ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 209

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

60. Jahrgang
30. Juni 2017


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

523. Plenartagung des EWSA vom 22./23. Februar 2017

2017/C 209/01

Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschusses zu Diversifizierungsstrategien für den Wasser- und Meerestourismus (Sondierungsstellungnahme)

1

2017/C 209/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu Inseln in der EU: vom strukturell benachteiligten zum integrativen Gebiet (Sondierungsstellungnahme)

9


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

523. Plenartagung des EWSA vom 22./23. Februar 2017

2017/C 209/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine Weltraumstrategie für Europa(COM(2016) 705 final)

15

2017/C 209/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU(COM(2016) 723 final — 2016/0359 (COD))

21

2017/C 209/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Rahmen für die Sanierung und Abwicklung zentraler Gegenparteien und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1095/2010, (EU) Nr. 648/2012 und (EU) 2015/2365(COM(2016) 856 final — 2016/0365 (COD))

28

2017/C 209/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 in Bezug auf die Verschuldungsquote, die strukturelle Liquiditätsquote, Anforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten, das Gegenparteiausfallrisiko, das Marktrisiko, Risikopositionen gegenüber zentralen Gegenparteien, Risikopositionen gegenüber Organismen für gemeinsame Anlagen, Großkredite, Melde- und Offenlegungspflichten und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012(COM(2016) 850 final — 2016/0360 (COD)),Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf die Verlustabsorptions- und Rekapitalisierungskapazität von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen(COM(2016) 851 final — 2016/0361 (COD)),Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/59/EU über die Verlustabsorptions- und Rekapitalisierungskapazität von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG, 2002/47/EG, 2012/30/EU, 2011/35/EU, 2005/56/EG, 2004/25/EG und 2007/36/EG(COM(2016) 852 final — 2016/0362 (COD)),Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2013/36/EU hinsichtlich ausgenommener Einrichtungen, Finanzholdinggesellschaften, gemischter Finanzholdinggesellschaften, Vergütung, Aufsichtsmaßnahmen und -befugnisse und Kapitalerhaltungsmaßnahmen(COM(2016) 854 final — 2016/0364 (COD))

36

2017/C 209/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Sondierung — EU-Regulierungsrahmen für Finanzdienstleistungen(COM(2016) 855 final)

43

2017/C 209/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gründung der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1365/75 des Rates(COM(2016) 531 final — 2016/0256 (COD)), zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop) und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 337/75 des Rates(COM(2016) 532 final — 2016/0257 (COD)) und zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2062/94 des Rates(COM(2016) 528 final — 2016/0254 (COD))

49

2017/C 209/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Begriffsbestimmung, Aufmachung und Kennzeichnung von Spirituosen, die Verwendung der Namen von Spirituosen bei der Aufmachung und Kennzeichnung von anderen Lebensmitteln sowie den Schutz geografischer Angaben für Spirituosen(COM(2016) 750 final — 2016/0392 (COD))

54

2017/C 209/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1101/89 des Rates sowie der Verordnungen (EG) Nr. 2888/2000 und (EG) Nr. 685/2001(COM(2016) 745 final — 2016/0368 (COD))

58

2017/C 209/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Gemeinsamen Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Internationale Meerespolitik: Der Beitrag der EU zum verantwortungsvollen Umgang mit den Weltmeeren(JOIN(2016) 49 final)

60

2017/C 209/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/1036 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern und der Verordnung (EU) 2016/1037 über den Schutz gegen subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern(COM(2016) 721 final)

66

2017/C 209/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1059/2003 in Bezug auf die territorialen Typologien (Tercet)(COM(2016) 788 final — 2016/0393 (COD))

71


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

523. Plenartagung des EWSA vom 22./23. Februar 2017

30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/1


Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschusses zu „Diversifizierungsstrategien für den Wasser- und Meerestourismus“

(Sondierungsstellungnahme)

(2017/C 209/01)

Berichterstatter:

Tony ZAHRA

Befassung

Maltesischer Ratsvorsitz, 19.9.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

9.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

30.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

179/0/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Angesichts von Nachteilen wie Entfernung, Zugänglichkeit und Insellage ist der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) der Ansicht, dass eine günstige steuerliche Regelung für Inseln angestrebt werden sollte, bei der die besonderen Anstrengungen zu berücksichtigen sind, die für Investitionen, die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Anpassung der Öffnungszeiträume der Unternehmen unternommen werden, um die Auswirkungen der Saisonabhängigkeit zu verringern.

1.2.

Ungeachtet dessen, dass sich der Tourismus in Krisen als wenig anfällig und schnell erholungsfähig erwiesen hat, hält es der Ausschuss aufgrund der großen Bedeutung dieser Branche und ihres erheblichen Beitrags zur europäischen Wirtschaft für wichtig, die absehbaren Herausforderungen und Chancen im Wasser- und Meerestourismus, insbesondere im Mittelmeerraum, zu analysieren und anzugehen. Bei dieser Prüfung sollte die Vergleichbarkeit mit konkurrierenden Reisezielen gebührend berücksichtigt werden. Eine intelligentere Rechtsetzung und Politik ist ebenso grundlegend wie der Abbau bürokratischer Hürden für KMU.

1.3.

In der Region müssen mehr Mehrzielrouten entworfen und beworben werden, und es müssen gemeinsame/regionale Werbemaßnahmen unter den Mitgliedstaaten gefördert werden. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, schlagkräftige Marketingstrategien für die Diversifizierung und die Anpassung an den sich ändernden Geschmack und die Vorlieben der Kunden zu entwickeln. Hier gilt es aber auch die möglicherweise bestehenden Unterschiede bei der Bezahlbarkeit der entsprechenden touristischen Dienstleistungsangebote für die Bürger abzuschätzen.

1.4.

Angesichts der hohen Abhängigkeit der Mittelmeerländer vom Wasser- und Küstentourismus müssen sie die regionale Zusammenarbeit zum Schutz der marinen Ökosysteme intensivieren. In diesem Zusammenhang spricht sich der EWSA dafür aus, dass sich Mitgliedstaaten und Drittländer des westlichen Mittelmeerraums zusammentun, um gemeinsam Fragen des „blauen Wachstums“ (1) sowie der „blauen“ und „grünen Infrastruktur“ zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme anzugehen.

1.5.

Bautätigkeit und Landgewinnung an den Küsten zerstören auf dem flachen Festlandsockel unwiederbringlich den Lebensraum unter Wasser. Das Kontinentalschelf im Mittelmeer ist begrenzt, und diese Meereszonen müssen vor einer solchen Entwicklung geschützt werden. Ausgleichsmaßnahmen und die Bildung von Haushaltsreserven sollten auch für den Fall in Betracht gezogen werden, dass doch eine derartige Entwicklung stattfindet.

1.6.

Die Entwicklung des Wasser- und Meerestourismus muss auf der Basis der Grundsätze einer langfristig nachhaltigen Entwicklung erfolgen. Dazu ist die Entwicklung eines operationellen und messbaren Instruments erforderlich. Der EWSA empfiehlt für diesen Wirtschaftszweig die Entwicklung eines Systems harmonisierter Nachhaltigkeitsindikatoren, insbesondere für Inselstaaten und -regionen, die in hohem Maße auf Tätigkeiten im Küstenbereich angewiesen sind. Das von der Europäischen Kommission entwickelte „Europäische Tourismusindikatorensystem“ könnte dafür eine hervorragende Plattform sein.

1.7.

Die Entwicklung eines Systems von Nachhaltigkeitsindikatoren erfordert auch die Erfassung genauer Wirtschaftsdaten. Die Tourismusbranche ist sehr komplex und beruht auf einem vielfältigen Geflecht von Beziehungen zwischen vielen verschiedenen Interessenträgern. Zu diesem Zweck könnte sich die Entwicklung von Instrumenten zur Erhebung relativer Wirtschaftsdaten auf die Extrapolation aus dem Satellitenkonto-Modell stützen.

1.8.

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Meeresumwelt erfordern einen Dialog über innovative Lösungen. Dabei müssen spezielle Maßnahmen für gefährdete Gebiete Vorrang haben. Der Ausschuss verweist auf die jüngste Mitteilung der Kommission zur internationalen Meerespolitik und das darin enthaltene Paket von 14 Maßnahmen (2). Das siebte EU-Umweltaktionsprogramm (bis 2020) und die Ziele der EU im Bereich der Anpassung an den Klimawandel und der Eindämmung seiner Auswirkungen legen den Schwerpunkt auf Infrastrukturbereiche wie Energie und Verkehr, aber auch auf spezielle Aspekte im Zusammenhang mit dem Küsten- und Meerestourismus. Darüber hinaus bietet die Europäische Investitionsbank kleinen und mittleren Unternehmen Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionen in Tourismus- und/oder Konvergenzregionen.

1.9.

Die Abfallbewirtschaftung ist im Bereich des Wasser- und Meerestourismus ein entscheidender Faktor, da Tourismus selbst in erheblichem Maße Abfälle verursacht. Nach Schätzungen des WWF werden über 80 % der Meeresverschmutzung durch landseitige Aktivitäten verursacht. Verschlimmert wird das Problem durch die Vermüllung der Meere. Dies erfordert innovative Maßnahmen zur Verminderung der mit Abfällen verbundenen Probleme sowie eine koordinierte, wirksame Durchsetzung der Rechtsvorschriften. Der Ausschuss dringt auf eine harmonisierte Anwendung der internationalen Übereinkommen, um den Kapazitätsaufbau in Drittländern voranzutreiben.

1.10.

Angesichts der Wachstumserwartungen in diesem Wirtschaftszweig stellt die gesamte Abfallbewirtschaftungskette (von der Sammlung bis zur Beseitigung) eine enorme Herausforderung dar, vor allem in begrenzten Gebieten wie Inseln. In diesem Zusammenhang schlägt der EWSA außerdem die Gründung eines „Naturerbe-Bündnisses“ vor, das Insel- und Küstengebiete und wichtige Umweltakteure wie Stiftungen und internationale Organisationen vereint, um die europäischen Insel- und Küstengebiete zu Vorreitern bei weltweiten Maßnahmen für eine saubere Umwelt dank integrierter Ansätze für den Tourismus zu machen.

1.11.

Investitionen in Menschen sind eine Grundvoraussetzung für nachhaltiges und wettbewerbsorientiertes Wachstum. Die Branche findet jedoch nicht genügend qualifiziertes Personal, in erster Linie weil sie wegen der schlechten Karriereaussichten und des Mangels an Langzeitarbeitsplätzen als wenig attraktiv gilt. Der EWSA empfiehlt die Ausarbeitung eines strategischen Aktionsplans mit dem erklärten Ziel, dauerhaft einen Zustrom qualifizierter Arbeitskräfte anzuziehen, die eine langfristige Beschäftigung im Tourismusgewerbe suchen. Der Aktionsplan muss konkrete Vorschläge enthalten, die auf einem wissenschaftlichen, praxisbezogenen Ansatz basieren, um die Attraktivität der Branche zu verbessern.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der maltesische Ratsvorsitz hat den EWSA um eine Sondierungsstellungnahme zu „Diversifizierungsstrategien für den Wasser- und Meerestourismus“ im breiteren Kontext innovativer Strategien für die Entwicklung eines wettbewerbsfähigeren Umfelds in Europa mit einem besonderen Schwerpunkt auf dem Mittelmeerraum ersucht.

2.2.

Tourismus ist ein bedeutender weltumspannender Wirtschaftszweig mit großem Potenzial für Beschäftigung und Wirtschaftsentwicklung, wie in Artikel 195 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union anerkannt wird. 2014 wurden in der Tourismusbranche mehr als 1,6 Billionen EUR erwirtschaftet, d. h. annähernd 10 % des Gesamt-BIP der Union, und die Zahl der auf die direkten, indirekten und induzierten Auswirkungen der Tourismusbranche zurückzuführenden Arbeitsplätze in der EU beträgt 25 Mio. (3). Die Teilbranche Meerestourismus ist einer der Schwerpunktbereiche des maltesischen EU-Ratsvorsitzes. Die Entwicklung entsprechender touristischer Angebote und maritimer Dienstleistungen könnte zum Wachstumspotenzial in Küsten- und Inselgebieten der EU beitragen. Dazu ist es notwendig, unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale des Wasser- und Meerestourismus aktuelle Trends zu ermitteln und Prognosen zu erstellen, um ein klareres Bild innovativer Möglichkeiten zu erhalten.

2.3.

Der Wasser- und Meerestourismus ist mit annähernd 3,2 Mio. Arbeitsplätzen und einer Gesamtsumme von 183 Mrd. EUR an Bruttowertschöpfung (4) der wichtigste Teilbereich des Tourismus und die umfassendste maritime Tätigkeit in Europa und besitzt das Potenzial für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und nachhaltiges „blaues Wachstum“. Um Europa als weltweit führendes wassertouristisches Reiseziel bewerben zu können, muss die touristische Infrastruktur auf den Inseln und an den Küsten Europas den Nutzern angemessene und innovative Dienstleistungen bieten (u. a. auch Barrierefreiheit), während für die ortsansässige Bevölkerung eine nachhaltige Entwicklung sichergestellt werden muss. Der Binnengewässertourismus, der in einer Reihe von Mitgliedstaaten auf Seen, Flüssen usw. stattfindet, gehört ebenfalls zu diesem Sektor und muss im Zuge einer Überarbeitung berücksichtigt werden. Weiterhin umfasst die Branche auch eine große Schiffbauindustrie für Freizeitboote und Kreuzfahrtschiffe, in der Europa in der Weltwirtschaft führend ist.

3.   Vorschläge des EWSA für einen neuen Ansatz in der Tourismuspolitik

3.1.

Der Ausschuss hat in den letzten Jahren zu Fragen der Tourismuspolitik im Allgemeinen und zum Insel- und Küstentourismus im Besonderen Stellung genommen. So hat er angeregt, Programme für die kontinuierliche Fortbildung speziell für Beschäftigte der Tourismusbranche auf Inseln zu entwickeln, und vorgeschlagen, eine interregionale Schule auf einer strategisch günstig gelegenen Insel zu gründen, deren Konzept in etwa einem „Erasmusprogramm für Studenten und Beschäftigte in der Tourismusbranche“ entspräche.

3.2.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die in der EU angewandte Definition von „Inseln“ unangemessen ist und dahingehend geändert werden sollte, dass sie die neuen Gegebenheiten der erweiterten Europäischen Union mit Inselstaaten als Mitgliedern berücksichtigt. Mit Blick darauf, Europa weltweit als wichtiges touristisches Reiseziel zu fördern, empfiehlt er darüber hinaus, die makroregionale Zusammenarbeit (z. B. die Strategie für die Region Adria-Ionisches Meer, die Strategie für den Ostseeraum und die Donau-Strategie) zu verstärken, um Probleme wie das der Zugänglichkeit zu lösen. Dies erfordert eine gute territoriale Kontinuität mit Anbindung der Inseln ans Festland.

3.3.

Der Klimawandel macht entschiedene Anpassungsmaßnahmen zur Stärkung der Klimaresilienz der Inseln in allen Bereichen ihrer Wirtschaft erforderlich. Der EWSA hat die Einführung eines „Klimawandelchecks für Inseln“ empfohlen, in dem auf Energie und Verkehr (Infrastruktur und Zugänglichkeit), Anstieg des Meeresspiegels, Rückgang der Artenvielfalt und andere wichtige Fragen eingegangen werden sollte.

3.4.

Inseln sind in ihrem Wirtschaftssystem zu stark vom meist saisonalen Tourismus abhängig geworden, daher ist eine Diversifizierung erforderlich. Der Ausschuss hat betont, dass dadurch, dass die blaue Wirtschaft als unerschöpfliche Quelle ungenutzter Ressourcen erachtet und blaues Wachstum eindringlich als Allheilmittel gegen die Probleme der europäischen Wirtschaft beschworen wird, die verschiedenen Belastungen, denen die Küsten und Meere der EU schon jetzt ausgesetzt sind, noch verstärkt werden. Daher muss bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen auch weiterhin die langfristige Nachhaltigkeit der Leitgedanke bleiben.

3.5.

In der 2014 verabschiedeten Mitteilung „Eine Europäische Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung im Küsten- und Meerestourismus“ (5) befasst sich die Europäische Kommission mit aktuellen Mängeln bei der Governance und schafft einen Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen Behörden und öffentlich-privaten Partnerschaften, auch mittels territorialer Clusterbildung und integrierter Strategien. In Anbetracht der besonderen Gegebenheiten jedes einzelnen Meeresbeckens werden in der Mitteilung 14 konkrete Maßnahmen für die folgenden Bereiche vorgeschlagen: Unternehmensinvestitionen, hohe Saisonabhängigkeit, Produktdiversifizierung und Innovation, Anbindung, Zugänglichkeit, Verbesserung der Infrastruktur, Entwicklung von Kompetenzen und Schutz der Meeresumwelt. Die Durchführung des Aktionsplans läuft (6).

4.   Vorschläge des EWSA für Strategien zur Diversifizierung des Wasser- und Meerestourismus

4.1.    Bereichsübergreifender Umweltansatz

4.1.1.

In den vergangenen Jahren ist viel unternommen worden, um hochrangige Entscheidungsträger und Beteiligte auf die Verbindung zwischen Ozeanen und Klima aufmerksam zu machen. Dies hat zur Aufnahme der Ozeane in das Pariser Klimaschutzübereinkommen von 2015 und zu dem Sonderbericht des Zwischenstaatlichen Sachverständigenrates für Klimafragen („Weltklimarat“, IPCC) über Ozeane geführt. Diese Anstrengungen erfordern eine Unterstützung der Durchführung des Übereinkommens von Paris, einschließlich einer Stärkung der technischen Kapazitäten der Mitgliedstaaten zur Entwicklung technischer Lösungen für eine emissionsarme Zukunft.

Auf den Seeverkehr entfallen ca. 2,5 % der weltweiten Treibhausgasemissionen. Zwar drängt die EU auf ein globales Vorgehen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen aus der internationalen Schifffahrt, aber bis 2050 wird für die Schiffsemissionen noch eine erhebliche Zunahme prognostiziert. Der zweiten Treibhausgas-Studie der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) zufolge könnten der Energieverbrauch und die CO2-Emissionen von Schiffen durch betriebliche Maßnahmen und den Einsatz verfügbarer Technologien um bis zu 75 % verringert werden. Viele dieser Maßnahmen sind kosteneffizient und bieten Nettovorteile, weil sich betriebliche Aufwendungen oder Investitionsausgaben durch geringere Kraftstoffrechnungen amortisieren. Solche Verringerungen können durch die Anwendung neuer, innovativer Technologien erreicht werden.

4.1.2.

Unter dem Gesichtspunkt der großartigen Artenvielfalt des Mittelmeerraums ist er eine der wichtigsten Regionen der Welt, doch zugleich ist er für die Folgen des Klimawandels auch anfälliger als andere Regionen. Der Massentourismus an den Küsten ist einer der Hauptfaktoren für ökologische Schäden in der Region. Hier findet sich jedoch auch eine Natur von hohem Wert, was diesem Gebiet eine entscheidende Bedeutung für die Erhaltung der Biodiversität gibt. In diesem Zusammenhang ist eine regionale Zusammenarbeit zum Schutz der marinen Ökosysteme dringend geboten. Das Förderprogramm LIFE+ der Europäischen Union unterstützt die Ziele der EU-Strategie zur Erhaltung der Artenvielfalt und bietet Raum für die Finanzierung innovativer Projekte im Küsten- und Meerestourismus.

4.1.3.

Die Abfallbewirtschaftung ist in dieser Branche ein großes Problem, insbesondere auf Inseln, die stark saisonabhängig sind. Schwierigkeiten bereitet den meisten Inseln die Bewältigung der hohen Besucherzahlen zur Hauptsaison, die umfangreiche Investitionen für die Bereitstellung von ausreichend Wasser in geeigneter Qualität oder Abfallbehandlungsanlagen notwendig machen. Der Abschluss des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) bietet einen global anerkannten Rahmen für die Eindämmung von Gefahren für die Natur, von im Meer treibenden Abfällen und Mikroplastik bis zur nachhaltigen Verringerung des Verbrauchs an Einweg-Plastiktüten und deren Abschaffung.

4.1.4.

Verschiedene Studien und Berichte belegen, dass eine stärkere „grüne“ Ausrichtung für den europäischen Küstentourismus auch wirtschaftlich gesehen vorteilhaft wäre. Die EU muss den Mitgliedstaaten Anreize geben, ihre Bemühungen zugunsten eines „grünen“ Tourismus und zur Einführung „grüner“ Programme zwecks Abmilderung der Folgen des Klimawandels zu intensivieren. Flankiert werden sollte dies durch die Förderung eines sanften Tourismus als einem Teilsegment, das den Wassertourismus unterstützt.

4.1.5.

Diese Herausforderungen machen es umso wichtiger, bei der Entwicklung des Wasser- und Meerestourismus die Grundsätze einer nachhaltigen Entwicklung zu befolgen. Grundlage der Nachhaltigkeit muss jedoch ein operationelles, messbares Modell mit einem System von Indikatoren sein, um die meerestouristischen Aktivitäten und Entwicklungen — insbesondere in Inselstaaten und Inselregionen — überwachen und beobachten zu können. Die Reisedestinationen müssen ihrerseits prüfen, ob sie Tourismusintensitätsschwellen aufstellen sollten, deren Überschreitung eine Reihe von Problemen aufwerfen würde, die der Branche und ihrer langfristigen Nachhaltigkeit schaden können. Diese Schwellen betreffen insbesondere:

Verschlechterung und Verlust ökologischer Ressourcen

Überbeanspruchung der Umwelt und der physischen Infrastruktur

Konflikte zwischen Touristen und Einheimischen mit der Folge eines Nachlassens der örtlichen Gastfreundschaft

Unzufriedenheit der Gäste.

4.1.6.

Das „Europäische Tourismusindikatorensystem“, das 2013 von der Europäischen Kommission entwickelt und 2016 überarbeitet wurde (7), ist ein freiwilliges Managementinstrument mit einer Reihe von Kernindikatoren, mit dem Reisezielen die Überwachung und Quantifizierung ihrer Leistung im Bereich des nachhaltigen Tourismus erleichtert werden soll.

4.1.7.

In dieser Hinsicht ist die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) eine sehr wertvolle Quelle für Informationen, Statistiken und Empfehlungen, die bei der Aufstellung von Nachhaltigkeitsgrundsätzen unentbehrlich sind.

4.1.8.

Des Weiteren wird auf die EWSA-Stellungnahme zu den „Intelligenten Inseln“ verwiesen, insbesondere auf die bewährten Verfahrensweisen.

4.1.9.

Die Verfolgung der Schiffsbewegungen in der EU für Meeresökosysteme („Tracking European Operations for Maritime EcoSystems“) unter dem Dach von ERA-LEARN 2020 (flankierende Maßnahme — CSA), das durch Horizont 2020 finanziert wird, kann eine weitere, für die Verwirklichung dieses Ziels hilfreiche Ressource sein.

4.1.10.

Viele Organisationen und Institutionen setzen sich für den Umweltschutz ein, wie der WWF, die Plattform Ocean and Climate, die Konferenz der peripheren Küstenregionen Europas (KPKR), Greenpeace und verschiedene UN-Einrichtungen, die mit verschiedenen Strukturen der EU zusammenwirken und an der verstärkten Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen und öffentlichen und privaten Interessenträgern beteiligt sind. Dieser Prozess muss fortgesetzt werden, wenn er zum Erfolg führen soll.

4.1.11.

Gesunde Meeresökosysteme und in gutem Zustand befindliche Küsten-/Inselgebiete tragen in vielfacher Weise zu einem nachhaltigen Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Tourismus und Landwirtschaft, Fischerei, Aquakultur und Forstwirtschaft sind wichtige Wirtschaftszweige, die eine große Wirkung und Bedeutung für die durchgängige Berücksichtigung der Biodiversität als Querschnittsaufgabe haben. Eine nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung und Ernährungssicherheit sind weitere, damit verbundene Fragen, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Sektorspezifische Maßnahmen, die zur Erhaltung der Artenvielfalt beitragen, müssen in einem integrierten Rahmen entwickelt werden. Zur Frage der Meeresökosysteme verweist der EWSA auf die Richtlinie über die maritime Raumplanung (8) sowie das Übereinkommen von Barcelona von 1995 (9).

4.1.12.

Die Meeresverschmutzung rührt oft von unbehandeltem Abwasser und der Landwirtschaft her, aber bedroht sind die Meeresökosysteme auch durch kommerzielle Überfischung, Verseuchung durch Öl und andere gefährliche Stoffe sowie durch Einschleppen gebietsfremder Arten. Der falsche Umgang mit Ballastwasser kann ebenfalls erhebliche Folgen für die Umwelt haben (10). Meeresökosysteme sind eine wichtige Quelle der biologischen Vielfalt und die Europäische Union hat eine Reihe von Maßnahmen zugunsten einer gesunden Meeresumwelt ergriffen, um die Ökosysteme in europäischen Meeresgewässern bis 2020 widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen. Dies erfordert die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten.

4.1.13.

In dieser Hinsicht ist die Wahl der Umsetzungsinstrumente von strategischer Bedeutung, um sicherzustellen, dass alle Sektoren der Wirtschaft von den neuen Chancen profitieren, die durch gesunde Ökosysteme entstehen. Gleichzeitig sind Transparenz, eine angemessene Konsultation und Rechenschaftspflicht grundlegend dafür, dass das allgemeine Konzept eines verantwortungsvollen Handelns auch für den Tourismus gilt. Im Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) (11) wird darauf hingewiesen, dass Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft Voraussetzungen für Fortschritte und Nachhaltigkeit auf diesem Gebiet sind.

4.1.14.

Für eine bessere Einhaltung der rechtlichen Vorschriften müssen Sensibilisierungsmaßnahmen konzipiert und Anreize für saubere wasser- und meerestouristische Aktivitäten (einschließlich verwandter Wirtschaftszweige wie Jachtsport, Fischerei, Nahrungsmittelversorgung usw.) geboten werden. Dafür müssen umfassende bereichsübergreifende Schulungsprogramme entwickelt werden, um komplexe Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, während durch die Vernetzung der einschlägigen Tourismusgebiete ein Austausch von Daten und bewährten Verfahrensweisen ermöglicht würde.

4.1.15.

Europa muss seine natürlichen Ressourcen sinnvoll nutzen und für seine erstklassigen Orte werben, an denen Natur und Raumplanung in Küsten- und Meeresgebieten harmonisch zusammenspielen. Da den Küstengebieten in ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht eine besondere strategische Bedeutung zukommt, müssen auch die Probleme dieser Gebiete im Rahmen einer integrierten Politik der nachhaltigen Entwicklung angegangen werden, bei der der Raumplanung, der Ausgewogenheit zwischen der Nutzung erneuerbarer Energieträger und anderen Küstenaktivitäten sowie der Einhaltung städtebaulicher Vorschriften besonderes Augenmerk gelten sollte (12). Dabei muss für eine bestmögliche Umsetzung der Richtlinie über die maritime Raumplanung durch alle Mitgliedstaaten gesorgt werden. Da diese Richtlinie Küstengebiete nicht berücksichtigt, ist ein erneuter Verweis auf das Übereinkommen von Barcelona angebracht, dem passenderweise ein Protokoll über das Küstenzonenmanagement beigefügt ist.

4.2.

Langfristige Vorteile eines integrierten, bereichsübergreifenden Ansatzes

4.2.1.   Angleichung rechtlicher Anforderungen

4.2.1.1.

Der aktuelle Stand muss ordnungsgemäß bewertet werden, nachdem am 18. Januar 2016 die Frist für die EU-Mitgliedstaaten zur Änderung ihrer einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und zur Umsetzung der Richtlinie 94/25/EG über Sportboote in der durch die Richtlinie 2003/44/EG geänderten Fassung endete. Diese Richtlinie wurde erlassen, um die nachhaltige Entwicklung des Sektors zu fördern und die Zahl der Bootsunfälle durch die Einführung von Normen für die Sicherheit der Benutzer zu senken; außerdem enthält sie Normen betreffend die Abgas- und Geräuschemissionen.

4.2.1.2.

Zweck dieser europäischen Rahmenregelung war die Beseitigung von Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten, die den innergemeinschaftlichen Verkehr zu behindern drohten. Diese verpflichtende Angleichung hat einige Probleme mit sich gebracht, die dringend benannt und untersucht werden müssen, denn in puncto Anforderungen besteht offensichtlich nach wie vor keine Einheitlichkeit auf EU-Ebene. Es mangelt an Koordinierung und Vereinheitlichung, wie sich an den unterschiedlichen nationalen Ausbildungsprogrammen für Bootsführer (13) zeigt. Bei einem ineffektiven, unzweckmäßigen Vorgehen kann der zwischenzeitliche Umsetzungsprozess sogar kontraproduktiv sein und eventuell die Wettbewerbsfähigkeit der Freizeitbootindustrie gefährden, mit Folgen, die den eigentlichen Zielen des Wasser- und Meerestourismus zuwiderlaufen.

4.2.2.   Wettbewerbsfähigkeit

4.2.2.1.

In den vergangenen Jahren hatten verschiedene Teilbereiche dieses Wirtschaftszweigs unter der Volatilität der Nachfrage und Schwankungen in der Tourismusbranche im Allgemeinen zu leiden, wobei auch die in den Herkunftsländern herrschende konjunkturelle Lage eine Rolle gespielt hat. Die Nachwirkungen der jüngsten Terroranschläge in Europa und der folgende Anstieg anderer terroristischer Bedrohungen werden sich zweifellos auf den Tourismus auswirken. Der Tourismus hat sich jedoch im Laufe der Jahre — auch in sehr schwierigen Zeiten — als durchaus krisenfest erwiesen, wie die rasche Erholung nach der Wirtschaftskrise 2008-2009 und den anschließenden vielfältigen Krisen zeigt.

4.2.2.2.

Hochwertige touristische Produkte und Dienstleistungen werden immer wichtiger. Wir müssen innovativ sein, und es muss investiert werden. Wir müssen unser Augenmerk in der gesamten Wertschöpfungskette auf Diversifizierung und Verbesserung legen. Dies ist ein Weg, der dem Wasser- und Meerestourismus einen kräftigen Schub geben und die potenziellen Destinationen attraktiver machen kann. Auch besteht so die Möglichkeit der Anpassung an veränderte Konsummuster und an den demografischen Wandel, der die Reisegewohnheiten beeinflusst.

4.2.2.3.

Die Kunden werden immer abenteuerlustiger und sind eher bereit, neue Arten des Reisens auszuprobieren und neue Erfahrungen zu sammeln. Der vor Kurzem erfolgte, mit 1,5 Mio. EUR dotierte Aufruf der Kommission zur Einreichung von Vorschlägen zur Schaffung von Routen für Bootstouren, die den Wassertourismus ankurbeln, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Diese Initiative stärkt die Verbindungen zu anderen Wirtschaftszweigen und hilft, Gäste mit besonderen Interessen wie Gastronomie, Kultur und Freizeitaktivitäten anzuziehen.

4.2.2.4.

Im Rahmen ihrer Befugnisse ergreift die Kommission Maßnahmen zur Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit und der Nachhaltigkeit der Tourismusbranche, die auch für die Entwicklung des Wasser- und Meerestourismus von Vorteil sein können.

4.2.2.5.

Das Programm COSME ist eine solche Maßnahme, die im Laufe der vergangenen sechs Jahre in Bereichen wie Meeres- und Kulturtourismus, Gastronomie, Sport und Wellness die Entwicklung und Förderung von Angeboten im Rahmen eines länderübergreifenden themenorientierten Tourismus gefördert hat (14). Die Initiative „EDEN“ lenkt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auch auf weniger bekannte Reiseziele, die bei der Entwicklung eines nachhaltigen Fremdenverkehrs hervorragende Arbeit geleistet haben (15). 2010 standen Küsten, Flüsse und Seen als Reiseziele im Mittelpunkt und wurden die innovativen Ansätze ihres Wassertourismusangebots gefördert.

4.2.2.6.

Bei Investitionen für die Modernisierung von Küstengebieten, Jachthäfen und Häfen sowie zur Erhaltung des Natur- und Kulturerbes in den Küstengebieten können Regionen auch auf Mittel aus den europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) (16) zugreifen, sofern sie einen Beitrag zum Erreichen der entsprechenden thematischen Ziele leisten und Teil einer territorialen Entwicklungsstrategie sind. Die Kommission hat auch eine Broschüre (17) veröffentlicht, die einen umfassenden Überblick über Finanzierungsmöglichkeiten der EU für die Tourismusbranche bietet. Im Rahmen dieser verschiedenen Programme können die Interessenträger im Küsten- und Meerestourismus entsprechende Mittel beantragen.

4.2.2.7.

Zum Verknüpfen und Bewerben dieser Dienste sollten Produkte und Dienstleistungen, die dem Gast ein eindrücklicheres Urlaubserlebnis bescheren können, clusterartig gebündelt werden, indem Gäste z. B. zu einer umfassenden Auswahl an bevorzugten Produkten und Dienstleistungen, die ihnen besonders gefallen, geleitet werden. Das Konzept des „Clustering“, bei dem spezialisierte touristische Produkte und Dienstleistungen angeboten werden, wird im Tourismus immer beliebter. Ein gezieltes Marketing ermöglicht es unter Einsatz verschiedener (vor allem digitaler) Mittel, unmittelbar alle potenziellen Kunden zu erreichen, sodass eine direkte Verbindung zwischen den potenziellen Gästen und dem Reiseziel hergestellt werden kann.

4.2.3.   Beschäftigungspotenzial des Wasser- und Meerestourismus

Investitionen in Menschen sind eine Grundvoraussetzung für nachhaltiges und wettbewerbsorientiertes Wachstum. Die Erreichung dieses Ziels erfordert ein strategisches Veränderungsmanagement im Hinblick auf Gelegenheiten der Weiterqualifizierung, die Zusammenarbeit innerhalb der Branche und die Einsatz- und Führungsbereitschaft relevanter Interessenträger. Bei diesem Prozess müssen wichtige Interessenträger im Wege des sozialen und des zivilen Dialogs an einen Tisch gebracht werden, um sich auf eine gemeinsame Strategie für die Bewältigung einer Herausforderung zu einigen, mit der die meisten EU-Mitgliedstaaten konfrontiert sind. Dies kann auch als Grundlage dienen, um neue Beschäftigungsmöglichkeiten, insbesondere für junge Menschen, zu schaffen, die langfristige Nachhaltigkeit der Branche zu gewährleisten und die Rechte der Seeleute sowohl in Bezug auf ihre Beschäftigungsbedingungen auf See als auch mit Blick auf die Vorteile einer stärkeren Befolgung der Vorschriften zu wahren.

4.2.3.1.

In seiner Stellungnahme zu Wachstum und Beschäftigung im Küsten- und Meerestourismus (18) führte der EWSA aus, dass die vorgeschlagene Durchführung einer Umfrage zur Erfassung des Ausbildungsbedarfs und die Einrichtung einer Rubrik „Blue Jobs“ (Arbeitsplätze Küste/Meer) im EURES-Portal wichtige Aktionen seien, wobei die Kommission diese Umfrage allerdings möglichst umfassend verbreiten und die Mitgliedstaaten von der Notwendigkeit überzeugen müsse, die Ergebnisse in ihrer innerstaatlichen Ausbildungspolitik zu berücksichtigen. Die Ausbildung sollte auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber auch auf touristische Einrichtungen ausgerichtet sein. Im Rahmen der Ausbildung sollte auch stärker für die Bedeutung des Tourismus, das europäische Kulturerbe und die Umwelt sensibilisiert werden. Diese Sensibilisierung muss schon in der Schulzeit beginnen, damit jungen Menschen bereits früh entsprechendes Wissen vermittelt wird.

4.2.3.2.

Die Kommission hat zahlreiche Initiativen ergriffen, mit denen Kompetenzen im Tourismus entwickelt werden sollen, die auch für „Arbeitsplätze Küste/Meer“ vorteilhaft sein werden, so z. B. die „Agenda für neue Kompetenzen“ (19). Dieses wichtige Grundsatzpapier enthält eine „Blaupause zur Branchenzusammenarbeit für Kompetenzen“, in der festgestellt wird, dass Tourismus einer der sechs richtungsweisenden Bereiche zur Verfolgung konkreter Maßnahmen auf Grundlage eines industriegetriebenen Ansatzes ist. In diesem Zusammenhang wurde Ende Januar 2017 eine Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen im Rahmen des Programms Erasmus+ mit Mitteln in Höhe von 4 Mio. EUR veröffentlicht. Über den Fonds wird die Schaffung einer Plattform der wichtigsten Interessenträger der Branche (einschließlich Wirtschaft und Bildungseinrichtungen) gefördert. Diese werden für die nächsten 5-10 Jahre Maßnahmen vorschlagen und Empfehlungen geben. Die Plattform wird wichtige Trends und den Qualifikationsbedarf in diesem Bereich analysieren, konkrete Maßnahmen zur Deckung des kurz- und mittelfristigen Qualifikationsbedarfs entwickeln, Berufsprofile überarbeiten, Lehrpläne aktualisieren, die Attraktivität der Branche fördern und die Mobilität der Studierenden und Arbeitsuchenden fördern.

4.2.3.3.

Außerdem wird im Rahmen des Programms COSME im März 2017 eine Ausschreibung mit einer Mittelausstattung von 800 000 EUR zur Unterstützung von Maßnahmen zur Verbesserung des Ansehens der Berufe in der Tourismusbranche durchgeführt. Dazu zählen u. a. Sensibilisierungskampagnen für bestehende Initiativen und Instrumente für die Entwicklung von Kompetenzen im Tourismus und für das Image der Arbeit im Bereich Tourismus. Durchgeführt werden die Maßnahmen durch die Bereitstellung unterstützender Materialien, Interviews und Webinare, in denen auf die positiven Aspekte einer beruflichen Laufbahn in der Tourismusbranche (international, modern, dynamisch) eingegangen wird. Zielgruppen dieser Maßnahmen werden Tourismusunternehmen (einschließlich KMU) und Start-up-Unternehmen, aber auch Studenten und Arbeitssuchende sein.

4.2.4.   Statistische Wirtschaftsdaten

4.2.4.1.

Die wasser- und meerestouristische Wirtschaft ist sehr komplex und beruht auf einem vielfältigen Geflecht von Beziehungen zwischen vielen verschiedenen Interessenträgern. Die verschiedenen Wirtschaftstätigkeiten, die zusammen diesen Wirtschaftszweig ausmachen, weisen erhebliche Unterschiede auf. Statistische Informationen über Meeres- und Küstentourismus in den Mitgliedstaaten sind nicht immer leicht verfügbar, außerdem kann die Art ihrer Erhebung von einem Land zum anderen ganz anders sein. Dies kann eine Inkonsistenz der Daten hervorrufen, also zur Vorlage eines Zahlenmaterials führen, das nicht unbedingt präzise Schlüsse zulässt. Angesichts der Bedeutung der Branche für die europäische Wirtschaft sind konsistente, präzise Daten aber ein Muss. Dies würde es jedem Branchenbeteiligten ermöglichen, die Dynamik der nautischen Industrie und deren Einfluss auf die Wirtschaftsleistung der EU genau zu verstehen und sicher zu erfassen. Die Methode der Tourismus-Satellitenkonten (20) kann der Branche das benötigte Hilfsmittel an die Hand geben. Die über dieses System gewonnenen wirtschaftlichen Daten können mit der Sammlung anderer wichtiger Daten kombiniert werden, die zusammen das „Nachhaltigkeitsindikatorensystem“ bilden können. Eine Reihe von Mitgliedstaaten ist mit dem Instrument bereits vertraut, was den Prozess erleichtern wird.

Brüssel, den 30. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Mitteilung der Kommission: „Blaues Wachstum“, COM(2012) 494 final.

(2)  JOIN(2016) 49 final und https://ec.europa.eu/maritimeaffairs/policy/ocean-governance_de.

(3)  World Travel & Tourism Council: Travel & Tourism — Economic impact 2015 — European Union.

(4)  Europäische Kommission: „Study in support of policy measures for maritime and coastal tourism at EU level“ (Studie zur Unterstützung politischer Maßnahmen für Meeres- und Küstentourismus auf EU-Ebene), 2013.

https://ec.europa.eu/maritimeaffairs/sites/maritimeaffairs/files/docs/body/study-maritime-and-coastal-tourism_en.pdf.

(5)  COM(2014) 86 final.

(6)  https://ec.europa.eu/maritimeaffairs/policy/coastal_tourism_de.

(7)  http://ec.europa.eu/growth/sectors/tourism/offer/sustainable/indicators_de.

(8)  Richtlinie 2014/89/EU vom 23 Juli 2014, siehe auch https://ec.europa.eu/maritimeaffairs/policy/maritime_spatial_planning_de.

(9)  http://ec.europa.eu/environment/marine/international-cooperation/regional-sea-conventions/barcelona-convention/index_en.htm.

(10)  Derzeit gibt es keine eigentliche Rechtsvorschrift der EU über Ballastwasser, obwohl das Ballastwasserübereinkommen in der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten als eine mögliche Maßnahme für den Umgang mit relevanten invasiven Arten anerkannt wird.

(11)  Siehe Ratsdokument Nr. 13398/16 unter http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13398-2016-INIT/de/pdf.

(12)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 64.

(13)  Siehe auch ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 93.

(14)  https://ec.europa.eu/growth/sectors/tourism/offer/sustainable/transnational-products_de.

(15)  https://ec.europa.eu/growth/tools-databases/eden/about/themes_de.

(16)  http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docgener/informat/2014/guidance_tourism.pdf.

(17)  http://ec.europa.eu/growth/tools-databases/newsroom/cf/itemdetail.cfm?item_id=8496&lang=de.

(18)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 64.

(19)  http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1223&langId=de.

(20)  Das von der UNWTO entwickelte Tourismus-Satellitenkonto (TSA) ist ein statistischer Standardrahmen und das wichtigste Instrument für die wirtschaftliche Messung des Tourismus. Der empfohlene methodische Rahmen 2008 (auch bekannt als TSA: RMF 2008) bietet den aktualisierten gemeinsamen konzeptionellen Rahmen für die Einrichtung eines TSA.


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/9


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu „Inseln in der EU: vom strukturell benachteiligten zum integrativen Gebiet“

(Sondierungsstellungnahme)

(2017/C 209/02)

Berichterstatter:

Stefano MALLIA

Befassung

Sondierungsstellungnahme (maltesischer Ratsvorsitz), 16.9.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

8.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

29.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

163/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Seitens der EU müssen größere Anstrengungen zur Anerkennung der einzigartigen Herausforderungen unternommen werden, mit denen Inseln konfrontiert sind. Diese Herausforderungen können nicht allein im Rahmen der Kohäsionspolitik angegangen werden.

1.2.

Inseln sind in vielfacher Hinsicht strukturell benachteiligt, was häufig zu erschwerten Bedingungen für die Ausübung von Wirtschaftstätigkeiten führt. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der festen Überzeugung, dass die Politik in zentralen Bereichen wie Binnenmarkt, Wettbewerb, Verkehr, ländliche Entwicklung und Fischerei sowie die EU-Initiativen und -Programme zur Flankierung der Maßnahmen in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport in Bezug auf die Volkswirtschaften der Inseln flexibler umgesetzt werden müssen.

1.3.

Nach Ansicht des EWSA sollten die von Eurostat verwendeten Kriterien zur Definition einer Inselregion überprüft und angemessenere Kriterien angewandt werden (siehe Ziffern 2.4 bis 2.6).

1.4.

Besondere Aufmerksamkeit muss Menschen mit Behinderungen und generell benachteiligten Bevölkerungsgruppen geschenkt werden, da sie die Folgen der Probleme, mit denen Inseln konfrontiert sind, in der Regel stärker zu spüren bekommen als andere.

1.5.

Der EWSA hält es für wichtig, bei den Bemühungen zur Unterstützung der Inseln die Gewährleistung des Zugangs zu öffentlichen Dienstleistungen, die Ankurbelung eines nachhaltigen Wachstums sowie die Förderung von Vollbeschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und Zusammenhalt auf den europäischen Inseln in den Vordergrund zu stellen.

1.6.

Inseln und Inselregionen bieten häufig einzigartige Möglichkeiten für saubere Energielösungen. Der EWSA befürwortet alle in diese Richtung gehenden Anstrengungen der Kommission und unterstützt insbesondere den Übergang zu 100 % sauberen Energielösungen auf Inseln.

1.7.

Der EWSA unterstützt die vom Europäischen Parlament an die Kommission gerichtete Forderung, eine eingehende Studie über die den europäischen Inseln entstehenden Mehrkosten in Auftrag zu geben.

1.8.

Der EWSA fordert die Kommission und den Rat auf, alle Inselregionen bzw. Inseln der Mitgliedstaaten im Rahmen der Kohäsionspolitik nach 2020 im Bereich Infrastruktur als förderfähig einzustufen. Daher sollten alle Mittel, die 2014-2020 zum Abmilderung der besonderen Einschränkungen für Inseln gewährt wurden, einer Ex-post-Bewertung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit unterzogen werden.

1.9.

Der EWSA ruft die Kommission zur Festlegung eines geeigneteren Rechtsrahmens betreffend die Anwendung der Beihilferegeln auf Inseln sowie in Inselregionen und Inselmitgliedstaaten auf.

1.10.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Koordinierung über die dienststellenübergreifende Arbeitsgruppe für territoriale und städtische Entwicklung zu verstärken und das Instrument der territorialen Folgenabschätzungen zu nutzen, um wichtige Rechtsvorschriften zu überprüfen und zu ermitteln, wo Bestimmungen betreffend die Insellage eingefügt werden könnten.

2.   Insellage und Europa: allgemeiner Überblick

Eingrenzung der Thematik

2.1.

Auf den europäischen Inseln leben mehr als 21 Mio. Menschen. Dies entspricht ungefähr 4 % der Gesamtbevölkerung der EU-28. Wenn man die Bevölkerung aller EU-Inseln zusammennimmt (ausgenommen die Inseln, bei denen es sich um Staaten handelt, namentlich Großbritannien, Irland, Zypern und Malta), entspräche dies dem bevölkerungsmäßig elftgrößten Land Europas (1). Die Annahme eines integrierten politischen Rahmens, mit dem die Probleme der europäischen Inseln mit Blick auf den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt angegangen werden, ist daher dringend erforderlich.

2.2.

Die EU muss die einzigartigen Herausforderungen, mit denen Inseln konfrontiert sind, anerkennen. In diesem Zusammenhang bedarf es Anstrengungen sowohl auf EU-Ebene als auch der Mitgliedstaaten, um das Potenzial der Inseln in der EU bestmöglich auszuschöpfen.

2.3.

Diese Stellungnahme soll dazu dienen, die auf EU-Ebene geführte Debatte über die Berücksichtigung der Insellage in der EU-Politik neu anzustoßen, insbesondere mit Blick auf die Kohäsionspolitik nach 2020 und die Förderung eines von der Basis ausgehenden Ansatzes mit konkreterer Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner am Beschlussfassungsprozess, um Maßnahmen und Programme für die tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen zu entwickeln. Die Partnerschaft und Steuerung auf mehreren Ebenen im Sinne der Dachverordnung (2) müssen im Zeitraum nach 2020 weiter gestärkt werden.

2.3.1.

Ein weiteres Ziel dieser Stellungnahme ist die Formulierung geeigneter politischer Empfehlungen zur Charakterisierung des Konzepts der „integrativen Inseln“, die die Grundsätze der „Effizienz“ und „Gerechtigkeit“ als Säulen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und des sozialen Zusammenhalts aller Inseln in Europa in die Praxis umsetzen:

„Effizienz“ — es gilt zu gewährleisten, dass alle Inseln sich in ihrer Entwicklung voll entfalten können;

„Gerechtigkeit“ — es ist sicherzustellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von dem Gebiet, in dem sie leben, Chancen und Zugang zu Dienstleistungen haben.

Definition der Begriffe „Insel“ und „Insellage“

2.4.

Nach der Definition von Eurostat (3) ist eine Insel ein Gebiet, das folgende fünf Kriterien erfüllt: 1) Sie muss mindestens 1 km2 groß sein; 2) vom Festland mindestens 1 km entfernt liegen; 3) mindestens 50 ständige Einwohner haben; 4) es darf keine feste Verbindung zum Festland bestehen; 5) auf der Insel darf keine EU-Hauptstadt liegen.

2.5.

Die Inseln Europas können auch nach geografischen Gesichtspunkten, anhand der NUTS-Klassifikation (Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik) und nach ihrer Größe eingeteilt werden.

2.6.

Die Insellage wird anhand von drei Dimensionen definiert: 1) geringe Größe, 2) Abgelegenheit und 3) Anfälligkeit (4).

2.7.

Der Umgang der EU mit der Inselproblematik ist mit dem EU-Beitritt zweier kleiner Inselstaaten, Zypern und Malta, stärker ins Blickfeld gerückt.

2.7.1.

2008 wurde im Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt  (5) eine Definition des territorialen Zusammenhalts vorgeschlagen: „Es geht […] darum, die Vielfalt als Vorteil zu begreifen, der zu einer nachhaltigen Entwicklung der gesamten EU beitragen kann.“ Von dieser Warte aus kann die Insellage als Vorteil und potenzielle Entwicklungsquelle betrachtet werden.

2.8.

Die Kohäsionspolitik der EU für den Zeitraum 2014-2020 bildet die Grundlage für die Anpassung der EU-Programme an die Bedürfnisse benachteiligter Gebiete wie Inseln, insbesondere mit Blick auf die im Gemeinsamen Strategischen Rahmen beschriebenen territorialen Herausforderungen. Neue Instrumente zur Unterstützung integrierter territorialer Entwicklungsstrategien, die für den Zeitraum 2014-2020 eingeführt wurden, wie z. B. integrierte territoriale Investitionen und von der örtlichen Bevölkerung betriebene lokale Entwicklung müssen im Zuge der Vorarbeiten für die Kohäsionspolitik nach 2020 aus der Perspektive der Inseln weiter analysiert werden.

2.9.

Mit Blick auf die EWSA-Stellungnahmen Besondere Probleme der Inselgebiete und Intelligente Inseln  (6) sowie anhand der Halbzeitbewertung der Europa-2020-Strategie (7) wird deutlich, dass die kohäsionspolitischen Fördermittel in Bezug auf Inseln nicht die erwartete Wirkung gezeitigt haben. Ein Umdenken ist eindeutig erforderlich.

2.10.

Mit der Entschließung zu der besonderen Situation von Inseln  (8) legte das Europäische Parlament eine Grundlage für die Überarbeitung bestehender EU-Maßnahmen.

3.   Hauptprobleme der europäischen Inseln

3.1.

Den Schlussfolgerungen der ESPON-Studie Euroislands  (9) zufolge ist eine kurze Beschreibung der „Stärken und Schwächen“ sowie der „Chancen und Bedrohungen“ von Nutzen, bevor die Probleme der europäischen Inseln analysiert werden, um die Herausforderungen, vor denen die Inseln in den kommenden Jahren stehen werden, besser im Zusammenhang betrachten zu können.

3.1.1.

Was die „Stärken“ angeht, sind die Lebensqualität, das reiche Natur- und Kulturerbe und eine starke kulturelle Identität greifbare Einflussfaktoren, die zur Schaffung neuen Wohlstands und neuer Beschäftigung auf den Inseln genutzt werden sollten.

3.1.2.

Was die „Schwächen“ betrifft, beeinträchtigt die Insellage unmittelbar und dauerhaft auf einige der wichtigsten Parameter für die Attraktivität der Inseln, wie z. B. Zugänglichkeit, Dienste von öffentlichem Interesse, private Dienstleistungen und Netze, größenbedingte Vorteile und Marktorganisation.

3.1.3.

Als „Chancen“ können die Nachfrage nach Lebensqualität, hochwertige und sichere Lebensmittel, auf bestimmte Interessen ausgerichteter Tourismus und Dienstleistungen im Wohnungswesen genannt werden. Diese Faktoren sollten genutzt und in Stärken verwandelt werden, um den wesentlichen durch die Insellage bedingten Nachteilen im Zusammenhang mit der geringen Größe, der Abgelegenheit und der Anfälligkeit zu begegnen.

3.1.4.

„Bedrohungen“ ergeben sich mit Blick auf den Klimawandel, die Globalisierung, Wirtschaftskrisen, steigende Energiepreise, Wasserknappheit, die Verschlechterung der Bodenqualität und die Erschöpfung der Fischbestände.

3.2.

Auch wenn die Probleme der europäischen Inseln aufgrund spezifischer Faktoren (10) sehr unterschiedliche Auswirkungen haben, können sie in drei Hauptkategorien aufgegliedert werden: 1) Wirtschaft der Inseln; 2) soziale Gerechtigkeit und 3) Umweltschutz.

3.3.

Wirtschaft der Inseln: Das Pro-Kopf-BIP liegt auf den Inseln unter dem Durchschnitt der EU-28 (11). Der Prozess der wirtschaftlichen Annäherung geht in der Regel langsamer vonstatten als in den übrigen EU-Regionen. Im Falle vieler Inseln basieren das Pro-Kopf-BIP und die Beschäftigung auf dem Tourismus und einem großen öffentlichen Sektor, was eine geringe wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit signalisiert.

3.3.1.

Ein großes Problem für Inselgebiete sind die hohen Transportkosten und die mangelnden Verbindungen zu anderen Gebieten. Dieses Problem muss anerkannt werden und flexibel angegangen werden, damit die Volkswirtschaften der Inseln überleben und gedeihen können. Der Rechtsrahmen, namentlich die Verordnung (EWG) Nr. 3577/92, gestattet es den Mitgliedstaaten zwar, öffentliche Dienste zur Gewährleistung regelmäßiger Verbindungen zu den Inseln bereitzustellen, doch sollte überprüft werden, wie sich diese Maßnahme tatsächlich ausgewirkt hat.

3.3.2.

Ein weiterer Faktor, der sich negativ auf die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit einiger Inseln auswirkt, ist der Aspekt der „Monokultur-Wirtschaft“, da einige Inselwirtschaften in einer oder nur wenigen Branchen (z. B. Tourismus) spezialisiert sind oder aufgrund ihrer geringen Größe nur begrenzt wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben können.

3.3.3.

Der EWSA unterstützt die vom Europäischen Parlament an die Kommission gerichtete Forderung, eine eingehende Studie/Analyse der Mehrkosten vorzunehmen, die den europäischen Inseln in Bezug auf die Systeme für den Transport von Menschen und Gütern, die Energieversorgung und den Zugang zu Märkten, insbesondere für KMU entstehen.

3.4.

Soziale Gerechtigkeit: In den letzten zehn Jahren haben sich aufgrund verschiedener interner und externer Faktoren (Verkehr, wirtschaftlicher Wandel, Veränderungen in Bezug auf Lebensgewohnheiten, Kulturen und Ansprüche) tiefgreifende Veränderungen hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit auf den europäischen Inseln ergeben. Die Wirtschaftskrise hat sich negativ auf die soziale Gerechtigkeit ausgewirkt.

3.4.1.

Die am wenigsten entwickelten Inseln, die tendenziell stärker unter der Bevölkerungsalterung leiden, verzeichnen einen demografischen Rückgang.

3.4.2.

In bestimmten Inselregionen (z. B. Inseln im Mittelmeer) hat sich die Flüchtlingsmigration auf die Standards der sozialen Gerechtigkeit ausgewirkt. In jüngster Zeit gab es auf einigen Inseln einen großen Zustrom von Migranten, die zuweilen zahlreicher waren als die einheimische Bevölkerung, die ihrerseits nicht in der Lage ist, die erforderliche Unterstützung und Hilfe zu leisten. Der EWSA fordert die Kommission auf, weiterhin die Synergien zwischen dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) und den europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) zu stärken, und ermutigt die Mitgliedstaaten und Regionen, ESI-Mittel zur Unterstützung wirksamer integrationspolitischer Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Wohnungswesen und Diskriminierungsbekämpfung zu nutzen.

3.4.3.

Im Rahmen der EU-Initiativen und -Programme zur Flankierung der Maßnahmen in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport (z. B. Erasmus+) sollte die isolierte Lage der Inseln ebenso berücksichtigt werden wie der zuweilen bestehende Mangel an Sachverstand und Fachwissen, um eine angemessene Finanzierung und Funktionsweise des internationalen Austauschs und Zusammenwirkens zu gewährleisten.

3.4.4.

Menschen mit Behinderungen und generell alle benachteiligten Bevölkerungsgruppen bekommen die Folgen der oben genannten Probleme stärker zu spüren als andere. Das positive Beispiel der Kohäsionspolitik, in der zur Auflage gemacht wird, dass die Endbegünstigten dafür sorgen müssen, dass die mit Mitteln aus den ESI-Fonds finanzierten Projekte für Menschen mit Benachteiligungen zugänglich sind, sollte als Vorbild für alle EU-Politikbereiche gelten.

3.5.

Umweltschutz: Europäische Inseln liegen oft in Regionen, die aufgrund ihrer biologischen Vielfalt als einzigartige Orte betrachtet werden.

3.5.1.

Einer der Gründe hierfür sind stark fragmentierte Lebensräume. Der Artenreichtum der Land- und Meeresökosysteme vieler Inseln wird als besonders groß angesehen. Dies spiegelt sich in der Regel darin wider, dass es auf den meisten Inseln Schutzgebiete gibt.

3.5.2.

Die europäischen Inseln weisen einzigartige natürliche Gegebenheiten auf, doch ihre Ökosysteme sind sehr fragil und reagieren empfindlich auf menschliches Einwirken und sonstigen Druck von außen. Weitere Merkmale können wenig Ackerfläche, Dürren, steigende Meeresspiegel und Bodenerosion sein.

3.5.3.

Alle Inseln haben mehr oder weniger schwerwiegende Probleme im Zusammenhang mit Meeresverschmutzung, insbesondere durch den in unseren Meeren verbreiteten Plastikmüll und die davon ausgehenden Gefahren (hauptsächlich verursacht durch nicht von den Inseln ausgehende Aktivitäten), Wüstenbildung und Landschaftsschädigung, Süßwasserknappheit, Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, Abfall- und Abwasserwirtschaft.

4.   Auf dem Weg zu „integrativen Inseln“: nächste Schritte

4.1.

Der Weg nach vorn zur nutzbringenden Umwandlung dieser Herausforderungen besteht in der Herstellung eines harmonischen und besseren Gleichgewichts zwischen wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit, indem ein „ganzheitlicher Ansatz“ verfolgt wird, der auf die Umsetzung der Konzepte „Inseln der Qualität“, „grüne Inseln“ und „Inseln der Chancengleichheit“ ausgerichtet ist.

„Inseln der Qualität“ — Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand und Zusammenhalt der europäischen Inseln

4.2.

Der EWSA hält es für wesentlich, ein nachhaltiges Wachstum (in wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Hinsicht) zu fördern und Vollbeschäftigung, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Zusammenhalt auf den europäischen Inseln zu unterstützen, um im Sinne der Förderung einer wechselseitigen Solidarität unter den Inseln sowie zwischen den Inseln und dem Festland bestimmte Wirtschaftstätigkeiten zu festigen und zu diversifizieren.

4.2.1.

Trotz der Beeinträchtigungen durch Größe und Insellage können die Produkte der Inseln, die ausgehend von örtlichen Ressourcen und lokalem Wissen hergestellt wurden, wettbewerbsfähig sein. Neues Wissen, Innovation und qualifizierte Humanressourcen sind die Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Strategie, die „nischenorientiert“ sein muss.

4.3.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der festen Überzeugung, dass die Politik in zentralen Bereichen wie Binnenmarkt, Wettbewerb, Verkehr, ländliche Entwicklung und Fischerei in Bezug auf die Volkswirtschaften der Inseln flexibler umgesetzt werden muss. Wir dürfen uns nicht ausschließlich auf die Kohäsionspolitik verlassen, um die erforderlichen Ziele zu erreichen.

4.3.1.

Ein vorrangiger Ansatz, den es bei der Förderung von „Inseln der Qualität“ mit Blick auf die oben genannten Politikbereiche zu berücksichtigen gilt, steht mit der Nutzung der „offenen und sozialen Innovation“ für die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten und Unternehmen in Zusammenhang. Auf diese Weise könnte die Attraktivität der Inseln für ihre Bewohner gesteigert werden.

„Grüne Inseln“ — Gewährleistung von Nachhaltigkeit auf den europäischen Inseln

4.4.

Es ist wichtig, dass die Mitgliedstaaten das Engagement für eine nachhaltige Bewirtschaftung und Bewahrung der Umwelt durch die Nutzung der ESI-Fonds untermauern und dass die Vorzüge der Inselgebiete gestärkt werden. Wichtig ist auch die Umsetzung von Strategien für eine geringere Nutzung von Ressourcen wie Wasser, Land und Energie sowie für das Recycling von Abfällen der Wirtschaft und der örtlichen Bevölkerung.

4.5.

Der EWSA sieht die „Kreislaufwirtschaft“ als vorrangiges Thema für die europäischen Inseln an. Die Entwicklung eines Kreislaufwirtschaftsmodells für die europäischen Inseln wird dazu beitragen, die Volkswirtschaften der Inseln vor Risiken im Zusammenhang mit der Ressourcenversorgung und schwankenden Rohstoffpreisen zu schützen.

4.6.

Inseln und Inselregionen bieten häufig einzigartige Möglichkeiten für saubere Energielösungen. Die Europäische Kommission hat dies erkannt und zugesagt, die Entwicklung und Einführung der besten verfügbaren Technologien auf den Inseln und in den Inselregionen der EU zu unterstützen, u. a. durch den Austausch bewährter Verfahren in den Bereichen Finanzierung sowie Rechts- und Regulierungsrahmen (12). Der EWSA ermutigt die Kommission, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und den Inselbehörden in diese Richtung gehende Anstrengungen zu unternehmen, und bietet seine volle Unterstützung für die Umsetzung eines umfassenden Rechtsrahmens an, mit dem ein Übergang der europäischen Inseln zu 100 % saubere Energielösungen unterstützt wird.

„Inseln der Chancengleichheit“ — Gewährleistung von Erreichbarkeit und Konnektivität für alle Bewohner

4.7.

Der EWSA befürwortet die Förderung einer territorialen Entwicklung auf der Grundlage eines gleichberechtigten Zugangs aller Bürgerinnen und Bürger der Inseln zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI), der Zusammenarbeit zwischen den Systemen der Inseln und auf dem Festland, einer besseren Zugänglichkeit von Dienstleistungen, einer nachhaltigen Mobilität sowie der Modernisierung der Verkehrsträger und Kommunikationsinfrastrukturen.

4.8.

Es ist von wesentlicher Bedeutung, Umschulung und berufliche Weiterbildung zu fördern, um die vor Ort vorhandenen Humanressourcen optimal zu nutzen, gleiche Bedingungen und Chancen für Menschen mit Behinderung zu gewährleisten und das aktive Altern als strategische lokale Ressource zu unterstützen. Außerdem müssen auf den Inseln lebende junge Menschen dazu ermutigt werden, die EU-Programme zur Förderung der Mobilität für Ausbildungs- und Qualifikationszwecke wie „Erasmus +“ stärker in Anspruch zu nehmen.

4.9.

Die Herausforderungen, die in den nächsten Jahren von den Inseln der EU zu bewältigen sind, erfordern neben einer starken politischen Unterstützung eine intensivere Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner an der Entwicklung einer „neuen Strategie für die Inseln“ sowie ein unternehmerisches System, das durch Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von KMU flankiert wird.

4.9.1.

Deshalb muss den öffentlichen und privaten Wirtschaftsakteuren, den Sozialpartnern und den verschiedenen Akteuren der organisierten Zivilgesellschaft durch Ad-hoc-Schulungsprogramme sowie organisatorische und technische Unterstützung Fachwissen über die Maßnahmen, Programme und Finanzierungsmöglichkeiten der EU vermittelt werden.

4.10.

Der EWSA betont, dass digitale Kapazität ein entscheidender Aspekt ist, um die Nachteile der europäischen Inseln in puncto Konnektivität auszugleichen. Es sind weitere Investitionen in IKT-Infrastrukturen und Technologien erforderlich, um eine ausreichende Verfügbarkeit öffentlicher Dienstleistungen zu gewährleisten und den Bedürfnissen aller in Inselgebieten lebenden Menschen gerecht zu werden.

5.   Besondere Bemerkungen und Vorschläge

5.1.

Nach Auffassung des EWSA sollten die von Eurostat verwendeten Kriterien zur Definition von Inseln auf ihre Eignung hin überprüft werden.

5.2.

Der EWSA begrüßt, dass die Mitgliedstaaten nach dem Gemeinsamen Strategischen Rahmen 2014-2020 (13) dazu angehalten sind, geografische und demografische Gegebenheiten zu berücksichtigen und Maßnahmen zu ergreifen, um den besonderen territorialen Herausforderungen der einzelnen Regionen im Hinblick auf die Freisetzung ihres Entwicklungspotenzials gerecht zu werden. Dadurch leisten sie ihnen u. a. dabei Hilfestellung, möglichst wirksam ein intelligentes, nachhaltiges und breitenwirksames Wachstum zu erreichen. In diese Richtung gehende Anstrengungen müssen verstärkt werden, um konkretere Ergebnisse zu erzielen.

5.3.

Die größte Herausforderung für die Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit und des Zusammenhalts der europäischen Inseln besteht darin, ihre Attraktivität zu steigern. Den Schlussfolgerungen der Studie Euroislands  (14) zufolge müssen bei der Planung der Entwicklungsprozesse in Richtung eines intelligenten, nachhaltigen und breitenwirksamen Wachstums der europäischen Inseln zwei Hauptfaktoren in Betracht gezogen werden: die Attraktivität für Bewohner und die Attraktivität für Unternehmen.

5.4.

Unter Berücksichtigung der Entschließung des Europäischen Parlaments zu der besonderen Situation von Inseln und mit Blick auf die Entschließungen der Konferenz der peripheren Küstenregionen Europas (KPKR) schlägt der EWSA folgende Schritte zur Steigerung der Attraktivität vor:

Einstufung aller Inselregionen und Inselmitgliedstaaten als weniger entwickelte Gebiete im Rahmen der Kohäsionspolitik nach 2020;

Definition neuer und geeigneterer Kriterien für „staatliche Beihilfen“;

Einrichtung eines mit der Inselthematik befassten Referats in der GD Regio sowie eines spezifischen Arbeitsprogramms für Inseln;

Aufnahme von die Insellage betreffenden Bestimmungen in die wichtigsten EU-Rechtsvorschriften (soweit erforderlich).

5.5.

Der EWSA unterstützt den AdR in seiner Forderung nach einer intensiveren und gezielteren Unterstützung durch die Kohäsionspolitik und andere EU-Politikbereiche im Hinblick auf eine Wiederbelebung der Hafenstädte und -gebiete, einschließlich der Inseln, wobei die durch die Territoriale Agenda, die Städteagenda, die Charta von Leipzig und den Pakt von Amsterdam geschaffenen Möglichkeiten genutzt werden sollten (15).

5.6.

Die meisten kohäsionspolitischen Fördermittel werden vornehmlich in weniger entwickelten Regionen eingesetzt. Die Klassifizierung der Regionen im Rahmen der Kohäsionspolitik stützt sich weitgehend auf das regionale BIP, das aus einer Reihe von Gründen kein optimaler Indikator ist.

5.6.1.

In Anbetracht der Schlussfolgerungen des EWSA zur „Halbzeitbewertung der Strategie Europa 2020“ sollten zusätzliche Indikatoren zur Ergänzung des BIP bei der Vergabe von Strukturfondsmitteln ins Auge gefasst werden. Dies sollte im Ergebnis zu einer Aufstockung der Mittel für Inselgebiete führen. Der EWSA fordert die Kommission auf, weitere, über das BIP hinausgehende Indikatoren zu entwickeln, die der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Anfälligkeit der Inseln Rechnung tragen.

5.6.2.

Im Rahmen eines über das BIP hinausgehenden Ansatz könnten die europäischen Inseln als „weniger entwickelte Gebiete“ eingestuft werden. So könnten alle europäischen Inseln kohäsionspolitische Fördermittel für die Einrichtung und Umsetzung strategischer Infrastrukturen nutzen. Ferner könnte der Umfang der Hilfen für Unternehmen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und des Zusammenhalts dieser Gebiete aufgestockt und entsprechend ihres Attraktivitätsniveaus angepasst werden.

5.6.3.

Die Kommission sollte untersuchen, welchen Mehrwert ein innovatives Maßnahmenprogramm für Inseln erbringen kann, und innovative Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung der Inseln nach 2020 ermitteln und erproben.

5.6.4.

Angesichts der geomorphologischen und wirtschaftlichen Merkmale einiger europäischer Inseln (Küstengebiete, Binnen- und Bergregionen) ist die Umsetzung eines innovativen Ansatzes möglich, der darauf ausgerichtet ist, die Komplementarität zwischen den ESI-Fonds sowie Synergien zwischen den Strategien zur Unterstützung von „blauem Wachstum“ und „ländlicher Entwicklung“ zu fördern.

Brüssel, den 29. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  https://europeansmallislands.com/2017/02/11/the-11th-nation/.

(2)  Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013.

(3)  Portrait of Islands, Europäische Kommission, Eurostat, 1994.

(4)  Insularity and economic development: a survey, Manuela Deidda, CRENOS 2014.

(5)  Europäische Kommission, COM(2008) 616 endgültig — Brüssel, 6. Oktober 2008.

(6)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 7, ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 8,

http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.ten-opinions&itemCode=40697.

(7)  Siehe EWSA-Stellungnahme Bestandsaufnahme der Strategie Europa 2020 (ABl. C 12 vom 15.1.2015, S. 105).

(8)  Europäisches Parlament — Straßburg, 4. Februar 2016.

(9)  The Development of the Islands — European Islands and Cohesion Policy (EUROISLANDS) (liegt nur auf Englisch vor), EU-Programm ESPON 2013.

(10)  Geografische Lage, Nähe zum/Entfernung vom Festland bzw. zu/von wirtschaftlichen Zentren, Klima, touristische Attraktivität, Bevölkerungszahl, Perspektiven für Landwirtschaft und Fischerei sowie allgemeiner Entwicklungsstand.

(11)  Eurostat-Statistiken, im März 2016 erhobene Daten.

(12)  Mitteilung Saubere Energie für alle Europäer.

(13)  Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 („Dachverordnung“), Artikel 10 und Anhang I.

(14)  The Development of the Islands — European Islands and Cohesion Policy (EUROISLANDS) (liegt nur auf Englisch vor), Programm ESPON 2013.

(15)  http://cor.europa.eu/de/activities/opinions/Pages/opinions-and-resolutions.aspx.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

523. Plenartagung des EWSA vom 22./23. Februar 2017

30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine Weltraumstrategie für Europa“

(COM(2016) 705 final)

(2017/C 209/03)

Berichterstatter:

Mindaugas MACIULEVIČIUS

Befassung

Europäische Kommission, 26.10.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

9.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

30.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

199/02/03

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung der Europäischen Kommission „Eine Weltraumstrategie für Europa“ und unterstützt die darin vorgeschlagenen Leitlinien, die eine Reihe neuer Elemente beinhalten, wie die Öffnung gegenüber der Zivilgesellschaft, die Schwerpunktsetzung auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die Förderung von Forschung und Entwicklung sowie die notwendige Sicherstellung einer angemessenen Finanzierung von Weltraumaktivitäten, auch durch die Mobilisierung von privatem Kapital.

1.2.

Der EWSA bestärkt die Europäische Kommission darin, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen und sich noch ehrgeizigere Ziele zu setzen. In Kapitel 1 der Mitteilung „Maximierung des Weltraumnutzens für die Gesellschaft und die EU-Wirtschaft“ wird eine Reihe der Empfehlungen aufgegriffen, die der EWSA im Rahmen seines Projektes „Weltraum und Gesellschaft“ abgegeben hatte.

1.3.

Der EWSA ist sich des Dual-use-Charakters (Doppelverwendungsfähigkeit) von Weltraumfähigkeiten bewusst, bekräftigt jedoch erneut seine ausdrückliche Unterstützung für eine Weltraumpolitik, die auf zivile Anforderungen (Friede und Zusammenarbeit) ausgerichtet ist, wobei er sich der Bedeutung der Nutzung von Weltraumüberwachungssystemen für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bewusst ist. Diese Doppelverwendung ist eine Voraussetzung für den Erfolg integrierter und harmonisierter Maßnahmen zur Sicherstellung des Wohlergehens der europäischen Bürger.

1.4.

Aufgrund der bislang in punkto Genauigkeit und Zuverlässigkeit erzielten herausragenden Ergebnisse hofft der EWSA, dass die Europäische Kommission eine Verordnung vorlegen wird, mit der die Nutzung von Galileo als Satellitennavigationssystem in Europa als Priorität und in einigen bestimmten Fällen als bevorzugte Lösung eingeführt wird.

1.5.

Die für die kommenden Jahre geplanten Investitionen in die Programme Copernicus und Galileo sind ausreichend, sie müssen jedoch auch gesichert sein. Die Verhandlungen über den neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU werden 2018 eröffnet; der EWSA würde die Bereitstellung zusätzlicher Mittel begrüßen, um den neuen Herausforderungen in den Bereichen Klimawandel, Sicherheit und Verteidigung gegen externe Bedrohungen begegnen zu können. Sowohl das Programm „Horizont 2020“ als auch die Strukturfonds könnten zur Unterstützung der Entwicklungstätigkeiten des Weltraumsektors herangezogen werden.

1.6.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Europäische Investitionsbank auf, neue Finanzierungsoptionen zu ermitteln, um den Weltraumsektor für private Investoren attraktiv zu machen. Zu diesem Zweck könnte die Kommission Treffen in den jeweiligen Mitgliedstaaten veranstalten, zu denen Banken, institutionelle Investoren und Unternehmen eingeladen werden, um neue Investitionsformen, u. a. Weltraumcluster, zu beleuchten.

1.7.

Nach Meinung des EWSA ist die einzige Möglichkeit zur Gewährleistung des langfristigen Erfolgs der EU-Weltraumstrategie die aktive Einbeziehung aller Mitgliedstaaten durch konkrete und zielgerichtete Maßnahmen zum Kapazitätenaufbau, mit denen insbesondere Mitgliedstaaten unterstützt werden sollten, deren Weltraumfähigkeiten und -interessen noch in der Entwicklung begriffen sind. Dazu könnten u. a. Workshops, Sensibilisierungskampagnen, Konsultationen (fachlich wie auch nutzerorientiert), Demonstrationsprojekte und regionale Initiativen durchgeführt, Synergien zwischen fortgeschrittenen und aufstrebenden Mitgliedstaaten genutzt und weitere Initiativen ergriffen werden, die auf die Bedürfnisse der Mitgliedstaaten zugeschnitten sind.

1.8.

Bildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen zur Vermittlung der Vorteile weltraumgestützter Informationen und Daten sind von entscheidender Bedeutung. Die Aufnahme von Weltraumtätigkeiten in die Schul-, Berufs- und Hochschullehrpläne wäre ebenfalls ein wichtiger Schritt.

1.9.

Die Ausbildung von Technikern und Ingenieuren ist für die Zukunft der europäischen Industrie entscheidend. Die Stärkung des europäischen Arbeitsmarkts, die Verbesserung der Erprobungs- und Testinfrastruktur, der Exzellenzzentren und des lebenslangen Lernens sowie der kontinuierliche Ausbau der Kenntnisse und Kompetenzen, u. a. auch in der Weltraumwissenschaft, müssen die Eckpunkte der europäischen Weltraumstrategie sein.

1.10.

Aus diesem Grund fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, die Machbarkeit eines einzigen Portals, in dem sämtliche Tätigkeiten der verschiedenen einschlägigen Organisationen und Agenturen zusammengefasst sind, zu prüfen. Dieses Portal sollte für alle interessierten Bürger und Betreiber zugänglich sein und die Vorteile der laufenden Arbeiten sowie die Chancen der Weltraumwirtschaft, insbesondere für KMU, hervorheben.

1.11.

In einer vor Kurzem verabschiedeten Stellungnahme zur Europäischen Cloud-Initiative (1) hat der EWSA die Probleme, „die Europa daran hindern, das Potenzial der Daten auszuschöpfen, insbesondere im Hinblick auf die unzureichende Interoperabilität, die Fragmentierung der Strukturen und deren mangelnde Offenheit gegenüber anderen Beiträgen und einem Austausch“ betont. Dieselben Probleme bestehen natürlich auch in Bezug auf die terrestrische Infrastruktur des europäischen Weltraumsystems und müssen daher so schnell wie möglich angegangen werden.

1.12.

Mit der neuen Generation von Trägerraketen wie Ariane und Vega, die beträchtliche Kosteneinsparungen zum Teil auch dank der vertieften Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ermöglichen, verfügt Europa über eine exzellente Infrastruktur für Satellitenstarts. Durch die Entwicklung wiederverwendbarer Trägerfahrzeuge kann eine erhebliche Kostensenkung bewirkt und Ländern, die nicht über ausreichend Mittel für effiziente Weltrauminfrastrukturen verfügen, der Zugang zu Weltraumtätigkeiten ermöglicht werden.

1.13.

Es besteht wachsendes Interesse an der Nutzung von Kleinsatelliten für Kommunikations- und Überwachungssysteme. Selbst auf dem Erdbeobachtungsmarkt wird eine erhebliche Zunahme des Anteils von Kleinsatelliten durch neue Anwendungen erwartet. Daher muss die EU ihre Aufmerksamkeit auf die Entwicklung von Mini- und Nanosatelliten richten, um von diesem Markt zu profitieren, der im Übrigen nicht nur kleineren Mitgliedstaaten, sondern auch privaten Betreibern Möglichkeiten bietet. Der EWSA betont jedoch, dass durch eine derartige Zunahme kostengünstiger Erdbeobachtungssatelliten ungeheure Datenmengen generiert werden. Der Schutz der Privatsphäre der Bürger sollte Vorrang haben und durch entsprechende Sensibilisierungsmaßnahmen und strikte Vorschriften gewährleistet werden (2).

1.14.

Die Europäische Kommission muss sich prioritär mit der Gewährleistung des Zugangs zu und der Sicherheit von Weltrauminfrastruktur befassen. Die Zusammenarbeit mit anderen Staaten ist unerlässlich, um einen Wettlauf um die besten Umlaufbahnen wie auch Desinteresse an der Entsorgung von Weltraummüll zu verhindern. Daher müssen die diplomatischen Aktivitäten in punkto Weltraummanagement verstärkt werden. Gleichzeitig empfiehlt der EWSA, dass die EU Innovationen zur Entsorgung von Weltraummüll fördert.

1.15.

In jüngsten Sitzungen auf globaler Ebene (3) wurde die Bedeutung einer derartigen Zusammenarbeit ebenfalls hervorgehoben. Dabei wurden vier Säulen ermittelt: Wirtschaft, Gesellschaft, Zugang und Diplomatie. Der EWSA hat schon immer sein Augenmerk auf diese Aspekte gerichtet und ihre Bedeutung für die Wirtschaft und die Gesellschaft betont.

1.16.

Deshalb bedarf es eines neuen Konzepts für die Datennutzung, durch das der Zugang für KMU vereinfacht, die Bürger und die KMU über die Möglichkeit aufgeklärt werden, diskriminierungsfreien Zugang zu diesen Big-Data-Informationskanälen zu erhalten, der Schutz gegen Cyberangriffe verbessert und kontinuierlich neue Anwendungen durch zielgerichtete Initiativen, die auf der Kreativität der Forscher, Hochschulen und Unternehmen aufbauen, entwickelt werden. Der EWSA betont, dass gemäß dem Übereinkommen von Aarhus die Nutzung von Big Data zum Zwecke des Umweltschutzes zu erschwinglichen Kosten ermöglicht werden muss.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1.

Die EU weist heute den zweitgrößten Haushalt der Welt für die Raumfahrt auf und ist der größte institutionelle Abnehmer für Startdienste in Europa. Mit Copernicus für die Erdbeobachtung, EGNOS und Galileo für die Satellitennavigation und Geopositionierung verfügt sie über Weltraumsysteme von Weltrang. Von 2014 bis 2020 investiert die EU alleine 12 Mrd. EUR in Raumfahrtaktivitäten.

2.2.

Weltraumtechnologien sind für die europäischen Bürger ein unabdingbarer Bestandteil des täglichen Lebens geworden. Darüber hinaus können weltraumgestützte Lösungen von Vorteil in sehr vielfältigen Zusammenhängen sein, u. a. Katastrophenmanagement, Landwirtschaft, Transport- und Energieinfrastruktur und globale Herausforderungen. Weltraumtechnologien, -daten und -dienste können zahlreiche EU-Maßnahmen und zentrale politische Prioritäten unterstützen. Die Raumfahrt ist für Europa auch von strategischer Bedeutung, da sie Europas Rolle als globaler Akteur stärkt, Vorteile in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung bietet und zur Förderung von Beschäftigung, Wachstum und Investitionen beiträgt. Europa verfügt über eine starke Industrie für die Satellitenherstellung, die 33 % des offenen Weltmarkts ausmacht, und einen dynamischen nachgeordneten Dienstleistungssektor mit einer hohen Zahl an KMU. Im Jahr 2014 lag das Volumen der europäischen Raumfahrtbranche schätzungsweise bei 46 bis 54 Mrd. EUR, was etwa 21 % des globalen Weltraumsektors ausmacht.

2.3.

Ausgehend von Artikel 189 des Vertrags (AEUV) schlägt die Europäische Kommission eine neue Weltraumstrategie für Europa vor, die auf vier strategischen Zielen aufbaut:

A.

Maximierung des Weltraumnutzens für die Gesellschaft und die EU-Wirtschaft durch folgende Maßnahmen:

a)

Förderung des Einsatzes von Weltraumdiensten und -daten;

b)

die EU-Weltraumprogramme vorantreiben und dem neuen Bedarf der Nutzer gerecht werden;

B.

Förderung eines weltweit wettbewerbsfähigen und innovativen europäischen Raumfahrtsektors durch folgende Maßnahmen:

a)

Unterstützung von Forschung und Innovation und Entwicklung von Fähigkeiten,

b)

Förderung von Unternehmertum und neuen Geschäftsmöglichkeiten;

C.

Europas Unabhängigkeit beim Zugang zum Weltraum und seiner Nutzung in einem sicheren Umfeld stärken durch folgende Maßnahmen:

a)

Europas unabhängigen Zugang zum Weltraum wahren,

b)

den Zugang zum Funkfrequenzspektrum sichern,

c)

den Schutz und die Belastbarkeit kritischer europäischer Weltrauminfrastruktur gewähren,

d)

die Synergien zwischen zivilen und sicherheitsbezogenen Weltraumaktivitäten stärken;

D.

Europas Rolle als globaler Akteur stärken und internationale Zusammenarbeit fördern.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA hat die Europäische Kommission und die Interessenträger in Weltraumfragen stets tatkräftig unterstützt.

3.2.

In seinen Stellungnahmen zur Thematik Weltraum hat der EWSA eine Reihe von Prioritäten festgelegt:

Umsetzung proaktiver Maßnahmen zur Unterstützung von KMU und zur Förderung von Beschäftigung;

Einbeziehung der Mitgliedstaaten, deren Weltraumfähigkeiten und -interessen in der Entwicklung begriffen sind, in Weltraumtätigkeiten;

deutliche Verbesserung der europäischen Governance;

Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die strategischen Entscheidungen;

Investitionen in den Sektor und Betonung der Rolle von Finanzierung und Investitionsfonds;

Förderung von Forschung und Entwicklung sowie von Bildungsprogrammen auf allen Ebenen im Bereich Raumfahrt und Technologie;

Auf- und Ausbau der Zusammenarbeit zwischen europäischen, nationalen und regionalen Behörden, der Wirtschaft und den Endverbrauchern im Bereich Raumfahrt.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.    Die Weltraumstrategie und der MFR  (4) : Finanzielle Aspekte

4.1.1.

Eine ehrgeizige Strategie erfordert einen ehrgeizigen Haushalt. Laut Europäischer Kommission ist der EU-Haushalt für die Raumfahrt der zweitgrößte der Welt. Er setzt sich aus Haushaltsmitteln der EU, den Weltraumhaushalten der Mitgliedstaaten und dem Haushalt der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zusammen. Der US-amerikanische Weltraumhaushalt ist jedoch vier Mal höher als der EU-Haushalt. Die Höhe der realen Weltraumausgaben von China und Russland lässt sich nur schwer schätzen, da nicht alle Daten betreffend ihre Weltraumtätigkeiten öffentlich zugänglich sind. Setzt man den Haushalt für Weltraumforschung allerdings ins Verhältnis zum BIP, belegt Europa weltweit nur den sechsten Platz.

4.1.2.

Die ehrgeizigen Ziele der Europäischen Kommission erfordern die Mobilisierung massiver Investitionen, die der öffentliche Sektor allein nicht stemmen kann. Die Einbeziehung von Privatinvestoren, des Bankensektors sowie von Investitionsfonds und anderen Finanzakteuren ist für die Unterstützung der Forschung und der Entwicklung neuer Anwendungen von grundlegender Bedeutung.

4.1.3.

In der Mitteilung wird die entscheidende Rolle der KMU nicht ausreichend hervorgehoben bzw. gefördert; die Funktion der KMU und insbesondere von innovativen Start-ups sollte untermauert werden. Zwar wird der Innovationsstärke von KMU mehr Aufmerksamkeit gewidmet, die vorgeschlagenen Finanzlösungen entsprechen jedoch nicht dem echten Bedarf des Sektors, darunter dem chronischen Mangel an Finanzmitteln. Aufgrund der damit verbundenen hohen Risiken hält sich das Bankensystem bei Innovationsförderungen zurück. Viele KMU können sich nicht an öffentlichen Ausschreibungsverfahren beteiligen, weil diese häufig speziell auf große Anbieter zugeschnitten sind. Deshalb sollten KMU durch die Einführung von Ausschreibungen für Unternehmen dieser Größe stärker unterstützt werden. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung wäre auch, im Rahmen der größeren Projekte verstärkt Aufträge an eine breitere Palette KMU unterzuvergeben. Hier sind „Horizont 2020“ und andere FuE-Programme von großer Bedeutung und sollten aus Sicht der KMU maximal genutzt werden.

4.1.4.

Der EWSA zeigt sich auch über die möglichen Folgen des Brexit und seine Auswirkungen auf die europäischen Weltraumaktivitäten besorgt. Das Vereinigte Königreich ist einer der führenden Mitgliedstaaten in diesem Bereich. Daher muss die EU mögliche Wege der Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich in der Raumfahrt ausloten.

4.2.    Kapazitätenaufbau in den Mitgliedstaaten

4.2.1.

Nicht alle Mitgliedstaaten beteiligen sich stark an Weltraumtätigkeiten, und bedauerlicherweise wird der Nutzen von Weltraumtätigkeiten nicht von allen Sektoren (privat wie öffentlich) erkannt. Im öffentlichen Sektor zum Beispiel können Weltraumaktivitäten in einer Reihe von Bereichen effizient genutzt werden, darunter aktuelle Erdbeobachtung, Überwachung der Isolierleistung von Gebäuden, Ortung illegaler Deponien usw.

4.2.2.

Zur Gewährleistung der Wettbewerbsfähigkeit des EU-Weltraumsektors ist die Einbeziehung all der Mitgliedstaaten, deren Weltraumfähigkeiten und -interessen in der Entwicklung begriffen sind, zusammen mit ihren Interessenträgern, Unternehmern, Wissenschaftlern und anderen Institutionen unabdingbar. Die Europäische Kommission sollte konkrete Maßnahmen ins Auge fassen.

4.3.    Governance

4.3.1.

Der EWSA begrüßt, dass die jüngsten Diskussionen über die Governance-Frage, die der EWSA bereits in einigen früheren Stellungnahmen zur Sprache gebracht hatte, zu einer Klärung geführt haben. Auf der ESA-Ministerratskonferenz im Dezember 2016 wurde die ESA-Strategie (sowie die Aufteilung der Haushaltsmittel auf die verschiedenen Programme für den Zeitraum 2017-2021) bestätigt. Die ESA und die EU verfolgen nun keine unterschiedlichen Strategien mehr, sondern einander ergänzende.

4.4.    Anforderungen an nachgelagerte Dienste und Infrastrukturen

4.4.1.

Es müssen dringend große Datenzentren für die Speicherung, Vorverarbeitung und Analyse der von Copernicus heruntergeladenen Daten eingerichtet werden. Für die Entwicklung neuer Instrumente in diesem Bereich ist auch die Fähigkeit zur Nutzung historischer Daten in Verbindung mit Copernicus von großer Bedeutung.

4.4.2.

Die EU hat sich zur Einhaltung des COP-21-Übereinkommens und zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals — SDG) verpflichtet. Der EWSA betont, dass satellitengestützte Überwachungssysteme und Massendatenverarbeitungseinrichtungen vor Ort ein Schlüsselfaktor für die Einhaltung der Zusagen sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene sind. Wie er bereits in früheren Stellungnahmen, u. a. NAT/696 (5) betont hat, bedarf es in Verbindung mit dem Klimawandel zweifelsohne neuer Instrumente.

4.4.3.

Wie im Übereinkommen von Paris vereinbart, spielen Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (6) bei der Aufnahme von CO2 aus der Atmosphäre eine wichtige Rolle. Wälder dienen als Kohlenstoffsenken. Durch die tägliche präzise Überwachung des Zustands der Wälder kann illegale Abholzung verhindert und aktives Forstmanagement gefördert werden, u. a. durch die vermehrte Pflanzung von schnellwachsenden Bäumen sowie das frühzeitige Erkennen und Verhindern von Waldbränden. In den aktuellen EU-Vorschlägen ist vorgesehen, dass CO2-Emissionen aus Industrie oder Verkehr durch die Nutzung von Wäldern als Kohlenstoffsenken oder durch Bewaldung ausgeglichen werden können; damit wird wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekten mehr Gewicht beigemessen. Diese Vorschläge machen die dringende Notwendigkeit von Copernicus-gestützten Überwachungsinstrumenten deutlich. International gesehen sind diese Instrumente äußerst wichtig, da sie genutzt werden können, um die realen Fortschritte bei der Verringerung und Aufnahme von CO2-Emissionen in den verschiedenen Ländern weltweit präzise zu beobachten.

4.4.4.

Der EWSA erkennt die große Bedeutung von satellitengestützten Überwachungssystemen und Datenverarbeitungszentren für eine künftige nachhaltige Lebensmittelproduktion an. Insbesondere die Präzisionslandwirtschaft kann von diesen profitieren, nicht zuletzt weil durch Galileo und globale Navigationssatellitensysteme die Verwendung fossiler Brennstoffe reduziert werden kann. Zudem können mittels Software, die Aufnahmen von Copernicus in verschiedenen Spektren verwendet, exakt die Abschnitte der Felder ermittelt werden, in denen der Feuchtigkeits- oder Nährstoffgehalt nicht ausreichend oder zu hoch ist, wodurch wiederum die Wasser- und Nährstoffmenge angepasst und so Frischwasser eingespart und der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln verringert werden kann. Dadurch können die Nachhaltigkeit von Bewirtschaftungssystemen deutlich verbessert, Pflanzenkrankheiten frühzeitig erkannt und verhindert, künftige Erträge prognostiziert und sowohl erhebliche wirtschaftliche Vorteile als auch eine äußerst positive soziale und ökologische Wirkung erzielt werden.

4.4.5.

Die Präzisionsmeteorologie sollte weiterentwickelt werden, um Früherkennung und Prävention bzw. Vorsorge in Verbindung mit extremen Wetterbedingungen noch weiter zu verbessern, wodurch zur Verringerung von Ernteverlusten und zum Schutz von Gesundheit und Eigentum beigetragen werden kann.

4.5.    Information, Bildung und Sensibilisierung

4.5.1.

Der EWSA lancierte 2014 sein Projekt „Weltraum und Gesellschaft“, dessen Partner betonten, dass in Zukunft die gesamte Gesellschaft in die Debatte über die Bedeutung der Rolle Europas im Raumfahrtsektor einbezogen werden muss. Um die Erwartungen und Anforderungen der Zivilgesellschaft zu verstehen, muss diese in angemessener Weise konsultiert werden.

4.5.2.

In der Kommissionmitteilung wird diese strategische Herausforderung vollkommen ausgeklammert, obwohl sie 2016 die Öffentlichkeit zur Weltraumstrategie für Europa konsultiert hat. Die Debatte über die Weltraumpolitik ist seit jeher nur auf die grundlegenden Interessenträger beschränkt, wobei schlichtweg die Tatsache ignoriert wird, dass zur Schaffung eines verbraucherorientierten Marktes gerade auch diese Verbraucher über die Vorteile und Chancen in Verbindung mit der Technologie Bescheid wissen und aufgeklärt werden müssen.

4.5.3.

Die wichtigen Akteure verfolgen jeder für sich eine ganz eigene Kommunikationsstrategie, es gibt weder eine gemeinsame Vision noch einen gemeinsamen Strategieplan, die der Öffentlichkeit vorgelegt werden könnten. Der EWSA ist überzeugt, dass die Einbeziehung von Vertretern der Zivilgesellschaft aus dem öffentlichen und privaten Sektor in den Aktionsplan für die Ausarbeitung einer Strategie unabdingbar ist.

4.5.4.

Es sollten Treffen mit den Endverbrauchern auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene veranstaltet werden. Zudem müssen Informationskampagnen mit aktiver Beteiligung der lokalen Behörden organisiert werden.

4.5.5.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die wichtigsten Partner auf, in Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Organisationen und Unternehmen ein Webportal „Weltraum und Gesellschaft“ einzurichten. Information und Sensibilisierung sollten zu den obersten Prioritäten einer neuen Weltraumpolitik zählen, die letztlich den echten Anliegen der Bürger Rechnung tragen muss.

Brüssel, den 30. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 86, Ziffer 3.5.

(2)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 51.

(3)  Hochrangiges Forum „Space as a driver for socio-economic sustainable development“, Dubai, 24. November 2016.

(4)  Mehrjähriger Finanzrahmen.

(5)  ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 103.

(6)  LULUCF.


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/21


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU“

(COM(2016) 723 final — 2016/0359 (COD))

(2017/C 209/04)

Berichterstatter:

Antonello PEZZINI

Mitberichterstatterin:

Franca SALIS-MADINIER

Befassung

Europäisches Parlament, 16.1.2017

Europäischer Rat, 25.1.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

9.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

29.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

220/2/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt den Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen und eine zweite Chance und legt daher die Vorschläge der organisierten Zivilgesellschaft vor, die diesen Vorschlag inhaltlich ergänzen.

1.2.

Angesichts des Inhalts und der Notwendigkeit, die Vorschriften für den Binnenmarkt zu vollenden, legt der EWSA nahe, dem Vorschlag die Form einer Verordnung zu geben und keine Scheu vor einer größtmöglichen Harmonisierung der bestehenden Systeme zu haben.

1.3.

Der EWSA drängt darauf, die Verpflichtung der Unternehmensleitung, die Beschäftigten vorab und während der Verhandlungen zu unterrichten und anzuhören, in der Richtlinie förmlich zu präzisieren. Vor allem in den Phasen der frühzeitigen Restrukturierung ist stärker auf die Interessen der Arbeitnehmer zu achten. Ebenso muss beim Insolvenzverfahren explizit auf Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 2001/23/EG Bezug genommen werden, um die diesbezüglichen Rechte der Arbeitnehmer zu wahren.

1.4.

Der EWSA fordert die Kommission auf, in der Richtlinie die Vorschrift zur „Antizipation“ von Insolvenzen mittels der Abfassung eines Verhaltenskodexes als Grundprinzip aufzunehmen. Zu diesem Zweck schlägt der EWSA vor, den Grundsatz des ordnungsgemäßen „social warning“ (Sozialalarm) in die Richtlinie aufzunehmen.

1.5.

Der EWSA empfiehlt, in die Richtlinie den übergeordneten Grundsatz aufzunehmen, dass in allen Mitgliedstaaten im Falle einer Insolvenz allen Arbeitnehmern der Status vorrangiger Gläubiger gewährt wird. Zudem schlägt der EWSA die Schaffung eines nationalen Fonds (sofern noch nicht vorhanden) zur Versicherung gegen Risiken vor, der in allen Mitgliedstaaten die Zahlung der Löhne der Beschäftigten sicherstellt. Ein solcher Fond, wie er bereits in einigen Mitgliedstaaten besteht, könnte durch entsprechende Beiträge der Arbeitgeber finanziert werden. Die Staaten könnten an der Verwaltung dieses Fonds mitwirken und als Garanten fungieren.

1.6.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, zügig Modalitäten und Fristen für die rechtzeitige Erkennung der Schwierigkeiten eines Unternehmens auszumachen.

1.7.

Die freien Berufe, Sachverständigen und Angehörigen der Rechtsberufe, die in diesem Bereich befasst werden, müssen über eine angemessene gemeinsame Ausbildung und ausgiebige Erfahrungen verfügen, um auf diesem bislang wenig sondierten Terrain arbeiten zu können.

1.8.

Die Kriterien der Vertrauenswürdigkeit von Unternehmern im Zusammenhang mit redlichem beruflichem Verhalten, die mit entsprechenden, von den Behörden erstellten Bescheinigungen belegt werden müssen, sind zu überprüfen. Solche Bescheinigungen rechtfertigen die Inanspruchnahme der zweiten Chance.

1.9.

Der EWSA fordert, in der Richtlinie als unerlaubte Praxis zu bezeichnen, wenn die Unternehmensleitung das Insolvenzverfahren zur Verweigerung von Arbeitnehmerrechten missbraucht. Daher ist dem betreffenden Unternehmensleiter der Zugang zu einem Moratorium oder einer zweiten Chance zu verwehren.

1.10.

Der EWSA begrüßt, dass den Gerichten, die nur in Notfällen eingreifen, eine subsidiäre Rolle zugedacht wird.

1.11.

Der EWSA unterstreicht den gesellschaftlichen Wert eines Unternehmens und das Engagement dafür, es dank schlanker, erschwinglicher und zügiger Verfahren am Laufen zu halten. Dies steht im Einklang mit den Werten des EU-Vertrags (Artikel 3) und des guten Glaubens des Unternehmers.

2.   Die Regelungen für Unternehmensinsolvenzen in der EU

2.1.

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben am 20. Mai 2015 die Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten (im Folgenden „die Verordnung“) erlassen.

2.2.

In der neuen Rechtsvorschrift wurden die neuen Vorstellungen über die Ziele des Konkursrechts berücksichtigt, denen zufolge die Konkursverfahren nicht mehr nur ausschließlich unter dem Aspekt der Liquidation, sondern als Instrument verstanden werden, die organisierte Ressourcenstruktur des Unternehmens zu erhalten — also auch das Recht auf Arbeit der Angestellten — und wo immer möglich den Fortbestand des Unternehmens zu sichern.

2.3.

In den verschiedenen Mitgliedstaaten, in denen die Restrukturierungsverfahren Vorrang vor Liquidationsverfahren haben, liegt die Beitreibungsrate bei 83 % anstatt bei 57 % (1).

2.3.1.

Außerdem ist die Verfahrensdauer (2) in den verschiedenen Staaten sehr unterschiedlich und variiert zwischen wenigen Monaten und mehreren Jahren.

2.3.2.

Zahlreiche Unterschiede bestehen auch bezüglich der Möglichkeit, Zugang zu Restrukturierungsverfahren vor der Insolvenzerklärung zu bekommen.

2.3.3.

Jüngste Studien (3) haben gezeigt, dass die Vorschriften des Insolvenzrechts nicht vollkommen geeignet sind und übermäßige Unterschiede zwischen dem einzelstaatlichen Recht bestehen, wodurch der Kapitalfluss im Binnenmarkt behindert wird.

2.4.

Für die Unternehmer, deren Chancen für das wirtschaftliche Überleben in den ersten fünf Jahren bei ca. 50 % (4) liegen, besteht das Ziel darin, in evidenten Krisenzeiten auf ein Moratorium zurückgreifen und anschließend den Erlass ihrer Schulden im Zeitraum von höchsten drei Jahren erhalten zu können. Damit werden die Stigmata des Scheiterns beseitigt und redliche Unternehmer zu einem zweiten Versuch ermuntert.

2.5.

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Raums des Rechts ist die Einrichtung eines elektronischen Systems zur Verknüpfung der sogenannten Insolvenzregister. Diese müssen bis Juni 2015 in jedem Mitgliedstaat eingerichtet werden und über das Europäische Justizportal unentgeltlich zugänglich sein.

2.6.

Nach Aussage der Kommission scheitern jedes Jahr in Europa 200 000 Unternehmen, was zum Verlust von 1,7 Mio. Arbeitsplätzen führt. Dies ließe sich häufig vermeiden, wenn wirksamere Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren zur Verfügung stünden.

2.7.

Bei der Überprüfung der Umsetzung der Empfehlung der Europäischen Kommission von 2014 bezüglich Umstrukturierung und zweite Chance hat sich ergeben, dass unbeschadet der Reformen im Bereich Insolvenz die Vorschriften immer noch uneinheitlich und in einigen Staaten nach wie vor unwirksam oder inexistent sind. Im Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion von 2015 wurde eine Gesetzgebungsinitiative im Bereich Unternehmensinsolvenzen einschließlich Bestimmungen zu einer frühen Restrukturierung und zweiten Chance angekündigt.

2.8.

Die Kommissionsinitiative sollte auch im Licht der verschiedenen Empfehlungen gesehen werden, die der EWSA zur Verdeutlichung u. a. folgender Punkte vorlegt:

die Unterschiede zwischen dem einzelstaatlichen Insolvenzrecht können zu ungerechtfertigten Wettbewerbsvor- oder -nachteilen führen;

die Frage der Insolvenzregelungen muss unter dem Aspekt des Arbeitsrecht gesehen werden, da unterschiedliche Definitionen für die Begriffe „Arbeit“ und „abhängig Beschäftigte“ die Rechte der Arbeitnehmer in der EU im Falle einer Insolvenz beeinträchtigen können;

die fehlende Harmonisierung bezüglich der Rangfolge der Gläubiger kann die Vorhersehbarkeit des Ausgangs von Gerichtsverfahren verringern;

die Insolvenzverfahren sollten von eventuellen Gläubigern oder nur einem Gläubiger nicht missbräuchlich eingesetzt oder instrumentalisiert werden können;

es müssen Maßnahmen zur Verhinderung der Wahl des günstigsten Gerichtsstandorts ergriffen werden.

3.   Die Kommissionsvorschläge

3.1.

Der Kommissionsvorschlag, der auf Artikel 53 und 114 AEUV basiert, konzentriert sich auf drei wesentliche Elemente:

gemeinsame Grundsätze bezüglich der Rahmen für rechtzeitige Restrukturierung, die den Unternehmen dabei behilflich sind, ihre Tätigkeit fortzusetzen und Arbeitsplätze zu erhalten;

Vorschriften, die den Unternehmern ermöglichen, mittels eines Erlassens ihrer Schulden innerhalb von höchstens drei Jahren in den Genuss einer zweiten Chance zu kommen;

Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Steigerung der Wirksamkeit von Insolvenz-, Umstrukturierungs- und Schuldenerlassverfahren, um die Dauer und die übermäßigen Kosten der Verfahren zu senken, Rechtsunsicherheiten für Gläubiger und Anleger zu beseitigen und die Beitreibungsraten unbeglichener Schulden zu steigern.

3.2.

Die neuen Vorschriften enthalten einige Grundsätze zur Gewährleistung kohärenter und wirksamer Rahmen für Insolvenz und Umstrukturierung in der gesamten EU:

Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten, insbesondere KMU, haben Zugang zu Frühwarnsystemen mit der Funktion, eine Verschlechterung der Geschäftslage zu erkennen und eine frühzeitige Restrukturierung sicherzustellen;

die präventiven und flexiblen Restrukturierungsrahmen müssen für eine Vereinfachung der Gerichtsverfahren in puncto Fristen, Kosten und Komplexität sorgen;

maximal vier Monate Aufschubfrist für Schuldner vor der Anwendung von Vollstreckungsmaßnahmen, um Verhandlungen im Hinblick auf eine wirksame Restrukturierung zu ermöglichen;

keine Möglichkeit für ablehnende Gläubiger und Minderheitsaktionäre, Restrukturierungspläne zu blockieren, jedoch unter voller Wahrung ihrer legitimen Interessen;

Schutz der neuen Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen, um die Möglichkeiten für wirksame Restrukturierungen zu erhöhen;

Gewährleistung des vollen arbeitsrechtlichen Schutzes während präventiver Restrukturierungsmaßnahmen im Einklang mit den bestehenden EU-Rechtsvorschriften für Arbeitnehmer;

einheitliche Ausbildung und Weiterbildung der Insolvenzverwalter und der Richter in der EU;

umfassender Einsatz der neuen Informationstechnologien für Vorgänge, Zustellungen und Mitteilungen über das Internet, um effizientere und verschlankte Verfahren für Insolvenz, Restrukturierung und Gewährung einer zweiten Chance sicherzustellen.

3.3.

Im neuen Richtlinienvorschlag werden zudem Aspekte eines Verfahrens „bei laufendem Unternehmen“ erwogen, bei dem der Unternehmer die Kontrolle über die Geschäftstätigkeiten behält bzw. eine automatische Aussetzung gewährt wird. In diesem viermonatigen Zeitraum ist es den Gläubigern nicht gestattet, einzelne Maßnahmen zur Beitreibung von Forderungen zu ergreifen.

4.   Besondere Bemerkungen zu dem Kommissionsvorschlag

4.1.    Titel I: Entschuldung

4.1.1.

Was die fakultative Anwendung der vorgeschlagenen Regelung für die Entschuldungsverfahren von Verbraucherkrediten betrifft, spricht sich der EWSA — wie bereits in zahlreichen von ihm zu diesem Thema verabschiedeten Stellungnahmen — mit Nachdruck gegen eine solche Möglichkeit aus. Sie widerspricht der von ihm vertretenen Forderung, dass unbedingt eine Sonderregelung für die Verbraucherüberschuldung erforderlich ist.

4.2.    Titel II: Prävention und Warnmechanismen

4.2.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Reichweite und der Anwendungsbereich der Richtlinie (Art der Unternehmen, Zahl der Beschäftigten) präzisiert werden sollte. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei den KMU und ihrem Einfluss auf die lokale Wirtschaft zu widmen.

4.2.2.

Es besteht weitgehendes Einvernehmen darüber, dass Unternehmen bei der rechtzeitigen Restrukturierung unterstützt werden müssen, damit sie Arbeitsplätze erhalten und ihren Wert behalten können, auch zur Unterstützung redlicher Unternehmer.

4.2.3.

Es wäre sinnvoll und zweckmäßig zu definieren, nach welchen Kriterien Unternehmensleiter als „redlich“ bezeichnet werden können. Solche objektiven Kriterien müssen in der Richtlinie festgelegt und formalisiert werden. Ferner ist das Phänomen taktischer Insolvenzverfahren nicht zu unterschätzen, die zur Umgehung gesetzlicher Verpflichtungen eingesetzt werden und Arbeitnehmer ihrer Rechte berauben. Zur Abschreckung vor dem Einsatz solcher Praktiken muss den betreffenden Unternehmern ein Moratorium und eine zweite Chance verwehrt werden.

4.2.4.

Die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften müssen in allen Phasen mittels einer wirksamen und rechtzeitigen Anhörung und Unterrichtung kontinuierlich eingebunden werden. Die Arbeitnehmervertreter und die Gewerkschaften müssen das Recht haben, alternative Lösungen zur Rettung der Arbeitsplätze vorzuschlagen und auf Sachverständige zurückzugreifen.

4.2.5.

Ein sich mit gemeinsamen und vertretbaren Eckpunkten abzeichnender Rahmen für frühzeitige Restrukturierung sollte einem gemeinsamen und einheitlichen, auf Unionsebene vereinbarten Protokoll entsprechen.

4.2.6.

Der EWSA schlägt vor, in allen Mitgliedstaaten Verfahren zur Schaffung eines einzelstaatlichen Fonds zur Risikobündelung vorzusehen, der die Zahlung der Gehälter der Beschäftigten in allen Mitgliedstaaten sicherstellt. Ein solcher Fonds könnte durch entsprechende Arbeitgeberbeiträge finanziert werden. Die Staaten könnten an der Verwaltung dieses Fonds mitwirken und als Garanten fungieren (5).

4.2.7.

Um Arbeitsplätze zu erhalten und Entlassungen zu vermeiden, muss das „social warning“ (Sozialalarm) unterstützt werden, d. h. die Verpflichtung des Unternehmens, bei Schwierigkeiten des Unternehmens alle betroffenen Parteien rechtzeitig zu informieren und zu warnen. Eine solche Maßnahme, die für jeden spezifischen Fall angemessen einzusetzen ist, wird überdies ein sinnvoller Nachweis bei der eindeutigen Ermittlung des redlichen und sozial verantwortlichen Verhaltens des Unternehmers darstellen.

4.2.7.1.

Die Kultur des Austauschs mit den Arbeitnehmervertretern, den Gewerkschaftsverbänden, anderen Vertretungsorganisationen oder anderen Interessenträgern ist zu fördern.

4.2.8.

Es muss das Ziel verfolgt werden, das Eingreifen der Gerichts-/Verwaltungsbehörden zu verringern, die häufig verfrüht angerufen werden, um mit drastischen Lösungen zu intervenieren.

4.2.9.

Auf nationaler und europäischer Ebene sollte der Grundsatz der angemessenen Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter (EWG Richtlinie 2009/38/EG) angewandt werden. Ihre Rechte und ihr Schutz müssen gewährleistet sein, wenn sie eine Warnung aussprechen, denn häufig nehmen sie Störungen im Unternehmen als erste wahr („whistleblower as means of prevention“).

4.2.10.

Artikel 3 Absatz 3 muss geklärt werden. Insbesondere sollten die Parameter spezifiziert werden, auf deren Grundlage die Unternehmen vom Vorwarnmechanismus ausgeschlossen werden könnten (Zahl der Beschäftigten, Gesamtumsatz usw.).

4.3.    Titel III: Präventive Restrukturierungsrahmen.

4.3.1.

Verwirklichung eines günstigen und proaktiven allgemeinen Rahmens auf der Grundlage der Harmonisierung der Erfahrungen und Verfahren.

4.3.2.

Zur Erfüllung der inhaltlichen Vorgaben von Artikel 114 AEUV, d. h. der Vollendung des Binnenmarkts, muss die Kommission auch mittels delegierter Rechtsakte dafür sorgen, dass die heute zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlichen Insolvenzverfahren harmoniert werden.

4.3.3.

Auf Unionsebene müssen ebenso angemessene Vorinsolvenz-Verfahren vorgeschlagen und harmonisiert werden, die den Ursachen der Behinderung des normalen Geldflusses, die mitunter auf Zahlungsverzögerungen zurückzuführen sind, Rechnung tragen sollten (6).

4.3.4.

Es sollten Regeln für das richtige Verhalten von Auftraggebern und Dienstleistungserbringern aufgestellt werden, die maximale Fristen für die Zahlung der Leistungen vorsehen.

4.3.5.

In anderen Fällen sind die Gründe politischer Natur und liegen außerhalb des Vermögens des Unternehmers.

4.3.6.

Der Schutz der neuen Finanzierungen und der Zwischenfinanzierungen muss durch gemeinsame und in den verschiedenen Staaten einheitlich wirkenden Vorschriften und Verfahren gewährleistet werden, mit denen auch die legitimen Standpunkte der Minderheiten gewahrt werden können.

4.3.7.

Einige regionale Gebietskörperschaften in der EU haben bereits paritätische Gremien (7) eingerichtet, die rechtzeitig eingreifen sollen, wenn sich Handlungsbedarf bezüglich Unterstützung von in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen abzeichnet (8).

4.3.8.

Es wäre sinnvoll, eine Untersuchung über solche Einrichtungen zu erstellen und zweckmäßige Lehren aus den maßgeblichen Erfahrungen zu ziehen.

4.3.9.

Mit der Schaffung paritätischer Einrichtungen mit umfangreichen Zuständigkeiten, einer klaren Zukunftsvision und einer eindeutigen sozialen Orientierung könnten sich die Mängel in puncto Antizipation oder innovativer Strategien überwinden lassen, die die Arbeitswelt insgesamt geschwächt und zur Wirtschaftskrise beigetragen haben, die Europa in unterschiedlicher Intensität seit 2008 durchlebt.

4.3.10.

Die Instrumente sowohl der frühzeitigen Restrukturierung als auch der „zweiten Chance“ sind für denjenigen Unternehmer von Vorteil, der die Verfahren zur Warnung und Antizipation respektiert hat und sie zu nutzen wünscht. Beide haben das Ziel, die Voraussetzungen für die Einbeziehung der Gläubiger (in erster Linie die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften) zu schaffen.

4.3.10.1.

Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Unternehmer, der Zugang zu diesen nützlichen Instrumenten wünscht, seinen Gesprächspartnern (Arbeitnehmern, Gewerkschaften, Gläubiger im Allgemeinen, zur Beilegung der Krise benannte Stellen) unverzüglich sämtliche Bucheinträge in seinem Besitz (Bilanzen und entsprechende Anlagen, Bankunterlagen, Versicherungsdokumente, Lagerbuchhaltung usw.) zur Verfügung stellt, um jedwede Kontrolle über die eigenen Aktivitäten zu gestatten.

4.3.10.2.

Dies entspräche nicht nur dem Grundsatz der Transparenz, sondern würde auch einigen in dem Richtlinienentwurf geforderten und ihm zugrunde liegenden Grundprinzipien wirksam werden lassen.

4.3.10.3.

Der unmittelbare Zugang zu allen Unterlagen des Unternehmens könnte Folgendes gestatten:

das Verständnis seitens aller beteiligter Akteure der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens, um so bald wie möglich die zur Überwindung der Krise geeigneten Maßnahmen auszumachen;

die angemessene Unterrichtung der Gläubiger (Arbeitnehmer und andere, auch mittels ihrer eigenen Sachverständigen) bei der Teilnahme an den Verhandlungen über die Annahme des Plans und/oder den vorgeschlagenen alternativen Maßnahmen, um sich eine Meinung bilden oder eine informierte Wahl über die verschiedenen Teile des Restrukturierungsplans treffen zu können (Artikel 8);

die angemessene Unterrichtung der Fachleute (Artikel 17 Absatz 3) sowie der Justizbehörden und der entsprechenden Sachverständigen (Artikel 13), wenn sie um eine Bewertung der Restrukturierungspläne gebeten werden;

eine korrektere Bewertung der Redlichkeit des Unternehmers (Artikel 22 Absatz 1), da sich aus der Prüfung der Unterlagen ersehen lässt, wie es zur Verschuldung des Unternehmer gekommen ist (ob er in gutem Glauben oder bösgläubig gehandelt hat) und ob das Verfahren rechtzeitig nach den ersten Anzeichen der Krise im Unternehmen eingeleitet worden ist.

4.3.11.

Die Folgenabschätzung für die Restrukturierung sollte auch die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze berücksichtigen. Sind diese frühzeitig bekannt, können angemessene Maßnahmen zur Erhaltung von Beschäftigung ergriffen werden wie bezüglich Weiterbildung und Ausbau der Qualifikationen der Arbeitnehmer.

4.3.12.

In Bezug auf Kapitel 5 Artikel 18 sollte es der Unternehmensleitung untersagt werden, die Vermögenswerte des Unternehmens unter das Niveau abzusenken, das für die Begleichung der gegenüber den Beschäftigten aufgelaufenen Verpflichtungen notwendig ist.

4.4.    Titel IV: Zugang zur Entschuldung (zweite Chance)

4.4.1.

Der EWSA hat in seiner Stellungnahme zu den auch für diese Stellungnahme gültigen Insolvenzverfahren vom Jahr 2013 u. a. betont, dass

die angeführte „zweite Chance“ denjenigen Unternehmern eingeräumt werden sollte, die ihre Lehren aus dem Scheitern gezogen haben und in der Lage sind, auf der Grundlage eines überdachten unternehmerischen Konzepts wieder auf die Beine zu kommen;

die Arbeitnehmer eines besseren Schutzes bedürfen und in allen Mitgliedstaaten den Status bevorrechtigter Gläubiger erhalten sollten;

die systematische Anrufung der Gerichte nicht der beste Lösungsweg ist. Er hat die Kommission aufgefordert, über die Schaffung neuer Gremien nachzudenken;

er begrüßt, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die Verfahren für die öffentliche Bekanntmachung von entsprechenden Gerichtsentscheidungen durch ein elektronisches Register zu verbessern.

4.4.2.

Die den Unternehmern nach dem ersten Fehlschlag vorbehaltenen Vorschriften über die zweite Chance müssen klarer und in allen EU-Mitgliedstaaten einheitlich sein, wie in Artikel 114 über den Binnenmarkt verankert, und sie benötigen die Zustimmung der Vertreter der abhängig Beschäftigten, die durch den ersten Misserfolg des Unternehmers weder geschädigt noch benachteiligt worden sind.

4.4.3.

Viel zu häufig haben die starren Verfahren in zahlreichen Mitgliedstaaten zu mitunter drastischen Maßnahmen seitens der Konkursverwalter geführt.

4.4.4.

Die in allen EU-Mitgliedstaaten homogen und offen durchzuführenden Maßnahmen müssen dazu führen, dass die alte Rolle der Insolvenzverwalter in eine neue Rolle der „Fürsprecher der Beschäftigungsentwicklung“ umgewandelt wird. Dafür ist eine umfassende und tiefgreifende kulturelle und technische Vorbereitung erforderlich, und dazu sollen auch die vom Europäischen Justizportal vorgesehenen und durch die Verordnung (EU) 2015/848 verstärkten IT-Prozesse beitragen.

4.4.5.

Begrüßt wird der vorgeschlagene vereinfachte Zugang zur zweiten Chance. Diesbezüglich ist es wichtig, dass ein überschuldeter Unternehmer nach Ablauf der betreffenden Fristen entschuldet werden kann, ohne dass ein neuer Antrag bei einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde gestellt werden muss (Artikel 20 Absatz 2).

4.5.    Titel V: Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz der Verfahren

4.5.1.

Es wäre sinnvoll, dass die Aus- und Weiterbildung der „Mitglieder der Justiz- und Verwaltungsbehörden, die mit Sachen im Bereich Restrukturierung, Insolvenz und zweite Chance befasst sind“ direkt von der Kommission (oder durch Agenturen) organisiert wird.

4.5.2.

Die Anforderungen für das in der EU tätige Fachpersonal müssen harmonisiert werden: für sie müssen Mindeststandards vorgesehen werden bezüglich Ausbildung und Berufsqualifikationen, Registrierung, Haftung und Berufskodex.

4.5.3.

Erforderlich sind Instrumente für: die interne Überwachung, Rechnungslegungspraktiken, Berichtwesen und Kontrolle im Sinne effizienterer Verfahren.

4.6.    Titel VI: Monitoring der Verfahren

4.6.1.

Wie in Ziffer 4.3.10.1 hervorgehoben, kann nur ein rascher und uneingeschränkter Zugang zu den Unterlagen des Unternehmens die Echtheit und Vollständigkeit der zu erhebenden Daten gewährleisten, um die Wirksamkeit des Monitoring der Verfahren zu steigern (Artikel 29).

4.6.2.

Die Klarheit und Vollständigkeit der Unterlagen muss in den Durchführungsbestimmungen nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 bekräftigt werden.

Brüssel, den 29. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

George DASSIS


(1)  Weltbank, Index „Doing business“, 2016.

(2)  Vgl. SWD(2016) 0357 final.

(3)  https://webcast.ec.europa.eu/insolvency-conference; http://ec.europa.eu/justice/civil/files/insolvency/impact_assessment_en.pdf

COM(2015) 468 final, 30.9.2015 (Insolvenz auf S. 27-28); SWD(2015) 183 final, 30.9.2015 (Insolvenz auf S. 73-78) et.al.

(4)  Vgl. Flash Eurobarometer 354 (2012), aus dem auch hervorgeht, dass 43 % der Europäer aus Angst vor dem Scheitern kein Unternehmen gründen würden.

(5)  Ein solcher Vorschlag wurde bereits 1764 von Cesare Beccaria in seiner Abhandlung „Von den Verbrechen und den Strafen“ vorgelegt.

(6)  Laut Untersuchungen der Akademie Avignon gehen 30 % der Unternehmensschließungen auf Zahlungsverzögerungen zurück.

(7)  Sie sind besetzt mit Fachleuten der Regionalverwaltungen, Vertretern des Kreditgewerbes und den Sozialpartnern.

(8)  Siehe z. B. das Gremium zur Überwachung und Unterstützung von in Schieflage geratenen Unternehmen, das die Autonome Region Sizilien (Dezernat für Produktionstätigkeit) im März 2016 eingerichtet hat.


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Rahmen für die Sanierung und Abwicklung zentraler Gegenparteien und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1095/2010, (EU) Nr. 648/2012 und (EU) 2015/2365“

(COM(2016) 856 final — 2016/0365 (COD))

(2017/C 209/05)

Berichterstatter:

Antonio GARCÍA DEL RIEGO

Befassung

Rat der Europäischen Union, 7.2.2017

Europäisches Parlament, 13.2.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

8.3/2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

29.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

226/2/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den vorgeschlagenen „Rahmen für die Sanierung und Abwicklung zentraler Gegenparteien“ (1), der auf die Verwirklichung eines endgültigen und harmonisierten Verfahrens für die Sanierung und Abwicklung zentraler Gegenparteien (Central Counterparty — im Folgenden „CCP“) abzielt, und unterstützt sowohl die Ziele als auch den Ansatz.

1.2.

Der EWSA betont, dass die Umsetzung des von der G20 getroffenen Beschlusses über die globale Governance der CCP sowie der besonderen Empfehlungen einer Reihe von Einrichtungen (des Ständigen Ausschusses für aufsichtsrechtliche und regulatorische Zusammenarbeit des Rates für Finanzstabilität (FSB-SRC), der Resolution Steering Group (FSB-ReSG), des Ausschusses für Zahlungs- und Abrechnungssysteme (CPMI), der Internationalen Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) und des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS)) in harmonisierte, verbindliche Rechtsvorschriften, die solide, sichere und faire globale Wettbewerbsbedingungen gewährleisten, von zentraler Bedeutung ist.

1.3.

Der EWSA spricht sich daher für Flexibilität aus, um die vorgeschlagene Regelung im Hinblick auf die künftige Herausbildung eines internationalen Einvernehmens über eine CCP-Regulierung z. B. an die Empfehlungen des Rates für Finanzstabilität (FSB) (2) anpassen zu können.

1.4.

Von entscheidender Bedeutung ist für den EWSA die Umwandlung des derzeitigen Systems einzelner CCP-Lösungen auf der Grundlage internationaler Empfehlungen und nationaler Aufsichtsbehörden in eine endgültige Regelung für die Sanierung und Abwicklung, die klar, konsistent, solide und umfassend sowie verhältnismäßig und zukunftssicher im Kontext anderer Rechtsvorschriften wie der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten ist.

1.4.1.

Diesbezüglich ist der EWSA der Auffassung, dass eine einzige Behörde für die Überwachung und eine einzige Behörde für die Abwicklung Fachwissen und Daten leichter bündeln sowie sicherstellen könnten, dass die neue Regelung von den CCPs in ganz Europa einheitlich angewendet wird. Dadurch wird der derzeitige Flickenteppich unterschiedlicher nationaler Aufsichtsbehörden mit leicht unterschiedlichen Aufsichtskriterien und -instrumenten beseitigt.

1.5.

Angesichts der zentralen Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) im Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) für den Bankensektor, ihrer bestehenden Zuständigkeit für die Gewährleistung effizienter und solider Clearing-, Zahlungsverkehr- und Abwicklungssysteme (3) sowie ihrer Aufgabe, den CCPs Zugang zu Zentralbankgeld zu ermöglichen, empfiehlt der EWSA mit Nachdruck, das Mandat der EZB zu nutzen oder zu erweitern, um ihr sowohl die Funktion der zentralen europäischen Aufsichtsbehörde für CCPs unter dem Schirm des SSM als auch der zentralen Abwicklungsbehörde unter dem Schirm der EZB/des Eurosystems anzuvertrauen.

1.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass den Aufsichtsbehörden in diesem Bereich zusätzliche Kontrollinstrumente an die Hand gegeben werden sollten, damit sie sich ein vollständiges Bild von der Risikogesamtposition einzelner Clearingmitglieder bei mehreren CCPs (einschließlich Drittstaaten-CCPs) und einzelner CCPs auf mehreren Märkten machen und Szenarien für mögliche Dominoeffekte auf Positionen bei mehreren CCPs erstellen können. Aufsichtsbehörden oder vorzugsweise eine zentrale Aufsichtsbehörde sollten befugt sein, ihre eigenen umfassenden Stresstests durchzuführen und die Risikoposition und risikomindernden Aktiva der einschlägigen CCPs je nach Erfordernis vierteljährlich, monatlich oder täglich zu verfolgen, und zwar zusätzlich zu dem jährlichen Stresstest für CCP, der von der ESMA gemäß der Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen (EMIR) durchgeführt wird.

1.7.

Der EWSA geht davon aus, dass es eine natürliche Abfolge geben wird: zunächst die Abwicklung eines oder mehrerer einzelner Clearing-Mitglieder im Rahmen der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und dann, soweit erforderlich, die Sanierung und Abwicklung einer oder mehrerer CCPs. Es gilt indes klarzustellen, dass Szenarien bestehen, bei denen der Sanierung einer oder mehrerer CCP Vorrang vor der Sanierung einer oder mehrerer Banken (die die größten Clearingmitglieder dieser CCPs sind) eingeräumt werden sollte.

1.8.

Der EWSA fordert, dass in den Sanierungsplänen für CCPs die Instrumente und Maßnahmen spezifiziert werden sollten, die für den Ausgleich der Bücher in Betracht gezogen werden, da im Vorschlag nicht festgelegt wird, welche spezifische Optionen die Sanierungspläne enthalten oder ausschließen sollten.

1.9.

Nach Auffassung des Ausschusses sollte aufmerksam beobachtet werden, wie nichtfinanzielle Gegenparteien und getrennte Kundenvermögen indirekter Clearing-Teilnehmer durch den Einsatz von Instrumenten der Positions- und Verlustzuweisung betroffen sein könnten, d. h.im Falle von Vertragskündigungen und der Verringerung des Gewinnwertes, der von der CCP an nicht ausfallende Clearing-Mitglieder ausgezahlt wird. Ebenso begrüßt der Ausschuss, dass der derzeitige Vorschlag weder einen „Initial Margin-Sicherheitsabschlag“ (der kein angemessenes Instrument für die Sanierung und Abwicklung wäre), noch einen Sicherheitsabschlag für „Variation Margin-Gewinne“ vorsieht, da Absicherungspositionen zu erwarten sind.

1.10.

Nach Auffassung des EWSA sollte jede explizit erwähnte Option einer Rettung von CCPs, insbesondere von Drittstaaten-CCPs, mit Steuergeldern aus dem Legislativvorschlag gestrichen werden. Die Option einer außerordentlichen Unterstützung mit öffentlichen Mitteln sollte von den einschlägigen Behörden dann vorgeschlagen werden, wenn dies zweckmäßig erscheint, und folglich außerordentlicher Natur bleiben. Die derzeit bestehende Option einer außerordentlichen Unterstützung aus öffentlichen Mitteln unter bestimmten Bedingungen könnte Fehlanreize (moral hazard) setzen. Dadurch würde auch die Einrichtung einer einzigen Aufsichtsbehörde und einer einzigen Abwicklungsbehörde aus einzelstaatlicher Perspektive politisch eher akzeptabel sein.

1.10.1.

Der EWSA fordert in diesem Zusammenhang, künftig die gleichen oder ähnliche obligatorische Standards auch für im Rahmen der Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen (EMIR) (4) zugelassene CCPs vorzuschreiben, und zwar mittels eines Gleichwertigkeitsbeschlusses der Kommission für rechtliche Regelungen für Clearingstellen in Drittstaaten (Drittstaaten-CCPs).

1.11.

Der EWSA schlägt vor, die Befugnis der Abwicklungsbehörde, gewisse oder alle Verträge im Rahmen von Clearing-Diensten einer CCP zu kündigen, nur sehr beschränkt angewandt werden sollte, d. h., wenn eine CCP für Spotmärkte arbeitet und Cash Products abwickelt.

1.12.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Aussetzung der Clearingpflicht bei der Abwicklung einer einzelnen CCP unter Berücksichtigung möglicher Auswirkungen auf andere CCPs angewandt werden muss, die zur Erbringung von Clearingdiensten in der gleichen Vermögensklasse zugelassen sind.

2.   Hintergrund

2.1.

Sowohl in der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten der EU als auch im Dodd-Frank Act der USA wird verfügt, dass systemrelevante Banken über Sanierungs- und Abwicklungspläne („living wills“) verfügen müssen, die eine ordentliche Abwicklung im Krisenfall ohne nennenswerte Ansteckungsgefahr für die Finanzmärkte im Allgemeinen ermöglichen. Mit dem vorgeschriebenen zentralen Clearing nach Inkrafttreten der EMIR-Verordnung und des Dodd-Frank Acts ist die Bedeutung der CCPs für die umfassende Sicherheit und Solidität des Finanzsystems gestiegen. Daher muss neben der Sicherstellung der Widerstandsfähigkeit von CCPs mithilfe solider Sanierungs- und Abwicklungspläne gewährleistet sein, dass eine stärkere Abhängigkeit vom zentralen Clearing nicht zu einer neuen Kategorie von Unternehmen führt, die nicht scheitern dürfen („too big to fail“).

2.1.1.

Wenngleich der Ausfall einer CCP aufgrund ihres spezifischen Geschäftsmodells und dem Fokus auf Risikomanagement statistisch unwahrscheinlich ist, könnte er aufgrund der zentralen Marktstellung der CCP als systemrelevantes Institut erhebliche Auswirkungen auf das Finanzsystem haben und zu einem Übergreifen auf die Clearingmitglieder und die Märkte, auf denen sie aktiv ist, führen. Es ist ein eher unwahrscheinliches Ereignis mit allerdings gravierenden Auswirkungen.

2.2.

CCPs spielen im Finanzsystem eine zentrale Rolle aufgrund der Verwaltung eines komplexen Netzes von durch Gegenparteirisiken gekennzeichneten Beziehungen. Sie kommen dieser Rolle im Wesentlichen nach, indem sie a) zwischen den Parteien stehen, die Kontrakte auf einem oder mehreren (regulierten oder ungeregelten (OTC-)) Finanzmärkten handeln und sich b) gegen Ausfälle ihrer Nutzer dadurch schützen, dass sie angemessene Margen und Sicherheiten (Collateral) sowohl vom Käufer als auch vom Verkäufer verlangen und Verlustübernahmevereinbarungen anwenden (Verlustvorsorgesysteme nach dem Wasserfallprinzip, das im Extremfall angewandt wird, wenn sich einzelne Sicherheitsmargen als unzureichend erweisen) (5).

2.3.

Ein Teilnehmer an einer CCP trägt weniger Risiken im Vergleich zu einem bilateralen Clearing, da er von der multilateralen Verrechnung (Netting), einer angemessenen Absicherung und der Vergemeinschaftung der Verluste profitiert. Die CCPs stellen die Verpflichtungen der Teilnehmer (Kauf- und Verkaufspositionen) für einzelne Produkte glatt, indem sie — unabhängig von der Identität der Gegenpartei vor der Novation — für jedes einzelne Produkt bzw. jeden einzelnen Teilnehmer ein multilaterales Gleichgewicht ermitteln. Wenn die Produkte signifikant korrelieren, können die CCPs die Marge eines Teilnehmers für verschiedene Produkte (Portfolio-Margining) ermitteln. Dadurch können sie Risiken ausgleichen, indem sie Positionen auf korrelierte Produkte halten.

2.4.

Um die Vorteile von CCPs voll nutzen zu können, müssen CCPs a) ein wirksames Risikomanagement betreiben und über angemessene finanzielle Mittel verfügen, und b) einer strengen Regulierungsaufsicht und aufsichtsrechtlichen Anforderungen unterliegen. Erstens müssen CCPs ausreichend widerstandsfähig sein, d. h., ihre finanziellen Ressourcen (einschließlich Margenanforderungen, vorfinanzierten Ausfallfonds und liquide Mittel) müssen es ihnen ermöglichen, den Ausfall von Clearingmitgliedern und andere Stresssituationen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu überstehen. Zweitens müssen CCPs über Sanierungspläne verfügen, um Restverluste zuweisen und zusätzliche Liquidität schaffen zu können, ohne die Clearingmitglieder und sonstige Finanzinstitute — von denen viele wahrscheinlich per se systemrelevant sind — übermäßigen Belastungen auszusetzen. Schließlich müssen für CCPs glaubwürdige Abwicklungspläne verfügbar sein.

2.5.

Die Staats- und Regierungschefs der G20 verpflichteten sich im Jahr 2009, sicherzustellen, dass alle Kontrakte mit standardisierten OTC-Derivaten über CCPs abgewickelt werden. Ein verstärkter Einsatz des zentralen Clearings von Derivaten soll die Finanzstabilität gewährleisten, indem:

das multilaterale Netting ausgebaut wird;

die Teilnehmer von Derivatemärkten verpflichtet werden, angemessene Nachschuss- und Einschusszahlungen (Variation und Initial Margin) zu leisten;

es dazu beiträgt, den Ausfall von großen Teilnehmern an Derivatemärkten zu bewältigen;

die Transparenz von Derivatemärkten erhöht und zur Vereinfachung von Transaktionsnetzen beigetragen wird (6).

2.6.

Auf internationaler Ebene gaben der Ausschuss für Zahlungs- und Abrechnungssysteme der Zentralbanken (CPMI), die Internationale Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) und der Finanzstabilitätsrat (FSB) bereits 2014 Leitlinien für die Sanierung und Abwicklung von Finanzmarktinfrastrukturen einschließlich CCPs heraus. Außerdem sind die Sanierung und Abwicklung von CCPs wichtige Prioritäten des 2015 aufgestellten laufenden internationalen Arbeitsplans.

2.7.

Auf Unionsebene hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für Vorschriften über die Sanierung und Abwicklung von CCPs (7) vorgelegt, der auf der oben erwähnten Arbeit auf internationaler Ebene basiert und Gegenstand dieser Stellungnahme ist.

3.   Bemerkungen und Kommentare

3.1.    Die vorgeschlagene Verordnung

3.1.1.

Der EWSA stellt fest, dass die rechtlichen Anforderungen für CCPs heute strikter sind als vor der Krise. Die Grundsätze der CPMI-IOSCO für Finanzmarktinfrastrukturen bieten eine umfassenden Rahmen für die Widerstandsfähigkeit und Sanierung von CCPs.

3.1.2.

Der EWSA würdigt die bedeutende Arbeit auf internationaler Ebene von CPMI und IOSCO bezüglich der Widerstandsfähigkeit und der Sanierung von CCPs.

3.1.3.

Der Ausschuss würde es daher begrüßen, wenn in der vorgeschlagenen Regelung ein Mechanismus vorgesehen würde, der im Hinblick auf die Herausbildung eines internationalen Konsenses über die Regulierung von CCPs eine flexible Anpassung — z. B. an die Empfehlungen des Rates für Finanzstabilität (FSB) — ermöglicht.

3.1.4.

Der Ausschuss unterstützt daher den Verordnungsvorschlag, in dem internationale Standards, die derzeit von den CCPs je nach rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen leicht unterschiedlich angewandt werden, unter EU-Recht in einem vereinheitlichtem Rahmen harmonisierter und heterogener Verpflichtungen zusammengefasst werden.

3.1.5.

Der EWSA verweist auf die Bedeutung eines ganzheitlichen Ansatzes für die Änderung anderer einschlägiger Rechtsvorschriften wie z. B. der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD). Es muss weiterhin gewährleistet sein, dass bei Moratoriumsinstrumenten (Artikel 5 und 10 BRRD) und anderen Verfahren Zahlungs- und Leistungsverpflichtungen gegenüber bestimmten Zahlungssystemen, CCPs, Zentralverwahrern und Zentralbanken weiter ausgeschlossen bleiben, um Portfolios und Sicherheiten, die von CCPs gehalten oder ihnen übertragen werden, nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.

3.1.6.

In diesem Zusammenhang geht der EWSA davon aus, dass es eine natürliche Abfolge geben wird: zunächst die Abwicklung eines oder mehrerer einzelner Clearingmitglieder im Rahmen der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und anschließend erforderlichenfalls die Sanierung und Abwicklung einer oder mehrerer CCPs, deren wichtige Kunden diese Clearing-Mitglieder waren. Es könnte Szenarien geben, bei denen der Sanierung einer oder mehrerer CCP Vorrang einzuräumen ist vor der Sanierung einer oder mehrerer Banken, die die größten Clearingmitglieder dieser CCPs sind.

3.1.6.1.

Gemäß den von CPMI und IOSCO dargelegten Grundsätzen sollten die Ausfallsressourcen für systemrelevante CCPs mindestens so bemessen sein, dass sie den Ausfall der zwei Clearingmitglieder überstehen, die die CCP unter extremen, aber plausiblen Bedingungen der potenziell größten Gesamtrisikoposition aussetzen (sog. „Cover-2“). Wenn Clearingmitglieder, die die Risikoposition im Sinne des Cover-2 gegenüber einer oder mehreren CCPs überschreiten, ausfallen und unter die Bestimmungen der BRRD fallen, müssen die Auswirkungen für die CCPs und die anderen, nicht ausfallenden Clearingmitglieder bei allen Entscheidungen bezüglich der General-Clearing-Mitglieder gemäß BRRD berücksichtigt werden.

3.1.6.2.

Potenziell muss die CCP gemäß diesem Legislativvorschlag stabilisiert und gestützt werden, bevor der BRRD-Prozess für diese in Schwierigkeiten geratenen Clearingmitglieder greifen kann. Es sind auch Szenarien denkbar, in denen nicht ausfallende Clearingmitglieder durch die Anwendung von in diesem Legislativvorschlag festgelegten Instrumenten, die dann unter die BRRD fallen, in Schieflage geraten. Würde sich damit jedoch die CCP, die mehrere Clearingmitglieder bedient, stabilisieren lassen, sollte die Stabilisierung der CCP Priorität haben vor der Stabilisierung einzelner Clearingmitglieder.

3.2.    Außerordentliche Maßnahmen im öffentlichen Interesse müssen verhältnismäßig sein, wobei der Einsatz öffentlicher Mittel zu vermeiden ist

3.2.1.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die vorgeschlagene Verordnung auf extreme und außergewöhnliche Marktsituationen abstellt. Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass die Sanierungs- und Abwicklungsregelung die Kontinuität kritischer Dienste der CCPs ohne Rückgriff auf öffentliche Gelder und ohne jede Form öffentlicher Solvenzsicherung oder staatlicher Maßnahmen zur Finanzstabilisierung, öffentlichen Eigenkapitalunterstützung oder vorübergehenden staatlichen Beteiligung ermöglicht. Die derzeit explizit vorgesehene Möglichkeit einer außerordentlichen finanziellen Unterstützung aus öffentlichen Mitteln unter bestimmten Bedingungen sollte gestrichen werden, um Folgendes zu vermeiden: Fehlanreize (moral hazard) für die Clearing-Mitglieder, nicht frühzeitig zur Sanierung und Abwicklung einer CCP beizutragen, sondern abzuwarten, ob und inwieweit eine außerordentliche finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln erfolgt, womit ein Übergreifen des Problems auf die öffentliche Sphäre in Kauf genommen oder sogar ausgelöst wird.

3.2.2.

Die konkreten Szenarien, in denen die Sanierungs- und Abwicklungsregelung zur Anwendung kommt, sind nicht genau vorhersehbar, weshalb die CCPs eine gewisse Flexibilität im Hinblick auf die Gestaltung und Umsetzung von Sanierungsinstrumenten behalten sollten, um unterschiedliche Situationen bewältigen zu können. Eine Überregulierung könnte zu fehlender Flexibilität und damit Ineffizienz führen. In einem ersten Schritt sollte es CCPs daher gestattet werden, den Ausfallmanagementprozess zu steuern und ggf. ihren Sanierungsplan umzusetzen, bevor die Abwicklungsbehörden eingreifen, es sei denn, es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Sanierungsplan scheitern oder die finanzielle Stabilität gefährden könnte.

3.3.    Unterschiedliche Behandlung nichtfinanzieller Gegenparteien (NFC) und getrennter Kundenkonten

3.3.1.

Die Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen (EMIR) enthält Verpflichtungen und Anforderungen an finanzielle und nichtfinanzielle Gegenparteien (FC bzw. NFC), die Derivatkontrakte eingehen. FC umfassen Banken, Versicherer, Anlageverwalter, Pensionsfonds, Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) und AIF; NFC hingegen NFC+ (mit fiktiven Derivatepositionen über 30 Tage im Bruttowert von mindestens 1 Mrd. EUR für Kredit- und/oder Aktienderivate und/oder von 3 Mrd. EUR für Zinsswaps, Devisen-, Rohstoff- oder andere Instrumente) und NFC-. Zudem gibt es Unternehmen aus Drittstaaten (TCE), die indirekt unter die EMIR fallen können, wenn sie Geschäfte mit EU-Gegenparteien tätigen.

3.3.1.1.

Die Clearingpflichten nach der EMIR-Verordnung gelten, wenn der OTC-Derivatekontrakt wie folgt geschlossen wird: zwischen zwei FCs, einer FC und einer NFC+, zwei NFC+s oder einer FC/NFC + und einem TCE, das dem Clearing unterliegen würde, wenn es in der EU ansässig wäre. Die Ausnahmen von den Vorschriften laufen während des Jahres 2017 aus.

3.3.2.

Nach Auslaufen aller Ausnahmeregelungen fallen NFCs, die direkte oder indirekte Teilnehmer an einer CCP sind, aufgrund der Verpflichtung zum zentralen Clearing bestimmter Kategorien von OTC-Derivatekontrakten unter die Verordnung über die Sanierung und Abwicklung (8). Dadurch könnte für NFCs und Kunden von Pensionsfonds unbeabsichtigte Verbindlichkeiten aufgrund der Kombination dieser Verordnung und der Clearingpflicht entstehen, was zu einer noch engeren Verknüpfung zwischen Realwirtschaft/Vermögensverwaltern und systemrelevanten Finanzinstituten führt.

3.3.3.

Der EWSA ersucht daher die Kommission, für die Behandlung von NFCs — insbesondere solcher, die Unternehmen hervorbringen, welche konkrete Risikopositionen in der Realwirtschaft absichern — in dem vorgeschlagenen Sanierungs- und Abwicklungsrahmen einen anderen Ansatz zu prüfen für den Fall, dass die Behörden zu außerordentlichen Maßnahmen im öffentlichen Interesse gezwungen sind. Dabei könnten die normalen Eigentumsrechte aufgehoben, Verluste auf bestimmte Akteure umgelegt und als letztes Mittel auch Gewinnauszahlungen der CCP an die NFCs einbehalten werden.

3.3.4.

(Pensions-) Fonds und andere Einrichtungen, die Kapital für Kleinanleger verwalten und auf den Kapitalmärkten anlegen, müssen in Zukunft direkt oder indirekt über Clearingmitglieder Positionen in CCPs halten. Diese Unternehmen unterliegen der Aufsicht auf nationaler Ebene und strikten Einschränkungen ihrer Investitionen, um sicherzustellen, dass sie Endkunden keinen unangemessenen Risiken aussetzen. Zudem werden sie von den nationalen Regulierungsbehörden oder aufgrund treuhänderischer Verpflichtungen dazu verpflichtet, Kundenpositionen indirekt in Kundenkontos zu halten und zu trennen. Mit der Einführung von getrennten und übertragbaren Kundenkonten wurde die Möglichkeit geschaffen, über die EMIR insbesondere Vermögen von indirekten Clearingmitgliedern zu schützen.

3.3.5.

Angesichts der umfangreichen Regulierung haben Anleger solcher (Pensions-) Fonds den Eindruck, dass ihre Vermögenswerte sowohl durch einzelstaatliches als auch europäisches Recht besonders geschützt seien. Die vorgeschlagene Regelung würde es indes ermöglichen, normale Eigentumsrechte aufzuheben, Verluste auf bestimmte Akteure umzulegen und auch Gewinnauszahlungen der CCP einzubehalten, was sich auch auf Kundenkonten und getrennte Kundenkonten auswirken würde. Der EWSA fordert die Kommission auf sicherzustellen, dass die Aufhebung der normalen Eigentumsrechte (Kündigung von Verträgen/Verlustumlage/Einbehaltung von Gewinnen) nicht für (getrennte) Kundenkonten Geschäftskunden angewandt werden kann.

3.4.    Übergang zum neuen System und Gleichwertigkeit von Drittländern

3.4.1.

Der EWSA fordert die Kommission auf sicherzustellen, dass der Übergang zu einem harmonisierten System angemessen überwacht und mit den Anforderungen für Drittstaat-CCPs abgestimmt wird, um zu verhindern, dass eine Aufsichtsarbitrage möglich wird und den CCPs in der EU ein Wettbewerbsnachteil entsteht, weil zentrale Gegenparteien aus Drittstaaten Dienstleistungen auf einer weniger gesicherten Basis und damit zu niedrigen Kosten anbieten können.

3.4.2.

Für alle Länder, für die die Europäische Kommission einen Gleichwertigkeitsbeschluss plant, muss als wichtiger Faktor berücksichtigt werden, ob es dort klare Regeln und Vorschriften für die Sanierung und Abwicklung gibt. Für alle Länder, für die die Europäische Kommission bereits einen Gleichwertigkeitsbeschluss angenommen hat (9), sollte dieser Beschluss im Lichte der in den Drittstaaten vorhandenen Vorschriften über Sanierung und Abwicklung überprüft werden, um sicherzustellen, dass für Drittstaat-CCPs, die Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt anbieten, gleichwertige Vorschriften über die Sanierung und Abwicklung von CCPs gelten und dass die Entscheidungen von Abwicklungskollegien aus der EU im rechtlichen Umfeld des Drittstaates durchsetzbar sind. Als Mindestanforderung sollten zum einen Vereinbarungen über den Informationsaustausch zwischen der Aufsichtsbehörde der Drittland-CCPs und der/den Aufsichts- und Abwicklungsbehörden für CCPs in der EU und zum anderen die Beteiligung dieser Aufsichtsbehörden an den so genannten „Krisenmanagementgruppen“ (Crisis Management Groups) vorgeschrieben werden.

3.4.3.

Gemäß der EMIR-Verordnung kann die Europäische Kommission den fachlichen Rat der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) in Bezug auf die Gleichwertigkeit der Rechtssysteme bestimmter Drittstaaten einholen, in denen wichtige Derivatemärkte oder CCPs ansässig sind, die einen Antrag auf Anerkennung gestellt haben (10).

3.4.4.

Der EWSA geht noch weiter und fordert, auch die in diesen Drittstaaten vorhandenen Rechtsvorschriften über Sanierung und Abwicklung als wichtiges Element von der ESMA bewerten zu lassen, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten und eine Regulierungsarbitrage zu vermeiden, die unnötige Risiken für die Teilnehmer des EU-Binnenmarkts und aufgrund der durch Drittstaaten-CCPs erbrachten Dienstleistungen möglicherweise auch für die Steuerzahler in der EU mit sich bringen würde. Gleiche Wettbewerbsbedingungen auf internationaler Ebene sind von entscheidender Bedeutung, und ebenso dürfen die Steuerzahler in der EU keinen größeren, EU-intern steuerbaren Risiken ausgesetzt werden.

3.5.    Einheitliche europäische Aufsichtsbehörde und einheitliche europäische Abwicklungsbehörde

3.5.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU und die einzelnen Mitgliedstaaten die Kapazitäten ihrer Aufsichtsbehörden in Hinblick auf die personellen, finanziellen und technischen Ressourcen stärken müssen, damit die Risiken von CCPs und das Risikomanagement auf allen Ebenen richtig verstanden wird. Nach Ansicht des EWSA sind die Aufsichtsbehörden derzeit zu sehr auf das in supranationalen Organisationen und den CCPs selbst vorhandene Fachwissen angewiesen. Diese Abhängigkeit von externem Fachwissen könnte dann besonders riskant sein, wenn die Aufsichtsbehörden kurzfristig die Kontrolle über eine in Schwierigkeiten geratene CCP übernehmen müssen, d. h., wenn die Geschäftsleitung einer CCP abgesetzt und schließlich ersetzt wird oder wenn die Abwicklungsbefugnisse ausgeübt werden.

3.5.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass eine einzige Behörde für die Überwachung und Abwicklung es den Aufsichtsbehörden erleichtern würde, Fachwissen und Daten zu bündeln sowie sicherzustellen, dass die neue Verordnung von den CCPs in ganz Europa einheitlich angewendet wird. Dadurch kann das Risiko einer Verlagerung zur Umgehung der Vorschriften oder einer Aufsichtsarbitrage ausgeräumt werden. Zudem wird der derzeitige Flickenteppich unterschiedlicher nationaler Aufsichtsbehörden und -vorschriften für CCPs beseitigt. Die Verordnung folgt dem Ansatz der nationalen Aufsicht in der EMIR-Verordnung, indem um die nationalen Regulierungsbehörden herum Kollegien zur Beaufsichtigung von CCPs geschaffen werden. Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass in einer Situation extremer Belastung, wenn eine oder mehrere CCPs auszufallen drohen, ein zentralisierter Ansatz ein Höchstmaß an Effizienz bieten würde, da die Entscheidungen dann mit Blick auf das Ganze, d. h. unter Berücksichtigung zahlreicher CCPs, Clearingmitglieder usw., getroffen werden müssen.

3.5.2.1.

Nach Ansicht des EWSA hat die 2012 in der EMIR-Verordnung gewählte Regelung für CCPs zu einem Flickenteppich für die Beaufsichtigung von CCPs (11) geführt, da in den verschiedenen Ländern Zentralbanken, Regulierungsbehörden, Aufsichtsbehörden für die nationalen Banken oder Börsenaufsichtsbehörden mit der Beaufsichtigung von CCPs betraut wurden. Diese Auffassung wurde in der vergleichenden Analyse bestätigt, die ESMA gemäß Artikel 21 der EMIR-Verordnung („Supervisory activities on CCPs‘ Margin and Collateral requirements“, Beaufsichtigung der Nachschussforderungen und Besicherungsanforderungen von CCPs) am 22. Dezember 2016 veröffentlicht hat. Darin stellt die ESMA eindeutig fest, dass eine Konvergenz der Aufsichtsregelungen zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden notwendig ist.

3.5.2.2.

Im begrenzten Rahmen des Berichtes werden bereits zahlreiche Bereiche genannt, in denen sich die Ansätze der verschiedenen nationalen Aufsichtsbehörden unterscheiden, und Empfehlungen formuliert, um die Einheitlichkeit der Aufsichtspraxis zu verbessern. Um jede nationale Regulierungsbehörde herum wurden Kollegien geschaffen, deren Mitgliederkreis sich bei großen CCPs oft überschneidet, wobei diese Kollegien jedoch bei einem gleichzeitigen Ausfall mehrerer CCPS in der Lage sein müssen, parallel zu arbeiten. Angesichts der Entwicklungen der vergangenen Jahre und der Tatsache, dass im Jahr 2017 die Märkte für börsennotierte und für OTC-Derivate zunehmend in CCPs konvergieren, sollte ein neuer zentralisierter Ansatz in Betracht gezogen werden.

3.5.3.

Angesichts der zentralen Rolle der EZB im SSM schlägt der EWSA vor, eine Ausweitung der Zuständigkeit der EZB zu erwägen, sodass sie die zentrale europäische Aufsichtsbehörde für CCPs im Rahmen des SSM wird. Um einen Interessenkonflikt zu vermeiden, sollte die EZB/das Eurosystem auch die Aufgabe der zentralen Abwicklungsbehörde übernehmen. Dies wäre im Rahmen ihrer derzeitigen Befugnisse oder durch eine angemessene Ausweitung dieser Befugnisse machbar. Eine der wichtigsten Aufgaben der EZB ist es, „das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern“ (12). Die meisten europäischen CCPs sind als Zahlungssysteme für die Zwecke der Abrechnung zugelassen (13). Darüber hinaus sind einige große CCPs im Euro-Währungsgebiet (z. B. LCH SA und Eurex Clearing) als Kreditinstitute zugelassen und unterliegen den entsprechenden Vorschriften.

3.5.4.

Laut Artikel 22 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank kann die EZB „Verordnungen erlassen, um effiziente und zuverlässige Verrechnungs- und Zahlungssysteme innerhalb der Union und im Verkehr mit dritten Ländern zu gewährleisten“. Damit hat sie bereits einen Regulierungsauftrag in Hinblick auf zuverlässige Verrechnungssysteme. Die Alternative wäre die Schaffung einer neuen zentralen europäischen Aufsichtsbehörde für CCPs, was als zeitaufwändiger und kostspieliger angesehen wird.

3.5.5.

Eine zentrale Aufsichtsbehörde sowohl für Banken als auch für CCPs im Rahmen des SSM würde der Tatsache Rechnung tragen, dass die meisten größeren Banken vielen verschiedenen CCPs angehören (so ist z. B. JPMorgan Mitglied von 70 CCPs weltweit (14)) und daher der Ausfall einer dieser größeren Mitglieder gleichzeitig Ausfälle bei Versteigerungen in den CCPs, denen die ausfallende Bank angehören, nach sich ziehen würden.

3.5.6.

Eine aus nationaler Perspektive wichtige politische Voraussetzung für die Einrichtung einer einzigen Behörde für die Überwachung und Abwicklung ist die bereits geforderte Unterbindung jedweder Rettung von CCPs mit Steuergeldern in Form außerordentlicher finanzieller Unterstützung aus öffentlichen Mitteln unter bestimmten Bedingungen.

3.6.    Optionale Aussetzung der Clearingpflicht während der Abwicklung

3.6.1.

Die Abwicklungsbehörde einer CCP oder die zuständige Behörde eines Clearingmitglieds der in Abwicklung befindlichen CCP kann bei der Kommission die zeitweilige Aussetzung der in Artikel 4 Absatz 1 der vorgeschlagenen Verordnung vorgesehenen Clearingpflicht für bestimmte Kategorien von OTC-Derivaten beantragen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

3.6.2.

Es ist jedoch schwer vorstellbar, wie in äußerst angespannten Marktsituationen insbesondere kleinere Clearingmitglieder in der Lage sein sollen, kurzfristige Positionen wieder auf bilateraler Grundlage abzuwickeln. Außerdem gilt die Clearingpflicht für bestimmte Kategorien von OTC-Derivaten in allen CCPs und beschränkt sich nicht auf eine CCP. Folglich würde sich die Aussetzung der Clearingpflicht auf andere CCPs auswirken, die die Zulassung für die Abrechnung der gleichen Produkte besitzen. Es muss sichergestellt sein, dass für die anderen CCPs die Aussetzung der Clearingpflicht fakultativ ist. Außerdem haben diese CCPs unter Umständen Cross-Margining-Vereinbarungen für diese und andere Kategorien von Derivaten abgeschlossen, sodass die Rückkehr zu einer bilateralen Marktabwicklung unbeabsichtigte Dominoeffekte auslösen kann.

3.6.3.

Der EWSA ist daher der Auffassung, dass die Aussetzung der Clearingpflicht ein Abwicklungsinstrument darstellt, das nur angewandt werden darf, wenn andere CCPs, die zur Erbringung von Clearingdiensten in der gleichen Vermögensklasse zugelassen sind, nicht beeinträchtigt werden.

3.6.4.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der Antrag einer nationalen Regulierungsbehörde europaweite Auswirkungen haben könnte, was nach Ansicht des Ausschusses ein weiteres Argument für eine EU-weit einheitliche Aufsichtsbehörde für CCPs und für eine zentrale Abwicklungsbehörde ist.

Brüssel, den 29. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2016) 856 final.

(2)  Siehe diesbezüglich bspw.: „EBA and ESMA call to clarify margin requirements between CRR and EMIR“, 18.1.2017. Die im Bericht enthaltenen Empfehlungen zielen darauf ab, eine Doppelung der Anforderungen an Derivategeschäfte und damit eine Zunahme des aufsichtsrechtlichen Risikos und einen Anstieg der Aufsichtskosten für die zuständigen Behörden zu vermeiden.

(3)  Eine der grundlegenden Aufgaben des Eurosystems ist es, „das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern“ (Artikel 127 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und Artikel 3 Absatz 1 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank). Die Rechtsgrundlage für die Zuständigkeit des Eurosystems im Bereich Zahlungs- und Abwicklungssysteme bildet Artikel 127 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Laut Artikel 22 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank können „die EZB und die nationalen Zentralbanken Einrichtungen zur Verfügung stellen und [kann] die EZB […] Verordnungen erlassen, um effiziente und zuverlässige Verrechnungs- und Zahlungssysteme innerhalb der Union und im Verkehr mit dritten Ländern zu gewährleisten“.

(4)  Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister.

(5)  Europäischer Ausschuss für Systemrisiken, „ESRB Report to the European Commission on the systemic risk implications of CCP interoperability arrangements“, Januar 2016.

(6)  Siehe Vorsitzende von: FSB SRC, FSB RESG, BCBS, CPMI und IOSCO, „2015 CCP Workplan“, April 2015.

(7)  COM(2016) 856 final.

(8)  Gemäß Artikel 5 und 6 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister.

(9)  Vollständige aktualisierte Liste: https://www.esma.europa.eu/regulation/post-trading/central-counterparties-ccps.

(10)  Die Kommission wird diesen fachlichen Rat der ESMA wahrscheinlich bei der Erstellung möglicher Durchführungsrechtsakte nach Artikel 25 Absatz 6, Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 75 Absatz 1) der EMIR-Verordnung bezüglich der Gleichwertigkeit des Rechts- und Aufsichtsrahmens von Drittstaaten (Nicht-EU-Mitgliedstaaten) einholen.

(11)  Liste der CCPs und Regulierungsbehörden: https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/ccps_authorised_under_emir.pdf.

(12)  Artikel 127 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und Artikel 3 Nummer 3.1 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank.

(13)  Liste der CCPs und Regulierungsbehörden: https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/designated_payment_and_securities_settlement_systems.pdf.

(14)  Financial Times, JPMorgan tells clearers to build bigger buffers, 11. September 2014, Autoren: Sam Fleming und Philip Stafford.


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/36


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 in Bezug auf die Verschuldungsquote, die strukturelle Liquiditätsquote, Anforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten, das Gegenparteiausfallrisiko, das Marktrisiko, Risikopositionen gegenüber zentralen Gegenparteien, Risikopositionen gegenüber Organismen für gemeinsame Anlagen, Großkredite, Melde- und Offenlegungspflichten und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012“

(COM(2016) 850 final — 2016/0360 (COD)),

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf die Verlustabsorptions- und Rekapitalisierungskapazität von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen“

(COM(2016) 851 final — 2016/0361 (COD)),

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/59/EU über die Verlustabsorptions- und Rekapitalisierungskapazität von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG, 2002/47/EG, 2012/30/EU, 2011/35/EU, 2005/56/EG, 2004/25/EG und 2007/36/EG“

(COM(2016) 852 final — 2016/0362 (COD)),

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2013/36/EU hinsichtlich ausgenommener Einrichtungen, Finanzholdinggesellschaften, gemischter Finanzholdinggesellschaften, Vergütung, Aufsichtsmaßnahmen und -befugnisse und Kapitalerhaltungsmaßnahmen“

(COM(2016) 854 final — 2016/0364 (COD))

(2017/C 209/06)

Berichterstatter:

Daniel MAREELS

Befassung

Europäisches Parlament, 1.2.2017

Rat der Europäischen Union, 2.2.2017 und 20.2.2017

Europäische Kommission, 17.2.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

8.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

30.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

177/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt nachdrücklich das Paket der Vorschläge der Kommission und hofft, dass es wirklich zur Vollendung der nach der Krise eingeleiteten Reformen des Bankenwesens beiträgt.

1.2.

Der EWSA begrüßt die ganzheitliche und integrierte Vision, die den Vorschlägen zugrunde liegt, wodurch sich einige wichtige Ziele in ganz unterschiedlichen Bereichen vereinbaren und in diesen Vorschlägen zusammenführen lassen, ohne von den Grundsätzen abzuweichen. Dieser Ansatz schafft die Möglichkeit, auf dem Weg zu einer nachhaltigeren und gemeinschaftlichen europäischen Zukunft sowie zur Vollendung der WWU in mehreren wichtigen Bereichen Fortschritte zu verzeichnen.

1.3.

In erster Linie gilt dies für die Ziele im Bereich der Banken und des Finanzsektors . Der EWSA ist der Ansicht, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen in jedem Fall zur Stärkung des europäischen Aufsichts- und Abwicklungsrahmens für Banken beitragen. Dies ist entscheidend für die angestrebte Risikominderung im Finanzsektor und die Steigerung der Widerstandsfähigkeit von Finanzinstituten . Finanzielle Stabilität und ein gesundes Finanzsystem, das zu einem stabilen und nachhaltigem Wirtschaftswachstum beiträgt, sind von entscheidender Bedeutung. Ferner darf auch das Schattenbankwesen bei der Regulierung nicht unberücksichtigt bleiben und muss in sie einbezogen werden.

1.4.

Nach Ansicht des EWSA ermöglicht insbesondere der risikomindernde Effekt der Vorschläge weitere Schritte zum Ausbau der Bankenunion und zudem die Errichtung ihrer dritten Säule, des europäischen Einlagensicherungssystems . Dies ist umso wichtiger, als eine vollwertige Bankenunion eine der Grundvoraussetzungen für die Vollendung der WWU ist, deren Verwirklichung unverzüglich anzustreben ist. Bestimmte Änderungen der Vorschläge wiederum sind auf dem Weg zu einer Kapitalmarktunion nützlich.

1.5.

Wichtig für den EWSA ist es, dass dadurch ein positiver Beitrag zur weiteren Rückgewinnung des Vertrauens von Kunden und Verbrauchern in den Finanzsektor geleistet wird. Daher begrüßt der EWSA, dass über die Maßnahmen zur Verlustabsorptionsfähigkeit ein Lösungsansatz zum Problem der Systemrelevanz geboten wird und zugleich Wirksamkeit und Effizienz der Regeln für Rettungsaktionen erhöht werden. Vorrangige Bedeutung hat auf jeden Fall weiterhin, dass im Fall einer Krise bei einer Bank keine staatlichen Mittel oder Mittel der Steuerzahler in Anspruch genommen werden müssen.

1.6.

Ferner ist der EWSA erfreut, dass das Augenmerk auch auf der Unternehmensfinanzierung lag. In der derzeitigen unsicheren und von Änderungen geprägten Situation und weil aktuell das Investitionsvolumen zu gering ist, darf keine Möglichkeit ungenutzt bleiben, neue und zusätzliche Chancen für ein dauerhaftes und nachhaltiges Wiedererstarken der Realwirtschaft zu schaffen, das mit Wachstum, zusätzlichen Investitionen und der Schaffung von Arbeitsplätzen einhergeht.

1.7.

Banken haben eine wichtige Funktion als Mittler auf den Kapitalmärkten und Bankkredite werden für Familien und KMU zweifellos auch künftig die wichtigste Finanzierungsquelle sein. Zwar bedeuten die Vorschläge einen Fortschritt bei der Schaffung der richtigen Voraussetzungen dafür, dass die Banken diese Funktion ausüben können, aber es stellt sich dennoch die Frage, ob die Bemühungen zugunsten der KMU, die das Rückgrat der europäischen Wirtschaft bilden, nicht weiter verstärkt und intensiviert werden könnten. Insbesondere fordert der EWSA die Bestätigung und Ausweitung des „KMU-Unterstützungsfaktors“ (1), dank dessen Banken für Kredite an KMU weniger Kapital vorhalten müssen. Zudem plädiert der EWSA für ein ähnliches Konzept für die Unternehmen der Sozialwirtschaft.

1.8.

Der EWSA begrüßt es ferner, dass unter anderem aufgrund der Sondierung einige Eigenheiten der EU berücksichtigt wurden . Dies gilt unter anderem für die Anpassungen an die in diesen Vorschlägen aufgeführten internationalen Vereinbarungen, die im Rahmen der weltweiten Reform des Finanzsektors getroffen wurden. Sie kommen der Unternehmensfinanzierung zugute.

1.9.

Da die aktuellen Vorschläge ein weiterer, aber nicht der letzte Schritt der Finanzsektorreform sind, die nach der Krise international beschlossen wurde, betont der EWSA, dass Europa bei den laufenden und künftigen internationalen Anstrengungen eine führende Rolle spielen muss. Es müssen internationale Mindestnormen vorgesehen werden und die europäischen Werte und Interessen sind zu schützen. Auf jeden Fall kommt es darauf an, keine für europäische Institutionen nachteiligen Verzerrungen zu akzeptieren.

1.10.

Der EWSA vertritt jedoch bezüglich der Berücksichtigung der erforderlichen Vielfalt im europäischen Bankenwesen bei der Regulierung die Ansicht, dass die Situation kleiner und weniger komplexer Banken zu wenig berücksichtigt wurde. Die aktuellen Vorschläge tragen den Besonderheiten und Möglichkeiten derartiger Institute nach wie vor nur unzureichend Rechnung. Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . Der EWSA vertritt die Ansicht, dass statt der derzeitigen fragmentarischen und beschränkten eher eine strukturierte und weiterreichende Vorgehensweise zum Vorteil von mehr Instituten und in mehr Bereichen angestrebt werden sollte. Dieser Art von Instituten dürfen keine unverhältnismäßig schweren Verpflichtungen oder Belastungen auferlegt werden.

1.11.

Zudem muss im Interesse aller Beteiligten — Regulierungs- und Aufsichtsbehörden sowie Institute — bei der Umsetzung der neuen Regeln Klarheit und Rechtssicherheit angestrebt werden, für die im Übrigen eine ausreichende Umsetzungsfrist zu gewähren ist. Um mögliche negative Auswirkungen auf die Finanzierung der Wirtschaft zu vermeiden, sollten rasch die rechtlichen Übergangsmaßnahmen zum neuen IFRS (2) 9 umgesetzt werden. Die Branche sieht sich ohnehin zahlreichen Herausforderungen gegenüber, unter anderem hinsichtlich der technologischen und digitalen Entwicklungen, der niedrigen Zinsen und einiger weiterer Entwicklungen, die infolge der Finanzkrise auftraten.

Ergänzende Schlussfolgerungen

1.12.

Bezüglich der Stärkung des aufsichtsrechtlichen Rahmens begrüßt der EWSA, dass der Rolle der Regulierungs- und Aufsichtsbehörden und den ihnen eingeräumten Möglichkeiten verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet wird. Regeln und Aufsicht bedingen einander und müssen ihre jeweilige Funktion erfüllen können, unter anderem, um eine bessere Harmonisierung der Regeln und Praktiken zu erreichen und um gegebenenfalls effizient und wirksam eingreifen zu können.

1.13.

Bezüglich des Abwicklungsrahmens können die Integration der Verlustabsorptionsfähigkeit in die MREL-Regelung sowie die vorgesehene Harmonisierung der nationalen Rangfolge nachrangiger Schuldtitel und deren Eingliederung in das Konkursverfahren als positiv eingestuft werden. Dies führt zur Harmonisierung der Regelung, zudem wird die operative Anwendbarkeit der Verlustabsorptionsregelung verbessert.

2.   Hintergrund  (3)

2.1.

Die Kommission hat am 23. November 2016 einige Vorschläge zur Reformierung des für die Banken geltenden Regelwerks veröffentlicht. Ziel dieser Vorschläge ist die Umsetzung von Texten, die vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht und dem Rat für Finanzstabilität unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Sondierung erarbeitet wurden, die von der Kommission zur Prüfung der Wirksamkeit und Effizienz der derzeitigen Rechtsvorschriften zu Banken organisiert wurde.

2.2.

In diesen Vorschlägen für Rechtsvorschriften (4) ist die Änderung der derzeitigen Rechtsvorschriften zu Banken vorgesehen. Dazu gehören insbesondere:

2.2.1.

die Eigenkapitalverordnung (CRR) und die Eigenkapitalrichtlinie (CRD) von 2013, die Aufsichtsstandards für Kreditinstitute (Banken) und Investmentgesellschaften sowie Vorschriften über die Unternehmensführung und -überwachung enthalten;

2.2.2.

die Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und die Verordnung über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus von 2014 mit Sanierungs- und Abwicklungsregeln insolvenzbedrohter Institute und der Einführung des einheitlichen Abwicklungsmechanismus.

2.3.

Die neuen Vorschläge dienen mehreren Zielen. Dazu gehören in erster Linie:

2.3.1.

die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Institute in der EU und die Förderung der Finanzstabilität,

2.3.2.

die Verbesserung der Kreditvergabekapazität der Banken zur Unterstützung der Wirtschaft in der Europäischen Union und

2.3.3.

die Unterstützung der Banken in ihrer Rolle bei der Schaffung tieferer und liquiderer EU-Kapitalmärkte, um so die Schaffung der Kapitalmarktunion zu fördern.

2.3.4.

An dieser Stelle sollte auch erwähnt werden, dass zugleich eine besser abgestimmte und weiterreichende Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zum Vorteil kleiner und weniger komplexer Banken ermöglicht wurde.

2.4.    Die Kernelemente  (5) der Vorschläge lassen sich — ohne auf Details einzugehen — folgendermaßen wiedergeben:

2.4.1.

Bezüglich der in Ziffer 2.3.1 genannten Ziele:

2.4.1.1.

die Auferlegung risikosensiblerer Kapitalanforderungen insbesondere im Hinblick auf Marktrisiko, Gegenparteiausfallrisiko und Risikopositionen gegenüber zentralen Gegenparteien;

2.4.1.2.

die Umsetzung der Bestimmungen unter besserer Berücksichtigung der tatsächlichen Risiken, denen die Banken ausgesetzt sind;

2.4.1.3.

die Einführung einer verbindlichen Verschuldungsquote (LR (6)) in Höhe von mindestens 3 % zur Vermeidung einer übermäßigen Verschuldung der Institute;

2.4.1.4.

die Auferlegung einer verbindlichen strukturellen Liquiditätsquote (NFSR (7)), um die starke Abhängigkeit von einer kurzfristigen Finanzierung am Interbankenmarkt zu verringern und langfristige Finanzierungsrisiken zu senken;

2.4.1.5.

Die Anforderung an global systemrelevante Institute (8) (G-SRI (9)), die Eigenkapital sowie andere Instrumente, die bei einer Abwicklung Verluste tragen, in einer bestimmten Mindesthöhe halten müssen. Diese Anforderung, die mit dem Begriff „Verlustabsorptionsfähigkeit“ (TLAC (10)) bezeichnet wird, wird in das bestehende MREL-System (11) integriert, das für alle Banken gilt. Dies ermöglicht es der EU, systemrelevante, weltweit tätige Institute bei ihrem Ausfall besser abzuwickeln, während die Finanzstabilität gewährleistet und das Risiko für die Steuerzahler auf ein Mindestmaß beschränkt wird. Ferner wird die Harmonisierung der Gläubigerrangfolge vorgesehen, sodass im Falle einer Gläubigerbeteiligung bei der Abwicklung von Banken einheitliche Ausgangsbedingungen herrschen.

2.4.2.

Bei den in Ziffer 2.3.2 (und in gewissem Maße auch bei den in Ziffer 2.3.4) genannten Zielsetzungen geht es darum:

2.4.2.1.

die Kapazität der Banken für die Kreditvergabe an KMU und die Finanzierung von Infrastrukturprojekten zu erhöhen;

2.4.2.2.

im Hinblick auf weniger komplexe, kleine Banken den Verwaltungsaufwand infolge einiger Vorschriften im Bereich Vergütung abzubauen, insbesondere für den Vergütungsaufschub und die Vergütung mit Instrumenten wie Aktien;

2.4.2.3.

die Verhältnismäßigkeit von CRD-/CRR-Bestimmungen zu verbessern und dadurch kleinere, weniger komplexe Institute zu entlasten, da einige der aktuellen Anforderungen an die Offenlegung, Berichterstattung und komplexe Anforderungen an das Handelsbuch nicht durch aufsichtsrechtliche Überlegungen gerechtfertigt zu sein scheinen.

2.4.3.

In Bezug auf die in Ziffer 2.3.3 genannten Zielsetzungen wird angestrebt:

2.4.3.1.

unverhältnismäßige Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuchpositionen, einschließlich Positionen aus Marktmacher-Tätigkeiten, zu vermeiden;

2.4.3.2.

die Kosten für das Begeben/Halten bestimmter Instrumente (gedeckte Schuldverschreibungen, Verbriefungsinstrumente hoher Qualität, öffentliche Schuldtitel, Derivate zu Sicherungszwecken) zu verringern;

2.4.3.3.

mögliche Negativanreize für Institute zu vermeiden, die bei Transaktionen, die von zentralen Gegenparteien gecleart werden, als Mittler für Kunden auftreten.

3.   Bemerkungen und Kommentare

3.1.    Allgemeine Überlegungen

3.1.1.

Diese Vorschläge sind ohne jeden Zweifel begrüßenswert. Sie bedeuten eine weitere Ergänzung und Konkretisierung der wichtigen Maßnahmen, die nach der Krise zur Reform des Finanzsektors ergriffen wurden. Zugleich tragen sie der Tatsache Rechnung, dass Banken in Europa auch künftig eine wichtige Rolle in der Gesellschaft und insbesondere in der Unternehmensfinanzierung spielen werden. Banken haben eine wichtige Funktion als Mittler auf den Kapitalmärkten und Bankkredite werden in Europa für Familien und Unternehmen und insbesondere für KMU auch künftig die wichtigste Finanzierungsquelle sein. Dies darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.

3.1.2.

Der EWSA begrüßt zunächst die ganzheitliche und integrierte Vision, die dem Zustandekommen dieser Vorschläge zugrunde lag, wobei auch unterschiedliche wichtige gesellschaftliche Zielsetzungen und wünschenswerte Entwicklungen berücksichtigt wurden. Es ist eines der großen Verdienste, dass bei der Entwicklung der heutigen Vorschläge konkrete Maßnahmen erarbeitet wurden, ohne die Prinzipien zu verleugnen. Denn das Eine darf nicht auf Kosten des Anderen gehen.

3.1.3.

Angesichts des schwierigen und komplexen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergrunds und einer ganzen Reihe bevorstehender großer Herausforderungen bietet die Vereinbarung und Zusammenführung mehrerer wichtiger Ziele auf den unterschiedlichsten Ebenen ein nicht unerhebliches Potenzial, um in verschiedenen Bereichen Fortschritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren und gemeinsamen europäischen Zukunft zu erzielen. Dieser ausgewogene Ansatz trägt auch zur Rückgewinnung des Vertrauens bei.

3.1.4.

Der EWSA begrüßt auch, dass die Ergebnisse der Sondierung (12) berücksichtigt wurden, da dies auf der einen Seite einen harmonischeren Ansatz und die Einbeziehung aller Beteiligten und auf der anderen Seite einen besser abgestimmten vielseitigeren Ansatz innerhalb der festgelegten Zielsetzungen ermöglichte.

3.1.5.

Für den EWSA ist nach wie vor sehr wichtig, dass das Bankenwesen widerstandsfähig und hinreichend mit Kapital ausgestattet ist, weil dies die Voraussetzung und die Grundlage für den Erhalt der Finanzstabilität ist.

3.1.6.

Nicht weniger wichtig sind Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft und der effizienten Unternehmensfinanzierung, damit Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzschaffung maximal unterstützt werden können.

3.1.7.

Zudem können diese Vorschläge dank ihres risikomindernden Charakters zur weiteren Realisierung der Bankenunion (13) beitragen und sie sind in den Augen des EWSA ein Schlüsselelement, das auch Fortschritte bei der Umsetzung der dritten Säule dieser Bankenunion, des europäischen Einlagensicherungssystems, ermöglicht. Die Bankenunion ist ihrerseits einer der Grundpfeiler der WWU, deren Verwirklichung rasch anzustreben ist. Außerdem kommen diese Vorschläge dem Aufbau der Kapitalmarktunion (14) zugute, was einen weiteren Mehrwert bedeutet.

3.1.8.

Diese Vorschläge sind ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Rückgewinnung des Vertrauens in den Finanzsektor und die Banken, aber noch nicht der letzte. Der EWSA hofft, dass die Erarbeitung künftiger Schritte vom selben Geist durchdrungen sein wird. Dies gilt insbesondere für die Fragen, die derzeit unter anderem im Rahmen der Vollendung des Basel-III-Regelwerks (15) noch diskutiert werden (16) und für die in relativ kurzer Zeit Ergebnisse erwartet werden. Auf jeden Fall kommt es darauf auf, das Risiko im Sektor weiter zu verringern, ohne den europäischen Bankensektor unverhältnismäßig zu belasten.

3.1.9.

Ferner scheint es auch wichtig, den internationalen Kontext im Auge zu behalten, vor allem weil sich nun gezeigt hat, dass manche Absprachen zur weltweiten Reform des Finanzsektors von Partnern außerhalb der EU anders bzw. weniger streng ausgelegt wurden. Die allumfassende Reformagenda, die von den G20 nach der Finanzkrise vereinbart wurde, darf nicht gefährdet werden oder weltweit zu allzu großen Unterschieden oder Zersplitterungen führen, die sich für die in der EU ansässigen Institute nachteilig auswirken würden.

3.1.10.

Diese Vorschläge müssen dem Finanzsektor und den Akteuren auf jeden Fall genügend Klarheit und Sicherheit bieten. Ein diversifizierter Sektor mit korrekten Vergütungen, der in einem einheitlichen europäischen Raum agiert, muss die Möglichkeit haben, auch andere Herausforderungen anzugehen, z. B. in Bezug auf die technologischen und digitalen Entwicklungen, die niedrigen Zinsen und eine Reihe weiterer Probleme, die infolge der Krise auftraten, wie die notleidenden Kredite (17) in manchen Ländern.

3.1.11.

Zum Abschluss wiederholt der EWSA hier seinen früheren Standpunkt, dass auch das Schattenbankwesen bei der Regulierung berücksichtigt und in sie einbezogen werden muss. Zur Stärkung der Finanzstabilität müssen die damit verbundenen potenziellen Risiken künftig ebenfalls der Kontrolle und Aufsicht unterliegen. Gleichzeitig muss an alle Akteure des Finanzwesens dieselbe Messlatte angelegt werden und zwischen ihnen gelten.

3.2.    Aufsichtsrechtlicher Rahmen und diesbezügliche Maßnahmenvorschläge

3.2.1.

Der EWSA begrüßt, dass der aufsichtsrechtliche Rahmen und dessen weitere Ergänzung und Stärkung durch die verschiedenen Quoten und weitere, in den vorliegenden Vorschlägen vorgesehene Maßnahmen in den Mittelpunkt gerückt werden. Sie werden auf Zustimmung stoßen, vor allem, da sie ausreichend differenziert sind und unter anderem dafür gesorgt wird, dass die Unternehmensfinanzierung nicht unnötig behindert wird.

3.2.2.

Der EWSA ist erfreut über das größere Augenmerk für die Rolle der Regulierungs- und Aufsichtsbehörden in diesem Bereich und über den Willen, ihnen zusätzliche Möglichkeiten an die Hand zu geben und eine stärkere und bessere Harmonisierung der Vorschriften und Praktiken anzustreben. Dies ist nicht nur zur Vermeidung einer zu starken Ungleichbehandlung von Banken wichtig, sondern auch im Hinblick auf die umfassendere Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

3.3.    Abwicklungsrahmen

3.3.1.

Im Einklang mit seinen früheren Stellungnahmen begrüßt der EWSA, dass die Problematik der Systemrelevanz in den neuen Vorschlägen aufgegriffen wurde. Die Einführung der TLAC für die europäischen G-SRI im Rahmen der MREL mit einem allgemein anwendbaren Teil (18) und einem individuellen Teil (19) ermöglicht zugleich einen harmonisierten und maßgeschneiderten Ansatz.

3.3.2.

Doch dies ist nicht genug. Wie seinerzeit dargelegt (20) müssen die vollständige Umsetzung von Basel III, der Finanzstabilitätsrat (FSB) sowie eine Lösung für systemrelevante Banken („too big to fail“) im Einklang mit internationalen Übereinkommen (G-20) auch in den kommenden Jahren ganz oben auf der Agenda stehen. Ziel muss auch künftig sein, die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors zu stärken und zugleich zu verhindern, dass in Zukunft weitere öffentliche Mittel zur Bankenrettung eingesetzt werden müssen. Im Übrigen sollte weiter eruiert werden, wie sich der von den Banken gehaltene hohe Teil der Staatsschulden verringern lässt, um den Abwicklungsmechanismus leichter anwenden zu können (21). Das würde auch der Vollendung der Bankenunion zugutekommen (22).

3.3.3.

Besonders erfreut ist der EWSA auch über den Vorschlag der Kommission einer stärkeren Harmonisierung der Rangordnung der Gläubiger durch die Schaffung einer neuen Vermögenskategorie in der Anwendung des Systems der Gläubigerbeteiligung, um gleiche Ausgangsbedingungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu gewährleisten (23).

3.4.    Maßnahmen für eine bessere Finanzierung der Realwirtschaft und insbesondere von KMU

3.4.1.

Natürlich ist es sehr begrüßenswert, dass die verschiedenen geplanten Maßnahmen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Finanzierung der Realwirtschaft geprüft wurden und dass die nötigen Maßnahmen ergriffen wurden, um die Kreditvergabekapazität der Banken zu verbessern.

3.4.2.

Insbesondere zeigt sich der EWSA erfreut, dass die Kreditvergabe an KMU, die das Rückgrat der europäischen Wirtschaft sind und bleiben, einen hohen Stellenwert hatte. KMU sorgen für Investitionen und Arbeitsplätze.

3.4.3.

Dies gilt besonders für die Fortsetzung und weitere Ausweitung des „KMU-Unterstützungsfaktors“. Der EWSA dringt darauf, dass gründlich untersucht werden muss, ob dieser Faktor nicht großflächiger eingesetzt werden kann — um möglichst viele Kredite für die KMU zu erreichen. Ebenso fordert der EWSA, dass die Kommission weitere Anstrengungen zur Stärkung der Wirtschaft derjenigen Mitgliedstaaten unternimmt, die meisten durch die Wirtschaftskrise geschwächt wurden.

3.4.4.

Zudem ist der EWSA ist der Ansicht, dass vergleichbare Anstrengungen zugunsten der Sozialwirtschaft und der in diesem Bereich tätigen Akteure unternommen werden sollten. Insbesondere könnte ein „Unterstützungsfaktor für Sozialunternehmen“ geschaffen werden.

3.5.    Weiterer Aufbau der Kapitalmarktunion

3.5.1.

Obwohl dies nicht die wichtigste Komponente ist, begrüßt der EWSA den Stellenwert, den der weitere Aufbau der Kapitalmarktunion in den jetzt vorliegenden Vorschlägen einnimmt.

3.5.2.

Im Einklang mit früheren Stellungnahmen (24) zu diesem Thema vertritt der EWSA die Ansicht, dass der Regulierungs- und Aufsichtsrahmen den Stärken der Kapitalmärkte jede erdenkliche Chance auf Entfaltung bieten und die Schwächen, wie etwa das Eingehen übermäßiger und überzogener Risiken, begrenzen muss. Das neue System muss gegen die negativen Auswirkungen eventueller weiterer Krisen gewappnet sein. Das setzt ebenfalls mehr Konvergenz und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der mikro- und makroprudenziellen Aufsicht voraus — sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene.

3.6.    Verhältnismäßigkeit und Verringerung der Verwaltungskosten

3.6.1.

Zunächst möchte der EWSA die grundlegende Bedeutung der Notwendigkeit des Bestehens einer diversifizierten Bankenlandschaft noch einmal bekräftigen (25). Sie dient nicht nur der Stabilität, sondern macht es auch möglich, optimal auf die Sorgen und Bedürfnisse aller einzugehen, ob Sparer, Anleger, Verbraucher oder Unternehmer.

3.6.2.

Erst einmal ist der EWSA sehr erfreut, dass aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den er zuvor als das größte Problem für kleine, weniger komplexe Banken bezeichnet hat (26), in die aktuellen Vorschläge eine Reihe konkreter Punkte aufgenommen wurde.

3.6.3.

Der EWSA ist allerdings der Ansicht, dass die Lage dieser Banken nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Die aktuellen Vorschläge tragen den Besonderheiten und Möglichkeiten derartiger Institute nur unzureichend Rechnung.

3.6.4.

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit statt wie bisher fragmentarisch und eingeschränkt strukturierter und weiterreichend zur Anwendung kommen sollte.

3.6.5.

Insbesondere sollten für die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht nur die Größe der betreffenden Institute, sondern auch die folgenden Aspekte berücksichtigt werden: i) die besonderen Merkmale der verschiedenen Geschäftsmodelle, ii) die verschiedenen institutionellen Formen dieser Banken und iii) die spezifischen Ziele, die die verschiedenen auf dem Markt aktiven Finanzinstitute anstreben.

3.6.6.

Diesen Instituten dürfen keine unverhältnismäßig schweren Verpflichtungen oder Belastungen auferlegt werden. Allerdings ist mehr Flexibilität in Bezug auf bestimmte spezifische Aspekte wie Berichtspflichten angezeigt. Zusätzliche Bestimmungen zur Verringerung ihres Verwaltungsaufwands sollten sorgfältig geprüft werden.

3.6.7.

Außerdem müssen für alle derartigen Institute unabhängig von ihrer Rechtsform gleiche Bedingungen geschaffen werden.

3.6.8.

Generell befürwortet der EWSA im Einklang mit den zu beachtenden Grundsätzen und sofern die Regulierungs- und Aufsichtsbehörden die Möglichkeit haben, schnell und adäquat einzuschreiten, die weitestmögliche Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowohl hinsichtlich der Zahl der Institute, die davon profitieren können, als auch hinsichtlich der Bereiche und Themen, für die es angewandt wird.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Wegen der Bedeutung einer konkreten und angemessenen Anwendung der vorgeschlagenen Maßnahmen ist es notwendig, den Finanzinstituten genügend Zeit für die Umsetzung der neuen Regeln zu geben. Dies erfordert eine schnelle Ausarbeitung der technischen und ausführungstechnischen Standards durch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde oder eine vorgesehene Umsetzungsfrist, die erst anläuft, wenn alle Details der Regelung von diesen Behörden ausgearbeitet wurden.

4.2.

Um die möglicherweise durch das Inkrafttreten des neuen IFRS 9 (27) entstehenden negativen Auswirkungen auf die Finanzierung der Realwirtschaft zu verhindern und zu neutralisieren, plädiert der EWSA dafür, rasch die rechtlichen Übergangsmaßnahmen umzusetzen, die zu diesem neuen internationalen Rechnungslegungsstandard vorgesehen werden.

Brüssel, den 30. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  In bestimmten offiziellen Texten wird das Konzept des „Faktors zur Unterstützung von KMU“ verwendet. Der englische Begriff lautet „SME supporting factor“.

(2)  IFRS = International Financial Reporting Standards (Internationale Rechnungslegungsstandards).

(3)  Dieser Text beruht u. a. auf den von der Kommission erteilten Informationen (u. a. Pressemitteilung und Q & A) zu den Vorschlägen.

(4)  Siehe Verfahren 2016/0360/COD, Verfahren 2016/0361/COD, Verfahren 2016/0362/COD und Verfahren 2016/0364/COD.

(5)  Dabei handelt es sich auf keinen Fall um eine erschöpfende Nennung aller Maßnahmen.

(6)  Akronym des englischen Begriffs „Leverage Ratio“.

(7)  Akronym des englischen Begriffs „Net Stable Funding Ratio“.

(8)  Zurzeit würde diese Maßnahme 13 europäische Bankengruppen betreffen.

(9)  Akronym des englischen Begriffs „Global Systemically Important Institution“ (Bezeichnung in der CRR für G-SIB) (G-SIB, „Global Systemically Important Banks“, systemrelevante weltweit tätige Banken).

(10)  Akronym des englischen Begriffs „Total Loss Absorption Capacity“.

(11)  Akronym des englischen Begriffs „Minimum Requirement for Eligible Liabilities and Own Funds“. Die deutsche Entsprechung lautet „Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten“.

(12)  COM(2016) 855 final.

(13)  ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 21.

(14)  ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 17.

(15)  Auch als Basel IV-Maßnahmen bezeichnet.

(16)  Die gilt unter anderem für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem operationellen Risiko und dem Kreditrisiko sowie die internen Modelle der Banken. Eine weitere unvollendete Baustelle des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht ist die Definition von Länderrisikostandards. Dies muss auch auf internationaler und europäischer Ebene ins Blickfeld rücken.

(17)  ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 17.

(18)  Sog. „Pillar 1 MREL Requirement“.

(19)  Sog. „Pillar 2 MREL Add-on Requirement“.

(20)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 10.

(21)  Siehe u. a. https://ec.europa.eu/epsc/publications/five-presidents-report-series/further-risk-reduction-banking-union_en.

(22)  ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 8.

(23)  Siehe EWSA-Stellungnahme ECO/429 „Reform des Bankensektors — Insolvenzrangfolge“. Noch nicht veröffentlicht.

(24)  ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 17.

(25)  ABl. C 251 vom 31.7.2015, S. 7.

(26)  ABl. C 251 vom 31.7.2015, S. 7.

(27)  Verordnung (EU) 2016/2067 der Kommission vom 22. November 2016 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1126/2008 zur Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den International Financial Reporting Standard 9 (ABl. L 323 vom 29.11.2016, S. 1).


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/43


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Sondierung — EU-Regulierungsrahmen für Finanzdienstleistungen“

(COM(2016) 855 final)

(2017/C 209/07)

Berichterstatterin:

Milena ANGELOVA

Befassung

Kommission, 23.11.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

8.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

29.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

226/4/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die erstmalige Einführung der Sondierung als ein innovatives, informatives und nützliches Instrument, um die Folgen von EU-Rechtsetzungsinitiativen zu bewerten, und hofft, dass dies künftig gängige Praxis sein wird.

1.2.

Der EWSA stimmt der Schlussfolgerung der Sondierung zu, in der betont wird, dass die Grundsätze der jüngsten Finanzmarktreformen im Allgemeinen außer Frage stehen und dass die neuen Vorschriften die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems verbessert haben. Der EWSA betont, wie wichtig der EU-Regulierungsrahmen für Finanzdienstleistungen ist, um die Vollendung der Kapitalmarktunion zu beschleunigen.

1.3.

Der EWSA begrüßt mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit, dass die Reform unter der umfassenderen Zielsetzung erfolgt, ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Finanzstabilitäts- und Wachstumszielen zu erreichen. Er fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, bei der Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften keine unnötigen Lasten und Einschränkungen zu schaffen. Er weist die Gesetzgeber der EU und der Mitgliedstaaten darauf hin, dass angemessene Zeiträume für das Inkrafttreten und die Anwendung der neuen Rechtsvorschriften vorgesehen werden sollten, damit sich alle Interessenträger darauf einstellen können.

1.4.

Der EWSA empfiehlt insbesondere mit Blick auf den Rechtsrahmen für Finanzdienstleistungen, dass Aspekte der Umsetzung, die im Ermessen der Mitgliedstaaten liegen, genau überwacht werden sollten, und dass zweckdienliche Umsetzungskontrollen eingerichtet werden sollten, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und die Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion zu fördern.

1.5.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass besonderes Augenmerk auf die Banken gelegt werden muss, da sie wichtige Dienstleistungen von allgemeinem Interesse für die breite Öffentlichkeit erbringen und die wichtigste Finanzierungsquelle für KMU darstellen. Das Finanzsystem der EU wird von Universalbanken dominiert, was die Aufgabe der Gesetzgeber sehr schwierig macht, da unternehmerische Freiheit und Risikobereitschaft in diesem Sektor sorgfältig gegen die erforderliche Stabilität abgewogen werden müssen.

1.6.

Der EWSA fordert die europäischen Entscheidungsträger daher auf, die Strukturreform des EU-Bankensektors zu beschleunigen und dabei unter anderem diesen Aspekt des Gesetzgebungsvorschlags der Kommission (1) auf den Weg zu bringen, der im Mitentscheidungsverfahren gegenwärtig nicht vorankommt. Der EWSA erinnert daran, dass Rechtsvorschriften nicht immer die beste politische Antwort sind und fordert die Kommission auf, sich nach Möglichkeit für eine nichtlegislative und marktorientierte Lösung zu entscheiden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, eine Sondierung durchzuführen, bevor Vorschläge für Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen unterbreitet werden, und empfiehlt, dieses Vorgehen zur gängigen Praxis im Rechtsetzungsverfahren zu machen. Der EWSA ist der Auffassung, dass dieser erstmals angewendete Ansatz als bewährtes Verfahren betrachtet werden sollte, das in Zukunft fortgeführt werden muss. Der EWSA begrüßt ferner die Tatsache, dass dieser Ansatz auch vom Europäischen Parlament nachdrücklich unterstützt wird (2).

2.2.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Kommission mit der Sondierung in ihrer Regulierungsmethodik einen Schritt weitergeht und das gesamte Regelwerk für Finanzdienstleistungen in den Blick nimmt, um zu bewerten, wie sich einzelne Rechtsvorschriften gegenseitig beeinflussen. Der EWSA fordert die Kommission auf, eine umfassendere Anwendung dieses Ansatzes bei künftigen Legislativinitiativen in Betracht zu ziehen. Dieser Ansatz steht im Einklang mit dem REFIT-Programm (3) und der Agenda für bessere Rechtsetzung (4).

2.3.

Der EWSA begrüßt die Anstrengungen der Kommission im Zusammenhang mit der Rolle der Gesetzgeber, eine geeignete Grundlage zu schaffen, um den Bankensektor (und im weiteren Sinne den Finanzsektor) zu entwickeln, damit dieser seine wichtigen und unersetzlichen Aufgaben zur Förderung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen wahrnehmen kann.

2.4.

Um auf dem bereits Erreichten erfolgreich aufzubauen und nicht an Dynamik zu verlieren, spricht sich der EWSA dafür aus, dass die Kommission Beispiele für Widersprüche, Überschneidungen und unbeabsichtigte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Rechtsvorschriften weiter und eingehend prüft.

2.5.

In Anbetracht der Tatsache, dass das Wachstum in der EU dringend wiederhergestellt und gefördert werden muss, fordert der EWSA Maßnahmen, um die aufsichtsrechtlichen Ziele auf eine wachstumsfreundlichere Weise zu erreichen. Für die Mehrzahl der Unternehmen in der EU und insbesondere für KMU zählen Bankkredite immer noch zu den wichtigsten Finanzierungsquellen, daher sollte bei der Ausarbeitung neuer Rechtsvorschriften vor allem darauf geachtet werden, dass der Kapitalfluss zur Wirtschaft nicht beeinträchtigt wird.

2.6.

Der EWSA begrüßt mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit, dass die Reform unter der umfassenderen Zielsetzung erfolgt, ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Finanzstabilitäts- und Wachstumszielen zu erreichen. Der EWSA weist darauf hin, dass Anstrengungen unternommen werden sollten, damit dieser Grundsatz auch auf Ebene der Mitgliedstaaten befolgt wird und die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften keine unnötigen Lasten und Einschränkungen auferlegen. Dies steht im Einklang mit den Anstrengungen, Lasten aufgrund von Doppelungen und Unstimmigkeiten der einzelnen Anforderungen zu beseitigen. Bei der erforderlichen Harmonisierung sollte ein Gleichgewicht zwischen der Anerkennung notwendiger Vielfalt, der Gewährleistung einer verhältnismäßigen Regulierung und einer angemessenen Nutzung des Ermessensspielraums angestrebt werden.

2.7.

Der EWSA fordert die Kommission auf, bei der Ausarbeitung von Vorschlägen für Richtlinien zu berücksichtigen, dass die Mitgliedstaaten Richtlinien unterschiedlich umsetzen. Einige Länder setzen Richtlinien zu streng und buchstabengetreu um, hebeln dadurch die in der Richtlinie vorgesehene Flexibilität aus und legen häufig selbst sehr viel strengere Bedingungen für ihre inländische Industrie fest als andere Länder. Andere Länder nutzen den Ermessenspielraum aus und unternehmen wenig im Sinne der einschlägigen Gesetzgebung. Die Folge sind ungleiche Wettbewerbsbedingungen, und eines der wichtigsten Ziele der Gesetzgebung wird auf diese Weise untergraben. Der EWSA schlägt aus diesem Grund vor, die Vielfalt bei der Umsetzung sehr genau zu überwachen und die Durchführung der Rechtsvorschriften in geeigneter Weise zu kontrollieren.

2.8.

Der EWSA unterstützt grundsätzlich die von der Kommission in ihrer Mitteilung (5) vorgeschlagenen Folgemaßnahmen und fordert die Kommission auf, die entsprechenden Rechtsakte für eine breitangelegte Konsultation mit den Interessenträgern in den maßgeblichen Bereichen vorzulegen, sobald diese ausgearbeitet sind.

2.9.

Die Kommission sollte im Rahmen ihrer zusätzlichen Folgemaßnahmen berücksichtigen, dass die Umsetzungsfristen im Bereich der Finanzdienstleistungen in vielen Fällen an die Annahme der Rahmengesetzgebung (Ebene 1) gekoppelt sind. Damit die Durchführung auch richtig erfolgt, werden jedoch genaue Angaben zu den detaillierten Durchführungsmaßnahmen (Ebene 2) benötigt. Die an Rechtsvorschriften der Ebene 1 gekoppelten Umsetzungsfristen sind daher häufig viel zu kurz. Die Umsetzungsfristen müssen an die Annahme der endgültigen detaillierten Umsetzungsmaßnahmen (Ebene 2) gekoppelt sein. Der EWSA begrüßt, dass die Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten einen Fahrplan für die Umsetzung ausarbeitet, und würde die Entwicklung gern genau mitverfolgen.

3.   Allgemeine Bemerkungen zu den Folgemaßnahmen

3.1.    Abbau unnötiger Regulierungszwänge bei der Finanzierung der Wirtschaft

3.1.1.

Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, Anpassungen in wichtigen Bereichen der Eigenmittelverordnung (CRR2-Paket) vorzuschlagen, um die Fähigkeit der Banken sicherzustellen, der Wirtschaft Finanzmittel bereitzustellen (6).

3.1.1.1.

Der EWSA betrachtet die Idee, die Verschuldungsquote anzupassen, um der Vielfalt des EU-Finanzsektors Rechnung zu tragen und den Zugang zu Clearing und öffentlicher Entwicklungsfinanzierung sicherzustellen, als in hohem Maße angebracht.

3.1.1.2.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag, eine strukturelle Liquiditätsquote einzuführen und weiter zu verfeinern, um die einwandfreie Funktionsweise von Handelsfinanzierungen, Derivatemärkten und Märkten für Rückkaufvereinbarungen in der EU sicherzustellen.

3.1.2.

Für KMU in ganz Europa sind Bankkredite nach wie vor die wichtigste Finanzierungsquelle (7). Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, den KMU-Förderfaktor auf Darlehen über 1,5 Mio. EUR auszuweiten (8). Gleichzeitig fordert der EWSA die Kommission auf, der Bewertung, ob die Bankfinanzierung ausreicht, besonderes Gewicht beizumessen und Schritte zu unternehmen, um die Bankfinanzierung wirksamer auszurichten, damit den besonderen Bedürfnissen von KMU auf der Grundlage ihrer unterschiedlichen Risikoprofile, Entwicklungsstufen, Industriestandorte usw. Rechnung getragen wird. Der EWSA schlägt ferner vor, dass die Kommission die Möglichkeit erwägen sollte, den KMU-Förderfaktor auf potenzielle Erhöhungen der Eigenmittelanforderungen im Fall von antizyklischen oder systemischen Risiken anzuwenden, da die Kreditvergabe an KMU andernfalls eingeschränkt sein könnte.

3.1.3.

Der EWSA würde es begrüßen, wenn die verschuldungsfreundliche Besteuerung der Unternehmen wesentlich eingeschränkt würde, um die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit und die Kapitalallokation auszubauen, wodurch Fremdkapital für Emittenten und Anleger noch attraktiver werden würde.

3.1.4.

Der EWSA hebt mit Blick auf die Schaffung einer Kapitalmarktunion (9) hervor, dass Unternehmen je nach Größe, Umfang ihrer Geschäftstätigkeit und Besonderheiten Zugang zu verschiedenen Marktformen in der gesamten EU haben sollten.

3.1.5.

Der EU-Rechtsrahmen für Finanzdienstleistungen stellt eine einmalige Gelegenheit dar, um den Bedarf nach Vielfalt in der Auswahl für Investoren und Verbraucher besser zu erfüllen und ein Umfeld zu schaffen, in dem die Innovation bei Finanzprodukten gefördert wird.

3.2.    Verhältnismäßigkeit der Vorschriften erhöhen, ohne die Aufsichtsziele zu beeinträchtigen

3.2.1.

Der EWSA betont, dass die Vollendung der Bankenunion schrittweise vorangetrieben werden muss, und weist darauf hin, dass die Rechtsvorschriften in dieser Hinsicht vollständig und zügig umgesetzt werden müssen.

3.2.2.

Der EWSA fordert die Kommission dazu auf, sich weiterhin dafür einzusetzen, dass die Bankstrukturreform zum Abschluss kommt. Er betont, dass Inhalt und Anforderungen in Bezug auf die Meldefrequenz vereinfacht werden müssen und geprüft werden muss, welche Daten tatsächlich benötigt werden, dass Vorlagen abgestimmt werden müssen, für eine Vereinfachung zu sorgen ist und nach Möglichkeit Ausnahmen für KMU sicherzustellen sind.

3.2.3.

Der EWSA fordert die Kommission auf, bei der Überarbeitung von EMIR (Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen) die Auswirkungen zu untersuchen, die eine Absenkung der Qualität der Sicherheiten, die von zentralen Gegenparteien (CCP) akzeptiert werden, auf die Widerstandsfähigkeit von CCP haben könnte, und zu prüfen, ob bestimmte Marktteilnehmer wie z. B. Rentenfonds dauerhaft vom zentralen Clearing ausgenommen werden könnten, sofern ihre Teilnahme die Stabilität des Finanzsystems insgesamt reduziert, da alternative, unbare Sicherheiten akzeptiert werden.

3.2.4.

Der EWSA schlägt im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Folgendes vor:

anstatt die Häufigkeit der erforderlichen Berichte einfach zu verringern, sollten kleine Banken oder kleine Finanzinstitute bis zu einem bestimmten Schwellenwert von bestimmten Meldepflichten ausgenommen werden. Die Regulierungskosten für kleine Institute können andernfalls zu Marktverzerrungen führen, durch die besondere Organisationsformen und Großunternehmen begünstigt werden;

kleine Banken und allgemein kleine Finanzinstitute sollten nicht mit Verwaltungsanforderungen überlastet werden, solange sie bestimmte Standards einhalten. Diese Standards sollten streng überwacht werden, um einen Vertrauensverlust zu vermeiden.

3.3.    Unnötige Regulierungslasten abbauen

3.3.1.

Der EWSA ist der festen Ansicht, dass EU-Unternehmen aller Größen, Branchen und Lebenszyklusphasen durch die erfolgreiche Vollendung der Kapitalmarktunion in der Lage sein sollten, einen benutzerfreundlichen, unkomplizierten und erschwinglichen Zugang zum EU-Kapitalmarkt zu erhalten. Der EWSA hofft, dass die Prospektrichtlinie mit einem effizienten Gesetzgebungsakt der Ebene 2 einhergeht, mit dem die Notierung insbesondere von KMU unterstützt und eine günstigere Regelung für die Mittelbeschaffung festgelegt wird.

3.3.2.

Der EWSA stimmt zwar zu, dass nationale Aufsichtsorgane bessere Kenntnisse über lokale Marktmerkmale haben, warnt jedoch, dass dies auf keinen Fall eine Entschuldigung für eine übermäßige Regulierung sein darf und dass die Anforderungen auf nationaler Ebene nicht strenger als die EU-Rechtsvorschriften sein dürfen.

3.3.3.

Der EWSA ist besorgt über die wachsende Komplexität der Rechtsvorschriften, die sich im zunehmenden Umfang, der mehr ins Detail gehenden und steigenden Zahl von Regulierungsebenen und Aufsichtsinstanzen auf allen Ebenen — international, EU und national — zeigt. Der EWSA stimmt natürlich zu, dass Finanzmärkte sehr komplex sind und daher eine komplexere Regulierung notwendig ist, warnt jedoch vor möglichen negativen Auswirkungen auf die Investitionen. Der EWSA ist der Ansicht, dass Rechtsvorschriften nicht immer die beste politische Antwort sind, und fordert die Kommission auf, sich nach Möglichkeit für eine nichtlegislative und marktorientierte Lösung zu entscheiden.

3.4.    Den Regulierungsrahmen kohärenter und vorausschauender gestalten

3.4.1.

Der EWSA würde einen risikobasierten Ansatz bei der Regulierung begrüßen, mit gleichen Vorschriften für das gleiche Risiko. Der EWSA weist in dieser Hinsicht auf die Vorteile der Vermögenswertdiversifizierung sowohl in Bezug auf die Anlageklasse als auch auf die Herkunft der Anlage als eine Möglichkeit hin, eine bessere Risikostreuung zu erzielen und den Bedürfnissen der Anleger entgegenzukommen.

3.4.2.

Der EWSA weist darauf hin, dass Initiativen zur Förderung einer umfangreicheren und besseren Vermittlung von Finanzwissen (10), im Rahmen derer die besonderen Bedürfnisse jedes Mitgliedstaats berücksichtigt werden sollten, auf EU-Ebene zügig umgesetzt werden müssen. KMU müssen besonders in den Mittelpunkt gerückt werden, dazu gehört auch eine bessere Nutzung der von den Kapitalmärkten angebotenen Möglichkeiten.

3.4.3.

Intermediäre, insbesondere Wirtschaftsverbände, spielen eine sehr wichtige Rolle, um Finanzmittel in die Realwirtschaft sowie in gut ausgebaute lokale Ökosysteme zu lenken.

3.4.4.

Der EWSA betont in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen einer früheren Stellungnahme (11), dass die Konsultation zu Finanzdienstleistungen für Privatkunden zu breit angelegt war, und schlägt einen zielgerichteten Ansatz für den vorgesehenen Aktionsplan zu Finanzdienstleistungen für Privatkunden vor, um greifbarere Ergebnisse zu erzielen. Der EWSA ist ferner der Ansicht, dass der Verbraucherschutz einen Schwerpunkt dieses Aktionsplans bilden sollte.

3.4.5.

Der EWSA unterstützt uneingeschränkt, dass der technologischen Entwicklung bei der Ausarbeitung künftiger Vorschriften Priorität eingeräumt wird. Er fordert die Kommission diesbezüglich jedoch nachdrücklich auf, hinsichtlich der Bedrohungen für die Cybersicherheit Vorsicht walten zu lassen. Er betont, dass die Entwicklung des digitalen Binnenmarkts und kontinuierliche Reformen in den Bereichen Gesellschaftsrecht und Corporate Governance im Mittelpunkt eines integrierten Ansatzes zur Vollendung der Kapitalmarktunion stehen sollten.

3.4.6.

Der EWSA schlägt vor, dass eine weitere Überarbeitung der Transparenzrichtlinie, die sich auf die Mitteilung bedeutender Beteiligungen konzentriert, Teil der Folgemaßnahmen sein sollte. Diese Mitteilungen unterscheiden sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat und manchmal sogar von einem notierten Unternehmen zum anderen. Dies ist eine unnötige Belastung für Anleger, die durch eine vollständige Harmonisierung vermieden werden sollte, zumal sie die Entwicklung der Kapitalmarktunion behindert.

3.4.7.

Generell werden grenzüberschreitende Investitionen dadurch behindert, dass Anleger bei Investitionen in notierte Unternehmen mit Sitz in einem der 28 Mitgliedstaaten 28 einzelne Regulierungssysteme berücksichtigen müssen. Detaillierte Verordnungen — anstatt Richtlinien — wären ein wichtiger Schritt zur Schaffung einer Kapitalmarktunion. Die Verordnungen sollten mit europäischer Aufsicht und Durchsetzung einhergehen.

4.   Die nächsten Schritte

4.1.

Der EWSA befürwortet die vollständige Aufnahme von nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten in die Bankenunion.

4.2.

Der EWSA betont in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen (12) seiner aktuellen Stellungnahme, dass die Überarbeitung der Prospektrichtlinie auf eine Kostenverringerung und Vereinfachung der Verfahren für KMU abzielen und gleichzeitig für ein ausgewogenes Verhältnis in Bezug auf den Anlegerschutz sorgen sollte. Der EWSA betont, dass die Folgenabschätzungen und Kosten-Nutzen-Bewertungen eine gründliche Prüfung der Auswirkung von Maßnahmen der Ebene 2 beinhalten sollten, die einen wesentlichen Teil des EU-Finanzregulierungsrahmens darstellen.

4.3.

Der EWSA fordert die Kommission und die einschlägigen Aufsichtsbehörden auf, dem Zusammenspiel der Internationalen Rechnungslegungsstandards und der Aufsichtsanforderungen Rechnung zu tragen und die Auswirkungen der steuerlichen Rechnungslegung auf die Eigenmittel zu prüfen.

4.4.

Der EWSA weist die Kommission gleichzeitig darauf hin, dass die Verordnungen manchmal so oft geändert werden, dass dies zu Verwirrung führt und es für Institute und Einzelpersonen sehr schwierig oder sogar unmöglich ist, den Anforderungen zu entsprechen. Die Anpassung der Verfahren und Formulare muss zeitlich richtig geplant werden; die Kommission sollte daher vor neuerlichen Änderungen eine Zeitspanne vorsehen.

4.5.

Die Kommission muss sicherstellen, dass die Zeit für die korrekte einzelstaatliche Umsetzung der Rechtsvorschriften auch im Falle einer Konsultation der Europäischen Aufsichtsbehörden bei der Erarbeitung von Rechtsvorschriften der Ebene 2 ausreicht. Andernfalls müssen die Umsetzungsfristen entweder verlängert werden (wie im Fall der verpackten Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte — PRIIP), oder im schlimmsten Fall haben Unternehmen und ihre Mitarbeiter nicht ausreichend Zeit, sich mit den neuen Rechtsvorschriften vertraut zu machen, bevor sie ihnen entsprechen müssen.

4.6.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass im Finanzsektor neben Regulierungsbemühungen auch ein Wandel der Kultur und Verhaltensweisen erforderlich sind. Er fordert daher alle Interessenträger auf, sich kontinuierlich für eine bessere Einhaltung, ein verantwortungsvolleres und transparenteres Management und eine stärker langfristige Ausrichtung aller Marktteilnehmer einzusetzen.

4.7.

Der EWSA spricht sich für die Förderung auch anderer Ratingagenturen aus, damit der Wettbewerb in diesem stark konzentrierten Markt zunimmt. Auf diese Weise dürften sich die übermäßigen Kosten für KMU für eine externe Bonitätsbewertung senken lassen. Der EWSA fordert die Kommission ferner auf, weiter nach Wegen für eine vergleichbare und kostengünstige Bewertung von KMU zu suchen.

4.8.

Im Sinne einer schnellen und effizienten Umsetzung empfiehlt der EWSA in Übereinstimmung mit den Prioritäten des Arbeitsprogramms der Kommission 2017 (13), Schritte zu unternehmen, um sicherzustellen, dass sich die Mitgliedstaaten rückhaltlos zur Einhaltung der Umsetzungsfristen der Richtlinien verpflichten und ihre vollständige Umsetzung gewährleisten.

4.9.

Der EWSA fordert die Kommission in Übereinstimmung mit der Initiative zur besseren Rechtsetzung auf, eine frühe Beteiligung aller maßgeblichen Interessenträger zu fördern, zu denen auch Sachverständigengruppen und Beratungsgremien gehören. Damit soll eine ausgewogene, der Vielfalt der Interessenträger entsprechende Beteiligung bei den Konsultationen sichergestellt werden.

Brüssel, den 29. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Kreditinstituten in der Union (COM(2014) 43 final).

(2)  http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference=P8-TA-2016-0006&language=DE.

(3)  http://ec.europa.eu/info/law-making-process/evaluating-and-improving-existing-laws/refit-making-eu-law-simpler-and-less_de.

(4)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bessere Ergebnisse durch bessere Rechtsetzung — Eine Agenda der EU (COM(2015) 215 final).

(5)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Sondierung „EU-Rechtsrahmen für Finanzdienstleistungen“ (COM(2016) 855 final).

(6)  COM(2016) 850 final.

(7)  Informationsbericht des EWSA zum Thema „Zugang zu Finanzierung für KMU und Unternehmen mit mittlerer Kapitalausstattung im Zeitraum 2014-2020: Chancen und Herausforderungen“.

(8)  Eigenmittelverordnung (CCR), Artikel 501 (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 1).

(9)  ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 64.

(10)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 24.

(11)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 35.

(12)  ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 9.

(13)  COM(2016) 710 final.


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/49


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gründung der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1365/75 des Rates“

(COM(2016) 531 final — 2016/0256 (COD)),

zum

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop) und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 337/75 des Rates“

(COM(2016) 532 final — 2016/0257 (COD))

und zum

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2062/94 des Rates“

(COM(2016) 528 final — 2016/0254 (COD))

(2017/C 209/08)

Berichterstatterin:

Christa SCHWENG (AT/I)

Mitberichterstatterin:

Giulia BARBUCCI (IT/II)

Befassung

Rat der Europäischen Union, 8.9.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 173 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

7.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

30.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

168/0/0

1.   Schlussfolgerungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt den Vorschlag für eine Überarbeitung der Gründungsverordnungen für die drei Agenturen Cedefop, Eurofound und EU-OSHA zur Kenntnis. Er begrüßt nachdrücklich, dass die ausgewogene, dreigliedrige Struktur des Verwaltungsrates — im Gegensatz zu den Vorschlägen des gemeinsamen Konzepts — beibehalten werden soll. Die Dreigliedrigkeit ist Ausdruck eines inklusiven Ansatzes, der der Bedeutung der Sozialpartner bei der Suche nach gemeinsamen Lösungen Rechnung trägt.

1.2.

Die übergeordneten Ziele der drei Agenturen sollten umfassend und einheitlich dahingehend definiert werden, dass sie „den Erfordernissen aller Organe und Einrichtungen der EU, der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner entsprechen“.

1.3.

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass Personalbefugnisse und die Befugnisse zur Änderung der internen Strukturen der jeweiligen Agentur beim Direktor verbleiben. Nur in Ausnahmefällen, wenn der Direktor nicht in der Lage ist, die Personalbefugnisse auszuüben, sollte der Verwaltungsrat die Verlagerung dieser Zuständigkeit auf einen anderen leitenden Mitarbeiter beschließen.

1.4.

Der Ausschuss spricht sich gegen eine Verringerung der Zahl der Mitglieder des Exekutivausschusses aus: Die Interessengruppe, die derzeit den Vorsitz innehat, würde dadurch benachteiligt, weil sie keinen anderen Sprecher im Exekutivausschuss hat. Eine breitere Vertretung im Exekutivausschuss ermöglicht außerdem fundiertere Diskussionen.

1.5.

Der EWSA begrüßt die einheitliche Vorgehensweise zur Nominierung des Exekutivdirektors, die sich am Beispiel der EU-OSHA orientiert.

1.6.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass sich die Stelle eines stellvertretenden Direktors bewährt hat und dort, wo sie besteht, beibehalten werden sollte. Da die verschiedenen bestehenden Verfahren gut funktionieren, fordert der Ausschuss eine gewisse Flexibilität für die drei Agenturen. Die endgültige Entscheidung über den Posten eines stellvertretenden Direktors sollte dem Verwaltungsrat überlassen werden.

1.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Aufbau von Kontakten und die Zusammenarbeit mit Drittländern und internationalen Organisationen nur der Genehmigung durch den Verwaltungsrat bedürfen sollte, in dem die Kommission vertreten ist.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Gründungsverordnungen der drei Agenturen Eurofound, Cedefop und EU-OSHA sollen mit diesen Vorschlägen an das gemeinsame Konzept für dezentrale Agenturen angepasst werden. Dieses gemeinsame Konzept wurde 2012 von Rat, Kommission und Europäischem Parlament angenommen und soll als Basis für eine gewisse Vereinheitlichung in Bezug auf Kohärenz, Effizienz, Rechenschaftspflicht und Transparenz der Europäischen Agenturen dienen. Laut gemeinsamem Konzept „tragen [die Agenturen] zur Umsetzung wichtiger Unionsstrategien bei, sodass sich die Organe, insbesondere die Kommission, auf die zentralen Aufgaben im Zusammenhang mit der Entwicklung politischer Strategien konzentrieren können. Die Agenturen unterstützen zudem die Entscheidungsfindung, indem sie das auf Ebene der EU und der Mitgliedstaten vorhandene Fach- und Expertenwissen bündeln, und helfen auf diese Weise, die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und EU in wichtigen Bereichen der Politik zu fördern.“ Anders als die anderen EU-Agenturen haben die drei hier erörterten Agenturen eine klassische dreigliedrige Leitungsstruktur gemeinsam, bei der Regierungs-, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter aller Mitgliedstaaten institutionell in die Verwaltung der Agenturen eingebunden sind. Da die Arbeit der Agenturen dadurch fest in den Gegebenheiten der Mitgliedstaaten verankert ist, wird die Aktualität und politische Relevanz ihrer Arbeit gewährleistet. Die jetzt vorzunehmende Anpassung der Gründungsverordnungen der drei Agenturen bietet eine Gelegenheit, die speziellen Mechanismen der dreigliedrigen Leitungsstruktur, die sich im Lauf der Zeit in den Agenturen entwickelt haben, aufzuzeigen und herauszustellen und die Fortführung der bewährten Verfahrensweisen zu gewährleisten.

2.2.

Vorangegangen war diesem gemeinsamen Konzept eine Evaluierung aller EU-Agenturen.

3.   Wesentlicher Inhalt der vorliegenden Entwürfe

3.1.

Alle drei Agenturen hatten Artikel 235 EWG-Vertrag (jetzt Artikel 352 AEUV) als Rechtsgrundlage, was auf Grund eines EuGH-Urteils der Aktualisierung bedurfte. So basieren Eurofound und die EU-OSHA auf Artikel 153 Absatz 2 Buchstabe a und das Cedefop auf Artikel 166 Absatz 4, Artikel 165 Absatz 4 und Artikel 149 AEUV.

3.2.

Keine der drei Agenturen bekommt durch die Änderung der Verordnung neue Aufgaben, aber bei allen werden die Aufgaben an die aktuellen Gegebenheiten angepasst und überholte Begriffe modernisiert.

3.3.    Horizontale Bestimmungen

3.3.1.

Den drei Agenturen ist gemeinsam, dass die Mitglieder des Verwaltungsrates nicht nur aus Vertretern aller Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission, sondern auch aus je 28 Vertretern von nationalen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen bestehen. Die Dreigliedrigkeit ist Ausdruck eines inklusiven Ansatzes, der der Bedeutung der Sozialpartner bei der Suche nach gemeinsamen Lösungen Rechnung trägt. Das gemeinsame Konzept sah vor, die Anzahl von Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen drastisch zu reduzieren. Dies führte zu Bedenken seitens europäischer und nationaler Sozialpartnerverbände, und die ursprüngliche Struktur wurde beibehalten.

3.3.2.

Die Mitglieder des Verwaltungsrates werden vom Rat für 4 Jahre ernannt. Neben einer Expertise im jeweiligen Fachbereich der Agentur sollen die Mitglieder auch einschlägige Management-, Verwaltungs- und haushaltstechnische Kompetenz aufweisen. Im Fall von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern entscheidet der Rat auf Basis eines Vorschlags der europäischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerspitzenverbände. Bei der EU-OSHA kommt — so wie bisher — als zusätzliches Kriterium die Mitgliedschaft oder Stellvertretung im Beratenden Ausschuss für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zur Anwendung.

3.3.3.

Die Aufgaben des Verwaltungsrates sehen vor: die Annahme des Programmplanungsdokuments, des Budgets, des jährlichen Tätigkeitsberichts, der Finanzregelung, einer Betrugsbekämpfungsstrategie, der Vorschriften zur Vermeidung und Bewältigung von Interessenkonflikten, der Geschäftsordnung, der Pläne für die Öffentlichkeitsarbeit, Personalbefugnisse, die Ernennung des Exekutivdirektors und des Rechnungsführers, das Follow-up zu OLAF-Berichten und Evaluierungen, Entscheidungen über die interne Struktur der jeweiligen Agentur, Arbeitsvereinbarungen mit Drittstaaten und internationalen Organisationen.

3.3.4.

Vereinheitlicht werden die Fristen für die Annahme und Übermittlung des jährlichen und mehrjährigen Programmplanungsdokuments.

3.3.5.

Der Vorsitz des Verwaltungsrats und die drei stellvertretenden Vorsitzenden rekrutieren sich aus den Interessengruppen Regierungs-, Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Kommissionsvertretern und werden mit 2/3-Mehrheit für 2 Jahre gewählt (bisher in der EU-OSHA 1 Jahr). Der Verwaltungsrat tritt einmal pro Jahr zusammen und entscheidet mit einfacher Mehrheit.

3.3.6.

Der Exekutivausschuss (früher: Vorstand) setzt sich aus dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates, den drei stellvertretenden Vorsitzenden, den Gruppenkoordinatoren und einem Vertreter der Kommission zusammen. Diese Zusammensetzung stellt für Eurofound und die EU-OSHA eine Verkleinerung des Gremiums dar, da es bisher möglich war, den Vorstand mit 11 Mitgliedern zu besetzen.

3.3.7.

Hatte er bis jetzt die Aufgabe, die Umsetzung der Beschlüsse des Verwaltungsrates zu überwachen, bekommt er mit der neuen Verordnung umfassendere Kompetenzen: so muss er die Beschlussvorlagen für den Verwaltungsrat vorbereiten, OLAF-Folgemaßnahmen gemeinsam mit dem Verwaltungsrat überwachen sowie den Direktor bei der Umsetzung der Verwaltungsratsbeschlüsse beraten und unterstützen. In Dringlichkeitsfällen können die Exekutivausschüsse der drei Agenturen im Namen des Verwaltungsrates vorläufige Beschlüsse bei Verwaltungsangelegenheiten fassen, einschließlich der Personalbefugnisse und in Haushaltsangelegenheiten.

3.3.8.

Die Aufgaben des Direktors sind in den Verordnungsvorschlägen wesentlich genauer aufgezählt als in den bisherigen Verordnungen. Neu dabei ist auch die Entscheidung darüber, ob eine oder mehrere Außenstellen in einem oder mehreren Mitgliedstaaten errichtet werden, um die Aufgaben effizienter wahrnehmen zu können. Dies bedarf der vorherigen Zustimmung der Kommission, des Verwaltungsrates und des betreffenden Mitgliedstaats.

3.3.9.

Der Direktor wird vom Verwaltungsrat aus einer von der Kommission erstellten Liste von Bewerbern mit Zweidrittelmehrheit für 5 Jahre ernannt. Eine einmalige Wiederernennung auf der Basis einer Bewertung ist zulässig. Dieses Bestellungsverfahren entspricht dem geltenden Verfahren in der EU-OSHA. Vizedirektoren gibt es beim Cedefop und bei Eurofound.

3.3.10.

Die Verordnungsvorschläge bringen auch die Finanzvorschriften, die Bestimmungen über die Programmplanung und die bisher bestehenden Berichtspflichten in Einklang mit der delegierten Verordnung (EU) Nr. 1271/2013 der Kommission über die Rahmenfinanzregelung für Agenturen.

3.3.11.

Neue Standardbestimmungen finden sich ebenfalls in allen Verordnungsvorschlägen und betreffen Rechtsform, Sitzvereinbarung, Sprachregelung, Transparenz, Betrugsbekämpfung, Sicherheitsvorschriften für Verschlusssachen, Haftung, Evaluierung und Zusammenarbeit mit Drittstaaten und internationalen Organisationen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA spricht sich dafür aus, unter Berücksichtigung der bestehenden bewährten Verfahrensweisen, die sich im Lauf der Zeit herausgebildet haben, zu gemeinsamen Standards für alle drei dreigliedrigen Agenturen zu gelangen. Die Vorschriften und Verwaltungsmerkmale sollten so ähnlich wie möglich sein, jedoch die Besonderheiten der einzelnen Agenturen berücksichtigen. Die wesentlichen Merkmale der dreigliedrigen Leitungsstruktur sollten für alle drei Agenturen identisch und die Modalitäten für ihre Umsetzung möglichst ähnlich sein. Punkte wie spezifische Zielsetzungen, Aufgaben und unterstützende/beratende Strukturen sollten für jede Agentur gesondert festgelegt werden.

4.2.

Die übergeordneten Ziele der drei Agenturen sollten umfassend und einheitlich dahingehend definiert werden, dass sie „den Erfordernissen aller Organe und Einrichtungen der EU, der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner entsprechen“.

4.3.

Der EWSA begrüßt ausdrücklich, dass die gleichberechtige, dreigliedrige Struktur des Verwaltungsrates — im Gegensatz zu den ursprünglichen Vorschlägen des Gemeinsamen Ansatzes — beibehalten wird. Alle drei Agenturen haben ihre Kompetenz in Bereichen, die eng mit der Arbeitswelt verbunden sind. Aus diesem Grund ist das Fachwissen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern unerlässlich, auch um sicherzustellen, dass die Arbeit der Agenturen die Realität für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie die große Vielfalt der Erfahrungen in den Mitgliedstaaten der Union angemessen widerspiegelt. Durch die direkte Einbeziehung dieser Gruppen in die Verwaltungsräte kann eine bessere Zusammenarbeit sowie ein „Mitverantwortungsgefühl“ (ownership) erreicht werden. Damit wird auch gewährleistet, dass bei der jährlichen und mehrjährigen Programmplanung auf die Bedürfnisse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den Mitgliedstaaten Rücksicht genommen wird und die Agenturen nicht am Bedarf vorbei ihr Mandat erfüllen.

4.4.

Neben Sachkenntnissen im jeweiligen Fachbereich der Agentur sollten bei der Ernennung der Mitglieder des Verwaltungsrats auch einschlägige Management-, Verwaltungs- und haushaltstechnische Kompetenzen berücksichtigt werden. Aus Sicht des EWSA sollte das wesentliche Kriterium für die Bestellung von Mitgliedern des Verwaltungsrates nach wie vor die einschlägige Kenntnis im jeweiligen Spezialfeld der Agentur sein. Auch wenn gewisse Grundkenntnisse in den Bereichen Management, Verwaltung und Budget durchaus sinnvoll sein können, darf eine strenge Auslegung dieser Voraussetzung nicht dazu führen, Experten im Gebiet der jeweiligen Agentur an der Teilnahme am Verwaltungsrat auszuschließen.

4.5.

Die Aufgaben des Verwaltungsrates sollen mit der neuen Verordnung über die klassische Aufsichtsfunktion in Bezug auf Budget und Programmplanung hinausgehen, indem auch Personalbefugnisse ausgeübt werden können oder die internen Strukturen der Agentur geändert werden können. Der EWSA ist der Ansicht, dass dies eine klassische Aufgabe für den Direktor ist, sich aber nicht mit einer Aufsichtsfunktion vereinbaren lässt. Er schlägt vor, diese Kompetenzen zu streichen. Der EWSA räumt jedoch ein, dass dann, wenn der Direktor aufgrund außergewöhnlicher Umstände nicht in der Lage ist, die Personalbefugnisse auszuüben, diese Zuständigkeit auf einen anderen leitenden Mitarbeiter übergehen muss. Der entsprechende Beschluss sollte vom Verwaltungsrat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gefasst werden.

4.6.

Der Vorsitz des Verwaltungsrates soll für die Bilbao Agentur auf 2 Jahre verlängert werden — für die anderen beiden Agenturen ist dies bereits der Fall. Aus Sicht des EWSA fehlt der Hinweis auf das in allen Agenturen praktizierte Rotationsprinzip des Vorsitzes zwischen den Interessengruppen. Ebenso sollte vorgesehen werden, dass der Vorsitz auch mehrmals von derselben Person ausgeübt werden kann. Der EWSA gibt zu bedenken, dass bei einem zweijährigen Vorsitz nicht alle Interessengruppen in einer Mandatsperiode zum Zug kommen, und schlägt daher vor, die Dauer des Verwaltungsratsvorsitzes unverändert beizubehalten, was der derzeitigen Praxis in den verschiedenen Agenturen entspricht.

4.7.

Es wird vorgeschlagen, dass der Exekutivausschuss zwar verkleinert wird, aber zusätzliche Aufgaben erhält, die taxativ aufgelistet werden. Aus Gründen der Praktikabilität und vor allem auch, da der Exekutivausschuss zwischen den Sitzungen des Verwaltungsrates tätig wird, schlägt der EWSA vor, vor die Liste der Aufgaben das Wort „zum Beispiel“ zu setzen, um zu signalisieren, dass es sich um eine indikative Aufzählung handelt. Wie beim Verwaltungsrat sollte auch der Exekutivausschuss nicht für Personalbefugnisse zuständig gemacht werden. Der EWSA betrachtet die Verkleinerung der Exekutivausschüsse von Eurofound und der EU-OSHA mit einiger Skepsis. Insbesondere die Interessengruppe, die derzeit den Vorsitz innehat, wird benachteiligt sein, da sie keinen anderen Sprecher im Exekutivausschuss haben wird. Der EWSA schlägt vor, die Zusammensetzung mit drei Mitgliedern pro Interessengruppe beizubehalten.

4.8.

Die Formulierung des Absatzes über die zeitlichen Abläufe für das Programmplanungsdokument ist irreführend. Der EWSA ersucht um Klarstellung, dass der Entwurf des Programmplanungsdokuments — bestehend aus einem mehrjährigen Teil, dem jährlichen Arbeitsprogramm und dem Budget einschließlich der Humanressourcen — vom Verwaltungsrat angenommen und bis spätestens 31. Januar an die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union übermittelt wird. Der Verwaltungsrat soll das endgültige Programmplanungsdokument bis zum 30. November annehmen.

4.9.

Der EWSA begrüßt die einheitliche Vorgehensweise zur Nominierung des Exekutivdirektors, die sich am Beispiel der EU-OSHA orientiert. Er schlägt jedoch vor, dass bei der Erstellung der Shortlist durch die Kommission Beobachter aller Interessengruppen anwesend sein dürfen.

4.10.

Alle drei Agenturen haben Büros (liaison offices) in Brüssel. Aus Sicht des EWSA sind bei der Arbeitsweise der Agenturen keine weiteren Büros in den Mitgliedstaaten nötig. Die Verordnungen sollten daher auf die bereits bestehenden Brüsseler Büros Bezug nehmen, aber die Möglichkeit streichen, sonstige Außenstellen zu errichten.

4.11.

In Anpassung an den Common Approach wird die Funktion des stellvertretenden Direktors bei Eurofound gestrichen. Der EWSA weist darauf hin, dass das Cedefop einen stellvertretenden Direktor hat, obwohl dies nicht in der Verordnung vorgesehen ist. Der EWSA ist davon überzeugt, dass sich die Stelle eines stellvertretenden Direktors bewährt hat. Insbesondere ermöglicht sie eine ausgewogene Vertretung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressern bei der Leitung der betreffenden Agenturen, was die Einbeziehung der Sozialpartner im Rahmen der dreigliedrigen Struktur unterstützt. Da die verschiedenen bestehenden Verfahren gut funktionieren, fordert der Ausschuss eine gewisse Flexibilität für die drei Agenturen. Die Entscheidung, ob der Posten eines stellvertretenden Direktors erforderlich ist, sollte dem Verwaltungsrat überlassen werden.

4.12.

Der EWSA begrüßt ausdrücklich, dass Sitzvereinbarungen mit dem jeweiligen Sitzland abzuschließen sind. Alle drei Agenturen haben bereits solche Sitzvereinbarungen unterzeichnet, weshalb diese Bestimmung die Realität widerspiegelt.

4.13.

Den Verordnungsvorschlägen zufolge müssen die Evaluierungen, die alle fünf Jahre stattzufinden haben, von der Kommission vorgenommen werden. Der EWSA ist davon überzeugt, dass etwaige Änderungen nach einer Evaluierung durch die Beteiligung von Vertretern des Verwaltungsrats besser angegangen werden könnten.

4.14.

Der Aufbau von Kontakten und die Zusammenarbeit seitens der Agenturen mit Drittländern und internationalen Organisationen bedarf der vorherigen Genehmigung durch die Kommission und wird anschließend in das Programmplanungsdokument aufgenommen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Genehmigung durch den Verwaltungsrat, in dem die Kommission vertreten ist, bereits ausreicht und keine doppelte Genehmigung erforderlich ist.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.    Eurofound

5.1.1.

Im Vergleich zu der derzeitigen Verordnung wird die Bezugnahme auf die mittel- und langfristige Forschung gestrichen, was dahin ausgelegt werden könnte, dass die europäischen Erhebungen wegfallen sollen. Sie sind zwar kostenintensiv, aber die Vorzeigeprojekte von Eurofound, da sie nicht nur den EU-Institutionen, Mitgliedstaaten und Sozialpartnern, sondern auch zahlreichen Forschern an den Hochschulen und in der Politik einzigartige gesamteuropäische Vergleichsdaten über eine äußerst umfangreiche und breite Palette von Lebens- und Arbeitsbedingungen liefern. Der EWSA begrüßt und unterstützt die europäischen Erhebungen, da sie unmittelbar zur Weiterentwicklung des Projekts Europa als Ganzes beitragen.

5.1.2.

Der EWSA begrüßt, dass die Aufgaben der beratenden Ausschüsse, die vom Verwaltungsrat ein- und auch wieder abgesetzt werden können, genauer beschrieben werden.

5.2.    Cedefop

5.2.1.

Der EWSA ist nicht mit der Zielvorgabe für das Cedefop einverstanden; diese soll darin bestehen, die Kommission bei der Politikgestaltung und -durchführung in den Bereichen Berufsbildung, Kompetenzen und Qualifikationen zu unterstützen. Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die Zielbestimmung an den Zielbestimmungen der beiden anderen Agenturen orientieren sollte. Die Verordnung sollte daher klar festlegen, dass es Ziel des Cedefop ist, neben den EU-Organen und -Einrichtungen die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner bei der Politikgestaltung und -durchführung zu unterstützen, indem es ihnen Informationen und Analysen in den Bereichen Berufsbildung, Kompetenzen und Qualifikationen zur Verfügung stellt.

5.2.2.

Der EWSA begrüßt, dass der Vorschlag der Kommission die Tatsache widerspiegelt, dass das Cedefop in der Vergangenheit neue Aufgaben übernommen hat. Das Cedefop hat mittlerweile seine Tätigkeit über die Berufsbildung hinaus ausgedehnt und befasst sich auch mit Qualifikationen, insbesondere mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen, mit Kompetenzanalyse und -prognose sowie mit der Validierung nichtformalen und informellen Lernens. Der Ausschuss betont allerdings, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit des Cedefop weiterhin auf der Berufsbildung — einschließlich Lehrlingsausbildung und Lernen am Arbeitsplatz — für alle (Jugendliche und Erwachsene) liegen sollte, um die Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern.

5.3.    EU-OSHA

5.3.1.

Laut dem Vorschlag soll das Ziel der EU-OSHA unter anderem auch darin bestehen, rechtliche Informationen auf dem Gebiet der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Der EWSA erachtet diese Bestimmung für einen Eingriff in die Kompetenzen der Kommission und lehnt diesen ab.

5.3.2.

Der EWSA begrüßt ausdrücklich, dass die Sensibilisierungs- und Kommunikationsmaßnahmen sowie Kampagnen zum Arbeitsschutz ausdrücklich in den Aufgabenbereich der EU-OSHA-VO aufgenommen wurden. Die Agentur veranstaltet seit dem Jahr 2000 jeweils zweijährige Informations- und Sensibilisierungskampagnen zu verschiedenen Arbeitnehmerschutzthemen und erreicht damit ein breites Publikum, indem gute praktische Lösungen bekannt gemacht werden.

5.3.3.

Das Informationsnetzwerk der Agentur besteht ebenfalls seit Gründung der EU-OSHA und ist ein wichtiges Element zur Sicherstellung, dass die von der Agentur gesammelten und bereitgestellten Informationen sachlich richtig, aber auch tatsächlich praxisrelevant sind. Diese Netzwerke weiten darüber hinaus auch den inklusiven dreigliedrigen europäischen Ansatz auf die nationale Ebene aus, wodurch die Vertreter der Regierungen und die Sozialpartner in einer Art und Weise zusammengebacht werden, die sich als sehr konstruktiv und nützlich erwiesen hat. Die Einbindung der nationalen Sozialpartner in diese Netze ist dafür von entscheidender Bedeutung und sollte von den Mitgliedstaaten gewährleistet werden. Der EWSA hält es jedoch für nicht realistisch, dass die Agentur in einem nationalen Netzwerk, das von den Mitgliedstaaten nach bestimmten Kriterien ausgewählt wird, Änderungen vornimmt. Es sollte jedoch dem Verwaltungsrat ermöglicht werden, Empfehlungen zur Zusammensetzung auszusprechen.

Brüssel, den 30. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/54


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Begriffsbestimmung, Aufmachung und Kennzeichnung von Spirituosen, die Verwendung der Namen von Spirituosen bei der Aufmachung und Kennzeichnung von anderen Lebensmitteln sowie den Schutz geografischer Angaben für Spirituosen“

(COM(2016) 750 final — 2016/0392 (COD))

(2017/C 209/09)

Berichterstatter:

Peter SCHMIDT

Befassung

Rat, 9.12.2016

Europäisches Parlament, 12.12.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 43 Absatz 2, Artikel 114 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

14.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

29.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

211/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Initiative der Kommission zur Anpassung des geltenden Rechtsrahmens für Spirituosen an den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und zur Schaffung einer größeren Vereinbarkeit der Vorschriften mit neuen Rechtsinstrumenten der EU, insbesondere in Bezug auf die Information der Verbraucher über Lebensmittel und die Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel.

1.2.

Der EWSA begrüßt insbesondere die stärkere Verbindung zum Agrarsektor, die für die Qualität und das Ansehen von in der EU hergestellten Spirituosen von wesentlicher Bedeutung ist.

1.3.

Zwar begrüßt der EWSA allgemein die Anpassungen zur Gewährleistung der Angleichung an den AEUV und zur Vereinfachung des Gesetzgebungsverfahrens, doch wäre es zweckmäßiger, den Akzent stärker auf Durchführungsrechtsakte statt auf delegierte Rechtsakte zu legen. In einigen Bereichen sollte von der Möglichkeit, Ausnahmeregelungen zu erlassen, gänzlich abgesehen werden.

1.4.

Der EWSA kennt die Komplexität des Angleichungsverfahrens und begrüßt die Klarstellung und die Verbesserungen in Bereichen wie z. B. Vorschriften über die Kennzeichnung zusammengesetzter Begriffe, Anspielungen und Spirituosenmischungen und die fakultative Kennzeichnung des Ursprungs von Rohstoffen. Nichtsdestotrotz wurden im Vorschlag einige andere Aspekte geändert, die noch einmal überdacht werden sollten, worauf im weiteren Teil der Stellungnahme näher eingegangen wird.

1.5.

In Bezug auf die geografischen Angaben (g. A.) begrüßt der EWSA die Präzisierung der einschlägigen Regelungen und Verfahren sowie die Bedeutung, die der Tradition und der lokalen/territorialen Herstellung beigemessen wird.

1.6.

Der EWSA betont, wie wichtig es ist, das jetzige Schutzniveau des Spirituosensektors zu wahren, um zu gewährleisten, dass Wertschöpfung und Beschäftigung in Europa bleiben. Wichtig ist der Ort, an dem das Erzeugnis destilliert und hergestellt wird, und die eingeführten terminologischen Änderungen sollten mit keinen erheblichen Neuerungen für den Sektor einhergehen.

1.7.

In Bezug auf die Aufmachung und Kennzeichnung schlägt der EWSA einige Verbesserungen am derzeitigen Vorschlag vor, insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung der Vermeidung jeglicher Art von Fehldeutung und Missverständnissen im Zusammenhang mit Nachahmungen von Aromastoffen, die für Verbraucher irreführend sein könnten.

1.8.

Obwohl dies nicht in den spezifischen Geltungsbereich des Kommissionsvorschlags fällt, bekräftigt der EWSA seine früheren Empfehlungen hinsichtlich der Notwendigkeit eines kohärenten und umfassenden Ansatzes, basierend auf der Vermeidung eines schädlichen Alkoholkonsums und auf des Förderung eines verantwortungsvollen Alkoholkonsums, bei dem Gesundheitsrisiken und der Alkoholkonsum von Minderjährigen vermieden werden — nicht nur für den Spirituosensektor, sondern auch ganz allgemein. Informations-, Bildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen sind in diesem Zusammenhang von ausschlaggebender Bedeutung, und der EWSA begrüßt die zahlreichen Initiativen des öffentlichen und des privaten Sektors in diesem Bereich.

2.   Einleitung

2.1.

Mit der vorgeschlagenen Verordnung will die Kommission die bestehende Verordnung (EG) Nr. 110/2008 (1) über Spirituosen an den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) anpassen. Mit dem Vorschlag werden vornehmlich die Bestimmungen, die die Kommission in Anwendung der letztgenannten Verordnung erlässt, in delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte eingeteilt, und eine landwirtschaftsbezogene Rechtsgrundlage (2) geschaffen, um eine stärkere Verbindung zum Agrarsektor herzustellen.

2.2.

Abgesehen von der Anpassung an den AEUV enthält der Vorschlag lediglich einige geringfügige technische Änderungen, um Mängel bei der Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 110/2008 zu beheben und die Rechtsvorschriften an neue Rechtsinstrumente der EU anzugleichen, vor allem in Bezug auf die Information der Verbraucher über Lebensmittel (Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (3)) und Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 (4)).

2.3.

Insbesondere werden in dem Vorschlag einige zusammengesetzte Begriffe, Anspielungen und Spirituosenmischungen präzisiert, um Probleme auf dem Binnenmarkt zu vermeiden. Der Vorschlag enthält zudem einen neuen Artikel über die Ursprungsangabe und legt klare Verfahren für die Eintragung geografischer Angaben auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 fest.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, die Vorschriften der geltenden Verordnung (EG) Nr. 110/2008 über Spirituosen an den AEUV anzupassen und sie mit neuen EU-Rechtsinstrumenten in Einklang zu bringen. Der vorgeschlagene Rahmen verbessert generell die Klarheit und Kohärenz der für die Spirituosenwirtschaft geltenden Vorschriften.

3.2.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Verbände der Spirituosenhersteller von der Kommission konsultiert wurden. Die Spirituosenwirtschaft in der EU erzielt einen Auslandsabsatz von mehr als 10 Mrd. EUR im Jahr 2015 und ist Teil der Agrar- und Ernährungswirtschaft, dem größten Exportsektor der Europäischen Union. Die Branche bietet in Europa eine Million Arbeitsplätze in Produktion und Verkauf und ist in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht eng mit der Landwirtschaft verbunden. Die Verbrauchs- und Mehrwertsteuereinnahmen aus Spirituosen belaufen sich auf etwa 23 Mrd. EUR pro Jahr. Der Verbrauch von Spirituosen ging zwischen 1980 und 2014 jedoch um 32 % zurück. Dies spiegelt sich in den gesonderten Trends der „Premiumisierung“ und des Konsums nach dem Motto „weniger, aber besser“ wider. So sank zwischen 2000 und 2015 der Absatz im Horeca-Sektor (Hotels, Restaurants, Cafés) um 8 % auf 23,5 Mio. Hektoliter Spirituosen, während der Verkaufswert um 30 % zunahm.

3.3.

Obwohl der Kommissionsvorschlag in erster Linie darauf abzielt, die Vorschriften in Einklang mit dem AEUV zu bringen, bietet er der Spirituosenwirtschaft doch gleichzeitig auch die Gelegenheit, weiter auf Qualität zu setzen, traditionelle Herstellungsmethoden fortzuführen und ihr internationales Ansehen zu pflegen. Insbesondere schafft der Vorschlag Klarheit bezüglich der Herstellung der einzelnen Getränke: Rohstoffe, Mindestalkoholgehalt für die Vermarktung, Höchstdestillationsgrad, Reifungsdauer, Anforderungen in Bezug auf das Süßen usw. Die Einteilung von Spirituosen in verschiedene Kategorien trägt zum Schutz der einzelnen Traditionen bei.

3.4.

Der EWSA betont, dass eine stärkere Verbindung zum Agrarsektor sehr wichtig ist. Zur Herstellung von Spirituosen sollten nur landwirtschaftliche Rohstoffe zugelassen werden, was gleichzeitig den Absatz landwirtschaftlicher Grunderzeugnisse sichern würde.

3.5.

Die vorgenommenen Anpassungen zur Angleichung an den AEUV und zur Erleichterung des Gesetzgebungsverfahrens sind im Allgemeinen positiv zu bewerten. Es wäre jedoch angemessener, den Akzent stärker auf Durchführungsrechtsakte statt auf delegierte Rechtsakte zu legen. In einigen Bereichen sollte von der Möglichkeit, Ausnahmeregelungen zu erlassen, gänzlich abgesehen werden, insbesondere wenn dies mit größeren Veränderungen einhergeht. So soll die Kommission beispielsweise ermächtigt werden (Artikel 16 Absatz 3), delegierte Rechtsakte auszuarbeiten, die die Bezeichnung einer eingetragenen geografischen Angabe in der Sprache des Ausfuhrmarkts zulassen, auf dem eine solche Information verpflichtend ist — mit anderen Worten dort, wo die Spirituosen ohne diese Information nicht vermarktet werden könnten. Nach geltendem EU-Recht haben die Hersteller diese Möglichkeit jedoch bereits. Allerdings wurde dieser Aspekt aus dem angepassten Text gestrichen. Die derzeitige Möglichkeit sollte wiederhergestellt werden, sodass keine Delegierung von Befugnissen erforderlich ist;

3.6.

Eines der Hauptanliegen der Spirituosenhersteller ist die Erhaltung der traditionellen Herstellungsverfahren und des Systems der geografischen Angaben (g. A.) für Spirituosen. Der EWSA begrüßt allgemein die Klarstellung der für Spirituosen geltenden Regeln bezüglich der geografischen Angaben.

3.7.

Obwohl dies nicht in den spezifischen Geltungsbereich des Kommissionsvorschlags fällt, bekräftigt der EWSA seine früheren Empfehlungen hinsichtlich der Notwendigkeit eines kohärenten und umfassenden Ansatzes (5), basierend auf der Vermeidung eines schädlichen Alkoholkonsums und auf des Förderung eines verantwortungsvollen Alkoholkonsums, bei dem Gesundheitsrisiken und der Alkoholkonsum von Minderjährigen vermieden werden — nicht nur für den Spirituosensektor, sondern auch ganz allgemein. Informations-, Bildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen sind in diesem Zusammenhang von ausschlaggebender Bedeutung. Der EWSA stellt fest, dass sich die Privatwirtschaft an vielen Initiativen und Sozialprogrammen in der gesamten EU beteiligt, was zeigt, dass es möglich ist, den Alkoholmissbrauch insbesondere unter jungen Menschen zu verringern (6).

3.8.

Auf die Frage der Zutaten- und Nährwertangaben auf dem Etikett von Spirituosen wird im vorliegenden Kommissionsvorschlag nicht eingegangen. Der EWSA weist jedoch erneut darauf hin, dass die Verbraucher ein Recht auf wahrheitsgetreue und ausgewogene Informationen über alkoholische Getränke haben, damit sie fundierte Konsumentscheidungen treffen können (7). Die Kleinst- und Kleinerzeuger würden bei der Anwendung der Vorschriften unterstützt werden müssen. Der EWSA freut sich darauf, zur laufenden Debatte beizutragen, die mit dem jüngsten Kommissionsbericht (8) zu dem Thema eingeleitet wurde.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA kennt die Komplexität des Angleichungsverfahrens und begrüßt die Klarstellung und die Verbesserungen in Bereichen wie z. B. Vorschriften über die Kennzeichnung zusammengesetzter Begriffe, Anspielungen und Spirituosenmischungen und die fakultative Kennzeichnung des Ursprungs von Rohstoffen. Nichtsdestotrotz wurden in dem Vorschlag einige andere Aspekte geändert, die noch einmal überdacht werden sollten, so z. B.:

Die durchgängige Ersetzung der Formulierung „und/oder“ durch unterschiedliche Begriffe darf zu keinerlei Fehlinterpretation bzw. Verwirrung führen. Der EWSA schlägt deshalb vor, in einem Erwägungsgrund zu betonen, dass alle Formulierungen „und/oder“ durch gleichbedeutende Begriffe ersetzt wurden und dass die inhaltliche Bedeutung der Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 110/2008 im Sinne der Kommission unverändert bleibt.

Die Definition von Herstellungsverfahren und Aromastoffen bedarf der Präzisierung.

Die Bezeichnung „technische Unterlage“ wurde durch den Begriff „Produktspezifikation“ ersetzt, um die Vorschriften in den vier g. A.-Sektoren (Lebensmittel, Wein, Spirituosen und aromatisierte Weine) zu vereinheitlichen. Um jegliche Fehlinterpretation zu vermeiden, sollte in einem zusätzlichen Erwägungsgrund präzisiert werden, dass die beiden Begriffe gleichwertig sind.

4.2.

In Artikel 8 Absatz 5 des Kommissionsvorschlags heißt es, dass Verkehrsbezeichnungen, ergänzt durch den Begriff „-geschmack“ (oder andere ähnliche Begriffe), verwendet werden dürfen, um auf Aromen, die eine Spirituose imitieren, oder auf deren Verwendung bei der Herstellung anderer Lebensmittel als Getränke zu verweisen. Der EWSA meint, dass diese Bestimmung für die Verbraucher irreführend sein könnte.

4.3.

Um sowohl den Mehrwert für die Hersteller zu wahren als auch die Verbraucherinteressen zu schützen, ist es nach Ansicht des EWSA wichtig, das jetzige Schutzniveau des Spirituosensektors beizubehalten, wenn auf den „Herstellungsort“ versus „Herkunftsort“ verwiesen wird. Die neuen Begriffe sollten mit keinerlei Veränderungen für den Spirituosensektor einhergehen, zumal der wichtigste Aspekt der Ort ist, an dem das Erzeugnis destilliert und hergestellt wurde.

4.4.

Die Mitgliedstaaten sind für die Überwachung der widerrechtlichen Verwendung geschützter geografischer Angaben verantwortlich, und die Kommission sollte über die Anwendung der Vorschriften in den Mitgliedstaaten unterrichtet werden, damit ein angemessener Rahmen besteht, um Spirituosenfälschungen vom Markt zu nehmen.

4.5.

Das Einspruchsverfahren, in dessen Rahmen die Beteiligten ein Einvernehmen erzielen können, wird begrüßt. Dieses Verfahren ist bei gleichen Ergebnissen weniger aufwändig.

4.6.

Das Register der geografischen Angaben von Spirituosen, das Anhang III ersetzt, sollte als ein Weg zur Modernisierung des Modells betrachtet werden, ohne die Rechte, Pflichten oder die Transparenz des Systems zu beeinträchtigen.

Brüssel, den 29. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Verordnung (EG) Nr. 110/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 zur Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Etikettierung von Spirituosen sowie zum Schutz geografischer Angaben für Spirituosen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1576/89 (ABl. L 39 vom 13.2.2008, S. 16).

(2)  Artikel 43 Absatz 2 AEUV.

(3)  Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission (ABl. L 304 vom 22.11.2011, S. 18).

(4)  Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. L 343 vom 14.12.2012, S. 1).

(5)  ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 10.

(6)  Siehe beispielsweise: HBSC (Gesundheitsverhalten von Schulkindern, 11-, 13- und 15-Jährige) — Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der letzten HBSC-Studie von 2016: http://spirits.eu/files/98/cp.as-095-2016-hbsc-survey-2016-key-messages-final.pdf; ESPAD (europäisches Schülerbefragungsprojekt zu Alkohol und anderen Suchtmitteln, 15- und 16-Jährige). Aus der ESPAD-Studie geht hervor, dass 86 % der europäischen Schülerinnen und Schüler angeben, in den letzten 30 Tagen „nicht betrunken gewesen zu sein“. Dies entspricht einem Rückgang des Intoxikationsgrads um 23 % (seit 2003). Die Häufigkeit von Alkoholexzessen sank seit ihrem Höchststand 2007 um 28 % (von 18 % im Jahr 2007 auf 13 % im Jahr 2015). Dieser positive Trend lässt sich sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen beobachten.

(7)  ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 28.

(8)  Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über verpflichtende Kennzeichnung alkoholischer Getränke mit dem Zutatenverzeichnis und der Nährwertdeklaration, COM(2017) 58 final — 13.3.2017.


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/58


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1101/89 des Rates sowie der Verordnungen (EG) Nr. 2888/2000 und (EG) Nr. 685/2001“

(COM(2016) 745 final — 2016/0368 (COD))

(2017/C 209/10)

Berichterstatter:

Jan SIMONS

Befassung

Europäisches Parlament, 12.12.2016

Rat der Europäischen Union, 19.12.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 91 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

15.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

29.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

228/3/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Nach Konsultation der einschlägigen Interessenträger kommt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) zu dem Schluss, dass der Kommissionsvorschlag zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1101/89 (zeitlich befristete Abwrackregelung in der Binnenschifffahrt) sowie der Verordnungen (EG) Nr. 2888/2000 (Verteilung Güterverkehrsgenehmigungen für die Schweiz) und (EG) Nr. 685/2001 (Güterverkehrsgenehmigungen für Bulgarien und Rumänien vor deren EU-Beitritt) befürwortet werden kann.

2.   Hintergrund

2.1.

Im Zuge des REFIT-Programms und der Verpflichtung zu einer besseren Rechtsetzung mit dem Ziel der Gewährleistung eines rechtlichen Rahmens, der zweckmäßig und von hoher Qualität ist, wie in der Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung dargelegt, schlägt die Europäische Kommission vor, drei hinfällige Verordnungen aufzuheben.

2.1.1.

Der Vorschlag betrifft in erster Linie die zeitlich befristete Abwrackregelung in der Binnenschifffahrt aus dem Jahr 1989; die geeigneten Instrumente für die Verwaltung der Flottenkapazität wurden zehn Jahre später in die Verordnung (EG) Nr. 718/1999 aufgenommen, ohne jedoch gleichzeitig die Verordnung aus dem Jahr 1989 aufzuheben.

2.1.2.

Er betrifft aber auch zwei Verordnungen zum Straßenverkehr.

2.1.2.1.

Zum einen eine Verordnung aus dem Jahr 2000 über die Verteilung der Schweizer Kontingente für Lastkraftwagen auf die Mitgliedstaaten; seit dem 1. Januar 2005 sind gemäß einem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft alle Fahrzeuge von jeglicher Kontingentierung oder Genehmigungspflicht befreit.

2.1.2.2.

Zum anderen eine Verordnung über die Verteilung von Lizenzen für den Zugang zum Straßengüterverkehrsmarkt in Bulgarien und Rumänien vor ihrem Beitritt zur EU im Jahr 2007 unter den damaligen Mitgliedstaaten. Mit dem EU-Beitritt dieser beiden Länder im Jahr 2007 besteht keine Genehmigungspflicht mehr.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA hat stets die Meinung vertreten, dass der rechtliche Rahmen zum einen zweckmäßig und von hoher Qualität, zum anderen aber auch transparent und eindeutig sein und von Mitgliedstaaten und den Betroffenen, in diesem Fall in der Binnenschifffahrt und im Güterkraftverkehrssektor, leicht verwendet werden können muss.

3.2.

Angesichts der übrigens durchaus unterschiedlichen Gründe für die Aufhebung der genannten Verordnungen erscheint es dem EWSA daher nur folgerichtig, dass diese drei alten Verordnungen aufgehoben werden.

3.3.

Der EWSA merkt indes an, dass die Durchführung einer Konsultation der interessierten Kreise und einer Folgenabschätzung seitens der Europäischen Kommission, als „Entfällt“ eingestuft wurde. Dieser Vorschlag hat sehr wohl — sogar positive — Auswirkungen, und zwar die in Ziffer 3.1 genannten Aspekte, dennoch schadet eine Konsultation, wenn auch nur sicherheitshalber, nie.

3.4.

Der EWSA hat daher auch Vertreter einschlägiger Branchenverbände konsultiert. Auch im Zuge dieser Konsultation wurden keinerlei Einwände gegen den Kommissionsvorschlag zur Aufhebung dieser drei Verordnungen erhoben.

Brüssel, den 29. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/60


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Gemeinsamen Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Internationale Meerespolitik: Der Beitrag der EU zum verantwortungsvollen Umgang mit den Weltmeeren“

(JOIN(2016) 49 final)

(2017/C 209/11)

Berichterstatter:

Jan SIMONS

Befassung

Europäische Kommission, 27.1.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

REX

Annahme in der Fachgruppe

6.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

29.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

201/2/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stellt fest, dass sich die in der gemeinsamen Mitteilung enthaltenen Maßnahmen auf den Umgang sowohl mit den Ozeanen als auch mit den Meeren beziehen. Er schlägt vor, den Titel der gemeinsamen Mitteilung zu ändern in „Der Beitrag der EU zum verantwortungsvollen Umgang mit den Ozeanen und Meeren der Welt“.

1.2.

Der EWSA teilt die Sorgen über die zunehmende Belastung der Weltmeere und schließt sich den Rufen nach einer besseren Meerespolitik und einem besseren Schutz der Meere an. Jahrhundertelang galten unsere Weltmeere einfach als zu groß, als dass wir ihnen irgendetwas anhaben könnten, aber die Zunahme menschlichen Handelns hat die Ozeane in Gefahr gebracht. Unsere Ozeane werden belastet durch nicht nachhaltige Fischerei, einen unzureichenden Schutz, den Tourismus, starken Verkehr, Verschmutzung und die Folgen des Klimawandels wie steigender Meeresspiegel und eine sich ändernden Artenverteilung. Der gegenwärtige Rahmen für die internationale Meerespolitik ist für die nachhaltige Bewirtschaftung der Weltmeere und ihrer Ressourcen ungeeignet. Es besteht dringender Handlungsbedarf.

1.3.

Der EWSA begrüßt die gemeinsame Mitteilung der Europäischen Kommission (im Folgenden „die Kommission“) und der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (im Folgenden „die Hohe Vertreterin“) über eine bessere Weltmeerespolitik. Die gemeinsame Mitteilung enthält eine Agenda zur „Zukunft der Ozeane“, und diese Zukunft ist bedroht. Allerdings müssen die Kommission und die Hohe Vertreterin die gegenwärtigen Bedrohungen der Weltmeere noch nach ihrer Relevanz gewichten, um die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs angemessen deutlich zu machen.

1.4.

Das internationale meerespolitische Handeln ist u. a. deswegen ineffizient, weil der derzeitige Rahmen für die internationale Meerespolitik Lücken aufweist. Nach Auffassung des EWSA sollten die Kommission und die Hohe Vertreterin sich dieser Lücken und Inkohärenzen annehmen, aber auch für eine bessere Einhaltung der bestehenden Vorschriften sorgen, beispielsweise durch eine bessere Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Die EU sollte es unterlassen, neue Rechtsvorschriften vorzuschlagen, wenn durch eine bessere oder besser koordinierte Umsetzung der bestehenden Bestimmungen und Regelungen eine höhere Wirkung erzielt werden kann.

1.5.

Der EWSA befürwortet die in der gemeinsamen Mitteilung aufgeführten Maßnahmen, die zur Verbesserung des Wissens über die europäischen Meere und Ozeane führen sollen. Die EU könnte wesentliche Beiträge zur Verbesserung der Meerespolitik leisten, insbesondere durch die Förderung der wissenschaftlichen Erforschung der Weltmeere. Die gegenwärtig vorliegenden Daten müssen sinnvoll und effektiv genutzt werden. Der Informationsstand über unsere Meere und Ozeane ist groß, aber stark fragmentiert. Der EWSA empfiehlt der EU daher nachdrücklich, das europäische Meeresbeobachtungs- und Datennetzwerk (EMODnet) zu einem weltweiten Meeresdatennetz auszubauen. Die EU könnte zu einem Zentrum für die Koordinierung der Forschung auf diesem Gebiet werden.

1.6.

Der EWSA fordert die EU auf, mit Partnerländern an der Verringerung und Beseitigung von Bedrohungen und Risiken im Bereich der maritimen Sicherheit wie Piraterie, Menschen-, Waffen- und Drogenhandel zu arbeiten und dabei die neue Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und die Europäische Fischereiaufsichtsagentur (EFCA) zu nutzen. Mithilfe eines funktionsfähigen gemeinsamen Informationsraums (Common Information Sharing Environment, CISE) kann sichergestellt werden, dass die Daten nur einmal erhoben und dann wirksam unter den EU-Mitgliedstaaten ausgetauscht werden.

1.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Kapazitätsaufbau für eine bessere Meerespolitik eine entscheidende Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung und für die Befähigung der Entwicklungsländer zur Nutzung der Meere und ihrer Ressourcen im Einklang mit dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) ist. Die in der gemeinsamen Mitteilung genannten EU-Maßnahmen werden daher begrüßt, doch müssen die spezifischen Aktionen und Instrumente für diesen Kapazitätsaufbau von der Kommission und der Hohen Vertreterin erst noch näher bestimmt werden.

1.8.

Der EWSA befürwortet nachdrücklich die Einrichtung eines Forums der Interessenvertreter der EU für die Ozeane und Meere in aller Welt, vor allem weil die Meerespolitik ein Querschnittsthema ist, das eine ganze Reihe von Interessenträgern betrifft. Ein solches Forum darf aber nicht einfach nur eine Duplizierung von Gesprächen sein, die bereits auf internationaler Ebene laufen. Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich zur Einbindung aller Interessenträger auf; die Zivilgesellschaft als Ganze muss mobilisiert werden, wenn eine wirkungsvolle Steuerung der Meeresnutzung erreicht werden soll.

1.9.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei eine effiziente Flaggenstaatkontrolle sowie Durchsetzungsinstrumente einschließlich Beobachtungs-, Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen erfordert. Die Fischereidaten aller EU-Mitgliedstaaten sollten umfassender erhoben und ihr Austausch ordnungsgemäß durchgeführt werden. Dies könnte möglicherweise mit Mitteln aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) bewerkstelligt werden.

1.10.

Nach Auffassung des EWSA muss in der Meerespolitik ein Gleichgewicht zwischen sozioökonomischer Entwicklung und Erhaltung der Meeresumwelt gefunden werden. Technologien zur Nutzung der Ressourcen der Meeresböden müssen mit Achtsamkeit und Vorsicht eingesetzt werden. Ihr innovativer Charakter und ihre Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung dürfen nicht die möglichen Gefahren für die Umwelt in den Gebieten verdecken, in denen diese Tätigkeiten ausgeführt werden. Ausgehend von den Erfahrungen mit Umweltverträglichkeitsprüfungen für Tätigkeiten an Land könnten entsprechende gebietsspezifische Prüfungen für die Nutzung der Meeresressourcen entwickelt werden.

2.   Hintergrund der gemeinsamen Mitteilung

2.1.

Im Juni 2015 kamen die Mitgliedstaaten der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) offiziell überein, im Rahmen des Seerechtsübereinkommens ein rechtlich bindendes Instrument für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt der Meere in Gebieten außerhalb nationaler Hoheitsgewalt (BBNJ) zu entwickeln (1). In dem Maße, wie die Staaten zur Entwicklung ihrer Volkswirtschaft ihren Blick immer stärker auf die Meere und Ozeane richten, werden die meisten Gebiete der Weltmeere durch nicht nachhaltige Tätigkeiten auf See und an Land geschädigt, was durch die Auswirkungen des Klimawandels und der Ozeanübersäuerung noch verschlimmert wird.

2.2.

Die Europäische Union hat eine Agenda für eine bessere Meerespolitik aufgestellt, die sich auf ein sektorübergreifendes, regelbasiertes internationales Herangehen stützt. Die Mitteilung ist auch eine Reaktion der EU auf die von den Vereinten Nationen beschlossene Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, insbesondere das Nachhaltigkeitsziel Nr. 14 „Ozeane, Meere und Meeresressourcen erhalten und nachhaltig nutzen“ als Teil einer in hohem Maße vernetzten Agenda. Sie basiert auf dem politischen Mandat zur Mitgestaltung der internationalen Meerespolitik, das Kommissionsmitglied Vella von Kommissionspräsident Juncker erteilt wurde.

2.3.

Die gemeinsame Mitteilung der Kommission und der Hohen Vertreterin enthält 14 Maßnahmenbündel in drei Schwerpunktbereichen: 1. Verbesserung des Rahmens für die internationale Meerespolitik; 2. Verringerung des Drucks auf die Ozeane und Meere und Schaffung der Voraussetzungen für eine nachhaltige „blaue Wirtschaft“ und 3. Stärkung der internationalen Ozeanforschung und der entsprechenden Datenbasis.

2.3.1.   Verbesserung des Rahmens für die internationale Meerespolitik

2.3.1.1.

Die Kommission und die Hohe Vertreterin haben Maßnahmen u. a. für folgende Fragen konzipiert: Bewahrung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt der Meere in Gebieten außerhalb der nationalen Hoheitsgewalt, Erreichung des 10 %-Ziels für Meeresschutzgebiete bis 2020 und Verringerung der Bedrohungen und Risiken im Bereich der maritimen Sicherheit wie Piraterie und Menschen-, Waffen- und Drogenschmuggel.

2.3.2.   Verringerung des Drucks auf die Ozeane und Meere und Schaffung der Voraussetzungen für eine nachhaltige blaue Wirtschaft

2.3.2.1.

Die Kommission und die Hohe Vertreterin haben Maßnahmen zur Umsetzung des Übereinkommens von Paris mit dem Schwerpunkt auf meeresbezogenen Aktionen vorgeschlagen, um die illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei (IUU-Fischerei) einzudämmen, die Vermüllung der Meere zu bekämpfen und auf internationale Leitlinien für die maritime Raumplanung hinzuarbeiten.

2.3.3.   Stärkung der internationalen Ozeanforschung und der Datenbasis

2.3.3.1.

Die Kommission und die Hohe Vertreterin haben Maßnahmen zur Mehrung unseres Wissens und für eine solide wissenschaftliche Forschung entwickelt, um eine nachhaltige Bewirtschaftung der Meeresressourcen zu ermöglichen und den durch menschliches Handeln erzeugten Druck zu verringern.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA stellt fest, dass sich die in der gemeinsamen Mitteilung enthaltenen Maßnahmen auf den Umgang sowohl mit den Ozeanen als auch mit den Meeren beziehen. Aufgrund der Tatsache, dass diese Gewässer in erheblichem Maße miteinander verbunden sind, schlägt der EWSA vor, den Titel der gemeinsamen Mitteilung zu ändern in „Der Beitrag der EU zum verantwortungsvollen Umgang mit den Ozeanen und Meeren der Welt“, um auf diese Weise Klarheit über den Geltungsbereich dieser Initiative zu schaffen.

3.2.

Der EWSA würdigt den herausragenden Beitrag des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) zur Stärkung von Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit unter allen Nationen und zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts aller Völker der Welt im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen sowie zur nachhaltigen Entwicklung der Ozeane und Meere.

3.3.

Der EWSA stellt fest, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine jährliche Überprüfung der Entwicklungen in Meeresfragen und im Seerecht vornimmt und jedes Jahr zwei Entschließungen verabschiedet, in denen Leitsätze einer weltweit integrierten Politik formuliert werden, eine zu den Ozeanen und zum Seerecht und die zweite zur nachhaltigen Fischerei. Die EU sollte ihre Zusammenarbeit mit internationalen Partnern ausbauen, um die Umsetzung der von den Vereinten Nationen genannten Maßnahmen zu erleichtern.

3.4.

Nach Auffassung des EWSA muss in der Meerespolitik ein Gleichgewicht zwischen sozioökonomischer Entwicklung und Erhaltung der Meeresumwelt gefunden werden. Ihr grundlegendes Ziel sollte es sein, eine nachhaltige Mehrzwecknutzung der Meeresressourcen und Naturräume zu gewährleisten, auch mit Blick auf künftige Generationen. Die Nutzung der Ressourcen sollte nicht zu Lasten des Ökosystems gehen, ganz im Gegenteil: Beides — Ressourcennutzung und Schutz des Ökosystems — sollte miteinander vereinbar sein und verantwortungsvoll durch die richtigen politischen Maßnahmen und Lenkungsstrukturen bewerkstelligt werden.

3.4.1.

Technologien zur Nutzung der Ressourcen der Meeresböden müssen mit Achtsamkeit und Vorsicht eingesetzt werden. Ihr innovativer Charakter und ihre Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung dürfen nicht die möglichen Gefahren für die Umwelt in den Gebieten verdecken, in denen diese Tätigkeiten ausgeführt werden. Ausgehend von den Erfahrungen mit Umweltverträglichkeitsprüfungen für Tätigkeiten an Land könnten entsprechende gebietsspezifische Prüfungen für die Nutzung der Meeresressourcen entwickelt werden.

3.5.

Der EWSA spricht sich entschieden für die Einrichtung eines den Ozeanen und Meeren in aller Welt gewidmeten Forums der Interessenvertreter der EU aus, in dem jedoch auch die Zivilgesellschaft vertreten sein sollte. Ein derartiges Forum könnte als Plattform für den Austausch von Wissen, Erfahrungen und bewährten Vorgehensweisen für eine bessere Meerespolitik dienen. Es könnte außerdem zur Feinverteilung der EU-Gelder für eine bessere Meerespolitik genutzt werden und die Bemühungen zur Evaluierung der wirtschaftlichen Effizienz öffentlicher Investitionen in die Meeresforschung und -beobachtung verstärken.

3.6.

Der EWSA meint, dass die Europäische Union bei neuen Vorschlägen zur Verbesserung der Meerespolitik das Gesamtbild betrachten sollte, sodass meerespolitische Bereiche, die bereits ausgereift sind und reibungslos funktionieren, nicht versehentlich beeinträchtigt werden. Die Europäische Union sollte darüber hinaus eine Duplizierung bereits auf internationaler Ebene laufender Gespräche vermeiden.

3.7.

Dem EWSA ist bewusst, dass Regelungslücken unregulierte und nicht gemeldete Tätigkeiten, einen Raubbau an marinen Ressourcen und die Zerstörung der Ökosysteme der Erde hervorrufen können. Zur Behandlung dieser Fragen sind wissenschaftliche Untersuchungen der Ökosysteme und ein besseres Verständnis der gegenwärtigen Lenkungsstruktur nötig, um Lücken dieser Art schließen zu können. Der EWSA ist der Ansicht, dass die EU zum Vorreiter in der wissenschaftlichen Erforschung der Ozeane und Meere der Welt und zum Zentrum für die Koordinierung der Forschung auf diesem Gebiet werden könnte.

3.8.

Neben der Ermittlung von Regelungslücken und Inkohärenzen sollte eines der Ziele der Kommission und der Hohen Vertreterin in einer besseren Einhaltung der bestehenden Bestimmungen bestehen. Dies könnte erreicht werden, indem die EU ihr wirtschaftliches Gewicht in bestimmten Politikbereichen, z. B. in der Fischerei, einsetzt, um wichtige Akteure an Bord zu holen, wie es Kommissionsmitglied Vella in seinen Erläuterungen der EU-Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Fischerei hervorgehoben hat (2).

3.9.

Der EWSA pflichtet der Auffassung bei, dass alle Sektoren angesichts des zunehmenden Drucks auf unsere Ozeane und Meere stetig auf ein besseres meerespolitisches Governance-Modell hinarbeiten müssen. Als Beispiel verweist er darauf, dass Organisationen wie die Regionalen Fischereiorganisationen (RFO) und die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) um eine Verbesserung ihrer Lenkungsgrundsätze bemüht sind, um den bestehenden strategischen Rahmen auszuweiten.

3.10.

Nach Auffassung des EWSA sollten die Kommission und die Hohe Vertreterin prüfen, welcher Bedarf an Fähigkeiten, Kompetenzen und Ausbildung erforderlich ist, um die erwartete Entstehung von Arbeitsplätzen in den Meeresindustrien voranzutreiben — eine Frage, die in der Mitteilung übersehen wurde.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.    Verbesserung des Rahmens für die internationale Meerespolitik

4.1.1.

Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission und der Hohen Vertreterin, mit Mitgliedstaaten und internationalen Partnern zusammenzuarbeiten, um die Annahme, Ratifizierung und Umsetzung der wichtigsten bestehenden Instrumente einer globalen Meerespolitik, wie des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über die Arbeit im Fischereisektor, sicherzustellen und erforderliche neue Instrumente wie das geplante SRÜ-Durchführungsabkommen zu den Gebieten außerhalb der nationalen Hoheitsgewalt zu entwickeln. Der EWSA möchte die Kommission und die Hohe Vertreterin auch darin bestärken, mit der IMO zusammenzuarbeiten, um die Umsetzung und Durchsetzung von IMO-Instrumenten zu unterstützen. Die Kommission sollte näher ausführen, mit welchen praktischen Schritten und Mitteln sie dieses Ziel erreichen will.

4.1.2.

Der EWSA begrüßt das Engagement der Kommission und der Hohen Vertreterin, die Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen globalen und regionalen Organisationen zu verbessern und Partnerschaften mit wichtigen meerespolitischen Akteuren aufzubauen. Dies zeigt das Bemühen der EU, bei der Regelung von Meeresaktivitäten, die bisher zumeist sektorweise reguliert sind, einen integrierten, übergreifenden Ansatz zu verfolgen. Der EWSA befürwortet nachdrücklich die Mitwirkung der Kommission und der Hohen Vertreterin an der Weltmeereskommission der Vereinten Nationen (UN-Oceans), einem Mechanismus, der die Koordinierung, Kohärenz und Effizienz der zuständigen Organisationen im System der Vereinten Nationen verbessern soll.

4.1.3.

Der Aufbau von Kapazitäten ist von entscheidender Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung und für die Befähigung der Entwicklungsländer, die Weltmeere und ihre Ressourcen nachhaltig und im Einklang mit dem SRÜ zu nutzen. Die Kommission und die Hohe Vertreterin müssten jedoch noch näher bestimmen, mit welchen spezifischen Maßnahmen die EU den Kapazitätsaufbau unterstützen kann.

4.1.3.1.

Der EWSA stellt fest, dass in der gemeinsamen Mitteilung Bezug auf die Ressourcen für den Aufbau von Kapazitäten zur Verbesserung der nachhaltigen Entwicklung und zum Aufbau der blauen Wirtschaft im Mittelmeer genommen wird. Ähnliche Ressourcen müssen jedoch für alle europäischen Meere mobilisiert werden, auch für die Arktis.

4.1.4.

Der EWSA spricht sich dafür aus, die Ressourcen der Arktis, die das natürliche Kapital der künftigen Generationen sind, stärker zu schützen und die derzeit stattfindenden Veränderungen der Umwelt im Polargebiet als Indikator für die europäischen und weltweiten Fortschritte im Bereich des Klimaschutzes zu sehen. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Kommission unter den Wirtschaftsakteuren in der Arktis das Bewusstsein dafür schärfen könnte, dass die Region sehr verletzlich ist und dass es in zunehmendem Maße geboten ist, sie nachhaltig zu entwickeln. Der Schutz der Arktisregionen und die Bekämpfung des Klimawandels dürfen nicht ohne Berücksichtigung ihrer Einwohner erfolgen oder zu ihren Lasten gehen. Die Arktis-Völker wollen zwar zum einen ihre Kultur erhalten, zum anderen aber auch von den Chancen einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung profitieren.

4.1.4.1.

Der EWSA spricht sich für eine aktive Rolle der Zivilgesellschaft zur Förderung der Interessen und Anliegen der Arktis-Bewohner aus. Die EU könnte auch öffentliche Diskussionen unter Beteiligung der indigenen Völker organisieren — in diesem Rahmen könnten die wichtigsten Akteure ihren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Region erläutern. Die Einrichtung eines Arktis-Informationszentrums mit Sitz in Brüssel wäre erwägenswert (3).

4.1.5.

Die Migration auf dem unsicheren Seeweg hat zugenommen, was dringliches Handeln erfordert, um den Verlust von Menschenleben auf See zu verhindern. In diesem Sinne begrüßt der EWSA die Annahme der Verordnung (EU) 2016/1624 über die Europäische Grenz- und Küstenwache, wenngleich der EWSA nachdrücklich empfohlen hatte, sie „Europäische Agentur für Grenzwache“ zu nennen. Der EWSA befürwortet auch die Änderung der Verordnung über die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und der Verordnung über die Europäische Fischereiaufsichtsagentur (EFCA).

4.1.5.1.

In seiner Stellungnahme zur Änderung der Verordnung zur Errichtung der EMSA (4) begrüßte der EWSA die Rolle dieser Agentur bei der Verbesserung der Seeverkehrssicherheit in den Mitgliedstaaten. Bereits damals erachtete es der EWSA als sehr wichtig, dass die Aufgaben und Zuständigkeiten der EMSA auf verantwortungsvolle Weise ausgedehnt werden.

4.1.6.

Der EWSA nimmt die Maßnahmen der EU zur Bekämpfung der illegalen Fischerei und zur Stärkung der nachhaltigen Bewirtschaftung der Lebensmittelressourcen der Ozeane und Meere zur Kenntnis. Die in den 1960er-Jahren eingeführte Gemeinsame Fischereipolitik bedarf einer fortlaufenden Überarbeitung. Der EWSA begrüßt diese kontinuierliche Aktualisierung der Fischereipolitik zur Anpassung an technische Neuerungen im Interesse einer besseren Erhaltung und eines besseren Schutzes der Fischbestände.

4.1.6.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei eine effiziente Kontrolle und Durchsetzungsinstrumente einschließlich Beobachtungs-, Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen erfordert. Der EWSA macht die Kommission und die Hohe Vertreterin darauf aufmerksam, dass die Vereinten Nationen besorgt festgestellt haben, dass eine wirksame Verwaltung der Seefischerei in manchen Gebieten aufgrund unzuverlässiger Informationen schwierig geworden ist. Daher sollten alle EU-Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Kenntnisse über die Fischereidaten bezüglich ihrer Gewässer und zum Austausch dieser Daten beitragen. Dies könnte mit Mitteln aus dem EMFF bewerkstelligt werden.

4.1.6.2.

Der EWSA fordert die Kommission auf, ihre Bemühungen um eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der regionalen Fischereiorganisationen fortzusetzen. Außerdem sollte die Kommission im Sinne eines integrierten Ansatzes in maritimen Angelegenheiten eine bessere Koordinierung zwischen unterschiedlichen Foren anstreben, z. B. zwischen regionalen Übereinkommen zum Schutz der Meere und globalen Organisationen.

4.2.    Verringerung des Drucks auf die Ozeane und Meere und Schaffung der Voraussetzungen für eine nachhaltige blaue Wirtschaft

4.2.1.

Der EWSA befürwortet nachdrücklich EU-Maßnahmen, darunter die Mitteilung über die Umsetzung des COP-21-Übereinkommens und die Eindämmung der schädlichen Folgen von Meereserwärmung, Anstieg des Meeresspiegels und Übersäuerung. Der EWSA fordert darüber hinaus die Kommission und die Hohe Vertreterin auf, Initiative zu zeigen und eine Einschätzung der Folgen dieser Phänomene auf die blaue Wirtschaft vorzunehmen, nicht nur für etablierte Wirtschaftszweige, sondern auch für junge Branchen.

4.2.2.

Der EWSA befürwortet die Schritte der Kommission zur besseren Umsetzung des Übereinkommens über Hafenstaatmaßnahmen (PSMA), das im Juni 2016 als verbindlicher internationaler Vertrag zur Bekämpfung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei in Kraft trat. Die richtige Umsetzung des PSMA dürfte die Industrie zu größerer Nachhaltigkeit veranlassen und könnte sich erheblich auf die gesamte Fischereilieferkette auswirken.

4.2.3.

Der EWSA meint, dass Verstöße gegen fischereirechtliche Vorschriften streng geahndet werden sollten. Die Durchführung des Übereinkommens der IAO über die Arbeit im Fischereisektor ist von großer Bedeutung, um die Verletzung von Arbeitnehmerrechten auf Fischereifahrzeugen sowie unlauteren Wettbewerb aufgrund von Verletzungen der grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit zu verhindern. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf See müssen den höchsten internationalen und EU-Standards genügen.

4.2.4.

Der EWSA weist darauf hin, dass schädliche Subventionen für den Fischereisektor, sei es zur Erhöhung der Kapazität der Flotten oder solche für Fischer, die IUU-Fischerei betreiben, eine der wichtigsten Ursachen der Überfischung sind, und begrüßt deshalb die Zusage der EU, mit Nachdruck daran zu arbeiten, die laufenden Verhandlungen über diese Frage in der Welthandelsorganisation zum Abschluss zu bringen.

4.2.5.

In Bezug auf Abfälle im Meer zeigt sich der EWSA alarmiert über die wachsenden Hinweise auf ihre schädlichen Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt und deren Lebensräume, auf die Artenvielfalt der Meere und die Meeresumwelt. Mit besonderer Besorgnis hebt der EWSA das Problem von Mikroplastik hervor, das entweder durch Direkteintrag oder durch die Zersetzung großer Kunststoffabfälle bis in die entlegensten Gegenden einschließlich der Tiefseegebiete gelangt und schädliche chemische Stoffe freisetzt, die die Nahrungskette verseuchen können.

4.2.5.1.

Der EWSA begrüßt die Anstrengungen, die im Rahmen der einzelnen regionalen Übereinkommen zum Schutz der Meere unternommen werden, um die Meeresverschmutzung zu verhüten und zu reduzieren, z. B. durch die Konzipierung gezielter regionaler Aktionspläne. Der EWSA fordert die EU-Mitgliedstaaten auf, die Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie zu verbessern, um einen guten ökologischen Zustand der Meeresumwelt zu erreichen und zu bewahren. Die Kommission sollte auch Regionen außerhalb der EU dazu anhalten, ähnliche Aktionspläne aufzulegen.

4.2.5.2.

Der EWSA betont die Wichtigkeit internationaler Instrumente wie des MARPOL-Übereinkommens, um etwas gegen die von Schiffen ausgehende Meeresverschmutzung zu tun, und fordert die Kommission auf, 2017 eine überarbeitete Richtlinie über Hafenauffangeinrichtungen vorzuschlagen, um eine noch stärkere Angleichung an den Geltungsbereich und die Begriffsbestimmungen des MARPOL-Übereinkommens zu erzielen.

4.2.5.3.

Nach Auffassung des EWSA sollte die EU für ein besseres Verständnis regionaler Besonderheiten und auch der Quellen, Mengen, Pfade, Verteilungstrends, Art und Auswirkungen der Abfälle im Meer (einschließlich Mikroplastik) sorgen, und er fordert die Kommission und die Hohe Vertreterin auf, sich um die Ursachen für die Meeresverschmutzung — auf See oder an Land — zu kümmern.

4.2.6.

Der EWSA bestärkt die Kommission und die Hohe Vertreterin in ihren Schritten zur Förderung und Beschleunigung einer erfolgreichen maritimen Raumplanung auf globaler Ebene unter Einbeziehung aller Interessenträger (5).

4.2.7.

Der EWSA ersucht die Kommission und die Hohe Vertreterin, die regionale und internationale Zusammenarbeit zur Entwicklung langfristiger, nachhaltiger Finanzierungsmechanismen für Meeresschutzgebiete zu fördern, damit deren gute Verwaltung sichergestellt ist und sie ein ökologisch zusammenhängendes Netz bilden.

4.3.    Stärkung der internationalen Ozeanforschung und der Datenbasis

4.3.1.

Der EWSA befürwortet die in der gemeinsamen Mitteilung genannten Aktionen, mit denen das Wissen über die europäischen Meere vermehrt werden soll. Der EWSA empfiehlt der EU daher nachdrücklich, das europäische Meeresbeobachtungs- und Datennetzwerk (EMODnet) zu einem weltweiten Meeresdatennetz auszubauen. Die EU könnte zu einem Zentrum für die Koordinierung der Forschung auf diesem Gebiet werden. Vor dem Sammeln und Analysieren weiterer Informationen müssen allerdings die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Daten erst sinnvoll und effektiv ausgewertet werden. Der Informationsstand über unsere Meere und Ozeane ist groß, aber stark fragmentiert.

4.3.2.

Der EWSA ermutigt die Kommission, eine engere internationale Zusammenarbeit im Bereich der Meereswissenschaft und Meerestechnik zu fördern, wie von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angeregt, denn dadurch könnten Innovationen stimuliert und die nachhaltige Entwicklung der blauen Wirtschaft gestärkt werden.

4.3.3.

Abschließend regt der EWSA an, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten auf die Verbesserung der statistisch-methodischen Grundlage auf europäischer und nationaler Ebene hinarbeiten, um den Umfang und die Leistung etablierter und neuer maritimer Wirtschaftszweige und ihren Beitrag zur Gesamtwirtschaft messen zu können.

Brüssel, den 29. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  A/RES/69/292.

(2)  Europäische Kommission, Pressemitteilung „EU bekämpft illegale Fischerei: Gelbe Karte für Thailand, grüne Karte für Südkorea und die Philippinen“, 21. April 2015, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-4806_de.htm.

(3)  ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 144.

(4)  ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 68.

(5)  Verweis auf die zweite Internationale Konferenz für maritime Raumordnung, einer gemeinsamen Veranstaltung der GD MARE der Europäischen Kommission und der Zwischenstaatlichen Ozeanografiekommission der Unesco. Sie findet vom 15.-17. März 2017 am Hauptsitz der Unesco in Paris/Frankreich statt.


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/66


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/1036 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern und der Verordnung (EU) 2016/1037 über den Schutz gegen subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern“

(COM(2016) 721 final)

(2017/C 209/12)

Berichterstatter:

Christian BÄUMLER

Mitberichterstatter:

Andrés BARCELÓ DELGADO

Befassung

Kommission, 24.11.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

REX

Annahme in der Fachgruppe

6.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

29.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

194/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bekennt sich zum offenen und fairen Handel und erkennt dessen Wert als Triebkraft für Wachstum und Beschäftigung an.

1.2.

Der EWSA fordert gleiche Wettbewerbsbedingungen für ausführende Hersteller aus der EU und aus Drittstaaten und setzt sich für wirksame handelspolitische Schutzinstrumente ein.

1.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Kommissionsvorschlag insgesamt eine ausgewogene Lösung für die Frage des Marktwirtschaftsstatus Chinas auf der einen Seite und das Ziel einer funktionierenden Dumpingberechnungsmethode auf der anderen Seite bietet.

1.4.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, bei der Berechnung der Dumpingspanne nicht von der Standardmethode auszugehen, sondern Vergleichswerte heranzuziehen, die signifikant verzerrte Herstellungs- und Verkaufskosten berücksichtigen. Der EWSA verweist darauf, dass er sich 2016 in seiner Stellungnahme zu dauerhaften Arbeitsplätzen und nachhaltigem Wachstum in der Stahlindustrie dafür ausgesprochen hat, die Standardmethode für Antidumping- und Antisubventionsuntersuchungen solange nicht auf Einfuhren aus China anzuwenden, wie das Land die fünf Kriterien der EU zur Anerkennung als Marktwirtschaft nicht erfüllt.

1.5.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission die Frage, ob eine nennenswerte Verzerrung des Marktgeschehens vorliegt, anhand konkreter Kriterien entscheiden möchte. Er weist darauf hin, dass auch der Einhaltung der ILO-Normen und der multilateralen Umweltübereinkommen Rechnung getragen werden sollte.

1.6.

Der EWSA fordert das Parlament und den Rat auf, eindeutig zu erklären, dass die Kommission für jedes Land mit nennenswerten Marktverzerrungen spezifische Länderberichte vorlegen wird. Dies soll alle Länder umfassen, die zusammen 70 % der Antidumpinguntersuchungen ausmachen, die in den jeweils zurückliegenden fünf Jahren eingeleitet wurden.

1.7.

Allerdings stellt der EWSA fest, dass das Verfahren der Antidumpinguntersuchung durch den Vorschlag der Kommission zur Änderung der Antidumpinggrundverordnung noch effizienter und praktikabler gestaltet werden kann (Rechtsstatus, Durchführbarkeit und Zweckmäßigkeit der vorgeschlagenen Berichte), gerade auch im Hinblick auf die Beweislast, die nicht auf die europäischen Unternehmen abgewälzt werden sollte.

1.8.

Der EWSA betont, dass auch kleine und mittlere Unternehmen Zugang zu Beschwerdeverfahren wegen Dumpingpreisen bzw. Subventionen haben müssen.

1.9.

Der EWSA unterstützt die von der Kommission vorgeschlagenen Übergangs- und Konsultationsregelungen.

1.10.

Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, zur Stärkung der Rechtssicherheit so weit wie möglich sicherzustellen, dass die neue Antidumpingpolitik der EU mit dem Antidumpingübereinkommen der WTO vereinbar ist.

1.11.

Der EWSA empfiehlt, bei den Handelsschutzmaßnahmen gegenüber Ländern mit nennenswerten Marktverzerrungen einen über die EU hinausgehenden, international koordinierten Ansatz zu verfolgen. Erforderlich ist eine enge Abstimmung mit den wichtigsten Handelspartnern.

1.12.

Der EWSA begrüßt die im Kommissionsvorschlag angeregten Änderungen der Antisubventionsverordnung.

1.13.

Der EWSA stellt fest, dass für die Effizienz der Verfahren für die handelspolitischen Schutzinstrumente auch der Vorschlag von 2013 zur Modernisierung dieser Instrumente, einschließlich der Regel des niedrigeren Zolls, eine Rolle spielt. Der EWSA betont, dass es von wesentlicher Bedeutung ist, dass auch das Paket zur Modernisierung der handelspolitischen Schutzinstrumente in den kommenden Monaten abgeschlossen und verabschiedet wird, damit ein robustes und effizientes System für den Handelsschutz geschaffen wird und Arbeitsplätze und Wachstum in der EU gesichert werden.

2.   Hintergrund und Inhalt des Kommissionsdokuments

2.1.

In dem Kommissionsvorschlag (1) geht es um die Änderung der Verordnung (EU) 2016/1036 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern und der Verordnung (EU) 2016/1037 über den Schutz gegen subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern. Die Veränderungen betreffen die Antidumpingberechnungen sowie die Antisubventionsverfahren.

2.2.

Mit dem neuen Kommissionsvorschlag werden insofern Änderungen an der Antidumpinggrundverordnung vorgenommen, als keine Unterscheidung mehr zwischen Ländern mit Marktwirtschaft und Ländern ohne Marktwirtschaft, die Mitglied der WTO sind, vorgenommen wird. Die Vergleichslandmethode kann weiter auf Länder angewandt werden, die nicht Mitglied der WTO sind, also Länder ohne Marktwirtschaft. Die Standardmethode wird auf alle WTO-Mitglieder angewandt, außer bei nennenswerten Marktverzerrungen. In diesem Fall ermöglicht der neue Artikel 2 Absatz 6 Buchstabe a), dass der Normalwert auf der Grundlage von Herstell- und Verkaufskosten, die unverzerrte Preise oder Vergleichswerte widerspiegeln, rechnerisch ermittelt wird.

2.3.

Auch wenn der neue Vorschlag für eine Verordnung länderneutral angelegt ist, so steht er doch in engem Zusammenhang zum Außerkrafttreten von Abschnitt 15 Buchstabe a Ziffer ii des Protokolls über den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) am 11. Dezember 2016. Die Folgen dieses Außerkrafttretens werden unterschiedlich ausgelegt (2).

2.4.

Nach der Standardmethode werden zur Bewertung eines möglichen Dumpings die Preise für die Ausfuhren in die EU mit den Inlandspreisen bzw. Kosten des Produkts im Ausfuhrland verglichen. Allerdings verwendet die EU für Länder ohne Marktwirtschaftsstatus gegenwärtig die sogenannte Vergleichslandmethode, bei der als Berechnungsgrundlage die Inlandspreise durch Preise bzw. Kosten in einem adäquaten Land ersetzt werden.

2.5.

In der Verordnung (EU) 2016/1036 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren (3) werden WTO-Länder genannt, die als Land ohne Marktwirtschaft betrachtet werden, auf die das „Nicht-Standard“-Antidumpingverfahren angewandt werden sollte.

2.6.

Allerdings zwang die Tatsache, dass das Außerkrafttreten von Abschnitt 15 Buchstabe a Ziffer ii des Protokolls über den Beitritt Chinas zur WTO so ausgelegt werden könnte, als sei die EU verpflichtet, China den Marktwirtschaftsstatus zu gewähren, die Kommission dazu, verschiedene Szenarien dazu zu prüfen, wie starke handelspolitische Schutzinstrumente beibehalten und gleichzeitig die europäischen Unternehmen vor unlauteren Handelspraktiken geschützt werden können und wie die Einhaltung der WTO-Vorschriften gewährleistet werden kann.

2.7.

2016 fanden intensive Diskussionen zwischen den EU-Institutionen und den Interessenträgern statt. Der EWSA beteiligte sich an diesen Diskussionen und betonte in seiner Stellungnahme „Auswirkungen der möglichen Gewährung des Marktwirtschaftsstatus an China auf Schlüsselindustrien (und auf Beschäftigung und Wachstum) (im Hinblick auf Handelsschutzinstrumente)“ (4), dass die EU das Instrument zur Gewährleistung eines freien und fairen Handels mit China nicht aus der Hand geben sollte, weil sonst eine nicht hinnehmbare Zahl von Arbeitsplätzen (Hunderttausende) verlorengehen werden. Der EWSA betonte, dass die Verluste in bestimmten Branchen — beispielsweise Aluminium, Fahrräder, Keramik, Elektroden, Ferrolegierungen, Glas, Papier, Solarpaneele, Stahl und Reifen — und in bestimmten Regionen konzentriert auftreten würden. Der EWSA appellierte an die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat, einen fairen internationalen Wettbewerb zu fördern, um diese Arbeitsplätze wie auch die gesellschaftlichen Werte Europas aktiv zu schützen und für mehr Einkommen und Wohlstand in der Europäischen Union zu sorgen (5). Am 12. Mai 2016 nahm das Europäische Parlament seine Entschließung zum Marktwirtschaftsstatus Chinas an.

2.8.

Die Kommissionsvorschläge umfassen eine nicht erschöpfende Liste mit Kriterien, die als Beleg für erhebliche Marktverzerrungen dienen, vor allem im Zusammenhang mit staatlichen Eingriffen in die Branche. Die Kommissionsdienststellen können öffentliche Berichte zur Beschreibung der konkreten Situation mit Blick auf die Marktbedingungen in einem bestimmten Land oder Wirtschaftszweig vorlegen. Solche Berichte — einschließlich der Nachweise, auf die sie gestützt sind — würden außerdem mit in das Dossier einer jeden Untersuchung aufgenommen, die das jeweilige Land oder den Wirtschaftszweig betrifft, damit alle Beteiligten ihre Sicht der Dinge darlegen und Stellungnahmen übermitteln können.

2.9.

Neben der neuen Methode zur Berechnung von Dumping sind im Vorschlag der Kommission Übergangsregelungen für bereits geltende Handelsschutzmaßnahmen und laufende Untersuchungen vorgesehen. Im Kommissionsvorschlag heißt es, das neue System werde nur bei Verfahren angewandt, die nach Inkrafttreten der geänderten Bestimmungen eingeleitet werden. Die Einführung neuer Regelungen biete keinen hinreichenden Grund für eine Überprüfung der derzeitigen Antidumpingmaßnahmen. Eine Überprüfung der Regelungen könne nur dann gefordert werden, wenn eine Überprüfung bei Auslaufen der Maßnahme eingeleitet wird.

2.10.

Der Kommissionvorschlag umfasst auch Änderungen am Verfahren, nach dem die EU Subventionen untersucht, die von Regierungen in Drittländern gewährt werden, und präzisiert in Form einer Änderung der Antisubventionsgrundverordnung, dass bei Antisubventionsuntersuchungen oder deren Überprüfung festgestellte zusätzliche Subventionen bei den Antisubventionsmaßnahmen berücksichtigt werden können.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA unterstützt die offene und faire Handelspolitik der EU. Die EU (die im Namen der Mitgliedstaaten der EU tätig wird, da die gemeinsame Handelspolitik in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt) fördert den offenen Handel und erkennt den Wert des Handels als Triebkraft für Wachstum und Beschäftigung an.

3.2.

Der EWSA setzt sich für wirksame Handelsschutzinstrumente ein. Die EU verlangt in ihrer Handelspolitik, dass in- und ausländische Hersteller zu gleichen Bedingungen miteinander konkurrieren. Aus diesem Grund lehnt die EU unfaire Handelspraktiken ab und wendet ihre eigenen Rechtsvorschriften in Form handelspolitischer Schutzinstrumente, einschließlich der Antidumping- und Ausgleichsmaßnahmen, an.

3.3.

Der EWSA weist darauf hin, dass sich die meisten geltenden Antidumpingmaßnahmen für chinesische Einfuhren auf bestimmte Branchen konzentrieren, wobei die Stahlbranche am stärksten betroffen ist. Diese Branche bedient vor- und nachgelagerte Industriezweige gleichermaßen; sie spielt mit ihren mehr als 350 000 direkten Arbeitsplätzen und mehreren weiteren Millionen in verwandten Industriezweigen eine grundlegende Rolle für die verarbeitende Industrie in Europa und die europäische Wirtschaft im Allgemeinen.

3.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Kommissionsvorschlag insgesamt eine ausgewogene Lösung für die Frage des Marktwirtschaftsstatus Chinas auf der einen Seite und das Ziel einer funktionierenden, gegenüber dem betreffenden Land neutralen Dumpingberechnungsmethode auf der anderen Seite bietet.

3.5.

Der EWSA begrüßt die Änderung der Antisubventionsgrundverordnung, mit der das Verfahren für Antisubventionsuntersuchungen präzisiert wird.

3.6.

Der EWSA schlägt vor, dass in den Erwägungsgründen der Verordnungen präzisiert wird, dass China durch die Änderung der Antidumpinggrundverordnung nicht als Marktwirtschaft anerkannt wird.

3.7.

Der EWSA nimmt jedoch zur Kenntnis, dass China am 13. Dezember 2016 um WTO-Konsultationen mit den USA und der EU ersucht hat, weil diese sich nicht an das WTO-Antidumpingübereinkommen hielten, und dass diese Konsultationen nach Auffassung der EU sowohl die geltende Antidumpinggrundverordnung als auch ihre vorgeschlagene Änderung, um die es in dieser Stellungnahme geht, betreffen. Der EWSA verweist auf frühere Rechtsstreitigkeiten, die verdeutlichen, wie komplex das Problem ist. Er ist deshalb besorgt, was die Rechtssicherheit der vorgeschlagenen Änderung der Antidumpingverordnung betrifft, und fordert die Kommission auf, die Vereinbarkeit des neuen Systems mit den Antidumpingvorschriften der WTO fundiert zu begründen.

3.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass keiner der großen Handelspartner der EU seine Antidumpingmethode geändert hat, auch nicht im Hinblick auf das Außerkrafttreten von Abschnitt 15 Buchstabe a Ziffer ii des Protokolls über den Beitritt Chinas zur WTO. Diese Strategie steht im Zusammenhang mit von China angestrengten, offenen WTO-Verfahren, die abgewartet werden sollen.

3.9.

Der EWSA empfiehlt, in dieser Sache einen über die EU hinausgehenden, international koordinierten Ansatz zu verfolgen.

3.10.

Der EWSA fordert die Kommission, das Parlament und den Rat deshalb auf, die neuen Entwicklungen der handelspolitischen Schutzmaßnahmen der großen Handelspartner aufmerksam zu verfolgen und ihre Auswirkungen auf das Gleichgewicht der Handelsströme zu analysieren.

3.11.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass der Ausschuss der Regionen die Abschaffung der Regel des niedrigeren Zolls gefordert hat (6). Das Parlament empfahl im April 2014, die Regel des niedrigeren Zolls auf Fälle von Sozial- und Umweltdumping zu beschränken. Der EWSA hat sich in seiner Stellungnahme von 2016 ebenfalls für die Abschaffung der Regel des niedrigeren Zolls bei Stahleinfuhren ausgesprochen.

3.12.

Der EWSA erinnert diesbezüglich daran, dass für die Effizienz der Verfahren für die handelspolitischen Schutzinstrumente auch der Vorschlag von 2013 zur Modernisierung dieser Instrumente, einschließlich der Regel des niedrigeren Zolls, eine Rolle spielt. Der EWSA verweist darauf, dass das Paket zur Modernisierung der handelspolitischen Schutzinstrumente sowie die neue Methode zur Berechnung der Dumpingspanne verschiedene technisch und rechtlich nicht miteinander verbundene Aspekte der EU-Antidumpingmaßnahmen und ihrer Umsetzung umfasst, selbst wenn ein enger Zusammenhang besteht. Der EWSA gibt zu bedenken, dass die Ausschöpfung der gesamten Dumpingspanne das Ziel, marktwirtschaftliche Bedingungen in allen WTO-Mitgliedsländern zu erreichen, fördern würde. Seiner Auffassung nach ist es von wesentlicher Bedeutung, dass auch das Paket zur Modernisierung der handelspolitischen Schutzinstrumente in den kommenden Monaten abgeschlossen und verabschiedet wird, damit ein robustes und effizientes System für den Handelsschutz geschaffen wird und Arbeitsplätze und Wachstum in der EU gesichert werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission (Artikel 2 Absatz 6 a), die Berechnungsmethode dahingehend zu ändern, dass bei nennenswerten Verzerrungen in bestimmten Ländern eine von der Standardmethode abweichende Methode herangezogen wird, und ist der Auffassung, dass ein solches Vorgehen es der Kommission erlauben würde, das tatsächliche Ausmaß des Dumpings zu ermitteln und zu messen.

4.2.

Der EWSA hat sich 2016 in seiner Stellungnahme zu dauerhaften Arbeitsplätzen und nachhaltigem Wachstum in der Stahlindustrie (7) bereits dafür ausgesprochen, die Standardmethode für Antidumping- und Antisubventionsuntersuchungen solange nicht auf Einfuhren aus China anzuwenden, wie das Land die fünf Kriterien der EU zur Anerkennung als Marktwirtschaft nicht erfüllt. Dies entspricht auch der Entschließung des Europäischen Parlaments vom Mai 2016.

4.3.

Der EWSA teilt die Einschätzung der Kommission, dass Preise und Kosten in manchen Ländern aufgrund des staatlichen Einflusses künstlich niedrig sind. Dadurch spiegeln sie die Kräfte des Marktes nicht realistisch wider. Die Inlandspreise und die Kosten sind durch staatliche Eingriffe erheblich verzerrt. Deshalb sollten in solchen Fällen die Inlandspreise nicht für den Vergleich mit den Ausfuhrpreisen herangezogen werden.

4.4.

Der EWSA stellt fest, dass neue Berechnungen nunmehr dann angestellt werden sollen, wenn nennenswerte Wettbewerbsverzerrungen vorliegen, wofür in der Verordnung eine nicht erschöpfende Liste von Beispielen angegeben ist. Allerdings weist der EWSA auch darauf hin, dass die Verletzung von arbeits- und umweltrechtlichen Mindeststandards auch zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber EU-Unternehmen beitragen kann und berücksichtigt werden sollte, insbesondere wenn es dabei um einen Bestandteil des staatlichen Regelungsrahmens geht. Zudem sollte sorgfältig geprüft werden, inwieweit die neue Methode mit den WTO-Regeln vereinbar ist.

4.5.

Der EWSA weist darauf hin, dass China in der WTO die Entscheidung eines offiziellen Gremiums zu der von der EU genutzten so genannten „Vergleichslandmethode“ beantragt hat, und betont, dass die EU derzeit an der Einführung einer neuen Methode arbeitet, die im Einklang mit allen internationalen Abkommen stehen dürfte. Nach Ansicht des EWSA sollte die „Vergleichslandmethode“ weiter genutzt werden, wenn die WTO in ihrer Entscheidung zu dem Schluss kommt, dass China durch das Auslaufen von Artikel 15 Buchstabe (a) Ziffer (ii) nicht automatisch der Marktwirtschaftsstatus zuerkannt wird und es seine sonstigen Verpflichtungen aus dem Beitrittsprotokoll erfüllen muss.

4.6.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Kommission nach dem Legislativvorschlag Berichte zur Beschreibung der konkreten Situation mit Blick auf den Markt in einem bestimmten Land oder Wirtschaftszweig erstellen und vorlegen kann. Diese Berichte, einschließlich der Nachweise, auf die sie gestützt sind, sollen mit in die Antidumpinguntersuchung aufgenommen werden, die zu dem jeweiligen Land oder Wirtschaftszweig durchgeführt wird, und öffentlich verfügbar sein. Die EU-Unternehmen könnten sich bei einer Beschwerde oder einem Überprüfungsantrag zudem auf Informationen aus diesen Berichten stützen. Allerdings ist der EWSA besorgt darüber, dass die Europäische Kommission in ihrem Vorschlag nicht vorsieht, das Personal für den Bereich handelspolitische Instrumente aufzustocken. Er stellt zudem fest, dass der rechtliche Status dieser Berichte nicht definiert ist und dass nicht klar ist, wie die Berichte im Falle einer juristischen Anfechtung der Berichte durch das betreffende Land verwendet werden können. Auch wird nichts darüber ausgesagt, wie oft die Berichte aktualisiert und wie sie an sektorspezifische Umstände angepasst werden sollen.

4.7.

Der EWSA ist zudem besorgt darüber, dass diese Berichte nicht verbindlich sind (im Vorschlag heißt es, dass „die Kommissionsdienststellen einen Bericht erstellen können“), und er fordert, dass die Beweislast in dem Legislativvorschlag präziser festgelegt wird.

4.8.

Der EWSA merkt an, dass das Beschwerdeverfahren gegen Dumping effektiv, realitätsnah und praktikabel sein muss. Allerdings kann er nicht akzeptieren, dass die Beweislast umgekehrt wird. Die Beweislast sollte nicht bei den betroffenen EU-Unternehmen und der Kommission liegen, wenn es um den Nachweis von Dumpingpraktiken geht. Die dafür erforderliche Datenerhebung sollte tragbar bleiben.

4.9.

Der EWSA betont, dass auch kleine und mittlere Unternehmen Zugang zu Beschwerdeverfahren im Hinblick auf Dumpingpreise haben müssen und dass besonders darauf zu achten ist, dass diese Unternehmen die durch die Untersuchung und die dafür erforderliche Datenerhebung entstandenen Belastungen auch tragen können.

4.10.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Übergangsregelungen der Rechtsklarheit dienen, und er unterstützt diese Regelungen.

Brüssel, den 29. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2016) 721 final.

(2)  Im Zeitraum 2012-2016 wurden nach Schätzung der Europäischen Kommission 73 neue Antidumping- und Antisubventionsuntersuchungen eingeleitet. 42 % davon bezogen sich auf China, 10 % auf Indien und jeweils 5 % auf Russland, Indonesien und die Türkei. 2016 wurden die meisten der vorläufigen Antidumpingmaßnahmen gegen Einfuhren aus China und einige gegen Einfuhren aus Russland, Weißrussland und Korea verhängt.

(3)  Verordnung (EU) 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern (Kodifizierung) (ABl. L 176 vom 30.6.2016, S. 21).

(4)  ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 13.

(5)  ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 13.

(6)  ABl. C 17 vom 18.1.2017, S. 13.

(7)  ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 50.


30.6.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/71


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1059/2003 in Bezug auf die territorialen Typologien (Tercet)“

(COM(2016) 788 final — 2016/0393 (COD))

(2017/C 209/13)

Befassung

Rat der Europäischen Union, 25.1.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Verabschiedung auf der Plenartagung

29.3.2017

Plenartagung Nr.

524

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

223/1/4

Da der EWSA dem Vorschlag zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schaffung einer gemeinsamen Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS)“ vom 11. Juli 2001 (1) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 524. Plenartagung am 29./30. März 2017 (Sitzung vom 29. März 2017) mit 223 gegen 1 Stimme bei 4 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der vorgenannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 29. März 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 260 vom 17.9.2001, S. 57.