|
ISSN 1977-088X |
||
|
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34 |
|
|
||
|
Ausgabe in deutscher Sprache |
Mitteilungen und Bekanntmachungen |
60. Jahrgang |
|
Informationsnummer |
Inhalt |
Seite |
|
|
I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen |
|
|
|
STELLUNGNAHMEN |
|
|
|
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss |
|
|
|
520. Plenartagung des EWSA vom 19.-20. Oktober 2016 |
|
|
2017/C 34/01 |
||
|
2017/C 34/02 |
||
|
2017/C 34/03 |
||
|
2017/C 34/04 |
||
|
2017/C 34/05 |
||
|
2017/C 34/06 |
||
|
2017/C 34/07 |
||
|
2017/C 34/08 |
||
|
2017/C 34/09 |
||
|
2017/C 34/10 |
||
|
2017/C 34/11 |
||
|
2017/C 34/12 |
|
|
III Vorbereitende Rechtsakte |
|
|
|
EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS |
|
|
|
520. Plenartagung des EWSA vom 19.-20. Oktober 2016 |
|
|
2017/C 34/13 |
||
|
2017/C 34/14 |
||
|
2017/C 34/15 |
||
|
2017/C 34/16 |
||
|
2017/C 34/17 |
||
|
2017/C 34/18 |
||
|
2017/C 34/19 |
||
|
2017/C 34/20 |
||
|
2017/C 34/21 |
||
|
2017/C 34/22 |
||
|
2017/C 34/23 |
||
|
2017/C 34/24 |
||
|
2017/C 34/25 |
||
|
2017/C 34/26 |
||
|
2017/C 34/27 |
||
|
2017/C 34/28 |
||
|
2017/C 34/29 |
||
|
2017/C 34/30 |
||
|
2017/C 34/31 |
|
DE |
|
I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen
STELLUNGNAHMEN
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
520. Plenartagung des EWSA vom 19.-20. Oktober 2016
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/1 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein leistungsbezogener EU-Haushalt und seine Ausrichtung auf echte Ergebnisse: die Grundlagen für eine solide Haushaltsführung“
(Initiativstellungnahme)
(2017/C 034/01)
|
Berichterstatter: |
Petr ZAHRADNÍK |
|
Beschluss des Plenums |
21.1.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
|
|
Initiativstellungnahme |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt |
|
Annahme in der Fachgruppe |
5.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
139/0/3 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Ansicht, dass der Haushalt der EU ein entscheidendes Instrument zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen der EU und ihrer strukturellen Veränderungen sein kann. Es muss jedoch gründlich analysiert und bewertet werden, wo die Mittel verwendet und wie sie ausgegeben werden, wie die Effizienz dieser Ausgaben bewertet und wie über die erzielten Ergebnisse berichtet wird (1). Unter diesen Voraussetzungen können mithilfe des EU-Haushalts die wichtigsten Herausforderungen für die EU angenommen und das Vertrauen der Bevölkerung in die EU erneuert werden, selbst wenn der Umfang des Haushalts in absoluten und relativen Zahlen zurückgehen sollte. |
|
1.2. |
Eine Voraussetzung für die Stärkung der Leistungsfähigkeit des EU-Haushalts ist zugleich die Festlegung klar definierter vorrangiger Ziele zum Nutzen der Unionsbürger, der entsprechenden aggregierten Indikatoren und eines überzeugenden Berichterstattungssystems für die aus dem EU-Haushalt finanzierten Tätigkeiten, um so das Kosten/Nutzen-Verhältnis zu optimieren. Dies können beispielsweise Ex-ante-Konditionalitäten, Finanzinstrumente oder Flexibilität und Widerstandsfähigkeit gegenüber plötzlichen Herausforderungen sein (2). Vor allem muss der quantitative Aspekt des EU-Haushalts, der auch aus Sicht des EWSA so wichtig ist für die Festlegung der wesentlichen Prioritäten und der entsprechenden Maßnahmen, durch die ihm entsprechende qualitative Dimension ergänzt werden. |
|
1.3. |
Der EWSA befürwortet eine Herangehensweise, bei der für Ausgaben aus dem EU-Haushalt nicht nur die Recht- und Ordnungsmäßigkeit dieser Ausgaben sichergestellt wird, sondern auch eine gezielte und systematische Ausrichtung auf die Ergebnisse und Leistungen erfolgt, die mit dem EU-Haushalt bei der Abdeckung der Schwerpunktbereiche der EU erzielt werden sollen. |
|
1.4. |
Der EWSA stimmt der Auffassung zu, dass die Regeln der Leistungskultur im Zusammenhang mit dem EU-Haushalt nur umgesetzt werden können, wenn eine enge Verknüpfung zwischen dem Umfang und dem Charakter der Ausgaben einerseits und einem umfassenden Komplex von Leistungsindikatoren zur Messung der Ergebnisse und der Leistung andererseits gewährleistet wird. |
|
1.5. |
Der EWSA vertritt zudem die Auffassung, dass die Verwirklichung einer Leistungskultur kein einmaliger Schritt ist, sondern ein Entwicklungsprozess, für den es sowohl ein entsprechendes Rechtsumfeld als auch eine Auswahl an Instrumenten braucht, die das Handeln der maßgeblichen Akteure in die gewünschte Richtung lenken. In der bevorstehenden Diskussion und bei der Ausführung eines leistungsorientierten EU-Haushalts muss ferner dessen Inhalt näher spezifiziert werden; |
|
1.6. |
Der EWSA ist davon überzeugt, dass mit einem leistungsorientierten EU-Haushalt echte Ergebnisse und Auswirkungen in den Schwerpunktbereichen der EU erzielt werden können, die einen eindeutig messbaren Mehrwert erbringen. Die Diskussion über einen leistungsbezogenen EU-Haushalt ist daher auch eine Diskussion über die Prioritäten der EU-Politik, die geeignet sind, die erforderlichen strukturellen Änderungen zu gewährleisten. |
|
1.7. |
Bisher wurden Pilotversuche durchgeführt, um zu messen, welche Auswirkungen der EU-Haushalt auf das Erreichen der vorrangigen und quantifizierten Ziele der Strategie Europa 2020 hat. Der EWSA bewertet diese Tätigkeit als positiven Schritt in die richtige Richtung, in die systematisch und noch wesentlich umfassender weitergegangen werden sollte. Die Prüfungen ergaben, dass die tatsächlich erzielten Ergebnisse in hohem Maße von den angestrebten Zielen abweichen, und sie brachten zahlreiche Beispiele einer ineffizienten Verwendung der EU-Mittel und damit einhergehende Verfahrensmängel zutage. |
|
1.8. |
Der EWSA unterstützt eine weitere, bessere und engere Verknüpfung zwischen der Strategie Europa 2020 und dem mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 bzw. den einzelnen EU-Haushalten für die betreffenden Jahre mithilfe von Folgenabschätzungsindikatoren und deren anschließender Auswertung. Dabei sollten Überlegungen zur Strategie Europa 2020 angestellt werden, um festzustellen, ob diese Ziele auch in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts noch auf die wirklichen Entwicklungsprioritäten der EU ausgerichtet ist. |
|
1.9. |
Der EWSA befürwortet auch das Vorhaben, dass die Partnerschaftsabkommen und Maßnahmenprogramme als wirksame Instrumente eine Übertragung der Ziele und Prioritäten der EU auf die Ebene der in den einzelnen Mitgliedstaaten realisierten operativen Ziele ermöglichen, entweder in Form einer Verbesserung der geteilten Mittelverwaltung oder durch die Verbesserung der Verfahren bei den von der Europäischen Kommission direkt verwalteten Programmen in den einzelnen Mitgliedstaaten. |
|
1.10. |
Der EWSA empfiehlt, die Mitgliedstaaten dazu anzuhalten, in ihre Partnerschaftsabkommen und Maßnahmenprogramme einen vergleichbaren Satz quantifizierbarer Ergebnisse aufzunehmen, die durch die Unterstützung aus EU-Haushaltsmitteln erreicht und anschließend ausgewertet werden sollen. Alle Partnerschaftsabkommen und Programme sollten gemeinsame Ergebnisindikatoren auf Querschnitts- bzw. horizontaler Basis mit einer klaren Identifizierung des Nutzens sowohl der einzelnen Fonds als auch der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds als Ganzem enthalten, die so konzipiert sein sollten, dass eine Überwachung des Fortschritts auf EU-Ebene, der Ebene der Mitgliedstaaten und der einzelnen Regionen möglich ist. |
|
1.11. |
Der EWSA sieht die anstehende Überarbeitung des mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 zur Halbzeit des Zeitraums als Chance für eine rigorosere Durchsetzung eines leistungs- und ergebnisorientierten Ansatzes, der anschließend im mehrjährigen Finanzrahmen für die Zeit ab 2021 voll zum Tragen kommen sollte. |
|
1.12. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass der mehrjährige Finanzrahmen ab 2021 zusammen mit der neuen Strategie für Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklung und der jetzt entstehenden sozialpolitischen Säule die entscheidende mittelfristige strategische Plattform bilden sollte (mit demselben Zeithorizont wie die Strategie für Wettbewerbsfähigkeit), wobei die Struktur und der Stellenwert der einzelnen Ausgabenposten an den tatsächlichen Bedarf und die Prioritäten anzupassen sind; zugleich sollte dies mehr Flexibilität für die Abdeckung der sich abzeichnenden Erfordernisse ermöglichen. Der EWSA würde es zudem begrüßen, wenn das Verfahren für die Verwendung der Mittel aus dem EU-Haushalt effizienter gestaltet würde, indem verstärkt rückzahlbare Instrumente eingesetzt und auf deren Komplementarität zu den Mitteln für Zuschüsse hingearbeitet wird. Darüber hinaus gibt es noch erheblichen Spielraum für die Verbesserung der Methoden zur Bewertung des EU-Haushalts und seiner Wirksamkeit. Der Parameter einer angemessenen haushaltspolitischen Flexibilität ist sehr wichtig, um mit dem EU-Haushalt auf die neuen Initiativen, Bedrohungen und Chancen reagieren und die EU dauerhaft handlungsfähig machen zu können (Beispiele dafür wären: die Migrationskrise, die Notwendigkeit, ökonomische Schocks aufzufangen oder Änderungen der Zahl der EU-Mitglieder mit Auswirkungen auf die Haushaltsflüsse und eine angemessene Ressourcenbasis des Solidaritätsfonds für den Fall des Eintretens von Naturkatastrophen), und das betrifft nicht nur den Umfang des EU-Haushalts und die Struktur der Ausgaben, sondern auch die Einnahmenseite. |
|
1.13. |
Der EWSA empfiehlt, dass die Haushaltspolitik in der EU nach 2020 durch eine angemessene Höhe auf der Einnahmenseite des EU-Haushalts und ein entsprechendes Verfahren für seine Aufstellung gekennzeichnet sein sollte (Festlegung einer ausgewogenen und solidarischen Verknüpfung der Beiträge der Mitgliedstaaten mit den Eigenmitteln für den Haushalt). |
|
1.14. |
Der EWSA stimmt einer weiteren Ausweitung der Möglichkeiten für eine aktive Haushaltspolitik zu, z. B. auch durch die Ausgabe von Wertpapieren. Dazu ist es wünschenswert, den finanzpolitischen Rahmen und die EU-Haushaltsverfahren zu verbessern und zugleich die Frage der Effizienz der Haushaltspolitik der EU gegenüber den Ländern des Euro-Währungsgebiets wie auch gegenüber den übrigen EU-Mitgliedstaaten zufriedenstellend zu lösen. |
2. Analyse und Beschreibung des Problems
2.1. Ausgangsfaktenlage
|
2.1.1. |
Der EU-Haushalt ist ein wichtiges Schlüsselinstrument zur Finanzierung der Prioritäten der EU mit einem Volumen von etwa 1 % des BIP der EU; im Jahr 2015 belief er sich auf 145,3 Mrd. EUR. Der EU-Haushalt ist mit einem relativ bedeutenden Anteil an der Sicherung der Wirtschaftspolitik in den einzelnen Mitgliedstaaten beteiligt und macht im Schnitt 1,9 % der öffentlichen Ausgaben in den EU-Mitgliedstaaten aus, in bestimmten Fällen liegt dieser Anteil jedoch bei weit über 10 %. |
2.2. Ausgangspunkte des Themas
|
2.2.1. |
Bei Finanzmitteln in dieser Höhe ist es wichtig sicherzustellen, dass sie nicht nur im Einklang mit den Regeln (rechtmäßig und ordnungsgemäß) zugeteilt werden, sondern vor allem auch, dass unter Einhaltung dieser Regeln mithilfe dieser Mittel die Ziele und entsprechenden Ergebnisse erreicht sowie die Grundsätze einer wirtschaftlichen Haushaltsführung und Leistungskultur eingehalten werden können. Die Ermittlung der tatsächlichen Wirkungen des Einsatzes der EU-Haushaltsmittel mittels relevanter makroökonomischer Indikatoren und Maßstäbe wird nunmehr Gegenstand aller politischen Überlegungen zur EU-Haushaltspolitik. |
Haushaltseffizienz bedeutet die entsprechende Ausrichtung der EU-Haushaltsausgaben auf die wirklichen Prioritäten der EU für den betreffenden Zeitraum. Die Leistungskultur beruht dabei auf drei Säulen: der Strategie, der Vereinfachung und dem Haushaltsverfahren.
|
2.2.2. |
Der EU-Haushalt und seine Ausführung sollten im Einklang mit den folgenden Prioritäten stehen:
|
|
2.2.3. |
Der EU-Haushalt enthält einige neue, mit der Funktionsweise des mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 verbundene Elemente, die im Hinblick auf die Stärkung eines leistungsbasierten und ergebnisorientierten Herangehensweise relevant sind:
|
|
2.2.4. |
Sinn dieser Elemente ist eine bessere Anpassung der EU-Fiskalpolitik und der praktischen Funktionsweise des EU-Haushalts an den Bedarf mittels eines diesem Bedarf besser entsprechenden Gleichgewichts zwischen formalen und prozeduralen Fragen der Verwendung der EU-Haushaltsmittel einerseits und den leistungsbasierten und ergebnisorientierten Ansätzen anderseits. Als unbedingt erforderlich für die Leistungsfähigkeit und das Ergebnis ist auch der Ansatz einer gemeinsamen Wahrnehmung und eines gemeinsamen Verständnisses dieses Konzeptes zu nennen. |
|
2.2.5. |
Für die Messung der Verstöße gegen die formalen Regeln wird langfristig der Indikator der Fehlerquote verwendet. Deren Höhe liegt bei rund 4 % (ungefähr 4 % der EU-Haushaltsausgaben werden nicht im Einklang mit den formalen Regeln aufgewendet, was kein schlechtes Ergebnis ist; in absoluter Höhe entspricht dieser Betrag jedoch ungefähr 6 Mrd. EUR). Die Entwicklung der Gesamtfehlerquote in den letzten Jahren zeigt die folgende Tabelle:
|
|
2.2.6. |
Der entscheidende Grundsatz für den Vollzug des EU-Haushalts ist, dass die Finanzströme und die durch sie finanzierten konkreten Programme und Projekte „gesund“ (solide) sein müssen, was durch eine Bewertung der optimalen Verwendung der EU-Haushaltsmittel in allen ihren Aspekten ermöglicht wird. Der EWSA identifiziert sich mit dem aktuellen Trend einer stärkeren Betonung der Leistungsfähigkeit und der Ergebnisse, der sich in den Tätigkeiten der Europäischen Kommission (Initiative zum „Ergebnisorientierten EU-Haushalt“ (4)) ebenso zeigt wie beim Europäischen Rechnungshof (Gliederung seines Jahresberichts für das Jahr 2014 (5) und das der Leistungsfähigkeit gewidmete Kapitel; die Abschnitte zur geteilten Mittelverwaltung beinhalten als Ergebnisse die Bewertung der Leistungsfähigkeit der Programme während der Pilotphase). |
|
2.2.7. |
Der EWSA unterstützt den Ansatz, der sich im Pilotversuch bewährt hat, denn diesem liegt die Analyse der Verknüpfung der Strategie Europa 2020 mit den Partnerschaftsvereinbarungen bzw. den konkreten Programmen zugrunde, die wesentliche Instrumente für die Umsetzung der Kohäsionspolitik der EU sowie wichtige Elemente auf der Ausgabenseite des EU-Haushalts sind. Dieser Test kann als Ausgangspunkt für eine umfassende Herangehensweise bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit und der Ergebnisse des EU-Haushalts betrachtet werden (6). |
|
2.2.8. |
Für eine ausgewogene Einhaltung der formalen und leistungsbezogenen Kriterien beim Vollzug des EU-Haushalts sind der Umgang mit Informationen und Daten, das Datenmanagement und der Austausch zwischen den Behörden und Einrichtungen der EU (insbesondere der Europäischen Kommission) und den Mitgliedstaaten von grundlegender Bedeutung. Bei der Verwendung der EU-Haushaltsmittel entsteht eine enorme Menge an Daten und Informationen, die jedoch nur sehr begrenzt praktisch genutzt werden, um zu gewährleisten, dass sowohl die Fehlerquote als auch die Erfüllung der realen, mit dem EU-Haushaltsmittel angestrebten Ergebnisse bewertet und Schritte zur Verbesserung des ermittelten Zustands festgelegt werden. |
3. Allgemeine Bemerkungen
|
3.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Ansicht, dass mit dem EU-Haushalt vorrangig das Leben der Bürgerinnen und Bürger der EU verbessert und zugleich die finanziellen Interessen der EU geschützt werden sollten; die Vorteile ergeben sich aus einer Unterstützung unter Beachtung der Prioritäten für die Entwicklung und den Haushaltsvollzug im Rahmen der Wirtschaftspolitik und der tatsächlichen und erwarteten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit; der Schutz der finanziellen Interessen der EU besteht in der sachgerechten Verwendung der EU-Haushaltsmittel in Übereinstimmung mit den Vorschriften, ohne Fehler und betrügerisches Handeln. Der gegenwärtige politische Ansatz sollte dazu beitragen, eine volle Übereinstimmung und Ausgewogenheit zwischen diesen Aspekten zu erreichen. |
|
3.2. |
Der EWSA stellt fest, dass der Übergang hin zu einem leistungsorientierten EU-Haushalt nicht als einmaliger Schritt vollzogen werden kann. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die grundlegenden Rechtsnormen und Ziele des EU-Haushalts sowie der Haushaltspolitik mit der Absicht konzipiert werden, qualitätsorientierten Indikatoren gerecht zu werden und messbare Ergebnisse zu erzielen. |
|
3.3. |
Im Hinblick auf einen leistungsorientierten EU-Haushalt wäre es außerdem äußerst hilfreich, wenn künftig eine zeitliche Übereinstimmung erreicht würde zwischen dem Haushaltszeitraum (gegenwärtig der siebenjährige Finanzrahmen) und dem durch die EU-Entwicklungsstrategie definierten Zeitraum (gegenwärtig Zehnjahresstrategie Europa 2020). Das Jahr 2021 wird unter diesem Aspekt eine einmalige Gelegenheit bieten, um diese Übereinstimmung zu erreichen und die Bedingungen für ein optimales Funktionieren eines ergebnis- und leistungsorientierten EU-Haushalts zu schaffen. |
|
3.4. |
Der EWSA berücksichtigt und anerkennt die Erkenntnisse aus dem vom Europäischen Rechnungshof veröffentlichten Jahresbericht für das Jahr 2014, in dem eine Reihe von Problemstellen aufgezeigt wurden, an denen die Verknüpfung der Strategie Europa 2020 und der Partnerschaftsabkommen bzw. Maßnahmenprogramme nicht ganz optimal funktioniert. In dem Bericht stellt der Hof fest, diese Instrumente seien nicht so konzipiert, dass sie eine systematische Übertragung der politischen Ziele der Strategie Europa 2020 in die konkreten operativen Ziele ermöglichen könnten, die in den Partnerschaftsabkommen und Maßnahmenprogrammen festgelegt sind (7). |
|
3.5. |
Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Erwartungen hinsichtlich des Nutzens, der sich aus einer Synergie der fünf Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) unter dem Dach eines einzigen Regulierungs- und Managementrahmens und eines Partnerschaftsabkommens in jedem Mitgliedstaat ergeben könnte, sich bisher nicht erfüllt haben, wobei noch immer die Praxis unterschiedlicher Regeln bezüglich der einzelnen Fonds weitergeführt wird, die zu einer Fragmentierung der Programme (statt zu den nötigen Synergien zwischen ihnen) führt. |
|
3.6. |
Der EWSA ist zudem der Auffassung, dass der große Spielraum für die Stärkung eines leistungs- und ergebnisorientierten Ansatzes die Einführung der zwei neuen Elemente für die Verwendung der EU-Haushaltsmittel im Zeitraum 2014-2020 ermöglicht: Konditionalitäten und leistungsgebundene Reserven. Gerade durch das Erreichen makroökonomischer Konditionalitäten sollte sichergestellt werden, dass die EU-Haushaltsausgaben in den einzelnen Mitgliedstaaten in einem adäquaten gesunden makroökonomischen Umfeld zugewiesen werden bzw. dass verhindert wird, dass ein Mitgliedstaat in vollem Umfang diese Mittel nutzen kann, obwohl er sich nicht um die Lösung seiner makroökonomischen Probleme bemüht. Die Verfügbarkeit einer leistungsgebundenen Reserve sollte die Mitgliedstaaten in angemessener Weise motivieren, Leistungen zur Erreichung der strategischen Ziele der EU mit Unterstützung aus dem EU-Haushalt zu erbringen. |
|
3.7. |
Der EWSA ist der Meinung, dass das Pilotvorhaben, einen leistungs- und ergebnisgebundenen EU-Haushalt mithilfe der Koppelung an die Prioritäten der Strategie Europa 2020 zu testen, fortgeführt und dabei auf weitere relevante Gebiete ausgedehnt werden sollte, damit die Bewertung der Leistungs- und Ergebnisorientierung des EU-Haushalts wirklich umfassend sein kann — so sollte zum Beispiel den länderspezifischen Empfehlungen sowie der Übereinstimmung mit den zur Erfüllung des Europäischen Semesters aufgestellten Indikatoren Beachtung geschenkt werden. |
|
3.8. |
Der EWSA empfiehlt, im Rahmen der Überlegungen über die Funktionsweise des EU-Haushalts auch das Konzept des Marktversagens zu prüfen, für dessen Überwindung Mittel aus dem EU-Haushalt bereitgestellt werden sollten; ein Marktversagen (Marktmängel/Versagen) kann sich beispielsweise in einer Informationsasymmetrie zeigen, eventuell auch in Form der kommerziellen Bewertung der Investitionsrendite seitens der Finanzinstitute, die die Finanzierung bestimmter Projektarten verhindern, weil bestimmte positive externe Faktoren und auch der Nutzen für die Gesellschaft im weiteren Sinne unberücksichtigt bleiben, wobei diese für einen einzelnen Geschäftsfall nicht relevant, wohl aber für eine Unterstützung aus EU-Mitteln von Bedeutung sind. |
|
3.9. |
Der EWSA identifiziert sich mit der Notwendigkeit erheblicher Verbesserungen bei der geteilten Mittelverwaltung zwischen den Organen und Institutionen der EU (vor allem der Europäischen Kommission) und den Mitgliedstaaten. 76 % aller EU-Haushaltsausgaben werden über die geteilte Mittelverwaltung zugewiesen. Je besser die Mitgliedstaaten die innerstaatlichen quantifizierten Ziele der Strategie Europa 2020 erfüllen werden, desto mehr wird der EU-Haushalt mit den Zielen der Strategie Europa 2020 verknüpft sein, und je besser diese Ziele den tatsächlichen ökonomischen, sozialen, territorialen oder ökologischen Bedarf in der EU widerspiegeln werden, desto förderlicher wird das so geschaffene Umfeld eines soliden Finanzmanagements für die reibungslose Verknüpfung der Maßnahmen der Europäischen Kommission mit den Maßnahmen der Mitgliedstaaten sein. |
|
3.10. |
Der EWSA ist der Ansicht, dass ein wichtiger Ausdruck der Stärkung der Leistungsfähigkeit und der Ergebnisorientierung des EU-Haushalts auch die Betonung einer stärkeren Nutzung der Finanzierungsinstrumente bzw. innovativer Finanzinstrumente ist, denn diese sind so gestaltet, dass durch sie grundsätzlich die Art der Verwendung der Mittel aus dem EU-Haushalt und die mit ihnen verbundenen Erwartungen verändert werden. Trotz des unstrittigen Potenzials der Finanzierungsinstrumente gelangten nur etwa 65 % dieser Mittel für den Zeitraum 2007-2013 zu den Endempfängern (der Rest der Mittel wurde lediglich in den Finanzierungsinstrumenten „geparkt“, um formell ihre Ausschöpfung zu belegen). Dieser Aspekt gewinnt weiter an Bedeutung nach 2020, auch im Zusammenhang mit der Notwendigkeit einer verstärkten Komplementarität mit dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI); er ist zudem eine grundlegende strategische Überlegung für die Verteilung der gemeinsamen Haushaltsmittel der EU ab dem Jahr 2021. |
|
3.11. |
Zugleich ist der EWSA der Meinung, dass eine stärkere Leistungs- und Ergebnisorientierung natürlich nicht darin besteht, die Notwendigkeit rechtmäßiger und ordnungsgemäßer Verfahren zu unterschätzen. Die Bedeutung der Einhaltung der Rechtsvorschriften und der Verfahrensregeln darf nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Wegen der Tatsache, dass die Fehlerquote alle Fälle betrifft, in denen die Finanzmittel nicht hätten ausgezahlt werden sollen, weil sie nicht in Übereinstimmung mit den Regeln verwendet wurden, wird gewissermaßen automatisch vorausgesetzt, dass diese Regeln richtig sind und selbst keine inneren Widersprüche oder unerwünschten Komponenten enthalten. Auch deshalb sollte eine Vorgehensweise, die im Einklang mit den Regeln einer wirtschaftlichen Haushaltsführung steht, eine Überprüfung der Auswirkungen dieser regulatorischen Regeln beinhalten, damit deren Kompatibilität und Übereinstimmung mit dem Bedarf und den Zielen der EU auch getestet werden (8). |
|
3.12. |
Der EWSA stimmt zu, dass die Nutzung der EU-Haushaltsmittel in der Praxis sehr kompliziert ist. Um die Anforderungen einer wirtschaftlichen Haushaltsführung zu erfüllen, ist es auch hilfreich, sämtliche mit dem EU-Haushaltsmittel verbundenen Aktivitäten zu vereinfachen — dies betrifft sowohl Verfahrensfragen als auch inhaltliche Fragen; das Bemühen um Vereinfachung sollte in der Reduzierung des übermäßigen Verwaltungsaufwands und der Vermeidung einer Überregulierung („goldplating“) in den einzelnen Mitgliedstaaten konkrete Gestalt annehmen. |
|
3.13. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die in Abschnitt 3 dieser Stellungnahme gemachten Vorschläge, die zu den Schlussfolgerungen und Empfehlungen führen (Abschnitt 1), als wesentliche konzeptionelle Überlegungen über die künftige Haushaltspolitik in der EU gelten und teilweise im Rahmen der Überprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 zur Halbzeit des Finanzierungszeitraums umgesetzt werden können, wobei ihre vollständige Umsetzung in die haushaltspolitischen Vorschriften erst ab 2021 möglich sein wird. Für das Konzept der Vorausschau und des Reformbedarfs im Zusammenhang mit dem Haushalt und dem mehrjährigen Finanzrahmen für die Zeit nach 2020 können die jüngst verabschiedeten Stellungnahmen des EWSA zu diesem Thema zugrunde gelegt werden bzw. kann an diese angeknüpft werden (9). |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Kristalina Georgieva, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission für den Haushalt, auf der Internetseite zum Thema „Ergebnisorientierter EU-Haushalt“.
(2) Siehe die Analysen unter Ziffer 2.2.3.
(3) Unter anderem die Strategie Europa 2020, das Europäische Semester, das Sechserpaket, das Zweierpaket, die länderspezifischen Empfehlungen (CSR); die enge Verknüpfung mit den Empfehlungen für die einzelnen Staaten als Maßstab für eine effiziente Zuteilung der EU-Haushaltsausgaben kann einer der Wege sein.
(4) Diese Initiative wurde von Kristalina Georgieva, der Vizepräsidentin für Haushalt und Personal, auf der Konferenz am 22. September 2015 verkündet.
(5) Jahresbericht veröffentlicht am 10. November 2015.
(6) In eine ähnliche Richtung ging der Inhalt einiger Beschlüsse des Europaparlaments in den Jahren 2013-2015 (siehe die Berichte von Geier und Gräßle), die sich jedoch mit Teilthemen befassten; eine umfassende Ausrichtung auf dieses Thema in den Arbeitsunterlagen des Europäischen Parlaments zeigt sich jetzt in dem Bericht über die Entlastung 2014: Gesamthaushaltsplan der EU (2016).
(7) Siehe Jahresbericht des Europäischen Rechnungshofs zum Haushaltsjahr 2014, Absätze 3.10 bis 3.12.
(8) Zum Beispiel mithilfe der Gesetzesfolgenabschätzung (Regulatory Impact Assessment — RIA), da diese sich als sehr wirksames Instrument für eine wahrhaft wirtschaftliche Haushaltsführung erwiesen hat.
(9) Zum Beispiel die EWSA-Stellungnahmen: „Überprüfung des EU-Haushalts“ (2011) (ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 75), „Haushalt 2014-2020“ (2012) (ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 32), „Vollendung der WWU/Steuerpolitik“ (2014) (ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 24), „Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung“ (2015) (ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 33), „Vollendung der WWU — nächste europäische Legislaturperiode“ (2015) (ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 10), „Vollendung der WWU: Die politische Säule“ (2015) (ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8), „Das BIP und mehr/zusätzliche Indikatoren“ (2012) (ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 14), „Finanztransaktionssteuer“ (2012) (ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 55), „Finanztransaktionssteuer — verstärkte Zusammenarbeit“ (2013) (ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 36) und „Aktionsprogramm für den Zeitraum 2014-2020 (FISCUS)“ (2012) (ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 48).
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/8 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein EU-Kontrollmechanismus für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte“
(Initiativstellungnahme)
(2017/C 034/02)
|
Berichterstatter: |
José Antonio MORENO DÍAZ |
|
Mitberichterstatter: |
Ákos TOPOLÁNSZKY |
|
Befassung |
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, 21.1.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
|
|
Initiativstellungnahme |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
27.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
202/1/7 |
1. Bemerkungen und Vorschläge des EWSA: ein EU-Mechanismus für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte
|
1.1. |
Die Europäische Union ist nicht nur ein gemeinsamer Markt; sie ist laut Artikel 2 des Vertrags eine Union gemeinsamer Werte. Außerdem erkennt sie die Rechte, Freiheiten und Grundsätze in der EU-Grundrechtecharta an. Diese Werte, auf die sich die Union gründet, bilden die Grundlage für die Integration und sind Teil der europäischen Identität. Sie sind Kriterien für den Beitritt und müssen von den Mitgliedstaaten danach in der Praxis eingehalten werden. Daher müssen die Vertragsverfahren unbedingt zur Anwendung kommen, wenn diese Werte verletzt werden. Nach Auffassung des EWSA sollten die EU-Institutionen einen proaktiven und präventiven Ansatz im Rahmen ihrer politischen Tätigkeiten wählen, um Probleme frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. |
|
1.2. |
Wie viele europäische Organisationen der Zivilgesellschaft ist der EWSA zutiefst beunruhigt angesichts der Verschlechterung der Menschenrechtslage, der um sich greifenden populistischen und autoritären Tendenzen und der Gefahren, die dies für die Qualität der Demokratie und den Schutz der Grundrechte bedeutet — Rechte, die durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und durch den Europäischen Gerichtshof garantiert werden und als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind (1). |
|
1.3. |
Die genannten Werte werden in ganz Europa bedroht. Viele Organisationen der Zivilgesellschaft prangern die Lage in mehreren Mitgliedstaaten an und hoffen, dass der EWSA neue Initiativen verabschieden wird, damit die EU-Organe mit Entschlossenheit reagieren. Es ist nicht nur die Europäische Union in Gefahr, sondern es steht auch das Vertrauen der Bürger in die nationalen und europäischen demokratischen Institutionen auf dem Spiel. Der EWSA hält das Risiko für sehr ernsthaft und systembedingt. |
|
1.4. |
Was die Grundsätze und Standards, die sich aus der Rechtsstaatlichkeit ableiten, genau beinhalten, kann je nach dem Verfassungssystem des jeweiligen Mitgliedstaats auf einzelstaatlicher Ebene unterschiedlich sein. Diese Grundsätze und EU-Werte ergeben sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie aus Dokumenten, die vom Europarat, insbesondere von der Venedig-Kommission, ausgearbeitet wurden. Zu diesen Grundsätzen gehören: Legalität, was einen transparenten, verantwortungsvollen, demokratischen und pluralistischen Rechtsetzungsprozess einschließt; Verbot willkürlicher exekutiver Befugnisse; unabhängige und unparteiische Gerichte; wirksame gerichtliche Kontrolle, einschließlich Wahrung der Grundrechte; Gleichheit vor dem Gesetz sowie Schutz der Menschenrechte, der auch für Angehörige von Minderheiten gilt. |
|
1.5. |
Sowohl der EuGH als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben bekräftigt, dass diese Grundsätze nicht nur rein formale und verfahrenstechnische Anforderungen, sondern Mittel sind, um die Einhaltung und Achtung von Demokratie und Menschenrechten zu gewährleisten. Die Rechtsstaatlichkeit ist ein verfassungsrechtlicher Grundsatz, der sowohl verfahrenstechnische als auch materielle Elemente umfasst. |
|
1.6. |
Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ist untrennbar mit der Achtung von Demokratie und Grundrechten verbunden: Wenn die Rechtsstaatlichkeit nicht gewahrt wird, kann es keine Demokratie und keinen Schutz der Grundrechte geben und umgekehrt: Grundrechte sind nur wirksam, wenn sie justiziabel sind. Die Demokratie wird durch die grundlegende Rolle der Justiz, einschließlich der Verfassungsgerichte, geschützt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass es sich hierbei um Rechte von Menschen und nicht von Mitgliedstaaten oder Regierungen handelt. Deshalb sollte ihrem Schutz oberste Priorität eingeräumt werden. |
|
1.7. |
Im Lichte der Arbeit des EP-Ausschusses für konstitutionelle Fragen und unter Berücksichtigung der Berichte der Kommission und der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. Februar 2014 zu der Lage der Grundrechte in der Europäischen Union sollte nach Ansicht des EWSA zu gegebener Zeit Artikel 51 (2) der Grundrechtecharta der Europäischen Union dahin gehend geändert werden, dass sein Geltungsbereich erweitert und sichergestellt wird, dass alle Bestimmungen der Charta unmittelbar in den Mitgliedstaaten Anwendung finden (3). |
|
1.8. |
Es besteht ein regelmäßiger Dialog zwischen dem Gerichtshofs der Europäischen Union und dem Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte; dieser Dialog könnte ausgebaut werden, wenn die EU die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) unterzeichnet. Der EWSA schlägt vor, dass die Kommission im ersten Halbjahr 2017 einen Vorschlag für die Unterzeichnung dieser Konvention durch die EU unterbreitet, die in Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags aufgeführt ist. |
|
1.9. |
Die Verpflichtungen der Kandidatenländer laut den Kopenhagener Kriterien müssen gemäß Artikel 2 EUV für die Mitgliedstaaten auch nach dem Beitritt zur EU gelten, und der EWSA ist der Auffassung, dass alle Mitgliedstaaten daher regelmäßig beurteilt werden sollten, um zu überprüfen, ob sie auch weiterhin die Grundwerte der EU einhalten und um einem gegenseitigen Vertrauensverlust vorzubeugen. |
|
1.10. |
Nach Auffassung des EWSA müssen die EU-Institutionen dafür sorgen, dass die Verfahren und Mechanismen zum Schutz und zur Achtung der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte in allen Mitgliedstaaten gestärkt werden. In den letzten Jahren und insbesondere vor 2014 hat der Ausschuss mit Besorgnis feststellen müssen, dass die Kommission — obwohl sie in einigen Fällen Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat —, ihrer Rolle als Hüterin der Verträge nicht gerecht wurde und nicht in der Lage war, eine angemessene Antwort auf die Verletzungen der europäischen Grundsätze und Werte in mehreren Mitgliedstaaten zu geben. |
|
1.11. |
Der EWSA fordert die Kommission auf, gemäß Artikel 2 EUV die Werte und Grundsätze der EU in allen Mitgliedstaaten aktiv zu schützen und zu wahren und den bestehenden Rahmen 2014 voll zu nutzen. |
|
1.12. |
Der EWSA schlägt vor, dass die drei EU-Organe (Kommission, Rat und Parlament) einen gemeinsamen Ansatz verfolgen. Dialog und Zusammenarbeit zwischen den Organen sind bei einem derart wichtigen Thema unverzichtbar. Der EWSA plädiert dafür, dass der Rat den bestehenden Rahmen der Kommission durch die Verabschiedung eines Beschlusses zur Stärkung des Rahmens und zur Unterstützung einer weiteren Konsolidierung der Rechtsstaatlichkeit unterstützt. |
|
1.13. |
Die zivilgesellschaftlichen Organisationen spielen bei der Förderung demokratischer Werte, dem ordnungsgemäßen Funktionieren der Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz von Grundrechten eine zentrale Rolle. Angesichts des schrumpfenden demokratischen Raums und der Sachzwänge, mit denen die NGO in den Mitgliedstaaten konfrontiert sind, ist die positive Rolle der NGO an der Basis zu bewundern. Der Ausschuss arbeitet sehr engagiert mit den Sozialpartnern und den NGO am Schutz der Grundrechte und der Rechte von Minderheiten, Flüchtlingen und Zuwanderern. |
|
1.14. |
Als Gremium zur Vertretung der europäischen organisierten Zivilgesellschaft möchte der EWSA einen Dialog mit dem Rat, der Kommission und dem Parlament aufnehmen, um die Politikgestaltung zu verbessern und die politische Koordinierung zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten zu stärken und ein Frühwarnsystem einzurichten. |
|
1.15. |
Der EWSA erachtet es für unverzichtbar, einen rechtlich bindenden europäischen Mechanismus zu schaffen, einen Rahmen, an dem sich Kommission, Parlament und Rat aktiv beteiligen und in dem der EWSA als Vertretungsinstanz der Zivilgesellschaft eine wichtige Funktion hat. Ein solcher Mechanismus würde den Rahmen der Kommission und den vom Rat eingeleiteten Dialog auf Regierungsebene ergänzen. Er könnte „neuer Kopenhagen-Mechanismus“ (4) genannt werden und würde der demokratischen und rechtlichen Kontrolle unterliegen (5). Dieser Mechanismus sollte u. a. Aspekte wie Legalität, Hierarchie der Vorschriften, Rechtssicherheit, Gleichheit, Diskriminierungsfreiheit, freier Zugang zu Gerichten und faires Verfahren, Verhinderung von Gesetzesmissbrauch und Willkür seitens der öffentlichen Behörden, Gewaltenteilung, Achtung von und Schutz für politischen Pluralismus, Minderheiten und sozialer und sexueller Verschiedenheit u. a. sowie Achtung der Meinungs- und Pressefreiheit mit dem Ziel prüfen, aktuelle Mängel aufzudecken und zu beheben. |
|
1.16. |
Die Kommission möchte, dass der Berichtsentwurf im Hinblick auf seine Verabschiedung im LIBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments erörtert wird und dass eine interinstitutionelle Vereinbarung über die Umsetzung des Pakts der Europäischen Union für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte erzielt wird. Der EWSA unterstützt den Vorschlag im Allgemeinen insofern, als er die Grundlage für die Umsetzung einer rechtlich bindenden interinstitutionellen Vereinbarung darstellt, mit der die europäische Politikgestaltung und die politische Koordinierung zwischen den EU-Organen und den Mitgliedstaaten gestärkt werden. Der EWSA sollte in diesen Pakt einbezogen werden und eine zivilgesellschaftliche Debatte im EWSA ermöglichen. Auch sollte er am vorgeschlagenen DRF-Semester mitwirken. |
|
1.17. |
Der Mechanismus sollte auf Indikatoren basieren, die auf quantitative und qualitative Daten gestützt sind:
|
|
1.18. |
Der Ausschuss betont die Bedeutung der Titel I, II, III und IV der Charta für die Erarbeitung von Indikatoren, wobei zu berücksichtigen ist, dass die grundlegenden wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte untrennbar mit den bürgerlichen und politischen Rechten verbunden sind. |
|
1.19. |
Es ist wichtig, dass sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Organe, Einrichtungen und Agenturen der EU die Grundrechte und somit auch die grundlegenden sozialen Rechte gerade auch in Krisenzeiten achten. Dies sollte auch für die Beziehungen und Abkommen mit Drittländern gelten, und zwar nicht nur in Bezug auf die Einhaltung dieser Rechte, sondern auch auf die Gewährleistung ihrer Durchsetzung. |
|
1.20. |
Der Mechanismus erfordert die Einführung eines Überwachungs- und Bewertungssystems unter Anwendung transparenter Verfahren. Die FRA sollten ausdrücklich mit der Begleitung eines solchen Mechanismus beauftragt werden. Der EWSA unterstützt den Vorschlag des Parlaments, eine Gruppe unabhängiger Sachverständiger (6) unter Leitung des wissenschaftlichen Ausschusses der FRA einzusetzen. |
|
1.21. |
Der Ausschuss möchte dieser Gruppe angehören. Er regt ferner an, dass die jeweiligen Regierungen die Bürgerbeauftragten der einzelnen Mitgliedstaaten als Sachverständige ernennen. |
|
1.22. |
Anhand der Indikatoren sowie unter Anwendung transparenter Verfahren wird die Sachverständigengruppe die Lage in jedem Mitgliedstaat prüfen und bewerten. Hierzu kann der EWSA durch die Organisation von Informationsreisen in die Mitgliedstaaten zur Überprüfung der Lage in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft vor Ort beitragen und Berichte erstellen. |
|
1.23. |
Der EWSA unterstützt die Umsetzung des DRF-Semesters. Die Kommission wird anhand der Sachverständigenberichte jedes Jahr länderspezifische Berichte erstellen, die auch Empfehlungen enthalten; das Parlament wird eine interparlamentarische Debatte abhalten und eine Entschließung erarbeiten; der Rat wird den jährlichen Dialog abhalten und Schlussfolgerungen verabschieden. Der Mechanismus muss im Rahmen eines neuen jährlichen Politikzyklus mit dem Ziel funktionieren, einen gemeinsamen und kohärenten Ansatz in der EU zu gewährleisten. |
|
1.24. |
Der Ausschuss möchte zu der Vorbereitung der interinstitutionellen Vereinbarung beitragen und könnte die Einsetzung einer ständigen Gruppe erwägen, die Anhörungen der Zivilgesellschaft veranstaltet und diesbezügliche Stellungnahmen und Berichte verfasst. |
|
1.25. |
Im Rahmen des Europäischen Semesters könnte er in Zusammenarbeit mit den Organisationen der Zivilgesellschaft ein jährliches Forum zur Überprüfung der Lage in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte ausrichten, und er könnte Vorschläge und Empfehlungen für Kommission, Rat und Parlament erarbeiten. Der Ausschuss könnte auch mit den anderen Institutionen bei der Erarbeitung von Folgenabschätzungen zusammenarbeiten. |
2. Der Vertrag und damit zusammenhängende Fragen
|
2.1. |
In den vergangenen Jahren wurde deutlich, dass es keine geeigneten Instrumente zum Schutz der Werte gemäß Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (VEU) gibt, in dem es heißt: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“ |
|
2.2. |
Die Union basiert auf diesen Werten, zu denen u. a. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenrechte gehören. Die EU kann die Einhaltung dieser Werte vor dem Beitritt eines Staats zur EU anhand der sog. „Kopenhagener Kriterien“ oder „Beitrittskriterien“ überprüfen (7). Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben. |
|
2.3. |
Es gibt jedoch keinen vergleichbaren Mechanismus, der nach dem Beitritt der Mitgliedstaaten anwendbar ist. Das Fehlen eines solchen Kontrollmechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte wird mit dem Begriff „Kopenhagen-Dilemma“ bezeichnet. |
|
2.4. |
Das reibungslose Funktionieren der EU basiert auf „gegenseitigem Vertrauen“ zwischen den europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten ebenso wie zwischen den Mitgliedstaaten untereinander; Vertrauen darin, dass die Rechtsvorschriften und politischen Entscheidungen dieselben Grundsätze unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte achten. Dies schafft gleiche Ausgangsbedingungen unter den Mitgliedstaaten im Hinblick auf den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Außerdem wird dadurch den Regierungen ermöglicht, in den Bereichen Justiz und Inneres, u. a. im Strafrecht, bei Asyl- und Zuwanderungsfragen zusammenzuarbeiten. |
|
2.5. |
Die Europäische Union wurde errichtet, um Frieden und Wohlstand in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern; sie hängt nicht nur von der Existenz des Freihandels, sondern auch von der Wahrung der europäischen Grundwerte ab. Durch diese Grundwerte wird sichergestellt, dass die Unionsbürger frei von Unterdrückung und Intoleranz unter Führung demokratisch gewählter und verantwortungsvoller Regierungen, die rechtsstaatlich handeln, leben können. |
|
2.6. |
In den letzten Jahren haben politische und legislative Beschlüsse in einigen Mitgliedstaaten zu Diskussionen und Konflikten mit den EU-Institutionen und mit anderen Mitgliedstaaten geführt, und das „gegenseitige Vertrauen“ wurde brüchig. Vielfach wurde den Regeln der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und den Grundrechten nicht gebührend Rechnung getragen, und die Europäische Union war nicht in der Lage, angemessen zu reagieren. |
|
2.7. |
Der EWSA stellt mit großer Besorgnis fest, dass derzeit in verschiedenen Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften angenommen werden, die auf eine ernsthafte Verschlechterung der Qualität der Demokratie hindeuten: Verletzung von Menschenrechten, insbesondere von Minderheiten; mangelnde Unabhängigkeit der Justiz und der Verfassungsgerichte; Einschränkung der Gewaltenteilung; Beschränkungen der Pressefreiheit, der freien Meinungsäußerung, der Demonstrations- und Vereinigungsfreiheit, kollektiver Konsultationsverfahren und Tarifverhandlungen sowie Beschränkungen anderer ziviler und sozialer Grundrechte. Die Europäische Union hatte mehrfach in einigen Mitgliedstaaten mit Krisen durch besondere Thematiken in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit zu tun, und die Kommission hat darauf mit politischem Druck und der Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren reagiert. |
|
2.8. |
Bislang sind die präventiven und sanktionsbasierten Mechanismen, die in Artikel 7 EUV — dem einzigen Artikel der Verträge zur Handhabung von Verstößen gegen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte in Bereichen außerhalb der Rechtsetzungskompetenz der EU — vorgesehen sind, noch nicht zur Anwendung gekommen. Es gibt zwei Ansatzpunkte: ein präventives und ein sanktionsbasiertes Vorgehen. Diese sind in der Praxis jedoch aufgrund der politischen Auswirkungen und der strengen an ihre Anwendung geknüpften Bedingungen — ausschließlich im Falle der „eindeutigen Gefahr“ einer „schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung“ — noch nie genutzt worden. |
|
2.9. |
Die Kommission und das Parlament können im Rahmen der Präventivphase aktiv werden. In einem zweiten Schritt kann der Rat Sanktionen gegen den Mitgliedstaat verhängen, indem er bestimmte Rechte aussetzt, einschließlich der Stimmrechte der Vertreter dieses Mitgliedstaats im Rat. |
|
2.10. |
Gleichwohl hat der Rat hier recht großen Ermessensspielraum, da er keine spezifischen und transparenten Kriterien für die Einleitung des Verfahrens, für die von ihm herangezogenen Indikatoren oder für die Ausgestaltung der Bewertungsverfahren hat. Das Mandat des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist in diesen Fällen sehr begrenzt (8); gleichermaßen gibt es keine Bestimmung zur Anhörung des EWSA. |
3. Die Maßnahmen der europäischen Institutionen
|
3.1. |
Die Europäische Kommission hat im März 2014 die Mitteilung „Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“ (COM(2014) 158 final) angenommen. Der Rahmen gelangt zur Anwendung, wenn Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen oder Umstände tolerieren, die systematisch sind und aller Wahrscheinlichkeit nach die Integrität, Stabilität oder das ordnungsgemäße Funktionieren der Organe und der auf nationaler Ebene zum Schutz des Rechtsstaats vorgesehenen Sicherheitsvorkehrungen systematisch beeinträchtigen. Dies schließt Aspekte im Zusammenhang mit der verfassungsmäßigen Struktur, der Gewaltenteilung, der Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit der Justiz oder dem System der richterlichen Kontrolle einschließlich der Verfassungsjustiz ein. |
|
3.2. |
Mit dem Rahmen der Kommission sollen Gefahren für das Rechtsstaatsprinzip angegangen werden, bevor die Voraussetzungen für die Aktivierung des Mechanismus nach Artikel 7 EUV gegeben sind. Die Kommission ist hierfür verantwortlich und soll die Lücke schließen. Hierbei handelt es sich um keine Alternative, sondern um einen Mechanismus im Vorfeld und zur Ergänzung der in Artikel 7 vorgesehenen Mechanismen. In Fällen, in denen ganz klar eine „systemische Gefährdung“ der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat vorliegt, würde ein solcher Rahmen einen strukturierten Dialog zwischen der Europäischen Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat erleichtern. Der Prozess des Austausches würde drei Hauptphasen umfassen: Stellungnahme der Kommission, Empfehlung der Kommission und Folgemaßnahmen zu der Empfehlung. Die Kommission kann bei der Durchführung ihrer Bewertung Experten zurate ziehen (9). |
|
3.3. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den von der Europäischen Kommission angenommenen Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips. Dieser Rahmen weist jedoch gewisse Unzulänglichkeiten auf. |
|
3.3.1. |
Die Bewertung liefert keine regelmäßigen, vergleichenden Untersuchungen der Probleme und Streitfälle, die in den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten entstanden sind. Definitionsgemäß kann der Rahmen nur dann zum Einsatz kommen, wenn das Problem „systemisch“ ist, was eine hohe Schwelle darstellt. Eine „systemische“ Gefährdung kann bestehen, wenn die Justiz nicht mehr in der Lage ist, zu gewährleisten, dass die Regierung innerhalb der gesetzlichen Grenzen handelt, was dann bereits relativ spät ist. |
|
3.3.2. |
Die Kommission muss die Informationen transparent analysieren mit spezifischen Indikatoren oder objektiven Verfahren; sie muss ferner Protokolle zur Konsultation der Zivilgesellschaft und des EWSA aufstellen. |
|
3.3.3. |
Der Rahmen sieht keine spezifische Rolle für das Europäische Parlament vor; gleichwohl startet das Parlament seine eigenen diesbezüglichen politischen Initiativen. |
|
3.3.4. |
Auch ist darin kein Modell einer engeren interinstitutionellen Zusammenarbeit vorgesehen. |
|
3.4. |
Der EWSA ist besorgt darüber, dass im Rat bezüglich des Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips bislang keine Folgemaßnahmen ergriffen wurden. |
|
3.4.1. |
Auf seiner Tagung vom 16. Dezember 2014 nahm der Rat (Allgemeine Angelegenheiten) Schlussfolgerungen zur Rolle des Rates bei der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit an. Der Rat plant die Einrichtung eines jährlichen Dialogs zwischen den Mitgliedstaaten, der im Rahmen des Rates (Allgemeine Angelegenheiten) stattfinden und vom Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) vorbereitet werden soll. Der luxemburgische Ratsvorsitz hat im November 2015 einen solchen Dialog eingeleitet, der verschiedene, nicht öffentlich bekannt gemachte spezifische Themen umfassen soll: Die Regierungen sollten über einen Aspekt der Rechtsstaatlichkeit ihrer Wahl sprechen, ein Beispiel für gelungenes Handeln und eines für ein sie forderndes Problem geben. Das Ergebnis war eine Reihe von Monologen anstelle eines Dialogs. Die Mitgliedstaaten gingen nicht durch gegenseitige Unterstützung, Hilfe oder Kritik aufeinander ein, es wurden keine Empfehlungen ausgesprochen oder entgegengenommen und keinerlei Verpflichtungen zur Ergreifung von Folgemaßnahmen eingegangen, um Verbesserungen hinsichtlich der ermittelten Probleme zu erzielen. Ende 2016 wird der Rat unter slowakischem Vorsitz eine Bewertung dieser Erfahrung vornehmen. |
|
3.4.2. |
In den Schlussfolgerungen des Rates wurde der Rahmen der Kommission zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips weder berücksichtigt, noch wurde er ausdrücklich erwähnt. Aus den Schlussfolgerungen geht nicht eindeutig hervor, welche genaue Rolle die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der EWSA in diesem Dialog spielen sollen. |
|
3.5. |
Die Kommission unter Juncker hat die Rechtsstaatlichkeit zu einer ihrer Prioritäten erklärt und Vizepräsident Timmermans die Zuständigkeit für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte übertragen. Offen ist jedoch, ob die Kommission Kriterien und Indikatoren für die Umsetzung des Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips entwickeln wird. |
|
3.6. |
Die Kommission hat diesen Rahmen erstmals durch Einleitung eines Verfahrens gegen Polen wegen Verstoßes gegen EU-Vorschriften aktiviert und dabei eine kritische Bewertung der Lage durch die Venedig-Kommission, ein Organ des Europarates, berücksichtigt (10). |
|
3.7. |
Der LIBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments erörtert derzeit einen Entwurf eines Initiativberichts (11) zu „Empfehlungen an die Kommission zur Einrichtung eines EU-Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte“ (2015/2254 (INL) — Berichterstatterin: Sophia in ’t Veld), in dem u. a. die Kommission aufgefordert wird, „bis Ende 2016 auf der Grundlage von Artikel 295 AEUV einen Vorschlag für den Abschluss eines EU-Paktes für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte in Form einer interinstitutionellen Vereinbarung vorzulegen, die auf der Grundlage der ausführlichen Empfehlungen im Anhang zu diesem Dokument Regelungen zur Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den Organen der Union und ihren Mitgliedstaaten im Rahmen von Artikel 7 EUV sowie zur Integration, Angleichung und Ergänzung der bestehenden Mechanismen enthält“. |
|
3.7.1. |
Der Anhang enthält den ENTWURF EINER INTERINSTITUTIONELLEN VEREINBARUNG über den PAKT DER EUROPÄISCHEN UNION FÜR DEMOKRATIE, RECHTSSTAATLICHKEIT UND GRUNDRECHTE zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission. |
|
3.7.2. |
Dieser Pakt umfasst u. a. einen Anzeiger, eine jährliche interparlamentarische Debatte und die Vorkehrungen für die Behebung möglicher Risiken und Verstöße sowie für die Aktivierung der präventiven oder korrektiven Komponenten unter Artikel 7. |
|
3.7.3. |
Das Parlament schlägt vor, ein Semester für interinstitutionelle Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte (DRF) zu starten, um den Rahmen der Kommission, den jährlichen Dialog des Rates und die interparlamentarische Debatte aufzunehmen. Das Europäische Semester sollte durch ein Sekretariat und eine Expertengruppe unter Leitung des Vorsitzenden des wissenschaftlichen Ausschusses der FRA unterstützt werden, die Indikatoren aufstellen, die Lage in den Mitgliedstaaten beurteilen und Empfehlungen aussprechen. |
|
3.7.4. |
Der DRF-Politikzyklus wird die Jahresberichte von Kommission, Rat und Parlament umfassen, und es wird eine interinstitutionelle Arbeitsgruppe für Folgenabschätzungen eingesetzt. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Artikel 6 EUV.
(2) Artikel 51 „Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.“
(3) In dem Entwurf der Konvention und den EWSA-Stellungnahmen waren die vom Europäischen Rat in Artikel 51 beschlossenen Beschränkungen nicht enthalten.
(4) Wie es das Europäische Parlament in seiner Entschließung zur Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2012) am 27. Januar 2014 vorschlug, P7_TA(2014)1773, Berichterstatter: Louis Michel, Ziffer 9.
(5) Carrera, S., E. Guild and N. Hernanz (2013), The Triangular Relationship between Fundamental Rights, Democracy and the Rule of Law in the EU: Towards an EU Copenhagen Mechanism, Taschenbuch, Brüssel: Centre for European Policy Studies.
(6) Von den Mitgliedstaaten benannt, ALLEA, ENNHRI, Venedig-Kommission, CEPEJ, UN, OECD.
(7) Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat von Kopenhagen, 21./22. Juni 1993.
(8) Während im EU-Recht zum Schutz der Menschenrechte ein Mechanismus vorgesehen ist, mit dem Einzelpersonen ihre Rechte verteidigen können, ist in Artikel 7 ein allgemeiner rechtlicher und politischer Mechanismus festgelegt, der ausdrücklich von der Gerichtsbarkeit des EuGH ausgenommen ist.
(9) Die Agentur für Grundrechte (FRA); das Netz der Präsidenten der obersten Gerichtshöfe der Europäischen Union; den Europarat (Venedig-Kommission); die Vereinigung der Staatsräte und der Obersten Verwaltungsgerichte sowie das Europäische Netz der Räte für das Justizwesen.
(10) Stellungnahme zu den Änderungen am Gesetz vom 25. Juni 2015 über den polnischen Verfassungsgerichtshof, Venedig-Kommission, 11. März 2016.
(11) http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fNONSGML%2bCOMPARL%2bPE-576.988%2b01%2bDOC%2bPDF%2bV0%2f%2fEN
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/15 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Abschließende Bemerkungen des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen — Eine neue Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen in der Europäischen Union“
(Initiativstellungnahme)
(2017/C 034/03)
|
Berichterstatter: |
Ioannis VARDAKASTANIS |
|
Befassung |
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, 21.1.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
|
|
Initiativstellungnahme |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
27.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
211/1/3 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Die Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) durch die Europäische Union ist ein Meilenstein für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, für die EU und für ihre Mitgliedstaaten. Den Abschluss der ersten Phase der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention bildet die Überprüfung der EU durch den Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2015. In den abschließenden Bemerkungen des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen werden die EU-Organe aufgerufen, ihren Verpflichtungen nachzukommen, da sie die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gemäß den abschließenden Bemerkungen organisieren und koordinieren sollten. In den abschließenden Bemerkungen wurde erneut bekräftigt, dass die Art und Weise, in der die EU-Politik für Menschen mit Behinderungen gestaltet wird, grundlegend umstrukturiert werden muss. Bislang ist die EU bei ihrer Politikgestaltung der neuen, vom UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen geforderten Umstrukturierung nicht wirklich gerecht geworden. |
|
1.2. |
Der EWSA fordert die EU-Organe auf, die abschließenden Bemerkungen durchgängig in die geltenden und künftigen Vorschriften und politischen Maßnahmen der EU zu integrieren. Darüber hinaus ruft er die Kommission auf, dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen bis Herbst 2016 Bericht zu erstatten. |
|
1.3. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die UN-Behindertenrechtskonvention und die abschließenden Bemerkungen des UN-Ausschusses der Kommission eine einmalige Möglichkeit bieten, eine allumfassende EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorzulegen. Mit den abschließenden Bemerkungen werden Impulse geschaffen, die die EU-Organe nutzen sollten und die dazu führen sollten, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen systematisch in die gesamte Rechtsetzung der EU, ihre Politik und ihre Programme einbezogen werden. |
|
1.4. |
Um die Rechte von Menschen mit Behinderungen durchgängig zu verankern, muss die Kommission eine übergreifende und umfassende Bestandsaufnahme ihrer Rechtsvorschriften, politischen Maßnahmen und Programme vornehmen, um eine umfassende Anpassung an die Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention zu gewährleisten, und die Vertreterorganisationen von Menschen mit Behinderungen aktiv in diesen Prozess einbinden. Diese Bestandsaufnahme sollte durch eine Lückenanalyse ergänzt werden, mit der die Unterschiede zwischen geltendem Recht, gegenwärtiger Politikgestaltung und durchgängiger Verankerung der Rechte von Menschen mit Behinderungen auf der einen und der UN-Behindertenrechtskonvention auf der anderen Seite untersucht werden. Die Bestandsaufnahme und die Lückenanalyse sollten ausdrücklich in die Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen aufgenommen werden. |
|
1.5. |
Der EWSA erinnert die Kommission daran, dass sie verpflichtet ist, die Überprüfung und Aktualisierung der Erklärung über die Zuständigkeiten und die dazugehörige Liste der Instrumente umgehend durchzuführen. Darüber hinaus sollte sie eine Selbstverpflichtung eingehen, wonach sie die Zuständigkeitserklärung im Laufe ihrer Amtszeit mindestens einmal überprüft und überarbeitet. |
|
1.6. |
Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Prüfung der EU durch den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der Mitte des Programmplanungszeitraums 2014-2020 stattgefunden hat, und anerkennt, dass es schwierig ist, die neue Agenda für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die sich für die EU aus den abschließenden Bemerkungen ergibt, während der Halbzeitüberprüfung der Strategien, politischen Maßnahmen, Programme und Finanzierungsinstrumente durchgängig zu verankern. Dennoch empfiehlt der Kommission, alle erdenklichen Anstrengungen zu unternehmen, um die abschließenden Bemerkungen durchgängig in den Überprüfungsprozess aufzunehmen und die erforderlichen Ressourcen für die Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention bereitzustellen. |
|
1.7. |
In der UN-Behindertenrechtskonvention ist ausdrücklich vorgesehen, dass die repräsentativen Behindertenorganisationen konsultiert und in den Prozess der Umsetzung und Überwachung der Konvention einbezogen werden müssen. Der EWSA ruft die Kommission auf, einen echten und sinnvollen strukturierten Dialog mit der europäischen Behindertenbewegung zu führen (gemäß Artikel 4 Absatz 3 und Artikel 33 Absatz 3). Zusätzlich sollte die Kommission für die Behindertenorganisationen ein Programm zum Auf- und Ausbau von Kapazitäten erstellen, damit diese ihre grundsätzlichen Aufgaben erfüllen können. |
|
1.8. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention die Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen den EU-Organen von außerordentlicher Bedeutung ist. Aus diesem Grund empfiehlt er, einen Mechanismus für die interinstitutionelle Koordinierung einzusetzen, durch den eine rasche und reibungslose Umsetzung der abschließenden Bemerkungen und der UN-Behindertenrechtskonvention erleichtert wird, zu der auch die Konsultation und Einbeziehung der Behindertenorganisationen gehört. |
|
1.9. |
Laut den abschließenden Bemerkungen muss die europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen tief greifend überprüft und überarbeitet werden. Deshalb ruft der EWSA die Kommission auf, eine Bestandsaufnahme der Entwicklungen im Hinblick auf die Behindertenrechte durchzuführen, den Geltungsbereich der europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen um zusätzliche Handlungsbereiche auszuweiten und sie mit der Überprüfung und Überarbeitung von politischen Maßnahmen, Programmen und Finanzierungsinstrumenten (z. B. in Bezug auf die Europa-2020-Strategie, die Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Strategie für die Rechte von Kindern oder die Zusagen der EU in Bezug auf auswärtiges Handeln) zu verbinden, wobei ein genauer Zeitplan für die Umsetzung, Finanzmittel und spezifische und eindeutige Referenzwerte und Indikatoren vorzusehen sind. |
|
1.10. |
Die EU hat sich verpflichtet, die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen vollständig umzusetzen, und muss sicherstellen, dass sie die abschließenden Bemerkungen und Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention sowohl intern als auch extern umfassend berücksichtigt. Deshalb empfiehlt der EWSA nachdrücklich, die Umsetzung der Agenda 2030 in die überarbeitete europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen aufzunehmen, indem sie europäische Zielvorgaben und Maßnahmen zur Erreichung aller Nachhaltigkeitsziele innerhalb der EU auch in Bezug auf Menschen mit Behinderungen festlegt. |
|
1.11. |
Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die EU die Verwendung von EU-Mitteln zur Schaffung bzw. Aufrechterhaltung des Betriebs von Institutionalisierungsstrukturen verhindern sollte. Der EWSA unterstützt in vollem Umfang die Verwendung von EU-Mitteln zur Schaffung von ortsnahen Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen, damit sie in ihrer örtlichen Gemeinschaft ein selbstständiges Leben führen können. Die Institutionalisierung von Menschen mit Behinderungen stellt eine Verletzung ihrer Rechte dar. Der EWSA fordert die Kommission mit Nachdruck auf, die Deinstitutionalisierung mithilfe von spezifischen Maßnahmen, Programmen und Finanzierungsinstrumenten systematischer und effektiver zu fördern. |
|
1.12. |
Der EWSA fordert die Kommission auf, die Ratifizierung des Fakultativprotokolls zur UN-Behindertenrechtskonvention, zum Vertrag von Marrakesch und zum Übereinkommen von Istanbul des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt umgehend in die Wege zu leiten. |
|
1.13. |
Der EWSA schlägt der Kommission mit Nachdruck vor, in all ihren Generaldirektionen, Agenturen und Einrichtungen zentrale Anlaufstellen einzurichten und die Behindertenorganisationen uneingeschränkt in den Politikgestaltungsprozess einzubinden, um horizontale und vertikale Strukturen zu schaffen, mit denen die volle Einbeziehung und durchgängige Aufnahme der Behindertenrechte in die Rechtsvorschriften, politischen Maßnahmen und Programme der EU gefördert wird. |
|
1.14. |
Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die Kommission diesen Prozess in Zusammenarbeit mit anderen EU-Organen, Agenturen und Einrichtungen der Europäischen Union einleiten sollte, um die neue globale Agenda 2020-2030 für die Rechte von Menschen mit Behinderungen sorgfältig vorzubereiten und auszuarbeiten, die vollständig und durchgängig in die globalen sozialen und makroökonomischen Strategien verankert werden sollte (z. B. Europa-2020-Strategie und ihre Umsetzungsmechanismen). Er empfiehlt außerdem, eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung aller Interessenträger und Behindertenorganisationen einzusetzen, die diese Initiative ausführt und umsetzt. Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Umsetzung der globalen Agenda 2020-2030 für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zum Europäischen Jahr der Rechte von Menschen mit Behinderungen (2021) einzuleiten. |
|
1.15. |
Der EWSA nimmt die positiven Initiativen der Kommission in Bezug auf den barrierefreien Zugang, insbesondere die Trilog-Vereinbarung über die Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Websites öffentlicher Stellen sowie den Vorschlag der Kommission für den Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit, zur Kenntnis und fordert die EU-Organe nachdrücklich auf, die entsprechenden Verhandlungen abzuschließen. Der EWSA ist jedoch besorgt über die horizontale Gleichbehandlungsrichtlinie und fordert, dass die Verhandlungen wieder in Gang gebracht werden und dass die abschließenden Bemerkungen und die UN-Behindertenrechtskonvention in dieser neuen Phase Berücksichtigung finden. |
|
1.16. |
Der EWSA fordert alle EU-Organe auf, sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen durch die Sparmaßnahmen in der Wahrnehmung ihrer in der Behindertenrechtskonvention verankerten Rechte nicht beeinträchtigt werden. Er ruft deshalb die Kommission auf, die hierzu notwendige soziale Grundsicherung zu schaffen und auch das Recht von Menschen mit Behinderungen auf angemessenen Lebensstandard und Sozialschutz zu achten. |
|
1.17. |
Der EWSA fordert die Kommission und Eurostat auf, statistische Werkzeuge zu entwickeln, anhand derer die Auswirkungen der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf Menschen mit Behinderungen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene gemessen werden können. Darüber hinaus ist er der Auffassung, dass die Erfassung von Daten auf der Grundlage eines menschenrechtsorientierten Ansatzes im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen, die nach Behinderung, Alter und Geschlecht aufgeschlüsselt sind, positive Auswirkungen auf die Entwicklung und Umsetzung von Rechtsvorschriften, politischen Maßnahmen und Programmen der EU haben wird. |
|
1.18. |
Der EWSA stellt fest, dass die EU über die notwendigen Kompetenzen verfügt, um die einzelstaatlichen Maßnahmen zu begleiten und sicherzustellen, dass alle EU-Bürger vor dem Gesetz gleich sind und dass sie nicht nur nicht ihrer Rechtsfähigkeit und ihrer Rechte beraubt werden, sondern auch an den Europawahlen und an allen anderen Wahlen der EU gleichberechtigt mit anderen teilnehmen können. Aus diesem Grund fordert er die Kommission und insbesondere die GD Justiz auf, ein auf der offenen Methode der Koordinierung beruhendes Programm anzunehmen und damit die Annäherung der Mitgliedstaaten an das Prinzip der gleichberechtigten Anerkennung vor dem Gesetz zu erleichtern. |
|
1.19. |
Der EWSA bemüht sich, bei der Umsetzung der spezifischen Verpflichtungen, die der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen herausgestellt hat und die die EU als öffentliche Verwaltung erfüllen muss, mit gutem Beispiel voranzugehen, indem er sicherstellt, dass die Rechte seiner Bediensteten und Mitglieder sowie seine Kommunikationssysteme mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar sind. |
2. Einführung
|
2.1. |
Der EWSA begrüßt die abschließenden Bemerkungen des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (1), da sie ein umfassendes Programm enthalten, mit dem die EU ihrer Politikgestaltung einen am Menschen und an den Menschenrechten orientierten Ansatz im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen geben kann. |
|
2.2. |
Der EWSA erinnert daran, dass die Kommission den Entwurf eines Vorschlags für eine Gleichbehandlungsrichtlinie vor dem Abschluss der UN-Behindertenrechtskonvention vorgelegt hat. Zudem haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union im Rahmen ihrer Verhandlungen nach und nach Änderungen vorgenommen, die nicht im Einklang mit den aus der UN-Behindertenrechtskonvention erwachsenden Verpflichtungen stehen. Aus diesem Grund fordert der EWSA die Kommission auf, im Zuge der aktuellen interinstitutionellen Verhandlungen einen Vorschlag für die Anpassung des vorgeschlagenen Richtlinienentwurfs zu unterbreiten, damit er in Bezug auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention und selbstverständlich auch mit den abschließenden Bemerkungen steht, sowie das Verbot von mehrfacher und sich überschneidender Diskriminierung und Diskriminierung durch Assoziierung aufzunehmen. |
|
2.3. |
Der EWSA betont, dass sich die Sparmaßnahmen negativ auf die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen und ihren Familien ausgewirkt haben. Das Ausmaß der Armut, Ausgrenzung, Diskriminierung und Ungleichheit hat infolge der Wirtschaftskrise zugenommen. In vielen Mitgliedstaaten ist die Wirtschaftskrise zu einer Menschenrechtskrise geworden und zahlreiche Menschen mit Behinderungen sowie ihre Familien sind nun vollkommen schutzlos. Der EWSA ruft deshalb die EU auf, eine minimale soziale Grundsicherung zu schaffen, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen und deren angemessenen Lebensstandard und Sozialschutz zu schützen. Dieser Mechanismus sollte in den Prozess des Europäischen Semesters aufgenommen werden. |
|
2.4. |
Darüber hinaus hat der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der EU empfohlen, eine für alle EU-Organe geltende übergreifende UN-Behindertenrechtsstrategie zu konzipieren und im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens spezifische Finanzmittel dafür vorzusehen. Aus diesem Grund ist der EWSA der Auffassung, dass eine hochrangige Tagung der führenden Entscheidungsträger der EU-Organe und -Einrichtungen notwendig ist, um den Vorbereitungs- und Verabschiedungsprozess einer interinstitutionellen Agenda zur UN-Behindertenrechtskonvention einzuleiten; diese Agenda sollte konkrete Ziele und Vorgaben umfassen. In der allumfassenden Strategie sollten die Zuständigkeiten der einzelnen EU-Organe bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention festgelegt werden. |
|
2.5. |
Die EU muss einen echten und sinnvollen strukturierten Dialog mit europäischen Vertreterorganisationen von Menschen mit Behinderungen auf den Weg bringen und sicherstellen, dass sie sowohl wirksam und sinnvoll an der Rechtsetzung und Politikgestaltung der EU teilnehmen als auch proaktiv ihre Sensibilisierungskampagnen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen durchführen können. Darüber hinaus muss die EU sicherstellen, dass die Behindertenorganisationen über die nötige Finanzkraft zur Unterstützung ihrer Arbeit verfügen. Deshalb muss für den Auf und Ausbau der Kapazitäten von Behindertenorganisationen eine eigene Haushaltslinie geschaffen werden. |
|
2.6. |
Die allumfassende und bereichsübergreifende durchgängige Verankerung und Umsetzung der Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention durch die EU und die Ausarbeitung einer neuen EU-Agenda zur Behindertenrechtskonvention setzen die Schaffung eines Rahmens für partizipative Governance und Partnerschaft voraus, damit alle Hauptakteure und Interessenträger gemeinsam mit den EU-Organen uneingeschränkt inklusiv an der Politikgestaltung teilhaben können. |
|
2.7. |
Aus diesem Grund sollte die Europäische Kommission unverzüglich und dringend eine Bestandsaufnahme und eine Lückenanalyse aller internen und externen politischen Maßnahmen und Programme der EU durchführen und sicherstellen, dass sie den Bestimmungen der Behindertenrechtskonvention Rechnung tragen. Darüber hinaus müssen alle globalen Strategien und politischen Maßnahmen der EU im Einklang mit den abschließenden Bemerkungen stehen, darunter auch die Europa-2020-Strategie und das Europäische Semester, die europäische Säule sozialer Rechte, die Agenda 2030 der Vereinten Nationen sowie Finanzierungsinstrumente wie die europäischen Struktur- und Investitionsfonds. |
|
2.8. |
Es ist von größter Bedeutung, dass die Umsetzung der abschließenden Bemerkungen durch die EU auf der höchsten politischen Ebene behandelt wird. Genauer gesagt sollte die Europäische Kommission in ihr Arbeitsprogramm 2017 eine eigens diesem Zweck gewidmete politische Initiative aufnehmen. Die vollständige durchgängige Verankerung und Einbeziehung der abschließenden Bemerkungen in die politischen Maßnahmen und Programme der EU setzt voraus, dass die Kommission eine allumfassende Strategie zur Behindertenrechtskonvention erarbeitet. Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, den Prozess zur Verwirklichung der allumfassenden Strategie zur Behindertenrechtskonvention dringend in die Wege zu leiten und die uneingeschränkte Konsultation und Einbindung von Behindertenorganisationen sicherzustellen. |
|
2.9. |
Im Jahr 2021 jährt sich die Ratifizierung der EU-Behindertenrechtskonvention durch die EU zum zehnten Mal. Der EWSA ist der Auffassung, dass das Jahr 2021 aus diesem Grund gut geeignet ist, zum zweiten Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen ausgerufen zu werden. Der EWSA weist darauf hin, dass die Kommission das erste Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen im Jahr 2003 ausgerufen hat. Deshalb empfiehlt der EWSA, dass die EU-Organe umgehend mit den Vorbereitungen beginnen und die notwendigen Schritte einleiten, um das Jahr 2021 zum zweiten Europäischen Jahr der Rechte von Menschen mit Behinderungen zu erklären. |
3. Die abschließenden Bemerkungen — eine Chance für eine inklusivere EU für Menschen mit Behinderungen
3.1. Allgemeine Grundsätze und Pflichten (Artikel 1-4)
|
3.1.1. |
Obwohl die EU die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat, hat sie bislang noch keine bereichsübergreifende und umfassende Überprüfung ihrer Rechtsvorschriften, politischen Maßnahmen und Programme vorgenommen. Der EWSA fordert die Kommission auf, diese Überprüfung dringend durchzuführen. Darüber hinaus sollte die Kommission in jeder Generaldirektion eine zentrale Stelle für die UN-Behindertenrechtskonvention mit der Ausführung beauftragen. |
|
3.1.2. |
Es ist bedauerlich, dass die EU das Fakultativprotokoll zur Konvention bislang nicht ratifiziert hat. Deshalb fordert der EWSA die EU auf, das Fakultativprotokoll zur Konvention unverzüglich zu ratifizieren und dadurch Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, bei einer Verletzung ihrer in der Konvention verankerten Rechte Beschwerde beim Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einzulegen. |
|
3.1.3. |
Der an den Menschenrechten orientierte Ansatz im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen sollte in die EU-Rechtsetzung und Politikgestaltung vollständig aufgenommen und verankert werden. Der EWSA fordert den juristischen Dienst der EU-Organe auf, eine umfassende Studie zu den Auswirkungen der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention auf das Rechtssystem der EU durchzuführen, um die Konvention als einen angemessenen Rahmen für die Rechtsetzung und Politikgestaltung zu etablieren. Die juristischen Dienste der EU tragen den Verpflichtungen der EU gegenüber der UN-Behindertenrechtskonvention nicht genügend Rechnung. |
|
3.1.4. |
Der EWSA fordert den Generalsekretär der Kommission auf, die Leitlinien für die Folgenabschätzung zu überprüfen und abzuändern, um eine erschöpfendere Auflistung der Themen und Fragen darin aufzunehmen, sodass die Einhaltung der Konvention besser beurteilt werden kann. |
|
3.1.5. |
Der UN-Ausschuss für die Rechte der Menschen mit Behinderungen hat die EU ersucht, bis Herbst 2016 eine unter Berücksichtigung des ganzheitlichen Ansatzes aus der abschließenden Bemerkung Nr. 17 vorgenommene Überarbeitung der Zuständigkeitserklärung und die dazugehörige Liste der Instrumente vorzulegen. Die Überarbeitung der vorgenannten Erklärung sollte mindestens einmal pro Mandatsperiode erfolgen. |
3.2. Spezifische Rechte (Artikel 5-30)
|
3.2.1. |
Die Kommission hat keine EU-Strategie zur Nichtdiskriminierung und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen eingeführt, die im Einklang mit den Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention und den abschließenden Bemerkungen stünde. Deshalb fordert der EWSA die Kommission auf, in Bezug auf die horizontale Gleichbehandlungsrichtlinie (siehe Ziffer 2.2) umgehend zu handeln und auch die Richtlinie 2000/78/EG zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zu überprüfen. |
|
3.2.2. |
Die Kommission sollte die Perspektive von Frauen und Mädchen mit Behinderungen, einschließlich der Datenerhebungen des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen, in ihre Politik zur Gleichstellung der Geschlechter aufnehmen. Darüber hinaus sollten die Rechte von Frauen und Mädchen mit Behinderungen auch im strategischen Engagement der Kommission für die Gleichstellung der Geschlechter 2016-2019 sowie in ihrer Rechtsetzungsarbeit und ihren politischen Maßnahmen zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben verankert werden. Der EWSA fordert die EU auf, das Übereinkommen von Istanbul des Europarates baldmöglichst zu ratifizieren. |
|
3.2.3. |
Die EU sollte in die erneuerte EU-Agenda für die Rechte des Kindes eine umfassende Strategie für die Rechte von Jungen und Mädchen mit Behinderungen aufnehmen und die Rechte von Kindern mit Behinderungen durchgängig in der gesamten EU-Behindertenpolitik verankern. Kinder mit Behinderungen und ihre Familien sollten zudem gemäß Artikel 4 Absatz 3 der UN-Behindertenrechtskonvention in die gesamte Beschlussfassung der EU einbezogen werden. |
|
3.2.4. |
Die EU sollte auch die besondere Situation von jungen Menschen mit Behinderungen anerkennen sowie die Tatsache, dass diese Menschen in ihrem Alltag oftmals vielfältigen Formen von Diskriminierung ausgesetzt sind, insbesondere im Hinblick auf die Chancengleichheit junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt und die aktive Teilnahme junger Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft im Allgemeinen. Deshalb sollte die EU die spezifische Situation von in der EU lebenden jungen Menschen mit Behinderungen bewerten und entsprechende Verbesserungen vorschlagen (2). Darüber hinaus sollte die EU sicherstellen, dass dieser Aspekt in die nächste EU-Strategie für die Jugend aufgenommen wird. |
|
3.2.5. |
Die EU sollte in Zusammenarbeit mit den öffentlichen Medien (einschließlich sozialer Medien) eine umfassende Kampagne in die Wege leiten, um das Bewusstsein für die Konvention zu schärfen und so Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen abzubauen. Es ist von größter Bedeutung, dass auch Menschen mit Behinderungen über ihre Vertreterorganisationen an dieser Kampagne teilnehmen. |
|
3.2.6. |
Die EU sollte Schulungsmaßnahmen zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und der entsprechenden Sensibilisierung in der Verkehrs- und Tourismusbranche fördern, erleichtern und finanzieren und die Zusammenarbeit und den Austausch bewährter Verfahrensweisen zwischen europäischen Organisationen, die im Bereich Behinderungen tätig sind, und öffentlichen und privaten Stellen im Verkehrsbereich unterstützen. Sämtliches Material im Zusammenhang mit u. a. Auf- und Ausbau von Kapazitäten, Schulungen, Sensibilisierung, öffentlichen Erklärungen sollte in zugänglichem Format zur Verfügung stehen. |
|
3.2.7. |
Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission für den Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit, der mit Artikel 9 und weiteren Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention (in Verbindung mit wirksamen und barrierefreien nationalen Durchsetzungs- und Beschwerdemechanismen) vollständig im Einklang stehen muss. Er fordert die EU-Organe auf, den Schlussfolgerungen und Empfehlungen aus seiner Stellungnahme zum Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit (3) Rechnung zu tragen, und die Beteiligung der Menschen mit Behinderungen über ihre Vertreterorganisationen am Annahmeprozess sicherzustellen. |
|
3.2.8. |
Der EWSA begrüßt die interinstitutionelle Trilog-Vereinbarung über den Vorschlag für die Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Websites öffentlicher Stellen und fordert die Organe nachdrücklich auf, diesen in einen Beschluss umzuwandeln; darüber hinaus fordert er die nationalen Regierungen nachdrücklich auf, die Bestimmungen des Vorschlags unverzüglich umzusetzen. Der EWSA begrüßt ferner, dass zahlreiche seiner in der Stellungnahme (4) verabschiedeten Empfehlungen in den endgültigen Text der Richtlinie eingeflossen sind. |
|
3.2.9. |
In die Strategien zur Katastrophenvorsorge hat die EU noch nicht genügend Maßnahmen zugunsten von Menschen mit Behinderungen aufgenommen. Der EWSA fordert deshalb, dass der Rat der Europäischen Union einen Katastrophenvorsorgerahmen für Menschen mit Behinderungen in Europa annimmt. |
|
3.2.10. |
Die EU sollte alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Notrufnummer 112 für alle zugänglich zu machen. Der EWSA unterstreicht, dass auch dringend geeignete Maßnahmen zur Gewährleistung der Zugänglichkeit nationaler Notfallstellen getroffen werden müssen. |
|
3.2.11. |
Der EWSA fordert die EU und die Mitgliedstaaten auf, im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen im Rahmen ihrer Migrations- und Flüchtlingspolitik einen an Menschenrechten orientierten Ansatz zu verfolgen. Darüber hinaus unterstreicht der EWSA, dass in manchen Ländern eine Behinderung recht häufig ein Grund für Verfolgung und Diskriminierung sein kann, und fordert daher die EU-Behörden auf, für ihre Agenturen und die Mitgliedstaaten Leitlinien zu erstellen und (für Menschen mit Behinderungen zugängliche) Informationskampagnen über die Themen Behinderung, Migration und Asyl durchzuführen und das Thema Behinderung systematisch und durchgängig in der EU-Migrations- und Flüchtlingspolitik zu verankern. |
|
3.2.12. |
Die EU sollte sich für Gefahrensituationen und Notfälle im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen einen menschenrechtsbasierten Ansatz zu eigen machen, indem sie einen Durchführungsplan annimmt, der mit den Schlussfolgerungen des Rates vom Februar 2015 zu einem den Aspekt der Behinderung berücksichtigenden Katastrophenmanagement und dem Sendai-Rahmen im Einklang steht. Darüber hinaus müssen Behindertenorganisationen und Mitarbeiter von Rettungs- und Katastrophenschutzdiensten im Hinblick auf Initiativen zur Katastrophenvorsorge sensibilisiert und informiert werden. |
|
3.2.13. |
Die Kommission sollte in Bezug auf Justiz und Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen eine führende Rolle übernehmen. Der EWSA fordert, dass die GD Justiz eine europäische Konferenz zu allen juristischen Dienstleistungen in der EU abhält, bei der auch Überlegungen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf Zugang zur Justiz und die Art der Verknüpfung dieser Rechte mit anderen Rechten (z. B. Rechtsfähigkeit und gleichberechtigte Anerkennung vor dem Gesetz) angestellt werden. |
|
3.2.14. |
Die Kommission sollte die erforderlichen Mittel für Schulungen von bei der EU und in den Mitgliedstaaten verbeamteten Juristen zur EU-Rechtsetzung und zur UN-Behindertenrechtskonvention bereitstellen. Überdies fordert der EWSA die EU und die nationalen Gerichte nachdrücklich auf, ihre internen Vorschriften und Anweisungen so anzuwenden, dass Menschen mit Behinderungen der Zugang zur Justiz erleichtert wird. Auch die allgemeinen Empfehlungen des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen sollten in den Justizverwaltungen auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden. Außerdem empfiehlt der EWSA, dass die GD Justiz die offene Methode der Koordinierung anwenden sollte, um in dieser sehr wichtigen Frage einen ausgewogenen und koordinierten Ansatz der Mitgliedstaaten zu erreichen und so den Weg für eine europäische Lösung im Hinblick auf die gleichberechtigte Anerkennung vor dem Gesetz zu ebnen. Die Kommission sollte im Hinblick auf den Zugang zur Justiz europäische Standards formulieren und ein entsprechendes Benchmarking fördern. |
|
3.2.15. |
Der EWSA fordert die EU-Organe und Mitgliedstaaten auf, diskriminierende Vormundschaftsgesetze abzuschaffen, um es allen Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, ihre politischen Rechte genauso wahrzunehmen wie ihre Mitbürger. Er weist darauf hin, dass in Bezug auf Abstimmungsverfahren, Wahlkabinen und Stimmmaterialien angemessene Räumlichkeiten und ein barrierefreier Zugang unabdingbar sind. |
|
3.2.16. |
Bedauerlicherweise ist eine unbekannte Zahl von Europäern mit Behinderungen ihrer Freiheit und Sicherheit beraubt, wird festgehalten und wird Zwangsbehandlungen, darunter Zwangssterilisation, unterworfen. Der EWSA ruft die Kommission auf, wirksame Schritte einzuleiten, um diese untragbare Situation zu beenden, mittels Eurostat zuverlässige Daten zu erheben und einen effizienten Bewertungsmechanismus zu entwickeln und anzuwenden. |
|
3.2.17. |
Der EWSA appelliert an die EU, ihre ethischen Leitlinien im Hinblick auf die Forschung zu überprüfen und insbesondere Beispiele für vorbildliche Verfahrensweisen zu geben, indem sie Einverständniserklärungen in zugänglichen und einfach zu lesenden Formaten ausarbeitet und Vormundschaftsentscheidungen in diesem Bereich verhindert. |
|
3.2.18. |
Die EU sollte Rechtsvorschriften annehmen, um den Schutz zu harmonisieren und Gewalt, Misshandlung und Ausbeutung zu bekämpfen, und das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (5) ratifizieren. Die EU muss rechtliche und politische Maßnahmen gegen die grenzübergreifenden Aktivitäten in Ländern der EU ergreifen (darunter Handel von Frauen und Kindern mit Behinderungen). Der EWSA ruft die EU auf, Gewalt gegen Kinder mit Behinderungen durch gezielte Maßnahmen und zugängliche Unterstützungsdienste zu bekämpfen. |
|
3.2.19. |
In der Initiative der Europäischen Kommission für die europäische Säule sozialer Rechte sollten die Bestimmungen der Behindertenrechtskonvention vollständig berücksichtigt und durchgängig verankert werden. Außerdem sollten die notwendige soziale Grundsicherung und wirksame Mechanismen zur Vorbeugung und Minderung von Armut, Gefährdung und sozialer Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen und ihren Familien vorgesehen werden, mit besonderer Berücksichtigung von Frauen, Kindern und älteren Personen mit Behinderungen. |
|
3.2.20. |
Es muss unbedingt ein System für die Koordinierung von Sozialversicherungen in der EU mit einem präzisen Rahmen für die Übertragbarkeit von Rechtsansprüchen und einer Höchstzahl von Tagen für das Anerkennungsverfahren für Behinderungen ausgearbeitet werden. |
|
3.2.21. |
Die EU sollte die lange erwartete und dringend erforderliche Europäische Deinstitutionalisierungsstrategie (6) ausarbeiten und umsetzen, die in erster Linie eine sehr strenge Kontrolle der Verwendung der ESI-Fonds umfassen sollte, um zu gewährleisten, dass diese Mittel ausschließlich in die Schaffung von Unterstützungsdiensten für Menschen mit Behinderungen investiert werden, die ihnen eine unabhängige Lebensführung innerhalb ihrer örtlichen Gemeinschaft ermöglichen. Der EWSA fordert außerdem die Einrichtung eines autonomen europäischen Fonds für die Deinstitutionalisierung. |
|
3.2.22. |
Der EWSA bedauert, dass die Kommission noch keine Analyse der Auswirkungen der europäischen Struktur- und Investitionsfonds auf Menschen mit Behinderungen gemäß der in der Verordnung über den Europäischen Sozialfonds festgelegten Verpflichtung durchgeführt hat, jährlich über die zum Thema Behinderungen getroffenen Maßnahmen Bericht zu erstatten. Sie sollte u. a. die Ausweitung der Überwachung der Verwendung der ESI-Fonds durch die Kommission (im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention und in Konsultation mit den Vertreterorganisationen von Menschen mit Behinderungen) und die von der EU wegen Nichteinhaltung der Ex-ante-Konditionalitäten angestrengten Vertragsverletzungsverfahren (Aussetzung, Widerruf, Rückforderung) beleuchten. |
|
3.2.23. |
Es sind wirksamere nationale Durchsetzungsstellen erforderlich: Ihre Befugnisse müssen harmonisiert und ausgeweitet werden, damit die Durchsetzung der Fahrgastrechte für alle Reisearten vereinfacht wird; außerdem muss das entsprechende Beschwerdeverfahren vereinfacht werden. Weiterhin fordert der EWSA die Kommission auf, die Gratisbeförderung von Pflegepersonal für alle Reisearten, darunter Flugreisen, sicherzustellen, wie dies bereits in Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 (7) und Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 (8) vorgesehen ist. |
|
3.2.24. |
Die Kommission sollte die Gebärdensprache und die Blindenschrift unverzüglich und in vollem Umfang offizielle anerkennen und eine Bewertung ihrer Kommunikationskanäle und internen Verfahren durchführen, um Informationen so zu erstellen und zu veröffentlichen, dass sie für Menschen mit Behinderungen zugänglich sind. Dazu sollten unterschiedliche zugängliche Formate wie Gebärdensprache, Blindenschrift und unterstützte Kommunikation einschließlich einfach zu lesender Formate gehören. Die EU sollte sicherstellen, dass alle Menschen mit Behinderungen, unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten, Zugang zu inklusiver Bildung haben. |
|
3.2.25. |
Die EU sollte einen obligatorischen Qualitätsrahmen für den inklusiven Bildungsaustausch mit Mindestzugänglichkeitskriterien annehmen, mit dem die Mobilität von allen, und insbesondere von jungen Studierenden mit Behinderungen in der EU zum Zwecke der Sekundar-, Hochschul- und Berufsausbildung sichergestellt wird. Alle Partneruniversitäten des Erasmus-Austauschprogramms für Studierende sollten Programme und Infrastruktur für den barrierefreien Zugang zur Bildung anbieten und die uneingeschränkte Teilnahme von allen und insbesondere von jungen Studierenden mit Behinderungen sicherstellen. |
|
3.2.26. |
Die EU sollte den Vertrag von Marrakesch der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) ratifizieren und seine Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene erleichtern und fördern, damit zugängliche Versionen gedruckten Materials für Menschen mit Sehbehinderungen und Leseeinschränkungen frei zirkulieren können. |
|
3.2.27. |
Der EWSA ruft die Kommission zur Ausarbeitung und Durchführung einer gezielten Initiative zur Umsetzung der Agenda 2030 und der Ziele für nachhaltige Entwicklung für Menschen mit Behinderungen innerhalb der EU und im Rahmen ihrer Außenpolitik einschließlich Entwicklungszusammenarbeit und internationalen Handels auf. |
3.3. Besondere Pflichten (Artikel 31-33)
|
3.3.1. |
Der EWSA fordert Eurostat nachdrücklich auf, eine Konferenz zu veranstalten, um einen einheitlichen Mechanismus für Folgemaßnahmen zur abschließenden Bemerkung 71 durch die statistischen Ämter aller EU-Mitgliedstaaten zu vereinbaren. Es muss ein europäischer statistischer Mechanismus für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, aufgeschlüsselt nach Behinderung, Geschlecht und Alter, geschaffen werden, mit dem operationelle Informationen für europäische und nationale politische Maßnahmen in Bezug auf Menschen mit Behinderungen gesammelt werden. |
|
3.3.2. |
Die Kommission sollte die Rechte von Menschen mit Behinderungen systematisch und durchgängig in allen internationalen Kooperationsmaßnahmen und -programmen der EU verankern. Der EWSA begrüßt das EU-Pilotprojekt zur „Schließung der Lücke“ und fordert die Verabschiedung eines EU-Finanzierungsprogramms zugunsten der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Dieses Finanzierungsprogramm sollte (wie es in einigen europäischen Ländern bereits der Fall ist) in enger Zusammenarbeit mit europäischen Behindertenorganisationen als zwischengeschalteten Stellen umgesetzt werden, die die politischen und finanziellen Prioritäten steuern, verwalten und definieren. Es muss sichergestellt werden, dass Projekte, die nicht im Einklang mit den Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention stehen, keine europäische Förderung erhalten. |
|
3.3.3. |
Die Kommission muss der abschließenden Bemerkung Nr. 75 in vollem Umfang Rechnung tragen und in all ihren Generaldirektionen, Agenturen und Einrichtungen zentrale Anlaufstellen schaffen. Alle zentralen Anlaufstellen sollten pro Jahr mindestens drei Sitzungen abhalten, an denen Vertreter von Behindertenorganisationen teilnehmen und umfassend mitwirken. Am 3. Dezember eines jeden Jahres sollte die Kommission ihren Jahresbericht über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die EU und ihre Mitgliedstaaten veröffentlichen. |
|
3.3.4. |
Der EWSA begrüßt den Beschluss der Europäischen Kommission, aus der unabhängigen Überwachungsstruktur auszuscheiden, da sie dadurch den Weg für einen tatsächlich unabhängigen Mechanismus unter der Aufsicht eines aus den Mitgliedern der unabhängigen EU-Struktur bestehenden Leitungsorgans ebnet. Damit die entsprechenden Aufgaben im Rahmen der EU-Struktur jedoch wirksam wahrgenommen werden können, müssen dringend die entsprechenden Human- und Finanzressourcen bereitgestellt werden. |
3.4. Einhaltung der Bestimmungen der Konvention durch die EU-Organe (als öffentliche Verwaltungen)
|
3.4.1. |
Die EU-Organe müssen ihre Personalpolitik überprüfen und an die Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention anpassen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen und Bedienstete mit Angehörigen mit Behinderungen angemessene Bedingungen und Unterstützung vorfinden, um ein Gleichgewicht zwischen ihrer Arbeit und ihren familiären Verpflichtungen schaffen zu können. Der EWSA fordert die EU auf, ihr gemeinsames Krankheitsfürsorgesystem, das Altersversorgungssystem sowie auf Menschen mit Behinderungen ausgerichtete Maßnahmen der sozialen Sicherheit zu überarbeiten, um dafür Sorge zu tragen, dass Menschen mit Behinderungen nicht diskriminiert werden und gleiche Chancen erhalten, u. a. indem anerkannt wird, dass sich durch eine Behinderung bedingte gesundheitliche Bedürfnisse von einer Krankheit unterscheiden, sowie eigenständiges Wohnen und Arbeiten dadurch gefördert wird, dass zusätzliche Kosten für Ausstattungsgegenstände oder Dienstleistungen, die für die Arbeit erforderlich sind, voll erstattet werden. |
|
3.4.2. |
Alle EU-Organe sollten unbedingt proaktiv Initiativen zur Einhaltung der Zugänglichkeitsbestimmungen der Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Websites öffentlicher Stellen mit einem konkreten Zeitrahmen durchführen und so in diesem entscheidenden Bereich in Bezug auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen mit gutem Beispiel vorangehen. |
|
3.4.3. |
Der EWSA fordert die Kommission und den Obersten Rat der Europäischen Schulen auf, einen Plan anzunehmen und die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen bereitzustellen, um ein inklusives System für qualitativ hochstehende Bildung auf allen Ebenen der Europäischen Schulen zu entwickeln und umzusetzen und so angemessene Bedingungen, Unterstützung und eine Politik der Nichtablehnung für alle Schüler mit Behinderungen in der Primar- und Sekundarstufe sicherzustellen. |
|
3.4.4. |
Da das Beschäftigungsniveau von Menschen mit Behinderungen in der EU niedrig ist, ruft der EWSA die EU-Organe auf, ein Einstellungssystem mit positiver Diskriminierung (einschließlich spezieller Auswahlverfahren) einzuführen, um die Anzahl von Menschen mit Behinderungen, die in ihren Diensten arbeiten, zu erhöhen, indem sie angemessene Infrastruktur und Unterstützung anbieten. Die Umsetzung dieser Politik muss alle zwei Jahre im Hinblick auf eventuelle Korrekturmaßnahmen überprüft werden. |
|
3.4.5. |
Der EWSA ruft die EU-Organe, Agenturen und Einrichtungen auf, dafür zu sorgen, dass das bestehende Bedienstetenstatut voll und ganz im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention angewandt wird und die internen Vorschriften und Durchführungsbestimmungen unter uneingeschränkter Anwendung der Bestimmungen der Konvention konzipiert werden. |
|
3.4.6. |
Der EWSA verpflichtet sich, eine Struktur für die interne Umsetzung der abschließenden Bemerkungen im Hinblick auf die Personalpolitik, auf Systeme für die Kommunikation mit Bürgern und EWSA-Mitgliedern sowie die vollständige Inklusion und Gleichstellung von EWSA-Mitgliedern mit Behinderungen zu entwickeln. Er wird auch sicherstellen, dass dies im Rahmen seiner Beziehungen zu Unternehmen, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft gefördert wird. Diese neue Politik wird in enger Zusammenarbeit mit der ständigen Studiengruppe des EWSA für die Rechte von Menschen mit Behinderungen entwickelt. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
(2) ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 2.
(3) Stellungnahme des EWSA zum Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit (ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 103).
(4) ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 116.
(5) Übereinkommen des Europarats.
(6) ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 1.
(7) ABl. L 315 vom 3.12.2007, S. 14.
(8) ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 1.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/24 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Rolle und den Auswirkungen gemeinsamer Technologieinitiativen und öffentlich-privater Partnerschaften bei der Umsetzung von Horizont 2020 für einen nachhaltigen industriellen Wandel
(Initiativstellungnahme)
(2017/C 034/04)
|
Berichterstatter: |
Antonello PEZZINI |
|
Ko-Berichterstatter: |
Enrico GIBELLIERI |
|
Beschluss des Plenums |
21.1.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
|
|
Initiativstellungnahme |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) |
|
Annahme in der Fachgruppe |
28.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
212/1/1 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass öffentlich-private Partnerschaften (1) (ÖPP) im Bereich Forschung und Innovation in ihren verschiedenen Ausprägungen eine Erfolgsformel und ein wirksames Instrument zur Bewältigung der großen Probleme für Europas Wettbewerbsfähigkeit sind und dass mit ihrer Hilfe wirkungsvolle Antworten auf die sozioökonomischen, beschäftigungspolitischen und ökologischen Herausforderungen gegeben werden können. |
|
1.2. |
Forschung und Innovation sind keine linearen und eindimensionalen Prozesse. Nach Auffassung des EWSA kann die umfassende Zusammenführung der technologischen, ökologischen und sozialen Dimensionen in den öffentlich-privaten Partnerschaften im Rahmen von Horizont 2020 nur gelingen, wenn es eine Neuausrichtung auf Grundlage einer größeren Transparenz bezüglich der erzielten Resultate und sozioökonomischen Wirkung gibt. |
|
1.3. |
Nach Ansicht des EWSA muss in den Partnerschaften ein breiter gefasstes Innovationskonzept deutlich werden, wobei die Innovationen in den Bereichen Dienstleistungen und Soziales sowie die erforderlichen Anpassungen an die der KMU und die Sozialwirtschaft berücksichtigt werden müssen, um sie in allen Phasen der Demonstration und Entwicklung von Anwendungen stärker zum Tragen bringen zu können. |
|
1.4. |
In Bezug auf die GTI und den VÖPP muss sehr stark auf die soziale Legitimität von Innovationen geachtet werden, wobei die Beteiligung wirtschaftlich schwächerer Interessenträger (Gewerkschaften, KMU, NRO) an der Ausrichtung und strategischen Planung der FuI-Aktivitäten im Einklang mit den Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 2012/1025 zur Normung insbesondere im Hinblick auf die Strategien und die Auswahl der Projekte und deren sozialen Nutzen verbessert werden muss. |
|
1.5. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die ÖPP eine stärkere Marktausrichtung benötigen und dazu der Schwerpunkt auf Aspekte wie Interoperabilität, Standardisierung, Harmonisierung und transnationaler Technologietransfer gelegt werden sollte, um die Ergebnisse vor Ort zu verstetigen und EU-weit übertragbar zu machen. |
|
1.6. |
Nach Auffassung des EWSA sollten die GTI und VÖPP auf Folgendes hinwirken:
|
|
1.7. |
Der EWSA plädiert dafür, GTI und ÖPP für neue, innovative Maßnahmen zu nutzen, um bei der Konzipierung innovativer Geschäftsmodelle und moderner Berufsprofile, bei der Schaffung von Foren, denen auch die Sozialpartner angehören, sowie bei der gezielteren Förderung einer raschen Nutzung auf den Märkten nach der Projekt-Phase stärker mit führenden Investoren zusammenzuarbeiten. |
|
1.8. |
Der EWSA hält es für wichtig, die Kapazitäten und die Schlüssigkeit der Umsetzung von GTI und VÖPP stärker zu überwachen und dazu neue flexiblere und marktgerechte Instrumente heranzuziehen; es bedarf dynamischerer Ansätze zur Qualitätssicherung, darunter eines kompletten Systems dynamischer Leistungsindikatoren (key performance dynamic indicators, KDPI), mit deren Hilfe sich die diversen Initiativen miteinander vergleichen lassen, sodass ein Jahresbericht aller GTI und VÖPP für die europäischen und einzelstaatlichen Institutionen sowie den europäischen Steuerzahler erarbeitet werden kann. |
|
1.9. |
Der EWSA fordert größere Anstrengungen, um eine innere Kohärenz zwischen den Zielen und Prioritäten des 9. RP für Forschung und Innovation der EU und den Forschungs- und Innovationsstrategien der Industrie, die in den GTI und VÖPP zum Ausdruck kommen, herzustellen und diese mit allen anderen Formen von Innovationspartnerschaften in anderen regionalen, nationalen und gemeinschaftlichen Politikbereichen zu koordinieren. |
|
1.10. |
Der EWSA schlägt vor, einen europäischen Innovationsrat mit starker Beteiligung von Akteuren aus der Industrie und dem sozialen Bereich und mit gesamteuropäischen Netzen zur Unterstützung der Innovationstätigkeit im Infrastrukturbereich zu schaffen. Dieser Rat könnte sich als ein nützliches Instrument erweisen, um die Initiativen stärker mit den Handlungslinien der anderen Forschungs- und Innovationsorganisationen in Europa und der Welt sowie mit ähnlichen internationalen Partnerschaften zu koordinieren (2). |
|
1.11. |
Der EWSA appelliert an die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, der Innovation durch GTI und VÖPP eine hohe Priorität bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen einzuräumen, z. B. in den Strategien zur intelligenten Spezialisierung, operationellen und Kooperationsprogrammen für die Kohäsionspolitik, Forschungs- und Innovationsprogrammen sowie den Programme zur Entwicklung von Projekten zur Umsetzung von Plänen zur Anpassung an den Klimawandel. |
|
1.12. |
Der EWSA ist überzeugt, dass strategische, intelligente und rechtzeitige Investitionen in geeignete innovative und umweltfreundliche Lösungen und in grüne Infrastrukturen den Ausgangspunkt für eine neue solide und wirksame Reindustrialisierung auf der Grundlage von Forschung und Innovation und ihrer Marktanwendung bilden. |
|
1.13. |
Der EWSA unterstreicht, dass mit Blick auf das nächste RP „die Forschungs- und Innovationsinstrumente und -agenden in Europa besser abgestimmt werden müssen, […] damit weiterhin Investitionen in den Bereichen [getätigt werden], in denen Europa eine Führungsposition in der Welt einnimmt“ (3). Grundlage ist eine stabile Perspektive, wobei es regelmäßige Leistungsüberprüfungen geben muss. |
|
1.14. |
Der EWSA fordert die Kommission, das Europäische Parlament und den Rat auf, gemeinsame Überlegungen darüber anzustellen, mit Blick auf das nächste Rahmenprogramm für Forschung und Innovation nach 2020 möglichst zeitnah eine interinstitutionelle Konferenz über die Rolle der öffentlich-privaten Technologiepartnerschaften bei der Reindustrialisierung Europas durchzuführen. |
2. GTI und VÖPP für Forschung und Innovation
|
2.1. |
Bei den gemeinsamen Technologieinitiativen handelt es sich um öffentlich-private Partnerschaften in den Schlüsselbereichen von Forschung und Innovation in Europa gemäß Beschluss Nr. 1982/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (4). Bereits im Verlauf des 7. Forschungsrahmenprogramms (7. RP) wurde deutlich, dass die hergebrachten Instrumente nicht geeignet sind, um die Ziele einer größeren und besseren Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu erreichen. Die Industriepartnerschaften sind auf F&I ausgerichtet: Dabei geht es um genau festgelegte Marktziele für die Industrie, eine bessere Bündelung von Finanz- und Humanressourcen und die Erzielung einer Hebelwirkung, um entscheidende Impulse für die beschleunigte Übertragung wissenschaftlicher und technologischer Entdeckungen in marktfähige Innovationen zu liefern. |
|
2.2. |
Mit dem aktuellen Rahmenprogramm „Horizont 2020“ wurden wesentliche strukturelle Neuerungen eingeführt, die mehr Raum für die Einflussnahme bzw. Synergien seitens der Industrie und der Mitgliedstaaten lassen, und zwar über verschiedene Konzepte für öffentlich-private Partnerschaften zur Unterstützung von Branchen, die:
|
|
2.3. |
Es wurde eine Reihe von Initiativen eingeleitet, um die unterschiedlichen Formen der Partnerschaft für die Industrie mit Unterstützung durch die Wissenschaft oder staatliche Behörden zu fördern. |
|
2.4. |
Die EU-Institutionen haben die Europäischen Technologieplattformen (ETP), die auf Initiative der Wirtschaft geschaffen wurden, um in einem Bottom-up-Prozess gemeinsame strategische Ziele und Prioritäten festzulegen, stark unterstützt. |
|
2.5. |
Die derzeit 38 ETP und die drei bereichsübergreifenden Initiativen haben eine strategische Rolle und dienen der Mobilisierung und Verbreitung. Um ihre Aufgabe erfüllen zu können, sind sie hauptsächlich in den folgenden Bereichen tätig:
|
|
2.6. |
Die GTI vereinen eine Reihe von Akteuren: Europäische Kommission, Mitgliedstaaten, Wissenschaft und Industrie in wissensintensiven und technologischen Bereichen von hohem Wert für die Gesellschaft und fördern insbesondere kooperative europäische Forschungs- und Innovationsvorhaben, die durch ausgewiesene gemeinsame technologische und wirtschaftliche Zielsetzungen gekennzeichnet sind. |
|
2.7. |
Das Hauptziel der GTI ist eine höhere Wirksamkeit öffentlicher und privater Investitionen im Forschungsbereich und die Festigung des europäischen Raums der Forschung und Innovation durch Förderung von Innovationen, die in Wissenschaft und Technik im Rahmen der Strategie Europa 2020 richtungsweisend sind. |
|
2.8. |
Das den GTI zugrunde liegende Konzept der Offenheit für neue Teilnehmer ermöglicht es, ein breites Publikum anzusprechen und eine Hebelwirkung herbeizuführen, mit finanziellen Beiträgen von europäischer Seite und im Rahmen klarer Strukturen, um Wirtschaft, KMU, Sozialwirtschaft und Mitgliedstaaten zur verstärkten Teilnahme und mehr Investitionen zu ermutigen. |
|
2.9. |
Die GTI sind vor allem aus der Tätigkeit der europäischen Technologieplattformen entstanden, zu denen sich der EWSA bereits in einer Initiativstellungnahme geäußert hat (5). Diese Plattformen sollten gemeinsame Standpunkte zur Entwicklung der Branchen herausarbeiten und zu lösende Probleme ermitteln. |
|
2.10. |
Es gibt folgende Kriterien für die Ermittlung der Branchen, in denen die Schaffung einer GTI notwendig ist: strategische Bedeutung der Branche, klare Ziele; hoher Mehrwert der Initiative auf europäischer Ebene; Hebelwirkung für umfangreiche und langfristige Investitionen; angemessene und schnelle Antworten auf die Herausforderungen in puncto Wachstum, Nachhaltigkeit und Klimaschutz. |
|
2.11. |
Für die Bewertung der Intensität der Innovationstätigkeit reicht es nicht aus, nur die investierten Mittel zu berücksichtigen. Vielmehr werden Indikatoren der wirtschaftlichen und marktspezifischen Ergebnisse, die diesen Ausgaben entsprechen, benötigt. Die VÖPP müssen jährliche Berichte vorlegen, die Folgendes enthalten: durchgeführte Tätigkeiten, reale Steigerung des europäischen Mehrwertes, Effizienz der innovativen Finanzinstrumente für eine Hebelwirkung, Erreichen der sozioökonomischen Ziele in qualitativer und quantitativer Hinsicht gemäß den im Voraus definierten Indikatoren. |
|
2.12. |
In dieser Stellungnahme soll aufgezeigt werden, wie die Industriepolitik und der industrielle Wandel durch die direkte Beteiligung der Industriebranchen an EU-finanzierten F&I-Vorhaben in Form von institutionalisierten GTI-Partnerschaften und vertraglichen ÖPP beeinflusst werden und welche Verbesserungen möglich sind. |
3. Entwicklungsperspektiven für die GTI und die VÖPP im Sinne eines nachhaltigen industriellen Wandels
|
3.1. |
Die Erfahrungen mit den FuI-RP der EU haben gezeigt, wie schwer es ist, den tatsächlichen Bedürfnissen der europäischen Industrie gerecht zu werden, die bei der Festlegung der allgemeinen Ziele und in den Arbeitsprogrammen leider allzu oft vernachlässigt werden, worin sich ein europäisches Paradoxon widerspiegelt: Dem großen europäischen wissenschaftlichen Wert steht eine im Vergleich zu den globalen Wettbewerbern schlechte und langsame Marktverwertung der Innovationen gegenüber. |
|
3.2. |
Die Arbeit und die Vorhaben der europäischen Technologieplattformen konnten hier zu einer schrittweisen Besserung beitragen. Der europäischen Industrie ist es gelungen, für die großen Branchen der verarbeitenden Industrie Ziele und Prioritäten zu definieren, die weitgehend in die Struktur und die Ziele von „Horizont 2020“ eingeflossen sind. |
|
3.3. |
Ein von oben nach unten gerichteter Ansatz wurde durch einen von unten nach oben gerichteten Ansatz für den gesamten Innovationszyklus abgelöst, wobei ein höherer technologischer Reifegrad bei der Entwicklung neuer Produktionstechnologien, neuer Produkte und neuer Kompetenzen angestrebt wird. |
|
3.4. |
Die GTI und VÖPP sollten wichtige Instrumente für eine aktive Rolle der Industriebranchen bei der mehrjährigen Programmplanung und Durchführung der EU-Maßnahmen im Rahmen von Horizont 2020 sein. Die Privatwirtschaft will rund 10 Mrd. EUR in gemeinsame Technologieinitiativen zur Förderung von Innovation in sieben Bereichen investieren, was dazu beiträgt, die rückläufige Entwicklung der verarbeitenden Industrie in Europa umzukehren. |
4. Anmerkungen und Kommentare zu den künftigen Herausforderungen der Union
|
4.1. |
Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass Partnerschaften im Bereich Forschung und Innovation in ihren verschiedenen Ausprägungen eine Erfolgsformel im Hinblick auf die Entwicklung und ein wirksames Instrument zur Bewältigung der großen Probleme sind, die die Wettbewerbsfähigkeit der EU beeinträchtigen. |
|
4.2. |
Der EWSA ist der Ansicht, dass GTI und VÖPP positive Vorbilder für den Aufbau von Partnerschaften auf europäischer Ebene darstellen, wenn es durch sie gelingt, in einem mehrjährigen Rahmen Ressourcen der EU und der Mitgliedstaaten mit privaten Finanzmitteln, Know-how und Forschungs- und Innovationskapazitäten zu bündeln, um den Wissensaustausch und die Verbreitung wichtiger Innovationen in Branchen zu fördern, die für den Erfolg auf den Weltmärkten von entscheidender Bedeutung sind. |
|
4.3. |
Nach Ansicht des EWSA müssen GTI und VÖPP ihrer Verantwortung in folgenden Punkten gerecht werden:
Die Entwicklung von neuen Technologien und Innovationen seitens der Industrie muss eine hochwertige Ausbildung der Humanressourcen und neue berufliche Qualifikationen nach sich ziehen, wobei die Sozialpartner und die lokalen Behörden enger und systematischer als bisher in die Festlegung und Umsetzung der strategischen Leitlinien der Branche eingebunden werden müssen. |
|
4.4. |
Aus den jüngsten, 2016 von der Europäischen Kommission (6) veröffentlichten Berichten und darin enthaltenen ersten Umfrageergebnissen (7) geht hervor, dass das Programm Horizont 2020 zwar dem Erfordernis der Öffnung für ÖPP in angemessener Weise Rechnung zu tragen scheint, diese Ansätze aber den Anforderungen einer Öffnung für neue Teilnehmer und deren verstärkte Einbindung offensichtlich nicht immer voll genügen. Auch über ihre Fähigkeit, Beschäftigung, Wachstum, Investitionen und die beschleunigte Entwicklung des digitalen Binnenmarkts zu fördern, besteht — anders als über ihre Fähigkeit zur Bewältigung der Herausforderungen in den Bereichen Energie und Klimawandel — keine Einmütigkeit. |
|
4.5. |
Auch wird die Fähigkeit der GTI und der VÖPP, erfolgreich mit anderen Finanzierungsinstrumenten der EU wie den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds und dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen zu interagieren, als sehr schwach ausgeprägt angesehen, auch wenn im Rahmen einiger GTI entsprechende Protokolle unterzeichnet wurden. Nach Ansicht des EWSA müssen durch die verstärkte Einbindung regionaler und lokaler Akteure Synergien erzielt werden, wobei die Angleichung an gemeinsame Durchführungsstandards erleichtert werden sollte. |
|
4.6. |
Da die Ablehnungsrate bei den Projektvorschlägen im Rahmen von Horizont 2020 bei 7:1 und damit über der Rate von 5:1 während des 7. RP, liegt, wäre es angebracht, die Zusammensetzung der unabhängigen Expertenteams für die Begutachtung, denen Projektvorschläge vorgelegt werden, ausgeglichener zu gestalten. Mehr als 50 % der Projektanträge bei den ersten Ausschreibungen für VÖPP unter Horizont 2020 kamen aus der Industrie, während die Experten für die Begutachtung zu mehr als 50 % aus dem akademischen Bereich kommen, aber nur wenig mehr als 20 % das Fachwissen der Privatwirtschaft einbringen. |
|
4.7. |
Die für GTI und VÖPP zur Verfügung stehenden Rahmen bieten wichtige positive Merkmale für die Nachhaltigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Die Maßnahmen wurden von privaten Partnern im Rahmen eines umfassenden und offenen Konsultationsprozesses zur Erarbeitung der Arbeitsprogramme und entsprechender Ausschreibungen gemäß und entsprechend den Erfordernissen der Wirtschaft konzipiert, wobei hohe Mobilisierungsraten und eine starke Hebelwirkung von 3 bis 9 zu verzeichnen waren. |
|
4.8. |
Mit Blick auf die „Teilausschreibungen für gemeinsame Technologieinitiativen im Jahr 2014“ muss für den europäischen Steuerzahler und die EU-Institutionen in Bezug auf diese Art der Partnerschaft klar hervorgehen, wie sie institutionell aufgestellt und administrativ gegliedert ist. |
|
4.9. |
Nach Ansicht des EWSA müssen GTI und VÖPP, einschließlich der Mechanismen für die Öffnung und den partizipativen Zugang, den einschlägigen vorrangigen Erfordernissen Rechnung tragen und mit einer starken Wachstumspolitik unter uneingeschränkter Beteiligung der Sozialpartner einhergehen. |
|
4.10. |
Die GTI und die VÖPP konkurrieren nämlich weltweit um die Spitzenposition bei der Entwicklung und Vermarktung neuer, zukunftsweisender Technologien und erfordern daher die Konzipierung und Umsetzung klarer industriestrategischer Ziele:
|
|
4.11. |
Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit, alle Akteure der europäischen Schlüsselbranchen (für alle Produktbereiche und Unternehmensgrößen, Humanressourcen, Ausbildung und Entwicklung sowie ihre Vertretung) einzubeziehen, um die Integration der sozialen Aspekte und der KMU sowie die Einbeziehung der Interessenvertreter in Forschungs- und Innovationsprojekte voranzutreiben. |
|
4.12. |
In diesem Zusammenhang hält es der EWSA für wichtig, geeignete soziale und didaktische Instrumente einzuführen und mithilfe wichtiger dynamischer Leistungsindikatoren nicht nur die Patente und wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu verfolgen, sondern auch und vor allem die Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft sowie auf die Ausbildung für neue Berufsbilder im Blick zu haben. |
|
4.13. |
Der EWSA ist der Ansicht, dass einer der Schlüsselfaktoren für die Verwirklichung der Wachstums- und Beschäftigungsziele der Strategie Europa 2020, insbesondere des Ziels, 3 % der Investitionen in Forschung und Entwicklung zu leiten, darin besteht, zusätzlich zur öffentlichen Finanzierung Investitionen aus dem Privatsektor zu mobilisieren, um eine starke Hebelwirkung herbeizuführen. |
|
4.14. |
Innovationstätigkeiten mit höherem technologischen Reifegrad sollten auch weiterhin von einer Investitionsförderung für Infrastrukturen und Industrieanlagen profitieren, die in Anknüpfung an den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) von Präsident Juncker auf der Aussicht auf Stabilität beruhen und regelmäßige Leistungsüberprüfungen vorsehen sollten. |
|
4.15. |
Der EWSA hält es für angebracht, Akteure aus der Industrie stärker in die F&I-Programme und die Programmausschüsse einzubinden, die ein Schlüsselelement für die Entwicklung einer breiten industriellen Beteiligung eines jeden Mitgliedstaats bilden. |
|
4.16. |
Der EWSA ist schließlich der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission — sofern dies angezeigt und möglich ist — die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Branchen einschließlich der GTI und der VÖPP überprüfen und harmonisieren sollten, die darauf ausgerichtet sein sollten, einen möglichst hohen Mehrwert zu erzielen, sowohl in ökologischer, wirtschaftlicher, sozialer und beschäftigungspolitischer Hinsicht als auch mit Blick auf Smart-Business-Geschäftsmodelle und Lösungen in integrierten geografischen Gebieten, neue Kompetenzen und soziale Innovationen (8). |
|
4.17. |
Die Entwicklung der verschiedenen Formen von Forschungs- und Innovationspartnerschaften, die in den verschiedenen Politikbereichen der EU auch über Horizont 2020 hinaus durchgeführt werden, muss nach Ansicht des EWSA durch mehr Kohärenz und eine bessere Koordinierung der F&I-Maßnahmen, flankiert durch ein umfassendes Konzept der EU bezüglich der internen und externen Dimension, gekennzeichnet sein. Die Einrichtung eines Europäischen Innovationsrates mit einer starken industriellen und sozialen Komponente einschließlich eines europaweiten Netzes für die Unterstützung von Innovation im Infrastrukturbereich könnte einen effizienteren Rahmen begünstigen. |
|
4.18. |
Im Hinblick auf das 9. RP (9) spricht sich der EWSA dafür aus, einen transparenten Rahmen für die qualitative und quantitative Bewertung des wirtschaftlichen, innovativen, sozialen und ökologischen Erfolgs/Misserfolgs der laufenden GTI und VÖPP zu schaffen, wobei auch die Endnutzer in der Industrie sowie die Sozialpartner und die Vertreter von KMU und Zivilgesellschaft eingebunden werden sollten, um die strategischen Prioritäten zu bewerten und künftige Partnerschaften, auf die der Schwerpunkt bis 2030 liegen soll, neu zu konzipieren. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
George DASSIS
(1) Es gibt zwei Arten von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP): Die gemeinsamen Technologieinitiativen (GTI) nach Artikel 187 AEUV, für die es eine Verordnung über das Gemeinsame Unternehmen gibt, und vertragliche öffentlich-private Partnerschaften (VÖPP), d. h. gemeinsame Initiativen auf Vertragsbasis mit einer Absichtserklärung im Rahmen des Programms Horizont 2020.
(2) Vgl. Europäische Union — Ausschuss für den Europäischen Raum für Forschung und Innovation (ERAC), Strategisches Forum für die internationale wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit (SFIC): ERAC-SFIC 1353/15, Februar 2015, Brüssel.
(3) Vgl. COM(2016) 5 final: „Darüber hinaus haben mehrere gemeinsame Technologieinitiativen Vereinbarungen mit den für die Europäischen Fonds für regionale Entwicklung zuständigen Behörden unterzeichnet, mit denen ein Rahmen für eine strukturierte Zusammenarbeit geschaffen wird.“
(4) ABl. L 412 vom 30.12.2006, S. 1.
(5) ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 12.
(6) Siehe SWD 2016/123 vom 7.4.2016.
(7) Eine eingehendere Prüfung kann erst nach der Veröffentlichung des Zwischenberichts im Jahr 2017 erfolgen.
(8) Vgl. beispielsweise die Praxis in einigen Mitgliedstaaten, in denen Branchenpartnerschaften unmittelbar die zuständigen Behörden einschalten können, um technische oder rechtliche Hindernisse und Hürden prüfen und beseitigen zu lassen, die einer raschen Nutzung technologischer Verbesserungen für Marktinnovationen im Wege stehen.
(9) Vgl. die Stellungnahme INT/792, „Halbzeitbewertung von Horizont 2020“ (siehe Seite 66 dieses Amtsblatts).
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/31 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Stärkung der europäischen Kosmetik- und Körperpflegemittelindustrie
(Initiativstellungnahme)
(2017/C 034/05)
|
Berichterstatterin: |
Frau Madi SHARMA |
|
Ko-Berichterstatter: |
Herr Dirk JARRÉ |
|
Beschluss des Plenums |
21.1.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
|
|
Initiativstellungnahme |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
CCMI |
|
Annahme in der Fachgruppe |
28.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
20.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
181/1/1 |
1. Schlussfolgerungen und politische Empfehlungen
|
1.1. |
Europa hat stets eine wichtige Rolle bei der Herstellung, Innovation und Entwicklung von Kosmetika, Körperpflegemitteln und Schönheitspflegeprodukten gespielt. In jüngster Zeit hat es seine Führungsposition in dieser Branche aufgrund des globalen Wettbewerbs und der Rahmenbedingungen, die dem Druck zur technischen Innovation und zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit nicht gerecht werden, immer weiter verloren. |
|
1.2. |
Gegenstand dieser Stellungnahme ist die Stärkung der europäischen Kosmetik- und Körperpflegemittelindustrie, mit Schwerpunkt auf den unter die Kosmetikverordnung (EG) Nr. 1223/2009 fallenden Produkten. „Kosmetische Mittel“ sind Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den Teilen des menschlichen Körpers (Haut, Haare, Nägel, Lippen und Intimbereich) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen. Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, eingenommen, eingeatmet, injiziert oder in den menschlichen Körper implantiert zu werden, gelten nicht als kosmetische Mittel. |
|
1.3. |
Hygienepapier, Tissuepapier und Monatshygieneartikel fallen zwar nicht in den Geltungsbereich der Kosmetikverordnung, können aber aufgrund ihres Mehrwerts im Bereich der persönlichen Hygiene in vielen Empfehlungen berücksichtigt werden. |
|
1.4. |
Die Stellungnahme bezieht sich weder auf Arzneimittel, Tätowierungen, dauerhaftes Make-up, Schönheitspflege oder chirurgisch bzw. mit Instrumenten applizierte Produkte noch auf Hautpflegemittel für Tiere. Angesichts der zunehmenden Bedenken der Verbraucher in Bezug auf schädliche Chemikalien empfiehlt der EWSA jedoch, in einem separaten Dokument auf all diese Dinge einzugehen. |
|
1.5. |
Zwar verfügen die europäischen spezialisierten Unternehmen über eine beeindruckende Innovationsfähigkeit, doch findet die eigentliche Innovation und somit die Produktion und Vermarktung der in der EU gemachten Erfindungen mittlerweile außerhalb Europas statt, was schwerwiegende wirtschaftliche und soziale Folgen nach sich zieht. Die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen mittels geeigneter Strategien mit dem Ziel, durch die Nutzung der jüngsten biotechnologischen Fortschritte über das Konzept Industrie 4.0 hinauszugehen, wird maßgeblich zur Rückverlagerung der Industrie und zur Entwicklung neuer Produkte beitragen. |
|
1.6. |
Auch wenn die Branche bereits gut genug reguliert ist, um den Schutz und die Sicherheit der Verbraucher zu gewährleisten, gibt der EWSA die nachstehenden branchenspezifischen Empfehlungen ab; zusätzliche Rechtsvorschriften hält er nicht für erforderlich, allerdings sollte eine größere Transparenz erwogen werden:
|
2. Überblick über die Körperpflegeindustrie
|
2.1. |
Kosmetika und Körperpflegemittel gehören für mehr als 500 Mio. europäische Verbraucher aller Altersgruppen zum täglichen Bedarf. Die Produktpalette reicht von Produkten für die tägliche Körperpflege wie Seife, Haarwaschmittel, Deodorants und Zahnpasta bis hin zu Luxusschönheitspflegemitteln wie Parfums und Make-up. Die Branche wird auf 77 Mrd. EUR (2015) Marktwert geschätzt und gehört zu den wenigen Wirtschaftszweigen, die von der weltweiten Finanzkrise verschont blieben. Europa ist einer der weltweiten Branchenführer und ein wichtiger Exporteur von Kosmetika. Der außereuropäische Handel wies 2015 ein Volumen von 17,2 Mrd. EUR auf. |
|
2.2. |
Angesichts des intensiven Wettbewerbs ist die Markenbekanntheit in der Kosmetikindustrie von Bedeutung. Die Kundentreue basiert auf zuverlässiger Werbung, Qualität, Sicherheit und der Entwicklung neuer Produkte und ist mit der in der Modebranche sich je nach Saison verändernden Trends vergleichbar. |
|
2.3. |
Der Sektor setzt sich aus Unternehmen aller Größen zusammen, wobei in Europa mehr als 4 600 KMU in der Kosmetikbranche tätig sind. Das KMU-Segment macht schätzungsweise 30 % aus, in einigen Mitgliedstaaten kann sein Anteil jedoch bis zu 98 % betragen. Die Produktpalette reicht von mehr als 20 000 Produkten bei den Großunternehmen bis zu 160 Artikeln bei kleineren Unternehmen. Ein großer Kosmetikhersteller verfügt über eine Palette von 2 000 Bestandteilen, bei KMU umfasst sie 600, wobei in jedem Fall jährlich etwa 4 % neue Bestandteile hinzukommen. Diese neuen Bestandteile haben erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit und das Wachstum. |
|
2.4. |
Die Branche beschäftigt europaweit über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, von der Herstellung bis hin zum Einzelhandel, mindestens 2 Mio. Arbeitnehmer. In der Herstellung waren im Jahr 2015 (1)152 000 Arbeitnehmer beschäftigt, wobei der Anteil der Frauen (56 %) leicht über dem der Männer (44 %) lag. In den letzten fünf Jahren ist die direkte und indirekte Beschäftigung in dieser Branche um 2,3 % gestiegen, was mehr als 39 000 Arbeitsplätzen entspricht (2). |
|
2.5. |
Die im Jahr 2015 für Forschung und Entwicklung getätigten Ausgaben belaufen sich auf schätzungsweise 1,27 Mrd. EUR. Hierbei gibt es von Land zu Land große Unterschiede. In der Branche sind mehr als 26 000 Wissenschaftler beschäftigt, die neue wissenschaftliche Bereiche erforschen, mit neuen Bestandteilen arbeiten, neue Rezepturen entwickeln und Sicherheitsprüfungen durchführen, was jedes Jahr zu einer beachtlichen Zahl an neuen Patenten in der EU führt. |
|
2.6. |
Die europäische Papierindustrie, insbesondere die Tissuepapierbranche, erwirtschaftet mehr als 10 Mrd. EUR pro Jahr und macht 25 % des weltweiten Tissuepapiermarkts aus. Der verstärkte Konsum hochwertiger Zellstoffprodukte wie Papierhandtücher, Taschentücher, Toilettenpapier usw. ist ein wichtiger Teil einer verbesserten Lebensqualität und besserer allgemeiner Hygienebedingungen sowohl zu Hause als auch unterwegs und leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Körperpflegeindustrie. |
|
2.7. |
Die europäische Kosmetikbranche geht anerkanntermaßen im Hinblick auf ein absolutes Tierversuchsverbot als Vorreiter voran und fördert dabei zugleich weiterhin die Innovation und die Wettbewerbsfähigkeit. Der heutige Markt wird von Sicherheitsaspekten und der Innovation gleichermaßen angetrieben, mit neuen Farbpaletten, hauttypspezifischen Anwendungen, Anti-Ageing-Produkten und einzigartigen Formeln. Die Verbraucher fordern ständig ein breiteres Angebot, eine stärkere Personalisierung und noch bessere Wirksamkeit. Um besser auf die Präferenzen und Erwartungen der Kunden eingehen zu können, werden zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt systematisch Verbrauchergruppen und -verbände in die Entwicklung einbezogen. |
3. EU-Rechtsvorschriften
|
3.1. |
Die Überwachung der Bestandteile und die Prüfkriterien, einschließlich des Verbots von Tierversuchen, des Umweltschutzes und der Etikettierung, unterliegen durchgehend EU-Rechtsvorschriften und -Leitlinien. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Marktzugang, die internationalen Handelsbeziehungen und die Angleichung der Rechtsvorschriften werden von der Europäischen Kommission überwacht. |
|
3.2. |
Die Kosmetikverordnung, Verordnung (EG) Nr. 1223/2009, gilt seit 2013 und ersetzte die 1976 verabschiedete Richtlinie 76/768/EWG. Sie dient der Vereinheitlichung der Vorschriften mit dem Ziel der Verwirklichung eines Binnenmarkts für kosmetische Mittel und der Erreichung eines hohen Schutzniveaus für die menschliche Gesundheit. |
|
3.3. |
In der EU in Verkehr gebrachte Kosmetika müssen ungeachtet der Herstellungsverfahren oder Vertriebskanäle sicher sein. Die Kosmetikverordnung (einschließlich ihrer Anhänge) und ihre Änderungen enthalten die rechtlichen Anforderungen und Beschränkungen für alle in kosmetischen Mitteln verwendeten Stoffe. Die „verantwortliche Person“ haftet für die Sicherheit des Produkts und muss gewährleisten, dass es vor dem Inverkehrbringen einer fachmännischen wissenschaftlichen Sicherheitsprüfung unterzogen wird. CosIng, eine Datenbank mit Informationen über kosmetische Stoffe und Bestandteile, macht die Informationen über diese Stoffe leicht zugänglich. Die Gewährleistung eines hohen Niveaus bei dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der Verbrauchersicherheit setzt auch voraus, dass die zuständigen wissenschaftlichen Ausschüsse den potenziellen Gesundheitsrisiken für bestimmte Berufsgruppen (z. B. Friseure und Kosmetiker), die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit täglich Kosmetika verwenden und ihnen daher stärker ausgesetzt sind als die Durchschnittsbevölkerung, besondere Beachtung schenken. |
4. Strategien für das Wachstum in dieser Branche
|
4.1. |
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, tätigen die Hersteller ständig Innovationen, um neue Bestandteile zu finden, setzen bestehende Bestandteile für neue Anwendungen ein und schaffen stärker personalisierte Produkte. Sie können jedoch nicht isoliert arbeiten, weshalb die Europäische Kommission, die nationalen Regierungen und die Interessengruppen, insbesondere die Vertreter der Verbraucher und Arbeitnehmer, zusammenarbeiten müssen, um ein wachstumsförderndes Umfeld zu schaffen. |
|
4.2. |
Der EWSA erkennt an, dass die wichtigsten Herausforderungen für das Wachstum der Branche mit denen in den anderen Industriebranchen vergleichbar sind, und empfiehlt speziell im Hinblick auf die Körperpflegemittel- und Kosmetikindustrie Folgendes: |
|
4.2.1. |
Durch eine stärkere Konvergenz der Disziplin „Life Science Engineering“, einschließlich der Genomforschung, mit der Kosmetik- und Körperpflegemittelindustrie würde die Produktdiversifizierung stärker gefördert. Die Haut ist das größte Organ des menschlichen Körpers, doch die Unterscheidung zwischen der dermalen Anwendung von Kosmetika und Behandlungen mit Arzneimitteln geht immer stärker verloren. Bestimmten Wirkungen wie Hautreizungen, Allergien und Hautkrebs muss Rechnung getragen werden. Initiativen in Schlüsselbereichen des Gesundheitssektors, u. a. der Pharmaindustrie, Medizintechnik, Biotechnologie und den elektronischen Gesundheitsdiensten, wie z. B. „EIT Health“ (3) sind gute Beispiele für die Zusammenarbeit. Kosmetische Mittel verbessern die persönliche Hygiene, das Wohlbefinden und/oder Aspekte der Lebensweise (nicht in den Vorschriften anerkannte positive Wirkungen wie weniger Stress, Stärkung des Selbstvertrauens oder besserer Schlaf). Kosmetika sind zwar keine Arzneimittel, basieren aber auf der modernen Wissenschaft der Haut und ihrer Funktion. Die in anderen Bereichen der Biowissenschaft, insbesondere der Pharmaindustrie, erzielten Fortschritte können daher der Weiterentwicklung der kosmetischen Mittel zugutekommen. Bei der Zusammenarbeit in der Forschung sollte eine Ausrichtung auf die Individualisierung durch maßgeschneiderte „Lifestyle“- und Wellnessprodukte gefördert werden. |
|
4.2.2. |
Eine bessere Zusammenarbeit zwischen großen und kleinen Unternehmen in Verbindung mit der Entwicklung branchenspezifischer Gründerzentren (4) oder der Clusterbildung könnte die Wettbewerbsfähigkeit steigern und das Wachstum stärken. Alle kosmetischen Mittel werden vor dem Inverkehrbringen einer fachmännischen wissenschaftlichen Sicherheitsprüfung unterzogen, was für kleinere Unternehmen eine administrative und finanzielle Erschwernis bedeuten kann. Zwar sollte die Sicherheitsprüfung unbedingt beibehalten werden, doch sollten kleinere innovative Unternehmen eine Reihe von Unternehmensförderungsmaßnahmen nutzen, die in der Entwicklungsphase zwischen der Innovation bzw. Entwicklung neuer Produkte und der erfolgreichen Vermarktung des Endprodukts hilfreich sein könnten, wodurch das Risiko eines Scheiterns gesenkt wird. Diese Maßnahmen würden einen besseren Informationsaustausch dank eines Technologie- und Wissenstransfers, die Zusammenarbeit bei Investitionsmöglichkeiten, eine Kostensenkungsanalyse und den Zugang zu Finanzierungsquellen einschließen (5). Darüber hinaus sollten die Regierungen in Bezug auf die Produktion in Richtung Förderung der lokalen Produktion und Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa umdenken. |
|
4.2.3. |
Mehr Marktinformationen und die Bereitstellung von Daten seitens der Hochschulen, der Industrie und der Verbraucher werden dank eines Wissenstransfers das Wachstum stärken. Bei der Körperpflege ist eine Tendenz hin zu Bio-, natürlichen, UVB- und UVA-Sonnenschutz-, Pro-Aging und Anti-Aging-Produkten zu verzeichnen, wodurch mehr Raum für Innovationen geschaffen wird. Die Innovation im Bereich menopausespezifischer Produkte und Hautalterung bietet derzeit Entwicklungspotenzial für den Bereich Schönheitsprodukte, da eine große Zielgruppe von Menschen mit Produkten angesprochen wird, die ihnen dabei helfen sollen, möglichst gut auszusehen und sich möglichst wohl zu fühlen. In Anbetracht der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung bei der Sequenzierung des Humangenoms und der Fortschritte, die beim Verständnis seiner verschiedenen Funktionen und seiner absoluten Individualität erzielt wurden, liegt die Zukunft der Kosmetikbranche in einer hochgradigen Personalisierung der Produkte. Die Forschung und Investitionen in Bezug auf dieses Konzept in Zusammenarbeit mit medizinischen Fachkräften und Hochschulen sind ein Schlüsselfaktor für die Branche. |
|
4.2.4. |
Förderung einer stärkeren Einbeziehung der Arbeitnehmer Die Arbeitnehmer stehen bei der Produktinnovation an vorderster Front, da sie von der Entwicklung bis hin zum Kundenfeedback einen Überblick über die Branche haben. Daher ließe sich über eine verstärkte Konsultation, darunter auch die Förderung des Binnenunternehmertums, das Wachstum der Unternehmen stärken. Die Branche zeichnet sich durch vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten aus, und eine verbesserte Kommunikation hinsichtlich der für die aktuelle und künftige Entwicklung erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen wird ihre Attraktivität steigern. Die 514 000 Biowissenschaftsstudenten in Europa (6) sorgen dafür, dass neue Bereiche erforscht und Möglichkeiten für eine verstärkte branchenübergreifende Zusammenarbeit geschaffen werden. Auch hier würde eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und der Industrie dazu beitragen, ein breiteres Spektrum an Arbeitnehmern anzuziehen. |
|
4.2.5. |
Die Bereitstellung von Forschung und Entwicklung, Investitionen, FuE-Ausgaben und Sicherheitsvorkehrungen sind erforderlich, um das Wachstum zu fördern. In Erwägung zu ziehen sind öffentliche und private Finanzierungsmechanismen für Forschung und Entwicklung, Patentanmeldungen und die Entwicklung neuer Produkte mit Herstellung in der EU. |
|
4.2.6. |
Patentverletzungen und Warenfälschungen stellen im Hinblick auf die Rentabilität für große und kleine Unternehmen in der EU sowie für die Gesundheit der Verbraucher ein ernstes Risiko dar. Im Jahr 2006 entgingen der EU durch gefälschte Parfüme und Kosmetika 3,0 Mrd. EUR an Einnahmen. Ein erhöhter Schutz des geistigen Eigentums bei Marken könnte sichergestellt werden, indem auch das Herstellungsland auf dem Produkt genannt wird. |
|
4.2.7. |
Engagement für „risikoorientierte“ Vorschriften: Derzeit werden Stoffe nicht auf der Grundlage ihrer inhärenten Eigenschaften (z. B. Reizwirkung) reguliert, sondern aufgrund dessen, ob die Eigenschaft des Stoffes unter realen Anwendungsbedingungen (z. B. in einer Konzentration unterhalb der Reizschwelle) tatsächlich Auswirkungen hat. Dieses Vorgehen ist möglich, weil die Verwendung kosmetischer Mittel genau definiert ist und umfassende Risikobewertungen vorgenommen werden können. Im Unterschied hierzu werden die Rechtsvorschriften über Chemikalien (ohne definierte Anwendung) von den inhärenten Eigenschaften der „Gefährdung“ geleitet. Für die künftige Innovations- und Wachstumsfähigkeit der Industrie ist es von entscheidender Bedeutung, in den Rechtsvorschriften und der Politik der EU Gefährdung und Risiko angemessen voneinander abzugrenzen. |
|
4.2.8. |
Förderung gebietsspezifischer Bestandteile. Eine Erleichterung der Erforschung und Zertifizierung regionalspezifischer natürlicher Produkte durch geschützte geografische Angaben (7) (wie z. B. im Falle der korsischen Immortelle) würde die Förderung regionaler Produkte aus der EU ermöglichen, wodurch lokale Waren und handwerkliche Erzeugnisse stärker ins Blickfeld gerückt würden. Derzeit sind die Kosten für die Rückverfolgung von Isotopen oder die Laboranalyse von Naturprodukten für Unternehmer und KMU untragbar hoch. |
|
4.2.9. |
Verbot von Tierversuchen: Mit der Kosmetikverordnung wurden Versuche (Tierversuche für kosmetische Fertigerzeugnisse und kosmetische Bestandteile) und das Inverkehrbringen (von an Tieren getesteten kosmetischen Fertigerzeugnissen und Bestandteilen in der EU) verboten. Es besteht auch nicht der Wunsch, diese Verbote aufzuheben. Die Hersteller sind jedoch bei der Innovation, der Entwicklung neuer Produkte und den Ausfuhren mit folgenden Herausforderungen konfrontiert:
|
|
4.2.10. |
Ressourcen- und Abfallbewirtschaftung: Das Bevölkerungswachstum, der steigende Konsum und die schwindenden Ressourcen, insbesondere Wasser, sind Probleme, die im Hinblick auf einen nachhaltigen Konsum und die soziale Verantwortung der Unternehmen für Verbraucher und Unternehmen gleichermaßen von Belang sind. Die Herstellung umweltfreundlicher Produkte, bei denen der Abfall- und Ressourcenbewirtschaftung Rechnung getragen wird, bildet eine Priorität der Branche. Das Paket zur Kreislaufwirtschaft der Kommission und die von „Cosmetics Europe“ 2012 aufgestellten Leitlinien für Unternehmen, insbesondere für KMU, sind wertvolle Ansätze, aber es muss noch viel mehr getan werden, da es noch erhebliche Herausforderungen zu bewältigen gilt. Der Schutz der für die Branche erforderlichen Ressourcen geht mit dem notwendigen Schutz der biologischen Vielfalt als gemeinsames Gut der jetzigen und der künftigen Generationen einher. Das Streben nach neuen Produkten sollte nicht auf Kosten der indigenen Bevölkerung und ihres geistigen Gutes gehen. Die Verbreitung der Grundsätze des fairen Handels und der ökologischen Verhaltenskodizes unter den Branchenunternehmen ist zweckmäßig und überaus erforderlich. Nicht minder wichtig ist die Haltung der Verbraucher, die Produkte, deren Herstellung den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung zuwiderläuft, ablehnen sollten. |
|
4.2.11. |
Größere Transparenz: Für den Verbraucherschutz ist die Marktüberwachung von herausragender Bedeutung. Durch eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Verbraucherschutzbehörden, den Verbraucherverbänden, den Nutzern und Fachleuten aus dem Gesundheitswesen auf nationaler Ebene würde das Vertrauen der Verbraucher gestärkt und die Transparenz erhöht. Die Interessenträger sollten während des gesamten Prozesses der Produktentwicklung und Innovation konsultiert werden. Die Produktmeldung über das RAPEX-System versetzt die Verbraucher in die Lage, größere Sicherheit in der gesamten Lieferkette zu verlangen, ihnen zufolge sollten ernsthafte Risiken allerdings so früh wie möglich gemeldet werden. Nach Ansicht der Verbraucher ist mehr Transparenz erforderlich, um:
|
|
4.2.12. |
Möglichkeiten auf neuen Märkten, auch zur Veränderung der Einkaufsgewohnheiten der Verbraucher, wie elektronischer Handel und Direktverkauf, bieten neben dem grenzüberschreitenden Handel neue Verkaufsmodelle. Ersten Ergebnissen einer Untersuchung des elektronischen Handels zufolge verkauft die Hälfte der Unternehmen, die in der Kosmetik- und Gesundheitsbranche der EU befragt wurden, nicht ins Ausland. Zwar machen sich die Kosmetikunternehmen das digitale Zeitalter zu eigen, doch sind sie nach wie vor durch häufig landesspezifische rechtliche Anforderungen eingeschränkt: Hierunter fallen die Kennzeichnung in der Landessprache, Tierversuchsgesetze und Anforderungen hinsichtlich der Kosmetiküberwachung. |
|
4.2.13. |
Handelshemmnisse: Die EU weist bei kosmetischen Erzeugnissen einen beträchtlichen Handelsüberschuss auf, die Europäische Kommission sollte jedoch in Gremien wie z. B. der Gruppe International Cooperation on Cosmetics Regulation und in Handelsverhandlungen, bei denen die EU-Vorschriften zum internationalen Standard werden, weiterhin auf Konvergenz drängen. Schwellenländer und -regionen (ASEAN, Russland, Lateinamerika und China) orientieren sich bei der Verbrauchersicherheit nach wie vor an der Kosmetikverordnung der EU. Dies bietet den Regulierungsbehörden und der Industrie in der EU die Gelegenheit, einen Beitrag zu Regulierungssystemen in den Hauptausfuhrmärkten zu leisten, sodass sie eine weitgehende Übereinstimmung mit dem EU-System aufweisen.
|
Brüssel, den 20. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Eurostat.
(2) Quelle: Cosmetic Europe.
(3) www.eithealth.eu.
(4) http://www.biocity.co.uk/medicity/nottingham.
(5) ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 152.
(6) Euromonitor International.
(7) http://ec.europa.eu/agriculture/quality/schemes/index_en.htm.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/38 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Das Abwracken von Schiffen und die Recycling-Gesellschaft“
(Initiativstellungnahme)
(2017/C 034/06)
|
Berichterstatter: |
Martin SIECKER |
|
Ko-Berichterstatter: |
Richard ADAMS |
|
Beschluss des Plenums |
21.1.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
|
|
Initiativstellungnahme |
|
|
|
|
Zuständig |
CCMI |
|
Annahme in der Fachgruppe |
28.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
202/2/3 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Etwa 40 % der weltweiten Handelsflotte sind im Besitz von Schiffseignern aus EU-Mitgliedstaaten. Auf sie entfällt auch etwa ein Drittel der Raumzahl von Altschiffen, die am Ende der Lebensdauer in unternormigen Werften in Südasien gestrandet werden. Die EU ist der größte Markt, der Altschiffe einem gefährlichen und umweltschädlichen Abwracken zuführt. Als Heimat der größten Schiffseignergemeinschaft trägt die EU auch eine besondere Verantwortung für die Regulierung des Schiffsrecyclings. |
|
1.2. |
Der EWSA unterstreicht, dass es aus sozialer und moralischer Sicht ein Muss ist, Missbrauch in Form eines unverantwortlichen Abwrackens von Schiffen zu verhindern, indem ein System entwickelt wird, durch das bei Altschiffen ein ausreichend hoher Wert generiert wird, der die Mehrkosten eines verantwortungsvollen Recyclings ausgleichen kann. Der Großteil des Schiffsrecyclings würde wahrscheinlich weiterhin in Ländern mit niedrigen Arbeitskosten stattfinden, jedoch unter verbesserten Arbeits- und Umweltbedingungen. Gleichzeitig würde dies die Abwrackwerften der EU auch wettbewerbsfähiger machen. |
|
1.3. |
Maßnahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) haben bisher kaum Wirkung gezeigt, doch sollte weiterhin alles daran gesetzt werden, im Rahmen dieses Forums ein universal gültiges rechtsverbindliches Instrument zu erwirken. Die EU kann dabei eine einflussreiche und dynamische Rolle übernehmen. Die Suche nach einer wirksamen Lösung für das Problem des unverantwortlichen Abwrackens von Schiffen steht seit vielen Jahren auf der Tagesordnung der EU und hat bis jetzt zu der EU-Verordnung über das Recycling von Schiffen geführt, die spätestens ab dem 31. Dezember 2018 in vollem Umfang gelten wird. Eine grundlegende Schwachstelle ist jedoch, dass Schiffseigner diese Verordnung ohne Weiteres umgehen könnten, indem sie einfach zu einem Nicht-EU-Land „ausflaggen“. |
|
1.4. |
In der Verordnung fehlt ein wirtschaftliches Instrument, mit dem die Europäische Kommission die Entwicklung in die gewünschte Richtung lenken könnte. Mittlerweile liegt ein sehr ausführlicher Bericht vor, in dem ein einschlägiges, auf dem Erwerb von Lizenzen für das Recycling von Schiffen („Ship Recycling Licence“ (SRL)) beruhendes Instrument entwickelt wird. Bis Ende dieses Jahres wird die Europäische Kommission einen darauf aufbauenden Vorschlag unterbreiten, um Schiffseignern Anreize zu bieten, ihre ausgedienten Schiffe auf sozial- und umweltverträgliche Art und Weise in geprüften Anlagen innerhalb der EU demontieren zu lassen. |
|
1.5. |
Ein Vorteil des vorgeschlagenen Finanzierungsmechanismus wäre der Synergieeffekt, der sich in Verbindung mit dem bestehenden Regulierungsrahmen ergeben würde. Seine Kontrollmechanismen würden sich nicht mit den Kontrollmechanismen der EU-Verordnung über das Recycling von Schiffen überschneiden. Bestehende EU-Institutionen können die Verwaltung und Umsetzung einer derartigen Schiffsrecyclinglizenz übernehmen. Jedoch fordert der EWSA die Europäische Kommission dringend auf, zu prüfen, ob EU-Handelspartner den Vorschlag eventuell als wettbewerbswidrigen Eingriff in die Abläufe des internationalen Seeverkehrs einstufen könnten. |
|
1.6. |
Die derzeitigen schädlichen Praktiken können nur dadurch unterbunden werden, dass über das Verursacherprinzip die Verantwortung des Schiffseigners anerkannt wird und die Kosten für ein verantwortungsvolles Recycling in die Betriebskosten der Schiffe integriert werden. Die Betreiber und Nutzer von Massengut-, Güter- und Fahrgastbeförderung per Schiff stehen ebenfalls in der Pflicht. Sie müssen erstens einräumen, dass ein ernstes Problem besteht, und zweitens einen progressiven, durchsetzbaren Finanzierungsmechanismus wie die Schiffsrecyclinglizenz unterstützen, der über die IMO und mithilfe einer Informationskampagne über die EU-Grenzen hinaus weltweit an Akzeptanz gewinnen kann. |
|
1.7. |
Der EWSA unterstützt die Europäische Kommission in diesem Bestreben, das nicht nur mit der Entwicklung der EU hin zu einer Recyclinggesellschaft im Einklang steht, sondern auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, die gefährliche und umweltschädigende Schiffsabwrackindustrie in Südasien umzugestalten und ihre Verlagerung an einen anderen Standort zu verhindern. Der EWSA bestätigt das Potenzial des Hongkonger Übereinkommens, sofern darin die Grundsätze der EU-Schiffsrecycling-Verordnung berücksichtigt werden, und betont zudem, dass ein Finanzierungsinstrument erforderlich ist. Er bestärkt die EU darin, Werften weltweit technische Unterstützung anzubieten, damit sie die Anforderungen erfüllen können. |
2. Sachstand
|
2.1. |
Ohne die Schifffahrt würde die weltweite Wirtschaft nicht funktionieren. Jedes Jahr werden etwa 1 000 große Hochseeschiffe (Tanker, Container-, Fracht- und Passagierschiffe) zu Demontagezwecken verkauft. Über 70 % dieser Altschiffe enden an Stränden in Indien, Bangladesch oder Pakistan, wo gefährliche Abwrackarbeiten durchgeführt werden. Der Rest wird hauptsächlich in China und in der Türkei demontiert, wo eine für sauberere und sicherere Arbeitsvorgänge geeignete Infrastruktur besteht, sofern angemessene Verfahren angewandt werden (1). |
|
2.2. |
Die meisten ausgemusterten Schiffe werden auf inakzeptable Weise nach der so genannten Strandungsmethode (Beaching) abgewrackt, bei der Schiffe mit hoher Fahrt auf Sandstrände gefahren werden, wo sie dann von meist ungelernten Arbeitskräften (es gibt auch Berichte über Fälle von Kinderarbeit in Bangladesch) ohne wirklich geeignete Ausrüstung und ohne bzw. mit nur geringem Schutz vor den großen Mengen an dabei freigesetzten Gefahrstoffen zerlegt werden (2). |
|
2.3. |
Die Schiffsrecyclingindustrie wanderte in den 1970er Jahren, als in Europa strengere Normen für Umweltschutz und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz eingeführt wurden, nach Ostasien (China und Taiwan) ab. In den 1980er Jahren sah sich die Industrie dann auch in Ostasien mit strengeren Vorschriften konfrontiert, sodass sie sich weiter nach Südasien verlagerte. In den letzten 30 Jahren wurden in Indien 470 Todesfälle gemeldet. 2014 wurden in südasiatischen Werften 25 Tote und 50 Schwerverletzte gemeldet. 2015 verloren 16 Arbeitskräfte in Werften in Bangladesch ihr Leben. Und dieses Jahr sind dort bislang zwölf Arbeitskräfte gestorben. Weitaus mehr Arbeitskräfte ziehen sich schwere Verletzungen zu oder erkranken durch giftige Dämpfe und erleiden einen qualvollen Tod aufgrund von Krebs, der durch den Kontakt mit gefährlichen Materialien wie Asbest verursacht wird. Die Umwelt rund um diese Abwrackwerften wird durch diese Arbeiten ebenfalls schwer beeinträchtigt (3). |
3. Die Ursache des Problems: Sich der Verantwortung entziehen
|
3.1. |
Das Grundübel der Schiffsrecyclingproblematik ist, dass das Fehlen einer wirksamen internationalen Governance eine weltweite Lösung erschwert. Im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO), einer Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, wurde das Internationale Übereinkommen über das sichere und umweltverträgliche Recycling von Schiffen, das sog. Hongkonger Übereinkommen, verabschiedet, das aber noch nicht ratifiziert worden und deshalb noch nicht wirksam ist. Wie in vielen anderen Bereichen kann die EU durch die Förderung bewährter Verfahren und praktischer Lösungen einen Regelungs- und Rechtsrahmen bieten, durch den weltweit positive Ergebnisse erzielt werden können und der im Umgang mit den besonderen extraterritorialen Fragen der Schifffahrtsindustrie wirksam ist. |
|
3.2. |
Laut Völkerrecht muss jedes Handelsschiff in einem Land registriert sein. Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad) hat berichtet, dass fast 73 % der Welthandelsflotte unter fremder Flagge fährt bzw. in einem anderen Land registriert ist als dem, in dem der wirtschaftliche Eigner des Schiffs gemeldet ist. Zu den Gründen für die Beflaggung eines Schiffes außerhalb des eigenen Landes gehören Steuervermeidung sowie die Möglichkeit, die nationalen Arbeits- und Umweltvorschriften zu umgehen bzw. Besatzungen aus Ländern mit niedrigeren Lohnkosten anzuheuern. Viele dieser offenen Register werden auch als Billigflaggen (Flag of Convenience — FOC) oder Nichteinhaltungsflaggen (Flag of Non-Compliance — FONC) bezeichnet. Dabei handelt es sich um Flaggen von Ländern, die völkerrechtliche Bestimmungen nur in sehr geringem Umfang durchsetzen. Etwa 40 % aller in Südasien gestrandeten Altschiffe sind unter FOC oder FONC wie beispielsweise den Flaggen von St. Kitts und Nevis, der Komoren und von Tuvalu eingeführt worden. Während ihrer Betriebsdauer fahren Schiffe kaum unter diesen „Abwrack“-Flaggen, die Sonderermäßigungen für die letzte Fahrt sowie eine schnelle und einfache kurzfristige Registrierung ohne Anforderungen betreffend die Staatsangehörigkeit bieten. |
|
3.3. |
Nur wenige Schiffseigner haben freiwillige Maßnahmen ergriffen, um ein sauberes und sicheres Recycling ihrer ausgemusterten Schiffe zu gewährleisten. Weniger als 8 % der Schiffe, die zum Abwracken verkauft werden, fahren noch unter einer europäischen Flagge und werden dann zumeist auf sichere und nachhaltige Weise demontiert. Die meisten ausgemusterten Schiffe werden an sogenannte Barkäufer verkauft, die das Schiff an seinen Zielort in Südasien bringen. Die meisten Schiffseigner befassen sich nicht selbst mit den Recyclingeinrichtungen: Sie halten einen bequemen Abstand von der Endentsorgung und überlassen sie den Barkäufern, die auf Altschiffe spezialisiert sind und als Vermittler zwischen Schiffseignern und Abwrackwerften auftreten. Zu ihrer Dienstleistung gehören die Verbringung des Schiffs und die Bereitstellung der Besatzung für die letzte Fahrt sowie die Erledigung der erforderlichen Formalitäten und der Umgang mit den Behörden am Abwrackort. Sowohl private als auch öffentliche Schiffseigner greifen auf diese Praktiken zurück. |
|
3.4. |
Dieses Geschäft ist profitabel für:
|
|
3.5. |
Obwohl es seit 2009 freiwillige koordinierte Maßnahmen von Schiffseignern gibt, so z. B. Leitlinien für die Erstellung von Schadstofflisten und weitere Ausmusterungsmaßnahmen, war 2015 immer noch Bangladesch, das für seine Bedingungen am berüchtigtsten ist, die bevorzugte Endstation für Altschiffe (4). |
4. Bewältigung des Problems — Versuche zur Durchsetzung der Verantwortlichkeit
|
4.1. |
Die IMO nahm 2009 mit dem Hongkonger Übereinkommen ein spezifisches Instrument für die Schifffahrt an, das einen Regelungsrahmen beinhaltet, der letztlich weltweit gleiche nachhaltige Ausgangsbedingungen für das Schiffsrecycling schaffen soll. In der Realität hält dieser Anspruch einer genaueren Prüfung nicht stand. Zwar handelt es sich um einen kleinen Schritt in die richtige Richtung, doch sind die Durchführungs- und Umsetzungsbestimmungen schwach und lassen unterschiedliche Auslegungen zu, es wird keine unabhängige Zertifizierung oder Prüfung vorgeschrieben, und Beaching ist in der Praxis weiterhin zulässig. |
|
4.2. |
Das Hongkonger Übereinkommen tritt erst 24 Monate nach der Ratifizierung durch 15 Staaten in Kraft, auf die 40 % der Welthandelstonnage entfallen und deren jährliche Schiffsrecyclingkapazitäten nicht weniger als 3 % der Welthandelstonnage betragen. Bislang haben erst fünf Länder, darunter Panama als einziger großer Flaggenstaat, das Hongkonger Übereinkommen ratifiziert, wobei keines von ihnen die Anforderungen im Hinblick auf die Schiffsrecyclingkapazität erfüllt, damit das Übereinkommen in Kraft treten kann. Ein Inkrafttreten des Übereinkommens steht deshalb in naher Zukunft nicht zu erwarten. |
|
4.3. |
Eine weitere Initiative der IMO, einen Internationalen Treuhandfonds für Schiffsrecycling (International Ship Recycling Trust Fund, ISRT) zu errichten, hat keine internationale Unterstützung gefunden. Die IMO kann zwar in einigen Bereichen der Seeschifffahrt auf erfolgreiche Reformmaßnahmen zurückblicken, nicht jedoch bei der Abwrackung von Schiffen. Die Schiffsrecyclingindustrie tendiert dazu, sich in Ländern mit geringen Arbeitskosten sowie niedrigen und auch nicht durchgesetzten Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsstandards niederzulassen bzw. dorthin abzuwandern. Die zweifelhaften Praktiken der betreffenden Länder können nur dadurch verhindert werden, dass für jedes einzelne Schiff erhebliche zweckgebundene Geldmittel in einen unabhängigen Fonds eingezahlt werden, die nach einem verantwortungsvollen Recycling des Schiffs rückforderbar sind. Die Schifffahrt ist eine weltweite Industrie, wohingegen das Abwracken von Schiffen, das für 70 % aller ausgemusterten Schiffe an drei Stränden in Südasien erfolgt, ein regionaler Skandal ist und eine wirksame Lösung erfordert. |
|
4.4. |
Innerhalb der EU werden ausgemusterte Schiffe als gefährliche Abfälle angesehen und fallen in den Anwendungsbereich des Basler Übereinkommens, in dem sämtliche Arten der Verbringung gefährlicher Abfälle geregelt werden und das auf EU-Ebene im Wege der Abfallverbringungsverordnung umgesetzt wird. Dadurch hätte theoretisch verhindert werden müssen, dass Schiffe in EU-Eigentum auf unverantwortliche Weise entsorgt werden. Die Vorschriften des Übereinkommens und der Abfallverbringungsverordnung werden von Schiffseignern auch systematisch umgangen, indem sie Schiffe, die sich dem Ende ihrer Lebensdauer nähern, an Barkäufer verkaufen, sobald diese Schiffe die EU-Gewässer für ihre letzte Fahrt verlassen. Nach Inkrafttreten der EU-Schiffsrecycling-Verordnung in der EU werden ausgemusterte Schiffe, die unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaats fahren, jedoch ab 2019 von der Anwendung der EU-Abfallverbringungsverordnung sowie des Basler Übereinkommens, in dem sämtliche Arten der Verbringung gefährlicher Abfälle geregelt werden, ausgenommen. |
|
4.5. |
Nach einer Analyse kamen die EU und ihre Mitgliedstaaten zu dem Schluss, dass das Hongkonger und das Basler Übereinkommen offenbar einen gleichwertigen Grad an Kontrolle und Durchsetzung in Bezug auf Schiffe, die als Abfall eingestuft werden, bieten. NRO auf der ganzen Welt, der UNO-Sonderberichterstatter zu der Bedeutung der umweltgerechten Verwaltung und Entsorgung von gefährlichen Stoffen und Abfällen für die Menschenrechte, das Europäische Parlament und der EWSA haben angeprangert, dass das Hongkonger Übereinkommen keine echten Lösungen bietet. |
|
4.6. |
Die Suche nach einer wirksamen Lösung steht seit vielen Jahren auf der Tagesordnung der EU. Im Jahr 2007 legte die Europäische Kommission ein Grünbuch (5) zu dem Thema vor, 2008 eine Mitteilung (6) und 2012 schließlich den Vorschlag für die Verordnung über das Recycling von Schiffen (7). Die Verordnung trat am 30. Dezember 2013 in Kraft, wird allerdings erst ab 31. Dezember 2018 in vollem Umfang gelten. Mit der Verordnung wird eine Reihe von Anforderungen des Hongkonger Übereinkommens zu einem früheren Zeitpunkt in Kraft gesetzt. Darüber hinaus wird darin eine europäische Liste von zugelassenen Abwrackwerften aufgestellt, in denen Schiffe unter EU-Flagge zu verschrotten sind. Diese Einrichtungen müssen von einer unabhängigen Stelle zertifiziert und geprüft werden. Die Schiffsrecycling-Verordnung geht ferner über das Hongkonger Übereinkommen hinaus, indem strengere Normen für Recyclingeinrichtungen festgelegt und die nachgelagerte Abfallbehandlung sowie die Arbeitsrechte berücksichtigt werden. |
|
4.7. |
Die Schiffsrecycling-Verordnung ist jedoch im Vergleich zu dem vorausgegangenen Grünbuch und der Mitteilung zum gleichen Thema eher zahnlos. In diesen beiden Dokumenten wurde die Problematik des Schiffsrecyclings in Südasien präzise analysiert, und die Europäische Kommission brachte darin ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass entschlossene Maßnahmen erforderlich sind, um gegen die Missstände in diesen Ländern vorzugehen. Die in der Schiffsrecycling-Verordnung vorgesehenen Maßnahmen bieten jedoch keine Lösung dafür. Zwar werden in der Verordnung hohe Anforderungen an Abwrackeinrichtungen für Schiffe gestellt, durch die die unternormige Strandungsmethode effektiv ausgeschlossen wird, doch ist es für Schiffseigner sehr einfach, diese Anforderungen durch die Übertragung des Eigentums oder ein einfaches Ausflaggen zu einem Nicht-EU-Land zu umgehen. Der EWSA gelangte seinerzeit zu dem Schluss, dass offensichtlich der politische Wille fehlte, die Schifffahrtsbranche in die Verantwortung zu nehmen, und dass ein besserer, kreativerer und mutigerer Vorschlag mit mehr Initiativen und ebenso großer Zielstrebigkeit wie die vorausgegangenen Kommissionsvorlagen angezeigt gewesen wäre (8). |
5. Ein wirksamerer Ansatz
|
5.1. |
In der Verordnung fehlt ein wirtschaftliches Instrument, mit dem die Europäische Kommission die Entwicklung in die gewünschte Richtung lenken könnte. Die grundlegende Schwachstelle, dass Schiffseigner die EU-Verordnung über das Recycling von Schiffen einfach umgehen können, indem sie zu einem Nicht-EU-Land ausflaggen, wurde 2012 von der Europäischen Kommission in dem ursprünglichen Verordnungsvorschlag berücksichtigt, der eine Bestimmung zur Verantwortung des vorletzten Schiffseigners enthielt. Während diese Bestimmung in den trilateralen Verhandlungen abgelehnt wurde, stellte das Europäische Parlament sicher, dass ein Artikel in die Verordnung aufgenommen wurde, durch den die Europäische Kommission aufgefordert wurde, mögliche alternative Finanzierungsmechanismen zu prüfen. |
|
5.2. |
Im Juni 2016 veröffentlichte die Europäische Kommission eine neue, von Ecorys, DNV-GL und der Erasmus-Universität Rotterdam durchgeführte Studie, in der als Finanzierungsinstrument eine Schiffsrecyclinglizenz (Ship Recycling Licence, SRL) vorgeschlagen wird, um den Schiffseigern einen Anreiz zu geben, endlich ihre Verantwortung für ein umweltgerechtes und sicheres Abwracken ihrer Schiffe zu übernehmen. |
|
5.3. |
Über die Schiffsrecyclinglizenz würden für jedes Schiff zweckgebundene Geldmittel in einen speziellen Fonds eingezahlt, der von einem großen Finanzinstitut treuhänderisch verwaltet wird, um durch Kapitalaufbau ein sicheres und nachhaltiges Recycling zu finanzieren. Die Höhe des Lizenzentgelts würde anhand der kombinierten Berücksichtigung von Raumzahl, Beförderungsart, Häufigkeit des Anlaufens von EU-Häfen, Ökoeffektivität und der an Bord befindlichen Gefahrstoffe bestimmt. Das Kapital würde durch die Schiffseigner gebildet, die jedes Mal, wenn eines ihrer Schiffe einen EU-Hafen anläuft, eine bestimmte Abgabe für einen an das betreffende Schiff gebundenen Fonds entrichten würden. |
|
5.4. |
Nach der Ausmusterung könnten diese Mittel ausgezahlt werden, wenn das Recycling des Schiffes tatsächlich in einer Werft mit EU-Zulassung vorgenommen wurde, und so die Einnahmeverluste aufgrund der Entscheidung für ein verantwortungsvolles Abwracken ausgleichen. Ende des Jahres wird die Europäische Kommission einen formellen Standpunkt zu dieser Studie vorlegen. |
|
5.5. |
Ein bedeutender Vorteil des vorgeschlagenen Finanzierungsmechanismus wäre der Synergieeffekt, der sich in Verbindung mit dem bestehenden Regulierungsrahmen ergeben würde. Insbesondere die Kontrollmechanismen im Rahmen des vorgeschlagenen Finanzierungsmechanismus wären sehr gut mit den bestehenden Kontrollmechanismen im Rahmen der Schiffsrecycling-Verordnung vereinbar, wie etwa mit der Vor-Ort-Kontrolle von Schiffsrecyclingunternehmen vor und nach ihrer Aufnahme in die europäische Liste. Die Lizenzen könnten ebenfalls auf die Liste der Zertifikate gesetzt werden, die im Rahmen von bereits bestehenden Pflichten regelmäßig von der Hafenstaatkontrolle zu überprüfen sind. Ebenso scheint die bereits bestehende Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) am besten für die Ausführung der Inspektionsaufgaben und Erteilung der Lizenzen geeignet, während eines der europäischen Finanzinstitute wie die Europäische Investitionsbank (EIB) oder der Europäische Investitionsfonds (EIF) am besten in der Lage sein dürfte, die Einkünfte aus einer möglichen Schiffsrecyclinglizenz zu verwalten. Der EWSA fordert die Europäische Kommission dringend auf, zu prüfen, ob EU-Handelspartner den Vorschlag eventuell als wettbewerbswidrigen Eingriff in die Abläufe des internationalen Seeverkehrs einstufen könnten. |
|
5.6. |
Ein solcher Fonds würde den Vorschlag des EWSA zur Förderung einer breiteren und tragfähigeren Schiffsrecyclingindustrie in Europa untermauern. Die EU verfügt über ausreichende Kapazitäten, die nicht mehr für Schiffsbau und -reparatur gebraucht werden, aber für das Abwracken und Recyceln von Schiffen geeignet sind. Das schließt wiederum sehr gut an das Ziel der EU an, sich zu einer nachhaltigen Recyclinggesellschaft mit einer Kreislaufwirtschaft zu entwickeln, in der Abfall in einem ausgeklügelten und engmaschigen Recyclingnetz wieder zu Rohstoff umgewandelt wird. Angesichts abwechselnd schwankender und stetig steigender Rohstoffpreise sowie hoher Arbeitslosigkeit in vielen EU-Mitgliedstaaten und der Tatsache, dass eine Reihe von Bohrinseln in EU-Gewässern das Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer erreicht, könnte sich dies für Europa insgesamt als ausgesprochen vorteilhaft erweisen. Außerdem könnte der Aufbau einer Recyclingindustrie für Altschiffe eine Chance für die Entwicklung von Küstenregionen und die Ausbildung sowohl junger Menschen als auch Arbeitsloser im Hinblick auf den neuen Kompetenzbedarf bieten. |
|
5.7. |
Am 12. April 2016 veröffentlichte die Kommission technische Leitlinien für Abwrackeinrichtungen, die eine Zulassung gemäß der Verordnung über das Recycling von Schiffen beantragen. Einrichtungen, die in die Liste der Einrichtungen mit EU-Zulassung aufgenommen werden möchten, müssen gesunde und sichere Arbeitsbedingungen, Umweltschutz — einschließlich einer ordnungsgemäßen nachgelagerten Abfallbehandlung — und die Umsetzung internationaler Arbeitnehmerrechte gewährleisten. Einrichtungen innerhalb und außerhalb der EU können einen Antrag auf Aufnahme in die Liste stellen. Neben Einrichtungen der EU werden sehr wahrscheinlich die besseren Werften in China und in der Türkei auf der Liste vertreten sein, die bis Ende dieses Jahres veröffentlicht wird. Recyclingeinrichtungen, die die Strandungsmethode anwenden, haben sich bereits um die Aufnahme auf die Liste beworben. Der EWSA ist wie das Europäische Parlament und die Europäische Kommission der Meinung, dass die Anwendung der derzeitigen Strandungsmethode eine Aufnahme in die EU-Liste unmöglich machen sollte. |
|
5.8. |
Wenn Europa möchte, dass seine Schiffe auf verantwortungsvolle Weise abgewrackt werden, sollte es sinnvollerweise auch dafür sorgen, dass die damit verbundenen Kosten in die Betriebskosten des Schiffs integriert werden. In einer Marktwirtschaft gibt es nichts umsonst, alles hat seinen Preis. Im Falle des verantwortungsvollen Schiffsabwrackens wird dieser Preis mit Geld bezahlt. Im Falle des unverantwortlichen Schiffsabwrackens hingegen wird er in anderer „Währung“ beglichen, beispielsweise in Form von Umweltzerstörung vor Ort und in Menschenleben. Da die EU diese Werte nicht als gesetzliches Zahlungsmittel anerkennen möchte, sollte sie sie auch nicht als legitime Währung im Zahlungsverkehr mit Entwicklungsländern außerhalb Europas billigen. |
|
5.9. |
In Zeiten von Überkapazitäten und geringen Gewinnen in der Industrie gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass sich die Mehrheit der Schiffseigner gegen Maßnahmen sträubt, die zu einer höheren Belastung führen. Indes werden die Folgen für Schiffseigner gering sein. Damit 42 % der Schiffseigner ihr Verhalten ändern, sind Maßnahmen erforderlich, die Schätzungen zufolge die Betriebskosten von kleineren Schiffen um 0,5 % und von Schiffen der größten Kategorien um ca. 2 % erhöhen. Werden die Lizenzentgeltsätze erhöht und/oder der Zeitraum der Kapitalakkumulation verkürzt, dann werden bis zu 68 % der Altschiffe für nachhaltiges Schiffsrecycling verkauft werden. Langfristig dürften dem Bericht zufolge bis zu 97 % der Schiffe, die die Häfen der Europäischen Union anlaufen, ausreichende Mittel ansammeln können, um den Verlust durch umweltgerechtes Recycling wettzumachen (9). |
|
5.10. |
Indes muss erwiesen sein, dass die Einnahmen des Fonds in Form der SRL-Entgelte die Mehrkosten für verantwortungsvolles Recycling decken können und dass das SRL-Entgelt von allen Schiffsbetreibern, die EU-Häfen anlaufen, gleichermaßen zu entrichten ist. Allerdings kann eine regionale (europäische) Maßnahme wie die EU-SRL ohne Mitarbeit der Schiffseigner und der IMO nicht wirklich weltweit umgesetzt werden. Ein EU-Finanzierungsinstrument, das auf jedes Schiff angewendet wird, das einen EU-Hafen anläuft, könnte durchaus den Weg für die auf internationaler Ebene benötigte Lösung bereiten, die durch die IMO aufgegriffen werden könnte. Regierungen von Mitgliedstaaten, in denen große Flottenbesitzer ansässig sind, müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, um einschlägige Rechtsvorschriften im Einklang mit Betrugsbekämpfungsmaßnahmen und WTO-Leitlinien durchzusetzen. |
|
5.11. |
Der politische Wille kann auch durch eine fundierte öffentliche Meinung angestoßen und gefördert werden. Die öffentliche Bekanntmachung der skandalösen Bedingungen in den meisten südasiatischen Recyclingeinrichtungen zeigt eine gewisse Wirkung, aber aktuell besteht für besorgte Bürger keine Möglichkeit, durch ihr Kaufverhalten oder den Boykott der einschlägigen Schiffsdienste direkt auf die Schifffahrt Einfluss zu nehmen. Dies muss geändert werden, indem große Unternehmen, die Seefrachtdienste nutzen, ermutigt werden, zu fordern, dass ihre Waren auf Schiffen befördert werden, für deren Ausmusterung verantwortungsvolle und unwiderrufliche Vorkehrungen getroffen wurden. |
|
5.12. |
Wie in vielen anderen Bereichen kann sich die EU durch die Förderung bewährter Verfahren und praktischer Lösungen einbringen und einen unterstützenden Regelungsrahmen bieten, der weltweit zu positiven Ergebnisse beitragen kann und für einen wirksamen Umgang mit der spezifischen extraterritorialen Problematik der Schifffahrtindustrie geeignet ist. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) 2015 List of all ships dismantled worldwide.
(2) Shipbreaking Practices in Bangladesh, India and Pakistan; Video von National Geographic: Wo Schiffe sterben, riskieren die Arbeiter ihr Leben (2014).
(3) NGO Shipbreaking Platform.
(4) EU SRR Shipping Industry Guidelines on Transitional Measures for Ship owners Selling Ships for Recycling, 2nd edition, January 2016.
(5) Grünbuch KOM(2007) 269 endg.
(6) KOM(2008) 767 endg.
(7) Verordnung (EU) Nr. 1257/2013, ABl. L 330 vom 10.12.2013, S. 1.
(8) ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 158.
(9) S. 83, Tabelle 4.2.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/44 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bürgerenergie und Energiegenossenschaften — Chancen und Herausforderungen in den EU-Mitgliedstaaten“
(Initiativstellungnahme)
(2017/C 034/07)
|
Berichterstatter: |
Janusz PIETKIEWICZ |
|
Beschluss des Plenums |
21.1.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
|
|
Initiativstellungnahme |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
6.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
225/4/3 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass die allgemeine Entwicklung der dezentralen Bürgerenergieerzeugung einen wichtigen und dauerhaften Bestandteil der Energiepolitik der Europäischen Union bilden sollte. Eine solche Lösung ist zweckmäßig und könnte sich im Hinblick auf die Energiesicherheit und in umweltbezogener und sozialer Hinsicht sogar als unerlässlich erweisen. |
|
1.2. |
Der Anteil der Bürgerenergieerzeugung an der allgemeinen Energieerzeugung sollte den Besonderheiten der einzelnen Mitgliedstaaten entsprechen. Deshalb schlägt der EWSA vor, dass die Europäische Kommission einen allgemeinen Rahmen für die Bürgerenergieerzeugung erarbeitet, während die einzelnen Regelungen in diesem Bereich unter die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fallen sollten. |
|
1.3. |
Für die Bürgerenergieerzeugung, die unabhängig von den klimatischen Gegebenheiten eines Gebiets möglich ist, eignet sich eine breite Palette an erneuerbaren Energiequellen. |
|
1.4. |
Das Auftreten der Prosumenten auf dem Markt wurde ermöglicht durch neue Technologien, die digitale Revolution und die Erwartungen der Verbraucher, die unmittelbar an wirtschaftlichen Prozessen teilhaben wollen. |
|
1.5. |
Zum besseren Verständnis des Begriffs „Prosument“ in den Mitgliedstaaten schlägt der EWSA der Kommission vor, eine Rahmendefinition von Prosument festzulegen, die gemeinsame allgemeine Aspekte wie Größe der Anlage, Individual- und Gemeinschaftsenergieerzeugung, Anlageneigentum oder die Frage der überschüssigen Energie umfasst. |
|
1.6. |
Prosument werden kann jeder unabhängig von den Eigentumsrechten an der jeweiligen Immobilie, Anlage oder Ausrüstung. So kann beispielsweise sowohl der Eigentümer eines Einfamilienhauses als auch der Mieter einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus Prosument sein. |
|
1.7. |
Die aus der Bürgerenergieerzeugung entstehenden wirtschaftlichen Vorteile — insbesondere niedrigere Energieübertragungskosten, eine bessere Nutzung lokaler Energiequellen und die berufliche Aktivierung der örtlichen Bevölkerung — sollten mittelfristig dazu führen, dass diese Art von Energieerzeugung ohne zusätzliche Fördermechanismen auskommt. |
|
1.8. |
Die sich aus einem bewussteren und aktiveren Verbrauch ergebenden Einsparungen und gesellschaftlichen Vorteile, die dezentrale Nutzung erneuerbarer Energiequellen, die geringeren Netzverluste und die im Zuge der Zusammenarbeit entstehende Effizienz können schnell zu guten Erträgen des in Bürgerenergieanlagen, Industrieentwicklung, Versorgungsleitungen und lokale Netze, deren Verwaltungssysteme und die Entwicklung der Energiespeicherung investierten Kapitals führen. |
|
1.9. |
Systeme der Förderung von Prosumenten dürfen keinesfalls den Wettbewerb auf dem Energiemarkt verzerren oder andere Akteure verdrängen. Vielmehr muss bei solchen Systemen berücksichtigt werden, dass es auf diesem Markt Energieverbraucher gibt, die keine Prosumenten sein können oder sein wollen. |
|
1.10. |
Finanzielle Lösungen, die sich auf das Prosumentenverhalten auswirken können, wie beispielsweise Steuern, Tarife und sonstige Gebühren, sollten prosumentenfreundlich sein. Auf keinen Fall sollten sie zur Diskriminierung von Prosumenten auf dem Energiemarkt führen. |
|
1.11. |
Die Grundlage für eine dynamische Entwicklung der Bürgerenergie ist die Schaffung guter, partnerschaftlicher Beziehungen zwischen Prosumenten, anderen Energieerzeugern und Unternehmen, die für die Stromübertragung und -verteilung sorgen. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die gewährleisten, dass der Ausbau der Bürgerenergieerzeugung Vorteile für alle Akteure auf dem Energiemarkt bringt. Der EWSA empfiehlt der Kommission, mit Blick auf die Erarbeitung von Lösungen in diesem Bereich entsprechende Untersuchungen durchzuführen. |
|
1.12. |
Erforderlich sind Lösungen, die Prosumenten vor Monopolpraktiken von Stromübertragungs- und -verteilungsunternehmen sowie von großen Energieerzeugern schützen. |
|
1.13. |
Im Allgemeinen erzeugen Prosumenten Energie für den Eigenbedarf (für sich selbst oder eine Gruppe von Bürgern, Haushalten, landwirtschaftlichen Betrieben, Kleinunternehmen). Eine präzise Anpassung der Anlagenleistung an den eigenen Energiebedarf ist nicht möglich. Daher ist es wichtig, eine Lösung für das Problem der Energieüberschüsse zu finden. Diese Frage wird umso bedeutsamer, wenn wir die Prosumenten zur Energieeinsparung bewegen wollen — was wir stets tun sollten. |
|
1.14. |
Die Optimierung des Energieverbrauchs durch Prosumenten sollte durch Systeme der intelligenten Lebensweise (smart living) unterstützt werden. Der EWSA spricht sich dafür aus, dies im Rahmen der von der Europäischen Kommission konzipierten Systemlösungen zu berücksichtigen. |
|
1.15. |
In Anbetracht der geringen Menge an erzeugter Bürgerenergie sollte der Zugang der Prosumenten zum Netz nicht beschränkt werden. |
|
1.16. |
Der Ausbau der Bürgerenergieerzeugung erfordert eine entsprechende Anpassung und Funktionsweise der Verteilungs- und Übertragungsnetze. Die Prosumenten müssen sich an den hiermit zusammenhängenden Kosten beteiligen, wobei jedoch transparente Regeln für diese Kostenbeteiligung festzulegen sind. |
|
1.17. |
Eine unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung der Bürgerenergieerzeugung ist der gleichzeitige Ausbau der örtlichen intelligenten Netze. Die allgemeine Einführung intelligenter Verbrauchszähler gehört nach Auffassung des EWSA zur Netzinfrastruktur, weshalb die Kosten nicht unmittelbar den Verbrauchern aufgebürdet werden dürfen. Der EWSA verweist auf den notwendigen Schutz der erhobenen Daten. |
|
1.18. |
Die sich aus der Bürgerenergieerzeugung ergebenden Vorteile werden im Zuge der Entwicklung kleiner Energiespeicher rasch zunehmen. Der Ausschuss schlägt vor, die wissenschaftlichen Forschungsarbeiten weiterhin auf die Optimierung der bestehenden und die Suche nach neuen Energiespeichertechniken auszurichten. |
|
1.19. |
Eine der Möglichkeiten für eine intensivere Entwicklung der Bürgerenergieerzeugung ist die Schaffung von Energiegenossenschaften oder anderer Formen des Zusammenschlusses von Prosumenten. In einer Gruppe sind Prosumenten effektiver. Sie tragen u. a. zu niedrigeren Stromerzeugungskosten bei, stärken ihre Position auf dem Energiemarkt und sind direkt an der Verbesserung der lokalen Energieversorgungssicherheit beteiligt. |
|
1.20. |
Eine Prosumentengruppe kann die eigene Energieerzeugung besser dem Energiebedarf anpassen. Dies ermöglicht weitere Einsparungen bei der Energieübertragung und bedeutet niedrigere Energiekosten für die Gruppenmitglieder. Dank geringerer Angebots- und Nachfrageschwankungen ist eine Prosumentengruppe für das Verteilungs- und Übertragungsnetz besser als einzelne Prosumenten. |
|
1.21. |
Der EWSA schlägt der Europäischen Kommission vor, in ihren Maßnahmen zur Förderung von Niedrigstenergiegebäuden auf die große Bedeutung der Entwicklung der Bürgerenergieerzeugung hinzuweisen. |
|
1.22. |
Der Ausschuss schlägt der Kommission vor, Fragen der Bürgerenergieerzeugung in den laufenden Initiativen zur Neugestaltung des Strommarkts und zur Überarbeitung des Legislativpakets zu Energie aus erneuerbaren Quellen zu berücksichtigen. |
|
1.23. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die sich aus der Bürgerenergieerzeugung ergebenden Vorteile bei der aktiven Politik zur Verringerung der Energiearmut und zum Schutz der schwächsten Gruppen der Gesellschaft sowie bei der Lösung der Probleme im Zusammenhang mit der Seniorenwirtschaft („silver economy“) und der alternden Bevölkerung eine Rolle spielen sollten. In diesem Zusammenhang wird die Mitwirkung der zivilgesellschaftlichen Organisationen von entscheidender Bedeutung sein. |
|
1.24. |
Die umfassende Entwicklung der Bürgerenergieerzeugung bietet auch Chancen für die Ankurbelung des lokalen Unternehmertums, wodurch neue Arbeitsplätze im Bereich der Herstellung bzw. Erbringung der erforderlichen Ausrüstung und Dienstleistungen entstehen können. |
|
1.25. |
Einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Bürgerenergieerzeugung hat das diesbezügliche Engagement der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften. Der EWSA schlägt der Kommission vor, diesen Aspekt im Rahmen des Bürgermeisterkonvents zu thematisieren. |
|
1.26. |
In Anbetracht der Entwicklungsunterschiede bei der Bürgerenergieerzeugung in den einzelnen Mitgliedstaaten sollten verschiedene Formen des Erfahrungsaustauschs auf den Weg gebracht werden. Der Ausschuss regt an, dass die Kommission die Entwicklung der Bürgerenergieerzeugung in den Mitgliedstaaten als Teil der jährlichen Berichterstattung über die Energieunion mitverfolgt. Die erhobenen Daten werden für die Maßnahmen der Mitgliedstaaten von großem Nutzen sein. |
|
1.27. |
Die allgemeine Einführung der Bürgerenergieerzeugung ist ein komplexer, vielschichtiger und langwieriger Prozess. Deshalb sind für die Förderung der Entwicklung der Bürgerenergieerzeugung langfristig stabile Lösungen von großer Bedeutung. |
2. Hintergrund
|
2.1. |
Der Zugang zu Energie, die Energieversorgungssicherheit und eine die Bedürfnisse der einzelnen Gesellschaftsgruppen und von Verbrauchern in prekärer Lage berücksichtigende Preispolitik sind grundlegende Herausforderungen für jede Gesellschaft und jede politische Verwaltung sowie für die einzelnen Verbraucher. |
|
2.2. |
Bis in die jüngere Vergangenheit konnte die Menschheit Energie nicht anders als durch Verbrennung gewinnen, mit Ausnahme vielleicht der Nutzung von Wasserenergie. Der technische Fortschritt ermöglichte es, ohne Verbrennung in großem Umfang Energie zu erzeugen. Der Mensch kann heute Energie in sauberster Form, nämlich aus Sonnenlicht, gewinnen, ohne die Umwelt zu belasten. Diese Energiequelle ist zudem kostenlos und unerschöpflich, lediglich die technischen Anlagen erfordern Investitionen. |
|
2.3. |
Ebenso effektiv ist die Stromerzeugung aus Windenergie, also durch Nutzung der gleichen Energiequelle — der die Erde unterschiedlich erwärmenden und damit Luftströme erzeugenden Sonne. Das Gleiche gilt für Biomasse, die im Wesentlichen durch den Prozess der Photosynthese aufgebaut wird. |
|
2.4. |
Zur Entwicklung der erneuerbaren Energien gibt es keine Alternative. Die Gründe dafür sind die beschränkte Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe aufgrund des steigenden Verbrauchs, die Abhängigkeit vieler Länder vom Energieimport, die globale Klimaerwärmung und die Luftverschmutzung. Europa, und damit die Mehrheit der wichtigsten Volkswirtschaften, investiert daher zunehmend in erneuerbare Energien. |
|
2.5. |
Im Jahr 1992 einigten sich die Teilnehmerstaaten des Erdgipfels von Rio de Janeiro auf grundsätzliche Prinzipien für die Sozial- und Wirtschaftspolitik, die den Umweltschutz zum verpflichtenden Ziel machten, unter anderem durch die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (VN). |
|
2.6. |
Im September 2015 verabschiedete die VN-Generalversammlung Ziele für nachhaltige Entwicklung. Eines davon betrifft den Zugang zu erneuerbarer Energie für alle (Ziel Nr. 7). Gegenwärtig haben 1,2 Mrd. Menschen auf der Welt keinen Zugang zu Elektrizität. |
|
2.7. |
Über 120 Mio. Bürgerinnen und Bürger der EU sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. 10 % der Europäerinnen und Europäer leben in Haushalten, in denen niemand einen Arbeitsplatz hat, und die Zahl der Obdachlosen steigt. Diese Zahlen geben zugleich Aufschluss über die Energiearmut. |
|
2.8. |
In den Zivilgesellschaften ist die Unterstützung für erneuerbare Energien sehr groß. Das belegen die Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015 sowie die Erklärungen zum Klimawandel der Religionsführer des Islam, Hinduismus und Buddhismus. Diese riefen ihre Glaubensgemeinschaften auf, sich für eine emissionsfreie Zukunft bzw. für eine drastische Senkung der Emissionen einzusetzen. |
|
2.9. |
Auf der COP 21-Klimakonferenz der Vereinten Nationen im Jahr 2015 in Paris, an der ca. 200 Länder teilnahmen, wurde die notwendige Abkehr von fossilen Brennstoffen bekräftigt. Als vorrangiges Ziel wurde in diesem Zusammenhang formuliert, den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 oC gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten und weiterhin Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 oC zu begrenzen. |
3. Digitale Revolution. Impuls für die Entwicklung der Bürgerenergieerzeugung
|
3.1. |
In den letzten 50 Jahren ist die Weltbevölkerung um das Dreifache gestiegen. Die Fragilität des globalen Finanzsystems hat die Gefahr einer langfristigen Stagnation der Weltwirtschaft heraufbeschworen. Eine hohe Arbeitslosigkeit und steigende Energiekosten haben in vielen Ländern zu Instabilität geführt, die Betriebskosten für Unternehmen sind gestiegen, und die Verbraucher wurden zusätzlich belastet. |
|
3.2. |
Die Welt steht vor der Notwendigkeit eines wirtschaftlichen Paradigmenwechsels und einer Transformation von Wirtschaftsmodellen, die auch Anpassungen der Gesellschaften erfordern. Dank der weltweiten digitalen Revolution und des Internets der Dinge verfügen wir über Instrumente eines neuen Systems. |
|
3.3. |
Bis zum Jahr 2020 werden über 50 Mrd. Geräte ans Internet angeschlossen sein, also sieben Mal mehr als die Weltbevölkerung. Das Smartphone, und nicht etwa der PC, ist bereits heute das wichtigste Mittel für die Kommunikation mit der Welt. Im Jahr 2020 werden etwa 6,1 Mrd. Smartphones auf dem Markt sein. |
|
3.4. |
Das Internet der Dinge öffnet Millionen von Menschen den Weg zur Teilnahme an sozialen Netzwerken. Zunehmend anerkannt ist das Modell der Wirtschaft des Teilens (sharing economy), das besser der Organisation der Gesellschaft angepasst ist und auf sozialen Zusammenhalt zielt. In der Wirtschaft verlieren hierarchisch gesteuerte, zentralisierte Organisationen allmählich zugunsten der Idee des Teilens an Bedeutung, wodurch viele gesellschaftliche Randgruppen die Chance erhalten, aktiv am Wirtschaftsleben teilzunehmen. |
|
3.5. |
Dank Online-Plattformen können aus Verbrauchern Produzenten werden, die Informationen und, mithilfe von 3D-Druckern, Produkte erzeugen und selbst verbreiten. Solche Plattformen ermöglichen das Teilen von Autos, Häusern, Kleidung und anderen Dingen. Der Verbraucher/Produzent kann selbst Schulungen im Internet anbieten, ärztlichen Rat suchen oder einen Handwerker für eine Renovierung bei sich zu Hause finden. In der Sozialwirtschaft tätige Unternehmer können statt auf einen herkömmlichen Bankkredit auf Crowdfunding zurückgreifen und so ihre Wirtschaftstätigkeit in der neuen, auf dem Prinzip des Teilens aufbauenden Wirtschaft finanzieren. |
|
3.6. |
In der Welt der digitalen Möglichkeiten ist soziales Kapital ebenso wichtig wie Geldkapital. Der Zugang ist wichtiger als das Eigentum. An die Stelle des „Tauschwerts“ auf den kapitalistischen Märkten tritt immer häufiger der „Wert des Teilens“ in der kooperativen Gemeinschaft. |
|
3.7. |
Die Entwicklung der Digitaltechnik und neue Wirtschaftsmodelle im Energiesektor, unter anderem das Modell der dezentralen Stromerzeugung, lassen ländliche Gebiete, Vorstädte von Ballungszentren, Einfamilienhaussiedlungen, Mieter- und Eigentümergemeinschaften einzelner Häuser und Wohngenossenschaften als gigantische Kraftwerke mit großem Potenzial erscheinen. Diese dezentralen Quellen schaffen eine neue Doktrin der Energieversorgungssicherheit, die dem Bottom-up-Prinzip folgt und sich auf den Privathaushalt, den Bauernhof, den Kleinbetrieb oder die Mikrogenossenschaft stützt. |
|
3.8. |
Im Energiesektor ermöglicht das Internet im Rahmen der Wirtschaft des Teilens Millionen Menschen, die in ihren Häusern und Bürohäusern oder auf Dächern von Geschäften Strom erzeugen und ihn danach mithilfe des „Internets der Energie“ teilen, die Teilnahme an sozialen Netzwerken, so wie wir heute im Netz Informationen erzeugen und tauschen. Die Bausteine dieses Systems, die es noch deutlich weiterzuentwickeln gilt, sind das Speichern von Energie, die „Internetisierung“ der Stromnetze sowie Elektroautos. |
4. Auf dem Weg zu erneuerbaren und dezentralen Energiequellen
|
4.1. |
Die Erzeugung sauberer Energie als Ergänzung des bestehenden Marktes und der Ersatz fossiler Energieträger erfordern einen Umbau der Energiesysteme und die Einführung von Regeln über die Teilnahme der neuen Akteure auf diesem Markt. |
|
4.2. |
Nach dem Vertrag von Lissabon (Artikel 2 Absatz 3) ist ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Partner aus der Zivilgesellschaft, und die gesellschaftliche Akzeptanz der Transformation der Energiesysteme, insbesondere auf lokaler Ebene, ist von zentraler Bedeutung. |
|
4.3. |
Die EU hat Ziele für eine Energieunion bis 2030 und eine Umstellung Europas auf eine Wirtschaft mit hoher Effizienz und geringen CO2-Emissionen festgelegt. Zwei wichtige Ziele sind die Reduktion der Treibhausgasemissionen um 40 % und eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien am Energieverbrauch auf 27 %; dieser Kennwert wurde jedoch nicht auf Länderebene aufgegliedert. Eine energieeffiziente Wirtschaft soll Energieversorgungssicherheit und Wirtschaftswachstum bei geringen CO2-Emissionen sowie langfristig eine Steigerung der Erzeugung und des Verbrauchs lokal gewonnener Energie gewährleisten. Nach jüngst veröffentlichten Daten konnten 2014 dank erneuerbarer Energien die CO2-Emissionen weltweit um 380 Mt reduziert werden. |
|
4.4. |
Zu den von der EU bis 2030 umzusetzenden Einzelzielen zählt auch die Senkung der Ausgaben für Energie durch Privathaushalte und Unternehmen. Diese sollen dank der durch die neuen Technologien geschaffenen Möglichkeiten zu aktiven Marktteilnehmern werden. |
|
4.5. |
Die Energiebilanz in der EU hängt von den Ein- und Ausfuhren ab. Mehr als die Hälfte des jährlichen Bruttobinnenverbrauchs von Energie mit einem Wert von 400 Mrd. EUR entfällt in der EU auf Importe. Aus verschiedenen Analysen geht hervor, dass im Jahr 2030 die Abhängigkeit der EU von ausländischen Energielieferanten bis zu 70 % betragen könnte. Schätzungen zufolge ermöglichten 2014 erneuerbare Energien einen Rückgang beim weltweiten Verbrauch fossiler Brennstoffe um 114 Mt. |
|
4.6. |
Eine verbesserte Energiebilanz ist für die EU heute ein Schlüsselanliegen. Eine der Lösungen ist dabei die Energieerzeugung aus vielen lokalen Quellen unmittelbar durch einzelne Verbraucher. Ohne allgemeine, von der Basis ausgehende Unterstützung der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen für die Deckung des lokalen Bedarfs könnte die Gewährleistung der Versorgungssicherheit im Rahmen der bestehenden Systeme in vielen Ländern Schwierigkeiten bereiten. |
|
4.7. |
Dank der Entwicklung von Techniken für die Energieerzeugung in Anlagen, die am Haus anzubringen sind, immer besserer Lösungen für die Energiespeicherung in solchen Geräten, für die Übertragung über intelligente Netze und für die Messung durch intelligente Zähler sowie mittels lokalen Energienachfragemanagements können Verbraucheranlagen den Energiemix eines jeden Landes erheblich beeinflussen. |
|
4.8. |
Die Branche der erneuerbaren Energien ist ein wichtiger Impulsgeber für technische Innovationen. Sie ist für die grundlegende Umgestaltung des Energiesystems in Europa im Rahmen der digitalen Binnenmarktstrategie unerlässlich. |
|
4.9. |
Der Wandel von passiven Konsumenten zu aktiven „Prosumenten“ in verschiedenen Wirtschaftszweigen und die Möglichkeit der Einbindung von Kleinstunternehmen und Strategien des Binnenmarktes in die digitale Ära des Internets der Dinge sind Eckpunkte der im Mai 2016 von der Kommission vorgestellten Strategie für einen digitalen Binnenmarkt (COM(2015) 192 final), die auf drei Säulen beruht: 1) besserer Zugang zu digitalen Waren und Dienstleistungen, 2) Schaffung von Rahmenbedingungen für florierende digitale Netze und Dienste und 3) Digitalisierung als Wachstumsimpuls. Die Umsetzung dieser Strategie könnte den Volkswirtschaften der EU 415 Mrd. EUR jährlich einbringen und Hunderttausende neuer Arbeitsplätze schaffen, darunter auch im Bereich der erneuerbaren Energien. |
|
4.10. |
Der von großen Energieerzeugern und -versorgern beherrschte Markt sollte für individuelle Akteure geöffnet und stärker aufgeteilt werden. Strom wird nicht mehr ausschließlich zentral gesteuert von den großen Kraftwerken „von oben nach unten“ zu den Energieverbrauchern fließen. Er wird in vielen dezentralen erneuerbaren Energiequellen erzeugt werden. |
|
4.11. |
Der Grad der Dezentralisierung der Stromerzeugung ist an die spezifischen Erfordernisse der Energieverbraucher anzupassen. Diesbezügliche Unterschiede ergeben sich in erster Linie daraus, ob es in dem betreffenden Land energieintensive Industriezweige gibt. |
|
4.12. |
Die Energieversorgungssicherheit hängt heutzutage immer mehr vom Schutz der Energiesysteme vor Terroranschlägen ab. Mit der Weiterentwicklung der dezentralen Energieerzeugung wird zugleich die Energieversorgungssicherheit erhöht, weil dezentrale Strukturen in geringerem Maße der Gefahr von Terroranschlägen ausgesetzt sind. |
|
4.13. |
Dezentrale Energiequellen eröffnen auch neue Perspektiven in Bezug auf das Problem der Kontinuität der Energieversorgung von Akteuren, deren Wirtschaftstätigkeit stark von der Stromversorgung abhängig ist (etwa Geflügelfarmen, Verarbeitungsbetriebe, Kühlhäuser). In manchen EU-Mitgliedstaaten kommt es jährlich nur 20 Minuten lang zu Stromausfällen, in anderen aber ist die Versorgung durchschnittlich zwischen 450 und 500 Minuten unterbrochen. Bürgerenergie-Mikroanlagen garantieren den Produzenten in solchen Ländern eine Kontinuität der Wirtschaftstätigkeit. |
|
4.14. |
Die allgemeine Entwicklung der dezentralen Bürgerenergieerzeugung eröffnet Möglichkeiten, die in gesellschaftlich wichtigen Bereichen der EU im Rahmen der Europa-2020-Strategie genutzt werden können, etwa für die Lösung der demografischen Probleme der alternden Gesellschaft und die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. |
|
4.14.1. |
Eines der Ziele dieser Strategie ist es, die enorme Zahl der 122 Mio. von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffener Bürgerinnen und Bürger um mindestens 20 Mio. zu senken. Zu diesem Zweck sollen Unterstützungsprogramme, Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik und zweckgebundene Fonds zum Einsatz kommen, wobei mindestens 20 % davon aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds stammen sollen. Die logistische und finanzielle Unterstützung dieser Menschen bei der Gründung von Mikroenergiegenossenschaften und/oder der Beteiligung an bestehenden örtlichen Unternehmen des Internets der Dinge kann den Weg für die berufliche und gesellschaftliche Integration ebnen und ihnen dabei helfen, dem Armutsrisiko zu entkommen. |
|
4.14.2. |
Ähnliche Herausforderungen stellt die Seniorenwirtschaft. Die EU steht vor der historischen und bislang beispiellosen Herausforderung einer deutlichen Zunahme der Lebenserwartung bei gleichzeitiger allgemeiner Digitalisierung des Lebens, was nach unkonventionellen wirtschaftlichen Lösungen sowie neuen gesellschaftlichen Strategien verlangt. |
|
4.14.3. |
Im Jahr 2060 kommen auf einen jungen Europäer mindestens zwei Senioren (1). Ältere Menschen und ältere Arbeitnehmer sind jedoch nicht als Bedrohung und Last für die Gesellschaft zu betrachten, sondern als Chance, im Zeitalter der digitalen Revolution eine Wirtschaft mit vielen Arbeitsplätzen (job-rich economy) zu schaffen, die den Erfahrungsreichtum und die Freizeit der Senioren sowie deren — und sei es auch nur bescheidenes — Geldkapital für sichere Anlagen der digitalen Ära nutzt. Eine Möglichkeit wäre die berufliche Einbeziehung älterer Menschen als „E-Senioren“ in den Energiebereich, etwa in genossenschaftlichen Anlagen von Siedlungen oder Mehrfamilienhäusern. |
5. Bürgerenergie
|
5.1. |
Ein wichtiges Merkmal des modernen Kapitalismus ist die Entwicklung eines Konsummodells in Bezug auf den Produktionsprozess und deren Vermarktung, in dem der Konsum nicht mehr das Privileg wohlhabender Eliten, sondern ein Massenphänomen ist. |
|
5.2. |
Geprägt hatte den Begriff „prosumer“ (Prosument) Alvin Toffler, ein Schriftsteller und Futurologe, im Jahr 1980. In seiner Arbeit „Die dritte Welle“ definierte er „prosumption“ als Phänomen, das die Trennung der Bereiche Produktion und Konsum auf dem Markt verschwimmen lässt. Diese dritte Welle verstand er als einen Prozess, bei dem Individuen bzw. organisierte Prosumenten-Gruppen an der Erzeugung eines Produktes für den eigenen Gebrauch teilhaben, und als Verschiebung der Grenze zwischen Akteuren, die produzieren, und solchen, die konsumieren. |
|
5.3. |
Ein Konzept des Marktes, in dem Verbraucher, u. a. die Haushalte, ausschließlich als passive Marktteilnehmer betrachtet werden, entsprach nicht den Herausforderungen der technischen Entwicklung. Marshall McLuhan und Barrington Nevitt wiesen bereits 1972 darauf hin, dass die Entwicklung der elektronischen Technologien das Potenzial berge, den Verbraucher zum Produzenten zu machen. |
|
5.4. |
In der modernen Gesellschaft bedarf es für ein Funktionieren der Volkswirtschaft einer zuverlässigen und kostengünstigen Energielieferung an die Endverbraucher, wobei zur Bekämpfung der Energiearmut auch den Bedürfnissen der sozial schwächeren Gesellschaftsgruppen Rechnung zu tragen ist. |
|
5.5. |
Prosumenten sind Einzelpersonen, Bürgergruppen oder Haushalte und landwirtschaftliche Betriebe, die ggf. in organisierter Form in Vereinen, Stiftungen oder Genossenschaften zugleich Erzeuger und Verbraucher von dezentral, in kleinen Anlagen in Hausnähe oder auf Wohnhäusern und Wirtschaftsgebäuden gewonnener Energie sind (Mini-Windrädern, Fotovoltaik-Speicher, Sonnenkollektoren, Wärmepumpen). Auch kleine Unternehmen, unter anderem Sozialunternehmen und lokale Gebietskörperschaften, können Prosumenten sein. |
|
5.6. |
Das Prosumenten-Konzept umfasst neben der elektrischen Energie auch die Erzeugung von Wärme und Kälte. |
|
5.7. |
Der Prosument erzeugt grundsätzlich für den eigenen Bedarf. Er wird zum Miterzeuger der von ihm konsumierten Güter. Als Prosumenten gelten auch Akteure, die eine Menge von Energie erzeugen, die ihrem Verbrauch nahekommt, auch wenn beide Prozesse nicht gleichzeitig verlaufen. So etwa können sie Energie hauptsächlich tagsüber erzeugen, wo sie relativ wenig für den eigenen Bedarf verbrauchen und anderen Verbrauchern den Überschuss verkaufen, und selbst die meiste Energie in einer Zeit verbrauchen, in der sie deutlich weniger erzeugen. |
|
5.8. |
Individueller „Prosum“ verändert die Organisation des Lebens. Meist liegt er in einer Unzufriedenheit mit der standardisierten Massenproduktion begründet. Im Zeitalter der Digitalisierung wollen die Verbraucher von heute als Subjekte behandelt werden; sie sehen, dass sie ihre Bedürfnisse und Wünsche auf individuelle Weise befriedigen können. Sie suchen bewusst Anschluss an Projekte, die sich dem Umweltschutz und dem Kampf für die Verringerung von Treibhausgasemissionen verschrieben haben. |
|
5.9. |
Prosumenten verknüpfen die Umstellung auf eine zeitgemäße Energiewirtschaft mit Entwicklung sowie dem Bedürfnis nach Kreativität und Unabhängigkeit. Die auf dem Markt aktivste Prosumenten-Gruppe rekrutiert sich aus der sogenannten Netzgeneration. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Welt nicht durch das Prisma des Konsums, sondern des Kreierens betrachtet. Sie engagiert sich für eine Befriedigung der Bedürfnisse nach Freiheit, Glaubwürdigkeit gegenüber der Gesellschaft und Innovation sowie jener, die sich aus dem schnellem Lebenstempo ergeben. |
|
5.10. |
Die ersten Betätigungsfelder von Prosumenten erwuchsen aus einfachen Selbstbedienungstätigkeiten im Dienstleistungsbereich und im elektronischen Handel, aus nicht-marktförmigen Tätigkeiten des Verbrauchers. Andere Gründe für „Prosum“ liegen in den Veränderungen des Arbeitsmarkts, der Elektronisierung alltäglicher Verrichtungen, der Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten (Telearbeit), der Zunahme der Freizeit und dem Bedürfnis, sie optimal zu nutzen. |
|
5.11. |
Die marktseitige Ursache der Entwicklung von „Prosum“ nicht nur im Energiebereich ist in dem krisenbedingten Rückgang der Haushaltseinkommen, den steigenden Preisen für Waren und Dienstleistungen, der Notwendigkeit alltäglicher Kosteneinsparung und der wirtschaftlich motivierten Erzeugung materieller bzw. immaterieller Produkte für den Eigenbedarf zu sehen. |
|
5.12. |
Viele Länder erkennen die Vorteile des Ausbaus dezentraler Energiequellen, unter anderem auch von Kleinstanlagen. Üblicherweise liegt die Obergrenze ihrer Leistung bei 50 bis 100 kW. Dies betrifft hauptsächlich Bürgerenergieanlagen. |
|
5.13. |
Die Bürgerenergie kann als wichtiges Element der Transformation hin zu einer dezentralen Erzeugung und somit einer Entwicklung betrachtet werden, die im Hinblick auf die Energieversorgungssicherheit sowie auf ökologische und soziale Herausforderungen als durchaus wünschenswert ist. |
|
5.14. |
Eine umfassende Umsetzung des Prosumenten-Konzepts wird die Verwirklichung der auf der Klimakonferenz COP 21 in Paris beschlossenen Ziele wesentlich erleichtern. |
|
5.15. |
Die EU setzt in ihrer Energiepolitik bei den Verbrauchern an und ermöglicht ihnen die aktive Nutzung neuer Technologien. In den vergangenen Jahren wurden sowohl für großindustrielle Anlagen als auch für kleine Projekte neue Technologien für die Nutzung erneuerbarer Energien entwickelt und gleichzeitig gingen die erforderlichen Ausgangsinvestitionen deutlich zurück. Die Preise von Fotovoltaikmodulen etwa sanken zwischen 2008 und 2012 um 80 %. So können Unternehmen und Privathaushalte rentabel ihren eigenen Strom erzeugen und verbrauchen. |
|
5.16. |
Im Hinblick auf den Nutzen, der sich aus der Entwicklung einer Bürgerenergiewirtschaft ergibt, ist es wichtig, potenzielle Prosumenten darin zu unterstützen, in diesem Bereich aktiv zu werden. Eine solche Unterstützung könnte in der Beseitigung von Barrieren und der Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, in Hilfestellungen beim Netzzugang oder in der Schaffung günstiger Bedingungen für den Verkauf von Energieüberschüssen bestehen. |
6. Energiegenossenschaften als Prosumenten
|
6.1. |
Eine Bürgerenergiegenossenschaft ist ein freiwilliger Zusammenschluss einer unbegrenzten Zahl von Personen mit eigener Rechtspersönlichkeit, dessen Zweck in der gemeinsamen Deckung des Energiebedarfs durch seine Mitglieder besteht. |
|
6.2. |
Als Prosument kann man einzeln oder gemeinsam mit Nachbarn in einem Mehrfamilienhaus tätig werden. Das Kriterium der Genossenschaft ist erfüllt, wenn die Investition in eine Bürgerenergieanlage von mehreren Personen getragen wird. Dies können auch Gruppen von Bewohnern aus einem bestimmten Gebiet sein. Ziel ist es, elektrische Energie oder Wärme aus erneuerbaren Energiequellen für den eigenen Bedarf zu erzeugen und gegebenenfalls den Überschuss gegen Entgelt ins Netz einzuspeisen. In Deutschland sind für eine Genossenschaftsgründung drei natürliche Personen und in Polen zehn natürliche Personen oder drei juristische Personen erforderlich. |
|
6.3. |
Die deutschen Erfahrungen aus den vergangenen Jahren zeigen, dass Genossenschaften nicht auf Gewinnmaximierung abzielen, sondern vor allem auf wirtschaftliche Hilfe und Unterstützung ihrer Mitglieder. Von fast tausend Genossenschaften finanziert sich jede vierte ausschließlich aus den Anteilen ihrer Mitglieder. Von den Übrigen wirtschafteten zwei Drittel mit Krediten von Genossenschaftsbanken. Jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe seines Anteils. Der Mindestbetrag für einen Genossenschaftsanteil ist in der Regel nicht hoch und wird von der Satzung festgelegt. Schreibt eine Genossenschaft Verluste, sind diese bis zur Höhe der jeweiligen Einlage zu tragen. |
|
6.3.1. |
Genossenschaften müssen genauso effizient wirtschaften wie jedes andere Unternehmen. Der Vorteil von Genossenschaften ist in ihrer verschwindend geringen Insolvenzwahrscheinlichkeit zu sehen (0,1 % aller Unternehmensinsolvenzen in Deutschland). Nach anfänglichen Dividenden von durchschnittlich 5 bis 6 % betragen diese gegenwärtig 2 bis 3 %. |
|
6.3.2. |
Die Gemeinden sind in Deutschland wichtige Partner der Energiegenossenschaften, und das nicht nur, weil sie Dächer und kommunale Gebäude für Anlagen zur Verfügung stellen. Häufig geht die Gründung einer Energiegenossenschaft auf die Initiative des Bürgermeisters zurück, der sich gegenüber den Einwohnern seiner Kommune für diese Idee starkgemacht hat. |
|
6.4. |
Der große Nutzen des Zusammenschlusses in einer Energiegenossenschaft liegt in der Möglichkeit, Energie kostengünstiger als im Alleingang zu erzeugen. |
|
6.5. |
Bürgerenergiegenossenschaften stärken die Position der Prosumenten gegenüber den großen Akteuren des Energiemarktes erheblich. |
|
6.6. |
Sie stellen auch einen Beitrag zur Erhöhung der Energieversorgungssicherheit eines Gebiets dar, den die Bewohnerinnen und Bewohner selbst leisten können. Das ist von unschätzbarer Bedeutung für die Schaffung von Lösungen, die optimal an die Bedürfnisse und Bedingungen lokaler Gemeinschaften angepasst sind. |
|
6.7. |
Die Genossenschaftsbewegung spielte in den alten EU-Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle für das Wirtschaftswachstum und den Wettbewerb, sie war Träger der europäischen Werte der Solidarität, Selbstverwaltung und Demokratie. Auch heute noch bergen Genossenschaften in den alten EU-Mitgliedstaaten ein enormes wirtschaftliches Potenzial. In den ehemals sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas erweisen sich die sozialistischen Wurzeln der Genossenschaftsbewegung und deren einstige Reglementierung durch zentrale und regionale Behörden heute als Bremse und belasten das Image von Bürgerenergiegenossenschaften. |
|
6.8. |
Die Erzeugung für den Eigenverbrauch macht eine Senkung der Energiekosten möglich, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, für die hohe Strompreise eine große Belastung sind. Für Verbraucher in Wohnhäusern erschlossen sich neue Modelle, beginnend mit Fotovoltaikanlagen auf dem eigenen Dach oder auf Dächern von Dritten bis hin zu Projekten, die von Energiegenossenschaften zur Gewinnung erneuerbarer Energien getragen werden. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 28.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/53 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Meeresenergie: ein erneuerbarer Energieträger mit Entwicklungspotenzial“
(Initiativstellungnahme)
(2017/C 034/08)
|
Berichterstatter: |
Stéphane BUFFETAUT |
|
Beschluss des Plenums |
21.1.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
|
|
Initiativstellungnahme |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
6.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
218/3/8 |
1. Schlussfolgerungen
|
1.1. |
Wissenschaftler und Ingenieure arbeiten seit Jahren an der Nutzbarmachung der Meeresenergie. Strömungen, Gezeiten und Wellen bieten unbegrenzte Energiereserven. In Frankreich erzeugt das Gezeitenkraftwerk „Usine marémotrice de la Rance“ von EDF, das 1966 von Staatspräsident de Gaulle eröffnet wurde, mit seinen 24 Turbinen mit je 10 MW insgesamt 240 MW. Windanlagen der neuesten Generationen erzeugen bestenfalls 8 MW. Diese Technologie ist somit effizient, auch wenn das französische Beispiel lange Zeit das einzige Gezeitenkraftwerk seiner Art weltweit geblieben ist. Heute gibt es ein vergleichbares Kraftwerk im Sihwa-See in Südkorea mit einer Leistung von 254 MW. Weitere Projekte waren in Großbritannien in Planung, ihr Bau wurde aber aufgrund umweltpolitischer Widerstände blockiert bzw. ausgesetzt. |
|
1.2. |
Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass derartige Investitionen relevant sind, wenn sie an geografisch günstigen Standorten mit hohen Gezeitenkoeffizienten erfolgen. Sie sollten daher im Energiemix der Mitgliedstaaten stärker berücksichtigt werden. |
|
1.3. |
Die ersten industriellen Anlagen sind in Betrieb; dies zeigt, dass diese Techniken keinesfalls als gewagte Experimente, sondern als saubere Energiequellen angesehen werden müssen, die es zu entwickeln gilt. |
|
1.4. |
Der EWSA erachtet es daher als interessant, diese Art der erneuerbaren Stromerzeugung zu entwickeln und sich nicht ausschließlich auf Wind- und Solarenergie zu beschränken. Die Meeresenergie ist zwar nicht an allen Standorten nutzbar, aber es wäre bedauerlich, eine vorhersehbare erneuerbare Energie, deren Umweltauswirkungen gering bzw. beherrschbar sind, zu vernachlässigen. Die Energiezukunft hängt von der Vielfalt der Versorgungsquellen ab. |
|
1.5. |
Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Luxemburg, Norwegen, die Niederlande und Schweden haben am 6. Juni 2016 beschlossen, ihre Zusammenarbeit im Bereich Offshore-Windenergie weiter auszubauen. Sie haben gemeinsam mit dem für die Energieunion zuständigen Kommissionsvizepräsident und dem für Klimapolitik und Energie zuständigen Kommissionsmitglied einen spezifischen Aktionsplan für die Nordseeregion unterzeichnet. Mit dieser Zusammenarbeit sollen vor allem die Vorschriften und die Förderregelungen für Offshore-Windenergie vereinheitlicht und die Stromnetze miteinander verbunden werden. |
|
1.5.1. |
Der EWSA empfiehlt ausdrücklich, für die Meeresenergie, für Strömungs- oder Gezeitenkraftwerke, eine ähnliche Vorgehensweise der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bzw. mit Nachbarstaaten der EU zu verfolgen, die über Standorte verfügen, die für diese Art der Energiegewinnung genutzt werden können, d. h. in erster Linie die Länder, die an den Atlantik oder die Nordsee grenzen. |
|
1.6. |
Der EWSA betont, dass auch Techniken wie Wellen- oder Meereswärmeenergie berücksichtigt werden müssen, selbst wenn sie noch nicht ausgereift sind. In Zeiten knapper öffentlicher Mittel müssen diese Mittel selbstredend nach Effizienzkriterien verteilt werden. Daher müssen vorrangig die Technologien gefördert werden, die am schnellsten Ergebnisse zeitigen können. |
|
1.7. |
Investitionen in diesen Bereich sollten die EU in die Lage versetzen, sich letztlich als Vorreiter für neue erneuerbare Energien durchzusetzen. Über 40 % aller Patente für erneuerbare Energien sind in der Hand europäischer Unternehmen. Der EWSA empfiehlt, FuE im Bereich Meeresenergie, aber auch im Bereich der Speicherung der aus fluktuierenden Quellen erzeugten Energie fortzuführen, um die schwankende Erzeugung erneuerbarer Energien ausgleichen zu können. |
|
1.8. |
Der EWSA warnt davor, nur die konventionellen Erneuerbaren zu fördern, da so der Handlungsspielraum eingeschränkt und die Wirtschaft der erneuerbaren Energie zugunsten von Technologien verfälscht würde, die von einer effizienten Lobby gepusht werden. |
2. Allgemeine Überlegungen
|
2.1. |
Unser Planet ist hauptsächlich von Meeren bedeckt, daher wäre es auch richtiger, ihn Planet Meer statt Planet Erde zu nennen. Seit Anbeginn hat der Mensch die Fischereiressourcen genutzt, um sich zu ernähren. Seit Kurzem ist er auch in der Lage, die im Meeresboden vorhandenen und sogar die darunterliegenden Ressourcen zu nutzen (polymetallische Knollen, Öl usw.). Die Meeresenergie wird ebenfalls schon seit Jahrhunderten genutzt, allerdings in kleinem Maßstab in Form von Gezeitenmühlen, die an manchen Küsten zu finden sind. |
|
2.2. |
Aufgrund der heutigen Imperative, d. h. Bekämpfung jedweder Art von Umweltverschmutzung und Verringerung des Klimagasausstoßes, sollte das Energiepotenzial der Meere in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Wie könnten die EU und die Mitgliedstaaten, die über einen Zugang zum Meer verfügen, denn überhaupt die Chancen ignorieren, die die Meere im Bereich Energie eröffnen? |
|
2.3. |
Das europäische maritime Gebiet ist von beträchtlicher Größe. Und dennoch steckt die Nutzung der erneuerbaren Energieressourcen dieser großen Flächen noch in den Anfängen. Dabei könnten die EU und ihre Mitgliedstaaten einen Beitrag zur Förderung der Entwicklung neuer Techniken zur Nutzung der Meeresenergie durch innovative Unternehmen und Unternehmensgruppen im Energiesektor leisten. Dies ist das Ziel des Forums für Meeresenergie (Ocean Energy Forum). |
|
2.4. |
Die erneuerbaren Meeresenergien sind äußert vielfältig: Wellen, Strömung, Gezeiten, Temperaturgefälle zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser sowie Wind. Jede Technik und jede Methode geht mit ganz eigenen geografischen und ökologischen Anforderungen einher. Daher kann die Verbreitung dieser innovativen Techniken nur unter Berücksichtigung dieser Anforderungen und ihrer Auswirkungen erfolgen. |
3. Nutzung der Gezeiten-, Strömungs- und Wellenenergie: Gezeiten- und Strömungskraftwerke
|
3.1. |
Jeder, der schon einmal das Meer beobachtet hat, wie es ruhig vor einem daliegt oder sich auftürmt, weiß, dass dieser unendliche Raum in ständiger Bewegung ist und gewaltige Kräfte wirken. Daher ist die Frage, ob diese vom Meer erzeugte Energie nicht auch nutzbar gemacht werden kann, auch vollkommen selbstverständlich. |
|
3.2. |
Welche Techniken wurden in der Praxis untersucht oder eingesetzt?
|
|
3.3. |
In der Praxis scheint die vielversprechendste Technik in erster Linie die Nutzung der Gezeitenströme. Allerdings hängt das Potenzial dieser Technik von dem Standort ab. So sind die Gebiete im Atlantik und in der Nordsee am interessantesten, in denen die Gezeitenkoeffizienten am größten sind. Der höchste Wirkungsgrad wird in Gebieten mit der größten Gezeitenamplitude erreicht. Der enorme Vorteil dieser Nutzungsart liegt darin, dass sie eine vorhersehbare und gleichmäßige Energieerzeugung bietet, da die Gezeiten konstant sind und ihre Amplitude im Vorhinein bekannt ist. Laut EDF liegt das Nutzungspotenzial der EU bei ca. 5 GW (davon 2,5 GW allein an der französischen Küste), was der Leistung von 12 Kernkraftwerken mit 10 800 MW entspricht. Die Nutzbarmachung der Gezeitenströmung ist jedoch noch im technologischen Forschungsstadium und mit Ausnahme des Gezeitenkraftwerks „Usine marémotrice de la Rance“ noch nicht einsatzbereit. |
|
3.4. |
Welche Techniken werden derzeit einem Funktionstest unterzogen?
|
4. Nutzung der Wellenenergie: Wellenkraftwerke
|
4.1. |
Es gibt eine breite Palette an Wellenkraftwerken, einige Prototypen schwimmen im Meer, andere wiederum sind an der Oberfläche in Küstennähe oder auf hoher See installiert. Die Systeme zur Energiegewinnung unterscheiden sich je nach Prototyp: kinetische Energiegewinnung an der Oberfläche (Vorbeilaufen einer Welle) oder im Wasser (Longitudinal- oder Orbitalbewegung), Nutzung der Druckschwankungen beim Vorbeilaufen einer Welle (unterschiedliche Wasserhöhe) oder pneumatische Kammern. |
|
4.2. |
Der größte Nachteil im Vergleich zur Gezeitenströmung ist, dass die Wellenenergie kaum vorhersehbar ist. Die Nutzbarmachung der Wellenenergie ist im technologischen Forschungsstadium und noch nicht einsatzbereit. Allerdings werden derzeit sechs verschiedene Techniken getestet:
|
5. Nutzung der thermischen Meeresenergie bzw. Meereswärmeenergie
|
5.1. |
Dabei wird der Temperaturunterschied zwischen dem Oberflächenwasser und dem Tiefenwasser der Ozeane genutzt. Häufig wird für diese Art der Energiegewinnung auch die Abkürzung OTEC (Ocean Thermal Energy Conversion) verwendet. In EU-Dokumenten wird der Begriff „hydrothermische Energie“ mit der Begriffsbestimmung „Energie, die in Form von Wärme in Oberflächengewässern gespeichert ist“ verwendet. |
|
5.2. |
Dank der Sonneneinstrahlung ist das Wasser an der Oberfläche warm — in der innertropischen Zone kann seine Temperatur über 25 oC erreichen —, wohingegen das Wasser in der Tiefe, die von den Sonnenstrahlen nicht erreicht wird, kalt ist und bei einer Temperatur zwischen 2 und 4 oC liegt (mit Ausnahme von geschlossenen Meeren wie dem Mittelmeer). Außerdem vermischen sich die kalten und warmen Wasserschichten nicht. Dieser Temperaturunterschied kann über eine Turbine genutzt werden. Diese braucht eine kalte und eine warme Quelle für die Energieerzeugung und nutzt dementsprechend das Tiefen- und das Oberflächenwasser. |
|
5.3. |
Für eine optimale und rentable Nutzung dieser Technik müssen OTEC-Kraftwerke allerdings in bestimmten Zonen installiert werden, in denen eine ganz bestimmte Temperatur an der Oberfläche und in der Tiefe herrscht. Die notwendigen Rohrleitungen können bei beherrschbaren Kosten und im derzeitigen Stand der Technik bis zu ca. 1 000 m in die Tiefe getrieben werden. Daher wäre es sinnlos, OTEC-Kraftwerke kilometerweit von den Küsten entfernt zu installieren, wofür längere Rohrleitungen notwendig wären, was wiederum zusätzliche Kosten verursachen würde. Die ideale Zone liegt daher zwischen dem Wendekreis des Krebses und dem Wendekreis des Steinbocks, d. h. zwischen dem 30. Grad nördlicher und dem 30. Grad südlicher Breite, und für die EU somit in ihren sogenannten Gebieten in Randlage. |
6. Die Nutzung der Windenergie des Meeres: Offshore-Windkraftanlagen
|
6.1. |
Zwar handelt es sich bei dieser Technologie eigentlich nicht um eine Meeresenergie im engeren Sinne, die Windkraftanlagen, die am Meeresboden verankert sind bzw. „schwimmen“ (aber letztlich natürlich auch verankert sind), sollten jedoch auch genannt werden. Diese Technik ist am weitesten fortgeschritten und wirkt im Vergleich zu den anderen oben genannten Techniken beinahe konventionell. Sie hat jedoch Auswirkungen auf die Umwelt und die Landschaft. Auch die Frage des Nutzungskonflikts in Verbindung mit der Fischerei wurde oftmals aufgeworfen. In der Praxis sind die fest mit dem Meeresboden verbundenen Windparkanlagen echte Meeresschutzgebiete, in denen sich die Fische vermehren. Indirekt nutzen diese Anlagen somit den Fischern, da der Fischbestand sich in diesen Fischereisperrgebieten erholt und ihre Fundamente die Funktion künstlicher Riffe übernehmen. |
|
6.2. |
Diese Technik kommt im Europa am häufigsten zum Einsatz und erlebt einen Boom. Derzeit gibt es mehr als 100 Windparks, vor allem in der Nordsee, im Atlantik (Großbritannien) und in der Ostsee. Im Mittelmeer gibt es kaum Anlagen oder Projekte, da die Meerestiefe vor der Küste rasch zunimmt und das Mittelmeer nur über einen geringen oder gar keinen Festlandsockel verfügt. |
|
6.3. |
Im Folgenden eine Chronologie der Entwicklung der Offshore-Windenergie:
|
|
6.4. |
Darüber hinaus wird an zwei weiteren großen Projekten an der französischen Küste gearbeitet, in der Bretagne sowie zwischen Noirmoutier und der Île d’Yeu. Die Ausschreibungsverfahren wurden bereits eingeleitet und die Betreiberkonsortien ausgewählt. |
|
6.5. |
Die Wirtschaftsleistung von Offshore-Windparks hängt vom Standort und insbesondere der Kraft und der Regelmäßigkeit des Windes ab; die Schwankungsbreite kann daher bis zu 100 % betragen. Bei geringer Nachfrage wurde Windenergie zuweilen schon zu negativen Preisen auf den Spotmärkten verkauft. Daher könnte der Aufschwung dieser Stromerzeugungstechnologie zu Überschüssen führen, die nur schwer genutzt werden können, da sie von punktuellen und unvorhersehbaren Witterungsbedingungen abhängen (siehe auch die Stellungnahme von Gerd Wolf zum Thema „Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Elektrizitätssystemen mit einem wachsenden Anteil intermittierender erneuerbarer Energien“). |
|
6.6. |
Die Entwicklung dieser Art der Stromerzeugung und der technische Fortschritt zur Nutzung von Windkraftanlagen in den letzten zwanzig Jahren haben eine Senkung der Investitions- und Betriebskosten bewirkt. Anfang der 2000er-Jahre lagen die Kosten für eine Megawattstunde noch bei 190 EUR, heute betragen sie zwischen 140 und 160 EUR. Im Vergleich dazu liegen die Kosten für die Erzeugung einer Megawattstunde in einem modernen Kernkraftwerk des Typs EPR bei 130 EUR, die Erzeugung ist indes stabil und vorhersehbar. |
|
6.7. |
Die anderen Meeresenergietechniken müssen mit dieser Konkurrenz mithalten können, um sich in industriellem Maßstab zu entwickeln und den Beweis anzutreten, dass sie Wettbewerbsvorteile gegenüber Offshore-Windparks bringen, für die erhebliche Wartungs- und Überwachungskosten anfallen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheinen Gezeiten- und Strömungskraftwerke sowie Stauanlagen an Flussmündungen am effizientesten und wirtschaftlich rentabelsten. Einer ihrer Vorteile ist die vorhersehbare und gleichmäßige Energieerzeugung. |
7. Die Zukunft der erneuerbaren Meeresenergien
|
7.1. |
Als grüne Energien können diese Energien über die verschiedenen Fördersysteme der Mitgliedstaaten und der EU unterstützt werden, insbesondere durch einen Vorzugspreis. Mit Ausnahme von Offshore-Windanlagen müssen diese Technologien allerdings erst noch im großen Maßstab erprobt werden, vor allem die Gezeiten- und Strömungskraftwerke. Es bleibt zu hoffen, dass ein gewisser umweltpolitischer Konservatismus die neuen Techniken, die derzeit erprobt werden, nicht behindert. So konnten insbesondere aufgrund des heftigen Widerstands von Umweltschützern und Fischern keine neuen Staudämme an Flussmündungen entwickelt werden. Jede Art von Anlage ist mit Umweltauswirkungen verbunden. Diese müssen so genau wie möglich bewertet werden, um das tatsächliche Kosten-Nutzen-Verhältnis festzulegen. |
|
7.2. |
Vor Kurzem wurde ein erster Turbinenpark im Meer zwischen Paimpol und der Île de Bréhat installiert. Die Gezeiten sorgen für die Bewegung der Rotoren der Turbinen; jede Turbine kann 1 MW Leistung erzeugen. Somit können 3 000 Haushalte mit Strom versorgt werden. |
|
7.3. |
Die Techniken zur Nutzung der Meeresenergie hängen letztlich auch von ihrem Standort ab. Sie ist daher keine allgemein gleich effiziente Energiequelle. Daher muss in diesem Bereich ein größeres Maß an Stringenz an den Tag gelegt werden als für andere förderungswürdige erneuerbaren Energien wie beispielsweise Fotovoltaikanlagen, die manchmal eher aus steuerlichen Gründen denn aus Gründen der Effizienz installiert wurden. Die CO2-Steuer wird dazu beitragen, Techniken für die Erzeugung erneuerbarer Energie wirtschaftlich interessant zu machen, die heute noch in den Kinderschuhen stecken. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/58 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Agenda 2030 — eine der globalen nachhaltigen Entwicklung verpflichtete Europäische Union“
(Initiativstellungnahme)
(2017/C 034/09)
|
Berichterstatter: |
Ioannis VARDAKASTANIS |
|
Beschluss des Plenums |
21.1.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
|
|
Initiativstellungnahme |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Außenbeziehungen |
|
Annahme in der Fachgruppe |
29.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
20.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
141/1/1 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der EWSA begrüßt die Agenda 2030, die ehrgeizige Ziele und Zielvorgaben zur Transformation unserer Welt beinhaltet und für einen historischen Paradigmenwechsel im Umgang mit den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Ungleichheiten weltweit steht. In Anbetracht der wichtigen Rolle der Europäischen Union in der Diplomatie, bei der Förderung der Menschenrechte, im Handel, in der Entwicklungspolitik und humanitären Hilfe und ihrer Zusammenarbeit mit multilateralen Organisationen sowie auf bilateraler Ebene mit Drittländern kann sie einen überaus großen Einfluss auf den Prozess der weltweiten Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) ausüben. Allerdings könnte die freiwillige Berichterstattung eine kohärente, wirksame und messbare Umsetzung der Agenda 2030 untergraben. Der EWSA appelliert an die EU, die Umsetzung der Agenda 2030 als Verpflichtung und als Chance für die Gestaltung künftiger Maßnahmen und Programme der EU zu begreifen. Seiner Meinung nach sollte die EU sich die Agenda 2030 zu eigen machen, da sie ihr ein neues zukunftsweisendes Narrativ für den Wandel hin zu einer Union der nachhaltigen Entwicklung anbietet und dementsprechend den EU-Bürgern und dem Rest der Welt eine neue Vision für inklusive menschliche Entwicklung vermittelt. |
|
1.2. |
Die Agenda 2030 entspricht ohne Einschränkung den europäischen Werten des Wohlstands für alle, der Menschenrechte, der sozialen Gerechtigkeit, der Bekämpfung der Armut, der demokratischen Governance, der sozialen Marktwirtschaft und des Umweltschutzes. Von der EU wird daher erwartet, dass sie bei der Umsetzung der Agenda 2030 eine führende Rolle übernimmt und zur Verwirklichung der SDG auf globaler Ebene beiträgt. Der EU wird in diesem Sinne eine Hauptrolle bei der Förderung einer umweltverträglichen, sozial und wirtschaftlich verantwortlichen wie auch nachhaltigen Entwicklung, der Wahrung der Menschenrechte sowie der Gewährleistung der Gleichstellung, Nichtdiskriminierung und Unterstützung benachteiligter Gruppen zugedacht werden. Die Beseitigung der Armut sollte in den politischen Maßnahmen und Programmen der EU übergreifende Priorität haben. Auch die Grundsätze der Klimagerechtigkeit und des „gerechten Übergangs“ sollten uneingeschränkt, wirksam und durchgängig in die übergeordnete EU-Strategie zur Umsetzung der Agenda 2030 integriert werden. |
|
1.3. |
Der EWSA weist darauf hin, dass die EU nur dann ihrer Verpflichtung auf eine weltweite nachhaltige Entwicklung nachkommen und in diesem Sinne die Umsetzung der Agenda 2030 umfassend und wirksam fördern kann, wenn sie die erforderlichen Änderungen vornimmt, um ihre politischen Maßnahmen und Programme in ausgewogener und inklusiver Weise an die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit anzupassen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten stehen gegenüber ihren Bürgern und dem Rest der Welt in der moralischen und politischen Pflicht, die Agenda 2030 politisch kohärent und koordiniert umzusetzen. Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten müssen sich dringend auf höchster politischer Ebene auf das weitere Vorgehen verständigen und im Wege einer interinstitutionellen Vereinbarung zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlaments eine solide Grundlage für weitere politische Maßnahmen schaffen (1). Ausgehend von dieser Vereinbarung über die Umsetzung der SDG sollte eine übergreifende Strategie zur Integration der Agenda 2030 mit dem Ziel erarbeitet werden, aus der EU eine Union der nachhaltigen Entwicklung zu machen. |
|
1.4. |
Wie schon in einer früheren Stellungnahme (2) plädiert der EWSA für die Errichtung eines Nachhaltigkeitsforums der Zivilgesellschaft zur Förderung und Überwachung der Umsetzung der Agenda 2030, um für Stimmigkeit der internen und externen politischen Maßnahmen und Programme der EU zu sorgen. Alle Interessenträger, also auch der Rat, die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die Zivilgesellschaft, sollten sich umfassend als Schlüsselakteure in das Forum einbringen, die Transparenz seiner Tätigkeiten sicherstellen und gegenüber den europäischen Bürgern Rechenschaft ablegen. Der EWSA ist bereit, in diesem Prozess eine Mittlerfunktion zu übernehmen. |
|
1.5. |
Die EU selbst sollte dem hochrangigen politischen Forum über nachhaltige Entwicklung (HLPF) der Vereinten Nationen ab 2017 proaktiv einen regelmäßigen freiwilligen Bericht über ihre internen und externen politischen Maßnahmen und Programme vorlegen. Sie wäre die erste regionale Organisation, dies zu tun. Zusätzlich sollte die EU jährliche thematische Berichte in Abstimmung auf die jährlichen thematischen Schwerpunktbereiche des HLFP ausarbeiten. Die Zivilgesellschaft sollte über das europäische Nachhaltigkeitsforum umfassend in dieses Berichterstattungsverfahren einbezogen werden. Der EWSA ist bereit, in diesem Prozess eine Mittlerfunktion zu übernehmen (3). |
|
1.6. |
Die EU ist verpflichtet, internationale und europäische Verträge und Vereinbarungen zum Schutz der Umwelt, der Menschenrechte und der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vollständig einzuhalten. Deshalb sollte der Ansatz der EU zur Umsetzung, Überwachung und Überarbeitung der Agenda 2030 auf internationalen und europäischen Rechtsvorschriften gründen. Der freiwillige Charakter der Agenda 2030 sollte der Pflicht keinen Abbruch tun, in der übergeordneten Strategie der EU zur Umsetzung der SDG die Verpflichtung der EU auf internationales und europäisches Recht umfassend, wirksam und durchgängig zu berücksichtigen. Die internationalen Verpflichtungen der EU sollten für alle politischen Maßnahmen und Programme der EU gelten. |
|
1.7. |
Die Europäische Kommission muss prüfen, inwieweit die Agenda 2030 im außenpolitischen Instrumentarium berücksichtigt wird. Die Bestandsaufnahme der externen politischen Maßnahmen ist ein erster Schritt, reicht jedoch nicht aus und muss mit einer detaillierten und umfassenden Bedarfsanalyse und Bewertung einhergehen, um die praktischen Lücken zu ermitteln, die zwischen den gegenwärtigen und den künftigen externen politischen Maßnahmen und Programmen in Bezug auf die umfassende, ausgewogene und faire bereichsübergreifende Berücksichtigung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimensionen der Agenda 2030 bestehen. Der EWSA fordert deshalb die Europäische Kommission auf, dafür zu sorgen, dass diesem Anliegen in der anstehenden Mitteilung über die Umsetzung der SDG Rechnung getragen wird. |
|
1.8. |
Die Europäische Kommission muss die Agenda 2030 vollständig und bereichsübergreifend in das auswärtige Handeln der Europäischen Union einbeziehen. Die EU ist ein wichtiger Akteur auf der internationalen Bühne und interagiert über ihr auswärtiges Handeln und ihre einschlägigen Instrumente mit anderen — staatlichen, zwischenstaatlichen, privaten, nichtstaatlichen — Interessenträgern. Deshalb sollte die Europäische Kommission wichtige Bereiche wie Handel und Entwicklungspolitik, Nachbarschaftspolitik, Umwelt und Klimaschutz, Außen- und Sicherheitspolitik, Sozial- und Solidarwirtschaft, Förderung der Menschenrechte, humanitäre Hilfe, Katastrophenvorsorge und Technologietransfer umfassend nutzen, um die Umsetzung der Agenda 2030 proaktiv voranzubringen. Die Europäische Kommission sollte die Agenda 2030 ferner uneingeschränkt in den europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik integrieren, und der EWSA bedauert, dass sie in der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union nicht ausreichend berücksichtigt worden ist (4). Die Europäische Kommission sollte im Rahmen der lang ersehnten und sehr verspäteten Mitteilung über die Agenda 2030 ein vernünftiges Programm zur Gewährleistung politischer Kohärenz und Koordinierung ihrer externen Maßnahmen und Programme vorlegen, um die bereichsübergreifende Berücksichtigung eines Nachhaltigkeitskonzepts in allen externen politischen Maßnahmen sicherzustellen. |
|
1.9. |
Die Europäische Kommission und insbesondere die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik sollten über eine wirksame und stimmige Koordinierung der öffentlichen Entwicklungshilfe und des Aktionsplans von Addis Abeba dafür sorgen, dass die öffentliche Entwicklungshilfe in Partnerschaften, spezifische Programme und Vorhaben fließt, die im Einklang mit den drei Dimensionen der Agenda 2030 entwickelt werden, wobei den Grundsätzen der Armutsbekämpfung, des „Leaving no one behind (LNOB)“ (niemand soll zurückgelassen werden), der Klimagerechtigkeit, des gerechten Übergangs, des inklusiven Wachstums und der inklusiven Entwicklung, der Förderung der Modernisierung, der Infrastrukturentwicklung und nachhaltiger Unternehmen, der Bekämpfung der Ungleichheit und der Wahrung der Menschenrechte umfassend Rechnung zu tragen ist. |
|
1.10. |
Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, bei der Integration der Agenda 2030 in das außenpolitische Instrumentarium auf den Konditionalitätsansatz der europäischen Struktur- und Investitionsfonds zurückzugreifen und so in all ihren politischen Maßnahmen und Programmen in Verbindung mit den SDG die Agenda 2030 als Konditionalität vorzusehen. |
|
1.11. |
Die EU-Delegationen in Drittländern sollten Erhebungen durchführen, um die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die SDG und ihr Verständnis der SDG zu bewerten. Die Europäische Kommission sollte Sensibilisierungsmaßnahmen und Informationskampagnen durchführen, um aus der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung eine europäische Agenda zu machen. Die Europäische Kommission sollte regelmäßige Eurobarometer-Umfragen durchführen, um die Sensibilisierung der EU-Bürger für die SDG und ihr Verständnis der SDG zu bewerten. Hierbei kommt den zivilgesellschaftlichen Organisationen eine entscheidende Rolle zu. |
|
1.12. |
Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, einen jährlichen Bericht über die Durchführung der externen Maßnahmen und Mittel im Zusammenhang mit der Agenda 2030 vorzulegen, und zwar im Rahmen der geplanten EU-Jahresberichte über die Verwirklichung der SDG. Die Europäische Kommission sollte auch ein auf die Agenda 2030 bezogenes Set von Indikatoren und Vergleichsgrößen ausarbeiten und in ihre auswärtigen politischen Maßnahmen und Programme einbeziehen, um die Beurteilung, Bewertung und Berichterstattung darüber zu erleichtern, wie wirksam über die Instrumente des auswärtigen Handelns der EU Mittel für SDG-relevante Projekte und Programme bereitgestellt werden und wie vor allem die wirtschaftliche, soziale und ökologische Dimension der Agenda 2030 im außenpolitischen Instrumentarium der EU berücksichtigt wird. |
|
1.13. |
Die Europäische Kommission sollte im Rahmen ihrer externen politischen Maßnahmen und Programme einen Multi-Stakeholder-Governance-Ansatz fördern, um die zivilgesellschaftlichen Organisationen in Drittländern zu echten Partnern bei der Verwirklichung der SDG zu machen. Dieser neue Ansatz der Konsultation und partizipativen Entscheidungsfindung sollte auf Transparenz, Rechenschaftspflicht und Partnerschaft beruhen. Die demokratische Umsetzung der Agenda 2030 setzt eine umfassende Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen auf allen Ebenen, auch bei der Überwachung und Überprüfung, voraus. |
|
1.14. |
Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, den Kapazitätsaufbau zivilgesellschaftlicher Organisationen in ihre Finanzierungsinstrumente und in ihre externen politischen Maßnahmen und Programme zu integrieren. Die Europäische Kommission sollte ein spezifisches Programm mit einer eigenen Förderlinie zur Unterstützung des Kapazitätsaufbaus der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Hinblick auf ihre umfassende Teilnahme an diesem Prozess auflegen. Die bestehenden Programme für Kapazitätsaufbau müssen verstärkt für zivilgesellschaftliche Organisationen geöffnet werden, die sich um lokale Belange kümmern und in Governance-Fragen eine Brückenfunktion haben (5). |
|
1.15. |
Aufgrund seiner Zusammenarbeit mit einem breiten Spektrum an Partnern in vielen Ländern ist der EWSA bereit, eine echte und konstruktive Einbeziehung aller (zumeist zivilgesellschaftlicher) Partner bei der Verwirklichung und Überwachung der SDG zu fördern und eine Mittlerfunktion zu übernehmen, um die Mitwirkung der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung auf nationaler Ebene zu erleichtern. |
2. Einleitung
|
2.1. |
Der EWSA begrüßt, dass sich Staats- und Regierungschefs der ganzen Welt am 25. September 2015 auf die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung — Transformation unserer Welt“ geeinigt haben, die Ziele für die Beseitigung der Armut, den Schutz des Planeten und die Gewährleistung von Wohlstand für alle beinhaltet. Jedes dieser Ziele ist in spezifische Zielvorgaben untergliedert, die in den kommenden 15 Jahren erreicht werden sollen. Es wird erwartet, dass die Agenda 2030 die Schaffung solider und inklusiver Partnerschaften zwischen allen Interessenträgern fördert und damit entscheidend die Entstehung eines neuen Governance-Modells auf globaler Ebene unterstützt. |
|
2.2. |
Kennzeichnend für die Agenda 2030 ist ihr universeller, unteilbarer und integrierter Ansatz in Bezug auf die wirtschaftliche, soziale und ökologische Säule, womit erstmals ein Ausgleich der drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung erreicht wird. Deshalb steht die Agenda 2030 für einen historischen Paradigmenwechsel im Umgang mit den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Ungleichheiten weltweit. |
|
2.3. |
Die Agenda 2030 ist ein Aktionsplan für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand. Sie beinhaltet 17 Nachhaltigkeitsziele und 169 Zielvorgaben, die gleichermaßen auf die wirtschaftliche, ökologische und soziale Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung abheben, um Wohlstand für alle sicherzustellen, auf den Errungenschaften der Millennium-Entwicklungsziele aufzubauen und bei ihren Problemen und Mängeln anzusetzen, und um der Welt eine neue Vision für nachhaltige Entwicklung und inklusives Wachstum zugunsten aller zu eröffnen. Die Agenda 2030 hebt ebenfalls darauf ab, die Menschenrechte und die Gleichheit aller zu wahren, zu fördern und zu verwirklichen, wobei der Schwerpunkt verstärkt auf die Geschlechtergleichstellung (SDG 5) gelegt wird. |
|
2.4. |
Der EWSA betont nachdrücklich die Bedeutung des Grundsatzes „Leaving no one behind (LNOB)“ (niemand soll zurückgelassen werden), der für alle SDG und Zielvorgaben gilt und deshalb bei der Entwicklung von Partnerschaften, Maßnahmen und Tätigkeiten zur Umsetzung und Überwachung der Agenda 2030 durchgängig berücksichtigt werden sollte. |
|
2.5. |
Durch die Agenda 2030 wurde auf UN-Ebene eine hochrangige Governancestruktur errichtet, das sog. hochrangige politische Forum (HLPF) über nachhaltige Entwicklung, eine Multi-Stakeholder-Plattform mit dem Auftrag, die Umsetzung der Agenda 2030 systematisch weiterzuverfolgen und zu überprüfen. Die erste Sitzung des hochrangigen politischen Forums nach der Unterzeichnung der Agenda 2030 fand im Juli 2016 statt. 22 Regierungen, darunter vier EU-Mitgliedstaaten, legten die ersten freiwilligen nationalen Berichte über ihre Anstrengungen zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung in ihren Ländern vor (diese Länder waren: Estland, Finnland, Frankreich und Deutschland sowie China, Kolumbien, Ägypten, Georgien, Madagaskar, Mexiko, Montenegro, Marokko, Norwegen, die Philippinen, die Republik Korea, Samoa, Sierra Leone, die Schweiz, Togo, die Türkei, Uganda und Venezuela). |
|
2.6. |
Im Zuge der Umsetzung der Agenda 2030 sollte der Schwerpunkt verstärkt auf Maßnahmen, Strategien, Programme und die Schaffung transparenter und partizipativer Multi-Stakeholder-Partnerschaften gelegt werden, um geleitet von den Grundsätzen der universellen Gültigkeit, Unteilbarkeit, Transparenz, Rechenschaftspflicht und Menschenrechte die weltweiten wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Ungleichheiten zu beseitigen. |
|
2.7. |
Die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Agenda 2030 gilt gleichermaßen für die Entwicklungs- und die Industrieländer, und ihre Umsetzung erfordert allseitig tief greifende wirtschaftliche, soziale und ökologische Veränderungen. Um den Erwartungen gerecht zu werden und bei der Umsetzung der Agenda 2030 mit gutem Beispiel voranzugehen, sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten alle politischen Maßnahmen und Programme darauf ausrichten, Armut und Ungleichheit zu bekämpfen, den Planeten zu schützen und auf ausgewogene und kohärente Weise ein inklusives Wirtschaftswachstum zum Wohle aller zu fördern und die drei Dimensionen der SDG bereichsübergreifend zu berücksichtigen. |
|
2.8. |
Die EU-Institutionen müssen auf hoher Ebene eine Entwicklung anschieben, die den Weg für hochrangige politische Beschlüsse über eine Union der nachhaltigen Entwicklung bereitet. Es ist deshalb unerlässlich, eine übergeordnete Strategie für Verwirklichung der SDG aufzustellen, um Kohärenz und Koordinierung der Maßnahmen und Programme der EU auf ausgewogene Weise und unter Einbeziehung der drei Dimensionen der Agenda 2030 zu fördern, umzusetzen und bereichsübergreifend zu integrieren. |
3. Eine globale Führungsrolle der EU bei der Umsetzung der Agenda 2030
|
3.1. |
Die größte Herausforderung im Zusammenhang mit der Umsetzung der Agenda 2030 ist die Beseitigung der Armut in all ihren Formen, einschl. der extremen Armut. Es handelt sich hierbei auch um einen in den Verträgen der Europäischen Union verankerten wichtigen horizontalen Grundsatz und Wert sowie um eine Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung (SDG 1). Die EU ist ein wichtiger Akteur auf der internationalen Bühne und übt einen großen Einfluss auf die weltweite wirtschaftliche Entwicklung und Entwicklungspolitik aus. Sie hat damit die einzigartige Chance, ihre externen politischen Maßnahmen und Programme auf die Umsetzung der Agenda 2030 auf globaler Ebene auszurichten, indem sie gewährleistet, dass die drei Dimensionen der Agenda 2030 auf ausgewogene Weise bereichsübergreifend in das außenpolitische Instrumentarium der EU integriert werden. In Anbetracht der universellen Gültigkeit und Unteilbarkeit der Agenda 2030 sollte die EU sich darauf einstellen, dass zunächst ausgesprochen kritisch hinterfragt werden wird, wie sie mit dieser Herausforderung umgeht. |
|
3.2. |
Die EU sollte Konzepte ermitteln, um die Lasten und die Vorteile des Klimawandels, der sich auf Menschenrechte, Armut und Gleichstellung auswirkt, zu teilen. Ein solcher Ansatz ist die sogenannte Klimagerechtigkeit, in deren Rahmen die Erderwärmung als ethisches und politisches Anliegen und nicht nur als rein ökologische oder physikalische Frage betrachtet wird. Dabei werden die Auswirkungen des Klimawandels unter dem Aspekt der Gerechtigkeit, insbesondere der Umweltgerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit, durchdacht und Fragen wie Gleichheit, Menschenrechte, kollektive Rechte und die historische Verantwortung für den Klimawandel erörtert. Eine grundlegende Aussage der Klimagerechtigkeit lautet, dass die Folgen des Klimawandels diejenigen am stärksten treffen, die am wenigsten dazu beigetragen haben. |
|
3.3. |
Genauso wichtig ist es, in die externen und internen Maßnahmen und Programme der EU bereichsübergreifend das Konzept des sog. gerechten Übergangs zu integrieren, das darauf abhebt, die Menschen- und Arbeitnehmerrechte (z. B. das Recht auf menschenwürdige Arbeit) zu schützen und gleichzeitig über die externen Instrumente der EU die Modernisierung der Volkswirtschaften und eine umweltverträgliche und sozial verantwortliche Wirtschaftsweise zu fördern. |
|
3.4. |
Eine gerechte Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimensionen der Agenda 2030 über das auswärtige Handeln der EU sollte Strategien zur Förderung einer Niedrigemissions-, Kreislauf- und kollaborativen Wirtschaft, der Nachhaltigkeit in Nahrungsmittelerzeugung und -verbrauch sowie von Investitionen in Innovation, langfristige Infrastrukturmodernisierung und nachhaltige Unternehmen umfassen (6). |
|
3.5. |
Die Agenda 2030 baut auf Freiwilligkeit, und das könnte ihre umfassende und rasche Umsetzung gefährden. Jedoch sollte die EU die Umsetzung der Agenda 2030 in ihren internen wie auch externen Maßnahmen verbindlich machen; die 17 SDG stehen voll und ganz mit den in den EU-Verträgen verankerten Prinzipien und Werten im Einklang und müssen daher im Wege der politischen Maßnahmen und Programme der EU übergreifend berücksichtigt und verwirklicht werden. Das auswärtige Handeln der EU sollte auf diesen Prinzipien und Werten gründen. |
|
3.6. |
Die vollständige Umsetzung der Agenda 2030 durch die EU erfordert ein echtes Engagement der EU-Institutionen und Mitgliedstaaten auf höchster politischer Ebene, um die SDG wirksam, rasch und durchgängig in alle politischen Maßnahmen und Programme der EU zu integrieren und einzubeziehen. |
|
3.7. |
Die universelle Gültigkeit der Agenda 2030 und die Zusagen von Ländern in der ganzen Welt, unabhängig von ihrem jeweiligen Niveau der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und ihrem Lebensstandard, stellen die EU vor die große Herausforderung, bei der schrittweisen Umsetzung der Agenda 2030 auf globaler Ebene eine führende und beratende Rolle zu übernehmen. Damit dies gelingen und die EU zum Wegbereiter für 2030 werden kann, muss sie die notwendigen Beschlüsse fassen und die erforderlichen Änderungen an ihren politischen Maßnahmen und Programmen vornehmen. |
|
3.8. |
Es sei darauf hingewiesen, dass seit der Annahme der Agenda 2030 ein Jahr vergangen ist und die Europäische Kommission ihre Umsetzung in recht inkohärenter und unkoordinierter Weise in Angriff genommen hat. Auf der ersten Tagung des hochrangigen politischen Forums (HLPF) über nachhaltige Entwicklung im Juli 2016 legten vier EU-Mitgliedstaaten (Estland, Finnland, Frankreich und Deutschland) ihre freiwilligen Berichte vor. Der EWSA bedauert, dass die Europäische Kommission anlässlich der ersten Sitzung des HLPF keine kohärente und koordinierte Strategie vorgelegt hat, um die Koordinierung unter den Mitgliedstaaten wie auch zwischen den Mitgliedstaaten und der EU zu verbessern und Synergien zu fördern. |
|
3.9. |
Dieser Mangel an Koordinierung und die unzureichende Berücksichtigung und Integration der Agenda 2030 kommt auch in den Konsultationsdokumenten zu der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und zu der Erneuerung des Europäischen Konsenses über die Entwicklungspolitik zum Ausdruck. Anfang 2016 leitete die Europäische Kommission die Konsultation zu der europäischen Säule sozialer Rechte ein, in der jeder Bezug zur Agenda 2030 und insbesondere ihrer sozialen Dimension fehlte. Der EWSA erarbeitet derzeit eine Stellungnahme zur europäischen Säule sozialer Rechte, in der er seine einschlägigen Ansichten darlegt. Er betont mit Nachdruck, dass die EU bei der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung das Silodenken aufbrechen muss. |
|
3.10. |
Die Entwicklungshilfe der EU und ihrer Mitgliedstaaten fließt in ca. 150 Länder; sie sind die größten Geber von öffentlicher Entwicklungshilfe, ihr Beitrag macht über 50 % der gesamten weltweiten jährlichen öffentlichen Entwicklungshilfe aus. Vorläufigen Zahlen zufolge stieg die öffentliche Entwicklungshilfe der EU insgesamt (EU-Institutionen und Mitgliedstaaten) 2015 im dritten Jahr in Folge an und erreichte mit 68 Mrd. EUR, was einer Steigerung um 15 % im Vergleich zu 2014 entspricht, ihr bislang höchstes Niveau. Der EWSA fordert die EU und die Mitgliedstaaten auf, die öffentliche Entwicklungshilfe insgesamt zu erhöhen: 2015 machte sie 0,47 % des BIP der EU aus, soll indes letztlich 0,7 % erreichen. |
|
3.11. |
Einer Eurobarometer-Umfrage zufolge befürworten fast neun von zehn EU-Bürgern die Entwicklungshilfe (89 % — vier Prozent mehr als 2014). Mehr als die Hälfte von ihnen ist der Auffassung, dass die EU Hilfe in der zugesagten Höhe leisten sollte (7). Die europäischen Bürger erwarten von der EU, dass sie ihrer Verpflichtung auf die SDG nachkommt, eine neue Vision für ein nachhaltiges Europa schafft und ihre Umsetzungspflichten erfüllt. |
|
3.12. |
Die Europäische Kommission sollte die auf Drittländer ausgerichteten Maßnahmen und Programme überprüfen, um sicherzustellen, dass sie mit der Agenda 2030 im Einklang stehen. Die Bestandsaufnahme, die die Europäische Kommission derzeit unternimmt, sollte mit einer detaillierten und umfassenden Bedarfsanalyse einhergehen, um die Lücken und Unstimmigkeiten zu ermitteln, die zwischen den auf Drittländer ausgerichteten Maßnahmen und Programmen der EU und den SDG bestehen. |
|
3.13. |
Es mangelt an verlässlichen und aufgeschlüsselten Daten über die Situation von schutzbedürftigen Menschen in der Welt. Die Europäische Kommission sollte deshalb die Arbeit der Interinstitutionellen Sachverständigengruppe über die Indikatoren für die Ziele für nachhaltige Entwicklung (IAEG-SDG) unterstützen. Eurostat muss seine Kapazitäten ausbauen, um die Wirkung der Agenda 2030 auf schutzbedürftige Gruppen innerhalb der EU messen zu können. Der EWSA fordert, dass ein jährlicher Bericht über die Durchführung der externen Maßnahmen und Mittel im Zusammenhang mit der Agenda 2030 vorgelegt wird, und zwar im Rahmen der geplanten jährlichen Berichte von Eurostat über die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele für Europa. |
|
3.14. |
Die EU-Institutionen sollten die notwendigen Schritte einleiten, um die Anwendung des Grundsatzes „Leaving no one behind (LNOB)“ (niemand soll zurückgelassen werden) zu ermöglichen und in ihre Maßnahmen und Programme zu integrieren. Voraussetzung dafür sind umfangreiche aufgeschlüsselte, zuverlässige und zugängliche Daten. |
|
3.15. |
Die Europäische Kommission sollte im Zuge umfassender Überprüfungen oder bei der Einführung von Verfahren zur Überwachung der Umsetzung der Agenda 2030 stets die Zivilgesellschaft einbeziehen und konsultieren. Allerdings sollte die Europäische Kommission nach Ansicht des EWSA Maßnahmen zum Ausbau von Kapazitäten der Zivilgesellschaft durchgängig in alle ihre Politiken und Programme integrieren und die Zivilgesellschaft zu einem echten Partner bei der Umsetzung der SDG machen, indem Mittel für die internationale Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen aus der EU und aus anderen Regionen bereitgestellt werden. In diesem Zusammenhang fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, die in seiner Stellungnahme zum Thema „Ein Nachhaltigkeitsforum der europäischen Zivilgesellschaft“ (8) empfohlene Errichtung eines Europäischen Forums für nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. |
|
3.16. |
Die EU-Institutionen sollten einen interinstitutionellen Koordinierungsmechanismus einrichten, um die Ziele und Zielvorgaben der Agenda 2030 wirksam, rasch, stimmig und durchgängig in alle Maßnahmen und Programme im Rahmen des auswärtigen Handelns der EU zu integrieren. Ein umfangreiches Engagement der EU für die Verwirklichung der SDG auf globaler Ebene erfordert eine zukunftsorientierte strategische Planung der externen politischen Maßnahmen und Programme der EU. Der EWSA fordert deshalb, |
|
3.16.1. |
dass die Europäische Kommission in der anstehenden Mitteilung über die Agenda 2030 ein vernünftiges Programm zur Gewährleistung politischer Kohärenz und Koordinierung ihrer externen Maßnahmen und Programme vorlegt. Eine Mitteilung ohne einen konstruktiven Plan für die Ausrichtung der externen politischen Maßnahmen der EU auf die Agenda 2030 wird die Erwartungen der Menschen weltweit enttäuschen. Dieser Plan sollte Teil einer übergeordneten EU-Strategie sein, die die erforderlichen Maßnahmen und Veränderungen vorsieht, um die Agenda 2030 stimmig über die EU-Maßnahmen und Programme auf globaler Ebene umzusetzen. Eine Grundlage dieser übergeordneten Strategie sollte das Multi-Stakeholder-Governance-Modell sein, um die umfassende Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen in die Verwirklichung der SDG sicherzustellen (9); |
|
3.16.2. |
dass die Europäische Kommission die globale Strategie der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik als übergeordneten Mechanismus für die Berücksichtigung der Agenda 2030 in Bereichen wie Handel, Entwicklung, Demokratie, Menschenrechte, humanitäre Hilfe, Katastrophenvorsorge, Technologietransfer und Klimaschutz anlegt; |
|
3.16.3. |
dass die Europäische Kommission den Vorschlag für den künftigen Konsens über die Entwicklungspolitik auf die Sicherstellung einer richtigen Koordinierung zwischen den EU-Institutionen und Mitgliedstaaten bei der Unterstützung von Drittländern ausrichtet. Diese Koordinierung sollte auch die Bündelung von Ressourcen umfassen. Der Konsens sollte eine wirksame bilaterale Koordinierung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer nationalen Prioritäten, der Partnerschaften mit der EU und der Einbeziehung anderer öffentlicher und privater Geber vorsehen. Erwartungsgemäß sollte dies zu einem Multiplikatoreffekt für die Verwirklichung der Agenda 2030 und zur Abschwächung der negativen Auswirkungen der gegenwärtigen Fragmentierung und Überschneidung von Hilfeleistungen führen; |
|
3.16.4. |
dass die Europäische Kommission über ihre externen politischen Maßnahmen und Programme die Sozial- und Solidarwirtschaft fördert. Nach Meinung des EWSA steht die Sozial- und Solidarwirtschaft voll und ganz im Einklang mit der Verwirklichung der SDG, und deshalb kann diesem Sektor eine Schlüsselfunktion für den Ausgleich der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimensionen der Agenda 2030 zukommen. |
|
3.16.5. |
dass die Europäische Kommission klar und detailliert die Mittel zur Umsetzung der Agenda 2030 festlegt und ausgeprägte Synergien zwischen den Umsetzungsmitteln und der Addis Abeba Aktionsagenda sowie dem Forum für Entwicklungsfinanzierung ermittelt. |
|
3.17. |
Der neue ganzheitliche Ansatz der Agenda 2030 und der allgemeingütige und unteilbare Charakter ihrer drei ineinandergreifenden Dimensionen lässt ein umfassenderes Modell der menschlichen Entwicklung erkennen, weshalb die Ergebnisse der Umsetzung der Agenda 2030 nicht auf herkömmliche Weise gemessen werden können, indem Wirtschaftswachstum und inklusive Entwicklung ausschließlich auf das BIP bezogen werden. |
|
3.18. |
Die Europäische Union sollte spezifische Maßnahmen und Programme im Hinblick auf das Ziel konzipieren und durchführen, die Agenda 2030 vollständig umzusetzen und dabei insbesondere Demokratie, Menschenrechte, Umweltmaßnahmen, Rechtsstaatlichkeit und inklusives Wachstum unter realer Verbesserung der Lebensbedingungen schutzbedürftiger Gruppen zu fördern. Hierauf sollte das auswärtige Handeln der EU mitsamt den einschlägigen Maßnahmen und Programmen gründen, wobei dem Ausgleich der drei Dimensionen der Agenda 2030 besondere Aufmerksamkeit gelten muss. |
|
3.19. |
Der Europäische Auswärtige Dienst sollte ebenfalls messbare Maßnahmen und Initiativen erwägen und einen einschlägigen kohärenten Plan entwerfen und durchführen. Ziel sollte sein, dass die EU aufgrund der durchgängigen Berücksichtigung der Agenda 2030 in ihren Tätigkeiten, politischen Maßnahmen und Programmen eine führende Rolle übernimmt und vom Rest der Welt als Wegbereiter einer ausgewogenen und gerechten Umsetzung der Agenda 2030 betrachtet wird. |
|
3.20. |
Die Europäische Kommission sollte die auf den 17 SDG beruhende Agenda 2030 als Konditionalität festlegen, die für alle durch das auswärtige Handeln der EU finanzierten Maßnahmen und Programme gilt. Die Adressaten dieser Programme sollten dafür zuständig sein, bei der Durchführung der Programme diese Konditionalität zu erfüllen. Die Agenda-2030-Konditionalität muss selbstredend gleichermaßen und durchgängig für alle politischen Maßnahmen und Programme der EU gelten. Der Grundsatz der Konditionalität ist bereits im Regelungsrahmen der europäischen Struktur- und Investitionsfonds verankert worden (10). |
|
3.21. |
Es besteht weithin Einigkeit darin, dass die Agenda 2030 für einen Paradigmenwechsel auf der Entwicklungsagenda steht, der in den EU-Programmen für Entwicklungszusammenarbeit umfassend zum Tragen kommen sollte. Die 17 Ziele der Agenda 2030 sollten daher vollständig und durchgängig in die EU-Agenda für Entwicklungszusammenarbeit integriert und einbezogen werden. Die EU sollte bei der Konzipierung und Durchführung externer Maßnahmen ferner internationale Vertragswerke, u. a. Umwelt- und Menschenrechtsübereinkommen, umfassend beachten und berücksichtigen (11). |
|
3.22. |
Die Europäische Kommission sollte sich im Rahmen ihrer externen Maßnahmen und Programme ein Bild vom Verständnis und von der Akzeptanz der Auswirkungen der Umsetzung der Agenda 2030 machen. Sie sollte eine einschlägige Eurobarometer-Umfrage in den EU-Mitgliedstaaten und entsprechende Erhebungen in den Partnerländern durchführen. Es sei darauf hingewiesen, dass Eurobarometer zufolge gerade ein Drittel der Europäer (36 %) von den Zielen der nachhaltigen Entwicklung gehört oder etwas darüber gelesen hat. |
4. Eine konstruktive Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der weltweiten Umsetzung der Agenda 2030
|
4.1. |
Die Agenda 2030 ist ein Plädoyer für eine weltweite Umstellung auf einen Multi-Stakeholder-Governance-Ansatz, bei dem der Zivilgesellschaft eine größere Rolle zukommt. Damit verbunden sind neue, verstärkt kollaborative und inklusive Arbeitsmethoden auf der Grundlage partizipativer Entscheidungsfindung. |
|
4.2. |
Die Verhandlungen über die Agenda 2030 haben neue Akteure der Zivilgesellschaft mobilisiert und ihr Interesse geweckt. Dieses Engagement der Zivilgesellschaft muss für den Umsetzungsprozess genutzt, gestärkt und formalisiert werden. Aufgrund der konstruktiven und wirksamen Beiträge zivilgesellschaftlicher Organisationen während der Verhandlungen über die Agenda 2030 ist die Mitwirkung der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Agenda unentbehrlich geworden, sodass sie als Partner in diesem Prozess nicht mehr wegzudenken ist. |
|
4.3. |
Der Zivilgesellschaft kommt bei der Umsetzung der Agenda 2030 auf globaler, regionaler und nationaler Ebene eine zentrale Rolle zu. Es muss sichergestellt werden, dass die Zivilgesellschaft auch auf nationaler Ebene in den EU-Mitgliedstaaten und in den Partnerländern eine wirksame Rolle spielt. Der EWSA appelliert an die Europäische Kommission, Maßnahmen zum Ausbau von Kapazitäten der Zivilgesellschaft durchgängig in alle ihre Politiken und Programme integrieren, um diese Partizipation und Partnerschaft in der Praxis zu verwirklichen. |
|
4.4. |
Der EWSA ist sich im Klaren darüber, dass zivilgesellschaftliche Organisationen in vielen Teilen der Welt bedauerlicherweise mit Einschränkungen, Barrieren und Hindernissen zu kämpfen haben, was ihre echte und wirksame Einbeziehung in diesen Prozess erschwert. Er fordert deshalb die Europäische Kommission auf, die Partnerländer zu verpflichten, eine echte Partizipation der Zivilgesellschaft durch ihre systematische Konsultierung und ihre Einbeziehung in die Planung, Umsetzung und Überwachung der Agenda 2030 in Verbindung mit — insbesondere von der EU finanzierten — Projekten und Programmen zu fördern. Die EU-Delegationen in den Partnerländern sollten diesen Prozess dementsprechend genau beobachten und der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik Bericht erstatten. Die UN-Delegationen in den Partnerländern sollten auch Konsultationsgespräche mit zivilgesellschaftlichen Organisationen über Finanzierungsprogramme der EU führen. |
|
4.5. |
Die Zivilgesellschaft sollte sich indes proaktiv um die Anpassung an die Erfordernisse der Agenda 2030 bemühen, um Einfluss auf ihre Umsetzung nehmen zu können. Durch die Agenda 2030 sind die Organisationen der Zivilgesellschaft ganz klar als echte treibende Kraft ihrer Umsetzung gefordert; doch um sich in diesen Prozess einzubringen, muss die Zivilgesellschaft ihre Organisations- und Arbeitsweise von Grund auf ändern. Dazu wiederum muss sich die Zivilgesellschaft Vorbereitungen treffen und sich neu strukturieren, um in der Lage zu sein, umfassend an dem Entscheidungsfindungsprozess mitzuwirken. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten repräsentativ, demokratisch, transparent und rechenschaftspflichtig sein. |
|
4.6. |
Das geplante Nachhaltigkeitsforum in der EU kann als Modellplattform für andere Regionen und Länder dienen und an die jeweiligen lokalen Voraussetzungen angepasst werden (12). |
|
4.7. |
Der EWSA ist bereit, eine Mittlerfunktion im Hinblick auf die konstruktive Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Umsetzung, Überwachung und Überprüfung der Agenda 2030 auf globaler Ebene zu übernehmen. Er kann sich dabei auf ein breites Netz an Kontakten, Partnern und Interessenträgern in vielen Regionen der Welt stützen. Er fordert die Europäische Kommission ferner auf, in ihren externen politischen Maßnahmen und Programmen durchgängig eine strukturelle und konkrete Unterstützung vorzusehen, um zivilgesellschaftliche Organisationen in Drittländern in die Lage zu versetzen, sich als vollwertige Partner in die Umsetzung der Agenda 2030 einzubringen. |
Brüssel, den 20. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Im Einklang mit der Empfehlung in der EWSA-Stellungnahme NAT/693 zum Thema „Nachhaltige Entwicklung: Bestandsaufnahme der internen und externen politischen Maßnahmen der EU“, Berichterstatter: Ioannis Vardakastanis, Mitberichterstatterin: Jarmila Dubravská (ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 41).
(2) Sondierungsstellungnahme des EWSA zum Thema „Ein Nachhaltigkeitsforum der europäischen Zivilgesellschaft“ (ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 73).
(3) Siehe Fußnote 1.
(4) Siehe Fußnote 1.
(5) Siehe Fußnote 1.
(6) Siehe Fußnote 1.
(7) Special Eurobarometer 441 — The European Year for Development — Citizens’ views on Development, Cooperation and aid.
(8) Siehe Fußnote 2.
(9) EWSA-Stellungnahme zum Thema „Ein Nachhaltigkeitsforum der europäischen Zivilgesellschaft“, Ziffer 1.4, Berichterstatterin: Brenda King (ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 73); EWSA-Stellungnahme zum Thema „Bestandsaufnahme der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“, Berichterstatter: Stefano Palmieri (ABl. C 12 vom 15.1.2015, S. 105).
(10) Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 320).
(11) Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung 21. Dezember 1965
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 16. Dezember 1966
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 16. Dezember 1966
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau 18. Dezember 1979
Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe 10. Dezember 1984
Übereinkommen über die Rechte des Kindes 20. November 1989
Internationale Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen 18. Dezember 1990
Internationales Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen 20. Dezember 2006
Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen 13. Dezember 2006
(12) Siehe Fußnote 2.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/66 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Halbzeitbewertung von Horizont 2020“
(Sondierungsstellungnahme)
(2017/C 034/10)
|
Berichterstatter: |
Ulrich SAMM |
|
Befassung |
Slowakischer Ratsvorsitz, 14.3.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
Sondierungsstellungnahme |
|
Zuständige Fachgruppe |
Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
|
Annahme in der Fachgruppe |
4.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
20.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
180/0/3 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt Horizont 2020 als starkes und erfolgreiches Programm, das Spitzenleistungen, eine gemeinsame Forschungsinfrastruktur, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Synergien zwischen Wissenschaft, Industrie, KMU und Forschungseinrichtungen in sich vereint. |
|
1.2. |
Horizont 2020 ist ein wesentliches Instrument zur Umsetzung der Strategie Europa 2020, deren Ziel es ist, „einen Beitrag zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum in Europa und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu leisten, indem die Innovationskapazität der Mitgliedstaaten und der Union gestärkt wird, um den großen Herausforderungen zu begegnen, denen sich die Gesellschaft in Europa gegenübersieht“. |
|
1.3. |
Der EWSA schließt sich deshalb der Forderung des Forschungsausschusses des Europäischen Parlaments (ITRE) an, 2,2 Mrd. EUR aus dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) zurück in das Forschungs- und Innovationsprogramm der EU (Horizont 2020) zu übertragen. |
|
1.4. |
Der EWSA begrüßt, dass in Horizont 2020 mehr Gewicht auf die Innovation gelegt wird. Innovation ist entscheidend für das Wirtschaftswachstum. Das neu eingeführte KMU-Instrument ist ein positives Beispiel für effiziente Antrags-, Auswahl- und Überprüfungsverfahren. |
|
1.5. |
Die finanzielle Förderung der Grundlagenforschung ist außerordentlich erfolgreich. Insbesondere die vom Europäischen Forschungsrat vergebenen Stipendien (ERC grants) genießen beträchtliches Ansehen: Sie gelten als hohe Auszeichnung für einzelne Forscher und sind europaweit Indikatoren für den letzten Stand der Forschung. |
|
1.6. |
Der EWSA ist besorgt darüber, dass die Finanzmittel für Forschungsprojekte zu gesellschaftlichen Herausforderungen (Societal Challenges) erheblich gekürzt wurden. Viele erfolgreiche EU-weite Forschungsprojekte aus dem 6. bzw. 7. Rahmenprogramm endeten mit Horizont 2020. Die kooperative Forschung sollte erneut ein unabdingbares Element in der Forschungs- und Innovationskette werden. |
|
1.7. |
Der EWSA fordert eine gründliche Evaluierung, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den drei Förderschwerpunkten, nämlich wissenschaftliche Exzellenz (Excellent Science), führende Rolle der Industrie (Industrial Leadership) und gesellschaftliche Herausforderungen (Societal Challenges), herzustellen. Bei dieser Bewertung sollten die Unterschiede zwischen den Schwerpunkten in Bezug auf die Auswirkungen, die Vorlaufzeit, bevor verwertbare Ergebnisse vorliegen, und die Hebeleffekte sowie insbesondere der konkrete Mehrwert dieser Schwerpunkte für die EU berücksichtigt werden. |
|
1.8. |
Die Europäische Union muss die gesamte Forschungs- und Innovationskette in ausgewogener Weise unterstützen, von der Grundlagenforschung bis hin zur produktorientierten Forschung. |
|
1.9. |
Der EWSA unterstreicht ferner, dass die Sozial- und Geisteswissenschaften eine entscheidende Rolle spielen bei der Analyse und Vorhersage der gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich durch Veränderungen der Arbeits- und Lebensbedingungen infolge von demografischem Wandel, Globalisierung, Klimawandel, neuen Technologien, Digitalisierung und Ausbildung für neue hochwertige Arbeitsplätze ergeben. |
|
1.10. |
Der EWSA verfolgt mit großem Interesse die Leistungen des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT) und die Empfehlungen des Rechnungshofs. Er geht davon aus, dass die Zwischenbewertung erhebliche Verbesserungen im EIT nach sich ziehen wird. |
|
1.11. |
Der von der Kommission vorgeschlagene neue Europäische Innovationsrat, der unmittelbar für Unternehmer/Innovatoren tätig werden soll, könnte als Dachgremium für die Straffung der Förderinstrumente für Innovation fungieren und so eine effiziente Möglichkeit schaffen, die Innovationslücke zu schließen. |
|
1.12. |
Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, bei der Einführung neuer Förderinstrumente die bereits vorhandenen Instrumente gründlich zu überprüfen mit dem Ziel, ihre Zahl zu reduzieren und sie weitestgehend zu harmonisieren. |
|
1.13. |
Der EWSA betont, dass die Bereitstellung von Finanzierungsquellen für das Programm „Mobilität“ für Forscher und der Zugang zu grenzübergreifenden Infrastrukturen ein wesentlicher positiver Aspekt des Europäischen Forschungsraums ist, der effizienter gefördert werden sollte. |
|
1.14. |
Der EWSA ist außerordentlich besorgt über die großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die nationale Finanzierung von Forschung und Innovation, die dazu geführt haben, dass die EU-Mittel in sehr unterschiedlichem Maße abgerufen werden. |
|
1.15. |
Der EWSA empfiehlt, alle Instrumente zu überprüfen, damit Verbesserungen vorgenommen werden können, durch die diese Unterschiede beseitigt werden. Dabei spielen sowohl die kooperative Forschung, die mehrere Mitgliedstaaten zusammenbringt, als auch die neuen Maßnahmen zur Verbreitung von Exzellenz (Spreading Excellence) und Ausweitung der Beteiligung (Widening Participation) eine wichtige Rolle. |
|
1.16. |
Der EWSA fordert, dass die nationale Finanzierung von Forschung und Innovation (F&I) ausgebaut wird, und weist die Mitgliedstaaten nachdrücklich darauf hin, dass die F&I-Finanzierung der EU nationale Anstrengungen nicht ersetzen kann. |
|
1.17. |
Der EWSA befürwortet auch die Schlussfolgerungen des Rates vom 27. Mai 2016, in denen betont wird, dass im Rahmen des Programms Horizont 2020 darauf geachtet werden sollte, sicherzustellen, dass darlehensbasierte Finanzierung nicht zulasten von zuschussfinanzierter F&I-Finanzierung weiter ausgeweitet wird. |
|
1.18. |
Es müssen vernünftige Erfolgsraten erreicht werden, damit keine Ressourcen verschwendet werden und bei den besten Teilnehmern aus Industrie und Wissenschaft keine Frustration entsteht. Es liegen verschiedenste Vorschläge für Abhilfemaßnahmen vor, die die Kommission in der verbleibenden Laufzeit von Horizont 2020 unverzüglich umsetzen sollte. |
|
1.19. |
Eine weitere Vereinfachung der Verfahren von Horizont 2020 ist nach wie vor dringend erforderlich. Zu begrüßen sind die erfolgreichen Bemühungen der Kommission um eine Vereinfachung der Antragstellung. Die Phase der Projektausführung hingegen ist nun unter Umständen mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Der EWSA empfiehlt der Kommission, sich weitestgehend den Grundsatz zu eigen zu machen, dass das Hauptkriterium die Einhaltung der nationalen Vorschriften ist, solange diese vereinbarten Standards entsprechen. |
|
1.20. |
In der Zwischenbewertung sollte eher geprüft werden, wie Horizont 2020 qualitativ zur Verwirklichung seiner Ziele beiträgt, nämlich zur Förderung wissenschaftlicher Exzellenz (Excellent Science), zur Bewältigung dringender gesellschaftlicher Herausforderungen (Societal Challenges) und zur Unterstützung der führenden Rolle der Industrie (Industrial Leadership) für ein stärkeres integratives Wirtschaftswachstum, das Arbeitsplätze in Europa schafft — statt einer übermäßigen Konzentration auf quantitative Maßnahmen, etwa die Zahl der Publikationen und Patente, oder die Ermittlung der Rendite, wie es bei der Bewertung des 7. Forschungsrahmenprogramms geschehen ist. Der EWSA empfiehlt auch, im Rahmen der Strukturfonds und des EFSI Vergleichsindikatoren für Investitionen in Forschung und Innovation zu erarbeiten. |
2. Einleitung
|
2.1. |
Horizont 2020, das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation (2014-2020), wurde 2014 gestartet, um wissenschaftliche Spitzenleistungen zu fördern, die wesentlichen Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft in Europa steht, zu bewältigen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Es folgte auf das 7. Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung (2007-2013), unterscheidet sich von diesem jedoch insofern erheblich in seiner Struktur, als es auch das Europäische Technologieinstitut sowie Teile des früheren Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation umfasst. Wie sich sowohl aus der Struktur als auch aus dem Namen des neuen Programms ablesen lässt, spielt die Innovation in Horizont 2020 eine weitaus größere Rolle als in seinem Vorläuferprogramm. |
|
2.2. |
Der EWSA hat den Vorschlag für die Verordnungen zu Horizont 2020 in seiner Stellungnahme vom März 2012 (1) eingehend analysiert. |
|
2.3. |
Der EWSA begrüßt Horizont 2020 als starkes und erfolgreiches Programm, das Spitzenleistungen, Forschungsinfrastrukturen und vor allem Forscher aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, assoziierten Staaten sowie aus der ganzen Welt zusammenbringt und wichtige Ergebnisse und Synergien zwischen Wissenschaft, Industrie, KMU und Forschungseinrichtungen erzielt. Es ist das weltweit umfassendste Programm zur öffentlichen Finanzierung von Forschung und Innovation und ein starkes Signal, dass die EU in ihre Zukunft investiert. |
|
2.4. |
Folgende drei Förderschwerpunkte von Horizont 2020 machen über 90 % seines Haushalts aus:
|
3. Von der Forschung zur Innovation
|
3.1. |
Der EWSA würdigt den Erfolg von Horizont 2020 und begrüßt die Verlagerung des Schwerpunkts auf mehr Innovation für eine wachsende Wirtschaft. Er weist jedoch auch auf einige Risiken für die Forschungs- und Innovationskette hin, die seiner Auffassung nach den Erfolg beeinträchtigen könnten. |
|
3.2. |
Die Europäische Union muss die gesamte Forschungs- und Innovationskette im Auge haben, von der Grundlagenforschung bis hin zur produktorientierten Forschung. Nur eine ausgewogene Förderung der gesamten Kette wird sicherstellen, dass erworbenes Know-how auch angewandt wird und letztlich gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen erbringt. Der EWSA fordert eine gründliche Evaluierung, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den drei Förderschwerpunkten wissenschaftliche Exzellenz (Excellent Science), führende Rolle der Industrie (Industrial Leadership) und gesellschaftliche Herausforderungen (Societal Challenges) herzustellen, wobei die Unterschiede zwischen den Schwerpunkten in Bezug auf die Auswirkungen, die Vorlaufzeit, bevor verwertbare Ergebnisse vorliegen, Hebeleffekte und insbesondere den konkreten Mehrwert der EU-Maßnahme zu berücksichtigen sind. |
|
3.3. |
Die europäische Grundlagenforschung ist außerordentlich erfolgreich. Die Bottom-up-Finanzierung aus FET-, MSCA- und ERC-Mitteln sollte unbedingt auf hohem Niveau beibehalten werden. Insbesondere die vom Europäischen Forschungsrat vergebenen Stipendien (ERC grants) genießen beträchtliches Ansehen: Sie gelten als hohe Auszeichnung für einzelne Forscher und sind europaweit Indikatoren für den letzten Stand der Forschung. |
|
3.4. |
Allerdings lässt sich auch nicht leugnen, dass moderne Forschung vor allem eine Teamleistung ist. Ungeachtet dessen, wie wichtig die Unterstützung einzelner Forscher ist, bedauern wir daher, dass die Mittel für kooperative Projekte im Bereich der Grundlagenforschung bei Horizont 2020 erheblich gekürzt wurden. |
|
3.5. |
Die Grundlagenforschung, die lange vor der Innovation stattfindet und vor allem durch gesellschaftliche Herausforderungen (Societal Challenges) angetrieben wird, wird größtenteils nicht durch den ERC abgedeckt. Diese Art der kooperativen Forschung war in früheren Rahmenprogrammen sehr erfolgreich, hat mit Horizont 2020 jedoch erheblich an Bedeutung verloren. Die Mittel für gesellschaftliche Herausforderungen wurden um 3,5 % zugunsten des EFSI gekürzt, und kooperative Forschungsprojekte der unteren Technologiereifegrade 1 bis 5 haben Einbußen zulasten von Projekten der höheren Technologiereifegrade erlitten. Viele Universitäten und Forschungseinrichtungen haben ihre Forschung zu gesellschaftlichen Herausforderungen deshalb eingeschränkt, was das Zusammenwirken von Industrie und Wissenschaft eher geschwächt als gestärkt hat. Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, dieser besorgniserregenden Entwicklung zu begegnen. Es ist wichtig, dass die Mittel für „Gesellschaftliche Herausforderungen“ (Societal Challenges) wiedereingesetzt werden und dass die Forschung auf den Technologiereifegraden 1 bis 5 deutlicher im Schwerpunkt „Gesellschaftliche Herausforderungen“ (Societal Challenges) von Horizont 2020 berücksichtigt wird, damit der gesamte Forschungs- und Innovationszyklus abgedeckt ist. Es ist in diesem Zusammenhang nach wie vor sehr wichtig, dass die Kommission bei der Ausarbeitung der Details, wie sich der Schwerpunkt „Gesellschaftliche Herausforderungen“ (Societal Challenges) auf der Ebene des Arbeitsprogramms darstellt, mit den Interessenträgern zusammenarbeitet. |
|
3.6. |
Der EWSA begrüßt, dass in Horizont 2020 mehr Gewicht auf die Innovation gelegt wird. Innovation ist von entscheidender Bedeutung für das Wirtschaftswachstum. Das neu eingeführte KMU-Instrument ist ein positives Beispiel für effiziente Antrags-, Auswahl- und Überprüfungsverfahren. Sein Erfolg lässt sich auch daran ablesen, dass der ursprünglich veranschlagte Anteil am Haushalt von 20 % für KMU bereits überschritten wurde. Geprüft werden sollten bei der Evaluierung Auswirkungen und Effizienz dieses Instruments in Bezug auf die unterschiedlichen Arten von KMU und ihre Beweggründe, einen Antrag als einzelnes Unternehmen (in der Mehrzahl der Fälle) oder als Konsortium (national oder EU-weit) einzureichen. Zudem sollte analysiert werden, inwieweit sich Kürzungen bei nationalen Mitteln für KMU auf die Anträge auf EU-Förderung niederschlagen. Entscheidend ist, dass die KMU-Förderung auch für KMU auf regionaler und lokaler Ebene zugänglich bleibt und dass die EU-Förderung nicht benutzt wird, um Kürzungen bei dieser wichtigen Quelle für Unterstützung auf lokaler Ebene zu rechtfertigen. |
|
3.7. |
Die Beteiligung der Industrie ist für den Erfolg von Horizont 2020 unabdingbar. Der Gesamtbetrag der Förderung für Unternehmen aus Horizont 2020 fällt eindeutig weniger ins Gewicht als die F&I-Ausgaben der Industrie. Als Vorteile für die Partner aus der Industrie werden im Wesentlichen die Vernetzung sowie neue Kontakte zu Universitäten, Forschungseinrichtungen und anderen Interessenträgern wie Städten gesehen. EU-Projekte sind insofern wichtig, als sie die kritische Masse für die Entwicklung neuer Standards liefern und der Industrie neues Know-how, neue Kunden und Märkte sowie neue Talente liefern. Diese für die Wettbewerbsfähigkeit der EU so wichtige Wirkung sollte stärker gefördert werden. Hier ist darauf hinzuweisen, dass Erfolgsindikatoren wie die Zahl neuer Arbeitsplätze wegen des nötigen Vorlaufs für Innovation und die Schaffung von Arbeitsplätzen für Horizont 2020 noch nicht anwendbar sind. |
|
3.8. |
Der EWSA verfolgt mit großem Interesse die Leistungen des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT). Europa braucht eine starke Interaktion zwischen Unternehmen, Forschung und Bildungswesen, und das ist das wichtigste Ziel des EIT. Laut dem Sonderbericht des Rechnungshofs (April 2016) steht das EIT allerdings vor mehreren bedeutenden Herausforderungen. Einige von ihnen wurden vor Kurzem bereits in Angriff genommen; allerdings geht der EWSA davon aus, dass die Zwischenbewertung erhebliche Gesamtverbesserungen im EIT nach sich ziehen wird. |
|
3.9. |
Die Kommission hat eine Diskussion über die Aufgaben und die Einrichtung eines Europäischen Innovationsrates (EIC) eingeleitet. Der EIC soll unmittelbar für Unternehmer/Innovatoren tätig werden und könnte die Möglichkeit bieten, die abschließenden Schritte bei der Schließung der Innovationslücke rascher zu vollziehen. Der EIC könnte zu einem als Dachgremium für die Straffung der Förderinstrumenten für Innovation fungieren. Dies erfordert natürlich eine sorgfältige Abstimmung und Harmonisierung mit allen anderen Förderinstrumenten. Der EWSA begrüßt diese Initiative und ist bereit, seinen Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten, sobald konkrete Vorschläge vorliegen. |
|
3.10. |
In den nächsten Jahren wird eine der wesentlichen Herausforderungen für Horizont 2020 darin bestehen, sein Potenzial zur Unterstützung sozialer Innovation, die entscheidend für die Umsetzung der EU-2020-Ziele ist, voll auszuschöpfen. Der EWSA verweist darauf, dass Unternehmen der Sozialwirtschaft aufgrund ihres Charakters diesbezüglich einen wichtigen Beitrag leisten können, und fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass diese Unternehmen zu den gleichen Bedingungen wie andere Akteure Zugang zur Förderung durch Horizont 2020 haben. |
|
3.11. |
Der EWSA unterstreicht ferner, dass die Sozial- und Geisteswissenschaften in Europa von großer Bedeutung sind. Unsere Gesellschaft wird sich aufgrund von Alterung und demografischem Wandel unweigerlich ändern, was neue Prioritäten für die Forschung zur Folge hat (2). Unsere Gesellschaft wird sich durch die Schaffung nachhaltiger Bedingungen grundlegend wandeln. Änderungen der Randbedingungen durch Phänomene wie Globalisierung, Klimawandel, Zugang zu Energie und neue Technologien — für die die Digitalisierung eine der Haupttriebkräfte ist — werden die gesellschaftlichen Veränderungen noch beschleunigen. Die Verbesserung unseres Bildungssystems wird von entscheidender Bedeutung dafür sein, dass wir für die Zukunft gerüstet sind, mit den richtigen Qualifikationen für künftige hochwertige Arbeitsplätze. Die Bewertung der Auswirkungen dieser Entwicklungen auf unsere Gesellschaft, einschließlich etwaiger Probleme, die u. U. durch Veränderungen der Arbeits- und Lebensbedingungen entstehen, sollte hohe Priorität erhalten. Den Sozialwissenschaften kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. |
4. Der Europäische Forschungsraum und der europäische Mehrwert von Horizont 2020
|
4.1. |
Eines der Ziele des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation (Horizont 2020) ist die Vollendung des Europäischen Forschungsraums (EFR). Horizont 2020 soll auch zur Umsetzung von Europa 2020 und zu den Initiativen der Innovationsunion beitragen. Wichtige Elemente für den EFR sind eine gemeinsame Politik in Bezug auf die europäischen Forschungsinfrastrukturen, kooperative Forschungsvorhaben, die grenzüberschreitende Mobilität der Forscher sowie die Koordinierung wichtiger Forschungsprogramme angesichts schwieriger Rahmenbedingungen: Die EU-Programme müssen in einem Umfeld umgesetzt werden, in dem der Großteil der öffentlichen Mittel für Forschung und Innovation von den Mitgliedstaaten verwaltet wird. |
|
4.2. |
Das Europäische Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) dient bisher als nützliches Koordinierungsinstrument für die Bestimmung neuer Forschungsinfrastrukturen von gesamteuropäischem Interesse. Zwar hängt die Schaffung großer Forschungsinfrastrukturen vor allem von der nationalen Finanzierung ab, doch ist die europäische Ebene wichtig, indem sie Konsortien unterstützt und dafür sorgt, dass Forscher Infrastrukturen über europäische Grenzen hinweg nutzen können. Der EWSA teilt die Besorgnis der Forscher darüber, dass diese Unterstützung nicht ausreicht, und fordert die Kommission auf, sie erheblich aufzustocken und es den europäischen Forschern auf diese Weise zu ermöglichen, nationale und europäische Infrastrukturen zu nutzen, die ein wesentlicher Trumpf des EFR sind. |
|
4.3. |
Überhaupt ist Mobilität im EFR von größter Bedeutung. Wir fordern deshalb, dass Finanzierungsprogramme wie die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen auf hohem Niveau beibehalten werden. |
|
4.4. |
Wir begrüßen die Initiative „Open to the World“ und gehen davon aus, dass wissenschaftliche Qualität nach wie vor die wichtigste Triebkraft dafür ist. Erste Anzeichen dafür, dass der Rückgang der Beteiligung von Drittstaaten sogar Industrieländer betrifft, etwa die USA, sollten sorgfältig geprüft werden, damit die Ursachen für diese besorgniserregende Entwicklung ermittelt werden können. |
|
4.5. |
Der EWSA betont, dass kooperative Forschungsprojekte mit mindestens drei Partnern aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten das Rückgrat der europäischen Forschungsfinanzierung bleiben müssen. Es verschiedenen Akteuren aus Innovation und Forschung zu ermöglichen, mit vereinten Kräften Herausforderungen anzugehen, die ein Land allein nicht bewältigen kann, und Synergien in der EU-Forschungslandschaft zu schaffen, ist eine Aufgabe für die EU-Ebene und führt zu einem erheblichen europäischen Mehrwert. |
|
4.6. |
Der EWSA ist außerordentlich besorgt über die großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die nationale Finanzierung von Forschung und Innovation, die dazu geführt haben, dass die EU-Mittel in sehr unterschiedlichem Maße abgerufen werden. Mit großer Beunruhigung sehen wir, dass diese Disparitäten noch zunehmen. Insbesondere sind die Bemühungen der EU-13-Mitgliedstaaten um Mittel aus Horizont 2020 kaum erfolgreich. Gewaltige Unterschiede bestehen auch bei der nationalen Finanzierung von Forschung und Innovation. Dies liegt nicht nur an den Unterschieden beim BIP der einzelnen Mitgliedstaaten. Darüber hinaus geben die stärkeren Mitgliedstaaten anteilmäßig wesentlich mehr für Forschung und Innovation aus als die schwächeren Partner. |
|
4.7. |
Es lässt sich eindeutig feststellen, dass das Ziel, 3 % des BIP für Forschung und Innovation aufzuwenden (Lissabon 2007), im Wesentlichen deshalb nicht erreicht wurde, weil nicht genügend nationale Mittel für Forschung und Innovation zur Verfügung stehen. Horizont 2020 kann hier nur einen kleinen Beitrag leisten. Der EWSA fordert, dass die nationale Finanzierung der Forschung ausgebaut wird, und weist die Mitgliedstaaten nachdrücklich darauf hin, dass die Forschungsfinanzierung der EU nationale Anstrengungen nicht ersetzen kann. Dies ist auch wichtig, um den Gefahren der Abwanderung hoch qualifizierter Kräfte in bestimmten Mitgliedstaaten entgegenzuwirken. |
|
4.8. |
Es sollte eine Analyse der wachsenden Kluft zwischen den Mitgliedstaaten durchgeführt werden, um die Gründe dafür zu ermitteln. Der EWSA begrüßt die neuen Maßnahmen zur Verbreitung von Exzellenz (Spreading Excellence) und Ausweitung der Beteiligung (Widening Participation), die zur Verringerung dieser Kluft beitragen können. Weitere mögliche Maßnahmen sind Projekte, die Beratung im Hinblick auf Strukturen zur Unterstützung der Antragsteller oder die Hinzufügung des Kriteriums, der Beteiligung von Ländern der EU-13 im Falle gleichwertiger Projekte Priorität zu geben, sofern die anderen Antragsteller dieselben Exzellenzkriterien erfüllen. Insbesondere würde der EWSA vorschlagen, ein bereits bestehendes Finanzierungsinstrument — die Verbundforschung — zu stärken: Durch sie entstehen Brücken zwischen den Forschungsgemeinschaften, was dazu beiträgt, Unterschiede auszugleichen. |
|
4.9. |
Der EWSA unterstützt Aktivitäten im Bereich der offenen Wissenschaft (3). Die Nutzung des offenen Zugangs (Open Access) für Veröffentlichungen hat Fortschritte gemacht, doch gibt es nach wie vor erhebliche Probleme mit einigen Herausgebern — ein Hindernis, das durch koordinierte Bemühungen der EU überwunden werden kann. Die Entwicklung im Bereich offener Daten (Open Data) ist zu begrüßen, doch ist noch ein von der Basis ausgehender Prozess innerhalb der Forschungsgemeinschaften nötig, um die Einzelheiten der Umsetzung festzulegen. |
|
4.10. |
Eine europäische Cloud für Wissenschaft, wie sie von der Kommission angeregt wurde, könnte den europäischen Forschern eine virtuelle Umgebung für die Speicherung, gemeinsame Nutzung und Wiederverwendung ihrer Daten über Fachgebiete und Grenzen hinweg bieten. Der EWSA unterstützt diese Initiative (4) und ist der Auffassung, dass sie ein wichtiges Element für das Konzept Open Data sein könnte. Wir fordern die Kommission auf, grenzübergreifende Cloud-Systeme sorgfältig zu berücksichtigen, die in einzelnen Wissenschaftsgemeinschaften bereits existieren und gut funktionieren. Dies gilt auch für nationale Maßnahmen mit demselben Ziel. |
5. Auf dem Weg zu effizienten Verfahren
|
5.1. |
Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission um weitere Vereinfachungen bei Horizont 2020. Insbesondere für kleinere Akteure sind weniger Bürokratie, einfachere Regeln und mehr Rechtssicherheit attraktiv. |
|
5.2. |
Das neu eingeführte KMU-Instrument ist ein positives Beispiel für effiziente Antrags-, Auswahl- und Überprüfungsverfahren. Unternehmen bewerten Elemente wie die kurze Bearbeitungszeit von Anträgen auf Stipendien/Darlehen und die Finanzierung von an der Basis entwickelten Ideen sehr positiv. Diese Elemente sollten beispielgebend für andere Instrumente im Rahmen von Horizont 2020 sein. |
|
5.3. |
Bei der Vereinfachung der Regeln und Instrumente wurde bereits viel erreicht, man denke nur an das wesentlich verbesserte Teilnehmerportal, doch sind noch wichtige Probleme zu beheben, die die Attraktivität der Programme erheblich schmälern. So wurde etwa die interne Rechnungstellung, wie sie in Industrie und Wissenschaft zum Großteil gehandhabt wird, nahezu unmöglich, und strengere Bestimmungen zu den „vollständigen Kapazitäten“ der genutzten Anlagen haben zu weiteren Komplikationen geführt. Das Problem, dass die Kommission nicht bereit ist, die tatsächlichen individuellen Lohnkosten zu erstatten, und sich stattdessen auf die Beträge des letzten abgeschlossenen Wirtschaftsjahrs bezieht, wurde teilweise angegangen, ist jedoch weiterhin eine zusätzliche administrative Belastung. Die Verordnungen zu Horizont 2020 erfordern nach wie vor oft eine parallele Buchführung. Das umfassende Fachwissen in Sachen Verwaltung, das die Teilnehmer nach wie vor benötigen, um diesen Aspekten von Horizont 2020 gerecht zu werden, macht die Beteiligung für KMU ganz besonders aufwendig und schreckt auch internationale Partner ab. |
|
5.4. |
Der EWSA bestärkt die Kommission darin, Horizont 2020 weiter zu vereinfachen und die Regeln für die Teilnahme an Horizont 2020 einzuhalten, die eine „breitere Akzeptanz der üblichen Kostenrechnungsverfahren der Finanzhilfeempfänger“ vorsehen. Er empfiehlt, dass bei Überlegungen zu künftigen Rahmenprogrammen weitere Fortschritte in diese Richtung angestrebt werden und dass die üblichen Rechnungslegungsstandards der Teilnehmer wo immer möglich akzeptiert werden, beginnend bei dem Grundsatz, dass das Hauptkriterium die Einhaltung der nationalen Vorschriften ist, solange diese den vereinbarten Standards entsprechen. Diese Standards könnten gemeinsam mit dem Europäischen Rechnungshof entwickelt und getestet werden. |
|
5.5. |
Mit Blick auf das nächste Rahmenprogramm fordert der EWSA zudem nachdrücklich, dass keine zusätzlichen Instrumente geschaffen werden, und fordert die Kommission auf, die Zahl der Instrumente stattdessen zu reduzieren und die Bewertung der gemeinsamen Technologieinitiativen dazu zu nutzen, sie auf die effizientesten zu beschränken. |
|
5.6. |
Der EWSA schließt sich der Forderung des Forschungsausschusses des EP (ITRE) an, 2,2 Mrd. EUR aus dem EFSI zurück in das Forschungs- und Innovationsprogramm der EU (Horizont 2020) zu übertragen, um die erheblichen negativen Folgen der Kürzungen auszugleichen. Die Projekte, in die der EFSI investiert, können nicht als Kompensation für die Projekte betrachtet werden, die im Rahmen von Horizont 2020 nicht länger finanziert werden können, da die überwiegende Mehrheit der EFSI-Projekte nicht die Forschung, sondern die Anwendung bereits existierender Technologien betreffen. Dies ist sicherlich verdienstvoll, darf jedoch die Quelle innovativer neuer Technologien für die Wettbewerbsfähigkeit Europas, die Horizont 2020 bieten kann, nicht einschränken. |
|
5.7. |
Die klassische Kofinanzierung von Projekten, bei der die Kommission Zuschüsse für konkrete Projekte vergibt und sich damit an deren Gesamtkosten beteiligt, rückt bei Horizont 2020 immer mehr in den Hintergrund zugunsten von Finanzierungsinstrumenten. Die Finanzierung von Forschungsprojekten über Darlehen ist jedoch für Wirtschaft und Wissenschaft nur am Ende der Innovationskette sinnvoll, nicht aber im gesamten Bereich grundlegender Innovationen. Darüber hinaus kommen diese Instrumente für viele relevante Akteure nicht infrage, da öffentliche Forschungseinrichtungen in vielen Mitgliedstaaten keine Darlehen aufnehmen dürfen. Der EWSA fordert deshalb, dass sowohl Horizont 2020 als auch seine Nachfolgeprogramme vor allem auf die Kofinanzierung konzentriert bleiben. |
|
5.8. |
Der EWSA befürwortet deshalb die Schlussfolgerungen des Rates vom 27. Mai 2016, in denen betont wird, dass im Rahmen des Programms Horizont 2020 darauf geachtet werden sollte, sicherzustellen, dass darlehensbasierte Finanzierung nicht zulasten von zuschussfinanzierter F&I-Finanzierung weiter ausgeweitet wird. Die europäische Industrie braucht Zugang zu bahnbrechenden neuen Technologien, die aus Projekten mit hohem Risiko entwickelt werden, und dies ist nicht mit Darlehen zu machen. |
|
5.9. |
In den ersten Jahren von Horizont 2020 lagen die Erfolgsraten in einigen Fällen bei nur 3 %. Im Allgemeinen liegen die Erfolgsraten bei Horizont 2020 bei 1:8 gegenüber 1:5 beim 7. Rahmenprogramm. Es müssen vernünftige Erfolgsraten erreicht werden, damit keine Ressourcen verschwendet werden und bei den besten Teilnehmern aus Industrie und Wissenschaft keine Frustration entsteht. Bei wesentlich geringeren Erfolgsraten können die Kosten, die durch die Projektanträge entstehen, unter Umständen die gewährte Förderung übersteigen. Es liegen verschiedenste Vorschläge für Abhilfemaßnahmen vor (genauer definierte Wirkung, zweistufige Verfahren, professionelle Berater, Anwendung bewährter Vorgehensweisen), die die Kommission in der verbleibenden Laufzeit von Horizont 2020 unverzüglich umsetzen sollte. |
|
5.10. |
Das Exzellenzsiegel für hervorragende Anträge, die nicht finanziert worden sind, könnte besonders für KMU von Nutzen sein, die an einer Finanzierung durch die europäischen Struktur- und Investitionsfonds interessiert sind. Zu klären wäre allerdings noch die Frage, ob die Regeln über staatliche Beihilfen in diesen Fällen Probleme bereiten könnten. |
|
5.11. |
Der EWSA empfiehlt, in der Zwischenbewertung eher zu prüfen, wie Horizont 2020 qualitativ zur Verwirklichung seiner Ziele beiträgt, nämlich zur Förderung wissenschaftlicher Exzellenz (Excellent Science), zur Bewältigung dringender gesellschaftlicher Herausforderungen (Societal Challenges) und zur Unterstützung der führenden Rolle der Industrie (Industrial Leadership) für ein stärkeres integratives Wirtschaftswachstum, das Arbeitsplätze in Europa schafft — statt einer übermäßigen Konzentration auf quantitative Maßnahmen, etwa die Zahl der Publikationen und Patente, oder die Ermittlung der Rendite, wie es bei der Bewertung des 7. Forschungsrahmenprogramms geschehen ist. Der EWSA empfiehlt auch, im Rahmen des Strukturfonds und des EFSI Vergleichsindikatoren für Investitionen in Forschung und Innovation zu erarbeiten. |
Brüssel, den 20. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 111.
(2) ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 13.
(3) ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 48.
(4) Stellungnahme zum Thema „Europäische Cloud-Initiative: Aufbau einer wettbewerbsfähigen digitalen und wissensbasierten Wirtschaft in Europa“ (TEN 592) (ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 86).
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/73 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Beseitigung der Hindernisse für eine nachhaltige Aquakultur in Europa“
(Sondierungsstellungnahme)
(2017/C 034/11)
|
Berichterstatter: |
Gabriel SARRÓ IPARRAGUIRRE |
|
Befassung |
Europäischen Kommission, 29.4.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
Sondierungsstellungnahme |
|
Beschluss des Präsidiums |
15.3.2016 |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt |
|
Annahme in der Fachgruppe |
30.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
220/1/2 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist zutiefst besorgt angesichts der Tatsache, dass sich die Lage der Aquakultur in der Europäischen Union trotz der Bereitschaft zu ihrer Förderung im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP), der gemeinsamen Marktorganisation (GMO) und des Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) nicht verbessert hat. |
|
1.2. |
Der EWSA stellt fest, dass die Verwaltungsverfahren für den Aquakulturbetrieb langwierig und nur wenige entsprechende Standorte verfügbar sind und dass der Grund dafür vor allem die komplizierte Umsetzung der EU-Umweltvorschriften durch die Behörden der Mitgliedstaaten und Regionen ist — insbesondere die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und der Richtlinien zum Natura-2000-Netz. Dies führt zu wirtschaftlich übermäßig belastenden Anforderungen an die Aquakulturbetriebe — und paradoxerweise wird dadurch die Umwelt nicht besser geschützt. |
|
1.3. |
Der EWSA fordert die Europäische Kommission eindringlich auf, ihre Pflichten zur Koordinierung der geteilten Zuständigkeiten im Bereich Aquakultur so weit wie möglich auszubauen, um u. a. die Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und die für die Aquakultur zuständigen Abteilungen der nationalen und regionalen Behörden mit einzubinden. |
|
1.4. |
Der EWSA fordert die Europäischen Kommission auf, dafür zu sorgen, dass die Leitlinien zur Anwendung der EU-Umweltvorschriften von den Mitgliedstaaten genutzt werden, denn dies ist erforderlich, um unnötige Verwaltungslasten abzubauen und gleichzeitig zu gewährleisten, dass die Qualität des Wassers und der Ökosysteme erhalten bleibt. |
|
1.5. |
Der EWSA betont, dass die Aquakultur in der Union ohne eine Lösung der Probleme wegen der übermäßigen Verwaltungslasten und der Verfügbarkeit von Standorten nicht angemessen von den im Rahmen des EMFF zur Verfügung stehenden Mitteln profitieren können wird, ebenso wie dies beim Europäischen Fischereifonds (EFF) der Fall war. Darüber hinaus zeigt sich der EWSA darüber besorgt, dass aufgrund der Maßnahmen zum Abbau des Haushaltsdefizits in den Mitgliedstaaten unter Umständen nicht mehr in Initiativen der nachhaltigen Aquakultur investiert wird, die Entwicklung und Beschäftigung bringen könnten. |
|
1.6. |
Der EWSA fordert die Europäische Kommission nachdrücklich zur umgehenden Einsetzung des Beirats für Aquakultur auf, zu dessen reibungslosem Funktionieren sie aktiv beitragen sollte. Dieses Gremium wird nur dann wirksam sein, wenn sowohl die beteiligten Interessenträger als auch die europäischen und einzelstaatlichen Behörden, insbesondere jedoch die Europäische Kommission, in diesen Rahmen zusammenarbeiten. |
|
1.7. |
Der EWSA ruft die Europäische Kommission mit Nachdruck auf, die mehrjährigen nationalen Strategiepläne für die Aquakultur gemeinsam mit den Mitgliedstaaten sorgfältig zu überwachen, um herauszufinden, inwieweit ihre Ziele erreicht wurden, und zu gewährleisten, dass alle nationalen Behördendienststellen mit Zuständigkeiten im Umweltbereich in diese Strategiepläne einbezogen werden. |
|
1.8. |
Der EWSA weist die Europäische Kommission warnend darauf hin, dass die kommenden Jahre entscheidend für die Zukunft der Aquakultur in der Europäischen Union sein werden. Die Bemühungen der Kommission zur Schaffung eines Regelungsrahmens, durch den die nachhaltige Aquakultur gefördert wird, könnten vergebens sein, wenn die Lage nicht genau im Auge behalten wird und die Engpässe beseitigt werden, die — wie bereits ausgeführt — in den behördlichen Dienststellen der Mitgliedstaaten zu suchen sind, die nicht an der Ausarbeitung der mehrjährigen nationalen Strategiepläne für die Aquakultur beteiligt waren. |
2. Hintergrund
|
2.1. |
In den derzeit geltenden Verordnungen über die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) und über die gemeinsame Marktorganisation (GMO) für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur wird der nachhaltigen Entwicklung der Aquakultur in der Europäischen Union mehr denn je eine wichtige Rolle zuerkannt. |
|
2.2. |
Der Europäische Meeres- und Fischereifonds (EMFF) verfügt über eigene Haushaltsmittel für die Entwicklung der nachhaltigen Aquakultur mit einer großzügigen Mittelausstattung von 1,2 Mrd. EUR für den Zeitraum 2014-2020. |
|
2.3. |
Der EWSA hat in den letzten Jahren zwei Stellungnahmen zur Aquakultur erarbeitet (1) (2). In beiden Stellungnahmen wird die Bedeutung der Aquakulturtätigkeit für die Europäische Union herausgestellt, und die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten werden zur Förderung einer verantwortungsvollen und nachhaltigen Aquakultur aufgefordert. |
|
2.4. |
Die Europäische Kommission veröffentlichte 2013 strategische Leitlinien für die nachhaltige Entwicklung der Aquakultur in der Europäischen Union. Diese Leitlinien sollten den Mitgliedstaaten als Anhaltspunkt für die Festlegung nationaler Ziele für die Aquakultur dienen, die ihrer jeweiligen Ausgangslage, den einzelstaatlichen Gegebenheiten und institutionellen Strukturen Rechnung tragen. |
|
2.4.1. |
In den Leitlinien wurde den Mitgliedstaaten u. a. empfohlen, mehrjährige nationale Strategiepläne für die Aquakultur zu erstellen, mit denen gemeinsame Ziele und wenn möglich Indikatoren zur Bewertung der erreichten Fortschritte hinsichtlich dieser Ziele festgelegt werden sollten. Diese Strategiepläne sollten dazu dienen, die Wettbewerbsfähigkeit des Aquakultursektors zu fördern und seine Entwicklung durch Innovationen zu unterstützen sowie die Wirtschaftstätigkeit anzuregen, die Diversifizierung zu steigern, die Lebensqualität in den Küstengebieten und im ländlichen Raum zu verbessern und den Aquakulturbetrieben gleiche Bedingungen für den Zugang zum maritimen Raum und zu Landgebieten zu gewährleisten. |
|
2.4.2. |
Alle Mitgliedstaaten, in denen Aquakultur betrieben wird, legten 2013 ihre mehrjährigen nationalen Strategiepläne vor. Die meisten in diesen Plänen vorgeschlagenen Maßnahmen und Tätigkeiten wurden später im Hinblick auf ihre Finanzierung über den EMFF in die jeweiligen operationellen Programme aufgenommen. Dadurch sollte die praktische Umsetzung dieser Maßnahmen und Tätigkeiten erleichtert werden. |
|
2.5. |
Im Rahmen der neuen GFP ist die Einrichtung eines Beirats für Aquakultur vorgesehen, der den Beratenden Ausschuss für Fischerei und Aquakultur (Gruppe 2: Aquakultur) ablösen soll. Aufgabe dieses Beirats wird es sein, die Debatte über die Aquakultur betreffende Fragen zu erleichtern und den EU-Institutionen Empfehlungen und Anregungen zu unterbreiten. Parallel dazu wird derzeit ein Beirat für die Märkte eingerichtet, der sich mit einer angemesseneren Vermarktung von Aquakulturerzeugnissen neben den Erzeugnissen der Fischerei beschäftigen wird. |
3. Allgemeine Bemerkungen
|
3.1. |
Nach Schätzungen der FAO muss die weltweite Lebensmittelproduktion vom jetzigen Zeitpunkt an bis 2050 um ca. 70 % steigen, um die dann voraussichtlich 9 Mrd. auf der Erde lebenden Menschen zu ernähren. Die FAO misst der Aquakultur eine besondere Bedeutung als Nahrungsquelle mit Wachstumspotenzial bei und empfiehlt ihre Förderung, da sie zur Lebensmittelversorgung, zur Beschäftigung und zum Wohlstand beiträgt. |
|
3.2. |
Der Verzehr von Fisch und anderen Lebensmitteln aquatischen Ursprungs wird aufgrund ihres Nährwerts und ihrer Bedeutung für die Erhaltung eines guten Gesundheitszustands empfohlen. Die Ermöglichung eines Zugangs der Bevölkerung zu einer Ernährung mit einem ausreichenden Anteil an aquatischen Erzeugnissen ist ein vorrangiges soziales Anliegen. In der Europäischen Union werden jährlich ca. 23,9 kg Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse pro Kopf verzehrt, mit leicht steigender Tendenz. |
|
3.3. |
Der EWSA stellt fest, dass die Außenhandelsbilanz der Europäischen Union für zum menschlichen Verzehr bestimmte Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse ein Defizit aufweist. Auf dem Binnenmarkt besteht derzeit eine Nachfrage von jährlich 13,2 Mio. Tonnen an aquatischen Erzeugnissen, die nur zu rund 10 % aus der Aquakultur in der Europäischen Union, zu ca. 25 % jedoch aus der Fischerei und zu ca. 65 % aus Einfuhren gedeckt wird. Der Anteil der Einfuhren ist zunehmend gestiegen, hat sich jedoch in den letzten Jahren stabilisiert. In jedem Fall zeugt diese Situation von einem starken Ungleichgewicht, durch das die Position der Europäischen Union mit Blick auf ihre gegenwärtige und künftige Ernährungssicherheit geschwächt wird. |
|
3.4. |
Die Aquakulturproduktion in der Europäischen Union beläuft sich auf 1,2 Mio. Tonnen pro Jahr. Davon stammen 65,4 % aus der Meeresaquakultur und 34,6 % aus der Binnenaquakultur. Der Erstverkaufswert dieser Erzeugnisse liegt bei rund 4 Mrd. EUR. Die Produktionsformen sind unterschiedlich und reichen von traditionellen Systemen in Lagunen oder Teichen bis hin zu technisch ausgefeilteren Anlagen mit Becken oder Käfigen im offenen Meer oder Kreislaufsystemen. |
|
3.5. |
Die EMFF-Verordnung wurde im Mai 2014 angenommen und veröffentlicht. Die operationellen Programme der Mitgliedstaaten für den EMFF wurden von der Europäischen Kommission erst im Herbst 2015, d. h. mit einer Verzögerung von einem Jahr und fünf Monaten, endgültig angenommen. |
|
3.5.1. |
Der Europäische Rechnungshof veröffentlichte 2014 eine Studie über die Wirksamkeit der Unterstützung für die Aquakultur durch den ehemaligen Europäischen Fischereifonds (EFF). Darin kam der Rechnungshof zum dem Schluss, dass die nachhaltige Entwicklung der Aquakultur durch den EFF nicht wirksam unterstützt wurde. Nach Auffassung des EuGH waren die Fördermaßnahmen auf EU-Ebene nicht gut konzipiert und überwacht und bildeten keinen ausreichend klaren Rahmen für die Entwicklung der Aquakultur. Auf Ebene der Mitgliedstaaten wurden die Fördermaßnahmen weder korrekt konzipiert noch umgesetzt, und die nationalen Strategiepläne und ihre operationellen Programme boten keine hinreichend klare Grundlage für die Förderung der Aquakultur. |
|
3.6. |
Die Aquakultur in der Europäischen Union bietet derzeit 85 000 direkte Arbeitsplätze, diese Zahl stagniert jedoch. Der EWSA nimmt die Schätzung der Europäischen Kommission erfreut zur Kenntnis, wonach jeder Prozentpunkt mehr Verzehr von Aquakulturerzeugnissen in der Europäischen Union zwischen 3 000 und 4 000 Vollzeitarbeitsplätze schaffen würde. Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass dadurch auch rund 200 000 Menschen indirekt Arbeit in der Zulieferindustrie der Aquakultur, in der Verarbeitung und im Zusammenhang mit ergänzenden Tätigkeiten haben. |
|
3.7. |
Der EWSA erkennt würdigend an, dass die Mitgliedstaaten mehrjährige nationale Strategiepläne für die Aquakultur erstellt und der Europäischen Kommission vorgelegt haben. Er ist jedoch der Ansicht, dass die Akteure aus den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Soziales nicht ausreichend in die Ausarbeitung dieser Pläne eingebunden wurden — im Gegensatz zur aktiven Mitwirkung der öffentlichen Verwaltungen, wobei die unmittelbar für die Aquakultur zuständigen Behörden eine herausragende Rolle spielten. |
4. Besondere Bemerkungen
|
4.1. |
Der EWSA bemerkt, dass die unausgeglichene Außenhandelsbilanz der Europäischen Union für Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse weder wirtschaftlich (wegen des damit einhergehenden Handelsdefizits) noch sozial (aufgrund der mangelnden Ausschöpfung des Beschäftigungspotenzials) hinnehmbar ist. |
|
4.2. |
Der EWSA stellt fest, dass das Wachstum der Aquakulturproduktion in der Europäischen Union um das Jahr 2000 deutlich ins Stocken geraten war und seitdem trotz der Bemühungen verschiedener europäischer, einzelstaatlicher und regionaler Institutionen nicht wieder anzieht. Die Produktionsmengen stagnieren weiterhin, auch wenn eine leichte Zunahme der Handelswertschöpfung festzustellen ist. |
|
4.3. |
Die Ursachen dafür, dass die Aquakultur in der Europäischen Union stagniert, in anderen Teilen der Welt jedoch ein rasantes Wachstum verzeichnet, wurden von der Europäischen Kommission in ihren strategischen Leitlinien von 2013 für die nachhaltige Entwicklung der Aquakultur in der EU zutreffend beschrieben. Die beiden wichtigsten angeführten Gründe waren die komplexen Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die Ausübung einer solchen Tätigkeit und der schwierige rechtmäßige Zugang zu Standorten für Aquakulturanlagen oder für ihren weiteren Ausbau. |
|
4.4. |
Der EWSA erkennt die Bemühungen der Kommission an, die nationalen und regionalen Verwaltungen bei der Umsetzung des EU-Umweltrechts zu unterstützen, ohne dass die Aquakulturbetreiber unnötig belastet werden. Zu diesem Zweck wurden Leitlinien für die Aquakultur und die Natura-2000-Gebiete sowie für die Wasserrahmenrichtlinie veröffentlicht; weitere Leitlinien betreffend das Verhältnis zur Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie werden derzeit erarbeitet. Allerdings sind diese Leitlinien den nationalen und regionalen Behörden mit Zuständigkeiten im Umweltbereich nur unzureichend bekannt, und sie setzen sie mangelhaft um. |
|
4.5. |
Der EWSA weist darauf hin, dass die späte Annahme der EMFF-Verordnung und der operationellen Programme der Mitgliedstaaten dazu führen wird, dass die Akteure in den Mitgliedstaaten bestenfalls Ende 2016 tatsächlich von den EMFF-Mitteln profitieren können werden, was eine Verzögerung von fast drei Jahren bedeutet. |
|
4.6. |
Aus Berichten wie dem des Rechnungshofs von 2014 geht hervor, dass die nachhaltige Entwicklung der Aquakultur durch das Fehlen einer angemessenen maritimen Raumplanung und durch die komplizierten Genehmigungsverfahren gebremst wurde. Der Rechnungshof bestätigte ebenfalls, dass die wichtigsten Wachstumsziele für den Aquakultursektor bislang nicht erreicht wurden, und dass der Sektor seit vielen Jahren stagniert. |
|
4.7. |
Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die für die Entwicklung einer nachhaltigen Aquakultur vorgesehenen EMFF-Mittel fast dreimal höher sind als im Rahmen des vorherigen EFF. |
|
4.7.1. |
Der EWSA macht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, mit denen die wichtigsten Erzeugermitgliedstaaten der Aquakultur in der Europäischen Union bei der Bereitstellung einer Kofinanzierung zu den EMFF-Mitteln konfrontiert sind und die sich aus den Haushaltszwängen aufgrund ihrer Verpflichtungen zum Defizitabbau ergeben. |
|
4.8. |
Der EWSA teilt die Ansicht, dass ein europäisches Forum unter Mitwirkung aller beteiligten Akteure (wie seinerzeit der Beratende Ausschuss für Fischerei und Aquakultur) unbedingt erforderlich ist, um die Lage der Aquakultur zu erörtern und einvernehmliche Empfehlungen an die europäischen und einzelstaatlichen Institutionen zu richten. Daher begrüßt der EWSA den neuen Beirat für Aquakultur und die darin gewährleistete breite Vertretung von Akteuren aus dem Wirtschafts-, Sozial- und Umweltbereich sowie von Wissenschaftlern und Verbrauchern. Er bedauert jedoch die Verzögerungen bei der Einrichtung und Arbeitsaufnahme des Beirats, die dazu geführt haben, dass zwischen der Abschaffung des Beratenden Ausschusses und der Einsetzung des Beirats eine Lücke von drei Jahren entstand. |
|
4.8.1. |
Der EWSA befürchtet, dass die Europäische Kommission im Rahmen des neuen Beirats nicht in demselben Maße mitwirken wird wie in dem ehemaligen Beratenden Ausschuss. Dies hängt damit zusammen, dass die Kommission in dem Beratenden Ausschuss selbst mit der Leitung des Exekutivsekretariats betraut war, wohingegen das Sekretariat des neuen Beirats extern geleitet wird. Das könnte Folgen sowohl für die Fähigkeit der Kommission zur Mobilisierung der Behörden in Europa als auch für die Verbreitung der Empfehlungen haben. Den EWSA beunruhigt, dass die Kommission sich in dem Beirat lediglich als ein Akteur unter vielen ansehen könnte, wohingegen sie weiterhin eine Hauptrolle übernehmen sollte. |
|
4.9. |
Der EWSA stellt fest, dass die mehrjährigen nationalen Strategiepläne der Mitgliedstaaten für die Aquakultur bislang noch keine Früchte getragen haben. Darüber hinaus werden die Mechanismen zur Überwachung der Ergebnisse dieser Pläne in den meisten Mitgliedstaaten nicht umgesetzt. |
|
4.9.1. |
Der EWSA stellt fest, dass die mangelhaften Ergebnisse bei der Umsetzung der mehrjährigen nationalen Strategiepläne für die Aquakultur bislang damit zusammenhängen, dass die Engpässe, die einer nachhaltigen Entwicklung der Aquakultur im Wege stehen, nicht beherzt genug angegangen werden. Diese Hindernisse sind zumeist in den behördlichen Dienststellen der Mitgliedstaaten zu suchen, die nicht an der Ausarbeitung der Strategiepläne beteiligt waren und sie daher nicht kennen. Daher ist eine aktive Einbeziehung dieser Dienststellen in die Anwendung der Strategiepläne erforderlich. |
|
4.10. |
Der EWSA fordert die Europäische Kommission nachdrücklich auf, den Behörden der Mitgliedstaaten und ihrer Regionen dringend nahezulegen, bei der Umsetzung der EU-Umweltvorschriften die drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung (Ökologie, Soziales und Wirtschaft) zu berücksichtigen und gleichzeitig auch die notwendige Verbesserung der Ernährungssicherheit der Union zu bedenken. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft für die Aquakultur — Neuer Schwung für die Strategie für die nachhaltige Entwicklung der europäischen Aquakultur“ (ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 59).
(2) EWSA-Stellungnahme zum Thema „Strategische Leitlinien für die nachhaltige Entwicklung der Aquakultur in der EU“ (ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 150).
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/78 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Umgestaltung des Strommarkts und mögliche Auswirkungen auf schutzbedürftige Verbraucher“
(Sondierungsstellungnahme)
(2017/C 034/12)
Berichterstatter:
Vladimír NOVOTNÝ
|
Befassung |
Rat der Europäischen Union, 14.3.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
Sondierungsstellungnahme |
|
Zuständige Fachgruppe |
Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
6.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
146/66/43 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet die grundlegende Idee einer Umgestaltung des europäischen Strommarkts. Diese ist notwendig, um ein stabiles Stromversorgungssystem zu garantieren, das den Zielen der Europäischen Energieunion dient. Die mittel- bis langfristig zu organisierende Umstellung der Stromproduktion und -vermarktung hin zu dezentraleren Strukturen sowie die Umsetzung der Ziele, die in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie niedergelegt sind, machen eine völlig neue Gestaltung des Strommarkts erforderlich. Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf seine Stellungnahmen TEN 577, TEN/578 und TEN/583, in denen er sich hierzu, aber auch zur zukünftigen Rolle der Verbraucher, Prosumenten und neuer Marktteilnehmer äußert. |
|
1.2. |
Nach Ansicht des EWSA werden die so genannten intelligenten Verteilungsnetze in Verbindung mit intelligenten Zählern („smart meters“) und Speichertechnologien ein weiteres wichtiges Element der mittel- und langfristigen Umgestaltung des Strommarkts sein. Diese intelligenten Netze sowie Steuerungs- und Speichertechnologien können daher sowohl zur Optimierung des Stromverbrauchs als auch zu Energieeinsparungen beitragen. |
|
1.3. |
Der EWSA verweist auf das Potenzial der Verbraucher als Kleinerzeuger, der so genannten Prosumenten, aber auch anderer neuer Modelle wie beispielsweise Energiegenossenschaften; diese können zur Verringerung der Energiearmut beitragen. Für ihre vollständige Integration in den Energiemarkt müssen nach Ansicht des EWSA u. a. die Verwaltungshürden und alle weiteren Hürden, die ihre Tätigkeit unnötig einschränken, beseitigt und ihnen der Zugang zu den Verteilungsnetzen auf der Grundlage der Marktbedingungen für die Finanzierung des Betriebs dieser Netze gefördert werden. |
|
1.4. |
Der EWSA betont, dass die Verwendung intelligenter Geräte zur Stromverbrauchssteuerung in so genannten intelligenten Haushalten ein weiteres wichtiges Element für die Umgestaltung des Strommarkts sein wird. Durch ihre Verwendung wird die aktive Rolle der Haushalte bei ihrer vollständigen Einbeziehung in die Umgestaltung des Strommarkts gestärkt und die Gefahr der Energiearmut verringert. Diese grundlegenden Veränderungen werden durch Schulungsprogramme mit Anreizen für breite Schichten der Bevölkerung sowie durch die Förderung ihrer Durchführung für schutzbedürftige Haushalte und andere schutzbedürftige Kunden wie beispielsweise kleine und mittlere Unternehmen erleichtert. |
|
1.5. |
Der EWSA ist überzeugt, dass sämtliche von der Umgestaltung des Strommarkts zu erwartenden Veränderungen nur möglich sein werden, wenn der neue Markt kurzfristig korrekte Preissignale und langfristig korrekte Kostensignale bietet, die umfangreiche Investitionen in den europäischen Stromsektor ermöglichen und fördern. Dazu gehört aber auch, dass die Preise die volle Kostenwahrheit widerspiegeln, also auch die sogenannten externen Kosten einbezogen werden. |
|
1.6. |
Die Entwicklung auf den Strommärkten hat in den vergangen Jahren zu einem erheblichen Rückgang bei den Großhandelspreisen geführt, wovon allerdings Kleinverbraucher und KMU noch nicht profitiert haben, da ihre Preise eher gestiegen denn gesunken sind. |
|
1.7. |
Mit einer geschickten Strommarktgestaltung in Verbindung mit strategischen Investitionen in Anlagen, an denen auch und gerade sozial schwächere Mitbürger, z. B. in Form von Energiekooperativen, eingebunden sind, werden sich künftig Energiepolitik, Sozialpolitik und regionale Wertschöpfung verbinden lassen. |
|
1.8. |
Dazu muss die Politik klar die Frage beantworten, wer im Rahmen einer künftig dezentraleren Produktion in Zukunft Strom herstellen und vermarkten soll, darf und/oder kann. Dies ist auch von entscheidender Bedeutung für die Lösung des Problems der Energiearmut. |
|
1.9. |
Ein Beispiel hierfür liefert die polnische Woiwodschaft Podlasien, in der derzeit ein Förderprogramm für kleine Photovoltaikanlagen aufgelegt wird. Mit einem Investitionszuschuss von 60 % in Verbindung mit dem in Polen geplanten NET-metering-System lassen sich dort die Stromkosten für die Verbraucher halbieren! |
2. Einleitung
|
2.1. |
Der slowakische EU-Ratsvorsitz ersuchte den EWSA mit Schreiben vom 14. März 2016 um Erarbeitung einer Stellungnahme zur sozialen Dimension der Umgestaltung des Strommarkts in Verbindung mit der Dynamik der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. |
|
2.2. |
In seinem Ersuchen hielt der slowakische Ratsvorsitz fest, dass die Umgestaltung des Strommarkts Chancen für die Verbraucher bringt, wenn ihnen eine aktivere Marktteilhabe ermöglicht wird. Neben den Auswirkungen möglicher höherer Strompreise auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie müssen auch die möglichen Risiken für schutzbedürftige Verbraucher berücksichtigt werden. |
|
2.3. |
Der EWSA hat sich in einer Reihe früherer Stellungnahmen (1) (2) ausführlich mit den zu erwartenden Entwicklungen des Energiemarkts auseinandergesetzt und Empfehlungen und Schlussfolgerungen unterbreitet, die nach wie vor gültig sind. Daher stehen im Mittelpunkt dieser Stellungnahme die Risiken sowie die Chancen, die die Umgestaltung des Strommarkts für sozial schutzbedürftige Gruppen mit sich bringen kann, sowie konkrete Formen der Energiearmut in Verbindung mit dem Zugang zu Strom. |
3. Die Vision der Umgestaltung des Energiemarkts
|
3.1. |
Das grundlegende Ziel der Umgestaltung des Strommarkts ausgehend vom Grundsatz der Nachhaltigkeit ist die Gewährleistung einer sicheren Stromversorgung für alle Verbraucher zu einem erschwinglichen und wettbewerbsfähigen Preis. |
|
3.2. |
Die Rahmenstrategie für die Energieunion ist auf folgende wesentliche strategische Ziele ausgerichtet:
|
|
3.3. |
Die wichtigsten Kennzeichen der Rahmenstrategie für den Strommarkt sind:
|
|
3.4. |
Ein entscheidender Aspekt in der Umgestaltung des Strommarkts sollte der Wandel der Rolle der Verbraucher auf dem Strommarkt sein (3). |
4. Energiearmut und Prävention von Energiearmut
|
4.1. |
Der EWSA hat in jüngster Vergangenheit eine Reihe von Stellungnahme zum Themenkomplex Energiearmut abgegeben, insbesondere die Stellungnahme „Für ein koordiniertes europäisches Vorgehen zur Prävention und Bekämpfung von Energiearmut“ (TEN/516, Berichterstatter: Herr Coulon, 2013) (4), die Gegenstand eingehender Analysen in den Mitgliedstaaten, beispielsweise durch den bulgarischen Wirtschafts- und Sozialrat (in seiner Stellungnahme „Measures to overcome energy poverty in Bulgaria“ (ESC/3/030/2015)) war. Der EWSA betont, dass die in diesen Stellungnahmen ausgesprochenen Empfehlungen und Schlussfolgerungen nach wie vor gültig sind und er sie an dieser Stelle nicht wiederholen will. |
|
4.2. |
Das Thema Energiearmut wird u. a. auch in den Stellungnahmen „Verbesserte Möglichkeiten für die Energieverbraucher“ (TEN/578) und „Bürgerenergie und Energiegenossenschaften — Chancen und Herausforderungen in den EU-Mitgliedstaaten“ (TEN/583) angesprochen. |
|
4.3. |
Energiearmut ist durch den beschränkten Zugang zu Energieträgern aufgrund fehlender und mangelhafter Energieinfrastruktur oder die Unmöglichkeit gekennzeichnet, die Lieferung von Energieprodukten bezahlen zu können. Besteht die Gefahr, dass die Infrastruktur nicht funktioniert, müssen ihre Kapazitäten erhöht oder neue Kapazitäten geschaffen werden, um die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Stromversorgung zu gewährleisten. Hierzu stellen mittlerweile sogar die Netzbetreiber fest, dass dezentrale Erzeugungsanlagen wie z. B. Photovoltaikanlagen auf Privathäusern zur Stabilisierung der regionalen Versorgung und vielfach auch regional schwacher Netze beitragen können. |
|
4.4. |
Auch wenn Energiearmut häufig in Verbindung mit privaten Endverbrauchern wahrgenommen wird, muss darauf hingewiesen werden, dass sie oftmals auch bestimmte kleine und mittlere Unternehmen betrifft — mit all den Folgen für ihre Wettbewerbsfähigkeit. |
|
4.5. |
Meistens wird Energiearmut mit der Möglichkeit verbunden, seine Unterkunft zu heizen; für die südlichen Mitgliedstaaten kann sie aber auch auf die Verfügbarkeit von Klimaanlagen in den heißen Sommermonaten bezogen werden. Energiearmut liegt insbesondere dann vor, wenn die Stromrechnung nicht bezahlt werden kann. In diesem Fall wird als Abhilfemaßnahme auf eine direkte oder indirekte Unterstützung für die schutzbedürftigen, von Energiearmut bedrohten Verbraucher zurückgegriffen. |
|
4.6. |
Die direkte Unterstützung für schutzbedürftige Verbraucher erfolgt in erster Linie in Form von Sozialhilfeprogrammen, beispielsweise die direkte Erstattung der Kosten als Geld- oder Sachleistung, und stützt sich auf die nationalen Sozialsysteme in den einzelnen Mitgliedstaaten. |
|
4.7. |
Der Begriff „schutzbedürftiger Verbraucher“ wird in den einzelnen Mitgliedstaaten aufgrund der spezifischen Situation und der verschiedenen Sozialsysteme unterschiedlich definiert. |
|
4.8. |
Die indirekte Unterstützung erfolgt in Form von Sozial- oder Sondertarifen. Derzeit gewähren zehn Mitgliedstaaten Sozialtarife, acht Mitgliedstaaten haben einen Status für schutzbedürftige Verbraucher festgelegt, und insgesamt 16 Mitgliedstaaten wenden auf ihrem Binnenmarkt regulierte Strompreise an. Der EWSA hat sich eindeutig gegen solche regulierten Preise ausgesprochen (siehe die Stellungnahme TEN/578). |
|
4.9. |
Das Risiko der Energiearmut kann indes durch die Verabschiedung einer Reihe von Maßnahmen stark verringert werden, die im Einklang mit der Umgestaltung des Strommarkts stehen. Dazu zählen insbesondere folgende Maßnahmen:
|
|
4.10. |
Die Entwicklung auf den Strommärkten hat in den vergangen Jahren zu einem erheblichen Rückgang bei den Großhandelspreisen geführt, wovon allerdings Kleinverbraucher und KMU noch nicht profitiert haben, da ihre Preise eher gestiegen denn gesunken sind. |
|
4.11. |
Der EWSA betont, dass auch die Verbraucher als Kleinerzeuger, die so genannten Prosumenten, eine wichtige Rolle bei der Verringerung der Energiearmut spielen können. Für ihre erfolgreiche Integration in den Energiemarkt müssen deshalb alle Verwaltungshürden schnellstens abgebaut und ihnen der Netzzugang ermöglicht werden; gleichzeitig müssen jedoch die Marktbedingungen und die Qualitätsnormen für die Stromversorgung eingehalten werden. |
|
4.12. |
Doch selbst wenn die oben genannten Maßnahmen im Einklang mit den Marktvorschriften zur Unterstützung schutzbedürftiger Verbraucher umgesetzt werden, werden die Anstrengungen zur Bekämpfung der Energiearmut und ihrer Folgen auch in Zukunft größtenteils über die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten bestritten werden, da sie die einzige marktkonforme Alternative sind. |
|
4.13. |
Mit einer geschickten Strommarktgestaltung in Verbindung mit strategischen Investitionen in Anlagen, an denen auch und gerade sozial schwächere Mitbürger, z. B. in Form von Energiekooperativen, eingebunden sind, werden sich künftig Energiepolitik, Sozialpolitik und regionale Wertschöpfung verbinden lassen. |
|
4.14. |
Dazu muss die Politik klar die Frage beantworten, wer im Rahmen einer künftig dezentraleren Produktion in Zukunft Strom herstellen und vermarkten soll, darf und/oder kann. Dies ist auch von entscheidender Bedeutung für die Lösung des Problems der Energiearmut. |
|
4.15. |
Denn die erneuerbaren Energien eröffnen völlig neue Möglichkeiten, der Energiearmut — als soziales Problem — zu begegnen. So kam beispielsweise die Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission schon im Jahr 2014 in einer Studie zum Ergebnis, dass 80 % der Bevölkerung Europas potentiell ihren Strom — über Photovoltaikanlagen — selbst billiger herstellen könnten als über einen Bezug von Strom aus dem Netz! Ein Problem ist, dass ein Teil der Bevölkerung nicht über ein Dach bzw. ein Grundstück verfügt, um solche Anlagen zu installieren. Hier könnte eine Erweiterung der Definition des Begriffs „Prosumer“ sowie die Unterstützung von gemeinschaftlich organisierten Anlagen (Energiekooperativen) Abhilfe schaffen. |
|
4.16. |
In einer jüngst veröffentlichten Studie von CE Delft wird errechnet, dass bis zu 83 % der Haushalte ihren Strombedarf bis 2050 selbst herstellen könnten. |
|
4.17. |
Ein wichtiges Problem liegt aber vielfach darin begründet, dass gerade sozial schwache Mitbürger nicht über das Geld für die notwendigen Investitionen verfügen. Der „Nachteil“ von erneuerbaren Energien liegt ja darin begründet, dass zunächst eine vergleichsweise hohe Investition getätigt werden muss, dass allerdings die laufenden Kosten sehr gering sind (Sonne und Wind kosten bekanntlich nichts). Doch auch diesem Problem kann politisch begegnet werden, u. a. durch entsprechend strategische Investitionen. |
|
4.18. |
Ein Beispiel hierfür liefert die polnische Woiwodschaft Podlasien, in der derzeit ein Förderprogramm für kleine Photovoltaikanlagen aufgelegt wird. Mit einem Investitionszuschuss von 60 % in Verbindung mit dem in Polen geplanten NET-metering-System lassen sich dort die Stromkosten für die Verbraucher halbieren! |
|
4.19. |
Der EWSA regt diesbezüglich an, dass sich die Europäische Kommission, der Rat und das Europäische Parlament auch schon stärker mit mittel- und längerfristigen Entwicklungen befassen sollten, die positiv für die Verbraucher sein könnten. Dazu soll das Beispiel der Elektromobilität dienen. Es ist absehbar, dass in den nächsten 20 bis 30 Jahren verstärkt E-Autos auf den Markt kommen werden. Ein E-Auto braucht ca. 14 kWh pro 100 km, was bei einem Strompreis von 0,25 ct/kWh 3,50 EUR bedeutet. Für eine 100 km lange Autofahrt in einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor sind — bei einem Verbrauch von 7 l/100 km und einem Preis von 1,20 EUR/l — 8,40 EUR zu zahlen. Um die Strommenge herzustellen, die ein E-Auto für eine Fahrleistung von 10 000 km benötigt, reicht bilanziell eine Photovoltaikanlage mit ca. 6 Modulen aus; mit einer Investition von derzeit rund 3 000 EUR könnte also ein entsprechendes Auto 20 Jahre mit (Eigen-)Strom versorgt werden! Die wirtschaftlichen Aspekte sowohl für die Bürger als auch potentiell für die Regionen, die mit der Umstellung auf die Elektromobilität verbunden sein können, werden bisher zu wenig diskutiert. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 13.
(2) ABl. C 424 vom 26.11.2014, S. 64.
(3) ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 22.
(4) ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 21.
ANHANG
Die folgende Gegenstellungnahme wurde zugunsten der vom Plenum verabschiedeten Stellungnahme der Fachgruppe abgelehnt, hat aber mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen erhalten.
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erwartet, dass der von der Europäischen Kommission als Teil des Herbst-/Winterpakets zur Sicherung der Energieversorgung vorgelegte Vorschlag für die Umgestaltung des europäischen Strommarkts zur vollständigen Integration der erneuerbaren Energien in den Energiemarkt führt, die von grundlegender Bedeutung für die Verwirklichung der Klimaschutzziele der EU ist. |
|
1.2. |
Mit diesem Vorschlag muss das Ziel verfolgt werden, die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Stromversorgung auf lange Sicht zu gewährleisten, bestehende Wettbewerbsverzerrungen auf dem Energiemarkt zu beseitigen und gleichzeitig Strompreise herbeizuführen, die zum einen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gewährleisten und zum anderen stabil und erschwinglich für die Endverbraucher, auch für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, sind. |
|
1.3. |
Nach Meinung des EWSA wird die Umgestaltung des Strommarkts in seiner endgültigen Form die Gefahren verringern oder beseitigen, die sich negativ auswirken und dadurch Energiearmut verursachen könnten. |
|
1.4. |
Der EWSA betont, dass die Umgestaltung des Strommarktes von seiner aktuellen Form in die künftige neue Marktgestaltung mit der Gefahr potenzieller Auswirkungen auf schutzbedürftige Gruppen der Stromverbraucher, insbesondere die Bürger, verbunden ist. |
|
1.5. |
Aus Sicht des EWSA sind die Risiken der Umgestaltung des Strommarkts in die künftige neue Marktgestaltung insbesondere mit der Notwendigkeit verbunden, die nationalen Stromverteilungsnetze von 220/440 kW grundlegend zu stärken und die Vernetzung ihrer Kapazitäten zu fördern, die Rolle der Verteilungsnetze um die derzeit lediglich von den Übertragungsnetzen übernommene Rolle auszubauen (beispielweise die Gewährleistung der Netzstabilität) und sie in intelligente Systeme umzuwandeln, das Problem der Speicherung erheblicher Stromkapazitäten zu lösen, die Stromerzeugung zu dezentralisieren, die dezentralisierte Erzeugung in das Verteilungsnetz zu integrieren sowie die Rolle und das Verhalten der Stromverbraucher auf dem Markt zu ändern. |
|
1.6. |
Diese Umgestaltung ist langfristig angelegt; ihre Verwirklichung wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen, beträchtliche Investitionen in Höhe mehrerer Milliarden Euro erfordern und weitere Kosten in Verbindung mit der Entwicklung neuer, oftmals noch unbekannter technischer Lösungen nach sich ziehen. |
|
1.7. |
In Bezug auf die umfassende Anwendung der Marktgrundsätze wird ein erheblicher Teil dieser Kosten auf den als regulierte Netzentgelte bezeichneten Teil der Strompreise umgelegt werden, was im Zuge der Umgestaltung des Strommarkts negative Auswirkungen haben und dadurch Energiearmut bei den schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen verursachen kann. |
2. Einleitung
|
2.1. |
Der slowakische EU-Ratsvorsitz ersuchte den EWSA mit Schreiben vom 14. März 2016 um Erarbeitung einer Stellungnahme zur sozialen Dimension der Umgestaltung des Strommarkts in Verbindung mit der Dynamik der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. |
|
2.2. |
In dem Schreiben wurde um eine breiter angelegte Analyse der Faktoren, die den Strommarkt beeinflussen, sowie eine kritische Bewertung ihrer Auswirkungen auf die Entwicklung der Energiepreise in der EU ersucht, damit sich diese Entwicklung nicht nur in ökologischer Hinsicht (Klimaschutz), sondern auch aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht sowie insbesondere auch mit Blick auf die Sicherheit und Verfügbarkeit der Stromversorgung nachhaltig gestaltet. |
|
2.3. |
In seinem Ersuchen hielt der slowakische Ratsvorsitz fest, dass die Umgestaltung des Strommarkts Chancen für die Verbraucher bringt und ihnen eine aktivere Marktteilhabe ermöglicht. Neben den Auswirkungen höherer Strompreise auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie müssen auch die möglichen Risiken für schutzbedürftige Verbraucher berücksichtigt werden. |
|
2.4. |
Der EWSA hat sich in einer Reihe früherer Stellungnahmen ausführlich mit den zu erwartenden Entwicklungen des Energiemarkts auseinandergesetzt und Empfehlungen und Schlussfolgerungen unterbreitet, die nach wie vor gültig sind. Daher stehen im Mittelpunkt dieser Stellungnahme ausschließlich die Risiken, die die Umgestaltung des Strommarkts für sozial schutzbedürftige Gruppen mit sich bringen kann, sowie konkrete Formen der Energiearmut in Verbindung mit dem Zugang zu Strom. |
3. Die grundlegenden Probleme des aktuellen Strommarkts der EU und die Risiken für seine mittelfristige Entwicklung
|
3.1. |
Die grundlegenden Probleme des aktuellen Strommarkts der EU lassen sich wie folgt zusammenfassen:
|
|
3.2. |
Die Tatsache, dass einige wichtige Standorte erneuerbarer Energien in großer Entfernung von Gebieten mit hohem Stromverbrauch angesiedelt sind, beeinträchtigt ebenfalls in erheblichem Maße das Funktionieren der Strommärkte in der EU; dieser negative Faktor wird durch die unzureichenden Übertragungskapazitäten auf nationaler Ebene noch verstärkt. Aufgrund der nicht regelbaren Stromerzeugung vor allem in Windkraftwerken werden bei vorübergehenden Leistungsspitzen die Nachbarländer mit überschüssiger Energie geflutet, was wiederum zu kritischen Situationen in den Übertragungsnetzen und einem hohen Risiko eines Systemzusammenbruchs (Black out) führt. |
|
3.3. |
In einer Reihe von Mitgliedstaaten wurden als Reaktion auf die fluktuierende Einspeisung aus Erneuerbaren Kapazitätsmechanismen eingeführt, die von diskriminierenden Elementen wie beispielsweise einer Ausrichtung auf vorab ausgewählte Stromerzeugungstechnologien oder dem Ausschluss grenzübergreifender Stromlieferungen flankiert werden. In dem neuen Modell für den Strommarkt sollten bestehende Mängel berücksichtigt und behoben werden; gleichzeitig muss jedoch auch die Qualität der Strominfrastruktur in der EU verbessert werden. |
|
3.4. |
Die Übertragungsnetze der Mitgliedstaaten reichen nicht aus, um eine Ressourcenknappheit auf lokaler Ebene zwischen den Mitgliedstaaten im Betrieb auszugleichen; eine weitere Integration des Strommarkts ist daher im aktuellen Kontext problematisch. In Europa besteht eine Reihe regionaler Strommärkte, die nicht miteinander zusammenarbeiten und deren Tätigkeiten nicht ausreichend aufeinander abgestimmt sind. |
|
3.5. |
Ihre Integration erfolgt schrittweise im Einklang mit den geltenden Rechtsvorschriften (Netzkodizes). Zwischen diesen Märkten bestehen nach wie vor erhebliche Unterschiede sowohl in Bezug auf die Betriebssicherheit wie auch auf das Preisniveau für Lieferungen und Dienstleistungen. Diese Integration ist unerlässlich, aber sie wird wohl äußerst schwierig werden. |
|
3.6. |
Eine Reihe von Mitgliedstaaten wenden zur Bewältigung der Probleme bei der Integration fluktuierender erneuerbarer Energien in das Energiesystem Kapazitätsmechanismen an, um die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit der Stromversorgung sicherzustellen, wenn erneuerbare Energien aufgrund ihrer Abhängigkeit von den Witterungsbedingungen ausfallen. Diese Kapazitätsmechanismen werden in Form von Kapazitätsmärkten oder strategischen Reserven umgesetzt. Während strategische Reserven gegenüber dem Strommarkt neutral sind und als marktkonforme Lösung bevorzugt werden sollten, besteht auf Kapazitätsmärkten die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen. |
|
3.7. |
Der Ausblick auf die Energiesituation in den kommenden 20 Jahren ist ein wichtiger Faktor, der letztlich Auswirkungen auf die Umgestaltung des Strommarkts und selbstverständlich auch auf die schutzbedürftigen Verbraucher zeitigt. In diesem Sinne muss folgenden Faktoren Rechnung getragen werden: |
|
3.7.1. |
Aufgrund der Entwicklung in den letzten zehn Jahren ist eine dringende Lösung auf der Grundlage objektiver strategischer Überlegungen für die Energiesituation in der EU erforderlich. Die Zuverlässigkeit der Stromversorgung aus erneuerbaren Quellen zu einem akzeptablen/erschwinglichen Preis darf nicht länger eine hohle Phrase bleiben, sondern muss durch alle drei Eckpfeiler der nachhaltigen Entwicklung gesichert werden. Allein für die Modernisierung der Netze sind Investitionen in Höhe von 655 Mrd. USD erforderlich. |
|
3.7.2. |
Im Zeitraum 2016-2025 werden in der EU Wärmekraftwerke mit mehr als 150 GW Leistung, d. h. ein Viertel der aktuellen Kapazitäten der EU, das Ende ihrer Lebensdauer erreichen. Damit das Stromerzeugungssystem auch weiterhin angemessen funktioniert und die Versorgung der Verbraucher gewährleistet ist, müssen daher 100 GW neuer Wärmekapazitäten mit stabiler Leistung eingerichtet werden; dabei ist auch zu berücksichtigen, dass fossile Erzeugungskapazitäten bis 2035 immer noch 200 GW ausmachen werden, selbst wenn sich die Prognosen für die technologische Entwicklung in den Bereichen Energieeffizienz und Stromspeicherung bewahrheiten. |
|
3.7.3. |
Bei der gegenwärtigen Situation des Strommarkts sind Investitionen in diese Erzeugungskapazitäten jedoch nicht möglich, und die Sicherung der Energieversorgung wird grundlegende Systemreformen erfordern, damit die strikte Anwendung der Marktmechanismen mit positiven Auswirkungen auf die Preise für die Endverbraucher gewährleistet wird. Die Gegenstellungnahme wurde mit 141 gegen 91 Stimmen bei 22 Enthaltungen abgelehnt. |
III Vorbereitende Rechtsakte
EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS
520. Plenartagung des EWSA vom 19.-20. Oktober 2016
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/86 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Europäische Normen für das 21. Jahrhundert“
(COM(2016) 358 final)
(2017/C 034/13)
|
Berichterstatter: |
Antonello PEZZINI |
|
Befassung |
Kommission, 17.8.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 358 final) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
|
Annahme in der Fachgruppe |
4.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
20.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
147/0/2 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Eine neue Vision für die Gestaltung eines europäischen Normungssystems (ESS), das sich an das im kontinuierlichen Wandel begriffene internationale Umfeld anpassen und für Unternehmen, Verbraucher, Beschäftigte und Umwelt zunehmend Vorteile bringen kann, ist nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) unverzichtbar. |
|
1.2. |
Als „Haus der Zivilgesellschaft“ misst der EWSA der Verbesserung der Transparenz und Teilhabe im ESS besondere Bedeutung bei und fordert für sich eine proaktive Rolle bei der strategischen Ausrichtung, der Umsetzung und Verbreitung der Rechtsvorschriften sowie der Förderung einer Normungskultur. |
|
1.3. |
Der EWSA unterstreicht, dass die strategische Rolle der technischen Normung gestärkt werden muss, um Folgendes zu gewährleisten:
|
|
1.4. |
Der EWSA begrüßt, dass die Gemeinsame Normungsinitiative (GNI) mit den öffentlichen und privaten Partnern des ESS eingeleitet wurde, um einen gemeinsamen Ansatz für die Festlegung der Prioritäten und die Entwicklung gemeinsamer Maßnahmen zur Modernisierung und Vereinfachung der Normung zu ermitteln. |
|
1.5. |
Der EWSA ist jedoch höchst besorgt angesichts der wenigen konkreten Angaben zur Umsetzung sowie der knappen dafür vorgesehenen Finanzmittel, wo diese doch für die Umsetzung einer innovativen gemeinsamen Vision in konkrete Modernisierungsstrategien und -maßnahmen von entscheidender Bedeutung sind. |
|
1.6. |
In diesem Zusammenhang empfiehlt der EWSA, die öffentlich-private Partnerschaft der GNI (1) strukturell und finanziell in die gemeinsamen Technologieinitiativen im Rahmen von „Horizont 2020“ (2) einzubetten, um:
|
|
1.7. |
Der EWSA unterstützt die Kommission bei der Schaffung eines integrierten und strukturierten Systems, um zu einer gemeinsamen Strategie für die Verringerung der Fragmentierung der Normen und ihrer Planungssysteme zu gelangen. |
|
1.8. |
Der EWSA befürwortet daher ein besseres Governance-System für die Normungsstrategie, das der Konvergenz der Technologien und der Digitalisierung der Unternehmen und Dienstleistungen wie auch den zunehmenden neuen sozialen und ökologischen Kompetenzen Rechnung trägt und das die Arbeit des derzeitigen technischen Ausschusses für Normen unterstützen kann. |
|
1.9. |
Beim interinstitutionellen europäischen Dialog über die Normung muss allen interessierten Vertretungsorganisationen eine privilegierte Rolle eingeräumt werden. Innerhalb der EU-Institutionen sollten ständige Arbeitsgruppen für die Bewertung und Orientierung eingerichtet werden, und zwar in erster Linie im Ausschuss der Regionen (AdR) und im EWSA — angesichts ihres in Artikel 114 AEUV verankerten Rechts auf obligatorische Befassung. |
|
1.10. |
Der EWSA hält es für notwendig, im Rahmen des ESS und in den zuständigen Generaldirektionen der Kommission die Kapazitäten für die koordinierte Nutzung des Instruments der technischen Normung zu stärken, das für die einzelnen Sektoren und insbesondere für den Dienstleistungssektor wichtig ist. |
|
1.11. |
Nach Auffassung des EWSA ist es von vorrangiger Bedeutung, durch die Einleitung und Unterstützung einer wirkungsvollen europäischen Sensibilisierungskampagne die Entwicklung einer echten europäischen Normungskultur auf den Weg zu bringen — von der allgemeinen Grundbildung bis hin zu den politischen Entscheidungsträgern und den Verhandlungsführern bei internationalen Übereinkünften. |
|
1.12. |
Der EWSA betont, dass eine wirklich innovative europäische Normungspolitik in erster Linie den Grundsätzen der Kundenzufriedenheit auf Seiten der Bürger, der Unternehmen und der Arbeitnehmer entsprechen muss; dabei muss mit einem ausgewogenen und flexiblen Ansatz zwischen Normung und Kreativität ein hohes Maß an Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit sowie an neuer Beschäftigung und internationaler Wettbewerbsfähigkeit erzielt werden (3). |
2. Das System der technischen Normung angesichts der Herausforderungen auf europäischer und globaler Ebene
|
2.1. |
Die technische Normung ist für das Funktionieren des Binnenmarktes und die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Produkten und Dienstleistungen von entscheidender Bedeutung, denn sie ist ein strategisches Instrument, um die Qualität, Leistungsfähigkeit und Sicherheit von Waren und Dienstleistungen, die Interoperabilität von Netzen und Systemen, ein hohes Schutzniveau für Unternehmen; Arbeitnehmer, Verbraucher und Umwelt sowie ein höheres Maß an Innovation und sozialer Inklusion zu gewährleisten. |
|
2.2. |
Vor dem Hintergrund der neuen technologischen Entwicklungen, der politischen Prioritäten und der globalen Trends insbesondere im Dienstleistungsbereich und bei der IT-Revolution ist es notwendig, das europäische Normungssystem (ESS) zu überarbeiten. Ziel dabei ist es, seine zahlreichen Vorzüge zu bewahren, seine Mängel zu beheben, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen europäischer und nationaler Dimension sowie zwischen Freiheit der Innovation, Kreativität und technisch-normativer Interoperabilität anzustreben und — ganz allgemein — den neuen Erfordernissen und Erwartungen der Unternehmen, Verbraucher, Arbeitnehmer sowie der europäischen Gesellschaft insgesamt Rechnung zu tragen. |
|
2.3. |
Als „Haus der Zivilgesellschaft“ misst der EWSA der Verbesserung der Transparenz und Teilhabe im ESS besondere Bedeutung bei und fordert eine immer proaktivere Rolle bei der strategischen Ausrichtung, der Umsetzung und Verbreitung der Rechtsvorschriften sowie der Förderung einer Normungskultur als Grundlage für den Erfolg der Unternehmen und der künftigen Generationen. |
|
2.4. |
Der EWSA hat stets die Auffassung vertreten dass „ein rasches, wirksames und partizipatives europäisches Normungsverfahren nicht nur ein tragendes Element der Architektur des Binnenmarktes darstellt, der im Mittelpunkt der europäischen Integration und der ihrer Verwirklichung dienenden Strategie Europa 2020 steht, sondern auch und vor allem eine Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und ein Motor für die Innovation ist“ (4). Deshalb sind klare und transparente Vorschriften für den Schutz der Verbraucher und Unternehmen wie auch der Umwelt und der Gesellschaft erforderlich. |
|
2.5. |
Die wichtigsten allgemeinen Ziele des ESS bestehen darin, den Beitrag der Normen und des europäischen Normungsverfahren zum freien Waren- und Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt zu steigern, um Wachstum und Innovation zu fördern und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen, insbesondere der KMU, zu stärken, wobei zugleich ein hohes Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umweltschutzniveau zu gewährleisten ist. Zu diesem Zweck sollen umfassendere, aber zügige integrative und transparente Ausarbeitungsverfahren sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene auf der Grundlage anerkannter Kriterien zur Anwendung kommen, wie sie z. B. im WTO-Übereinkommen über technische Handelshemmnisse und in der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 vorgesehen sind. |
|
2.6. |
Der EWSA hat unlängst unterstrichen, dass „die europäische Normung […] durch den Beitrag aller Sozialpartner und Interessenträger immer mehr zur Ergänzung und Bereicherung der in den Volkswirtschaften der Welt ablaufenden Prozesse beitragen [muss]“ und es als wünschenswert bezeichnet, dass „die europäische Standardisierungskultur bei den globalen Prozessen der Normensetzung präsenter und gewichtiger wird“ (5), u. a. durch die Sensibilisierung für Kommunikation, leichte Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit. |
|
2.6.1. |
Darüber hinaus gilt es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Normung und Kreativität (6) zu wahren, indem es auch dem Handwerk und den kleinen Unternehmen ermöglicht wird, ihre Meinung frei zu äußern und Produkte und Dienstleistungen im Rahmen der durch die Vorschriften vorgegebenen Grenzen auszugestalten. |
|
2.7. |
Die europäische Normung spielt für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes für Produkte und Dienstleistungen zwangsweise eine Schlüsselrolle, indem auf EU-Ebene nationale Vorschriften schrittweise harmonisiert werden, die vielfach technische Hemmnisse für den Zugang zu den nationalen Märkten und im innereuropäischen Handel und Austausch verursachen können. |
|
2.8. |
Mit der Konvergenz der Technologien und der Digitalisierung der Gesellschaft, der Unternehmen und der öffentlichen Dienstleistungen verringert sich allmählich die traditionelle Trennung zwischen allgemeiner Normung und IKT-Normung, wie dies auch in einer anderen Stellungnahme (7) des EWSA verdeutlicht wird; daher ist ein kohärenter Ansatz der Kommission bei der Planung und Festlegung der Normungsprioritäten erforderlich. |
|
2.9. |
Angesichts der von verschiedenen wirtschaftlichen und industriellen Akteuren in der EU zum Ausdruck gebrachten Präferenzen bezüglich internationaler ISO/IEC-Normen ist die Stärkung des ESS von größter Bedeutung, um internationale Normen im Einklang mit einer raschen und wirksamen europäischen Normung zu gewährleisten, bei der alle betroffenen Interessenträger einbezogen werden, insbesondere die Vertretung der Kleinunternehmen, Verbraucher und anderen Interessenträger. |
|
2.10. |
Durch eine verstärkte Entwicklung freiwilliger europäischer Dienstleistungsnormen könnten Wachstum und Beschäftigung mithilfe einer vermehrten grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen und einer stärkeren Integration der Märkte gefördert werden; dies würde es ermöglichen, das Potenzial dieses Sektors für die europäische Wirtschaft unter Wahrung und Einhaltung der örtlichen Arbeits- und Lebensbedingungen voll auszuschöpfen; ferner würde dies zur Beseitigung der Hindernisse beitragen, die sich aus der Anwendung nationaler Zertifizierungssysteme ergeben. |
|
2.11. |
Als Reaktion auf die sich rasch verändernden technologischen Zyklen, die größere Komplexität und Interaktion in den industriellen Systemen und die zunehmend verwischten Grenzen zwischen Produkten, Dienstleistungen und IKT hat die Europäische Kommission eine gemeinsame Normungsinitiative der öffentlichen und privaten Partnern des ESS — wie vom EWSA gefordert — auf den Weg gebracht. Sie hat dazu eine einvernehmliche gemeinsame Vision und ein gemeinsames Vorgehen mit Schwerpunkt auf einer Reihe von Initiativen definiert, die auf die Modernisierung, Priorisierung, Beschleunigung und Vereinfachung der Festlegung von Normen bis Ende 2019 abzielen, und zwar durch:
|
3. Vorschläge der Europäischen Kommission
|
3.1. |
In der Mitteilung der Kommission wird eine Vision dargelegt, die durch ein Normungspaket flankiert wird, das eine Reihe von Zielen für die Modernisierung des Europäischen Normungssystems (ESS) enthält:
|
|
3.2. |
Die Europäische Kommission sieht insbesondere für den Dienstleistungssektor folgende Maßnahmen vor:
|
|
3.2.1. |
Die Kommission schlägt ferner vor, die Verfügbarkeit von Informationen über die harmonisierten europäischen Normen durch einen besseren Zugang zu dem in der Binnenmarktstrategie vorgeschlagenen zentralen digitalen Zugangstor zu fördern. |
4. Allgemeine Bemerkungen
|
4.1. |
Der EWSA stimmt erneut (8) der Dringlichkeit einer wirksamen und effizienten Modernisierung des europäischen Normungssystems zu, über die seit mehr als fünf Jahren diskutiert wird. Er hält eine neue gemeinsame Vision und konkrete Maßnahmen für unverzichtbar, um — stets auf freiwilliger Basis — auf die globalen Herausforderungen im Bereich der Normung mit einer innovativen, konsensbasierten Zusammenarbeit für die rechtzeitige Entwicklung von Normen in einem sich rasch wandelnden technologischen Umfeld zu reagieren. |
|
4.2. |
Der EWSA hält es für erforderlich, das Normungsverfahren von der Forschungs- und Entwicklungsphase an mit prä- und konormativen Maßnahmen einzuleiten und die Mechanismen für die Übertragung europäischer Normen auf die internationale Ebene mit der Unterstützung der Industrie und der Vertretungsorganisationen der KMU, der Verbraucher, der Sozialpartner, der Umweltschutzverbände und der einschlägigen Akteure der Zivilgesellschaft zu stärken. |
|
4.3. |
Damit die im GNI-Dokument aufgeführten Maßnahmen zur Modernisierung des ESS auf nationaler und internationaler Ebene wirksam und effizient sein können, muss nach Ansicht des EWSA folgenden Aspekten Priorität eingeräumt werden:
|
|
4.3.1. |
Der EWSA empfiehlt in diesem Zusammenhang die Schaffung einer öffentlich-privaten Partnerschaftsinitiative im Rahmen der gemeinsamen Technologieinitiativen (GTI) von „Horizont 2020“ auf der Grundlage des in der Gemeinsamen Normungsinitiative aufgezeigten Verfahrens mit einer angemessenen Mittelausstattung und einem strukturierten System für die Festlegung von Strategien und Prioritäten. |
|
4.4. |
Der EWSA ist auch besorgt über das Fehlen einer starken und innovativen Architektur zur Abstimmung der Prioritäten sowohl auf Ebene der einzelnen Politikbereiche der EU und der verschiedenen für die Umsetzung zuständigen Generaldirektionen als auch auf Ebene der Programmplanungsinstrumente, die über den Ausschuss für Normen und die gleichwohl löblichen Initiativen GNI und strukturierter Dialog hinausgehen würde. |
|
4.4.1. |
Nach Ansicht des EWSA muss daher zur Flankierung der Arbeit des derzeitigen technischen Ausschusses für Normung ein neues Governance-Gremium geschaffen werden, das mit der Ausarbeitung und Überwachung von Handlungsstrategien im Normungsbereich betraut wird, bei denen alle Aspekte der Standardisierung — von wissenschaftlichen und technologischen bis hin zu sozialen und ökologischen Aspekten — erfasst werden. |
|
4.4.2. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass angesichts der nachdrücklichen Forderungen des Rates vom März 2015 mit einem Vorgehen nach dem Motto „business as usual“ nicht wirksam auf die dringende Notwendigkeit reagiert werden kann, das ESS endlich erheblich zu modernisieren und aufzuwerten. Der strukturierte interinstitutionelle europäische Dialog über die Normung sollte gewährleisten, dass den Vertretungsorganisationen eine privilegierte proaktive Rolle eingeräumt wird, insbesondere dem AdR und dem EWSA aufgrund der letzterem mit Artikel 114 AEUV übertragenen Befugnisse hinsichtlich einer obligatorischen Anhörung. |
5. Besondere Bemerkungen
|
5.1. |
Schnelligkeit und Rechtzeitigkeit technischer europäischer Normen. Hinsichtlich der Anwendung einer Patentlösung zur Verringerung des Zeitaufwands und der Mängel bei der Überwachung der Verfahren treffen unterschiedliche Interessen in Bezug auf die Schnelligkeit und die Schwierigkeiten aufeinander. Rechtzeitigkeit ist weiterhin wichtiger als Schnelligkeit, wenn letztere eine Konsensbildung in Frage stellen könnte. |
|
5.2. |
Unterstützung für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen. Überwindung der Hindernisse für die Beteiligung der KMU an den Verfahren zur Ausarbeitung/Anwendung von Normen sowie Stärkung der Verbindungen zwischen Normung, Innovation und Forschungsprojekten, auch mittels Maßnahmen zum Kapazitätenaufbau für Kleinunternehmen. |
|
5.3. |
Unterstützung für die Rechtsvorschriften und die Politiken der EU. Es ist ein wachsender Bedarf an Normen zur Unterstützung der Rechtsvorschriften und der Politiken der EU zur Erreichung der geforderten Standards festzustellen; die Kapazitäten für die interkommunikative Koordinierung zwischen den verschiedenen Akteuren und Interessenträgern müssen gesteigert werden. |
|
5.4. |
Ausbau der Kapazitäten zur Antizipierung. Es ist eine Steigerung der Kapazitäten erforderlich, um rechtzeitig auf den Antizipierungsbedarf bei der Festlegung der europäischen Normungsverfahren reagieren zu können, u. a. um die eventuellen Risiken einer Schwächung der umfassenden Wirksamkeit des ESS aufgrund nationaler Normen zu mindern. |
|
5.5. |
Integration: Die Vertretungskapazitäten zivilgesellschaftlicher Akteure und kleinerer Organisationen müssen mithilfe von Maßnahmen zum Kapazitätsaufbau verbessert werden. Der EWSA hat bereits zuvor betont, wie wichtig es ist, „den KMU und den gesellschaftlichen Akteuren sowie ihren Vertretern auf nationaler Ebene den Zugang zum Normungsverfahren zu erleichtern“ und „dass die Maßnahmen der wesentlichen Normungsakteure gründlich begleitet werden, um die Dimension der Integration des europäischen Normungssystems zu stärken“ (10). Es muss sichergestellt werden, dass den in Anhang III genannten Organisationen ein besonderer Status als Mitglieder/Partner mit klaren Rechten und Pflichten insbesondere im Hinblick auf das Recht auf Stellungnahme zuerkannt wird. |
|
5.6. |
Unterstützung für die europäischen Normen auf globaler Ebene. Die Einflussmöglichkeiten wie auch die Kapazitäten für Präsenz, Fachkompetenz und Kohärenz müssen insbesondere für Kleinunternehmen, Verbraucher und ökologische Interessen vor allem im Rahmen von ISO/IEC/ITU sowie in multilateralen Foren und Freihandelsabkommen gestärkt werden. |
|
5.7. |
Governance. Hier gilt es:
|
|
5.8. |
Mehrjährige finanzielle Unterstützung. Ein mehrjähriger Finanzrahmen ist unverzichtbar — nicht nur für die prä- und konormative Forschung (11), für Maßnahmen in den Bereichen Wissenschaft und Gesellschaft und Sozial- und Geisteswissenschaften sowie für die Herausbildung und Verbreitung eines entsprechenden Bewusstseins und einer Normungskultur, sondern auch für die Unterstützung von Strategien und konkreten Pilotmaßnahmen zur Normung — in Zukunftssektoren unter Nutzung der Kofinanzierung im allgemeinen und regulatorischen Rahmen von „Horizont 2020“. |
|
5.9. |
Lösungen und Strategien für die Zukunft. Notwendigkeit der Abschätzung der Auswirkungen künftiger internationaler Normen auf den europäischen Markt sowie sektorspezifische und sektorübergreifende prospektive Analysen. Es müssen regelmäßige Bewertungen und Follow-ups der effektiven Anwendung der ergriffenen Maßnahmen durchgeführt werden, unter Beteiligung eigens hierfür vorgesehener Gremien in den Institutionen wie beispielsweise eine ständige Gruppe für Normung im EWSA und ähnliche Einrichtungen innerhalb des AdR und des Europäischen Parlaments. |
|
5.10. |
Normung als Instrument der EU-Politik. Für sämtliche Politikfelder EU müssen im Rahmen des ESS und in den zuständigen Generaldirektionen der Kommission die Kapazitäten für die Aktivierung und koordinierte Verwendung des Instruments der für die einzelnen Sektoren relevanten technischen Normung gestärkt werden. |
|
5.11. |
Strukturierter interinstitutioneller Dialog. Dieses Instrument muss nach Auffassung des EWSA voll interaktiv und proaktiv gestaltet werden, wobei auf die Tätigkeiten ständiger Gruppen innerhalb der EU-Institutionen zurückgegriffen werden sollte; von Beginn der Programmplanung an sollten der AdR und der EWSA daran beteiligt werden, insbesondere aufgrund der Befugnisse, die letzterem mit dem AEUV (12) in Bezug auf den Binnenmarkt übertragen wurden. Darunter fällt auch die Normung. |
Brüssel, den 20. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
George DASSIS
(1) Gemeinsame Normungsinitiative.
(2) Siehe beispielsweise die öffentlich-öffentliche Partnerschaft in der Metrologieforschung.
(3) Siehe Stellungnahme TEN/593 — IKT-Normung für den digitalen Binnenmarkt (ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 92).
(4) ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 69.
(5) ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 1.
(6) Siehe Fußnote 3.
(7) Siehe Fußnote 5.
(8) Siehe Fußnote 4.
(9) Siehe Anhang 1 zur GNI im Rahmen der Binnenmarktstrategie, Amsterdam, 13.6.2016.
(10) „Arbeitsprogramm 2016 europäische Normung“, ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 81.
(11) Siehe Metrologie-Programm EMPIR 2014-2020.
(12) Siehe insbesondere Art. 114 AEUV.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/93 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen gegen Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarkts sowie zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG“
(COM(2016) 289 final — 2016/0152 (COD))
(2017/C 034/14)
|
Berichterstatter: |
Joost VAN IERSEL |
|
Befassung |
Europäisches Parlament, 9.6.2016 Rat der Europäischen Union, 10.6.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 289 final — 2016/0152 (COD)) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
|
Annahme in der Fachgruppe |
4.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
216/3/6 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der EWSA begrüßt die vorgeschlagene Verordnung über Maßnahmen gegen Geoblocking als für Unternehmen und Verbraucher unverzichtbaren Bestandteil der Strategie für den digitalen Binnenmarkt. Indes wird damit nur ein kleiner Schritt, nicht aber eine Kehrtwende vollzogen. Unternehmen und Kunden — d. h. sowohl Verbraucher als auch Unternehmen als Endnutzer — werden bei binnenmarktweiten Kauf- und Verkaufstransaktionen weiterhin mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. |
|
1.2. |
Der EWSA fordert die Europäische Kommission und den Rat dringend auf, ehrgeizige und klare Rechtsvorschriften festzulegen, um einen erfolgreichen digitalen Binnenmarkt zum Nutzen der Verbraucher und Unternehmen zu schaffen, der auch Voraussetzung für eine resiliente europäische Wirtschaft ist, die sich gegenüber dem Rest der Welt behaupten kann. Dadurch würde auch das positive Image der Europäischen Union gefördert. |
|
1.3. |
Es bleibt abzuwarten, ob die Verordnung tatsächlich der Frustration der Verbraucher entgegenwirken wird. Zwar wird der herkömmliche Offline-Handel weiterhin eine wichtige Rolle spielen, doch ist die Zahl der derzeit im grenzüberschreitenden Online-Handel tätigen Unternehmen noch relativ begrenzt. Indes gibt es ein enormes Potenzial für insbesondere grenzüberschreitenden Online-Kauf und Online-Verkauf. |
|
1.4. |
Es müssen dringend gleiche Ausgangsbedingungen für den Offline- und den Online-Handel geschaffen werden. Die EU sollte daher nicht nur gegen ungerechtfertigtes Geoblocking, sondern auch gegen die noch verbleibenden Hemmnisse im Binnenmarkt angehen, die den grenzüberschreitenden Online- und/oder Offline-Handel erschweren oder behindern. |
|
1.5. |
Das Vertrauen zwischen Unternehmen und Verbrauchern sollte durch die parallele Annahme anderer Rechtsvorschriften gestärkt werden. Besonders wichtig wären in diesem Zusammenhang eine Verordnung für Paketzustelldienste (1), um Transportprobleme zu lösen und Kostensenkungen durch fairen Wettbewerb unter Berücksichtigung von Sozialvorschriften und im vollen Einklang mit den einschlägigen EU-Rechtsvorschriften zu erreichen, sowie eine ausgewogene Überarbeitung des EU-Urheberrechts. |
|
1.6. |
Der EWSA lehnt ungerechtfertigtes Geoblocking ab. Er räumt indes ein, dass es verschiedene gute Gründe geben dafür kann, dass Unternehmen, insbesondere KMU und Kleinstunternehmen, infolge von Unterschieden zwischen den Märkten grenzüberschreitende Online-Handelstransaktionen vermeiden oder verweigern und die Preise und/oder Konditionen anpassen. U. a. wären unterschiedliche Rechtssysteme, weitere nationale Anforderungen, zusätzliche Transportkosten, Sprachanforderungen bei vorvertraglichen Informationen und Back-Office-Anforderungen zu nennen. |
|
1.7. |
Der EWSA betont, dass Geoblocking, das mit den großen Unterschieden zwischen den industriepolitischen Ansätzen und Rechtssystemen der Mitgliedstaaten begründet wird, die spontane Entwicklung von europaweit tätigen KMU und Scale-ups hemmt. Diese Unterschiede untergraben auch die Transparenz und Vorhersehbarkeit, die bitter notwendig sind, um Investitionen zu fördern und den Märkten im digitalen Zeitalter Sicherheit zu geben. |
|
1.8. |
In der vorgeschlagenen Verordnung werden die Anbieter zu Recht nicht dazu verpflichtet, Waren in das Land des Kunden zu liefern bzw. dort Dienstleistungen bereitzustellen, wenn der Anbieter in dem betreffenden Land (noch) keine Waren zustellt bzw. Dienstleistungen erbringt. |
|
1.9. |
Jeder Kunde im Binnenmarkt wird rechtmäßig Zugang zu jedem Angebot haben und kann eine Ware oder Dienstleistung erwerben, sofern der Kunde für die Abholung der Ware sorgt oder die Dienstleistung in einem Gebiet in Anspruch nimmt, in dem der Anbieter bereits tätig ist. In dem Fall ist es angemessen, dass die Anbieter das Herkunftslandprinzip anwenden. |
|
1.10. |
Der EWSA begrüßt ferner die den Anbietern auferlegten Informationspflichten zur Verbesserung der Transparenz und der Verbraucherinformationen im Einklang mit der Verbraucherschutzrichtlinie aus dem Jahr 2011. In diesem Zusammenhang könnte sich eine EU-Informationswebsite als hilfreich erweisen. Gemäß der Verbraucherschutzrichtlinie aus dem Jahr 2011 müssen die Unternehmen Preistransparenz sicherstellen. Der Ausschuss rät den Unternehmen, über die Mindestanforderungen hinauszugehen, um das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen. |
|
1.11. |
Der EWSA begrüßt die kürzlich von der Europäischen Kommission veröffentlichten ersten Erkenntnisse aus der Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel (2), denen zufolge der elektronische Handel ein wichtiger Treiber von Preistransparenz und -wettbewerb ist. Ungerechtfertigtes Geoblocking behindert dabei die natürliche Entwicklung. |
|
1.12. |
Einige Aspekte bedürfen jedoch weiterer Klarstellung: |
|
1.12.1. |
Der Wortlaut der Festlegung des anwendbaren Rechts — Art. 1 Abs. 5 zufolge kann der Anbieter sich auf das Herkunftslandprinzip beziehen und seine Waren „wie zu Hause“ verkaufen — muss dringend klarer formuliert werden. |
|
1.12.2. |
Kundendienstleistungen (bzgl. Nichtkonformität, Rücksendekosten, Entschädigungsmöglichkeiten usw.) werden in der Verordnung nicht ausdrücklich genannt und daher weiterhin gemäß der Verbraucherschutzrichtlinie aus dem Jahr 2011 geregelt. In der Verordnung über Geoblocking sollte auf einschlägiges geltendes EU-Recht verwiesen werden. Dies bedarf weiterer Überlegungen. |
|
1.12.3. |
Bei einigen wichtigen Vorschriften, bspw. bei Artikel 7 über Sanktionen bei Verstößen und Artikel 8 über die Unterstützung für Verbraucher, wird den Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für die Durchsetzung übertragen. Es muss sichergestellt werden, dass potenziell unterschiedliche Auslegungen nicht zu noch mehr Stückwerk führen und damit die Wirkung der Verordnung abschwächen. Der EWSA begrüßt die Bereitschaft der Europäischen Kommission, ein EU-weit einheitliches Musterformular für Verbraucherbeschwerden einzuführen (3). |
|
1.13. |
Das für das Inkrafttreten von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b vorgesehene Datum — derzeit der 1. Juli 2018 — sollte offen bleiben und in Abhängigkeit von der Dauer des Rechtsetzungsprozesses erst zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden. |
|
1.14. |
Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission für ein einheitliches Beschwerdeformular. |
2. Einleitung
|
2.1. |
Der digitale Wandel hat Unternehmen und Märkte weltweit erfasst und schreitet rasch fort. In Anbetracht der tief greifenden Auswirkungen dieser Entwicklungen hat die Europäische Kommission dem digitalen Binnenmarkt aus gutem Grund oberste Priorität eingeräumt. |
|
2.2. |
Der EWSA ist auch eng in die Debatte über den digitalen Wandel eingebunden. Er hat sich bereits in verschiedenen Stellungnahmen zu den übergreifenden und horizontalen Aspekten der Digitalisierung und zu spezifischen einschlägigen Vorlagen der Kommission geäußert (4). |
|
2.3. |
Nach Meinung des EWSA muss für stabile Bedingungen gesorgt werden, um den Binnenmarkt im Zeitalter der digitalen Revolution zu fördern. Diese Bedingungen müssen durch einen geeigneten neuen oder überarbeiteten Rechtsrahmen festgelegt werden, der die Rechte der Bürger und Verbraucher gewährleistet. Außerdem sollten Unternehmen darin bestärkt werden, digitale Werkzeuge und innovative Lösungen zu nutzen, um grenzüberschreitend tätig zu werden. |
|
2.4. |
Jeder einzelne der 16 in dem Paket für den digitalen Binnenmarkt enthaltenen legislativen und nichtlegislativen Vorschläge muss unter diesen Gesichtspunkten geprüft werden, auch der Vorschlag betreffend Geoblocking. |
|
2.5. |
Die Bewertung der gegenwärtigen Verfahrensweisen verdeutlicht, dass es immer noch viele Hindernisse für grenzüberschreitende Online-Transaktionen gibt. Eine eingeschränkte grenzüberschreitende Marktentwicklung ist häufig nicht auf eine unfaire Marktsegmentierung zurückzuführen, sondern auf die Verunsicherung der Händler hinsichtlich Verbraucherverhalten, fortbestehenden bürokratischen Hemmnissen, unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen und Sprachbarrieren. Diese Art Unsicherheiten untergraben auch das Vertrauen der Verbraucher. |
|
2.6. |
Unzureichende Informationen haben auch Mitschuld daran, dass der elektronische Handel, und zwar Kauf wie auch Verkauf, auf nationaler Ebene schnell wächst, über die Grenzen hinweg aber nicht in Schwung kommt. |
|
2.7. |
Gleichzeitig gibt es erhebliche Unterschiede im grenzüberschreitenden Handel zwischen den einzelnen Sektoren, großen und kleinen Unternehmen und den verschiedenen Akteuren wie Einzelhändlern oder Intermediären und Internetportalen, und auch die einzelnen Mitgliedstaaten weisen ein sehr unterschiedliches internationales Internethandelsvolumen auf. |
|
2.8. |
Die Lage ist kompliziert. Um die erforderlichen gleichen Ausgangsbedingungen und transparenten Lösungen für Unternehmen und Verbraucher zu fördern, sollte das Legislativpaket für den digitalen Binnenmarkt konsequent eingeführt werden, indes aber mit rechtlichen Bestimmungen in damit zusammenhängenden Bereichen wie bspw. Mehrwertsteuer, Paketzustellung, Verpackungsabfälle und Verbraucherschutz im Einklang stehen. |
|
2.9. |
Die wirtschaftliche und technische Entwicklung ist unumkehrbar. In Anbetracht des sich unaufhaltsam ausweitenden Internethandels müssen deshalb raschestmöglich auf europäischer Ebene gleiche Ausgangsbedingungen für die Bürger wie auch die Unternehmen geschaffen werden. |
3. Ein weites Feld
|
3.1. |
In diesen Zeiten der disruptiven Entwicklungen sind die Fertigungs- und die Dienstleistungsindustrie ständigen Veränderungen unterworfen, entstehen neue kollaborative Geschäftsmodelle und wandeln sich die Handelsmethoden. Die sozialen Medien und Social MEDIA Dienste prägen die Entwicklung neuer Handels- und Einkaufsmuster. Sie haben enorme Auswirkungen für Unternehmen wie auch Verbraucher. Die EU sollte bestehende und neue Rechtsvorschriften an die neuen Marktgegebenheiten anpassen, ohne jedoch durch übermäßige Strenge die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und innovative Ansätze zu bremsen. |
|
3.2. |
Geoblocking steht im Widerspruch zu einem Grundsatz des Binnenmarkts. Zwar gibt es häufig berechtigte Gründe für Ungleichbehandlung in Form von Preisen oder Bedingungen, die auf der verbleibenden Fragmentierung der Märkte oder Unterschieden zwischen den nationalen Märkten beruhen, doch werden sowohl die Unternehmen als auch die Verbraucher aus einem offenen und wettbewerbsfähigen Markt mit vielfältigen Auswahlmöglichkeiten und besserer Qualität zu fairen Preisen Nutzen ziehen. |
|
3.3. |
Die Bedeutung des elektronischen Handels im B2C-Bereich — wobei sowohl Verbraucher als auch Unternehmen Endnutzer sind — muss im größeren Zusammenhang gesehen werden. Unternehmen müssen heute mehr denn je innovativ sein und effizient zu moderaten Preisen tätig sein. Neue Durchbrüche versetzen Grenzen und tragen zur Robustheit und Resilienz von Unternehmen bei. Unter anderem deshalb befürwortet der EWSA vorbehaltlos das Ziel, jedwede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit und/oder des Wohnsitzes des Kunden abzuschaffen. |
|
3.4. |
Die Entscheidung, international tätig zu sein, liegt jedoch nach wie vor bei jedem einzelnen Unternehmen selbst. Die Praxis zeigt, dass die (überwiegende) Mehrheit einen nationalen Ansatz wählt. |
|
3.5. |
Im Vergleich zu den USA hinkt Europa immer noch hinterher. China und Indien sind dabei, sich in der Digitalwirtschaft eine starke Marktposition zu erobern. Von den 20 weltweit führenden Internetunternehmen stammt kein einziges aus Europa. Internationalen Studien zufolge ist Europa Vorreiter bei Unternehmensgründungen. Jedoch behindert die Fragmentierung des europäischen Markts die spontane Entwicklung von europaweit tätigen Start-ups und Scale-ups. Die Marktsegmentierung bremst häufig die Marktentwicklung. |
|
3.6. |
Die Europäische Kommission unterscheidet richtigerweise zwischen gerechtfertigtem und ungerechtfertigtem Geoblocking. Gerechtfertigtes Geoblocking im B2C-Handel ist vor allem auf die Fragmentierung des EU-Markts und intransparente Ausgangsbedingungen zurückzuführen. |
|
3.7. |
Die Bekämpfung von Geoblocking hat als vielsagende Nebenwirkung verschiedenerlei (neues) Versagen des Binnenmarkts klar zutage gebracht. Es muss sorgfältig und fallweise geprüft werden, ob Gründe für die Beschränkung des Zugangs zu einem bestimmten Dienst oder eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Preise und/oder Bedingungen auf der Grundlage der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes vorliegen. |
|
3.8. |
Ein Abbild des potenziellen Geoblockings und der Marktentwicklung in einem großen Binnenmarkt wie den USA wäre von großem Nutzen gewesen, ungeachtet der damit verbundenen Schwierigkeiten und Kosten. Europa hätte damit ein Vorbild gehabt. Wie in Europa haben die einzelnen US-Bundesstaaten auch bestimmte, wenn auch weniger weitreichende, rechtliche Befugnisse, mit denen sie landesweite Tätigkeiten behindern können. Unternehmerische Freiheit und Verbrauchernachfrage fördern vermutlich massiv den elektronischen B2C-Handel und schaffen damit günstige Voraussetzungen für Wettbewerb sowie für schnell wachsende Start-ups und Scale-ups im US-Binnenmarkt. |
|
3.9. |
Ein solches Abbild könnte als Grundlage für die Einschätzung der künftigen Entwicklungen in Europa herangezogen werden. Die Analysen der Kommission stützen sich auf Erhebungen im Unternehmensumfeld und beschreiben aktuelle Praktiken auf überwiegend nationalen Märkten. Anhand des Beispiels der USA kann das tatsächliche wirtschaftliche Potenzial des elektronischen B2C-Handels nach Beseitigung aller großen Hemmnisse veranschaulicht werden. |
|
3.10. |
Die Förderung des grenzüberschreitenden Verkaufs steht schon geraume Zeit auf der EU-Agenda. Eine Reihe von Richtlinien, u. a. die Dienstleistungsrichtlinie von 2006 und die Verbraucherschutzrichtlinie von 2011, wurden erlassen. Sie heben in erster Linie auf Verbraucherschutz ab und schreiben den Unternehmen vor, für ausreichende Transparenz für die Verbraucher zu sorgen und ungerechtfertigte grenzüberschreitende Ungleichbehandlung einzustellen. |
|
3.11. |
Der EWSA stellt enttäuscht fest, dass eine unzureichende Durchführung und mangelhafte Anwendung sowie eine schwache Durchsetzung bestehender EU-Rechtsvorschriften häufig bleibende Hemmnisse schaffen. |
|
3.12. |
Bis jetzt bleiben die Auswirkungen rechtlicher Bestimmungen zur Förderung des grenzübergreifenden elektronischen Handels begrenzt. Auf der Grundlage umfassender Marktstudien und Erhebungen unter Unternehmen und Verbrauchern gelangt die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass Online-Käufe zwar Teil des Verbraucheralltags sind, grenzüberschreitende Online-Käufe jedoch die Ausnahme bleiben. Nur die Hälfte der Unternehmen, die ihre Waren oder Dienstleistungen über das Internet verkaufen, tun dies grenzüberschreitend (5). |
|
3.13. |
Der EWSA stimmt zu, dass grenzübergreifende Einschränkungen aufgrund von Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz das Vertrauen in den Binnenmarkt erschüttern und deshalb abgeschafft werden sollten. Die Ergebnisse umfangreicher Umfragen rechtfertigen die Schlussfolgerung, dass sowohl Verbraucher als auch Unternehmen mit überwältigender Mehrheit die Öffnung des europäischen Markts für elektronischen B2C-Handel befürworten. Das Europäische Parlament bezieht den gleichen Standpunkt (6). |
4. Sachstand
|
4.1. |
Zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Einkaufs und Verkaufs hat die Europäische Kommission ein Maßnahmenpaket ausgearbeitet, das verschiedene Bereiche umfasst, so z. B. Mehrwertsteuerregistrierung und Mehrwertsteuervorschriften für den elektronischen Handel, Paketzustellung, Reform des Urheberrechts und eine überarbeitete Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz. Es ist auch wichtig, dass vertikale Vereinbarungen zwischen Lieferanten und Vertreibern sowie einseitige Maßnahmen einzelner Unternehmen vollständig im Einklang mit den Wettbewerbsregeln der EU stehen. |
|
4.2. |
Der Vorschlag für eine Verordnung über Geoblocking ist ein Teil dieses Gesamtpakets. Es ist darauf hinzuweisen, dass eine Reihe wichtiger Sektoren nicht unter die Verordnung fallen, so z. B. Patienten- und Gesundheitsdienste, Schienenpersonenverkehrsdienste, Finanzdienstleistungen (für Privatkunden), digitale Musik, audiovisuelle Dienste und bestimmte Glücksspiele. Dies wird mit der Notwendigkeit spezifischer sektorbezogener Vorschriften begründet, die dem EWSA zufolge rasch festgelegt werden sollten, um die Lücken im Regelwerk für den digitalen Binnenmarkt zu schließen. |
|
4.3. |
Dasselbe gilt für die äußerst wichtige Frage des Urheberrechts. Urheberrechtliche Fragen sind richtigerweise vom Geltungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung ausgenommen, stehen aber im Zusammenhang damit, und deshalb fordert der EWSA die Europäische Kommission dringend auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Fragmentierung in diesem Bereich zu bekämpfen, der Frustration der Verbraucher entgegenzuwirken und zur Schaffung eines echten digitalen Binnenmarkts beizutragen. |
|
4.4. |
Eine Schlussfolgerung aus der 2015 durchgeführten öffentlichen Konsultation zu Geoblocking lautet, dass sowohl die Verbraucher als auch die Unternehmen eine generelle Unzufriedenheit angesichts der bestehenden Fragmentierung des Binnenmarkts erkennen lassen. Offenbar zeigen aber Unternehmen und Wirtschaftsverbände mehr Akzeptanz für die bestehende Situation, die sie auf die unterschiedlichen gesetzlichen Vorgaben in den einzelnen Mitgliedstaaten zurückführen (7). |
|
4.5. |
Der EWSA weist darauf hin, dass es für KMU wichtig ist, dass in der Verordnung keine Verpflichtung zur unionsweiten Lieferung vorgesehen wird. Die KMU, insbesondere in den Grenzregionen, werden jedoch sicher von den Möglichkeiten profitieren (8), Waren und Dienste europaweit verkaufen zu können; gleichzeitig haben sie als Endnutzer die gleichen Rechte wie die Verbraucher, wenn sie bspw. Waren und Dienstleistungen aus anderen Mitgliedstaaten erwerben. Der EWSA unterstreicht ferner, dass eine erfolgreiche Umsetzung der Verordnung über Paketzustelldienste Voraussetzung für die Unterstützung und Förderung des grenzüberschreitenden Handels ist. |
|
4.6. |
Aus den Unstimmigkeiten zwischen den Rechtssystemen erklärt sich die Unterscheidung zwischen gerechtfertigtem und ungerechtfertigtem Geoblocking. Abgesehen von denjenigen Unternehmen, die einfach nicht international agieren wollen, sind Vorbehalte der Unternehmen gegenüber der Abschaffung von Geoblocking weitgehend auf Unsicherheiten aufgrund unterschiedlicher Praktiken in Europa zurückzuführen, die den internationalen Handel behindern. |
|
4.7. |
Die Verbraucher führen zahlreiche Kritikpunkte im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Handel an, doch sind die angeführten Beispiele nicht repräsentativ genug, sodass eine eingehendere Bewertung angebracht wäre. Die Beschwerden umfassen ein breites Spektrum von Aspekten, u. a. Informationsmangel, Lieferbeschränkungen oder -verweigerung, unterlassene Begründungen oder Erklärungen bei der Verweigerung der Bereitstellung von Waren oder Diensten, automatische Weiterleitung, Ablehnung bestimmter Kreditkarten, unterschiedliche Behandlung aufgrund von Rechnungs- und Lieferadressen und Sprachanforderungen. Einige dieser Beschwerdepunkte sind auf Unterschiede zwischen den Rechtssystemen zurückzuführen. Andere jedoch, die das Ergebnis vertraglicher Bestimmungen oder abgestimmter Verhaltensweisen sind und zu einer verbreiteten vertikalen Segmentierung des Marktes führen, die letztlich auf persönlichen Merkmalen beruhen, sollten ausgeräumt werden (9). Die Stärkung des Vertrauens der Verbraucher und Unternehmen in die Online-Märkte ist unerlässlich, um den grenzüberschreitenden elektronischen Handel zum Nutzen der Verbraucher, der Unternehmen und der Bürger zu fördern. |
|
4.8. |
Eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Preise, Bedingungen oder anderer Aspekte in Verbindung mit Dienstleistungen, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort erbracht werden (bspw. durch Verfolgen von IP-Adressen und Profilerstellung), sollte ebenso wie ungerechtfertigtes Geoblocking verboten werden. Es gibt keine Rechtfertigung für eine systematisch unterschiedliche Behandlung bei Dienstleistungen wie Autovermietung, Freizeitparks und Hotelunterkünften. Vorübergehende Sonderangebote oder Preisunterschiede bspw. in der Schulferienzeit — die somit zeitlich begrenzt und horizontal sind — sollten zulässig sein. |
|
4.9. |
Vertraglich festgelegte Einschränkungen grenzüberschreitender Verkaufstransaktionen treten in unterschiedlicher Form auf, und vertragliche geografische Beschränkungen kommen bei allen Produktkategorien vor (10). Einige auf ersten Blick ungerechtfertigte Einschränkungen sind indes in Wirklichkeit vertretbar, wie das häufig angeführte Beispiel unterschiedlicher Preise. Die Europäische Kommission spricht in diesem Zusammenhang zu Recht von einer Grauzone (11). Beispielsweise können Preisunterschiede (zumindest teilweise) durch unterschiedliche Märkte, unterschiedliche Verbraucherzielgruppen und höhere Kosten aufgrund von unterschiedlichen oder zusätzlichen nationalen Rechtsvorschriften, rechtlicher Beratung, Zahlungsdiensten sowie Versand- und Retourenabwicklung (12) erklärt werden. |
|
4.10. |
Negative Wahrnehmungsmuster und daraus resultierende Beschwerden über falsche Versprechungen des Binnenmarkts sind unter den Verbrauchern wie auch Unternehmen weit verbreitet. Diese Beschwerden rühren im Wesentlichen von zwei ineinandergreifenden Gegebenheiten her — den nationalen industriepolitischen Maßnahmen und unterschiedlichen Rechtsvorschriften. |
|
4.11. |
Der EWSA hat bereits wiederholt das Nebeneinander von 28 nationalen Industriepolitiken kritisiert, da nationale industriepolitische Ansätze EU-weite Geschäftstätigkeiten behindern und insbesondere die Möglichkeiten der KMU für grenzüberschreitende Tätigkeiten beeinträchtigen. Einzelstaatliche Politiken, die nicht miteinander koordiniert werden und denen es an der erforderlichen Übereinstimmung mangelt, erschweren eine grenzübergreifende Planung. Nicht vorhersehbare oder willkürliche staatliche Maßnahmen tragen zu weiterer Unsicherheit bei. |
|
4.12. |
Die aktuelle Landschaft ergibt ein buntes Bild: Es gibt unterschiedliche einzelstaatliche Normen und Zertifizierungssysteme; einige Websites werden blockiert, um Verkaufstransaktionen aus anderen Ländern zu verhindern; Zahlungssysteme sind zumeist unterschiedlich; die sprachlichen Voraussetzungen können ein unüberwindbares Hindernis sein; die Marktüberwachungsbehörden legen manchmal zusätzliche Anforderungen fest (13) und die geltenden EU-Richtlinien werden nur mangelhaft oder überhaupt nicht umgesetzt. Als allseits bekanntes Beispiel wäre Artikel 20 der Dienstleistungsrichtlinie zu nennen, den die Mitgliedstaaten geflissentlich ignorieren, wobei in diesem speziellen Fall auch überhaupt nicht klar ist, wie der Artikel korrekt umzusetzen ist. All diese Faktoren untergraben die Markttransparenz und die erwünschten gleichen Ausgangsbedingungen. |
|
4.13. |
Dem Binnenmarkt kommt eine Schlüsselrolle zu. In der Online-Gesellschaft rückt er in den Brennpunkt. Die Unternehmen und Verbraucher in ganz Europa kommen einander näher. Über einen Mausklick öffnet sich unmittelbar ein riesiges Spektrum an Auswahl- und Entscheidungsmöglichkeiten. Die Gelegenheiten für besondere und fein abgestimmte Lösungen wachsen ins Unermessliche. Indes ist zu bedenken, dass es selbst in einem perfekt funktionierenden Binnenmarkt regionale Unterschiede geben würde. |
|
4.14. |
Künstliche Barrieren beeinträchtigen die spontanen Entwicklungsmöglichkeiten von Unternehmen, besonders KMU. Unternehmen versuchen, durch abgestimmte Maßnahmen Probleme zu umgehen oder Hindernisse zu überwinden, um sich Marktanteile zu sichern. Vertikale und horizontale Vereinbarungen zwischen Händlern und Vertriebsunternehmen wie auch verschiedene Formen der Marktsegmentierung, die allgemein als ungerechtfertigtes Geoblocking gelten, sind häufig auch Verteidigungsmaßnahmen gegen nach Ansicht der Unternehmen willkürliche nationale Hemmnisse. Beispielsweise können Versandkosten und Kosten für Kundendienstleistungen aufgrund nationaler politischer Maßnahmen unerwartet höher ausfallen. Einem Unternehmen, das unter allen Umständen zur Zustellung verpflichtet ist, könnte es angesichts unbekannter Bedingungen schwer fallen, seinen Verpflichtungen nachzukommen. |
|
4.15. |
In einigen Fällen werden grenzübergreifende Intermediäre genutzt, um durch nationale Rechtsvorschriften bedingte Komplikationen zwischen dem Unternehmen im Herkunftsland und Kunden in einem anderen Land zu vermeiden. Ungeachtet ihrer Zweckmäßigkeit ist diese Verfahrensweise im Allgemeinen nicht den direkten Beziehungen zwischen den Lieferunternehmen und den Kunden förderlich. |
|
4.16. |
Es besteht kein Zweifel daran, dass eine Bestandsaufnahme des ungerechtfertigten Geoblockings angesagt ist und Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen, doch weist der EWSA nachdrücklich darauf hin, dass bei der Festlegung angemessener Bedingungen auch die richtigen Schlussfolgerungen aus der fortwährenden Fragmentierung des Binnenmarkts infolge unterschiedlicher nationaler Ansätze gezogen werden müssen. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) EWSA-Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung über grenzüberschreitende Paketzustelldienste, in der ergänzende einschlägige Empfehlungen unterbreitet werden (siehe Seite 106 dieses Amtsblatts).
(2) Die Erhebung wurde im Mai 2015 veröffentlicht, die ersten Erkenntnisse wurden am 15. September 2016 vorgelegt.
(3) In Anbetracht der unterschiedlichen einzelstaatlichen Ansätze ist dies ein schwieriges Unterfangen, das derzeit Gegenstand von Beratungen zwischen Kommission und Rat ist.
(4) ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 86,
ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 57,
ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 51,
ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 65.
(5) Siehe die Folgenabschätzung zu dem Vorschlag für eine Verordnung über Maßnahmen gegen Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund des Wohnsitzes, des Ortes der Niederlassung oder der Staatsangehörigkeit des Kunden innerhalb des Binnenmarkts (COM(2016) 289 final, S. 2). Im Zusammenhang mit ihrer Mitteilung zur Dienstleistungsrichtlinie aus 2012 befand die Europäische Kommission jedoch, dass es den Unternehmen freisteht, die geografische Reichweite ihrer Tätigkeiten innerhalb der EU festzulegen, auch bei Online-Verkauf.
(6) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Januar 2016 zum Thema „Auf dem Weg zu einer Akte zum digitalen Binnenmarkt“ (2015/2147(INI)), Kapitel 2.
(7) Zusammenfassender Bericht — Zusammenfassung der Antworten auf die 2015 durchgeführte öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission zum Thema „Geoblocking und andere geografische Beschränkungen beim Einkauf und beim Zugang zu Informationen in der EU“, S. 15.
(8) Lt. European Small Business Alliance (ESBA).
(9) Siehe das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen — Geo-blocking practices in e-commerce — Issues paper presenting initial findings of the e-commerce sector inquiry conducted by the Directorate-General for Competition, SWD(2016) 70 final, Ziffer 7.
(10) Ebd., Ziffern 98 und 99.
(11) Ebd., Ziffer 102, This grey zone should be defined more clearly.
(12) Ebd., Ziffer 114.
(13) Als Beispiel siehe Deutschland.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/100 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden“
(COM(2016) 283 final — 2016/0148 (COD))
(2017/C 034/15)
|
Berichterstatter: |
Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER |
|
Befassung |
Europäisches Parlament, 9.6.2016 Rat, 30.6.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 283 final — 2016/0148 (COD)) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch |
|
Annahme in der Fachgruppe |
4.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
219/4/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt den Vorschlag der Kommission, der seiner Ansicht nach sowohl zum richtigen Zeitpunkt kommt als auch in der Behandlung und Darstellung der Inhalte zutreffend ist. In diesem Zusammenhang ist auf den Umfang der zu erwartenden Vorteile hinzuweisen, die sich aus der Anwendung des Vorschlags auf alle Beteiligten, Verbraucher, Unternehmen und nationale Behörden ergeben, wie im Vorschlag selbst festgestellt. |
|
1.2. |
Gleichzeitig ist der EWSA beunruhigt und besorgt über die Regulierung der zahlreichen Aspekte in dem Vorschlag, die den Schutz der Grundrechte und ihre Wahrung durch die Mitgliedstaaten beeinträchtigen könnte. |
|
1.3. |
Zudem dringt der EWSA darauf, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten für die wirksame Anwendung der in Artikel 8 des Vorschlags vorgesehenen gemeinsamen Verfahrensregeln sorgen und dass dies im Einklang mit den Grundsätzen für eine gute Verwaltungspraxis erfolgt. |
|
1.4. |
Schließlich fordert der EWSA die Kommission nachdrücklich auf, die gebührende Koordinierung mit den Mitgliedstaaten einzuleiten, um die in diesem Vorschlag vorgesehenen Maßnahmen durchzuführen, und die Reichweite der koordinierten Maßnahmen zu erhöhen. |
2. Grundlagen
|
2.1. |
Die Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 (1) über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden (nachfolgend: „die CPC-Verordnung“) wurde unter Befürwortung des EWSA (2) angenommen. |
|
2.2. |
Durch die CPC-Verordnung wird der Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden im Europäischen Wirtschaftsraum harmonisiert, sodass die Maßnahmen der Verbraucherschutzbehörden den gesamten Umfang des Binnenmarkts abdecken. |
|
2.3. |
Der Anhang der CPC-Verordnung enthält die Rechtsvorschriften, die mit ihr in Zusammenhang stehen, und wird aktualisiert, sobald neue Rechtsvorschriften in Kraft treten. Derzeit enthält er 20 Richtlinien und Verordnungen im Bereich des Besitzstands der Union über Verbraucherrecht und Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen. |
|
2.4. |
Ziel der Verordnung ist es, den reibungslosen Ablauf des Einzelhandels in der gesamten EU zu gewährleisten. |
|
2.4.1. |
In der CPC-Verordnung werden Mindestkompetenzen für die nationalen Behörden festgelegt, die es ihnen ermöglichen, grenzüberschreitende Verstöße zu bekämpfen. |
3. Die Entwicklung der CPC-Verordnung
|
3.1. |
In Artikel 21a der Verordnung wird festgelegt, dass die Kommission die Wirksamkeit und die vorgesehenen operativen Mechanismen bewertet und die mögliche Aufnahme zusätzlicher Rechtsvorschriften prüft und, in diesem Fall, einen Gesetzgebungsvorschlag für die Änderung der Verordnung vorlegt. |
|
3.2. |
Nach einer externen Bewertung (3) und einer öffentlichen Konsultation veröffentlichte die Kommission einen Bericht (4) mit den Faktoren, die die Wirksamkeit der Verordnung beeinflussen könnten:
|
|
3.3. |
Insgesamt wurde empfohlen, die Kooperationsmechanismen zur Durchführung der CPC-Verordnung zu stärken und das Verbraucherrecht effizient anzuwenden, um einen starken und dynamischen Binnenmarkt zu garantieren. |
4. Der Vorschlag der Kommission
|
4.1. |
Der Vorschlag zielt darauf ab, Wettbewerbsverzerrungen und Binnenmarkthemmnisse zu beseitigen. Des Weiteren wird versucht, die Wirksamkeit und Effizienz des grenzüberschreitenden Durchsetzungssystems für die EU-Verbrauchergesetzgebung zu erhalten und zu erhöhen. |
|
4.2. |
Die derzeitige Verordnung wird modernisiert, indem eine Vertiefung des Harmonisierungsgrads durchgeführt wird, um die in der Bewertung genannten Fragestellungen zu behandeln und die grenzüberschreitende Durchsetzung des EU-Verbraucherrechts im Binnenmarkt zu fördern. |
|
4.3. |
Der Vorschlag erfolgt ebenfalls unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips, da sich die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten die Zuständigkeit im Bereich des Verbraucherschutzes teilen. Ebenfalls wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt, da eine Reihe von Mindestbefugnissen festgelegt wird, die für alle zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Kontext des Anwendungsbereichs gelten. |
|
4.4. |
Für die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von „weitverbreiteten Verstößen“ wird u. a. ein gemeinsames Verfahren auf Unionsebene vorgeschlagen, um gegen erhebliche, schwerwiegende Verstöße vorzugehen, die mindestens drei Viertel der Mitgliedstaaten und zusammen mindestens drei Viertel der EU-Bevölkerung betreffen. |
|
4.4.1. |
Es wird vorgeschlagen, dass die Kommission im Falle von „weitverbreiteten Verstößen“ das gemeinsame Verfahren einleiten und eine obligatorische Koordinierungsfunktion in diesem Verfahren einnehmen wird. Es wird für die interessierten Mitgliedstaaten auch verpflichtend sein, an dieser gemeinsamen Aktion teilzunehmen. |
|
4.5. |
In den einleitenden Bestimmungen des Vorschlags werden die Begriffsbestimmungen aktualisiert, um den Umfang und den Geltungsbereich der Verordnung für „weitverbreitete Verstöße“ und „vorübergehende Verstöße“ festzulegen. |
|
4.6. |
Es wird auch die Benennung der zuständigen Behörden und zentralen Verbindungsstellen unter Erläuterung ihrer Funktion definiert. Des Weiteren werden die Mindestbefugnisse für Ermittlung und Durchsetzung festgelegt, indem die derzeitigen Befugnisse erläutert werden und einige neue hinzukommen, die von den zuständigen Behörden als erforderlich betrachtet werden, um in einem grenzüberschreitenden Kontext zu agieren. |
|
4.7. |
Außerdem wird ein Amtshilfemechanismus eingeführt, der sich aus zwei Instrumenten zusammensetzt:
|
|
4.8. |
Was die koordinierte Überwachung, die Ermittlung und die Durchsetzungsmechanismen bei weitverbreiteten Verstößen anbelangt, werden Instrumente wie koordinierte Aktionen, gemeinsame Aktionen für weitverbreitete Verstöße mit EU-Dimension und abgestimmte Ermittlungen auf Verbrauchermärkten eingeführt. |
|
4.8.1. |
Es wird also ein neues Instrument eingeführt, mit dem gegen weitverbreitete Verstöße mit EU-Dimension, die wahrscheinlich Verbraucher in einem Großteil der Union schädigen, vorgegangen werden kann. Es werden Schwellenwerte festgelegt, die bestimmen, welche mutmaßlichen Verstöße eine EU-Dimension haben. |
|
4.8.2. |
Der Schwellenwert beruht auf zwei Kriterien hinsichtlich der Anzahl der betroffenen Länder und der betroffenen Bevölkerung; wenn diese gegeben sind, wird die gemeinsame Aktion über eine Entscheidung eingeleitet. Das Ziel ist die Beendigung des Verstoßes und, gegebenenfalls, die Entschädigung der Verbraucher mithilfe von Verpflichtungen des Händlers. |
|
4.8.3. |
Der Vorschlag sieht gemeinsame Verfahrensbestimmungen für koordinierte und gemeinsame Maßnahmen vor, wie das Recht auf Anhörung für Händler, die Koordinatorenfunktion, die Entscheidungsfindung und die Sprachenregelung. Außerdem legt er die Rechtsgrundlage für abgestimmte Ermittlungen auf den Verbrauchermärkten („Sweeps“) fest. |
|
4.9. |
Schließlich sieht der Vorschlag weitere Aktivitäten auf Unionsebene vor, wie die Koordinierung von anderen Aktivitäten, die zur Überwachung und Durchführung beitragen, der Austausch von Beamten zwischen den zuständigen Behörden sowie der Informationsaustausch über Verbraucherpolitik und internationale Zusammenarbeit. |
|
4.9.1. |
Er enthält einen Anhang mit einer Liste von Rechtsakten zum Verbraucherrecht und legt den Anwendungsbereich der Verordnung unter Berücksichtigung der sachlichen Zuständigkeit („ratione materiae“) fest. |
5. Allgemeine Bemerkungen
|
5.1. |
Der EWSA beurteilt den Vorschlag der Kommission als positiv, da er eine stärkere Zusammenarbeit und größere Rechtssicherheit fördert, indem moderne, effiziente und effektive Mechanismen geschaffen werden, die die Schädigung der Interessen der Verbraucher und des Binnenmarkts aufgrund grenzüberschreitender Verstöße reduzieren. |
|
5.2. |
Der Vorschlag wird allen Wirtschaftsteilnehmern nutzen, die unter dem unlauteren Wettbewerb von unredlichen Händlern leiden, die Geschäftsmodelle entwickelt haben, wodurch sie Gesetze umgehen und Verbraucher eines anderen Landes schädigen können. |
|
5.2.1. |
Hierdurch werden der Verbraucherschutz erhöht, die Rechtssicherheit der Unternehmen gestärkt, eine kohärentere grenzübergreifende Umsetzung begünstigt und gleiche Bedingungen auf dem Binnenmarkt gefördert, ohne den Unternehmen unverhältnismäßige Belastungen aufzuerlegen. |
|
5.2.2. |
Angesichts dessen und unter Ausübung der ihm verliehenen Befugnisse erinnert der EWSA daran, dass in jedem Fall ein Gleichgewicht zwischen den betroffenen Grundrechten gewährleistet werden muss, d. h. zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau, der unternehmerischen Freiheit und der Informationsfreiheit. Der EWSA betont nachdrücklich, wie wichtig es ist, den Betroffenen während des Verfahrens die ihnen zustehenden Verteidigungsrechte, das Recht auf Anhörung und das Recht auf die Benutzung der Sprache ihrer Wahl zu gewähren. |
|
5.3. |
Der Vorschlag enthält nicht nur grundsätzlich effiziente Lösungen im Einklang mit der Tragweite und dem Umfang weitverbreiteter Verstöße, er enthält darüber hinaus für deren Ablauf Maßnahmen, die den tatsächlichen Schutz der Verbraucherrechte und Nutzer vorantreiben und für die Anwendung auf Fälle, die nicht in den Geltungsbereich des vorliegenden Vorschlags fallen, von Interesse sein könnten. |
|
5.4. |
Zur Verwirklichung der Ziele des Vorschlags und zur Erfüllung seines Zwecks ist es erforderlich, dass die Behörden über die Kompetenzen und die Mittel verfügen, um effektiv zusammenzuarbeiten und die Maßnahmen zur Anwendung der Verordnung ergreifen zu können. Der EWSA unterstützt die Erweiterung der Mindestbefugnisse zur Ermittlung und Durchsetzung sowie die im Vorschlag vorgesehene Aufstockung der Mittel für die zuständigen Behörden, wobei die verschiedenen Rechtstraditionen in den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind. |
|
5.4.1. |
Für die Wirksamkeit der Anwendung der Rechtsvorschrift ist die vom EWSA bereits im Vorfeld befürwortete (5) Möglichkeit, die Erstattung der durch den Verstoß erlangten illegalen Gewinne anzuordnen, unerlässlich. Bei den Mindestbefugnissen der zuständigen Behörden wird in dem Vorschlag zu Recht zwischen Ausgleichszahlungen an Verbraucher und der Erstattung der durch den Verstoß erlangten Gewinne unterschieden. |
|
5.4.2. |
Was die Bekanntmachung der Sanktionen angeht, ist es bedeutend, dass in dem Vorschlag diese Möglichkeit als Maßnahme zur Sanierung des Markts angesehen wird, mit dem Ziel einer größeren Transparenz seiner Funktionsweise und der effektiven Ausübung des Rechts auf Informationsfreiheit (6). |
|
5.5. |
Darüber hinaus werden in dem Vorschlag keine proaktiven Maßnahmen eruiert, die zu dem darin angestrebten Ziel beitragen, sondern nur ein reaktiver Ansatz verfolgt, durch den manchmal kein ausreichender Zwang ausgeübt werden kann, um den Auswirkungen der Verstöße im gewünschten Maße entgegenzuwirken, insbesondere wenn sich die gemeinsamen Verfahren bzw. ihre Wirkung verzögern. |
|
5.6. |
Ferner muss die künftige Anwendung der Verordnung überprüft werden, um zu bewerten, inwieweit sie zu Marktkorrekturen führt, da die angewandten Sanktionsmaßnahmen weder immer eine ausreichende Korrektur der irregulären Praktiken noch die Umkehrung ihrer Folgen nach sich ziehen, besonders in Bezug auf Wiederholung und Rückfälligkeit. |
|
5.7. |
Möglicherweise würde eine ganzheitliche Orientierung des Vorschlags hin zu der Beseitigung der weitverbreiteten Verstöße größere Erfolge mit sich bringen, bei der die Eindrücke und Erwartungen der Verbraucher und Nutzer ebenfalls eine zentrale Rolle spielen. |
|
5.7.1. |
Indem diese erkannt werden und damit einhergehend proaktive und reaktive Maßnahmen angewendet werden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Selbst- und Koregulierung und dem eigenverantwortlichen Handeln der Verbraucher liegt, können Synergien geschaffen werden, die zu einer stärkeren Effizienz und Wirksamkeit des Vorschlags führen. |
|
5.8. |
Der EWSA begrüßt die im Vorschlag ermöglichte Teilhabe der Organisationen der Zivilgesellschaft, da so die verantwortungsvolle Verwaltung, die Transparenz und die Anwendung des Grundsatzes der Offenheit in der Arbeitsweise der Organe der Union (7) begünstigt werden. |
|
5.8.1. |
Um die angestrebten Ziele in Bezug auf die gemeinsame Verantwortung aller Akteure zu erreichen, wird es als unerlässlich erachtet, das Warnsystem auf die Teilnahme anderer Behörden zu erweitern. |
6. Besondere Bemerkungen
|
6.1. |
Es hätten gegebenenfalls Angaben über zusätzliche Maßnahmen oder Alternativen zu tatsächlichen Bußgeldern in den Vorschlag aufgenommen werden können. |
|
6.2. |
In Bezug auf die Zusammenarbeit mit anderen zuständigen Behörden und Stellen sollten Kriterien zur Koordinierung festgelegt werden, die eine durchgängige Berücksichtigung gewährleisten, damit die Bestimmungen aus Artikel 6 ohne Unstimmigkeiten und Funktionsstörungen eingehalten werden. |
|
6.3. |
Ebenso wird der Wortlaut von Artikel 8 als sehr zutreffend erachtet, da hier die Mindestbefugnisse für das Tätigwerden der Behörden aufgeführt werden, die, sobald diese benannt sind, in vielen Fällen ein erweitertes Handlungsspektrum als das derzeitige bieten können. |
|
6.4. |
In jedem Fall ist es wichtig, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die zuständigen Behörden und die Verbindungsstellen über die Haushaltsmittel verfügen, die sie zur effizienten Ausübung ihrer Aufgaben benötigen. |
|
6.5. |
Der EWSA erachtet es als wesentlich, dass bei der Entwicklung und Ausführung des Amtshilfemechanismus und bei den vorgesehenen Verwaltungsverfahren Grundsätze wie Transparenz und Verwaltungsvereinfachung gewissenhaft eingehalten werden. |
|
6.6. |
In dem Kapitel über den koordinierten Überwachungs-, Ermittlungs- und Durchsetzungsmechanismus für weitverbreitete Verstöße wäre in Anbetracht der großen Anzahl von verfahrenstechnischen Linien und Vorgehensweisen sowie der damit einhergehenden Vielschichtigkeit eine größere Klarheit vonnöten, um ein besseres Verständnis und eine komfortable und direkte Aneignung des Textes zu gewährleisten. Dasselbe gilt für die Phasen jedes einzelnen Verfahrens. |
|
6.7. |
In Bezug auf Artikel 24 ist nicht deutlich, ob die Verpflichtungen der Händler nach deren Annahme seitens der Verbraucher auch die Beendigung jedweder anderer initiierter oder zu initiierenden Gegenmaßnahmen einbeziehen, obwohl sich durch den Inhalt des Artikels 25 folgern lässt, dass sich die Verpflichtungen und die Gegenmaßnahmen gegenseitig ausschließen; dies könnte im Widerspruch zur derzeitigen Gesetzgebung der Mitgliedstaaten in deren Hoheitsgebiet stehen. |
|
6.7.1. |
Ebenso ist unklar, ob diese abweichenden Formulierungen in allen gegebenen Fällen anwendbar sind, da es nach einer Analyse der besonderen Umstände dazu kommen kann, dass beide Mittel in unterschiedlicher Abstufung geeignet erscheinen. Möglicherweise führt diese Zweideutigkeit zu einer spezifischeren Anwendung des Vorschlags, jedoch immer unter der Prämisse, eine Ungleichbehandlung zu vermeiden. |
|
6.7.2. |
Schließlich wäre es bei den abgestimmten Ermittlungen in den Verbrauchermärkten angebracht, in Übereinstimmung mit den oben ausgeführten Darlegungen die Ermittlungstätigkeiten zu erweitern und als präventive Verwaltungspraxis einzuführen, da so nicht nur das Risiko weitverbreiteter Verstöße vermieden, sondern auch der zeitliche Versatz der bisher durchgeführten Maßnahmen verhindert und frühzeitige Reaktionen ermöglicht werden könnten. |
|
6.8. |
Es wird im Zusammenhang mit der Effizienz und Wirksamkeit darauf hingewiesen, dass die Überwachungs- und Warnmechanismen von bereits vorhandenen Systemen interoperabel sein bzw. sie auf direkte Weise miteinander verknüpft werden sollten, indem ihr integrierter Betrieb vereinheitlicht oder normalisiert wird. |
|
6.9. |
In Kapitel VI könnte ein Artikel aufgenommen werden, durch den ein Verfahren für eine effiziente Kommunikation mit der Bevölkerung in notwendigen Fällen eingeführt wird und Kriterien für deren Anwendung und Ausführung festgelegt werden. |
|
6.10. |
Was die Datenbank und das System zum Informationsaustausch bei Verstößen anbelangt, gelten die bereits oben für den Überwachungsmechanismus angeführten Empfehlungen in Bezug auf die notwendige Interoperabilität der Überwachungs- und Warnmechanismen. |
|
6.11. |
Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die Frist für die Veröffentlichung des Berichts über die Anwendung dieses Vorschlags zu großzügig ist und dass sie in Anbetracht der Tragweite der Zielsetzung verkürzt werden sollte oder, andernfalls, ein System zur ständigen Teilbewertung eingeführt werden sollte, mit dem frühzeitig jedwede Abweichung bei der Durchführung angezeigt werden kann und gegebenenfalls angemessene Maßnahmen zur Überarbeitung des Vorschlags und seiner Anwendung ergriffen werden können. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. L 364 vom 9.12.2004, S. 1.
(2) ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 86.
(3) Schlussbericht des Consumer Policy Evaluation Consortium vom 17.12.2012.
(4) COM(2016) 284 final vom 25.5.2016.
(5) ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 20 und ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1.
(6) ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 87 und ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 69.
(7) ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 3.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/106 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über grenzüberschreitende Paketzustelldienste“
(COM(2016) 285 final — 2016/0149 (COD))
(2017/C 034/16)
|
Berichterstatter: |
Raymond HENCKS |
|
Befassung |
Europäisches Parlament, 9.6.2016 Rat der Europäischen Union, 21.6.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 285 final — 2016/0149 (COD)) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
|
Annahme in der Fachgruppe |
4.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
212/0/8 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Aus verschiedenen von der Kommission in Auftrag gegebenen Untersuchungen ging hervor, dass die Tarife für die grenzüberschreitende Paketzustellung, insbesondere für Privatkunden und KMU, zuweilen fast fünfmal höher als die entsprechenden Inlandstarife sind und dass diese Unterschiede nicht auf Arbeitskosten oder sonstige Kosten im Bestimmungsland zurückgeführt werden können. Daher können die Verbraucher und Online-Einzelhändler die Vorteile des Binnenmarkts nicht voll ausschöpfen. |
|
1.2. |
Der EWSA erkennt an, dass neue Maßnahmen der Kommission unverzichtbar sind, damit alle Online-Einzelhändler und die Verbraucher und insbesondere die Privatpersonen und KMU in entlegeneren Gebieten endlich grenzüberschreitende Paketzustelldienste nutzen können, die zugänglich, hochwertig und erschwinglich sind. |
|
1.3. |
Die Kommission möchte mit der vorgeschlagenen Verordnung gegen die hohen Tarife vorgehen; die Verordnung gilt jedoch nur für Universaldienstanbieter, die Paketzustelldienste anbieten. |
|
1.4. |
Der EWSA befürchtet, dass die in der Verordnung vorgeschlagenen Maßnahmen, insbesondere Transparenz von Tarifen und Endgebühren, Veröffentlichung eines Standardangebots sowie Bewertung der Erschwinglichkeit der Tarife, an deren Notwendigkeit kein Zweifel besteht, ohne ergänzende Maßnahmen möglicherweise nicht ausreichen und die Anbieter grenzüberschreitender Paketzustelldienste nicht dazu bewegen werden, angemessene Tarife zu verlangen. |
|
1.5. |
Der EWSA bedauert, dass die Kommission mögliche striktere Maßnahmen bis Ende 2018 aufschiebt, um abzuwarten, ob sich die Lage bis dahin verbessert hat. Die Kommission macht jedoch keine Angaben zu ihren künftigen Absichten, sollte es nicht zu der erhofften Verbesserung kommen. |
|
1.6. |
Der EWSA fordert, dass die Kommission, wie im Fall ihres Vorgehens bei den Roamingtarifen für Mobiltelefone, zumindest einen letzten Appell an alle Anbieter grenzüberschreitender Paketzustelldienste richtet, in dem sie auf die Senkung der Tarife drängt, und jetzt schon ankündigt, dass sie, sollte dies nicht geschehen, eine Regulierung der Preise und Tarifobergrenzen vorsehen wird. |
|
1.7. |
Mit Blick auf die Bewertung der Erschwinglichkeit der Preise fordert der EWSA bereits seit Jahren, den Begriff der Erschwinglichkeit der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu klären und legislative Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, Indikatoren zur Definition von Erschwinglichkeit festzulegen. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass die Bestimmungen dieser Verordnung ein erster Schritt in die richtige Richtung sind, wobei sich an eine solche Bewertung gegebenenfalls geeignete Maßnahmen anschließen müssen. |
2. Zustelldienste im Rahmen des elektronischen Handels
|
2.1. |
Die physische Lieferung online bestellter Waren gilt als eines der Schlüsselelemente für das Wachstum des elektronischen Handels. In der Europäischen Union entwickelt sich der elektronische Handel auf transnationaler Ebene sehr viel langsamer als auf nationaler Ebene. So tätigten 2014 nur knapp 15 % der Verbraucher Online-Käufe in anderen Mitgliedstaaten, 44 % hingegen im Inland; dabei bestehen zwischen den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede. |
|
2.2. |
Die Tarife sowie die Qualität und die Verfahren für die physische Lieferung der online bestellten Waren und die Bedingungen für eine mögliche Rücksendung des Pakets beeinflussen neben anderen Faktoren die Entscheidung eines Verbrauchers für eine Online-Bestellung. Die Zufriedenheit eines Online-Käufers hängt folglich teilweise von seiner Erfahrung mit der Zustellung ab. Die Verfügbarkeit erschwinglicher und effizienter Zustelllösungen ist besonders wichtig für diejenigen KMU, Kleinstunternehmen und privaten Verbraucher, die in abgelegenen Gebieten oder Regionen in Randlage angesiedelt sind. |
|
2.3. |
Die Zustellung von Paketen mit einem Gewicht von bis zu 31,5 Kilogramm ist in vielen Mitgliedstaaten eine stark expandierende Dienstleistung. Zahlreiche Anbieter haben Lösungen entwickelt, die den Erwartungen ihrer Kunden besser gerecht werden sollen, insbesondere durch eine ganze Reihe von Nebenleistungen wie Standard- oder zeitversetzte Zustellung, Expresszustellung oder Zustellung am selben Tag, Sendungsverfolgung, Nachweis der Zustellung, Wahl des Orts der Zustellung, Paket-Shops, Packstationen, Einschreiben, Angabe des Werts usw., wohingegen Postsendungen unter 2 Kilogramm, deren Anteil auf 80 % der im Rahmen des elektronischen Handels verschickten Sendungen geschätzt wird, häufig als „Päckchen“ gelten, die Bestandteil der Briefpost sind. |
|
2.4. |
Die Zustellung von Sendungen bis zu 10 Kilogramm, deren Gewicht auf bis zu 20 Kilogramm erhöht werden kann, fällt unter die Universaldienstpflicht, der zufolge die Mitgliedstaaten darüber wachen müssen, dass ein nationaler und grenzüberschreitender Basisdienst flächendeckend und zu erschwinglichen Preisen für alle Nutzer besteht. |
|
2.5. |
Der Markt des elektronischen Handels weist große Unterschiede auf. Er wird häufig von einigen großen Online-Händlern beherrscht, die täglich eine sehr große Zahl von Paketen produzieren und daher in einer guten Ausgangslage sind, Tarife und Zustellbedingungen mit den Anbietern von Paketzustelldiensten auszuhandeln, die unter Druck gesetzt werden, um sehr günstige „ausgehandelte“ Tarife und spezifische Zustellbedingungen zu gewähren. Häufig übernehmen diese Online-Händler die Kosten für die Paketzustellung, selbst für die grenzüberschreitende Zustellung. Lediglich einige große Paketzusteller können auf dem „ausgehandelten“ inländischen und grenzüberschreitenden Markt konkurrieren, wobei für letzteren zudem der Zugang zu einem internationalen Zustellnetz vorhanden sein muss. |
|
2.6. |
Diese Möglichkeiten bestehen derzeit jedoch weder für grenzüberschreitende Online-Käufe in geringen Mengen oder gelegentliche Käufe noch für einzelne Versender, einschließlich zahlreiche KMU; die Zustelldienste können keine ausgehandelten Preisregelungen in Anspruch nehmen und haben nur zu hohen Preisen Zugang zu einem internationalen Zustellnetz, sodass der Endverbraucher letztlich häufig überhöhte Zustellpreise zahlen muss. In diesen Fällen können die Tarife für grenzüberschreitende Zustellung drei- bis fünfmal höher als die entsprechenden Inlandstarife (1) sein, ohne dass diese Unterschiede auf Arbeitskosten oder sonstige Kosten im Bestimmungsland zurückgeführt werden können. Beispiele für überhöhte Preise und beträchtliche Unterschiede bei den bidirektionalen Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten sind in der Folgenabschätzung (SWD(2016) 166 final) der Kommission dokumentiert. |
|
2.7. |
Die Kommission äußert seit Jahren Bedenken gegenüber diesem Problem und hat mehrere Mitteilungen zu diesem Thema ausgearbeitet:
|
|
2.8. |
Sie wollte Lösungen entwickeln, um den Erwartungen der Verbraucher besser gerecht werden zu können. |
|
2.9. |
Da diese Schritte nur teilweise Erfolg hatten, sah sich die Kommission gezwungen, die vorgeschlagene Verordnung gestützt auf eine Begleitunterlage (SWD(2016) 167 final), einen Anhang (COM(2016) 285 final) und eine umfangreiche Folgenabschätzung von 289 Seiten (SWD(2016) 166 final) vorzulegen. |
3. Inhalt des Verordnungsvorschlags
|
3.1. |
Die Verbesserung der grenzüberschreitenden Paketzustelldienste ist eine der Maßnahmen, die in der „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa“ vorgesehen sind, um den Online-Zugang für Verbraucher und Unternehmen zu Waren und Dienstleistungen in der ganzen Union zu verbessern. |
|
3.2. |
Die vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen:
|
4. Allgemeine Bemerkungen
|
4.1. |
Da den verschiedenen Initiativen der Kommission, u. a dem Grünbuch aus dem Jahr 2012 „Ein integrierter Paketzustellungsmarkt für das Wachstum des elektronischen Handels in der EU“ und einem Fahrplan von 2013 „für die Vollendung des Binnenmarkts für die Paketzustellung Stärkung des Vertrauens in die Zustelldienste und Förderung des Online-Handels“ (2), hinsichtlich der grenzüberschreitenden Tarife kaum Erfolg beschieden war, sind neue Maßnahmen der Kommission unerlässlich, damit alle Online-Einzelhändler und die Verbraucher, insbesondere die Privatpersonen und KMU in entlegeneren Gebieten endlich grenzüberschreitende Paketzustelldienste in Anspruch nehmen können, die zugänglich, erschwinglich und hochwertig sind. |
|
4.2. |
Der Studie der University Saint-Louis aus Brüssel zufolge waren die von Privatkunden und Kleinunternehmen gezahlten öffentlichen Preise der Anbieter für Paketzustellungen fast fünfmal so hoch sind wie die entsprechenden Inlandstarife, wohingegen aus der Studie von Copenhague Economics hervorging, dass die Preise der anderen Anbieter drei- bis fünfmal so hoch sind wie die entsprechenden Inlandstarife, ohne dass diese Unterschiede auf Arbeitskosten oder sonstige Kosten im Bestimmungsland zurückgeführt werden können. |
|
4.3. |
Der EWSA stellt daher fest, dass die den Privatkunden und Kleinunternehmen in Rechnung gestellten Preise unabhängig vom Paketzustelldienst überhöht sind. Die Kommission möchte dieses Problem beheben, indem sie die nationale Regulierungsbehörde mit der Bewertung der Erschwinglichkeit der grenzübergreifenden Zustelltarife beauftragt. |
|
4.4. |
Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Kommission auf eine Verordnung zurückgreift, um keine weitere Zeit zu verlieren. Er befürchtet jedoch, dass die in der Verordnung vorgeschlagenen Maßnahmen nur wenig wirksam sind. Allein mit der Transparenz von Tarifen und Endgebühren, der Veröffentlichung eines Standardangebots sowie einer Bewertung der Erschwinglichkeit der Tarife, an deren Notwendigkeit kein Zweifel besteht, d. h. ohne ergänzende Maßnahmen, kann möglicherweise nicht erreicht werden, dass Anbieter grenzüberschreitender Paketzustelldienste angemessene Preise verlangen. |
|
4.5. |
Der EWSA bedauert, dass die Kommission mögliche striktere Maßnahmen in Erwartung eines Bewertungsberichts über die Anwendung der vorgeschlagenen Verordnung bis Ende 2018 aufschiebt. In diesem Bericht will die Kommission bewerten, ob sich die Erschwinglichkeit grenzüberschreitende Paketzustelldienste verbessert hat und ob Universaldienstanbieter, die Paketzustelldienste erbringen, Großkunden transparent und ohne Diskriminierung den grenzüberschreitenden Zugang gewähren. Die Kommission macht jedoch keine Angaben zu ihren künftigen Absichten, sollte es nicht zu der erwähnten Verbesserung und einem diskriminierungsfreien Zugang kommen. |
|
4.6. |
Der EWSA hätte es vorgezogen, dass die Kommission, wie im Fall ihres Vorgehens bei den Roamingtarifen für Mobiltelefone, zumindest einen letzten Appell an alle Anbieter grenzüberschreitender Paketzustelldienste richtet, in dem sie auf die Senkung der Tarife drängt, und jetzt schon ankündigt, dass sie, sollte dies nicht geschehen, eine Regulierung der Preise und Preisobergrenzen vorsehen wird. |
|
4.7. |
Zudem gelten die Vorschläge der Verordnung zur Transparenz der Tarife und Endrechte, zur Veröffentlichung eines Standardangebots, zur Bewertung der Erschwinglichkeit der Tarife und zum transparenten und diskriminierungsfreien grenzüberschreitenden Zugang lediglich für Universaldienstanbieter, die Paketzustelldienste erbringen. |
|
4.8. |
Auf dem Paketzustellungsmarkt insgesamt schwankt der Anteil der Universaldienstanbieter zwischen 10 % (Bulgarien, Spanien, Vereinigtes Königreich, Italien) und 25 % (Tschechische Republik, Dänemark, Frankreich, Estland), wobei lediglich ein geringer Anteil (zwischen 5 und 10 %) dieser Pakete unter die Universaldienstverpflichtungen fällt. Somit wird in der vorgeschlagenen Verordnung lediglich ein sehr geringer Teil des Marktes anvisiert, der gleichwohl für die Verbraucher und KMU in entlegeneren Gebieten, die keine Alternativen haben, unverzichtbar ist. |
|
4.9. |
Mit Blick auf die Bewertung der Erschwinglichkeit der Preise fordert der EWSA bereits seit Jahren, den Begriff der Erschwinglichkeit der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu klären und legislative Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, Indikatoren zur Definition von Erschwinglichkeit festzulegen (3). Der EWSA ist daher der Ansicht, dass die Bestimmungen dieser Verordnung ein erster Schritt in die richtige Richtung sind, wobei sich an eine solche Bewertung gegebenenfalls geeignete Maßnahmen anschließen müssen. |
|
4.10. |
Die in der vorgeschlagenen Verordnung vorgesehene Bewertung ist jedoch auf Tarife für Kategorien von Sendungen beschränkt, die in der im Anhang zur Verordnung vorgesehenen öffentlichen Liste der grenzüberschreitenden Tarife aufgeführt sind, das heißt Pakete mit 0,5, 1, 2 oder 5 kg (mit oder ohne Sendungsverfolgung). Der EWSA ist der Ansicht, dass diese Bewertung auf Pakete mit 10, 15 und 20 kg ausgeweitet werden sollte, dies auch im Hinblick auf eine mögliche künftige Regulierung der Tarife für die grenzüberschreitende Paketzustellung. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Copenhague Economics, E-commerce and delivery (Elektronischer Handel und Lieferung); Ein integrierter Paketzustellungsmarkt für das Wachstum des elektronischen Handels in der EU (COM(2012) 698 final).
(2) ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 51.
(3) ABl. C 177 vom 11.6 2014, S. 24.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/110 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bericht über die Wettbewerbspolitik 2015“
(COM(2016) 393 final — SWD(2016) 198 final)
(2017/C 034/17)
|
Berichterstatter: |
Juan MENDOZA CASTRO |
|
Befassung |
Europäische Kommission, 17.8.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 393 final — SWD(2016) 198 final) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch |
|
Annahme in der Fachgruppe |
4.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
211/1/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Bericht 2015. Für den EWSA hat eine Politik zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen in allen Wirtschaftszweigen entscheidende Bedeutung für die soziale Marktwirtschaft der EU. |
|
1.2. |
Durch unlauteren Wettbewerb begünstigte Einfuhren sind eine Gefahr für die Unternehmen in der EU. Daher sind Antidumpingmaßnahmen unerlässlich, um Arbeitsplätze zu retten und die betroffenen Wirtschaftszweige zu schützen. |
|
1.3. |
Der EWSA teilt die Sorgen der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände in der EU für den Fall, dass China der Status einer Marktwirtschaft zuerkannt wird. |
|
1.4. |
Die KMU sind der Schlüssel zur wirtschaftlichen Erholung und sind besonders anfällig für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. |
|
1.5. |
Die Kontrolle der staatlichen Beihilfen ermöglicht eine effizientere Nutzung der Ressourcen und eine Besserung der Lage der öffentlichen Finanzen. Allerdings können solche Beihilfen auch entscheidend sein, um die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu gewährleisten. |
|
1.6. |
Im Hinblick auf eine größere Außenwirkung und Transparenz empfiehlt der EWSA eine Verbesserung der Informationen über die gewährten staatlichen Beihilfen. |
|
1.7. |
Eine kleine Zahl globaler Akteure aus Drittstaaten kontrolliert die digitale Innovation und es ist von entscheidender Bedeutung für die EU, gestützt auf ihren Digitalen Binnenmarkt ihre Führungsposition zu wahren. |
|
1.8. |
Die große Herausforderung für die europäische Wettbewerbspolitik in einer von Technologieriesen beherrschten Branche besteht darin, den Verbrauchern Zugang zu den besten Produkten und zu den günstigsten Preisen zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass alle Unternehmen — große und kleine — auf einem offenen Markt mit anderen Unternehmen aufgrund der Qualität ihrer Produkte konkurrieren können. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Maßnahmen der EU trotz einiger kritischer Stimmen im Allgemeinen als ausgewogen und angemessen anzusehen sind. |
|
1.9. |
Die Europäische Energieunion hat bedeutende Fortschritte bei der Versorgungssicherheit (das ist ein strategischer Erfolg), bei der Verringerung der Treibhausgasemissionen, bei der Förderung erneuerbarer Energieträger und für mehr Wahlmöglichkeiten für die Verbraucher gebracht. Allerdings gibt es weiterhin große Herausforderungen in Bezug auf die Energiekosten, den Ausbau des Netzverbundes und im Hinblick auf eine führende Rolle bei der Umsetzung des Übereinkommens von Paris. |
|
1.10. |
Im Energiesektor ist für die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen in nächster Zeit mit Fusionen und Übernahmen mit dem Ziel einer Senkung der Produktionskosten zu rechnen, wodurch die Zahl der Unternehmen sinken wird. |
|
1.11. |
Mit der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 wurden die nationalen Wettbewerbsbehörden (NWB) gestärkt, was dazu beitrug, das internationale Ansehen der Wettbewerbspolitik der EU zu festigen. Die Abstimmung unter den NWB und zwischen diesen und der Kommission ermöglicht ein wirksameres Vorgehen im Falle grenzübergreifender Vorhaben. |
|
1.12. |
Im Zusammenhang mit der Finanzkrise bekräftigt der EWSA, dass das Risiko für die Steuerzahler, für die Kosten der Bankenrettungen aufkommen zu müssen, gesenkt werden muss. |
|
1.13. |
Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die EU-Vorschriften zur Begrenzung der Interbankenentgelte für Kredit- und Debitkarten unabhängig von dem Staat der Niederlassung des Emittenten gelten und die Banken nicht daran gehindert werden sollten, niedrigere Interbankenentgelte für Einzelhändler mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) anzubieten. |
|
1.14. |
Der EWSA unterstreicht, dass die Kommission sich weiterhin für die Stärkung des Wettbewerbs einsetzen sollte, indem sie steuerlich bedingte Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der Unterschiede zwischen den 28 Steuersystemen verringert. |
|
1.15. |
Die allgemeine Geltung, die die Wettbewerbssysteme infolge der Globalisierung erlangt haben, macht eine internationale Zusammenarbeit unerlässlich. Angesichts des zunehmenden Bedarfs und der Teilnahme an verschiedenen Foren (OECD, Unctad, Internationales Wettbewerbsnetz) verweist der EWSA darauf, dass die EU über ausreichende Mittel verfügen muss, um weiter dafür sorgen zu können, dass der Stimme der EU wie bislang gehört und respektiert wird. |
2. Der Bericht über die Wettbewerbspolitik 2015
|
2.1. |
Die Kommission weist darauf hin, dass „[…] eine starke und wirksame EU-Wettbewerbspolitik [seit jeher] zu den Grundpfeilern des europäischen Projekts“ gehört. |
|
2.2. |
Die wichtigsten Teile des Berichts sind in drei Kapitel gegliedert:
|
|
2.3. |
Die Kommission berichtet über ihre spezifischen Maßnahmen in diesen Bereichen und verweist darauf, dass sie sich bei der Kartellrechtsdurchsetzung nach den Grundprinzipien der Wahrung der Unparteilichkeit, der Durchsetzung des Rechtsstaatsprinzips und nach dem gemeinsamen europäischen Interesse gerichtet hat. |
|
2.4. |
In den letzten 25 Jahren ist die Zahl der wettbewerbsrechtlichen Regelwerke weltweit dramatisch von rund 20 zu Beginn der 1990er Jahre auf rund 130 im Jahr 2015 gestiegen, und diese gelten für 85 % der Weltbevölkerung. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1. Die EU-Wettbewerbspolitik
|
3.1.1. |
Der EWAS begrüßt den Bericht 2015, in dem es um Schlüsselbereiche für die wirtschaftliche Entwicklung und das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger der EU geht. |
|
3.1.2. |
Eine Wettbewerbspolitik, die für gleiche Wettbewerbsbedingungen in allen Wirtschaftszweigen sorgt, ist ein Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft in Europa. Diese Politik ist auch ein wichtiges Instrument zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Funktionierens eines dynamischen, effizienten, nachhaltigen und innovativen Binnenmarkts und der Förderung des Wirtschaftswachstums, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten. |
|
3.1.3. |
Die Wettbewerbspolitik sollte nicht verhindern, dass sich in der europäischen Wirtschaft Marktführer in bestimmten Industriezweigen entwickeln. Um wirksam und glaubwürdig zu sein, darf diese Politik nicht ausschließlich auf die Senkung der Verbraucherpreise ausgerichtet sein, sondern muss auch der Entwicklung und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen der EU auf dem Weltmarkt dienlich sein. |
|
3.1.4. |
Eine starke industrielle Basis ist von entscheidender Bedeutung für Wohlstand und Wachstum. Angesichts der derzeitigen Bedrohungen der Unternehmen der EU durch unlauteren Wettbewerb weist der EWSA darauf hin, dass die Antidumpingmaßnahmen die Arbeitsplätze Zehntausender, die direkt und indirekt in diesen Branchen arbeiten, retten und diese Branchen vor unlauteren Einfuhren schützen. |
|
3.1.5. |
Einfuhren unter Bedingungen des Dumpings sind unlauterer Wettbewerb, durch den Tausende Arbeitsplätze in der EU bedroht werden. Der EWSA ist der Ansicht, dass China schwerlich behaupten kann, unter Marktbedingungen zu produzieren, denn es verstößt gegen vier der fünf in der Bewertungspraxis der Kommission und durch die Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 vorgegebenen Kriterien (1). |
|
3.1.6. |
Die EU-Strukturfonds dürfen nicht so verwendet werden, dass die Verlagerung von Dienstleistungen oder der Herstellung von Produkten in andere Mitgliedstaaten direkt oder indirekt begünstigt wird. |
|
3.1.7. |
Die KMU sind der Grundpfeiler der wirtschaftlichen Erholung in Europa. Aufgrund ihrer Größe sind sie aber auch am verwundbarsten, wenn eine marktbeherrschende Stellung missbraucht wird, denn das bedeutet für sie häufig das wirtschaftliche Aus. Deshalb muss in der Wettbewerbspolitik auf solche Konstellationen besonders geschaut werden, insbesondere im Falle der Praktiken großer Konzerne. |
|
3.1.8. |
Der EWSA betont erneut, dass es kein echtes rechtliches Verfahren der Sammelklage zur wirksamen Durchsetzung der Schadensersatzansprüche der Geschädigten kartellrechtswidriger Praktiken gibt; er ist nach wie vor der Auffassung, dass die Richtlinie 2014/104/EU vom 26. November 2014 und die Empfehlung über gemeinsame Grundsätze für kollektive Streitbeilegungsverfahren im Rahmen von Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen nicht geeignet sind, den notwendigen kollektiven Rechtsschutz für die Geschädigten dieser Verstöße sicherzustellen. |
3.2. Staatliche Beihilfen
|
3.2.1. |
Die Modernisierung des EU-Beihilferechts ermöglicht der EU eine effizientere Nutzung der verfügbaren Ressourcen und die Verbesserung der Qualität der öffentlichen Finanzen. Darüber hinaus trägt sie dazu bei, dass die Mitgliedstaaten die Strategie Europa 2020 für Wachstum verwirklichen und ihre Haushalte konsolidieren können. |
|
3.2.2. |
Allerdings können staatliche Beihilfen auch entscheidend sein, um die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu gewährleisten, u. a. in den Bereichen Energie, Verkehr und Telekommunikation. Auch sind sie oft das wirksamste Politikinstrument zur Gewährleistung wichtiger Dienstleistungen für die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in isolierten und abgelegenen Regionen, in Regionen in Randlage und auf den Inseln der EU. |
|
3.2.3. |
Der EWSA ist der Ansicht, dass die Kohärenz zwischen der Wettbewerbspolitik und den anderen Politikbereichen der Union aufrechterhalten werden muss, vor allem in Fällen von Investitionen zur Förderung von Innovation und Forschung, wie die Bereiche FEI (Forschung, Entwicklung und Innovation), bei der Risikofinanzierung und für den Ausbau der Breitbandversorgung. |
|
3.2.4. |
Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht ausreichend über das komplexe System der staatlichen Beihilfen informiert und führen Schwierigkeiten beim Zugang zu Informationen über Unternehmen an, die in den Genuss dieser Beihilfen kommen (2). Im Hinblick auf eine größere Außenwirkung und Transparenz empfiehlt der EWSA, dass die Mitgliedstaaten für alle Fälle der Gewährung einer Beihilfe die Empfänger, die Beträge und die Ziele der Beihilfen bekanntgeben. |
3.3. Wettbewerb im digitalen Binnenmarkt
|
3.3.1. |
Der digitale Binnenmarkt ist ein zentrales Element der Strategie der EU zur Überwindung der Fragmentierung in zahlreiche einzelstaatliche Märkte und zu ihrer Zusammenzuführung in einem europäischen Ansatz (3). Eine kleine Zahl globaler Akteure aus Drittstaaten kontrolliert die digitale Innovation und es ist von entscheidender Bedeutung für die EU, gestützt auf ihren Digitalen Binnenmarkt ihre Führungsposition zu wahren. |
|
3.3.2. |
Die große Herausforderung für die europäische Wettbewerbspolitik in einer von Technologieriesen beherrschten Branche besteht darin, den Verbrauchern Zugang zu den besten Produkten zu den günstigsten Preisen zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass alle Unternehmen — große und kleine — auf einem offenen Markt mit anderen Unternehmen aufgrund der Qualität ihrer Produkte konkurrieren können. |
|
3.3.3. |
Von der Kommission untersuchte Fälle:
|
|
3.3.4. |
Generell geht es um mögliche monopolistische Verhaltensweisen und den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Aufgrund der technischen Komplexität und der enormen Auswirkungen der untersuchten Fälle wird jetzt Kritik laut, unter anderem die, dass die EU dem „Silicon Valley“ den Krieg erklärt habe. Der EWSA kann sich dieser Kritik nicht anschließen und unterstützt die Initiativen der Kommission, die er als ausgewogen und in Übereinstimmung mit den Vorschriften stehend erachtet. |
|
3.3.5. |
Im Jahr 2015 erzielte das Unternehmen Google Einnahmen in Höhe von 74,5 Mrd. EUR und hat im EWR mit über 90 % eine marktbeherrschende Stellung auf den Märkten für allgemeine Internet-Suchdienste, Betriebssysteme mit Lizenzen für intelligente Mobilgeräte und App-Stores mit dem mobilen Betriebssystem Android. Es wird geltend gemacht, die Kommission untergrabe mit ihrer Untersuchung die Möglichkeit, dass sich die EU zum Zentrum für innovative Ideen entwickelt, und die technischen Grundlagen seien unzutreffend. Allerdings kamen die technischen Dienststellen der US-Bundeshandelskommission (Federal Trade Commission) zu dem Schluss, dass Google 2012 zwei Drittel des nordamerikanischen Marktes kontrollierte, wettbewerbswidrige Praktiken verfolgte und eine marktbeherrschende Stellung zum Schaden der Nutzer und Wettbewerber missbrauchte (4). Zu dieser Schlussfolgerung kam auch eine in diesem Land durchgeführte Untersuchung (5). |
3.4. Eine klimafreundliche europäische Energieunion
|
3.4.1. |
Die europäische Energieunion hat bedeutende Fortschritte gebracht:
|
|
3.4.2. |
Allerdings muss der EWSA — der seine Unterstützung für die Rahmenstrategie 2015 (6) zum Ausdruck brachte — besonderes Gewicht auf die großen Herausforderungen für die EU in den kommenden Jahren legen:
|
|
3.4.3. |
Der EWSA unterstützt die Kommission nachdrücklich in ihrer strikten Durchsetzung des Kartellrechts, die beim Vorgehen gegen missbräuchliches Verhalten marktbeherrschender Unternehmen von grundlegender Bedeutung ist. Siehe das rechtsverbindliche Abkommen zwischen der Kommission und der „Bulgarian Energy Holding“. |
|
3.4.4. |
2012 erhielt der Energiesektor staatliche Beihilfen von insgesamt 122 Mrd. EUR (EU-28) (7). Ohne diese Beihilfen könnten die Verbraucher die für sie bereits sehr hohen Energiekosten nicht bezahlen. Bei der Umsetzung der Politik im Bereich der staatlichen Beihilfen (8) muss die Kommission berücksichtigen, dass die Erzeugung bestimmter Arten erneuerbarer Energien — mit 44 Mrd. EUR der größte Empfänger von Beihilfen — hohe Kosten verursacht, weshalb die Anbieter auf dem Markt nicht wettbewerbsfähig sein können. |
|
3.4.5. |
Der EWSA weist darauf hin, dass die Übernahme der Energiesparten von Alstom durch die US-amerikanische General Electric (GE) von der Kommission genehmigt wurde (9). |
|
3.4.6. |
Die Kommission stellt fest, dass „die Fusionskontrolle […] weiterhin ein wirksames Instrument [ist], wenn es gilt, den Energiemarkt der EU offen zu halten“. Dabei muss berücksichtigt werden, dass wegen der niedrigen Ölpreise Unternehmenszusammenschlüsse unvermeidbar sein können, um die Produktionskosten zu verringern. Mehreren Schätzungen zufolge wird die Zahl der Unternehmen in der Öl- und Gasgewinnung um ein Drittel sinken. |
4. Stärkung des EU-Binnenmarktes
4.1. Steuerwesen
|
4.1.1. |
Der EWSA stimmt zu, dass Transparenz und eine faire Verteilung der Steuerlast für den Binnenmarkt unerlässlich sind. Steuerflucht, Steuerbetrug und Steueroasen bedeuten hohe Kosten für den europäischen Steuerzahler und verzerren zugleich den Wettbewerb. Schätzungen zufolge verliert die EU jährlich etwa zwischen 50 und 70 Mrd. EUR an Steuereinnahmen durch Steuerflucht, was etwas mehr als 16 % der öffentlichen Investitionen in der EU entspricht. Werden die fehlenden Einnahmen infolge legaler — oder angeblich legaler — kreativer Steuergestaltung — hinzugerechnet, steigt der Schaden ganz erheblich (10). |
|
4.1.2. |
Der Aktionsplan zur Einführung einer fairen und effizienten Unternehmensbesteuerung ist ein wichtiger Schritt zur Verringerung der aggressiven Steuerplanung, die die Steuerbemessungsgrundlagen der Mitgliedstaaten unterminiert und unlauterem Wettbewerb Vorschub leistet (11). |
|
4.1.3. |
Der EWSA unterstreicht, dass die Kommission sich weiterhin für die Stärkung des Wettbewerbs einsetzen sollte, indem sie steuerlich bedingte Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der Unterschiede zwischen den 28 Steuersystemen verringert. Das geltende komplizierte Verrechnungspreissystem für konzerninterne Transaktionen ist sehr teuer und aufwendig für die innerhalb der EU tätigen Unternehmen und führt zu Streitigkeiten zwischen den Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten sowie zur Doppelbesteuerung von Unternehmen. Zweckmäßig ist die Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) für grenzüberschreitend tätige Unternehmen. |
|
4.1.4. |
Die Kommission prüft steuerliche Vereinbarungen zwischen einigen Mitgliedstaaten und großen multinationalen Unternehmen: Luxemburg (Fiat, Starbucks, McDonald’s, Amazon); Niederlande (Starbucks). Im Falle von Apple vertritt die Kommission die Auffassung, dass dieses Unternehmen dank der praktizierten steuerlichen Behandlung praktisch alle Steuern auf den Verkauf seiner Produkte im EWR umgehen konnte, weshalb es an Irland einen auf 13 Mrd. EUR geschätzten Betrag nachzahlen müsse. Unbeschadet der letztlich getroffenen Entscheidung unterstützt der EWSA die Kommission in ihrer Untersuchung der Steuerabmachungen, die den Wettbewerb beeinträchtigen können. |
4.2. Nationale Wettbewerbsbehörden
|
4.2.1. |
Mit der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (12) wurden die nationalen Wettbewerbsbehörden gestärkt, was zum internationalen Ansehen der Wettbewerbspolitik der EU beitrug. Die Kommission hat in einer öffentlichen Konsultation die Stärkung der nationalen Wettbewerbsbehörden (NWB) vorgeschlagen, die derzeit für die meisten Fälle zuständig sind. Die Abstimmung unter den NWB und zwischen diesen und der Kommission ermöglicht ein wirksameres Vorgehen im Falle grenzübergreifender Vorhaben. |
4.3. Kartenzahlungen
|
4.3.1. |
Obwohl die verschiedenen elektronischen Zahlungssysteme sich allgemein durchgesetzt haben, bezahlen insgesamt 85 % der Verbraucher ihre Einkäufe in bar. In der EU ist die Situation in mehreren Mitgliedstaaten ähnlich, wobei es in den skandinavischen Ländern nur 10 % sind. In jedem Falle sind Kartenzahlungen entscheidend für das Funktionieren des Handels und auch für die Verbraucher äußerst wichtig. In der Verordnung (EU) 2015/751 sind Höchstgrenzen für die Interbankenentgelte festgelegt (13). |
|
4.3.2. |
In der Mitteilung der Beschwerdepunkte an MasterCard geht es um das Verbot für die Banken, den Einzelhändlern mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) niedrigere Interbankenentgelte anzubieten, sowie um die Erhebung höherer Interbankenentgelte für Karten, die in anderen Teilen der Welt ausgestellt wurden. Wiederholt haben die europäischen Verbraucherorganisationen den Unternehmen, die Karten wie Visa und MasterCard ausgeben, missbräuchliche Praktiken vorgeworfen, die durch ihre Beherrschung des Marktes begünstigt werden. Der EWSA bekundet seinen Wunsch, dass im Ergebnis der Ermittlungen dieses Hindernis beseitigt und die festgelegten Obergrenzen für Interbankenentgelte in der gesamten EU angewendet werden, unabhängig von dem Land, in dem diese Karten ausgestellt werden. |
4.4. Staatliche Beihilfen für Banken
|
4.4.1. |
Die Kommission prüft staatliche Beihilfen für verschiedene Banken in verschiedenen Mitgliedstaaten. Bislang hat die Krise dem europäischen Steuerzahler hohe Kosten verursacht. Zur Vermeidung eines völligen Zusammenbruchs des Bankensystems sind die Regierungen ihren Banken mit Nothilfen in vorher nie da gewesener Höhe zu Hilfe geeilt. In der Eurozone belief sich die öffentliche Unterstützung für Finanzinstitutionen zwischen 2008 und 2014 auf 8 % des BIP, wovon 3,3 % zurückerlangt wurden (14). |
|
4.4.2. |
Abgesehen von den hohen Kosten für die öffentliche Hand können die Rettungen von Banken, die in Anwendung der seit 1. Januar 2015 geltenden Vorschriften erfolgen müssen (15), zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führen. Der EWSA ist der Ansicht, dass Folgendes notwendig ist:
|
5. Wettbewerb im Zeitalter der Globalisierung
|
5.1. |
Die allgemeine Geltung, die die Wettbewerbssysteme infolge der Globalisierung erlangt haben, macht eine internationale Zusammenarbeit unerlässlich. Der EWSA unterstützt nachdrücklich die aktive Beteiligung der Kommission in Foren wie dem Wettbewerbsausschuss der OECD, der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad) und im Internationalen Wettbewerbsnetz (ICN). |
|
5.2. |
Derzeit wird die Stimme der EU in diesen Gremien gehört und respektiert. Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit, eine Ausstattung mit personellen und materiellen Ressourcen aufrechtzuerhalten, die dieser Verantwortung gerecht wird. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 13. Siehe auch: „EGB, BusinessEurope, Gemeinsame Erklärung über den Marktwirtschaftsstatus Chinas“ (19.7.2016) und „Gewährung des Marktwirtschaftsstatus an China“, Europäisches Parlament, Dezember 2015.
(2) Eurobarometer-Umfrage, Juli 2016.
(3) ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 65.
(4) http://www.wsj.com/articles/inside-the-u-s-antitrust-probe-of-google-1426793274.
(5) Does Google content degrade Google search? Experimental evidence, Harvard Business School 2015.
(6) ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 84.
(7) Subsidies and costs of EU energy (Subventionen und Kosten der Energie in der EU) (11. November 2014). http://ec.europa.eu/energy/en/content/final-report-ecofys.
(8) ABl. C 200 vom 28.6.2014, S. 1.
(9) GE hat angekündigt, dass zwischen 2016 und 2017 in Europa 6 500 Arbeitsplätze gestrichen werden, darunter 765 in Frankreich. Le Monde vom 14.1.2016.
(10) Siehe: Transparentere Gestaltung, Koordinierung und Annäherung der Politik im Bereich der Körperschaftssteuer in der Europäischen Union, 28. September 2015.
(11) ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 42.
(12) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Zehn Jahre Kartellrechtsdurchsetzung auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 — Ergebnisse und Ausblick.
http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52014DC0453.
(13) ABl. L 123 vom 19.5.2015, S. 1.
(14) Bulletin der EZB.
(15) ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 190.
(16) ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 68.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/117 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Auflegung eines Unionsprogramms zur Unterstützung spezieller Tätigkeiten zur Erhöhung der Beteiligung von Verbrauchern und anderen Endnutzern von Finanzdienstleistungen an der Gestaltung der Unionspolitik im Bereich Finanzdienstleistungen für den Zeitraum 2017-2020“
(COM(2016) 388 final — 2016/0182 (COD))
(2017/C 034/18)
|
Berichterstatterin: |
Reine-Claude MADER |
|
Befassung |
Europäisches Parlament, 22.6.2016 |
|
|
Rat, 11.7.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 388 final — 2016/0182 (COD)) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
|
Annahme in der Fachgruppe |
4.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
223/2/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt, dass die Interessen der Verbraucher und Sparer von der Kommission berücksichtigt und ihre Organisationen unterstützt werden. Nach Auffassung des EWSA sollten Finanzdienstleistungen aufgrund ihres für Laien schwer verständlichen technischen Charakters und ihrer weitreichenden Implikationen mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet werden. |
|
1.2. |
Der EWSA unterstützt die Initiative, die im Rahmen des Ende 2011 von der Kommission eingeleiteten Pilotprojekts mit dem Ziel ergriffen wurde, die Einrichtung eines Finanzkompetenzzentrums zu unterstützen, das den Belangen der Verbraucher und Endnutzer von Finanzdienstleistungen dient und deren Beteiligung an der Gestaltung der Unionspolitik im Bereich Finanzdienstleistungen ermöglichen soll, um dadurch das Vertrauen in das europäische Finanzsystem wiederherzustellen. |
|
1.3. |
Der EWSA stellt fest, dass die beiden nichtstaatlichen Organisationen Better Finance und Finance Watch die Voraussetzungen für die Gewährung von Betriebskostenzuschüssen durch die Europäischen Kommission im Wege offener Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen erfüllen und dass ihre Maßnahmen 2015 allgemein positiv bewertet wurden. |
|
1.4. |
Allerdings hält er es für angebracht, einige zu erfüllende Bedingungen hervorzuheben: |
Legitimität
|
1.5. |
Der EWSA betont, dass die Legitimität der einschlägigen Organisationen auf den ihnen angehörenden Mitgliedern und ihren Leitungs- und Verwaltungsstrukturen, aber auch auf den Maßnahmen beruhen muss, die ergriffen wurden, um die technischen Finanzvorschriften und -instrumente der Öffentlichkeit verständlich zu machen. |
|
1.6. |
Hier sollten aus Sicht des EWSA besondere Anstrengungen unternommen werden, um die Endnutzer tatsächlich an den Arbeiten der einschlägigen Organisationen zu beteiligen. Dies muss sich in der Zusammensetzung und in den Leitungs- und Verwaltungsstrukturen von Finance Watch und Better Finance sowie in neuen, entsprechend angepassten Arbeitsmethoden niederschlagen. |
Finanzielle Unabhängigkeit, Transparenz und Rechenschaftspflicht
|
1.7. |
Der EWSA begrüßt die finanzielle Transparenz von Finance Watch (1), ist andererseits jedoch der Ansicht, dass Finance Watch und Better Finance ihre Bemühungen um eine größere finanzielle Unabhängigkeit — auch von der Europäischen Kommission — fortsetzen müssen, da die Glaubwürdigkeit ihrer Maßnahmen und ihre Legitimität in den Augen der Öffentlichkeit davon abhängen. |
|
1.8. |
Der EWSA erinnert daran, dass die betreffenden Organisationen im Fall von Unregelmäßigkeiten finanziell zur Rechenschaft gezogen werden können: Die Kommission und der Rechnungshof sind befugt, bei allen direkt oder indirekt von den gewährten Finanzhilfen betroffenen Wirtschaftsteilnehmern Rechnungsprüfungen anhand von Unterlagen und vor Ort durchzuführen. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) kann Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durchführen, um festzustellen, ob ein Betrugs- oder Korruptionsdelikt oder eine sonstige rechtswidrige Handlung zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union vorliegt (2). |
|
1.9. |
Der EWSA begrüßt, dass die für die Durchführung des Unionsprogramms vorgesehene Finanzausstattung mehrjährig ausgelegt ist. Dadurch soll die Beteiligung der Verbraucher und anderen Endnutzer von Finanzdienstleistungen erhöht werden, da auf diese Weise eine größere finanzielle Stabilität der begünstigten Organisationen gewährleistet werden kann. Diese können ihre Tätigkeiten und ihr Programm so langfristiger organisieren bzw. festlegen. |
Wahrnehmung in der Öffentlichkeit
|
1.10. |
Der EWSA weist darauf hin, dass Finance Watch und Better Finance trotz intensiver Öffentlichkeitsarbeit und Maßnahmen zur Bekanntmachung — insbesondere durch Artikel in der Wirtschaftspresse und durch die Veranstaltung von Konferenzen — in der Öffentlichkeit und bei den nationalen Verbraucherverbänden immer noch weitgehend unbekannt sind. Die Newsletter der beiden Organisationen sollten diesen direkt zugeleitet werden. |
|
1.11. |
Der EWSA nimmt Kenntnis von den Ergebnissen der Ex-post-Bewertung des Pilotprojekts (3), das Ende 2011 von der Kommission eingeleitet wurde und die Einrichtung eines Finanzkompetenzzentrums unterstützen soll, das den Belangen der Verbraucher und Endnutzer von Finanzdienstleistungen dient. Er fordert die einschlägigen nichtstaatlichen Organisationen auf, ihre Bemühungen zur Stärkung der Rolle und Interessen und zur besseren Aufklärung der Endnutzer und Verbraucher bei der Gestaltung der Unionspolitik im Finanzsektor zu intensivieren. |
Gleichgewicht zwischen professionellen Akteuren und Nutzern
|
1.12. |
Der EWSA erkennt an, dass die Entwicklung von Fachwissen erforderlich ist, damit die Nutzer von Finanzdienstleistungen auf gleicher Augenhöhe mit den Fachleuten der Finanzbranche diskutieren können. Dieses Fachwissen ist der Schlüssel für ein glaubwürdiges Handeln der betreffenden Organisationen gegenüber der Finanzwelt, die über umfangreichere Mittel verfügt. |
|
1.13. |
Der EWSA fordert ein ausgeglichenes Verhältnis, mit dem das Konzept eines stabilen, nachhaltigen und langfristig ausgerichteten Finanzsystems vorangebracht wird. |
2. Erläuterung des Verordnungsvorschlags (4)
|
2.1. |
Der Vorschlag ist Teil der Initiativen, die seit 2007 von der Europäischen Kommission ergriffen wurden, um das Vertrauen der Verbraucher nach der Finanzkrise wiederherzustellen. |
|
2.2. |
Ziel der Kommission ist eine bessere Berücksichtigung der Verbraucherstandpunkte, was 2010 zur Einsetzung der Nutzergruppe „Finanzdienstleistungen“, zu einer systematischen Einbeziehung von Verbrauchern und Vertretern der Zivilgesellschaft in die eingerichteten Expertengruppen und 2011 zur Einleitung eines Pilotprojekts geführt hat, um die Entwicklung eines Finanzkompetenzzentrums durch die Gewährung von Finanzhilfen zu fördern. |
|
2.3. |
Nach der Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen wurden zwei gemeinnützige Organisationen von der Kommission ausgewählt: Finance Watch, eine 2011 nach belgischem Recht gegründete internationale gemeinnützige Vereinigung, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die Interessen der Zivilgesellschaft im Finanzsektor zu vertreten, und Better Finance, eine Organisation, die aus der Umstrukturierung seit 2009 bestehender europäischer Zusammenschlüsse von Anleger- und Aktionärsvereinigungen hervorging. Ihre Aufgabe ist die Entwicklung eines Finanzkompetenzzentrums, dem vor allem Privatanleger, Sparer und andere Endnutzer angehören. |
|
2.4. |
Diese Organisationen erhielten zwischen 2012 und 2015 Betriebskostenzuschüsse der Europäischen Kommission. Finance Watch erhielt zwischen 2012 und 2014 Mittel in Höhe von 3,04 Mio. EUR und Better Finance0,90 Mio. EUR innerhalb von drei Jahren. Diese Finanzhilfen machen 60 % ihrer zuschussfähigen Kosten aus. |
|
2.5. |
Das Fazit der 2015 durchgeführten Bewertung lautete, dass die von der Kommission gesetzten politischen Ziele im Großen und Ganzen verwirklicht wurden. Gleichzeitig wurde jedoch betont, dass bei einigen Aspekten im Zusammenhang mit der Information der Verbraucher und der Berücksichtigung ihrer Standpunkte nachgebessert werden muss. |
|
2.6. |
Die Kommission stellt weiterhin fest, dass beide Organisationen trotz ihrer Bemühungen keine stabile und ausreichende Förderung durch unabhängige Geber aus dem Finanzsektor für sich gewinnen konnten, sodass die finanzielle Unterstützung durch die Union für die Fortsetzung ihrer Tätigkeiten unabdingbar ist. |
|
2.7. |
In dem Verordnungsvorschlag ist für den Zeitraum 2017-2020 ein Programm festgelegt, das Forschungstätigkeiten und Sensibilisierungsmaßnahmen auch für ein Laienpublikum, Aktivitäten zur Stärkung der Interaktion zwischen den Mitgliedern der begünstigten Organisationen sowie Beratungsmaßnahmen zur Förderung ihrer Interessen auf EU-Ebene umfasst. |
|
2.8. |
Die Ziele sind darauf ausgerichtet, die Beteiligung der Verbraucher und Endnutzer von Finanzdienstleistungen an der Gestaltung der Unionspolitik in diesem Bereich weiter voranzubringen und zu ihrer Aufklärung über anstehende Fragen im Bereich der Finanzmarktregulierung beizutragen. |
|
2.9. |
Die Finanzhilfen für Finance Watch und Better Finance werden für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2020 auf höchstens 6 Mio. EUR festgesetzt. |
|
2.10. |
Die Begünstigten müssen alljährlich eine Beschreibung der durchgeführten und geplanten Tätigkeiten vorlegen. |
3. Allgemeine und besondere Bemerkungen
|
3.1. |
Vor dem Hintergrund der Finanzkrise haben die Europäische Kommission und das Europäische Parlament erkannt, dass in den verschiedenen Gremien eine unausgewogene Vertretung der professionellen Finanzmarktakteure und der Nutzer von Finanzdienstleistungen herrscht. |
|
3.2. |
Gestützt auf Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe b AEUV, wonach es zu den Aufgaben der Union gehört, die Interessen der Verbraucher zu fördern und ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, schlägt die Europäische Kommission die Kofinanzierung der Tätigkeiten von Organisationen vor, die im Bereich Finanzdienstleistungen spezialisiert sind. |
|
3.3. |
Der EWSA kann sich diesem Ziel nur anschließen, wie er in mehreren Stellungnahmen bekräftigt hat, in denen er betonte, dass der Verbraucher in den Mittelpunkt aller politischen Maßnahmen gerückt werden muss. Folglich müssen die Verbrauchervertreter mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden (5). |
|
3.4. |
Insbesondere aufgrund der Komplexität der Fragestellungen im Spar- und Investitionsbereich unterstützt der EWSA die Einrichtung eines Finanzkompetenzzentrums, das von der Finanzwelt unabhängig ist und den Interessenvertretungsorganisationen der Verbraucher, Sparer und Endnutzer zur Verfügung steht, die kein Fachwissen im Finanzbereich haben, zumal die technische Materie für Laien schwer verständlich ist und die Implikationen weitreichend sind. |
|
3.5. |
In diesem Zusammenhang ruft der EWSA zu großer Wachsamkeit auf, um sicherzustellen, dass keine finanziellen oder sonstigen Verbindungen bestehen, die das Handeln dieser Organisationen negativ beeinflussen könnten. |
|
3.6. |
Der EWSA betont, dass die Legitimität der einschlägigen Organisationen auf den ihnen angehörenden Mitgliedern und ihren Leitungs- und Verwaltungsstrukturen, aber auch auf den Maßnahmen beruhen muss, die ergriffen wurden, um die technischen Finanzvorschriften und -instrumente der Öffentlichkeit verständlich zu machen. |
|
3.7. |
Der EWSA unterstreicht, dass Finance Watch und Better Finance trotz intensiver Öffentlichkeitsarbeit und Maßnahmen zur Bekanntmachung — insbesondere durch Artikel in der Wirtschaftspresse und durch die Veranstaltung von Konferenzen — in der Öffentlichkeit und bei den nationalen Verbraucherverbänden immer noch weitgehend unbekannt sind. Die Newsletter der beiden Organisationen könnten diesen direkt zugeleitet werden. |
|
3.8. |
Nach Auffassung des Ausschusses sollten die Experten die Vertreter der Zivilgesellschaft nicht ersetzen, sondern ihnen Mittel an die Hand geben, um die Problematik zu erfassen, die zu ergreifenden Maßnahmen zu bewerten und Vorschläge zu unterbreiten. |
|
3.9. |
Der EWSA teilt die Ansicht der Europäischen Kommission, dass die Beteiligung der Verbraucher und anderen Endnutzer an der Gestaltung der Unionspolitik gefördert und gleichzeitig ihr Vertrauen in das europäische Finanzsystem wiederhergestellt werden muss. |
|
3.10. |
Der Ausschuss nimmt das in dem Verordnungsvorschlag vorgesehene Unionsprogramm und seine Ziele zur Kenntnis und weist darauf hin, dass die Interaktion mit der Öffentlichkeit für die Institutionen und Organisationen extrem schwierig ist. |
|
3.11. |
Der EWSA stellt fest, dass die Gründung von Finance Watch und Better Finance zeitlich mit der Einrichtung des Pilotprojekts (6) zusammenfällt und weist nachdrücklich darauf hin, dass die Unabhängigkeit der einzelnen Mitglieder von Industrie, Gewerbe und Wirtschaft gewährleistet werden muss. |
|
3.12. |
Der Ausschuss hält die vorgesehene Dauer und Form der Finanzierung für angemessen und begrüßt, dass die für die Durchführung des Unionsprogramms vorgesehene Finanzausstattung mehrjährig ausgelegt ist. Dadurch soll die Beteiligung der Verbraucher und anderen Endnutzer von Finanzdienstleistungen erhöht werden, da auf diese Weise eine größere finanzielle Stabilität der begünstigten Organisationen gewährleistet werden kann. Somit können diese ihre Tätigkeiten und ihr Programm langfristiger organisieren bzw. festlegen, auch wenn sich die Höhe der vorgesehenen Zuschüsse mit Blick auf die erklärten Ziele bescheiden ausnimmt. |
|
3.13. |
Darüber hinaus ist der EWSA der Auffassung, dass die einschlägigen Organisationen zusätzliche Finanzierungsquellen finden sollten, um ihre Weiterentwicklung, ausgeglichene Bilanzen und ihre Unabhängigkeit vor allem von der Kommission sicherzustellen. |
|
3.14. |
Der EWSA dringt auf eine rasche Annahme der Verordnung, damit die durch das Pilotprojekt entstandene Dynamik nicht ins Stocken gerät. |
|
3.15. |
Der EWSA befürwortet das Bewertungsverfahren, das unbedingt erforderlich ist, um festzustellen, ob die Ziele erreicht und die Anforderungen an Transparenz und finanzielle Rechenschaftspflicht nach Maßgabe von Artikel 8 des Verordnungsvorschlags erfüllt wurden (7). |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Gesamtmittel von Finance Watch im Jahr 2015: Spender und Stiftungen: 32,1 %; Forschungsprojekte: 7,4 %; EU-Fördermittel: 56,4 %; Organisation von Veranstaltungen: 1,3 %; Mitgliederbeiträge: 2,7 %. Quelle: http://www.finance-watch.org/a-propos/gouvernance-et-financement.
(2) Artikel 8 des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Auflegung eines Unionsprogramms zur Unterstützung spezieller Tätigkeiten zur Erhöhung der Beteiligung von Verbrauchern und anderen Endnutzern von Finanzdienstleistungen an der Gestaltung der Unionspolitik im Bereich Finanzdienstleistungen für den Zeitraum 2017-2020, Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. September 2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (ABl. L 248 vom 18.9.2013, S. 1) und Verordnung (EURATOM, EG) Nr. 2185/96 des Rates vom 11. November 1996 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten (ABl. L 292 vom 15.11.1996, S. 2).
(3) http://ec.europa.eu/finance/finservices-retail/docs/users/151222-staff-working-document_en.pdf.
(4) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Auflegung eines Unionsprogramms zur Unterstützung spezieller Tätigkeiten zur Erhöhung der Beteiligung von Verbrauchern und anderen Endnutzern von Finanzdienstleistungen an der Gestaltung der Unionspolitik im Bereich Finanzdienstleistungen für den Zeitraum 2017-2020, COM(2016) 388 final — 2016/0182 (COD).
(5) ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 89.
(6) 2011 eingeleitetes Pilotprojekt mit dem Ziel, durch die Gewährung von Finanzhilfen die Entwicklung eines Finanzkompetenzzentrums zu fördern, das den Belangen der Endnutzer und anderen Interessenträgern außerhalb des Finanzsektors dient und deren Fähigkeit zur Beteiligung an der Gestaltung der EU-Politik auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen stärkt — Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Auflegung eines Unionsprogramms zur Unterstützung spezieller Tätigkeiten zur Erhöhung der Beteiligung von Verbrauchern und anderen Endnutzern von Finanzdienstleistungen an der Gestaltung der Unionspolitik im Bereich Finanzdienstleistungen für den Zeitraum 2017-2020. COM(2016) 388 final — 2016/0182 (COD), Seite 2.
(7) Idem.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/121 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinie 2009/101/EG“
(COM(2016) 450 final — 2016/0208 (COD))
(2017/C 034/19)
|
Berichterstatter: |
Javier DOZ ORRIT |
|
Befassung |
Rat, 19.8.2016 Europäisches Parlament, 12.9.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 50 und 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 450 final — 2016/0208 (COD)) |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt |
|
Annahme in der Fachgruppe |
5.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
182/0/1 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass die Bekämpfung des Terrorismus und der Terrorismusfinanzierung sowie der Geldwäsche und anderer, damit im Zusammenhang stehender Formen von Wirtschaftskriminalität eine ständige Priorität der EU-Politik sein sollte. |
|
1.2. |
Der EWSA stimmt den Maßnahmen, die der Vorschlag für eine Änderung der Richtlinie zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (1) enthält, grundsätzlich zu und hält ihre Umsetzung ebenfalls für dringlich. |
|
1.3. |
Angesichts des globalen Charakters dieser Phänomene spricht sich der Ausschuss dafür aus, dass die EU und die Mitgliedstaaten künftig noch mehr Verantwortung übernehmen und in den internationalen Gremien und Foren, die sich für die Bekämpfung der Geldwäsche und der damit verbundenen Schwerkriminalität einsetzen, als Motor fungieren. International und weltweit koordinierte Aktionen und Maßnahmen sind unabdingbar, um effektiver vorgehen zu können und bessere Ergebnisse zu erzielen, wobei Europa eine tonangebende Rolle spielen kann. |
|
1.4. |
Der Ausschuss ist sich bewusst, dass die Anpassung an die Richtlinie für die Unternehmen und Verpflichteten sowie für die Kontrollbehörden aufwändig ist. Diese Anstrengungen sind jedoch erforderlich und müssen von allen erbracht werden, um die gemeinsamen Ziele in vollem Umfang zu erreichen, das heißt u. a. dafür zu sorgen, dass das Finanzsystem und andere Verpflichtete nicht für Straftaten missbraucht werden. Der Ausschuss schlägt vor, eine Folgenabschätzung für diese Maßnahmen vorzunehmen. |
|
1.5. |
Der EWSA fürchtet, dass die praktische Wirksamkeit der vierten und der fünften Geldwäscherichtlinie durch eine Reihe von Faktoren erheblich begrenzt werden könnte. Erstens fehlen auf der am 14. Juli 2016 veröffentlichten Liste der Drittländer mit hohem Risiko viele Länder bzw. Rechtsgebiete, bei denen Grund zu der Annahme besteht, dass sie als Steueroasen zur Geldwäsche fungieren, und es taucht kein einziges der 21 in den Panama Papers genannten Länder bzw. Gebiete darin auf. Da die verstärkten Sorgfaltsmaßnahmen der fünften Geldwäscherichtlinie nur für Drittländer gelten, für die ein hohes Risiko ermittelt wurde, schlägt der EWSA vor, dass entweder eine neue Liste von Hochrisikoländern aufgestellt oder der Geltungsbereich der Maßnahmen gemäß Artikel 18a der fünften Geldwäscherichtlinie ausgeweitet wird. Der EWSA hält es für vorrangig, dass nationale öffentliche Register der tatsächlichen Inhaber bzw. wirtschaftlichen Eigentümer von Bankkonten, Unternehmen, Trusts und Transaktionen eingerichtet werden und dass die Verpflichteten Zugang zu diesen Registern haben. |
|
1.6. |
Der EWSA fordert die EU-Organe auf, ihre Maßnahmen zur Beseitigung von Steueroasen zu intensivieren. Er hält es insbesondere für notwendig, dass alle in der fünften Geldwäscherichtlinie festgelegten Pflichten, insbesondere die zur Identifizierung der wirtschaftlichen Eigentümer von Bankkonten, Unternehmen, Trusts und Transaktionen, auf alle Hoheits- oder Rechtsgebiete ausgedehnt werden, deren Souveränität von den Mitgliedstaaten abhängt. |
|
1.7. |
Es ist nötig, die Bekämpfung der Geldwäsche stärker mit den Maßnahmen zu verzahnen, die gegen Steuerhinterziehung und -umgehung, Korruption und andere verbundene Delikte — Waffen- und Drogenhandel, Schleuserkriminalität usw. — sowie gegen die Organisationen der kriminellen Wirtschaft zu ergreifen sind. Es bedarf neuer Initiativen gegen all diese Delikte und ihre Verbindungen zur Geldwäsche. Außerdem müssen Maßnahmen gegen unlauteren Steuerwettbewerb ergriffen werden. |
|
1.8. |
Der Kampf gegen Terrorismus und Geldwäsche erfordert eine engere Zusammenarbeit der verschiedenen Nachrichten- und Sicherheitsdienste der Mitgliedstaaten untereinander sowie mit Europol. |
|
1.9. |
Nach Auffassung des EWSA sollten Abkommen über Freihandel und Wirtschaftspartnerschaft auch ein Kapitel über Maßnahmen gegen Steuerbetrug und Steuerumgehung, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung enthalten. Der EWSA fordert die Kommission auf, dies als Vorschlag der EU in die laufenden Verhandlungen, insbesondere über die TTIP, sowie in bereits geltende Abkommen bei deren eventueller Überarbeitung aufzunehmen. |
|
1.10. |
Die Arbeit der Zentralstellen für Geldwäsche-Verdachtsanzeigen (FIU) der Mitgliedstaaten und ihre ständige Koordinierung auf europäischer Ebene sind unerlässlich. Aus Sicht des EWSA wäre es zweckdienlich, ein europäisches Instrument zur Überwachung, Koordinierung und Antizipierung technischer Veränderungen zu schaffen. |
|
1.11. |
Im Hinblick auf die große Bedeutung der Bekämpfung der Geldwäsche und zur Gewährleistung einer einheitlichen und wirksamen Anwendung der Bestimmungen in diesem Bereich in allen Mitgliedstaaten ist es sehr wichtig, dass die Texte und Konzepte in den vorgeschlagenen Maßnahmen so klar wie möglich sind. Das stärkt gleichzeitig die notwendige Rechtssicherheit für alle, die diese Texte umsetzen müssen. |
|
1.12. |
Anzustreben wäre eine europäische Harmonisierung der rechtlichen Behandlung — Definitionen und Strafen — aller Delikte im Zusammenhang mit Geldwäsche, Steuerbetrug, Korruption und Terrorismusfinanzierung sowie ihrer Verbindungen. Dies gilt auch für die Harmonisierung der Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der Geldwäscherichtlinien. |
|
1.13. |
Der EWSA spricht sich für die Einführung von Maßnahmen zur Kontrolle der Tochterunternehmen der Verpflichteten in Drittländern mit hohem Risiko aus; die Überwachung darf sich nicht nur auf die Kunden erstrecken. |
|
1.14. |
Der EWSA schlägt vor, dass die Kommission weitere Schritte zum Schutz der Rechte der Bürger vor einer unrechtmäßigen oder missbräuchlichen Verwendung der gespeicherten Daten durch die zuständigen Behörden oder die Verpflichteten prüft. |
|
1.15. |
Der Ausschuss begrüßt die rasche Bearbeitung dieser Vorschläge und hofft, dass sie schnell und kurzfristig rechtswirksam werden können, ohne dass dies die Qualität der Resultate schmälert. Dafür sollten ein realistischer Zeitplan für die Umsetzung der Texte und ihre Anwendung in den Mitgliedstaaten sowie klare Leitlinien vorgegeben werden. |
2. Kontext und Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags
|
2.1. |
Die brutalen Terroranschläge in Frankreich, Belgien und anderen europäischen Ländern und die Enthüllungen über das Waschen von aus kriminellen Tätigkeiten stammenden Geldern in Steueroasen, wie zuletzt die des ICIJ (2) über die „Panama Papers“, haben die Europäische Kommission veranlasst, neue Maßnahmen gegen die Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung vorzuschlagen. Am 5. Juli 2016 billigte die Kommission neben dem Vorschlag für die fünfte Geldwäscherichtlinie einen weiteren Vorschlag betreffend den Zugang von Steuerbehörden zu Informationen zur Bekämpfung der Geldwäsche (3) sowie eine Mitteilung über weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz und Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung (4). |
|
2.2. |
In einer neueren Studie (5) des Europäischen Parlaments heißt es: „Die Panama Papers haben gezeigt, welche Rolle Steuerparadiese für die Steuervermeidung spielen und wie aggressiv einige Steuervermeidungspraktiken sind, bei denen die Trennlinie zwischen Betrug und Hinterziehung verwischt ist. In diesem Sinne haben die aus der Geheimnistuerei resultierende Undurchsichtigkeit, die mangelnde Rückverfolgbarkeit und der unzureichende Austausch steuerlicher Informationen eine wichtige Rolle bei der Nichteinhaltung der Wirtschaftssanktionen gespielt und Informationen verschleiert, die im Hinblick auf die organisierte Kriminalität nützlich und notwendig sind, auch solche in Bezug auf Geldwäsche im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten, Korruption und Drogenhandel.“ |
|
2.3. |
Die Panama Papers wurden vom ICIJ veröffentlicht. Deren Datenbank — Offshore Leaks Database (6) — enthält Verweise auf 45 131 Gesellschaften in der EU (7). Unter den 21 Gebieten, die die Kanzlei Mossack Fonseca für Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und -umgehung und Geldwäsche nutzte, sind drei EU-Mitgliedstaaten und drei von Mitgliedstaaten anhängige Rechtsgebiete (8). |
|
2.4. |
Mit der fünften Geldwäscherichtlinie wird ein Teil der Vorschläge des Aktionsplans für ein intensiveres Vorgehen gegen Terrorismusfinanzierung (9) konkret umgesetzt, in denen es um eine Änderung der vierten Geldwäscherichtlinie (10) und der Richtlinie über Bestimmungen für Unternehmen zum Schutz der Interessen der Gesellschafter sowie Dritter (11) geht. In dem Plan wird vorgeschlagen, den Termin für die Umsetzung der vierten Geldwäscherichtlinie vom 26. Juni 2017 auf den 1. Januar 2017 vorzuverlegen, der auch der Termin für die Umsetzung der beiden Richtlinienvorschläge vom 5. Juli 2016 sein wird. |
|
2.5. |
Zu dem vielteiligen politisch-legislativen Rahmen der fünften Geldwäscherichtlinie kamen allein 2015 zwei weitere Initiativen hinzu: die Europäische Sicherheitsagenda (12) und der Vorschlag für eine Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (13), der eine neue Typisierung der mit der Finanzierung des Terrorismus zusammenhängenden Straftaten enthält. |
|
2.6. |
Am 14. Juli 2016 erließ die Kommission die delegierte Verordnung über die Ermittlung von Drittländern mit hohem Risiko und als Anhang dazu (14) eine Liste, die der von der FATF bei ihrem Treffen am 24. Juni 2016 in Busan (Korea) vereinbarten Liste entspricht. |
|
2.7. |
Im Vorschlag für die fünfte Geldwäscherichtlinie werden neue Sorgfaltspflichten festgelegt, die von den Verpflichteten — Finanzinstituten, Angehörigen damit verbundener Berufe, Dienstleistern für Trusts und Anbietern von Glücksspielen, Immobilienmaklern usw. — gegenüber ihren (neuen und bestehenden) Kunden anzuwenden sind. Insbesondere sieht Artikel 18a verstärkte Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden mit Sitz in Drittländern mit hohem Risiko vor. Die Mitgliedstaaten werden auch Maßnahmen gegen Rechtsgebiete mit hohem Risiko ergreifen können, u. a. können sie dort die Gründung von Zweigniederlassungen oder Repräsentanzen oder die Durchführung von Finanztransaktionen verwehren. |
|
2.8. |
Eine Neuerung besteht darin, dass Plattformen für den Tausch virtueller Währungen und Anbieter elektronischer Geldbörsen in den Anwendungsbereich aufgenommen und als zur Einhaltung der Sorgfaltsmaßnahmen Verpflichtete definiert werden. Die Anonymität bei der Online-Nutzung von Guthabenkarten (Prepaid-Karten) wird aufgehoben und der Schwellenwert, an dem sich der Nutzer bei Präsenznutzung identifizieren muss, wird von 250 auf 150 Euro gesenkt. |
|
2.9. |
In der fünften Geldwäscherichtlinie wird des Weiteren vorgeschlagen: Stärkung der Befugnisse der zentralen Meldestellen und Förderung der Zusammenarbeit unter ihnen; leichtere Ermittlung der Inhaber von Bank- und Zahlungskonten durch Schaffung automatisierter nationaler Zentralregister; Verpflichtung zur Ermittlung und Registrierung der wirtschaftlichen Eigentümer der Unternehmen (mit einer Absenkung des Aktienanteils von 25 % auf 10 %), Trusts, Stiftungen und vergleichbaren Einrichtungen, sowie Zulassung des Zugangs der Öffentlichkeit zu diesen Informationen unter bestimmten Voraussetzungen. |
3. Allgemeine Bemerkungen
|
3.1. |
Die verschiedenen Formen von Kriminalität, bei denen zum Schaden der Grundrechte der Gesamtbevölkerung von Geldwäsche und Steueroasen Gebrauch gemacht wird, sind sehr gravierend. Geldwäsche wird trotz aller Bemühungen der europäischen und einzelstaatlichen Behörden in immer größerem Umfang betrieben. |
|
3.2. |
Die Liberalisierung der Kapitalbewegungen in der Welt und die Geschwindigkeit, mit der neue digitale Technologien für Transaktionen eingesetzt werden, erschweren den Kampf gegen die Nutzung des Finanzsystems zu kriminellen Zwecken. Die Ermittlungen im Zuge der jüngsten Terrorangriffe von Dschihadisten in Europa haben Informationen über Formen der Finanzierung dieser Anschläge erbracht, die in der vierten Geldwäscherichtlinie nicht erfasst sind. Dies rechtfertigt den Vorschlag zur Änderung dieser Richtlinie, noch bevor sie überhaupt in Kraft getreten ist, sowie zur Vorverlegung des Endtermins für ihre Umsetzung in innerstaatliches Recht. |
|
3.3. |
Der EWSA stimmt den in der fünften Geldwäscherichtlinie vorgeschlagenen Maßnahmen grundsätzlich zu und sieht in ihnen eine gute Hilfe im Kampf gegen Terrorismus und Geldwäsche. |
|
3.4. |
Ein Vorbehalt wäre in Bezug auf die Folgen für die Grundrechte geltend zu machen, insbesondere den Schutz personenbezogener Daten, den ein inadäquater Umgang der zuständigen Behörden mit der großen Menge an sensiblen Daten haben könnte. Der Vorschlag für die fünfte Geldwäscherichtlinie enthält diesbezüglich einige Schutzbestimmungen. In Kenntnis bestimmter Verhaltensweisen staatlicher Organe, die durch die Enthüllungen von WikiLeaks (2010 und 2012) und der Snowden-Papiere (2013) ans Licht kamen, fordert der Ausschuss die Kommission auf, die Möglichkeit der Einführung zusätzlicher Maßnahmen für den Schutz der Rechte der Bürger vor einer missbräuchlichen Verwendung der gespeicherten Daten zu prüfen. Sie sollte insbesondere prüfen, ob eine Form der gemeinsamen strafrechtlichen Einstufung für die rechtswidrige Verwendung personenbezogener Informationen und Daten gefunden werden kann. Der EWSA bietet für diese Untersuchung seine Mitwirkung an. |
|
3.5. |
Abgesehen von den derzeitigen Vorschlägen sowie den weiteren Initiativen und Maßnahmen, für die der EWSA in dieser Stellungnahme auf europäischer Ebene eintritt, ist es von großer Bedeutung, dass die EU und die Mitgliedstaaten in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Zudem sollten sie in den internationalen Gremien und Foren auf dem Gebiet der Bekämpfung der Geldwäsche und der damit verbundenen Schwerkriminalität, bei denen es sich um globale und in der Regel grenzübergreifende Phänomene handelt, als Motor fungieren. International und weltweit koordinierte Aktionen und Maßnahmen sind unabdingbar, um effektiver vorgehen zu können und bessere Ergebnisse zu erzielen, wobei Europa eine tonangebende Rolle spielen kann. |
|
3.6. |
Viele EU-Bürger, die immer noch unter den Folgen der Krise und der Anpassungsmaßnahmen und der Zunahme von Armut und Ungleichheit leiden, erhalten jetzt Kenntnis davon, dass große multinationale Unternehmen Steuerumgehung und Steuerbetrug betreiben und Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Kultur oder Sport Steuern hinterziehen und Geld in Steueroasen waschen. Einige dieser Vorgehensarten und Rechtsgebiete werden auch zur Finanzierung terroristischer Organisationen genutzt, die fähig sind, die abscheulichsten Verbrechen in Europa und anderswo in der Welt zu verüben. Diese Situation ist untragbar. Die europäischen und einzelstaatlichen Behörden müssen Tatkraft zeigen, um dem ein Ende zu setzen. |
|
3.7. |
Ungeachtet der Ausführungen in Ziffer 3.2 könnte die Erreichung der Ziele der Geldwäscherichtlinien schwer unter der Schwäche des politischen Handelns zur Beseitigung von Steueroasen als den für die Geldwäsche unerlässlichen Schaltstellen leiden. Ein weiterer Hemmfaktor ist die unzureichende Verknüpfung der gegen Geldwäsche unternommenen Schritte mit den Maßnahmen zur Bekämpfung von Straftaten, die ihr Vorschub leisten (Steuerhinterziehung, Mitgliedschaft in einer terroristischen oder kriminellen Vereinigung, Waffen- und Drogenhandel, Schleuserkriminalität usw.) in einem von anhaltendem unfairem Steuerwettbewerb in der EU geprägten Kontext. |
|
3.8. |
Die Liste der Länder mit hohem Risiko, die von der Kommission am 14. Juli 2016 (15) veröffentlicht wurde, enthält kein einziges Land aus der Liste der Panama Papers. Paradoxerweise werden aber gerade die Enthüllungen der Panama Papers von der Kommission als einer der Gründe genannt, die sie zur Vorlage der fünften Geldwäscherichtlinie veranlasste. In der Liste ist nur ein Hochrisikoland verzeichnet, das nicht kooperiert: Nordkorea. In Gruppe II, die Länder umfasst, die zugesagt haben, die Mängel zu beheben, und die um technische Hilfe für die Umsetzung des FATF-Aktionsplans ersucht haben, befindet sich der Iran. Zu der Gruppe I von Ländern, die bereits einen Aktionsplan erarbeitet haben, der sie aus der Liste herausführen wird, sobald sie dessen Vorschriften erfüllen, gehören neun Länder (von denen sie vier im Krieg befinden: Afghanistan, Irak, Syrien und Jemen). Ein Teil der Gelder, aus denen sich der Terrorismus finanziert, fließt durch diese Länder. Allerdings belegen sämtliche Analysen und Untersuchungen zu dieser Frage, dass das Waschen von Geldern aus anderen Formen der Kriminalität nicht in diesen Ländern erfolgt. |
|
3.9. |
Es ist zu bedauern, dass eine Einrichtung wie die FATF, die eine für die Analyse der internationalen Finanzkriminalität und die Konzipierung von Mitteln zu ihrer Bekämpfung so wichtige Arbeit leistet, keinen geeigneten Modus für die Ausarbeitung ihrer Listen von Risikoländern gefunden hat. Natürlich stützt sich die Kommission auf die Empfehlungen (16) und sonstigen Vorschläge der FATF zur Bekämpfung der Geldwäsche. In diesem Fall jedoch kann die Übernahme der FATF-Vorschläge die fünfte Geldwäscherichtlinie teilweise ihrer Wirksamkeit berauben, weil die in Artikel 18a vorgesehenen verstärkten Maßnahmen nur für Länder mit hohem Risiko gelten. |
|
3.10. |
Für die praktische Wirksamkeit der fünften Geldwäscherichtlinie hält es der EWSA für nötig, entweder die Liste der Hochrisiko-Drittländer zu ändern, sodass sie auch die Länder oder Gebiete umfasst, in denen die wichtigsten Geldwäschegeschäfte vorgenommen werden, oder aber den Geltungsbereich von Artikel 18a auf alle Verpflichteten und Rechtsgebiete auszuweiten, die nach Informationen der zentralen Meldestellen im Verdacht stehen, Geldwäschevorgänge durchzuführen. Der EWSA schlägt außerdem vor, eine Einheitsliste der Rechtsgebiete aufzustellen, die bei der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität nicht kooperieren. |
|
3.11. |
Dass ein nicht unerheblicher Teil der Geldwäsche in Rechtsgebieten erfolgt, die von Mitgliedstaaten abhängen, sollte alle EU-Organe veranlassen, eine feste politische Vereinbarung zu treffen, um den Steueroasen in der EU ein Ende zu setzen. Konkret müssten die Pflichten, insbesondere die zur Identifizierung der wirtschaftlichen Inhaber von Bankkonten, der Eigentümer von Unternehmen sowie aller Teile von Trusts und Transaktionen, die den Verpflichteten der EU in der vorgeschlagenen fünften Geldwäscherichtlinie auferlegt werden, auf alle Gebiete ausgedehnt werden, deren Souveränität von den Mitgliedstaaten abhängt, darunter auch jene, die besondere Steuerregelungen genießen. Dabei sollte es den Verpflichteten möglich sein, sich für die Erfüllung ihrer Pflichten auch auf die Daten der nationalen (amtlichen) Register zu stützen. Außerdem müssten die verstärkten Maßnahmen nach Artikel 18a für alle von EU-Mitgliedstaaten abhängigen Rechtsgebiete gelten, in denen Geldwäschegeschäfte durchgeführt werden. |
|
3.12. |
Steuerbetrug und -umgehung stehen in engem Zusammenhang mit Geldwäsche. Ein Teil des gewaschenem Geldes stammt aus Steuerhinterziehung und -umgehung. Daher ist es notwendig, die Verhütung und strafrechtliche Verfolgung beider Arten von Delikten zu koordinieren, sowohl durch gesetzgeberische Maßnahmen als auch auf politischer Ebene sowie in den Handlungen der Nachrichtendienste, der Polizei und des Justizwesens. Der EWSA hat die jüngsten Initiativen der Kommission zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung in der EU begrüßt, hält sie aber nach wie vor für unzureichend und meint, dass sie durch weitere Maßnahmen ergänzt werden sollten, die auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche abgestimmt sind. |
|
3.13. |
Der Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erfordert eine enge Zusammenarbeit der verschiedenen Nachrichten- und Sicherheitsdienste der Mitgliedstaaten untereinander sowie mit Europol. Festzuhalten ist, dass das derzeitige Niveau der Zusammenarbeit nicht ausreicht. Trotz der öffentlichen Erklärungen nationaler und europäischer Entscheidungsträger und der Unterstützung der Bürger für die Stärkung dieser Zusammenarbeit kommen nach jedem Terroranschlag erhebliche Koordinationsmängel ans Licht. Mitunter sind Koordinierungslücken zwischen den verschiedenen Diensten ein und desselben Mitgliedstaats festzustellen. Dagegen muss mit allen Mitteln etwas getan werden. |
|
3.14. |
In den letzten Jahren hat die EU bedeutsame Abkommen über Freihandel und Wirtschaftspartnerschaft ausgehandelt oder unterzeichnet. Gegenwärtig verhandelt sie über ein Abkommen von der Tragweite der TTIP. Diese Abkommen dürften eine sehr gute Gelegenheit bieten, bilaterale oder biregionale Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerbetrug und -umgehung, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu vereinbaren, Die Kommission sollte untersuchen, auf welche Weise ein entsprechendes Kapitel in die Abkommen, über die derzeit verhandelt wird, und in bereits bestehende Abkommen, deren Erneuerung ansteht, eingearbeitet werden kann. Der EWSA stimmt in diesem Punkt voll und ganz mit den Schlussfolgerungen der oben erwähnten Studie (17) des EP überein. |
4. Besondere Bemerkungen
|
4.1. |
Den zentralen Meldestellen der Mitgliedstaaten kommt die wichtige Aufgabe der Information, Überwachung und Prävention zu, einschließlich der Antizipierung der raschen Veränderungen bei den Technologien, die für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eingesetzt werden können. Notwendig ist eine rasche Reaktion vonseiten der Mitgliedstaaten und die Zusammenführung der einzelnen Analysen auf europäischer Ebene. Dabei ist die ständige, flexible Koordinierung der Meldestellen von grundlegender Bedeutung. Aus Sicht des EWSA wäre es zweckdienlich, ein europäisches Instrument zur Überwachung, Koordinierung und technischen Antizipierung zu schaffen. |
|
4.2. |
Die Verpflichteten, die in der vierten und fünften Geldwäscherichtlinie definiert sind, haben Überwachungs- und Kontrollaufgaben gegenüber verdächtigen Personen und Geldbewegungen. Allerdings werden in diesen Richtlinien keine Anforderungen oder Verpflichtungen hinsichtlich der Tätigkeiten der Verpflichteten in Hochrisiko-Drittländern aufgestellt. Diese Situation, in der die Kunden stärker überwacht werden als die eigentlichen Verpflichteten, muss beendet werden. |
|
4.3. |
Besonders relevant für die vorliegende Stellungnahme sind die folgenden Empfehlungen aus der EWSA-Stellungnahme im Dossier CCMI/132 „Korruptionsbekämpfung“ (18): a) Ausarbeitung einer kohärenten und umfassenden Fünfjahresstrategie für die Korruptionsbekämpfung mit einem dazugehörigen Aktionsplan, b) Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft und Ausbau der Kapazitäten von Eurojust, und c) Verpflichtung multinationaler Unternehmen zur Mitteilung der finanziellen Eckdaten ihrer Tätigkeit in allen Staaten, in denen sie eine Geschäftstätigkeit ausüben. |
|
4.4. |
Anzustreben wäre nach Auffassung des EWSA eine europäische Harmonisierung der strafrechtlichen Behandlung — Definitionen und Strafen — aller Delikte im Zusammenhang mit Geldwäsche, Steuerbetrug, Korruption und Terrorismusfinanzierung sowie ihrer Verbindungen. Die Europäische Kommission und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde sollten ferner auf die Harmonisierung der Sanktionen bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen durch die Verpflichteten hinarbeiten. |
|
4.5. |
Die Bekämpfung der Geldwäsche ist von großer Bedeutung und sollte tatkräftig, entschlossen und effizient erfolgen. Daher ist es sehr wichtig, dass die Texte und Konzepte in den vorgeschlagenen Maßnahmen so klar wie möglich sind. Das stärkt die notwendige Rechtssicherheit für alle, die diese Texte umsetzen müssen, und fördert eine einheitliche Anwendung in der gesamten Union. |
|
4.6. |
Der Ausschuss begrüßt die rasche Bearbeitung dieser Vorschläge und hofft, dass sie schnell und kurzfristig angenommen und rechtswirksam werden können. Dies darf allerdings die Qualität der Resultate nicht schmälern. Dafür sollten ein realistischer Zeitplan für die Umsetzung der Texte und ihre Anwendung in den Mitgliedstaaten sowie klare Leitlinien vorgegeben werden. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Im Folgenden kurz „Geldwäscherichtlinie“: COM(2016) 450 final.
(2) Internationales Konsortium investigativer Journalisten.
(3) COM(2016) 452 final.
(4) COM(2016) 451 final.
(5) Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments (EPRS): „The inclusion of financial services in EU free trade and association agreements: Effects on money laundering, tax evasion and avoidance. Ex-Post Impact Assessment“; S. 18.
(6) Offshore Leaks Database.
(7) EPRS, op.cit.; S. 19 und 20.
(8) EPRS, op.cit., S. 21.
(9) COM(2016) 50 final.
(10) ABl. L 141 vom 5.6.2015, S. 73.
(11) ABl. L 258 vom 1.10.2009, S. 11.
(12) COM(2015) 185 final.
(13) COM(2015) 625 final, S. 2.
(14) C(2016) 4180 final.
(15) Delegierte Verordnung C(2016) 4180 und Anhang mit der Länderliste: http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/3/2016/DE/3-2016-4180-DE-F1-1-ANNEX-1.PDF.
(16) Internationale Standards zur Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismus- und Proliferationsfinanzierung.
(17) EPRS, op. cit., S. 59.
(18) ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 63.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/127 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des Zugangs von Steuerbehörden zu Informationen zur Bekämpfung der Geldwäsche“
(COM(2016) 452 final — 2016/0209 (CNS))
(2017/C 034/20)
|
Berichterstatter: |
Petru Sorin DANDEA |
|
Befassung |
Rat der Europäischen Union, 27.7.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 113 und Artikel 115 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 452 final — 2016/0209 (CNS)) |
|
Zuständig |
Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt |
|
Annahme in der Fachgruppe |
5.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
227/3/2 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission und unterstützt ihre Bemühungen zur Bekämpfung der Steuervermeidung und Geldwäsche, einer Praxis, die nicht nur die Steuerbemessungsgrundlagen der Mitgliedstaaten aushöhlt, sondern auch zu den wichtigsten Finanzierungsquellen für kriminelle und terroristische Organisationen weltweit zählt. |
|
1.2. |
Angesichts der schwerwiegenden Auswirkungen von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung unterstützt der EWSA die im Richtlinienvorschlag zur Änderung der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung vorgesehenen Vorschriften. Die Tatsache, dass die Informationen über die tatsächlichen Empfänger der finanziellen Transaktionen, die auf der Grundlage der Ergebnisse der Kontrollen, Prüfungen und Audits bezüglich ihrer Rechtmäßigkeit verdächtig sein könnten oder sich gar als Geldwäsche herausstellen, in die Kategorie von Informationen aufgenommen werden, die Gegenstand eines Austauschs zwischen den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten sind, ermöglicht die Stärkung der Verwaltungskapazitäten und der Wirksamkeit der Bekämpfung der Geldwäsche. |
|
1.3. |
Die Änderung der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden kann nur vollständig umgesetzt werden, wenn der Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der vierten Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche (1) angenommen wird, weshalb der EWSA den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament empfiehlt, das von der Kommission vorgeschlagene Regulierungspaket in seiner Gesamtheit anzunehmen. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, die personellen, finanziellen und logistischen Ressourcen zu gewährleisten, die die Steuerverwaltungen für eine erfolgreiche Durchsetzung der neuen Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche benötigen. |
2. Vorschlag der Kommission
|
2.1. |
Im Rahmen des Programms zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung sowie des Aktionsplans zum Vorgehen gegen Terrorismusfinanzierung hat die Europäische Kommission im Juli 2016 ein Regulierungspaket zur Verbesserung des Zugangs der Steuerverwaltungen zu Informationen zur Bekämpfung der Geldwäsche vorgelegt. Zu diesem Paket gehört auch der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des Zugangs von Steuerbehörden zu Informationen zur Bekämpfung der Geldwäsche (2). |
|
2.2. |
Mit dem Vorschlag der Kommission soll Artikel 22 dieser Richtlinie dahin gehend geändert werden, dass auch die spezifischen Informationen über finanzielle Transaktionen zur Erleichterung der Geldwäsche in den Austausch zwischen den Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten aufgenommen werden. |
|
2.3. |
Mit dieser Initiative soll gewährleistet werden, dass Steuerbehörden durchweg auf Informationen aus der Geldwäschebekämpfung zugreifen können, wenn sie überwachen, ob Finanzinstitute die Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden ordnungsgemäß anwenden. |
|
2.4. |
Mit dem Richtlinienvorschlag sollen Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts festgelegt werden. Ebenfalls soll der Zugang der Steuerbehörden zu Informationen über die tatsächlichen Empfänger der finanziellen Transaktionen gewährleistet werden, die auf der Grundlage der Ergebnisse der Kontrollen, Prüfungen und Audits bezüglich ihrer Rechtmäßigkeit verdächtig sein könnten bzw. sich gar als Geldwäsche für kriminelle oder terroristische Organisationen herausstellen. |
3. Allgemeine und besondere Bemerkungen
|
3.1. |
In der vorgeschlagenen Richtlinie wird eine in allen Mitgliedstaaten einheitliche Umsetzung der Vorschriften über den zwischen den einzelstaatlichen Steuerbehörden stattfindenden Austausch von Informationen über die tatsächlichen Begünstigten der Finanztransaktionen gefordert, die den Verdacht von Geldwäsche nahelegen. Wie er bereits in der vorhergehenden Stellungnahme hervorhob (3), begrüßt der EWSA die Initiative der Europäischen Kommission und unterstützt ihre Bemühungen im Bereich der Bekämpfung der Steuervermeidung und Geldwäsche, einer Praxis, die nicht nur die Steuerbemessungsgrundlagen der Mitgliedstaaten aushöhlt, sondern auch zu den wichtigsten Finanzierungsquellen für kriminelle und terroristische Organisationen weltweit zählt. |
|
3.2. |
Der EWSA billigt die Vorschriften für den Zugang der einzelstaatlichen Steuerbehörden zu den Mechanismen, Verfahren, Dokumenten und Informationen im Zusammenhang mit den Finanztransaktionen, die den Verdacht von Geldwäsche nahelegen. In ihrer Erklärung vom 18. April fordert die G20 die Arbeitsgruppe „Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung“ auf, Vorschläge zur besseren Umsetzung der internationalen Standards für Transparenz zu unterbreiten, auch hinsichtlich der Verfügbarkeit von Informationen zum wirtschaftlichen Eigentümer und des Austauschs dieser Informationen auf internationaler Ebene. Daher empfiehlt der EWSA der Kommission und den Mitgliedstaaten, ihre Verhandlungsbemühungen auf internationaler Ebene im Rahmen von Einrichtungen wie der OECD oder der G20 zu intensivieren, um die Anwendung dieser Bestimmungen auf globaler Ebene zu ermöglichen. |
|
3.3. |
Aufgrund der Tatsache, dass der Richtlinienvorschlag zur Änderung der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden nur unter der Bedingung vollständig umgesetzt werden kann, dass der Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der vierten Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche (4) angenommen wird, empfiehlt der EWSA den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament, das von der Kommission vorgeschlagene Regulierungspaket in seiner Gesamtheit anzunehmen. |
|
3.4. |
Angesichts der zunehmenden terroristischen Aktivitäten auf globaler Ebene und der gestiegenen Zahl der Anschläge, die in mehreren Mitgliedstaaten zum Verlust von Menschenleben geführt haben, ist der EWSA der Ansicht, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen dringend angenommen werden müssen. Die Einführung besserer Bestimmungen zur Bekämpfung der Geldwäsche wird eine der wichtigsten Finanzquellen der Terrororganisationen versiegen lassen. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, die notwendigen personellen, finanziellen und logistischen Ressourcen zur Durchsetzung der neuen Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche sicherzustellen, die das von der Europäischen Kommission vorgelegte Paket enthält. Der EWSA ist im Übrigen der Auffassung, dass die Entwicklung von Programmen zur Sicherstellung des Austauschs bewährter Verfahren zwischen Sachverständigen der zuständigen Steuerbehörden der Mitgliedstaaten dazu beitragen könnte, bessere Ergebnisse bei der Umsetzung der neuen Vorschriften zu erzielen. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) COM(2016) 450 final.
(2) COM(2016) 452 final.
(3) ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 31.
(4) Siehe Fußnote 1.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/130 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette“
(COM(2016) 32 final)
(2017/C 034/21)
|
Berichterstatter: |
Peter SCHMIDT |
|
Befassung |
Europäische Kommission, 4.3.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 43 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 32 final) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt |
|
Annahme in der Fachgruppe |
30.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
221/0/5 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hebt hervor, dass die Position der schwächsten Akteure in der Lebensmittelversorgungskette gestärkt werden muss, indem unlautere Handelspraktiken unterbunden werden, die von Einzelhändlern (NB: Der Begriff „Einzelhändler“ bezieht sich in diesem Dokument auf große Einzelhandelsunternehmen) und von einigen transnationalen Unternehmen angewandt werden, wodurch das Risiko und die Unsicherheiten für alle Akteure entlang der Lebensmittelversorgungskette erhöht und somit unnötige Kosten verursacht werden. |
|
1.2. |
Dem EWSA ist klar, dass die strukturellen Probleme in der Lebensmittelversorgungskette (wie vorübergehende Marktungleichgewichte, die schwierige Lage der Landwirte usw.) nicht allein durch die Vermeidung unlauterer Handelspraktiken zu lösen sein werden. |
|
1.3. |
Der EWSA bekräftigt die Bedenken und Empfehlungen aus seiner früheren Stellungnahme zum Thema „Handelsbeziehungen zwischen großen Einzelhandelsunternehmen und den Lieferanten von Lebensmitteln — aktueller Stand“ (1). Insbesondere fordert der EWSA die Kommission erneut auf, die europäischen Rechtsvorschriften auf die besonderen Merkmale der verschiedenen Akteure im Lebensmittelsektor abzustimmen. |
|
1.4. |
Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass ein Versagen des Marktes festzustellen ist, da sich die Lage in einem unzureichend regulierten System immer weiter verschlechtert (2). |
|
1.5. |
Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni 2016 (3), in der betont wird, dass nur mit einem Rechtsrahmen auf EU-Ebene unlautere Handelspraktiken, die von Einzelhändlern und einigen transnationalen Unternehmen angewandt werden, bekämpft werden können und sichergestellt wird, dass Landwirte und Verbraucher in der EU von fairen Verkaufs- und Einkaufsbedingungen profitieren können. Der EWSA hält ein EU-rechtliches Verbot unlauterer Handelspraktiken aufgrund ihrer Merkmale für geboten und erforderlich. |
|
1.6. |
Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, umgehend Maßnahmen zur Verhütung unlauterer Handelspraktiken zu ergreifen, indem zu diesem Zweck ein EU-weit harmonisiertes Netz von Durchsetzungsbehörden eingerichtet wird, um für einheitliche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt zu sorgen. |
|
1.7. |
Der EWSA begrüßt die neue, EU-weite Supply Chain Initiative (SCI) und weitere freiwillige Systeme auf nationaler Ebene, jedoch lediglich als Ergänzung zu wirksamen und soliden Durchsetzungsmechanismen auf Ebene der Mitgliedstaaten. Dabei sollte jedoch gewährleistet sein, dass alle Interessenträger (z. B. Landwirte und Gewerkschaften) die Möglichkeit zur Mitwirkung haben und dass Beschwerden anonym eingereicht werden können. Auch sollten abschreckende Sanktionen eingeführt werden. Solche Plattformen sollten außerdem unabhängig agieren können. Der EWSA schlägt ferner die Einrichtung einer Beschwerdestelle mit Regelungsbefugnissen im Rahmen der vorgerichtlichen Schlichtung vor. |
|
1.8. |
Der EWSA fordert ein Verbot missbräuchlicher Praktiken wie z. B. der in Ziffer 3.3 dieser Stellungnahme aufgeführten. |
|
1.9. |
Insbesondere empfiehlt der EWSA, dass den Lieferanten (z. B. den Landwirten) ein Preis gezahlt wird, der nicht unter dem Selbstkostenpreis liegt. Der EWSA fordert des Weiteren ein wirksames Verbot des Verkaufs von Waren unter dem Einstandspreis durch Lebensmitteleinzelhändler. |
|
1.10. |
Der EWSA empfiehlt die Förderung und Unterstützung alternativer Geschäftsmodelle, die zur Verkürzung der Versorgungskette zwischen Lebensmittelerzeugern und -endverbrauchern beitragen, beispielsweise im Zuge der Politik der Mitgliedstaaten für die öffentliche Auftragsvergabe. |
|
1.11. |
Der EWSA schlägt vor, die Rolle und Position der Genossenschaften und Erzeugerorganisationen zu stärken, um die Machtbalance wieder herzustellen. Denn sie sind eine geeignete und wichtige Unternehmensform, in der die Landwirte als Eigentümer ihre Marktposition auch unter den Bedingungen des EU-Binnenmarkts gemeinsam verbessern und aktiv dazu beitragen können, für eine ausgewogenere Verteilung der Verhandlungsmacht in der Lebensmittelkette zu sorgen. |
|
1.12. |
Der EWSA fordert die Akteure der Lebensmittelkette dringend auf, faire Handelsbeziehungen auf der Grundlage langfristiger, stabiler Verträge aufzubauen und in dem gemeinsamen Bemühen, den Bedürfnissen und der Nachfrage der Verbraucher Rechnung zu tragen, zusammenzuarbeiten. |
|
1.13. |
Der EWSA fordert den Schutz und die Gewährleistung der Anonymität von Informanten, die unlautere Handelspraktiken aufdecken. |
|
1.14. |
Der EWSA empfiehlt die Einführung eines Verbandsklagerechtes. |
|
1.15. |
Der EWSA regt an, eine europaweite Informations- und Sensibilisierungskampagne über den Wert von Lebensmitteln auf den Weg zu bringen. Dies wäre mit Blick auf eine langfristige Änderung des Verbraucherverhaltens erforderlich. |
2. Einführung
|
2.1. |
Die Versorgungsketten der Agrar- und Ernährungswirtschaft verknüpfen wichtige, ganz unterschiedliche Bereiche der europäischen Wirtschaft, die für das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen, für die Umwelt und nicht zuletzt für die Gesundheit der europäischen Bevölkerung von zentraler Bedeutung sind. In den letzten Jahren hat jedoch eine Verlagerung der Verhandlungsmacht in der Versorgungskette stattgefunden, meist zugunsten des Einzelhandels und einiger transnationaler Unternehmen und zum Nachteil der Lieferanten, insbesondere der Primärerzeuger. |
|
2.2. |
Einige wenige Unternehmen beherrschen nun die Vermarktung und den Verkauf von Lebensmitteln. So werden beispielsweise viele Lebensmittelmärkte in immer mehr Mitgliedstaaten mehrheitlich von drei bis fünf Einzelhandelsunternehmen kontrolliert, die gemeinsam einen Marktanteil von 65 % bis 90 % des modernen Einzelhandels innehaben (4), (5). |
|
2.3. |
Die Konzentration der Verhandlungsmacht hat zum Missbrauch marktbeherrschender Stellungen geführt, sodass die schwächeren Akteure zunehmend unlauteren Handelspraktiken ausgesetzt sind. Dadurch wird das wirtschaftliche Risiko vom Markt auf die Versorgungskette übertragen, was besonders negative Auswirkungen für die Verbraucher und einige Akteure wie Landwirte, Arbeitnehmer und KMU hat. |
|
2.4. |
Der EWSA hat sich bereits in seiner Stellungnahme zum Thema „Handelsbeziehungen zwischen großen Einzelhandelsunternehmen und den Lieferanten von Lebensmitteln — aktueller Stand“ von Februar 2013 mit unlauteren Handelspraktiken beschäftigt (6). Seitdem hat sich in dieser Hinsicht wenig verbessert. Im Gegenteil: Die Macht der großen Einzelhandelsunternehmen hat sogar noch zugenommen, was zu Missbrauch gegenüber einigen Akteuren wie Landwirten, Arbeitnehmern und KMU führen könnte. |
3. Unlautere Handelspraktiken und ihre Auswirkungen
|
3.1. |
Unlautere Handelspraktiken können allgemein als Vorgehensweisen definiert werden, die gröblich von der guten Handelspraxis abweichen und gegen das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs verstoßen (7). |
|
3.2. |
Unlautere Handelspraktiken können entlang der gesamten Versorgungskette zwischen einer Vielzahl von Akteuren auftreten. Weiter verbreitet sind sie jedoch in späteren Stufen der Versorgungskette, wo eine größere Machtkonzentration unter den Einzelhändlern und einigen transnationalen Unternehmen festzustellen ist. Treten unlautere Handelspraktiken in früheren Phasen der Versorgungskette auf, sind sie oft die Folge einer Übertragung des Risikos aufgrund unlauterer Handelspraktiken in späteren Phasen. |
|
3.3. |
Solche Praktiken umfassen zum Beispiel, beschränken sich jedoch bei Weitem nicht auf
|
|
3.4. |
Unlautere Handelspraktiken haben weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaftsbeteiligten, die Verbraucher und die Umwelt. Solche Praktiken sind jedoch naturgemäß gewinnbringend und daher aufgrund kurzfristiger Vorteile reizvoll für diejenigen, die sie anwenden — zum Nachteil anderer Akteure in der Versorgungskette. Langfristig sind die Akteure der Lebensmittelkette auf nachhaltige Lieferbeziehungen angewiesen und müssen sich bemühen, Unterbrechungen der Versorgungskette zu verhindern, um wettbewerbsfähig zu bleiben und weiterhin der sich ständig ändernden Verbrauchernachfrage gerecht zu werden. |
3.5. Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken auf die Lieferanten
|
3.5.1. |
Das Spektrum der Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken auf die davon betroffenen Akteure ist vielfältig und weitreichend und kann für diese zu Einkommenseinbußen entweder durch Preisabschläge oder aufgrund der durch diese Praktiken verursachten höheren Kosten führen. Schätzungen zufolge entstehen den Lieferanten durch unlautere Handelspraktiken Kosten in Höhe von 30 Mrd. bis 40 Mrd. EUR (8). Neben dem anhaltenden Preisdruck auf die Lieferanten entsteht durch solche Praktiken Unsicherheit, die wiederum dazu führt, dass Innovation und Investitionen in die Versorgungskette stagnieren, zudem werden u. U. kompetente, verantwortliche Lieferanten vom Markt gedrängt. |
|
3.5.2. |
Der auf die Landwirte und die Lebensmittelverarbeitungsbetriebe ausgeübte Druck und der daraus resultierende Abwärtsdruck auf die Preise führt überdies zu niedrigeren Löhnen sowohl im Agrarsektor als auch für die Arbeitnehmer in der Lebensmittelverarbeitung. Bei längerfristig Beschäftigten führt der Wettlauf um niedrigere Preise ebenfalls zu geringeren Löhnen, damit die Lieferanten ihre Gewinnspanne erzielen können. |
|
3.5.3. |
Kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) werden von unlauteren Handelspraktiken häufig am schwersten getroffen. Im weltweiten Bananenhandel z. B. werden die Erzeugnisse von Kleinbauern zur Ergänzung der Liefermengen aus größeren Plantagen genutzt; diese Lieferanten laufen jedoch Gefahr, bei einer nicht fristgerechten Auftragsannullierung als Erste ausgebootet zu werden (9). |
|
3.5.4. |
In einigen Bereichen der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung gibt es keine Vertragsfreiheit mehr. In Deutschland zeigen jüngste Entwicklungen, dass Einzelhandelspreise einseitig und ohne Verhandlungen mit den Lieferanten herabgesetzt wurden. In Großbritannien wird Milch im Lebensmittelhandel häufig als „Lockartikel“ eingesetzt, und den britischen Milchbauern werden immer niedrigere Preise für ihre Milch gezahlt, zuweilen liegen sie sogar unter den Erzeugungskosten. In Spanien ist eine Bezahlung unter dem Selbstkostenpreis in der verarbeitenden Industrie rechtlich zulässig, wodurch die Preisbildung entlang der Versorgungskette stark beeinträchtigt wird. |
|
3.5.5. |
Der Frischwaren-Sektor ist wegen der schnellen Verderblichkeit der für den europäischen Markt gelieferten Erzeugnisse besonders anfällig für unlautere Handelspraktiken. Die Landwirte haben nur ein begrenztes Zeitfenster für den Verkauf ihrer Waren, um eine angemessene Lagerfähigkeit für den Endkunden und den Endverbraucher zu gewährleisten, und dies wird häufig von gewerblichen Abnehmern der Einzelhändler und von Zwischenhändlern durch die Auferlegung nicht verhandelbarer Preisabschläge bei Erhalt der Waren ausgenutzt. |
|
3.5.6. |
Verschiedene Untersuchungen belegen eine eindeutige Nachfragemacht bestimmter Wirtschaftsbeteiligter, die zu Missbräuchen durch unlautere Handelspraktiken führt (10). Solche missbräuchlichen Praktiken können entlang der gesamten Versorgungskette vorkommen und sind ebenso in den Beziehungen zwischen Landwirten und Lebensmittelindustrie zu beobachten, da die Unternehmen in diesem Bereich aufgrund der relativen Machtkonzentration ebenfalls über „Nachfragemacht“ verfügen (11). |
|
3.5.7. |
Der zunehmende Verkauf von Produkten „eigener Marken“ (sog. White-Label-Produkte oder Hausmarken) der jeweiligen Einzelhändler ermöglicht ihnen einen häufigen Lieferantenwechsel, wenn sie — noch während der Vertragsverhandlungen oder nach Beginn der vertraglichen Beziehungen — einen günstigeren Produzenten finden. Produkte „eigener Marken“ sind jedoch nicht an sich verwerflich und können KMU helfen, auf einem Markt Fuß zu fassen, und den Verbrauchern eine vielfältige Auswahl bieten. |
|
3.5.8. |
Die Ausweitung einiger Einzelhandelsaktivitäten auf die Beschaffung und die Verarbeitung im Wege der vertikalen Integration kann zu einer Preisunterbietung durch die Einzelhändler führen. Dies ist ein Beispiel für die Zunahme der Verhandlungsmacht bedingt durch die zunehmende Machtkonzentration. |
|
3.5.9. |
Wenn Waren unter den Produktionskosten verkauft und landwirtschaftliche Grunderzeugnisse (wie Milch, Käse, Obst und Gemüse) von großen Einzelhandelsunternehmen und einigen transnationalen Unternehmen als „Lockartikel“ (d. h. Verkauf unter dem Einkaufspreis) genutzt werden, stellt dies eine Bedrohung für die langfristige Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Erzeugung in Europa dar. |
3.6. Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken auf die Verbraucher
|
3.6.1. |
Unlautere Handelspraktiken haben erhebliche negative Auswirkungen auf die europäischen Verbraucher. Größere Unternehmen können die durch unlautere Handelspraktiken verursachten Kosten häufig auffangen, doch kleinere Betriebe geraten immer mehr unter Druck und sind nicht mehr zu Investitionen und Innovationen in der Lage, wodurch sie von Märkten mit hoher Wertschöpfung verdrängt werden (12). Dies führt zu weniger Auswahlmöglichkeiten und einer geringeren Verfügbarkeit für die Verbraucher sowie letztendlich zu höheren Verbraucherpreisen. |
|
3.6.2. |
Die mangelnde Markentransparenz wirkt sich zum Nachteil der Verbraucher aus, die keine fundierten Kaufentscheidungen treffen können, obschon sie mehrfach den Wunsch geäußert haben, bevorzugt auf gesunde, umweltfreundliche und hochwertige Agrarerzeugnisse und Lebensmittel aus ihrer Gegend zurückzugreifen. Diese Intransparenz hat negative Auswirkungen auf das Verbrauchervertrauen, wodurch die Krise im Agrarsektor weiter verschärft wird. |
|
3.6.3. |
Aufgrund des Preisdrucks sind die Lebensmittelverarbeitungsbetriebe gezwungen, so kostengünstig wie möglich zu produzieren — worunter möglicherweise die Qualität der Lebensmittel für die Verbraucher leidet. Zur Kostensenkung verwenden die Unternehmen zuweilen billigere Rohstoffe, wodurch Qualität und Wert der Lebensmittel beeinträchtigt werden. So werden beispielsweise für viele Produkte Transfettsäuren anstatt gesünderer Öle und Fette aus Europa verwendet. |
3.7. Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken auf die Umwelt
|
3.7.1. |
Die Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken auf die Umwelt müssen anerkannt werden. Durch unlautere Handelspraktiken wird Überproduktion gefördert, da sich die Lieferanten dadurch gegen Unsicherheiten absichern. Diese Überproduktion kann dazu führen, dass Lebensmittel verschwendet werden, was wiederum eine unnötige Ausschöpfung von Ressourcen wie Land und Wasser sowie von agrochemischen Erzeugnissen und Treibstoff zur Folge hat (13), (14). |
4. Zusammenfassung des Berichts der Kommission über unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette
|
4.1. |
Die Kommission hat einen Bericht (15) vorgelegt, in dem untersucht wird, ob einzelstaatliche Rahmen zur Durchsetzung von Maßnahmen gegen unlautere Handelspraktiken bestehen und wie wirksam sie ggf. sind; ferner wird darin die Rolle der EU-weiten freiwilligen Supply Chain Initiative (SCI) und ihrer einzelstaatlichen Plattformen bewertet. |
|
4.2. |
In dem Bericht der Kommission von 2016 wird herausgestellt, dass die große Mehrheit der Mitgliedstaaten bereits Regulierungsmaßnahmen ergriffen und öffentliche Durchsetzungsverfahren eingeführt hat, um gegen unlautere Handelspraktiken vorzugehen. Einige Mitgliedstaaten sind hierbei weiter gegangen als andere, vielen ist es jedoch nach wie vor nicht gelungen, dem „Klima der Angst“ zu begegnen, das bei den Opfern unlauterer Handelspraktiken herrscht. Da mit unterschiedlichen Ansätzen wirksam gegen unlautere Handelspraktiken vorgegangen werden könne, sieht die Kommission zum jetzigen Zeitpunkt keinen zusätzlichen Nutzen in einem eigenen Regulierungsansatz auf EU-Ebene. |
|
4.3. |
Die Supply Chain Initiative (SCI) (16) ist eine gemeinsame Initiative von acht europäischen Verbänden der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, der Markenartikelhersteller, des Einzelhandels, der KMU und der Agrarhändler. Sie wurde im Rahmen des „Hochrangigen Forums für die Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette“ (17) ins Leben gerufen, um die Akteure bei der Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken zu unterstützen. |
|
4.4. |
In dem Bericht wird das Fazit gezogen, dass die SCI zu einer Sensibilisierung für unlautere Handelspraktiken geführt hat und dass sie eine raschere, kostengünstigere Alternative zu gerichtlichen Schritten bieten kann. Zudem könne die SCI zur Beilegung grenzüberschreitender Probleme beitragen. Die Kommission stellt außerdem einige Bereiche heraus, in denen die SCI verbessert werden kann, wie z. B. Stärkung der Neutralität der Leitungsstruktur und Ermöglichung individueller vertraulicher Beschwerden. |
5. Allgemeine Bemerkungen
|
5.1. |
Der Standpunkt des EWSA zum Bericht der Kommission steht im Einklang mit der Entschließung des Europäischen Parlaments zu unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette, die am 7. Juni 2016 mit starker parteiübergreifender Unterstützung angenommen wurde (18). Das Parlament betont die Notwendigkeit eines Rechtsrahmens auf EU-Ebene und fordert die Kommission auf, Vorschläge zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette vorzulegen, um faire Einkommen für die Landwirte und umfangreiche Wahlmöglichkeiten für die Verbraucher zu gewährleisten. Ferner unterstreicht das Parlament, dass die SCI und andere freiwillige Systeme auf nationaler und EU-Ebene nicht als Alternative gefördert werden sollten, sondern „als Ergänzung wirkungsvoller und starker Durchsetzungsmechanismen auf der Ebene der Mitgliedstaaten — wobei insbesondere darauf zu achten ist, dass Beschwerden anonym eingereicht werden können und abschreckende Sanktionen eingeführt werden — und in Verbindung mit einer Koordinierung auf EU-Ebene“ (19). |
|
5.2. |
Die Kommission ist der Ansicht, dass die Supply Chain Initiative noch nicht lange genug besteht, um ihren Erfolg bewerten zu können. Der EWSA stellt jedoch fest, dass die SCI aus folgenden Gründen bisher kein wirksames Mittel zur Eindämmung von unlauteren Handelspraktiken und Missbräuchen der Kaufkraft war: |
|
5.2.1. |
Die führende Stellung des Einzelhandels in der SCI hat eine stark abschreckende Wirkung auf die Landwirte und hält sie angesichts des Misstrauens zwischen diesen Akteuren von einer tatsächlichen Mitwirkung an der Plattform ab. Die SCI bietet den Lieferanten nicht die erforderliche Anonymität, um das „Klima der Angst“ zu überwinden. Darüber hinaus kann die SCI keine gezielten Untersuchungen der Versorgungsketten vornehmen und ist daher auf Beschwerden der Wirtschaftsbeteiligten angewiesen, womit die Beweislast den Opfern unlauterer Handelspraktiken aufgebürdet wird. |
|
5.2.2. |
Die Kommission geht davon aus, dass durch die SCI eine Selbstregulierung unlauterer Handelspraktiken ermöglicht wird. Das Fehlen finanzieller Sanktionen führt jedoch dazu, dass die Einkäufer nicht davon abgeschreckt werden, ansonsten gewinnbringende unlautere Handelspraktiken anzuwenden. Bei dem britischen Einzelhändler Tesco PLC wurden beispielsweise unlängst unlautere Handelspraktiken in den Beziehungen zu seinen Lieferanten festgestellt, obwohl das Unternehmen Mitglied der SCI ist. Während Tesco durch das britische Recht (Groceries Code Adjudicator — Schiedsrichter für den Lebensmittelkodex) ohne Verhängung einer Geldbuße gerügt wurde, wurden seitens der SCI keinerlei Sanktionen gegen das Unternehmen verhängt. Als einzige abschreckende Maßnahme kann die SCI ein Unternehmen, das einen Verstoß begangen hat, von der Mitgliedschaft ausschließen — wovon sie im Falle von Tesco PLC bislang noch nicht Gebrauch gemacht hat. Dies ist ein deutliches Beispiel dafür, dass unlautere Handelspraktiken durch die SCI nicht unterbunden werden. |
|
5.2.3. |
Der EWSA stellt weiterhin fest, dass Landwirte und Gewerkschaften als Mitglieder der SCI fehlen. Während einige Organisationen der Initiative oder ihren nationalen Plattformen nie beigetreten sind, zog sich der finnische Dachverband der Agrarerzeuger und Waldbesitzer (MTK), ein Gründungsmitglied der nationalen Plattform zur Umsetzung der SCI in Finnland, aus der Initiative zurück und machte geltend, dass die SCI nicht funktioniere, da das Risiko für die Landwirte aufgrund mangelnder Anonymität erhöht werde. |
6. Aktuelle Durchsetzungsmechanismen zur Unterbindung unlauterer Handelspraktiken in Europa
|
6.1. |
In 20 Mitgliedstaaten bestehen einschlägige Rechtsvorschriften und Regulierungsinitiativen, doch ihr Erfolg ist bislang mäßig (20). Fünfzehn dieser Mitgliedstaaten haben in den letzten fünf Jahren Messungen eingeführt, die gezeigt haben, dass unlautere Handelspraktiken in der Versorgungskette weit verbreitet sind. Allerdings gibt es große Unterschiede in Bezug auf den jeweiligen Umfang der Regulierung, und viele nationale Durchsetzungsbehörden sind nicht befugt, finanzielle Sanktionen zu verhängen oder anonyme Beschwerden entgegenzunehmen. |
|
6.2. |
Der britische Verhaltenskodex für die Lebensmittelversorgung (Groceries Supply Code of Practice (21) — GSCOP) gilt als eine der fortschrittlichsten rechtlichen Präventivmaßnahmen gegen unlautere Handelspraktiken (22). Vor der Einführung dieses Kodexes gab es einen freiwilligen Verhaltenskodex, der jedoch aufgrund mangelnder Regulierung als unwirksam zur Unterbindung unlauterer Handelspraktiken befunden wurde. Die Regelungsinstanz für den GSCOP ist der Schiedsrichter für den Lebensmittelkodex (Groceries Code Adjudicator — GCA), der rechtlich dazu befugt ist, anonyme Beschwerden betreffend unlautere Handelspraktiken entgegenzunehmen, von Amts wegen Untersuchungen einzuleiten, das Fehlverhalten dieser Unternehmen öffentlich bekannt zu machen und den Einzelhändlern im Fall eines Verstoßes gegen den GSCOP Geldbußen von bis zu 1 % ihres jährlichen Umsatzes aufzuerlegen. Trotz seiner Errungenschaften kann der GCA lediglich die Beziehungen zwischen Einzelhändlern und ihren unmittelbaren (größtenteils im Vereinigten Königreich niedergelassenen) Lieferanten regeln. Dies birgt insofern „moralische Risiken“, als sowohl die Einzelhändler wie auch ihre unmittelbaren Lieferanten das Risiko durch unlautere Handelspraktiken an indirekte Zulieferer weitergeben. |
|
6.3. |
Ähnliche Untersuchungen wie die der britischen Wettbewerbskommission wurden auch in Spanien (23), Finnland (24), Frankreich (25), Italien (26) und Deutschland durchgeführt und zeigten jeweils eine weite Verbreitung unlauterer Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette. |
|
6.4. |
Zahlreiche Handelsakteure in Europa operieren in mehreren Mitgliedstaaten, wodurch diese Unternehmen die Möglichkeit zur Wahl des günstigsten Gerichtsstands („Forum-Shopping“) haben und die einzelstaatliche Gesetzgebung unterlaufen wird. Aufgrund der uneinheitlichen Rechtslage in der EU sind ungleiche Ausgangsbedingungen im Binnenmarkt entstanden. Wenn lediglich die Beziehungen zwischen unmittelbaren Lieferanten und Einzelhändlern rechtlich geregelt sind, wird die Wirksamkeit solcher Rechtsvorschriften zudem dadurch verringert, dass die Einzelhändler für den Lebensmittelkauf Zwischenhändler einschalten, wie dies z. B. in Großbritannien der Fall ist. Dies ist ein weiteres Argument für EU-weit geltende Rechtsvorschriften. |
|
6.5. |
Lieferanten aus Übersee beliefern Einzelhändler in der EU in der Regel auf indirektem Wege über Importeure und sonstige Zwischenhändler. Daher ist oftmals gar nicht bekannt, dass es solche Behörden gibt (27), und die darüber informierten Akteure haben keinen Zugang zu den meisten Durchsetzungsbehörden, um Abhilfe gegen unlautere Handelspraktiken einzufordern. |
7. Forderung nach einem europäischen Netz einzelstaatlicher Durchsetzungsbehörden zur Unterbindung unlauterer Handelspraktiken
|
7.1. |
Im Lichte der vorstehenden Bemerkungen fordert der EWSA die Einrichtung eines europäischen Netzes von Durchsetzungsbehörden zur Unterbindung unlauterer Handelspraktiken. Ein EU-rechtliches Verbot unlauterer Handelspraktiken ist aufgrund ihrer spezifischen Merkmale erforderlich und gerechtfertigt, um alle Lebensmittellieferanten — unabhängig von ihrem Niederlassungsort, d. h. auch in Drittstaaten — zu schützen. Um wirksam vorgehen zu können, müssen die dem Netz angehörenden Durchsetzungsbehörden folgende Funktionen wahrnehmen:
|
|
7.2. |
Es sollte das Ziel aller Mitgliedstaaten sein, einzelstaatliche Durchsetzungsstellen einzurichten, die sich mit Beschwerden im Zusammenhang mit unlauteren Handelspraktiken befassen. Für diese Stellen sollten die oben genannten Merkmale als Mindeststandard gelten. |
|
7.3. |
Legislative Maßnahmen zur Verhütung unlauterer Handelspraktiken können und sollten kosteneffizient sein. |
|
7.4. |
Das Europäische Parlament ruft die Kommission in seiner Entschließung weiterhin dazu auf, für wirksame Durchsetzungsmechanismen zu sorgen, wie z. B. die Entwicklung und Koordinierung eines „Netzwerks sich wechselseitig anerkennender nationaler Behörden auf EU-Ebene“ (28). |
|
7.5. |
Das Britische Institut für internationales und vergleichendes Recht (BIICL) hat der EU die Annahme einer Richtlinie zur Festlegung gemeinsamer Ziele der Durchsetzungsbehörden in den Mitgliedstaaten empfohlen, um unlautere Handelspraktiken zu vermeiden (29). |
8. Aktuelle bewährte Verfahren in der Wirtschaft zur Verhütung unlauterer Handelspraktiken
|
8.1. |
Festpreisregelungen oder vertraglich festgelegte Mindestpreisgarantien, die auf fairen Verhandlungen zwischen Käufern und Lieferanten beruhen, bieten den Lieferanten mehr Sicherheit, als wenn sie ihre Produkte auf dem freien Markt verkaufen. Auch wenn Verträge dieser Art den Lieferanten feste Preise garantieren, würde die Festlegung von Produktmengen oder Mindestgarantien jedoch zur Stärkung solcher Verfahren beitragen. Momentan können die Mengen nachträglich geändert und die Waren von den Käufern zurückgewiesen werden, wenn sich die Nachfrage auf dem Markt ändert; dies geschieht zuweilen in letzter Minute, sodass unvorhergesehene Kosten für Wiedervermarktung, Umpacken oder Beseitigung von Lebensmitteln entstehen. |
|
8.2. |
Einige Lieferanten der EU beschäftigen mittlerweile externe Inspekteure, die die Waren bei ihrer Ankunft am Zielort prüfen, um die Geltendmachung unberechtigter Ansprüche auf Zurückweisung von Produkten durch Importeure zu verhindern. Solche Ansprüche werden erhoben, wenn sich Angebot und Nachfrage entgegen der Prognose ändern, sodass sich das Risiko für die Käufer auf den letzten Stufen der Versorgungskette erhöht. Dies ist in gewissem Maße saisonabhängig, denn wenn das Angebot hoch und die Preise daher niedrig sind, ist das Risiko der Lieferanten, dass Ansprüche gegen sie geltend gemacht werden, höher als bei einem knappen Angebot. Der Einsatz externer Inspektoren trägt zwar sicher dazu bei, dass solche Ansprüche auf Zurückweisung von Waren seltener gegen die Exporteure erhoben werden, doch verursachen diese Dienstleistungen zusätzliche Kosten für die Lieferanten, wodurch ihre Möglichkeiten für Investitionen und Innovationen in ihren Unternehmen weiter eingeschränkt werden. Zudem können sich kleinere Lieferanten eine solche Unterstützung im Allgemeinen nicht leisten, sodass ihnen diese Praxis nichts nützt. |
9. Alternative Lebensmittelversorgungsketten
|
9.1. |
Es gibt viele Beispiele für alternative Versorgungsketten, in denen fairere Handelspraktiken herrschen und ein gerechteres Gleichgewicht bei Verteilung oder Umverteilung besteht. Im Bereich der Genossenschaften gibt es einige vielversprechende Ansätze, die jedoch zunehmend durch immer mächtigere Unternehmensgruppen und multinationale Konzerne bedrängt werden. |
|
9.2. |
Um die Lebensmittelversorgungskette in der EU fairer zu gestalten, sind kombinierte Maßnahmen erforderlich: Zum einen muss gegen die Macht der großen Unternehmen in der Versorgungskette angegangen werden, um unlautere Handelspraktiken zu verhindern, und zum anderen muss die gegengewichtige Marktmacht gestärkt werden, indem die Entwicklung von Genossenschaften und alternativen Kanälen für den Vertrieb von Lebensmitteln gefördert wird. |
|
9.3. |
Durch Genossenschaften und Bauernverbände in Europa und in Übersee konnten die Lieferanten ihre Produktionsmengen bündeln, um ihre Verkaufsmacht zu erhöhen, auf Massenmärkte vorzudringen und bessere Preise zu verhandeln. Solche Geschäftsmodelle ermöglichen kleinen Lieferanten eine bessere Kontrolle über die Produktion und Vermarktung ihrer Produkte und bieten eine Alternative zu umfangreichen Wachstumsanstrengungen. Das Europäische Parlament hat die Kommission dazu aufgefordert, entsprechende Geschäftsmodelle zu fördern, „damit […] [die] Verhandlungsmacht und -position [der Produzenten] in der Lebensmittelversorgungskette gestärkt werden“ (30). Darüber hinaus ist eine stärkere branchenbezogene und auf die einzelnen Regionen ausgerichtete Förderung der Zusammenarbeit zwischen Erzeugern und Genossenschaften von größter Wichtigkeit (31). |
|
9.4. |
Mit Modellen der gemeinschaftsunterstützten Landwirtschaft (community-supported agriculture — CSA) und anderen genossenschaftlichen Zusammenschlüssen von Landwirten und Verbrauchern können die Verbraucher unmittelbar einen Beitrag zur Erzeugung der von ihnen verzehrten Lebensmittel leisten. Aus aktuellen Zahlen geht hervor, dass es derzeit 2 776 Modelle der gemeinschaftsunterstützten Landwirtschaft in Europa gibt, die 472 055 Verbraucher mit Lebensmitteln versorgen (32). Breiter angelegte „Kisten-Modelle“ für bestimmte Produkte haben ebenfalls den Vorteil kurzer Versorgungsketten, da die Ware entweder direkt an die Verbraucherhaushalte oder an zentrale Abholstellen geliefert wird. |
|
9.5. |
Direkte Absatzwege für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, die von den Landwirten selbst betrieben werden (wie z. B. Bauernmärkte), haben einen doppelten Vorteil: Die Erzeuger brauchen keine missbräuchlichen Praktiken zu fürchten, sind autonomer und haben ein besseres Einkommen, während den Verbrauchern frische, authentische und nachhaltige Produkte mit sicherer Herkunft zur Verfügung stehen. In einer Studie (33) wurde belegt, dass Landwirte mit ihren Erzeugnissen weitaus höhere Einkommen erwirtschafteten, wenn sie diese Versorgungsketten anstatt der traditionellen Märkte nutzten. Solche Initiativen sollten mit öffentlichen Mitteln weiter gefördert werden, beispielsweise über Zahlungen im Rahmen der zweiten Säule der GAP, da dadurch Wachstum und Arbeitsplätze geschaffen werden und den Bedürfnissen der Verbraucher Rechnung getragen wird. |
|
9.6. |
Die Mitgliedstaaten sollten Möglichkeiten entwickeln, die Situation der Landwirte und der lokalen Lebensmittelunternehmen durch direkte Verträge mit öffentlichen Stellen im Zuge der Umsetzung der neuen Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu verbessern, wobei über die Logik des Höchstrabatts hinausgegangen werden sollte. |
|
9.7. |
Darüber hinaus sollte eine europaweite Informations- und Sensibilisierungskampagne über den Wert von Lebensmitteln auf den Weg gebracht werden. Eine bessere Sensibilisierung der Verbraucher für die Bedeutung der Lebensmittelerzeugung sowie eine stärkere Wertschätzung der Lebensmittel erweisen sich als zunehmend erforderlich und könnten zu faireren Handelspraktiken beitragen. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. C 133 vom 9.5.2013, S.16.
(2) Siehe Fußnote 1.
(3) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni 2016 zu unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette (2015/2065(INI)).
(4) Friends of the Earth, 2015. Eating from the Farm.
(5) Consumers International, 2012. The relationship between supermarkets and suppliers: What are the implications for consumers?
(6) Siehe Fußnote 1.
(7) Europäische Kommission, 2014. Gegen unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette, COM(2014) 472 final.
(8) Europe Economics. Schätzung der Kosten, die durch unlautere Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette in der EU verursacht werden.
(9) Kampagne Make Fruit Fair!, 2015. Banana Value Chains in Europe and the Consequences of Unfair Trading Practices. http://www.makefruitfair.org/wp-content/uploads/2015/11/banana_value_chain_research_FINAL_WEB.pdf.
(10) Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 13/2011, S. 4 ff.
(11) Siehe Fußnote 1.
(12) Fair Trade Advocacy Office, 2014. Who’s got the power? Tackling imbalances in agricultural supply chains, S. 4.
(13) IMCO-Ausschuss des EP, 2016. Bericht zu unlauteren Handelspraktiken der Lebensmittelversorgungskette (2015/2065(INI)).
(14) Feedback, 2015. Food Waste In Kenya: uncovering food waste in the horticultural export supply chain.
(15) COM(2016) 32 final.
(16) http://www.supplychaininitiative.eu/de/homepage.
(17) http://ec.europa.eu/growth/sectors/food/competitiveness/supply-chain-forum/index_en.htm.
(18) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni 2016 zu unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette (2015/2065(INI)).
(19) Entschließung des Europäischen Parlaments (2015/2065(INI)), ebd.
(20) Siehe Fußnote 15.
(21) Regierung des Vereinigten Königreichs, 2016: www.gov.uk/government/publications/groceries-supply-code-of-practice.
(22) Der Kodex wurde infolge einer Untersuchung der britischen Wettbewerbskommission ausgearbeitet, der zufolge die Einzelhändler in der Versorgungskette über unverhältnismäßig viel Macht verfügen, wodurch das Risiko in der Versorgungskette weiter nach vorn verlagert wird.
(23) Spanischer nationaler Ausschuss für Markt und Wettbewerb, Bericht über die Beziehungen zwischen Herstellern und Händlern im Lebensmittelsektor, 2011.
(24) Finnische Wettbewerbsbehörde (FCA): „Aus der Studie der FCA geht hervor, dass die Kaufkraft im Handel mit Gütern des täglichen Verbrauchs auf verschiedene, für den Wettbewerb bedenkliche Weise genutzt wird“ (2012).
(25) Französische Wettbewerbsbehörde, Stellungnahme Nr. 12-A-01 vom 11. Januar 2012 zur Wettbewerbssituation im Lebensmitteleinzelhandel in Paris.
(26) Italienische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (AGCM), Untersuchung über den organisierten Großhandel, 2013.
(27) Feedback, 2015, ebd.
(28) Entschließung des Europäischen Parlaments (2015/2065(INI)), ebd.
(29) http://www.biicl.org/documents/872_biicl_enforcement_mechanisms_report_-_final_w_exec_sum.pdf?showdocument=1.
(30) Entschließung des Europäischen Parlaments (2015/2065(INI)), ebd.
(31) ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 64.
(32) European CSA Research Group, 2015. Overview of Community Support Agriculture in Europe. http://urgenci.net/wp-content/uploads/2016/05/Overview-of-Community-Supported-Agriculture-in-Europe.pdf.
(33) http://www.foeeurope.org/sites/default/files/agriculture/2015/eating_from_the_farm.pdf.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/140 |
Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Definition der Angaben für Fischereifahrzeuge (Neufassung)“
(COM(2016) 273 final — 2016/0145 (COD))
(2017/C 034/22)
|
Berichterstatter: |
Gabriel SARRÓ IPARRAGUIRRE |
|
Befassung |
Rat, 1.6.2016 Europäisches Parlament, 6.6.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 43 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 273 final — 2016/0145 (COD)) |
|
Beschluss des Präsidiums |
14.6.2016 |
|
|
|
|
Zuständig Fachgruppe |
Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt |
|
Annahme in der Fachgruppe |
30.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
222/0/2 |
1. Schlussfolgerungen
|
1.1. |
Der EWSA hält den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Definition der Angaben für Fischereifahrzeuge (Neufassung) im Hinblick auf das Unionsrecht für notwendig und sehr sinnvoll und stimmt ihm daher zu. |
2. Hintergrund
|
2.1. |
Mit dem vorliegenden Vorschlag der Kommission soll die Verordnung (EWG) Nr. 2930/86 des Rates vom 22. September 1986 zur Definition der Angaben für Fischereifahrzeuge (in der durch die Verordnung (EG) Nr. 3259/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 geänderten Fassung) kodifiziert werden. |
|
2.2. |
Diese Kodifizierung ist eine Folge der Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Edinburgh (Dezember 1992), in denen der Beschluss der Kommission, alle Rechtsakte (den Originalrechtsakt und alle späteren Änderungen) spätestens nach der zehnten Änderung zu kodifizieren, bekräftigt wurde. |
|
2.3. |
Die Kodifizierung ist notwendig, um das Unionsrecht zu vereinfachen und klarer und transparenter zu gestalten, damit es für die Bürger besser verständlich und zugänglich wird und sie die spezifischen Rechte, die es ihnen zuerkennt, besser in Anspruch nehmen können. |
|
2.4. |
Bei der Kodifizierung ist das übliche Verfahren für den Erlass der Rechtsakte der Union uneingeschränkt einzuhalten. |
3. Allgemeine Bemerkungen
|
3.1. |
Der Vorschlag der Kommission behält den materiellen Inhalt der kodifizierten Rechtsakte vollständig bei. |
|
3.2. |
Mit dem Vorschlag werden jedoch inhaltliche Änderungen in Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2930/86 vorgenommen, um der Kommission Befugnisse zur Anpassung der Anforderungen betreffend die Bestimmung der Dauerleistung an den technischen Fortschritt zu übertragen. Daher wird der Vorschlag in der Form einer Neufassung vorgelegt. |
|
3.3. |
Der Neufassungsvorschlag wurde auf der Grundlage einer vorläufigen konsolidierten Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2930/86 und der sie ändernden Rechtsakte ausgearbeitet. Diese konsolidierte Fassung war zuvor vom Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems in 23 Amtssprachen erstellt worden. |
|
3.4. |
Der Vorschlag umfasst drei Anhänge, die die Änderung des (angepassten) Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 3259/94 und, für neue nummerierte Artikel, eine Gegenüberstellung der alten und der neuen Nummerierung in einer Entsprechungstabelle enthalten. |
4. Besondere Bemerkungen
|
4.1. |
Der EWSA befürwortet die in Artikel 5 Absatz 3 vorgenommenen Änderungen, die darauf abzielen, der Kommission Befugnisse zum Erlass delegierter Rechtsakte zu übertragen, um die Anforderungen betreffend die Bestimmung der Dauerleistung (in Übereinstimmung mit den Anforderungen der Internationalen Standardisierungs-Organisation in ihrer empfohlenen Internationalen Norm ISO 3046/1, 2. Auflage, Oktober 1981) an den technischen Fortschritt anzupassen. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/142 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Bewirtschaftungs-, Bestandserhaltungs- und Kontrollmaßnahmen für den Übereinkommensbereich der Internationalen Kommission für die Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik (ICCAT) und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1936/2001, (EG) Nr. 1984/2003 und (EG) Nr. 520/2007 des Rates“
(COM(2016) 401 final — 2016/0187 (COD))
(2017/C 034/23)
|
Berichterstatter: |
Thomas McDONOGH |
|
Befassung |
Europäisches Parlament, 22.6.2016 Rat, 30.6.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 43 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (COM(2016) 401 final — 2016/0187 (COD)) |
|
|
|
|
Beschluss des Präsidiums |
12.7.2016 |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt |
|
Annahme in der Fachgruppe |
30.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
224/1/3 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt, dass die seit 2008 von der Internationalen Kommission für die Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik (ICCAT) angenommenen Maßnahmen in EU-Recht umgesetzt werden. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission nachdrücklich auf, im Rahmen der vorgenannten und anderer regionaler Fischereiorganisationen (RFO) eine stärkere Führungsrolle wahrzunehmen. |
|
1.2. |
Der EWSA ruft alle Beteiligten auf, diese und andere Erhaltungsmaßnahmen mit größter Strenge durchzusetzen. Die meisten Fischer halten sich an die Vorschriften und verdienen gerechte Wettbewerbsbedingungen. |
|
1.3. |
Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, Artikel 7 Absatz 2 zu prüfen und erforderlichenfalls zu streichen und im Einklang mit den Empfehlungen dieser Stellungnahme Artikel 9 Absatz 1, die Artikel 31, 32 und 34 bis 36 sowie Artikel 38 Absatz 4 zu ändern. Die in den Artikeln 52 bis 59 vorgeschlagenen Ausnahmen für Umladungen auf See sollten ebenfalls erneut sorgfältig geprüft und möglicherweise gestrichen werden, wenn vorrangig die allgemeine Verpflichtung zu Umladungen in Häfen gelten soll. |
2. Hintergrund
|
2.1. |
Zusätzlich zu den bilateralen Abkommen, wie partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei oder Gegenseitigkeitsabkommen, kann die EU dank der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) multilaterale Vereinbarungen innerhalb der RFO eingehen. Zweck dieser Vereinbarungen ist die Stärkung der regionalen Zusammenarbeit zur Gewährleistung der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung von Fischbeständen. |
|
2.2. |
Aufgabe der ICCAT ist die Erhaltung von Thunfisch und thunfischähnlichen Arten (insgesamt rund 30) im Atlantischen Ozean und in den angrenzenden Meeren. Die EU ist seit 1997 Vertragspartei als Nachfolgerin der einzelnen Mitgliedstaaten. |
|
2.3. |
Die ICCAT ist befugt, verbindliche Empfehlungen zu erlassen, die in das EU-Recht umgesetzt werden müssen, sofern sie nicht Gegenstand bereits geltender Vorschriften sind. |
3. Bemerkungen
|
3.1. |
Die Bestimmung in Artikel 7 Absatz 2 des Vorschlags, durch die der Ersatz auf Schiffe mit einer gleichwertigen oder geringeren Kapazität begrenzt wird, basiert auf der ICCAT-Empfehlung 14-01, die nicht mehr in Kraft ist. Die neue Empfehlung zum tropischen Thunfisch, Empfehlung 15-01, beinhaltet in ihrer gegenwärtigen Fassung keinerlei Einschränkungen in Bezug auf den Ersatz. |
|
3.2. |
In Artikel 9 Absatz 1 über die Betriebspläne für Fischsammelgeräte wird der 1. Juli eines jeden Jahres als Frist für die Weiterleitung von Informationen an das ICCAT-Sekretariat festgelegt. Dies war das in Empfehlung 14-01 vorgegebene Datum. Die in Empfehlung 15-01 vorgegebene Frist ist der 31. Januar. Da diese Frist für die Kommission gilt, sollte für die Mitgliedstaaten ein früherer Termin festgesetzt werden, beispielsweise der 15. Januar. |
|
3.3. |
In Artikel 31, 32, 34, 35 und 36, die ein Verbot der Anlandung von nicht zugelassenen Haifischarten umfassen, sollte auf Artikel 15 Absatz 4 der GFP-Grundverordnung (1) verwiesen werden, in der Ausnahmen vom allgemeinen Rückwurfverbot festgelegt sind. |
|
3.4. |
In Anlehnung an die ICCAT-Empfehlung 07-07 sollte Artikel 38 Absatz 4 mit den Worten „Soweit praktisch machbar“ beginnen. Dies sollte der Aushandlung eines verbindlicheren Kompromisses innerhalb der ICCAT nicht im Wege stehen. |
|
3.5. |
In Artikel 54 und 55 werden in Bezug auf Umladungen auf See ICCAT-Ausnahmen für Langleinenfänger eingeführt. Für die EU-Flotte sollte jedoch als allgemeine Regel die Umladung in Häfen gelten. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Verordnung (EU) Nr. 1380/2013.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/144 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung)“
(COM(2016) 270 final — 2016/0133(COD)),
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Asylagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 439/2010“
(COM(2016) 271 final — 2016/0131(COD)),
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der [Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist], für die Feststellung der Identität illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten (Neufassung)“
(COM(2016) 272 final — 2016/0132(COD))
(2017/C 034/24)
|
Berichterstatter: |
José Antonio MORENO DÍAZ |
|
Befassung |
Rat der Europäischen Union, 15.6.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 270 final — 2016/0133 (COD)), (COM(2016) 271 final — 2016/0131 (COD)), (COM(2016) 272 final — 2016/0132 (COD)) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
27.9.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung am |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
215/1/4 |
1. Schlussfolgerungen
|
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hält eine wirksame und effiziente Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und eine Verbesserung der legalen Wege zur Einreise in die Europäische Union hinsichtlich der Achtung der Rechte derer, die unter Verfolgung leiden, für unabdingbar. |
|
1.2. |
In diesem Sinne sollte ein echtes gemeinsames, verpflichtendes System für alle Mitgliedstaaten vorgeschlagen werden, um sämtliche einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu harmonisieren oder — falls dies nicht möglich ist — zumindest ein gemeinsames System zur gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten einzuführen, durch das ein echtes Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) ermöglicht würde. |
|
1.3. |
In jedem Fall begrüßt der EWSA den Vorschlag, die Feststellungsverfahren im Interesse der Effizienz zu verbessern und zu beschleunigen, ist aber der Auffassung, dass Bestimmungen mit Garantien in Bezug auf Verfahrensfragen, die individuelle Behandlung der Anträge, die Beibehaltung von Ermessensklauseln, die Beibehaltung der Frist für die Beendigung der verpflichtenden Übernahme durch einen Mitgliedstaat, die Rechte der Antragsteller und die Beschränkung auf einen Korrekturmechanismus für die Zuweisung präzisiert bzw. eingeführt werden sollten. |
|
1.4. |
Es ist notwendig, die Kohärenz der in der Verordnung vorgeschlagenen Bestimmungen mit den vorhandenen einschlägigen Prognosen und den Maßnahmen in diesem Bereich, die die Europäische Kommission als Teil der wesentlichen Umgestaltung des GEAS entwickeln möchte, sowie die Kohärenz mit anderen Politikbereichen der EU sicherzustellen. |
|
1.5. |
Alle Mitgliedstaaten müssen dafür Verantwortung tragen, dass die Antragsteller genaue und aktuelle Informationen über die Verfahren im Rahmen des Dublin-Systems im Einklang mit den in Artikel 4 festgelegten Kriterien erhalten. |
|
1.6. |
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden, um die tatsächliche Nachhaltigkeit des Systems zu fördern, was den raschen Zugang der Antragsteller zum Asylverfahren und die Fähigkeit der Behörden der Mitgliedstaaten zur Anwendung dieses Systems betrifft. |
2. Hintergrund
|
2.1. |
Am 6. April 2016 hat die Europäische Kommission eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie auf die Mängel bei der Konzeption und Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (insbesondere der Dublin-Bestimmungen) hinweist und fünf vorrangige Bereiche zur Verbesserung der Situation vorschlägt. |
|
2.2. |
Die Kommission schlägt vor, das GEAS zu überarbeiten und ein gerechteres, wirksameres und nachhaltigeres System zu schaffen, was durch eine Änderung der derzeitigen Verordnung Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, geschehen soll. |
|
2.3. |
Die Kommission stellt fest, dass das Dublin-System nicht konzipiert wurde, um eine langfristig tragfähige, gerechte und wirksame Aufteilung der Verantwortung in Bezug auf internationalen Schutz beantragende Personen in der gesamten EU zu gewährleisten. Das sog. Dublin-System hat weder angemessen noch auf einheitliche Weise funktioniert: Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass im Falle massiver Migrationsströme eine kleine Zahl von Mitgliedstaaten eine große Zahl von Anträgen auf internationalen Schutz prüfen muss, was mitunter zu einer Zunahme der Verstöße gegen die Asylstandards der EU führt. |
|
2.4. |
Zur Behebung dieser Mängel schlägt die Kommission vor, die Verordnung mit folgenden Zielsetzungen zu ändern:
|
3. Bewertung
3.1. Vorgeschlagene Dublin-Kriterien zur Festlegung der Zuständigkeit eines Mitgliedstaats
In der derzeitigen Verordnung Nr. 604/2013 bezieht sich das umfassendste allgemeine Kriterium zur Festlegung der Überstellung auf die Dokumentation und den Ort der Einreise, wodurch es in großem Maße zu einem Zuständigkeitsübergang auf die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen kommt. Die Daten, die im Eurodac und im Visa-Informationssystem (VIS) gespeichert sind, werden von den meisten Mitgliedstaaten als Beweise akzeptiert. Allerdings werden sie gelegentlich als nicht beweiskräftig genug angesehen.
Dem Vorschlag zufolge wird das Kriterium zur Festlegung des Mitgliedstaats nur einmal angewendet, und gemäß Artikel 9 muss ein Asylsuchender in dem Mitgliedstaat der Ersteinreise den Antrag stellen, egal ob es sich um eine irreguläre Einreise oder einen legalen Aufenthalt handelt. Bei den Rangfolge-Kriterien in Artikel 10 bis 17 gelten weiterhin ähnliche Bestimmungen:
|
3.1.1. |
Minderjährige: In dem Vorschlag wird an den bisherigen Erwägungen festgehalten, aber nur für unbegleitete Minderjährige, die internationalen Schutz beantragen. |
|
3.1.2. |
Familienangehörige: Im Vorschlag wird der Begriff „Familienangehörige“ in zweifacher Hinsicht erweitert: Darunter fallen jetzt auch Geschwister sowie Familien, die vor der Ankunft in einem Mitgliedstaat gegründet wurden — und nicht notwendigerweise im Herkunftsland, so wie in der Dublin-III-Verordnung vorgesehen. Beide Aspekte sind von herausragender Bedeutung. Der Ausschuss unterstreicht insbesondere die Fälle der Schutzlosigkeit, die de facto entstehen, wenn Geschwister nicht als „Familienangehörige“ angesehen werden. Davon sind häufig unbegleitete Minderjährige betroffen, deren einzige familiäre Bindungen in einem Mitgliedstaat ihre Geschwister sind. |
|
3.1.3. |
Aufenthaltstitel oder Visum: In dem Vorschlag wird daran festgehalten, dass ein Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz im Falle der Ausstellung entsprechender Dokumente zuständig ist. Allerdings werden Bestimmungen eingeführt, um die Zuständigkeitskriterien zu klären. |
|
3.1.4. |
Irreguläre Einreise durch einen Mitgliedstaat: Im Vorschlag werden die Bestimmungen über die Beendigung der Zuständigkeit zwölf Monate nach dem illegalen Grenzübertritt gestrichen. |
|
3.1.5. |
Ermessensklauseln: Der Vorschlag schränkt den Spielraum der Mitgliedstaaten ein und sieht nur die Möglichkeit vor, dass sie auf der Grundlage von verwandtschaftlichen Beziehungen, die nicht in der Definition der Einheit der Familie berücksichtigt sind, die Zuständigkeit für einen Antrag auf internationalen Schutz übernehmen, der nicht in ihre Zuständigkeit fällt. |
|
3.1.6. |
Der Vorschlag sieht keine Änderung im Bereich abhängiger Personen vor. Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch Kinder, Geschwister oder Elternteile angewiesen, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, bzw. sind diese Personen auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, sorgt der Mitgliedstaat für eine Zusammenführung mit dem Antragsteller, sofern die Bindungen bereits im Herkunftsland bestanden, die Betroffenen diese Unterstützung leisten können und dies schriftlich bekunden. |
3.2. Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist
|
3.2.1. |
Der Vorschlag zur Überarbeitung der Dublin-Verordnung hat zum Ziel, ein gerechteres und nachhaltigeres System zu schaffen, indem das Verfahren vereinfacht und die Wirksamkeit verbessert wird. Allerdings sind die vorgeschlagenen Änderungen nicht immer der Erreichung dieses Ziels dienlich. Artikel 3 des Vorschlags sieht vor, die Kriterien für die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz anzuwenden, bevor der zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird, ohne zu prüfen, ob Familienangehörige bereits in einem anderen Mitgliedstaat aufhältig sind oder die Bedürfnisse von Minderjährigen zu berücksichtigen sind. Die Zulässigkeitskriterien, die im Vorfeld beurteilt werden können, beziehen sich auf die Begriffe sicheres Drittland, erstes Asylland und sicheres Herkunftsland sowie den juristisch nicht definierten Begriff Gefahr für die Sicherheit. Der Vorschlag umfasst Änderungen an den Fristen, die erheblich verkürzt werden, und sieht die Beschleunigung der Rückübernahmeverfahren vor. |
|
3.2.2. |
In dem Vorschlag werden die im derzeitigen Artikel 19 beschriebenen Fälle der Beendigung der Zuständigkeit (namentlich wenn der Antragsteller das Hoheitsgebiet der EU für mindestens drei Monate freiwillig verlassen hat oder abgeschoben wurde) gestrichen. Dies bedeutet, dass derselbe Mitgliedstaat für einen Antrag zuständig ist, der zu einem beliebigen Zeitpunkt gestellt wurde, auch wenn der Antragsteller für längere Zeit in sein Herkunftsland zurückgekehrt ist, sich seine persönlichen und familiären Umstände in diesem Zeitraum geändert haben oder sich die Bedingungen dieses Mitgliedstaats wesentlich verändert haben. |
3.3. Verfahrensgarantien und Achtung der Grundrechte bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats
|
3.3.1. |
Recht auf Information: Mit Artikel 6 Absatz 1 wird das Recht auf Information der Personen, die internationalen Schutz beantragen und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staats unterliegen, gestärkt, wobei präzisiert wird, welche Informationen bereitzustellen sind. |
|
3.3.2. |
Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf: In Artikel 27 des Vorschlags ist vorgesehen, dass die Unterrichtung des Antragstellers über die Entscheidung der Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat schriftlich und unverzüglich erfolgen muss und dass der Betroffene gegen diese Entscheidung Rechtsbehelfe einlegen kann. Artikel 28 garantiert die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Überstellungsentscheidungen für Personen, die internationalen Schutz beantragt haben. Für das Überprüfungsverfahren werden Fristen festgelegt, die allerdings zu kurz sind (nur sieben Tage für die Einlegung des Rechtsbehelfs). |
|
3.3.3. |
Recht auf Freizügigkeit und Inhaftierung von Antragstellern, die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats unterliegen: Mit Artikel 29 des Vorschlags werden die Verfahrensfristen für inhaftierte Antragsteller um die Hälfte verkürzt. Darüber hinaus wird der Zeitraum für die Durchführung der Überstellung von sechs auf vier Wochen verkürzt; sonst erfolgt die Freilassung. |
3.4. Pflichten und Sanktionen
|
3.4.1. |
In dem Vorschlag werden die Pflichten der Personen, die internationalen Schutz beantragen, explizit aufgeführt:
|
|
3.4.2. |
Bei Verstößen sind nach Artikel 5 einige unverhältnismäßige Konsequenzen bezüglich Verfahren und Aufnahme vorgesehen, die im Widerspruch zu den Normen der derzeitigen Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU) und der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) sowie zur EU-Grundrechtecharta stehen:
|
3.5. Korrekturmechanismus für die Zuweisung
Angesichts einer möglicherweise unverhältnismäßig hohen Zahl von Anträgen, die ein einzelner Mitgliedstaat nach den vorgenannten Kriterien bearbeitet, wird ein Korrekturmechanismus eingerichtet. Zur Beurteilung einer solchen Situation wird auf der Grundlage des BIP und der Bevölkerungsgröße ein Referenzwert für die Zahl von Anträgen und Umsiedlungen berechnet, die jeder Mitgliedstaat bewältigen kann. Wenn die Zahl der Anträge mehr als 150 % über dem Schwellenwert liegt, tritt automatisch der Korrekturmechanismus in Kraft. Dann werden die Personen, die internationalen Schutz beantragen, von dem betreffenden Mitgliedstaat (begünstigter Staat) auf andere, weniger belastete Mitgliedstaaten (Zuweisungsmitgliedstaaten) verteilt.
3.6. Stärkung des Eurodac-Systems
Der Vorschlag der Kommission umfasst die Anpassung des Eurodac-Systems. Ziel ist es, das 2000 geschaffene System zu verbessern und eine europäische Datenbank einzurichten und einzusetzen, in der die Fingerabdrücke von Personen, die internationalen Schutz beantragen, sowie verschiedener Kategorien von illegal aufhältigen Einwanderern gespeichert werden. Dieses System soll die Anwendung der Dublin-Verordnung erleichtern, da damit bestimmt werden kann, über welchen Mitgliedstaat eine Person, die internationalen Schutz beantragt, zuerst in die EU eingereist ist. Der Vorschlag sieht die Möglichkeit vor, den Handlungsspielraum zu erweitern sowie Daten von Drittstaatsangehörigen aufzunehmen und zu speichern, die nicht internationalen Schutz beantragen und sich irregulär in der EU aufhalten.
3.7. Neues Mandat für die EU-Asylagentur
Die Kommission schlägt vor, das Mandat des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) zu ändern, um das Funktionieren des gemeinsamen europäischen Asylsystems und der Dublin-Verordnung zu erleichtern.
Die Kommission erwägt die Umgestaltung des Unterstützungsbüros durch die Erweiterung seines Mandats mit dem Ziel, seinen Aufgabenumfang zu erweitern und die Überwachung der wirksamen Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu gewährleisten.
4. Besondere Empfehlungen
4.1. Unbegleitete Minderjährige
Die Bestimmungen stehen angesichts der zahlreichen Fälle unbegleiteter Minderjähriger, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang zum Verfahren zur Beantragung von internationalem Schutz haben, im Widerspruch zum übergeordneten „Wohl des Kindes“. Auch wird die Prüfung ihrer individuellen Bedürfnisse nicht gewährleistet.
4.2. Irreguläre Einreise durch einen Mitgliedstaat
Die Streichung der Bestimmungen über die Beendigung der Zuständigkeit zwölf Monate nach dem illegalen Grenzübertritt scheint nicht im Einklang mit einem der vorrangigen Ziele der Überarbeitung zu stehen, nämlich der Gewährleistung einer nachhaltigen Verteilung der Zuständigkeiten und eines gerechteren Systems. Die Streichung der Zuständigkeitsbeendigung bietet den Mitgliedstaaten an den Außengrenzen diese Gerechtigkeit nicht.
4.3. Ermessensklauseln
|
4.3.1. |
Der EWSA ist mit der Beschränkung der Klausel ausschließlich auf Fälle verwandtschaftlicher Beziehungen, die nicht unter die Definition des Begriffs „Familienangehörige“ fallen, nicht einverstanden, da unbedingt berücksichtigt werden muss, dass es in einigen Mitgliedstaaten zu Funktionsstörungen kommen kann, und zwar nicht nur quantitativer Natur hinsichtlich der Zahl der Personen, die internationalen Schutz beantragen, sondern auch qualitativer Art hinsichtlich der Aspekte im Zusammenhang mit der effektiven Anwendung der Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes in Bezug auf den Zugang zum Asylverfahren für Personen, die internationalen Schutz beantragen, Informationen und Beratung, Verfahrensgarantien sowie spezifische Verfahren für Personen mit entsprechenden Bedürfnissen. Auch die Neufassung der Richtlinie 2013/33/EU über Aufnahmebedingungen enthält gemeinsame Vorschriften, die für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in allen Mitgliedstaaten vergleichbare Lebensbedingungen garantieren und die uneingeschränkte Achtung ihrer Grundrechte sicherstellen sollen. |
|
4.3.2. |
Es kann zu Situationen kommen, in denen ein Mitgliedstaat nicht in der Lage ist, die Einhaltung der in den vorgenannten Richtlinien enthaltenen Bestimmungen zu gewährleisten. Festzuhalten ist deshalb am Wortlaut der Dublin-III-Verordnung in Bezug auf die Entscheidung eines Mitgliedstaats zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz, der ihm vorgelegt wird, auch wenn er für die Prüfung nicht zuständig ist. |
|
4.3.3. |
Darüber hinaus ist zu bedenken, dass viele Personen, die internationalen Schutz beantragen, schwer krank und/oder schwer behindert sind und keine familiären Bindungen in einem Mitgliedstaat haben: Aufgrund ihrer besonderen Situation können sie aus medizinischen Gründen jedoch nicht in den zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden. Dadurch ergibt sich ein Abhängigkeitsverhältnis vom Mitgliedstaat, in dem sie ihren Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben. Diese Fälle gilt es bei der Neuformulierung der Ermessensklauseln zu berücksichtigen. |
|
4.3.4. |
Die Zuständigkeitsübernahme aus humanitären oder kulturellen Gründen muss unbedingt beibehalten werden, um sicherzustellen, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen und im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU besonders schutzbedürftig sind, die gebührende Aufmerksamkeit sowie eine ihren speziellen Umständen entsprechende besondere Behandlung erhalten. |
4.4. Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist
|
4.4.1. |
Eine Prüfung der Zulässigkeit, ohne im Vorfeld zu ermitteln, ob in einem anderen Mitgliedstaat Familienangehörige aufhältig sind oder ob die Bedürfnisse von Minderjährigen zu berücksichtigen sind, kann — falls diese Prüfung zur Unzulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz führt — im Widerspruch zum Recht auf Familienleben gemäß Artikel 7 der EU-Grundrechtecharta und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention stehen. |
|
4.4.2. |
Die automatische Anwendung der Begriffe sicheres Drittland, erstes Asylland und sicheres Herkunftsland sowie der juristisch nicht definierte Begriff Gefahr für die Sicherheit können zu Diskriminierung je nach Staatsangehörigkeit oder Fluchtrouten führen. Darüber hinaus greift gemäß Artikel 3 Absatz 3 im Falle des sicheren Herkunftslands und der Gefahr für die Sicherheit ein beschleunigtes Verfahren. Diese beschleunigte Bearbeitung darf infolge des knappen Zeitrahmens keinesfalls die Verfahrensgarantien beeinträchtigen. Sie darf außerdem nicht dazu führen, dass diese Anträge auf internationalen Schutz nicht einzeln geprüft werden, was gemäß Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 2013/32/EU unzulässig ist. |
|
4.4.3. |
Artikel 33 des Vorschlags führt nicht zu Verbesserungen hinsichtlich der Informationsübermittlung zwischen den Mitgliedstaaten über schutzbedürftige Personen sowie medizinische und andere Besonderheiten der Antragsteller, die überstellt werden sollen, auch wenn es sich dabei um einen der gravierendsten Mängel handelt, die bei der praktischen Umsetzung des Dublin-Systems festgestellt wurden. |
|
4.4.4. |
Die Bestimmung zur Beendigung der Zuständigkeit im Fall, dass der Antragsteller das Hoheitsgebiet der EU für mindestens drei Monate freiwillig verlassen hat oder abgeschoben wurde, kann zu Situationen führen, in denen die familiären Bindungen, die im Herkunftsland entstanden sind, nach einem ersten Antrag auf internationalen Schutz in der EU nicht berücksichtigt werden oder dass zum Zeitpunkt der zweiten Beantragung die Aufnahme- und Verfahrensbedingungen in dem Mitgliedstaat nicht gewährleistet sind, die bei der ersten Beantragung erfüllt waren. |
4.5. Verfahrensgarantien
|
4.5.1. |
In Bezug auf das Recht auf Information wird in der Bestimmung über die Vermittlung von Informationen mithilfe einer Broschüre nicht berücksichtigt, dass diese Broschüre in den meisten Mitgliedstaaten nur allgemeine Auskünfte in einer für die Antragsteller nicht oder kaum verständlichen Sprache enthält. Entsprechende Informationen müssen bereits während des Gesprächs bereitgestellt werden. |
|
4.5.2. |
Bezüglich des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf ist der EWSA der Auffassung, dass sich dieser Rechtsbehelf nicht lediglich auf die drei beschriebenen Fälle beschränken sollte, da dadurch der Zugang zu wirksamem Rechtsschutz eingeschränkt würde:
|
|
4.5.3. |
In Bezug auf das Recht auf Freizügigkeit und die Möglichkeit der Inhaftierung von Antragstellern, die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats unterliegen, bringt die Beschränkung der Inhaftierungszeit (auf zwei Wochen) keine Neuerungen in der Frage, in welchen Ausnahmefällen die Inhaftierung anzuordnen ist. Aufgrund der von der Kommission selbst festgestellten unterschiedlichen staatlichen Methoden sollten klare und genaue Kriterien für den Ausnahmecharakter der Inhaftierung sowie die Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme festgelegt werden. |
4.6. Korrekturmechanismus für die Zuweisung
|
4.6.1. |
Der Rückgriff auf einen so hohen Wert (150 % der Kapazität des betreffenden Mitgliedstaats) kann die Aufnahme- und Verfahrensbedingungen gefährden, mit denen die Personen, die internationalen Schutz beantragen, konfrontiert sind, zumal sie sich bereits in diesem Staat aufhalten, bis der Wert erreicht ist. Wenn den Kriterien entsprechend eine Aufnahmekapazität festgelegt wurde, erscheint es logisch, den Korrekturmechanismus in Kraft zu setzen, sobald diese Kapazität überstiegen ist, und nicht zu warten, bis der Wert von 150 % erreicht ist. Damit dieser Mechanismus effektiv ist, sollten von der Zuweisung alle Personen erfasst werden, die zur Beantragung von Asyl berechtigt sind, unabhängig von ihrem Herkunftsland. |
|
4.6.2. |
Der Mechanismus kommt vor der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Tragen. Diese erfolgt später durch den Mitgliedstaat, dem die Betroffenen zugewiesen wurden. Mithin kann eine Person, die internationalen Schutz beantragt, nachdem sie vom begünstigten Mitgliedstaat in den Zuweisungsmitgliedstaat überstellt wurde, erneut in einen dritten Mitgliedstaat überstellt werden, in dem sich ihre Familienangehörigen aufhalten. Das hat eine mangelnde Effizienz des Systems und größere Verzögerungen beim Zugang zum Verfahren zur Bestimmung des internationalen Schutzstatus zur Folge. |
|
4.6.3. |
Da es sich um einen automatisch greifenden Mechanismus handelt, werden weder die individuellen Umstände der Personen, die internationalen Schutz beantragen, noch ihre besonderen Bedürfnisse (z. B. Schutzbedürftigkeit) berücksichtigt, die ihre Überstellung in den Zuweisungsmitgliedstaat nicht angezeigt erscheinen lassen können. |
|
4.6.4. |
Internationalen Schutz beantragende Personen, die vor Inkrafttreten dieser Neufassung eingereist sind, werden von dem Korrekturmechanismus nicht erfasst. Von der Zuweisung ausgeschlossen bleiben die Antragsteller, die vor der Anwendung der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß Artikel 3 nicht zugelassen wurden, sowie Antragsteller, die in einen Mitgliedstaat eingereist sind, bevor der Wert von 150 % der Aufnahmekapazität erreicht wurde. Dies alles kann das letztendliche Ziel des Mechanismus verwischen und hat nur eine sehr begrenzte Wirkung auf die Verteilung der Zuständigkeiten für die Prüfung der Anträge und auf die Aufnahme. |
|
4.6.5. |
Dass die Mitgliedstaaten sich vom Korrekturmechanismus freikaufen können, indem sie eine bestimmte Summe für jede internationalen Schutz beantragende Person zahlen, die ihrem Hoheitsgebiet nicht zugewiesen wird, kann zu Diskriminierung führen: Auf diese Weise können die Mitgliedstaaten unter dem Aspekt der Religions-, Volks- oder Staatszugehörigkeit entscheiden, welche internationalen Schutz beantragenden Personen sie ins Land lassen und welche nicht. |
4.7. Eurodac-System
Bei allen Initiativen zur Anpassung der Verordnung müssen die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen im Hinblick auf die Sensibilität der gespeicherten Daten begründet werden, insbesondere in Bezug auf die Personen, die internationalen Schutz beantragen, und die Vertraulichkeit des Verfahrens.
4.8. Mandat der EU-Asylagentur
Der EWSA begrüßt die vorgelegten Vorschläge, da die angestrebten Ziele seit der Gründung des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) nicht erreicht wurden. Seiner Auffassung nach sollte in dem neuen Vorschlag die Rolle des bereits bestehenden Forums zur Konsultation der Organisationen gestärkt und weiterentwickelt werden, dessen Möglichkeiten in der Praxis stark eingeschränkt sind. Die künftige Agentur muss sich auf die Informationen der betreffenden Organisationen stützen wie auch auf die Arbeit, die diese in den einzelnen Mitgliedstaaten leisten, um die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und seine Umsetzung zu überwachen.
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/151 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine EU-Strategie für die Wärme- und Kälteerzeugung“
(COM(2016) 51 final)
(2017/C 034/25)
|
Berichterstatterin: |
Baiba MILTOVIČA |
|
Befassung |
Europäische Kommission, 16.2.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 51 final) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
6.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
229/3/3 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Eine Strategie für die sich tagtäglich unmittelbar auf alle EU-Bürger auswirkende Wärme- und Kälteerzeugung ist längst überfällig und sehr zu begrüßen. Wenn vorbildliche Verfahren eingesetzt werden und ein kohärenter politischer Rahmen geschaffen und durch die zur Verfügung stehenden Finanzmittel gestützt wird, sind europaweit zahlreiche Verbesserungen möglich. |
|
1.2. |
Diese umfassende EU-Strategie ist äußerst ehrgeizig. Es wird davon ausgegangen, dass die Verwirklichung der Klima- und Energieziele der EU in erheblichem Maße von der wirksamen und kohärenten Umsetzung dieser Strategie auf Ebene der Mitgliedstaaten abhängen wird. In der Strategie wird darauf hingewiesen, dass eine Stärkung der Rolle der erneuerbaren Energieträger bei der Wärme- und Kälteerzeugung der bedeutendste Einzelfaktor für die Erreichung mittel- und langfristiger Ziele sein könnte und als solcher im laufenden Programm der Energieunion anerkannt werden sollte. |
|
1.3. |
Der EWSA schlägt deshalb vor, in den Jahresbericht über die Lage der Energieunion einen spezifischen Abschnitt über die im Zusammenhang mit dieser Strategie erzielten Fortschritte aufzunehmen. |
|
1.4. |
Der EWSA würdigt die Bemühungen der Kommission um die Ermittlung und Zusammenstellung der bezüglich Wärme- und Kälteerzeugung relevanten Daten, die von entscheidender Bedeutung sind. Eurostat sollte Arbeiten an einer umfassenderen Datensammlung — insbesondere in Bezug auf die für die Wärmeerzeugung verbrauchte Energie — den Vorrang geben. |
|
1.5. |
Den Verbrauchern kommt eine maßgebliche Rolle für den Erfolg einer umfassenden Strategie zu, und der EWSA plädiert nachdrücklich für die Weiterverfolgung seines Vorschlags für einen übergreifenden europäischen Energiedialog, um die Verbraucher nachhaltig zu sensibilisieren und ihnen klare Anreize für Verhaltensänderungen zu geben. Diese Anreize sollten finanzieller Art sein und gleichzeitig die positiven sozialen Auswirkungen der vielen in der Strategie enthaltenen Maßnahmen unterstreichen sowie sich an schutzbedürftige Personen und von Energiearmut betroffene Menschen richten. |
|
1.6. |
Der Ausschuss empfiehlt dringend eine vergleichende Analyse der Projekte im staatlichen und privaten Sektor, die der Unterstützung effizienter und CO2-armer Wärme- und Kälteerzeugungsprogramme dienen. |
|
1.7. |
Auf regionaler und kommunaler Ebene müssen in allen Mitgliedstaaten neue, auf die vorgeschlagene Strategie abgestimmte Stadtplanungskonzepte eingeführt werden, um einen Erfolg der Strategie sicherzustellen. Der EWSA unterstreicht in diesem Zusammenhang die Rolle des Bürgermeisterkonvents. |
|
1.8. |
Die übergeordneten EU-Energie- und Klimaziele müssen in konkrete Beiträge der Mitgliedstaaten übersetzt werden, die im Rahmen nationaler Aktionspläne bspw. in Form von sektorbezogenen Fünfjahreszielen mit spezifischen Messgrößen für Wärme- und Kälteerzeugung zu verwirklichen sind. |
2. Einleitung
|
2.1. |
Die Strategie für die Wärme- und Kälteerzeugung stellt die erste spezifische EU-weite Bewertung für den Sektor als Ganzes dar. Auf die Wärme- und Kälteerzeugung entfallen etwa 50 % des gesamten Energieverbrauchs der EU und sie wird auch langfristig weiterhin den größten Anteil an der Energienachfrage haben, wobei die Beheizung von Gebäuden den größten Einzelposten ausmacht. Die Gebäudeheiztechnik wird dank ihrer Nachhaltigkeit ausschlaggebend dafür sein, ob die EU ihre mittel- und langfristigen Klima- und Energieziele erreichen kann. Die Raumheizung und die Warmwassererzeugung in Gebäuden haben derzeit mit den größten Anteil am Energieverbrauch in diesem Bereich — und ihr CO2-Ausstoß lässt sich am schwersten senken. Derzeit werden Gebäude vor allem mit direkt zugeführter Energie aus fossilen Brennstoffen beheizt, was Sicherheits- und Emissionsprobleme vor Ort mit sich bringt. |
|
2.2. |
Alle Bereiche der Zivilgesellschaft sind betroffen. Der Energiebedarf der meisten Großbetriebe der Verarbeitungsindustrie mit in der Regel hoher Wärmezufuhr wirkt sich unmittelbar auf deren Wettbewerbsfähigkeit aus; Kühlung ist großenteils in der Lebensmittelverarbeitungs-, -vertriebs-, -einzelhandels- und -lagerungskette wesentlich, während die Kosten und die Wirksamkeit der Wohngebäudebeheizung und -kühlung für alle von Belang sind. |
|
2.3. |
In den Mitgliedstaaten geben immer mehr Haushalte einen hohen Einkommensanteil für Energie aus, wodurch die Energiearmut zunimmt. Insbesondere ältere Menschen, schutzbedürftige Personen und Geringverdiener sind hiervon bedroht und der EWSA hat vorgeschlagen, eine Beobachtungsstelle für Energiearmut einzurichten, um dieses Problem zu analysieren und zu lösen (1). Um wirksame Ergebnisse zu erzielen, müssen einschlägige soziale, finanzielle und technische Maßnahmen ineinandergreifen. Mehr Gewicht auf der Erhebung zuverlässiger Daten zur Wärmeerzeugung wird der Bekämpfung der Energiearmut förderlich sein. |
|
2.4. |
Wärme und Kälte als solche lassen sich nicht leicht und auf wirtschaftliche Weise transportieren. Dies führt zu stark lokal ausgerichteten und fragmentierten „Märkten“. Auf die Kühlung entfallen insgesamt nur 5 % des Energiebedarfs, auf die Wärmeerzeugung hingegen 95 %, wobei der Heizwärmeverbrauch erheblich über der Kälteerzeugung liegt, auch wenn der Kühlung in den wärmeren Mitgliedstaaten große Bedeutung zukommt. Kapitalinvestitionen in Heiz- und Kühlsysteme sind eher mittel- bis langfristig ausgerichtet, die technologische Entwicklung und die Innovation in dieser Branche ist jedoch rasant. |
|
2.5. |
Der EWSA hat in früheren Stellungnahmen (2) ein integriertes und kohärentes politisches Konzept im gesamten Energiesektor gefordert und darüber hinaus eine größere Rolle — und einen Dialog mit — der Zivilgesellschaft bei diesen Fragen. Im Paket zur Energieunion wurde dies nun offiziell zur Priorität erhoben, und die Einstufung der Wärme- und Kälteerzeugung als wichtiger Wirtschaftszweig macht es möglich, Bezüge zwischen den zahlreichen derzeit auszuarbeitenden klimaschutz- und energiebezogenen Legislativpaketen herzustellen und für Einheitlichkeit zu sorgen. |
3. Überblick über die Kommissionsmitteilung und Bemerkungen
|
3.1. |
In der Mitteilung wird das Potenzial des Sektors bewertet, zu den strategischen Klima- und Energiezielen der EU beizutragen; sie wird von einem Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen begleitet, das eine analytische und wissenschaftliche Grundlage bietet. Mit der Mitteilung soll die Wärmeerzeugung als ein Politikbereich im Zusammenhang mit der Energieeffizienz in den Vordergrund gestellt werden. Es soll eine sachliche und konsensorientierte Debatte darüber sowie über die damit zusammenhängenden Themen Senkung der Energienachfrage und Dekarbonisierung angestoßen werden. |
|
3.2. |
Dieser strategische Rahmen umfasst vier Aktionsschwerpunkte. Die Wärmeeffizienz von Gebäuden, effiziente und nachhaltige Heiztechnik, Einbeziehung des ungenutzten Potenzials der Industrie bei gleichzeitiger Verbesserung ihrer Effizienz und größere Synergien mit dem Elektrizitätssystem, bei dem Wärmepumpen und andere Systeme für erneuerbare Energie eine wichtige Rolle spielen. Es werden viele mögliche Maßnahmen beschrieben, detaillierte Lösungen werden allerdings Bestandteil des die Energieunion umfassenden Pakets zur Überprüfung der Rechtsvorschriften sein. |
|
3.3. |
Die dominante Vorstellung ist es, die CO2-Emissionen der Gebäude durch Renovierung und effizientere Heiz- und Kühlsysteme zu senken, das Fernwärmenetz auszubauen und von fossilen Brennstoffen auf CO2-arme Energiequellen umzustellen. Wohngebäude machen den größten Teil des Gebäudebestands in Europa aus, wobei 60 % bis 70 % des Gebäudebestands in der EU aus dem Jahr 1980 oder früher stammen und die Haushalte den größten spezifischen Verbrauch (kWh/m2/Jahr) aufweisen. Durch die geringe Gebäudesanierungsrate wird die starke finanzielle Belastung der Verbraucher noch erhöht. Die privaten Haushalte in der EU verwenden im Durchschnitt 6,4 % (COM(2014) 520 final) ihres verfügbaren Einkommens für den wohnbezogenen Energieverbrauch, davon entfallen ungefähr zwei Drittel auf Heizung und ein Drittel auf andere Zwecke. Immer mehr Haushalte haben Schwierigkeiten, ihre Energiekosten zu bestreiten. Eine erschwingliche Wärme- und Kälteerzeugung ist für den Erhalt einer guten Lebensqualität der Privatverbraucher wesentlich. |
|
3.4. |
Da nicht alle Unternehmen auf eine CO2-arme Energieversorgung umstellen können, zumal viele Unternehmen der Verarbeitungsindustrie die sich durch eine hohe Energiedichte auszeichnenden fossilen Brennstoffe benötigen, wird es wichtig sein, die Abwärme, die in einigen Industrieanlagen und Kraftwerken als Nebenprodukt anfällt, in wesentlich höherem Maße zu nutzen. In dem Arbeitspapier wird auf die Nutzung der Abwärme aus der Industrie in Fernwärmesystemen hingewiesen, ebenso auf die zunehmende Bedeutung neuer Technologien und alternativer Brennstoffe, die einen wichtigen Beitrag leisten können. |
|
3.5. |
In der Strategie werden mehrere wichtige Herausforderungen aufgezeigt. Mehr als 80 % der eingesetzten Energie stammen aus fossilen Brennstoffen, was diesen Bereich zu einem Schlüsselfaktor bei der Verringerung der CO2-Emissionen und einer Umstellung auf ein effizienteres und sichereres Energiesystem macht. Zwei Drittel der Gebäude in der EU — von denen die meisten auch 2050 immer noch genutzt werden — wurden vor der Einführung von Energieeffizienzanforderungen errichtet. Anreize für „Verbesserungen“ können durch die Eigentumsverhältnisse oder mietrechtliche Aspekte fragmentiert und durch fehlende angemessene Finanzierungsmechanismen geschwächt werden. Es mangelt an einem marktgesteuerten Wettbewerb im Wärmesektor, an Ausbildung und Fachwissen bei den Bauunternehmern und Installateuren und an Bewusstsein für die potenziellen Vorteile bei den Privatverbrauchern. Die Gebäuderenovierungsquote ist niedrig (0,4-1,2 % pro Jahr), und darüber hinaus wird Energiearmut unionsweit immer mehr zu einem Problem. |
|
3.6. |
Knapp die Hälfte aller Gebäude sind mit Heizungsanlagen mit einer Effizienz von weniger als 60 % ausgestattet, im Vergleich dazu erreicht die aktuelle Technik (bei einem Austausch nun gesetzlich vorgeschriebene) Werte von über 90 %. Darüber hinaus wirken sich Raumheizungen (fossile Brennstoffe und Biomasse) in einigen Teilen Europas stark auf die Luftverschmutzung aus. Ein erheblicher Anteil der Heizkessel hat aber seine technische Lebensdauer bereits weit überschritten. Bei der Anschaffung neuer Geräte spielen die Kosten eine große Rolle; zwar sind sie ausnahmslos rasch amortisiert, doch ist es zunächst schwer, das nötige Anfangskapital aufzubringen, insbesondere bei der Umstellung auf erneuerbare Wärmequellen wie etwa Solar- bzw. Erdwärme oder Wärmepumpen. In diesem Jahrhundert hat die Industrie dank einer höheren Energieeffizienz bereits große Einsparungen erzielt, aber insbesondere KMU haben Schwierigkeiten mit der Priorisierung und Finanzierung von Verbesserungen. |
|
3.7. |
Es wird hervorgehoben, dass sich die Fernwärme, über die derzeit in der EU 9 % der Heizwärme bereitgestellt wird, stark ausbauen und dank der Nutzung von Abwärme leichter auf erneuerbare oder gemischte Wärmequellen umstellen lässt als Privathaushalte. Ebenso ist die Kraft-Wärme-Kopplung unzureichend entwickelt und auch das Potenzial intelligenter Gebäude — Privathaushalte, Industrie oder Dienstleistungen — in Kombination mit einem intelligenten Netz bietet künftige Effizienzgewinne und den Haushalten die Gelegenheit, sich stärker als „Prosumenten“ zu beteiligen. Mit der Strategie wird indirekt zur Entwicklung der Bürgerenergie auf der Ebene der einzelnen Haushalte durch neue Wärmetechnologien und eine verstärkte Sensibilisierung angeregt. |
|
3.8. |
Es werden Instrumente und Lösungen vorgeschlagen. Eine konsequente Integration, Überarbeitung und Anwendung der EU-Instrumente im Rahmen der sich derzeit entwickelnden Initiative für die Energieunion werden die grundlegenden Bestandteile der Strategie sein. Insbesondere ist hier auf die Energieeffizienzrichtlinie, die Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, die EU-Rahmenvorschriften zum Ökodesign und zur Energieverbrauchskennzeichnung, die Richtlinie über erneuerbare Energien und das Emissionshandelssystem (EHS) zu verweisen. Die Strategie sollte zu einer wirksameren Koordinierung dieser Maßnahmen beitragen. |
|
3.9. |
Es werden spezifische Maßnahmen dargelegt, die die Kommission zur Bewältigung der genannten Herausforderungen und zur Flankierung bereits ergriffener gesetzgeberischer Maßnahmen durchführen wird. Dazu gehören die Förderung erneuerbarer Energien, die Schaffung von Anreizen für die Bürgerbeteiligung, eine intensivere Zusammenarbeit mit den Verbraucherverbänden, ein verstärktes Engagement für Innovation, beispielsweise durch den Strategieplan für Energietechnologie, und die Förderung neuer Konzepte für die Finanzierung von Maßnahmen. Die Strategie muss verbraucherorientiert sein und die Umstellung auf emissionsarme Systeme auf der Grundlage erneuerbarer Energieträger und der Nutzung von Abwärme in den Mittelpunkt stellen. |
4. Allgemeine Bemerkungen
|
4.1. |
Die Wärme- und Kälteerzeugung spielt in der Industrie, in der Lebensmittelverarbeitung und -lagerung und im Dienstleistungssektor eine wichtige Rolle. Sie wirkt sich in Form des allgemeinen Strebens nach angenehmen Lebens- und Arbeitsbedingungen auch auf jeden einzelnen EU-Bürger aus. Von den Kosten und der Verfügbarkeit von Wärme und Kühlung hängt nicht nur der Grad der Energiearmut in einer Gesellschaft ab, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Wirtschaftszweige. Deshalb begrüßt der EWSA diesen ersten strategischen Überblick über die Wärme- und Kälteerzeugung in der EU. |
|
4.2. |
In dem Dokument wird die Auffassung vertreten, dass die Umsetzung der darin beschriebenen Strategien maßgeblich zu einer Kostensenkung, einer verbesserten Energieversorgungssicherheit, einer Verringerung der Importabhängigkeit und zur Erreichung der Klimaziele beitragen wird. Der Ausschuss teilt diese Sichtweise voll und ganz, verweist jedoch auf den Umfang und die Komplexität der in der Strategie dargelegten, teilweise eventuell unterschätzten Herausforderungen, wie etwa: die beträchtlichen Anforderungen, die an die Mitgliedstaaten gestellt werden, die erforderliche Verhaltensänderung bei den Bürgern, die Wirksamkeit der Programme zur finanziellen Unterstützung, die Bekämpfung ungewisser Energiepreise und die Festlegung und Umsetzung der wirksamsten technischen Lösungen. |
|
4.3. |
In vielen Mitgliedstaaten sind die Verbraucher an Fernwärmesysteme angeschlossen, die im Hinblick auf die Kosten, die Effizienz und die Nutzung der Abwärme erhebliche Vorteile mit sich bringen können. Der EWSA fordert die EU-Institutionen auf, die klare und eindeutige Hervorhebung dieses Sektors in der Strategie anzuerkennen und die Entwicklung und Verbesserung der städtischen Fernwärmesysteme durch finanzielle Maßnahmen und Maßnahmen für die Renovierung und technische Verbesserung zu unterstützen. Durch die Modernisierung von Wärmekraftwerken können Energieeinsatz und Emissionen merklich gesenkt werden. Im Zuge der Neugestaltung des Strommarkts sollte die Anwendung der besten verfügbaren Techniken vorgeschrieben werden. Insbesondere sollten Synergieeffekte zwischen thermischer Abfallbehandlung (Waste to Energy), die umfangreiche Möglichkeiten bietet, und Fernwärme genutzt werden. |
|
4.4. |
In der Strategie könnte der Rolle der Verbraucher, insbesondere der Bedeutung von Aus- und Weiterbildung im Bereich der Verhaltensänderung, größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Insbesondere müssen die Bewohner von Mehrfamilienhäusern für Heizverbrauch und -kosten sensibilisiert werden. Für intelligente Gebäude und intelligente Wärmesysteme sind intelligente Bewohner mit aktuellen digitalen Kompetenzen vonnöten. In der Strategie wird nicht genügend Gewicht auf die Bedeutung der Verbraucher für den Erfolg einer umfassenden Strategie gelegt. Da Verbraucher dazu tendieren, gegenüber Effizienzeinsparungen dem „Komfort“ den Vorzug zu geben, und sich mitunter dagegen sträuben, ihre Lebensweise nennenswert zu ändern, um einen größtmöglichen Nutzen aus den neuen Technologien zu ziehen, sollten die Auslöser für Verhaltensänderung in diesem Sektor eingehender untersucht werden. |
|
4.5. |
In der Strategie wird deutlich, dass gezielte Finanzpakete für die Förderung der erforderlichen öffentlichen und privaten Investitionen von entscheidender Bedeutung sein werden. Der EWSA stellt fest, dass nur ein sehr geringer Anteil der von der EIB für den Energiesektor genehmigten Finanzierungen durch den Europäischen Fonds für strategische Investitionen für einschlägige Wärme- und Kälteerzeugungsprojekte bestimmt ist. Das Arbeitspapier enthält keine Beispiele oder Analysen der einschlägigen Programme in den Mitgliedstaaten, von denen nur einige erfolgreich zur Förderung von Investitionen beigetragen haben. |
|
4.6. |
Angesichts der enormen Bedeutung, die der Wärme- und Kälteerzeugung bei der Verwirklichung der Klima- und Energieziele der EU zukommt, schlägt der EWSA vor, in den Jahresbericht über die Lage der Energieunion einen spezifischen Abschnitt aufzunehmen, in dem auf der Grundlage der in Abschnitt 3 der Strategie genannten Herausforderungen die erzielten Fortschritte und das weitere Vorgehen aufgezeigt werden. Dies hätte zwei wesentliche Vorteile:
|
5. Besondere Bemerkungen
|
5.1. |
In dem begleitenden Arbeitspapier wird anhand von Daten aus zahlreichen Quellen ein Überblick darüber gegeben, wie EU-weit die Energie zur Wärme- und Kälteerzeugung eingesetzt wird. Es werden Schätzungen vorgenommen und angemessene Schlüsse gezogen, aber die Situation des Sektors entspricht im Wesentlichen derjenigen in den Jahren 2012 und 2013. Weitere Daten, die Aufschluss über die Tendenzen in den letzten zehn Jahren geben, wären hilfreich gewesen. Eurostat sollte Arbeiten an einer umfassenderen Datensammlung — insbesondere in Bezug auf die für die Wärmeerzeugung verbrauchte Energie — den Vorrang geben (3). |
|
5.2. |
Außerdem sollte darauf hingewiesen werden, dass wenn 90 % des bis 2020 vermutlich erfolgenden Anstiegs bei der für die Wärmeerzeugung genutzten Energie aus erneuerbaren Quellen auf die Nutzung von Biomasse zurückgeht, die Verringerung der durch die Biomasseverbrennung verursachten Partikel- und Gasemissionen nach wie vor eine Herausforderung darstellt. In diesem Zusammenhang werden die Ergebnisse der aktualisierten EU-Strategie für nachhaltige Bioenergie für den Zeitraum 2020-2030 von besonderer Bedeutung sein (sie soll Bestandteil des für vor Ende 2016 vorgesehenen Pakets der EU zu erneuerbaren Energien sein), wobei darin den gesundheitsschädlichen Auswirkungen einiger Bioenergieträger sowie anderen Fragestellungen Rechnung getragen werden sollte. |
|
5.3. |
Die Energiesysteme, Rechtsstrukturen, Gebäudetechnik und Geschäftsmodelle der einzelnen Mitgliedstaaten unterscheiden sich stark voneinander. Die anstehenden, für die Umsetzung der Strategie relevanten Legislativpakete sollten Spielraum für nationale Anpassungen lassen. |
|
5.4. |
Diese Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten sind anzuerkennen. Dabei muss nach der Festlegung der Zielvorgaben hinsichtlich des besten Weges zu ihrer Erreichung auf nationaler und lokaler Ebene Technologieneutralität gewahrt sein. Die große Erfahrung der Städte und lokalen Behörden mit der Aufstellung von Plänen für nachhaltige Energie, wie sie im Rahmen des Bürgermeisterkonvents kommuniziert wird, bietet wertvolle Erkenntnisse. |
|
5.5. |
In der Strategie wird vorgeschlagen, dass die Privatkundenbanken spezielle Darlehen für die Renovierung von in Privatbesitz befindlichem vermieteten Wohnraum anbieten, doch haben die Hypothekarkreditgeber in Europa (der Europäische Hypothekenverband-Europäische Rat für gedeckte Schuldverschreibungen (EMF-ECBC)) vor, Hausbesitzern, die Maßnahmen der energetischen Sanierung durchführen, ermäßigte Kredittilgungsraten sowie niedrigere Zinssätze auf Darlehen zur Finanzierung dieser Maßnahmen zu gewähren. Der EWSA fordert die europäischen Regulierungsbehörden auf, diese Initiative rasch und positiv zu berücksichtigen. |
|
5.6. |
Der Ausschuss hat in mehreren Stellungnahmen auf das Wachstum der Energiedienstleistungsunternehmen (4) und die Rolle, die sie bei der Förderung der eines breiteren Energieangebots und einer größeren Energieeffizienz für die Verbraucher spielen können, hingewiesen. Der EWSA begrüßt diesen Beitrag, drängt aber die Kommission, die Mitgliedstaaten dazu anzuhalten, für eine ordnungsgemäße Beaufsichtigung und Überwachung der Energiedienstleister oder ähnlicher privater Einrichtungen zum Schutz der Verbraucherinteressen zu sorgen. Das Vertrauen der Verbraucher in diese Dienste und andere Energieberatungsprogramme ist ein wichtiges Thema (5). |
|
5.7. |
Der EWSA begrüßt nachdrücklich das auf eine Initiative der Europäischen Kommission zurückgehende Bürgerforum „Energie“ in London und fordert eine stärkere Bürgerbeteiligung sowie eine engere Zusammenarbeit mit den europäischen Verbraucherverbänden. Die komplexen legislativen, regulatorischen, technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und die Verhaltensänderungen, die die Grundlage für die Energiewende bilden, erfordern Verständnis und Selbstverantwortung der Bürger, um umfassend greifen zu können. Im Vorschlag des EWSA für einen Europäischen Energiedialog, der diesen Zielen gerecht wird, bekommt die Bürgerbeteiligung mehr Gewicht. |
|
5.8. |
Die Strategie für Wärme- und Kälteerzeugung erfordert allem voran die Befolgung eines rigorosen und koordinierten Denkansatzes, der bei den laufenden Überprüfungen und in die aktuellen Legislativpakete übernommen werden sollte. In diesem Sinn ist es notwendig, im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie 2012/27/EU über Energieeffizienz (EED) und der Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD), der Erarbeitung der neuen Richtlinie zu erneuerbaren Energien (REDII) für den Zeitraum 2020-2030 und der aktualisierten EU-Strategie für nachhaltige Bioenergie für den Zeitraum 2020-2030 gezielt auf die wesentliche Bedeutung der Wärme- und Kälteerzeugung einzugehen und die in der Strategie vorgeschlagenen Koordinierungsmaßnahmen anzunehmen. |
|
5.9. |
Anlass zur Sorge gibt daher, dass in dem jüngst vorgelegten Vorschlag für eine Lastenverteilungsverordnung (COM(2016) 482 final) versäumt wurde, der Energieeffizienz Vorrang einzuräumen. Die osteuropäischen Mitgliedstaaten könnten über Gebäudesanierungsmaßnahmen ihre Probleme im Zusammenhang mit Umweltverschmutzung, Energieabhängigkeit und Energiearmut verringern, und über diese Verordnung könnten dafür Mittel bereitgestellt werden. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 21.
(2) ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 84; ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 56; ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 155; ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 75.
(3) ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 117.
(4) ABl. C 120 vom 20.5.2005, S. 115; ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 62; ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 134.
(5) ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 84.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/157 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten“
(COM(2016) 287 final — 2016/0151 (COD))
(2017/C 034/26)
|
Berichterstatter: |
Raymond HENCKS |
|
Befassung |
Europäische Kommission, 6.7.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 53 Absatz 1 und Artikel 62 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (COM(2016) 287 final — 2016/0151 (COD)) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
6.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung am |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
218/2/7 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der EWSA erkennt an, dass die Anpassung des europäischen Rechtsrahmens für audiovisuelle Mediendienste angesichts der Veränderungen des audiovisuellen Marktumfelds durch die Entstehung neuer Formen von Diensten, das Auftreten neuer Akteure und die Entwicklung neuer Formen des Konsums „auf Abruf“ unerlässlich ist. Er unterstützt die Kommission bei ihren Bemühungen um die Aktualisierung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD) von 2010 vorbehaltlich nachstehender Bemerkungen. |
|
1.2. |
Audiovisuelle Mediendienste dürfen nicht so behandelt werden, als hätten sie nur einen kommerziellen Wert. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Maßnahmen zum Schutz von Minderjährigen und Jugendlichen sowie die Maßnahmen zur Sicherstellung der Teilnahme von Menschen mit Behinderungen und von älteren, armen oder ausgegrenzten Menschen am sozialen und kulturellen Leben nicht wirtschaftlichen Erwägungen untergeordnet werden dürfen. |
|
1.3. |
Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass der derzeitige Artikel 7 der AVMD-Richtlinie betreffend die Sicherstellung von Barrierefreiheit gestrichen wird und durch den Vorschlag für eine Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (COM(2015) 615 final) ersetzt werden soll. Sollte der Vorschlag der Kommission nicht angenommen werden, dann müssten die Mitgliedstaaten über eine Aufwertung von Artikel 7 verpflichtet werden, u. a. Gebärdensprache, Untertitelung, Audiobeschreibung und leicht verständliche Menüführung zu fördern. |
|
1.4. |
Der EWSA begrüßt, dass die Union im Geiste der kulturellen Vielfalt die Verbreitung europäischer Werke fördert und dass die großen Anbieter von AVDM verpflichtet werden, in ihren Programmen oder Katalogen einen bestimmten Prozentsatz dieser Werke anzubieten. Er schlägt jedoch vor, die Mindestquote von 20 % für europäische Werke, die für die großen Anbieter von Video auf Abruf vorgeschrieben ist, nach dem Vorbild der Mindestquote für Fernsehübertragungsdienste auf 50 % zu erhöhen. Er schlägt ferner vor, eine Mindestquote von 20 % für Anbieter mit geringen Umsätzen oder geringen Zuschauerzahlen vorzusehen, wobei zu definieren wäre, was genau unter „geringen Umsätzen“ und „geringen Zuschauerzahlen“ zu verstehen ist. |
|
1.5. |
Der EWSA spricht sich gegen die den Mitgliedstaaten eingeräumte fakultative Möglichkeit aus, den ihrer Rechtshoheit unterworfenen Abrufdiensten sowie den außerhalb ihrer Grenzen niedergelassenen und auf Zuschauer in ihrem Gebiet ausgerichteten Diensten finanzielle Beiträge in Form von Direktinvestitionen in Werke oder Einzahlungen in nationale Filmfonds aufzuerlegen; dies könnte den Wettbewerb verfälschen, je nachdem, ob ein Mitgliedstaat diese Beiträge einführt oder nicht, und die audiovisuellen Dienste eines Mitgliedstaats benachteiligen, die für seine in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Bürger bestimmt sind. |
|
1.6. |
Was den Jugendschutz betrifft, so begrüßt der EWSA, dass mit dem Richtlinienvorschlag die für Anbieter von Videoplattformen geltenden Schutzstandards an die für Fernsehübertragungsdienste geltenden Standards angeglichen werden sollen. Er fordert jedoch, die Gelegenheit zu nutzen, um die Bestimmungen in Artikel 27 der AVMD-Richtlinie 2010/13/EU zu präzisieren, die den Mitgliedstaaten vorschreiben, dafür zu sorgen, dass Sendungen zu Zeiten, in denen sich Minderjährige im Sendebereich befinden, keinerlei Programme enthalten, die die körperliche, geistige und sittliche Entwicklung von Minderjährigen ernsthaft beeinträchtigen können. Der EWSA schlägt vor, genaue Sendezeiten festzulegen und dabei zusätzlich ein Verbot von Werbung für alkoholische Getränke vorzusehen. |
|
1.7. |
Der EWSA billigt die im neuen Artikel 6 vorgeschlagene Änderung, in der es heißt, dass audiovisuelle Mediendienste nicht zu Gewalt oder Hass gegen eine nach Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Ausrichtung definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe aufstacheln dürfen. Er macht jedoch darauf aufmerksam, dass im neuen Artikel 28 a zu Videoplattformen der Verweis auf das Geschlecht, die sexuelle Ausrichtung und eine Behinderung vergessen wurde und die verwendete Terminologie zuweilen unterschiedlich ist. Es wird vorgeschlagen, in Artikel 28 a Absatz 1 Buchstabe b die gleiche Formulierung wie in Artikel 6 zu verwenden. |
|
1.8. |
Im Rahmen des Schutzes aller Bürger vor Aufstachelung zu Gewalt oder Hass und des Schutzes von Minderjährigen vor Inhalten, die ihre Entwicklung beeinträchtigen können, befürwortet der EWSA die empfohlene Anwendung von auf Selbst- und Koregulierung beruhenden Verhaltenskodizes, sofern die Gruppe europäischer Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste (ERGA) tatsächlich eingerichtet und mit den für die wirksame Erfüllung ihrer Aufgaben — insbesondere der in Artikel 30a Absatz 3 Buchstabe c genannten Aufgabe — erforderlichen Mitteln ausgestattet wird. |
|
1.9. |
Der EWSA spricht sich gegen den Vorschlag der Kommission aus, den audiovisuellen Mediendiensten mehr Raum und mehr Flexibilität bei der Werbung auf Kosten der Verbraucher zu geben, die mit mehr Programmunterbrechungen für längere Werbeeinheiten zu Hauptsendezeiten konfrontiert sein werden. Durch diese neuen Bestimmungen für Werbeunterbrechungen können zudem die Integrität der Werke und das Urheberpersönlichkeitsrecht beeinträchtigt werden. |
|
1.10. |
Nach Meinung des EWSA versagen die Vorschriften für die Aufsicht durch die nationalen Regulierungsbehörden im Fall von Scheinunternehmen eines Mitgliedstaats, die die Satellitenkapazitäten eines Drittlands nutzen, um ein großes Publikum in einem anderen Mitgliedstaat zu erreichen. Die Vorschriften sollten überarbeitet und durch eine Bestimmung ergänzt werden, nach der ein durch einen Mitgliedstaat genehmigter Anbieter, der aber in einem anderen Mitgliedstaat audiovisuelle Dienste erbringt, den Vorschriften beider Mitgliedstaaten genügen muss. |
2. Einführung
|
2.1. |
Seit 1989 bilden europäische Vorschriften den Rahmen für die audiovisuellen Medien; mit ihnen werden die kulturelle Vielfalt und der freie Verkehr der Inhalte in der EU sichergestellt. Mit der Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste“ (AVMD-Richtlinie), die entsprechend den Entwicklungen der Technik und der Märkte wiederholt aktualisiert wurde, werden alle einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu den audiovisuellen Medien auf europäischer Ebene harmonisiert. Derzeit gilt sie für Fernsehsendungen und Videoabrufdienste (VOD). |
|
2.2. |
Die audiovisuelle Medienlandschaft verändert sich jedoch rasant durch die zunehmende Konvergenz von Fernsehen und Diensten, die über das Internet verbreitet werden. Neue Geschäftsmodelle und neue technische Kommunikationsinstrumente entstehen und neue Akteure treten auf, insbesondere Anbieter von Video auf Abruf und Videoplattformen, die audiovisuelle Dienste im Internet anbieten. |
|
2.3. |
Für Fernsehen und Videoabruf gelten unterschiedliche Vorschriften, und auch die Verbraucherschutzniveaus variieren. Die Kommission möchte daher ein besseres Gleichgewicht bei den Vorschriften erreichen, die für traditionelle Fernsehveranstalter, für Anbieter von Video auf Abruf und für Videoplattformen gelten. |
3. Inhalt des Kommissionsvorschlags
|
3.1. |
Als Teil ihrer Strategie für einen digitalen Binnenmarkt schlägt die Kommission eine Aktualisierung der AVMD-Richtlinie vor, um gerechtere Rahmenbedingungen für alle Akteure zu schaffen, die kulturelle Vielfalt in Europa und europäische Filme zu fördern, Minderjährige besser zu schützen, Hassreden und Aufstachelung zu Gewalt zu bekämpfen, die Unabhängigkeit der für audiovisuelle Medien zuständigen Regulierungsstellen zu gewährleisten und Sendeanstalten mehr Flexibilität bei der Werbung zuzugestehen. Die AVMD-Richtlinie gilt ebenfalls für Online-Plattformen sowie Videoportale und Portale für das Teilen von Inhalten. |
|
3.2. |
Die Kommission schlägt folgende Maßnahmen vor: |
3.2.1. Verantwortungsvolles Verhalten der Videoplattformen
Videoplattformen müssen Minderjährige vor schädlichen Inhalten und alle Bürger vor Aufstachelung zu Gewalt, Hass oder Rassismus schützen. Die Kommission fordert daher alle Videoplattformen auf, im Rahmen der Allianz für den besseren Schutz von Minderjährigen im Internet an einem Verhaltenskodex für die Branche mitzuarbeiten. Die nationalen Regulierungsstellen werden die Befugnis zur Durchsetzung der Vorschriften erhalten; dies kann — je nach den nationalen Rechtsvorschriften — auch Geldstrafen nach sich ziehen. Die in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr vorgesehenen Verbraucherschutzmaßnahmen werden ebenfalls für Videoplattformen gelten.
3.2.2. Stärkung der nationalen Regulierungsstellen für audiovisuelle Medien
Mit der Richtlinie wird künftig die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsstellen sichergestellt. Die Rolle der aus Vertretern aller 28 nationalen Regulierungsstellen bestehenden Gruppe europäischer Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste (ERGA) wird in den EU-Rechtsvorschriften verankert. Die ERGA wird die im Wege der Koregulierung entwickelten Verhaltenskodizes prüfen und die Kommission beraten.
3.2.3. Mehr europäische Kreativität
Die Kommission möchte, dass die Fernsehveranstalter weiterhin mindestens die Hälfte der Sendezeit für europäische Werke aufwenden, außerdem wird sie Anbieter von Abrufdiensten verpflichten, in ihren Katalogen einen Mindestanteil europäischer Inhalte von 20 % anzubieten. In dem Vorschlag wird außerdem klargestellt, dass die Mitgliedstaaten von in ihrem Land verfügbaren Abrufdiensten verlangen dürfen, einen finanziellen Beitrag zu europäischen Werken zu leisten.
3.2.4. Mehr Flexibilität für Fernsehveranstalter mit Blick auf Werbung
Die neuen Vorschriften für die audiovisuellen Medien sehen für die Fernsehveranstalter keine Verlängerung der zulässigen Gesamtwerbedauer im Zeitraum von 7.00 bis 23.00 Uhr vor, räumen ihnen aber mehr Flexibilität ein, da sie weitgehend selbst entscheiden können, wann sie Werbung platzieren. Daher wird vorgeschlagen, die stündliche Begrenzung abzuschaffen und dafür eine tägliche Höchstdauer von 20 % Werbung im Zeitraum von 7.00 bis 23.00 Uhr einzuführen. Fernsehveranstaltern und Anbietern von Abrufdiensten wird außerdem mehr Flexibilität beim Einsatz von Produktplatzierung und Sponsoring eingeräumt.
4. Allgemeine Bemerkungen
|
4.1. |
Der EWSA unterstreicht, dass er der Vielfalt der audiovisuellen Mediendienste (AVMD) große Bedeutung beimisst, die den freien Informationsfluss, die Entwicklung der Kultur und die freie Meinungsbildung unter Bedingungen fördern, die die Wahrung des Informationspluralismus sowie die kulturelle und sprachliche Vielfalt ermöglichen. |
|
4.2. |
Er begrüßt auch, dass in der vorgeschlagenen Richtlinie die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundrechte und Grundsätze berücksichtigt werden, insbesondere das Recht auf die Freiheit der Meinungsäußerung, das Recht auf unternehmerische Freiheit, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf sowie die Rechte des Kindes. |
|
4.3. |
Er unterstützt die Kommission bei ihren Bemühungen um die Aufwertung des europäischen Erbes, die Entwicklung der audiovisuellen Produktion Europas und die Stärkung der Produktion und des Umlaufs hochwertiger europäischer Programme unter Wahrung der Grundsätze der Menschenwürde und Sicherstellung eines hohen Niveaus des Jugendschutzes, des Verbraucherschutzes und des Schutzes persönlicher Daten sowie eines ausgeglichenen und fairen Wettbewerbs. |
|
4.4. |
Der EWSA erkennt an, dass die Anpassung des europäischen Rechtsrahmens für audiovisuelle Mediendienste angesichts der Veränderungen des audiovisuellen Marktumfelds durch die Entstehung neuer Formen von Diensten und neuer technischer Kommunikationsinstrumente, das Auftreten neuer Akteure und die Entwicklung neuer Formen des Konsums „auf Abruf“ unerlässlich ist. |
|
4.5. |
Angesichts der komplexen Rechtsvorschriften über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste hält es der EWSA aus Gründen der Klarheit und der Rationalität für angebracht, in einem konsolidierten Text die Änderungen und Hinzufügungen zusammenzufassen, die mit dieser Richtlinie in der Richtlinie 2010/13/EU vom 10. März 2010 über die AVMD vorgenommen werden sollen. |
|
4.6. |
Audiovisuelle Mediendienste sind wesentliche öffentliche Dienstleistungen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art sowie Träger von Werten und Sinn, die großenteils auf den Menschenrechten gründen, und dürfen nicht so behandelt werden, als hätten sie nur einen kommerziellen Wert. Dies gilt angesichts des Einflusses der audiovisuellen Mediendienste auf die Meinungsbildung der Zuschauer insbesondere für Minderjährige und Jugendliche, deren Bildung und Erziehung immer stärker von den Medien abhängt, in gleichem Maße aber auch für Menschen mit Behinderungen und ältere, arme und ausgegrenzte Menschen, die aufgefordert sind, am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen, das untrennbar mit der Bereitstellung barrierefreier und finanziell erschwinglicher Mediendienste verbunden ist. |
|
4.7. |
Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass der derzeitige Artikel 7 der AVMD-Richtlinie, der äußerst vage und wenig aussagekräftig ist, gestrichen wird und durch die Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (COM(2015) 615 final) ersetzt werden soll, die sich derzeit erst im Stadium eines Richtlinienvorschlags befindet. |
|
4.8. |
Sollte der Vorschlag der Kommission scheitern, durch einen europäischen Rechtsakt einen allgemeinen Rahmen für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen entsprechend dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu schaffen, dann müssten in einem neuen Artikel 7 der AVMD-Richtlinie strengere Rechtsvorschriften für AVMD vorgesehen werden, die die Mitgliedstaaten verpflichten, gemäß Erwägung 46 der AVMD-Richtlinie von 2010 u. a. Gebärdensprache, Untertitelung, Audiobeschreibung und leicht verständliche Menüführung zu fördern. Der EWSA unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass der Anteil zwei- oder mehrsprachiger Bürger in denjenigen Mitgliedstaaten, in denen audiovisuelle Sendungen im Allgemeinen untertitelt werden, besonders hoch ist. |
|
4.9. |
Der EWSA billigt, dass die Union im Geiste der kulturellen Vielfalt die Verbreitung europäischer Werke fördert und dass die großen Anbieter von AVDM verpflichtet werden, in ihren Programmen oder Katalogen einen bestimmten Prozentsatz anzubieten. |
|
4.10. |
Was die den großen Anbietern von Videoabrufdiensten auferlegte Mindestquote von 20 % der europäischen Werke betrifft, so erfordert diese Verpflichtung keine zusätzlichen Anstrengungen von ihnen, da die Quote bereits erfüllt ist (vgl. die Statistiken der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle). Zudem ist diese Quote gegenüber der für lineare Fernsehveranstalter geltenden Quote sehr niedrig, die weiterhin einen Mindestanteil von 50 % europäischer Werke sicherstellen müssen. Die Mindestquote für Videoabrufdienste sollte daher der für die Fernsehübertragungsdienste festgelegten Quote entsprechen. |
|
4.11. |
Der EWSA äußert Vorbehalte gegenüber der Möglichkeit, Ausnahmeregelungen hinsichtlich europäischer Werke für kleine und mittlere Unternehmen mit geringen Umsätzen oder geringen Zuschauerzahlen vorzusehen, denn dies könnte eine neue Form des unlauteren Wettbewerbs darstellen. Seines Erachtens sollte eine Mindestquote von 20 % festgelegt werden, wobei genauer auszuführen wäre, was unter „geringen Umsätzen“ und „geringen Zuschauerzahlen“ zu verstehen ist. |
|
4.12. |
Die Mitgliedstaaten können ihrer Rechtshoheit unterworfenen Abrufdiensten sowie Abrufdiensten, die außerhalb ihrer Grenzen niedergelassen und auf Zuschauer in ihrem Gebiet ausgerichtet sind, finanzielle Beiträge in Form von Direktinvestitionen in Werke oder Einzahlungen in nationale Filmfonds auferlegen. |
|
4.13. |
Der EWSA spricht sich gegen den fakultativen Charakter dieser Maßnahme aus, die, je nachdem, ob ein Mitgliedstaat diese Beiträge einführt oder nicht, einen Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften darstellen und die audiovisuellen Dienste eines Mitgliedstaats benachteiligen könnte, die für seine in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Bürger bestimmt sind. |
|
4.14. |
Was den Jugendschutz betrifft, so begrüßt der EWSA, dass im Richtlinienvorschlag die Angleichung der für Anbieter von Videoplattformen geltenden Schutzstandards an die für Fernsehübertragungsdienste geltenden Standards vorgesehen ist. Er fordert jedoch, die Gelegenheit zu nutzen, um die Bestimmungen in Artikel 27 der AVMD-Richtlinie 2010/13/EU zu präzisieren, die den Mitgliedstaaten vorschreiben, dafür zu sorgen, dass Sendungen zu Zeiten, in denen sich Minderjährige im Sendebereich befinden, keinerlei Programme enthalten, die die körperliche, geistige und sittliche Entwicklung von Minderjährigen ernsthaft beeinträchtigen können. Der EWSA schlägt vor, genaue Sendezeiten festzulegen und dabei zusätzlich ein Verbot von Werbung für alkoholische Getränke, für rezeptfreie Arzneimittel und für Lebensmittel, die Adipositas im Kindesalter fördern und deshalb schädlich sind, vorzusehen. |
|
4.15. |
Im Rahmen des Schutzes aller Bürger vor Aufstachelung zu Gewalt oder Hass und des Schutzes von Minderjährigen vor Inhalten, die ihre Entwicklung beeinträchtigen können, befürwortet der EWSA die empfohlene Anwendung von auf Selbst- und Koregulierung beruhenden Verhaltenskodizes, die so gestaltet werden müssen, das sie von den Hauptbeteiligten allgemein anerkannt werden. Damit sie in jedem Rechtssystem als gültiges Regulierungsinstrument anerkannt werden können, müssen ihre Ausgestaltung und ihr Geltungsbereich, wie der EWSA schon früher betont hat (1), durch ausdrückliche und unmissverständliche verbindliche sowie gerichtlich anwendbare Bestimmungen des zwingenden Rechts auf nationaler wie auch auf EU-Ebene definiert werden, wobei es gleichzeitig den Charakter dieser Instrumente und insbesondere die Freiwilligkeit der Vereinbarung zwischen den Parteien zu beachten gilt. In diesem Zusammenhang wird besonders die Notwendigkeit unterstrichen, die ERGA einzurichten und mit den für die wirksame Erfüllung ihrer Aufgaben — insbesondere der in Artikel 30a Absatz 3 Buchstabe c genannten Aufgabe — erforderlichen Mitteln auszustatten. |
|
4.16. |
Die Kommission möchte allen audiovisuellen Mediendiensten mehr Raum und mehr Flexibilität bei der Werbung geben. So dürfen Fernsehfilme, Kinospielfilme und Nachrichtensendungen künftig für jeden programmierten Zeitraum von mindestens 20 Minuten einmal für Fernsehwerbung und/oder Teleshopping unterbrochen werden, während dieser Zeitraum gegenwärtig bei mindestens 30 Minuten liegt; dies bedeutet, es kann künftig eine zusätzliche Unterbrechung pro Stunde geben. Außerdem wird die maximal zulässige Werbedauer pro Stunde, die derzeit bei 20 % liegt, das heißt 12 Minuten pro Stunde, durch einen täglichen Sendezeitanteil von Fernsehwerbespots und Teleshoppingspots von 20 % im Zeitraum zwischen 7.00 und 23.00 Uhr ersetzt, d. h. 192 Minuten insgesamt. Darüber hinaus sind einzeln gesendete Spots zulässig, und die Bestimmungen über Sponsoring und Produktplatzierung werden flexibler gestaltet. |
|
4.17. |
Daraus folgt, dass diese Sendungen zu den von den Fernsehveranstaltern festgelegten Zeiten unter Einhaltung der maximalen Werbedauer von 192 Minuten zwischen 7.00 und 23.00 Uhr häufiger und länger unterbrochen werden dürfen. |
|
4.18. |
Es liegt auf der Hand, dass Sendungen zu den Hauptsendezeiten künftig kontinuierlich durch Werbung unterbrochen werden, während früh am Morgen und spät am Abend kaum Werbung gezeigt wird, um den notwendigen Spielraum für die Einhaltung der Quote von 20 % Werbung täglich zu schaffen. Durch diese neuen Bestimmungen für Werbeunterbrechungen können auch die Integrität der Werke und das Urheberpersönlichkeitsrecht beeinträchtigt werden. |
|
4.19. |
Der EWSA spricht sich gegen diese neuen Regeln für die Werbung aus und fordert, die derzeit in diesem Bereich geltenden Bestimmungen beizubehalten oder, wie vom EWSA früher bereits empfohlen, sogar noch zu verstärken. |
|
4.20. |
Die Unterscheidung zwischen „linearen Diensten“ und „nichtlinearen Diensten“, die durch die digitale Entwicklung hinfällig geworden ist, könnte aufgegeben werden. |
|
4.21. |
Der EWSA befürwortet die Maßnahmen, die zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsstelle ergriffen werden, zumal in einigen Mitgliedstaaten die rechtliche und funktionale Trennung von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen nicht gewährleistet bzw. missachtet wurde. |
|
4.22. |
Nach Meinung des EWSA versagen die Vorschriften für die Aufsicht durch die nationalen Regulierungsbehörden im Fall von Scheinunternehmen eines Mitgliedstaats, die die Satellitenkapazitäten eines Drittlands nutzen, um ein großes Publikum in einem anderen Mitgliedstaat zu erreichen. Um derartige missbräuchliche Praktiken zu verhindern, empfiehlt der EWSA, die vorgeschlagene Richtlinie durch eine Bestimmung zu ergänzen, nach der ein durch einen Mitgliedstaat genehmigter Anbieter, der aber in einem anderen Mitgliedstaat audiovisuelle Dienste erbringt, den Vorschriften beider Mitgliedstaaten genügen muss. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 118.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/162 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 in Bezug auf Vorschriften für Roamingvorleistungsmärkte“
(COM(2016) 399 final — 2016/185 (COD))
(2017/C 034/27)
|
Berichterstatter: |
Raymond HENCKS |
|
Befassung |
Europäisches Parlament, 4.7.2016 Europäischer Rat, 7.7.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (COM(2016) 399 final — 2016/185 (COD)) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
6.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
224/3/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der EWSA hat sich schon immer für die Abschaffung von Roaminggebühren eingesetzt. Er unterstützt die Initiativen der Europäischen Kommission, bis zum 15. Juni 2017„Roaming zu Inlandspreisen“ (Roam-like-at-Home, RLAH) einzuführen und die Fälle von Marktversagen auf den Roamingvorleistungsmärkten zu beheben, die der Verwirklichung dieses Ziels im Wege stehen. |
|
1.2. |
Parallel zur Abschaffung der Roaminggebühren sind Präventivmaßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die Betreiber ihre durch die Abschaffung der Roaminggebühren sinkenden Einnahmen nicht durch eine Erhöhung der Inlandstarife oder andere missbräuchliche Maßnahmen wettmachen. Desgleichen muss eine größere Preistransparenz der Inlandstarife, insbesondere bei Pauschalangeboten, gewährleistet werden. Dazu sollten die Regulierungsbehörden in Zusammenarbeit mit den Verbraucherorganisationen eine Art Muster-Merkblatt mit Informationen über die Preiszusammensetzung erarbeiten. |
|
1.3. |
Der EWSA erachtet die von der Europäischen Kommission für Sprachanruf-, SMS- und Datendienste vorgeschlagenen durchschnittlichen Vorleistungspreise, die Betreiber von besuchten Mobilfunknetzen Roaminganbietern höchstens berechnen können, als vertretbar, da ausreichend Spielraum für einen gesunden Wettbewerb zwischen den Anbietern von Roamingvorleistungsdiensten bleiben dürfte. |
|
1.4. |
Der EWSA hegt indes große Bedenken in Bezug auf die neue, in dem Verordnungsvorschlag enthaltene Möglichkeit, dass die Betreiber neben den regulierten Preisen (für die eine Obergrenze gilt) eine „innovative Preisbildung auf der Vorleistungsebene“ aushandeln können, die nicht direkt an tatsächlich verbrauchte Volumina geknüpft zu sein scheint. Geschäftsverhandlungen auf der Grundlage von Pauschalzahlungen, Mindestabnahmezusagen oder Kapazitätsverträgen bergen die Gefahr von Absprachen und Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung seitens der großen Betreiber oder derjenigen Betreiber, die über ein Netz mit landesweiter Abdeckung verfügen, zulasten der kleinen Betreiber und der Betreiber virtueller Mobilfunknetze. Dadurch werden vorhandene oligopolistische Strukturen in Verbindung mit bilateralen Roamingvereinbarungen gestärkt, die die Europäische Kommission als aktuelle Fälle von Marktversagen betrachtet. |
|
1.5. |
Der EWSA befürwortet die Anregung in dem Verordnungsvorschlag, dass die nationalen Regulierungsbehörden bei Streitigkeiten zwischen Betreibern auf dem Vorleistungsmarkt gehalten sind, mit Blick auf die zu ergreifenden Maßnahmen das GEREK zu konsultieren; dies wird zu einer größeren Kohärenz der Regulierungsansätze der betreffenden nationalen Behörden führen. Der EWSA schlägt vor, die Bestimmungen zur Lösung von Streitigkeiten zu vervollständigen und die nationalen Behörden aufzufordern, dass sie ggf. die beteiligten Parteien darin bestärken, sich zunächst um eine außergerichtliche Streitbeilegung zu bemühen. |
2. Einleitung
|
2.1. |
Das Ziel der EU, Europa mittels moderner Infrastruktur und erschwinglicher Preise für die Festnetz- und Mobiltelefonie zu einem voll vernetzten Kontinent zu machen, ist u. a. an den überhöhten Roaminggebühren gescheitert, die weit über den Preisen liegen, die für dieselben Dienste innerhalb eines Landes in Rechnung gestellt werden. |
|
2.2. |
Da die wiederholten, seit 2006 von der Europäischen Kommission vorgebrachten Aufforderungen an die Mobilfunkanbieter, ihre überhöhten Roaminggebühren zu senken, nicht fruchteten, begann die EU im Jahr 2007, eine Preisobergrenze (Eurotarif) auf den Vorleistungs- und den Endkundenmärkten für zunächst intereuropäische Roaminganrufe, dann SMS-Roamingnachrichten und schließlich Datenroamingdienste einzuführen, in der Hoffnung, dass sich ein gesunder Wettbewerb entwickeln und die Kunden nicht mehr gezwungen sein würden, überhöhte Preise zu bezahlen. |
|
2.3. |
Die Obergrenzen für die Roamingvorleistungsentgelte für Sprachanruf-, SMS- und Datendienste, einschl. MMS, mussten daher schrittweise gesenkt werden (siehe nachstehende Tabelle), um das letztliche Ziel einer vollständigen Abschaffung der Roaminggebühren und die Anpassung der intereuropäischen Kommunikationstarife an die innerstaatlichen Tarife zu erreichen.
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
2.4. |
Kein Mobilfunknetz deckt alle EU-Mitgliedstaaten ab. Um ihren inländischen Kunden, die innerhalb der Union reisen, in einem anderen Mitgliedstaat Mobilfunkdienste anbieten zu können, müssen Roaminganbieter folglich Roamingdienste auf Großkundenebene von Betreibern im besuchten Mitgliedstaat erwerben oder Roamingdienste mit solchen Betreibern austauschen. |
|
2.5. |
Neben der Einführung von Obergrenzen für Roamingentgelte in der EU wurden strukturelle Maßnahmen, u. a. für die Roamingvorleistungsmärkte, eingeführt (1). So müssen die Betreiber von besuchten Mobilfunknetzen
|
|
2.6. |
In der Verordnung (EU) 2015/2120 ist außerdem vorgesehen, dass Roaminganbieter ab dem 15. Juni 2017 vorbehaltlich einer angemessenen Nutzung und eines positiven Ergebnisses einer Überprüfung des korrekten Funktionieren des Marktes ihren Roamingkunden für die Abwicklung eines abgehenden oder ankommenden regulierten Roaminganrufs, für die Abwicklung einer versendeten regulierten SMS-Roamingnachricht oder für die Nutzung regulierter Datenroamingdienste im Vergleich mit dem inländischen Endkundenpreis in einem beliebigen Mitgliedstaat keine zusätzlichen Entgelte oder allgemeinen Entgelte für den Zugriff über Endgeräte oder die Nutzung von Dienstleistungen im Ausland berechnen dürfen. |
|
2.7. |
Wenn indes ein Roaminganbieter bei Vorliegen bestimmter und außergewöhnlicher Umstände seine gesamten tatsächlichen und veranschlagten Kosten der Bereitstellung regulierter Roamingdienste nicht decken kann, so darf er eine Genehmigung zur Erhebung eines Aufschlags beantragen, um die Tragfähigkeit seines inländischen Entgeltmodells sicherzustellen. Dieser Aufschlag darf nur in dem Umfang angewandt werden, der erforderlich ist, um die Kosten der Erbringung regulierter Endkunden-Roamingdienste unter Beachtung der für Großkundenentgelte zulässigen Höchstbeträge zu decken. |
|
2.8. |
Aus dem Bericht über die Überprüfung des Roamingvorleistungsmarkts (COM(2016) 398 final) geht jedoch hervor, dass die geplanten strukturellen Maßnahmen auf dem Binnenmarkt für Roamingdienste unzureichend waren, um den Wettbewerb zu stärken und einen Binnenmarkt für Mobilfunkdienste ohne Unterscheidung zwischen Inlands- und Roamingtarifen zu erreichen. |
|
2.9. |
Wie diese Marktanalyse verdeutlicht, wird das Funktionieren der Vorleistungsmärkte noch immer durch eine Reihe von Fällen des Marktversagens beeinträchtigt, beispielsweise durch oligopolistische Strukturen in Verbindung mit bilateralen Roamingvereinbarungen, mangelnde Substituten auf der Vorleistungsebene und erheblich über den geschätzten Kosten liegende Preise, was besonders für Datendienste gilt. |
|
2.10. |
Angesichts der engen Wechselbeziehung zwischen der Vorleistungs- und der Endkundenebene der Roamingmärkte und in Ermangelung einer ausreichenden Gewinnspanne zwischen Vorleistungs- und Endkundenpreisen ist das Ziel „Roaming zu Inlandspreisen“ (Roam-like-at-Home, RLAH) realitätsfern und strukturell nicht tragbar, vor allem für kleine Betreiber, Betreiber virtueller Mobilfunknetze und Betreiber mit hohem abgehendem Roamingverkehr. |
|
2.11. |
Daher sieht sich die Europäische Kommission gezwungen, eine neue regulatorische Maßnahme der EU auf dem Vorleistungsmarkt vorzuschlagen. |
|
2.12. |
Gemäß Artikel 6d der Verordnung (EU) 2015/2120 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 erlässt die Kommission im Wege von Durchführungsrechtsakten bis zum 15. Dezember 2016 u. a. eine Regelung der angemessenen Nutzung („Fair Use Policy“), die Roaminganbieter für die Inanspruchnahme regulierter Roamingdienste auf Endkundenebene, die zu dem geltenden inländischen Endkundenpreis bereitgestellt werden, anwenden können. Der betreffende Durchführungsrechtsakt steht noch aus, nachdem die Kommission einen ersten Vorschlag wieder zurückgezogen hat. |
3. Inhalt des Kommissionsvorschlags
|
3.1. |
In dem Vorschlag für die Überarbeitung der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 sind folgende Elemente vorgesehen:
|
4. Allgemeine Bemerkungen
|
4.1. |
In seinen früheren Stellungnahmen hat der EWSA stets die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Begrenzung von Roaminggebühren befürwortet, da sie in die richtige Richtung gehen und die mittelfristige Beseitigung jedweder spezifischer Gebühren für Roamingdienste zum Ziel haben. Daher kann er die neuen Vorschläge der Europäischen Kommission nur gutheißen, mit denen Fälle von Marktversagen für Roamingvorleistungen ausgeräumt werden sollen, die die Verwirklichung des Ziels „Roaming zu Inlandspreisen“ ab dem 15. Juni 2017 gefährden. |
|
4.2. |
In Bezug auf „Roaming zu Inlandspreisen“ weist der EWSA darauf hin, dass er stets vor etwaigen negativen Auswirkungen gewarnt und die Regulierungsbehörden aufgefordert hat, Präventivmaßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die Betreiber ihre durch die Abschaffung der Roaminggebühren sinkenden Einnahmen nicht durch eine Erhöhung der Inlandstarife oder andere missbräuchliche Maßnahmen zulasten der Verbraucher wettmachen, wie bspw. durch die Berechnung eines Netzzugangsentgelts ohne Herstellung einer Verbindung (Aktivierungsgebühr). |
|
4.3. |
Damit die Verbraucher effektiv von „Roaming zu Inlandspreisen“ profitieren und eine eventuelle Erhöhung der Inlandstarife feststellen können, wiederholt der EWSA seinen Vorschlag, dass die Regulierungsbehörden in Zusammenarbeit mit den Verbraucherorganisationen eine Art Muster-Merkblatt mit Informationen über die Preiszusammensetzung erarbeiten, um eine größere Preistransparenz der Inlandstarife, insbesondere bei Pauschalangeboten, zu gewährleisten. |
|
4.4. |
Der EWSA ist sich durchaus im Klaren darüber, dass die maximalen Großkundenentgelte den Betreibern die Deckung der Kosten und eine angemessene Gewinnspanne ermöglichen sollen. Wie die Europäische Kommission jedoch einräumt (2), ist die Bewertung der Kosten der Roamingvorleistungen eine komplexe Aufgabe, mit einem breiten Spektrum an Wahlmöglichkeiten, Annahmen und durchaus auch Unwägbarkeiten. |
|
4.5. |
In Anbetracht der verschiedenen Kostenelemente der Roamingvorleistungen (Mobilfunkzustellungsentgelte im Herkunftsland und im Zielland) sowie weiterer Kosten wie bspw. nicht regulierte Transitkosten scheinen die von der Kommission vorgeschlagenen Obergrenzen vertretbar zu sein und ausreichend Spielraum für einen gesunden Wettbewerb zwischen den Anbietern von Roamingvorleistungsdiensten zu lassen. |
|
4.6. |
Der EWSA hegt große Bedenken in Bezug auf die neue, in dem Verordnungsvorschlag enthaltene Möglichkeit für die Betreiber, neben den regulierten Preisen (für die eine Obergrenze gilt) eine „innovative Preisbildung auf der Vorleistungsebene“ auszuhandeln, die nicht direkt an tatsächlich verbrauchte Volumina geknüpft zu sein scheint. Geschäftsverhandlungen auf der Grundlage von Pauschalzahlungen, Mindestabnahmezusagen oder Kapazitätsverträgen bergen die Gefahr von Absprachen und Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung seitens der großen Betreiber oder derjenigen Betreiber, die über ein Netz mit landesweiter Abdeckung verfügen, zulasten der kleinen Betreiber und der Betreiber virtueller Mobilfunknetze. |
|
4.7. |
Der EWSA stimmt dem Vorschlag zu, dass die nationalen Regulierungsbehörden bei Streitigkeiten zwischen Betreibern auf dem Vorleistungsmarkt gehalten sind, mit Blick auf die zu ergreifenden Maßnahmen das GEREK zu konsultieren; dies wird zu einer größeren Kohärenz der Regulierungsansätze der betreffenden nationalen Behörden führen. Der EWSA schlägt vor, die Bestimmungen zur Lösung von Streitigkeiten zu vervollständigen und die nationalen Behörden aufzufordern, dass sie ggf. die beteiligten Parteien darin bestärken, sich zunächst um eine außergerichtliche Streitbeilegung zu bemühen. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. L 172 vom 30.6.2012, S. 10.
(2) COM(2016) 398 final.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/167 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/45/EG über Sicherheitsvorschriften und -normen für Fahrgastschiffe“
(COM(2016) 369 final — 2016/170(COD))
(2017/C 034/28)
|
Berichterstatter: |
Tomas ABRAHAMSSON |
|
Befassung |
Europäisches Parlament, 9.6.2016 |
|
|
Rat der Europäischen Union, 22.6.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 100 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 369 final — 2016/170(COD)) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
6.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
229/0/3 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der EWSA begrüßt im Großen und Ganzen den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der Richtlinie 2009/45/EG über Sicherheitsvorschriften und -normen für Fahrgastschiffe. Wie im Rahmen der Eignungsprüfung der Rechtsvorschriften festgestellt (REFIT, „Kurskorrektur: EU-Sicherheitsvorschriften für Fahrgastschiffe — Fitness-Check“, COM(2015) 508 final), lässt es die Richtlinie 2009/45/EG bei einigen Begriffsbestimmungen und Anforderungen an Klarheit vermissen und enthält überholte oder sich überschneidende Anforderungen, was zu einer uneinheitlichen Anwendung des Rechtsrahmens für Fahrgastschiffe geführt hat. Mit der vorgeschlagenen Änderungen sollen die Rechtsvorschriften vereinfacht, Überschneidungen und redundante Verweise beseitigt sowie die Anforderungen und der Geltungsbereich präzisiert werden und gleichzeitig das aktuelle Sicherheitsniveau gewahrt bleiben. |
|
1.2. |
Die EU-Rechtsvorschriften für Fahrgastschiffe sind von großer Bedeutung, da jährlich 120 Mio. Menschen auf Fahrgastschiffen auf Inlandfahrten befördert werden. Dem Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2009/45/EG zufolge sind allerdings alle kleinen Schiffe mit einer Länge von weniger als 24 Meter vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen; gegenwärtig betrifft diese Regelung nur vorhandene Fahrgastschiffe, nicht jedoch neue Schiffe. |
|
1.3. |
Als Begründung für diesen Vorschlag wird erstens die Tatsache angeführt, dass die Richtlinie 2009/45/EG derzeit nur für 70 der 1 950 kleinen Schiffe gilt, sowie zweitens das Subsidiaritätsprinzip: Diese Schiffe werden für eine große Bandbreite von Dienstleistungen gebaut, weshalb die Festlegung gemeinsamer Vorschriften außerordentlich schwierig ist. Die Mitgliedstaaten wären an sich besser in der Lage, Vorschriften zu erlassen. |
|
1.4. |
Der EWSA nimmt diese Begründung zur Kenntnis, empfiehlt jedoch, die Anwendung auf neue Schiffe mit einer Länge von weniger als 24 Meter im Interesse der Sicherheit der Fahrgäste beizubehalten. |
|
1.5. |
In dem Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2009/45/EG wird präzisiert, dass für die Zwecke dieser Richtlinie Aluminium gegenüber Stahl ein gleichwertiger Werkstoff ist und die entsprechenden Brandschutzanforderungen anzuwenden sind. Gegenwärtig lassen nicht alle Mitgliedstaaten Aluminiumschiffe nach dieser Richtlinie zu, was zu einer unausgewogenen Situation führt. Der EWSA begrüßt diese Präzisierung. |
|
1.6. |
Der EWSA begrüßt ausdrücklich die Bedeutung, die dem Zugang von Personen mit eingeschränkter Mobilität in den geltenden EU-Vorschriften für die Sicherheit von Fahrgastschiffen (Erwägungsgrund 17 der Richtlinie 2009/45/EG) beigemessen wird, und stellt zu seiner Zufriedenheit fest, dass die EU-Normen im Vergleich zu internationalen Normen, in denen diesbezüglich keine zwingende Bestimmung enthalten ist, einen wichtigen Mehrwert bringen. Der EWSA bewertet diese Verpflichtung als äußerst positiv und betont, dass sie auf alle Schiffe, die auf Inlandfahrten eingesetzt werden, Anwendung finden sollte. |
|
1.7. |
Der EWSA begrüßt die in Form des neuen Buchstabens za) von der Europäischen Kommission vorgenommene Präzisierung. In diesem Buchstaben wird präzisiert, dass „gleichwertiger Werkstoff“ Aluminiumlegierungen oder jeden anderen nicht brennbaren Werkstoff bedeutet, der einen Gefügezusammenhang und eine Widerstandsfähigkeit aufweist, die aufgrund der vorhandenen Isolierung denen von Stahl am Ende der jeweiligen Feuereinwirkung beim Normal-Brandversuch gleichwertig sind. Der EWSA begrüßt diese Präzisierung grundsätzlich, da einige Mitgliedstaaten gemäß dieser Richtlinie keine Aluminiumschiffe zulassen, empfiehlt jedoch, die entsprechenden technischen Normen im Anhang zu Richtlinie 2009/45/EG in Zusammenarbeit mit nationalen Experten weiter zu klären. |
2. Einleitung und Hintergrund
|
2.1. |
Die geografische Beschaffenheit Europas, das eine große Halbinsel ist, macht deutlich, wie entscheidend Seeverkehrsdienste, einschließlich der Beförderung von Fahrgästen, sind. Jährlich werden in den Häfen der EU mehr als 400 Mio. Fahrgäste abgefertigt, von denen 120 Mio. von Fahrgastschiffen auf Inlandfahrten befördert werden. Daher müssen höchste Sicherheitsstandards in den EU-Gewässern gewährleistet werden, zumal die Sicherheitsvorschriften für Fahrgastschiffe erhebliche Auswirkungen insbesondere auf die Umwelt, das Arbeitsrecht, die Mobilität der EU-Bürger sowie die Erleichterung des Handels mit Fahrgastschiffen haben, da Letztere in der gesamten EU denselben Normen unterliegen. |
|
2.2. |
Als Reaktion auf die „Estonia“-Katastrophe änderte die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) das Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (International Convention for the Safety of Life at Sea — SOLAS) und erhöhte u. a. die Anforderungen an die Leckstabilität für Ro-Ro-Fahrgastschiffe. |
|
2.3. |
Es kam indes auch weiter zu Unfällen, weshalb Europa in den letzten 20 Jahren ergänzende Sicherheitsvorschriften für Fahrgastschiffe ausgearbeitet hat, darunter einige spezifische Vorschriften, beispielsweise die Registrierung der an Bord befindlichen Personen, neben dem SOLAS-Übereinkommen für Auslandfahrten, unter die auch Fahrten zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten fallen, sowie eine weitaus größere Zahl an EU-Vorschriften für Inlandfahrten. |
|
2.4. |
Die Vorschläge leiten sich aus dem REFIT-Programm (für „Regulatory Fitness and Performance“) zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung ab, dem die Europäische Kommission auch das Regelwerk für die Sicherheit von Fahrgastschiffen unterzogen hat. |
|
2.5. |
Ziel war die Vereinfachung und Straffung des bestehenden EU-Rechtsrahmens für die Sicherheit von Fahrgastschiffen wo immer möglich, um
|
|
2.6. |
Mit dem kohärenten Paket von Vorschlägen sollen ebendiese Ziele erreicht werden. Das Maßnahmenpaket für die Sicherheit von Fahrgastschiffen beinhaltet Vorschläge zur Überprüfung nahezu aller EU-Vorschriften für die Sicherheit von Fahrgastschiffen, selbstverständlich mit Ausnahme der technischen Richtlinie 2003/25/EG über besondere Stabilitätsanforderungen für Ro-Ro-Fahrgastschiffe. |
|
2.7. |
Das Paket umfasst folgende drei Vorschläge:
|
|
2.8. |
Der erstgenannte Vorschlag ist Gegenstand dieser Stellungnahme. |
|
2.9. |
Die Richtlinie 2009/45/EG vom 6. Mai 2009 ist eine Neufassung der Richtlinie 98/18/EG, die aus Gründen der Klarheit erforderlich wurde. Mit ihr wird ein einheitlicher Sicherheitsstandard für Fahrgastschiffe auf Inlandfahrten eingeführt. Nachdem die Eignungsprüfung der Rechtsvorschriften ergeben hat, dass die geltenden Bestimmungen vereinfacht und präzisiert werden müssen, was der EWSA ausdrücklich unterstützt, macht sich die Europäische Kommission nunmehr, fünfzehn Jahre später, an die Überarbeitung der Richtlinie. |
|
2.10. |
Der EWSA hat im Bereich der Rechtsvorschriften zur Seeverkehrssicherheit mit mehreren Stellungnahmen einen aktiven Beitrag geleistet. So verabschiedete er konkret zur Frage der Sicherheit von Fahrgastschiffen am 29. Mai 1996 eine Stellungnahme zu Sicherheitsvorschriften und -normen für Fahrgastschiffe (1) und am 11. Dezember 2002 eine Stellungnahme zu Stabilitätsanforderungen für Ro-Ro-Fahrgastschiffe sowie zur Änderung der Richtlinie 98/18/EG über Sicherheitsvorschriften und -normen für Fahrgastschiffe. Zudem unterstützte der EWSA am 16. Januar 2008 den Vorschlag zur Neufassung der erwähnten Richtlinie 98/18/EG vorbehaltlos. |
|
2.11. |
Angesichts der Bedeutung der derzeit von der Europäischen Kommission durchgeführten Überarbeitung weist der EWSA auf den großen Stellenwert hin, den er der kontinuierlichen Verbesserung der Sicherheit von Fahrgastschiffen auf Inlandfahrten beimisst. |
3. Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags
|
3.1. |
Die Richtlinie 2009/45/EG über Sicherheitsvorschriften und -normen für Fahrgastschiffe gilt für Schiffe aus Stahl oder einem gleichwertigen Werkstoff und für Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge ungeachtet ihrer Länge. Die Richtlinie gilt EU-weit und nur für Inlandfahrten und enthält technische Anforderungen in Bezug auf den Bau, die Stabilität, den Brandschutz und die Rettungsmittel, die auf den Bestimmungen des SOLAS-Übereinkommens (Internationales Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, in seiner jeweils geltenden Fassung.) sowie auf Anforderungen beruhen, die als Reaktion auf eine Reihe von Schiffsunglücken festgelegt worden waren, bei denen Todesopfer zu beklagen waren. Insofern war es nötig, den etwas fragmentierten Charakter der Rechtsvorschriften anzugehen. |
|
3.2. |
Nach der Eignungsprüfung der Rechtsvorschriften im Rahmen des REFIT-Programms der Europäischen Kommission zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung und der Agenda für bessere Rechtsetzung gelangte die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass noch Spielraum für weitere Verbesserungen des Sicherheitsniveaus sowie der Effizienz und Verhältnismäßigkeit bestimmter rechtlicher Anforderungen der genannten Richtlinie besteht. Die vorgeschlagene Überarbeitung zielt deshalb auf die Vereinfachung und Straffung des geltenden Rechtsrahmens ab, der zwar seinen Zweck erfüllt und nach wie vor in hohem Maße relevant ist, jedoch von einigen überholten, widersprüchliche und sich überschneidenden Anforderungen befreit werden muss. |
|
3.3. |
Die Europäische Kommission schlägt eine begrenzte Zahl an Änderungen der geltenden Richtlinie in folgenden Bereichen vor:
|
|
3.4. |
In dem REFIT-Bericht wird außerdem empfohlen, auf der Grundlage funktionaler Anforderungen und als Teil eines zielbasierten einheitlichen Rahmens Leitlinien oder Normen für kleine Schiffe sowie für Schiffe, die nicht aus Stahl oder einem gleichwertigen Werkstoff gebaut sind, zu entwickeln. |
|
3.5. |
Schließlich sei darauf verwiesen, dass die Europäische Kommission mit ihrem Vorschlag das aktuelle, mit der Richtlinie 2009/45/EG geschaffene gemeinsame Sicherheitsniveau für Schiffe, die auf Inlandfahrten in EU-Gewässern verkehren, wahren will, wodurch die Umregistrierung von Schiffen zwischen den Mitgliedstaaten erleichtert wird und gleiche Wettbewerbsbedingungen auf Inlandfahrten ermöglicht werden. |
4. Allgemeine Bemerkungen
|
4.1. |
Der EWSA stellt fest, dass die Eignungsprüfung der Rechtsvorschriften, die für die EU-Sicherheitsvorschriften und -normen für Fahrgastschiffe vorgenommen wurde, möglicherweise durch den Mangel an verfügbaren Daten beeinträchtigt worden ist, und fordert deshalb künftig eine bessere Datenerfassung und wirksamere Überwachungssysteme, um aussagekräftigere Bewertungen nach der Umsetzung der Rechtsvorschriften vornehmen zu können. |
|
4.2. |
Der EWSA nimmt die Gründe zur Kenntnis, aus denen kleine Schiffe (unter 24 Meter Länge) vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen wurden, ist jedoch der Auffassung, dass die Anwendung auf neue Schiffe unter 24 Meter Länge beibehalten werden sollte. |
|
4.3. |
In dem REFIT-Bericht sowie in Erwägungsgrund 17 der Richtlinie 2009/45/EG ist festgehalten, dass EU-Normen sicherstellen müssen, dass der Zugang von Personen mit eingeschränkter Mobilität zu Fahrgastschiffen, die auf Inlandfahrten eingesetzt werden, gewährleistet ist — ein Element, das in internationalen Normen zwar empfohlen, aber nicht verpflichtend ist. Der EWSA bewertet diese Verpflichtung als äußerst positiv und betont, dass sie auf alle Schiffe, die auf Inlandfahrten eingesetzt werden, Anwendung finden sollte. |
|
4.4. |
Er ist außerdem der Meinung, dass alle Fahrgäste über die Einzelheiten in Bezug auf die Sicherheit an Bord des Schiffes unterrichtet werden müssen. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die entsprechenden Informationen auch Personen mit Behinderungen erreichen. |
5. Besondere Bemerkungen zu den vorgeschlagenen Änderungen an der Richtlinie 2009/45/EG
5.1. Artikel 2 — Begriffsbestimmungen
|
5.1.1. |
Buchstabe h): Obwohl die Begriffsbestimmung für „neues Schiff“ — ein Schiff, dessen Kiel am oder nach dem 1. Juli 1998 gelegt wurde oder das sich zu dem genannten Zeitpunkt in einem entsprechenden Bauzustand befand — überholt ist, wird keine Änderung vorgeschlagen. |
|
5.1.2. |
Buchstabe u): Die Ersetzung von „Aufnahmestaat“ durch „Hafenstaat“ wird nicht erläutert. Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, diese terminologische Änderung, die möglicherweise mit einer inhaltlichen Änderung einhergeht, zu begründen. Zudem differenziert die Richtlinie in diesem Punkt offenbar nicht zwischen Flaggen von Mitgliedstaaten und Flaggen von Nichtmitgliedstaaten, was aber von Bedeutung sein könnte, da die betreffenden Schiffe Leistungen im Rahmen der Seekabotage erbringen (Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 7. Dezember 1992 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage)). |
|
5.1.3. |
Neuer Buchstabe za): In diesem Buchstaben wird präzisiert, dass „gleichwertiger Werkstoff“ Aluminiumlegierungen oder jeden anderen nicht brennbaren Werkstoff bedeutet, der einen Gefügezusammenhang und eine Widerstandsfähigkeit aufweist, die aufgrund der vorhandenen Isolierung denen von Stahl am Ende der jeweiligen Feuereinwirkung beim Normal-Brandversuch gleichwertig sind. Der EWSA begrüßt diese Präzisierung grundsätzlich, da einige Mitgliedstaaten gemäß dieser Richtlinie keine Aluminiumschiffe zulassen, empfiehlt jedoch, die entsprechenden technischen Normen im Anhang zu Richtlinie 2009/45/EG in Zusammenarbeit mit nationalen Experten weiter zu klären. Nach Meinung des EWSA kann die neue Begriffsbestimmung für „gleichwertiger Werkstoff“, insbesondere der Verweis auf „jeden anderen nicht brennbaren Werkstoff“, verwirrend sein, da darin nicht angemessen festgelegt ist, welcher Art von Werkstoff ein Werkstoff gleichwertig sein muss, um in den Anwendungsbereich der geänderten Richtlinie zu fallen. |
|
5.1.4. |
Neuer Buchstabe zd): Die vorgeschlagene Definition von „Sportboot/Sportfahrzeug“ lautet „ein nicht für den Handel eingesetztes Schiff, das keine Fracht und nicht mehr als 12 Fahrgäste befördert, unabhängig von der Antriebsart“. Nach Auffassung des EWSA sollte der Wortlaut der geltenden Richtlinie „[…] und zu kommerziellen Zwecken […] Fahrgäste befördert […]“ aus Gründen der Klarheit beibehalten werden. |
5.2. Artikel 3 — Geltungsbereich
|
5.2.1. |
Ziffer 1, Buchstabe a): [Diese Richtlinie gilt für] „neue und vorhandene Fahrgastschiffe ab einer Länge von 24 Metern“. In dem Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2009/45/EG werden kleine Schiffe ausgeschlossen, während in den geltenden Vorschriften nur vorhandene Schiffe, nicht jedoch „neue“ Schiffe unter 24 Meter Länge ausgeschlossen sind. Siehe Ziffer 5.1.1 zur Begriffsbestimmung „neues Schiff“. |
|
5.2.2. |
Als Begründung für diesen Ausschluss wird angeführt, dass die Richtlinie 2009/45/EG derzeit nur für 70 der 1 950 kleinen Schiffe gilt. |
|
5.2.3. |
Weiterhin wird als Begründung für den vorgeschlagenen Ausschluss das Subsidiaritätsprinzip angeführt, da diese Schiffe für eine große Bandbreite von Dienstleistungen gebaut werden, weshalb es äußerst schwierig ist, gemeinsame Vorschriften festzulegen. Die Mitgliedstaaten wären an sich besser in der Lage, Vorschriften zu erlassen. |
|
5.2.4. |
Der EWSA kann diese Argumente nur schwer nachvollziehen. Wenn 96 % der Flotte kleinerer Schiffe nicht unter die Richtlinie fallen, da sie nicht aus Stahl oder einem gleichwertigen Werkstoff gebaut sind oder ausschließlich in Hafengebieten eingesetzt werden usw., nützt ihnen ein Ausschluss von Schiffen unter 24 Meter Länge nicht. Was ist jedoch mit den übrigen 4 %? |
|
5.2.5. |
Wenn harmonisierte Normen für bestimmte Schiffe unter 24 Meter Länge nicht geeignet sind, dann können die Mitgliedstaaten bereits heute Ausnahmen nach Artikel 9 der Richtlinie erlassen. Wird der Vorschlag zur Änderung der Richtlinie in diesem Punkt jedoch angenommen, werden einige Schiffe mit einer Länge von bis zu 24 Metern nicht länger in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. |
|
5.2.6. |
Ein Schiff mit einer Länge von 24 Metern ist nicht unbedingt ein unbedeutendes Schiff, da es bis zu 250 Fahrgäste an Bord befördern kann. Somit könnte das Argument ins Treffen geführt werden, dass Fahrgäste die gleichen Rechte haben sollten, ob ihr Schiff nun 23,9 Meter oder 24,1 Meter lang ist. Daher ist der EWSA der Auffassung, dass die Anwendung auf neue Schiffe unter 24 Meter Länge beibehalten werden sollte und Mitgliedstaaten weiterhin Ausnahmen erlauben können sollten, wenn sie dies für notwendig erachten. |
5.3. Artikel 5
In Bezug auf die Änderung von Artikel 5 Absatz 3 über Überprüfungen ist der EWSA der Meinung, dass ein Verweis auf Ro-Ro-Fahrgastschiffe und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge auf Inlandfahrten im Linienverkehr gemäß dem Anwendungsbereich der neuen vorgeschlagenen Richtlinie (COM(2016) 371 final) zur Aufhebung von Richtlinie 1999/35/EG (siehe Artikel 1) aufgenommen werden sollte. Zur weiteren Rationalisierung des Überprüfungsaufwands der nationalen Verwaltungen, zur Maximierung der wirtschaftlichen Nutzung der Schiffe und zur Beseitigung potenzieller Überschneidungen zwischen den spezifischen Überprüfungen gemäß der neuen vorgeschlagenen Richtlinie (COM(2016) 371 final) zur Aufhebung von Richtlinie 1999/35/EG und den gemäß Artikel vorgeschriebenen Besichtigungen wird vorgeschlagen,
|
— |
in Artikel 5 den Begriff „Besichtigung“ durch „Überprüfung“ zu ersetzen; |
|
— |
in Artikel 5 einen eindeutigen Verweis auf die Überprüfungsanforderungen gemäß der neuen vorgeschlagenen Richtlinie (COM(2016) 371 final) zur Aufhebung von Richtlinie 1999/35/EG aufzunehmen. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. C 212 vom 22.7 1996, S. 21.
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/172 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/41/EG des Rates über die Registrierung der an Bord von Fahrgastschiffen im Verkehr nach oder von einem Hafen eines Mitgliedstaats der Gemeinschaft befindlichen Personen und zur Änderung der Richtlinie 2010/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Meldeformalitäten für Schiffe beim Einlaufen in und/oder Auslaufen aus Häfen der Mitgliedstaaten“
(COM(2016) 370 final — 2016/171 (COD))
(2017/C 034/29)
|
Berichterstatter: |
Vladimír NOVOTNÝ |
|
Befassung |
Europäisches Parlament, 9.6.2016 |
|
|
Rat der Europäischen Union, 22.6.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 100 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (COM(2016) 370 final — 2016/171 (COD)) |
|
|
|
|
Zuständige Fachgruppe |
Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
6.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
205/9/15 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der EWSA ist überzeugt, dass die vorgeschlagene Änderung zur Verbesserung der Sicherheit des Schiffverkehrs und insbesondere der Fahrgäste in den EU-Gewässern und bei Schiffsunfällen zu einer wirksameren Durchführung der Rettungseinsätze beitragen wird. |
|
1.2. |
Der EWSA befürwortet den Vorschlag zur Erweiterung der registrierten Daten um Angaben zur Staatsangehörigkeit der an Bord befindlichen Personen, da diese Daten bei Schiffsunfällen eine schnellere Unterrichtung der Familie über ihre Angehörigen an Bord und die Beseitigung von Ungewissheiten über ihr Schicksal ermöglichen. |
|
1.3. |
Im Einklang mit den Ergebnissen der von der Europäischen Kommission durchgeführten Konsultation weist der EWSA auf Probleme für kleine Betreiber und die Notwendigkeit hin, sie vor einer Erhöhung des Verwaltungsaufwands zu schützen. Nach Auffassung des EWSA garantiert der Vorschlag, dass in EU-Gewässern weiterhin ein gleichberechtigter Wettbewerb zwischen allen Betreibern herrscht. |
|
1.4. |
Der EWSA begrüßt, dass zu dem Vorschlag auch ein Durchführungsplan gehört, in dem die zur Umsetzung der Vereinfachungsmaßnahmen notwendigen Aktionen aufgeführt sind und die wichtigsten technischen, rechtlichen und zeitlichen Herausforderungen in Verbindung mit der Einführung der neuen Verfahren aufgezeigt werden. |
|
1.5. |
Der EWSA begrüßt den Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 98/41/EG als wichtigen Beitrag zur Durchführung des Programms zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT) der Europäischen Kommission und der Agenda für bessere Rechtsetzung der EU. |
2. Einleitung
|
2.1. |
Als Folgemaßnahme zu der Eignungsprüfung der EU-Rechtsvorschriften über die Sicherheit von Fahrgastschiffen unterbreitet die Europäische Kommission eine Reihe von Vorschlägen zur Vereinfachung und Straffung des geltenden Rechtsrahmens für die Sicherheit von Fahrgastschiffen, um durch die Beibehaltung geltender EU-Vorschriften und die Gewährleistung ihrer ordnungsgemäßen Anwendung etwaige Überschneidungen der verschiedenen Anforderungen sowie Unstimmigkeiten zwischen den einschlägigen Rechtsvorschriften zu verhindern. |
|
2.2. |
Mit diesem Paket an Vorschlägen, das eine Änderung der Richtlinie 2009/45/EG über Sicherheitsvorschriften und -normen für Fahrgastschiffe, einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Ersetzung der Richtlinie 1999/35/EG über Überprüfungen für Ro-Ro-Fahrgastschiffe im Linienverkehr sowie vor allem eine Änderung der Richtlinie 98/41/EG des Rates über die Registrierung der an Bord von Fahrgastschiffen befindlichen Personen umfasst, soll ein klarer, einfacher und aktueller Rechtsrahmen geschaffen werden, der leichter umgesetzt, überwacht und durchgesetzt werden kann, wodurch das allgemeine Sicherheitsniveau im Schiffsverkehr erhöht wird. |
|
2.3. |
Die vorgeschlagenen Änderungen beruhen auf dem Programm der Europäischen Kommission zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (Regulatory Fitness and Performance Programme — REFIT) und sind ein Beitrag zur Verwirklichung der Agenda für bessere Rechtsetzung der EU. |
|
2.4. |
Der Vorschlag dient den Zielen der Agenda der Europäischen Kommission für eine bessere Rechtsetzung, indem sichergestellt wird, dass die bestehenden Rechtsvorschriften klar und einfach sind, keine unnötigen Verwaltungslasten schaffen und mit den sich wandelnden politischen, gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen Schritt halten. Ferner dient der Vorschlag den Zielen der Seeverkehrsstrategie bis 2018, indem hochwertige Linienfährdienste zur Beförderung von Personen innerhalb der EU sichergestellt werden. |
3. Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments
|
3.1. |
Die Richtlinie 98/41/EG des Rates sieht die Zählung und Registrierung der Fahrgäste und der Besatzung an Bord von Fahrgastschiffen vor, die in Häfen der EU einlaufen und aus solchen auslaufen. Nach den derzeitigen Vorschriften müssen diese Daten im Informationssystem des betreffenden Unternehmens gespeichert werden und — jederzeit — ohne weiteres zur Weiterleitung an die für den Such- und Rettungseinsatz zuständige Sicherheitsbehörde zur Verfügung stehen. Die gespeicherten Daten enthalten (neben Name, Alter und Geschlecht) nicht immer Angaben zur Staatsangehörigkeit, was die Hilfeleistung für etwaige Opfer und ihre Angehörigen erschwert. |
|
3.2. |
Somit unterliegen Betreiber, die bereits solche Daten an das nationale einzige Fenster übermitteln, einer doppelten Meldepflicht. Die geltende Regelung berücksichtigt nicht, dass inzwischen Systeme wie SafeSeaNet und das „nationale einzige Fenster“ (National Single Window) entwickelt wurden, und erfordert, dass die zuständige nationale Behörde das Schifffahrtsunternehmen bei Notfällen kontaktiert. Dies steht mit dem REFIT-Programm der Europäischen Kommission vollumfänglich im Einklang und dient dazu, das Digitalisierungspotenzial für die Registrierung, die Übermittlung, die Zugänglichkeit und den Schutz von Daten auszuschöpfen. |
|
3.3. |
Erfolgreiche Such- und Rettungseinsätze erfordern den sofortigen Zugang zu genauen Daten über die Personen an Bord. Dies wird mit dem bisherigen Wortlaut der Richtlinie nicht im erforderlichen Maße gewährleistet. Daher schlägt die Europäische Kommission vor, die bestehenden Anforderungen an die Zählung und Registrierung von Fahrgästen und Besatzungsmitgliedern zu aktualisieren, zu präzisieren und zu vereinfachen und somit das Sicherheitsniveau, das sie gewährleisten, zu erhöhen. |
|
3.4. |
Die in dem Vorschlag enthaltene Verpflichtung zur Registrierung der Angaben zu den an Bord befindlichen Personen in einem bestehenden elektronischen System (das es bei einem Notfall der zuständigen Behörde ermöglicht, die Daten unverzüglich abzurufen) dürfte gegenüber dem derzeitigen Sicherheitsniveau einen Quantensprung bedeuten, ohne erhebliche Kosten für die Betreiber und die zuständigen Verwaltungen zu verursachen. |
|
3.5. |
Die Vorschläge der Europäischen Kommission umfassen die Beseitigung der doppelten Meldepflichten in Bezug auf Fahrgäste und die Anpassung der bestehenden Meldepflichten für alle Betreiber zum einen durch die Erfassung der Anzahl der an Bord befindlichen Personen — vor Auslaufen aus einem Hafen in der EU und vor dem Einlaufen in einen solchen Hafen — in einem bestehenden elektronischen System, das im Falle eines Notfalls oder Unfalls die sofortige Übermittlung von Daten an die zuständige Behörde ermöglicht, anstatt einer Registrierung im System des Unternehmens, sowie zum anderen durch die Registrierung — für jede Fahrt von mehr als 20 Seemeilen — der erforderlichen Angaben zu den Besatzungsmitgliedern und den Fahrgästen — vor Auslaufen aus einem Hafen in der EU und vor dem Einlaufen in einen solchen Hafen — in demselben oben genannten System, anstatt einer Registrierung im System des Unternehmens. |
|
3.6. |
Zu den weiteren Vorschlägen zählen die Vermeidung von Überschneidungen und — bei jeder Fahrt von mehr als 20 Seemeilen — die Pflicht zur Registrierung der Staatsangehörigkeit der Fahrgäste bei der zuständigen Behörde und Übermittlung dieser Angaben mit denselben Mitteln und nach denselben Kriterien, wie sie derzeit für die Registrierung und Übermittlung der bereits erforderlichen Daten wie Name, Alter usw. gelten, die Präzisierung der Anforderungen an die Registrierung von Fahrgastangaben in der Richtlinie 98/41/EG (z. B. Fahrtdauer), die Streichung der Verpflichtung zur Genehmigung der Fahrgastregistrierungssysteme aus der Richtlinie 98/41/EG und die Straffung des Meldeverfahrens für Befreiungen/gleichwertigen Ersatz im Rahmen der Richtlinie 2009/45/EG und der Richtlinie 98/41/EG. Mit dem Vorschlag werden außerdem die entsprechenden Begriffsbestimmungen und Anforderungen der Richtlinie 98/41/EG präzisiert. |
|
3.7. |
Der Vorschlag garantiert, dass in EU-Gewässern weiterhin ein gleichberechtigter Wettbewerb zwischen allen Betreibern herrscht. |
4. Allgemeine Bemerkungen
|
4.1. |
Der EWSA begrüßt den Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 98/41/EG als wichtigen Beitrag zur Durchführung des Programms zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT) der Europäischen Kommission und der Agenda für bessere Rechtsetzung der EU. |
|
4.2. |
Der EWSA erachtet die vorgeschlagenen Änderungen in Bezug auf die Meldung mittels moderner elektronischer Kommunikationsmittel als zweckdienlich; sie werden die Wirksamkeit und Effizienz des Systems zur Meldung und Registrierung der an Bord befindlichen Personen erhöhen. |
|
4.3. |
Der EWSA ist überzeugt, dass die vorgeschlagene Änderung zur Verbesserung der Sicherheit des Schiffverkehrs in den EU-Gewässern und bei Schiffsunfällen zu einer wirksameren Durchführung der Rettungseinsätze beitragen wird. |
|
4.4. |
Der EWSA befürwortet den Vorschlag zur Erweiterung der registrierten Daten um Angaben zur Staatsangehörigkeit der an Bord befindlichen Personen, da diese Daten bei Schiffsunfällen eine schnellere Unterrichtung der Familie über ihre Angehörigen an Bord und die Beseitigung von Ungewissheiten über ihr Schicksal ermöglichen. |
|
4.5. |
Der EWSA begrüßt die Vorgehensweise der Europäischen Kommission, die während der Ausarbeitung des Vorschlags zur Änderung der Richtlinie gezielte Konsultation der Branchenvertreter wie auch der Fahrgastverbände durchführte. Die Ergebnisse dieser Konsultation werden in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen zusammengefasst und ausgewertet, die dem Vorschlag für eine Änderung der Richtlinie 98/41/EG beigefügt ist. Die Schlussfolgerungen dieser Konsultation sind in dem Richtlinienvorschlag enthalten. |
|
4.6. |
Der EWSA erachtet es für notwendig, den Schutz der registrierungspflichtigen personenbezogenen Daten zu stärken und die Richtlinie 98/41/EG grundlegend zu modernisieren, um den rechtlichen Entwicklungen auf dem Gebiet des Schutzes personenbezogener Daten, insbesondere der Verordnung (EU) 2016/679, Rechnung zu tragen. |
5. Besondere Bemerkungen
|
5.1. |
Nach Auffassung des EWSA, der in diesem Punkt mit der Europäischen Kommission übereinstimmt, muss ein Ausgleich zwischen dem Schutz personenbezogener Daten und den Anforderungen für den beschränkten Zugang zu den Daten geschaffen werden, die den zuständigen nationalen Behörden auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden müssen (der Austauschmechanismus bei einem Notfall und nach einem Unfall ist das SafeSeaNet-System im Sinne der Richtlinie 2002/59/EG). Ebenso wie das nationale einzige Fenster beruht das SafeSeaNet-System auf den EU-Rechtsvorschriften über den Schutz personenbezogener Daten und enthält eindeutige Regeln für die Sicherheit und die Zugangsrechte. Der EWSA empfiehlt, die Speicherfrist für die Daten in dem Richtlinienvorschlag näher zu bestimmen. |
|
5.2. |
Nach Meinung des EWSA muss die vorgeschlagene Übermittlung an das nationale einzige Fenster den Vertraulichkeitsauflagen (im Sinne von Artikel 8 der Richtlinie 2010/65/EU) umfassend gerecht werden und im Einklang mit den EU-Rechtsvorschriften über den Schutz personenbezogener Daten stehen. |
|
5.3. |
Im Einklang mit den Ergebnissen der von der Europäischen Kommission durchgeführten Konsultation weist der EWSA auf Probleme für kleine Betreiber und die Notwendigkeit hin, sie vor einer Erhöhung des Verwaltungsaufwands zu schützen. Daher unterstützt der EWSA den Vorschlag der Europäischen Kommission, dass kleinen Betreibern die Möglichkeit eingeräumt wird, ihrer Registrierungspflicht mit Hilfe einer Internetverbindung als kostengünstigere und flexiblere Alternative nachzukommen oder aber die Anzahl der an Bord befindlichen Personen über das automatische Identifizierungssystem, ein mit Funksignalen sehr hoher Frequenz funktionierendes Seeverkehrsfunksystem, zu übermitteln. Dies würde es dem Such- und Rettungszentrum vor Ort ermöglichen, die Anzahl der an Bord befindlichen Personen jederzeit ohne weiteres abzurufen, unabhängig davon, ob eine Kontaktperson verfügbar ist. |
|
5.4. |
Der EWSA begrüßt, dass zu dem Vorschlag auch ein Durchführungsplan gehört, in dem die zur Umsetzung der Vereinfachungsmaßnahmen notwendigen Aktionen aufgeführt sind und die wichtigsten technischen, rechtlichen und zeitlichen Herausforderungen in Verbindung mit der Einführung der neuen Verfahren aufgezeigt werden. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/176 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System von Überprüfungen im Hinblick auf den sicheren Betrieb von Ro-Ro-Fahrgastschiffen und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeugen im Linienverkehr und zur Änderung der Richtlinie 2009/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Hafenstaatkontrolle sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/35/EG des Rates“
(COM(2016) 371 final — 2016/0172 (COD))
(2017/C 034/30)
|
Berichterstatter: |
Jan SIMONS |
|
Befassung |
Europäisches Parlament, 9.6.2016 Rat der Europäischen Union, 22.6.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 100 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
|
|
(COM(2016) 371 final — 2016/0172 (COD)) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft |
|
Annahme in der Fachgruppe |
6.10.2016 |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
222/2/6 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
|
1.1. |
Der EWSA begrüßt insgesamt die Ziele des REFIT-Programms der Europäischen Kommission zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung mit dem übergeordneten Ziel, einen klaren, einfachen und kohärenten Rechtsrahmen für die Sicherheit von Fahrgastschiffen zu schaffen, der einfacher umzusetzen, zu überwachen und durchzusetzen ist, und dadurch das allgemeine Sicherheitsniveau für Fahrgäste und Schiffsbesatzungen zu gewährleisten. |
|
1.2. |
Der EWSA hält es für sehr wichtig, dass das EU-Überprüfungssystem für Fahrgastschiffe auf Inland- und/oder Auslandfahrten gleiche Wettbewerbsbedingungen in den EU-Gewässern für alle Fahrgastschiffe ungeachtet ihrer Flagge sicherstellt. Dennoch sollte sich die EU nach Meinung des EWSA vorrangig darum bemühen, angemessene Standards für die Seeverkehrssicherheit und den Schutz der Meeresumwelt weltweit sicherzustellen, die dann auf Schiffe anwendet werden, die in EU-Gewässern verkehren. |
|
1.3. |
Nach Auffassung des EWSA müssen einige Bestimmungen der vorgeschlagenen neuen Richtlinie präzisiert und zusätzliche Bestimmungen aufgenommen werden, um Überschneidungen bei den Überprüfungen oder unnötige neue Auflagen für die Behörden der Mitgliedstaaten zu vermeiden, die den kommerziellen Betrieb eines Schiffes beeinträchtigen oder die Besatzungen zusätzlich belasten würden. Hierzu zählen:
|
|
1.4. |
Mit der vorgeschlagenen neuen Richtlinie soll in angemessener Weise die Belastung der Besatzungen verringert werden; der EWSA betont indes, dass die Einhaltung der Mindestanforderungen für die Arbeit von Seeleuten an Bord eines Schiffes, u. a. auch in Bezug auf die im STCW-Übereinkommen (Internationales Übereinkommen über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten) enthaltenen Befähigungsnachweise betreffend medizinische Fürsorge und Ausbildung, von grundlegender Bedeutung für die Seeverkehrssicherheit ist und daher im Einklang mit den geltenden internationalen Übereinkommen zu gewährleisten ist, beispielsweise mit dem Seearbeitsübereinkommen aus dem Jahr 2006, das mit der Richtlinie 2009/13/EG des Rates in EU-Recht umgesetzt wurde. |
|
1.5. |
Der EWSA ist sich daher bewusst, dass sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Schifffahrtsunternehmen aufgrund des Umfangs der zu präzisierenden Bestimmungen ihre derzeitigen Verfahren anpassen müssen. Der EWSA begrüßt daher die Rolle der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und die nützliche Funktion der Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Fahrgastschiffen (Passenger Ship Safety Expert Group) gegenüber der Gruppe der Sachverständigen für Sicherheit im Seeverkehr (Maritime Safety Group), um die Umsetzung und Durchführung in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Sachverständigengruppen für die Hafenstaatkontrollen und die Umsetzung des nationalen einzigen Fensters (National Single Window) zu erleichtern. |
|
1.6. |
Der EWSA bringt sieben besondere technische Bemerkungen vor, für die an dieser Stelle auf Ziffer 5 verwiesen wird. |
2. Einleitung
|
2.1. |
Die geografische Beschaffenheit Europas, das eine große Halbinsel ist, macht deutlich, wie entscheidend Seeverkehrsdienste, einschließlich der Beförderung von Fahrgästen, sind. Jährlich werden in den Häfen der EU mehr als 400 Mio. Fahrgäste abgefertigt, von denen 120 Mio. von Fahrgastschiffen auf Inlandfahrten befördert werden. Daher müssen höchste Sicherheitsstandards in den EU-Gewässern gewährleistet werden, zumal die Sicherheitsvorschriften für Fahrgastschiffe erhebliche Auswirkungen insbesondere auf die Umwelt, das Arbeitsrecht, die Mobilität der EU-Bürger sowie die Erleichterung des Handels mit Fahrgastschiffen haben, da letztere in der gesamten EU denselben Normen unterliegen. |
|
2.2. |
Die tragischen Fährunglücke der „Herald of Free Enterprise“ bei der Ausfahrt aus dem Hafen von Seebrügge (Belgien) im Jahr 1987 und der „Estonia“ auf dem Weg von Tallinn nach Stockholm vor der finnischen Küste in der Nacht vom 27. auf den 28. September 1994 sind zumindest all jenen, die sich für Seefahrt interessieren, noch in Erinnerung. Das erste Unglück, bei dem die Fähre auf eine Sandbank auflief, forderte 193 Opfer, beim Untergang der „Estonia“ kamen 852 Menschen ums Leben — ein trauriger Rekord. Die Bugklappe, durch die Fahrgäste und Fahrzeuge ein- und ausschiffen („roll-on-roll-off“, daher auch die Bezeichnung „Ro-Ro-Schiffe“), war nicht geschlossen bzw. wurde durch den heftigen Sturm stark beschädigt. In der Folge bekamen die Fähren schnell schwere Schlagseite und sanken aufgrund der eindringenden Wassermassen innerhalb von knapp 30 Minuten. |
|
2.3. |
Als Reaktion auf die „Estonia“-Katastrophe änderte die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) das Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (International Convention for the Safety of Life at Sea — SOLAS) und erhöhte u. a. die Anforderungen an die Leckstabilität für Ro-Ro-Fahrgastschiffe. |
|
2.4. |
Es kam indes auch weiter zu Unfällen, weshalb Europa in den letzten 20 Jahren ergänzende Sicherheitsvorschriften für Fahrgastschiffe ausgearbeitet hat, darunter einige spezifische Vorschriften, beispielsweise die Registrierung der an Bord befindlichen Personen, neben dem SOLAS-Übereinkommen für Auslandfahrten, unter die auch Fahrten zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten fallen, sowie eine weitaus größere Zahl an EU-Vorschriften für Inlandfahrten. |
|
2.5. |
Die Vorschläge leiten sich aus dem REFIT-Programm (für „Regulatory Fitness and Performance“) zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung ab, dem die Europäische Kommission auch das Regelwerk für die Sicherheit von Fahrgastschiffen unterzogen hat. |
|
2.6. |
Ziel war die Vereinfachung und Straffung des bestehenden EU-Rechtsrahmens für die Sicherheit von Fahrgastschiffen wo immer möglich, um:
Dies steht im Einklang mit den Empfehlungen des EWSA in Sachen REFIT, die er in seiner vor Kurzem verabschiedeten Sondierungsstellungnahme (SC/044 vom 26. Mai 2016) ausgesprochen hat. |
|
2.7. |
Mit dem kohärenten Paket von Vorschlägen sollen eben diese Ziele erreicht werden. Das Maßnahmenpaket für die Sicherheit von Fahrgastschiffen beinhaltet Vorschläge zur Überprüfung nahezu aller EU-Vorschriften für die Sicherheit von Fahrgastschiffen, selbstverständlich mit Ausnahme der technischen Richtlinie 2003/25/EG über besondere Stabilitätsanforderungen für Ro-Ro-Fahrgastschiffe. |
|
2.8. |
Das Paket umfasst folgende drei Vorschläge:
|
|
2.9. |
Der letztgenannte Vorschlag ist Gegenstand dieser Stellungnahme. |
3. Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags für das Überprüfungssystem
|
3.1. |
Ziel des Vorschlags ist die Präzisierung und Vereinfachung der EU-Vorschriften für Besichtigungen und Überprüfungen von Ro-Ro-Fahrgastschiffen und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeugen, die derzeit gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 1999/35/EG (verpflichtende Besichtigungen von Ro-Ro-Fahrgastschiffen und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeugen im Linienverkehr) und der Richtlinie 2009/16/EG (Hafenstaatkontrolle) durchgeführt werden. |
|
3.2. |
Der Vorschlag steht im Einklang mit den Richtlinien 2009/21/EG und 2009/45/EG (Hafenstaatkontrolle von im Seeverkehr eingesetzten Schiffen auf Inland- und Auslandfahrten). Auch hier wird die Richtlinie in verschiedenen Mitgliedstaaten offenbar unterschiedlich umgesetzt. |
|
3.3. |
Mit dem Vorschlag soll das Konzept des „Aufnahmestaats“ gestrichen werden (gemäß Richtlinie 1999/35/EG ist der Aufnahmestaat, d. h. der Mitgliedstaat, in dem das Schiff unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats eingesetzt ist, für die Überprüfung von Ro-Ro-Fahrgastschiffen verantwortlich). Die Überprüfungen sollen in die Flaggen- und Hafenstaatkontrollen integriert werden. Abschließend soll klargestellt werden, wann die zwei jährlich durchzuführenden Überprüfungen gemäß der geltenden Richtlinie 1999/35/EG stattfinden müssen. |
|
3.4. |
Daher wird vorgeschlagen, durch eine neue Richtlinie die Richtlinie 2009/16/EG zu ändern und die Richtlinie 1999/35/EG aufzuheben. Die wichtigsten Punkte dieser neuen Richtlinie lassen sich wie folgt zusammenfassen:
|
4. Allgemeine Bemerkungen
|
4.1. |
Der EWSA begrüßt insgesamt die Ziele des REFIT-Programms der Europäischen Kommission zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung mit dem übergeordneten Ziel, einen klaren, einfachen und kohärenten Rechtsrahmen für die Sicherheit von Fahrgastschiffen zu schaffen, der leichter umzusetzen, zu überwachen und durchzusetzen ist, und dadurch das allgemeine Sicherheitsniveau für Fahrgäste und Schiffsbesatzungen zu gewährleisten. Diese REFIT-Vorschläge und Bewertungen ergänzen darüber hinaus konsequent die Ziele der Europäischen Seeverkehrsstrategie (COM(2009) 8 final), das volle Potenzial des Kurzstreckenseeverkehrs und der Seeverkehrsdienste für Unternehmen und Bürger in Europa zu nutzen. |
|
4.2. |
Unfallstatistiken zeigen, dass der geltende Rechtsrahmen ein hohes Sicherheitsniveau auf Fahrgastschiffen in EU-Gewässern bewirkt hat. Der EWSA begrüßt, dass durch die vorgeschlagene neue Richtlinie und die Änderung der Richtlinie 2009/16/EG erneut spezifische Sicherheitsanforderungen für Ro-Ro-Fahrgastschiffe und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge in den Mittelpunkt gestellt werden. Das Ergebnis der REFIT-Überprüfung bringt eine Präzisierung und Vereinfachung der bestehenden Anforderungen gemäß Richtlinie 1999/35/EG für Besichtigungen, erweiterte Überprüfungen im Rahmen der Hafenstaatkontrolle und jährliche Flaggenstaat-Besichtigungen, wobei weiterhin das gleiche Sicherheitsniveau für Fahrgäste von Ro-Ro-Fahrgastschiffen und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeugen im Linienverkehr in allen EU-Gewässern gewährleistet wird. |
|
4.3. |
Der EWSA hält es für sehr wichtig, dass das EU-Überprüfungssystem für Fahrgastschiffe auf Inland- und/oder Auslandfahrten gleiche Wettbewerbsbedingungen in den EU-Gewässern für alle Fahrgastschiffe ungeachtet ihrer Flagge sicherstellt. |
|
4.4. |
Der EWSA begrüßt, dass mit der geplanten Vereinfachung nicht nur mehr Rechtsklarheit geschaffen, sondern auch der Überprüfungsaufwand der nationalen Verwaltungen weiter rationalisiert und gleichzeitig die Dauer der wirtschaftlichen Nutzung der Schiffe maximiert wird. |
|
4.5. |
Die neue, 2009 im Rahmen der Pariser Vereinbarung über die Hafenstaatkontrolle beschlossene Überprüfungsregelung (New Inspection Regime — NIR) ist vor allem auf die Leistung des Seeverkehrs ausgerichtet: die Zahl der Überprüfungen von unternormigen Schiffen wurde erhöht, und Schiffe, die hohe Qualitätsstandards erfüllen, sollen seltener überprüft werden. Der EWSA anerkennt diese neue Überprüfungsregelung, insbesondere angesichts des zunehmenden Verwaltungsaufwands vor allem für Schiffe im Kurzstrecken-Seegüterverkehr sowie der Tatsache, dass jede zusätzliche Überprüfung diesen Verwaltungsaufwand noch weiter erhöht. |
|
4.6. |
Der EWSA betont, dass die Einhaltung von Mindestanforderungen für die Arbeit von Seeleuten an Bord eines Schiffes, u. a. auch in Bezug auf die im STCW-Übereinkommen enthaltenen Befähigungsnachweise betreffend medizinische Fürsorge und Ausbildung, von grundlegender Bedeutung für die Seeverkehrssicherheit ist und daher im Einklang mit geltenden internationalen Übereinkommen zu gewährleisten ist, beispielsweise mit dem Seearbeitsübereinkommen aus dem Jahr 2006, das mit der Richtlinie 2009/13/EG des Rates in EU-Recht umgesetzt wurde. Mit dieser Richtlinie wurden auch die spezifischen Rechtsvorschriften über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten, d. h. die Richtlinie 1999/63/EG, geändert, mit der die Gesundheit und die Sicherheit der Seeleute durch die Festlegung von Mindestanforderungen betreffend der Arbeitszeit gewährleistet werden sollte. Parallel dazu soll mit der Richtlinie 1999/95/EG die Seeverkehrssicherheit verbessert, unlauterer Wettbewerb durch Schifffahrtsunternehmen aus Drittländern bekämpft sowie die Gesundheit und die Sicherheit von Seeleuten an Bord von Schiffen, die EU-Häfen anlaufen, geschützt werden. |
|
4.7. |
Der EWSA ist sich bewusst, dass sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Schifffahrtsunternehmen aufgrund des Umfangs der zu präzisierenden Bestimmungen ihre derzeitigen Verfahren anpassen müssen. Der EWSA begrüßt daher die Rolle der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und die nützliche Funktion der Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Fahrgastschiffen (Passenger Ship Safety Expert Group) gegenüber der Gruppe der Sachverständigen für Sicherheit im Seeverkehr (Maritime Safety Group, eine ständige Sachverständigengruppe zur Seeverkehrssicherheit, die von der GD Mobilität und Verkehr eingerichtet wurde), um die Umsetzung und Durchführung in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Sachverständigengruppen für die Hafenstaatkontrollen und die Umsetzung des nationalen einzigen Fensters (National Single Window) zu erleichtern. Der EWSA begrüßt die seit Kurzem bestehende Möglichkeit für Organisationen der Interessenträger, an den Sitzungen der Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Fahrgastschiffen teilzunehmen, da derartige Diskussionsplattformen nach dem Vorbild des Europäischen Forums für nachhaltige Schifffahrt (European Sustainable Shipping Forum — ESSF) äußerst zweckdienlich sein können, da sie die Europäische Kommission, die Industrie, NRO und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten an einen Tisch bringen. |
|
4.8. |
In Bezug auf die regelmäßigen Überprüfungen gemäß Artikel 5 kann ein Schiff im Linienverkehr durchaus sowohl in den Anwendungsbereich der vorgeschlagenen neuen Richtlinie als auch der Richtlinie 2009/16/EG über Hafenstaatkontrollen fallen, die durch Artikel 14 dieser Richtlinie in Bezug auf die Überprüfung von Ro-Ro-Fahrgastschiffen und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeugen geändert wird. Im Sinne der Rationalisierung sollten potenzielle Überschneidungen in Bezug auf Überprüfungen zwischen den beiden genannten Richtlinien mit dieser vorgeschlagenen neuen Richtlinie vermieden werden. |
|
4.8.1. |
Auch wenn der Fall eintreten könnte, dass ein Schiff zu dem Zeitpunkt, zu dem gemäß der vorgeschlagenen neuen Richtlinie eine Überprüfung angesetzt ist, aufgrund der Risikoparameter im derzeitigen System für Hafenstaatkontrollen keiner erweiterten Überprüfung im Rahmen der Hafenstaatkontrolle unterliegt, ist eine angemessene Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich, um den zeitlichen Abstand zwischen den beiden gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b vorgeschriebenen Überprüfungen zu gewährleisten. |
|
4.8.2. |
Gemäß Artikel 10 der vorgeschlagenen neuen Richtlinie muss die Kommission eine Überprüfungsdatenbank einrichten. Es sollte klargestellt werden, ob eine derartige Überprüfungsdatenbank parallel zur Pariser Vereinbarung und zu dem THETIS-Informationssystem der EMSA unterhalten wird; insbesondere muss geklärt werden, welche Auswirkungen die gemäß dieser neuen Richtlinie durchgeführten Überprüfungen auf das Risikoprofil von Schiffen im Rahmen der Pariser Vereinbarung haben werden. |
|
4.8.3. |
In Bezug auf Artikel 1 Absatz 1 sollte betreffend den Begriff „Drittstaat“ präzisiert werden, ob damit Nicht-EU-Mitgliedstaaten oder sowohl EU-Mitgliedstaaten als auch Nicht-EU-Mitgliedstaaten gemeint sind. Nach Meinung des EWSA sollte ein „Drittstaat“ als Nicht-EU-Mitgliedstaat definiert werden, um Verwechslungen mit Ro-Ro-Fahrgastschiffen und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeugen zu vermeiden, die unter die Bestimmungen für die Hafenstaatkontrolle gemäß Artikel 14 der vorgeschlagenen neuen Richtlinie fallen. |
|
4.9. |
Nach Auffassung des EWSA liegt die vorrangige Aufgabe der EU darin, sicherzustellen, dass etwaige Änderungen der in Artikel 2 der vorgeschlagenen neuen Richtlinie genannten internationalen Übereinkommen angemessene Standards für die Seeverkehrssicherheit und den Schutz der Meeresumwelt weltweit nicht beeinträchtigen. Daher ist er der Meinung, dass die Bestimmungen über eine mögliche künftige Abweichung von internationalen Rechtsvorschriften gemäß Artikel 12 und 13 der vorgeschlagenen neuen Richtlinie nur als letztes Mittel eingesetzt werden und ggf. ein europäisches Handeln nach sich ziehen sollten, um sicherzustellen, dass jedweder Widerspruch zwischen den EU-Rechtsvorschriften für den Seeverkehr und internationalen Instrumenten letztendlich zu einer kompatiblen Lösung auf internationaler Ebene führt. |
5. Besondere Bemerkungen
|
5.1. |
In Bezug auf die Begriffsbestimmung von „Linienverkehr“ gemäß Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe a und Artikel 14 des Richtlinienvorschlags schlägt der EWSA vor, diese wie folgt zu präzisieren: „nach einer öffentlich zugänglichen oder geplanten Liste mit den Abfahrts- und Ankunftszeiten“. |
|
5.2. |
Die Anforderungen in Artikel 3 Absatz 2 für die „Vorab-Überprüfung“ und in Artikel 4 Absatz 1 für „Ausnahmen von der Pflicht zur Durchführung der Vorab-Überprüfung“ sind überflüssig und verwirrend. Der EWSA schlägt vor, diese beiden Absätze in einem neuen Artikel 4 Absatz 1 zusammenzuführen, um kohärent auf die Bedingungen zu verweisen, unter denen ein Schiff von einer Überprüfung ausgenommen werden kann, wenn ein Mitgliedstaat die vorherige Überprüfung oder Besichtigung als zufriedenstellend befunden hat. In diesen neuen Absatz sollte auch ein Verweis auf die Vorab-Überprüfungen für Ro-Ro-Fahrgastschiffe und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge aufgenommen werden, die in der Richtlinie 2009/16/EG in der durch Artikel 14 der vorgeschlagenen neuen Richtlinie geänderten Fassung vorgeschrieben sind. |
|
5.3. |
In der vorgeschlagenen neuen Richtlinie ist ein Verfahren für den Fall vorgesehen, dass aufgrund unvorhergesehener Umstände rasch ein Ro-Ro-Fahrgastschiff oder Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeug als Ersatz eingesetzt werden muss (Artikel 4 Absatz 3). Der EWSA schlägt indes vor, ein eigenes Verfahren für ein Ersatzschiff für einen begrenzten Zeitraum vorzusehen, wenn Artikel 4 Absatz 1 keine Anwendung findet, beispielsweise im Falle einer planmäßigen Wartung des Schiffes im Linienverkehr. |
|
5.4. |
Der Abstand für die zwei jährlichen Überprüfungen gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b sollte auch in Artikel 14a Absatz 2 aufgenommen werden, um in zeitlicher Hinsicht ein gemeinsames Sicherheitsniveau zwischen dieser Richtlinie und Richtlinie 2009/16/EG zu gewährleisten. Außerdem ist der Abstand zwischen den zwei jährlichen Überprüfungen, die innerhalb von zwölf Monaten erfolgen sollten, für Schiffe, die saisonal betrieben werden, nicht präzisiert; dies sollte geklärt werden. |
|
5.5. |
Der Wortlaut von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b „auf eine ausreichende Anzahl der in den Anhängen I und II aufgeführten Punkte“, auf die sich die Überprüfung während eines Linienverkehrsdienstes erstreckt, ist unklar. Der EWSA schlägt vor, dass der Überprüfer sich bei der Entscheidung, welche Punkte in welchem Ausmaß zu überprüfen sind, auf seine Berufserfahrung verlässt, um den Gesamtzustand in diesen Bereichen zu überprüfen und eine Doppelüberprüfung von Punkten zu vermeiden, die aufgrund anderer internationaler Vorschriften bereits verpflichtend überprüft wurden. Er schlägt außerdem vor, die gleiche Änderung in Artikel 14a Absatz 2 Buchstabe b vorzunehmen. Darüber hinaus könnte in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b und in Anhang III im Interesse der Klarheit festgehalten werden, dass während eines Linienverkehrsdienstes eine Überprüfungen im Betrieb stattfindet. Sowohl aus praktischen Gründen als auch aufgrund der begrenzten zur Verfügung stehenden Zeit während des Linienverkehrsdienstes sollten Überprüfungen im Betrieb insbesondere auf sehr kurzen Seeverkehrsstrecken in Betracht gezogen werden. |
|
5.6. |
Der Richtlinienvorschlag ist zwar deutlich an Artikel 19 der Richtlinie 2009/16/EG zu „Mängelbeseitigung und Festhalten“ angelehnt, doch sollte Folgendes präzisiert werden: „Bei der Ausübung der Überprüfung gemäß dieser Richtlinie sind alle nur möglichen Anstrengungen zu unternehmen, um ein unangemessenes Festhalten oder Aufhalten des Schiffes zu vermeiden.“ |
|
5.7. |
Da Ro-Ro-Fahrgastschiffe und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge in Artikel 2 des Richtlinienvorschlags getrennt definiert sind, schlägt der EWSA vor, im Interesse der Klarheit im gesamten Text ausschließlich auf „Ro-Ro-Fahrgastschiffe und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge“ zu verweisen. Erwägungsgrund 6 sollte daher entsprechend geändert werden. |
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
|
2.2.2017 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 34/182 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1920/2006 in Bezug auf den Informationsaustausch, das Frühwarnsystem und das Risikobewertungsverfahren für neue psychoaktive Substanzen“
(COM(2016) 547 final — 2016/0261 (COD))
(2017/C 034/31)
|
Befassung |
Rat, 7.9.2016 |
|
Rechtsgrundlage |
Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (COM(2016) 547 final — 2016/0261 (COD)) |
|
Zuständige Fachgruppe |
Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft |
|
Verabschiedung auf der Plenartagung |
19.10.2016 |
|
Plenartagung Nr. |
520 |
|
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
228/2/5 |
Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über neue psychoaktive Substanzen“ (EESC-2013-06166-00-00-AC-TRA) vom 21. Januar 2014 (1) dazu geäußert hat, beschloss er auf seiner 520. Plenartagung am 19./20. Oktober 2016 (Sitzung vom 19. Oktober), eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.
Brüssel, den 19. Oktober 2016
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) Stellungnahme des EWSA zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über neue psychoaktive Substanzen, COM(2013) 619 final — 2013/0305 (COD), COM(2013) 618 final — 2013/0304 (COD) (ABl. C 177 vom 11.6.2014, S. 52).