßnahmen verpflichtet fühlen, und liefert eine starke politische Basis für eine europäische Zusammenarbeit in diesem Bereich. Da die Berufsausbildung in der Regel auf einem Arbeitsvertrag oder einem anderen Vertragsverhältnis basiert, sind Auszubildende neben Lernenden in der beruflichen Bildung zugleich auch Arbeitnehmer. Rechtsgrundlage dieser Initiative sind daher die Artikel 153, 166 und 292 AEUV.

2.5.

Das übergeordnete Ziel der Empfehlung sind die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und der persönlichen Entwicklung von Auszubildenden sowie der Beitrag zur Entwicklung einer gut ausgebildeten und qualifizierten Arbeitnehmerschaft gemäß dem Bedarf des Arbeitsmarkts (6). Das konkrete Ziel ist die Schaffung eines kohärenten Rahmens für Berufsausbildungen auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses von Qualität und Nachhaltigkeit bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Vielfalt der Systeme der beruflichen Aus- und Weiterbildung in den Mitgliedstaaten.

2.6.

Für die Zwecke der Empfehlung sind Berufsausbildungen „formale Berufsbildungsprogramme, bei denen das Lernen am Arbeitsplatz in einem Unternehmen und an anderen Arbeitsstätten mit dem Lernen in Bildungs- oder Ausbildungseinrichtungen kombiniert wird und die zu national anerkannten Qualifikationen führen. Ein wichtiges Merkmal ist dabei eine vertragliche Beziehung zwischen dem oder der Auszubildenden und seinem oder ihrem Arbeitgeber und/oder der Bildungseinrichtung, wobei der oder die Auszubildende für seine oder ihre Arbeit bezahlt oder entschädigt wird.“

2.7.

In dem Vorschlag werden Kriterien für die Qualität und Wirksamkeit der Berufsausbildung in zwei einander ergänzenden Bereichen aufgestellt und empfohlen, um zu gewährleisten, dass Berufsausbildungen auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts reagieren und sowohl für Lernende als auch für Arbeitgeber nutzbringend sind. Im ersten Bereich, „Lern- und Arbeitsbedingungen“, sind die konkreten Kriterien: schriftlicher Vertrag, Lernergebnisse, pädagogische Unterstützung, Arbeitsplatz-Komponente, Bezahlung und/oder Aufwandsentschädigung, Sozialschutz sowie Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit. Im zweiten Bereich, „Rahmenbedingungen“, sind die konkreten Kriterien: Regulierungsrahmen, Einbeziehung der Sozialpartner, Unterstützung für Unternehmen, flexible Lernpfade und Mobilität, Berufsberatung und Sensibilisierung, Transparenz, Qualitätssicherung und Werdegang-Nachverfolgung.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt und unterstützt die vorgeschlagene Empfehlung, die eine Weiterführung und Ergänzung jüngerer Initiativen auf allen Ebenen ist und einer hochwertigen und wirksamen Berufsausbildung in der Europäischen Union neuen Schwung verleihen soll.

3.2.

Die Staats- und Regierungschefs sagten 2017 in der Erklärung von Rom zu, eine Union anzustreben, in der junge Menschen die beste Bildung und Ausbildung erhalten und auf dem gesamten Kontinent studieren und Arbeit finden können. Ein wesentlicher Teil dieser Zusage bestand darin, jungen Menschen die Kompetenzen zu vermitteln, die ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen können. Eine Berufsausbildung ist eine wirksame Möglichkeit, dies zu tun.

3.3.

Eine Berufsausbildung kann allerdings das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen. Sie kann hilfreich bei der Neu- bzw. Weiterqualifizierung von Arbeitslosen jeden Alters sein, um sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auch Menschen mit Migrationshintergrund sollte ein Ausbildungsplatz angeboten werden: Dies wäre ein wirksames politisches Konzept, um ihre soziale Inklusion sowie die Integration der Arbeitnehmer zu fördern. Gleichzeitig sollte verhindert werden, dass eine Berufsausbildung in niedrig qualifizierte Jobs mündet und das Image der Berufsausbildung durch schlechte Ausbildungsqualität beschädigt wird.

3.4.

Als eine Form des Lernens am Arbeitsplatz ermöglicht eine Berufsausbildung den Erwerb von Qualifikationen sowie von berufsspezifischen Fähigkeiten und Kompetenzen, die den Erfordernissen des Arbeitsmarkts entsprechen, wodurch sich Beschäftigungsfähigkeit und Beschäftigungsaussichten verbessern (7). Durch die Lernerfahrungen sollten solide Fähigkeiten und Kompetenzen erworben werden, die nicht nur für die spezifische Ausbildung genutzt werden können. So werden auch die persönliche Entwicklung des Einzelnen gefördert und der Erwerb fachlicher, digitaler, persönlicher und sozialer Kompetenzen auf integrierte Weise unterstützt.

3.5.

Besondere Wirkung kann sie als Instrument zur Erleichterung des Übergangs von der Schule oder Ausbildung in das Erwerbsleben entfalten (8). Dieser Übergang dauert für viele junge Menschen immer länger, weswegen seiner Verkürzung mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Daher sollten berufliche Bildungsmöglichkeiten wie etwa eine Berufsausbildung noch mehr Gewicht erhalten, indem Qualitätsstandards aufgestellt und wirksame Systeme eingeführt werden.

3.6.

Auch wenn Auszubildende zumeist junge Lernende sind, möchte der EWSA hervorheben, dass Ausbildungssysteme so gestaltet sein sollten, dass sie auch für Erwachsene attraktiv sind. Ältere, reifere Lernende erhalten über eine Berufsausbildung die Möglichkeit, Qualifikationen zu erwerben, die ihre Beschäftigungsfähigkeit verbessern und ihnen neue Perspektiven für ihre berufliche Entwicklung eröffnen.

3.7.

Die Arbeitgeber haben mit einem zunehmenden Mangel an Fachkräften zu kämpfen, die sie benötigen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Eine Berufsausbildung kann den Auszubildenden die Kompetenzen vermitteln, die ihre Beschäftigungsfähigkeit verbessern und gleichzeitig auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden. Wenn die von den Auszubildenden und den Arbeitgebern benötigten Kompetenzen übereinstimmen, kann eine Berufsausbildung für beide Seiten attraktiv sein. Durch die Ausbildung von Lehrlingen können Arbeitgeber in die Ausbildung und die Persönlichkeit der Auszubildenden investieren und sie auf lange Sicht als qualifizierte und motivierte Beschäftigte an das Unternehmen binden (9).

3.8.

Der EWSA ist sich bewusst, dass die Unternehmen Möglichkeiten prüfen, wie sie sich an der Gestaltung der Ausbildungssysteme beteiligen können, damit die Lehrlingsausbildung für sie attraktiver und vorteilhafter wird. Der EWSA betont ferner, dass die Nachhaltigkeit der Berufsausbildung ein vielschichtiges Konzept und nicht allein eine Abwägung von Kosten und Nutzen ist. Zum einen geht es bei der Nachhaltigkeit darum, anzuerkennen, dass die Anbieter von Berufsausbildungen in die Schaffung einer Lernerfahrung investieren und erwarten, dass sich ihre Investition im Laufe der Zeit in Form höherer Kompetenzen rentiert, was wiederum einen Anreiz dafür bietet, das Angebot an Ausbildungsplätzen auszuweiten (10). Auf der anderen Seite geht es darum, Menschen qualifiziert den Übergang in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

4.   Gestaltung und Durchführung von Ausbildungssystemen — ein Partnerschaftskonzept

4.1.

In vielen Ländern besteht Verbesserungsbedarf hinsichtlich der vorhandenen Ausbildungssysteme und ihrer Attraktivität. Zu den Herausforderungen zählen u. a. das negative Image einer Ausbildung in der Öffentlichkeit, der Lernwert, mangelnde Attraktivität für die Arbeitgeber und die nur begrenzte oder nicht vorhandene Partnerschaft mit der organisierten Zivilgesellschaft bei der Konzipierung, Durchführung und Bewertung der Programme.

4.2.

Eine Berufsausbildung ist in erster Linie eine Bildungsmöglichkeit und sollte daher auf den Lernenden ausgerichtet sein und die Interessen der Lernenden, ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten in den Mittelpunkt stellen, gleichzeitig aber auch die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts berücksichtigen. Auf diese Weise würde sichergestellt, dass die Auszubildenden ihr volles Potenzial entfalten und ihre Lernziele erreichen, wovon auch die Arbeitgeber profitieren.

4.3.

Die Ansichten der Auszubildenden sollten bei Entscheidungen berücksichtigt werden, die sie und ihre Rechte vor, während und nach ihrer Ausbildung unmittelbar betreffen könnten. Sie sollten ein Mitspracherecht bei den Lernzielen ihrer betrieblichen Ausbildung erhalten und Rückmeldungen zur Qualität und Wirksamkeit ihrer Ausbildung geben können. Aufgrund fehlender Vertretungsorgane bzw. -strukturen verfügen Auszubildende nicht über ausreichende Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen.

4.4.

Eine Berufsausbildung kann jungen Menschen und Erwachsenen dabei helfen, sich für einen bestimmten Beruf umfassend zu qualifizieren und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern. In vielen Fällen bleibt diese Möglichkeit jedoch ungenutzt, da es der Berufsausbildung an Qualität mangelt, der Lernwert nicht im Vordergrund steht und die Rechte der Auszubildenden nicht so gewahrt werden, wie es erforderlich wäre.

4.5.

Darüber hinaus ist der EWSA der Auffassung, dass ein dynamischer Arbeitsmarkt Kompetenzen dringender benötigt als Qualifikationen. Daher sollte der Schwerpunkt bei den Lernergebnissen eher auf belastbaren Kompetenzen als auf kurzfristigen Fähigkeiten liegen.

4.6.

Eine Berufsausbildung sollte eine starke berufspraktische Dimension umfassen, bei der mindestens die Hälfte der Ausbildungszeit mit dem praktischen Erlernen der berufsspezifischen Praxis verbracht wird; wann immer möglich sollte dies mit internationalen Erfahrungen verbunden werden.

4.7.

Ausbilder, Mentoren und Betreuer sollten entsprechend qualifiziert sein und über die für die Ausbildung von Lehrlingen erforderlichen pädagogischen und berufsspezifischen Kompetenzen verfügen. Außerdem sollten sie entsprechend dem Grundsatz des lebensbegleitenden Lernens Zugang zu Weiterbildungsmöglichkeiten haben.

4.8.

Synergien zwischen Qualität, Wirksamkeit und Attraktivität von Berufsausbildungen können nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten (Anbieter der beruflichen Aus- und Weiterbildung, Sozialpartner und andere Organisationen der Zivilgesellschaft, Auszubildende, auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene) entstehen.

4.9.

Auf allen staatlichen Ebenen sollten unter Beteiligung aller einschlägigen wirtschaftlichen und sozialen Akteure (z. B. Anbieter der beruflichen Aus- und Weiterbildung, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Kammern, Jugendorganisationen, Studierendenverbände, Auszubildende) Strukturen mit klaren Verfahren und Aufgaben eingerichtet werden, um Einfluss auf Entscheidungen im Zusammenhang mit der Konzipierung, Durchführung und Überwachung von Ausbildungssystemen zu nehmen und an diesen beteiligt zu werden.

5.   Förderung der Berufsausbildung

5.1.

Um insbesondere bei jungen Menschen der Wahrnehmung einer Berufsausbildung als weniger attraktiver bzw. angesehener Bildungsweg entgegenzuwirken, müssen Berufsausbildungen als wertvolle und qualitativ gleichwertige Bildungsmöglichkeit und nicht als Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik gefördert werden.

5.2.

Die Förderung der Berufsausbildung sollte einhergehen mit Bemühungen zum Abbau traditioneller Rollenklischees der Geschlechter, die sich immer noch negativ auf die Berufswahl, das Angebot von Ausbildungsplätzen, die Annahme, Beförderungen und die Werbung auswirken.

5.3.

Allen einschlägigen Akteuren — den politischen Entscheidungsträgern, Sozialpartnern, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bildungseinrichtungen — kommt eine entscheidende Aufgabe bei der Steigerung der Attraktivität der Berufsausbildung zu, wofür sie zusammenarbeiten müssen. Ein überzeugenderes Narrativ in Bezug auf die Berufsausbildung muss Hand in Hand gehen mit der Verbesserung der Qualität und der Wirksamkeit der Ausbildungssysteme bzw. hängt hiervon ab.

5.4.

Die Regierungen sollten mehr in die Durchführung von Maßnahmen investieren, die eine Berufsausbildung auf der lokalen Ebene für potenzielle Auszubildende attraktiver machen, und Arbeitgeber dazu ermutigen, zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen.

5.5.

Der EWSA sieht die Möglichkeit gegeben, den ESF zur Unterstützung des Aufbaus und der Weiterentwicklung hochwertiger und nachhaltiger Ausbildungssysteme in den Mitgliedstaaten einzusetzen, die mehr finanzielle und technische Hilfe für die Umsetzung der Ziele des Rahmens benötigen.

5.6.

Unbedingt muss den Arbeitgebern, insbesondere KMU und Kleinstunternehmen, die finanzielle und sonstige Unterstützung geboten werden, die sie benötigen, um hochwertige und nachhaltige Ausbildungsplätze und -systeme anbieten zu können.

5.7.

Die Berufsausbildung sollte im Rahmen eines gerechten, inklusiven, diskriminierungsfreien und innovativen Ansatzes ein neues Image erhalten. Die am stärksten benachteiligten Menschen in unserer Gesellschaft sollten Zugang zu der bestmöglichen Unterstützung und Beratung für eine hochwertige Bildung und Lernen am Arbeitsplatz erhalten, die ihren Interessen und Ambitionen gerecht werden. Auf allen Ebenen sollten Maßnahmen ergriffen werden, um gegen Diskriminierung aufgrund eines Migrationshintergrunds, der sozioökonomischen Herkunft, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, des Alters, des Geschlechts oder eines anderen Sachverhalts vorzugehen, die dem gleichberechtigten Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten im Wege steht.

6.   Lern- und Arbeitsbedingungen

6.1.

Nach Auffassung des EWSA sollte eine Ausbildung durch ein schriftliches und rechtlich bindendes Dokument untermauert werden, durch eine Lernvereinbarung oder einen schriftlichen Vertrag zwischen dem Arbeitgeber, dem Auszubildenden und der Bildungs- bzw. Berufsbildungseinrichtung. In diesem Dokument sollten die Rechten und Pflichten aller Beteiligten eindeutig dargelegt werden, und es sollte eine Beschreibung der Lernziele und Aufgaben sowie sonstige relevante Informationen über den Ausbildungsplatz enthalten (einschließlich — aber nicht beschränkt auf — Dauer, Arbeitszeiten, Bezahlung usw.).

6.2.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass Auszubildende ein Recht auf eine angemessene Bezahlung und/oder Aufwandsentschädigung haben, die im Rahmen von Tarifverträgen ausgehandelt wird, bzw. entsprechend nationalen oder branchenspezifischen Vorgaben. Eine angemessene Bezahlung oder Aufwandsentschädigung kann mehr Menschen (insbesondere aus einkommensschwachen Schichten) dazu motivieren, eine Ausbildung aufzunehmen, und zur Eindämmung des Missbrauchs einer Ausbildung als unbezahlte und übermäßig flexible Beschäftigung beitragen.

6.3.

Der EWSA bekräftigt, dass unbedingt sichergestellt werden muss, dass die Auszubildenden angemessen und unverzüglich über Gefahren für ihre Gesundheit und Sicherheit informiert werden, denen sie im Rahmen der Ausbildung ausgesetzt sind, und dass bei Auszubildenden die Arbeitsschutzvorschriften in vollem Umfang eingehalten werden.

7.   Monitoring und Bewertung von Ausbildungssystemen

7.1.

Alle Anbieter von Ausbildungsplätzen sollten sich zur Einhaltung von Qualitätskriterien verpflichten. Auszubildenden sollte vor, während und nach ihrer Ausbildung immer ein fachkundiger Betreuer an die Seite gestellt werden, damit sichergestellt ist, dass die Lernziele erreicht und die Rechte des Auszubildenden gewahrt werden und dass die Qualität gewährleistet wird.

7.2.

Über ein Monitoringsystem sollten die Fortschritte der Auszubildenden beim Erreichen ihrer Lernziele verfolgt werden, ebenso wie die Qualität und die Wirksamkeit der Lernerfahrung. Die Ergebnisse einer solchen Bewertung sollten den Auszubildenden und den Anbietern des Ausbildungsplatzes mitgeteilt werden, damit bei Bedarf Verbesserungen vorgenommen werden können. Dieses Monitoringsystem könnte wo immer möglich dazu genutzt werden, zu bestimmen, wie hoch der Anteil der Auszubildenden ist, die später eine Beschäftigung finden.

8.   Anerkennung von Qualifikationen

8.1.

Die Ausbildungssysteme sollten im Einklang mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen zu auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene anerkannten Qualifikationen führen. Anerkannte Qualifikationen verbessern die Beschäftigungsfähigkeit von Auszubildenden und ihre Mobilität im Heimatland sowie in der EU. Die Lernpfade sollten durchlässig sein und den Auszubildenden die Möglichkeit geben, sich nach Abschluss ihrer Ausbildung auf Hochschulebene weiterzuqualifizieren.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  EQAVET — Europäischer Bezugsrahmen für die Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung.

(2)  EURES — Das europäische Portal zur beruflichen Mobilität.

(3)  COM(2016) 381 final.

(4)  Gemeinsame Erklärung der europäischen Sozialpartner, „Towards a Shared Vision of Apprenticeships“, 30. Mai 2016.

(5)  Europäische Ausbildungsallianz.

(6)  COM(2017) 563 final.

(7)  Stellungnahme des EWSA „Verbesserung der Leistungsfähigkeit nationaler dualer Ausbildungssysteme“ (ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 57).

(8)  Nachweislich finden 60-70 %, in manchen Fällen sogar bis zu 90 % der Auszubildenden unmittelbar nach ihrer Ausbildung eine Stelle. (Internetseite der Kommission zur Berufsausbildung).

(9)  Cedefop, 2015, Kurzbericht — Was muss Europa tun, um die Ausbildungsbereitschaft kleiner und mittlerer Unternehmen zu fördern?

(10)  Stellungnahme des Beratenden Ausschusses für Berufsbildung „Shared vision for quality and effective apprenticeship and work-based learning“ („Eine gemeinsame Vision für hochwertige und nachhaltige Lehrstellen und arbeitsbasiertes Lernen“), 2. Dezember 2016.


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt“

(COM(2017) 647 final — 2017/0288 (COD))

(2018/C 262/08)

Berichterstatter:

Raymond HENCKS

Befassung

Europäisches Parlament, 29.11.2017

Rat, 22.11.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 91 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Präsidiums

17.10.2017

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

200/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA schließt sich dem Ziel der Kommission an, die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger, die größere Entfernungen mit dem Bus zurücklegen, zu verbessern, die Benutzung nachhaltiger Verkehrsmittel zu fördern und Verkehrsdienste anbieten zu können, die besser auf die Bedürfnisse der Bürger, insbesondere jener mit geringem Einkommen, zugeschnitten sind.

1.2.

Gleichwohl wird der Vorschlag, den Anwendungsbereich der gemeinsamen Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt auf alle von einem nicht ansässigen Kraftverkehrsunternehmer durchgeführten gewerblichen Personenkraftverkehrsdienste, einschließlich der innerstaatlichen, auszuweiten, in einigen Mitgliedstaaten als problematisch erachtet.

1.3.

Die Ausweitung der neuen Regelungen für den Zugang zum Markt grenzüberschreitender oder innerstaatlicher Linienverkehrsdienste über Entfernungen von weniger als 100 oder 120 km Luftlinie auf Stadt- und Vorortdienste könnte diesen Ländern zufolge die Erfüllung des Auftrags und der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ernsthaft beeinträchtigen.

1.4.

Der Verordnungsvorschlag berücksichtigt nicht die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden erheblichen Unterschiede bei der Organisation ihres Personenkraftverkehrs und bei der Tarifgestaltung, insbesondere bei den Stadt- und Vorortdiensten, die oft unentgeltlich angeboten werden oder bei denen oftmals allgemeine oder bestimmten Gruppen von Fahrgästen vorbehaltene Preisermäßigungen gelten, womit sozialen und ökologischen Erfordernissen Rechnung getragen wird, die spezifische und vielschichtige Regelungen notwendig machen. In einigen Mitgliedstaaten jedoch ist der Personenverkehrsmarkt stärker dereguliert.

1.5.

Die vorgeschlagene Bestimmung, nach der bei der grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Personenbeförderung (einschließlich der Stadt- und Vorortdienste) über Entfernungen von weniger als 100 km Luftlinie der Marktzugang verweigert werden kann, wenn der vorgeschlagene Dienst das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gefährden würde, könnte in einigen Fällen nur schwer vereinbar sein mit einer Dienstleistung von allgemeinem Interesse, die für alle erschwinglich und von angemessener Qualität ist. Der Markt kann unter Wahrung der Rechtsvorschriften über fairen Wettbewerb lediglich einen an den Kosten orientierten Preis anbieten. Einige Mitgliedstaaten haben ihren Markt indes vergleichsweise erfolgreich vollständig oder teilweise dereguliert. Für sie könnte der Vorschlag einem Rückschritt gleichkommen.

1.6.

Nach Auffassung des EWSA steht der Verordnungsvorschlag insofern möglicherweise nicht ganz mit Artikel 5 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) betreffend das Subsidiaritätsprinzip im Einklang, als Protokoll Nr. 26 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) den nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind, einen weiten Ermessensspielraum einräumt, um ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung und Förderung des universellen Zugangs und der Nutzerrechte sicherzustellen. Da der nationale Linienfern- und Reisebusverkehr auf Streckenlängen über 100 km in einigen Mitgliedstaaten aber bereits liberalisiert ist, kann der freie Zugang zum Markt für Busverkehrsdienste an sich nicht infrage gestellt werden.

1.7.

Der EWSA betont, dass die Mitgliedstaaten bei dieser Auslegung des Subsidiaritätsprinzips über den ihnen vom Vertrag gewährten weiten Ermessenspielraum verfügen, um ihre Dienste von allgemeinem Interesse im Einklang mit den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger zu organisieren. Das bedeutet selbstredend, dass auch die in einigen Mitgliedstaaten deregulierten Kraftomnibusmärkte fortbestehen können und dass das von der Europäischen Kommission verfolgte Ziel eines Binnenmarkts für diese Dienste nicht erreicht wird.

1.8.

Der EWSA unterstreicht schließlich, dass sich die Einrichtung neuer Busverbindungen negativ auf durch nachhaltigere Verkehrsträger erbrachte öffentliche Dienste auswirken könnte. Der EWSA erachtet es daher als sinnvoll, dass die Behörden sicherstellen können, dass Dienste effiziente, emissionsarme Fahrzeuge einsetzen, die nicht zur Erhöhung des Klimagasausstoßes beitragen, insbesondere Schienenverkehrsdienste. Der EWSA fordert die Europäische Kommission deshalb nachdrücklich auf, die Liberalisierung des Straßenverkehrsmarkts mit einer unmissverständlicheren Anwendung des Verursacherprinzips auf alle Verkehrsträger zu verknüpfen.

2.   Einleitung

2.1.

Gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe g des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union teilt die Union ihre Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten im Verkehrsbereich. Gemäß Artikel 91 AEUV wird sie

„a)

für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder für den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln aufstellen;

b)

für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, die Bedingungen festlegen; […]

(2)

Beim Erlass von [diesen] Maßnahmen […] wird den Fällen Rechnung getragen, in denen die Anwendung den Lebensstandard und die Beschäftigungslage in bestimmten Regionen sowie den Betrieb der Verkehrseinrichtungen ernstlich beeinträchtigen könnte.“

2.2.

Mit der Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 über den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt möchte die Kommission nach eigener Aussage die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger über größere Entfernungen verbessern, die Benutzung nachhaltiger Verkehrsmittel steigern helfen und Dienste anbieten können, die besser auf die Bedürfnisse der Bürger zugeschnitten sind, insbesondere jener mit geringem Einkommen.

2.3.

In einigen europäischen Sprachen wird nicht zwischen „Reisebus“ und „Linienbus“ unterschieden. Die Entfernung ist oft eines der Hauptkriterien bei der Regulierung des Fernbusverkehrs. Sie muss beispielsweise im Vereinigten Königreich mehr als 50 Meilen und in Frankreich und Schweden mehr als 100 km betragen.

2.4.

In einigen Mitgliedstaaten ist der Markt für Fernbusreisen bereits jetzt zumindest teilweise liberalisiert. In Deutschland bspw. ist die Liberalisierung des Marktes an zwei Bedingungen geknüpft: Der Abstand zwischen zwei Haltestellen muss mindestens 50 km betragen und auf der Strecke darf kein Schienenpersonennahverkehr mit einer Reisezeit von unter einer Stunde betrieben werden. In Frankreich erlaubt das „Macron-Gesetz“ jedem Betreiber, für Strecken von über 100 km Fernbuslinienverkehrsdienste anzubieten.

3.   Aktuelle EU-Vorschriften

3.1.

Die Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 vom 21. Oktober 2009 gilt für die Beförderung von mehr als neun Personen mit Kraftomnibussen im grenzüberschreitenden Linienpersonenverkehr sowie unter bestimmten Voraussetzungen und zeitweilig für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Personenkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind.

3.2.

Beförderungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten werden weitgehend durch bilaterale Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und den betreffenden Drittstaaten geregelt. Innerhalb der im Transit durchquerten Mitgliedstaaten gelten allerdings die EU-Vorschriften.

3.3.

Die gemeinsamen Regeln gelten nicht für Busdienste im Stadt- und Vorortverkehr. Die Kabotage durch einen nicht ansässigen Verkehrsunternehmer in einem Aufnahmemitgliedstaat ist zugelassen; ausgenommen sind Verkehrsdienste, die die Verkehrsbedürfnisse sowohl in einem Stadtgebiet oder einem Ballungsraum als auch zwischen einem Stadtgebiet und seinem Umland befriedigen. Die Kabotage darf nicht unabhängig von einem grenzüberschreitenden Verkehrsdienst durchgeführt werden.

3.4.

Dagegen gelten die Bestimmungen über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen für Busunternehmen, die Kabotage-Beförderungen durchführen.

3.5.

Die Mitgliedstaaten unterrichten die Europäische Kommission jedes Jahr von der Anzahl der Verkehrsunternehmer, die am 31. Dezember des vorangegangenen Jahres Inhaber einer Gemeinschaftslizenz waren, und von der Anzahl der beglaubigten Kopien für die zu diesem Zeitpunkt zugelassenen Fahrzeuge. Am 31. Dezember 2016 gab es in der Union 34 390 Lizenzen für den Personenkraftverkehr und 300 155 Kraftomnibusse, von denen ca. 46 000 im Fernbusverkehr eingesetzt wurden.

4.   Von der Kommission vorgeschlagene neue Maßnahmen

4.1.

Der Anwendungsbereich wird erheblich ausgeweitet und umfasst alle Beförderungen im (grenzüberschreitenden wie innerstaatlichen) Linienverkehr in der gesamten EU, die von einem nicht ansässigen Verkehrsunternehmer als Linienverkehr durchgeführt werden.

4.2.

Die derzeitige Regelung, nach der „Kabotage“„den gewerblichen innerstaatlichen Personenkraftverkehr, der zeitweilig von einem Kraftverkehrsunternehmer in einem Aufnahmemitgliedstaat durchgeführt wird“, bezeichnet, wird dadurch geändert, dass der „zeitweilige“ Charakter entfällt. Somit zählen Kabotage-Tätigkeiten nunmehr zum Linienverkehr.

4.3.

Voraussetzung für die Zulassung von Kabotage-Diensten als Linienverkehr wird künftig der Besitz einer Gemeinschaftslizenz sein. Zeitweilige Kabotage-Tätigkeiten werden nur genehmigt, sofern hierfür ein Vertrag zwischen dem Veranstalter und dem Verkehrsunternehmer besteht und es sich um Kabotage im Gelegenheitsverkehr handelt.

4.4.

Hinsichtlich des Linienverkehrs wird in der neuen Verordnung unterschieden zwischen der grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Personenbeförderung über eine Entfernung von weniger als 100 km Luftlinie zum einen und einer solchen Beförderung über eine Entfernung ab 100 km Luftlinie zum anderen.

4.5.

Für den grenzüberschreitenden Linienverkehr zur Personenbeförderung und innerstaatliche Linienverkehrsdienste über eine Entfernung ab 100 km Luftlinie wird der Marktzugang vollständig liberalisiert.

4.6.

Für den grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Linienverkehr (einschließlich der Stadt- und Vorortdienste) über Entfernungen von weniger als 100 km Luftlinie kann der Marktzugang verweigert werden, wenn der vorgeschlagene Dienst das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gefährden würde. Die Entfernung von weniger als 100 km kann auf 120 km erhöht werden, wenn der einzuführende Linienverkehr einen Ausgangspunkt und einen Bestimmungsort bedient, die bereits im Rahmen mehr als eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags bedient werden.

4.7.

Expressdienste, d. h. die regelmäßige Beförderung von Fahrgästen auf einer bestimmten Verkehrsstrecke ohne Zwischenhaltestellen, gelten nunmehr genauso als „Linienverkehr“ wie Verkehrsdienste, bei denen Fahrgäste an vorher festgelegten Haltestellen aufgenommen oder abgesetzt werden können.

4.8.

Für den Personenkraftverkehrssektor wird eine unabhängige Regulierungsstelle geschaffen, die folgende Aufgaben hat:

Durchführung wirtschaftlicher Analysen dazu, ob vorgeschlagene neue Dienste das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gefährden würden. Die Schlussfolgerungen der Regulierungsstelle sind für die Genehmigungsbehörden, die für das Recht auf Zugang zum grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Markt zuständig sind, bindend. Die Entscheidungen der Regulierungsstelle können gerichtlich überprüft werden;

Erhebung und Bereitstellung von Informationen über den Zugang zu Busbahnhöfen;

Entscheidung über Beschwerden gegen Entscheidungen der Busbahnhofsbetreiber.

4.9.

Die technischen Anpassungen hinsichtlich der Gemeinschaftslizenzen, Genehmigungen für den Marktzugang und weiteren Bescheinigungen erfolgen im Wege eines delegierten Rechtsakts der Kommission.

4.10.

Die Verkehrsunternehmen haben ein Recht auf Zugang zu Parkplätzen für Kraftomnibusse (Busbahnhöfe) zu fairen, transparenten und diskriminierungsfreien Bedingungen.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1.

Die Ausweitung des Anwendungsbereichs der vorliegenden Verordnung auf alle von einem nicht ansässigen Kraftverkehrsunternehmer durchgeführten gewerblichen Linienverkehrsdienste bedeutet, dass dieser innerstaatliche Linienverkehrsdienste unter den gleichen Bedingungen wie ansässige Verkehrsunternehmer durchführen kann und dass eine Kabotage-Tätigkeit, die dauerhaft und ununterbrochen erbracht wird, als Linienverkehr angesehen wird. Somit gilt die vorliegende Verordnung für alle Beförderungen im grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Linienverkehr mit Kraftomnibussen.

5.2.

Für die grenzüberschreitende und innerstaatliche Personenbeförderung über eine Entfernung ab 100 km Luftlinie wird der Markt deshalb vollständig liberalisiert; möglicherweise bestehende öffentliche Dienstleistungsaufträge können nicht mehr berücksichtigt werden, um den Marktzugang zu verweigern.

5.3.

Der Zugang zum Markt grenzüberschreitender oder innerstaatlicher Linienverkehrsdienste über Entfernungen von weniger als 100 oder 120 km Luftlinie kann verweigert werden, wenn das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gefährdet wird und die mit der Durchführung einer entsprechenden wirtschaftlichen Analyse beauftragte unabhängige Regulierungsstelle ihre Zustimmung erteilt.

5.4.

Im Gegensatz zur derzeit geltenden Verordnung wird im neuen Kommissionsvorschlag die Personenbeförderung im Stadt- und Vorortverkehr nicht mehr ausdrücklich ausgenommen; für sie wird künftig die neue Verordnung gelten.

5.5.

Darüber hinaus dürfen die Behörden, die über den Marktzugang zu entscheiden haben, einen Antrag nicht nur deshalb ablehnen, weil ein Verkehrsunternehmen niedrigere Preise als andere Verkehrsunternehmen anbietet. Nun ist aber belegt, dass Verkehrsunternehmen des Privatsektors, die nicht gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegen, Preise anbieten (beispielsweise 1 Euro für eine Fernstrecke), die eindeutig als Dumping einzustufen sind. Es besteht deshalb die Gefahr, dass die allgemein gehaltene und vorbehaltlose Formulierung der betreffenden Bestimmung als Freibrief für unlauteren Wettbewerb angesehen wird.

5.6.

Der Verordnungsvorschlag berücksichtigt nicht die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden erheblichen Unterschiede bei der Organisation ihres Personenkraftverkehrs und bei der Tarifgestaltung, insbesondere bei den Stadt- und Vorortdiensten, die oft unentgeltlich angeboten werden oder bei denen oftmals allgemeine oder bestimmten Gruppen von Fahrgästen vorbehaltene Preisermäßigungen gelten, womit sozialen und ökologischen Erfordernissen Rechnung getragen wird, die spezifische und vielschichtige Regelungen notwendig machen. In einigen Mitgliedstaaten jedoch ist der Personenverkehrsmarkt stärker dereguliert.

5.7.

Nach Auffassung des EWSA steht der Verordnungsvorschlag möglicherweise nicht ganz mit Artikel 5 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) betreffend das Subsidiaritätsprinzip im Einklang, und er hält die in dem (in Artikel 5 des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vorgesehenen) Begründungsvermerk aufgeführten Argumente für nicht gänzlich überzeugend. Da der nationale Linienfern- und Reisebusverkehr auf Streckenlängen über 100 km in einigen Mitgliedstaaten aber bereits liberalisiert ist, kann der freie Zugang zum Markt für Busverkehrsdienste an sich nicht infrage gestellt werden.

5.8.

Die Personenbeförderung ist aber auch eine im Vertrag vorgesehene Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse und fällt als solche unter Artikel 106 Absatz 2 AEUV, in dem es heißt: „Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten die Vorschriften der Verträge, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert.“

5.9.

In diesem Artikel geht es um den Vorrang der ordnungsgemäßen Erfüllung des Auftrags in einem nicht auf wirtschaftliches Gleichgewicht ausgerichteten Ansatz.

5.10.

Zu den gemeinsamen Werten in Bezug auf die Aufgaben der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die im Protokoll Nr. 26 über Dienste von allgemeinem Interesse (im Sinne von Artikel 14 AEUV) aufgeführt sind, zählen unter anderem: die wichtige Rolle und der weite Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind; ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung und Förderung des universellen Zugangs und der Nutzerrechte.

5.11.

Ein wirtschaftliches Gleichgewicht zählt somit nicht zu den Werten, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse unbedingt erfüllen müssen. Ein wirtschaftliches Gleichgewicht könnte überdies teilweise nur schwer mit einer Dienstleistung vereinbar sein, die für alle erschwinglich sein muss. Der Markt kann lediglich einen an den Kosten orientierten Preis anbieten, womit sich der Zugang aller zu einem erschwinglichen Dienst nicht sicherstellen lässt. Es sei aber darauf hingewiesen, dass einige Mitgliedstaaten ihren Markt vergleichsweise erfolgreich vollständig oder teilweise dereguliert haben. Für sie könnte der Vorschlag einem Rückschritt gleichkommen.

5.12.

Deshalb könnte die mit der geänderten Verordnung eingerichtete Regulierungsstelle allenfalls beurteilen, ob die Voraussetzungen von Artikel 106 Absatz 2 AEUV und von Protokoll 26 erfüllt werden oder nicht — eine Befugnis (Feststellung eines offensichtlichen Fehlers), die bislang allein die Kommission innehatte, vorbehaltlich einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.

5.13.

Im Gegensatz zum neuen Vorschlag der Kommission steht die Bestimmung der geltenden Verordnung (EG) Nr. 1073/2009, insbesondere Artikel 8 Absatz 4 Buchstabe d (dessen Streichung die Kommission vorschlägt), im Einklang mit dem Vertrag, da es dort heißt: „Ein Mitgliedstaat entscheidet aufgrund einer eingehenden Analyse, dass der betreffende Verkehrsdienst ernsthaft die Funktionsfähigkeit eines vergleichbaren Dienstes, der im Rahmen eines oder mehrerer öffentlicher Dienstleistungsaufträge mit gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen im Einklang mit dem geltenden Gemeinschaftsrecht durchgeführt wird, auf den betreffenden direkten Teilstrecken beeinträchtigen würde.“

5.14.

Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass für eine Änderung der vorgenannten Bestimmung von Artikel 8 keine Veranlassung besteht und dass den Mitgliedstaaten gemäß dem Subsidiaritätsprinzip der ihnen vom Vertrag gewährte weite Ermessenspielraum für die Organisation ihrer Dienste von allgemeinem Interesse eingeräumt werden sollte, sofern nicht die Kommission einen offensichtlichen Fehler feststellt.

5.15.

Der EWSA unterstreicht, dass sich die Einrichtung neuer Busverbindungen negativ auf durch nachhaltigere Verkehrsträger erbrachte öffentliche Dienste auswirken könnte, insbesondere Schienenverkehrsdienste. Es darf deshalb nicht dazu kommen, dass aus rein wirtschaftlichen Gründen der Zugbetrieb auf der betreffenden Strecke eingestellt wird.

5.16.

Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass mit den Rechtsvorschriften zum einheitlichen europäischen Eisenbahnraum die Schaffung eines europäischen Eisenbahnraums angestrebt wird, der dauerhaft mit den anderen Verkehrsträgern konkurrieren kann.

5.17.

Indes ist der Wettbewerb zwischen der Schiene und der Straße nach wie vor in hohem Maße unfair, da die von den Eisenbahnverkehrsunternehmen zu entrichtenden Trassengebühren und die Betriebskosten etwa dreimal so hoch sind wie die Kosten, die den Personenkraftverkehrsunternehmen entstehen. Die Ankündigung der Kommission, „Maßnahmen vorzuschlagen, um die externen Verkehrskosten auf koordinierte und ausgewogene Weise verkehrsträgerübergreifend zu internalisieren, so dass die erhobenen Entgelte die externen Kosten widerspiegeln, die der […] Gesellschaft aufgebürdet werden“, ist bislang weitgehend folgenlos geblieben.

5.18.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission deshalb nachdrücklich auf, die Liberalisierung des Straßenverkehrsmarkts mit einer unmissverständlicheren Anwendung des Verursacherprinzips auf alle Verkehrsträger zu verknüpfen.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/52


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/106/EWG über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten“

(COM(2017) 648 final/2 — 2017/0290 (COD))

(2018/C 262/09)

Berichterstatter:

Stefan BACK

Befassung

Europäisches Parlament, 29.11.2017

Europäischer Rat, 4.12.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 91 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

159/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt die Initiative zur Aktualisierung der Richtlinie 92/106/EWG (im Folgenden „die Richtlinie“), um den kombinierten Verkehr wirksamer und attraktiver zu machen und den Verkehr insgesamt im Einklang mit den Zielsetzungen des Weißbuchs Verkehr von 2011 und den Zusagen im Rahmen des Übereinkommens von Paris nachhaltiger zu gestalten.

1.2.

Der EWSA begrüßt die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf innerstaatliche Beförderungen mit dem Ziel, den Straßenverkehr weiter zu verringern.

1.3.

Der EWSA begrüßt außerdem die Anstrengungen zur Vereinfachung der Richtlinie, um den kombinierten Verkehr attraktiver zu gestalten und die Rechtsicherheit zu verbessern.

1.4.

Der EWSA erachtet insbesondere die Vereinfachung betreffend die Mindestentfernung der auf der Straße zurückgelegten Teilstrecke als sinnvoll und begrüßt auch die den Mitgliedstaaten eingeräumte Flexibilität, um den Bedingungen vor Ort Rechnung tragen zu können. Indes weist er darauf hin, dass die Obergrenze von 20 % der Entfernung zwischen der ersten Ladestelle und der letzten Entladestelle dazu führen könnte, dass Entfernungen von weit mehr als 300 km auf der Straße zurückgelegt werden, für die im Weißbuch Verkehr von 2011 eine schrittweise Verkehrsverlagerung weg von der Straße gefordert wird.

1.5.

Für die Erleichterung zum einen des Zugangs zu Informationen über die Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten und zum anderen der Planung von Beförderungen im kombinierten Verkehr schlägt der EWSA vor, die Mitgliedstaaten dazu zu verpflichten, sämtliche sachdienlichen Informationen betreffend die Umsetzung der Richtlinie auf einer eigenen Website zu veröffentlichen.

1.6.

Der EWSA befürwortet die Präzisierung und Vereinfachung durch die ausführliche Auflistung der Dokumente, die für Kontrollen der Einhaltung der Bestimmungen vorzulegen sind, wie auch die Bestimmung, dass die erforderlichen Dokumente auf elektronischem Wege/in elektronischer Form vorgelegt werden können. Er schlägt vor, dass etwaige nationale Entscheidungen zur Genehmigung einer längeren Teilstrecke auf der Straße ebenfalls als Teil der Dokumente vorgelegt werden sollten.

1.7.

Der EWSA begrüßt die vorgeschlagene Verpflichtung für die Mitgliedstaaten in Bezug auf Investitionen in Umschlagterminals und insbesondere die Verpflichtung, derartige Investitionen mit benachbarten Mitgliedstaaten abzustimmen. Er hegt jedoch Zweifel daran, ob das Ziel einer Höchstentfernung von 150 km von jedwedem Standpunkt in der EU zum nächsten Terminal in Anbetracht der Situation in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte und einem weitmaschigen Schienen- und Hafennetz realistisch ist, und schlägt daher vor, eine eindeutige Flexibilitätsoption in den Vorschlag aufzunehmen.

1.8.

Damit die Sicherheit erhöht wird und die Anreize für den kombinierten Güterverkehr ihre Wirkung schneller entfalten können, müssen einschlägige Fördermaßnahmen nach Meinung des EWSA als mit dem Binnenmarkt vereinbar erachtet und von der Meldepflicht gemäß den Vorschriften für staatliche Beihilfen ausgenommen werden, wenn diese Förderung eine vorab festgelegte Obergrenze nicht überschreitet.

1.9.

Der EWSA stellt auch die Zweckmäßigkeit der Bestimmung in Artikel 1 Nummer 2 Absatz 2 des Vorschlags in Frage, nach der bestimmte auf einer Binnenwasserstraße oder auf See zurückgelegte Teilstrecken für die Zwecke des kombinierten Verkehrs nicht berücksichtigt werden sollen. Seiner Meinung nach ist dieser Vorschlag unklar und lässt unterschiedliche Auslegungen zu; er bezweifelt außerdem seinen Nutzen, da vergleichbare Auswahlkriterien, die eindeutig darauf abzielen, Verkehrsträger, die keinerlei Förderung bedürfen, auszuschließen, beim Schienenverkehr nicht in Betracht gezogen wurden.

1.10.

Der EWSA hält es auch nur für schwer nachvollziehbar, warum die so genannte Kabotage-Ausnahme in Artikel 4 der Richtlinie unverändert bleibt. Im Sinne der Verkehrspolitik verweist der EWSA diesbezüglich zunächst auf die aktuell anhängenden Vorschläge über Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs mit Blick auf die Kabotage und die aktuelle Debatte über Marktzugang und Wettbewerb und die damit verbundenen sozialen Aspekte. Er weist außerdem auf den allgemeinen Grundsatz hin, dass eine Dienstleistung, die in einem anderen Land als dem erbracht wird, in dem der Dienstleister niedergelassen ist, zeitlich begrenzt erfolgen sollte. Nach Meinung des EWSA spricht nichts gegen eine Bestimmung, wonach auf der Straße zurückgelegte Teilstrecken im Rahmen des kombinierten Verkehrs gesonderte Beförderungen sind — mit Ausnahme des Falls, dass die gesamte Beförderung mit einem Kraftfahrzeug oder einer Fahrzeugkombination einschl. der Zugmaschine erfolgt — und die Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 auf alle Beförderungen auf der Straße Anwendung findet. Artikel 4 der Richtlinie sollte entsprechend geändert werden.

1.11.

Der EWSA zeigt sich ebenso überrascht, dass die Bestimmung in Artikel 2 der Richtlinie, der zufolge Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, Beförderungen im kombinierten Verkehr im Sinne des Artikels 1 spätestens bis zum 1. Juli 1993 von jeder Kontingentierung und Genehmigungspflicht zu befreien, nicht in die Vorschläge zur Änderung der Richtlinie aufgenommen wurde. In seiner aktuellen Form und mit Blick auf die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie könnte dieser Artikel dahingehend ausgelegt werden, dass er eine weitaus größere Wirkung als möglicherweise geplant nach sich zieht, insbesondere für den Marktzugang. Der EWSA schlägt daher vor, diesen Artikel umzuformulieren oder zu streichen.

1.12.

Der EWSA hält fest, dass in dem Vorschlag zur Änderung der Richtlinie die Anwendung der Richtlinie 96/71/EG zur Entsendung von Arbeitnehmern nicht thematisiert wird. Er geht davon aus, dass diese Richtlinie auch auf Beförderungen im kombinierten Verkehr Anwendung findet und das dies auch in Bezug auf den Kommissionsvorschlag für spezifische Regeln für die Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor gilt (COM(2017) 278 final).

1.13.

Der EWSA verweist abschließend auf das erhebliche Potenzial der Digitalisierung für die Erleichterung und Förderung des kombinierten Verkehrs. Einige Beispiele für mögliche künftige Maßnahmen wurden obenstehend erläutert. Das Potenzial für Entwicklungen in diesem Bereich ist für den Verkehr insgesamt und somit auch für den kombinierten Verkehr beträchtlich.

1.14.

Der EWSA empfiehlt, dass die Europäische Kommission auch die Möglichkeit einer Lösung für Verkehrskosten nach dem Vorbild der Verordnung (EG) Nr. 1405/2006 des Rates für Zypern und Malta untersuchen sollte.

2.   Hintergrund

2.1.

Am 8. November 2017 legte die Europäische Kommission den zweiten Teil ihres Mobilitätspakets vor, das von der grundlegenden Mitteilung „Verwirklichung emissionsarmer Mobilität“ (COM(2017) 675 final) flankiert wird.

2.2.

Dieser zweite Teil des Maßnahmenpakets beinhaltet folgende Vorschläge:

einen Vorschlag für neue CO2-Normen für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge für die Zeit nach 2020 mit einem Vorschlag für die Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit verbesserten Emissionsnormen;

einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer Fahrzeuge zur Stärkung der Bestimmungen zur Förderung derartiger Fahrzeuge in der öffentlichen Auftragsvergabe;

einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 92/106/EWG über den kombinierten Güterverkehr zur Förderung dieses Verkehrs mit dem Ziel, Verkehrskonzepte, mit denen der Straßenverkehr verringert wird, zu unterstützen;

einen Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 über den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt, um diesen Markt stärker zu öffnen und damit den kostengünstigeren öffentlichen Verkehr per Bus zu fördern, um den Individualverkehr zu verringern.

Das Maßnahmenpaket beinhaltet außerdem einen Aktionsplan zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, um Investitionen in den Bau dieser Infrastruktur zu steigern und so die grenzüberschreitende Mobilität in der EU unter Nutzung dieser Kraftstoffe zu fördern.

2.3.

Das Maßnahmenpaket umfasst eine Kombination aus angebots- und nachfrageseitigen Maßnahmen, um Europa auf den Weg hin zu emissionsarmer Mobilität zu bringen und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Automobil- und Mobilitätsökosystems zu stärken. Damit sollen größere Politik- und Rechtssicherheit sowie gleiche Ausgangsbedingungen gewährleistet werden.

2.4.

Gegenstand dieser Stellungnahme ist der Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 92/106/EWG des Rates über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten (COM(2017) 648 final) (im Folgenden „der Vorschlag“). Er umfasst folgende grundlegende Punkte:

Der kombinierte Güterverkehr muss nicht mehr von Natur aus grenzüberschreitend sein. Nach Ansicht der Kommission besteht erhebliches Potenzial für den kombinierten Güterverkehr innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten.

Die Anforderung für die Mindestentfernung für nicht auf der Straße zurückgelegte Teilstrecken wird gestrichen. Gleichzeitig wird in einer neuen Bestimmung geregelt, dass Beförderungen in See- und Binnenschifffahrt vom kombinierten Verkehr ausgenommen werden können, wenn es keine Alternative gibt.

Jede Ladeeinheit, die den Kennzeichnungsnormen ISO 6346 und ENI 13044 entspricht oder mit einem Straßenfahrzeug erfolgt, das auf der Schiene, auf einer Binnenwasserstraße oder auf See befördert wird, gilt als Beförderung im kombinierten Verkehr.

Die geltende Beschränkung des Straßenverkehrs wird dahingehend geändert, dass die erste und/oder letzte auf der Straße zurückgelegte Teilstrecke im Gebiet der EU eine direkte Strecke von 150 km oder 20 % der Entfernung (Luftlinie) zwischen der ersten Ladestelle und der letzten Entladestelle nicht überschreiten darf. Diese Beschränkung gilt nicht für die Beförderung von leeren Ladeeinheiten oder zum Ort der Abholung der Güter oder vom Lieferort der Güter.

Die Mitgliedstaaten können längere Strecken als in der vorherstehenden Ziffer angegeben genehmigen, um den nächstgelegenen Verkehrsterminal zu erreichen, der über die erforderlichen Anlagen und Kapazitäten verfügt.

Damit eine Beförderung auf der Straße als Teil einer Beförderung im kombinierten Verkehr gilt, muss der Beförderer nachweisen, dass es sich bei dieser Beförderung um eine Teilstrecke im Rahmen des kombinierten Verkehrs handelt. In dem Vorschlag wird angegeben, welche Informationen für die Beförderung insgesamt und jede einzelne Teilstrecke bereitzustellen sind. Weitere Informationen können nicht verlangt werden. Diese Informationen können über verschiedene Beförderungsdokumente, auch auf elektronischem Weg, bereitgestellt werden. Diese Informationen müssen auch bei Straßenkontrollen vorgelegt werden können.

Angemessen gerechtfertigte Abweichungen von der geplanten Strecke sind zulässig.

Die Mitgliedstaaten müssen die erforderlichen Maßnahmen zur Förderung von Investitionen in Umschlagterminals in Abstimmung mit benachbarten Mitgliedstaaten ergreifen.

Die Mitgliedstaaten benennen eine oder mehrere zuständige Behörden, um die Umsetzung dieser Richtlinie zu gewährleisten und als vorrangige Anlaufstelle für ihre Umsetzung zu fungieren.

Die Mitgliedstaaten sind ferner verpflichtet, Bericht über ihre Maßnahmen zur Förderung des kombinierten Verkehrs zu erstatten.

Die geltende Ausnahme von den Kabotage-Vorschriften wird in Bezug auf Beförderungen im Straßenverkehr (auf der Straße zurückgelegte Teilstrecken) als Teil einer grenzüberschreitenden Beförderung zwischen Mitgliedstaaten beibehalten, die ausschließlich auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stattfinden. Die Kommission rechtfertigt diese Ausnahme damit, dass diese Bestimmung — so das Ergebnis der durchgeführten Konsultationen — dazu beiträgt, den kombinierten Güterverkehr attraktiver zu machen. Sie verweist außerdem auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache 2/84 (Kommission gegen Italien), in dem festgehalten ist, dass der kombinierte Verkehr als eine einzige grenzüberschreitende Beförderung zu betrachten ist.

In der Begründung ihres Vorschlags verweist die Kommission außerdem darauf, dass die Vorschriften für die Entsendung von Arbeitnehmern auf den innerstaatlichen kombinierten Verkehr ebenso Anwendung finden werden wie auf die Kabotage. Allerdings enthält der Vorschlag keine klare Aussage betreffend die Vorschriften für die Entsendung von Arbeitnehmern und grenzüberschreitende Beförderungen im kombinierten Verkehr.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA unterstützt die Initiative zur Aktualisierung der Richtlinie über den kombinierten Verkehr, um den kombinierten Verkehr effizienter und attraktiver zu machen. Diese Initiative wird dazu beitragen, die Nachhaltigkeit des Verkehrs zu erhöhen, den Straßenverkehr und die Klimagasemissionen zu verringern und die Ziele des Weißbuchs Verkehr aus dem Jahr 2011 wie auch die Zusagen der EU und ihrer Mitgliedstaaten im Rahmen des Übereinkommens von Paris zu verwirklichen.

3.2.

Der EWSA befürwortet die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie durch die Aufnahme innerstaatlicher Beförderungen, die ein bislang noch ungenutztes Potenzial für den Ausbau des kombinierten Verkehrs und somit die Verringerung des Straßenverkehrs bieten.

3.3.

Der EWSA begrüßt außerdem die Vereinfachung des Rechtsrahmens für den kombinierten Verkehr, mit der das Konzept zugänglicher gemacht und die Rechtssicherheit verbessert werden soll, wodurch der kombinierte Verkehr wiederum attraktiver werden sollte.

3.4.

Diesbezüglich sind die präziseren Kriterien für die Definition der auf der Straße zurückgelegten Teilstrecken besonders nützlich: Die Kriterien sind einfach, klar und lassen keinen Auslegungsspielraum. Der EWSA kommt indes zu dem Schluss, dass die Obergrenze von 20 % der Entfernung (Luftlinie) zwischen der ersten Ladestelle und der letzten Entladestelle zu Straßenverkehrsentfernungen über dem Grenzwert von 300 km für auf der Straße zurückgelegte Teilstrecken, für die im Weißbuch Verkehr von 2011 eine Verkehrsverlagerung weg von der Straße gefordert wird, führen könnte, insbesondere in Regionen mit einer geringen Netzdichte oder großen Entfernungen zwischen Terminals. Seiner Meinung nach sind jedoch das allgemeine Interesse, die Attraktivität des kombinierten Verkehrs für die Nutzer zu steigern, und der Mehrwert einer klaren und einfachen Definition vorrangig; er stimmt daher der vorgeschlagenen Lösung zu.

3.5.

Der EWSA begrüßt die Flexibilität, die den Mitgliedstaaten bei der Überschreitung der auf der Straße zurückgelegten Teilstrecken eingeräumt wird, um den geografisch nächstgelegenen Verkehrsterminal zu erreichen, der über die erforderliche operative Leistungsfähigkeit für das Be- und Entladen in Bezug auf Umschlaganlagen, Terminalkapazität und geeignete Schienengüterverkehrsdienste verfügt.

3.5.1.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass es offensichtlich den Mitgliedstaaten überlassen wird, ob sie diese Genehmigung in Form einer allgemein anwendbaren Bestimmung oder von Fall zu Fall erteilen. Er betont, dass Transparenz ein Muss ist, und ist daher der Meinung, dass einschlägige nationale Bestimmungen sowie gegebenenfalls Beschlüsse in bestimmten Fällen im Einklang mit dem neuen Artikel 9a Absatz 2 (Artikel 1 Nummer 7 des Vorschlags) auf einer einschlägigen Website veröffentlicht werden sollten.

3.6.

Zur Erleichterung der Planung von Beförderungen im kombinierten Verkehr und zur Erhöhung der Attraktivität dieses Konzepts schlägt der EWSA vor, sämtliche sachdienlichen Informationen betreffend die Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten auf einer eigenen Website in jedem Mitgliedstaat zu veröffentlichen und eine einschlägige Bestimmung in Artikel 9a Absatz 2 aufzunehmen.

3.7.

Der EWSA befürwortet die Präzisierung in Artikel 3 des Vorschlags betreffend die Dokumente, die für Kontrollen der Einhaltung der Bestimmungen vorzulegen sind, die Unzulässigkeit, weitere Dokumente zu verlangen, und die Möglichkeit, die erforderlichen Dokumente auf elektronischem Wege vorzulegen. Diese Bestimmung erleichtert die Beförderungen und stärkt die Rechtssicherheit. Der EWSA zweifelt jedoch daran, ob eine Kopie der getroffenen Entscheidung nicht ebenfalls vorzulegen sein sollte, wenn eine längere Teilstrecke von einem Mitgliedstaat gemäß Artikel 1 Absatz 3 genehmigt wurde und diese Genehmigung in Form einer spezifischen Entscheidung erfolgt ist.

3.8.

Der EWSA begrüßt, dass ein Schwerpunkt auf Investitionen in Umschlageterminals gelegt wird, die Verpflichtung eingeführt wird, derartige Investitionen mit benachbarten Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission zur Gewährleistung einer ausgewogenen und ausreichenden geografischen Verteilung, vor allem im TEN-V-Netz, abzustimmen, und dem Ziel der Vorrang eingeräumt wird, dass jeder beliebige Ort in der Union nicht weiter als 150 km von einem solchen Terminal entfernt ist. Er hegt jedoch Zweifel daran, ob dieses Ziel in Gebieten mit einer geringen Bevölkerungsdichte und einem weitmaschigen Schienen- und Hafennetz realistisch ist.

3.9.

Förderungen für den kombinierten Güterverkehr müssen der Europäischen Kommission gemeldet und gemäß den Vorschriften für staatliche Beihilfen genehmigt werden, ehe sie ausgezahlt werden können. Aufgrund der langwierigen Verfahren erhalten die Beihilfeempfänger die Förderung zumeist erst drei Jahre nach dem Beihilfebeschluss der nationalen Behörde; wenn die Regelungen geändert werden müssen, läuft der Empfänger manchmal sogar Gefahr, sämtliche Vorteile zu verlieren. Zur Verringerung der Unsicherheit und zur Beschleunigung des Verfahrens sollten Beihilfen bis zu einer bestimmten Obergrenze, beispielsweise 35 % der Gesamtkosten, automatisch als mit dem Vertrag vereinbar angesehen und von der Meldepflicht ausgenommen werden.

3.10.

Der EWSA möchte auch die Möglichkeiten zur weiteren Entwicklung des kombinierten Verkehrs durch die Digitalisierung in den Fokus rücken. Dieser Vorschlag ist ein erster Schritt, indem elektronische Dokumente zugelassen und eigene Websites in sämtlichen Mitgliedstaaten eingerichtet werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA hält fest, dass in Artikel 1 Nummer 2 des Vorschlags auf einer Binnenwasserstraße oder auf See zurückgelegte Teilstrecken, für die es keine Alternative auf der Straße gibt oder deren Nutzung im Hinblick auf eine wirtschaftlich rentable Beförderung unumgänglich ist, für die Zwecke des kombinierten Verkehrs nicht berücksichtigt werden. Diese Bestimmung steht offenbar in Verbindung mit der Streichung der Mindestentfernung für auf einer Binnenwasserstraße oder auf See zurückgelegte Teilstrecken und folgt der Aussage in Erwägungsgrund 9 der Präambel: „Es wäre daher sinnvoll, diese Mindestentfernung zu streichen, bestimmte Beförderungen, beispielsweise auf hoher See oder auf kurzen Fährstrecken, aber weiterhin vom kombinierten Verkehr auszunehmen.“ Der EWSA sieht sowohl den Inhalt als auch den Wortlaut dieser Bestimmung kritisch.

4.1.1.

Die 100-km-Anforderung für auf Binnenwasserstraßen oder auf See zurückgelegte Teilstrecken in der aktuellen Form der Richtlinie hat u. a. zur Folge, dass Beförderungen auf kurzen Fährstrecken oder auf hoher See im Unterschied zum Kurzstreckenseeverkehr ausgenommen werden. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass die 100-km-Anforderung für Beförderungen innerhalb der EU gilt. Mit dem Vorschlag in Artikel 2 Absatz 2 soll ganz klar die gleiche Wirkung erzielt werden.

4.1.2.

Allerdings könnte die jetzt vorgeschlagene Bestimmung Unsicherheiten betreffend ihre Anwendung nach sich ziehen, was möglicherweise sogar so weit gehen kann, dass sie zu einem regulatorischen Hindernis für die Umsetzung von Vorhaben im kombinierten Verkehr wird.

Somit lässt das Kriterium „für die es keine Alternative gibt“ die Frage offen, ob diese Alternative an der notwendigen Zeit, in Streckenkilometern oder an den Kosten gemessen werden soll. Das Kriterium „im Hinblick auf eine wirtschaftlich rentable Beförderung unumgänglich“ lässt ebenfalls einen sehr weiten Auslegungsspielraum zu.

4.1.3.

Der EWSA bezweifelt deshalb den Nutzen der vorgeschlagenen Bestimmung, insbesondere da in Verbindung mit dem Schienenverkehr keine vergleichbaren Auswahlkriterien, die eindeutig darauf abzielen, Verkehrsträger, die keinerlei Förderung bedürfen, auszuschließen, in Betracht gezogen wurden.

4.2.

Der EWSA hält es auch nur für schwer nachvollziehbar, warum die so genannte Kabotage-Ausnahme in Artikel 4 der Richtlinie unverändert bleibt. Im Sinne der Verkehrspolitik verweist der EWSA diesbezüglich zunächst auf die aktuell anhängigen Vorschläge für Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs mit Blick auf die Kabotage und die aktuelle Fokussierung auf Marktzugang und Wettbewerb und die damit verbundenen sozialen Aspekte. Er weist außerdem auf den allgemeinen Grundsatz hin, dass eine Dienstleistung, die in einem anderen Land als dem erbracht wird, in dem der Dienstleister niedergelassen ist, zeitlich begrenzt erfolgen sollte.

4.2.1.

Der EWSA nimmt die beiden von der Kommission ins Treffen geführten Argumente für die gewählte Lösung zur Kenntnis. Erstens haben Antworten von Unternehmen im Rahmen der Konsultationen ergeben, dass die aktuelle Lösung den kombinierten Verkehr attraktiv macht. Zweitens ist eine Beförderung im kombinierten Verkehr gemäß der Begriffsbestimmungen der geltenden Richtlinie als einzige grenzüberschreitende Beförderung zu erachten. Zur Untermauerung dieses Arguments verweist die Kommission auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, insbesondere in der Rechtssache 2/84 (Kommission gegen Italien).

4.2.2.

Nach Ansicht des EWSA beruht das Argument, das sich auf das EuGH-Urteil stützt, einzig und allein auf der Tatsache, dass der Gerichtshof aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers dazu verpflichtet war, eine Beförderung im kombinierten Verkehr derart zu definieren, dass sie als eine einzige Beförderung bzw. Strecke zu erachten ist. Daher ist die eigentliche Frage lediglich, ob der Gesetzgeber beschließt, eine Beförderung im kombinierten Verkehr als Ganzes oder als eine Reihe einzelner Beförderungen im Rahmen eines Verkehrskonzepts zu erachten. Der EWSA verweist in jedem Fall darauf, dass der Gesetzgeber es bei Annahme der Richtlinie für notwendig erachtet hatte, festzuhalten, dass im Einklang mit dem freien Marktzugang Verkehrsunternehmer „im Rahmen des kombinierten Verkehrs zwischen Mitgliedstaaten innerstaatliche oder grenzüberschreitende Zu- und/oder Ablaufverkehre auf der Straße durchführen, die Bestandteil des kombinierten Verkehrs sind“.

4.2.3.

Nach Meinung des EWSA gibt es keinen Grund dafür, von einer Bestimmung abzusehen, in der festgelegt ist, dass auf der Straße zurückgelegte Teilstrecken im Rahmen des kombinierten Verkehrs gesonderte Beförderungen sind und dass die Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 auf alle Beförderungen auf der Straße Anwendung findet. Artikel 4 der Richtlinie sollte entsprechend geändert werden.

4.3.

Diesbezüglich ist es ebenso überraschend, dass die Bestimmung in Artikel 2 der Richtlinie, der zufolge Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, Beförderungen im kombinierten Verkehr im Sinne des Artikels 1 spätestens bis zum 1. Juli 1993 von jeder Kontingentierung und Genehmigungspflicht zu befreien, nicht in den Vorschlag aufgenommen wurde, zumal der Anwendungsbereich der Richtlinie auf innerstaatliche Beförderungen im kombinierten Verkehr ausgeweitet werden soll.

4.3.1.

Aufgrund der Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf innerstaatliche Beförderungen im kombinierten Verkehr wird diese Bestimmung auch auf derartige Beförderungen Anwendung finden. Der Wortlaut der Bestimmung ist relativ weit gefasst und könnte derart ausgelegt werden, dass der kombinierte Verkehr von den in Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 festgelegten Vorschriften für die Zulassung zum Beruf sowie von allen Einschränkungen für den Marktzugang betreffend den kombinierten Verkehr ausgenommen ist.

4.3.2.

Der EWSA geht davon aus, dass dies nicht beabsichtigt war, und schlägt daher vor, diesen Artikel entweder zu streichen oder umzuformulieren, um klarzustellen, dass die Befreiung von jedweder Kontingentierung und Genehmigungspflicht ausnahmslos auch für die Bestimmungen für die Zulassung zum Beruf sowie für den Zugang zum Markt gilt, ungeachtet des Verkehrsträgers.

4.4.

Der EWSA weist zudem darauf hin, dass der Vorschlag keinerlei Verweis auf die Anwendung der Entsenderichtlinie auf Beförderungen im kombinierten Verkehr enthält — mit Ausnahme eines Hinweises auf die Anwendung des Kommissionsvorschlags für spezifische Regeln für die Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor in der Begründung. Dies würde bedeuten, dass die Vorschriften für die Entsendung von Arbeitnehmern gemäß Richtlinie 96/71/EG für den Straßenverkehr im Rahmen des kombinierten Verkehrs gelten.

4.4.1.

Der EWSA geht davon aus, dass die Entsendevorschriften auch für die Entsendung im Rahmen einer Beförderung im kombinierten Verkehr gelten, die die in Artikel 1 der Richtlinie 96/71/EG und in dem Kommissionsvorschlags für spezifische Regeln für die Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor enthaltenen Kriterien erfüllt, wenn und sofern dieser angenommen wird.

4.5.

Der EWSA verweist auf die auch von ihm zum Ausdruck gebrachten Bedenken betreffend die Kosten für lange Seeverbindungen für Inseln in Randlage wie Zypern und Malta und auf die Zweckmäßigkeit des Förderprogramms, das mit der Verordnung des Rates (EG) Nr. 1405/2006 zum Ausgleich für Verkehrskosten im Bereich Landwirtschaft zugunsten einiger kleinerer Inseln des Ägäischen Meeres festgelegt wurde. Er schlägt vor, dass die Europäische Kommission die Möglichkeit einer vergleichbaren Lösung für Zypern und Malta untersucht.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/58


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge“

(COM(2017) 653 final — 2017/0291 (COD))

(2018/C 262/10)

Berichterstatter:

Ulrich SAMM

Befassung

Europäisches Parlament, 30.11.2017

Rat der Europäischen Union, 4.12.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 192 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

206/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stimmt mit den Beweggründen der Richtlinie über die Förderung sauberer Straßenfahrzeuge — als Teil des Pakets für saubere Mobilität — überein, auch wenn die Wirkung dieser Richtlinie im Vergleich zu den auf breiter Front notwendigen Anstrengungen zur Umsetzung der EU-Klimaziele und insbesondere zur Verringerung der CO2-Emissionen im Verkehr kaum ins Gewicht fallen wird, da sie lediglich auf die öffentliche Beschaffung abhebt. Die Richtlinie bezweckt die Förderung bestimmter Klassen von (lokal emissionsfreien) Fahrzeugen, die auf den saubersten (nicht nur sauberen) Technologien beruhen, durch die Festlegung anspruchsvoller Mindestziele für die öffentliche Beschaffung solcher Fahrzeuge.

1.2.

Der EWSA kritisiert die mangelnde Klarheit in dieser Richtlinie, insbesondere die verstreuten Informationen, unterschiedlichen Begriffsbestimmungen und komplizierten Zählverfahren für „saubere Fahrzeuge“ über zwei verschiedene Zeiträume, in denen sich die den Emissionsgrenzwerten zugrunde liegenden Definitionen sehr wahrscheinlich wieder ändern werden. Diese Komplexität wird zu erheblichen Ungewissheiten bei den Interessenträgern führen.

1.3.

Der EWSA bezweifelt in Anbetracht dieser Unsicherheiten über Emissionsgrenzwerte, dass die Übergangsfrist bis 2025 wirklich dazu beitragen wird, die Technologielücke zu überbrücken, bis lokal emissionsfreie Fahrzeuge allgemein verfügbar sind, und meint, dass dies die Entscheidungsträger im öffentlichen Auftragswesen eher irritieren wird. In der Folge kann es sein, dass Beschaffungen entweder erheblich aufgeschoben oder aber sogar beschleunigt werden, jedoch noch mit der alten Technik, was dann mögliche künftige Investitionen in neue emissionsfreie Technologien blockieren würde.

1.4.

Bei schweren Nutzfahrzeugen sind die Ungewissheiten am größten. Es gibt derzeit keine Emissionsnormen, die in der Übergangszeit verwendet werden könnten, und lokal emissionsfreie Antriebe sind weniger ausgereift als bei Leichtfahrzeugen. In der ersten Phase der Übergangszeit wird Erdgas mit beigemischtem Biomethan akzeptiert, jedoch mit einem geringeren Gewichtungsfaktor, während es für die anschließende Phase gar keine Grenzwerte oder Definitionen gibt und jegliche Informationen darüber, wie die neuen Emissionsgrenzwerte abzuleiten sind, fehlen. Dies führt den EWSA zu dem Schluss, dass die Richtlinie in Bezug auf schwere Nutzfahrzeuge verfrüht ist, weswegen er empfiehlt, diesen Teil aus dem gegenwärtigen Vorschlag auszuklammern und in einem späteren Stadium zu behandeln.

1.5.

Der EWSA begrüßt den allgemeinen technologieneutralen Ansatz, der für neue Entwicklungen offen ist, die angesichts der laufenden und von der EU unterstützten intensiven FuE-Anstrengungen zu erwarten stehen. Der EWSA möchte jedoch festhalten, dass die Richtlinie diesem Ansatz nicht hundertprozentig folgt. Neben batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen bergen auch andere Antriebstechnologien ein großes Potenzial für saubere Mobilität. Zum Bedauern des EWSA wird dies in der Richtlinie nicht hinreichend berücksichtigt. So werden zum Beispiel Kraftstoffe nicht-fossilen Ursprungs oder potenzielle künftige synthetische Kraftstoffe, die mit überschüssigem Strom aus Abfall oder Kohlendioxid hergestellt werden, außer Acht gelassen.

1.6.

In Anbetracht der laufenden Entwicklungen im Bereich moderner Verkehrstechnologien empfiehlt der EWSA für die kommenden Jahre daher einen flexibleren Ansatz anstelle fester Emissionsgrenzwerte und Beschaffungsvorgaben. Zumindest sollte im Hinblick auf eine eventuelle spätere Anpassung eine Halbzeitbewertung der Mindestziele vorgesehen werden.

1.7.

Ein großer Teil des öffentlichen Beschaffungswesens entfällt auf lokale Verkehrsunternehmen, die im Besitz von Städten und Gemeinden sind, deren Finanzkraft recht begrenzt ist. Der EWSA hat erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit dieses Ansatzes, weil er die zusätzliche finanzielle Belastung dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaften völlig unberücksichtigt lässt und der Vorschlag nicht mit anderen industriepolitischen Optionen verglichen wird. Daher ist es nicht evident, dass eine zusätzliche Belastung im Beschaffungswesen hauptsächlich von Städten und Gemeinden der effizienteste Weg sein soll, um Aktivitäten der Industrie und Marktentwicklungen anzustoßen.

1.8.

Der EWSA betont, dass jegliche Mehrkosten zu einer spürbaren Belastung der Bürger durch höhere Fahrpreise, höhere kommunale Steuern oder gar eine Verringerung des ÖPNV-Angebots führen können. Außerdem sollten die erheblichen Anstrengungen zur Luftreinhaltung, die bereits von Städten und Gemeinden — auch durch die Ausweitung der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel — unternommen wurden, anerkannt und nicht durch neue Beschaffungsvorschriften gehemmt werden, die Mindestziele für ganze Mitgliedstaaten verlangen, die aber auf der Ebene der lokalen Gebietskörperschaften mit ihrer großen Vielfalt an kleinen und großen öffentlich-rechtlichen Verkehrsgesellschaften schwer einzuhalten und zu kontrollieren sind.

1.9.

Da die Vergabe von Unteraufträgen ebenfalls in den Geltungsbereich des Kommissionsvorschlags fällt, sorgt sich der EWSA über die möglichen Folgen des Vorschlags für kleine und mittlere Unternehmen; so tragen nämlich viele kleine örtliche Busunternehmen zur Erbringung von Beförderungsleistungen in größeren städtischen Gebieten als Unterauftragnehmer kommunaler Verkehrsbetriebe bei; diese Unternehmen verfügen möglicherweise nicht über die Fahrzeuge, die von der Richtlinie verlangt werden, und kämen dann vielleicht nicht mehr als Unterauftragnehmer in Betracht.

1.10.

Der EWSA gelangt zu dem Schluss, dass das Haupthindernis für die Modernisierung des öffentlichen Verkehrs und die öffentliche Beschaffung sauberer Fahrzeuge die mangelnde finanzielle Unterstützung ist, und fordert die Kommission nachdrücklich auf, den gegenwärtigen Vorschlag mit einem Fokus auf der Finanzierung zu überdenken, insbesondere auch durch die Berücksichtigung der vorhandenen Finanzierungsinstrumente. Bei der spezifischen finanziellen Unterstützung muss der Vielfalt der Länder, Städte und Regionen im Hinblick auf ihre Wirtschaftskraft und den Anteil der in städtischen Gebieten lebenden Bevölkerung Rechnung getragen werden, wobei das übergeordnete Ziel die Angleichung der Beschaffung sauberer Fahrzeuge in allen Mitgliedstaaten sein muss.

1.11.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass nicht nur mehr saubere Fahrzeuge im öffentlichen Fuhrpark benötigt werden, sondern dass der öffentliche Verkehr auch sehr viel attraktiver gemacht werden muss (nicht nur über günstige Tarife, sondern auch durch Anschlussmöglichkeiten und Komfort), um die Bürger von seiner Nutzung zu überzeugen.

2.   Einleitung

2.1.

Die EU strebt die Entwicklung eines emissionsarmen Energiesystems an. Dies entspricht auch dem Paket „Saubere Energie“, das zum Ziel hat, die Umstellung der EU-Wirtschaft auf saubere Energie gemäß den auf der COP 21 eingegangenen Verpflichtungen der EU zu beschleunigen und zu festigen, während gleichzeitig an den wichtigen Zielen des Wirtschafts- und Beschäftigungswachstums festgehalten wird.

2.2.

Die EU hat bereits viel unternommen. Die Treibhausgasemissionen in der EU konnten zwischen 1990 und 2016 um 23 % verringert werden, während die Wirtschaftsleistung im selben Zeitraum um 53 % zunahm. Dieser Erfolg betrifft viele Wirtschaftsbereiche, ausgenommen den Verkehr — eine Branche, die mit rund 24 % zu den Treibhausgasemissionen der EU beiträgt (2015) und in der die Emissionen im Zuge der kontinuierlichen wirtschaftlichen Erholung in Europa sogar noch zugenommen haben. Zudem ist ein sauberer Verkehr angesichts der Dringlichkeit einer Begrenzung der Luftverschmutzung in den Städten umso notwendiger.

2.3.

Daher wurde die europäische Strategie für emissionsarme Mobilität (1)(2) mit ihren Zielen und Methoden, die im Einklang mit dem Weißbuch Verkehr der EU (3) von 2011 stehen, vom EWSA befürwortet. Auch im Paket „Saubere Energie für alle Europäer“ von November 2016 und in der Strategie „Europa in Bewegung“ (2017) waren Maßnahmen zur beschleunigten Einführung sauberer Fahrzeuge vorgesehen, was vom EWSA begrüßt wurde (4)(5).

2.4.

Das jüngste Paket für saubere Mobilität (6) umfasst nun spezifische Legislativinitiativen wie die (in dieser Stellungnahme erörterte) Richtlinie über die Förderung sauberer Straßenfahrzeuge, neue CO2-Normen für Fahrzeuge, einen Aktionsplan für die europaweite Einführung einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, die Überarbeitung der Richtlinie über den kombinierten Verkehr, die Verordnung über den Personenverkehr mit Kraftomnibussen und eine Batterieinitiative als wichtige Strategie für eine integrierte Industriepolitik der EU.

2.5.

Unter den zahlreichen Instrumenten zur Senkung der verkehrsbedingten CO2-Emissionen kann die öffentliche Beschaffung sauberer Fahrzeuge als nachfrageseitiger Impuls eine wichtige Rolle spielen. Durch die öffentliche Auftragsvergabe können Marktentwicklungen angestoßen werden, so z. B. im Marktsegment Stadtbusse. Darüber hinaus könnte die Beschaffung sauberer Fahrzeuge für den öffentlichen Fuhrpark auch Einfluss auf den Erwerb sauberer Fahrzeuge durch Privatleute haben.

3.   Schwachstellen der derzeitigen (alten) Richtlinie

3.1.

Um die öffentliche Beschaffung sauberer Fahrzeuge zu fördern, führte die Kommission 2009 die Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge ein, die vom EWSA begrüßt wurde (7)(8).

3.2.

Öffentliche Einrichtungen in Europa haben jedoch in eher geringem Umfang emissionsarme und emissionsfreie sowie sonstige mit alternativen Kraftstoffen betriebene Fahrzeuge im Sinne der Richtlinie über die Förderung sauberer Fahrzeuge angeschafft. So waren im Zeitraum 2009-2015 z. B. durchschnittlich nur 1,7 % aller neuen Busse mit Elektro-, Brennstoffzellen-, Plug-in-Hybrid- oder Erdgasantrieb ausgestattet.

3.3.

Einige Mitgliedstaaten oder einzelne Regionen oder Städte haben bereits ehrgeizige Pläne für die öffentliche Auftragsvergabe aufgestellt, in denen Mindestanforderungen für die Beschaffung sauberer, d. h. emissionsarmer und emissionsfreier bzw. sonstiger mit alternativen Kraftstoffen betriebener Fahrzeuge festgelegt werden. Dies reicht jedoch nicht aus, um genug Anreize und Marktimpulse in der gesamten EU zu setzen.

3.4.

Im Rahmen einer 2015 durchgeführten Ex-post-Bewertung wurden bedeutende Schwachstellen der Richtlinie aufgezeigt. Die Richtlinie hat die Marktakzeptanz sauberer Fahrzeuge in der gesamten EU kaum vorangebracht, da sie bisher nicht dazu beigetragen hat, die öffentliche Beschaffung sauberer Fahrzeuge anzukurbeln. Vor allem folgende Mängel wurden festgestellt:

In der Richtlinie wird der Begriff „saubere Fahrzeuge“ nicht klar definiert.

Die Richtlinie deckt nur den direkten Ankauf durch öffentliche Einrichtungen ab. Auf die Anmietung, das Leasing oder den Mietkauf von Fahrzeugen oder auf Verträge über andere Verkehrsdienste als den öffentlichen Personenverkehr wird nicht eingegangen.

Die in der Richtlinie beschriebene Methode der Monetisierung wurde von öffentlichen Einrichtungen nur selten genutzt, da sie zu kompliziert ist.

3.5.

Im Rahmen der Folgenabschätzung wurde 2016 und 2017 eine Konsultation der Interessenträger zu verschiedenen vorgeschlagenen Optionen zur Verbesserung der Richtlinie durchgeführt. Daraufhin wurde eine Reihe von Änderungen vorgeschlagen, um eine Definition sauberer Fahrzeuge sowie Mindestziele für die Beschaffung leichter und schwerer Nutzfahrzeuge aufzustellen. Entsprechende einheitliche, auf EU-Ebene geltende Kriterien wurden jedoch bislang noch nicht eingeführt.

4.   Vorschläge für eine überarbeitete Richtlinie

4.1.

Durch die Überarbeitung wird dafür gesorgt, dass die neue Richtlinie eine Definition des Begriffs „saubere Fahrzeuge“ enthält und nun alle relevanten Beschaffungspraktiken mit einfacheren und wirksameren Verfahren umfasst. Die wichtigsten Neuerungen sind:

eine Definition sauberer Fahrzeuge, die von dem Ansatz ausgeht, dass leichte Nutzfahrzeuge lokal emissionsfrei sein sollen und für schwere Nutzfahrzeuge der Antrieb mit alternativen Kraftstoffen angestrebt wird;

ein Übergangszeitraum bis 2025, in dem emissionsarme Fahrzeuge ebenfalls als saubere Fahrzeuge gelten, jedoch nur mit dem Faktor 0,5 gewichtet werden;

eine Bestimmung, dass im Rahmen der Richtlinie ein delegierter Rechtsakt erlassen werden kann, um den für leichte Nutzfahrzeuge geltenden Ansatz entsprechend auf schwere Nutzfahrzeuge anzuwenden, sobald in Zukunft Rechtsvorschriften über Emissionsnormen für solche Fahrzeuge auf EU-Ebene angenommen wurden;

die Ausweitung auf andere Beschaffungsformen als den Kauf, namentlich das Leasing von Fahrzeugen, Aufträge für öffentliche Verkehrsdienste, die Bedarfspersonenbeförderung und die Anmietung von Bussen und Reisebussen mit Fahrer;

die Festlegung von Mindestzielen für die Beschaffung auf Ebene der Mitgliedstaaten, die nach Mitgliedstaat und Fahrzeugklasse differenziert werden;

das Fallenlassen der Methode zur Monetisierung von externen Effekten;

die Einführung der Pflicht für die Mitgliedstaaten, alle drei Jahre über die Umsetzung der Richtlinie Bericht zu erstatten, beginnend mit einem Zwischenbericht im Jahr 2023; ein umfassender Bericht über die Umsetzung des Ziels für 2025 ist 2026 vorzulegen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der EWSA stimmt mit den Beweggründen der Richtlinie über die Förderung sauberer Straßenfahrzeuge überein, auch wenn die Wirkung dieser Richtlinie im Vergleich zu den insgesamt notwendigen Anstrengungen zur Umsetzung der EU-Klimaziele kaum ins Gewicht fallen wird, da sie lediglich auf die öffentliche Beschaffung abhebt, nicht aber auf den Erwerb sauberer Fahrzeuge durch Privatleute oder -firmen. Gleichwohl könnte die Richtlinie eine wichtige Rolle spielen, denn öffentliche Investitionen können als Vorbild wirken und zur Entwicklung der Infrastrukturen beitragen, die ihrerseits auch von der Privatwirtschaft genutzt werden und dadurch private Investitionen anstoßen könnten. Öffentliche Investitionen in saubere Fahrzeuge tragen zudem unmittelbar zur Verbesserung der Luftqualität für die Bürger bei, insbesondere in den Innenstädten (bspw. in der Umgebung von Busbahnhöfen).

5.2.

Der EWSA kritisiert die mangelnde Klarheit in dieser Richtlinie (9), insbesondere die verstreuten Informationen, unterschiedlichen Begriffsbestimmungen und komplizierten Zählverfahren für „saubere Fahrzeuge“ über zwei verschiedene Zeiträume (bis 2025 und 2025-2030), in denen sich die den Emissionsgrenzwerten zugrunde liegenden Definitionen sehr wahrscheinlich wieder ändern werden. Diese Komplexität wird zu erheblichen Ungewissheiten bei den Interessenträgern führen.

5.3.

Die einzige einfache Regel in der Richtlinie ist die Definition und Zählung von Fahrzeugen, die keine Auspuff-Emissionen erzeugen, also lokal emissionsfrei sind. Dies trifft vorwiegend auf vollelektrische Fahrzeuge zu; allerdings wird eine Ausnahme von diesem Grundsatz zugelassen, denn gasbetriebene schwere Nutzfahrzeuge werden als „sauber“ eingestuft, sofern sie ausschließlich mit Biomethan betrieben werden. Alle anderen Vorschriften sind jedoch komplizierter, wie die Zählung bestimmter Fahrzeuge nur als 0,5 Fahrzeuge und die Vielzahl an Kraftstoffarten je nach Fahrzeugklasse und Emissionsnormen, die in naher Zukunft Änderungen unterliegen dürften.

5.4.

In einem Übergangszeitraum (bis 2025) gelten leichte Nutzfahrzeuge, deren Auspuffemissionen unter einem gewissen Schwellenwert liegen, ebenfalls als „saubere Fahrzeuge“; sie werden jedoch nur mit dem Faktor 0,5 gewichtet. Die Grenzwerte liegen bei 40 g CO2/km für Kleintransporter und 25 g CO2/km für Fahrzeuge zur Personenbeförderung (Minibusse), was derzeit nur mit einem Plug-in-Hybridantrieb erreichbar ist. Diese Grenzwerte werden geändert werden, sobald das neue weltweit harmonisierte Prüfverfahren für leichte Nutzfahrzeuge (Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure, WLTP) eingeführt ist, was deutlich vor 2025 geschehen soll. Der Übergangszeitraum ist somit zweigeteilt. Die Konsequenzen einer derartigen Änderung sind für die Betroffenen ausgehend von den in der Richtlinie gegebenen Informationen unvorhersehbar. Der EWSA bezweifelt in Anbetracht dieser Unsicherheiten, dass die Übergangsfrist bis 2025 wirklich dazu beitragen wird, die Technologielücke zu überbrücken, bis lokal emissionsfreie Fahrzeuge allgemein verfügbar sind, und meint, dass dies die Entscheidungsträger im öffentlichen Auftragswesen eher irritieren wird. In der Folge kann es sein, dass Beschaffungen entweder erheblich aufgeschoben oder aber sogar beschleunigt werden, jedoch noch mit der alten Technik, was dann mögliche künftige Investitionen in neue emissionsfreie Technologien blockieren würde.

5.5.

Bei schweren Nutzfahrzeugen sind die Ungewissheiten noch größer. Es gibt derzeit keine Emissionsnormen, die in der Übergangszeit verwendet werden könnten, und lokal emissionsfreie Antriebe sind weniger ausgereift als bei Leichtfahrzeugen. In der ersten Phase der Übergangszeit wird Erdgas mit beigemischtem Biomethan akzeptiert, jedoch mit einem geringeren Gewichtungsfaktor, während es für die anschließende Phase gar keine Grenzwerte oder Definitionen gibt. Die Kommission will diese Grenzwerte nach ihrer Annahme mittels eines delegierten Rechtsakts erlassen, doch fehlen Angaben zu den Kriterien dafür, wie die neuen Emissionsgrenzwerte abzuleiten sind. Dies führt den EWSA zu dem Schluss, dass die Richtlinie in Bezug auf schwere Nutzfahrzeuge verfrüht ist, weswegen er empfiehlt, diesen Teil aus dem gegenwärtigen Vorschlag auszuklammern und in einem späteren Stadium zu behandeln.

5.6.

Der EWSA begrüßt den allgemeinen technologieneutralen Ansatz, der für neue Entwicklungen offen ist, die angesichts der laufenden und von der EU unterstützten intensiven FuE-Anstrengungen zu erwarten stehen. Der EWSA möchte jedoch festhalten, dass die Richtlinie diesem Ansatz nicht hundertprozentig folgt, weil zum Beispiel Flüssigkraftstoffe nicht-fossilen Ursprungs außer Acht gelassen werden.

5.7.

Die Förderung batteriebetriebener Elektrofahrzeuge wird derzeit in vielen Ländern der Welt zusammen mit einer zunehmenden Zahl von Automobilherstellern stark vorangetrieben. Eine beschleunigte Markteinführung von Elektrofahrzeugen hängt jedoch von zahlreichen Faktoren ab, die nur in begrenztem Maße von der Automobilindustrie beeinflussbar sind, wie Batteriekosten, Batterie-Recycling, Ladeinfrastruktur, Kraftstoffpreisen und der öffentlichen Beschaffung, die mit der erörterten Richtlinie gefördert werden soll.

5.8.

Neben batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen bergen auch andere Antriebstechnologien ein großes Potenzial für saubere Mobilität. Zum Bedauern des EWSA wird dies in der Richtlinie nicht hinreichend berücksichtigt. So werden zum Beispiel an Kraftstoffe, die zu 100 % nicht-fossilen Ursprungs sind (wie der in Schweden und anderen Ländern weit verbreiteten Bio-Diesel HVO100), oder potenzielle künftige synthetische Kraftstoffe, die mit dem aufgrund des anhaltenden Ausbaus der fluktuierenden erneuerbaren Energieträger in zunehmendem Maße vorhandenen Stromüberschuss aus Abfall oder Kohlendioxid hergestellt werden, außer Acht gelassen.

5.9.

In Anbetracht der laufenden Entwicklungen im Bereich moderner Verkehrstechnologien empfiehlt der EWSA für die kommenden Jahre daher einen flexibleren Ansatz anstelle fester Emissionsgrenzwerte und Beschaffungsvorgaben. Zumindest sollte im Hinblick auf eine eventuelle spätere Anpassung eine Halbzeitbewertung der Mindestziele vorgesehen werden.

6.   Klimaschutz oder Industriepolitik

6.1.

Es ist offenkundig, dass diese Richtlinie — trotz ihres Titels — nicht in erster Linie auf saubere Fahrzeuge, Klimaschutz und Luftreinhaltung abzielt, sondern die öffentliche Beschaffung und Industriepolitik im Blick hat, um bestimmte Fahrzeugklassen zu fördern, die auf den saubersten (nicht nur sauberen) beschaffbaren Technologien beruhen. Eine nähere Betrachtung der verschiedenen Arten „sauberer Fahrzeuge“ und alternativer Kraftstoffe im Sinne dieser Richtlinie offenbart diese Diskrepanz. Bestimmte Kraftstoffarten können zur Verbesserung der Luftqualität in Städten beitragen, sind aber nicht klimafreundlich, z. B. wenn der Strom oder Wasserstoff für Elektrofahrzeuge aus Kohlekraftwerken stammt. Umgekehrt sind emissionsarme Fahrzeuge, die mit Erdgas aus Biomethan betrieben werden, zwar klimafreundlich, können aber trotzdem zur lokalen Luftverschmutzung beitragen. In dem in der Richtlinie angedachten Zeithorizont bis 2030 werden Biokraftstoffe, die zu 100 % nicht-fossilen Ursprungs sind, auch wenn sie in dieser Richtlinie nicht erfasst sind, eine entscheidende Rolle bei der Erfüllung der Klimaschutzziele der EU spielen. Außerdem sagt der Ansatz der lokalen Emissionsfreiheit (d. h. keine Auspuffemissionen) überhaupt nichts über den CO2-Fußabdruck eines Fahrzeugs während seiner gesamten Lebensdauer aus.

6.2.

Der Hauptfokus der Richtlinie liegt auf der Industriepolitik durch Einsatz der öffentlichen Beschaffung sauberer Fahrzeuge als nachfrageseitigen Anreiz zur Stimulierung der Marktentwicklung, z. B. im Marktsegment Stadtbusse. Darüber hinaus kann die Beschaffung sauberer Fahrzeuge für den öffentlichen Fuhrpark laut Europäischer Kommission auch Einfluss auf den privaten Erwerb sauberer Leichtfahrzeuge haben, da mehr öffentliches Vertrauen in die Reife und Verlässlichkeit der Technik und vor allem eine bessere öffentliche Lade- und Betankungsinfrastruktur („Smart Charging“), die privaten Nutzern — insbesondere solchen, die selbst keine Garage haben — offensteht, die Verbraucher beeinflussen wird.

6.3.

Der EWSA hat jedoch erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit dieses Ansatzes. Die vorgeschlagene Richtlinie, so wird behauptet, stehe im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Allerdings bleibt die zusätzliche finanzielle Belastung der öffentlich-rechtlichen Körperschaften völlig unberücksichtigt und wird der Vorschlag nicht mit anderen industriepolitischen Optionen verglichen. Daher ist es nicht evident, dass eine zusätzliche Belastung im Beschaffungswesen hauptsächlich von Städten und Gemeinden der effizienteste Weg sein soll, um Aktivitäten der Industrie und Marktentwicklungen anzustoßen. Starke Bedenken wurden von lokalen Nahverkehrsorganisationen sowie von Städte- und Gemeindevertretern erhoben. Die Haupteinwände dieser Interessenträger sind:

erheblicher zusätzlicher Mittelbedarf für Investitionen, der weit über ihre Finanzkraft hinausgeht;

viele Städte haben bereits viel für einen sauberen Verkehr getan, doch werden diese Anstrengungen in der Richtlinie völlig übergangen;

moderne, die Abgasnorm Euro 6 einhaltende Dieselbusse werden, obwohl sie 2011 als neuer Standard eingeführt wurden (10) und eine kostengünstige Reduzierung der Emissionen öffentlicher Verkehrsmittel ermöglichen können, gar nicht berücksichtigt;

Hybridfahrzeuge mit Plug-in-Technik werden nach 2025 nicht mehr akzeptiert;

die Infrastruktur für das elektrische Aufladen von Bussen und Lastwagen ist gänzlich anders als die Ladetechnik für Leichtfahrzeuge wie z. B. Pkw, weswegen Synergien eher begrenzt sind;

Ausnahmen müssen für Feuerwehr-, Polizei- und Ambulanzfahrzeuge gemacht werden;

in einigen Gemeinden beschränkt sich die öffentliche Beschaffung auf eine eher geringe Zahl von Fahrzeugen (weniger als zehn), mit denen die Mindestziele kaum erreicht werden dürften;

die vorgeschlagene Berichterstattung ist mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nur durchführbar, wenn eine Kategorie „saubere Fahrzeuge“ in die amtlichen Kraftfahrzeugregister aufgenommen werden würde.

6.4.

Ein großer Teil des öffentlichen Beschaffungswesens entfällt auf lokale Verkehrsunternehmen, die im Besitz von Städten und Gemeinden sind, deren Finanzkraft recht begrenzt ist. Jede zusätzliche Investition in modernste Technik zu höheren Kosten (und mit höheren Risiken) kann zu einer spürbaren Belastung der Bürger durch höhere Fahrpreise, höhere kommunale Steuern oder gar eine Verringerung des ÖPNV-Angebots führen. Außerdem sollten die erheblichen Anstrengungen zur Luftreinhaltung, die bereits von Städten und Gemeinden — auch durch die Ausweitung der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel — unternommen wurden, anerkannt und nicht durch neue Beschaffungsvorschriften gehemmt werden, die Mindestziele für ganze Mitgliedstaaten verlangen, die aber auf der Ebene der lokalen Gebietskörperschaften mit ihrer großen Vielfalt an kleinen und großen öffentlich-rechtlichen Verkehrsgesellschaften schwer einzuhalten und zu kontrollieren sind.

6.5.

Da die Vergabe von Unteraufträgen ebenfalls in den Geltungsbereich des Kommissionsvorschlags fällt, sorgt sich der EWSA über die möglichen Folgen des Vorschlags für kleine und mittlere Unternehmen; so tragen nämlich viele kleine örtliche Busunternehmen zur Erbringung von Beförderungsleistungen in größeren städtischen Gebieten als Unterauftragnehmer kommunaler Verkehrsbetriebe bei; diese Unternehmen verfügen möglicherweise nicht über die Fahrzeuge, die von der Richtlinie verlangt werden, und kämen dann vielleicht nicht mehr als Unterauftragnehmer in Betracht.

6.6.

Der EWSA gelangt zu dem Schluss, dass das Haupthindernis für die Modernisierung des öffentlichen Verkehrs und die öffentliche Beschaffung sauberer Fahrzeuge die mangelnde finanzielle Unterstützung ist, und fordert die Kommission nachdrücklich auf, den gegenwärtigen Vorschlag mit einem Fokus auf der Finanzierung zu überdenken, insbesondere auch durch die Berücksichtigung der vorhandenen Finanzierungsinstrumente, wie den Fonds für strategische Investitionen (EFSI), die europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) und die Fazilität „Connecting Europe“ (CEF), vor allem aber durch die richtige Prioritätensetzung im nächsten MFR. Bei der spezifischen finanziellen Unterstützung muss der Vielfalt der Länder, Städte und Regionen im Hinblick auf ihre Wirtschaftskraft und den Anteil der in städtischen Gebieten lebenden Bevölkerung Rechnung getragen werden, wobei das übergeordnete Ziel die Angleichung der Beschaffung sauberer Fahrzeuge in allen Mitgliedstaaten sein muss. Der EWSA gibt zu bedenken, dass nicht nur mehr saubere Fahrzeuge im öffentlichen Fuhrpark benötigt werden, sondern dass der öffentliche Verkehr auch sehr viel attraktiver gemacht werden muss (nicht nur über günstige Tarife, sondern auch durch Anschlussmöglichkeiten und Komfort), um die Bürger von seiner Nutzung zu überzeugen.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2016) 501 final.

(2)  ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 55.

(3)  COM(2011) 144 final.

(4)  ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 64.

(5)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 195.

(6)  COM(2017) 675 final.

(7)  ABl. C 51 vom 17.2 2011, S. 37.

(8)  ABl. C 424 vom 26.11 2014, S. 58.

(9)  COM(2017) 653 final, Anhang 1.

(10)  Verordnung (EU) Nr. 582/2011 der Kommission.


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/64


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt“

(COM(2017) 660 final — 2017/0294 (COD))

(2018/C 262/11)

Berichterstatterin:

Baiba MILTOVIČA

Befassungen

Europäisches Parlament, 29.11.2017

Rat der Europäischen Union, 22.11.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

149/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Zivilgesellschaft als solche kann nur gedeihen, wenn rechtsstaatliche Maßgaben beachtet werden. Deshalb unterstützt der EWSA die mit den vorgeschlagenen Änderungen der Gasrichtlinie aus dem Jahr 2009 verfolgte Absicht einer verbesserten Marktintegration und Versorgungssicherheit, auch wenn er nicht in allen Punkten mit der Europäischen Kommission einverstanden ist und bedauert, dass es überhaupt zu diesem Rechtsvakuum kommen konnte, das diese Richtlinie nun beheben soll.

1.2.

Die vorgeschlagenen Änderungen der Gasrichtlinie (1) haben zu ausführlichen Debatten in den Mitgliedstaaten geführt und Meinungsverschiedenheiten zu Tage treten lassen. Nach Meinung des EWSA geht es dabei auch um wichtige Prinzipien und um Solidarität, die keinen Interpretationsspielraum zulassen.

1.3.

Politischen und wirtschaftlichen Empfindsamkeiten muss umfassend Rechnung getragen werden — was bislang nicht der Fall ist —, aber die EU muss sich auch klar darüber werden, ob das Ziel eines zusammenhängenden, nachhaltigen und gerechten Energiemarkts im gegenwärtigen politischen Klima für alle Mitgliedstaaten machbar ist. Auf kurze Sicht sehen sich einige Mitgliedstaaten nun mit der Herausforderung konfrontiert, ihre nationalen Interessen hintenanzustellen und stattdessen die Anwendung klarer und kohärenter regulatorischer Binnenmarktgrundsätze auf die Energieversorgung und Energiesicherheit zu unterstützen. Langfristig stellt sich eine andere Herausforderung — die Gefahr eines Lock-ins in eine teure Infrastruktur für einen fossilen Brennstoff, die eine wachsende Abhängigkeit begünstigt und womöglich die Fähigkeit der EU beeinträchtigt, ihren Klimaverpflichtungen nachzukommen.

1.4.

Der EWSA stellt fest, dass die Beseitigung der Außenabhängigkeit ein langfristiges Vorhaben ist, das es notwendig macht, den Erdgasverbund zwischen den Mitgliedstaaten weiter auszubauen, die Speicherkapazitäten zu verbessern wie auch Kapazitäten für alternative Versorgungsmöglichkeiten wie Flüssigerdgas (LNG) nachzurüsten und die zunehmende Bedeutung der erneuerbaren Energieträger zu berücksichtigen.

1.5.

Der EWSA ist der Meinung, dass Rechtsunsicherheit in einem bestimmten Bereich (bei künftigen Bauvorhaben aufgrund unklarer Verfahrensweisen bei den vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen) die Investitionssicherheit gefährdet und den freien Wettbewerb zwischen nationalen und regionalen Behörden um Investitionen behindern kann. Die Auswirkungen auf die erheblichen Verbesserungen auf dem Gasmarkt, die in den letzten zwei Jahrzehnten durch Regulierungsmaßnahmen erreicht worden sind, müssen bewertet werden.

1.6.

In den letzten Jahren hat der EWSA in zahlreichen Stellungnahmen zu energie- und klimapolitischen Themen (2) betont, dass diese heiklen Energieversorgungsfragen nur durch eine klare und wirksame Governance in Verbindung mit einem gehörigen Maß an Pragmatismus und gutem Willen gelöst werden können. Dieser Vorschlag der Europäischen Kommission steht im Einklang mit seinem Standpunkt und sollte zügig weiterbehandelt werden.

1.7.

Der EWSA stellt indes fest, dass die Änderungen Anlass zu diversen rechtlichen Anfechtungen geben können, sicher aber erhebliche politische Differenzen wie auch handelspolitische Bedenken seitens industrieller Interessenträger auslösen werden. Deshalb ist es bedauerlich, dass keine Folgenabschätzung durchgeführt wurde.

1.8.

Der EWSA unterstützt die vorgeschlagenen Änderungen der Gasrichtlinie, mit denen sichergestellt werden soll, dass die wesentlichen Grundsätze des EU-Energierechts, u. a. die Bestimmungen über den Zugang Dritter, die Entgeltregulierung, die eigentumsrechtliche Entflechtung und Transparenz, innerhalb des EU-Gebiets auf Verbindungsleitungen zwischen der EU und Drittländern angewandt werden. Nach Auffassung des EWSA sollten die diesbezüglich notwendigen Änderungen der Gasrichtlinie unverzüglich angenommen werden, wobei jedwede Rechtsunsicherheit hinsichtlich der vollumfänglichen Anwendbarkeit der EU-Rechtsvorschriften auf bestehende und geplante Verbindungsleitungen auszuräumen ist.

1.9.

Nach Meinung des EWSA sollten mögliche Ausnahmen von den wesentlichen Vorschriften der Gasrichtlinie strikt eingeschränkt und zeitlich begrenzt (auf bspw. maximal zehn Jahre) werden. Sie sollten nur in Sonderfällen gewährt werden und nach umfassender Prüfung durch die Europäische Kommission, um sicherzustellen, dass Ausnahmeregelungen nicht den Zielen der Energieunion zuwiderlaufen und den Wettbewerb und das wirksame Funktionieren des Erdgasbinnenmarkts oder die Gasversorgungssicherheit der EU beeinträchtigen.

2.   Einleitung

2.1.

Erdgas ist für die EU nach wie vor eine der wichtigsten Primärenergiequellen, und ein gut funktionierender Erdgasbinnenmarkt spielt eine wichtige Rolle für die Wirtschaft und die Energiesicherheit vieler EU-Mitgliedstaaten. Generell hat die Einfuhrabhängigkeit der EU bei allen Arten von Energieträgern über die letzten 25 Jahre hinweg stetig zugenommen und ist von 44 % im Jahr 1990 auf 53 % im Jahr 2015 gestiegen. Nahezu 70 % des in der EU verbrauchten Erdgases müssen importiert werden, wovon wiederum 90 % über Rohrleitungen aus Drittländern in die EU gelangen. Auf Russland als größten Lieferanten entfallen an die 40 % der EU-Einfuhren, wobei dieser Anteil in einigen osteuropäischen Ländern wesentlich höher liegt.

2.2.

Da diese Abhängigkeit Krisenanfälligkeit begünstigen kann, wird über die Gasrichtlinie u. a. vor allem angestrebt, den Erdgasverbund zwischen den Mitgliedstaaten weiter auszubauen, die Speicherkapazitäten zu verbessern wie auch Kapazitäten für alternative Versorgungsmöglichkeiten wie Flüssigerdgas (LNG) nachzurüsten. Ziel der Energieunion ist und bleibt es, die Resilienz innerhalb der EU zu verbessern, wobei die Beseitigung der Außenabhängigkeit ein langfristiges Unterfangen ist.

2.3.

Mit der sogenannten Gasrichtlinie wurden gemeinsame Vorschriften für die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas für die EU-Mitgliedstaaten aufgestellt, die jedoch nicht für Rohrleitungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern gelten. Durch verschiedene vorgeschlagene Änderungen dieser Richtlinie sollen die Grundsätze der Gasrichtlinie auf bestehende und künftige Rohrleitungen bis zur Grenze des EU-Gebiets angewendet werden. Für einige Rohrleitungen, bspw. aus der Energiegemeinschaft, gelten die Vorschriften der Gasrichtlinie bereits, andere bestehende Rohrleitungen in die EU aus Norwegen, Algerien, Libyen, Tunesien, Marokko und Russland sowie nach dem Brexit womöglich auch Verbindungsleitungen zwischen dem Vereinigten Königreich und EU-Mitgliedstaaten werden von diesem Vorschlag betroffen sein.

2.4.

EU-Rechtsvorschriften gelten zwar nur auf EU-Gebiet und nicht in Drittländern, doch wird durch diese Änderungen sichergestellt, dass sie auf alle rechtlichen und vertraglichen Vereinbarungen zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland ab dem Eintrittspunkt einer Rohrleitung in das Gebiet der Union angewendet werden. Die einzelnen Mitgliedstaaten, die entsprechende Vereinbarungen mit Lieferanten aus Drittländern treffen, könnten indes für bestehende Rohrleitungen Ausnahmen von zahlreichen wesentlichen Vorschriften der Gasrichtlinie gewähren. Für neue, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie geplante oder im Bau befindliche Rohrleitungen würden sämtliche Auflagen des Erdgasbinnenmarkts gelten. Wenn die nationalen Behörden und die Europäische Kommission einen Antrag auf Ausnahme als begründet einstufen würden, könnte jedoch ein projektspezifischer Rechtsrahmen genehmigt werden. In der Praxis würde der Europäischen Kommission dadurch bei jedem Abkommen über eine neue Rohrleitung eine wichtige, womöglich entscheidende Rolle bei der Festlegung des Rechtsrahmens und der Marktzugangsbedingungen zukommen. Diese Befugnisse können als wesentlicher Mechanismus zur Überwachung der Regelkonformität im Rahmen der Gestaltung des allgemeinen Energieversorgungsmarkts und im Hinblick auf die Gewährleistung des Ausgleichs von Erschwinglichkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit betrachtet werden. Nach Meinung des EWSA steht dieser Ansatz im Einklang mit dem Governancerahmen und den übergeordneten Zielen der Energieunion.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1.

Die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Gasrichtlinie ist wichtig, da bei der Schaffung eines EU-Binnenmarkts für Erdgas berücksichtigt werden muss, dass Erdgasfernleitungsnetze natürlichen Monopolen vergleichbar sind. Der enorme Investitionsaufwand für den Bau eines so gewaltigen Infrastrukturvorhabens stellt für andere Marktteilnehmer eine außerordentlich hohe Markteintrittsschwelle dar. Daher sind Maßnahmen erforderlich, um das System des Netzzugangs Dritter verpflichtend einzuführen sowie durch Entflechtung die Erzeugung und den Vertrieb von Erdgas vom Übertragungsnetzbetrieb zu trennen. Ferner muss es Aufgabe der nationalen Regulierungsbehörden sein, nichtdiskriminierende und kostenorientierte Tarife für die Nutzung der Übertragungssysteme festzulegen oder zu genehmigen.

3.2.

Es werden eine Reihe Änderungen der Gasrichtlinie vorgeschlagen, die sich in vier Themenbereiche untergliedern lassen:

Erweiterung des Anwendungsbereichs: Die Definition des Begriffs „Verbindungsleitung“ wird auf Rohrleitungen aus und nach Drittländern erweitert;

Entflechtungsvorschriften: Die Anwendung anderer Entflechtungsmodelle wird erleichtert;

Konsultationsanforderungen: Die Regulierungsbehörden der EU müssen die zuständigen Behörden der Drittländer hinsichtlich der Anwendung der Gasrichtlinie bis zur Grenze des Gebiets der Union konsultieren;

Ausnahmen: Ein Mitgliedstaat kann eine Ausnahme von der Anwendung der Bestimmungen einiger Artikel der Gasrichtlinie für bestehende Rohrleitungen nach und aus Drittländern gewähren.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Es ist zu bedenken, dass mit diesem Vorschlag zwar vor allem das mittel- bis langfristige Funktionieren des Energiebinnenmarkts verbessert werden soll, die vorgesehenen Änderungen in der Praxis aber kurzfristig ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit bewirken können, da die Mitgliedstaaten eventuell für bestehende Rohrleitungen diverse Ausnahmen von einigen Bestimmungen der Gasrichtlinie gewähren werden. Letztendlich würde diese Rechtsunsicherheit jedoch durch die umfassende und konsequente Anwendung der Bestimmungen der Gasrichtlinie, einschl. der wesentlichen Grundsätze dieser Richtlinie, d. h. Entflechtung, Zugang Dritter und Entgelte, in denen sämtliche Bau- und Betriebskosten berücksichtigt sind, beseitigt.

4.2.

Derzeit werden eine Reihe neuer Pipelineprojekte entwickelt. Diesbezüglich stößt vor allem die geplante Nord-Stream-2-Gaspipeline auf erheblichen Widerstand einiger EU-Mitgliedstaaten. Diese neue regulatorische Unwägbarkeit könnte Bauvorhaben beeinträchtigen und zu Verzögerungen führen. Es wird auch geltend gemacht, dass die Änderungen den freien Wettbewerb zwischen nationalen und regionalen Behörden um ausländische Investitionen behindern würden. Im Zuge der Schaffung des Binnenmarkts ist jedoch häufig im kollektiven Interesse der EU-Bürger Verzicht auf nationale Kontrolle geübt worden, in der Erkenntnis, dass solidarisches Handeln umfangreiche Vorteile bringt.

4.3.

Hochdruck-Ferntransportleitungen sind eine komplexe und kostspielige Infrastruktur, die sich erst nach vielen Jahren amortisiert. Zwar können derartige Anlagen eventuell für den Transport von innovativem kohlenstoffarmem Gas (Biogas, Wasserstoff) genutzt werden, doch besteht die erhebliche Gefahr eines Lock-ins in eine teure Infrastruktur für einen fossilen Brennstoff, die eine wachsende Abhängigkeit begünstigt und womöglich die Fähigkeit der EU beeinträchtigt, ihren Klimaverpflichtungen nachzukommen.

4.4.

Einige Mitgliedstaaten könnten die Änderungen womöglich als eine gewisse Beschränkung ihrer Hoheitsgewalt ansehen, denn es wird ihnen nicht möglich sein, durch ein bilateral ausgehandeltes zwischenstaatliches Abkommen in dem durch die Gasrichtlinie geregelten Bereich, der zuvor nicht von der EU geregelt wurde, vom EU-Recht abzuweichen. Der EWSA stimmt zu, dass dieses Rechtsvakuum konsequenterweise behoben werden muss.

4.5.

Angesichts dieser Vorbehalte kann der EWSA nicht nachvollziehen, dass die Europäische Kommission eine Folgenabschätzung als nicht notwendig erachtet hat. Es liegt auf der Hand, dass die vorgeschlagenen Änderungen in dieser politisch heiklen und wirtschaftlich relevanten Materie mit Fakten begründet werden müssen. Einige dieser Fakten werden in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen oder in eingehenden Analysen der Kommission wie der Folgenabschätzung für die Gasrichtlinie genannt.

4.6.

Die europäische Kommission sollte auch eingehender darlegen, inwieweit die Änderungen für den Binnenmarkt vorteilhaft sind. Die Umsetzung des dritten Energiepakets ist in einigen Mitgliedstaaten immer noch lückenhaft, doch ist nicht klar, wie diese Änderungen dem abhelfen sollen.

4.7.

Mit dem Vorschlag soll jedoch unzweifelhaft die Möglichkeit eingeräumt werden, dass im Bedarfsfall und im Einklang mit den vereinbarten EU-politischen Vorgaben eingegriffen werden kann, um eine noch stärkere Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verhindern und dadurch zur Diversifizierung der Energieversorgung beizutragen. Nach Meinung des EWSA liegt dies im Interesse der EU.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Dieser Vorschlag sollte als Teil des Programms zur Förderung von Kohärenz, Solidarität, Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Marktregelung in der EU-Energiepolitik, sprich: der Energieunion, begriffen werden. In diesem Zusammenhang wird mittelfristig das Ziel verfolgt, die Abhängigkeit von einem marktbeherrschenden Gasanbieter durch die verstärkte Nutzung einheimischer Gasquellen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und von LNG-Terminals, die Verbesserung der Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energieträger zu verringern. Kurzfristig besteht begrenzte Aussicht auf die Ersetzung von Erdgas in einigen Bereichen der Stromerzeugung wie Kraft-Wärme-Kopplung. Besonders wichtig ist es für Fernwärmesysteme. Schnell regelbare Gaskraftwerke und KWK-Anlagen werden ebenfalls zum Ausgleich der natürlichen Schwankungen bei den erneuerbaren Energien herangezogen und tragen somit erheblich zur Versorgungssicherheit im Strom- und im Wärmesektor bei. Es gibt kaum Spielraum für die Ersetzung von Erdgas im Wohnungs- und im Gewerbesektor, da die Vorhaltung alternativer Ausrüstungen/Infrastrukturen unrealistisch ist.

5.2.

Die Regierungen der Mitgliedstaaten behaupten regelmäßig, dass durch Verbundnetze (Integration mit Nachbarn, Errichtung eines gemeinsamen Erdgasmarkts, Entwicklung regionaler Erdgasinfrastrukturen wie der Balticconnector usw.) die Voraussetzungen für einen fairen Wettbewerb zwischen den Gasversorgern, eine bessere Dienstqualität und eine größere Auswahl für die Erdgasverbraucher geschaffen werden. Auf Märkten, wo der Erdgasverbrauch jedes Jahr weiter sinkt, sind nur wenige Versorger daran interessiert, Haushalte zu bedienen.

5.3.

In der anhaltenden Debatte über die Erdgasversorgung der EU wird der Begriff „Energiesicherheit“ auf zweierlei Weise interpretiert. Der einen Auslegung zufolge wird der Ausbau der Ferngasleitungen nach Europa zur Energieunabhängigkeit beitragen, da mit Hilfe von zusätzlichen Erdgaslieferungen Ausfälle aufgrund des kontinuierlichen Produktionsrückgangs bei allen fossilen Energieträgern in Europa (Kohle, Öl und Erdgas) überbrückt werden können. Es kann auch zum Ausgleich der schwankenden Einspeisung erneuerbarer Energie genutzt werden und eine wichtige Rolle in der Energiewende spielen. Erdgas, das unter den fossilen Energieträgern die beste Umweltbilanz aufweist, ist eindeutig eine vorrangige Option, wenn erneuerbare Energieträger oder Kernenergie ungeeignet sind oder nicht zur Verfügung stehen.

5.4.

Bei der anderen Auslegung wird dagegen gehalten, dass die Anfälligkeit Europas steigen könnte, wenn der Erdgaskapazitätsausbau auf der Abhängigkeit von einem Lieferland (Russland) gründet, das womöglich völlig andere Interessen als die EU verfolgt und die Gasversorgung als Druckmittel in wirtschafts- und außenpolitischen Verhandlungen einsetzt. Die Mitgliedstaaten verfolgen diesbezüglich abweichende wirtschaftliche und politische Interessen, und es ist schwer vorstellbar, wie diese beiden Interpretationen kurz- bis mittelfristig miteinander vereinbart werden können.

5.5.

Alles in allem ist der EWSA der Auffassung, wie er es auch in zahlreichen Stellungnahmen in den letzten Jahren, insbesondere in Verbindung mit der Errichtung und Funktionsweise der Energieunion, dargelegt hat, dass die vereinbarten Klimaschutz- und Energiesicherheitsziele der EU nur über einen wirksamen und abgestimmten Governancemechanismus erreicht werden können. Dazu gehört auch die Minderung des Risikos einer zu starken Abhängigkeit von einem Energielieferanten.

5.6.

Ziel dieser Richtlinie ist es, eine rechtliche Grauzone zu beseitigen bzw. ein Rechtsvakuum durch die Anwendung der EU-Binnenmarktvorschriften und -grundsätze auszufüllen und die Europäische Kommission enger in die Prüfung von Fragen von gemeinsamem Interesse einzubeziehen.

5.7.

Mit den Änderungen der Gasrichtlinie soll sichergestellt werden, dass die wesentlichen Grundsätze des EU-Energierechts, u. a. die Bestimmungen über den Zugang Dritter, die Entgeltregulierung, die eigentumsrechtliche Entflechtung und Transparenz, innerhalb des EU-Gebiets auf Verbindungsleitungen zwischen der EU und Drittländern angewandt werden. Nach Auffassung des EWSA sollten die diesbezüglich notwendigen Änderungen der Gasrichtlinie unverzüglich angenommen werden, wobei jedwede Rechtsunsicherheit hinsichtlich der vollumfänglichen Anwendbarkeit der EU-Rechtsvorschriften auf bestehende und geplante Verbindungsleitungen auszuräumen ist.

5.8.

Nach Meinung des EWSA sollten mögliche Ausnahmen von den wesentlichen Vorschriften der Gasrichtlinie strikt eingeschränkt und zeitlich begrenzt (auf bspw. maximal zehn Jahre) werden. Sie sollten nur in Sonderfällen gewährt werden und nach umfassender Prüfung durch die Europäische Kommission, um sicherzustellen, dass Ausnahmeregelungen nicht den Zielen der Energieunion zuwiderlaufen und den Wettbewerb und das wirksame Funktionieren des Erdgasbinnenmarkts oder die Gasversorgungssicherheit der EU beeinträchtigen.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. L 211 vom 14.8.2009, S. 94.

(2)  ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 70; ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 81; ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 34.


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/69


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Hin zu einer möglichst breiten Verwendung alternativer Kraftstoffe — ein Aktionsplan zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe nach Artikel 10 Absatz 6 der Richtlinie 2014/94/EU, einschließlich einer Bewertung der nationalen Strategierahmen nach Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie 2014/94/EU

(COM(2017) 652 final)

(2018/C 262/12)

Berichterstatter:

Séamus BOLAND

Befassung

Europäische Kommission, 18.1.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

170/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Diese Stellungnahme setzt sich in erster Linie mit der Bereitstellung einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe vor dem Hintergrund der Verpflichtungen der EU gemäß dem Übereinkommen von Paris auseinander. Damit schließt sie an die vielen bisherigen EWSA-Stellungnahmen zur Verkehrsthematik an. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) empfiehlt nachdrücklich, dass die EU und sämtliche Interessenträger der Umsetzung des Aktionsplans zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe Vorrang einräumen.

1.2.

Der EWSA begrüßt ausdrücklich die Initiative der Europäischen Kommission zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors und insbesondere ihre Absicht, die Bereitstellung der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe voranzutreiben, damit die Treibhausgasemissionen und Luftschadstoffemissionen bis 2050 auf null sinken.

1.3.

Der EWSA stellt jedoch mit Sorge fest, dass die Umsetzung der von den einzelnen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Dekarbonisierung festgelegten nationalen Strategierahmen bislang weit hinter den damit verfolgten Zielsetzungen zurückbleibt. Deshalb dürfte auch der Aktionsplan zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe kaum Aussicht auf Erfolg haben. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten dieser Angelegenheit große Dringlichkeit beimessen.

1.4.

Der EWSA empfiehlt deshalb, dass die Europäische Kommission die nationalen Strategierahmen dringend überprüft, um sicherzustellen, dass die Zielsetzungen erreicht werden.

1.5.

Der EWSA empfiehlt, dass die Mitgliedstaaten sämtliche Hindernisse, u. a. den Verlust von Steuereinnahmen aus fossilen Brennstoffen, ermitteln und beseitigen sollten.

1.6.

Der EWSA nimmt das bedeutende finanzielle Engagement der EU für die Bereitstellung der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe zur Kenntnis. Er befürchtet jedoch, dass der Finanzbedarf zu niedrig veranschlagt worden ist und nicht genügend privatwirtschaftliche Finanzmittel mobilisiert werden. Der EWSA empfiehlt dringend, den veranschlagten Mittelbedarf zu überprüfen und anzuheben sowie ggf. geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, wenn die finanziellen Zielvorgaben nicht erreicht werden.

1.7.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass auch die Schifffahrt und die Luftfahrt sich auf die von allen Interessenträgern vereinbarten Dekarbonisierungsziele festgelegt haben. Er empfiehlt indes, den notwendigen Dialog zwischen der Europäischen Kommission, den Mitgliedstaaten und diesen beiden Sektoren kurzfristig zu intensivieren.

1.8.

Der EWSA moniert, dass die Verbraucher kaum teilhaben und auch von den einschlägigen Interessenträgern kaum einbezogen werden. Er empfiehlt daher nachdrücklich, den Verbrauchern eine sehr viel wichtigere Rolle bei allen Aspekten des Ausbaus der alternativen Kraftstoffe zuzugestehen.

1.9.

Der EWSA empfiehlt, neue Quellen zur Gewinnung von Seltenen Erden zu erforschen. Er empfiehlt ferner, dass die Europäische Kommission in Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten stets aktualisierte Informationen über die jüngsten Entwicklungen im Bereich Verkehrstechnologie bereitstellt.

1.10.

Der EWSA begrüßt die Priorisierung von Maßnahmen in städtischen Gebieten, weist indes darauf hin, dass Programme aufgestellt werden müssen, die auch für den Verkehr im ländlichen Raum geeignet sind. Deshalb empfiehlt der EWSA, im Rahmen solcher Programme auch den Aufbau von Infrastruktur zur Nutzung von Biokraftstoff zu fördern, der in Biogasanlagen aus landwirtschaftlichen und anderen Abfällen erzeugt wird. Diese Programme könnten die Schaffung von Infrastrukturen umfassen, die sich auf die Nutzung moderner Biokraftstoffe landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder anderen Ursprungs stützen.

2.   Einleitung

2.1.

Im Mittelpunkt dieser Stellungnahme steht der Aktionsplan, der auf die Bereitstellung der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe in der EU abhebt. Der EWSA hat bereits Stellungnahmen zu dem übergeordneten Mobilitätspaket wie auch zu anderen Aspekten der Verkehrsthematik verabschiedet. Deshalb wird in dieser Stellungnahme nicht der übergreifende Zusammenhang zwischen Verkehr und Klimawandel erörtert. Die Bereitstellung einer Infrastruktur, die im Einklang mit der Strategie der Europäischen Kommission zur Umsetzung des Übereinkommens von Paris die Umstellung von konventionellen auf nachhaltige Kraftstoffe erleichtert, ist von allergrößter Wichtigkeit.

2.2.

Im November 2017 ergriff die Europäische Kommission entscheidende Maßnahmen zur Umsetzung der von der EU im Rahmen des Übereinkommens von Paris eingegangenen Verpflichtungen, denen zufolge ihre CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 40 % sinken müssen. Das „Paket für saubere Mobilität“ beinhaltet einen Aktionsplan sowie Investitionskonzepte für den europaweiten Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe. Ziel ist es, die nationalen Strategierahmen durch die Förderung von Investitionen in die Verkehrsnetze (das transeuropäische Verkehrsnetz, TEN-V) in städtischen Gebieten zu unterstützen. Damit soll die Bereitstellung der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe für die Verkehrsteilnehmer sichergestellt werden.

2.3.

In dem Aktionsplan werden Mitgliedstaaten auch angewiesen, Ziele zur Senkung der durch Schifffahrt und Luftfahrt verursachten Emissionen festzulegen.

2.4.

Der EWSA hat sich fortwährend für einen verbesserten Zugang der Öffentlichkeit zu Infrastruktur für alternative Kraftstoffe eingesetzt und dies in mindestens 15 Stellungnahmen aus jüngerer Zeit zu Verkehrsthemen in Verbindung mit Dekarbonisierung, COP 21 und vielen weiteren Fragen ökologischer Nachhaltigkeit zum Ausdruck gebracht.

2.5.

Gemäß der erklärten Absicht der EU, bei der Dekarbonisierung weltweit führend zu werden, hat die Europäische Kommission Vorschläge unterbreitet, um bis 2025 im Verkehrsbereich eine rasche Umstellung von emissionsstarken auf emissionsarme oder emissionsfreie Kraftstoffe zu erreichen.

2.6.

Der Aktionsplan zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe beinhaltet ein Bündel von Maßnahmen im Hinblick auf eine nahtlose und umfassende Senkung der Emissionen im Verkehrssektor entlang einer Zeitachse von 2020 über 2025 bis 2030.

2.7.

Aktuellen Schätzungen der EU zufolge verbrauchen 95 % der Straßenfahrzeuge und Schiffe herkömmliche Kraftstoffe, und dies, obwohl es eine Reihe einschlägiger EU-Finanzierungsinstrumente gibt (für Kraftstoffe fossilen Ursprungs oder Biokraftstoffe), die im Aktionsplan nicht aufgeführt werden.

2.8.

Durch die Bereitstellung von EU-Fördermitteln konnten indes einige Fortschritte beim Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe erzielt werden. Nach Angaben der Europäischen Beobachtungsstelle für alternative Kraftstoffe gibt es 118 000 öffentlich zugängliche Ladepunkte für Elektrofahrzeuge, 3 458 Tankstellen für komprimiertes Erdgas sowie 82 Tankstellen für Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb (Stand: Ende September 2017). Allerdings gibt es nur in zwei Mitgliedstaaten mehr als 100 Ladepunkte für Elektrofahrzeuge auf 100 000 Stadtbewohner.

2.9.

Alle Mitgliedstaaten sollten bis Ende 2017 Fortschrittsberichte vorlegen. Zwei taten dies nicht (Malta und Rumänien). Bei den meisten übrigen Mitgliedstaaten wurde deutlich, dass sie hinter ihren Zielen zurückgeblieben sind und sie aktuellen Prognosen zufolge vollständig verfehlen werden.

3.   Nationale Strategierahmen

3.1.

Im Einklang mit der Richtlinie 2014/94/EU haben die Mitgliedstaaten nationale Strategierahmen mit kraftstoffabhängigen Mindestzielen für die Infrastrukturabdeckung bis 2020, 2025 und 2030 aufgestellt. In jedem nationalen Strategierahmen wurden Einzel- und Gesamtziele festgelegt, und die Mitgliedstaaten sollten der Europäischen Kommission bis 2017 Bericht erstatten.

3.2.

Der Schwerpunkt der Richtlinie liegt auf Kraft- und Brennstoffen, bei denen eine mangelnde Marktkoordinierung relevant ist, wie Strom, Wasserstoff und Erdgas (LNG und CNG). Auch Biokraftstoffe werden als wichtige Option betrachtet und dürften kurz- bis mittelfristig den größten Anteil am Alternativkraftstoffmarkt ausmachen. Die wichtigsten Komponenten zum Aufbau einer Infrastruktur, mit der die Nutzung von Biokraftstoffen gesichert werden könnte, sind bereits vorhanden.

3.3.

Die nationalen Strategierahmen sind darauf ausgerichtet, dass in jedem Mitgliedstaat eine Mindestinfrastruktur für alternative Kraftstoffe bis 2020, 2025 bzw. 2030 bereitgestellt wird. Die wesentlichen Elemente dieser Infrastruktur sind Strom, komprimiertes Erdgas (CNG), Flüssigerdgas (LNG) und Wasserstoff.

Die erforderlichen Infrastrukturinvestitionen der Mitgliedstaaten im Rahmen der Richtlinie 2014/94/EU werden wie folgt veranschlagt:

Strom: auf bis zu 904 Mio. EUR bis 2020 (die nationalen Strategierahmen müssen nur Ziele für 2020 enthalten).

CNG: auf bis zu 357 Mio. EUR bis 2020 und auf bis zu 600 Mio. EUR bis 2025 für mit CNG angetriebene Kraftfahrzeuge (auf der Grundlage der Gesamtkosten der neuen CNG-Tankstellen, die laut den nationalen Strategierahmen errichtet werden sollen — 937 bis zum Jahr 2020 und 1 575 bis 2025).

LNG: auf bis zu 257 Mio. EUR bis 2025 für mit LNG angetriebene Straßenfahrzeuge. Was LNG für den Schiffsverkehr angeht: auf bis zu 945 Mio. EUR für Seehäfen der TEN-V-Kernnetzkorridore bis 2025 und auf bis zu 1 Mrd. EUR für Binnenhäfen der TEN-V-Kernnetzkorridore bis 2030.

Wasserstoff: auf bis zu 707 Mio. EUR bis 2025 (siehe COM(2017) 652 final).

3.4.

Laut Bewertung erfüllten im November 2017 nur 8 von 25 Mitgliedstaaten die Anforderungen in Verbindung mit ihren Zielsetzungen, während zwei Mitgliedstaaten keinen Bericht vorgelegt hatten. Die Europäische Kommission bewertet die erzielten Fortschritte außerordentlich kritisch und bemängelt insbesondere die halbherzige Vorgehensweise, die in verschiedenen Ländern zur Festlegung widersprüchlicher Maßnahmen und zur Aushöhlung der Verpflichtungen zum Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe führt.

3.4.1.

Der EWSA stellt fest, dass einige dieser Länder ihre Anstrengungen verstärkt haben, seit die Zahlen veröffentlicht wurden.

3.5.

Die Europäische Kommission gelangt allgemein zu dem Schluss, dass es nicht gelungen ist, mit Hilfe nationaler Strategierahmen echte Fortschritte in Form eines erkennbaren Ausbaus der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe zu erzielen.

3.6.

Die negative Bewertung und die laut Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen begrenzte Wirkung der nationalen Strategierahmen deuten darauf hin, dass die Ziele deutlich verfehlt werden dürften und zumindest eine dringende Überprüfung angesagt ist.

4.   Hintergrund und Inhalt der Kommissionsmitteilung

4.1.

Mit dem Aktionsplan sollen die nationalen Strategierahmen ergänzt werden, um „den Aufbau einer interoperablen EU-Basisinfrastruktur bis 2025“ zu unterstützen. Ziel ist die Schaffung von Kernnetzkorridoren für den grenzüberschreitenden und Langstreckenverkehr, sofern sich alle Interessenträger auf ein Konzept einigen können.

4.2.

Die EU will den Ausbau in zwei Bereichen voranbringen. Zum einen geht es ihr um das TEN-V-Kern- und -Gesamtnetz, zum anderen um den Infrastrukturbedarf in städtischen und vorstädtischen Gebieten.

4.3.

Die Maßnahmen sollen für Verbraucher, Unternehmen und Behörden von Nutzen sein, wobei die Behörden und die Privatwirtschaft die Verantwortung gemeinsam tragen. Durch ein zuverlässiges Angebot von Fahrzeugen und Schiffen sollte die Kontinuität von Angebot und Nachfrage sichergestellt werden.

4.4.

Der Ausbau der Infrastruktur für Strom als alternativer Kraftstoff hat EU-weit erste Priorität. Jedoch werden beim Ausbau der notwendigen Infrastruktur für Elektrofahrzeuge bis 2020 nur geringe Fortschritte erzielt; Schätzungen zufolge wird für 2020 von einem Anteil von 0,1-9,2 % Elektrofahrzeuge am Fahrzeugaufkommen in verschiedenen Mitgliedstaaten ausgegangen (SWD(2017) 365 final).

4.5.

Aus der Mitteilung geht deutlich hervor, dass ein integrierter Ansatz erforderlich ist — ein einheitlicher Strategierahmen für Fahrzeuge, Stromnetze, wirtschaftliche Anreize und digitale Dienste. Ansonsten wird die Umstellung auf emissionsarme und emissionsfreie Mobilität uneinheitlich verlaufen und zu einem Ansatz der verschiedenen Geschwindigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten führen.

4.6.

In dem Plan wird betont, dass erhebliche öffentliche und private Investitionen notwendig sind. In Anbetracht des hohen Finanzbedarfs wird befürwortet, „nicht rückzahlbare Finanzhilfen und rückzahlbare Fremdfinanzierungen“ zu kombinieren.

4.7.

Die Europäische Kommission hat zwei getrennte Foren mit vergleichbaren Aufgaben ins Leben gerufen — das Forum für nachhaltigen Verkehr und das Europäische Forum für nachhaltige Schifffahrt —, um Vertreter der Mitgliedstaaten, der Zivilgesellschaft und andere einschlägige Interessenträger einzubeziehen.

5.   Herausforderungen im Zuge der Bereitstellung der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe

5.1.

Der EWSA weist auf verschiedene Probleme bei der Bereitstellung der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe hin und bedauert, dass diese sichtlich keinem Interessenträger ein dringendes Anliegen sind.

5.2.

In der gesamten EU herrscht ein gravierender Mangel an Infrastrukturen für das Laden und Betanken von Fahrzeugen und Schiffen. Nach Meinung des EWSA besteht eine wesentliche Ursache hierfür in der unzureichenden Entwicklung intelligenter Stromnetze, die die Verbraucher daran hindert, den Wandel mit voranzubringen.

5.3.

Angesichts der schleppenden Umsetzung der Maßnahmen auf allen Seiten gelangt der EWSA zu der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten sich in unterschiedlichem Maße für den Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe engagieren, was auch aus der Bewertung der Europäischen Kommission deutlich wird. Der EWSA erachtet dies als ein großes Hindernis für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele der EU. Allerdings sind in der EU, insbesondere in einigen Mitgliedstaaten, beträchtliche Fortschritte bei der Entwicklung von Biokraftstoffen (die nicht Gegenstand der Richtlinie von 2014 sind) erzielt worden.

5.4.

Die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe ist indes noch mit technologischen Unwägbarkeiten behaftet. Betroffen ist davon u. a. die Herstellung von Batterien für Elektrofahrzeuge aufgrund des immer kostspieligeren Abbaus der benötigten Primärrohstoffe. Im Einklang mit den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft sollte der Einsatz zurückgewonnener Sekundärrohstoffe gefördert werden. Ferner ist der Informationsstand der Verbraucher hinsichtlich der Sicherheit von komprimiertem Erdgas unzureichend. Hier besteht Handlungsbedarf.

5.5.

Technologieunsicherheit der Verbraucher und fehlende Direktinformationen über Preisvergleiche sind als wesentliches Hemmnis für die Verbraucherakzeptanz ermittelt worden (EU-Studie über die Umsetzung von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, Januar 2017). Auch bei Langstreckenfahrten gibt es praktische Beschränkungen, insbesondere im ländlichen Raum, was die Erfolgsaussichten ernstlich dämpft.

5.6.

Die hohen Kosten der Umstellung in ländlichen Gebieten erschweren den Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe ungemein. Dringend muss auch das Problem angegangen werden, dass die Interessenträger sich bislang nicht proaktiv für die Bereitstellung einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe eingesetzt haben, die für die unterschiedlichen Erfordernisse der Landwirtschaft wie auch für Langstreckenfahrten in dünn besiedelten ländlichen Gebieten geeignet ist.

5.7.

Die erwünschte Kombination öffentlicher und privater Finanzierungsmechanismen muss den unterschiedlichen Bedürfnissen öffentlicher und privater Investoren gerecht werden. Eine Abstimmung dieser Bedürfnisse könnte, insbesondere im Falle unterschiedlicher Erwartungen der öffentlichen und privaten Geldgeber, die Entwicklung verzögern.

5.8.

Der Aktionsplan ist überwiegend auf den Wandel in den großen städtischen Zentren ausgerichtet. Dies liegt u. a. daran, dass die Ladetechnologie noch beschränkt ist und auf den gewöhnlich längeren Fahrtstrecken im ländlichen Raum mehr Ladestationen benötigt werden. Desgleichen sollte dem Aufbau der im ländlichen Raum benötigten Infrastruktur nach Meinung des EWSA erheblich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.

5.9.

Ein Erfolg des Aktionsplans setzt voraus, dass jeder Mitgliedstaat sich nachdrücklich um eine zeitnahe und wirksame Umsetzung seines nationalen Strategierahmens bemüht.

5.10.

Zur Unterstützung hat die Europäische Kommission das Forum für nachhaltigen Verkehr eingerichtet, in dem Vertreter der Mitgliedstaaten, des Verkehrssektors und der Zivilgesellschaft zusammenkommen, um die wirksame Umsetzung von Maßnahmen für den Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe sicherzustellen.

6.   Bemerkungen des EWSA

6.1.

Der EWSA ist besorgt darüber, dass in den nationalen Strategierahmen keinerlei Ehrgeiz an den Tag gelegt wird, wirklich nennenswerte Fortschritte beim Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe zu erzielen. Angesichts der Befürchtung, dass sämtliche Ziele voraussichtlich verfehlt werden, ist es dringend angezeigt, diese Strategie zu überarbeiten und Empfehlungen für ein Modell mit größeren Erfolgsaussichten zu unterbreiten. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die einzelnen Mitgliedstaaten und Märkte eine unterschiedliche Einstellung zu verschiedenen Kraftstoffen haben. So gelten in den nordischen Ländern beispielsweise LNG und CNG nicht als realistische Option für neue Infrastrukturen, während Biokraftstoffe dort sehr erfolgreich gefördert werden. In anderen Regionen der EU hingegen werden vollkommen andere Kraftstoffe bevorzugt.

6.2.

Ferner muss der Technologie-Reifegrad berücksichtigt werden. Wasserstoffantriebe beispielsweise befinden sich auf den meisten Märkten noch in einer frühen Testphase. Das Gleiche gilt für batteriebetriebene Elektro-Lkw im Schwerlast-Fernverkehr, u. a. in den TEN-V-Korridoren. Die Batterieaufladung für diese Fahrzeuge dürfte mittelfristig vergleichsweise unwirtschaftlich sein. In einigen Mitgliedstaaten wird allerdings derzeit der Elektroantrieb von Lkw mittels Oberleitungen oder im Boden verlegter Leitungen (eHighway usw.) getestet. Diese Infrastruktur wird im Aktionsplan überhaupt nicht angesprochen, obwohl sie technologisch ausgereifter ist als Wasserstoffantrieb.

6.3.

Der Investitionsbedarf für die Bereitstellung einer öffentlich zugänglichen Alternativkraftstoffinfrastruktur bis 2020 wird auf 5,2-6 Mrd. EUR veranschlagt. Bis 2025 soll der Investitionsbedarf auf mindestens 22 Mrd. EUR steigen. Trotz dieser Schätzungen deutet kaum etwas darauf hin, dass diese Summen ausreichen, um die Verwirklichung der Zielsetzungen sicherzustellen.

6.4.

Möglicherweise sind diese Hochrechnungen zu konservativ und müssen unter Berücksichtigung technologischer Veränderungen überarbeitet werden. Der EWSA begrüßt daher die Absicht der Europäischen Kommission, enger mit der Automobilindustrie zusammenzuarbeiten, um verschiedene Finanzierungsinstrumente zu entwickeln, die private Investitionen fördern.

6.5.

Der EWSA weist indes darauf hin, dass derlei Instrumente sicherstellen müssen, dass der Ausbau der Infrastruktur hinsichtlich Zugang und Erschwinglichkeit vor allem für die Öffentlichkeit von Vorteil sein muss. Besondere Sorge bereitet die Zugänglichkeit in ländlichen und abgelegenen Gebieten.

6.6.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Besteuerung von Kraftstoffen derzeit in allen EU-Mitgliedstaaten beträchtliche staatliche Einnahmen generiert. Ein Rückgang der Einnahmen infolge der Umsetzung von Umweltzielen würde die Mitgliedstaaten vor steuerpolitische Herausforderungen stellen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass der von der Europäischen Kommission im Rahmen des Mobilitätspakets vorgelegte Vorschlag für ein Mautsystem (siehe TEN/640, Eurovignette) einige neue Möglichkeiten der Internalisierung externer Kosten durch Infrastrukturgebühren beinhaltet.

6.7.

Der EWSA stellt fest, dass eine Regulierung der Schifffahrt als schwierig erachtet wird, da die einschlägigen Vorschriften und Gesetze ihren internationalen Rahmen berücksichtigen müssen. Der Schifffahrtssektor muss sich proaktiv um eine Zusammenarbeit mit Infrastrukturen für alternative Kraftstoffe bemühen, wobei es auf lokaler Ebene ganz klar Möglichkeiten für die Bereitstellung alternativer Kraftstoffe (wie Methanol und Flüssiggas) gibt, insbesondere für den Kurzstreckenseeverkehr und den Fährverkehr. Auch auf die elektrische Infrastruktur von Kaianlagen usw. könnte eingegangen werden.

6.8.

Zwar besteht nur ein mittelbarer Zusammenhang mit dem Aktionsplan, doch ist davon auszugehen, dass der Luftverkehr bis 2050 exponentiell zunimmt. Eine Einhaltung der Dekarbonisierungsziele wird eine umfangreiche Umstellung auf alternative Kraftstoffe mit großem Treibhausgassparpotenzial erfordern. Hierbei sollte der Einsatz von Biokraftstoffen in Erwägung gezogen werden. Die erforderlichen Investitionen sollten auf der Grundlage eines konstruktiven Dialogs zwischen allen einschlägigen Interessenträgern und der Europäischen Kommission getätigt werden.

6.9.

Öffentliche und private Investitionen in die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe müssen erleichtert werden. Der EWSA begrüßt daher den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Koordinierung der EU-Finanzierungsinstrumente zu stärken und Synergieeffekte anzustreben, sodass Maßnahmen auf nationaler und lokaler Ebene die Wirksamkeit der EU-Mittel erhöhen können.

6.10.

Die Sensibilisierung der Verbraucher ist eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Infrastrukturausbau. Dazu zählen Informationen über Preisvergleiche, Vorteile für Gesundheit und Umwelt sowie spezifische Unterstützungsmaßnahmen für Familien mit geringem Einkommen.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/75


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Verwirklichung emissionsarmer Mobilität — Eine Europäische Union, die den Planeten schützt, ihre Bürger stärkt und ihre Industrie und Arbeitnehmer verteidigt“

(COM(2017) 675 final)

(2018/C 262/13)

Berichterstatter:

Ulrich SAMM

Befassung

Europäische Kommission, 18.1.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

201/0/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Im Mittelpunkt dieser Mitteilung zum Straßenverkehr steht eine Industrie, die in den Bereichen Fertigung und Dienstleistungen weltweit führend ist. Aus dieser starken Stellung heraus muss die Umstellung der EU-Wirtschaft auf saubere Energie vorangetrieben und gefestigt werden, um ihr bei neuen Technologien eine weltweit führende Marktposition zu sichern.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet den allgemeinen technologieneutralen, für neue Entwicklungen offenen Ansatz. Er weist jedoch darauf hin, dass dieser Ansatz im Rahmen der verschiedenen Initiativen nicht konsequent verfolgt wird. Es ist keineswegs sicher, dass unser künftiges Mobilitätssystem rein elektrisch sein wird, und andere Antriebstechnologien unter Einsatz von bspw. Wasserstoff oder Flüssigkraftstoffen nichtfossilen Ursprungs wie HVO100 eröffnen ebenfalls umfangreiche Möglichkeiten für saubere Mobilität. Der EWSA bedauert, dass dem nicht ausreichend Rechnung getragen wird.

1.3.

Der EWSA begrüßt die Initiativen, mit denen versucht wird, über die Einführung realistischer Emissionsnormen und neuer Prüfverfahren das Verbrauchervertrauen in die Automobilbranche und das Regulierungssystem wiederherzustellen. Diesbezüglich muss die Branche selbst Sorge tragen und Verantwortung übernehmen.

1.4.

Der EWSA stellt fest, dass derzeit jedes Jahr ca. 14 Millionen Neuwagen zugelassen werden, die jedoch nur ca. 5 % des gesamten Fahrzeugbestands in der EU von 253 Millionen Fahrzeugen ersetzen. Bei dieser Ersatzrate werden die Emissionen zwar sinken, aber nicht weit genug, und der EWSA würde jede Initiative befürworten, die eine Steigerung der Ersatzrate der Bestandsflotte in Europa und damit raschere Emissionssenkungen bewirken könnte. Die Kommission sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass der Praxis Einhalt geboten werden muss, auf bestimmten europäischen Märkten ersetzte Fahrzeuge auf anderen Märkten weiterzuverkaufen, auf denen sie weiter zum Einsatz kommen (siehe Ziffer 4.7).

1.5.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass der Aufbau eines wesentlichen Anteils emissionsarmer Fahrzeuge eine Übergangszeit erfordert, deren Dauer von Entwicklungen in der Automobilindustrie, von der Kundenakzeptanz der neuen Technologie, den damit verbundenen Kosten sowie von weiteren Faktoren wie der Ladeinfrastruktur abhängt. Der EWSA weist darauf hin, dass die Übergangszeit kein Grund ist, eine Überschreitung der Emissionsgrenzwerte bei Diesel-Pkw zuzulassen, und dass die Möglichkeiten einer Nachrüstung von Diesel-Pkw und die damit verbundene Frage der Kostenübernahme schleunig geklärt werden müssen.

1.6.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, besser und deutlicher zwischen den Zielsetzungen Klimaschutz und Verbesserung der lokalen Luftqualität zu unterscheiden. Dies ist wichtig, damit öffentliche und private Investitionen hinreichend von den Bürgern akzeptiert werden. Bestimmte Kraftstoffarten können zur Verbesserung der Luftqualität in Städten beitragen, sind aber nicht klimafreundlich, z. B. wenn der Strom oder Wasserstoff für Elektrofahrzeuge aus Kohlekraftwerken stammt. Umgekehrt sind emissionsarme Fahrzeuge, die mit Erdgas aus Biomethan betrieben werden, zwar klimafreundlich, können aber trotzdem zur lokalen Luftverschmutzung beitragen (Erdgas steht hier für Methan aus verschiedenen Quellen — aus unterirdischen Lagerstätten, aus der Umwandlung organischer Substanzen, aus synthetischer Herstellung über chemische Verfahren oder aus einer Kombination mehrerer Quellen).

1.7.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission nachdrücklich auf, den Verbrauchern zielstrebiger den Zugang zu erschwinglichen neuen, saubereren Formen der Mobilität zu erleichtern, und sicherzustellen, dass die Vorteile dieser neuen Mobilitätsdienstleistungen allen zur Verfügung stehen und gleichmäßig über die gesamte Union verteilt sind. Einige der vorgeschlagenen Finanzierungsinstrumente mögen zweckdienlich sein, doch reichen sie nach Ansicht des EWSA nicht aus.

1.8.

Der EWSA begrüßt die Impulsgeberrolle der Europäischen Kommission bei der Bildung einer europäischen Industrie-Allianz mit dem Ziel, eine vollständige Wertschöpfungskette für die Entwicklung und Fertigung fortgeschrittener Batterien in der EU anzusiedeln. Ein größerer Anteil der EU an der Fertigung im Rahmen der Wertschöpfungskette ist maßgebend für Arbeitsplätze; und eine umweltverträgliche Batteriefertigung kann am besten durch die Umweltschutznormen und -vorschriften der EU gewährleistet werden, z. B. in einer Kreislaufwirtschaft.

2.   Einleitung

2.1.

Die EU strebt die Entwicklung eines emissionsarmen Energiesystems an. Dies entspricht auch dem Paket „Saubere Energie“, das zum Ziel hat, die Umstellung der EU-Wirtschaft auf saubere Energie gemäß den auf der COP 21 eingegangenen Verpflichtungen der EU zu beschleunigen und zu festigen, während gleichzeitig an den wichtigen Zielen des Wirtschafts- und Beschäftigungswachstums festgehalten wird.

2.2.

Die EU hat schon viel erreicht. Die Treibhausgasemissionen in der EU konnten zwischen 1990 und 2016 um 23 % verringert werden, während die Wirtschaftsleistung im selben Zeitraum um 53 % zunahm. Dieser Erfolg betrifft viele Wirtschaftsbereiche, ausgenommen den Verkehr — eine Branche, die mit rund 24 % zu den Treibhausgasemissionen der EU beiträgt (2015) und in der die Emissionen im Zuge der kontinuierlichen wirtschaftlichen Erholung in Europa sogar noch zugenommen haben. Auf diese Problematik ist die europäische Strategie für emissionsarme Mobilität (1) ausgerichtet.

2.3.

Der EWSA stellt fest, dass die EU bereits erhebliche Fortschritte auf dem Weg zu einer emissionsarmen Mobilität verzeichnen kann: 2009 wurden die CO2-Emissionen von Neuwagen und leichten Nutzfahrzeugen auf 130 g CO2/km bis 2015 und auf 95 g CO2/km bis 2020 festgelegt, eine maßgebende Voraussetzung für die Verwirklichung der EU-Klimaziele. Seit Einführung der Euro-Norm 1992 sind die Emissionsgrenzwerte bei Pkw für Stickoxide stufenweise — von der Emissionsstufe Euro 1 bis Euro 6 — um 97 % und für Partikelemissionen um 98 % gesenkt worden, was sich in der städtischen Luftqualität deutlich bemerkbar macht.

2.4.

Mit Blick auf die auf der COP 21 eingegangenen Verpflichtungen und das äußerst dringliche Anliegen sauberer Luft in den Städten reichen diese Maßnahmen für den Straßenverkehr jedoch nicht aus. Zwar gehen die durchschnittlichen Emissionen je Fahrzeug und Kilometer zurück, nicht aber die Straßenverkehrsgesamtemissionen, da das Gesamtverkehrsaufkommen weiter steigt und die Erneuerung des Fahrzeugbestands in der EU nur langsam vonstattengeht.

2.5.

Die Europäische Kommission hat darauf mit der Strategie „Europa in Bewegung“ reagiert, die drei Pakete Maßnahmenbündel umfasst. Das 2017 vorgelegte erste Paket steht für das ehrgeizige Ziel Europas, bis 2025 ein alle Verkehrsträger umfassendes, unionsweites, sauberes, wettbewerbsfähiges und vernetztes Mobilitätssystem zu errichten. Der EWSA (2)(3) hat dies als Voraussetzung für einen funktionsfähigen einheitlichen europäischen Verkehrsraum mit einem geeigneten Rechtsrahmen begrüßt.

2.6.

Die Mitteilung (4) zu dem zweiten Paket der Strategie „Europa in Bewegung“, die Gegenstand dieser Stellungnahme ist, ist schwerpunktmäßig auf die Senkung der Straßenverkehrsemissionen ausgerichtet, so die Richtlinie über die Förderung sauberer Straßenfahrzeuge (5), neue CO2-Normen für Fahrzeuge (6), ein Aktionsplan für die europaweite Einführung einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (7), die Überarbeitung der Richtlinie über den kombinierten Verkehr (8), die Verordnung über den Personenverkehr mit Kraftomnibussen (9) und eine Batterieinitiative. Die Einzelvorschläge zu diesen Themen werden in spezifischen EWSA-Stellungnahmen ausführlich behandelt. Das eher Sicherheitsaspekten gewidmete dritte Paket wird in der ersten Jahreshälfte 2018 vorgelegt.

3.   Wesentlicher Inhalt der Mitteilung

3.1.

Das zweite Paket umfasst diverse rechtliche Initiativen zur Einführung klarer, realistischer und durchsetzbarer Regeln, um für die in Europa tätigen Industrieunternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Durch den Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe und die Bereitstellung von über Grenzen hinweg interoperablen Diensten sollen die Verbraucher dazu bewegt werden, auf saubere Fahrzeuge und andere saubere Mobilitätslösungen umzusteigen.

3.2.

Es wird eine neue Verordnung über die Verringerung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen nach 2020 vorgeschlagen. Die Hersteller von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen sind demnach gehalten, die CO2-Emissionen ihrer neu zugelassenen Fahrzeugflotten in der EU um 15 % bis 2025 und 30 % bis 2030 zu reduzieren. Diese relativen Emissionssenkungsziele werden durch absolute CO2-Emissionswerte ersetzt, sobald einschlägige, im WLTP-Zyklus (Worldwide Harmonised Light Vehicle Test Procedure) ermittelte Daten vorliegen (was nicht vor 2020 zu erwarten steht).

3.3.

Die Einführung des WLTP als zuverlässigeres und realitätsnäheres Prüfverfahren für die Typgenehmigung von Fahrzeugen wird einen entscheidenden Beitrag zur Wiederherstellung von Verbrauchervertrauen und Glaubwürdigkeit leisten. Statt auf Rollenprüfständen wird das Abgas-Emissionsverhalten zudem künftig im praktischen Fahrbetrieb (Real Driving Emissions, RDE) geprüft.

3.4.

Es wird ein Aktionsplan zur Steigerung der Investitionen in die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe und die Schaffung eines Netzes von schnellen und interoperablen Ladestationen und Tankstellen in der gesamten Union vorgeschlagen. Zur Finanzierung werden verschiedene Instrumente, wie die Fazilität für umweltfreundlichen Verkehr, die Fazilität „Connecting Europe“, der Europäische Fonds für strategische Investitionen und der Europäische Fonds für regionale Entwicklung, herangezogen.

3.5.

Die Richtlinie über den kombinierten Verkehr wird überarbeitet, um den kombinierten Einsatz verschiedener Güterverkehrsträger (z. B. Lastkraftwagen und Züge) zu fördern.

3.6.

Die Richtlinie über den Personenkraftverkehr soll die Entwicklung von nationalen Busverbindungen und Fernbusverbindungen in ganz Europa fördern, die Wahlmöglichkeiten aller Verkehrsnutzer ausweiten und Alternativen für die Nutzung privater Pkw bieten.

3.7.

Die Richtlinie zur Förderung sauberer Fahrzeuge soll saubere Mobilitätslösungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge fördern und der Automobilindustrie Nachfrageimpulse liefern.

3.8.

Eine Batterieinitiative wird dazu beitragen, in Europa eine unabhängigere Industrie-Allianz zu fördern und den Anteil an der elektromobilen Wertschöpfungskette auszubauen. Die Europäische Kommission wird ferner im Rahmen des Programms Horizont 2020 (Arbeitsprogramm 2018-2020) zusätzlich zu den bereits zugewiesenen 150 Mio. EUR weitere 200 Mio. EUR direkt für die Batterieforschung und -innovation zuweisen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Im Mittelpunkt dieser Mitteilung zum Straßenverkehr steht eine Industrie, die in den Bereichen Fertigung und Dienstleistungen weltweit führend ist. Auf den produzierenden Bereich dieser Branche entfallen 11 % aller Beschäftigten in der Fertigungsindustrie in der EU; sie erwirtschaftet 7 % des EU-BIP. Aus dieser starken Stellung heraus muss die Umstellung der EU-Wirtschaft auf saubere Energie vorangetrieben und gefestigt werden, um ihr bei neuen Technologien eine weltweit führende Marktposition zu sichern.

4.2.

Der EWSA befürwortet den allgemeinen technologieneutralen Ansatz, der für neue Entwicklungen offen ist, die angesichts der umfassenden, von der EU geförderten FuE-Anstrengungen zu erwarten stehen. Er weist jedoch darauf hin, dass dieser Ansatz im Rahmen der verschiedenen Initiativen nicht konsequent verfolgt wird. Je nach Technologiefortschritt ist es keineswegs sicher, dass unser künftiges Mobilitätssystem rein elektrisch sein wird. Andere Antriebstechnologien eröffnen ebenfalls umfangreiche Möglichkeiten für saubere Mobilität. In Anbetracht der raschen Weiterentwicklung der modernen Verkehrstechnik in den kommenden Jahren empfiehlt der EWSA deshalb, eher einen flexibleren Ansatz als bspw. feste Emissionsgrenzwerte oder Beschaffungsvorgaben zugrunde zu legen. Zumindest aber sollte eine Halbzeitüberprüfung der Emissionsgrenzwerte und Mindestziele durchgeführt werden, um im weiteren Verlauf Anpassungen zu ermöglichen.

4.3.

Der EWSA begrüßt die Initiativen zur Wiederherstellung des Vertrauens der Verbraucher in die Automobilindustrie und das Regulierungssystem. Es ist wichtig, durch realistische Emissionsnormen und neue Prüfverfahren die Glaubwürdigkeit neu zu begründen. Der EWSA gibt zu bedenken, dass realistischere Emissionswerte nicht nur mit der Fahrzeugtechnologie zu tun haben, sondern weitgehend auch vom Fahrverhalten und von den Witterungs- und Straßenbedingungen abhängen. Die Verbraucher werden sich daher mit einer ganzen Bandbreite von Daten für ein und denselben Fahrzeugtyp konfrontiert sehen.

4.4.

Jedes Jahr werden ca. 14 Millionen Neuwagen zugelassen, die jedoch nur ca. 5 % des gesamten Fahrzeugbestands in der EU von 253 Millionen Fahrzeugen ersetzen. Auch wenn von nur dieser Ersatzrate und den geltenden Emissionsnormen ausgegangen wird, werden die CO2-Emissionen bis 2030 um mehr als 30 % im Vergleich zu 2005 sinken (VDA-Bericht). Der EWSA würde jede Initiative befürworten, die zur Steigerung der Ersatzrate und damit zur weiteren Senkung der Emissionen beitragen würde. Insbesondere in Ländern mit einer weniger traditionsreichen Automobilbranche fördert die Suche nach neuen Produktionslösungen die Innovationsfähigkeit, woraus sich neue Impulse für die Wettbewerbsfähigkeit bei der Entwicklung der emissionsarmen Mobilität ergeben können.

4.5.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Europäische Kommission ihr Augenmerk nicht nur auf neue Technologien wie Elektrofahrzeuge, sondern auch auf das umfassende Potenzial für Verbesserungen der Bestandsflotte richten sollte. Beispielsweise ist eine Verringerung der CO2-Emissionen des gesamten Fahrzeugbestands um 1 g infolge der Beimischung von Kraftstoffen nichtfossilen Ursprungs ebenso wirksam wie eine Verbesserung des Emissionswerts der Neuwagenflotte um 20 g (VDA-Bericht).

4.6.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass der Aufbau eines wesentlichen Anteils emissionsarmer Fahrzeuge eine Übergangszeit von nicht absehbarer Dauer erfordert, und zwar in Abhängigkeit von Entwicklungen in der Automobilindustrie, von der Kundenakzeptanz der neuen Technologie und der damit verbundenen Kosten sowie von weiteren Faktoren wie der Ladeinfrastruktur, Kraftstoffpreisen und der öffentlichen Beschaffung.

Diese Übergangszeit darf aber nicht als Freibrief angesehen werden, um weiterhin die Grenzwerte bei Diesel-PKW zu überschreiten und nicht auf die Euro-6-Norm mittels SCR-System nachzurüsten. Die Europäische Kommission müsste dafür Sorge tragen, dass eine Euro-6-Nachrüstung durch die nationalen Gesetzgeber in den Mitgliedstaaten möglichst schnell anerkannt wird und die Frage der Verantwortung und Kostenübernahme geklärt wird.

4.7.

Der EWSA fordert die Automobilindustrie auf, in der Übergangszeit dafür Sorge zu tragen, dass der innere Zusammenhalt der EU durch die richtigen Entscheidungen in Bezug auf Industriestandorte verbessert wird und die Perspektiven für saubere Fahrzeuge in allen Mitgliedstaaten gleich sind. Es wäre inakzeptabel, wenn bspw. ältere Diesel-Pkw in einigen Mitgliedstaaten verboten und dann in wirtschaftlich schwächere Mitgliedstaaten weiterverkauft würden. Auch die Entwicklungen außerhalb der EU spielen eine wichtige Rolle, da die europäische Automobilindustrie in großem Maße den Weltmarkt bedient. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die EU-Politik den internationalen Abkommen Rechnung trägt, die für eine faire Behandlung der europäischen Automobilindustrie gegenüber ihren Konkurrenten in den USA oder Asien sorgen.

4.8.

Voraussetzung für einen künftigen technologischen Durchbruch bei bspw. der Leistung von Batterien sind Forschung und Entwicklung. Eine entsprechende bahnbrechende Entwicklung könnte nicht nur bei batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen, sondern auch bei Kraftstoffen für Verbrennungsmotoren oder Brennstoffzellen stattfinden. Während klimafreundliche Kraftstoffe nichtfossilen Ursprungs wie HVO100 in einigen Ländern (wie Schweden) bereits weit verbreitet sind, könnten auch neue Kraftstoffarten verfügbar werden, bspw. synthetische Kraftstoffe oder Wasserstoff, die mit dem aufgrund des anhaltenden Ausbaus der fluktuierenden erneuerbaren Energieträger in zunehmendem Maße vorhandenen Stromüberschuss zu vertretbaren Kosten erzeugt werden könnten.

4.9.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, besser und deutlicher zwischen den mit der Einführung sauberer Fahrzeuge verfolgten Zielsetzungen zu unterscheiden. Zwei Ziele werden angestrebt: Klimaschutz und Verbesserung der lokalen Luftqualität. Es muss bedacht werden, dass bestimmte Kraftstoffarten zur Verbesserung der Luftqualität in Städten beitragen können, aber nicht klimafreundlich sind, z. B. wenn der Strom oder Wasserstoff für Elektrofahrzeuge aus Kohlekraftwerken stammt. Umgekehrt sind emissionsarme Fahrzeuge, die mit Erdgas aus Biomethan betrieben werden, zwar klimafreundlich, können aber trotzdem zur lokalen Luftverschmutzung beitragen. Die Verringerung der lokalen Luftverschmutzung in den Städten ist ein sehr dringliches Anliegen und erfordert ein Handeln auf Ebene der Regionen und Städte, während der Klimaschutz eine globale Herausforderung ist und Veränderungen nur über Jahrzehnte hinweg erreicht (und beobachtet) werden können. Eine klare Abgrenzung der unterschiedlichen Ziele ist wichtig, damit öffentliche und private Investitionen hinreichend von den Bürgern akzeptiert werden.

4.10.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission nachdrücklich auf, den Verbrauchern zielstrebiger den Zugang zu erschwinglichen neuen, saubereren Formen der Mobilität zu erleichtern, und sicherzustellen, dass die Vorteile dieser neuen Mobilitätsdienstleistungen allen zur Verfügung stehen und gleichmäßig über die gesamte Union verteilt sind. Potenzielle Probleme, insbesondere die Mehrkosten für die Verbraucher, geben Anlass zu Sorge. Einige der vorgeschlagenen Finanzierungsinstrumente mögen zweckdienlich sein, doch reichen sie nach Ansicht des EWSA nicht aus. In diesem Zusammenhang begrüßt er die Kommissionsinitiative, die Entscheidungskompetenz der Verbraucher beim Kauf oder bei der Nutzung eines Fahrzeugs durch mehr Transparenz sowie durch Bereitstellung einer Kostenvergleichsmethode zu verbessern.

4.11.

Der EWSA begrüßt die Impulsgeberrolle der Europäischen Kommission bei der Bildung einer europäischen Industrie-Allianz mit dem Ziel, eine vollständige Wertschöpfungskette für die Entwicklung und Fertigung fortgeschrittener Batterien in der EU anzusiedeln. Es gibt mehrere Gründe für diese Zielsetzung: Mehr Unabhängigkeit von Batterieherstellern aus Drittländern ist strategisch wichtig; ein größerer Anteil der EU an der Fertigung im Rahmen der Wertschöpfungskette ist maßgebend für Arbeitsplätze; und eine umweltverträgliche Batteriefertigung kann am besten durch die Umweltschutznormen und -vorschriften der EU gewährleistet werden, z. B. in einer Kreislaufwirtschaft. Die Industrie muss hierzu umfangreiche Investitionen tätigen, während die Europäische Kommission geeignete Randbedingungen wie technische Standards festlegt.

4.12.

Der EWSA befürwortet die Definition sauberer Fahrzeuge auf der Grundlage der Auspuffemissionen, da sie unkompliziert ist. Er weist indes darauf hin, dass dieser Ansatz nicht den über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs verursachten CO2-Fußabdruck erfasst. Um jedwede ungerechtfertigte Benachteiligung bestimmter Fahrzeugtypen zu vermeiden, muss über weitere Rechtsvorschriften dafür gesorgt werden, dass neben den Auspuffemissionen auch Aspekte der Fertigung oder der Bereitstellung sauberer Energie berücksichtigt werden.

4.13.

Abschließend stellt der EWSA fest, dass die Modernisierung des öffentlichen Verkehrs vor allem durch die fehlende finanzielle Förderung behindert wird. Er appelliert nachdrücklich an die Europäische Kommission, die Überarbeitung der Richtlinie zur Förderung sauberer Fahrzeuge bei der Vergabe öffentlicher Aufträge unter dem Gesichtspunkt der Finanzierung erneut zu prüfen. Der EWSA gibt zu bedenken, dass nicht nur mehr saubere Fahrzeuge im öffentlichen Fuhrpark benötigt werden, sondern dass der öffentliche Verkehr auch sehr viel attraktiver gemacht werden muss (nicht nur über günstige Tarife, sondern auch durch Anschlussmöglichkeiten und Komfort), um die Bürger von seiner Nutzung zu überzeugen.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2016) 501 final.

(2)  ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 64.

(3)  ABl. C 81 vom 2.3 2018, S. 195.

(4)  COM(2017) 675 final.

(5)  TEN/652 — Saubere und energieeffiziente Fahrzeuge, Berichterstatter Samm (siehe Seite 58 dieses Amtsblatts).

(6)  INT/835 — Änderung der Verordnungen über CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen, Berichterstatter Bergrath (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(7)  TEN/654 — Aktionsplan zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (Mitteilung), Berichterstatter Boland (siehe Seite 69 dieses Amtsblatts).

(8)  TEN/651 — Beförderungen im kombinierten Güterverkehr, Berichterstatter Back (siehe Seite 52 dieses Amtsblatts).

(9)  TEN/650 — Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt, Berichterstatter Hencks (siehe Seite 47 dieses Amtsblatts).


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/80


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Mitteilung über die Stärkung der europäischen Energienetze“

(COM(2017) 718 final)

(2018/C 262/14)

Berichterstatter:

Andrés BARCELÓ DELGADO

Befassung

Europäische Kommission, 12.2.2018

 

 

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

157/1/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

DER EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS (EWSA)

1.1.

teilt die Ansicht, dass ein angemessenes europäisches Energieverbundnetz unerlässlich für das Erreichen des Ziels der Energieunion ist: die Sicherstellung einer erschwinglichen, nachhaltigen und sicheren Energieversorgung, die eine wettbewerbsfähige Energiewende hin zu einer Niedrigemissionswirtschaft ermöglicht;

1.2.

bekräftigt, dass alle Ziele der EU in Sachen Klimaschutz und Energieversorgungssicherheit untrennbar miteinander verbunden sind, weshalb keines von ihnen als zweitrangig gegenüber den anderen betrachtet werden darf, obwohl einige davon für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich sind;

1.3.

ist der Auffassung, dass Investitionen in die Netzinfrastruktur genauso entschieden getätigt werden müssen wie alle anderen Investitionen in Energie und insbesondere auf den Ausbau der erneuerbaren Energien auszurichten sind. In diesem Zusammenhang fordert er die Europäische Kommission und die Mitgliedstaten auf, über eine angemessene Entwicklung der grenzüberschreitenden wie auch der nationalen Energienetze einen Verbund im Hinblick auf die Verwirklichung der Unionsziele zu ermöglichen;

1.4.

fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, zweijährliche Fortschrittsberichte über die Umsetzung der Ziele für die erneuerbaren Energieträger sowie die nationalen und grenzüberschreitenden Netze vorzulegen, um einen koordinierten Ausbau der Erneuerbaren und der Netze sicherzustellen, wobei insbesondere mögliche Netzengpässe ermittelt werden müssen, die die Übertragung erneuerbaren Stroms behindern;

1.5.

stellt fest, dass das für 2020 festgelegte Verbundziel von 10 % in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht erreicht werden kann und die Schwierigkeiten bei der Durchführung dieser Projekte (komplexe Verwaltungsverfahren, politische Implikationen, Finanzierung, fehlende gesellschaftliche Akzeptanz) das Erreichen der Ziele für 2030 gefährden und so die Umsetzung der gesamten EU-Klimapolitik erschweren;

1.6.

regt an, dass eine aktive Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft in die Planung der Verbundprojekte die gesellschaftliche Akzeptanz einiger Projekte fördern könnte;

1.7.

plädiert für Fortschritte beim Erlass der Verordnung über das Governance-System der Energieunion, damit die Einführung der erforderlichen Maßnahmen zur Förderung des Ausbaus von Verbindungsleitungen in Gebieten ermöglicht wird, die derzeit weit hinter dem 10 %-Ziel zurückbleiben;

1.8.

empfiehlt, den Indikator für den Verbundgrad der einzelnen Mitgliedstaaten durch eine Bewertung des Verbundanteils geografischer Gebiete (wie der Iberischen Halbinsel) zu ergänzen und Indikatoren zur Überwachung der Preisunterschiede auf den Großhandelsmärkten einzuführen, um der Durchführung der „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ (Projects of Common Interest, PCI) in den Gebieten mit den größten Unterschieden Vorrang einzuräumen;

1.9.

erkennt an, dass die finanzielle Unterstützung durch die Fazilität „Connecting Europe“ (CEF), die bis 2020 mit 5,35 Mrd. EUR für Energieinfrastruktur dotiert ist, zusammen mit anderen Förderlinien und der Arbeit der regionalen Gruppen die Entwicklung einer steigenden Zahl von Projekten ermöglicht hat, durch die die EU der Vollendung eines Energiebinnenmarkts näher kommt;

1.10.

drängt darauf, dass die verfügbaren Haushaltsmittel für die Förderung von Verbundvorhaben überprüft werden, da die derzeitigen Zuweisungen für das Erreichen der formulierten Ziele womöglich nicht ausreichen;

1.11.

verlangt von den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission die Verstärkung ihrer gemeinsamen Solidaritäts- und Sicherheitsmechanismen, damit die Energiewende und die Versorgungssicherheitsziele bei einem angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnis unter Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und der europäischen Bürger erreicht werden können;

1.12.

empfiehlt der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten, Verwaltungsinstrumente (Software) für einen effizienteren Betrieb der Verbindungsleitungen zu entwickeln.

2.   Die Politik der transeuropäischen Energienetze (TEN-E)

2.1.

Um ihre Ziele im Zusammenhang mit dem Klimawandel, der Wettbewerbsfähigkeit und der Energieversorgungssicherheit zu erreichen, hat sich die Europäische Union Ziele zum Ausbau der Energieübertragungsnetze gesteckt, die eine Energiewende hin zu einer Niedrigemissionswirtschaft ermöglichen.

Konkret wurde für 2020 für die Mitgliedstaaten ein 10 %-Ziel für den Verbund mit ihren Nachbarländern festgelegt. Damit die Ausweitung der Ziele für die erneuerbare Energieerzeugung mit einem angemessenen Ausbau der Verbindungsleitungen einhergeht, beschloss der Europäische Rat ferner, das Stromverbundziel für 2030 auf 15 % anzuheben.

2.2.

Um sicherzustellen, dass das Verbundziel von 10 % erreicht wird, schuf die EU 2013 mit der Annahme der Verordnung über die transeuropäische Energienetzinfrastruktur (TEN-E-Verordnung) und der Einführung der Fazilität „Connecting Europe“ (CEF) die Grundlage für die Ermittlung, Unterstützung und vorrangige Durchführung derjenigen PCI, die für den Aufbau eines widerstandsfähigen transeuropäischen Energienetzes erforderlich sind.

2.3.

Die Investitionen in europäische Energienetze werden bis 2030 mit 180 Mrd. EUR veranschlagt, und es wird erwartet, dass sie nach der Fertigstellung dank der eingesparten Energieerzeugungskosten und wettbewerbsfähigeren Gasgroßhandelspreise, durch die die Kosten der Energiewende sinken, zu jährlichen Einsparungen zwischen 40 und 70 Mrd. EUR führen.

Die dritte PCI-Liste, die noch vom Europäischen Parlament genehmigt werden muss, umfasst 173 Vorhaben, die zum Erreichen der Verbundziele 2020 und 2030 beitragen sollen.

Trotz der ambitionierten PCI-Liste und der vorhandenen Fördermaßnahmen führen sowohl technische Schwierigkeiten bei der Durchführung als auch politische und administrative Belange und mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz dazu, dass bis 2020 weniger als 30 % der 173 Vorhaben abgeschlossen sein werden, die nach der 2017 durchgeführten Bewertung in die dritte PCI-Liste aufgenommen wurden.

Zu diesem Rückstand trägt die Tatsache bei, dass die TEN-E-Vorschriften auf nationaler Ebene nicht vollständig umgesetzt worden sind.

2.4.

Um das Erreichen der Ziele voranzutreiben, richtete die Europäische Kommission vier hochrangige Gruppen mit dem Ziel ein, den Ausbau der Infrastruktur in vier bestimmten Regionen zu beschleunigen.

2.4.1.   Verbundplan für den baltischen Energiemarkt (BEMIP)

Die Synchronisierung des Stromnetzes der baltischen Länder mit dem kontinentaleuropäischen Netz und die Beendigung der Isolierung der Gasnetze der drei baltischen Länder und Finnlands wie auch die Beendigung ihrer Abhängigkeit von einer Erdgasquelle haben politische Priorität.

Der EWSA befürwortet uneingeschränkt eine politische Einigung, um die PCI im Gasbereich — die Verbindungsleitung Estland-Finnland wie auch Polen-Litauen — bis 2021 voranzubringen.

2.4.2.   Iberische Halbinsel (Erklärung von Madrid)

Leider erreichen die Verbindungsleitungen zwischen der Iberischen Halbinsel und dem Rest Europas trotz der Genehmigung der Leitung am Golf von Biskaya noch lange nicht die für 2020 aufgestellten Ziele und sind noch sehr weit von den für 2030 formulierten Zielen entfernt.

Der bestehende Verbundgrad zwischen Spanien und Portugal löst nicht das eigentliche Problem fehlender Verbindungsleitungen zwischen der Iberischen Halbinsel und Frankreich, denn die Halbinsel kann nur über Frankreich mit Europa verbunden und in den Binnenmarkt integriert werden, doch der Verbund liegt nur bei etwa 2,8 %.

Dieser niedrige Verbundgrad trägt dazu bei, dass die Strompreise auf der Iberischen Halbinsel zu den höchsten in Europa zählen und die Kosten für die Integration erneuerbarer Energien in das Stromversorgungssystem ebenfalls sehr hoch sind, da hohe Reservestromkapazitäten vorgehalten und Steuerungsverfahren zur Bewältigung großer Schwankungen bei der Zusammensetzung des Stromerzeugungsmixes eingesetzt werden müssen. Die jüngsten Erklärungen von Präsident Macron beinhalten eine unentbehrliche politische Unterstützung für die beiden Verbindungsleitungen durch die Pyrenäen, die sich — noch — im Frühstadium befinden.

2.4.3.   Energieverbindungsleitungen in Mittel- und Südosteuropa

Diese Region ist anfällig für Versorgungsunterbrechungen und zahlt trotz ihrer geografischen Nähe zum Gaslieferanten einen höheren Gaspreis als der Rest der EU.

Hauptziele sind die Einführung der Verbindungsleitung Bulgarien-Serbien, der Beginn der Investition in das Flüssigerdgasterminal (LNG-Terminal) auf der kroatischen Insel Krk (im ersten Halbjahr 2018) und der Baubeginn des rumänischen Teils des Korridors Bulgarien-Österreich.

2.4.4.   Zusammenarbeit der Nordsee-Anrainerstaaten im Energiebereich

Hauptziel ist die Kombination von Erzeugung und Übertragung erneuerbarer Energie sowie die Schaffung eines günstigen rechtlichen und regulatorischen Rahmens für diese Art Vorhaben in einem Gebiet mit einem Windenergiepotenzial, das 2030 zwischen 4 % und 12 % des EU-Verbrauchs decken wird.

3.   Die längerfristige Neuausrichtung der Infrastrukturpolitik

3.1.

Obwohl die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten erhebliche Anstrengungen unternommen haben, PCI aufzulegen, wird doch aufgrund technischer Schwierigkeiten wie auch bürokratischer Zwänge und finanzieller Einschränkungen nur ein kleiner Teil davon bis 2020 vollständig umgesetzt sein. Deshalb muss dringend der Zeitplan für die Durchführung der PCI überprüft und denjenigen Gebieten Vorrang eingeräumt werden, die am weitesten von den Energieverbundzielen entfernt sind.

3.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass in die PCI Cybersicherheitskriterien einbezogen werden müssen, um das Risiko für die europäischen Bürger gering zu halten.

Aufgrund der Digitalisierung wird der Anteil von Systemen in neuen Investitionsprojekten immer größer.

3.3.

Bei den Gasverbindungsleitungen ist denjenigen PCI Vorrang einzuräumen, die wesentlich zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit der Mitgliedstaaten beitragen, sowohl im Hinblick auf Risiken durch das Handeln von Drittländern als auch im Hinblick auf technische Einschränkungen.

3.4.

Die Stromverbundziele haben den Nachteil, dass jeder Mitgliedstaat getrennt betrachtet wird. Die Überprüfung sollte auf der Grundlage geografischer Gebiete, die die relevanten Mitgliedstaatgruppen umfassen, erneut durchgeführt werden, um Engpässe in den Verbundnetzen zu verhindern. Dies ist insbesondere erforderlich, wenn ein Staat nur über einen anderen Staat mit dem Rest Europas verbunden werden kann, wie es bei der Iberischen Halbinsel, Zypern, Malta und Irland der Fall ist.

3.5.

Die Anbindung der Mitgliedstaaten mit großem Defizit an Verbindungsleitungen, unter anderem die Länder der Iberischen Halbinsel, Südosteuropa, Polen und Irland, muss Vorrang haben, und der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten eindringlich auf, unverzüglich die notwendigen Maßnahmen dafür zu ergreifen.

3.6.

Das Stromverbundziel von 10 % wird in Zypern, Spanien, Italien, Polen und im Vereinigten Königreich bis 2020 nicht erreicht werden, und auch bei Irland und Portugal ist dies sehr fraglich.

Den Daten der Europäischen Kommission selbst zufolge scheint das Stromverbundziel von 15 % im Jahr 2030 schwer erreichbar, vor allem bei korrekter Analyse unter Berücksichtigung „geografischer Engpässe“ und nicht nur nach Mitgliedstaaten.

3.7.

Die neuen Schwellenwerte, die im Hinblick auf die Erfüllung der Ziele für 2030 zur Messung des Verbindungs- und Integrationsbedarfs in den Binnenmarkt festgelegt wurden, sind:

ein Schwellenwert in Form eines Preisunterschiedes von 2 EUR/MWh zwischen den Großhandelsmärkten der Mitgliedstaaten, Regionen oder Gebotszonen, um die Harmonisierung der Märkte voranzutreiben;

die Stromversorgung muss durch eine Kombination aus der Kapazität der einzelnen Mitgliedstaaten und Energieimporten gedeckt werden. Wenn die Nennkapazität der Verbindungsleitungen weniger als 30 % der Spitzenlast beträgt, müssen neue Verbindungsleitungen in Erwägung gezogen werden;

der dritte Schwellenwert bezieht sich auf die optimale Nutzung erneuerbarer Energien: Wenn die Übertragungskapazität der Verbindungsleitungen (Export) weniger als 30 % der installierten Kapazität für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien beträgt, müssen neue Verbindungsleitungen in Angriff genommen werden.

Durch diese drei Schwellenwerte werden die Ausbauziele für erneuerbare Energien und die Integration in den Binnenmarkt unmittelbar mit den Verbundzielen verknüpft und die gemeinsame Umsetzung all dieser Ziele konkret vorangebracht.

3.8.

Unter Berücksichtigung der neuen festgelegten Schwellenwerte und der Einschränkung durch die Analyse nach Mitgliedstaaten gibt es sechs Länder, die keinen der drei Schwellenwerte erreichen: Zypern, Spanien, Griechenland, Irland, Italien und das Vereinigte Königreich. Zu ihnen sind noch Portugal und Malta hinzuzurechnen, die zwei der Schwellenwerte erreichen, jedoch ausschließlich über die Verbindung nach Spanien bzw. Italien.

Sowohl die baltischen Länder als auch Deutschland, Bulgarien, Polen und Rumänien erreichen zwei der drei Schwellenwerte, während die übrigen Mitgliedstaaten als vollständig integriert betrachtet werden können, da sie die drei Schwellenwerte erreichen.

3.9.

Sowohl aus der Analyse des Verbundgrads jedes Staats als auch aus der Analyse der drei neuen Schwellenwerte geht deutlich hervor, dass es in verschiedenen Mitgliedstaaten sehr schwierig sein wird, die für 2030 festgelegten Ziele zu erreichen. Eines der Hauptprobleme ist, dass das Verbundziel für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich ist, wodurch zusammen mit den Verzögerungen bei dieser Art von Vorhaben (politische Einigung, Finanzierungsbedarf, wirtschaftlicher Ertrag, gesellschaftliche Ablehnung) sein Erreichen erschwert wird. Alle Ziele der EU in Sachen Klimaschutz und Energieversorgungssicherheit sind untrennbar miteinander verbunden, weshalb keines von ihnen als zweitrangig gegenüber den anderen betrachtet werden darf.

3.10.

Die EU muss den Verfahrensfortgang zum Erlass ihrer Verordnung über das Governance-System weiter voranbringen und dabei einen ambitionierten Ansatz wählen, bei dem das Verbundziel und das Ziel für erneuerbare Energien gleichberechtigt nebeneinander verfolgt werden, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission dringend sämtliche Anstrengungen unternehmen, um das Verbundziel von 10 %, das den Zugang zum Energiebinnenmarkt der Union ermöglicht, schnellstmöglich zu erreichen.

Darüber hinaus müssen bei den Vorhaben, bei denen die derzeit unter 10 % liegende Verbundkapazität erheblich erhöht wird, sämtliche verfügbaren Finanzierungsinstrumente, wie die CEF, die europäischen Struktur- und Investitionsfonds und der Europäische Fonds für strategische Investitionen, zur Anwendung kommen. Diese Vorhaben müssten bei der Regulierung besonders behandelt und durch eine Verstärkung der europäischen Governance-Maßnahmen beschleunigt umgesetzt werden.

3.11.

Die regionalen Gruppen müssen zusammen mit der Europäischen Kommission eine kontinuierliche Bewertung von Fall zu Fall vornehmen, dabei der Durchführung dieser Vorhaben von gemeinsamem Interesse Vorrang einräumen und die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihre Durchführung zu erleichtern — u. a. durch die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren — und eine Einigung unter den Mitgliedstaaten über Sitzungen auf höchster Ebene fördern.

Alle Beteiligten, darunter die Mitgliedstaaten, Übertragungsnetzbetreiber, Projektträger und Regulierungsbehörden, müssen am gleichen Strang ziehen. Initiativen wie das jährlich in Kopenhagen veranstaltete Energieinfrastruktur-Forum, das die aktive Beteiligung all dieser Akteure ermöglicht, sind ein konstruktiver Ansatz auf der Suche nach Lösungen für die Probleme bei der Weiterentwicklung der Verbundprojekte.

4.   Versorgungssicherheit

4.1.

Angesichts einer großen Energieaußenabhängigkeit all ihrer Mitgliedstaaten ist die Förderung der Versorgungssicherheit eines der wichtigsten Ziele der EU. Diesbezüglich wurden in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt, insbesondere bei den Erdgasnetzen und -verbindungsleitungen. Dennoch muss weiterhin der Entwicklung derjenigen PCI Vorrang eingeräumt werden, die notwendig sind, um zu erreichen, dass das Erdgassystem der einzelnen Länder dem in der Verordnung (EU) Nr. 994/2010 festgelegten n-1-Kriterium entspricht und anschließend schnellstmöglich drei alternative Quellen zur Gasversorgung zur Verfügung stehen.

4.2.

Ein besonderes Augenmerk muss auf die Beiträge gelegt werden, die erforderlich sind, um die Mängel zu beseitigen, die noch in einigen Gebieten der Union wie Inseln und Randgebieten bestehen. Es muss an die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 erinnert werden, in denen beschlossen wurde, dass nach 2015 kein Mitgliedstaat mehr von den europäischen Gas- und Stromnetzen abgeschnitten sein und aufgrund des Fehlens geeigneter Verbindungsleitungen nur über eine bedingte Versorgungssicherheit verfügen darf. Diesbezüglich stimmen die Fortschritte aufgrund der CEF-Finanzierung 2017, durch die Vorhaben zur Beendigung der Isolation von Inseln wie Zypern und Malta gefördert wurden, und die derzeit zur Begutachtung anstehenden PCI, wie die EastMed-Pipeline, trotz des Rückstandes mittelfristig optimistisch.

4.3.

Es müssen Mechanismen der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten angewendet werden, die ein gemeinsames Handeln zur Lösung möglicher Versorgungsschwierigkeiten eines bestimmten Staates in Notfällen ermöglichen.

5.   Voraussetzungen für die Energiewende

5.1.

Die Umstellung auf eine Niedrigemissionswirtschaft und die Ziele bis 2030 (27 %-Anteil erneuerbarer Energien) und 2050 (Senkung der CO2-Emissionen um 80 %) fördern die Elektrifizierung des Verkehrs und der Privathaushalte, steigern den Bedarf an erneuerbarer Energie und begünstigen die Entwicklung neuer Technologien wie Power-to-Gas.

5.2.

Zur Verwirklichung der 2050-Ziele müssen jährlich zwischen 40 und 62 Mrd. EUR in die Übertragungs- und Verteilernetze investiert werden (1) — im Vergleich zu derzeit 35 Mrd. EUR.

5.3.

Es besteht eindeutig ein Risiko, dass die Verbundziele 2030-2050 aufgrund der Schwierigkeiten bei der Entwicklung dieser Vorhaben nicht erreicht werden, was die europäischen Klimaschutzziele gefährden würde, da die Investitionsförderungskosten für erneuerbare Energien in die Höhe getrieben würden.

5.4.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss mit einem angemessenen Ausbau der grenzüberschreitenden wie auch nationalen Energienetze einhergehen.

6.   Hin zu einem echten Energiebinnenmarkt

6.1.

Der EWSA hat stets die Energieunion als eine tragende Säule im europäischen Einigungswerk betrachtet, denn die Verbindungsleitungen sind eine grundlegende Voraussetzung für einen echten Energiebinnenmarkt, ohne die Unregelmäßigkeiten und vielerlei Ineffizienzen entstehen.

Bei fehlenden Verbindungsleitungen führt die Politik zur Förderung der erneuerbaren Energien zu einer großen Preisvolatilität, großem Investitionsbedarf in Unterstützungstechnologien und Verschwendung erzeugter erneuerbarer Energie, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt.

6.2.

Die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) schätzt, dass nur 31 % der in den kontinentaleuropäischen Ländern vorhandenen Verbundkapazitäten für die Marktintegration bereitgestellt werden. Um die Vollendung des Binnenmarktes voranzubringen, wird deshalb empfohlen, durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, dass für die Märkte möglichst viele Verbindungsleitungen bereitgestellt und somit größerer Wettbewerb, mehr Effizienz und eine bessere Nutzung der verfügbaren Ressourcen gefördert werden.

6.3.

Zur Senkung der Betriebskosten müssen die Intraday-Marktkopplung und grenzüberschreitende Ausgleichsmärkte weiterentwickelt werden. Dazu müssen die Mitgliedstaaten im Einklang mit den in der Verordnung (EU) 2017/2195 über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem vorgesehenen Maßnahmen über regionale Zusammenarbeit Bilanzzonen an den Verbindungsleitungen entwickeln, die zur Auflösung von Engpässen, zur Optimierung des Austauschs von Regelreserve zwischen den Mitgliedstaaten und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Märkte beitragen (2).

7.   Wirtschaftliche Optimierung

7.1.

Nach Meinung des EWSA sollte sichergestellt werden, dass die verfügbaren europäischen Finanzmittel vorrangig denjenigen Vorhaben zugutekommen, die unter dem Blickpunkt der Versorgungssicherheit am notwendigsten sind, und denjenigen, die einen hohen wirtschaftlichen Ertrag oder einen großen Fortschritt bei der Verwirklichung der EU-Klimaschutzziele in Aussicht stellen.

7.2.

Aus wirtschaftlicher Sicht muss der erste Schwellenwert (Preisunterschied) bei der Zuteilung von Projekten entscheidend sein.

7.3.

Den Speichervorhaben (unter anderem Pumpspeicher), die zur Verringerung des Bedarfs an Kraftwerken beitragen, muss Vorrang vor anderen Vorhaben eingeräumt werden, die bislang noch nicht technologisch ausgereift sind und deren Finanzierung zu Lasten von Forschungs- und Innovationsprogrammen erfolgen muss; dies ist beispielsweise bei einigen Projekten im Zusammenhang mit dem Transport von CO2 der Fall. Dennoch darf die Regulierung nicht der Technologie den Weg weisen.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Studie des Europäischen Parlaments (ITRE-Ausschuss), European Energy Industry Investments 2017, (IP/A/ITRE/2013-46 — PE595.356).

(2)  ABl. L 312 vom 28.11.2017, S. 6.


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/86


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank: Dritter Bericht zur Lage der Energieunion“

(COM(2017) 688 final)

(2018/C 262/15)

Berichterstatter:

Toni VIDAN

Mitberichterstatter:

Christophe QUAREZ

Befassung

Europäische Kommission, 18.1.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

159/5/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Dritten Bericht zur Lage der Energieunion (im Folgenden: „Dritter Bericht“), unterstützt die Ziele des Projekts Energieunion und befürwortet, dass der Akzent auf der Einbindung und Mobilisierung der Gesellschaft der EU liegt, damit sie ihre Rolle im Rahmen der Energieunion umfassend wahrnehmen kann. Er wiederholt seine Vorschläge für einen effektiven Energiedialog mit der organisierten Zivilgesellschaft auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene.

1.2.

Der EWSA hat stets die Meinung vertreten, dass die Energieunion außerordentlich wichtig für den Erfolg der Europäischen Union ist. Er stimmt mit der Europäischen Kommission darin überein, dass die Energieunion mehr beinhaltet als nur Klima- und Energiepolitik. Der EWSA betrachtet die Energiewende als eine Gelegenheit, Europa demokratischer, geeinter, wettbewerbsfähiger und gerechter zu gestalten. Durch die gemeinsamen Anstrengungen zur Schaffung der Energieunion muss die ökologische, politische, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit der Europäischen Union im Einklang mit ihren Grundwerten gestärkt werden.

1.3.

Der EWSA begrüßt das Paket „Saubere Energie“ als einen Schritt in die richtige Richtung, bedauert jedoch, dass im Dritten Bericht nicht der Tatsache Rechnung getragen wird, dass die in diesem Paket enthaltenen Zielvorgaben unzureichend sind. Der EWSA unterstützt die Initiativen des Europäischen Parlaments zur Stärkung des rechtlichen Rahmens und ist besorgt über Bestrebungen des Rates, künftige Bestimmungen abzuschwächen. Der EWSA fordert die EU auf, ihre Maßnahmen zu intensivieren, um Europa und die Welt dem Ziel der Klimaneutralität näher zu bringen, das im von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Übereinkommen von Paris verankert ist.

1.4.

Der EWSA bedauert, dass im Dritten Bericht nicht auf die langfristigen Perspektiven der Energieunion eingegangen wird, und fordert die Europäische Kommission auf, die Perspektiven bis 2050 vollumfänglich in die Energieunion einzubeziehen sowie einen Vorschlag für einen aktualisierten Fahrplan bis 2050 im Einklang mit dem Übereinkommen von Paris vorzulegen. Dies stünde im Einklang mit der Entschließung des Europäischen Parlaments, in der die Kommission aufgefordert wird, bis 2018 eine bis Mitte des Jahrhunderts reichende EU-Emissionsvermeidungsstrategie auszuarbeiten (2017/2620(RSP)).

1.5.

In diesem Zusammenhang betont der EWSA die wesentliche Bedeutung der Governance der Energieunion. Wie schon in der EWSA-Stellungnahme zum Governance-System der Energieunion (1) dargelegt, ist es von entscheidender Bedeutung, dass im Rahmen des Governancesystems die Entscheidungsträger auf allen Ebenen gehalten sind, langfristige Pläne über den Zeithorizont 2030 hinaus auszuarbeiten, die Interessen und Ansichten aller Interessenträger innerhalb der Gesellschaft, insbesondere auch gefährdeter Gruppen, zu berücksichtigen, dem regulatorischen und technischen Wandel Rechnung zu tragen und der Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft abzulegen.

1.6.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Energiewende in Europa bereits begonnen hat: Effiziente Technologien und die Präferenzen der Bürger für saubere Energie führen einerseits zu einem Rückgang des Energieverbrauchs und andererseits zu einer Zunahme der Erzeugung erneuerbarer Energie. In mancherlei Hinsicht scheinen die erzielten Fortschritte allerdings im Dritten Bericht zu optimistisch beurteilt zu werden. Der EWSA begrüßt die Schlussfolgerungen des Dritten Berichts in Bezug auf die Bedeutung des Talanoa-Dialogs 2018 und betont, dass in puncto Innovation, Investition, weltweite Zusammenarbeit und Handel weitere Anstrengungen erforderlich sind, damit die EU die angestrebte weltweite Führungsrolle übernehmen kann.

1.7.

Der EWSA bedauert, dass im Dritten Bericht das Hauptgewicht auf Hemmnisse in Verbindung mit der technischen Infrastruktur gelegt wird. Künftig sollte sehr viel mehr Aufmerksamkeit auf andere Markthemmnisse und institutionelle Hürden gerichtet werden, welche die Bürger, Verbraucher, Gemeinschaften und KMU daran hindern, an der Energiewende und den zugehörigen EU-Fördermechanismen teilzuhaben. Zu den nicht berücksichtigten Hindernissen gehören beispielsweise Unterschiede bei den Kapitalkosten für Investitionen in erneuerbare Energien innerhalb der EU, die mangelhafte Umsetzung der Rechtsstaatlichkeit, Korruption, unzureichende Verwaltungskapazitäten, Schwierigkeiten beim Netzzugang sowie mangelnde Digitalisierung und fehlende demokratische Strukturen im Energiesystem.

1.8.

Der EWSA begrüßt, dass im Dritten Bericht auf die sinkenden Kosten der Erneuerbare-Energien- und anderen Saubere-Energien-Technologien hingewiesen wird. Er fordert die Kommission auf, diesen Fortschritten im Rahmen ihrer künftigen Politik- und Investitionsinstrumente Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass die gesellschaftliche Perspektive im Mittelpunkt des aktualisierten Fahrplans bis 2050 steht.

2.   Hintergrund und Betrachtungen zu früheren Empfehlungen des EWSA

2.1.

Die Ziele der Energieunion und eine ehrgeizigere Klima- und Energiepolitik stoßen auf eine breite und immer weiter zunehmende öffentliche Akzeptanz in der EU. Bei der letzten Eurobarometer-Erhebung zum Klimawandel (2) im März 2017 gaben 74 % der Befragten an, dass sie den Klimawandel für ein sehr ernstes Problem halten; 79 % vertraten die Auffassung, dass Klimaschutz und effizientere Energienutzung die EU-Wirtschaft stimulieren und Arbeitsplätze schaffen können; 77 % waren der Ansicht, dass die Weitergabe der in der EU vorhandenen Fachkenntnisse auf dem Gebiet neuer sauberer Technologien an Drittländer der EU wirtschaftliche Vorteile bringen kann, wobei 65 % außerdem zustimmten, dass es für die EU von wirtschaftlichem Vorteil sein kann, die Einfuhren fossiler Brennstoffe aus Drittländern zu reduzieren. Eine große Mehrheit der Befragten stimmte ebenfalls zu, dass die öffentlichen Finanzmittel für den Übergang zu sauberer Energie aufgestockt werden sollten, selbst wenn dies eine Kürzung der Zuschüsse für fossile Brennstoffe bedeuten würde (79 %), und dass die Reduzierung der Einfuhren fossiler Brennstoffe die Energieversorgungssicherheit der EU erhöhen kann (64 %).

2.2.

Zunehmende Unterstützung erhalten die Ziele der Energieunion auch von den europäischen Unternehmen innerhalb und außerhalb des Energiesektors. Beispielhaft hierfür ist die neue Visionserklärung der Union der Elektrizitätswirtschaft, EURELECTRIC (3), in der die Energiebranche sich im Lichte des Übereinkommens von Paris und in Anbetracht der dringenden Notwendigkeit, den Klimawandel, die Luftverschmutzung und die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen zu bekämpfen, verpflichtet, in eine saubere Energieerzeugung sowie Übergangslösungen zu investieren, die Emissionen zu reduzieren und deutlich vor der Mitte des Jahrhunderts einen kohlenstoffneutralen Strommix zu erreichen, die dringend erforderliche Umstellung von einer ressourcenbasierten auf eine technologiebasierte europäische Wirtschaft zu fördern, soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu ermöglichen, die gesamte Wertschöpfungskette auf Nachhaltigkeit auszurichten und die Umrüstung der vorhandenen Wirtschaftsgüter auf dem Weg zu einer emissionsfreien Gesellschaft zu unterstützen.

2.3.

Immer mehr Gutachten und wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen, dass der rasante Preisverfall bei Photovoltaik, Windenergie und Technologien für den Systemausgleich von großem Vorteil für den Strom- und Energiesektor der EU sein kann. Einem jüngst von der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (Irena) veröffentlichten Bericht (4) zufolge kann die EU den Anteil erneuerbarer Energien an ihrem Energiemix bis 2030 auf 34 % steigern, was eine Verdoppelung des 2016 erreichten Anteils wäre, und am Ende positive wirtschaftliche Auswirkungen verbuchen. Bis 2030 würden dadurch Einsparungen in Höhe von 44-113 Mrd. EUR jährlich aufgrund vermiedener Energie-, Umwelt- und Gesundheitskosten erzielt. Eine weitere neue, von der Energy Union Choices-Gruppe vorgelegte Studie (5) gelangt zu dem Schluss, dass das wirtschaftlichste Szenario ein weit höherer als der von der Europäischen Kommission angestrebte Stromversorgungsanteil erneuerbarer Energien wäre, nämlich 61 % (anstatt 49 %) bis 2030. Bei diesem Szenario würde die EU bis 2030 jährlich weitere 265 Mio. t CO2 sowie 600 Mio. EUR an Energiesystemkosten vermeiden und (netto) 90 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.

2.4.

Es wurden wichtige Initiativen eingeleitet, darunter die Erklärung von Malta im Mai 2017, um den Übergang zu sauberer Energie auf den Inseln sowie in den Gebieten in äußerster Randlage in Europa zu beschleunigen, das „Industrieforum für saubere Energie und Wettbewerbsfähigkeit“ (Clean Energy Industrial Competitiveness Forum), die Mitteilung über „Eine neue Strategie für die Industriepolitik der EU“ und die Batterieinitiative. All diese Initiativen sind wesentliche Voraussetzung für eine integrierte Industriepolitik, die die Energiewende unterstützen kann und gleichzeitig die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze fördert. Sie sollten als eine Gelegenheit für die Industrie gesehen werden, Europas Problemlösungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

2.5.

Der EWSA hat wiederholt festgestellt, dass die Energieunion europäischen Unternehmen stabile und günstige Rahmenbedingungen bieten muss, um Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern, wobei insbesondere das Potenzial der KMU zu berücksichtigen ist. Dies erfordert die gemeinsame Festlegung eines tragfähigen Governance-Systems der Energieunion, was nur geschehen kann, wenn an der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Verordnung über das Governance-System der Energieunion weitreichende Änderungen vorgenommen werden.

2.6.

Der EWSA hat stets die Auffassung vertreten, dass die Verfügbarkeit und der physische Zugang zu erschwinglicher Energie wesentliche Voraussetzungen für die Vermeidung von Energiearmut sind, die ihrerseits verhindert, dass die Menschen auf emissionsarme Lösungen umsteigen. Daher begrüßt er die Einrichtung der Beobachtungsstelle für Energiearmut als einen ersten Schritt hin zur Entwicklung weiterreichender europäischer Maßnahmen zur Beseitigung der Energiearmut in Europa.

2.7.

Der EWSA hat sich dafür ausgesprochen, im folgenden Bericht zur Lage der Energieunion die soziale Dimension in die Bewertungskriterien aufzunehmen. Daher begrüßt er nachdrücklich die von der Europäischen Kommission eingeleiteten sozialen Initiativen, u. a. im Zusammenhang mit CO2-intensiven Regionen und Energiearmut, wie auch die Aufnahme eines eigenen Unterabschnitts zur sozialen Dimension der Energieunion in den Bericht. Dieser lobenswerte erste Schritt sollte nachfolgend weiter ausgebaut werden, beispielsweise durch die gemeinsame Abfassung eines „Sozialpakts für eine bürgergetriebene Energiewende“.

2.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Energiewende keine wesentlich höheren Investitionen erfordert als die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen, auf vornehmlich eingeführten fossilen Brennstoffen basierenden Energiesystems. Allerdings bedarf es ganz anderer Arten von Investitionen, die u. a. auf Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demokratisierung und Dezentralisierung abzielen. Die zentrale Herausforderung besteht darin, Kapital umzuverteilen und von kohlenstoffintensiven auf emissionsarme Anlagen und Infrastrukturen zu übertragen. Bei dieser Umwidmung sollten gemeinschaftliche und nationale öffentliche Mittel effizient verwendet werden, indem beispielsweise Beihilfen für fossile Brennstoffe schrittweise eingestellt werden, auch die öffentliche Förderung von Gaspipelines durch die EU, ohne dass dadurch die industrielle Wettbewerbsfähigkeit oder die Beschäftigungslage beeinträchtigt oder der Binnenmarkt verzerrt werden.

2.9.

Zur Unterstützung der privaten Investoren bei dieser Kapitalumschichtung sollten die öffentlichen Behörden wirksame und vorhersehbare Kohlenstoffpreise für alle wirtschaftlichen Tätigkeiten gewährleisten. Denkbar wäre beispielsweise ein Kohlenstoffmindestpreis im EHS in Verbindung mit der Harmonisierung der Energiesteuern. Dazu wäre es notwendig, die EU-Politikinstrumente zu straffen und die Überschneidung von Instrumenten, die zu einer Verzerrung der Investitionssignale führt, zu vermeiden. Der EWSA hat die Kommission außerdem aufgefordert, aktiv auf die Einführung eines weltweiten Systems für die Kohlenstoffbepreisung hinzuwirken, das gleiche Ausgangsbedingungen für die europäischen Unternehmen auf den Export- und Importmärkten begünstigen würde.

3.   Bemerkungen zum Dritten Bericht zur Lage der Energieunion und zu Folgemaßnahmen

3.1.   Eine starke und demokratische Governance für Europas Energiewende schaffen

3.1.1.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die EU und die meisten ihrer Mitgliedstaaten die Gestaltung der Energiepolitik weiter demokratisieren müssen, indem sie beispielsweise die effiziente Nutzung von Instrumenten wie Deliberationsforen und Europäischen Bürgerinitiativen fördern und die Voraussetzungen für die systemische Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung und Durchführung der nationalen Energie- und Klimapläne schaffen.

3.1.2.

Nach Meinung des EWSA erfordert eine starke und demokratische Governance der Energieunion die Schaffung eines „Europäischen Energieinformationsdienstes“ innerhalb der Europäischen Umweltagentur, der imstande wäre, die Qualität der von den Mitgliedstaaten übermittelten Daten zu gewährleisten, eine zentrale Eingangsstelle für alle zur Bewertung des Fortschritts der Energieunion erforderlichen Daten zu entwickeln, mit den Interessenträgern die Annahmen für die verschiedenen Szenarien auszuarbeiten, Open-Source-Modelle zum Prüfen der verschiedenen Annahmen bereitzustellen und die Kohärenz zwischen den verschiedenen Projektionen zu prüfen. Seine Arbeit sollte allen Entscheidungsträgern, den Unternehmen und der Öffentlichkeit ohne Einschränkung zur Verfügung stehen.

3.1.3.

Um stabile und günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen für die europäischen Unternehmen, insbesondere KMU, zu schaffen, sollten die EU und alle ihre Mitgliedstaaten langfristige Energiepläne zur Erreichung des im Übereinkommen von Paris vereinbarten Ziels der Klimaneutralität ausarbeiten. Diese Pläne sollten auf möglichst inklusive Weise ausgearbeitet werden und in die Pläne bis 2030 und die längerfristigen Pläne einfließen, die in der Verordnung über das Governance-System der Energieunion vorgesehen sind. Sektorspezifische und regionale Dekarbonisierungsstrategien sollten ebenfalls ausgearbeitet werden, um Geschäftsmöglichkeiten und Chancen auf lokaler Ebene zu ermitteln sowie die Gewinne und Verluste an Arbeitsplätzen vorauszusehen und so einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten.

3.1.4.

Der EWSA begrüßt die Initiativen zur Unterstützung der kohlenstoffintensiven Regionen und der Inseln bei ihrer Umstellung ihres Energiesystems. Er fordert die Europäische Kommission auf, regionale Konzepte für die Energiewende weiterhin zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sollte die Europäische Kommission alle betroffenen Mitgliedstaaten und Regionen einbinden, um gemeinsam eine Bestandsaufnahme der Stärken und Schwächen der einzelnen europäischen Regionen im Hinblick auf die Energiewende vorzunehmen. Diese sollte in ihre Industriestrategien einfließen und ihnen auch die Folgenabschätzung im Hinblick auf die Schaffung, den Verlust und die Umgestaltung von Arbeitsplätzen aufgrund des Übergangs erleichtern.

3.1.5.

Der EWSA fordert die Kommission ferner auf, die Indikatoren weiterzuentwickeln, um die Folgen der Energiewende für energierelevante Wirtschaftstätigkeiten und ihre Entwicklung zu überwachen; dabei sollten die sozialen Indikatoren verbessert, verfeinerte Daten erhoben und neue, in Bezug auf die Öffentlichkeit und die Zivilgesellschaft aussagekräftige Indikatoren berücksichtigt werden, wie bereits den einschlägigen Stellungnahmen des EWSA (6) zu entnehmen ist.

3.2.   Gemeinsame Abfassung eines Sozialpakts für eine bürgergetriebene Energiewende

3.2.1.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass Europa einen „Sozialpakt für eine bürgergetriebene Energiewende“ benötigt, der zwischen der EU, den Mitgliedstaaten, den Regionen, den Städten, den Sozialpartnern und der organisierten Zivilgesellschaft vereinbart werden muss, um sicherzustellen, dass beim Übergang niemand zurückgelassen wird. Er sollte die sechste Dimension der Energieunion werden und alle sozialen Aspekte umfassen, darunter die Schaffung von guten Arbeitsplätzen, Berufsbildung, Verbrauchererziehung und -schulung, Sozialschutz, spezifische Pläne für Strukturwandelregionen, in denen Arbeitsplätze verloren gehen, Gesundheitsschutz und Energiearmut.

3.2.2.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Energieunion einen Europäischen Fonds für die Anpassung an die Energiewende benötigt, um Arbeitnehmern beizustehen, deren Arbeitsplatz infolge der Energiewende gefährdet ist. Hierdurch würde Europa seinen Willen bekunden, bei der Energiewende niemanden zurückzulassen.

3.2.3.

Der EWSA sieht die Energiewende als Chance an, die Energiearmut in Europa zu beseitigen und die Lebensqualität, die Beschäftigungslage und die soziale Inklusion zu verbessern. Auf der Grundlage der Befunde der Europäischen Beobachtungsstelle für Energiearmut sollte in Zusammenarbeit mit den Interessenträgern, einschließlich der Verbraucherorganisationen, ein europäischer Aktionsplan zur Beseitigung der Energiearmut ausgearbeitet werden, um sicherzustellen, dass das öffentliche Handeln zunehmend die der Energiearmut zugrunde liegenden Ursachen ins Visier nimmt. Der EWSA verweist auf die Feststellung in seiner Stellungnahme zum Thema „Saubere Energie für alle Europäer“ (7), dass Energiearmut investitionsabhängig ist und insbesondere die gefährdeten Haushalte Schwierigkeiten beim Zugang zu Finanzierung haben, und betont, dass schrittweise Linderungsmaßnahmen von Vorbeugungsmaßnahmen abgelöst und so zum Beispiel alte Gebäude saniert und in Netto-Nullenergiegebäude umgebaut werden sollten. In diesem Zusammenhang können Sozialtarife nur eine vorübergehende Entlastung darstellen, an deren Stelle nach und nach Mechanismen wie Energieschecks oder Subventionen für umfassende Gebäudesanierungen und den Kauf von Elektroautos treten sollten.

3.2.4.

Um eine bürgergetriebene Energiewende sicherzustellen und den gesamtgesellschaftlich maximalen sozialen und wirtschaftlichen Nutzen zu erreichen, ist es wesentlich, die Eigenverantwortung der Bürger und Gemeinschaften für die lokalen erneuerbaren Energieressourcen zu erkennen und zu fördern. Alle Unterstützungsmechanismen und Energiemarktreformen sollten die lokalen Gemeinschaften in die Lage versetzen, sich aktiv an der Energieerzeugung zu beteiligen und einen fairen Zugang zum Energiemarkt zu haben. Aktive Hilfestellung sollten diejenigen Mitgliedstaaten erhalten, denen es an den institutionellen Kapazitäten mangelt, um diese öffentliche Beteiligung an der Energiewende zu gewährleisten und insbesondere gemeinschaftseigene Projekte beim Zugang zu den Finanzierungsmechanismen der EU zu unterstützen.

3.2.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Europäische Kommission ein „Grünes Programm ErasmusPro“, das auf ihrem Pilotprojekt ErasmusPro aufbaut, sowie auch andere Programme auflegen sollte, die mehr junge Menschen für die an der Energiewende beteiligten Wachstumsbranchen begeistern können, indem sie das Image und die Arbeitsbedingungen dieser Tätigkeitsfelder verbessern.

3.2.6.

Der EWSA begrüßt das Bestreben der Europäischen Kommission, die Zahl der durch Luftverschmutzung verursachten vorzeitigen Todesfälle bis 2030 zu halbieren (2015 gab es in Europa 400 000 vorzeitige Todesfälle). Er ist der Ansicht, dass die EU und all ihre Mitgliedstaaten die Bekämpfung der Luftverunreinigung zu einer hohen politischen Priorität machen sollten. Regulierungsmaßnahmen zur Verringerung der Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen und Kraftwerken sollten verstärkt werden, und es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um letztendlich den Einsatz von fossilen Energieträgern im Verkehrssektor und zur Stromerzeugung stufenweise zu beenden.

3.2.7.

Der EWSA begrüßt die verbesserte Information im Dritten Bericht über die Nutzung der EU-Investitionsinstrumente und ihre Relevanz für die Bürger, Gemeinschaften und KMU, weist jedoch darauf hin, dass die Möglichkeiten der bürgergetriebenen und der gemeinschaftlichen Projekte für den Zugang zu diesen Ressourcen verbessert werden müssen (z. B. durch die Förderung von Finanzplattformen, insbesondere in den Mitgliedstaaten, in denen es keine derartigen Dienste gibt).

3.2.8.

Der EWSA möchte die Schlussfolgerungen und Feststellungen der Studie über Prosumer-Haushalte in der europäischen Energieunion („Study on Residential Prosumers in the European Energy Union“) — ein Begleitdokument zum Dritten Bericht — hervorheben, und zwar insbesondere die Feststellung, dass es in der EU keinen harmonisierten Regulierungsrahmen für Prosumer-Haushalte gibt und die Mitgliedstaaten unterschiedliche Ansätze verfolgen, sowie die Anregung, dass eine gemeinsame, umfassende Definition von „Prosumer-Haushalt“ der Aufstellung eines klaren und starken EU-Politik- und Regulierungsrahmens zur Förderung der Eigenstromerzeugung durch die Verbraucher förderlich sein könnte (8).

3.3.   Verkehr

3.3.1.

Bei der Energiewende erfordert der Aspekt der Elektrifizierung eine erhöhte politische und rechtliche Kohärenz zwischen traditionell getrennten Segmenten des Energiesektors. Die verstärkte Interaktion zwischen dem Energie- und dem Verkehrssektor ist bereits Realität, und der EWSA begrüßt die Bemühungen um Kohärenz zwischen den Legislativpaketen „Saubere Energie für alle Europäer“ und „Saubere Mobilität“.

3.3.2.

Der EWSA weist darauf hin, dass im Dritten Bericht die jüngst von mehreren Mitgliedstaaten und Städten wie den Niederlanden und Paris angekündigte Abkehr von Verbrennungsmotoren nicht berücksichtigt wird. Der Abgasskandal und die Folgen für den Klimawandel, die Luftverschmutzung, die Gesundheit und die Umwelt verdeutlichen den dringenden Handlungsbedarf. Der EWSA ist der Meinung, dass die EU einen koordinierten Rahmen für die Abschaffung von Diesel- und Benzinmotoren in Personenkraftwagen aufstellen sollte, um zu verhindern, dass sich unkoordinierte und unvorhersehbare, auf nationaler und subnationaler Ebene getroffene Entscheidungen nachteilig auf die industrielle Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung auswirken und zu einer Verzerrung des Binnenmarkts führen.

3.3.3.

Um zu verhindern, dass Fahrzeughalter mit niedrigem Einkommen mit umweltschädlichen Fahrzeugen, die aus immer mehr städtischen Gebieten ausgesperrt werden, zurückgelassen werden, sollten EU-weit gesetzgeberische und finanzielle Anreize eingeführt werden, um die kostengünstige Nach- oder Umrüstung der Antriebe bereits zugelassener Fahrzeuge von fossil auf emissionsfrei zu ermöglichen. Diese Maßnahme würde außerdem den Ressourceneinsatz und die sozialen Kosten der Umstellung von fossil betriebenen Personenkraftwagen auf Elektrofahrzeuge minimieren und könnte dazu beitragen, dass der Übergang von einem stärkeren Zusammenhalt zwischen den Regionen und Mitgliedstaaten mit niedrigerem und höherem Einkommensniveau geprägt ist.

3.3.4.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass im Dritten Bericht anerkannt wird, dass die Batterien „ein strategisch wichtiger Teil der […] Innovationsprioritäten“ sind und „zu einer wesentlichen Schlüsseltechnologie“ werden, „auf die es ankommt, damit die Ziele der Energieunion erreicht werden können“. Der EWSA unterstützt Initiativen, die darauf ausgerichtet sind, für „Batterien und Batteriezellentechnik beträchtliche Fördermittel“ sicherzustellen und zu gewährleisten, dass die EU eine ambitionierte Rolle auf dem globalen Markt spielen wird.

3.4.   Infrastruktur und Industrieentwicklung für die Energiewende

3.4.1.

Die Energiewende hat erhebliche Konsequenzen für eine Reihe von Branchen: erstens für die Energieerzeuger oder den Energiesektor selbst; zweitens für die Branchen, die Energie als Produktionsfaktor nutzen, insbesondere für die energieintensiven Branchen; und drittens für die Branchen, die Energie- und Klimatechnologien und -lösungen anbieten. Die Unternehmen sehen sich sowohl Risiken als auch Vorteilen gegenüber, und es ist von entscheidender Bedeutung, dass die EU die Branchen dabei unterstützt, die Chancen wahrzunehmen und die Herausforderungen zu bewältigen.

3.4.2.

Der EWSA weist darauf hin, dass im Dritten Bericht nicht der Tatsache Rechnung getragen wird, dass der angekündigte Rückzug der USA aus dem Übereinkommen von Paris eine historische Chance für die europäischen Unternehmen, Innovatoren, Arbeitnehmer und Investoren darstellt, ihre globale Führungsrolle auf den Märkten der sauberen Energie zu behaupten. Die EU sollte sich in allen Bereichen der sauberen Energie — von der Energieeffizienz bis zur Elektromobilität — ehrgeizigere Ziele setzen, um einen gesunden Binnenmarkt für die europäischen Unternehmen zu schaffen, auf dem Innovationen sicher umgesetzt werden können, und sie sollte eine integrierte Industriestrategie ausarbeiten, die darauf ausgerichtet ist, Lösungen für die Nutzung sauberer Energie in die übrige Welt zu exportieren.

3.4.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission erneut auf, eine umfassende Bewertung der gegenwärtigen politischen Instrumente zur Förderung von Niedrigemission durchzuführen, um sicherzustellen, dass geeignete Instrumente genutzt werden, um die Ziele so effizient wie möglich in gut regulierten Märkten zu erreichen. Ungebührliche Belastungen der Energieverbraucher aufgrund von mangelndem Wettbewerb und fehlender Transparenz, wie bspw. auch unübersichtliche Energierechnungen, sollten vermieden werden.

3.4.4.

Die dem Dritten Bericht beigefügte neue Liste der „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ (Projects of Common Interest, PCI), die für öffentliche Subventionen der EU infrage kommen, zeigt einen Rückgang der Vorhaben, die fossile Brennstoffe betreffen, auf 53 Gasvorhaben gegenüber 77 Vorhaben in der vorherigen Liste. Allerdings machen einige Analysten geltend, dass dies nur das Ergebnis der Zusammenfassung und Bündelung mehrerer Vorhaben ist und dass die neue Liste rund 90 Gasvorhaben umfasst, was tatsächlich eine Zunahme der Gasvorhaben darstellt. In Anbetracht der hohen ökologischen und wirtschaftlichen Risiken verlorener Vermögenswerte bei Investitionen in Infrastrukturen für fossile Brennstoffe sollten diese Vorhaben sowie die Ausweisung von Projekten als PCI baldmöglichst überprüft werden.

3.5.   Energieversorgungssicherheit und geopolitische Dimension der Energieunion

3.5.1.

Wie schon in seiner Stellungnahme vom vergangenen Jahr plädiert der EWSA erneut dafür, dass die Energieversorgungssicherheit ein wesentliches Ziel der Energieunion bleibt. Eine energieeffiziente Wirtschaft und eine nachhaltige und zuverlässige dezentrale Energieerzeugung, Übertragungs- und Speicherinfrastruktur, gut funktionierende EU-konforme Energiemärkte und Handelsbeziehungen sind notwendige Voraussetzungen. Das Ziel der Energieversorgungssicherheit muss besser definiert werden, indem über die Aspekte der Energieeinfuhren und der einheimischen Erzeugung hinaus auch das Potenzial für eine erhöhte Resilienz im gesamten Energiesystem, gesellschaftliche Innovation, Verhaltensänderungen und Cybersicherheit berücksichtigt werden.

3.5.2.

Der EWSA begrüßt die im Dritten Bericht dargelegte externe Dimension der Energieunion und teilt die Auffassung, dass „die Außen- und Entwicklungspolitik der EU […] von grundlegender Bedeutung [sind], um den globalen Übergang zu sauberen Energien und weniger CO2-Emissionen sowie zur Verbesserung der Energieversorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit der EU voranzutreiben“. Bedauerlicherweise gibt es zunehmend Belege dafür, dass einige Staaten und Unternehmen, die an der Einfuhr fossiler Brennstoffe in die EU beteiligt sind, unangemessene geschäftliche Praktiken anwenden und mitunter aggressiv die Energie- und Klimapolitik von Mitgliedstaaten und anderen maßgeblichen Interessenträgern zu beeinflussen versuchen. Derartige Aktivitäten müssen systematisch überwacht, öffentlich gemacht und aktiv abgewehrt werden, um ein glaubwürdiges und demokratisches Umfeld für die politische Debatte über die Umsetzung der Energieunion zu gewährleisten.

3.5.3.

Angesichts der Digitalisierung der Energiesysteme muss eine moderne digitale Infrastruktur aufgebaut werden. Dabei ist Maßnahmen zur Verbesserung der Cybersicherheit im Rahmen der Bemühungen zur Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit ein hoher Stellenwert zu geben. In Anbetracht der Interaktion zwischen intelligenten Netzen und Elektroautos wird die Strominfrastruktur auch zu einem zentralen Element des Verkehrssystems. In diesem Zusammenhang gewinnt die Cybersicherheit der miteinander verbundenen Sektoren Energie und Verkehr und ihrer digitalen Infrastrukturen sogar noch an Bedeutung.

3.5.4.

Der Erfolg der Europäischen Energieunion hängt davon ab, ob für die Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften gesorgt und sichergestellt werden kann, dass Energieprojekte in Europa EU-Marktvorschriften unterliegen. Von besonderem Belang ist dies bei Investitionsvorhaben, die möglicherweise bzw. verbreiteter Meinung zufolge deutlich im Widerspruch zu den Zielen der Energieunion stehen. In einigen Mitgliedstaaten gibt dies Anlass zu politischer und wirtschaftlicher Besorgnis und führt dort zum Verlust des gesellschaftlichen Vertrauens in die Werte, aufgrund derer sie der EU beigetreten sind. Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit dienen denjenigen Politikern, die der europäischen Integration zögerlich gegenüberstehen, als Beispiel für Schwachstellen der Integration, was der Einheit und Integrität der EU noch weiter schadet. Der EWSA empfiehlt deshalb nachdrücklich, Projekte wie die geplante Erdgaspipeline Nord Stream 2 und andere strategisch wichtige Projekte im Einklang mit dem Regelwerk der Energieunion zu entwickeln.

4.   Einbeziehung der Zivilgesellschaft und Beitrag des EWSA

4.1.

Der EWSA ist überzeugt, dass es nicht nur aus Gründen der Demokratie, sondern auch im Hinblick auf die Effizienz der Energiewende von entscheidender Bedeutung ist, den Erfolg des Jahres 2018 als „Jahr der Teilhabe“ an der Energieunion sicherzustellen. Der Umbau des europäischen Energiesystems wird nämlich zügiger, kostengünstiger und demokratischer vonstattengehen, wenn er von Bürgerinnen und Bürgern angetrieben wird, die vermehrt zu aktiven Verbrauchern und Prosumenten oder Mitarbeitern, Crowdsourcern und Crowdfundern der Energiewende werden. Mikrofinanzmittel, die z. B. durch lokal gewährte Darlehen zur Verfügung gestellt werden, und Investitionsförderung sind entscheidende Faktoren, die die Demokratisierung, die breite gesellschaftliche Partizipation und die soziale Nachhaltigkeit der Energiewende begünstigen. Die Europäische Union sollte danach streben, dass die Energiepolitik, auch auf nationaler Ebene, nicht von wenigen Entscheidungsträgern abhängt, sondern tatsächlich durch das Zutun aller angetrieben wird.

4.2.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass im Dritten Bericht dazu aufgerufen wird, alle Bereiche der Gesellschaft zu mobilisieren. Es bleibt unklar, wie die Kommission sicherstellen wird, dass dies auch geschieht, da es hierzu keinen konkreten Vorschlag gibt. Vielmehr werden in dem Bericht äußerst problematische Beispiele von „Vorreitern“ des Übergangs zu sauberer Energie genannt. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, verstärkt mit Entscheidungsträgern und Interessenträgern zusammenzuarbeiten und sich insbesondere mit den nationalen und regionalen Wirtschafts- und Sozialräten und der organisierten Zivilgesellschaft zusammenzutun, um gemeinsam alle Europäer mit sauberer Energie zu versorgen.

4.3.

Der EWSA ist besorgt über den Grad der Partizipation von Bürgern und Gemeinschaften an der Erarbeitung von Legislativvorschlägen nach der im vergangenen Jahr angekündigten und durchgeführten „umfassenden öffentlichen Debatte“. Er schlägt vor, dass in den künftigen Berichten zur Lage der Energieunion die Verbesserungen in Politik und Praxis innerhalb der Energieunion aufgrund öffentlicher Debatten und öffentlicher Beteiligung dargelegt und ausführlich erläutert werden.

4.4.

In diesem Zusammenhang unterstützt der EWSA den jüngst vom Europäischen Parlament angenommenen Bericht, in dem es heißt: „Die Mitgliedstaaten sollten eine Plattform einrichten, über die mehrere Ebenen — lokale Behörden, Organisationen der Zivilgesellschaft, Unternehmer, Investoren und sonstige einschlägige Interessenträger — in Energiefragen im ständigen Dialog stehen, um die verschiedenen Optionen zu erörtern, die in der Energie- und Klimapolitik ins Auge gefasst werden“. Er betont erneut die Notwendigkeit, Gewerkschaften, Verbraucherorganisationen und Umweltorganisationen der Zivilgesellschaft an diesen Plattformen zu beteiligen und die Voraussetzungen für eine effektive Teilhabe zu schaffen.

4.5.

Der EWSA möchte aktiv zur weiteren Entwicklung der Synergien und der Zusammenarbeit zwischen den Institutionen auf EU-Ebene, der organisierten Zivilgesellschaft sowie den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und ihren Einrichtungen beitragen, die für die Ziele der Energieunion von Bedeutung sind. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften können dank ihrer Bürgernähe und ihrer Kenntnis der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten eine Schlüsselrolle bei der effizienten Anpassung und Umsetzung der Energiepolitik spielen. Sie repräsentieren eine wesentliche Entscheidungsebene in Sektoren wie Verkehr, Stadtplanung, Gebäude und Gemeinwohl, weshalb sie äußerst wichtig für koordinierte Maßnahmen zur Förderung der Energieeffizienz und erneuerbarer Energiequellen sind.

4.6.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Sozial- und Geisteswissenschaften eine wesentliche Rolle spielen, da sie den wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern ebenso wie der Öffentlichkeit die richtigen Werkzeuge an die Hand geben, damit sie verstehen, auf welcher Grundlage die Endnutzer, einschließlich KMU und Bürger, ihre die Energieversorgung betreffenden Entscheidungen treffen. Die Energieunion benötigt daher ein missionsorientiertes EU-Forschungs- und Innovationsprogramm nach 2020, das die Sozial- und Geisteswissenschaften vollumfänglich einbezieht, wie es im Bericht der Europäischen Kommission von der unabhängigen Hochrangigen Expertengruppe zur Maximierung der EU-Forschungs- und Innovationsprogramme (Lamy-Bericht) vorgeschlagen wird.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 34.

(2)  https://ec.europa.eu/clima/news/eu-citizens-increasingly-concerned-about-climate-change-and-see-economic-benefits-taking-action_en.

(3)  https://cdn.eurelectric.org/media/2189/vision-of-the-european-electricity-industry-02-08-2018-h-864A4394.pdf.

(4)  http://irena.org/newsroom/pressreleases/2018/Feb/EU-Doubling-Renewables-by-2030-Positive-for-Economy.

(5)  http://www.energyunionchoices.eu/cleanersmartercheaper/.

(6)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 117, ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 100.

(7)  ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 64.

(8)  Studie JUST/2015/CONS/FW/COO6/0127.


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/94


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Europäischen Union“

(COM(2017) 487 final — 2017/0224 (COD))

(2018/C 262/16)

Berichterstatter:

Christian BÄUMLER

Mitberichterstatter:

Gintaras MORKIS

Befassung

Rat, 15.11.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Außenbeziehungen

Annahme in der Fachgruppe

28.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

203/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hebt hervor, dass ausländische Direktinvestitionen eine wichtige Quelle für Wachstum, Beschäftigung und Innovationen sind. Ausländische Direktinvestitionen stellen seit jeher einen wesentlichen Faktor für eine positive wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Europäischen Union dar. Der EWSA befürwortet ein offenes Investitionsumfeld und begrüßt ausländische Direktinvestitionen.

1.2.

Der EWSA stellt fest, dass ausländische Investitionen nicht nur nützlich sein können, sondern auch Risiken bergen und die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung in einem oder mehreren Mitgliedstaaten gefährden können.

1.3.

Der EWSA fordert, die offene Haltung der Union gegenüber ausländischen Direktinvestitionen mit robusten und wirksamen politischen Maßnahmen zu begleiten.

1.4.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung von ausländischen Direktinvestitionen in der Europäischen Union, weist jedoch darauf hin, dass das Ausmaß des Problems noch nicht in vollem Umfang bekannt ist, da die Kommission bei der Einleitung des Legislativverfahrens die Investitionsströme und ihre Auswirkungen nicht analysiert hat.

1.5.

Die Überprüfung von Investitionen in Unternehmen und Objekte, die von strategischer Bedeutung für die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung der EU sind, ist lückenhaft und unkoordiniert: Manche Länder verfügen über ein Screening-Verfahren, andere nicht, sodass die Investitionen dort überhaupt nicht überprüft werden. Ein System auf EU-Ebene muss diesem Mangel abhelfen, die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten beseitigen und den Schutz der nationalen und europäischen Interessen garantieren.

1.6.

Es sollte dafür gesorgt werden, dass die Mitgliedstaaten, in denen es Verfahren für die Überprüfung von ausländischen Direktinvestitionen gibt, sowie die Staaten, in denen es keine solchen Verfahren gibt, gleichermaßen zuverlässige Informationen weitergeben und erhalten können, auch in Form von Jahresberichten, die der Europäischen Kommission übermittelt werden, wenn Mitgliedstaaten oder die Kommission feststellen, dass eine geplante oder bereits getätigte ausländische Direktinvestition in einem Mitgliedstaat die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung beeinträchtigen kann.

1.7.

Der EWSA begrüßt, dass die vorgeschlagene Verordnung die grundlegenden Verfahrensanforderungen für die Überprüfungsmechanismen, wie Transparenz, Nichtdiskriminierung zwischen Drittländern und gerichtliche Überprüfung, festlegt und damit die Investitions- und Rechtsicherheit erhöht.

1.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Europäische Union die ausschließliche Zuständigkeit für ausländische Direktinvestitionen innehat. Soweit es in den EU-Mitgliedstaaten nationale Systeme zur Überprüfung gibt, muss eine Rechtsgrundlage für diese Systeme geschaffen werden, um Rechtsunsicherheit zu vermeiden.

1.9.

Der EWSA hält es für bedenklich, dass sich die EU-Kommission das Recht auf Überprüfung von Investitionen lediglich für die Investitionstätigkeiten vorbehält, die Auswirkungen auf Projekte oder Programme im Unionsinteresse haben können. Soweit ausländische Direktinvestitionen grenzüberschreitende Auswirkungen auf die gesamte EU oder Teile der EU haben, muss die EU ihre Zuständigkeit für die Überprüfung von Investitionen wahrnehmen.

1.10.

Die Bedeutung der Begriffe „Sicherheit“ und „öffentliche Ordnung“ ist im Kommissionsentwurf nicht ausreichend geklärt. Der EWSA weist darauf hin, dass in den Wirtschaftssektoren, die an der Überprüfung beteiligt sein könnten, Unsicherheit darüber besteht, ob auch strategische Sektoren und Schlüsseltechnologien von dieser Begrifflichkeit erfasst sind. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, weitere Anstrengungen zur Klärung dieses Problems zu unternehmen.

1.11.

Der EWSA befürwortet die verpflichtende Einrichtung von Kontaktstellen in den Mitgliedsländern und spricht sich für die Schaffung einer Gruppe zur Koordination des Investment-Screenings in der EU aus. Allerdings sind die Rolle dieser beiden Gremien, die Vertretungsebene und das Verhältnis beider Gremien zueinander nicht ganz klar. Die Kommission sollte hier für eine Präzisierung sorgen.

1.12.

Der EWSA empfiehlt eine angemessene Einbeziehung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft.

1.13.

Der EWSA schlägt vor, das Investment Screening auf sensible Bereiche der Infrastruktur und Einrichtungen, die soziale Funktionen aufrechterhalten, zu erstrecken. Dazu gehören die Energie- und Wasserversorgung, Verkehr, digitale Infrastruktur, Finanzdienstleistungen, Finanzmarkt sowie der Gesundheitssektor.

1.14.

Der EWSA befürwortet die Ausweitung des Investment Screenings auf Schlüsseltechnologien, soweit Investoren von der Regierung eines Drittlandes kontrolliert werden oder einer solchen nahestehen. Der EWSA schlägt vor, in der Verordnung ein gesondertes Screening-Verfahren für ausländische Direktinvestitionen von staatlichen oder regierungsnahen Investoren aus Drittländern vorzusehen.

1.15.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass der Überprüfungsprozess effektiver ist, wenn er auf geplante ausländische Direktinvestitionen und nicht auf abgeschlossene Direktinvestitionen angewandt wird, und ersucht die Kommission, diese Anregung in den Verordnungsvorschlag aufzunehmen. Der Ausschuss empfiehlt vor allem eine Überwachung der getätigten Investitionen.

1.16.

Der EWSA empfiehlt, im Interesse der Investitionssicherheit, Fristen sowohl für die Frage, ob in ein Investment Screening eingetreten wird, als auch für die Überprüfung insgesamt festzulegen.

1.17.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Vertraulichkeit von Unternehmensdaten im Überprüfungsverfahren gewährleistet werden muss, damit potenzielle Investoren nicht abgeschreckt werden.

1.18.

Der EWSA empfiehlt die Zusammenarbeit bei der Überprüfung der Investitionen mit den USA und anderen Handelspartnern sowie die internationale Angleichung der Regeln über die Überprüfung von ausländischen Direktinvestitionen. Dabei könnte der Ausschuss für ausländische Investitionen (CFIUS) der USA Modellcharakter haben.

1.19.

Wenngleich die Frage der Gegenseitigkeit im Verordnungsvorschlag nicht angegangen wird, fordert der EWSA die Kommission auf, den Grundsatz der Gegenseitigkeit bei den Verhandlungen der EU mit Drittstaaten über ADI anzuwenden, da mehr Nicht-EU-Investoren Unternehmen und Organisationen der EU kaufen, wohingegen EU-Investoren bei Investitionen in anderen Staaten häufig auf Hindernisse stoßen. Der Ausschuss fordert vor allem eine Beschleunigung der Verhandlungen über das Investitionsabkommen mit China.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA befürwortet grundsätzlich die zentralen Positionen des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Verordnung zur Schaffung eines Verfahrens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Europäischen Union, wonach die Europäische Union offen für ausländische Direktinvestitionen ist, die zum Wachstum in der Union beitragen, indem sie die Wettbewerbsfähigkeit verbessern, Arbeitsplätze schaffen, Kapital, Technologien, Innovation und Fachwissen einbringen und neue Märkte für die Ausfuhren der Union öffnen.

2.2.

Anlass zur Sorge gibt jedoch die Tatsache, dass ausländische Investoren, vor allem staatliche Unternehmen, aus strategischen Erwägungen europäische Unternehmen erwerben, die über Schlüsseltechnologien verfügen, und sich anschicken, Infrastrukturen, wichtige Zukunftstechnologien sowie sonstige Vermögenswerte zu übernehmen, die wichtig für die Gewährleistung der Sicherheit der Mitgliedstaaten und der gesamten EU sind.

2.3.

In den vergangenen zehn Jahren haben die Investitionen aus Drittstaaten in der EU spürbar zugenommen. Die Mitteilung der Europäischen Kommission „Offenheit für ausländische Direktinvestitionen bei gleichzeitigem Schutz grundlegender Unionsinteressen“ enthält statistische Daten, wonach die meisten Investitionen aus den USA, Kanada, der Schweiz sowie im Weiteren aus Brasilien, China und Russland stammen. Während der Finanzkrise 2008 haben sich die chinesischen Investitionen in den EU-Mitgliedstaaten verzehnfacht! Sie stiegen von 2 Mrd. EUR 2009 auf fast 20 Mrd. EUR im Jahr 2015. Allein 2016 betrugen die chinesischen Direktinvestitionen in der EU 35 Mrd. EUR. Im Vergleich zu 2015 war das ein Anstieg um 77 %, im Vergleich zu 2010 sogar um 1 500 %. Die Investitionen von EU-Unternehmen in China sind 2016 hingegen um 25 % zurückgegangen.

2.4.

Im Februar 2017 haben drei Mitgliedstaaten — Frankreich, Deutschland und Italien — die Europäische Kommission aufgefordert, die Vorschriften für ausländische Direktinvestitionen in der Europäischen Union zu überarbeiten. Anlass war die Besorgnis wegen des technologischen Wissensabflusses ins Ausland, solange immer mehr Nicht-EU-Investoren EU-Technologien für strategische Ziele dieser Länder kaufen, während EU-Investoren oft mit Hindernissen für Investitionen in anderen Ländern konfrontiert sind. Die drei Mitgliedstaaten wiesen darauf hin, dass der Grundsatz der Gegenseitigkeit sichergestellt werden sollte, wenn EU-Investoren nur ein begrenzter Zugang zu Märkten außerhalb der EU gewährt wird. Die drei Mitgliedstaaten haben die Europäische Kommission aufgefordert, ein europäisches Instrument zu entwickeln, um „Schaden durch einseitige, strategische Direktinvestitionen ausländischer Käufer in sicherheits- oder industriepolitisch sensiblen Bereichen zu verhindern und Gegenseitigkeit zu gewährleisten. Die derzeit auf Ebene der EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden staatlichen Instrumente reichen nicht aus, um einen solchen Schutz zu gewähren.“

2.5.

Das Europäische Parlament forderte in seiner Entschließung vom 5. Juli 2017 die Kommission auf, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten ausländische Direktinvestitionen aus Drittländern in strategisch bedeutsame Industriebereiche, Infrastrukturen und Schlüsseltechnologien der Zukunft zu durchleuchten.

2.6.

Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, mit der ein Rechtsrahmen für die Überprüfung von ausländischen Investitionen aus Drittstaaten vorgeschlagen wird.

2.7.

Die Europäische Kommission hat beschlossen, diesen Vorschlag auf die Bereiche Sicherheit und öffentliche Ordnung zu beschränken, um eine Mindestvereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten zu erreichen. Laut Erläuterung der Kommission umfassen diese z. B. die elektronische Kommunikation, die Cybersicherheit, Schutz kritischer Infrastrukturen und die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der Produkte und Dienstleistungen im Bereich der Cybersicherheit.

2.8.

Schon allein die Bedeutung der Begriffe „Sicherheit“ und „öffentliche Ordnung“ sind im gegebenen Kontext nicht klar genug, um Probleme und unterschiedliche Auslegungen zu vermeiden. Der EWSA weist darauf hin, dass in den Wirtschaftssektoren, die an der Überprüfung beteiligt sein könnten, Unsicherheit darüber besteht, ob auch strategische Sektoren und Schlüsseltechnologien von dieser Begrifflichkeit erfasst sind. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, weitere Anstrengungen zur Klärung dieses Problems zu unternehmen.

2.9.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission uneingeschränkt anerkennt, dass die Mitgliedstaaten die notwendige Flexibilität bei der Überprüfung von ausländischen Direktinvestitionen behalten müssen (siehe COM(2017) 494). Dies würde bedeuten, dass nur die Mitgliedstaaten Entscheidungen über ausländische Direktinvestitionen aus Drittländern treffen könnten.

2.10.

Der EWSA war schon immer der Auffassung, dass die Handels- und Investitionspolitik der Union mit der Wirtschaftspolitik und den übrigen Politikfeldern der EU im Einklang stehen und „kompatibel sein muss“, wozu auch die Bereiche „Umweltschutz, menschenwürdige Arbeit, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz“ zählen. Eine wirksame EU-Investitionsstrategie spielt eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, die Wettbewerbsfähigkeit der EU in Zeiten schnellen wirtschaftlichen Wandels und größerer Verschiebungen im weltweiten ökonomischen Machtgefüge zu erhalten.

2.11.

Der EWSA weist darauf hin, dass die EU eine der offensten Volkswirtschaften für ausländische Direktinvestitionen ist. Der Zufluss solcher Investitionen in die EU steigt ständig. Sie konzentrieren sich mehr und mehr auf strategisch ausgewählte Sektoren und auf überdurchschnittlich große Unternehmen. Sie gehen in zunehmendem Maße von staatlichen Unternehmen oder Investoren mit engen Beziehungen zu Regierungen aus.

2.12.

Auf globaler Ebene nehmen dagegen nach Einschätzung der Kommission die Beschränkungen für ausländische Direktinvestitionen seit 2016 zu. Investoren aus der EU werden in Drittländern häufig nicht die gleichen Rechte eingeräumt, wie sie Investoren in der EU haben. Der EWSA hat schon 2011 bedauert, dass sich die Kommission bei der Entwicklung des „Weg zu einer umfassenden europäischen Auslandsinvestitionspolitik“ zur Frage der Übernahme strategisch wichtiger Unternehmen nicht geäußert hat, und Überlegungen zur Reziprozität angemahnt.

2.13.

Der EWSA betont, dass die drei erwähnten Mitgliedstaaten, die die Initiative zur Entwicklung eines europäischen Instruments zur Überprüfung von Investitionen angestoßen haben, darauf hingewiesen haben, dass der Grundsatz der Gegenseitigkeit bestätigt werden sollte, wenn EU-Investoren nur begrenzten Zugang zu Märkten außerhalb der EU erhalten. Im Verordnungsentwurf wurde nicht auf die Frage der Reziprozität eingegangen. Jedenfalls sollte der Grundsatz der Gegenseitigkeit bei allen Verhandlungen mit Drittstaaten über ADI angewandt werden.

2.14.

Der strategische Schwerpunkt der ausländischen Investitionen in der EU liegt zudem auf dem Erwerb europäischer Unternehmen, die Schlüsseltechnologien entwickeln oder Infrastrukturen unterhalten, die wesentlich für die Erfüllung unverzichtbarer Aufgaben in Gesellschaft und Wirtschaft sind. Die Kombination dieser Entwicklungen führte bei den Bürgerinnen und Bürgern Europas sowie bei Unternehmen und Mitgliedstaaten zu berechtigten Bedenken. Diese Bedenken verlangen nach geeigneten Maßnahmen, wie sie in dem am 10. Mai 2017 veröffentlichten Reflexionspapier der Kommission zur Globalisierung und in der Rede zur Lage der Union am 13. September 2017 angekündigt wurden.

2.15.

Der EWSA fordert, die offene Haltung der Union gegenüber ausländischen Direktinvestitionen mit robusten und wirksamen politischen Maßnahmen zu begleiten.

2.16.

Der EWSA betont, dass ein Teil der Mitgliedstaaten schon vor längerer Zeit erkannt hat, dass ausländische Investitionen nicht nur nützlich sein können, sondern auch Risiken bergen und die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung gefährden können. Dies gilt insbesondere, wenn die Investitionen auf Unternehmen und Objekte von strategischer Bedeutung ausgerichtet sind. Deshalb sind von diesen Mitgliedstaaten nationale Screening-Systeme für ausländische Investitionen geschaffen worden.

2.17.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Prüfung von Investitionen in Unternehmen und Objekte, die von strategischer Bedeutung für die nationale Sicherheit oder die Sicherheit der EU sind, lückenhaft und unkoordiniert ist: Manche Länder verfügen über ein Screening-Verfahren, andere nicht, sodass die Investitionen dort überhaupt nicht geprüft werden. Es liegt auf der Hand, dass unter solchen Gegebenheiten ein Schutz weder der Mitgliedstaaten noch der EU selbst vor Investitionen, die auf die Übernahme wichtiger Unternehmen und Objekte abzielen, zu gewährleisten ist, wenn ein Drittland mit politischen und wirtschaftlichen Absichten bei der Planung seiner Möglichkeiten zur Manipulation gezielt vorgeht. Das von der EU einzuführende System muss die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten beseitigen und den Schutz der nationalen und europäischen Interessen garantieren.

2.18.

Das von der EU-Kommission vorgeschlagene „Investment Screening“ ist nach Auffassung des EWSA ein erster Schritt in die richtige Richtung, wird aber diesen Anforderungen insgesamt nicht gerecht. Der Vorschlag verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht einmal, ein eigenes Investment Screening einzurichten.

2.19.

Der EWSA erkennt an, dass die Kommission mit dieser Verordnung bestrebt ist, für die Mitgliedstaaten, die nationale Mechanismen für die Überprüfung von Investitionen geschaffen haben, Rechtssicherheit zu gewährleisten.

2.20.

Der EWSA begrüßt, dass die vorgeschlagene Verordnung die grundlegenden Verfahrensanforderungen für die Überprüfungsmechanismen, wie Transparenz, Nichtdiskriminierung zwischen Drittländern und gerichtliche Überprüfung, festlegt und damit die Investitionssicherheit erhöht.

2.21.

Obwohl die Verordnung darauf abzielt, in der EU mehr Informationen über ausländische Direktinvestitionen zu sammeln und die Nutzung von Auswahlmechanismen durch die Mitgliedstaaten zu überwachen, wird es in der Praxis sehr schwierig sein, eine harmonisierte Umsetzung auf EU-Ebene sicherzustellen. Es sollte dafür gesorgt werden, dass sowohl die Mitgliedstaaten, in denen es Verfahren für die Prüfung von ausländischen Direktinvestitionen gibt, als auch die Staaten, in denen es keine solchen Verfahren gibt, gleichermaßen zuverlässige Informationen weitergeben und erhalten, auch in Form von Jahresberichten, die der Europäischen Kommission zu übermitteln sind, wenn die Mitgliedstaaten oder die Kommission feststellen, dass eine geplante oder bereits getätigte ausländische Direktinvestition in einem Mitgliedstaat die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung beeinflussen kann.

2.22.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Kontaktstellen zu verpflichten und eine Koordinierungsgruppe aus Vertretern der Mitgliedstaaten. Allerdings sind die Rolle dieser beiden Gremien, die Vertretungsebene und das Verhältnis beider Gremien zueinander nicht ganz klar. Der Ausschuss empfiehlt eine angemessene Einbeziehung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft.

2.23.

Der EWSA hält es für bedenklich, dass die EU-Kommission die Prüfung von Investitionen lediglich für die Investitionstätigkeiten vorbehält, die Auswirkungen auf Projekte oder Programme im Unionsinteresse haben können. Wenn die Verantwortung für die Kontrolle von ausländischen Direktinvestitionen größtenteils bei den Mitgliedstaaten liegt, besteht die Gefahr, dass ein ausländischer Investor mit dem Ziel der Übernahme wichtiger Unternehmen und Objekte sich als Einstieg das am schwächsten gegen derartige Investitionen geschützte Land für anfängliche Investitionen aussucht und dann über den Binnenmarkt Zugang zu Ländern mit stärkerem Investitionsschutz hat.

2.24.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Europäische Union die ausschließliche Zuständigkeit für ausländische Direktinvestitionen innehat, die unter die im Lissabonner Vertrag festgelegte, ausschließliche Zuständigkeit für die gemeinsame Handelspolitik fallen. Gemäß Artikel 207 AEUV sind ausländische Direktinvestitionen Teil der gemeinsamen Handelspolitik der EU. Laut Artikel 206 AEUV trägt die Union zur „schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen (im internationalen Handelsverkehr und) bei den ausländischen Direktinvestitionen“ bei.

2.25.

Nach Auffassung des EWSA muss die EU ihre Zuständigkeit für ausländische Direktinvestitionen wahrnehmen, wenn die Investitionen grenzübergreifende Auswirkungen auf die gesamte EU oder auf Teile der EU haben. Sowohl die Überprüfung der Investitionen als auch die Entscheidung, ob diese Investitionen zulässig sind, muss in der Hand der Kommission liegen. Die Mitgliedsländer müssen über verbindliche Anhörungsrechte verfügen und über die zu bildende Koordinierungsgruppe in die Entscheidungsprozesse über ausländische Direktinvestitionen einbezogen werden.

2.26.

Der EWSA weist darauf hin, dass die EU in der Richtlinie über kritische Infrastrukturen (ECI-Richtlinie) und der Richtlinie über Netz- und Informationssysteme (NIS-Richtlinie) sensible Bereiche definiert hat, die essentielle Sicherheitsinteressen betreffen. Zur „kritischen“ Infrastruktur im Sinne der ECI-Richtlinie gehören Einrichtungen und Systeme, die für die Aufrechterhaltung vitaler sozialer Funktionen, Gesundheit, Sicherheit und das ökonomische und soziale Wohlbefinden entscheidend sind. Die NIS-Richtlinie betrifft Dienstleister, die für „kritische“ soziale und ökonomische Aktivitäten Voraussetzungen schaffen. Darunter fallen Energie, Transport, Finanzdienstleistungen und Finanzmarkt sowie Gesundheitsstruktur und Wasserversorgung.

2.27.

Der EWSA hat schon 2011 (1) hervorgehoben, dass Handelspartner wie Kanada und die USA über Mechanismen zur Kontrolle von ausländischen Direktinvestitionen verfügen und dass Investitionen Teil einer breiter angelegten EU-Außenpolitik sein sollten.

2.28.

Der EWSA weist darauf hin, dass es in den USA ein weitgehendes, sehr flexibel handhabbares Instrumentarium für das Investment Screening gibt. Die Überprüfung von ausländischen Investitionen in den USA wird auf Bundesebene von einem interministeriellen Ausschuss namens CFIUS durchgeführt. Dieser Ausschuss kann eine Transaktion, die er ablehnt, aussetzen, verbieten oder Bedingungen auferlegen. Seine Hauptaufgabe besteht darin, das Risiko für die nationale Sicherheit in der Folge von Fusionen und Übernahmen zu ermitteln, die zu einer ausländischen Kontrolle eines US-Unternehmens führen könnten. Das nationale Sicherheitsrisiko ist definiert als Beeinträchtigung der Sicherheit der USA durch die Übernahme einer kritischen Technologie oder von Bestandteilen der Infrastruktur. Die Kontrolle wird vom Ausschuss in seinen eigenen Vorschriften festgelegt, was CFIUS die Möglichkeit gibt, diese Definition anzupassen. Diese Form des Investment Screenings könnte auch für die EU interessant sein.

2.29.

In China gibt es sektorale Beschränkungen für ausländische Investitionen. Chinas Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) und das Handelsministerium (MOFCOM) haben die Version 2017 des Katalogs für die Leitung ausländischer Investitionsindustrien in Kraft gesetzt. Sie enthält eine nationale Negativliste, in der die Branchen aufgeführt sind, in denen ausländische Investitionen eingeschränkt oder verboten sind. „Eingeschränkt“ bedeutet, dass es eine vorherige Genehmigung vom MOFCOM geben muss. Die Erstellung dieser Liste ist eine Möglichkeit für die Regierung, ihre Beschränkungen und Bedingungen durchzusetzen. Auf dieser Negativliste stehen sowohl politisch sensible Bereiche, wie Printmedien, als auch die komplette Automobilindustrie, für die es eine Sonderregel über Joint Ventures gibt. Für die Sektoren ohne Einschränkungen verlangt die Regierung lediglich die Registrierung der ausländischen Investitionsprojekte.

2.30.

Der EWSA weist darauf hin, dass China in seinem strategischen Ansatz „Made in China 2025“ Schlüsselbranchen benennt: „Informationstechnologien der nächsten Generation, numerische Steuerungstechnik und Robotik der Spitzenklasse, Ausrüstung für Luft- und Raumfahrt, Ausrüstung für das Schiffsingenieurwesen und Bau von High-Tech-Seeschiffen, High-Tech-Ausrüstungen für das Eisenbahnwesen, energiesparende Fahrzeuge und Fahrzeuge mit neuartiger Antriebstechnik, elektrische Betriebsmittel, Maschinen und Ausrüstungen für die Landwirtschaft, neue Materialien, Biomedizin und medizinische Geräte der Spitzenklasse“. In diesen Branchen ist verstärkt mit der Übernahme europäischer Unternehmen zu rechnen.

2.31.

Der EWSA stellt fest, dass es nicht nur hinsichtlich Chinas Vorbehalte bei ausländischen Direktinvestitionen gibt. Investitionen Russlands, insbesondere im Energiesektor, wecken in den betroffenen Ländern Bedenken hinsichtlich möglicher Abhängigkeiten in diesem strategisch wichtigen Sektor.

2.32.

Der EWSA hält den Anwendungsbereich des vorgeschlagenen Investment Screening für zu begrenzt und schlägt vor, die Investitionskontrolle auf strategische Bereiche und insbesondere auf Schlüsseltechnologien auszuweiten. Bei der Festlegung dieser strategischen Bereiche sollte „Made in China 2025“ berücksichtigt werden.

2.33.

Der EWSA ist der Meinung, dass ein solches Investment Screening, das auch strategisch bedeutsame Schlüsseltechnologien erfasst, mit WTO-Regeln vereinbar ist. Die EU hat das Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (Agreement on Subsidies and Countervailing Measures — ASCM) umgesetzt. Eine Zurückweisung von ausländischen Direktinvestitionen ist damit dann möglich, wenn essenzielle Sicherheitsinteressen betroffen sind. Eine weitergehende Restriktion von ausländischen Direktinvestitionen ist dann möglich, wenn der Investor von einer Regierung kontrolliert wird oder ihr nahesteht.

2.34.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, bei den Screening-Verfahren zu berücksichtigen, ob der ausländische Investor von der Regierung eines Drittlandes kontrolliert wird, und zwar auch durch erhebliche Finanzmittel. Der EWSA schlägt vor, in der Verordnung ein gesondertes Screening-Verfahren für ausländische Direktinvestitionen von staatlichen oder regierungsnahen Investoren aus Drittländern vorzusehen.

2.35.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass der Überprüfungsprozess effektiver ist, wenn er auf geplante ausländische Direktinvestitionen und nicht auf abgeschlossene Direktinvestitionen angewandt wird, und ersucht die Kommission, diese Anregung in den Verordnungsvorschlag aufzunehmen. Der Ausschuss empfiehlt vor allem eine Überwachung der getätigten Investitionen.

2.36.

Der EWSA begrüßt die von der Kommission vorgeschlagene Verordnung, doch ist es offensichtlich, dass das Ausmaß des Problems nicht im vollen Umfang bekannt ist. Die Kommission hat bei der Einleitung des Legislativverfahrens die Investitionsströme und ihre Auswirkungen nicht analysiert, sondern erst später eine Analyse der Investitionsströme in die Wege geleitet.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.

Der EWSA empfiehlt eine Zusammenarbeit mit den USA und anderen Handelspartnern. Eine internationale Angleichung der Regeln über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen würde Konflikte begrenzen und die Investitionssicherheit fördern. Zumindest ist mit Ländern wie China ein Dialog über ihre Investitionspolitik im In- wie im Ausland anzustreben. Das Ziel sollten Investitionsschutz- und Handelsabkommen sein, die sich an EU-Standards und dem Grundsatz der Reziprozität orientieren. Der Ausschuss fordert vor allem eine Beschleunigung der Verhandlungen über das Investitionsabkommen mit China.

3.2.

Die Dauer des laufenden Screenings könnte zu einem wichtigen Hindernis für potenzielle Investoren werden und insgesamt die Wettbewerbsfähigkeit des Landes beeinträchtigen. Um diese negativen Auswirkungen zu verringern, sollte die Dauer des EU Investment Screenings nicht länger sein, als die nach nationalen Verfahren festgelegte Dauer.

3.3.

Um zusätzlichen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, muss geprüft werden, ob ein Mindestbetrag für Investitionen festzulegen ist, ab dem eine Überprüfung erforderlich ist. Dabei muss berücksichtigt werden, dass auch Unternehmensgründungen für eine Schlüsseltechnologie von erheblicher Bedeutung sein können.

3.4.

Obwohl die Verordnung darauf abzielt, mehr Informationen über ausländische Direktinvestitionen in der EU zu sammeln und den Einsatz von Screening-Mechanismen durch die Mitgliedstaaten zu überwachen, wird es in der Praxis sehr schwierig sein, eine harmonisierte Umsetzung auf EU-Ebene sicherzustellen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten gibt, in denen Mechanismen zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen bestehen, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist. Das System sollte nicht zu rechtlicher Ungleichheit und zu Verpflichtungen in Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen den Staaten und der Europäischen Kommission bezüglich des Informationsaustausches in Fällen führen, in denen geplante oder getätigte ausländische Investitionen Auswirkungen auf die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung haben könnten.

3.5.

Die Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Kommentare von anderen Mitgliedstaaten erhalten, nicht dazu, diese gebührend zu berücksichtigen. Dasselbe gilt für Stellungnahmen der Kommission zu einem Mitgliedstaat, der diesen Stellungnahmen der Kommission nicht unbedingt folgen konnte. Diese Fälle brauchen eine ausführlichere Erklärung. Es ist nicht klar, welche Konsequenzen (falls überhaupt) zu erwarten sind, wenn die Kommission die Erklärung des Mitgliedstaats für nicht angemessen hält.

3.6.

Für die zukünftige Entwicklung des Instruments für die Überprüfung von Investitionen sollten zumindest auch andere Faktoren berücksichtigt werden, die die Sicherheit und öffentliche Ordnung beeinflussen können: Praktiken, die den fairen Handel stören, Beeinträchtigungen des Wettbewerbs und fehlende Transparenz der Investitionen. Maßnahmen für Investitionen und Handel müssen Teil der EU-Industriepolitik sein.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Stellungnahme des EWSA zur Auslandsinvestitionspolitik, Berichterstatter: Herr PEEL (ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 150).


25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/101


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles“

(COM(2017) 678 final)

(2018/C 262/17)

Berichterstatterin:

Anne DEMELENNE

Mitberichterstatterin:

Vladimíra DRBALOVÁ

Befassung

Europäische Kommission, 13.12.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

27.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

194/3/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt generell die Bemühungen der Europäischen Kommission, das fortbestehende Lohngefälle zwischen Frauen und Männern durch in dem vorliegenden Aktionsplan unterbreitete Vorschläge für eine Reihe umfassender und kohärenter Maßnahmen abzubauen. Er ist jedoch der Auffassung, dass jeder der acht Aktionsschwerpunkte detaillierter ausformuliert werden sollte.

1.2.

Der EWSA empfiehlt, sich auf die kulturellen Wurzeln und die in den Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung bestehenden Stereotypen zu konzentrieren, die sich auf den beruflichen Werdegang auswirken. Des Weiteren empfiehlt er, die Gründe für die Segregation auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls näher zu beleuchten und wirksamere Maßnahmen für deren Bekämpfung vorzuschreiben.

1.3.

Der EWSA begrüßt den Kommissionsvorschlag für Lohntransparenz und für Vergütungsprüfungen in den verschiedenen Wirtschaftszweigen und Unternehmen, um die Erhebung individualisierter Daten (Statistiken) und entsprechende Aktionspläne zu erleichtern. Das Europäische Semester ist ein geeignetes Instrument, um die Mitgliedstaaten zu ermuntern, dringend angemessene Maßnahmen zu ergreifen und insbesondere eine solide Infrastruktur für zugängliche und erschwingliche Kinderbetreuungs- und Langzeitpflegestrukturen einzurichten.

1.4.

Der EWSA empfiehlt, die Bemühungen im Rahmen der Strategie Europa 2020 für das Erreichen der angestrebten Beschäftigungsquote von 75 % bei Frauen und Männern, vorzugsweise in Vollzeit, fortzusetzen.

1.5.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission die wesentliche Rolle der Sozialpartner hierbei als wichtige Akteure auf dem Arbeitsmarkt anerkennt. Er hebt zugleich den Beitrag der Organisationen der Zivilgesellschaft und der Grundsätze der Partnerschaft auf der Basis klar definierter Verantwortlichkeiten hervor.

1.6.

Der EWSA begrüßt es, dass die Kommission Finanzmittel für die verschiedenen Projekte vorgesehen hat, hält jedoch die Bereitstellung weiterer Mittel für die Umsetzung des gesamten Aktionsplans und insbesondere zur Finanzierung von Betreuungs- und Pflegeinfrastrukturen im mehrjährigen Finanzrahmen für unbedingt erforderlich, wodurch die Mitgliedstaaten jedoch nicht benachteiligt werden dürfen (d. h. unter Einhaltung der „goldenen Regel“).

2.   Einleitung

2.1.

Der Grundsatz des gleichen Entgelts ist seit 1957 in den Verträgen der EU verankert. Die Schaffung der Lohngleichheit bei gleichzeitiger Förderung der Frauenrechte ist für alle ein Gewinn: So nähern wir uns einer gerechten und fairen Gesellschaft, die allen nützt (1). Durch die Kämpfe für die Rechte der Frauen sind die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in den Vordergrund getreten und haben den Gesetzgeber (auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen) veranlasst, Maßnahmen in diesem Bereich zu ergreifen. Und doch bestehen diese Ungleichheiten in den verschiedenen sozialen Beziehungen fort — in der Familie, in der Schule, in der Gesellschaft, in der Politik und in der Arbeitswelt.

2.2.

Der Abbau des „unbereinigten“ Lohngefälles zwischen den Geschlechtern ist nach wie vor eine echte Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Die EU, die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner sind — mit Unterstützung der Zivilgesellschaft — aufgerufen, ihr Handeln über gezielte Ansätze mit einer Kombination legislativer und nicht-legislativer Maßnahmen zu koordinieren, mit denen im Rahmen der Umsetzung der Strategie Europa 2020 gleichzeitig die vielfältigen Ursachen der ungleichen Vergütung von Frauen und Männern sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene angegangen werden sollen.

2.3.

Das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen ist niedriger in Ländern, in denen die Gleichstellung generell höher ist und in Ländern, in denen Tarifverhandlungen weiter verbreitet sind. Schätzungen zufolge verringert sich das geschlechtsspezifische Lohngefälle um 0,16 %, wenn die Verbreitung des sozialen Dialogs um 1 % steigt, und je stärker die Lohnbildung koordiniert wird, desto gleichmäßiger sind die Vergütungen verteilt (2).

3.   Der Kontext in Zahlen

3.1.

Je nach Intensität des geschlechtsspezifischen Lohngefälles verdienen Frauen in der EU im Durchschnitt immer noch 16,3 % weniger als Männer. Das Verständnis der Ursachen und Folgen dieses Phänomens ist der erste Schritt zur Überwindung des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen. Die nachstehend beschriebenen Faktoren sind allesamt Teil des Problems wie auch Teil der Lösung.

3.2.

Die Beschäftigungsquote: In der Strategie Europa 2020 wird als Ziel festgelegt, dass im Jahr 2020 75 % Männer und Frauen in Lohn und Brot stehen sollen. Im Jahr 2014 betrug die Gesamtbeschäftigungsquote der EU 64,9 % mit einer besonders niedrigen Quote bei den Frauen (59,6 % gegenüber 70,1 % bei Männern im Alter zwischen 20 und 64 Jahren). Die Erwerbsbeteiligung von Frauen bekommt wesentliche Bedeutung, und der Arbeitsmarkt muss unter Sicherstellung seiner Zugänglichkeit für Frauen radikal angepasst werden. Nach den Schätzungen im Eurofound-Bericht über die geschlechtsspezifischen Beschäftigungsunterschiede entstehen der EU durch diese Unterschiede jährlich Kosten in Höhe von rund 370 Mrd. EUR bzw. 2,8 % ihres BIP.

3.3.

Teilzeit: Im Jahr 2015 arbeiteten rund 80 % der Beschäftigten in der EU in Vollzeit und 20 % in Teilzeit. Von diesen 44,7 Millionen Teilzeitkräften waren 10,0 Millionen unterbeschäftigt, d. h., sie wollten zusätzliche Arbeitsstunden leisten. Dies entspricht mehr als einem Fünftel (22,4 %) aller Teilzeitkräfte und 4,6 % der Gesamtbeschäftigung in der EU. Zwei Drittel der teilzeit- und unterbeschäftigten Arbeitnehmer waren Frauen (66 %). Dies wirkt sich negativ auf die Fortbildungsperspektiven, die Laufbahnentwicklung, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit und die Rentenansprüche aus.

3.4.

Gleichgewicht von Frauen und Männern in Führungspositionen: laut Gleichstellungsindex des hocheffizienten Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) von 2017 wies unter den acht durch den Index evaluierten Bereichen das Gefälle bei der Vertretung von Frauen und Männern in politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen die niedrigste Gleichstellungsquote auf. Bei einem besonderen Schwerpunkt auf der Wirtschaftswelt weisen die zusammen genommenen Ausgaben der Indizes von 2013 und 2017 jedoch einen schrittweisen Anstieg der Zahl der Frauen in Verwaltungsräten — von 9 % auf 21 % zwischen 2003 und 2015 — auf. Dies ist der Fall in Mitgliedstaaten, die zwingende Rechtsvorschriften angenommen haben, wie etwa Frankreich und die Niederlande. Diese Schätzungen betreffen nur große börsennotierte Unternehmen.

3.5.

Obwohl Kleinst- sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) die überwiegende Mehrheit der Arbeitgeber in Europa darstellen (im Jahr 2014 bildeten sie 99,8 % aller Unternehmen in der EU-28 und stellten mit knapp 90 Millionen Beschäftigten 67 % der Gesamtbeschäftigung), liegt der Schwerpunkt der Indikatoren und politischen Maßnahmen auf den größten Verwaltungsräten. Zwar haben die in den letzten zehn Jahren ergriffenen Legislativmaßnahmen zu vielversprechenden Fortschritten geführt, doch sind noch weitere Anstrengungen notwendig. Den Mitgliedstaaten stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung: freiwillige Konzepte, Quoten, Sanktionen usw.

3.6.

Die Krise und die in einigen Mitgliedstaaten im Rahmen von Haushaltsreformen ergriffenen Sparmaßnahmen hatten weniger Mittel und Investitionen für die soziale und öffentliche Infrastruktur zur Folge. Es wurde keine geschlechterdifferenzierte Folgenabschätzung durchgeführt, obwohl der Zugang zu dieser Infrastruktur schwieriger geworden ist. Dabei besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Armut der Mütter und dem Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung der Kinder. Darüber hinaus ist jetzt festzustellen, dass das geschlechtsspezifische Rentengefälle 2015 in der EU 38 % betrug (3); folglich lässt sich sagen, dass bei weitem mehr Frauen als Männer von Armut bedroht sind, wenn sie ein hohes Alter erreichen.

3.7.

Die geschlechtsspezifische Segregation in Berufen und Wirtschaftszweigen: Der Kommission zufolge ist die geschlechtsspezifische Segregation in den Wirtschafszweigen einer der wesentlichen Motoren für geschlechtsbedingte Lohnunterschiede. Bestimmte Wirtschaftszweige und Berufe werden nach wie vor von Männern beziehungsweise von Frauen dominiert: weniger Frauen entscheiden sich für einen Beruf in besser vergüteten Branchen wie Baugewerbe, Industrie, Verkehr, Wissenschaften und IKT. „Könnten mehr Frauen für den MINT-Sektor (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) gewonnen werden, so würde dies bis zum Jahr 2050 zu einem Anstieg des Pro-Kopf-BIP in der EU um 2,2 % bis 3,0 % beitragen“ (4). Zudem weist die Kommission darauf hin, dass Männer umgekehrt in den für die Zukunft der europäischen Gesellschaft und Wirtschaft wichtigen Schlüsselsektoren, wie Bildung, Betreuung und in Pflegeberufen im Gesundheitswesen selten anzutreffen sind.

3.8.

Dem Aktionsplan zufolge ziehen sich Frauen aus dem Arbeitsmarkt zurück, um sich um Kinder und/oder pflegebedürftige Familienangehörige zu kümmern, und wenn sie nicht vollständig aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, akzeptieren sie häufig Positionen, die eine geringere Qualifikation erfordern, um nach ihrer Rückkehr in den Beruf weiter ihren familiären Pflichten nachkommen zu können (5). In den Zielen von Barcelona, die jedoch bei weitem noch nicht erreicht sind, wird dargelegt, wie sich der Mangel an hochwertigen und erschwinglichen Kinderbetreuungseinrichtungen mit langen Öffnungszeiten negativ auf die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt auswirkt.

3.9.

Den Gehaltsauswirkungen auf bestimmte benachteiligte Gruppen (alleinerziehende Frauen, gering qualifizierte Frauen, die außerdem noch einen Migrationshintergrund, Behinderungen usw. haben) gebührt besondere Aufmerksamkeit.

4.   Der vorgeschlagene Aktionsplan

4.1.

Der von der Kommission unlängst vorgeschlagene Aktionsplan sieht ein kohärentes Bündel von Maßnahmen vor, um das geschlechtsspezifische Lohngefälle unter sämtlichen möglichen Aspekten zu bekämpfen, anstatt nur einen Faktor oder eine einzige Ursache isoliert anzugehen. Diese Maßnahmen werden sich gegenseitig verstärken. Der EWSA unterstützt den Plan, empfiehlt jedoch der Kommission, für die Bewertung der bereits befürworteten bestehenden Maßnahmen zu sorgen und sie gegebenenfalls im Rahmen des Europäischen Semesters umzusetzen.

4.2.

Es wurden acht Aktionsschwerpunkte festgelegt:

1.

Verbesserung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Arbeitsentgelts;

2.

Bekämpfung der beruflichen und sektoralen Segregation (horizontale Segregation);

3.

Durchbrechen der „gläsernen Decke“ (vertikale Segregation);

4.

Beseitigung der Benachteiligungen aufgrund familiärer Verpflichtungen;

5.

Verbesserung der Anrechnung von Kompetenzen, Anstrengungen und Zuständigkeiten der Frauen;

6.

Schaffung von Transparenz: Anprangerung von Ungleichheiten und Stereotypen;

7.

Sensibilisierung für und Information über das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern; und

8.

Ausbau der Partnerschaften zur Beseitigung des Lohngefälles zwischen Frauen und Männern.

Für die Wirksamkeit dieser Aktionen sind Synergien zwischen den von den wesentlichen Akteuren auf Ebene der EU, der Mitgliedstaaten und der Unternehmen ergriffenen Maßnahmen erforderlich.

4.3.

Für die Wirksamkeit dieser Aktionen sind Synergien zwischen den von den wesentlichen Akteuren auf Ebene der EU, der Mitgliedstaaten und der Unternehmen ergriffenen Maßnahmen erforderlich. Der EWSA stellt fest, dass die meisten vorgeschlagenen Maßnahmen zugunsten der Gleichstellung von Frauen und Männern angemessen sind, und ist der Meinung, dass dieser ambitionierte Aktionsplan wirksam sein wird, wenn er auf einem gemeinsamen Verständnis der Faktoren für das geschlechtsspezifischer Lohngefälle beruht. In diesem Zusammenhang ist die Erstellung von Statistiken durch Eurostat ein wichtiges Element, wobei diese auf individualisierten Daten und nicht mehr auf den Daten pro Haushalt beruhen muss, denn diese tragen zur Verschleierung der Armut von Frauen bei. Außerdem müssen alle öffentlichen und privaten Akteure den Aktionsplan auf allen Ebenen aktiv unterstützen: lokale Gebietskörperschaften, EU-Institutionen, Mitgliedstaaten, Sozialpartner, öffentliche und private Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Organisationen der Zivilgesellschaft usw.

4.4.

Der EWSA erinnert die Mitgliedstaaten an das Erfordernis, in nichtdiskriminierende und inklusive Bildungssysteme zu investieren. Es muss eine stärkere Durchmischung der Geschlechter beim Zugang zu einem Studium zukunftsträchtiger Fächer wie die MINT (Mathematik, Informatik — einschließlich IKT — Naturwissenschaften und Technik) gefördert werden, damit Mädchen einen Arbeitsplatz in besser bezahlten Branchen mit größeren Perspektiven erhalten können. Darüber hinaus müssten Frauen (mittels neuer Technologien wie Online-Schulungen) in den Genuss zusätzlicher Schulungen während ihrer gesamten beruflichen Laufbahn kommen können, die ein hervorragender Grund für eine Beförderung und damit eine Gehaltserhöhung sind. Zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen ohne Benachteiligung der Frauen sollte ferner dieselbe Durchmischung in den sozialen Bereichen gefördert werden, in denen sie am stärksten vertreten sind.

4.5.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Unternehmen für die Problematik des gleichen Arbeitsentgelts für Frauen und Männer zu sensibilisieren, was vor allem in ihrem eigenen Interesse ist: es geht angesichts der großen Herausforderungen des demografischen Wandels und des zunehmenden Mangels an Kompetenzen um die Verbesserung des Zugangs zu dem Arbeitskräftepotenzial, das die Frauen darstellen.

4.6.

Der EWSA ist generell der Auffassung, dass die Unternehmen mehr tun müssten, um den kulturellen Ursachen und den seit langem bestehenden Stereotypen entgegenzuwirken, die zu dem anhaltenden Lohngefälle beitragen. Die Kommission muss die Bewertung der bisherigen und den Ausbau der derzeitigen Maßnahmen gewährleisten.

5.   Die zentrale Rolle der Sozialpartner und der zivilgesellschaftlichen Organisationen

5.1.

Den Sozialpartnern liegen die Verwirklichung der Gleichstellung von Männern und Frauen und die Lösung der damit verbundenen Probleme sehr am Herzen.

5.2.

Der von den europäischen Sozialpartnern im Jahr 2005 unterzeichnete Aktionsrahmen für die Gleichstellung von Frauen und Männern zeigt bereits, wie die Frage des geschlechtsspezifischen Lohngefälles angegangen werden sollte: Nutzung der bestehenden praktischen Instrumente und Erstellung eindeutiger und aktueller Statistiken auf sektoraler bzw. nationaler Ebene, damit die Sozialpartner die komplexen Ursachen für das Lohngefälle analysieren und verstehen können. Dabei sind die Transparenz und Neutralität der Vergütungssysteme — einschließlich der Systeme zur Bewertung des Arbeitsplatzes und der Löhne und Gehälter (Brutto- und nicht Stundenlöhne) — in puncto Geschlecht zu gewährleisten, indem auf ihre etwaigen diskriminierenden Auswirkungen geachtet wird.

5.3.

Es sind angemessene flankierende Maßnahmen für die Unternehmen vorzusehen, um den Befürchtungen der Arbeitgeber hinsichtlich eines zusätzlichen Verwaltungsaufwands zu begegnen. Die Lohngleichheit fällt zugleich in die Verantwortung der Gewerkschaften und der Arbeitgeber. Natürlich müssen Initiativen zur Förderung der Chancengleichheit im Rahmen der allgemeinen Bildung, des Arbeitsmarktes, der Betreuungsstrukturen usw. ergriffen werden. Die Lohntransparenz ist jedoch auch eine Lösung, da die Transparenz und Vergütungsprüfungen eine wichtige Rolle in dem Prozess spielen. Die Unternehmen verpflichten sich allmählich, jegliche Form von Diskriminierung am Arbeitsplatz zu bekämpfen, und gehen diese Probleme bereits an, um geschlechtsneutrale Vergütungssysteme im Einklang mit der Vielfalt der nationalen Systeme der Arbeitsbeziehungen zu gewährleisten. Es ist wichtig, dass alle Akteure zur Überwindung des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen beitragen und dessen tatsächliche Ursachen erklären, einen kohärenteren, faktenbasierten Ansatz sicherstellen und mögliche Missverständnisse klären.

5.4.

Die Gewerkschaften erkennen an, dass die Existenz eines die Gleichstellung von Frauen und Männern begünstigenden Rechtsrahmens ein wichtiger Anreiz für die Verhandlungen sein kann, insbesondere um die Arbeitgeber von der wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung der Verhandlungen für die Gleichstellung zu überzeugen. In diesem Zusammenhang heißt es in einer Erhebung des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), dass im Fokus der meisten Lohnvereinbarungen für den Abbau des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen die Mindestlöhne und die Erhöhung des Gehalts von Geringverdienern stehen. Laut derselben Erhebung haben nur 20 % der Gewerkschaften Vereinbarungen ausgehandelt, mit denen die berufliche Segregation durch größere Lohnsteigerungen für Niedriglohnempfänger in Branchen mit überwiegend weiblich Beschäftigten bekämpft werden soll.

5.5.

Trotz einer Reihe gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmerinnen macht die Beteiligung von Frauen in den gewerkschaftlichen Führungsgremien nur langsame Fortschritte. Die Gewerkschaften müssen bei der Erarbeitung eines repräsentativen Aktionsplans für die Gleichstellung von Männern und Frauen eine größere Beteiligung beider Geschlechter anstreben. Ähnliches gilt für die Entscheidungsgremien der Verbände der (öffentlichen und privaten) Arbeitgeber und der Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich ebenfalls um eine größere Vielfalt bei der Ausarbeitung einer Gleichstellungsstrategie bemühen sollten.

6.   Perspektiven

6.1.

Beim Jahreswachstumsbericht 2018 (6) geht es darum, die positiven Impulse durch die derzeitige wirtschaftliche Expansion zu nutzen. Der Schwerpunkt liegt auf Reformen mit dem Ziel, die Investitionen in das Humankapital und die sozialen Bereiche entsprechend der „goldenen Regel“ zu erhöhen, die Funktionsweise der Produkt-, Dienstleistungs- und Arbeitsmärkte zur Steigerung der Produktivität und des langfristigen Wachstums zu verbessern sowie die Inklusion zu verstärken, was durch hochwertigere öffentliche Ausgaben, eine gerechtere Besteuerung und eine Modernisierung der öffentlichen Institutionen erreicht werden soll.

6.2.

Darüber hinaus kann der Jahreswachstumsbericht zu weiteren Etappen im gesamten Zyklus des Europäischen Semesters führen, indem alle Faktoren für das geschlechtsspezifische Lohngefälle in die Länderberichte und die länderspezifischen Empfehlungen aufgenommen werden.

6.3.

Die europäische Säule sozialer Rechte sollte darin vollständig integriert werden, wobei der Schwerpunkt auf Reformen zur Förderung des Kompetenzerwerbs durch die Arbeitnehmer, zur Förderung der Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und fairer Arbeitsbedingungen sowie zur Steigerung der Arbeitsproduktivität liegt, um die Anhebung der Löhne und Gehälter, insbesondere im Niedriglohnsektor, zu fördern und die Sozialschutzsysteme angemessener und nachhaltiger zu gestalten.

6.4.

Der EWSA hofft somit, dass die Verringerung des Lohngefälles zwischen Frauen und Männern durch die derzeitige, aufgrund des Wirtschaftswachstums und der europäischen Säule sozialer Rechte günstige Konjunktur neuen Schwung erhält und dass sich der vorgeschlagene Aktionsplan als wirklich effektiv erweist. Sollte dies bis Ende 2019 nicht der Fall sein, wird der EWSA der Kommission möglicherweise raten, auf der am besten geeigneten Ebene legislative und nichtlegislative Maßnahmen vorzuschlagen, namentlich was Sanktionen und/oder Anreize angeht.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Für einen umfassenden Überblick siehe „Global Gender Gap Report“ (Globaler Bericht über die Gleichstellung der Geschlechter) 2017: https://www.weforum.org/reports/the-global-gender-gap-report-2017.

(2)  Vom Exekutivausschuss des EGB in der Sitzung vom 17./18. Juni 2015 angenommene Entschließung: Collective bargaining — our powerful tool to close the gender pay gap (Tarifverhandlungen — ein effektives Instrument für den Abbau des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen).

(3)  Gemeinsamer Beschäftigungsbericht 2017.

(4)  COM(2017) 678 final.

(5)  ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 44.

(6)  COM(2017) 690 final.


Anlage

Nachstehend eine Liste der wichtigsten Dokumente zur Verringerung des Geschlechtergefälles, insbesondere des geschlechtsspezifischen Lohngefälles:

Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) (2006/54/EG), in welcher der in den EU-Verträgen seit 1957 verankerte Grundsatz des gleichen Entgelts festgeschrieben wird;

IAO-Übereinkommen Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts, 1951;

Empfehlung der Kommission zur Stärkung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Frauen und Männer durch Transparenz (2014/124/EU) und der Bericht über die Umsetzung der Empfehlung C(2014) 1405 der Kommission (COM(2017) 671 final);

Strategic engagement for gender equality 2016-2019 (Strategisches Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter 2016-2019);

Vorschlag für eine Richtlinie zur Gewährleistung einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern unter den nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften und über damit zusammenhängende Maßnahmen (COM(2012) 614 final);

Erklärung von Rom aus dem Jahr 2017;

Interinstitutionelle Proklamation der Europäischen Säule sozialer Rechte auf dem Sozialgipfel für faire Arbeitsplätze und Wachstum in Göteborg (Schweden);

Vorschlag für eine Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige (COM(2017) 253 final) und

Aktionsplan der EU 2017-2019 zur Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles (COM(2017) 678 final).