ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 303

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

59. Jahrgang
19. August 2016


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

517. Plenartagung des EWSA vom 25./26. Mai 2016

2016/C 303/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Rolle der heimischen Kohle in der Energiewende (Initiativstellungnahme)

1

2016/C 303/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Die Auswirkungen der auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen auf die europäische Verkehrspolitik (Initiativstellungnahme)

10

2016/C 303/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten (Initiativstellungnahme)

17

2016/C 303/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Innovation als Impulsgeber für neue Geschäftsmodelle (Sondierungsstellungnahme)

28

2016/C 303/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Sharing Economy und Selbstregulierung (Sondierungsstellungnahme)

36

2016/C 303/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema REFIT (Sondierungsstellungnahme)

45

2016/C 303/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Der Wandel der Beschäftigungsverhältnisse und seine Auswirkungen auf die Wahrung eines existenzsichernden Arbeitseinkommens sowie Auswirkungen technischer Entwicklungen auf das System der sozialen Sicherheit und das Arbeitsrecht (Sondierungsstellungnahme)

54

2016/C 303/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Nachhaltigere Lebensmittelsysteme (Sondierungsstellungnahme)

64

2016/C 303/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Ein Nachhaltigkeitsforum der europäischen Zivilgesellschaft (Sondierungsstellungnahme)

73


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

517. Plenartagung des EWSA vom 25./26. Mai 2016

2016/C 303/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Das jährliche Arbeitsprogramm 2016 der Union für europäische Normung [COM(2015) 686 final]

81

2016/C 303/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge [COM(2016) 31 final — 2016/0014 (COD)]

86

2016/C 303/12

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente in Bezug auf bestimmte Daten [COM(2016) 56 final — 2016/0033 (COD)] und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente, der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 über Marktmissbrauch und der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer in Bezug auf bestimmte Daten [COM(2016) 57 final — 2016/0034 (COD)]

91

2016/C 303/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission: Investitionen in Beschäftigung und Wachstum — Maximierung des Beitrags der europäischen Struktur- und Investitionsfonds [COM(2015) 639 final]

94

2016/C 303/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen [COM(2015) 615 final — 2015/0278 (COD)]

103

2016/C 303/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 768/2005 des Rates zur Errichtung einer Europäischen Fischereiaufsichtsagentur [COM(2015) 669 final — 2015/0308 COD], der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Ein europäischer Grenz- und Küstenschutz und effiziente Sicherung der Außengrenzen [COM(2015) 673 final] und dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004, der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 und der Entscheidung 2005/267/EG [COM(2015) 671 final — 2015/0310 (COD)]

109

2016/C 303/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die nachhaltige Bewirtschaftung von Außenflotten und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1006/2008 des Rates [COM(2015) 636 final — 2015/0289 (COD)]

116

2016/C 303/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Quecksilber und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1102/2008 [COM(2016) 39 final — 2016/023 (COD)]

122

2016/C 303/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Nutzung des Frequenzbands 470-790 MHz in der Union [COM(2016) 43 final — 2016/0027 (COD)]

127

2016/C 303/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Zukunft der EU-Beziehungen zu den AKP-Staaten

131

2016/C 303/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Gemeinsamen Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik [JOIN(2015) 50 final]

138

2016/C 303/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 258/2014 zur Auflegung eines Unionsprogramms zur Unterstützung spezieller Tätigkeiten im Bereich Rechnungslegung und Abschlussprüfung für den Zeitraum 2014-2020 [COM(2016) 202 final — 2016/0110 (COD)]

147

2016/C 303/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 für das Kalenderjahr 2016 [COM(2016) 159 final — 2016/0086 COD]

148


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

517. Plenartagung des EWSA vom 25./26. Mai 2016

19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle der heimischen Kohle in der Energiewende“

(Initiativstellungnahme)

(2016/C 303/01)

Hauptberichterstatter:

Dumitru FORNEA

Mithauptberichterstatterin:

Renata EISENVORTOVA

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. Februar 2015 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Der Beitrag der heimischen Stein- und Braunkohle zur Energieversorgungssicherheit der EU

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 5. November 2015 an.

In seiner Sitzung vom 24. Mai 2016 beschloss das Präsidium, den Titel der Stellungnahme abzuändern in:

Die Rolle der heimischen Kohle in der Energiewende.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 139 gegen 17 Stimmen bei 54 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Im Rahmen der Energiewende und dem Wandel hin zu einer Niedrigemissionswirtschaft stehen dem EU-Energiesystem tief greifende technologische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen bevor, die neben zahlreichen weiteren Energiesektoren auch die Kohleindustrie und folglich die Kohlebergbauregionen in der EU betreffen werden.

1.2.

In einigen Mitgliedstaaten spielen heimische Stein- und Braunkohle nach wie vor eine wichtige Rolle bei der Strom- und Wärmeerzeugung. Sie tragen zu einer sicheren und erschwinglichen Energieversorgung sowie wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit bei und üben sowohl in technischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine Stabilisierungsfunktion im Energiesystem aus.

1.3.

Die gegenwärtig aktiven Kohlebergbauregionen müssen sich jedoch im Zuge der Umsetzung der energie- und klimapolitischen Beschlüsse der EU zur Nutzung fossiler Brennstoffe oder aus wirtschaftlichen Gründen auf eine Einstellung der Kohleförderung vorbereiten.

1.4.

Die Zukunft der gegenwärtig vom Kohlebergbau abhängigen Regionen und die künftigen dortigen Lebensbedingungen müssen Gegenstand einer Vorausplanung sein, die sich über zwei Generationen, d. h. 25-50 Jahre, erstreckt. Die schrittweise Einstellung der Kohleförderung zur Energieerzeugung in diesen Regionen darf kein Grund für ihren Wachstumsstillstand sein. In Anbetracht ihres wirtschaftlichen und sozialen Potenzials müssen diese Regionen in die Umsetzung der EU-Energie- und Klimaschutzpolitik eingebunden werden. Die nachhaltige Entwicklung dieser Regionen muss durch Übergangspläne auf nationaler, industrieller und betrieblicher Ebene im Wege des politischen, zivilen und sozialen Dialogs sichergestellt werden.

1.5.

Zur Gewährleistung von Energieversorgungssicherheit, einer wettbewerbsfähigen Industrie, Umweltschutz, der Einhaltung der Emissionssenkungsverpflichtungen und sozialem Zusammenhalt in Kohlebergbauregionen spricht sich der EWSA für einen „Plan zur Unterstützung des Wandels in den von Kohleförderung abhängigen Gemeinschaften und Regionen“ (den „Plan“) aus, um im Rahmen der Energiewende der Strukturwandelproblematik in der Kohleindustrie Rechnung zu tragen und den Kohlebergbauregionen die Anpassung zu erleichtern.

1.6.

Der „Plan“ könnte von einer beratenden Gruppe in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament entwickelt werden. In dieser beratenden Gruppe sollten die Bergbauregionen, Gewerkschaften, NGO, FuE-Einrichtungen sowie die Kohleindustrie vertreten sein.

1.7.

Der Plan sollte sich auf drei Säulen stützen: i) politischer, ziviler und sozialer Dialog; ii) wirtschaftliche, soziale und umweltbezogene Investitionen sowie iii) Investitionen in allgemeine und berufliche Bildung, Forschung und Entwicklung, Innovation und Kultur.

1.8.

Der Plan sollte die Regionen zum Wandel ermutigen, innovative Entwicklungen anregen, ihre Attraktivität als Investitionsstandort wahren und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie Perspektiven für ein menschenwürdiges Leben schaffen. Im Prozess des Wandels muss das Fach- und Sachwissen und Potenzial der Bergbauregionen umfassend zum Tragen gebracht werden.

1.9.

Die Regionalbehörden, Mitgliedstaatsregierungen und EU-Institutionen müssen sich allesamt in die Energiewende und den damit verbundenen Strukturwandel in den Kohlebergbauregionen einbringen.

1.10.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Ausschuss der Regionen verfügen über die notwendige Erfahrung, um an diesem Prozess sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene mitzuwirken. Sie können auch einen wirksamen Rahmen für den politischen, sozialen und zivilen Dialog bieten, der zur Konsultation der Menschen in den Kohlebergbauregionen erforderlich ist.

1.11.

Ein Hauptanliegen der EU-Kohlebergbauregionen im Zusammenhang mit der Energiewende ist die Sicherstellung eines angemessenen institutionellen und politischen Rahmens zur Förderung der öffentlichen und privaten Investitionen, die in den kommenden Jahren benötigt werden.

2.   EU-Energiewende

2.1.

In den letzten zehn Jahren haben im EU-Energiesystem grundlegende Veränderungen stattgefunden. Die EU hat die Weichen für den Übergang zu einer Niedrigemissionswirtschaft und die Umsetzung ihrer 20-20-20-Ziele für Emissionssenkungen, Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger gestellt. 2014 nahm die EU ihren Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis 2030 an, der eine Senkung der Treibhausgasemissionen um 40 %, eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energiequellen auf 27 % und eine Steigerung der Energieeffizienz um 27 % vorsieht. Diese Zwischenziele sollen es der EU ermöglichen, ihr langfristiges Ziel einer 80-95 %igen Senkung des Klimagasausstoßes bis 2050 zu erreichen.

2.2.

Das EU-Energiesystem lässt demnach eine durch fossile Brennstoffe und zentrale Stromerzeugung in Großkraftwerken geprägte Zeit hinter sich und wendet sich der erneuerbaren Energieerzeugung in dezentralen Anlagen zu, während gleichzeitig das Energieeffizienzpotenzial ausgeschöpft und das Lastmanagement durch Nachfragesteuerung verbessert werden.

2.3.

Die Energiewende und die ehrgeizige EU-Klimapolitik wurden durch die Rahmenstrategie für eine Energieunion untermauert und erhielten nach Abschluss des Übereinkommens von Paris weiteren Auftrieb, von dem die klare Botschaft ausgeht, dass die Emissionen ausreichend gesenkt werden müssen, um die Erderwärmung wie vereinbart bis Ende des Jahrhunderts auf unter 2 oC zu halten.

2.4.

Um das Klima zu stabilisieren, sind weitreichende Veränderungen in den Energiesystemen aller Wirtschaftsbereiche notwendig  (1).

2.5.

Die Energiewende beinhaltet technologische, Forschungs-, gesellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche und ökologische Aspekte, was bedeutet, dass Einzelne und Gemeinschaften eine aktivere Rolle übernehmen müssen. Ein besonderer Schwerpunkt muss auf Forschung und Entwicklung gelegt werden, da das Energiesystem und die Industrie auf die neuen Herausforderungen reagieren und sich anpassen müssen.

3.   Kohle und die Kohleindustrie in Europa

3.1.

Die Kohleindustrie gehört zu den Branchen, auf die sich die Energiewende tief greifend auswirkt. Jahrhundertelang stand Kohle im Mittelpunkt der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in Europa und der ganzen Welt. Die Europäische Union selbst geht auf den politischen Willen der sechs Gründerstaaten zurück, ihre Montanindustrie zu vergemeinschaften (2).

3.2.

Aktuelle Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutzanliegen  (3) haben bewirkt, dass in zahlreichen politischen und gesellschaftlichen Ansätzen die Notwendigkeit infrage gestellt wird, Kohle und andere fossile Brennstoffe weiterhin für die Strom- und Wärmeerzeugung zu nutzen.

3.3.

Im Rahmen dieser neuen politischen Strategie scheinen die Tage der Kohle gezählt zu sein, und das, obwohl derzeit immer noch über ein Viertel der Stromerzeugung in der EU durch 280 Kohlekraftwerke in 22 Ländern sichergestellt wird. Nur in sechs Mitgliedstaaten gibt es keine Kohleverstromung: Zypern, Estland, Lettland, Litauen, Luxemburg und Malta (4).

3.4.

Die Akzeptanz eines kohlefreien Energiemixes ist in denjenigen Mitgliedstaaten, in denen keine heimischen Kohleressourcen genutzt werden, allgemein hoch, nicht aber in den EU-Kohlebergbauregionen, in denen der Kohlesektor 240 000 direkte Arbeitsplätze stellt. Unter Berücksichtigung der Arbeitsplätze in der Bergbauausrüstungsindustrie und der Lieferkette sowie indirekter Arbeitsplätze unterstützt die Kohleindustrie knapp eine Million Arbeitsplätze in Regionen, in denen es großenteils kaum andere Beschäftigungsmöglichkeiten gibt (5).

3.5.

In sechs Mitgliedstaaten wird Hartkohle gefördert: in der Tschechischen Republik, Deutschland, Polen, Rumänien, Spanien und dem Vereinigten Königreich. Neun Mitgliedstaaten bauen Braunkohle zur wettbewerbsfähigen Verstromung ab: Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik und Ungarn.

3.6.

In diesen Ländern leisten heimische Stein- und Braunkohle einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit und damit zur Energiesicherheit in der EU und der Verringerung der hohen Importabhängigkeit. Der Mitteilung zur Strategie für eine sichere europäische Energieversorgung (6) zufolge kosten die Energieimporte der EU mehr als 1 Mrd. EUR pro Tag. Im Jahr 2013 beliefen sich die Gesamtkosten auf 400 Mrd. EUR. Die Energieimporte machen mehr als ein Fünftel der gesamten Einfuhren in die EU aus. Importiert werden mussten 90 % Rohöl, 66 % Erdgas, 42 % feste Brennstoffe (42 %) sowie 40 % nukleare Brennstoffe. In einigen Mitgliedstaaten der EU, in denen im großen Maßstab heimische Kohle gefördert wird, wie z. B. in Deutschland und der Tschechischen Republik, werden 50 % der Stromerzeugung durch Kohlekraftwerke gewährleistet. In Polen übersteigt der Anteil des Kohlestroms 80 %.

3.7.

Neben der Verstromung hat Kohle viele weitere Verwendungszwecke. Sie wird bei der Zementherstellung eingesetzt und kann zu Flüssigbrennstoffen veredelt werden. Weitere wichtige Einsatzbereiche für Kohle sind Stahlwerke, die Papier-, Chemie-, Pharma- und die lebensmittelverarbeitende Industrie.

3.8.

Kohle ist ferner wesentlicher Bestandteil von Spezialprodukten wie in Filtern eingesetzter Aktivkohle oder von Kohlenstofffasern, die in der Luft- und Raumfahrt, im Hoch- und Tiefbau, im militärischen Bereich usw. genutzt werden. Über industrielle Verfahren können aus Kohle Brennstoffe oder von der Industrie benötigte Grundchemikalien wie Methanol synthetisiert werden. Aus Methanol wiederum kann eine breite Palette Petrochemieprodukte hergestellt werden, die derzeit aus anderen fossilen Brennstoffen gewonnen werden.

3.9.

Um das Ziel einer resilienten Energieunion in Verbindung mit einer zukunftsfähigen Klimaschutzstrategie zu erreichen, müssen die Energiebranchen der EU sich ernstlich und umfassend auf die notwendige Energiewende einlassen. Die Kohleindustrie muss eine effizientere und sauberere Kohlenutzung sowie die Entwicklung alternativer Verwendungsmöglichkeiten für Kohle ins Visier nehmen. Die EU sollte deshalb die erforderlichen Mittel für Forschung und Entwicklung im Bereich Kohlechemie bereitstellen.

4.   Maßnahmen für eine weniger schädliche und effizientere Kohlenutzung

4.1.

Auch wenn der Ausstieg aus der Kohle in der EU für irgendwann in der Zukunft auf dem Plan steht, wird Kohle in einigen Ländern und Bergbauregionen noch mehrere Jahrzehnte lang genutzt werden. Dem Vertrag von Lissabon zufolge haben die Mitgliedstaaten die Entscheidungshoheit über ihre nationalen Ressourcen und ihren Energiemix, wobei die Energieerzeugung nicht subventioniert und alle Klimaschutzverpflichtungen berücksichtigt werden sollten. Die Kohleindustrie muss jedoch auf die Energiewende, den Wandel hin zu einer Niedrigemissionswirtschaft und vor allem das Dekarbonisierungsziel reagieren und auf alle verfügbaren Maßnahmen und Techniken für eine weniger schädliche und effizientere Kohlenutzung zurückgreifen. Insbesondere Effizienzsteigerung, Flexibilität und Kraft-Wärme-Kopplung haben sich diesbezüglich bewährt.

4.2.

Da ein Großteil der Kohle verstromt wird, kann vor allem durch eine Steigerung der Effizienz die Verschmutzung durch Kohle verringert werden. Durch hocheffiziente Kohleverbrennung können aus jeder Tonne Kohle mehr Strom erzeugt und die CO2-Emissionen um mindestens 30 % gesenkt werden. Beispiele für hocheffiziente Kohlekraftwerke mit Prozessoptimierung sind in Deutschland zu finden. Diese Kohlekraftwerke sind auch hochflexibel und können ihre Leistung rasch hoch- oder runterfahren und damit intermittierende erneuerbare Stromerzeugung ausgleichen.

4.3.

Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) ist ein wirksames und effizientes Verfahren zur Energieerzeugung, das sowohl unter Energie- als auch unter Umweltgesichtspunkten beträchtliche Vorteile bietet. Konventionelle Kraftwerke geben ihre Abwärme an die Umgebung ab. Bei KWK-Anlagen wird die Wärmeenergie zur Weiterverwendung zurückgewonnen und somit der eingesetzte Brennstoff effizienter genutzt. Derzeit beträgt der KWK-Anteil an der Stromerzeugung in der EU 11,7 % (7).

4.4.

Mittelfristig besteht die Hoffnung, dass Kohlenstoffabscheidungs- und -speicherungstechnologien (CCS) in einer Niedrigemissionswirtschaft einsatzfähig sind. Bevor jedoch CCS-Verfahren verbindlich eingeführt werden, müssen die bestehenden Verfahren im Hinblick auf ihren Einsatz im großen Maßstab verbessert, die Infrastruktur und Speicherung optimiert und die Wettbewerbsfähigkeit von Strom aus CCS-Kohlekraftwerken sichergestellt werden. Eine Kosten-Nutzen-Analyse und eine Umweltfolgenabschätzung sollten vorgenommen werden.

4.5.

Im Rahmen der Überlegungen zu einer effizienteren und weniger umweltschädlichen Nutzung von Kohle sollten auch alternative Verwendungszwecke wie Kohleverflüssigung erwähnt werden. Kohle kann in Flüssigkraftstoffe umgewandelt werden — Benzin, Dieselkraftstoff, Kerosin oder Petrochemikalien. Die technischen Verfahren sind entwickelt, doch sind die Investitionen und Betriebskosten zu bedenken.

5.   Europäische Kohlebergbauregionen und ihre Zukunft

5.1.    Die Lage in den europäischen Kohlebergbauregionen

5.1.1.

Kohleregionen sind traditionelle Industriegebiete, deren industrielle Entwicklung mit dem Abbau der lokalen mineralischen Ressourcen verknüpft war. Die Regionen sind daher historisch mit den traditionellen Wirtschaftszweigen verbunden, vor allem mit der Schwermetallindustrie, der Chemieindustrie und dem Energiebereich. Diese Wirtschaftszweige und die einschlägigen Unternehmen sind in den letzten Jahren mit einem raschen Wandel in ihrem Umfeld (Marktbedingungen, Wettbewerb, Kunden, Technologien) sowie mit tief greifenden internen Veränderungen (Änderungen der Eigentumsverhältnisse, Ziele der Eigentümer und Kapitalstärke) konfrontiert worden.

5.1.2.

Zusätzlich zu diesen großen Veränderungen haben einige traditionelle Industrien eine Stagnation verzeichnet, sind aus Regionen abgewandert oder gar Gegenstand von Ausstiegsszenarien. In einigen Regionen konnte europäische Kohle nicht mit Importkohle oder anderen fossilen Energieträgern konkurrieren, was zum Niedergang des Kohlebergbaus führte. Um nur ein Beispiel zu nennen: Vor 100 Jahren wurden im Vereinigten Königreich ca. 300 Mio. t Kohle jährlich produziert, im Kohlebergbau arbeiteten dort über eine Million Bergleute. Trotz der Arbeitsplatzverluste infolge der Deindustrialisierung gehören Kohlebergbau-Unternehmen in einigen der Regionen nach wie vor zu den größten Arbeitgebern. Die schrittweise oder vollständige Einstellung der Tätigkeit der Kohleunternehmen ist deshalb für die betreffenden Regionen folgenschwer. Auch auf KMU im Umfeld der Bergbauunternehmen hat sich die Entwicklung gravierend ausgewirkt.

5.1.3.

In vielen Ländern sind für Kohlebergbauregionen eine höhere Arbeitslosenquote als der jeweilige nationale Durchschnitt sowie Langzeitarbeitslosigkeit kennzeichnend. Arbeitslose Bergleute finden deshalb kaum einen neuen Arbeitsplatz. Und so nehmen Armut, Stagnation, sinkende Lebensqualität, benachteiligte Gebiete und die Zahl sozial ausgegrenzter Menschen immer weiter zu.

5.1.4.

Das Hauptproblem in Verbindung mit den steigenden Arbeitslosenzahlen ist das unausgewogene Verhältnis zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage. Anders ausgedrückt: Der hohen Arbeitslosigkeit steht eine deutliche Nachfrage nach Arbeitskräften gegenüber, die allerdings die vom Arbeitsmarkt geforderten Qualifikationen mitbringen müssen. Die Bildungsvoraussetzungen ehemaliger Bergleute mit überwiegend manuellen Fertigkeiten entsprechen nicht ganz den Arbeitsmarktanforderungen an das berufliche und persönliche Profil (Qualifikationen bzw. Motivation). Bei Massenentlassungen aufgrund der Stilllegung von Bergwerken gehen praktisch über Nacht unzählige Arbeitsplätze verloren, was starke lokale Erschütterungen hervorrufen kann.

5.1.5.

Bergleute verfügen kaum über Unternehmergeist oder Interesse an neuen Tätigkeitsfeldern. Ihre mangelnde Begeisterungsfähigkeit für selbstständige Tätigkeiten ist auf den anhaltenden Einfluss der großen und mächtigen Bergbauunternehmen zurückzuführen, die unter ihren Beschäftigten eine Mitarbeiterkultur ohne Risikobereitschaft förderten. Indes handelt es sich hierbei um einen allgemeinen Trend. Selbst Hochschulabsolventen würden zunächst ein Beschäftigtenverhältnis bevorzugen.

5.1.6.

Die Lage wird häufig dadurch erschwert, dass es an aussichtsreichen Beschäftigungs- und Karriereaussichten mangelt, die Voraussetzungen für eine selbstständige unternehmerische Tätigkeit ungünstig sind, der Lebensqualitätsindex niedrig ist und die Innovationsleistung schlecht ausfällt, was wiederum im Zusammenhang mit der rückläufigen Rolle von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung zu sehen ist. Die öffentlichen FuE-Kapazitäten sind nicht überall ausreichend entwickelt, und der Wissenstransfer und die Anwendung von Forschungsergebnissen im Unternehmensbereich funktionieren nicht besonders gut. Auch deshalb gestaltet sich der wirtschaftliche Wandel schwieriger und ist nicht in allen Fällen erfolgreich.

5.2.    Strukturwandelprobleme in den Kohlebergbauregionen

5.2.1.

In den EU-Kohleförderländern hat häufig ein krisenbedingter Strukturwandel stattgefunden, der nicht durch angemessene politische Verpflichtungen abgefedert wurde, was zu folgenschweren Auswirkungen auf die Lebensqualität der Menschen in den Bergbaurevieren führte. Jede weitere Einschränkung der Kohleförderung kann zur Zunahme der Arbeitslosigkeit führen, zumal in Bergbaugebieten im langfristigen strukturbedingten Niedergang. Viele ehemalige Bergleute und Beschäftigte aus vom Bergbau abhängigen Unternehmen werden auf lange Zeit und häufig dauerhaft arbeitslos und verarmen.

5.2.2.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen betreiben die maßgeblichen europäischen und nationalen Behörden leider eine Vogel-Strauß-Politik mit Blick auf die zu erwartenden Auswirkungen der Klimaschutzpolitik auf die Kohlebergbauindustrie und gehen jedem angemessenen zivilen und sozialen Dialog mit den Beschäftigten und Bürgern in den Kohlerevieren aus dem Weg. Die Erinnerung an frühere, von populistischen politischen Versprechen begleitete Umstrukturierungsmaßnahmen, die letztlich nicht in konkrete Maßnahmen für die wirtschaftliche Erneuerung der betroffenen Gebiete mündeten, schlägt sich noch heute in einem ausgeprägten Misstrauen der Arbeitnehmer gegenüber der Fähigkeit der Behörden nieder, den industriellen Strukturwandel zu bewältigen.

5.2.3.

Gleichzeitig ist festzustellen, dass auf europäischer und nationaler Ebene eine gewisse Gleichgültigkeit und Verständnislosigkeit gegenüber den Problemen der Bergbauregionen herrscht. Es findet eine immer stärkere Politisierung der Debatte über die Zukunft des Bergbaus im Kontext der Klimapolitik statt, vor allem in den Kohlebergbauregionen, die nicht auf staatliche Beihilfen für Kohleförderung angewiesen sind, aber auch in denjenigen Bergbauregionen, in denen die Kohleindustrie bereits in einem schmerzhaften Strukturwandel begriffen ist; Politiker meiden das Thema, da die unpopulären, erst nach Jahrzehnten fruchtbaren Maßnahmen zur Entwicklung eines neuen regionalen Profils keine Wählerstimmen bringen.

5.2.4.

Da ein klarer Zusammenhang zwischen Kohleausstieg und Klimaschutz herrscht, muss die Unterstützung der Regionen, die unter Strukturwandelproblemen leiden, d. h. der Kohlebergbauregionen, Bestandteil der europäischen Strategie zur Verwirklichung der Klimaziele sein.

5.2.5.

Die lokalen Behörden verfügen häufig nicht über die erforderlichen finanziellen und administrativen Kapazitäten, um Projekte im Einklang mit den spezifischen Anforderungen der Europäischen Kommission und nationalen Behörden zu fördern und zu verwalten, und deshalb tragen die europäischen Fonds vergleichsweise wenig zur Verbesserung der Chancen und Lebensqualität der Menschen in den Kohlerevieren bei.

5.3.    Voraussetzungen, Möglichkeiten und Maßnahmen für den Strukturwandel in Kohlebergbauregionen

5.3.1.

Ein „gerechter Übergang“ (8) für die Kohlereviere kann bewerkstelligt werden, wenn die nationalen und europäischen Behörden rechtzeitig einen zielorientierten Aktionsplan aufstellen, um für die betroffenen Arbeitnehmer angemessene Löhne und Beschäftigungssicherheit sicherzustellen, Aus- und Weiterbildung und anderweitige annehmbare Beschäftigungsmöglichkeiten zu fördern, die Wahrung der Menschenrechte und soziale Sicherheit einschl. Rentenansprüche zur Unterstützung der Menschen während des Strukturwandels sicherzustellen, und Investitionen in die Erneuerung der Kohlereviere, die Stilllegung von Zechen und die Umwidmung/Restauration der Anlagen oder den Aufbau von Infrastruktur und Diensten im Rahmen der Energiewende zu fördern.

5.3.2.

Diese Regionen benötigen daher dringend finanzielle und wissenschaftliche Unterstützung, um nicht nur ein neues Wirtschafts- und Sozialmodell zu entwickeln, sondern auch in einem vertretbaren zeitlichen Rahmen die verschiedenen Gesundheits- und Umweltrisiken aufgrund der gegenwärtigen und vergangenen Bergbautätigkeiten in den Griff zu bekommen. Die Bergbehörden oder geologischen Dienste der Mitgliedstaaten, die für die Stilllegung und Restauration von Bergwerken zuständig sind, müssen dementsprechend zusammenarbeiten, Mineral- und Lagerstättendaten erheben und speichern und die wesentlichen Risiken im Zusammenhang mit vergangenen Bergbautätigkeiten, Zechenstilllegung oder Erhaltung von Bergwerksanlagen ermitteln.

5.3.3.

Die Zukunft der gegenwärtig vom Kohlebergbau abhängigen Regionen und die künftigen dortigen Lebensbedingungen müssen Gegenstand einer Vorausplanung sein, die sich über zwei Generationen, d. h. 25-50 Jahre, erstreckt. Die schrittweise Einstellung der Kohleförderung zur Energieerzeugung in diesen Regionen darf kein Grund für ihren Wachstumsstillstand sein. In Anbetracht ihres wirtschaftlichen und sozialen Potenzials müssen diese Regionen in die Umsetzung der EU-Energie- und Klimaschutzpolitik eingebunden werden. Die nachhaltige Entwicklung dieser Regionen muss durch Übergangspläne auf nationaler, industrieller und betrieblicher Ebene im Wege des politischen, zivilen und sozialen Dialogs sichergestellt werden.

5.3.4.

Die Attraktivität für ausländische und einheimische Investoren muss ebenfalls neu belebt werden; neben den unzureichenden Qualifikationen der Arbeitskräfte wird sie auch durch den Mangel an geeigneten, erschlossenen Betriebsgrundstücken und an strategischen Industriegebieten beeinträchtigt.

5.3.5.

Die Lage ehemaliger Bergarbeiter in Kohlebergbauregionen ist also nicht einfach. Aufgeklärte Vertreter der Kohlebergbauregionen sollten an ihre Regierungen appellieren, um gemeinsam und mit genügend Vorlauf vor jedweder geplanten Einschränkung der Fördertätigkeit oder Stilllegung eines Bergwerks die Umstrukturierung und Entwicklung der Bergbauregionen vorzubereiten.

5.3.6.

Die Regionalbehörden, Mitgliedstaatsregierungen und EU-Institutionen müssen sich allesamt in die Energiewende und den damit verbundenen Strukturwandel in den Kohlebergbauregionen einbringen.

5.3.7.

Die Kohlebergbauregionen verfügen indes über ein beträchtliches Potenzial für sowohl Umstrukturierung als auch Entwicklung. Es sollten eine Reihe Entwicklungsmaßnahmen aufgestellt werden, die die Förderung von FuE in einem innovativen Umfeld beinhalten und sowohl die traditionellen Wirtschaftsbereiche, die in den Kohlerevieren überlebt haben, als auch neu entstehende Bereiche umfassen.

5.3.8.

Das Potenzial der vorhandenen Energieinfrastruktur und der qualifizierten Arbeitnehmer in den Kohlebergbauregionen muss umfassend genutzt werden, und dazu sind u. a. gezielt öffentliche und private Investitionen zu fördern. Bestehende Unternehmen und andere Marktteilnehmer müssen massiv in neue Produktionsanlagen wie bspw. Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie investieren.

5.3.9.

Machbarkeitsstudien könnten zutage bringen, das einige Kohlebergbauregionen nicht nur über ein großes Potenzial für die Erzeugung von Solar-, Wind- oder geothermischer Energie verfügen, sondern noch weitere günstige Voraussetzungen für Investitionen in und den Ausbau von umweltfreundlichen Energietechnologien bieten: einen einfachen Zugang zu Land für neue Produktionsanlagen, qualifizierte oder umschulungswillige Arbeitskräfte, energiepolitisch bewanderte lokale Behörden und mit Industrievorhaben vertraute lokale Gemeinschaften.

5.3.10.

Die bestehenden Bergbauunternehmen sind Eigentümer oder Konzessionär großer Gebiete und/oder Hunderte von Kilometern langer Stollen, die für die Energiewende genutzt werden können. Die meisten Bergbaubetriebe sind ohnehin an die regionalen und nationalen Energietransportnetze angeschlossen.

5.3.11.

Um weitere Investitionen des privaten Sektors, der eine wichtige Rolle spielt, auszulösen, wurden in den Europäischen Struktur- und Innovationsfonds (ESI) Mittel in Höhe von mindestens 27 Mrd. EUR speziell für Investitionen in eine CO2-arme Wirtschaft, einschließlich Investitionen in die Energieeffizienz, vorgesehen. Mindestens 12 %, 15 % oder 20 % der nationalen Mittel des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) müssen in weniger entwickelten Regionen, Übergangsregionen bzw. stärker entwickelten Regionen der EU in die Förderung der Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft in allen Branchen investiert werden. Falls der Kohäsionsfonds für diese Investitionen herangezogen wird, steigt der Anteil für weniger entwickelte Regionen auf 15 % (9).

5.3.12.

Die Entwicklungsbemühungen der Kohlereviere hin zur wirtschaftlichen Diversifizierung und Energiewende können zum Teil durch europäische Mittel gefördert werden, doch der Großteil der Investitionen für die wirtschaftliche Entwicklung muss aus den Haushalten der betreffenden Mitgliedstaaten oder durch neue Privatinvestoren bereitgestellt werden.

5.3.13.

Die genannten Aspekte müssen bei der Konzipierung von Maßnahmen zur Unterstützung der Kohlebergbauregionen in diesem unausweichlichen Prozess der Energiewende und wirtschaftlichen Diversifizierung berücksichtigt werden, und die Sozialpartner, die Zivilgesellschaft und die Einwohner dieser Regionen im Allgemeinen müssen in die Suche nach neuen Entwicklungspfaden für ihre Gemeinschaft einbezogen werden.

5.3.14.

Ein „Plan zur Unterstützung des Wandels in den von Kohleförderung abhängigen Gemeinschaften und Regionen“ sollte die Regionen zum Wandel ermutigen, innovative Entwicklungen anregen, ihre Attraktivität als Investitionsstandort wahren und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie Perspektiven für ein menschenwürdiges Leben schaffen.

5.3.15.

Der Plan könnte von einer beratenden Gruppe in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament entwickelt werden. In dieser beratenden Gruppe sollten die Bergbauregionen, Gewerkschaften, NGO, FuE-Einrichtungen sowie die Kohleindustrie vertreten sein.

5.3.16.

Der Plan zur Unterstützung der von Kohleförderung abhängigen Gemeinschaften und Regionen sollte auf drei Säulen beruhen:

auf politischem, zivilem und sozialem Dialog;

auf wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Investitionen;

auf Investitionen in allgemeine und berufliche Bildung, Forschung und Entwicklung, Innovation und Kultur.

5.4.    Zu erwartende Entwicklung in den Kohlebergbauregionen

5.4.1.

Der künftige Entwicklungspfad der europäischen Kohlebergbauregionen wird sich in zwei Richtungen gabeln. In einigen Kohlebergbauregionen steht ein rascher oder gar überstürzter Kohleausstieg zu erwarten, während in anderen womöglich noch mehrere Jahrzehnte lang weiter Kohle gefördert wird.

5.4.2.

Im ersten Fall kann der Ausstieg eine Folge der Wirtschafts- und Marktlage sein, die vor allem im europäischen Steinkohlesektor aufgrund der billigen Importkohle kompliziert ist. Selbst vor Kurzem noch profitable Zechen geraten dadurch in Schwierigkeiten. In einigen Regionen beschließen eventuell die Regierungen oder Unternehmen im Einklang mit dem Vertrag von Lissabon und dem Recht der Mitgliedstaaten, ihren Energiemix festzulegen, eine Stilllegung von Bergwerken.

5.4.3.

Für diese Regionen wäre es günstig, rasch ein Sozialprogramm aufzustellen, das auf bewährten Verfahrensweisen aus verschiedenen Kohleförderländern in der EU beruht, die über einschlägige Kohleausstieg-Erfahrungen verfügen oder einen Ausstieg vorbereiten. Diesbezüglich können die deutschen Erfahrungen nützlich sein, denn die Steinkohleförderung soll in Deutschland 2018 eingestellt werden. Auch die Erfahrungen zahlreicher anderer Kohlebergbaugebiete, u. a. im Vereinigten Königreich, in Frankreich, den Niederlanden und Belgien, sind wertvoll.

5.4.4.

In den Regionen, in denen voraussichtlich noch längerfristig Kohle gefördert wird, muss der Schwerpunkt vor allem auf eine effizientere und weniger umweltschädliche Nutzung der Kohle gelegt werden. Bei der Kohleverstromung wird weiterhin die Emissionssenkung Priorität haben. Die EU hat das hierfür geeignete Instrumentarium: das überarbeitete Emissionshandelssystem, das auf Nullemission bis 2058 ausgerichtet ist, die Richtlinie über Industrieemissionen und das neue BVT-Merkblatt für Großverbrennungsanlagen.

5.4.5.

In der Strategie für Kohlebergbauregionen mit einer längerfristigen Zukunft kommt Forschung und Entwicklung eine sehr wichtige Rolle zu: Eine Steigerung der Kraftwerkseffizienz wird zu weiteren Emissionssenkungen und einem niedrigeren Brennstoffverbrauch führen. Flexiblere Kraftwerke können die schwankende Einspeisung erneuerbaren EE-Stroms unterstützen. Neben Saubere-Kohle-Technologien und CCS-Technologien sollten auch alternative Verwendungsmöglichkeiten für Kohle in Betracht gezogen werden.

5.4.6.

Jedoch muss selbst in den Regionen, in denen die Kohleförderung noch eine längerfristige Zukunft hat, die Vorbereitung auf den Kohleausstieg und die Umstrukturierung der Kohlebergbauregionen Priorität haben.

Brüssel, den 25. Mai 2016

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  2015 stellten die G7-Länder einvernehmlich fest, dass eine „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts“ und sie deshalb „bis 2050 einen Umbau der Energiewirtschaft anstreben“.

(2)  Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl wurde 1951 in Paris unterzeichnet. Frankreich, Deutschland, Italien und die Benelux-Staaten schlossen sich in dieser Gemeinschaft mit dem Ziel zusammen, den freien Verkehr mit Kohle und Stahl und den freien Zugang zu der Produktion zu sichern. Aus diesem Vertrag ist letztlich das institutionelle Gefüge entstanden, wie wir es heute kennen.

(3)  http://www.env-health.org/resources/press-releases/article/eur8-5-billion-in-health-costs.

(4)  „End of an era: Why every european country needs a coal phase-out plan“, Studie von Greenpeace und dem europäischen Climate Action Network (CAN).

(5)  Euracoal (2013) Coal industry across Europe, p. 20.

(6)  COM(2014) 330 final vom 28.5.2014.

(7)  Eurostat-Daten 2013 (veröffentlicht 2015).

(8)  IGB, Frontlines Briefing — Climate justice: Paris and Beyond, Oktober 2015.

(9)  Strategie für eine sichere europäische Energieversorgung, COM(2014) 330 final vom 28.5.2014, Kapitel 3, S. 7.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/10


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Die Auswirkungen der auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen auf die europäische Verkehrspolitik“

(Initiativstellungnahme)

(2016/C 303/02)

Berichterstatter:

Raymond HENCKS

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 21. Januar 2016 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die Auswirkungen der auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen auf die europäische Verkehrspolitik“

(Initiativstellungnahme)

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 3. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 26. Mai 2016) mit 188 gegen 2 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt das auf der 21. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (COP 21) geschlossene Übereinkommen von Paris sowie die beabsichtigten nationalen Beiträge (Intended Nationally Determined Contributions — INDC) der EU und ihrer Mitgliedstaaten, die sich zu einer Reduzierung des Klimagasausstoßes in der EU um mindestens 40 % bis 2030 und um 80 % bis 95 % bis 2050 gegenüber dem Niveau von 1990 verpflichtet haben.

1.2.

Der EWSA begrüßt außerdem, dass dieses Ziel gemeinsam und unter geteilter Verantwortung der EU und ihrer Mitgliedstaaten erreicht werden muss und dass alle fünf Jahre neue INDC übermittelt werden müssen.

1.3.

Das Ziel, den Treibhausgasausstoß im Verkehrssektor um mindestens 60 % gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken, ist nach wie vor sehr ehrgeizig und kann nur mit erheblichen Anstrengungen erreicht werden. Auch wenn die geltende Entscheidung über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen bis 2020 (Entscheidung Nr. 406/2009/EG) wie auch die künftige Entscheidung für den Zeitraum 2020-2030 den Mitgliedstaaten bei der Wahl der Wirtschaftssektoren, in denen der Klimagasausstoß verringert werden muss, freie Hand lassen, schlägt die Europäische Kommission dennoch die Inanspruchnahme internationaler Gutschriften und die Vermeidung zusätzlicher Auflagen für die nicht unter das EU-ETS fallenden Sektoren vor, sofern weitere Anstrengungen erforderlich sein sollten (COM(2015) 81 final). Im Zusammenhang mit dem Verkehrssektor weist sie darauf hin, dass „in anderen Wirtschaftssektoren (…) größere Emissionsverringerungen möglich sind“ (COM(2011) 144 final). Das 60 %-Reduktionsziel im Verkehrssektor ist aber nach wie vor aktuell und steht im Einklang mit dem allgemeinen EU-Ziel im Rahmen der COP-21-Verpflichtungen, sofern die einschlägigen Maßnahmen und Initiativen schnellstmöglich und entschieden umgesetzt werden.

1.4.

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen dennoch eine Neubewertung der im Verkehrs-Weißbuch (COM(2011) 144 final) und in dem Fahrplan zu der Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion (COM(2015) 80 final) enthaltenen und bereits eingeleiteten oder geplanten Initiativen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, Durchführbarkeit und insbesondere mit Blick auf die angestrebte Dekarbonisierung des Verkehrssektors vornehmen und sie im Zuge der von der Europäischen Kommission für 2016 angekündigten Überarbeitung des Verkehrs-Weißbuchs entsprechend überarbeiten bzw. um neue Initiativen ergänzen, ohne jedoch die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu beeinträchtigen. Einige dieser Maßnahmen werden Legislativmaßnahmen sein, der Großteil wird jedoch auf freiwilligen nationalen Beiträgen beruhen, um Änderungen der Verhaltensweisen bzw. Gewohnheiten zu bewirken, ohne die die Dekarbonisierung nicht bewerkstelligt werden kann.

1.5.

Der EWSA verweist auf die Bedeutung der geplanten Maßnahmen innerhalb der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) zur Entwicklung eines globalen Emissionshandelssystems für die Luftfahrt und innerhalb der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) zur Überwachung der Emissionen aus dem Seeverkehr und fordert ehrgeizige Ergebnisse im Rahmen der laufenden Verhandlungen mit diesen Organisationen.

1.6.

Der EWSA betont, dass die Anwendung des Verursacherprinzips flexibel gehandhabt werden muss, insbesondere in ländlichen Rand-, in Berg- und in Inselgebieten, um eine Umkehrung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu vermeiden und seine Zweckdienlichkeit als Instrument für die Steuerung des Verkehrsgeschehens zu erhalten und gleichzeitig jedwede Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Verkehrsträgern auszuräumen. Er empfiehlt, eine umfassende Organisation des Verkehrs in ländlichen Gebieten auszuloten, um die Ziele des Übereinkommens von Paris zu verwirklichen und den Bedürfnissen schutzbedürftiger Menschen Rechnung zu tragen.

1.7.

Die Anwendung des Verursacherprinzips reicht jedoch nicht aus, um die Umstellung auf eine Niedrigemissionsgesellschaft zu bewerkstelligen. Zusätzliche Maßnahmen wie die Steigerung der Energieeffizienz, die Förderung von Elektromobilität, Carsharing und Ko-Modalität, die Entwicklung alternativer Energieträger und die Festlegung von Umweltanforderungen sowie vor allem die Förderung des öffentlichen Verkehrs sind deshalb umso wichtiger.

1.8.

Im Bioenergiebereich sind kontinuierliche Anstrengungen erforderlich, um eine höhere Emissionsminderung zu erreichen und Landnutzungsänderungen vorzubeugen. Daher muss die energetische Nutzung von Rest-, Neben- und Abfallprodukten zur Kraftstoffherstellung verstärkt gefördert werden. Im Straßengüterverkehr, in der Luftfahrt und im Seeverkehr ist zwar noch gewisses diesbezügliches Potenzial vorhanden, Biokraftstoffe sind jedoch keine eigenständige Lösung; daher müssen Lösungen entwickelt und gefördert werden, um Verbrennungsmotoren durch Elektromobilität und/oder Wasserstoff-Technologien oder andere nachhaltige alternative Energietechnologien abzulösen.

Letztlich geht es nicht darum, die Mobilität an sich einzuschränken, sondern darum, im allgemeinen Umweltinteresse das Verkehrsaufkommen — sofern eine tragfähige Alternative besteht — und den motorisierten Individualverkehr einzudämmen, um zu vermeiden, dass die Städte im Verkehr ersticken.

1.9.

Divestment (das Abziehen klimaschädlicher Investitionen) darf nicht allein Aufgabe der Regierungen sein und erfordert die Sensibilisierung und Mobilisierung der gesamten Verkehrskette (Hersteller, Verkehrsunternehmen, Nutzer) über gesetzliche Maßnahmen bzw. Anreize oder ggf. Abschreckungsmaßnahmen. Kapazitätenaufbau, technische Unterstützung und erleichterter Zugang zu Finanzierung auf lokaler und nationaler Ebene sind für die Umstellung auf ein Verkehrssystem mit geringem CO2-Ausstoß unabdingbar. In den Investitionsprogrammen der Europäischen Union sollte daher den klimawirksamsten Projekten auf der Grundlage von Bewertungskriterien, die im Einklang mit den auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen stehen, unter gleichzeitiger Integration aller Verkehrsträger Vorrang eingeräumt werden.

1.10.

Die starke Mobilisierung der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der sozioökonomischen Interessenträger im Rahmen der Klimakonferenz von Paris (COP 21) muss fortgesetzt werden, um die gesellschaftliche Bewegung für Klimagerechtigkeit und Divestment (Abziehen klimaschädlicher Investitionen) zu verstärken.

1.11.

Daher empfiehlt der EWSA den partizipativen Dialog mit der Zivilgesellschaft, den er in seiner Sondierungsstellungnahme „Verkehrs-Weißbuch: Einbindung und Teilhabe der Zivilgesellschaft“ vom 11. Juli 2012 (CESE 1598/2012) erläutert hat.

2.   Wesentliche Beschlüsse der COP 21 — Das Übereinkommen von Paris

2.1.

Die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (zu der die COP 21 im Jahr 2015 stattfand) beschränkte sich auf die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen (im Verkehrssektor fällt vor allem Kohlendioxid (CO2) an, und zwar sowohl bei der Stromerzeugung als auch bei Kraftstoffherstellung und -verbrauch) in der Atmosphäre auf einem Niveau, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird. Aufgrund des am 12. Dezember 2015 in Paris geschlossenen Übereinkommens haben sich alle 195 Vertragsstaaten dieser Rahmenkonvention hingegen erstmals zu einer beschleunigten Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Hinblick auf das langfristige Ziel verpflichtet, die durchschnittliche Erderwärmung (bis zum Jahr 2100) auf deutlich unter 2 oC gegenüber vorindustriellen Werten zu halten, und weiterhin Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 oC zu begrenzen und so vom aktuellen Entwicklungspfad, der zu einer Erderwärmung von 3 oC bis zum Ende des 21. Jahrhunderts führen würde, abzuweichen.

2.2.

Nach Ratifizierung des Übereinkommens von Paris sind die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, zur Verwirklichung dieses Endziels ihre national geplanten Klimaschutzbeiträge (Intended Nationally Determined Contributions — INDC) in 5-Jahres-Zyklen zu erarbeiten und zu übermitteln.

2.3.

Das Übereinkommen von Paris soll 2020 in Kraft treten, sofern es von mindestens 55 Staaten, die zusammen mindestens 55 % der globalen Klimagasemissionen verursachen, ratifiziert worden ist; es kann allerdings auch bereits vor seinem tatsächlichen Inkrafttreten angewendet werden — eine Möglichkeit, die nachdrücklich empfohlen wird.

2.4.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten einigten sich am 6. März 2015 im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 23./24. Oktober 2014 auf das verbindliche Ziel, die EU-internen Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40 % und bis 2050 um 80 % bis 95 % zu reduzieren.

2.5.

Gemäß den Schlussfolgerungen des Rates muss dieses Ziel von der EU und ihren Mitgliedstaaten in ausgewogener und solidarischer Weise gemeinsam erfüllt werden, insbesondere durch eine Emissionsreduzierung in den vom Emissionshandelssystem (EU-ETS) erfassten Sektoren um 43 % bis 2030 und in den nicht unter das EU-ETS fallenden Sektoren um 30 % (jeweils gegenüber 2005).

3.   Die gegenwärtige Situation des Verkehrssektors in der EU

3.1.

Bereits in ihrem Verkehrs-Weißbuch aus dem Jahr 2011 (COM(2011) 144 final) fordert die Europäische Kommission nachdrücklich eine drastische Verringerung der Treibhausgasemissionen, um den Temperaturanstieg durch den Klimawandel auf unter 2 oC zu begrenzen. Sie weist deutlich darauf hin, dass es zwingend notwendig ist, den Treibhausgasausstoß im Verkehrssektor um mindestens 60 % gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken, betont indes, dass „in anderen Wirtschaftssektoren (…) größere Emissionsverringerungen möglich sind“.

3.2.

Etwa ein Viertel der Klimagasemissionen in der EU entfällt auf den Verkehrssektor: 12,7 % der verkehrsbedingten Emissionen werden durch den Luftverkehr, 13,5 % durch den Seeverkehr, 0,7 % durch den Schienenverkehr, 1,8 % durch die Binnenschifffahrt und 71,3 % durch den Straßenverkehr (2008) verursacht. Die Umweltwirkung eines Verkehrsträgers hängt jedoch nicht nur von seinen direkten, sondern auch von seinen indirekten Emissionen ab, die vor allem durch die Erzeugung der für die Mobilität notwendigen Energie entstehen.

3.3.

Weltweit wird im Verkehrssektor die höchste CO2-Emissionswachstumsrate aller Industriesektoren verzeichnet. In der EU ist der Verkehrssektor der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen. Außerdem weisen die Emissionen aus dem Luft- und dem Seeverkehr die schnellste Wachstumsrate auf, allerdings findet das Übereinkommen von Paris auf diese Sektoren keine Anwendung.

3.4.

In dem Verkehrs-Weißbuch 2011 wird betont, dass das Verkehrssystem der EU noch nicht nachhaltig ist; um hier Abhilfe zu schaffen, sind folgende Maßnahmen vorgesehen:

die Abhängigkeit des Verkehrssystems vom Öl aufzuheben, ohne seine Effizienz zu opfern und die Mobilität einzuschränken;

im Verkehr weniger Energie zu verbrauchen und die Energieeffizienz der Fahrzeuge bei allen Verkehrsträgern zu verbessern.

3.5.

In ihrem Verkehrs-Weißbuch und in dem Fahrplan zu der Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion schlägt die Europäische Kommission mehrere Maßnahmen für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors vor.

3.6.

Dazu zählen strengere Normen für CO2-Emissionen für Pkw und Lieferwagen nach 2020, Maßnahmen zur Verbesserung der Kraftstoffeffizienz, eine Emissionsminderung bei schweren Nutzfahrzeugen sowie eine verbesserte Steuerung der Verkehrsströme. Außerdem sollen die Einführung von Mautsystemen auf der Grundlage des Verursacher- bzw. des Nutzerprinzips und der Einsatz alternativer Kraftstoffe (auch von Elektromobilität) gefördert werden, wobei vor allem auch eine angemessene Infrastruktur aufgebaut werden muss.

4.   Folgemaßnahmen zu dem Übereinkommen von Paris

4.1.

Nach Ratifizierung des Übereinkommens von Paris (bis zum 21. April 2017) sind die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, zur Verwirklichung des übergreifenden Ziels ihre national geplanten Klimaschutzbeiträge (Intended Nationally Determined Contributions — INDC) in 5-Jahres-Zyklen festzulegen und zu übermitteln.

4.2.

Die Europäische Union kann gemäß Artikel 4 Absatz 16 dieses Übereinkommens im Rahmen einer geteilten Verantwortung gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten handeln und muss dem Sekretariat der Klimarahmenkonvention das für jeden Mitgliedstaat festgelegte Emissionsniveau übermitteln.

4.3.

Gemäß Artikel 4 Absatz 9 des Übereinkommens von Paris und Beschluss 1/CP.21 sind die INDC für den Zeitraum bis 2030 bis zum Jahr 2020 vorzulegen bzw. zu aktualisieren und werden anschließend alle fünf Jahre im Rahmen einer Strategie für eine emissionsarme Entwicklung bis zum Jahr 2050 überprüft. Die aufeinanderfolgenden Beiträge müssen jeweils einen Fortschritt im Vergleich zum vorangegangenen INDC beinhalten (Artikel 4 Absatz 3).

4.4.

Zwar hat die Europäische Union bereits jetzt Ziele und Beiträge für 2030 und 2050 festgelegt, doch sind die von der COP 21 auf der Grundlage der nationalen Beiträge bis 2030 veranschlagten Gesamttreibhausgasemissionen aller Wirtschaftssektoren (55 Gigatonnen) immer noch zu hoch, um die Erderwärmung auf unter 2 oC zu halten, sodass zusätzliche Bemühungen zur Reduzierung der Emissionen auf 40 Gigatonnen erforderlich sind.

4.5.

Auch wenn die geltende Entscheidung über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen bis 2020 (Entscheidung Nr. 406/2009/EG) wie auch die künftige Entscheidung für den Zeitraum 2020-2030 den Mitgliedstaaten bei der Wahl der Wirtschaftssektoren, in denen der Klimagasausstoß verringert werden muss, freie Hand lassen, schlägt die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung „Das Paris-Protokoll — Ein Blueprint zur Bekämpfung des globalen Klimawandels nach 2020“ (COM(2015) 81 final) dennoch die Inanspruchnahme internationaler Gutschriften und die Vermeidung zusätzlicher Auflagen für nicht unter das EU-ETS fallende Sektoren vor, sofern weitere Anstrengungen erforderlich sein sollten. Der EWSA hat diesen Standpunkt der EU unterstützt (Stellungnahme NAT/665 aus dem Jahr 2015). Außerdem hielt die Europäische Kommission in ihrem Verkehrs-Weißbuch fest, dass „in anderen Wirtschaftssektoren (…) größere Emissionsverringerungen möglich sind“.

4.6.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Ziel einer Emissionsminderung um 60 % im Verkehrssektor im Hinblick auf die Begrenzung der Klimaerwärmung auf unter 2 oC bereits lange vor der COP 21 von Paris beschlossen wurde, ist dieses 60 %-Reduktionsziel aus Sicht des EWSA nach wie vor aktuell und steht im Einklang mit den Beschlüssen der COP 21.

4.7.

Die Verpflichtung der EU, innerhalb der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) auf die Entwicklung eines globalen Emissionshandelssystems für die Luftfahrt hinzuarbeiten, und innerhalb der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) eine Verpflichtung zur Überwachung der Emissionen aus dem Seeverkehr zu erreichen, ist indes nicht Teil ihres INDC. Die EU sollte ehrgeizige Ergebnisse im Rahmen der laufenden Verhandlungen in der ICAO und der IMO fördern.

5.   Die Strategie — konkret erforderliche Maßnahmen

5.1.

Nach Auffassung des EWSA besteht somit ein hohes Maß an Kohärenz zwischen den INDC der EU und den in verschiedenen Kommissionsmitteilungen über Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor enthaltenen Zielen. Die 40 Maßnahmen und 131 Initiativen des Verkehrs-Weißbuchs müssen jedoch entschieden und schnellstmöglich umgesetzt werden.

5.2.

Gleichwohl sollten die im Verkehrs-Weißbuch enthaltenen Emissionsminderungsmaßnahmen in Verbindung mit den INDC der EU und den im Paket zur Energieunion festgelegten Zielen im Zuge der von der Europäischen Kommission für 2016 angekündigten Überarbeitung des Weißbuchs überprüft werden (1).

5.3.

Dabei müssen die aufgrund des Verkehrs-Weißbuchs und des Pakets zur Energieunion eingeleiteten Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Durchführbarkeit sowie insbesondere mit Blick auf das Ziel der Dekarbonisierung des Verkehrssektors bewertet bzw. um neue Maßnahmen ergänzt werden. Einige dieser Maßnahmen werden Legislativmaßnahmen sein, der Großteil wird jedoch auf freiwilligen nationalen Beiträgen beruhen, um Änderungen der Verhaltensweisen bzw. Gewohnheiten zu bewirken, ohne die die Dekarbonisierung nicht bewerkstelligt werden kann.

5.4.

Die Umstellung auf einen Verkehrssektor mit geringem CO2-Ausstoß ist mit folgenden Herausforderungen verbunden:

Gewährleistung der Vereinbarkeit der wirtschaftlichen und der sozialen Erfordernisse;

Berücksichtigung des allgemeinen Interesses und der Umweltzwänge;

keine Einschränkung der Mobilität an sich, sondern erhebliche Senkung des Verkehrsaufkommens und des motorisierten Individualverkehrs in Städten und Ballungsräumen über die Raumordnungs- und Wirtschaftspolitik und Förderung des öffentlichen Personenverkehrs;

Förderung von Verhaltensänderungen, u. a. der Verkehrsgewohnheiten, sowie Sicherstellung einer effizienten Logistik für den Gütertransport, auch in der Stadt, und Förderung von Kooperationslösungen zur optimalen Ressourcennutzung;

Förderung der Ko-Modalität.

Durch angemessene verkehrsbezogene Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen auf nationaler und nachgeordneter Ebene könnten die Städte auf den Kurs einer Emissionsminderung um 50 % bis 2050 anstatt eines Business-as-usual-Szenarios gebracht werden. Bereits bestehende Einzellösungen sollten in Maßnahmen zur strategischen Mobilitätsplanung eingebettet werden, um eine bessere Koordinierung zwischen Städtepolitik und Verkehrspolitik zu ermöglichen. Kapazitätenaufbau, technische Unterstützung und erleichterter Zugang zu Finanzierung auf lokaler und nationaler Ebene sind von entscheidender Bedeutung, um diese Ziele zu verwirklichen.

5.5.

In der Fazilität „Connecting Europe“, den Strukturfonds, dem Kohäsionsfonds, dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen sowie in EU-Programmen, in deren Rahmen Verkehrsinvestitionen durch Projektfinanzierung unterstützt werden, sollten die klimawirksamsten Projekte vorrangig gefördert werden; gleichzeitig muss jedoch die Integration aller Verkehrsträger sichergestellt werden, um ein gesamteuropäisches Verkehrsnetz aufzubauen. Die Kriterien für die Bewertung der Mittelanträge sollten ausdrückliche Verweise auf die Grundsätze der auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen enthalten.

5.6.

Die Lastenteilung zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Sektoren, die unter das Emissionshandelssystem (EU-ETS) fallen, und denjenigen, auf die das EU-ETS keine Anwendung findet, einschließlich des Verkehrssektors, ist einer der wesentlichen Aspekte für die Verwirklichung der INDC der EU und muss auch mit den strategischen Zielen der EU übereinstimmen. Dabei muss den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Oktober 2014 Rechnung getragen werden, um ein ausgewogenes Verhältnis von Kostenaufwand und Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Diese Parameter sollten bei der Entscheidung über die Lastenteilung für den Zeitraum 2020-2030, die im Laufe des Jahres 2016 getroffen wird, maßgeblich sein (COM(2015) 80 final, Anhang 1). Allerdings darf die Wettbewerbsfähigkeit der EU dabei nicht beeinträchtigt werden.

5.7.

Im Zuge der Überarbeitung des Verkehrs-Weißbuchs sollten ferner spezifische Möglichkeiten für eine breite Debatte mit der Zivilgesellschaft vorgesehen werden, da die gesellschaftliche Akzeptanz der oftmals unpopulären Maßnahmen notwendig ist: Maßnahmen können nur dann Wirkung zeigen, wenn sie auch von der Zielgruppe mitgetragen werden. Die starke Mobilisierung der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der sozioökonomischen Interessenträger im Rahmen der Klimakonferenz von Paris (COP 21) muss daher fortgesetzt werden, um die gesellschaftliche Bewegung für Klimagerechtigkeit und Divestment (Abziehen klimaschädlicher Investitionen) zu verstärken.

5.8.

Initiativen wie etwa die „Global Fuel Economy Initiative“ (GFEI), bei der Länder gemeinsam an Maßnahmen und Vorschriften für die Energieeffizienz von Fahrzeugen arbeiten, die Initiative „Paris Declaration on Electro-Mobility and Climate Change & Call to Action“, die auf den Verpflichtungen von Hunderten von entschiedenen Anstrengungen zur Verwirklichung einer nachhaltigen Elektrifizierung des Verkehrs aufbaut, die Initiative „MobiliseYourCity“, die Städte sowie Schwellen- und Entwicklungsländer bei der Erstellung und Umsetzung nachhaltiger Mobilitätspläne für die Städte und nationaler Maßnahmen für den städtischen Verkehr unterstützen, oder die Initiative „Global Green Freight Action Plan“ sollten gefördert und ausgebaut werden.

5.9.

Wie der EWSA bereits betont hat (2), setzt eine wirksame und erfolgreiche partizipative Governance eine gute Organisations- und Verfahrensstruktur voraus. Die Einbindung der Interessenträger in eine langfristig nachhaltige Entwicklung sollte, um wirksam zu sein, am besten im Wege eines kontinuierlichen und integrativen Prozesses anstatt durch punktuelle oder spontane Einzelaktionen erfolgen.

5.10.

Der EWSA hat die Einrichtung eines Nachhaltigkeitsforums der europäischen Zivilgesellschaft beschlossen; dieses Forum soll einen strukturierten und autonomen Rahmen für die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Umsetzung, Überwachung und Überprüfung der horizontalen Aspekte der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung und insbesondere des darin enthaltenen Nachhaltigkeitsziels Nr. 13 „Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen“ bilden. In Bezug auf den Verkehrssektor sollte der vom EWSA verwaltete partizipative Dialog in Verbindung mit der Umsetzung des Verkehrs-Weißbuchs 2011 genutzt werden.

5.11.

Der EWSA arbeitet derzeit an einer Stellungnahme (NAT/684) zur Schaffung eines Bündnisses der Zivilgesellschaft und der subnationalen Gebietskörperschaften zur Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen des Übereinkommens von Paris. Durch das Übereinkommen von Paris sollte nicht noch eine weitere Plattform zur Registrierung von Verpflichtungen errichtet, sondern vielmehr ein umfassender Rahmen für die langfristige Koordinierung der nichtstaatlichen und staatlichen Maßnahmen geschaffen werden. Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Verwirklichung der Verpflichtungen ist von entscheidender Bedeutung.

5.12.

Divestment (das Abziehen klimaschädlicher Investitionen) darf nicht allein Aufgabe der Regierungen sein und erfordert die Sensibilisierung und Mobilisierung der gesamten Verkehrskette (Hersteller, Verkehrsunternehmen, Nutzer) über gesetzliche Maßnahmen bzw. Anreize oder ggf. Abschreckungsmaßnahmen.

5.13.

Die auf der COP 21 beschlossene Strategie freiwilliger Verpflichtungen ist darauf beschränkt, dass jedes Land nicht zwingende selbstgesteckte Klimaziele übermittelt, wohingegen die Einführung einer zwingenden Norm für Emissionen sicherlich die wirksamste Lösung wäre, um das Übereinkommen von Paris zum erhofften Ergebnis zu führen. Die in Ziffer 5.5 erläuterte Lastenteilung innerhalb der EU für den Zeitraum 2020-2030 wird dennoch zu einer Stärkung der eingegangenen Verpflichtungen beitragen.

6.   Das Verursacherprinzip

6.1.

Gemäß dem Vertrag von Lissabon (siehe Artikel 191 Absatz 2 AEUV) beruht die Umweltpolitik der EU auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.

6.2.

Nach dem Verursacherprinzip werden die Kosten der Umweltschädigung dem Verursacher angelastet. Indes integrieren die Mitgliedstaaten den CO2-Preis auf sehr unterschiedliche Weise in ihre nationale Klimapolitik und setzen vor allem auf Besteuerung, die sich jedoch in erster Linie nachteilig auf die Kaufkraft der einkommensschwächsten Haushalte und die Beschäftigungslage auswirkt.

6.3.

Gemäß dem Verkehrs-Weißbuch müssen verkehrsbezogene Entgelte und Steuern unter verstärkter Berücksichtigung des Verursacher- und Nutzerprinzips umgestaltet werden.

6.4.

Das Konzept der Europäischen Kommission beruht auf dem Verursacherprinzip und den Möglichkeiten, die Straßennutzungsgebühren als Mittel für die Finanzierung von Bau und Instandhaltung der Infrastruktur bieten. Dieses System soll durch die Internalisierung externer Kosten zur Förderung nachhaltiger Verkehrsträger und zur Sicherung ihrer Finanzierung beitragen.

6.5.

Allerdings besteht in der EU ein Nebeneinander zahlreicher unterschiedlicher Systeme, u. a. elektronische Mautsysteme, Vignetten, Staugebühren und satellitengestützte (Global Navigation Satellite Systems — GNSS) Kilometerabgaben. Außerdem finden die EU-Vorschriften für die Besteuerung des Schwerverkehrs (Eurovignette) nur noch in vier Mitgliedstaaten Anwendung; andere Mitgliedstaaten wiederum erheben überhaupt keine Straßennutzungsgebühren. Diese Situation wirft ernste Fragen für die Entwicklung des Binnenmarkts und für die Bürger auf, beeinträchtigt das Wirtschaftswachstum und sorgt für zunehmende soziale Ungleichheiten in vielen Mitgliedstaaten. Die Nichterhebung von Straßennutzungsgebühren kann (ganz zu schweigen von den Kosten der negativen Umweltauswirkungen) Auswirkungen auf die Wettbewerbsbedingungen gegenüber dem Schienenverkehr haben, sofern ein Schienenverkehrsdienst zur Verfügung steht.

6.6.

Ein europäisches System der Straßennutzungsgebühren muss indes ausreichend flexibel angelegt sein, um der Situation der Regionen in Randlage sowie der ländlichen Rand-, der Berg- und der Inselgebiete Rechnung zu tragen, die nur eine geringe Bevölkerungsdichte aufweisen und über keine praktikablen Alternativen zum Straßenverkehr verfügen. Eine Internalisierung der externen Kosten würde weder das Verkehrsverhalten noch die Steuerung des Verkehrsgeschehens beeinflussen, sondern nur der Wettbewerbsfähigkeit schaden. Das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen der ländlichen Gebiete hängt von einem sowohl kosteneffizienten als auch umweltfreundlichen Verkehrssystem ab. Als Mittel zur Senkung der verkehrsbedingten Emissionen haben einige Regierungen CO2-Steuern in verschiedenster Form eingeführt, die allerdings ihren Zweck, sprich die Emissionsminderung, verfehlt und vielmehr erhebliche Mehrkosten für Familien, insbesondere in ländlichen Rand-, in Berg- und in Inselgebieten, bewirkt haben.

6.7.

Nach Aussagen der Verkehrskommissarin will die Europäische Kommission Ende 2016 einen Vorschlag für ein europäisches System für Nutzfahrzeuge und Pkw mit einer einheitlichen Regelung für die Erhebung von Straßen- und Autobahnnutzungsgebühren in allen Mitgliedstaaten vorlegen, die ausschließlich auf der zurückgelegten Kilometerzahl beruhen.

6.8.

Der EWSA begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, auf europäischer Ebene ein einheitliches System für Straßennutzungsgebühren auf der Grundalge des Verursacherprinzips einzuführen, ist jedoch der Ansicht, dass die Internalisierung der externen Kosten bei der Preisgestaltung nicht ausreichen wird, um eine nachhaltige Verkehrspolitik zu schaffen, die den auf der COP 21 eingegangenen Verpflichtungen gerecht wird. Hierfür sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich wie die Steigerung der Energieeffizienz, Elektromobilität, Carsharing und Ko-Modalität, die Entwicklung alternativer Energieträger und die Festlegung von Umweltanforderungen sowie vor allem die Förderung des öffentlichen Verkehrs.

6.9.

Eine weitere denkbare Maßnahme wäre die Festlegung des CO2-Preises auf der Grundlage wirtschaftlicher und sozialer Kriterien. Von einem zu niedrigen Kraftstoffpreis wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt geht sicherlich kein Signal für die Akteure des Verkehrssektors aus, ihr Verhalten zu ändern und Maßnahmen zur Senkung ihres Energieverbrauchs zu ergreifen. Strengere Kraftstoffnormen, Energieeffizienzvorschriften, eine computergestützte Steuerung der Verkehrsströme und die Entwicklung alternativer Kraftstoffe können jedoch neue Wege für die Emissionsminderung eröffnen, ohne sich dabei nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit auszuwirken.

7.   Innovation, Forschung und Entwicklung, alternative Kraftstoffe

7.1.

Der EWSA bekräftigt, dass eine aktive Industriepolitik und eine koordinierte Forschung und Entwicklung notwendig sind, um die Umstellung auf eine Niedrigemissionswirtschaft zu unterstützen. Um die Reduzierung schädlicher Emissionen von dem unvermeidlichen Verkehrszuwachs abzukoppeln, sind gezielte Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung erforderlich.

7.2.

In dem Verkehrs-Weißbuch betont die Europäische Kommission, dass die Entwicklung von Biokraftstoffen insbesondere für die Luftfahrt und den Schwerverkehr weiter fortgesetzt werden muss; gleichzeitig weist sie auf Ernährungssicherheits- und Umweltproblematik in Verbindung mit der Entwicklung von Biokraftstoffen hin und unterstreicht, dass nachhaltigere Biokraftstoffe der zweiten und dritten Generation entwickelt werden müssen.

7.3.

Im Bioenergiebereich sind kontinuierliche Anstrengungen erforderlich, um eine höhere Emissionsminderung zu erreichen und Landnutzungsänderungen vorzubeugen. Daher muss die energetische Nutzung von Rest-, Neben- und Abfallprodukten zur Kraftstoffherstellung verstärkt gefördert werden. Im Straßengüterverkehr, in der Luftfahrt und im Seeverkehr ist zwar noch gewisses diesbezügliches Potenzial vorhanden, Biokraftstoffe sind jedoch keine eigenständige Lösung; daher müssen Lösungen entwickelt und gefördert werden, um Verbrennungsmotoren durch Elektromobilität und/oder Wasserstoff-Technologien oder andere nachhaltige alternative Energietechnologien abzulösen.

7.4.

Die Umstellung auf Elektromobilität muss an die Umstellung auf Carsharing gekoppelt sein. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass selbst eine komplette Umstellung auf mit nachhaltigen Kraftstoffen betriebene Motoren die Gefahr birgt, dass die Städte weiterhin im Verkehr ersticken, solange der öffentliche Personenverkehr und effiziente Verteilungssysteme nicht gängige Praxis werden.

Brüssel, den 26. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 291 vom 4.9 2015, S. 14.

(2)  ABl. C 299 vom 4.10 2012, S. 170.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/17


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten“

(Initiativstellungnahme)

(2016/C 303/03)

Berichterstatterin:

Emmanuelle BUTAUD-STUBBS

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 21. Januar 2016 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 19. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 188 Stimmen bei 1 Gegenstimme folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Frage der menschenwürdigen Arbeit in globalen Lieferketten, etwa in der Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie, Elektronikbranche, Mineralstoff- und Agrarindustrie ist für alle auf nationaler und internationaler Ebene an der Steuerung der Lieferketten beteiligten öffentlichen und privaten Akteure ein heikles Thema.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat seine internen Verfahren darauf ausgerichtet, seine Stellungnahme vor der 105. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) vorlegen zu können, die in Genf zum Thema menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten stattfindet.

Der EWSA empfiehlt:

1.3.

Die Europäische Kommission sollte eine umfassende und ehrgeizige Strategie konzipieren, um die menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten in ihren internen Politikfeldern (Zugang zum öffentlichen Auftragswesen der EU, Kennzeichnungen usw.) und in ihren auswärtigen Politikbereichen (Handels-, Entwicklungs-, Nachbarschaftspolitik usw.) zu fördern.

1.4.

Zwischen den verschiedenen Interessenträgern — der OECD, der ILO, der WTO, der Europäischen Kommission, der Weltbank und dem IWF (1) — sollten gemeinsame Ausdrucksweisen und gemeinsame Definitionen festgelegt und die statistischen Daten bewertet werden, um Missverständnisse und Fehlinterpretationen zu vermeiden, und sollte eine kohärente Politik der in diesem Bereich mit unterschiedlichen Zuständigkeiten tätigen öffentlichen Einrichtungen erarbeitet werden.

1.5.

Unter Berücksichtigung der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte sollten die vorbildlichen Verfahrensweisen und Initiativen des bestehenden „Instrumentariums“ anerkannt und gefördert werden: die Leitlinien der OECD für multinationale Unternehmen, die Leitlinien der OECD für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht (Textilien und Bekleidung, Mineralien, Landwirtschaft und Finanzen), Handelshilfen, Finanzierungsprogramme zum Schadensausgleich, Verhaltenskodizes, Gütesiegel, Normen und Selbstbewertungsinstrumente. Das Ziel lautet, eine schrittweise, konsequente und nachhaltige Politik für die verantwortungsvolle Steuerung globaler Lieferketten einzuführen.

1.6.

Es sollten praktische und angemessene, risikobasierte Ansätze gefördert werden, die der Besonderheit der globalen Wertschöpfungskette und der globalen Lieferkette (linear oder modular, einfach oder komplex, kurze oder lange Organisation) Rechnung tragen.

1.7.

Ausgehend von einer Bewertung bestehender Praktiken sollte das Konzept der Multi-Stakeholder gefördert werden, das öffentliche und private Akteure, die Sozialpartner, nichtstaatliche Organisationen (NGO), Sachverständige und andere umfasst, um den besten, an den OECD-Leitlinien ausgerichteten Maßnahmenkatalog zur Ermittlung, Prävention und Eindämmung von Risiken sowie zur Kommunikation und Berichterstattung über den Aktionsplan zu entwickeln. Die Maßnahmen des Aktionsplans könnten sowohl legislative als auch nichtlegislative Maßnahmen, vorbildliche Verfahrensweisen, finanzielle Anreize, den Zugang zu Schulungen sowie den Kapazitätsaufbau für den sozialen Dialog und für die Gewerkschaften umfassen.

1.8.

Man sollte sich nachdrücklich für spezifische Überlegungen über die Art der Transparenzinstrumente einsetzen, die zur Information der Endverbraucher über die sozialen Bedingungen der Produktion eingeführt werden könnten.

1.9.

Auf der anstehenden ILO-Konferenz sollten die Möglichkeiten der ILO erwogen werden, eine aktive Rolle bei der Gewährleistung menschenwürdiger Arbeit in den globalen Lieferketten zu spielen, wobei auch die Entwicklung und künftige Annahme jeglicher relevanter und angemessener Instrumente ausgelotet werden sollten, die mit dem Engagement sämtlicher Interessenträger zu einer effektiven Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen werden.

2.   Die Frage der menschenwürdigen Arbeit in globalen Lieferketten: Definitionen, Kontext und Herausforderungen

2.1.    Definitionen

2.1.1.

Globale Wertschöpfungskette: Dieses Konzept tauchte Mitte der 90er-Jahre auf und beschreibt das komplette Spektrum an Maßnahmen, die notwendig sind, um ein Produkt von seiner Konzipierung bis zu seiner Gestaltung, seinen verwendeten Rohstoffen und Zwischenprodukten, seiner Vermarktung, seinem Vertrieb und Kundendienst zum Endverbraucher zu bringen (2).

Globale Wertschöpfungsketten sollen eine „prozessuale Aufwertung“ (der Hersteller verwendet eine bessere Technologie für mehr Effizienz) und eine „funktionale Aufwertung“ (der Hersteller kann Gestaltungs-, Branding- und Marketingkompetenzen entwickeln) fördern. Allerdings zeigt eine Reihe von Beispielen, dass dies nicht immer der Fall ist.

Die Frage, wie eine nachhaltige und verantwortungsvolle Steuerung globaler Wertschöpfungsketten erreicht werden kann, steht ganz oben auf der internationalen Agenda (OECD, ILO, G7, G20, EU, UNO), da das zunehmende weltweite Handels- und Investitionsvolumen über globale Wertschöpfungsketten abgewickelt wird und die Auslagerung und grenzüberschreitende Koordinierung der weltweiten Produktion durch führende Unternehmen erhebliche soziale Auswirkungen hat. Einige davon sind positiv, z. B. besser bezahlte Arbeitsplätze, eine höhere Beschäftigungsquote von Frauen, die Schaffung von Arbeitsplätzen zugunsten des Zugangs zur Beschäftigung, die Entwicklung von Kompetenzen sowie die Verbreitung von Wissen und Technologie. Andere Auswirkungen sind besorgniserregend, etwa prekäre Beschäftigung, unwürdige Arbeitsbedingungen (auch im Bereich Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz), fehlende soziale Rechte (auch fehlende Sozialversicherungsansprüche) und die Verletzung der Menschenrechte und grundlegenden Arbeitnehmerrechte.

Dies führt zur Entwicklung und Anwendung verschiedener Instrumente auf nationaler und internationaler Ebene, wie die ILO-Übereinkommen, die OECD-Leitlinien oder die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (siehe auch Ziffer 2.3.3) und Politikrahmen wie die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (3) und den begleitenden Aktionsplan von Addis Abeba über Entwicklungsfinanzierung (4) zur Unterstützung der Achtung der Arbeitsnormen und zur Förderung menschenwürdiger Arbeit sowie zum Ausbau des Handels, der Investitionen, des privaten Sektors und der Lieferketten.

2.1.2.

Globale Lieferkette: Eine globale Lieferkette besteht aus miteinander verknüpften Organisationen, Ressourcen und Prozessen, die Produkte und Dienstleistungen erzeugen und den Endverbrauchern liefern. Als solche ist sie Teil der globalen Wertschöpfungskette, in der es um Beschaffung, nicht aber um die Konzipierung oder den Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen geht.

Eine allgemeine Debatte über menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten findet im Juni 2016 auf der Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (dem höchsten Beschlussfassungsgremium der ILO) statt. Sie soll den in der ILO vertretenen Gruppen (z. B. Regierungen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer) aufzeigen, wie das Engagement in globalen Lieferketten der nationalen und lokalen Wirtschaft helfen kann, nachhaltig und integrativ zu wachsen und dadurch zur Gründung und zum Wachstum von Unternehmen sowie zur Förderung guter Arbeitsplätze und zur Achtung von Arbeitsnormen beizutragen. Die vorliegende Stellungnahme ist als Beitrag des EWSA zu dieser Debatte zu verstehen.

2.1.3.

Menschenwürdige Arbeit: Dieses von den in der ILO vertretenen Gruppen entwickelte und von der Internationalen Arbeitskonferenz in der Erklärung über soziale Gerechtigkeit für eine gerechte Globalisierung (5) angenommene Konzept umfasst nationale und lokale Programme zur Erreichung vier strategischer Ziele:

Förderung der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Entwicklung von Kompetenzen und nachhaltiger Existenzgrundlagen,

Gewährleistung von Rechten am Arbeitsplatz, insbesondere für benachteiligte und arme Arbeitnehmer,

Ausdehnung des Sozialschutzes für Männer und Frauen zugunsten einer angemessenen Ausgleichszahlung im Falle eines Einkommensverlustes oder einer Einkommensverringerung sowie Zugang zur einer angemessenen Gesundheitsversorgung,

Förderung des sozialen Dialogs durch die Einbindung starker und unabhängiger Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen.

Als weltweites Normen setzendes Gremium hat die ILO eine Reihe von Übereinkommen verabschiedet, die für globale Lieferketten relevant sind. Hierzu zählen grundlegende (Kern-)Arbeitsnormen (z. B. die Förderung der Versammlungsfreiheit und des Rechts auf Tarifverhandlungen, die Förderung der Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz und das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit) sowie Übereinkommen in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Kontrollen am Arbeitsplatz und andere. Länder, die diese Übereinkommen ratifizieren, sind verpflichtet, ihre Rechtsvorschriften und Rechtspraxis damit in Einklang zu bringen. Darüber hinaus sind alle Mitgliedstaaten der ILO gemäß der ILO-Erklärung über die Grundprinzipien und Grundrechte am Arbeitsplatz (1998) (6) verpflichtet, in ihren Rechtsvorschriften und ihrer Rechtspraxis die Kernarbeitsnormen zu achten und festzuschreiben, auch wenn sie die einschlägigen Übereinkommen nicht ratifiziert haben.

2.2.    Aufbau und Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten und globaler Lieferketten im Welthandel

2.2.1.

Die Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten im Welthandel ist rapide gestiegen und macht nach Angaben der WTO, OECD, ILO und UNCTAD aus dem Jahr 2013 (7) zwischen 60 % und 80 % des internationalen Handels und über 20 % der weltweiten Arbeitsplätze aus (8). Zu den Bereichen, in denen organisatorische Komponenten wie Konzeption, Produktion, Vertrieb und Verbrauch miteinander verzahnt sind und von multinationalen Unternehmen gesteuert werden, gehören die Landwirtschaft, die Industrie (z. B. Automobile, Luftfahrt, Textil-Bekleidung, Spielwaren, Elektronik) und Dienstleistungen (z. B. Callcenter, Informationstechnologien).

2.2.2.

Diese globalen Wertschöpfungsketten unterscheiden sich außerdem in Größe und Aufbau: einige sind eher kurz (wenige Aktivitäten), während andere länger sind und auch wirtschaftliche, soziale und finanzielle Verbindungen zwischen Unternehmen in zahlreichen und entfernten Ländern (von den USA bis hin zur EU und Asien) umfassen. Gary Gereffi (9) zufolge gibt es drei vorherrschende Steuerungsformen: käufergesteuerte und meistens auch kostengesteuerte (im Falle von globalen Wertschöpfungsketten bei Bekleidung und Schuhen) und herstellergesteuerte globale Wertschöpfungsketten mit technologischen Kompetenzen der Lieferanten in Entwicklungsländern, darunter Gestaltung und Innovation (Elektronik).

2.2.3.

Die globale Lieferkette basiert als Teil der globalen Wertschöpfungskette auf den Beziehungen zwischen Käufern und Lieferanten und potenziellen Unterauftragnehmern. Diese „Kette“ kann verschiedene Formen annehmen: vertikal integrierte, verschlossene Kette, modulare Kettensteuerung (die großen Lieferanten sind imstande, unabhängig von dem führenden Unternehmen zu agieren) oder Marktketten für die Grundstoffmärkte.

2.3.    Steuerung globaler Lieferkette in der Strategie für soziale Verantwortung der Unternehmen: zentrale Akteure und Instrumente

2.3.1.

In der Definition der EU wird die soziale Verantwortung der Unternehmen (SVU) als „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ (10) gesehen.

2.3.2.

Aufgrund einiger Probleme, die in den letzten 20 Jahren insbesondere in Sektoren wie Elektronik, Sportwaren und Bekleidung auftraten, wurden namentlich von der OECD folgende Aspekte ermittelt, die für die nachhaltige Steuerung ihrer globalen Wertschöpfungskette und globalen Lieferkette durch ein multinationales Unternehmen als führende Firma entscheidend sind:

a)

Ermittlung der Gefahr größerer Verstöße gegen Menschen- und Arbeitsrechte, Umweltschäden und Korruption;

b)

Prävention solcher Gefahren durch ein Konzept der Sorgfaltspflicht und die Umsetzung einer nachhaltigen Steuerung durch eine Bewertung des Risikoprofils des Landes und des individuellen Bewertungsrisikos des Lieferanten (11);

c)

Minderung der Risiken durch kohärente, solide und langfristige SVU-Maßnahmen für die Lieferkette: Wahl des Lieferanten, Anforderungen an und Vertrag mit bestehenden Lieferanten, Sozialaudits und Verbesserungskriterien zur Bewertung der erzielten Fortschritte;

d)

Berichterstattung und Kommunikation gegenüber verschiedenen Interessenträgern innerhalb des Unternehmens (z. B. Gewerkschaften) und außerhalb des Unternehmens (z. B. NGO oder zuständige Arbeitsschutz-Behörde oder für die Umsetzung der ILO-Übereinkommen über die Verbesserung der nachhaltigen Steuerung von globalen Lieferketten zuständige Behörden).

2.3.3.

Ein breites Spektrum an Akteuren: Zahlreiche öffentliche und private, nationale, europäische und internationale Organisationen und Gremien beschäftigen sich momentan mit diesen Fragen, insbesondere nach dem Drama von Rana Plaza (Bangladesch), bei dem 2013 über 1 100 Beschäftigte ums Leben kamen:

a)

Auf nationaler Ebene entwickeln Regierung und Parlament zusätzlich zu den Legislativmaßnahmen in von menschenwürdiger Arbeit und Menschenrechten abgedeckten Bereichen (z. B. im Vereinigten Königreich das Gesetz von 2015 über moderne Sklaverei mit Bestimmungen über die Transparenz von Lieferketten) (12) mit Unterstützung durch die Sozialpartner, interessierte Kreise wie NGO sowie durch die nationalen Kontaktstellen der OECD verschiedene Initiativen und setzen diese um (z. B. nationale Aktionspläne zu Wirtschaft und Menschenrechte oder zur SVU und andere, wie jüngste Initiativen in Frankreich oder Deutschland über die Sorgfaltspflicht).

b)

Auf EU-Ebene wurden im Rahmen verschiedener interner und externer Politikbereiche Maßnahmen im Zusammenhang mit breiter angelegten Partnerschaften mit Drittländern und mittels sektorspezifischer Initiativen ergriffen. Beispielsweise umfassen Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung in den unlängst ausgehandelten und umgesetzten Handels- und Investitionsabkommen der EU die bindende Verpflichtung der Parteien, die Kernarbeitsnormen zu achten (und auch Fortschritte hin zur Ratifizierung der grundlegenden ILO-Übereinkommen zu erzielen und ein höheres inländisches Arbeitsschutzniveau anzustreben), die ratifizierten ILO-Übereinkommen wirksam umzusetzen und menschenwürdige Arbeit sowie gerechte Handels- und SVU-Praktiken zu fördern. Außerdem wird darin die Einführung eines zivilgesellschaftlichen Überwachungsmechanismus (zusätzlich zu dem zwischenstaatlichen Gremium) erwogen, dem auch die Sozialpartner angehören sollen und der die Umsetzung dieser Bestimmungen überwachen und die Parteien über Fragen — unter anderem zu Handel und Arbeit — beraten soll. Im Rahmen der durch das GSP+-System gewährten Zollpräferenzen für Entwicklungsländer wird gefährdeten Ländern, die sich bindend zur Ratifizierung und wirksamen Umsetzung von 27 zentralen internationalen Übereinkommen, darunter die acht grundlegenden ILO-Übereinkommen, verpflichten, eine vollständige Abschaffung der Zölle auf über 66 % der Zolltarifpositionen gewährt (13). Darüber hinaus hat die EU folgende Maßnahmen entwickelt und umgesetzt: eine SVU-Strategie, die Überprüfung der Richtlinie 2013/34/EU über nichtfinanzielle Berichterstattung (Umwelt- und Sozialfragen, Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung, Vielfalt in Unternehmensvorständen usw.), den Nachhaltigkeitspakt für Bangladesch (eine internationale Initiative unter der Führung der EU zur Verbesserung der Achtung der Arbeitnehmerrechte, des Arbeitsschutzes und der Gebäudesicherheitsnormen im Konfektionskleidungssektor des Landes (14), eine neue Handels- und Investitionsstrategie der EU, einschließlich der verantwortungsvollen Steuerung der globalen Lieferketten (15); außerdem liegt ein Schwerpunkt des amtierenden (niederländischen) EU-Ratsvorsitzes auf der verantwortungsvollen Steuerung globaler Lieferketten.

c)

Auf internationaler Ebene finden Beratungen und Arbeiten in der OECD (z. B. Erarbeitung von Leitlinien für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten in der Schuh- und Bekleidungsindustrie (16), Leitlinien für multinationale Unternehmen (17), Einführung der Leitlinien für verantwortungsvolle landwirtschaftliche Lieferketten (18)), in der UNO (z. B. Globaler Pakt und die Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte (19)) und in der ILO statt (Überarbeitung der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik und Vorbereitung der Debatte, die im Juni 2016 auf der Internationalen Arbeitskonferenz zum Thema menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten stattfindet).

Es wurden verschiedene — ständige bzw. zeitweilige — Privatinitiativen ins Leben gerufen, beispielsweise zur Verbesserung des Arbeitsschutzes in den Textilfabriken in Bangladesch als Reaktion auf die Katastrophe von Rana Plaza (Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch) (20).

2.3.4.

All diese öffentlichen und privaten Akteure engagieren sich für die Entwicklung und Umsetzung verschiedener Instrumente zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Rechte am Arbeitsplatz:

Regulierung, Gesetze, Übereinkommen,

Verhaltenskodizes,

sozialer Dialog, auch im grenzüberschreitenden Kontext (21),

Zertifizierungen in SVU und soziale Rechenschaftspflicht,

Finanzierungsprogramme zur Entschädigung der Opfer,

andere Multistakeholder-Initiativen,

Hilfs- und Entwicklungsprogramme, einschließlich Kapazitätsaufbau (Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, sozialer Dialog, Umsetzung der ILO-Übereinkommen usw.).

3.   Bewertung bewährter Verfahrensweisen in zwei Wirtschaftszweigen

3.1.    Globale Lieferketten in der Schuh- und Bekleidungsindustrie

3.1.1.

Zu den globalen Lieferketten in der Schuh- und Bekleidungsindustrie gehören unterschiedliche Akteure und Produktionsprozesse. Aus der Region Asien-Pazifik kamen weltweite Bekleidungs-, Textilien- und Schuhexporte im Wert von 601 Mrd. USD, was 60 % des gesamten Welthandels entspricht. Der Löwenanteil entfällt dabei auf China. Länder wie Bangladesch oder Kambodscha haben sich stärker auf die Herstellung und Ausfuhr von Kleidung und Schuhen spezialisiert (entsprechend 89,2 % und 77,4 % des Gesamtwarenexports im Jahr 2014 (22)). Dies ist insbesondere auf den starken Anstieg der Löhne in der chinesischen Bekleidungs- und Textilindustrie zurückzuführen, infolge dessen internationale Abnehmer nach neuen Lieferanten in Asien suchen.

Nach Angaben der ILO (23) lag das Durchschnittseinkommen 2014 in den meisten Ländern bei weniger als 200 USD im Monat. Mindestlöhne für ungelernte Arbeitnehmer in der Bekleidungsindustrie sind in folgenden Ländern festgelegt: China (bis 297 USD), Philippinen, Malaysia, Indonesien (247 USD), Thailand, Vietnam (145 USD), Indien (136 USD), Kambodscha (128 USD), Pakistan (119 USD), Bangladesch (71 USD) und Sri Lanka (66 USD).

Die größten Gefahren sind dabei das Fehlen eines existenzsichernden Einkommens, Zwangs- bzw. Kinderarbeit, schlechte Arbeitsbeziehungen aufgrund von schwachem Schutz der Vereinigungsfreiheit und beschränkter Tarifautonomie, unzureichender Arbeitsschutz, unzureichende Arbeitsaufsicht, unterentwickelte Versorgungssysteme bei Arbeitsunfällen, Wasserverschmutzung, Exposition gegenüber Chemikalien und Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen.

3.1.2.

Am 24. April 2013 kamen beim Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch, in dem Textilfabriken untergebracht waren, 1 136 Beschäftigte ums Leben, die meisten von ihnen Frauen. Das Ausmaß dieses Unfalls, das auf den sehr schlechten Reparaturzustand des Gebäudes und auf das Fehlen von Notausgängen zurückzuführen war, führte zu einer außergewöhnlichen Mobilisierung von Regierungen (EU und Mitgliedstaaten, USA, Kanada, Norwegen), internationalen Organisationen (ILO, OECD und Weltbank) und internationalen und lokalen Interessenträgern, die einen ehrgeizigen Handlungsplan zur Förderung von nationalen kurzfristigen Maßnahmen (Entschädigung an die Angehörigen der Opfer, Inspektion von Textilfabriken und Abhilfemaßnahmen, neue Prüfungsmethoden, Überarbeitung des Arbeitsrechts), nationalen mittelfristigen Maßnahmen (z. B. Aufbau unabhängiger Gewerkschaften und Stärkung der Arbeitsaufsicht) und systematischen Maßnahmen zur Stärkung des verantwortungsvollen Managements in globalen Lieferketten auf den Weg gebracht haben.

Beispiel: Bewertung der Fortschritte im Konfektionskleidungssektor in Bangladesch seit dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes (Stand: Januar 2016)

Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch, unterzeichnet von 220 Abnehmern der Bekleidungsindustrie.

Bündnis für die Sicherheit der Arbeitnehmer in Bangladesch, gegründet im Mai 2013 von 26 hauptsächlich nordamerikanischen Marken.

Bis Januar 2016 entstanden im Konfektionskleidungssektor in Bangladesch 341 neue Gewerkschaften (2014: 132).

Bis Januar 2016 wurden 3 734 exportorientierte Konfektionskleidungsfabriken in Bezug auf die strukturelle und elektrische Sicherheit und den Brandschutz inspiziert.

235 neue Inspektoren wurden eingestellt  (24).

Programm für bessere Arbeitsbedingungen in Bangladesch: 38 Bekleidungsfabriken, die 17 Marken und Vertriebsketten beliefern.

Entschädigung für die Opfer: Entschädigungsleistungen in Höhe von 24,1 Mio. USD für 3 490 eingereichte Forderungen.

3.1.3.

Die OECD arbeitet derzeit an Leitlinien für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten in der Schuh- und Bekleidungsindustrie.

3.1.4.

In Zusammenarbeit mit internationalen Gebern, Regierungen, Arbeitnehmern und Arbeitgebern führt die ILO Projekte im Textilsektor durch (u. a. in Asien), die auf die Verbesserung des Zugangs zu Informationen über Löhne und Gehälter, Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen abzielen, um dadurch die Qualität des sozialen Dialogs über Arbeitsnormen zu verbessern, die Kapazitäten der Sozialpartner und die Tarifverhandlungsmechanismen zu stärken und die Einhaltung von Arbeitsnormen auf Fabrikebene zu gewährleisten (25).

3.1.5.

Die Europäische Kommission arbeitet an einer Leitinitiative für nachhaltige Zulieferketten in der Bekleidungsindustrie, die gemeinsame Planung, koordinierte Finanzierung, gemeinsame Umsetzung von Programmen, Sensibilisierungsmaßnahmen für die Verbraucher usw. umfasst.

3.1.6.

Europäische Sozialpartner der Textil- und Bekleidungsindustrie haben eine gemeinsame Initiative auf den Weg gebracht, die von der Europäischen Kommission unterstützt wird und ein SVU-Risikobewertungsinstrument umfasst, das für globale Lieferketten von Bedeutung ist. Es wird zurzeit fertiggestellt und für die Verbreitung unter den KMU und anderen Interessenträgern vorbereitet.

3.1.7.

Der niederländische EU-Ratsvorsitz will die Möglichkeiten zur Stärkung der Synergien zwischen den entwicklungs- und den handelspolitischen Maßnahmen der EU prüfen, um zur Nachhaltigkeit globaler Wertschöpfungsketten beizutragen.

3.1.8.

Der deutsche Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, hat ein spezifisches Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben gerufen, dem wichtige Partner angehören. Auf dem letzten G7-Treffen fasste er die Lage sehr konkret zusammen: „Einen Euro würde es kosten, Verantwortung zu übernehmen, einen einzigen Euro, pro Kleid, pro Sakko oder pro Hose, damit harte Arbeit in Bangladesch, Kambodscha oder in Afrika auch Lebenschancen für die Kinder und für die Näherinnen bedeutet“ (26).

3.1.9.

Bei zahlreichen privaten Initiativen wurden Erfahrungen gesammelt und bewährte Verfahrensweisen ausgetauscht. Dazu gehören ICS (Initiative Clause Sociale), an der 22 große Handelsketten wie Monoprix, Carrefour oder Casino mit einem Umsatz von mehr als 243 Mrd. EUR beteiligt sind, die auf ähnliche Methoden zur Durchführung von Sozialaudits zurückgreifen, und BSCI (Business Social Compliance Initiative), die 2003 von der in Brüssel ansässigen Foreign Trade Association (FTA) ins Leben gerufen wurde und mehr als 1 700 Einzelhändler und Importeure aus 36 Ländern umfasst, die Geschäftsbeziehungen zu 30 000 Fabriken unterhalten.

3.2.    Globale Wertschöpfungs- und Lieferketten im Elektronikbereich

3.2.1.

Laut der von Sturgeon und Kawakami durchgeführten Studie zu globalen Wertschöpfungsketten (27) scheinen Vorleistungen für die Bekleidungsindustrie in Bezug auf den Wert des Handels mit Zwischenerzeugnissen weitaus weniger wichtig zu sein als für die Elektronik- und die Pkw-Industrie.

3.2.2.

Die globale Wertschöpfungskette im Elektronikbereich gehört zu den wichtigsten Ketten im Gütersektor. Auf sie entfielen über 17 % der Gesamtmenge an Zwischenerzeugnissen im Jahr 2006 (Chemikalien und Kunststoffe: 2,7 %; Flugzeugteile: 1,9 %). Die zwei führenden Länder beim Export von Elektronikteilprodukten sind China/Hongkong und die USA.

3.2.3.

Die drei wichtigsten Akteure der „Modularität der Wertschöpfungskette“ sind:

Unternehmen am „Kopf“ der Lieferkette (hauptsächlich in den Industrieländern),

Unterauftragnehmer, zuständig für Komponentenkauf, Leiterplattenbestückung, Montage und Erprobung, hauptsächlich in China, Taiwan und Vietnam,

führende Unternehmen der Plattformen, d. h. Unternehmen, die ihre Technologien (in Form von Software, Hardware oder beidem) erfolgreich zum festen Bestandteil der Erzeugnisse anderer Unternehmen gemacht haben.

Die Modularität dieser spezifischen Wertschöpfungskette liegt in der Kodifizierung und Standardisierung der wichtigsten Betriebsprozesse wie computergestütztes Design, Produktionsplanung, Bestand und logistische Steuerung.

3.2.4.

Die Produkte im Bereich der Verbraucherelektronik haben einen kurzen Lebenszyklus (zwischen drei und 18 Monaten) und erreichen schnell das Ende ihrer Vermarktbarkeit. Infolgedessen müssen die Zulieferer eine immer schnellere Markteinführung gewährleisten. Als beispielsweise das iPhone von Apple 2007 erstmalig erschien, betrug die Markteinführungszeit sechs Monate, 2012 betrug sie bereits weniger als zwei Wochen (28). Für die Hersteller und Arbeitnehmer ist dies eine Herausforderung, zu deren Bewältigung Lösungen entwickelt und umgesetzt werden müssen.

In einigen Unternehmen wurden für die Spitzenzeiten Überstunden und Schichtarbeit vereinbart, die im restlichen Jahresverlauf abgebaut bzw. kompensiert werden können. In anderen Ländern wird zunehmend auf Zeitverträge und Leiharbeiter oder Migranten zurückgegriffen (z. B. stellten 2009 die Leiharbeiter in Mexiko 60 % der Arbeitnehmerschaft in der Elektronikindustrie, während der Anteil in Spitzenzeiten 90 % betrug) (29). Dies bedeutet oft weniger Arbeitnehmerrechte, d. h. niedrigere Löhne, fehlende Sozialversicherung oder Verbot der Mitgliedschaft in Gewerkschaften. Als Lösung wären neben nationalen Rechtsvorschriften auch Vereinbarungen auf Unternehmensebene denkbar sowie eine bessere Koordinierung und ein besserer Informationsaustausch zwischen den Abnehmern und den Zulieferern, wodurch eine bessere Produktionsplanung und der Einsatz von Dauerbeschäftigten statt Leiharbeitern ermöglicht würden.

3.2.5.

Die Frage der Wahrung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte ist in der Elektronikbranche eng mit der Frage der Gewinnung von Mineralien in Konflikt- und Hochrisikogebieten, wie der Region der Großen Seen in Afrika (30), verknüpft. Nach der Verabschiedung des US-amerikanischen Dodd-Frank-Gesetzes hat die Europäische Kommission 2014 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung eines Systems zur Selbstzertifizierung durch Einführer von Zinn, Tantal, Wolfram und Gold in die EU vorgelegt, um zu gewährleisten, dass bei der Gewinnung dieser Mineralien und dem Handel mit ihnen keine lokalen bewaffneten Konflikte unterstützt werden. Die Sorgfaltspflicht und entsprechende Begleitmaßnahmen dürften indessen zu mehr Transparenz entlang der gesamten Lieferkette beitragen und positive Auswirkungen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Arbeitsbedingungen in Bergwerken (zum Beispiel im Hinblick auf den Arbeitsschutz) sowie auf das Einkommensniveau haben und den Weg zur formellen Tätigkeit erleichtern. Dadurch wäre es möglich, die Mineralien weiterhin aus Afrika zu beziehen, anstatt auf andere, konfliktfreie Regionen der Welt auszuweichen (31).

3.2.6.

Die OECD hat Leitsätze zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Mineralstoffe aus Konflikt- und Hochrisikogebieten festgelegt (32).

3.3.    Globale Wertschöpfungsketten und globale Lieferketten in anderen Wirtschaftszweigen

3.3.1.

Der EWSA unterstreicht, dass auch in den globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten anderer Wirtschaftsbereiche, wie der Dienstleistungsbranche oder der Agrarwirtschaft, Probleme bei den Arbeitsbedingungen, insbesondere in Bezug auf den Arbeitsschutz, vorkommen können.

3.3.2.

Bei ihrer Förderung der menschenwürdigen Arbeit in der ländlichen Wirtschaft (33) konzentriert sich die ILO auf drei prioritäre Handlungsbereiche: menschenwürdige Arbeitsbedingungen für benachteiligte, marginalisierte und schutzbedürftige ländliche Bevölkerungsgruppen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen für ländliche Arbeiter in Lieferketten und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für ländliche Arbeiter auf Plantagen.

4.   Der Beitrag des EWSA zur Gewährleistung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten

Mit Blick auf die 105. Sitzung der Internationalen Arbeitskonferenz im Juni 2016 in Genf will der EWSA seinen Beitrag mit verschiedenen Empfehlungen zu den wirksamsten Wegen und Mitteln zur Gewährleistung besserer Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer in Zulieferer- und Subunternehmen veröffentlichen, die an der Produktion im Rahmen einer globalen Lieferkette beteiligt sind.

4.1.    Präzisierung der Rolle der einzelnen Interessenträger

Die Bestimmungen und Zuständigkeiten der einzelnen Interessenträger sollten geklärt werden, um Missverständnisse zu vermeiden:

Staatliche Stellen sind für die Erarbeitung, Anwendung und Durchsetzung der nationalen Arbeits- und Sozialvorschriften, die Ratifizierung und wirksame Umsetzung der ILO-Übereinkommen und im Falle der EU-Mitgliedstaaten auch für die Durchführung und Umsetzung der EU-Richtlinien verantwortlich. Sie stellen auch alle erforderlichen administrativen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung (u. a. für die Arbeitsaufsicht), um die Einhaltung der Rechtsvorschriften zu gewährleisten.

Internationale Organisationen legen die Standards fest und entwickeln weltweite Initiativen zur Förderung internationaler Arbeitsnormen und des verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns. In diesem Zusammenhang dienen Dokumente wie die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (Handlungsrahmen „Schützen, Respektieren, Abhelfen“) als Richtschnur für die Rollen und Verantwortlichkeiten der wichtigsten Akteure.

Die Sozialpartner sollten sich am sozialen Dialog über die Arbeitsnormen und -bedingungen in der Branche und im grenzübergreifenden Kontext beteiligen und ihn fördern. Die Staatsorgane sollten den wirksamen Schutz und die Förderung der Vereinigungsfreiheit und der Tarifverhandlungen sicherstellen.

Multinationale Unternehmen sollten sich an die Gesetze der Länder halten, in denen sie tätig sind. Sie sollten sich außerdem der sozialen Verantwortung und der Sorgfaltspflicht verschreiben.

Nichtstaatliche Organisationen ergänzen die Arbeit der sonstigen Akteure und übernehmen eine Schlüsselrolle bei der Sensibilisierung im Zusammenhang mit den Arbeitnehmerrechten sowie bei der Anprangerung von Missbrauch.

Angesichts der Komplexität und der offensichtlichen enormen Risiken in Bezug auf diese Schlüsselakteure plädiert der EWSA für strukturierte, transparente und integrative Stakeholder-Plattformen zur Behandlung solcher komplexen Fragen.

4.2.    Die Schwierigkeit der statistischen Messung der Handels- und Investitionsströme

Der EWSA hat die Absicht, die Realität der globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten in Bezug auf den Wert, das Wachstum und die Beschäftigung sowie die entsprechenden jüngsten qualitativen Entwicklungen zu messen. Dazu will er anhand der von der WTO und der OECD gesammelten Daten mit Eurostat und der GD Handel zusammenarbeiten. Dieses bessere Verständnis der neuen Struktur des internationalen Handels wird mit Sicherheit zu neuen Vorschlägen für den Einsatz der konventionellen Instrumente von Handels- und Entwicklungsvereinbarungen führen, so z. B. Zollabbau, rechtliche Konvergenz, besserer Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen, gemeinsame Ursprungsregeln, Kapazitätsaufbau und Handelshilfe.

4.3.    Förderung eines wirklich integrierten EU-Ansatzes u. a. in den Bereichen Handel, Entwicklung und Nachbarschaftspolitik

Der EWSA unterstützt den in der jüngsten Mitteilung zur EU-Handels- und Investitionspolitik geäußerten Willen der Europäischen Kommission, die gesamte Bandbreite der EU-Außenpolitik zu nutzen, um mithilfe verschiedener Instrumente die nachhaltige Entwicklung in Drittländern zu fördern, insbesondere in Entwicklungsländern wie Bangladesch, Vietnam, Myanmar (34), Kambodscha und Laos, sowie in Ländern auf anderen Kontinenten. Dazu gehören die Aufnahme von Kapiteln zu Handel und nachhaltiger Entwicklung in die derzeit verhandelten und künftigen Freihandelsabkommen, eine stärkere Verknüpfung zwischen Handelspolitik und Hilfsmaßnahmen/Kapazitätsaufbau, Förderung des verantwortungsvollen Handelns von Unternehmen in der Investitionspolitik und der Ausbau des Privatsektors, Umsetzung gezielter Projekte für eine bessere Einhaltung der Arbeitsnormen und Unterstützung nationaler Sozialpartner bei Schulungen, Informationsseminaren usw.

4.4.    Unterbreitung von Vorschlägen für realistische Verpflichtungen

Durch seine Mitwirkung an der Umsetzung und Überwachung der entsprechenden Kapitel in Freihandelsabkommen sowie die Teilnahme an einer Reihe von zivilgesellschaftlichen Gremien verfügt der EWSA über eine große Sachkenntnis im Bereich der Nachhaltigkeit und kann einen fairen Ausgleich zwischen den notwendigen gesetzlichen Anforderungen bezüglich der Menschen- und Arbeitsrechte, Transparenz, Korruptionsbekämpfung und der nötigen Flexibilität multinationaler Unternehmen für eine wirksame und an die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort angepasste Organisation und Entwicklung ihrer globalen Lieferketten vorschlagen.

4.5.    Förderung wirksamer Präventivmaßnahmen

Die KMU sind weltweit immer stärker an globalen Lieferketten beteiligt, und sie verfügen in diesem Zusammenhang über ein enormes, bislang ungenutztes Potenzial. Deshalb will der EWSA einige konkrete Instrumente stärker bekannt machen, die auf dem Markt verfügbar sind und von den Unternehmen bereits erprobt und getestet wurden. Sie könnten den KMU dabei helfen, ihre globalen Lieferketten nachhaltig zu verwalten und Zulieferer ausfindig zu machen, Selbstbewertungsinstrumente zu entwickeln sowie Normen und Vorschläge für Vertragsklauseln festzulegen.

4.6.    Unterstützung bei der Entwicklung einer neuen Audit-Generation

Die ersten Sozialaudits wurden in den 1990er-Jahren durchgeführt, sind jedoch sowohl in Bezug auf technische Aspekte (u. a. Qualifikation der Prüfer, Durchführung der Audits, Art der Fragen) als auch auf grundlegende Aspekte (provisorische Prüfung eines Zulieferers, keine systematischen und schrittweisen Fortschritte, Dritte für die Verbesserung der sozialen Bedingungen zuständig usw.) bemängelt worden. Der EWSA will die Entwicklung einer neuen Generation von Audits unterstützen, bei denen nicht nur die sozialen, sondern auch die umwelt- und governancebezogenen Aspekte bewertet und ehrgeizigere Ziele gesteckt werden. Letztlich sollen die standardisierten Fragebögen durch eine auf mehreren Kriterien beruhende Beurteilung ersetzt werden, die auf die einzelnen Unternehmen einer spezifischen globalen Lieferkette zugeschnitten ist. Außerdem soll ein stabiles Follow-up-Verfahren mit Unterstützung der Sozialpartner festgelegt werden.

4.7.    Entwicklung wirksamer Transparenzinstrumente für den Verbraucher

Auf dem G7-Gipfel im Dezember 2015 wurden u. a. praktische Instrumente wie Apps für mobile Geräte begrüßt, mit deren Hilfe die Verbraucher die Sozial- und Umweltsiegel auf Produkten besser vergleichen und verstehen können.

Der EWSA unterstützt die derzeitigen Bemühungen der EU, den ökologischen Fußabdruck bestimmter Verbrauchsgüterkategorien zu messen und anzugeben, und erklärt sich bereit, die besten nationalen Verfahrensweisen im Bereich der Umweltkennzeichnung bekannt zu machen, so z. B. die auf mehreren Kriterien basierende Umweltkennzeichnung, die in den Jahren 2010-2013 versuchsweise in Frankreich eingeführt wurde.

4.8.    Unterstützung von Programmen zum Kapazitätsaufbau und anderen Initiativen zur Förderung des sozialen Dialogs und Multi-Stakeholder-Ansätzen

Die globale Wirtschaftsleistung von Unternehmen und die Wahrung der Grundsätze menschenwürdiger Arbeit hängen eng mit der Existenz unabhängiger Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, der Qualität des sozialen Dialogs sowie dem Wohl der Arbeitnehmerschaft zusammen.

Der EWSA unterstützt das von der ILO eingerichtete Programm für besseres Arbeiten (Better Work programme), mit dem lokale Sozialpartner dabei unterstützt werden sollen, sich wirksam einzubringen und Tarifverhandlungen führen zu können.

Branchenweite Initiativen, wie das Bangladescher Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit im Konfektionskleidungssektor, können Abnehmer, Hersteller und Gewerkschaften dazu bewegen, einen umfassenden und wirksamen Ansatz für die gesamte Branche zu entwickeln und umzusetzen.

Der EWSA befürwortet auch den branchenübergreifenden sozialen Dialog mit länderübergreifenden Betriebsvereinbarungen (TCA) und internationalen Rahmenabkommen (IFA). Die bestehenden TCA und IFA sind ein wichtiges Instrument zur Förderung der Arbeitnehmerrechte in globalen Lieferketten. Bei der Weiterentwicklung bzw. umfassenderen Anwendung sollte jedoch berücksichtigt werden, dass sowohl beim Inhalt als auch bei den Follow-up-Mechanismen die Flexibilität aufrechterhalten werden muss. Ausgehend von den Erfahrungen bei der Umsetzung sollten die Partner darüber hinaus eine kontinuierliche Optimierung anstreben.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Internationale Arbeitsorganisation, Welthandelsorganisation, Internationaler Währungsfonds.

(2)  www.globalvaluechains.org/concept-tools.

(3)  http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/70/1&Lang=E.

(4)  http://www.un.org/esa/ffd/wp-content/uploads/2015/08/AAAA_Outcome.pdf.

(5)  http://www.ilo.org/global/meetings-and-events/campaigns/voices-on-social-justice/WCMS_099766/lang--en/index.htm.

(6)  http://www.ilo.org/declaration/thedeclaration/textdeclaration/lang--en/index.htm.

(7)  http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/wir2013_en.pdf.

(8)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---dcomm/---publ/documents/publication/wcms_368626.pdf.

(9)  „The organisation of Buyer-Driven Global Commodity Chain: How US Retailers Shape Overseas Production Networks“, Commodity Chains and Global Capitalism, Wesport, 1994.

(10)  http://ec.europa.eu/growth/industry/corporate-social-responsibility/index_en.htm.

(11)  Beispielsweise das von Euratex und IndustriAll mit Unterstützung der Europäischen Kommission entwickelte Selbstbewertungsinstrument für Textil- und Bekleidungsunternehmen in der EU.

(12)  http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2015/30/contents/enacted.

(13)  Der EWSA hat 2011 eine Stellungnahme zu dem System verabschiedet: ABl. C 43 vom 15.2.2012, S. 82.

(14)  http://trade.ec.europa.eu/doclib/events/index.cfm?id=1433 und http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1447.

(15)  http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/october/tradoc_153846.pdf.

(16)  https://mneguidelines.oecd.org/responsible-supply-chains-textile-garment-sector.htm.

(17)  https://mneguidelines.oecd.org/text/.

(18)  http://www.oecd.org/daf/inv/investment-policy/rbc-agriculture-supply-chains.htm.

(19)  http://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf.

(20)  http://bangladeshaccord.org/.

(21)  Möglicherweise in Form länderübergreifender Betriebsvereinbarungen, auch bekannt als internationale Rahmenübereinkommen. Näheres siehe REX/443 Informationsbericht, Seite 8: http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.rex-opinions.35349.

(22)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---asia/---ro-bangkok/documents/publication/wcms_419798.pdf.

(23)  Ebenda.

(24)  „Progress in implementation, outcome of the Review meeting on the Sustainability Compact for Bangladesh“ (Fortschritte bei der Umsetzung, Ergebnisse des Treffens zur Überprüfung des Nachhaltigkeitspakts für Bangladesch), 11. Januar 2016.

(25)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---asia/---ro-bangkok/---ilo-islamabad/documents/publication/wcms_363149.pdf.

(26)  http://www.bmz.de/g7/en/Entwicklungspolitische_Schwerpunkte/Menschenwuerdige_Arbeit/index.html.

(27)  „Was the crisis a Window of Opportunity for Developing Countries?“, Timothy J. Sturgeon, Momoko Kawakami, Policy Research Paper der Weltbank.

(28)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_dialogue/---sector/documents/meetingdocument/wcms_345445.pdf.

(29)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_dialogue/---sector/documents/meetingdocument/wcms_317267.pdf.

(30)  Im Oktober 2013 hat der EWSA hat 2013 eine Stellungnahme zur Sicherstellung wichtiger Einfuhren, einschließlich Mineralien und Rohstoffen, verabschiedet: ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 47.

(31)  http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-14-157_en.htm.

(32)  http://www.oecd.org/corporate/mne/mining.htm.

(33)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---relconf/documents/meetingdocument/wcms_311653.pdf.

(34)  Zum Beispiel Myanmar Labour Rights Initiative (ILO, USA, Japan, Dänemark, EU).


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Innovation als Impulsgeber für neue Geschäftsmodelle“

(Sondierungsstellungnahme)

(2016/C 303/04)

Berichterstatterin:

Ariane RODERT

Mitberichterstatter:

Oliver RÖPKE

Mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 ersuchte Herr BOEREBOOM, Generaldirektor im niederländischen Ministerium für Soziales und Beschäftigung, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des künftigen niederländischen Ratsvorsitzes um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

„Innovation als Impulsgeber für neue Geschäftsmodelle“.

(Sondierungsstellungnahme)

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 10. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai 2016) mit 131 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Europa steht vor komplexen Herausforderungen, die erneuerte soziale und wirtschaftliche Modelle erfordern. Zur Schaffung von Fortschritt, Wachstum und Wohlstand in Europa ist eine Entwicklung in Richtung einer innovationsbasierten Wirtschaft erforderlich.

1.2.

In diesem Zusammenhang entstehen innovative Konzepte und Geschäftsmodelle, die davon zeugen, dass sich die traditionelle Innovation zu einer Innovation entwickelt, die vorrangig den Lebensumständen und dem Wohlergehen der Menschen dient und dabei technischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten Rechnung trägt.

1.3.

Deshalb fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, einen politischen Rahmen zur Förderung dieser neu entstehenden Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dabei sollte sie für diese Geschäftsmodelle zentrale Konzepte anerkennen, vernetzen und fördern und sich dabei auf theoretische Konzepte wie gemeinsamer Mehrwert, gemeinsames Wirken, Messung der Wirkung, Helix-Partnerschaft und soziale Innovation zu stützen.

1.4.

Zu diesem Rahmen gehört ein günstiges Umfeld, indem Hindernisse beseitigt und traditionelle Geschäftsmodelle erweitert werden. Folgende Punkte sind zu prüfen: Vergabe öffentlicher Aufträge, innovationsfreundliche Rechtsvorschriften, maßgeschneiderte Finanzinstrumente, gezieltere finanzielle Unterstützung aus den Strukturfonds, mögliche steuerliche Anreize, Ausbildung und Unterstützung sowie Aktualisierung von Kompetenzen, wobei bei Letzterer besonders Digitalisierung und Robotisierung zu berücksichtigen sind.

1.5.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen „gerechtere“ Geschäftsmodelle, die sich auf Innovationen für soziale Entwicklung konzentrieren, in vollem Umfang anerkennen und fördern, indem sie parallel zur Berichterstattung über die wirtschaftlichen Fortschritte die Messung der sozialen Wirkung einbeziehen.

1.6.

Der EWSA fordert die Kommission dringend auf, bei der Entwicklung der europäischen Säule sozialer Rechte, deren konkreter Ausdruck diese neuen Geschäftsmodelle sind, die Grundsätze des Sozialinvestitionspakets und seine Verbindung zur sozialen Innovation uneingeschränkt zu berücksichtigen.

1.7.

Die Mitgliedstaaten und die Kommission müssen sicherstellen, dass die soziale Innovation durchgängig in die Innovationsprogramme einbezogen wird. Die EU-Fördermittel für soziale Innovation, wie Horizont 2020, sollten voll ausgeschöpft und anhand der technischen Machbarkeit der Übernahme (durch den jeweiligen Interessenträger) und der politischen Auswirkungen bewertet werden.

1.8.

Die Mitgliedstaaten und die EU-Organe müssen in der Unternehmenspolitik die Grundsätze der Innovation durchgängig anwenden, um eine Kultur zu gewährleisten, in der Innovation gefördert, begrüßt, belohnt und verbreitet wird. Zu dieser Kultur gehören Elemente wie Experimente, neue Partnerschaftskonstellationen und ein erweiterter Blick auf Wertschöpfung in der Gesellschaft.

1.9.

Die EU muss bei innovationspolitischen Initiativen mehr Gewicht auf die Förderung und den Schutz von KMU — insbesondere sozialwirtschaftlicher Unternehmen, Kleinst- und Familienunternehmen sowie aller Arten von Unternehmensgründungen — legen, um die Bedingungen für ihre Zukunftsfähigkeit und Nachahmung bzw. Übernahme durch breitere Kreise zu verbessern.

1.10.

Neue, innovative Geschäftsmodelle müssen in auf die industrielle Revolution 4.0 ausgerichteten politischen Initiativen und damit verbundenen Politikbereichen wie Kreislaufwirtschaft, Wirtschaft des Teilens und „Functional Economy“ uneingeschränkt berücksichtigt werden. Dafür gilt es, die Anpassung aller vorhandenen Unternehmen und Modelle zu fördern, die Entstehung neuer und unkonventioneller Unternehmensformen zu unterstützen sowie neue Beziehungen und daran angepasste Modelle der Zusammenarbeit zu schaffen.

1.11.

Der EWSA fordert die Kommission auf, diese neuen Geschäftsmodelle in vollem Umfang in die 2017 anstehende Überprüfung der Binnenmarktstrategie einzubeziehen und in diese Richtung gehende neue Maßnahmen vorzuschlagen.

1.12.

Wie bei allen Unternehmen ist es unabdingbar, dass dabei die Grundsätze der menschenwürdigen Arbeit, die sozialen Rechte der Arbeitnehmer und die Rolle der Sozialpartner im Rahmen neuer Geschäftsmodelle uneingeschränkt gewahrt werden.

2.   Einleitung

2.1.

In Europa entsteht derzeit in raschem Tempo eine neue gesellschaftliche Landschaft, die neue soziale und wirtschaftliche Modelle erfordert, um Europa als moderne, international wettbewerbsfähige Wirtschaft neu zu definieren.

2.2.

Um Wachstum für den Fortschritt, sozialen Zusammenhalt und Wohlstand zu erreichen, ist eine neue Einstellung in Bezug auf Innovation nötig. Die Akteure in Innovation und Forschung auf der ganzen Welt haben sich diese Haltung zu eigen gemacht, und dies gilt auch für viele Unternehmen, die jetzt Wachstum im sozialen, ökologischen sowie wirtschaftlichen Bereich anstreben und damit etwas bewegen wollen. Zudem weisen Erwartungen und Nachfrage der Verbraucher darauf hin, dass ein solcher Ansatz Unterstützung findet. Das zeigt sich deutlich durch das Entstehen von Initiativen wie die partizipative Wirtschaft, die Kreislaufwirtschaft und die Wirtschaft des Teilens. Gemeinsam ist diesen Initiativen, dass sie auf einem neuen Werterahmen beruhen und auf intelligentes, nachhaltiges und inklusives Wachstum für den Fortschritt abzielen, das technische, ökologische und soziale Innovation in sich vereint.

2.3.

Mit dieser Stellungnahme sollen einige neue Konzepte analysiert werden, die für neue, die Innovation vorantreibende Geschäftsmodelle von zentraler Bedeutung sind. Dabei werden insbesondere sozialwirtschaftliche Unternehmen zur Veranschaulichung herangezogen. Die Stellungnahme baut auf dem Besitzstand des EWSA in diesem Bereich und vor allem auf den Arbeiten im Rahmen des EWSA-Projekts „Soziales Unternehmertum“ (1) auf. Konzepte wie Kreislaufwirtschaft, partizipative Wirtschaft, „Functional Economy“ und Wirtschaft des Teilens, Politik für Innovation oder KMU, die Gegenstand anderer einschlägiger Stellungnahmen des EWSA sind, werden nicht beleuchtet.

3.   Das Aufkommen neuer Konzepte

3.1.    Förderung sozialer und gesellschaftlicher Innovation als Geschäftsmodell

3.1.1.

Europa ist mit komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert, die sich mit den bestehenden Systemen nicht bewältigen lassen. Diese Situation zeigt einen Paradigmenwechsel an, der eine neue Denkweise und innovative Lösungen erfordert. Diese Innovationen werden häufig als soziale bzw. gesellschaftliche Innovationen bezeichnet. „Soziale Innovation ist in Mittel und Zweck sozial. Ergänzend ist hinzuzufügen, dass soziale Innovationen in der Praxis neue Ideen (Produkte, Dienste oder Modelle) sind, die gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht werden (und zwar wirksamer als Alternativlösungen) und in deren Rahmen neue soziale Beziehungen oder Kooperationsformen entstehen. Anders ausgedrückt sind soziale Innovationen nicht nur von Nutzen für die Gesellschaft, sondern verbessern auch ihre Handlungsfähigkeit“ (2). Soziale Innovationen entstehen in allen Bereichen und sind nichts Neues, aber sie haben als gemeinsames Merkmal, dass sie letztendlich zu systemrelevanten Veränderungen führen.

3.1.2.

In der akademischen Welt umfasst Innovation heutzutage wesentlich mehr als technische Entwicklung. Die Wissenschaftler sind sich jetzt darüber einig, dass bei Innovation und Forschung technischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden muss. Zwischen sozialer, digitaler und technischer Innovation besteht eine Wechselwirkung. Die digitale Technologie fungiert in diesem Zusammenhang als Instrument, um das Teilen zu fördern und die Menschen zu befähigen, aktiv zu werden, wobei die soziale Innovation das wichtigste Ziel ist.

3.1.3.

Soziale Innovation unterscheidet sich von technischer Innovation. Sie ist bedarfsorientiert, häufig auf die Bewältigung einer gesellschaftlichen Herausforderung oder eine bestimmte Nutzergruppe ausgerichtet, und trägt dabei sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten Rechnung. Die erfolgreichsten sozialen Innovationen beruhen auf ganzheitlichem Denken, das letztlich zu einem Systemwandel führt, statt ein einzelnes Problem oder Thema zu behandeln.

3.1.4.

Das Fundament der sozialen Innovation ist ein ethischer, ideologischer oder auf das allgemeine Interesse ausgerichteter Standpunkt. Das zeigt sich durch die jetzige und historische Rolle der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung der Sozialsysteme. Der Begriff „soziale Innovation“ mag neu sein, diese selbst besteht jedoch bereits seit sehr langer Zeit.

3.1.5.

Soziale Innovation beruht auf offener Kommunikation und gemeinschaftlicher Problemlösung, wodurch verschiedene Interessenträger und Verfahren mobilisiert werden, um schneller neue Lösungen zu finden. Mit sozialer Innovation lassen sich Mauern zwischen Branchen und Märkten einreißen, indem die Logik des Wettbewerbs durch Lösungen ersetzt wird, die auf Zusammenarbeit und langfristigen Partnerschaften beruhen. Es geht um Teilen in Verbindung mit der Open-Source-Bewegung und die Anwendung nicht wettbewerbsorientierter Ansätze.

3.1.6.

Soziale Innovation bietet Europa eine grundlegende Perspektive und wird die „echte soziale Marktwirtschaft“ gemäß Artikel 2 des Vertrags von Lissabon fördern. Das lässt sich jedoch nur erreichen, wenn Innovation klar auf Ziele wie Inklusion und Gleichheit ausgerichtet ist. Dadurch wiederum wird eine weitere gesellschaftliche Innovation beschleunigt.

3.2.    Überdenken der Wertschöpfung aus dem Blickwinkel des gemeinsamen Mehrwerts

3.2.1.

Es wächst das Bewusstsein, dass eine umfassendere Sicht der — wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen — Wertschöpfung das Herzstück eines attraktiven Geschäftsszenarios ist. Die Tatsache, dass durch größeren sozialen und ökologischen Wert wirtschaftlicher Gewinn geschaffen bzw. dieser gesteigert wird, zeigt deutlich, dass Wirtschaftswachstum mit dem sozialen und ökologischen Fortschritt zusammenhängt. Dieser Zusammenhang wird als die Schöpfung gemeinsamen Mehrwerts (shared value) bezeichnet, ein Konzept, das von mehreren Forschern untersucht wird (3).

3.2.2.

Grundlegend für diese Strategie ist der Übergang von dem Ziel, den kurzfristigen finanziellen Ertrag zu optimieren, zu dem Prinzip, wirtschaftlichen Wert so zu schaffen, dass gleichzeitig sozialer Fortschritt und ein Mehrwert für die Gesellschaft generiert werden. Der gemeinsame Mehrwert könnte durchaus der Motor für die nächste Welle von Innovation und Produktivitätswachstum in der globalen Wirtschaft sein.

3.2.3.

Die Förderung einer echten sozialen Marktwirtschaft erfordert ermutigende Investitionsformen, die speziell zur Unterstützung der Entstehung einer partizipativeren, demokratischeren und inklusiveren Wirtschaft konzipiert sind. Hier bedarf es eines kompletten Finanzierungsumfelds, für das die Erwägung von Hybrid- und Mischkapitalformen von besonderem Interesse ist, ein Thema, das der EWSA in einer früheren Stellungnahme (4) beleuchtet hat.

3.2.4.

Die Anwendung der Logik des gemeinsamen Mehrwerts bedeutet, dass die Wertschöpfung nicht länger in der Übertragung eines bestehenden Wertes, sondern vielmehr in der Steigerung des sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Wertes insgesamt besteht. Zudem wird dadurch deutlich, dass der Markt sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch über soziale und wirtschaftliche Aspekte definiert. Ein Schlüsselfaktor ist, dass der gemeinsame Mehrwert auf der Stärke des privaten und des zivilgesellschaftlichen Sektors sowie ihren Unterschieden fußt, indem ein Modell der Mitgestaltung umgesetzt wird, das letztlich zur Entstehung neuer und wachsender Märkte führt.

3.3.    Im Zeichen der Partnerschaft

3.3.1.

Komplexe gesellschaftliche Herausforderungen erfordern häufig eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Markt und Zivilgesellschaft, um wirksame Lösungen zu finden. Diese Partnerschaft beruht auf einem tiefen Verständnis der Standpunkte der einzelnen Interessenträger, einer zügigen Beschlussfassung und einem empathischen Ansatz.

3.3.2.

Zusammenarbeit, Mitgestaltung und bereichsübergreifende Innovation bieten enorme Vorteile gegenüber den Wegen, die die Gesellschaft in der Vergangenheit zur Lösung gesellschaftlicher Probleme gegangen ist. Von zentraler Bedeutung hierfür ist, die Interessenträger früh zusammenzubringen, damit sie ein gemeinsames gesellschaftliches Ziel und den künftigen Weg festlegen können.

3.3.3.

Da Innovation häufig in lokalen Zusammenhängen nahe an den tatsächlichen Bedürfnissen entsteht, ist darauf hinzuweisen, dass Aufmerksamkeit und Unterstützung der gesamten Gesellschaft zuteilwerden muss. Es bestehen zahlreiche Möglichkeiten, diese lokalen Erfahrungen zu sammeln und zu teilen, von denen viele in Regionen und Ländern übernommen und ausgebaut werden können.

3.4.    Gemeinsames Wirken (collective impact) als Ziel

3.4.1.

Wie dargelegt, erfordert ein massiver gesellschaftlicher Wandel umfassende bereichsübergreifende Koordinierung, Abstimmung und Partnerschaft. Zudem muss ein Ergebnis in gemeinsamem Wirken bestehen.

3.4.2.

Gemeinsames Wirken heißt Engagement einer Gruppe zentraler Interessenträger aus allen Bereichen, die sich auf eine gemeinsame Agenda konzentrieren, um ein bestimmtes soziales oder gesellschaftliches Problem zu lösen. Außerdem geht das gemeinsame Wirken mit einer zentralen Infrastruktur, eigenem Personal, einem strukturierten Prozess, kontinuierlicher Kommunikation und sich gegenseitig verstärkenden Tätigkeiten zwischen allen Teilnehmern einher. Größere soziale Veränderungen entstehen durch eine bessere bereichsübergreifende Koordinierung, nicht durch das Handeln einzelner Organisationen.

3.5.    Messung der sozialen Wirkung

3.5.1.

Wenn das Konzept der Innovation darin besteht, nicht nur technische, sondern auch soziale und ökologische Überlegungen einzubeziehen, dann muss der Fortschritt auch anders gemessen werden. Bereits früher hat der EWSA Themen untersucht („Social Impact Measurement — Messung der sozialen Wirkung“ (5) und „Die Gemeinwohl-Ökonomie“ (6)), bei denen sich eindeutig herausstellte, dass ein erweiterter Blick auf Ergebnisse und Berichterstattung notwendig ist.

3.5.2.

Lange Zeit wurden Ergebnisse in der Regel anhand von Wirtschaftsindikatoren gemessen. Aber die zunehmende Entstehung innovationsfördernder hybrider Strukturen erfordert eine Palette neuer, ganzheitlicher Indikatoren, mit denen die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen gemessen werden können.

3.5.3.

Die Anwendung der Grundsätze für die Messung der sozialen Wirkung beinhaltet einen auf die Interessenträger ausgerichteten Ansatz, eine gemeinsame Sichtweise und Definition der wichtigsten Ergebnisse sowie die gemeinsamer Festlegung von Indikatoren. Diese Elemente werden dazu beitragen, den tatsächlich geschaffenen Wert zu erfassen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Übergang von der rein ökonomischen Berichterstattung hin zur Messung von Faktoren wie den Beiträgen der sozialen Akteure, den Auswirkungen auf sie sowie den sozialen Ergebnissen und Wirkungen. Es ist wichtig, dass die Interessenträger dasselbe Verständnis dieser Konzepte haben, da sie sowohl im Zusammenhang mit Innovationen als auch mit Geschäftstätigkeiten angewandt werden.

3.6.    Innovation und menschenwürdige Arbeit

3.6.1.

Soziale und technische Innovationen können enorme Auswirkungen auf die Organisation der Arbeit und auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten haben. Wachsende Individualisierung sowie größere Autonomie und Flexibilität in den Arbeitsbeziehungen sollten nicht zu einer Verschlechterung des Sozialschutzes führen. Für gelungene innovative Modelle ist es aber unabdingbar, dass die Prinzipien menschenwürdige Arbeit auch in einem geänderten Umfeld gewährleistet bleiben (7).

3.6.2.

Innovation bedeutet nur dann auch gesamtgesellschaftlichen sozialen Fortschritt, wenn alle Interessenträger darin eingebunden sind und davon profitieren, der Mehrwert gerecht verteilt wird und es zu keinem Abbau sozialer Rechte kommt. Die soziale Absicherung der Beschäftigten muss auch unter geänderten Rahmenbedingungen gewährleistet bleiben.

3.6.3.

Gleiches gilt für die individuellen sozialen Rechte der Arbeitnehmer, also insbesondere für die Arbeitsbedingungen und Löhne. Innovative Modelle und insbesondere die Digitalisierung führen häufig zu einem höheren Grad der Individualisierung in der Arbeitswelt und zu einer Gefährdung sozialer Standards. Nachhaltige innovative Modelle müssen die Rechte der Arbeitnehmer und ihre Arbeitsbedingungen auch in einer sich ändernden Arbeitswelt respektieren.

3.6.4.

Neue innovative Geschäftsmodelle müssen die kollektiven Rechte der Beschäftigten, ihre praktische Durchsetzung und die Rolle der Sozialpartner fördern. Sozialpartner, Tarifverträge und die Beteiligung der Arbeitnehmer sind häufig eine Quelle der Innovation, da sie die nötigen Rahmenbedingungen schaffen.

3.6.5.

Der soziale Dialog und flächendeckende Tarifverträge sind weiter zu fördern, weil sie auch zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Übergang zu innovativen Geschäftsmodellen beitragen können. Die „sozialen Spielregeln“ mussten auch in der Vergangenheit immer wieder an neue technische und soziale Entwicklungen angepasst werden, und dies wird auch in Zukunft notwendig sein. Siehe beispielsweise die Umverteilung der Arbeit (z. B. Verringerung der Arbeitszeit).

4.   Förderung verschiedener Unternehmensmodelle — das Beispiel sozialwirtschaftlicher Unternehmen

4.1.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die uneingeschränkte Vielfalt und Pluralität der Geschäfts- und Unternehmensmodelle, die gemeinsam den Binnenmarkt bilden, anerkannt und gefördert werden müssen (8). Ein Bereich, in dem der EWSA über spezifische Fachkenntnisse verfügt, sind die sozialwirtschaftlichen Unternehmen (SWU). SWU und Sozialunternehmer integrieren einige der oben erörterten Konzepte und sind ein gutes Beispiel für diese in Europa aufkommenden hybriden Formen von Unternehmensmodellen.

4.2.

In Europa gibt es mehr als zwei Millionen Sozialunternehmen, die 10 % des BIP erwirtschaften. In vielen Mitgliedstaaten ist der Sektor jedoch neu und unterentwickelt und bietet erhebliche Entwicklungsmöglichkeiten. Zivilgesellschaft und Sozialwirtschaft sind eng verknüpft und tragen durch Innovation zu wichtigen systemischen Veränderungen in der Gesellschaft bei. Diese betreffen Bereiche wie Kinderbetreuung, Krankenhäuser, Förderung der persönlichen Selbstbestimmung und unabhängigen Lebensführung der älteren Menschen und der Menschen mit Behinderungen, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, berufliche Eingliederung und (sozialer) Wohnungsbau sowie zahlreiche wissenschaftliche Entdeckungen und Erfindungen.

4.3.

Da SWU auf eine bestimmte Nutzergruppe bzw. ein unerfülltes Bedürfnis in der Gesellschaft ausgerichtet sind oder eine Lücke schließen, experimentieren sie und finden innovative Lösungen, während sie gleichzeitig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Sie reinvestieren Gewinne, um ihren sozialen Auftrag zu erfüllen und die entsprechende soziale Wirkung zu erreichen. Vor Kurzem wurden SWU besonders hervorgehoben, weil sie aufgrund ihrer doppelten Wertschöpfung eine interessante Lösung bieten: sozial durch ihre Tätigkeiten (sozialer Zusammenhalt oder soziale Inklusion) und wirtschaftlich (durch Handel, Gründung von Unternehmen und Schaffung von Arbeitsplätzen).

4.3.1.

Die Förderung von Innovation und Kreativität hängt von jedem einzelnen Interessenträger sowie von Verhaltensweisen und Einstellungen ab. Deshalb ist es nicht nur unabdingbar, den Sektor der SWU zu stärken, sondern auch eine offene Haltung gegenüber anderen, verschiedenartigen Modellen zu garantieren, die neu entstehen. Es gilt, eine Kultur der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Werte zu pflegen, ein Grundsatz, der z. B. in der Sozialwirtschaft von Anfang an im Mittelpunkt stand. Da SWU durch ihre Innovation neue Marktchancen schaffen, ist dem Schutz dieser Unternehmen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, damit sie sich weiterentwickeln können.

4.3.2.

Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass Frauen laut wissenschaftlichen Untersuchungen in sozialen Unternehmen stärker vertreten sind als in traditionellen Unternehmen. Darüber hinaus zeigten Studien, in denen nach Geschlechtern aufgeschlüsselte Daten zu diesem Thema erhoben wurden, dass Frauen unter den Sozialunternehmern in einigen europäischen Ländern sogar zahlreicher sind als Männer. Diese Studien scheinen auch darauf hinzudeuten, dass Sozialunternehmerinnen innovativer sind als Sozialunternehmer, obwohl sie weniger für Innovation ausgeben (9). Diese wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen ein großes Entwicklungsgebiet mit Schwerpunkt auf der Förderung für soziales Unternehmertum von Frauen.

5.   Schaffung eines günstigen Umfelds für neue und innovative Geschäftsmodelle

5.1.

Neue und innovative Geschäftsmodelle wie SWU sind Teil der regulären Wirtschaft und stehen nicht im Widerspruch zu anderen Geschäftsmodellen. Aufgrund der sich wandelnden gesellschaftlichen Landschaft in Europa muss der Schwerpunkt darauf liegen, sich alle Formen der Innovation, aus denen neue Geschäftsmodelle entstehen, zu eigen zu machen. Während diese neuen, andersartigen Geschäftsmodelle auf mehreren der in Kapitel 3 erörterten Konzepte aufbauen, ist der größte Teil der Fördermaßnahmen und der Politik heute nach wie vor für ein normales, eher traditionelles Unternehmensmodell und die entsprechende Logik konzipiert. Deshalb sind die meisten der bestehenden Unternehmensförderungen, Entwicklungs- und Unternehmensgründungsprogramme sowie sonstigen notwendigen Voraussetzungen wie Rechtsvorschriften und Finanzinstrumente für die Unterstützung dieser andersartigen Geschäftsmodelle nicht geeignet. Um die Förderung für die gesamte Palette der unterschiedlichen, in Europa entstehenden Geschäftsmodelle zu nutzen, sollten deshalb die folgenden Elemente berücksichtigt werden.

5.1.1.

Mit Blick auf die SWU setzt sich der EWSA aktiv für ein komplettes Umfeld ein, das genau auf die einzigartigen Merkmale dieses besonderen Geschäftsmodells zugeschnitten ist (10). Vergleichbare Umfelder müssen auch für andere neue und hybride Geschäftskonzepte entwickelt werden. Außerdem muss die bestehende Förderung aktualisiert und angepasst werden, um diese neuen Geschäftsmodelle zu erfassen sowie bestehende Unternehmen dabei zu unterstützen, sich an die neuen Tendenzen anzupassen und sie umzusetzen. Das ideale Umfeld umfasst Elemente wie ein maßgeschneidertes Finanzierungsumfeld mit Hybridkapitallösungen, bessere Formen der Vergabe öffentlicher Aufträge, die maßgeschneiderte Förderung der Unternehmensentwicklung und die Messung der sozialen Wirkung. Dies ist von entscheidender Bedeutung für die Unterstützung der Entstehung und Tragfähigkeit eines jeden Geschäftsmodells.

5.1.2.

Innovation ist nicht länger linear. Technische, ökologische und soziale Innovationsperspektiven müssen miteinander verknüpft werden, um Lösungen für die Zukunft zu finden. Die vollständige Integration dieser Konzepte erfordert einen neuen, ergebnis- bzw. wirkungsorientierten Blick auf die Fortschrittsberichterstattung. Hier kommt es insbesondere auf zwei Elemente an: die Schaffung eines gemeinsamen Mehrwerts und das Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung (das dafür sorgt, dass sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Fortschritt gleichwertig sind). Wird der Gesamtwert durch das gemeinsame Wirken der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekte erkannt, werden rasch neue Arten hybrider Unternehmen entstehen. Der gemeinsame Mehrwert steckt noch in den Kinderschuhen. Deshalb müssen sich Manager neue Kompetenzen und Kenntnisse aneignen und die Regierungen lernen, die Rechtsvorschriften so zu gestalten, dass sie gemeinsamen Mehrwert ermöglichen, statt ihn zu behindern.

5.1.3.

Den Finanzmärkten kommt bei der korrekten Verteilung der Ressourcen innerhalb der Gesellschaft eine Schlüsselfunktion zu. Allerdings steht die Tatsache, dass sie vor allem kurzfristige Ergebnisse im Blick haben, in direktem Widerspruch zu dem Erfordernis, die Bedürfnisse der Gesellschaft langfristig zu befriedigen, eine Thematik, die in mehreren Berichten behandelt wird (11). Unternehmen benötigen Raum, um in die Zukunft zu investieren, damit sie sowohl für Anleger als auch für die Gesellschaft insgesamt Wert schöpfen. Dazu sind neue Systeme erforderlich, die langfristiges Anlageverhalten belohnen. Hier ist die Finanzierung durch die öffentliche Hand, häufig in Form von Mischkapitallösungen, ein wichtiges Element, durch das die Unternehmensentwicklung häufig gestärkt wird.

5.1.4.

Damit Innovation zum Impulsgeber für neue Geschäftsmodelle werden kann, muss kontinuierlich eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur gefördert werden. Die Förderung von Versuchsprogrammen, bei denen sowohl Erfolge als auch Misserfolge (als Lernschritte) positiv gesehen werden, ist unerlässlich, um eine Innovationskultur in Europa voranzutreiben. Das „Innovationsprinzip“ sollte als Ergänzung des Vorsorgeprinzips angewandt werden, ohne dass Letzteres die Innovation behindert. Laut diesem „Innovationsprinzip“ sind die Auswirkungen von Gesetzen und Rechtsvorschriften auf die Innovation zu berücksichtigen. Ein Ausgangspunkt ist die Konzipierung von Verfahren und Systemen, die auf dem Konzept der Partnerschaft beruhen und die wichtigsten Interessenträger über ein Angebot mit offenen Foren, Räumen für den Dialog und kooperativen Sitzungen einbeziehen. Dieser Ansatz wird bereits in ganz Europa umgesetzt und könnte leicht ausgebaut, geteilt und verbreitet werden (12).

5.2.

Politischer Wille und Eigenverantwortung sind von zentraler Bedeutung, um die Gründung neuer Unternehmen in Europa zu fördern. Die Entwicklung kohärenter politischer Programme auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten, die auf die Unterstützung verschiedener Geschäftsmodelle zugeschnitten sind, ist unabdingbar. Zur Schaffung von Wachstum und Wohlstand in Europa ist eindeutig eine Entwicklung in Richtung einer innovationsbasierten Wirtschaft und Gesellschaft erforderlich. Die Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen für den Binnenmarkt sollten diesem Ziel entsprechend eingesetzt werden. Die 2017 anstehende Überprüfung der Binnenmarktstrategie bietet die Gelegenheit, entsprechende neue Maßnahmen zu erwägen.

5.2.1.

Da der Schwerpunkt auf gemeinsamem Mehrwert und dem Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung liegt, ist eine angemessene und nachhaltige Förderung der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung als Nährboden für zukünftige Innovationen unverzichtbar. Zudem müssen die Tätigkeiten im Rahmen dieser neuen Geschäftsmodelle statistisch erfasst werden, damit sie politisch optimal unterstützt werden können.

5.2.2.

Es ist wichtig, für die verschiedenen Formen von Innovation und die Arten von Innovatoren zu sensibilisieren. Häufig nehmen SWU und die Zivilgesellschaft für sich nicht die Rolle des Innovators in Anspruch. Eine größere Sichtbarkeit der sozialen Innovation und ihre Anerkennung in Form einer ausdrücklichen Wertschätzung ihres umfassenden gesellschaftlichen Beitrags werden zu mehr Innovation in allen Bereichen beitragen.

5.2.3.

Die EU spielt weiterhin eine zentrale Rolle dabei, dass neue Initiativen gesammelt und weitergegeben werden, die Schaffung eines günstigen Umfelds erleichtert wird und diese neuen Tendenzen tatsächlich durch wichtige politische Initiativen aufgegriffen werden. Die Kommission bietet die besten Voraussetzungen dafür, diesen Austausch bewährter Verfahrensweisen und nachahmenswerter Modelle zu erleichtern.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.social-entrepreneurship-make-it-happen.

(2)  Quelle: http://ec.europa.eu/archives/bepa/pdf/publications_pdf/social_innovation.pdf.

(3)  https://hbr.org/2011/01/the-big-idea-creating-shared-value/ar/1.

(4)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 152.

(5)  ABl. C 170 vom 5.6.2014, S. 18.

(6)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 26.

(7)  Laut der ILO werden mit den Grundsätzen der menschenwürdigen Arbeit folgende Ziele verfolgt: Umsetzung von Kernarbeitsnormen, menschenwürdige Arbeitsmöglichkeiten mit ausreichendem Einkommen sowie Stärkung der sozialen Sicherung und Ausbau des Dialogs zwischen den Sozialpartnern.

(8)  ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 22.

(9)  WEstart: Mapping Women’s Social Entrepreneurship in Europe, 2015.

(10)  http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.social-entrepreneurship-make-it-happen.

(11)  The Kay Review, 2012: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/253454/bis-12-917-kay-review-of-equity-markets-final-report.pdf.

(12)  Europe Tomorrow — Projekte: Loss (Frankreich) und unMonastery (Italien).


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/36


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Sharing Economy und Selbstregulierung

(Sondierungsstellungnahme)

(2016/C 303/05)

Berichterstatter:

Jorge PEGADO LIZ

Mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 und gemäß Artikel 304 AEUV ersuchte M. J. Boereboom, Generaldirektor im niederländischen Ministerium für Soziales und Beschäftigung, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des niederländischen Ratsvorsitzes um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

„Sharing Economy und Selbstregulierung“

(Sondierungsstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 10. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 133 gegen 1 Stimme bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Aufgrund des Ersuchens des niederländischen Ratsvorsitzes erarbeitete der EWSA eine Sondierungsstellungnahme zum Thema „Sharing Economy und Selbstregulierung“. Nach Abschluss seiner Arbeiten legt er diese nun mit folgenden Schlussfolgerungen vor.

1.2.

Der EWSA hat in mehreren Stellungnahmen, auf die sich die vorliegende Arbeit stützt, verschiedene Aspekte dieses Phänomens unter je nach Sprache und Blickwinkel der Betrachtung unterschiedlichen Begriffen bereits im Vorfeld behandelt.

1.3.

Dem Ersuchen folgend hat der EWSA eine Definition der spezifischen Merkmale der Sharing Economy vorgenommen, die die Wirtschaftspraktiken umfasst, die unter diesen Begriff fallen. Außerdem wird die Frage behandelt, ob und wenn ja wie, in welcher Form und mit welchen Mitteln (insbesondere Selbst- und Koregulierung) diese wirtschaftlichen und sozialen Praktiken rechtlich geschützt werden müssen.

1.4.

Bei der Sharing Economy, die ab den 2000er Jahren mit der Nutzung von Internet und sozialen Medien an sozialer und wirtschaftlicher Bedeutung gewann, handelt es sich nicht um einen wechselseitigen Tausch, wie es ihn seit Anbeginn der Menschheit gibt, sondern um ein nicht auf Gegenseitigkeit beruhendes prosoziales Verhalten, genauer gesagt um die Handlung bzw. den Prozess, das, was uns gehört, mit anderen zu teilen, damit sie es verwenden können, bzw. etwas von anderen zu erhalten, um es selbst zu verwenden.

1.5.

Wichtiger als eine Definition des Begriffs „Sharing Economy“, die der EWSA dennoch geben möchte, ist die Bestimmung ihrer Merkmale, von denen insbesondere folgende zu nennen sind:

Sie hat nicht Eigentum oder Miteigentum von Gütern zum Ziel, sondern die Vergemeinschaftung ihrer Nutzung bzw. ihres Gebrauchs.

Sie stützt sich auf eine Plattform, normalerweise eine Online-Plattform, um eine breite Palette von Anbietern von Waren oder Dienstleistungen mit einer Vielzahl von Nutzern zu verbinden.

Ein gemeinsames Ziel ist die bessere Auslastung der Güter und Dienstleistungen durch gemeinsame Nutzung.

Es handelt sich dabei in erster Linie um Geschäfte unter „Gleichen“ („Peer-to-Peer“, P2P) und nicht um vertragliche Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden („Business-to-Consumer“, B2C).

1.6.

Anhand dieser Merkmale und mit einer Begrifflichkeit, über die weitgehend Konsens besteht, kann ein Modell dieser Art von Wirtschaftsbeziehungen definiert und zwischen Tätigkeiten unterschieden werden, die tatsächlich eine Form der Sharing Economy sind und für die besondere Regeln gelten müssen, und anderen Tätigkeiten, für die dieser Begriff zuweilen zu Unrecht verwendet wird, um die normalerweise für sie geltenden Rechtsvorschriften zu umgehen, wie das aktuelle Beispiel Uber zeigt. Eine genauere analytische Unterscheidung des Inhalts des Begriffs „Teilen“ und der Abwicklung über eine Online-Plattform wäre eine bessere Orientierungshilfe für die politische Entscheidungsfindung und die Wahl der geeignetsten Regelung.

1.7.

Die verschiedenen Formen der Sharing Economy erlangen nicht nur eine immer größere wirtschaftliche Bedeutung und verzeichnen in Europa und weltweit bereits einen beträchtlichen Umsatz, sondern sie haben mit ihrer sozialen und ökologischen Dimension das Potenzial, die Solidarität zwischen den Menschen zu fördern, die Wirtschaft vor Ort anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen, den Verbrauch der privaten Haushalte durch die gemeinsame Nutzung bestimmter Güter rationeller zu gestalten, den energetischen Fußabdruck zu verringern und einen verantwortungsbewussteren und nachhaltigeren Verbrauch zu bewirken. Einschlägige Beispiele werden in Ziffer 5.2 genannt.

1.8.

Vor diesem Hintergrund fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, eine ganze Reihe unerlässlicher politischer Maßnahmen zu ergreifen, um die verschiedenen Formen und Modalitäten der Sharing Economy auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten zu unterstützen und einzuführen sowie dazu beizutragen, dass diese Vertrauen und Glaubwürdigkeit erlangen.

1.9.

Der EWSA verweist außerdem darauf, dass diese neuen Geschäftsmodelle den geltenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten und der EU entsprechen müssen. Insbesondere müssen sie den Schutz der Rechte der Arbeitnehmer, eine angemessene Besteuerung, Datenschutz und Schutz der Privatsphäre der Akteure, die Sozialrechte, einen fairen Wettbewerb und die Bekämpfung von Monopolen und wettbewerbswidrigen Praktiken, die Haftbarkeit der Plattformen bei den Geschäften zwischen den Partnern und die Rechtmäßigkeit ihrer Angebote sowie den Schutz der Rechte aller beteiligten Partner in der Sharing Economy — einschließlich der Prosumenten — gewährleisten, u. a. durch die Anpassung des gesamten EU-Besitzstandes für Verbraucherrechte an diese Beziehungen, insbesondere in Bezug auf missbräuchliche Vertragsbestimmungen, unlautere Geschäftspraktiken, Gesundheit, Sicherheit und den elektronischen Handel;

1.10.

Nach Ansicht des EWSA sollte die EU — und natürlich die im Rat unter niederländischem Vorsitz vertretenen Mitgliedstaaten — einen klaren und transparenten Rechtsrahmen für diese Tätigkeiten im Binnenmarkt im Sinne von Ziffer 8.2.4 festlegen. Er fordert die Europäische Kommission auf, rasch die angekündigte und bereits überfällige Europäische Agenda für die partizipative Wirtschaft vorzulegen.

1.11.

In dieser Agenda sollte die ergänzende Rolle der Selbst- und Ko-Regulierung im Einklang mit den Grundsätzen und Modalitäten klar herausgearbeitet werden, die der EWSA bereits seit Jahren in verschiedenen Stellungnahmen und Informationsberichten zu diesen Aspekten vorgeschlagen hat und die er an dieser Stelle bekräftigt und auf die er verweist.

2.   Einleitung: Ein aktuelles und kontroverses Thema

2.1.

Der niederländische Ratsvorsitz ersuchte den EWSA mit Schreiben des Ministeriums für Soziales und Beschäftigung um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema „Sharing Economy und Selbstregulierung“, wobei er weder Leitlinien noch Fragestellungen vorgab.

2.2.

Die Thematik Sharing Economy ist äußerst kontrovers und hochaktuell, beginnend mit ihrer Definition und einer konzeptionellen Abgrenzung bis hin zu den verschiedenen damit verbundenen Begriffen und Praktiken sowie ihren Wirkungen.

2.3.

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Praktiken mit diesem Begriff in Verbindung gebracht und genauso viele Beiträge unterschiedlichster Natur zu diesem Thema veröffentlicht.

2.4.

Daher ist es wenig überraschend, dass der EWSA, der die Trends in der Zivilgesellschaft aufmerksam verfolgt, in mehreren Stellungnahmen, auf die sich die vorliegende stützt (1) und deren allgemeine Philosophie hierin aufgegriffen und weiterentwickelt wird, verschiedene Aspekte dieses Phänomens unter je nach Sprache und Blickwinkel der Betrachtung unterschiedlichen Begriffen bereits im Vorfeld behandelt hat.

2.5.

Mit der vorliegenden Stellungnahme soll dem Ersuchen des niederländischen Ratsvorsitzes entsprochen werden, indem eine Definition der spezifischen Merkmale der Sharing Economy festgelegt wird, die sie konzeptionell abgrenzt und die Wirtschaftspraktiken umfasst, die unter diesen Begriff fallen; außerdem soll die Frage behandelt werden, ob und wenn ja wie, in welcher Form und mit welchen Mitteln (insbesondere Selbst- und Koregulierung) diese wirtschaftlichen und sozialen Praktiken rechtlich geschützt werden müssen.

3.   Eine Frage der Einstellung — Haben oder Sein?

3.1.

Bestimmte Formen der so genannten Sharing Economy sind schon vor der Herausbildung des Begriffs an sich entstanden, und zwar ausgehend von einer Einstellung zum Haben oder Sein, die hauptsächlich auf dem Gedanken fußt „Du bist nicht, was Du hast, sondern wozu Du Zugang hast“.

3.2.

Die Sharing Economy ist natürlich in gewisser Weise so alt ist wie die Menschheit selbst und findet ihre historischen Wurzeln im Tauschhandel der primitiven Gesellschaften, der erst durch die Einführung von Zahlungsmitteln schrittweise ersetzt wurde. Diese gaben ihrem Besitzer die Möglichkeit, etwas zu erwerben und somit zu besitzen.

3.3.

Ab den 2000er Jahren gewann die Sharing Economy mit der Nutzung von Internet und sozialen Medien an sozialer und wirtschaftlicher Bedeutung. Es handelt sich dabei jedoch nicht mehr um einen echten wechselseitigen Tausch, sondern um ein nicht auf Gegenseitigkeit beruhendes prosoziales Verhalten, genauer gesagt um die Handlung bzw. den Prozess, das, was uns gehört, mit anderen zu teilen, damit sie es verwenden können, bzw. etwas von anderen zu erhalten, um es selbst zu verwenden. Daher orientiert sich die Sharing Economy an verschiedenen Denkschulen, die vom freien und kostenlosen universellen Zugang zu Wissen bis zur Functional Economy bzw. Gift Economy (Schenkökonomie, Tausch ohne Gewinn) reichen. Im Gegensatz zur reinen Tauschwirtschaft beinhaltet die Sharing Economy eine finanzielle oder nicht finanzielle Gegenleistung.

4.   Eine wirtschaftlich wichtige Praktik

4.1.

Ausgehend von diesem Begriff muss nun der eigentliche und spezifische Bereich der Sharing Economy mit all seinen Aspekten durch eine Auflistung der Merkmale abgegrenzt werden, die die Praktiken der Sharing Economy aufweisen müssen und die sie von anderen marktwirtschaftlichen Praktiken unterscheiden.

4.2.

Das grundlegende und gemeinsame Merkmal besteht zunächst darin, dass die Sharing Economy nicht Eigentum oder Miteigentum von Gütern zum Ziel hat, sondern die Vergemeinschaftung ihrer Nutzung bzw. ihres Gebrauchs.

4.3.

Außerdem stützt sie sich auf eine Plattform, normalerweise eine Online-Plattform (Browser oder App), um eine breite Palette von Anbietern von Waren oder Dienstleistungen mit einer Vielzahl von Nutzern zu verbinden.

4.4.

Ein gemeinsames und typisches Ziel dieser Praktik ist die bessere Auslastung (idling capacity) der Güter und Dienstleistungen durch gemeinsame Nutzung.

4.5.

Darüber hinaus ist wichtig, dass es bei diesem Geschäftsmodell in erster Linie um Geschäfte unter „Gleichen“ („Peer-to-Peer“, P2P) und nicht um vertragliche Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden („Business-to-Consumer“, B2C) geht, ganz gleich, ob es sich dabei um natürliche Personen oder Gemeinschaften, einschl. Unternehmen, handelt, und dass das „Teilen“ nicht ihr Geschäftszweck ist (das ist z. B. der Fall, wenn ein Unternehmen sich eine Fahrzeugflotte oder Offsetdruckmaschinen mit einem anderen Unternehmen teilt. Die Möglichkeit, dass die Peers zusammen ein ganzes „Geschäft“ gründen, kann auch nicht ausgeschlossen werden.

4.6.

Die nachstehende Grafik zeigt die Unterschiede zwischen den verglichenen Geschäftsmodellen:

„Peer-to-Peer“, P2P

„Business-to-Consumer“, B2C

Image

Image

4.7.

Diese Art der Transaktion erfordert eine komplexe vertragliche Dreiecksbeziehung mit Verträgen a) zwischen dem Besitzer der Ware bzw. dem Dienstleister und dem Betreiber der Plattform, b) zwischen dem Nutzer und dem Vermittler der Transaktion auf der Plattform, ggf. gegen Entgelt, sowie c) zwischen den Nutzern der Plattform untereinander für die jeweilige Nutzung.

4.8.

Folgende Merkmale werden daher nicht als besondere Unterscheidungsmerkmale der Sharing Economy erachtet:

a)

Unentgeltlichkeit oder Entgeltlichkeit der Leistung — Couchsurfing vs. AirBnB;

b)

Gegenseitigkeit der vertraglichen Positionen;

c)

der finanzielle oder nichtfinanzielle Charakter des Geschäfts, weshalb auch Crowdfunding als Form der Sharing Economy anerkannt wird;

d)

das bloße Teilen von Waren oder Dienstleistungen zwischen Privatpersonen (eine Mitfahrgelegenheit für einen Kollegen, eine vorübergehende Übernachtungsmöglichkeit für einen Freund, das Angebot an den Nachbarn, die Waschmaschine zu benutzen, wenn seine kaputt ist);

e)

der Tausch oder Verkauf von Gebrauchtwaren, da dies kein „Teilen“ beinhaltet und die Übertragung von Eigentum zur Folge hat.

5.   Einige Beispiele für Praktiken, die unter die Sharing Economy fallen bzw. nicht dazu gehören

5.1.

Die für diese Stellungnahme geltenden Beschränkungen bezüglich der Dokumentlänge erlauben es nicht, eine umfangreiche Auflistung oder gar eine detaillierte Erörterung einer ganzen Reihe an Situationen vorzunehmen, die offenbar die oben genannten Merkmale der Sharing Economy aufweisen.

5.2.

Dennoch sollen einige Beispiele genannt werden, um den Gegenstand der Stellungnahme zu verdeutlichen:

5.2.1.

Im Bereich Beherbergung sind die Plattformen AirBnB, Rentalia, Homeaway, Couchsurfing und Bedycasa zu nennen, in denen sich Wohneigentümer registrieren können, um vorübergehend ein Zimmer oder eine komplette Wohnung bzw. ein komplettes Haus zu teilen. Jugendherbergen, Pensionen und andere Urlaubsunterkünfte können ihre Unterkünfte ebenfalls auf diesen Plattformen anbieten. Jeder Bürger kann sein Eigentum auf diesen Sharing-Plattformen unkompliziert anbieten, und die Gewinne aus dieser Tätigkeit für die Eigentümer steigen, weshalb diese Art von Unterkunftsmöglichkeiten zunehmend Verbreitung findet. Das hat dazu geführt, dass einige Plattformen und Steuerbehörden (beispielsweise in Paris und Amsterdam) formal eine Zusammenarbeit in Hinblick auf die Steuererhebung und -abführung vereinbart haben. In Amsterdam, Barcelona, London und Berlin wurden eine Meldepflicht für diese Art von Unterkünften und Bestimmungen für die zeitliche Begrenzung der Vermietung eingeführt, um den Bereich der langfristigen Vermietung zu schützen und einem möglichen Anstieg der Mietpreise einen Riegel vorzuschieben.

5.2.2.

Im Verkehrssektor sind die Anwendungen Blablacar, Umcoche, Liftshare und Karzoo zu nennen, in denen private Fahrzeugbesitzer sich registrieren können, um freie Plätze in ihren Autos auf ihren Fahrten anzubieten (Carpooling). In einigen der Plattformen ist es zwar erlaubt, die Fahrtkosten zu teilen, allerdings darf dabei kein Gewinn erzielt werden. Uber hingegen ist ein Sonderfall, da dieser Fahrdienst sowohl Beförderungsdienste von Privatleuten mit eigenem Pkw anbietet (Uber Pop, das in beinahe allen Mitgliedstaaten verboten ist) als auch Fahrdienstleistungen von Berufskraftfahrern vermittelt (Uber Black und Uber X, die mit traditionellen Taxidiensten vergleichbar sind). Die Einordnung dieses Fahrdienstes ist nicht klar, da das Unternehmen über kein transparentes Geschäftsmodell verfügt. Daher beschäftigen sich bereits Gerichte mit der Frage, ob Uber-Fahrer nicht Angestellte des Fahrdienstes sind (2). Wegen dieses Fahrdienstes kam es zu — mitunter gewalttätigen — Protesten und Gerichtsverfahren in fast ganz Europa. Lediglich das Vereinigte Königreich und Estland haben Rechtsvorschriften zur Legalisierung dieser Dienste erlassen — vorbehaltlich der Antwort des EuGH auf die von Gerichten in Barcelona und Brüssel eingereichten Ersuchen um Vorabentscheidung zur Klärung der Natur dieses Fahrdienstes (3).

5.2.3.

Beispiele für gemeinschaftliche Finanzierung sind verzinste Peer-to-Peer-Kredite wie bei Zopa und Auxmoney; die Finanzierung durch Kapitalbeteiligung an dem neu gegründeten Unternehmen wie Fundedbyme und Crowdcube; die Finanzierung gegen Prämien wie Kickstarter und Indiegogo sowie die Finanzierung über Spenden ohne jedwede Gegenleistung.

6.   Notwendigkeit einer Begriffsbestimmung

6.1.

Die Anstrengungen zur Herausarbeitung eines Begriffs verlaufen nicht linear und erfordern ihre Zeit, bevor sich das Ergebnis „setzen“ kann und allgemein anerkannt wird, insbesondere wenn die Methode induktiv ist. Dies gilt auch für den Begriff der Sharing Economy, der in den sozialen Medien neben weiteren Bezeichnungen wie Sozial- oder Solidarwirtschaft, Kreislaufwirtschaft, Functional Economy, grüne Wirtschaft, blaue Wirtschaft, Solution Economy, horizontale Wirtschaft, On-demand-Economy, Plattform-Wirtschaft und Gig Economy verwendet wird.

6.2.

Daher verzichten manche Autoren auch ganz auf eine Definition in der Befürchtung, sie könnte nicht umfassend genug sein, oder sie grenzen vielmehr ihren Geltungsbereich nicht richtig ab.

6.3.

Der EWSA hat in seinen Stellungnahmen ungeachtet der vielfachen Verweise auf diesen Begriff niemals den Versuch einer Definition unternommen. Auch der AdR hat in seiner einschlägigen Stellungnahme (4) trotz Einteilung in zwei Hauptkategorien und vier Formen keinen derartigen Versuch gewagt. Die Europäische Kommission verwendet in ihrer vor Kurzem veröffentlichten Mitteilung „Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr Chancen für die Menschen und die Unternehmen“ (5) zunächst den Begriff „partizipative Wirtschaft“ als weiteres Synonym, gibt jedoch keine Definition dafür, sondern beschränkt sich darauf, die Vorteile für einige Interessenträger (Verbraucher, Arbeitnehmer) aufzulisten und ihre Auswirkungen auf Produktivität und Nachhaltigkeit herauszustellen. Sie kündigte zudem für 2016 eine europäische Agenda für die partizipative Wirtschaft an. Seitens des Europäischen Parlaments gab es abgesehen von der Entschließung vom 21. Dezember 2015 zu dem Thema „Auf dem Weg zu einer Akte zum digitalen Binnenmarkt“ (6) sowie einigen sehr fundierten Studien und Briefings zu spezifischen Punkten bislang keinen nennenswerten Beitrag. In keinem dieser Dokumente wurden bislang die Auswirkungen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Wachstum untersucht.

6.4.

Es ist nicht notwendig, in dieser Frage das Rad neu zu erfinden, da unter den vielen Definitionen eine herauszustechen scheint, die offenbar auf große Zustimmung trifft. Dabei handelt es sich um die von Botsman & Rogers vorgenommene Definition der Sharing Economy als Wirtschaftsmodell, das auf dem unentgeltlichen oder entgeltlichen Teilen nicht vollständig genutzter Waren oder Dienstleistungen zwischen Privatleuten über eine Online-Plattform basiert, wobei allerdings eine genauere analytische Unterscheidung des Begriffs „Teilen“, d. h. „nicht gewinnorientiert“, und der Abwicklung über eine Online-Plattform eine bessere Orientierungshilfe für die politische Entscheidungsfindung und die Wahl der geeignetsten Regelung wäre.

6.5.

Diese Definition ist breit genug angelegt, um so unterschiedliche Bereiche wie Produktion, Verbrauch, Finanzierungsmöglichkeiten (Crowdfunding) oder Know-how-Sharing abzudecken und ihre Einteilung in vier eigenständige „Bereiche des Teilens“ zu ermöglichen: Verbrauch; Aus-, Weiterbildung und Wissen; Finanzierung; Produktion (7).

6.6.

Auf der Grundlage dieser Definition kann auch zwischen Geschäftsmodellen unterschieden werden, die unter dem Deckmantel der Sharing Economy in Wirklichkeit rein gewinnorientierte Geschäfte sind, die dem B2C-Modell folgen. Diese Schlussfolgerung ist auch der Maßstab bei der Analyse der (nicht immer transparenten) Funktionsweise dieser Plattformen: So gibt es Fälle echter Sharing Economy, in denen der über die Plattform vermittelte Kontakt dem P2P-Modell entspricht und die Plattform lediglich dazu dient, eben diesen Kontakt zwischen den „Peers“ herzustellen. Gleichzeitig gibt es aber auch Unternehmen, die sich den Anschein einer P2P-Plattform geben, aber Geschäfte machen, dabei Gebühren kassieren, selbst die Zahlungsempfänger sind und zusätzliche Dienste anbieten, die nicht unter Sharing Economy fallen, sondern als Anbieter von B2C-Diensten — mit allen Konsequenzen — zu behandeln sind.

6.7.

Gleichzeitig können aufgrund dieser Definition bestimmte Ausprägungen aus der Definition für Sharing Economy ausgeschlossen werden, die sonst als solche verstanden werden könnten, insbesondere:

a)

das Teilen von Lebensmittel oder nicht dauerhaften Verbrauchsgütern;

b)

Gegenseitigkeitsgesellschaften und Genossenschaften;

c)

soziales Unternehmertum;

d)

Wohltätigkeit;

e)

On-demand Economy.

f)

Functional Economy, die eher in Verbindung mit der Kreislaufwirtschaft steht;

g)

reine Mittlertätigkeiten.

7.   Die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung der Sharing Economy und mögliche politische Optionen

7.1.

Obwohl es bislang keine wirklich klare Definition für den Bereich gibt, auf den dieser Begriff Anwendung findet, wurden zahlreiche Studien verfasst und Untersuchungen angestellt, um den wirtschaftlichen Wert der Sharing Economy in der EU und weltweit zu ermitteln.

7.2.

In den letzten Jahren und vor allem in der aktuellen Krise — und gerade auch als Antwort auf diese Krise — sind immer mehr Initiativen der Sharing Economy entstanden: So werden auf der Website www.collaborativeconsumption.com mehr als 1 000 Initiativen aufgelistet.

7.3.

Nach von der Europäischen Kommission verwendeten Schätzungen belief sich der weltweite Umsatz von Tätigkeiten, die unter die Bezeichnung Sharing Economy fallen, im Jahr 2013 auf 3,5 Mrd. USD, was einer jährlichen Wachstumsrate von 25 % entspricht. Derzeit läge er demnach bereits bei 20 Mrd. USD. In den Prognosen von PricewaterhouseCoopers (PwC) wird von einem sprunghaften Wachstum bis 2025 ausgegangen (8).

7.4.

Die Sharing Economy schafft jedoch nicht nur einen wirtschaftlichen Wert, sondern hat mit ihrer sozialen und ökologischen Dimension das Potenzial, die Solidarität zwischen den Menschen zu fördern, die Wirtschaft vor Ort anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen, den Verbrauch der privaten Haushalte durch die gemeinsame Nutzung bestimmter Güter zu senken, den energetischen Fußabdruck zu verringern und einen verantwortungsbewussteren und nachhaltigeren Verbrauch zu bewirken.

7.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass diese Art der Wirtschaft „für die innovative, wirtschaftlich, sozial und ökologisch vorteilhafte Ergänzung der Produktions- durch die Gebrauchswirtschaft“ steht und „einen Ausweg aus der Wirtschafts- und Finanzkrise [bietet]“ (9).

7.6.

Daher hat der EWSA die Europäische Kommission unumwunden aufgefordert, eine ganze Reihe von unerlässlichen politischen Maßnahmen zu ergreifen, um die verschiedenen Formen und Modalitäten der Sharing Economy auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten zu unterstützen und einzuführen sowie dazu beizutragen, dass diese Vertrauen und Glaubwürdigkeit erlangen. Vor diesem Hintergrund können in dieser Stellungnahme die einschlägigen Ansichten, die der EWSA bereits bezogen hat und auf die er erneut ausdrücklich hinweist, nur bekräftigt werden. Daher werfen die neuen Geschäftsmodelle in Form dieser Plattformen seiner Meinung nach dringende Fragen u. a. nach der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, der Gewährleistung der Rechte der Arbeitnehmer und der Sicherstellung einer angemessenen Besteuerung auf. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, diese Bedenken aufzugreifen, damit die sozialen Vorteile dieser Geschäftsmodelle auch wirklich greifbar werden.

7.7.

Außerdem sind dringend Definitionen, Vorgaben und Leitlinien auf europäischer Ebene erforderlich, da einige Mitgliedstaaten angesichts des Zögerns und des offenbaren Unwillens der EU-Institutionen, sich eindeutig festzulegen, bereits unabhängig ihre eigene Politik gestalten.

8.   Eine rechtlich geschützte Tätigkeit

8.1.    Die auf dem Spiel stehenden Interessen und ihr rechtlicher Schutz

8.1.1.

Wie jede andere Tätigkeit, die Menschen und ihre — oftmals widersprüchlichen — Eigeninteressen miteinander in Verbindung bringt, fällt auch die Sharing Economy in den Anwendungsbereich des Rechts und der Bestimmungen, die diese Interessen betreffen. Das Argument, die Sharing Economy müsse ein „rechtsfreier“ Raum sein, in dem der Freiheit keine Grenzen gesetzt seien und der allein auf Vertrauen und natürlicher Gutwilligkeit (nach dem Vorbild von Rousseaus „edlem Wilden“) basiere, ist daher nach Ansicht des EWSA nicht seriös.

8.1.2.

Der EWSA hat kontinuierlich und kohärent die Auffassung vertreten, dass alle wirtschaftlichen Tätigkeiten durch das Recht geschützt werden müssen; er hat indes auch betont, dass diese Rechtsvorschriften verschiedene Formate annehmen können, die aufeinander abgestimmt sein müssen.

8.1.3.

So hat der EWSA in seiner jüngsten Stellungnahme zum Thema „Selbst- und Ko-Regulierung im EU-Rechtsrahmen“ (10) unterstrichen: „Selbst- und Ko-Regulierung sind in Eigeninitiative oder auf Veranlassung eingeführte Instrumente zur Regelung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen bzw. der Handelsbeziehungen und -praktiken der verschiedenen Wirtschaftsteilnehmer. Sie sind als wichtige ergänzende und zusätzliche Instrumente, jedoch keinesfalls als Alternative zur Fremdregulierung (hard law) anzusehen […]. Ihre Ausgestaltung und ihr Geltungsbereich [müssen] durch ausdrückliche und unmissverständliche verbindliche sowie gerichtlich anwendbare Bestimmungen des zwingenden Rechts auf nationaler wie auch auf EU-Ebene definiert werden, wobei es gleichzeitig den Charakter dieser Instrumente und insbesondere die Freiwilligkeit der Vereinbarung zwischen den Parteien zu beachten gilt.“

8.2.    Rechte und Pflichten

8.2.1.

Wenn rein spontane Transaktionen zwischen Einzelpersonen die Bedeutung einer wirtschaftlichen Tätigkeit erhalten und die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien vertraglicher Art sind, fallen sie zwangsläufig in den Anwendungsbereich des nationalen oder europäischen Rechts, das die Rechte und Pflichten beider Parteien in einen gesetzlichen Rahmen stellt.

8.2.2.

Die Komplexität der Beziehungen im Bereich Sharing Economy, die in Ziffer 4.7 erläutert werden, rechtfertigt die Festlegung eines Rechtsrahmens, in dem die Parteien agieren müssen, vor allem bei Hybrid-Tätigkeiten wie Freemium oder Donationware, die am Beispiel Geocoaching besonders klar werden.

8.2.3.

Da die Sharing Economy heute von ihrer Art her eindeutig ein grenzübergreifendes Phänomen ist, sollte die EU mit Blick auf ihren gemeinsamen und integrierten Binnenmarkt den Rechtsrahmen für diese Aktivitäten festlegen, wenn sie grenzüberschreitend durchgeführt werden. Das Fehlen eines solchen Rechtsrahmens hat dazu geführt, dass einige Mitgliedstaaten in bestimmten konkreten Fällen (z. B. bezgl. Uber) bereits unterschiedliche und gegensätzliche Standpunkte eingenommen haben, wie das auch in den USA der Fall ist.

8.2.4.

Dieser Rechtsrahmen betrifft insbesondere die folgenden wesentlichen Bereiche:

a)

Schutz der Rechte aller beteiligten Partner in der Sharing Economy, einschließlich der Prosumenten, durch die Anpassung des gesamten EU-Besitzstandes für Verbraucherrechte an diese Beziehungen, insbesondere in Bezug auf missbräuchliche Vertragsbestimmungen, unlautere Geschäftspraktiken, Gesundheit, Sicherheit und den elektronischen Handel;

b)

grundlegende Verbraucherrechte, die auf diese Akteure ausgeweitet werden müssen (Information, Transparenz, Datenschutz, Schutz der Privatsphäre, Gesundheit und Sicherheit);

c)

Datenschutz und Schutz der Privatsphäre der Akteure (tracking und profiling) zur Gewährleistung der Portabilität ihrer Daten;

d)

Wettbewerbsrecht, da diese Tätigkeiten auf dem Markt mit Unternehmen in Wettbewerb stehen, die dieselben Ziele und Aktivitäten verfolgen, sowie zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs, zur Bekämpfung von Monopolen und wettbewerbswidrigen Praktiken und zur Bewältigung weiterer Herausforderungen in Verbindung mit der Sharing Economy;

e)

Steuerrecht, da die Einnahmen aus diesen Tätigkeiten nicht von einer angemessenen Besteuerung befreit sein dürfen, um so Steuerbetrug und -umgehung zu bekämpfen;

f)

Haftbarkeit der Plattformen bei diesen Geschäften, den jeweiligen Diensten entsprechend und im Einklang mit dem Umfang ihrer Mitwirkung an den Geschäften, die über sie abgewickelt werden, sowie Gewährleistung der Rechtmäßigkeit ihrer Angebote;

g)

die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und auf die Definition des Begriffs „Arbeit“ und ihrer Erscheinungsformen im digitalen Umfeld;

h)

Schutz der betroffenen Arbeitnehmer, wobei zu unterscheiden ist zwischen Arbeitnehmern, die in keinem Arbeitsverhältnis mit der Plattform stehen und somit gemäß den für Selbständige geltenden Grundsätzen geschützt werden müssen, und Arbeitnehmern, die in als angestellte Arbeitnehmer eingestuft werden können und gemäß den für Arbeitnehmer geltenden Grundsätzen zu schützen sind, insbesondere in Bezug auf Scheinselbständigkeit oder unsichere Arbeitsverhältnisse;

i)

Schutz der Sozialrechte und -instrumente der Arbeitnehmer, u. a. Vereinigungsfreiheit, Streikrecht und das Recht auf Tarifverhandlungen und sozialen Dialog;

j)

Schutz der Sozialmodelle und der Fähigkeit der Mitgliedstaaten, die Nachhaltigkeit dieser Modell auch in Zukunft aufrechtzuerhalten;

k)

die ökologische Dimension im Hinblick auf die Überwachung der Umweltverträglichkeit der Sharing Economy, um negative Auswirkungen zu verhindern (11);

l)

Urheberrechte und Rechte des geistigen Eigentums, die im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie 2001/29/EG berücksichtigt werden müssen.

8.3.    Regulierungsoptionen

8.3.1.

Nach Auffassung des EWSA müssen die Institutionen auf EU-Ebene, d. h. der einzigen Ebene, die für diese Stellungnahme von Belang ist, allen voran die Europäische Kommission aufgrund ihres Initiativrechts, aber auch der Rat und das Europäische Parlament der Schaffung eines Rechtsrahmens, in dem der genaue Anwendungsbereich und die Parameter festgelegt werden, in denen sich die Sharing Economy zu entwickeln hat, dringend besondere Aufmerksamkeit widmen, da die Maßnahmen zweifelsohne den verschiedenen Formen der Sharing Economy angepasst werden müssen.

8.3.2.

In diesem Rechtsrahmen müssen die in Ziffer 8.2.4 genannten gemeinsamen Grundsätze von öffentlichem Interesse und öffentlicher Ordnung hervorgehoben werden, die die Teilnehmer an dieser Art von Wirtschaftstätigkeit zwingend einhalten müssen.

8.3.3.

Der EWSA hat jedoch stets betont, dass parallel und gleichzeitig dazu ein Raum für Selbst- und Koregulierung bestehen muss; er ist sogar der Auffassung, dass dies ein ausgezeichnetes Beispiel für das bereits als „shared regulation“ bezeichnete Phänomen ist, wie unlängst von der Royal Society for the encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (RSA) in London vertreten wurde, oder den von Sharing Economy UK (SEUK) entwickelten Muster-Verhaltenskodex (12).

8.4.    Eine besondere Rolle für die Selbstregulierung

8.4.1.

Der EWSA hat stets bekräftigt, dass es nicht Aufgabe der EU-Institutionen bzw. der nationalen Behörden ist, den Inhalt von Selbstregulierungskodizes festzulegen, der einzig und allein dem Ermessen der Parteien überlassen bleiben sollte, sofern keine verbindliche Anerkennung zwischen den Parteien angestrebt wird.

8.4.2.

Da diese Vereinbarungen jedoch „als ergänzendes Regulierungsinstrument innerhalb des betreffenden Rechtssystems“ anerkannt werden wollen, betont der EWSA in seiner oben genannten Stellungnahme, dass in der EU „die Parameter für ihre Anerkennung, die einzuhaltenden Grundsätze wie auch ihre Grenzen als ergänzendes Regulierungsinstrument klar geregelt sein [müssen]“. Dies findet in vollem Umfang auf die Sharing Economy Anwendung, die hier keine Ausnahme bildet.

8.4.3.

Der EWSA bedauert, dass der Rat, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission die von ihnen am 13. April 2016 angenommene neue interinstitutionellen Vereinbarung (IIV) nicht genutzt haben, um die vom Ausschuss in seiner oben genannten Stellungnahme zum Thema „Selbst- und Ko-Regulierung“ empfohlenen Verbesserungen auf diesem Gebiet an der vorherigen Fassung der Vereinbarung vorzunehmen. Er bedauert zudem, dass in dem Paket „Bessere Rechtsetzung“ nur vage auf diese Thematik verwiesen wird, und zwar in Form einer Fußnote, in der auf die Grundsätze für eine bessere Nutzung von Selbst- und Ko-Regulierung hingewiesen wird, sowie einiger weniger Verweise auf die „Guidelines“ und die „Toolbox“.

8.4.4.

Wenn es einen Bereich gibt, in dem die Festlegung der oben genannten Parameter besonders notwendig ist, um an Glaubwürdigkeit und Vertrauen seitens der Nutzer zu gewinnen, dann ist es zweifellos die Sharing Economy, die von einer soliden Struktur und einem zuverlässigen Rahmen für Selbst- und Koregulierung auf EU-Ebene erheblich profitieren würde.

8.4.5.

Der EWSA sieht der angekündigten Europäischen Agenda für die partizipative Wirtschaft daher erwartungsvoll entgegen und fordert die Kommission bereits jetzt auf, die regulatorischen Aspekte dieser Tätigkeit und die Rolle der Selbst- und Koregulierung in diesem Bereich nicht zu vernachlässigen.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 177 vom 11.6.2014, S. 1.

(2)  http://www.theguardian.com/technology/2015/sep/11/uber-driver-employee-ruling.

(3)  ABl. C 363 vom 3.11.2015, S. 21; ABl. C 429 vom 21.12.2015, S. 9.

(4)  ABl. C 51 vom 10.2.2016, S. 28.

(5)  COM(2015) 550 final, S. 4.

(6)  Rechtssache A8-0371/2015.

(7)  http://www.euro-freelancers.eu/marco-torregrossa-presentation-on-the-sharing-economy-2/.

(8)  http://www.cpcp.be/medias/pdfs/publications/economie_collaborative.pdf.

(9)  ABl. C 177 vom 11.6.2014, S. 1.

(10)  ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 29.

(11)  http://www.iddri.org/Evenements/Interventions/ST0314_DD%20ASN_sharing%20economy.pdf.

(12)  http://www.sharingeconomyuk.com.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema REFIT

(Sondierungsstellungnahme)

(2016/C 303/06)

Berichterstatter:

Denis MEYNENT

Die Europäische Kommission beschloss am 13. Januar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

REFIT

(Sondierungsstellungnahme).

Der gemäß Artikel 19 der Geschäftsordnung eingesetzte und mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Unterausschuss „Bessere Rechtsetzung“ nahm seinen Entwurf einer Stellungnahme am 19. April 2016 einstimmig an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 26. Mai) mit 185 gegen 4 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass das oberste Ziel des Programms REFIT (1) darin besteht, die Qualität und Wirksamkeit der europäischen Rechtsvorschriften zu verbessern und einfache, verständliche und folgerichtige Regelungen zu schaffen, ohne die bestehenden Politikziele infrage zu stellen und ohne dem Schutz der Bürger, Verbraucher, Arbeitnehmer und des sozialen Dialogs bzw. der Umwelt Abbruch zu tun.

1.2.

Die europäischen Rechtsvorschriften sind ein wesentlicher Integrationsfaktor, der keine Belastung oder zu verringernde Kosten darstellt. Wenn die Rechtsvorschriften verhältnismäßig sind, dann sind sie im Gegenteil Garant des Schutzes, der Förderung und der Rechtssicherheit, die für sämtliche Akteure und europäische Bürger wichtig sind.

1.3.

Die Folgenabschätzungen für jeden Legislativvorschlag müssen integriert werden und der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension — auch für die KMU — die ihnen gebührende Bedeutung verleihen. Der Ausschuss plädiert dafür, dass das Parlament, der Rat und die Europäische Kommission sich auf eine gemeinsame Methode für die Folgenabschätzung verständigen können, an der sich der Ausschuss und der Ausschuss der Regionen (AdR) ebenfalls orientieren können.

1.4.

Der Prozess der öffentlichen Konsultation ebenso wie die Konsultation der Sachverständigen und der Interessenträger müssen so offen wie möglich sein, können jedoch die Konsultation der Sozialpartner und des Ausschusses nicht ersetzen.

1.5.

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, in ihren Anzeiger eine jährliche Bewertung der wesentlichen — quantitativen und qualitativen Nachteile/Vorteile der Maßnahmen des REFIT-Programms, einschließlich des Niveaus und der Qualität der Beschäftigung sowie des Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzes, aufzunehmen.

1.6.

Der Beschlussfassungsprozess muss so flexibel und wirksam wie möglich bleiben. Die politische Beschlussfassung, die unabhängig bleiben muss, darf von keinem der zur Prüfung der Fundiertheit eingerichteten Gremien und Filter beeinträchtigt werden. In diesem Zusammenhang ist gegen die Bürokratisierung des Beschlussfassungsprozesses vorzugehen.

1.7.

Der Ausschuss nimmt die Einrichtung der REFIT-Plattform zur Kenntnis, die insbesondere den Auftrag erhalten hat, sich für wirksamere Rechtsvorschriften und einfachere Verwaltungsbestimmungen einzusetzen. Er unterstreicht, dass sie sich nicht auf die Prüfung einer begrenzten Zahl von Themen beschränken sollte und die Mitgesetzgeber bzw. die in den Verträgen verankerten obligatorischen Konsultationen des Ausschusses — dessen Arbeiten ja unterschiedlicher Natur sind — und der Sozialpartner nicht ersetzen kann. Er fordert die Kommission auf, die Kriterien für die Vorauswahl der bei der Plattform eingegangenen Vorschläge zu veröffentlichen, über ihre Ausgewogenheit zu wachen und bezüglich der Berücksichtigung der Empfehlungen der Plattform klare Aussagen zu treffen, so dass prägende Einflüsse zurückverfolgt werden können.

1.8.

Was die Repräsentativität der REFIT-Plattform angeht, ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Gewährung zweier zusätzlicher Sitze es ihm ermöglichen würde, der Art seines Mandats in vollem Umfang Rechnung zu tragen und so die Zivilgesellschaft widerzuspiegeln, mit deren Vertretung er betraut ist. Im Übrigen stellt der Ausschuss das Fehlen einer europaweiten Vertretung der Kleinst-, kleinen und mittleren Unternehmen in der „Gruppe der Interessenträger“ der Plattform fest und fordert, diesbezüglich umgehend Abhilfe zu schaffen.

1.9.

Der Ausschuss hat den Vorteil, einen direkten Bezug zu den Gegebenheiten vor Ort zu haben und auf ein umfassendes Netz aus Organisationen auf nationaler Ebene und auf die Sachkenntnis seiner Mitglieder zurückgreifen zu können, und ist daher gut aufgestellt, um einen maßgeblichen Beitrag zu den auf europäischer Ebene durchgeführten Folgenabschätzungen zu leisten. Er möchte vornehmlich Ex-post-Bewertungen und qualitativen Bewertungen Vorrang geben; sie ermöglichen eine Einschätzung der Auswirkungen gesetzgeberischer und politischer Maßnahmen der EU und die Vermittlung der Erfahrungen und Einschätzungen der europäischen Wirtschafts- und Sozialpartner.

1.10.

Bei der Umsetzung bestimmter Richtlinien möchte der Ausschuss einen spezifischen Beitrag zu dem Initiativbericht des Europäischen Parlaments über den Jahresbericht zu der Umsetzung der EU-Gesetzgebung durch die Mitgliedstaaten leisten, indem er auf die Hinzufügungen der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung hinweist.

1.11.

Der Ausschuss erhofft sich von dem REFIT-Programm, dass es in beide Richtungen funktioniert, d. h. dass es a priori nicht die Ausrichtung vorwegnimmt, die der Rechtsetzung zu geben ist: Hinzufügung, Ergänzung, Änderung oder Streichung eines Rechtsaktes.

1.12.

Der Ausschuss würde es ablehnen, sich für Zielsetzungen zur Verringerung des EU-Besitzstands auf einer quantitativen Grundlage zu engagieren, ohne vorher sämtliche Folgen für den Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutz abzuschätzen.

1.13.

Der Ausschuss spricht sich für eine gründlichere Ex-post-Bewertung der Auswirkungen der EU-Rechtsetzung im Rahmen des EU-Politikzyklus aus, insbesondere was die in der Folgenabschätzung zu dem ursprünglichen Legislativvorschlag erwarteten Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung angeht. Die Ex-post-Bewertungen sollten nach einer angemessenen Zeitspanne nach Ablauf der Frist für die Umsetzung in innerstaatliches Recht, auf pluralistische Art und Weise durchgeführt werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Rechtsvorschriften für die Verwirklichung der Ziele des EU-Vertrags und die Schaffung der Rahmenbedingungen für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zum Vorteil der Bürger, Unternehmen und Arbeitnehmer erforderlich sind (2). Außerdem trägt die Rechtsetzung dazu bei, das Wohlergehen zu verbessern, das allgemeine Interesse und die Menschenrechte zu schützen, ein hohes Sozial- und Umweltschutzniveau zu fördern und die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Rechtsetzung zu gewährleisten. Sie sollte Wettbewerbsverzerrung und Sozialdumping verhindern.

2.2.

Der Ausschuss begrüßt es daher, dass Vizepräsident Timmermans mehrfach darauf hingewiesen hat, dass das Programm REFIT nicht zu einer Deregulierung des EU-Besitzstands und nicht zu einer Absenkung des Sozialschutzniveaus, des Umweltschutzes und der Grundrechte führen darf (3).

2.3.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Rechtsetzung Kosten und Bürokratie — die sich als schwerfällig und nicht notwendig erweisen können — aber auch erhebliche Vorteile für die Bürger, Unternehmen und Behörden mit sich bringen kann. Er erinnert daran, dass die intelligente Rechtsetzung stets darauf abzielen muss, einen echten Mehrwert zu erreichen. Wo immer dies möglich ist, müssen die EU-Vorschriften Auflagen beseitigen und nicht zusätzliche Auflagen schaffen.

2.4.

Nach Ansicht des Ausschusses muss im Rahmen der „Besseren Rechtssetzung“ die bestgeeignete Lösung zur vertieften Vollendung des EU-Binnenmarktes bevorzugt werden: gezielte Harmonisierung, sinnhafte Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung in den nicht harmonisierten Bereichen, Koregulierung, Selbstregulierung und Normung. Der Ausschuss weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine gezielte und intelligente Harmonisierung der Rechtsvorschriften zur Beseitigung der Hemmnisse für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beiträgt. Eine Harmonisierung der 28 einschlägigen nationalen Rechtsakte bildet für die Unternehmen und Bürger der EU einen wichtigen Ansatzpunkt für die Vereinfachung und Verringerung des Regelungs- und Verwaltungsaufwands.

2.5.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass das oberste Ziel des Programms REFIT darin besteht, die Qualität und Wirksamkeit der europäischen Rechtsvorschriften zu verbessern und einfache, verständliche und folgerichtige Regelungen zu schaffen, ohne die bestehenden Politikziele infrage zu stellen oder dem Schutz der Bürger, Verbraucher, Arbeitnehmer und des sozialen Dialogs bzw. der Umwelt Abbruch zu tun.

2.6.

Der Ausschuss betont in diesem Zusammenhang, dass es ihm ein besonderes Anliegen ist, dass die betreffenden Rechtsvorschriften und der damit verbundene Aufwand sinnvoll sind, sprich die von ihnen unterm Strich ausgehenden Nutzeffekte größer sind als von ihnen verursachten Kosten, und dass die Rechtsvorschriften verhältnismäßig sind und eine ausreichende Rechtssicherheit gewährleisten.

2.7.    Hinsichtlich der Folgenabschätzung

2.7.1.

Der Ausschuss nimmt die Unterzeichnung der interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ zur Kenntnis, die am 13. April 2016 zwischen den drei EU-Organen erfolgte.

2.7.2.

Der Ausschuss begrüßt insbesondere, dass die drei Organe anerkannt haben, dass das System der Folgenabschätzung ein Instrument ist, das ihnen behilflich sein soll, zu wohl überlegten Entscheidungen zu gelangen, aber keineswegs politische Entscheidungen ersetzt (4).

2.7.3.

Der Ausschuss stellt zu seiner Zufriedenheit fest, dass die Kommission im Rahmen ihrer integrierten, ausgewogenen und pluralistischen Folgenabschätzungen alternative Lösungen vorsieht, welche die Kosten eines Verzichts auf Europa und die Auswirkungen der verschiedenen Optionen auf die Wettbewerbsfähigkeit, aber auch die Folgen der Vorschläge zu den KMU und Kleinstunternehmen sowie die digitale sowie die territoriale Dimension betreffen (5).

2.7.4.

Der Ausschuss befürwortet, dass die Kommission ihre Folgenabschätzung aus eigener Initiative oder auf Ersuchen des Europäischen Parlaments oder des Rates ergänzen kann, bedauert jedoch, dass jede Institution selbst bestimmt, wie sie ihre Bewertungsarbeit regelt. Der Ausschuss plädiert dafür, dass die drei Organe sich auf eine gemeinsame Methode für die Folgenabschätzung verständigen können, an der sich der EWSA und der AdR für die Begründung ihrer eigenen Änderungsanträge orientieren können.

2.7.5.

Nach Ansicht des Ausschusses müssen die Folgenabschätzungen in den europäischen Institutionen selbst vorgenommen werden. Wenn allerdings aus ganz bestimmten Gründen die Inanspruchnahme privater Berater erwogen wird, fordert der Ausschuss Folgendes:

die Leistungsbeschreibung muss unparteiisch auf der Grundlage transparenter und klarer Kriterien formuliert und vorab veröffentlicht werden;

die Auswahl der Bewerber muss zu Bedingungen der vollständigen Transparenz auf der Grundlage einer breit angelegten und pluralistischen Ausschreibung erfolgen, die eine Rotation der berücksichtigten Bewerber und die Überprüfung ihrer Kompetenzen ermöglicht;

die Zuschlagserteilung muss öffentlich gemacht werden.

2.8.    Hinsichtlich der Konsultation der Interessenträger

2.8.1.

Nach Ansicht des Ausschusses darf die Konsultation der Interessenträger und der Sachverständigen nicht die Konsultation der Sozialpartner, des Ausschusses und des Ausschusses der Regionen, die in einer ganz bestimmten Phase des Legislativprozesses und innerhalb der vom AEUV gesetzten Grenzen erfolgt, und auch nicht die Konsultationen auf nationaler Ebene ersetzen, die auf einer verstärkten Beteiligung der Sozialpartner beruhen müssen. Er unterstreicht, dass eine angemessene „Kartierung der Interessenträger“ wesentlich für eine gebührende Repräsentativität der Akteure und ein anspruchsvolles Konsultationsverfahren ist, und fordert die Kommission auf, sich hierfür auf das Transparenz-Register zu stützen.

2.8.2.

Der Ausschuss fordert, dass die Konsultation erfolgt, ohne an dem strukturierten zivilen Dialog (Artikel 11 Absatz 2 AEUV) oder den Konsultationen in einem ganz bestimmten Rahmen, wie die Anhörung der Sozialpartner im Rahmen des sozialen Dialogs (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Artikel 154 AEUV) oder die Anhörung beratender Einrichtungen wie des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (Artikel 304 AEUV) zu rühren.

2.8.3.

Der Ausschuss unterstreicht, dass bei der „Kartierung der Interessenträger“ eine angemessene geographische und zielgruppenmäßige Aufteilung unter besonderer Berücksichtigung der unterrepräsentierten Gruppen gewährleistet werden muss. Bei der Analyse der Antworten auf die Konsultationen muss ein Mechanismus der begründeten Gewichtung angewandt werden (6).

2.9.    Hinsichtlich des REFIT-Programms

2.9.1.

Der Ausschuss nimmt die allgemeinen Ziele des von der Kommission konzipierten REFIT-Programms zur Kenntnis und verweist insbesondere auf seine Stellungnahmen (7) zu dem Programm „Bessere Rechtsetzung“ und zu der „Intelligenten Regulierung“. Der Ausschuss verweist darauf, dass eine „intelligente Regulierung“ weder davon entbindet, die Vorschriften in Bezug auf den Schutz von Bürgern, Verbrauchern und Arbeitnehmern wie auch die Standards für die Gleichstellung von Männern und Frauen oder die Umweltschutzvorschriften einzuhalten, noch dazu führen darf, dass Verbesserungen unterbleiben. Eine intelligente Regulierung muss auch der im Vertrag verankerten sozialen Dimension des Binnenmarktes Rechnung tragen, insbesondere was die Umsetzung der im Rahmen des sozialen Dialogs in Europa ausgehandelten Vereinbarungen betrifft.

2.9.2.

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass es der Kommission darum geht, das Verfahren und die Qualität der Instrumente für die Gewährleistung einer optimalen Begleitung der Umsetzung zu verbessern.

2.9.3.

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, in ihren Anzeiger eine jährliche Bewertung der wesentlichen — quantitativen und qualitativen Nachteile/Vorteile der Maßnahmen des REFIT-Programms, einschließlich des Niveaus und der Qualität der Beschäftigung sowie des Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzes, aufzunehmen.

2.9.4.

Der Ausschuss legt Wert auf die Feststellung, dass eine bessere Rechtsetzung politische Entscheidungen nicht ersetzen kann und darf.

2.10.    REFIT-Plattform

2.10.1.

Der Ausschuss nimmt die Einrichtung der REFIT-Plattform zur Kenntnis, an der er beteiligt ist und die die Vorschläge zur Verringerung unnötigen Verwaltungs- und Regelungsaufwands und zur Erleichterung der Anwendung der EU-Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten analysieren soll. Er stellt fest, dass die Bereiche, die unter den sozialen Dialog und in die Zuständigkeit der Sozialpartner fallen, bei dem der Plattform zugewiesenen Zuständigkeitsspektrum außen vor bleiben.

2.10.2.

Der Ausschuss stellt jedoch fest, dass die Plattform:

ein beratendes Forum für den Austausch bleiben muss und die normale Arbeit der Organe und insbesondere der Mitgesetzgeber nicht ändern darf;

die Anhörung des Ausschusses und der anderen in den Verträgen vorgesehenen obligatorischen Konsultationen, insbesondere mit Artikel 154 AEUV im Hinblick auf die Sozialpartner, wahren soll;

sich auf die Überprüfung einer begrenzte Zahl von Themen beschränken muss.

2.10.3.

Der Ausschuss erwartet außerdem, dass:

diese Plattform nicht anderweitig durchgeführte Konsultationsverfahren wiederholt und keine unnötige bürokratische Ebene darstellt;

die Plattform nicht mit der Begründung in die Entscheidungsfindung eingreift, dass sie befasst worden sei, eine Aussprache über ein spezielles Thema oder besondere Maßnahmen vorgeschlagen habe.

2.10.4.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die große Zahl der Teilnehmer dieser Plattform, die sehr unterschiedliche Art der Beteiligten (Mitgliedstaaten, Sozialpartner, NGO, Mitglieder der Zivilgesellschaft), das breite Spektrum der Themen auf der Tagesordnung sowie die beschränkte Häufigkeit der Sitzungen nicht geeignet sind, tief greifende Beratungen über die von der Plattform behandelten Vorschläge auszulösen.

2.11.    Hinsichtlich der Repräsentativität der REFIT-Plattform

2.11.1.

Der Ausschuss unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass er in dieser Plattform nur über einen Sitz verfügt und an den Sitzungen auf der Grundlage einer Rotation zwischen seinen drei Gruppen teilnimmt, obwohl sie eine durch die Verträge errichtete Einrichtung darstellt, welche die Vielfalt der EU widerspiegelt.

2.11.2.

Der Ausschuss ist daher der Auffassung, dass bei Zuerkennung von zwei weiteren Sitzen die dreigliedrige Struktur des Ausschusses und auf diese Weise sein Mandat zur Widerspiegelung der Zivilgesellschaft respektiert würde, die er vertreten soll.

2.11.3.

Der Ausschuss stellt das Fehlen einer europaweiten Vertretung der Kleinst-, kleinen und mittleren Unternehmen in der „Gruppe der Interessenträger“ der Plattform fest und fordert, diesbezüglich umgehend Abhilfe zu schaffen.

2.12.    Hinsichtlich der Funktionsweise der Plattform

2.12.1.

Der Ausschuss ersucht die Kommission:

die Modalitäten und Kriterien für die Auswahl der in der Plattform vertretenen Parteien zu verdeutlichen;

zu gewährleisten, dass jeder Vertreter der Interessenträger über die materiellen Mittel verfügt, um die Sitzungen vorbereiten und sich sinnvoll an ihnen beteiligen zu können;

die Anzahl und die Kriterien für die Vorauswahl der bei der Kommission eingegangenen und anschließend an die Plattform übermittelten Vorschläge zu veröffentlichen;

auf die gebührende Repräsentativität der Vorschläge (Mitgliedstaaten, Sozialpartner, Mitglieder der Zivilgesellschaft) zu achten;

rechtzeitig die umfassenden vorbereitenden und für die Mitglieder hilfreichen Dokumente vorzulegen, um es ihnen zu ermöglichen, sich unter optimalen Bedingungen im Hinblick auf einen wirksamen Beitrag zum Haushaltsjahr insgesamt auf die Sitzung vorzubereiten;

die Berücksichtigung der Empfehlungen zu gewährleisten, damit die prägenden Einflüsse zurückverfolgt werden können;

die im Rahmen der Arbeiten der Plattform erzielten Ergebnisse bekannt zu machen.

3.   Sonstige Bemerkungen

3.1.    Bewertung der EU-Maßnahmen

3.1.1.

Der Ausschuss erinnert daran, dass er als vollwertiger institutioneller Partner und nicht als eine Unterkategorie der Interessenträger mit zahlreichen, vielfältigen und widersprüchlichen Interessen angesehen werden muss.

3.1.2.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass er einen direkten Bezug zu den Gegebenheiten vor Ort hat und auf ein umfassendes Netz aus Organisationen auf nationaler Ebene und auf die Sachkenntnis seiner Mitglieder zurückgreifen kann und von daher gut aufgestellt ist, um einen maßgeblichen Beitrag zu dieser Folgenabschätzung leisten zu können.

3.1.3.

Der Ausschuss unterstreicht, dass diese Bewertungstätigkeit seine Beziehungen zu den verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft stärken und es ihm ermöglichen wird, diese Funktion als Brücke zwischen den Institutionen und den Vertretern der Zivilgesellschaft weiter auszubauen.

3.1.4.

Der EWSA verdeutlicht, dass die von ihm vorgenommene Evaluierung in Form von politischen Empfehlungen erfolgen wird, welche die wesentlichen Auswirkungen der betreffenden Politik auf die Zivilgesellschaft hervorheben und das beste Vorgehen für die Zukunft vorschlagen werden.

3.1.5.

Der Ausschuss unterstreicht, dass er vornehmlich Ex-post-Bewertungen und qualitativen Bewertungen Vorrang geben muss; sie ermöglichen eine Einschätzung der Auswirkungen gesetzgeberischer und politischer Maßnahmen der EU und sind ein geeigneter Kanal, um die Erfahrungen und Einschätzungen der europäischen Wirtschafts- und Sozialpartner zu vermitteln.

3.1.6.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Ex-post-Bewertungen der Kommission und des Parlaments — an denen er mitwirken wird — als Grundlage für Gesetzesänderungen bzw. für neue Rechtsvorschriften dienen werden, zu denen er konsultiert wird.

3.1.7.

Der Ausschuss ist erfreut, dass er sich damit voll in das Gesetzgebungsverfahren einbringen und seine Möglichkeiten ausbauen kann, zu der Festlegung künftiger politischer Strategien der Union beizutragen.

3.2.    Umsetzung der Richtlinien

3.2.1.

Im Rahmen der Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht fügen die Mitgliedstaaten mitunter Elemente hinzu, die mit den betreffenden EU-Rechtsvorschriften in keinerlei Zusammenhang stehen; der Ausschuss ist daher der Auffassung, dass diese Hinzufügungen entweder durch den Umsetzungsakt bzw. die Umsetzungsakte oder durch diesbezügliche Dokumente deutlich gemacht werden müssen (8). In diesem Zusammenhang ist der Ausschuss der Auffassung, dass der Begriff „Goldplating“, der sich auf die „Überregulierung“ bezieht, nicht zu verwenden ist, da damit bestimmte nationale Praktiken angeprangert werden und zugleich ein differenzierter und flexibler Ansatz ausgeschlossen wird.

3.2.2.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten in Fällen einer Mindestharmonisierung die Möglichkeit behalten müssen, in ihrem nationalen Recht Bestimmungen vorzusehen, die auf die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, einen angemessenen Sozialschutz, ein hohes und dauerhaftes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung von Ausgrenzungen (9), die Förderung und Entwicklung der KMU sowie ein hohes Gesundheits- oder Verbraucher- (10) und Umweltschutzniveau (11) abzielen, ohne jedoch unnötige Regelungs- oder Verwaltungshemmnisse zu schaffen, und folglich müssen Richtlinien gegenüber Verordnungen den Vorzug erhalten, wo immer dies möglich ist.

3.2.3.

Der Ausschuss stellt fest, dass das Streben nach Maximalharmonisierung in Gesetzgebungsvorschlägen oftmals zu zahlreichen Abweichungen bzw. Ausnahmen führt, die weitere Hemmnisse für den Binnenmarkt schaffen und legitimieren.

3.2.4.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass er eine nützliche Rolle als Mittler zwischen den Gesetzgebern und den Nutzern der EU-Gesetzgebung spielen und einen spezifischen Beitrag zu dem Initiativbericht des Europäischen Parlaments über den Jahresbericht zu der Umsetzung der EU-Gesetzgebung durch die Mitgliedstaaten leisten kann, indem er auf die Hinzufügungen der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung hinweist, und ist in diesem Zusammenhang der Ansicht, dass sich etwa die Studie seiner Beobachtungsstelle zu den „Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf das Baugewerbe“ (12) sowie die Studie seiner Arbeitsmarktbeobachtungsstelle über die Jugendarbeitslosigkeit (13), um nur zwei Beispiele zu nennen, als methodisch nützlich erweisen könnten.

3.3.    Prospektive Dimension

3.3.1.

Der Ausschuss erhofft sich von dem REFIT-Programm, dass es in beide Richtungen funktioniert, d. h. dass es a priori nicht die Ausrichtung vorwegnimmt, die der Rechtsetzung zu geben ist: Hinzufügung, Ergänzung, Änderung oder Streichung eines Rechtsaktes.

3.3.2.

Der Ausschuss befürwortet es, dass ein ständiges Screening und eine permanente Neubewertung des EU-Besitzstands von der Kommission durchgeführt werden, insbesondere durch die Prüfung der Relevanz und des Mehrwertes der Legislativ- und Nichtlegislativakte der EU.

3.3.3.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass der integrierte und ganzheitliche Ansatz der Folgenabschätzungen grundlegend ist und die Kommission den Schwerpunkt nicht nur auf die Dimension der Wettbewerbsfähigkeit legen darf; er ist der Auffassung, dass der Mehrwert der Maßnahmen der EU gebührend berücksichtigt werden muss und bei der Kosten-Nutzen-Analyse sämtliche Aspekte, auch die Kosten eines Nichttätigwerdens, erwogen werden müssen.

3.3.4.   Folgenabschätzung

3.3.4.1.

Nach Auffassung des Ausschusses darf die gesteigerte Anzahl der Folgenabschätzungskriterien die Kommission nicht dazu veranlassen, von einem Tätigwerden abzusehen oder eine Initiative mit der Begründung abzulehnen, dass ein oder mehrere Kriterien nicht erfüllt sind; er ist daher der Auffassung, dass die Kommission die Kriterien gegeneinander abwägen muss; er ist außerdem der Ansicht, dass die Vielzahl der Kriterien nicht zu einer Form der Bürokratisierung des Beschlussfassungsprozesses und zu einer legislativer Enthaltsamkeit führen darf.

3.3.4.2.

Der Ausschuss misst dem Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ („Think Small First“) und dem KMU-Test, insbesondere im Rahmen seiner Stellungnahme zum Small Business Act  (14), besondere Bedeutung bei, hält es jedoch nicht für angemessen, den Kleinstunternehmen allgemeine Ausnahmen zu gewähren; es wäre nach seiner Ansicht sinnvoller, hinsichtlich der Legislativvorschläge einen fallspezifischen Ansatz auf der Grundlage einer genauen Folgenabschätzung zu wählen.

3.3.4.3.

Der Ausschuss befürwortet es, dass Kommissionsvorschläge mit gründlichen, auf aussagekräftige Fakten gestützten Folgenabschätzungen („evidence-based“) einhergehen, unterstreicht jedoch, dass es dem gesetzgebenden Organ der EU obliegt, seinen Ermessensspielraum zu nutzen, indem er ein gewisses Gleichgewicht zwischen dem Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutz einerseits und den wirtschaftlichen Interessen der Akteure andererseits bei der Verfolgung seines von den Verträgen zugewiesenen Ziels gewährleistet, ein hohes Gesundheits- und Umweltschutzniveau (15) sicherzustellen.

3.3.4.4.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass sich dies auch auf die Quantifizierung der Regulierungs- und Verwaltungslasten beziehen könnte, sofern:

hierbei die Frage der Kosten und des Aufwands der Rechtsetzung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Unternehmen und die Wettbewerbsfähigkeit im Allgemeinen, aber auch bezüglich der Vorteile der bestehenden Rechtsvorschriften in den Bereichen Soziales, Umwelt, der Verbraucherrechte, Gesundheit und Beschäftigung beleuchtet wird;

dies nicht zur Verringerung bzw. Aufweichung der politischen Ziele der EU führt;

hierbei die „Schwachstellen“ in der Rechtsetzung und die notwendigen Initiativen geprüft werden, um intelligente, hochwertige Normen für die EU festzulegen.

3.3.4.5.

Der Ausschuss würde es ablehnen, sich für Zielsetzungen zur Verringerung des EU-Besitzstands auf einer quantitativen Grundlage zu engagieren, ohne vorher sämtliche Folgen für den Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutz abzuschätzen.

3.3.4.6.

Bezüglich der Bewertung der kumulativen Kosten (CCA) stellt der Ausschuss fest, dass die Kommission bei der Ex-ante und Ex-post-Bewertung eines Teils der europäischen Rechtsvorschriften berücksichtigen muss, dass diese neuen Kosten zu den bestehenden Erfüllungs- und Anwendungskosten hinzukommen. Der Ausschuss räumt ein, dass bei der CCA die Finanzkosten berechnet werden, durch die ein bestimmter Bereich aus den Rechtsvorschriften herausfällt, doch sei darauf hingewiesen, dass diese Evaluierung nicht geeignet ist, einen Sektor teilweise oder vollständig von der Regelung freizustellen.

3.3.5.   Ex-ante-Bewertung

3.3.5.1.

Der Ausschuss ist besorgt, dass die Diskussion zu einem immer früheren Zeitpunkt des Rechtsetzungsverfahrens stattfindet, noch bevor die Mitgesetzgeber und die Sozialpartner in Aktion treten, die somit Gefahr laufen, von der Debatte ausgeschlossen zu werden, die bereits ohne sie stattfinden wird.

3.3.6.   Ex-post-Bewertung

3.3.6.1.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Ex-post-Bewertungen mindestens genauso wichtig sind wie die Ex-ante-Bewertung; er fordert die Kommission auf, in diesem Zusammenhang einen methodischen Leitfaden mit den Kriterien für nachhaltige Entwicklung vorzulegen.

3.3.6.2.

Der Ausschuss spricht sich für eine gründlichere Ex-post-Bewertung der Auswirkungen der EU-Rechtsetzung im Rahmen des EU-Politikzyklus aus, insbesondere was die in der Folgenabschätzung zu dem ursprünglichen Legislativvorschlag erwarteten Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung angeht.

3.3.6.3.

Nach Auffassung des Ausschusses sollten die Ex-post-Bewertungen nach Ablauf einer angemessenen Frist, vorzugsweise mehrere Jahre nach der Frist für die Umsetzung in innerstaatliches Recht, auf pluralistische Art und Weise durchgeführt werden.

3.3.6.4.

Nach Ansicht des Ausschuss sind die Ex-post-Bewertungen wichtige Analyseinstrumente, und die Schlussfolgerungen aus den Bewertungen können unmittelbar in eine etwaige Folgenabschätzung mit Blick auf die Revision eines Legislativaktes einfließen.

Brüssel, den 26. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Die Abkürzung bezeichnet das Programm zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung.

(2)  COM(2012) 746 final, S. 2.

(3)  COM(2015) 215 final.

(4)  Interinstitutionelle Vereinbarung (IIV) vom 15. Dezember 2015, Ziffer 7 (http://ec.europa.eu/smart-regulation/better_regulation/documents/iia_blm_final_en.pdf).

(5)  Ebenda.

(6)  ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 57.

(7)  ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 33, ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 87 und ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 107.

(8)  Ziffer 31 der IIV.

(9)  Artikel 151 AEUV.

(10)  Artikel 168 und 169 AEUV.

(11)  Artikel 191 AEUV.

(12)  http://www.eesc.europa.eu/resources/docs/eesc-2014-02466-00-01-tcd-tra-fr.pdf.

(13)  http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.fr.lmo-observatory-impact-study-youth.

(14)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 51.

(15)  Urteil des Gerichtshofs vom 8. Juli 2010 in der Rechtssache Afton Chemical, C-343/09, ECLI:EU:C:2010:419, Ziffer 56.


ANHANG

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen (Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

a)   Ziffer 2.11.1 und Ziffer 2.11.2

Der Ausschuss unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass er in dieser Plattform nur über einen Sitz verfügt und an den Sitzungen auf der Grundlage einer Rotation zwischen seinen drei Gruppen teilnimmt, obwohl sie eine durch die Verträge errichtete Einrichtung darstellt, welche die Vielfalt der EU widerspiegelt.

Der Ausschuss ist daher der Auffassung, dass bei Zuerkennung von zwei weiteren Sitzen die dreigliedrige Struktur des Ausschusses und auf diese Weise sein Mandat zur Widerspiegelung der Zivilgesellschaft respektiert würde, die er vertreten soll.

b)   Ziffer 1.8

Was die Repräsentativität der REFIT-Plattform angeht, ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Gewährung zweier zusätzlicher Sitze es ihm ermöglichen würde, der Art seines Mandats in vollem Umfang Rechnung zu tragen und so die Zivilgesellschaft widerzuspiegeln, mit deren Vertretung er betraut ist. Im Übrigen stellt der Ausschuss das Fehlen einer europaweiten Vertretung der Kleinst-, kleinen und mittleren Unternehmen in der „Gruppe der Interessenträger“ der Plattform fest und fordert, diesbezüglich umgehend Abhilfe zu schaffen.

Begründung

Es darf nur eine einheitliche Vertretung des EWSA geben, nicht jeweils eine für jede seiner Gruppen. Die Art und Weise, wie diese einheitliche Vertretung gewährleistet wird, ist ausschließlich Sache des EWSA; es kann nicht angehen, dass er mit drei unter Umständen einander widersprechenden Stimmen seine Meinung äußert und abstimmt.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

49

Nein-Stimmen:

123

Enthaltungen:

16


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/54


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der Wandel der Beschäftigungsverhältnisse und seine Auswirkungen auf die Wahrung eines existenzsichernden Arbeitseinkommens sowie Auswirkungen technischer Entwicklungen auf das System der sozialen Sicherheit und das Arbeitsrecht“

(Sondierungsstellungnahme)

(2016/C 303/07)

Berichterstatterin:

Kathleen WALKER SHAW

Mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 ersuchte das niederländische Ministerium für Soziales und Beschäftigung den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des niederländischen Ratsvorsitzes und gemäß Artikel 304 AEUV um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

„Der Wandel der Beschäftigungsverhältnisse und seine Auswirkungen auf die Wahrung eines existenzsichernden Arbeitseinkommens“.

Mit Schreiben vom 14. März 2016 ersuchte das Ministerium für auswärtige und europäische Angelegenheiten der Slowakischen Republik, die im Juli 2016 den EU-Ratsvorsitz übernehmen wird, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zur Vorbereitung des informellen Treffens des Rates (Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz) (14./15. Juli 2016) zu folgendem Thema:

„Auswirkungen technischer Entwicklungen auf das System der sozialen Sicherheit und das Arbeitsrecht“.

(Sondierungsstellungnahme)

Da dieses Ersuchen inhaltlich gut zu den laufenden Arbeiten an der Stellungnahme auf Ersuchen des niederländischen Ratsvorsitzes passt und angesichts der zeitlichen Zwänge für die Übermittlung an den Rat wurde beschlossen, die beiden Ersuchen in einer einzigen Stellungnahme zusammenzufassen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 12. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 201 gegen 3 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Art der Arbeit und der Beschäftigungsverhältnisse ist in einem raschen Wandel begriffen. Die Herausforderung für die EU besteht darin, Innovationen, technische Entwicklung und Kreativität so zu fördern, dass sie zu positiven Ergebnissen für eine dauerhaft tragfähige und wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft führen. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Arbeitsmärkte und -normen, die Wirtschaft, Steuern und Sozialsysteme sowie auf das existenzsichernde Arbeitseinkommen müssen abgeschätzt werden. Die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen und einer fairen digitalen Wirtschaft für Arbeitnehmer und Unternehmen aller Größen und Branchen sowie der Ausbau der digitalen Kompetenzen sind einige der größten Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Europa und seinen Sozialpartnern kommt eine entscheidende Rolle dabei zu, für ein positives, faires und nachhaltiges Ergebnis zu sorgen und etwaige Grauzonen bei Rechten und Schutz auszuräumen.

1.2.

Vorrangig für den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist die Sicherstellung der Qualität und der finanziellen Tragfähigkeit der Sozialsysteme in der EU und er empfiehlt, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten unter Hinzuziehung der Sozialpartner bewährte Verfahren ermitteln als Grundlage für die Entwicklung von Sozialmodellen, die in der Lage sind, flexiblere Formen von Beschäftigung abzudecken, bei denen für alle Erwerbstätigen — einschließlich der Selbstständigen, die aus dem Netz herkömmlicher Sozialsysteme herausfallen — ein Sozialversicherungsschutz auf angemessenem Niveau sichergestellt wird. Dies sollte bei der Entwicklung der Säule sozialer Rechte der EU berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass der EWSA dieses Thema in einer gesonderten Stellungnahme behandelt, wird begrüßt.

1.3.

Der EWSA empfiehlt eine eingehendere Untersuchung der Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Kompetenzen sowie eine Bestandsaufnahme der Möglichkeiten für das lebenslange Lernen und der Qualifizierungs- und Umschulungsmöglichkeiten, die Erwerbstätigen im Rahmen dieser neuen Beschäftigungsverhältnisse offenstehen, um zu vermeiden, dass diese Innovationen die beruflichen Fähigkeiten entwerten („Dequalifizierung“) oder einen negativen Einfluss auf die Qualifikationen haben; außerdem sollte für bessere Beschäftigungsmöglichkeiten gesorgt werden. Die Förderung und der Ausbau der digitalen Kompetenzen für alle muss ein prioritäres Anliegen in der EU sein.

1.4.

Der EWSA sieht auf EU-Ebene einen Bedarf an mehr Angaben und Untersuchungen zum Ausmaß der Crowd-Beschäftigung, zu den Merkmalen von Crowdworkern, den unterschiedlichen neuen Formen von Arbeit, wie etwa Null-Stunden-Verträge und Gelegenheitsbeschäftigung bei Bedarf, sowie zu neuen Berufsbildern, zu privatrechtlichen Verträgen sowie zum Ausmaß der „Plattform-Wirtschaft“, zu den Sektoren, in denen sie tätig ist, und zu ihrer geografischen Verbreitung in der EU. Auf diese Weise kann festgestellt werden, welche Erfordernisse die Unternehmen und die Beschäftigten bei der Nutzung dieser neuen Beschäftigungsformen haben.

1.5.

Über diese Entwicklungen müssen durch europäische Arbeitskräfteerhebungen routinemäßig mehr Statistiken erstellt werden, außerdem sollte in Arbeitsmarktberichten auf bewährte Verfahren eingegangen werden, wo solche Verfahren vorhanden sind. Auf diese Art können die Auswirkungen neuer Formen von Arbeit und neuer Beschäftigungsverhältnisse auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft überwacht und kann ihr Beitrag zur Schaffung nachhaltiger und hochwertiger Arbeitsplätze sowie von Wachstum abgeschätzt werden, was wiederum als Grundlage für die Konzeption der Beschäftigungspolitik der EU, einschließlich des Europäischen Semesters und der Strategie Europa 2020, herangezogen werden könnte. Diese Untersuchung sollte über „Horizont 2020“ und andere einschlägige Finanzierungsmöglichkeiten der EU finanziert werden.

1.6.

Ferner sind Verlaufsdaten erforderlich, um die Auswirkungen neuer Formen von Arbeit auf die Lebensdauer gesehen festzustellen sowie um ihre Auswirkungen auf die Dauerhaftigkeit von Arbeit im Laufe des Lebens zu ermitteln (1). Ferner muss ermittelt werden, inwiefern sie vom Geschlecht oder anderen demografischen Variablen beeinflusst werden (wie etwa das Alter, eine Behinderung, die ethnische Zugehörigkeit oder ein Migrationshintergrund).

1.7.

Eine Klärung des Rechtsstatus neuer Arbeitsvermittler, wie etwa Online-Plattformen, ist dringend geboten, damit sie in den offiziellen Statistiken erfasst werden können, um ihre Zunahme nachzuvollziehen und festzustellen, welche Normen, Pflichten, Haftungs- und Geschäftsbedingungen für sie gelten sollen und welche Regulierungsbehörden für Kontrollen und Durchsetzung zuständig sein sollen, wobei anerkannt wird, dass diese Plattformen Innovation, Beschäftigungschancen und Wirtschaftswachstum schaffen können.

1.8.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission derzeit eine Konsultation zu der Richtlinie über schriftliche Erklärungen (2) durchführt und geht davon aus, dass der Umgang mit neuen Beschäftigungsformen in den Vorschlägen berücksichtigt wird, sollte die Kommission beschließen, diese Rechtsvorschriften zu überarbeiten. Insbesondere erhofft er sich Präzisierungen in Bezug auf neue Formen von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeit bei gleichzeitiger Beachtung der Bedürfnisse von KMU. Ferner könnte erwogen werden, den Anwendungsbereich zu erweitern, so dass er „Beschäftigte“ umfasst, dass schriftliche Erklärungen vom ersten Tag an vorgelegt werden müssen und dass eine Mindestzahl von Stunden angegeben werden muss, um Null-Stunden-Verträgen einen Riegel vorzuschieben.

1.9.

Der EWSA empfiehlt, dass in Bezug auf Online-Plattformen, Crowdsourcing, wirtschaftlich abhängige Selbstständige und andere neue Formen von Selbstständigkeit Fragen im Zusammenhang mit der Regulierung der Tätigkeit von Arbeitsvermittlern, der Haftung bei Unfällen, Schäden und Störungen der Dienste geklärt werden sollten — zum Schutz der Beschäftigten, der Verbraucher und der breiten Öffentlichkeit. Die Anwendbarkeit bestehender EU-Rechtsvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz auf diese neuen Beschäftigungsformen muss geklärt werden, ebenso wie die Verfahren für den Umgang mit Verstößen gegen diese Rechtsvorschriften, die Zuständigkeit für Kontrollen sowie für die Haftpflichtversicherung für Arbeitnehmer, Verbraucher und zugunsten von Dritten.

1.10.

Den Arbeitsaufsichtsbehörden sollte es zukommen, diese Beschäftigungsformen entsprechend den jeweiligen nationalen Praktiken in ihrem Zuständigkeitsbereich mit abzudecken, und ihre Kontrolleure müssen angemessen ausgestattet, qualifiziert und geschult werden. Der Aufbau von Partnerschaften mit den Gewerkschaften, Verbraucherverbänden oder anderen Vertretungsorganisationen könnte hilfreich sein, um Besorgnissen der Öffentlichkeit gerecht zu werden, sowie bei Schadenersatzforderungen. Der Austausch bewährter Verfahren wird ein wichtiger Teil dieses Prozesses sein.

1.11.

Die Auswirkungen auf die Tarifbindung in den betroffenen Sektoren sollten ebenfalls untersucht werden, da viele Beschäftigte aus dem Netz tarifvertraglicher Strukturen und gewerkschaftlicher Vertretung herausfallen könnten. Der EWSA ist besorgt, dass das Recht der Arbeitnehmer, sich zusammenzuschließen, infrage gestellt werden könnte, wenn sie als Selbstständige angesehen werden; sollte ihr Zusammenschluss als Kartell angesehen werden, könnten sie in Konflikt mit den EU-Rechtsvorschriften über wettbewerbswidrige Praktiken geraten. Diesen Bedenken, die dieses Grundrecht beeinträchtigen könnten, muss Rechnung getragen bzw. sie müssen ausgeräumt werden. Für die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf arbeitnehmerähnliche Selbstständige ist ein Leitfaden erforderlich. In diesem Zusammenhang könnte die Verwendung des Begriffs „Arbeitnehmer“ im Sinne der ILO anstelle des enger gefassten Begriffs des „Angestellten/Beschäftigten“ hilfreich sein, um ein besseres Verständnis der Geltung grundlegender Prinzipien und Rechte bei der Arbeit (3) zu ermöglichen, deren Ausübung durch die EU-Wettbewerbsregeln nicht beeinträchtigt werden darf.

1.12.

Der EWSA fordert dazu auf, die vertragliche Stellung von Crowdworkern und über andere neue Formen von Arbeit und Beschäftigungsverhältnissen Beschäftigten zu untersuchen, ebenso wie die Pflichten der Vermittler, wobei die Fähigkeit dieser Beschäftigten zu betrachten ist, die Vergütung sowie die Arbeitszeiten und -bedingungen, ihre Urlaubs- und Rentenansprüche, das Recht auf Mutterschaftsurlaub, den Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung sowie sonstige Arbeitnehmerrechte und den Schutz der Rechte am erzeugten geistigen Eigentum auszuhandeln bzw. zu bestimmen. Ferner ist eine Orientierungshilfe erforderlich, um etwaige „Grauzonen“ im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsstatus in Bezug auf Steuern und die Sozialversicherung zu klären.

1.13.

Der EWSA empfiehlt, dass die Europäische Kommission, die OECD und die ILO gemeinsam mit den Sozialpartnern geeignete Bestimmungen zu menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und dem Schutz von Arbeitnehmern, die IKT-gestützt mobil arbeiten, sowie von Erwerbstätigen in sonstigen neuen Beschäftigungsverhältnissen entwickeln sollten. Der EWSA hält die Entwicklung eines Ansatzes auf EU-Ebene für sinnvoll, weist jedoch darauf hin, dass die meisten Maßnahmen auf nationaler, sektoraler oder betrieblicher Ebene umgesetzt werden müssen.

1.14.

Die europäischen Sozialpartner haben darauf hingewiesen, dass die Europäische Kommission ihre beschäftigungspolitische Agenda so anlegen sollte, dass sie den digitalen Wandel unserer Wirtschaften und Arbeitsmärkte unterstützt. Gleichzeitig sollte sie so ausgerichtet sein, dass möglichst viele hochwertige Arbeitsplätze durch die Digitalisierung unserer Wirtschaften entstehen können. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sollten ferner darauf abzielen, diejenigen, die von der Digitalisierung betroffen sind, zu schützen bzw. umzuschulen oder zu qualifizieren. Der EWSA empfiehlt, diesbezüglich effektive Rechte sowie wirksame Schutz-, Überwachungs- und Durchsetzungsbestimmungen vorzusehen, um wachsende Einkommensunterschiede und die Verringerung des verfügbaren Einkommens zu vermeiden und ein nachhaltiges Potenzial für Wirtschaftswachstum in der EU zu garantieren.

1.15.

Der EWSA regt an, dass die Europäische Kommission Möglichkeiten prüft, wie die Entwicklung europäischer Plattformen gefördert werden könnte, so dass der durch sie geschaffene Wert in der lokalen Wirtschaft verbleibt; hierbei sollte sie sich auf die reiche europäische Tradition der Gegenseitigkeit und Zusammenarbeit bei der Arbeitsmarktkoordinierung stützen, die häufig auf der lokalen Ebene erfolgt, sowie auf eine aktive Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, Arbeitgebern vor Ort und nationalen Verbänden von Selbstständigen. Es wäre wichtig, Maßnahmen zu erwägen, die Unternehmen bei der Schaffung nachhaltiger und hochwertiger Arbeitsplätze helfen, indem die Unterstützung über die anfängliche „Start-up“-Phase hinaus bis in die Expansionsphase ausgeweitet wird, in der vielen neuen Unternehmen derzeit der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten fehlt.

2.   Einleitung

2.1.

Der rasche technische Fortschritt in Verbindung mit anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen hat vermehrt neue Formen von Arbeit und Beschäftigungsverhältnissen entstehen lassen, die die Landschaft des Arbeitsmarkts verändern und ihn immer komplexer machen. Innovation und Kreativität sind ein wichtiger Antrieb für eine dauerhaft tragfähige und wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft. Wichtig ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Nutzens dieser neuen Entwicklungen und der Bereitstellung des erforderlichen Schutzes für die Beschäftigten, Verbraucher und Unternehmen, wobei verhindert werden muss, dass sie zur Umgehung fairer Beschäftigungspraktiken missbraucht werden.

2.2.

Neue Beschäftigungsformen haben das Potenzial zur Schaffung von Beschäftigungsgelegenheiten, können für ein geschmeidigeres Funktionieren der Arbeitsmärkte sorgen, sowohl den Arbeitnehmern als auch den Arbeitgebern mehr Flexibilität bieten, die Autonomie der Arbeitskräfte und die Anpassungsfähigkeit der Arbeitsplätze vergrößern, die Kompetenzentwicklung fördern und mehr Spielraum für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bieten. Gleichzeitig müssen jedoch, soweit möglich, hochwertige Arbeitsplätze, der soziale Dialog und Tarifverhandlungssysteme gefördert werden, und die Unsicherheit muss ausgeräumt werden, die in Bezug auf die Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, den Beschäftigungsstatus von Arbeitnehmern, die Haftung bei Unfällen, Versicherung und Berufshaftpflicht sowie in Bezug auf die Anwendbarkeit von Steuern, Sozialschutzbestimmungen und anderen Regelungen besteht. Eine umfassende Bewertung der Fähigkeit der bestehenden Arbeitsmärkte und Sozialsysteme zum Umgang mit diesen Entwicklungen ist erforderlich, um größere Einkommensunterschiede zu vermeiden und die Wahrung eines angemessenen und verlässlichen Einkommens für die Menschen sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherzustellen.

2.3.

Der EWSA hat sich in mehreren Stellungnahmen (4) mit diesbezüglichen Fragen beschäftigt, die als hilfreiche Grundlage für diese Sondierungsstellungnahme herangezogen werden konnten. In den Niederlanden und der Slowakei, deren Ratsvorsitze um diese Sondierungsstellungnahme ersucht hatten, liegt der Anteil der atypischen Beschäftigungsverhältnisse bei fast 60 % bzw. 20 % (5).

2.4.

Jüngere Berichte von Eurofound (6) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) (7) haben dazu beigetragen, den Wandel von herkömmlichen Beschäftigungsverhältnissen zu stärker atypischen Beschäftigungsformen in den vergangenen zehn Jahren festzustellen. Laut ILO hat der anhaltende Wandel der Beschäftigungsverhältnisse erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen. Er trägt zu der wachsenden Kluft zwischen Arbeitseinkommen und Produktivität bei und verschärft möglicherweise Einkommensungleichheiten (8). Nach Angaben der ILO (9) hat in Ländern mit verfügbaren Daten, die 84 % der weltweiten Beschäftigung ausmachen, nur rund ein Viertel (26,4 %) der Arbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag, während in Ländern mit hohem Einkommen mehr als drei Viertel der Arbeitnehmer unbefristete Arbeitsverträge haben. Auch wenn das Modell der Standardbeschäftigung immer weniger vorherrschend ist, bleibt es doch ein wichtiges Element des europäischen Arbeitsmarktmodells. Hervorgehoben wird, dass die Staaten, die EU-Institutionen und die Sozialpartner die neuen Beschäftigungsformen feststellen und definieren und Politik und Rechtsvorschriften anpassen müssen, um diesen Wandel zu bewältigen, für ein positives Ergebnis zu sorgen und dabei ein günstiges politisches und Regelungsumfeld im Interesse der Unternehmen und der Erwerbstätigen aller Beschäftigungsformen zu gewährleisten.

3.   Allgemeine Beschäftigungstrends: der Kontext

3.1.

In den europäischen Volkswirtschaften ist ein Anstieg von Beschäftigungspraktiken zu verzeichnen, die auf der einen Seite die herkömmliche Norm einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung mit festen Arbeitszeiten, geregelten Rechten und Leistungen und umfassender Teilhabe an nationalen Sozialsystemen infrage stellen. Auf der anderen Seite können sie zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zu innovativen Arbeitsformen führen, wobei es wichtig ist, die Qualität solcher Arbeitsplätze bei neuen Geschäftsmodellen sicherzustellen. Einige dieser Formen sind bedingt durch die Globalisierung, die Digitalisierung, geänderte Produktionsstrukturen wie etwa die Auslagerung von Arbeit, die zuvor unternehmensintern durchgeführt wurde, manche durch die Einführung neuer Praktiken in Unternehmen und manche durch völlig neue Beschäftigungsmodelle.

3.2.

Neue Formen von Arbeit können dem Einzelnen neue Möglichkeiten eröffnen, sich als Unternehmer selbstständig zu machen oder einen Beruf auszuüben, der ihm in der Vergangenheit nicht offenstand, bzw. aus der Schattenwirtschaft nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit in die legale Erwerbstätigkeit zu wechseln. Eine Untersuchung unternehmerischer Motivation zeigt, dass mehr Menschen aus positiven (z. B. um eine gute Idee zu Geld zu machen) als aus negativen Beweggründen (z. B. weil sie keine andere Arbeitsmöglichkeit hatten) ein Unternehmen gründen (10).

3.3.

Zu neuen Beschäftigungsformen zählen u. a. „Null-Stunden-Verträge“, „Gelegenheitsbeschäftigung bei Bedarf“ oder „flight-time only“-Verträge, „Minijobs“, „Portfolioarbeit“, auf einem Gutscheinsystem basierende Tätigkeiten, privatrechtliche Verträge und Jobsharing-Vereinbarungen. Einher gehen diese mit einer Reihe von Vertragsformen, bei denen die Arbeit über Vermittler organisiert wird, darunter Dachgesellschaften, Agenturen für selbstständige Erwerbstätigkeit, Agenturen für Mitarbeiter-Sharing oder „Crowdsourcing“-Plattformen im Internet. Bei vielen dieser Formen werden Arbeitnehmer als unabhängige Auftragnehmer, „Associates“, „Tasker“, „Partner“ oder anders bezeichnet, was ihren wahren Beschäftigungsstatus gelegentlich verschleiert. Zwar wird diese Arbeit häufig als selbstständige Tätigkeit angesehen, doch erfüllt ein Teil hiervon nicht die Kriterien, die mit echter Selbstständigkeit verbunden sind, wie etwa die Möglichkeit, Aufgaben und die Höhe der Bezahlung festzulegen oder die Rechte am erzeugten geistigen Eigentum zu sichern. Für einige Branchen ist nichtständige Arbeit, Gelegenheits- oder Saisonarbeit typisch, z. B. im Tourismus, in der Gastronomie und in der Landwirtschaft, und sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer benötigen ein gewisses Maß an Flexibilität. Unabhängig davon, ob diese Arbeit über eine Agentur oder selbstständig verwaltet wird, müssen solche Verträge reguliert werden, um das Problem der nicht angemeldeten Erwerbstätigkeit zu vermeiden.

3.4.

Es ist wichtig, zwischen echtem Unternehmertum, Selbstständigen und neuen Formen abhängiger und gleichzeitig selbstständiger Beschäftigung zu unterscheiden und die Qualität der Arbeit sicherzustellen. Auch für Arbeitnehmer mit regulären Arbeitsverhältnissen führen neue Entwicklungen bei der Arbeitsorganisation in Bezug auf eine aufgabenbasierte Einstufung und Projektarbeit zu Veränderungen in Bezug auf herkömmliche Arbeitszeiten, was sich auf das Lebenstempo und die Einkommenssicherheit auswirkt. Über den sozialen Dialog und Tarifverhandlungen konnten an vielen Arbeitsplätzen, wie etwa bei Callcentern, Grauzonen beseitigt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden.

4.   Digitalisierung

4.1.

Die Digitalisierung kann die Produktivität und Flexibilität in bestehenden Unternehmen erhöhen und die Grundlage für neue Branchen und Arbeitsplätze bieten und somit zu Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in Europa beitragen. Ferner spielt sie eine wichtige Rolle beim Ausbau der sozialen Marktwirtschaft und der Förderung der notwendigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie beim Abbau geschlechtsspezifischer Ungleichheiten bei der Beschäftigung und der sozialen Sicherheit, wenn sie gut gemanagt wird. Diesbezüglich ist die vor Kurzem angenommene gemeinsame Erklärung von EGB, BusinessEurope, CEEP und UEAPME eine nützliche Referenz (11).

4.2.

Die Digitalisierung wirkt sich in erheblichem Maße auf die Organisation der Arbeit und die Beschäftigung aus, was weitere Aufmerksamkeit seitens der Politik und des Managements erfordert. Sie hat auch die Verbraucherbeziehungen verändert und den Zugang zu Waren und Dienstleistungen erleichtert. Zwar ist die Verbraucherzufriedenheit hoch, doch gibt es Bedenken hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft, und es besteht ein Verbesserungsbedarf in Bezug auf wirksame Beschwerdeverfahren. Eine vorausschauende Politikgestaltung auf europäischer und nationaler Ebene muss sicherstellen, dass das Potenzial der Digitalisierung erschlossen wird und ihre Fallen vermieden werden (12).

4.3.

Ein sehr hoher Anteil der Bevölkerung hat von verschiedenen Orten aus Zugang zum Internet und ist im Prinzip jederzeit und an jedem Ort für die Arbeit erreichbar, was zu einer Zunahme von Arbeitsnomaden und dem Verwischen der räumlichen und zeitlichen Grenzen zwischen Beruf und Privatleben führt. Diese Flexibilität kann von Vorteil für Unternehmen und Arbeitnehmer sein, wenn die Interessen beider Seiten geachtet werden. Es sollte näher geprüft werden, ob und in welchem Umfang das Privat- und Familienleben der Beschäftigten in Zeiten allgegenwärtiger digitaler und mobiler Kommunikation eines zusätzlichen Schutzes bedarf und welche Maßnahmen gegebenenfalls auf nationaler und europäischer Ebene zur Begrenzung der allumfassenden Verfügbarkeit bzw. Erreichbarkeit sinnvoll sind (13).

4.4.

Die Verbreitung von IKT-Kompetenzen und die Vertrautheit mit Standardsoftware und Weltsprachen haben die Möglichkeiten für Arbeitgeber vergrößert, globale Arbeitsmärkte für ausgelagerte Arbeit zu nutzen. Dies eröffnet europäischen Bürgerinnen und Bürger Möglichkeiten, für Kunden in der ganzen Welt zu arbeiten, birgt jedoch gleichzeitig die Gefahr eines ungleichen Wettbewerbs für Unternehmen und Arbeitnehmer in dem Sinne, dass sie mit Anbietern aus Billiglohnländern um diese Jobs konkurrieren müssen, die eventuell nicht die ILO-Kernarbeitsnormen erfüllen oder keine menschenwürdigen Arbeitsplätze gewährleisten.

5.   Kompetenzentwicklung

5.1.

Der technische Wandel kann die Kompetenzentwicklung fördern, potenziell aber auch die Kompetenzen von Arbeitnehmern in herkömmlichen Berufen wertlos machen. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Kompetenzen sollten ebenso berücksichtigt werden wie eine Bestandsaufnahme der vorhandenen und erforderlichen Möglichkeiten für das lebenslange Lernen und der Qualifizierungs- und Umschulungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer im Rahmen dieser neuen Verhältnisse. Die Unternehmen müssen in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, dem CEDEFOP und staatlichen Ebenen dafür sorgen, dass die Kompetenzen aufgebaut werden, die in einer sich wandelnden Arbeitswelt benötigt werden. Der wirksame Einsatz des Europäischen Sozialfonds und anderer Instrumente hat für die Bewältigung dieser Herausforderungen entscheidende Bedeutung.

5.2.

Die Sorge dafür, dass die Menschen über die Kompetenzen verfügen, die für das berufliche Vorankommen auf hochwertigen Arbeitsplätzen vor dem Hintergrund sich verändernder Arbeitsmärkte benötigt werden, ist eine zentrale Herausforderung und muss im Mittelpunkt der künftigen Europäischen Agenda für Kompetenzen stehen. Die Beurteilung der geeignetsten Anpassung von Kompetenzen und des Ausbaus der digitalen Kompetenzen für alle muss ein prioritäres Anliegen der EU-Institutionen und der staatlichen Stellen sein, wobei die aktive Einbeziehung der Sozialpartner auf allen Ebenen ein Muss sein sollte. Der EWSA erinnert daran, dass sich die EU bereits im Arbeitsprogramm des sozialen Dialogs 2015-2017 dazu bekannt hat.

6.   Statistiken

6.1.

Es fehlt an zuverlässigen Statistiken über diese Entwicklungen. Angaben sind erforderlich zum Ausmaß der Crowd-Beschäftigung, zu den Merkmalen von Crowdworkern, den unterschiedlichen Arten von Selbstständigkeit, wirtschaftlich abhängiger Selbstständigkeit, Scheinselbstständigkeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen; zum Ausmaß der „Plattform-Wirtschaft“, den Sektoren, in denen sie tätig ist, und zu ihrer geografischen Verbreitung sowie zum Stand der EU im weltweiten Vergleich.

6.2.

Ferner werden Statistiken benötigt, um die Auswirkungen neuer Beschäftigungsformen auf den Arbeitsmarkt, die Polarisierung von Arbeit, Einkommen und Wirtschaft überwachen zu können sowie als Grundlage für die Beschäftigungspolitik der EU, einschließlich des Europäischen Semesters und der Strategie Europa 2020.

6.3.

Daneben werden Verlaufsdaten gebraucht, um die Auswirkungen neuer Formen von Arbeit auf die Lebensdauer gesehen sowie ihre Auswirkungen auf die Dauerhaftigkeit der Arbeit im Laufe des Lebens festzustellen und um zu ermitteln, inwieweit sie vom Geschlecht oder anderen demografischen Variablen beeinflusst wird (wie das Alter, eine Behinderung, die ethnische Zugehörigkeit oder ein Migrationshintergrund). Die Auswirkungen auf die Tarifbindung in den am stärksten betroffenen Sektoren sollten ebenfalls untersucht werden, da viele Beschäftigte, die sich eine Tarifbindung wünschen, aus dem Netz tarifvertraglicher Strukturen und gewerkschaftlicher Vertretung herausfallen könnten.

6.4.

Diese Untersuchung sollte über „Horizont 2020“ und andere einschlägige Finanzierungsmöglichkeiten der EU unterstützt werden.

7.   Rechtsstatus von Arbeitsvermittlern

7.1.

Neue Beschäftigungsformen entwickeln sich so rasch, dass die Vertragsverhältnisse nicht Schritt halten können, weswegen ihr Rechtsstatus beleuchtet werden sollte. Eine Klärung des Status von Arbeitsvermittlern sowie von Online-Plattformen ist dringend geboten, damit sie in den offiziellen Statistiken erfasst werden können, um ihre Zunahme nachzuvollziehen und festzustellen, welche Normen, Pflichten, Haftungs- und Geschäftsbedingungen für sie gelten sollen und welche Regulierungsbehörden für Kontrollen und Durchsetzung zuständig sein sollen. Unterschiedliche Begriffe und Definitionen von Arbeitnehmern, Angestellten, Selbstständigen und Praktikanten in der EU machen eine Bewertung noch schwieriger.

7.2.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission derzeit eine Konsultation zu der Richtlinie über schriftliche Erklärungen (14) durchführt, und geht davon aus, dass neue Beschäftigungsformen in ihren Anwendungsbereich aufgenommen werden.

7.3.

Online-Plattformen breiten sich rasch aus, mit generell positiven Folgen für Wirtschaft, Beschäftigung und Innovation; allerdings erfolgt ihre Ausbreitung in einigen Fällen in einem solchen Ausmaß, dass die Gefahr einer Monopolbildung besteht, was zu Marktverzerrungen und ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen könnte. Die „Sharing Economy“ und andere neue Beschäftigungsmodelle sollten nicht missbraucht werden, um die Zahlung angemessener Arbeitsentgelte zu umgehen, Steuern und Sozialabgaben zu sparen oder sonstige Arbeitnehmerrechte und Arbeitsbedingungen nicht zu gewährleisten, indem die Kosten auf die Nutzer und die Beschäftigten abgewälzt und Vorschriften umgangen werden, die für Offline-Unternehmen gelten. So könnten Unternehmen und Arbeitnehmer in herkömmlichen Sektoren unterboten werden, was vereinbarte Normen sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen untergräbt.

8.   Sicherheit und Gesundheitsschutz

8.1.

Arbeitsplätze außerhalb des eigentlichen Betriebs können Risiken für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer, ihrer Kunden und der Allgemeinheit bergen. Die Arbeit kann in öffentlichen Räumen oder in Privathäusern durchgeführt werden, wobei ohne angemessene Anleitung oder Schutzkleidung gefährliche Stoffe und Geräte zum Einsatz kommen können. Die Verantwortung für Versicherungen, eine Zertifizierung und die Berufshaftpflicht ist eventuell nicht eindeutig geregelt. IKT-gestützte mobile Tätigkeiten können mit intensiver Bildschirmarbeit in einer ungeeigneten Umgebung mit Mobiliar und Geräten durchgeführt werden, die nicht den Ergonomie-Standards entsprechen.

8.2.

Die Sicherheit und die Haftung bei Unfällen sind eine Grauzone im Zusammenhang mit einigen Online-Plattformen und müssen geklärt werden, um die Mitarbeiter, die Kunden und die breite Öffentlichkeit zu schützen.

8.3.

In der Anhörung für diese Stellungnahme (15) wurde auf weitere Aspekte aufmerksam gemacht, die untersucht werden sollten, darunter das Thema Erschöpfung aufgrund langer und ungeregelter Arbeitszeiten sowie Stress im Zusammenhang mit der Nichtplanbarkeit der Arbeit und des Einkommens, Nichtbezahlung aufgrund abgelehnter Arbeit, schlechte Kundenbewertungen, die nicht angefochten werden können, eine Deaktivierung von der Plattform bzw. Annullierung des Vertrags, die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Pflege- und Betreuungspflichten ohne einen klaren Zeitplan für die Arbeit, soziale Isolierung und die kombinierten Effekte der Ausübung bzw. Vereinbarkeit mehrerer Jobs.

8.4.

Es muss geklärt werden, inwieweit diese neuen Beschäftigungsformen über bestehende EU-Rechtsvorschriften und nationale Arbeitsschutzvorschriften sowie über Verfahren für den Umgang mit Verstößen gegen diese Rechtsvorschriften, für die Zuständigkeit für Kontrollen sowie für die Haftpflichtversicherung für Arbeitnehmer, Verbraucher und zugunsten von Dritten abgedeckt sind. Die EU-OSHA in Bilbao könnte mit Forschungsarbeit und Analysen in diesem Bereich Unterstützung leisten.

8.5.

Den Arbeitsaufsichtsbehörden sollte es zukommen, diese Beschäftigungsformen entsprechend den jeweiligen nationalen Praktiken in ihrem Zuständigkeitsbereich mit abzudecken, und ihre Kontrolleure müssen angemessen ausgestattet, qualifiziert und geschult werden, damit die Arbeitsaufsicht wirkungsvoll ist. Der Aufbau von Partnerschaften mit den Gewerkschaften, Verbraucherverbänden oder anderen Vertretungsorganisationen könnte hilfreich sein, um Besorgnissen der Öffentlichkeit gerecht zu werden, sowie bei Schadenersatzforderungen.

9.   Beschäftigungsstatus

9.1.

Neue Beschäftigungsformen betreffen ein breites und heterogenes Spektrum von Tätigkeiten, das von Arbeiten, die zuvor in der informellen Wirtschaft durchgeführt wurden, über freiberufliche Tätigkeit bis zu Arbeit reicht, die normalerweise von unmittelbar Angestellten durchgeführt wird. Ihre Einführung kann zu dem Fall führen, dass Arbeitnehmer mit unterschiedlichem Status exakt die gleichen Aufgaben in der gleichen Umgebung ausführen, was Ungleichheiten in Bezug auf den Schutz, die Rechte und das Entgelt zur Folge hat.

9.2.

Die Einschaltung neuer Vermittler in das Arbeitsverhältnis führt in einigen Fällen zu einem Mangel an Transparenz der Beziehungen zwischen den Beteiligten, sie behindert die individuelle Aushandlung der Arbeitsbedingungen und schränkt den Zugang von Arbeitnehmern zu Tarifverhandlungen ein.

9.3.

Es werden Fragen laut in Bezug darauf, welche Partei als Arbeitgeber anzusehen und wie Selbstständigkeit zu definieren ist, einschließlich der Rechtsdefinition und des Sanktionssystems für die illegale Bereitstellung von Arbeitskräften und schwerere Formen von Ausbeutung. Auf Online-Plattformen gibt es verschiedene Beschäftigungsmodelle, darunter Beispiele für Plattformen, die dazu übergegangen sind, ihren Beschäftigten den Status als Arbeitnehmer anzubieten, um die Qualität zu verbessern und die Fluktuation zu verringern (16). Der Status als Arbeitnehmer ist ein Türöffner für weitere Arbeitnehmerrechte. Wenn Arbeitnehmer als Selbstständige angesehen werden, kann dies ihr Recht, sich zusammenzuschließen, infrage stellen, wenn ihr Zusammenschluss als Kartell angesehen würde, was sie in Konflikt mit den EU-Rechtsvorschriften zu wettbewerbswidrigen Praktiken bringen würde. Diese Frage muss geklärt werden, insbesondere in Fällen, bei denen vermeintlich Selbstständige ihre Aufgaben und ihre Vergütung nicht autonom festlegen können.

9.4.

Der EWSA fordert dazu auf, den Beschäftigungsstatus von Crowdworkern sowie von Mitarbeitern zu untersuchen, die über andere neue Beschäftigungsformen beschäftigt werden, wobei ihre Möglichkeiten, die Arbeitsbedingungen und die Art der Bezahlung (und wer diese festlegt) auszuhandeln sowie die Rechte am erzeugten geistigen Eigentum berücksichtigt werden sollten. Die Untersuchung sollte den Mitgliedstaaten entsprechend ihren jeweiligen nationalen Praktiken eine Orientierungshilfe geben, um den Steuer-, Sozialversicherungs- und Beschäftigungsstatus von Arbeitnehmern zu klären, ebenso wie die Pflichten dieser Plattformen in Bezug auf Arbeitszeiten, Arbeitsentgelt, Urlaub, Rentenansprüche, das Recht auf Mutterschaftsurlaub, Krankenversicherungsbeiträge des Arbeitgebers und sonstige Arbeitnehmerrechte.

10.   Grundrechte und Arbeitnehmerrechte

10.1.

Klärungsbedarf besteht in Bezug auf die Rechte von Crowdworkern und anderen Arbeitnehmern in prekären Arbeitsverhältnissen bzw. Gelegenheitsbeschäftigung, und zwar in Bezug auf verschiedene Fragen, darunter:

die Arbeitszeiten;

Tarifverhandlungen;

die Vereinigungsfreiheit;

Information und Konsultation;

Anpassung der Kompetenzen;

Ruhepausen;

das Recht auf sozialen Schutz durch Versicherungen und Sozialleistungen;

das Recht auf Anfechtung ungerechter Entscheidungen der Unternehmensführung/Nutzerbewertungen/de facto ungerechtfertigter Entlassung;

das Recht, eine kurzfristig angebotene Arbeit ohne Sanktionen abzulehnen;

faires Arbeitsentgelt und

das Recht auf die Entlohnung abgeschlossener Arbeiten.

10.2.

Die Europäische Kommission, die OECD und die ILO sollten gemeinsam mit den Sozialpartnern geeignete Bestimmungen zu menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und dem Schutz von Arbeitnehmern, die IKT-gestützt mobil arbeiten, sowie von Erwerbstätigen in sonstigen neuen Beschäftigungsverhältnissen entwickeln. Der EWSA hält die Entwicklung eines Ansatzes auf EU-Ebene für sinnvoll, weist jedoch darauf hin, dass die meisten Maßnahmen auf nationaler, sektoraler oder betrieblicher Ebene umgesetzt werden müssen.

10.3.

Gewerkschaften und Verbände von Selbstständigen kommen seit kurzer Zeit zusammen, um Empfehlungen für bessere Lösungen und die Abdeckung durch den Sozialschutz und Sozialleistungen zu entwickeln.

11.   Wahrung eines existenzsichernden Arbeitseinkommens

11.1.

Neue Beschäftigungsformen beschränken sich nicht auf gering qualifizierte Arbeitsplätze mit manuellen Tätigkeiten oder Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich. „Null-Stunden-Arbeitsverträge“ und andere Formen von Gelegenheitsbeschäftigung bzw. Beschäftigung bei Bedarf breiten sich auf besser bezahlte und hoch qualifizierte Tätigkeiten aus, einschließlich Hochschuldozenten, Verkehrspiloten und Beschäftigte im Gesundheitssektor sowie im öffentlichen Dienst, was die Gefahr birgt, das Einkommenspotenzial und die Arbeitsplatzsicherheit zu untergraben.

11.2.

Dadurch dass ein Großteil der IKT- und mediengestützten Arbeiten und Dienstleistungen überall auf der Welt erzeugt werden kann, entsteht ein ungleicher Wettbewerb für Unternehmen und Arbeitnehmer, da solche Arbeiten zunehmend in Niedriglohnländer ausgelagert werden, was tarifvertraglich geregelte Löhne nach unten treibt.

11.3.

Forschungsergebnisse (17) zeigen, dass die Digitalisierung zu einer Polarisierung zwischen den hoch qualifizierten Gutbezahlten und den gering qualifizierten Geringverdienern führt und dass die Opfer eines zunehmend ungleichen Arbeitsmarkts die mittelmäßig qualifizierten Arbeitnehmer der mittleren Einkommensschicht bei Banken, Versicherungen und Verwaltungen sind. Viele sind gezwungen, mit mehreren Jobs für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Allerdings handelt es sich bei einigen dieser Selbstständigen um hoch qualifizierte und erfahrene Fachkräfte, die sich ihrer Stellung und ihres Marktwerts absolut bewusst sind und auf eigenen Wunsch auf eigene Rechnung arbeiten wollen, bzw. die über ihre selbstständige Tätigkeit ihre Einkünfte diversifizieren möchten, als Absicherung für den Fall, dass sie ihre Haupteinkommensquelle verlieren, oder die mit einem Hobby Geld verdienen und neue Karriere- und Geschäftsmöglichkeiten ausprobieren möchten — alle diese Optionen sind denkbar, und für alle müssen die erforderlichen Rechte und der Schutz gewährleistet werden.

11.4.

Einigen neuen Beschäftigungsformen liegt das Bestreben zugrunde, die Kosten und Pflichten für herkömmlichere Beschäftigungsformen zu umgehen. Es besteht die Gefahr, dass ohne wirksame Rechte, Kontrolle und Durchsetzung und wirksamen Schutz zahlreiche neue Beschäftigungsformen zu einem Wettlauf um die niedrigsten Löhne und Bedingungen führen und zur Vergrößerung der Einkommensunterschiede beitragen, das verfügbare Einkommen verringern, die Nachfrage unterdrücken und das Potenzial für das Wirtschaftswachstum in der EU austrocknen und weitere dauerhafte makroökonomische Probleme schaffen. Dass solche Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, die Höhe ihrer Vergütung und ihre Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge festzulegen, ist von entscheidender Bedeutung für die Wahrung eines existenzsichernden Arbeitseinkommens.

11.5.

Die Bezahlung bei neuen Beschäftigungsformen basiert häufig auf der Vollendung bestimmter Aufgaben anstelle von Stundensätzen. Der Grundsatz einer angemessenen Vergütung sollte unter all diesen Umständen gewahrt werden, und allen relevanten Aspekten der Vergütung, wie der Qualität der produzierten Arbeit und einem entsprechenden Ausgleich für die Arbeitszeit, sollte Rechnung getragen werden (18).

11.6.

Aufgrund der großen Unterschiede bei der Familienunterstützung und den Sozialsystemen in der EU ist eine Bewertung der Auswirkungen neuer Beschäftigungsformen auf die Finanzierung von Maßnahmen zur Unterstützung von Familien wichtig, wobei es zu bedenken gilt, dass ein existenzsicherndes Einkommen für einen Alleinstehenden eventuell nicht ausreicht, um eine Familie mit Kindern zu ernähren.

11.7.

Lohnbezogene Fragen können nicht losgelöst von der problematischen Schnittstelle zwischen Löhnen und Steuer-/Sozialschutz- bzw. Sozialleistungssystemen bei weniger deutlich definierten Arbeitsverhältnissen betrachtet werden. Auch hier hat Klarheit in Bezug darauf, wer der Arbeitgeber ist und welchen Status der Arbeitnehmer hat, entscheidende Bedeutung.

12.   Sozialschutz

12.1.

Der EWSA ist sich der Vielfalt der Systeme in den einzelnen Mitgliedstaaten bewusst und hält eine Erforschung der Entwicklung von Sozialsystemen für erforderlich, die in der Lage sind, flexiblere Arbeitsmärkte zu erfassen und ein tragfähiges, angemessenes und existenzsicherndes Einkommen zu garantieren. Dies sollte bei der Entwicklung der Säule sozialer Rechte der EU berücksichtigt werden. Es wird begrüßt, dass der EWSA dieses Thema in einer gesonderten Stellungnahme behandelt.

12.2.

Durch die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte mit einem wachsenden Anteil an Arbeitnehmern, die nicht im Voraus wissen, wann oder wo sie arbeiten werden, nimmt die Unvereinbarkeit mit nationalen Sozialsystemen zu, die auf der Annahme beruhen, dass eine klare Trennlinie zwischen dem Status „beschäftigt“ und „arbeitslos“ gezogen werden kann. Eine solche Unvereinbarkeit nutzt weder den Unternehmen noch den Arbeitnehmern.

12.3.

Es kann passieren, dass immer weniger Erwerbstätige Beiträge zu den bestehenden Sozialsystemen zahlen bzw. Leistungen erhalten, z. B. in der Arbeitslosen-, Kranken- oder Rentenversicherung. Dieses Thema wird bereits unter den Sozialpartnern und den Regierungen in einigen Mitgliedstaaten erörtert, wo die Sozialpartner wichtige Akteure sind, muss jedoch EU-weit erörtert werden, wobei die lokalen Gebietskörperschaften, weitere zivilgesellschaftliche Akteure, Verbände und Dienstleister einzubeziehen sind, um tragfähige und nachhaltige politische Maßnahmen, Rechtsvorschriften und ergänzende Maßnahmen festzulegen, mit denen für sämtliche Arbeitnehmer — einschließlich der Selbstständigen, der Crowdworker und der in der „Sharing Economy“ Beschäftigten — ein Sozialversicherungsschutz auf angemessenem Niveau sichergestellt wird.

12.4.

Der EWSA ist sich der erheblichen Unterschiede in den Sozialsystemen der einzelnen Mitgliedstaaten bewusst. Neben der eindeutigen Notwendigkeit einer Bewertung der Tragfähigkeit der Sozialsysteme, um den durch neue Entwicklungen in der Wirtschaft und auf den Arbeitsmärkten bedingten Herausforderungen zu begegnen, hält der EWSA es für wichtig, Einkommen zu wahren und die Qualität, Zuverlässigkeit, Zugänglichkeit und Wirksamkeit der Steuer- und Sozialversicherungssysteme EU-weit insgesamt zu verbessern, die derzeit in vielen Mitgliedstaaten von einem hohen Anteil an Standardbeschäftigung und ihren Beiträgen abhängen. Ein solcher Effektivitätsschwund würde das Gefüge des europäischen Sozialmodells und der sozialen Marktwirtschaft gefährden, das sich auf eine starke öffentliche Beteiligung an der Bereitstellung von Leistungen der Daseinsvorsorge und ein hohes Sozialschutzniveau stützt.

12.5.

Ebenso müssen die Steuer- und Sozialsysteme sorgfältig überprüft werden, damit sowohl die in den konventionell organisierten Branchen als auch in der „Sharing Economy“/Plattformwirtschaft erwirtschafteten Einkommen in angemessener Höhe besteuert bzw. angemessene Sozialbeiträge geleistet werden. Nach Auffassung des EWSA könnte die Rolle dieser Plattformen über Bestimmungen und erforderlichenfalls über Rechtsvorschriften geklärt werden, in denen der Schutz sowohl für Beschäftigte als auch für Selbstständige festgelegt wird und indem sie über gesetzliche Bestimmungen und ihre Beiträge in die Systeme der sozialen Sicherheit integriert werden. Die EU sollte Reformen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage bewährter Verfahren fördern und koordinieren.

13.   Wie kann dafür gesorgt werden, dass die neuen Entwicklungen der EU nutzen?

13.1.

Online-Plattformen sind eine Neuerung, die in Europa bereits wirtschaftliche Realität ist. Derzeit ist jedoch ein großer Anteil von ihnen nicht in der EU ansässig, was bei jeder Transaktion innerhalb der EU erhebliche Kürzungen bedeutet, manchmal in Höhe von bis zu 25 % des Werts, von dem der größte Teil ins Ausland fließt. Sie zahlen u. U. wenig oder gar keine Steuern oder führen keine Abgaben für Bildung, Infrastruktur oder öffentliche Dienstleistungen an den Orten ab, an denen sie in Europa tätig sind. Wenn die Beschäftigten nicht wirklich selbstständig sind, kann es zu Abweichungen bei Steuerzahlungen, Renten oder anderen Sozialschutzsystemen kommen. Ihre Auswirkungen auf die Schaffung von dauerhaften Arbeitsplätzen und Wachstum in der EU und ihr diesbezüglicher Beitrag müssten bewertet werden.

13.2.

Die Europäische Kommission sollte Möglichkeiten prüfen, wie die Entwicklung europäischer Plattformen gefördert werden könnte, so dass der durch sie geschaffene Wert in der lokalen Wirtschaft verbleibt; hierbei sollte sie sich auf die reiche europäische Tradition der Gegenseitigkeit und Zusammenarbeit bei der Arbeitsmarktkoordinierung stützen, die häufig auf der lokalen Ebene erfolgt, sowie auf eine aktive Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern vor Ort. Es wäre wichtig, Maßnahmen zu erwägen, die Unternehmen bei der Schaffung nachhaltiger und hochwertiger Arbeitsplätze unterstützen, indem die Unterstützung über die anfängliche „Start-up“-Phase hinaus bis in die Expansionsphase ausgeweitet wird, in der viele neue Unternehmen derzeit ohne Unterstützung auskommen müssen.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  France Stratégie, „Le compte personnel d'activité de l'utopie au concret“, Abschlussbericht.

OECD, „Employment Outlook 2014“, S. 179.

(2)  Richtlinie 91/533/EG.

(3)  Wie aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache FNV-KIEM (http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?num=C-413/13) aus dem Jahr 2015 hervorgeht, besteht ein deutlicher Spielraum für Auslegungen in Bezug auf die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf arbeitnehmerähnliche Selbstständige. Eine Studie des IViR aus dem Jahr 2014 über vertragliche Vereinbarungen für Autoren und Künstler weist auch auf sektorale Ausnahmen als mögliche Zukunftsperspektive hin und nennt ein entsprechendes Beispiel aus Deutschland, wo Artikel 12a des Tarifgesetzes bestimmten selbstständigen Autoren und Künstlern das Recht einräumt, von Tarifverträgen zu profitieren. In der Studie heißt es, dass „davon ausgegangen wird, dass derartige Ausnahmen im öffentlichen Interesse einer Gruppe Schutz gewähren, die dies in wirtschaftlicher wie auch in sozialer Hinsicht ebenso verdient wie Angestellte“.

(4)  ABl. C 133 vom 9.5.2013, S. 77 ; ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 65; ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 44; ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 43; ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 14; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 40.

(5)  OECD, „Reducing labour market polarisation and segmentation“, Präsentation von S. Scarpetta, 2014.

ILO — Bericht zur Erörterung bei der Tagung der Experten für atypische Beschäftigungsformen (EN).

ILO — Schlussfolgerungen der Tagung der Experten für atypische Beschäftigungsformen (EN).

(6)  Eurofound, „New forms of employment“ (Neue Beschäftigungsformen).

Eurofound, „Harnessing the crowd — A new form of employment“.

(7)  ILO, „The changing nature of jobs — World Employment and Social Outlook 2015“.

ILO, Empfehlung betreffend dasblaesju Arbeitsverhältnis, 2006 (Empfehlung 198): „Regulating the employment relationship in Europe: A guide to Recommendation No. 198“.

(8)  ILO, „The changing nature of jobs — World Employment and Social Outlook 2015“, S. 13-14.

(9)  Siehe Fußnote 8, S. 30.

(10)  GEM 2015/2016 Global Report.

(11)  Erklärung der europäischen Sozialpartner zur Digitalisierung (EN).

(12)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161, Ziffer 1.3, 1.5.8 und 5.6.

(13)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161, Ziffer 4.4.

(14)  Siehe Fußnote 2.

(15)  Öffentliche Anhörung zum Thema „Der Wandel der Beschäftigungsverhältnisse, die Sharing Economy, Null-Stunden-Verträge und ein existenzsicherndes Arbeitseinkommen“, EWSA, 31. März 2016.

(16)  http://www.nytimes.com/2015/12/11/business/a-middle-ground-between-contract-worker-and-employee.html.

(17)  http://www.liberation.fr/debats/2015/09/03/daniel-cohen-il-faut-une-societe-dans-laquelle-perdre-son-emploi-devienne-un-non-evenement_1375142.

(18)  Fahrzeit gilt als Arbeitszeit, siehe das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Tyco vom 10. September 2015.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/64


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Nachhaltigere Lebensmittelsysteme“

(Sondierungsstellungnahme)

(2016/C 303/08)

Berichterstatter:

Mindaugas MACIULEVIČIUS

Der künftige niederländische Ratsvorsitz beschloss am 16. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Nachhaltigere Lebensmittelsysteme

(Sondierungsstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt nahm ihre Stellungnahme am 11. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 26. Mai) mit 152 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erkennt die dringende Notwendigkeit an, die vielfältigen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Auswirkungen der Erzeugung und des Verbrauchs von Lebensmitteln anzugehen und fordert von der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten eine klare EU-Politik und einen klaren Umsetzungsplan für den Aufbau eines nachhaltigen, stabilen, gesunden, gerechten und umweltfreundlichen Lebensmittelsystems, mit dem die Zusammenarbeit und ein gegenseitiges Verständnis aller Akteure entlang der Lebensmittelversorgungskette gefördert werden. Es muss für eine bessere Kohärenz und Verflechtung der politischen Ziele und Instrumente im Lebensmittelbereich (z. B. in Bezug auf Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit, Klima, Beschäftigung usw.) gesorgt werden, wobei den drei Säulen der Nachhaltigkeit Rechnung zu tragen ist.

1.2

Ein Übergang zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen in sämtlichen Phasen von der Erzeugung bis zum Verbrauch ist dringend erforderlich — die Erzeuger müssen bei gleichzeitiger Verringerung der Auswirkungen auf die Umwelt mehr Nahrungsmittel anbauen, während die Verbraucher zu einer Umorientierung hin zu hochwertiger und gesunder Ernährung mit einem kleineren CO2-Fußabdruck veranlasst werden müssen. Die EU sollte ihre Bemühungen um die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen verstärken, da sie einen wichtigen Rahmen für ein gemeinsames Handeln mit dem Ziel vorgeben, bis 2030 zu einer nachhaltigen Welternährung zu gelangen.

1.3

Der EWSA erkennt an, dass sich der Planet nicht mit einem Lebensmittelerzeugungssystem allein sicher ernähren lässt, aber mit Hilfe einer Kombination aus unterschiedlichen konventionellen, innovativen und agroökologischen Methoden die ökologischen und klimatischen Auswirkungen der heutigen Lebensmittelerzeugungssysteme besser bewältigt werden könnten. Insbesondere könnte die konventionelle Landwirtschaft durch eine Mischung aus Präzisionslandwirtschaft, die die Weiterentwicklung der IKT und der Satellitensysteme umfasst, und agrarökologischen Methoden ergänzt werden, indem eine Reihe von Grundsätzen und Methoden für nachhaltigere Landbewirtschaftungssysteme, wie z. B. bessere Nutzung der Biomasse, Verbesserung von Biomassespeicherung und -einsatz, Erhalt einer günstigen Bodenbeschaffenheit, Förderung einer Anbaudiversifizierung und minimaler Einsatz von Pestiziden, festgelegt wird. Durch eine stärkere Förderung geschlossener Landbewirtschaftungsmodelle könnte die Entkopplung der Landwirtschaft von fossilen Brennstoffen erreicht werden. Mit der Reform der GAP wurde eine Kombination von Maßnahmen (Ökologisierung, Agrar-Umwelt-Klimaprogramme usw.) eingeführt, die als ein Schritt in die richtige Richtung betrachtet werden können.

1.4

Alle Akteure entlang der gesamten Lebensmittelversorgungskette benötigen ein stabiles und angemessenes Einkommen, um weitere tragfähige und dauerhafte Investitionen in Agrarumwelttechnologien und klimafreundliche Verfahrensweisen zu gewährleisten.

1.5

Die Vermeidung und Verringerung von Lebensmittelverschwendung ist eine gemeinsame Verantwortung aller Akteure in der Lebensmittelkette. Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, im Rahmen des Pakets zur Kreislaufwirtschaft eine Plattform der Interessenträger zu schaffen, um zur Konzipierung der erforderlichen Maßnahmen beizutragen und bewährte Verfahren zur Vermeidung und Verringerung von Lebensmittelverschwendung auszutauschen. Der EWSA fordert die Kommission auf, zu untersuchen, wie die Hierarchie der Verwendung von Lebensmitteln in der Praxis in den Mitgliedstaaten angewendet wird, auch im Hinblick auf wirtschaftliche Anreize, die an die Unternehmen widersprüchliche Signale aussenden könnten. Der EWSA befürwortet eine wirksame Anwendung der Abfallhierarchie und fordert außerdem, die Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 so zu überarbeiten, dass nicht für den menschlichen Verzehr geeignete Lebensmittel als Futtermittel verwendet werden können, wenn dies unbedenklich ist.

1.6

Die Wahl nachhaltig erzeugter Lebensmittel muss dadurch gefördert werden, dass sie für die Verbraucher leichter verfügbar und zugänglich gemacht werden. Der Verbrauch nachhaltiger Lebensmittel sollte gefördert werden, indem durch eine umweltgerechte öffentliche Beschaffung und weitere Ansätze eine stärkere Nachfrage auf dem Markt geschaffen wird. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, die nationalen Ernährungsleitlinien so zu überarbeiten, dass darin der Nachhaltigkeit Rechnung getragen und die Ernährungserziehung in den Schullehrplänen gefördert wird. Außerdem sollte die EU die Ursprungskennzeichnung, die Entwicklung von Gütesiegeln, die klar den Nachhaltigkeitsaspekt der Nahrungsmittel zum Ausdruck bringen, sowie EU-weite visuelle Werbekampagnen für gesündere Lebensmittel und Ernährungsgewohnheiten unterstützen.

1.7

Die EU-Politik sollte über spezifische Forschungs- und Innovationsprogramme in Verbindung mit finanziellen Anreizen für Lebensmittelerzeuger

eine schrittweise Abkopplung der Landwirtschaft von fossilen Brennstoffen fördern;

eine schonendere Nutzung der Ressourcen wie Boden, Wasser und Nährstoffe im gesamten Erzeugungssystem unterstützen.

1.8

Die Umstellung auf nachhaltige Lebensmittelsysteme erfordert eine umfassende Ernährungspolitik im Zusammenspiel mit einer breitangelegten Bioökonomie-Strategie, nicht allein eine Agrarpolitik. Anstatt einer polarisierenden Debatte ist eine fachübergreifende Denkweise unter Mitwirkung der Generaldirektionen der Kommission, einer Vielzahl von Ministerien und Institutionen in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und der Akteure sämtlicher Lebensmittelsysteme erforderlich, um die in dieser Stellungnahme aufgezeigten miteinander verflochtenen Herausforderungen anzugehen. Der EWSA hofft, dass die zwischen Lebensmittelerzeugung und -konsum bestehende Wechselbeziehung anerkannt und ein geeigneter europäischer Politikansatz unter Einbeziehung verschiedener Privatinitiativen entwickelt werden wird, der den Weg zu Nachhaltigkeit, Gesundheit und Widerstandsfähigkeit aufzeigt. Allerdings werden die gemeinsame Agrarpolitik und die gemeinsame Fischereipolitik auch künftig in der EU eine wichtige Rolle spielen.

2.   Einleitung

2.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erarbeitet diese Stellungnahme auf Ersuchen des niederländischen EU-Ratsvorsitzes, um der zunehmenden Besorgnis der Zivilgesellschaft über die ökologischen, gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Erzeugung und des Verbrauchs von Lebensmitteln Ausdruck zu verleihen und auf die große Herausforderung hinzuweisen, in einer Welt mit knappen Ressourcen die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Lebensmittel bilden einen zentralen Bestandteil aller Gesellschaften; sie sind von natürlichen Ressourcen abhängig und beeinflussen sie zugleich, sie wirken sich auf die öffentliche Gesundheit aus und spielen eine Schlüsselrolle in der europäischen Wirtschaft, da die Lebensmittelbranche in Bezug auf die Beschäftigung und den Beitrag zum BIP der größte Wirtschaftszweig in der Union ist.

2.2

Gemäß der hochrangigen Expertengruppe für Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung des Ausschusses für Welternährungssicherheit ist unter einem nachhaltigen Lebensmittelsystem ein Lebensmittelsystem zu verstehen, das so für Ernährungssicherheit und Ernährung sorgt, dass die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Grundlagen für Ernährungssicherheit und Ernährung der künftigen Generationen nicht gefährdet werden (1). Der Übergang zu widerstandsfähigen und nachhaltigen Lebensmittelsystemen betrifft daher sämtliche miteinander verflochtenen und zusammenspielenden Aktivitäten, die Teil von Lebensmittelerzeugung, -verarbeitung, -transport, -lagerung, -vertrieb und -konsum sind. Auch die Rolle der weltweiten Konsumtrends als Faktoren, die beeinflussen, wie und welche Lebensmittel erzeugt werden, wird anerkannt.

2.3

Der EWSA wird die Frage nachhaltiger Lebensmittelsysteme auf ganzheitliche Weise angehen und sich in erster Linie auf die EU konzentrieren, allerdings werden auch die externen Auswirkungen untersucht, da die EU der weltweit größte Exporteur und Importeur von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln ist.

2.4

Im Jahr 2014 wurde eine Mitteilung zu nachhaltigen Lebensmitteln erwartet, später aber wieder aus dem Arbeitsprogramm der Kommission gestrichen. Im Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft vom Dezember 2015 wurden einige dieser Fragen aufgegriffen, und die Verringerung der Lebensmittelverschwendung wurde als Hauptpriorität aufgenommen, was die von der EU und den Mitgliedstaaten im Rahmen der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen für 2030 eingegangene Verpflichtung widerspiegelt, die Lebensmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren und die Lebensmittelverluste entlang der Produktions- und Lieferketten zu verringern (Nachhaltigkeitsziel 12.3).

3.   Wichtigste Herausforderungen der aktuellen Lebensmittelsysteme

3.1

Dem internationalen Ausschuss für Ressourcenbewirtschaftung (International Resource Panel) der Vereinten Nationen zufolge hat die Lebensmittelerzeugung in Bezug auf den weltweiten Ressourcenverbrauch die größten ökologischen Auswirkungen sämtlicher Wirtschaftsbranchen (2) — in der EU sind sie jedoch weitaus geringer. Im Rahmen der aktuellen Lebensmittelsysteme wird bei der Herstellung von Stickstoffdünger, der Verarbeitung, der Verpackung, dem Transport und der Kühlung auf viele natürliche Ressourcen, einschließlich Land, Boden, Wasser und Phosphor sowie Energie zurückgegriffen. Es überrascht daher nicht, dass sich dies auch auf globaler Ebene auf die Umwelt auswirkt, u. a. in Form des Verlustes an biologischer Vielfalt, der Entwaldung, der Landverödung, der Wasser- und Luftverschmutzung und des Ausstoßes von Treibhausgasemissionen. Der anhaltende Verlust der Vielfalt landwirtschaftlicher Kulturpflanzen bei den landwirtschaftlichen Betrieben gibt nach wie vor Anlass zu großer Sorge (3). Die meisten der weltweiten Fischbestände werden voll befischt oder überfischt. Daher ist eine effiziente und nachhaltige Bewirtschaftung all dieser Ressourcen erforderlich, um eine dauerhafte Versorgung mit gesunden und erschwinglichen Lebensmitteln sicherzustellen.

3.2

Weltweit ist der Verlust oder die Verschwendung eines Drittels der für den menschlichen Verzehr erzeugten Lebensmittel zu verzeichnen, was bis zu 1,6 Milliarden Tonnen Lebensmitteln entspricht und 8 % der weltweiten Treibhausgasemissionen ausmacht (4). Die Erzeugung von nicht verzehrten Lebensmitteln trägt zu mehr als 20 % zur weltweiten Bedrohung der biologischen Vielfalt bei und macht nahezu 30 % der weltweiten Agrarflächennutzung aus.

3.3

Jährlich werden in der EU etwa 100 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet  (5), und ohne Präventionsmaßnahmen wird diese Verschwendung Prognosen zufolge bis 2020 um 20 % zunehmen. In Europa werden entlang der gesamten Versorgungskette Lebensmittel verschwendet, wobei sich die Verschwendung mit schätzungsweise 46 % auf die Privathaushalte konzentriert (6). Es sei darauf hingewiesen, dass im Einzelhandel und im verarbeitenden Sektor in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen worden sind, um die Vermeidung und Verringerung von Lebensmittelverschwendung zu verbessern. Bemühungen um eine nachhaltigere Erzeugung und Versorgungskette haben ohne durchgreifende Maßnahmen zur Verringerung der Verschwendung wenig Sinn.

3.4

Gegenwärtig ist nur sehr wenig über Lebensmittelverluste und das Aufkommen an Lebensmittelabfällen in landwirtschaftlichen Betrieben bekannt (7). Lebensmittelverluste und -verschwendung können durch eine mangelnde Modernisierung in einigen landwirtschaftlichen Betrieben, Auftragsstornierungen und die Volatilität der Rohstoffpreise verursacht werden, die dazu führen, dass die Kulturpflanzen eingepflügt werden, wenn eine Ernte unrentabel ist (aber zumindest hat dies positive Auswirkungen auf die Umwelt, da dadurch der Gehalt an organischen Stoffen im Boden verbessert wird) oder unverkäufliche Lebensmittel entsorgt und kompostiert werden. Eine weitere große Herausforderung, die zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, sind die erheblichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Wetterbedingungen und der Ausbruch möglicher Krankheiten. Werden diese Auswirkungen einbezogen, so kann vieles als jährlich verursachte Lebensmittelverschwendung angesehen werden. Im Vergleich zu anderen Teilen der Welt hat sich die EU sehr aktiv um eine Lösung dieses Problems bemüht, weshalb sie die Verbreitung ihrer bewährten Verfahren und ihres Know-how in diesem Bereich fördern sollte.

3.5

Die Lebensmittelsysteme gehören zu den Verursachern des Klimawandels; umgekehrt werden sie maßgeblich davon beeinflusst (8). Der Klimawandel wird die Verfügbarkeit grundlegender natürlicher Ressourcen beeinträchtigen (Wasser, Boden) und so in einigen Gebieten die Bedingungen für die Lebensmittelerzeugung und die industrielle Produktion tiefgreifend verändern (9). Die Lebensmittelproduktion wird bereits jetzt von extremen Wetterverhältnissen wie Überschwemmungen, Dürren, Bränden und Stürmen sowie der zunehmenden klimabedingten Verbreitung von Pflanzen- und Tierkrankheiten beeinflusst, was künftig sogar noch stärker der Fall sein wird.

3.6

Unterernährung existiert in der heutigen Welt parallel zu den Auswirkungen eines Lebensmittelüberflusses in bestimmten Teilen der Welt. Etwa 795 Millionen Menschen leiden Hunger, während die Zahl der Übergewichtigen/Fettleibigen inzwischen mehr als 1,4 Milliarden weltweit beträgt, was ca. 30 % aller Erwachsenen ausmacht, und durch Fettleibigkeit bedingte Erkrankungen sowohl in den Entwicklungs- als auch den Industrieländern rasch zunehmen (10). Diese Zahlen weisen auf ein ausgeprägtes Ungleichgewicht bei der Erzeugung, dem Vertrieb und dem Konsum von Lebensmitteln hin. Beide Probleme werden künftig infolge des Bevölkerungswachstums und eines bis 2050 Prognosen zu Folge um 82 % ansteigenden weltweiten Fleischkonsums noch verschärft werden (11). Im Verlauf der letzten 20 Jahre ist es im Zuge der weltweiten Verstädterung und des globalen Wirtschaftswachstums zu einem Ernährungswandel gekommen, wodurch sich Lebensmittelerzeugung und -konsum verändert haben. Weltweit ist beim Ernährungsverhalten ein Trend hin zu mehr zusammengesetzten Erzeugnissen, mehr Fleisch und Milchprodukten, mehr Zucker und mehr zuckerhaltigen Getränken zu beobachten (12). Zugleich zeichnet sich die Lebensweise von immer mehr Menschen durch sitzende Tätigkeiten aus, was zu Bewegungsmangel führt.

3.7

Als Quelle hochwertiger Proteine und weiterer Nährstoffe wie Vitamine und Mineralien ist die Viehzucht ein wichtiger, unverzichtbarer Faktor in Lebensmittelsystemen. Auch bei den innerbetrieblichen und regionalen Nährstoffkreisläufen sowie beim Schutz offener und diversifizierter Landschaften, Dauergrünflächen, naturnaher Lebensräume und bei der Bewahrung der Artenvielfalt spielt die Viehhaltung eine wesentliche Rolle. Außerdem bietet sie den Menschen ein Einkommen, Vermögen und eine Existenzgrundlage. Zudem gibt es in der EU zahlreiche landwirtschaftliche Nutzflächen, die nur für die Nutzung als Weideland geeignet sind. Im Zuge der letzten 50 Jahre war jedoch ein mehr als vierfacher Anstieg der weltweiten Fleisch- und Eierproduktion zu verzeichnen, während sich die Milchproduktion mehr als verdoppelt hat. Im gleichen Zeitraum hat sich die Weltbevölkerung nur verdoppelt (13). Es sei darauf hingewiesen, dass sich auch die Zusammensetzung der Nachfrage verändert hat und die zunehmende Fleisch-, Milch- und Eierproduktion darauf zurückzuführen ist, dass das Einkommen gestiegen ist, während die Preise niedrig geblieben sind.

3.8

Werden für den menschlichen Verzehr angebaute pflanzliche Lebensmittel, für Vieh angebaute pflanzliche Futtermittel und der Anbau von als Saatgut und für industrielle Zwecke eingesetzten Nahrungsmittelpflanzen wie Biokraftstoffe eingerechnet, so wird derzeit auf der Welt anderthalb Mal die Menge an Lebensmitteln produziert, die erforderlich ist, um die heutige Bevölkerung zu ernähren, voraussichtlich genug, um die Ernährung der Bevölkerung von 2050 zu sichern. Aufgrund des derzeitigen Ausmaßes der weltweiten Lebensmittelverschwendung und der Erzeugung von Futtermitteln zur Befriedigung des zunehmenden Fleischkonsums wird die Nachfrage nach einer erheblichen Steigerung der Lebensmittelerzeugung geschaffen. Für eine nachhaltige Ernährung der Weltbevölkerung im Jahr 2050 und darüber hinaus braucht es eine Kombination aus einer Steigerung der Produktivität und Gewinnen infolge einer Optimierung bei existierenden landwirtschaftlichen Flächen und in der Fischerei, die mit der Umweltstabilität und -qualität, dem Gesundheitsschutz und der Sicherheit am Arbeitsplatz und mit sozialer Gerechtigkeit vereinbar ist, sowie eine Umstellung auf eine nachhaltige Ernährungsweise und einer nachhaltigen Verringerung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung.

3.9

Durch steigende Preise bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen und landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und zunehmende Preisschwankungen in den letzten zehn Jahren wurde die Ernährungssicherheit und die Solidität des Lebensmittelsystems in Frage gestellt, während zugleich sowohl bei den Verbrauchern als auch den Erzeugern große Sorge geweckt wurde. Einerseits haben die hohen Endpreise nicht zu einem höheren Einkommen der Erzeuger geführt (die Verringerung oder Stagnation der Einkünfte bedeutet im Gegenteil eine Beeinträchtigung des Faktors Arbeit, wodurch die Stabilität des Einkommens aller Wirtschaftsteilnehmer bedroht wird) und andererseits wurde durch die Wirtschaftskrise die Kaufkraft der Verbraucher geschmälert. Alle Akteure entlang der gesamten Lebensmittelversorgungskette benötigen ein stabiles und angemessenes Einkommen, um weitere tragfähige und dauerhafte Investitionen in Agrarumwelttechnologien und klimafreundlichen Verfahrensweisen zu gewährleisten.

3.10

Die jüngsten Entwicklungen auf den Agrarmärkten, insbesondere in der Milchwirtschaft, liefern klare Anhaltspunkte für ein derartiges Ungleichgewicht, das nicht nur auf ein Überangebot auf dem Markt, sondern auch auf politisch motivierte Verbote auf ehemaligen Exportmärkten zurückzuführen ist. Die künftige Stabilität wird weitgehend davon abhängen, wie widerstandsfähig die Versorgungsgrundlage gegenüber Schocks ist, von denen der Klimawandel der bedeutendste ist. Im Rahmen der EU-Politik sollten eine Diversifizierung der landwirtschaftlichen Betriebe, innovative Finanzierungsmethoden, Einkommensversicherungen und andere innovative Marktsteuerungsinstrumente, die Schutz vor Klimastörungen oder Marktturbulenzen bieten, intensiv gefördert werden.

3.11

Die sozialen Auswirkungen und Umverteilungseffekte der Lebensmittelpreise müssen sowohl aus Hersteller- als auch Verbrauchersicht betrachtet werden. Heutzutage können sich viele Verbraucher keine Lebensmittel höchster Qualität leisten. In den letzten Jahren haben sich die Machtverhältnisse in der Lebensmittelversorgungskette verändert, was zu einer zunehmenden Marktkonzentration von Lebensmittelerzeugern und -einzelhändlern und somit zu einer Verlagerung der Verhandlungsmacht geführt hat, zumeist zugunsten des Einzelhandels und zum Nachteil der Primärerzeuger. Dieses Thema wird in einer gesonderten Stellungnahme des EWSA zum Thema „Eine gerechtere Lebensmittelversorgungskette“ behandelt werden.

3.12

Im Zuge der zunehmenden Schwerpunktverlagerung im Welthandel in Richtung bilateraler und großregionaler Verhandlungen — nachdem sich die Doha-Runde der WTO immer weiter hinzieht — müssen unbedingt die ökologischen und klimatischen Auswirkungen, die Lebensmittelqualität und Gesundheitsstandards, die gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Normen im Allgemeinen, sowie der Herstellungsprozess (das „industrielle Ökosystem“ der Erzeugung, die Arbeitsbedingungen, der kulturelle Kontext der Produktion und die Arbeitsbeziehungen) in vollem Umfang berücksichtigt werden. Für die EU ist es zwingend erforderlich, die Verlagerung der Lebensmittelproduktion in Drittländer zu vermeiden, sofern sie allein oder größtenteils darauf zurückzuführen ist, dass dort die Rechtsvorschriften für die Lebensmittelherstellung weniger anspruchsvoll als in der EU sind. Der EU-Politik kommt weltweit eine Schlüsselrolle bei der Förderung einer sicheren und gesunden Lebensmittelerzeugung und dem Verbot der Einfuhr von nicht die gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Normen oder europäischen Lebensmittelsicherheitsnormen erfüllenden Lebensmitteln zu.

3.13

Seit 140 Jahren haben die Erzeugergenossenschaften eindeutig eine größere Widerstandsfähigkeit gegenüber Turbulenzen auf den Agrarmärkten und gegenüber einer Verlagerung der landwirtschaftlichen Erzeugung unter Beweis gestellt. Daher ist eine weitere, sogar noch stärkere branchenbezogene und auf die einzelnen Regionen ausgerichtete Förderung der Zusammenarbeit zwischen Erzeugern und Genossenschaften, vor allem kleinen Genossenschaften, von größter Wichtigkeit. Insbesondere sollte besonderes Gewicht auf die Sektoren und Regionen gelegt werden, in denen die Zusammenarbeit gering ist.

4.   Haupthandlungsbereiche für einen Übergang zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen

Förderung einer ressourcenschonenderen und klimaresistenteren Lebensmittelproduktion

4.1

Eine Verringerung der ökologischen Auswirkungen der Landwirtschaft, Aquakultur und Fischerei, einschließlich der Treibhausgasemissionen, erfordert einen Wandel bei der Lebensmittelproduktion. Um den Abbau der natürlichen Ressourcen zu stoppen und sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen und diesen einzudämmen, bedarf es nachhaltigerer Bewirtschaftungsmethoden. Die landwirtschaftliche Produktivität sowie die ökologische Nachhaltigkeit und die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel ließen sich mit mehreren Maßnahmen wie etwa einer stärkeren Diversifizierung der Pflanzen- und Tierarten, einer Verbesserung des Tiermaterials durch Zucht, der Pflanzenzucht, einer erweiterten Funktionsvielfalt der Agrarökosysteme und einer verbesserten Wasserbewirtschaftung, der Förderung von Forschung und Innovation mit der Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis, der Optimierung der Bodenfunktionen, der Erleichterung des Wissenstransfers sowie der Fortbildung und der Förderung des technischen Wandels durch die Unterstützung von Investitionen steigern. Eine Weiterentwicklung der EU-Satellitensysteme und großer Rechenzentren sollte gefördert werden, um die Früherkennung und Prävention oder die Reaktionsfähigkeit bei extremen Witterungsverhältnissen und verschiedenen Krankheiten zu erleichtern. Auch die Präzisionslandwirtschaft sollte gefördert werden.

4.2

Die Aufrechterhaltung des Modells des landwirtschaftlichen Familienbetriebs in Europa ist ebenfalls von grundlegender Bedeutung und erfordert die Förderung eines Generationswechsels in den Betrieben, um der Alterung der Bevölkerung entgegenzuwirken. Dies würde sich positiv auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in ländlichen Gebieten auswirken. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die diversifizierte landwirtschaftliche Erzeugung in allen Regionen der EU erhalten werden kann. Besondere Beachtung muss dabei den benachteiligten Agrargebieten geschenkt werden. Es sollten unterschiedliche Arten landwirtschaftlicher Betriebe anerkannt und zu diesem Zweck spezifische gezielte Instrumente eingeführt werden.

4.3

In den letzten Jahren wurden die Lebensmittelversorgungsketten umstrukturiert, um die Erzeuger und Verbraucher einander wieder näherzubringen und die Agrar- und Lebensmittelproduktion zu relokalisieren. Hierzu gehören die gemeinschaftsunterstützte Landwirtschaft, kurze Versorgungsketten, alternative Lebensmittelnetzwerke, lokale Bewirtschaftungssysteme und der Direktverkauf. Auch wenn es sich um einen relativ kleinen Sektor handelt, so sollte er doch weiter gefördert werden, da er nicht nur im Zusammenhang mit dem Verkauf frischer, gesunder und traditioneller Lebensmittel sehr positive Auswirkungen hat, sondern sich auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht positiv auswirkt. Auch die KMU leisten in diesem Bereich einen wichtigen Beitrag. Die besondere Rolle der städtischen Gemeinden sollte hervorgehoben werden, denn in städtischen Gebieten sollte für die erforderliche Infrastruktur und angemessene Investitionen gesorgt werden, um den Erzeugern den Direktverkauf zu erleichtern. Darüber hinaus sollten auch bewährte Verfahren der Privatwirtschaft gefördert werden, beispielsweise wenn eine solche Infrastruktur auf die private Initiative lokaler Einkaufszentren hin geschaffen wird.

4.4

Um Anreize für eine ressourcenschonendere Lebensmittelherstellung zu schaffen, wurde im Zuge der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) eine Kombination von Maßnahmen eingeführt — darunter obligatorische Ökologisierungsmaßnahmen, Agrarumweltprogramme und eine breite Unterstützung durch landwirtschaftliche Betriebsberatung und angewandte Forschung —, um den Herausforderungen im Zusammenhang mit Ernährungssicherheit, Klimawandel und nachhaltiger Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen zu begegnen und zugleich das Landschaftsbild des ländlichen Raums und die Lebensfähigkeit der ländlichen Wirtschaft zu erhalten. Dies kann als wichtiger Schritt in die richtige Richtung gesehen werden; allerdings ist die Umsetzung sowohl im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand als auch die erzielten Gewinne verbesserungswürdig.

4.5

Hinsichtlich der Fischereikette ist es wichtig, für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen gesund und nachhaltig zu sorgen, denn der Verzehr von Fisch ist zwar gesund, doch eine Überbeanspruchung der Fischbestände steht in diametralem Gegensatz zu ökologischer Nachhaltigkeit. Die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik von 2013 dürfte zu einer effizienteren Nutzung der Fischereiressourcen beitragen, insbesondere dank des für alle europäischen Fischbestände vorgegebenen verbindlichen Ziels des höchstmöglichen Dauerertrags. Auch eine nachhaltige Entwicklung der Modelle für die Aquakultur auf vor der Küste und an Land ist wichtig.

Förderung der Vermeidung und Verringerung von Lebensmittelverschwendung entlang der Lebensmittelversorgungskette

4.6

In dem Paket zur Kreislaufwirtschaft ist die von der EU und den Mitgliedstaaten eingegangene Verpflichtung festgehalten, bis 2030 das Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen 12.3 der Halbierung der Lebensmittelverschwendung zu erfüllen. Um die Erreichung dieses Ziels zu erleichtern, sollte die Hierarchie der Verwendung von Lebensmitteln als Leitprinzip bei der Bewirtschaftung der Nahrungsmittelressourcen dienen, was in allen relevanten Politikbereichen der EU durch wirtschaftliche Anreize gefördert werden sollte. Hierdurch würde die aktuelle Situation vermieden, in der es häufig kostengünstiger ist, noch zum Verzehr geeignete Lebensmittel zu entsorgen, als Lebensmittel zu verwerten und an Lebensmittelbanken weiterzugeben.

4.7

Eine nachhaltige Bewirtschaftung der Ressourcen erfordert außerdem verstärkte Bemühungen um die bestmögliche Verwertung von Restbeständen. Neue Untersuchungen zum Vergleich der in der EU-28 für die Zurichtung der Lebensmittel für die Umverteilung, Futtermittel, die anaerobe Zersetzung und die Deponierung anfallenden Kosten würden dazu beitragen, die Rolle zu ermitteln, die wirtschaftliche Anreize bei der ordnungsgemäßen Anwendung der Abfallhierarchie der EU spielen. Lebensmittelspenden des Hotel- und Gaststättengewerbes und der Gastronomie sind nach wie vor problematisch, und die diesbezüglichen Rechtsvorschriften werden noch immer nicht richtig verstanden. Dies ist ein Schlüsselbereich, in dem den Hotels und Gaststätten umfassend zur Kenntnis gebrachte europäische Leitlinien besonders nützlich wären.

4.8

Außerdem wird in dem Paket zur Kreislaufwirtschaft festgestellt, dass die derzeit geltenden Leitlinien für die Verwendung von für den menschlichen Verzehr ungeeigneten Lebensmitteln als Futtermittel geklärt werden müssen. Mit soliden Rechtsvorschriften zur Regulierung neuer Techniken für die Sterilisierung von Lebensmittelabfällen auf zentraler industrieller Ebene ließe sich die mikrobiologische Sicherheit von Futtermitteln sicherstellen, wobei zugleich neue Arbeitsplätze und Investitionsmöglichkeiten geschaffen sowie die ökologischen Vorteile einer wirksameren Anwendung der Abfallhierarchie genutzt werden könnten.

4.9

Da Verbraucherbewusstsein und -akzeptanz von grundlegender Bedeutung ist, wird die Bereitstellung von Lehrmaterial in Bezug auf Lebensmittel, die Nachhaltigkeit der Lebensmittel und die Lebensmittelverschwendung angestrebt, um die Lebensmittel aufzuwerten und systemische Verhaltensänderungen zu fördern. Module für Grund- und Sekundarschulen und Hochschulen sowie spezifische Programme im Agrarsektor, in der verarbeitenden Industrie und im Hotel- und Gaststättengewerbe, die auf einem breiten Spektrum an bewährten Verfahren aufbauen, sind bereits verfügbar.

4.10

Die EU fördert seit einigen Jahren proaktiv Maßnahmen zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung. Das beispielhafte Vorangehen der EU bei der Verwirklichung des Ziels 12.3 wird für den Erfolg dieses Ziels insgesamt ausschlaggebend sein, wie etwa die Verbreitung von bewährten Verfahren und Know-how Europas.

Stärkere Verflechtung zwischen Lebensmittelsystemen und Klimaschutzstrategien

4.11

Die Auswirkungen des Klimawandels sind bei allen Dimensionen der Ernährungssicherheit zu spüren — nicht nur bei den Erträgen und der Ernte, sondern auch bei der Gesundheit der Landwirte, der Verbreitung von Schädlingen und Krankheiten, dem Verlust der biologischen Vielfalt, der Einkommensinstabilität, der Wasserqualität usw. Auch der Verlust landwirtschaftlich nutzbarer Flächen infolge der Bodenverarmung und der Urbanisierung von Agrarflächen stellt ein potenzielles Problem dar. Daher ist es wichtig, auch weiterhin die vorhandenen Flächen vorrangig für die Lebensmittelerzeugung zu nutzen. Die Institutionen und die Privatwirtschaft spielen eine wesentliche Rolle bei der Sicherstellung der Widerstandsfähigkeit der Lebensmittelsysteme, z. B. durch die Stärkung der Sozialschutzsysteme mit dem Ziel, die Auswirkungen von Schocks auf die Haushalte abzumildern, und kontinuierliche Investitionen in kohlenstoffarme Technologien im Agrar- und Lebensmittelsektor, durch eine größere Anbaudiversifizierung und eine verstärkte Entwicklung genetischer Ressourcen, durch Investitionen in die Entwicklung einer widerstandsfähigen Landwirtschaft, sowohl innerhalb als auch außerhalb landwirtschaftlicher Betriebe, und durch die Einführung von Systemen für ein besseres Risikomanagement im Zusammenhang mit dem Klimawandel.

4.12

In Anbetracht der wirtschaftlichen Säule der Nachhaltigkeit müssen die Kommission und die Mitgliedstaaten sowohl dem Minderungs- als auch dem Bindungspotenzial Rechnung tragen und zugleich alle verfügbaren Mittel der finanziellen Unterstützung bei der Umsetzung zur Verfügung stellen sowie innovative Mechanismen für die Zusammenarbeit im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften fördern. Zusätzliche Indikatoren für Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft, existierende Flächen, Ernährungsgewohnheiten und Lebensmittelverluste und -verschwendung würden das Bild der Auswirkungen der Lebensmittelsysteme auf den Klimawandel vervollständigen.

Förderung gesünderer und nachhaltigerer Ernährungsgewohnheiten

4.13

Gesunde Ernährungswahl ist häufig gleichbedeutend mit einer Entscheidung für Nachhaltigkeit (14), insbesondere bei einer ausgewogenen Ernährung. So kommt zum Beispiel der verstärkte Verzehr saisonaler, lokaler und unterschiedlicher pflanzlicher Nahrungsmittel sowohl der Gesundheit als auch der Umwelt zugute. Durch gesündere Ernährungsgewohnheiten werden auch das Risiko chronischer Krankheiten, die Gesundheitskosten und der Verlust der Arbeitsproduktivität in der Wirtschaft gesenkt. Es sind Grundsätze für die Ausarbeitung von Leitlinien für eine gesunde und nachhaltige Ernährungsweise erforderlich; dies könnten etwa die Mitgliedstaaten ins Auge fassen. Ernährungs- und Beschaffungsleitlinien wirken sich unmittelbar auf den Konsum aus, wenn sie von öffentlichen Institutionen wie Schulen und Krankenhäuser eingeführt werden. Außerdem sollten der bei der Ernährung weltweit stattfindende Wandel und die Vorbildfunktion der EU in Bezug auf eine nachhaltige Ernährungsweise anerkannt werden. Ein Flexitarier-Konzept zur Reduzierung des Fleischkonsums — mindestens einmal wöchentlich kein Fleisch —, wie es beispielsweise in den Niederlanden gefördert wird, kann in diesem Zusammenhang als gutes Beispiel betrachtet werden.

4.14

Initiativen wie das Schulobst- und -gemüseprogramm der EU, die eine Ernährungsberatung sowie die Verteilung nährstoffreicher Lebensmittel umfassen, tragen zu einer ausgewogeneren Ernährung bei. Die Kommission sollte die Mitgliedstaaten auffordern, einen gesunden und nachhaltigen Konsum anzuregen. EU-weit sollten visuelle Werbekampagnen für gesunde Ernährung gefördert werden; hiermit ließe sich auch bei Turbulenzen auf den Weltmärkten gut der lokale Konsum steigern.

4.15

Da sich die Verbraucher immer stärker an billige Lebensmittel gewöhnt haben, sollte der wahre Wert von Lebensmitteln wieder hervorgehoben werden. Bei Billigprodukten werden keine externen Effekte wie die Kosten für die Wasseraufbereitung eingerechnet. Wie bereits erwähnt ist eine Ernährungserziehung in den Schulen erforderlich, ebenso wie Kenntnisse über gesunde Ernährungsgewohnheiten und die Vermittlung grundlegender Kochkenntnisse, die aufgrund der zu Hause entsprechend den Ernährungsempfehlungen zubereiteten Gerichte der Gesundheit zuträglich sein und zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen beitragen können.

4.16

Es ist festzustellen, dass das niederländische Ministerium für Gesundheit, Wohlergehen und Sport gemeinsam mit Verbänden des Erzeugersektors, des Einzelhandels, der Gastronomie sowie des Hotel- und Gaststättengewerbes eine Vereinbarung über die Verbesserung der Lebensmittelzusammensetzung auf den Weg gebracht hat, mit der für gesündere Erzeugnisse gesorgt und eine gesunde Ernährungswahl erleichtert werden soll. Diese Vereinbarung enthält ehrgeizige Ziele zur schrittweisen Reduzierung des Gehalts von Lebensmitteln an Salz, gesättigten Fettsäuren und Kalorien bis 2020 bei minimal spürbarer Geschmacksveränderung (15). In der vorliegenden Stellungnahme wird die Umsetzung des EU-Rahmens für nationale Initiativen zu bestimmten Nährstoffen gefordert, insbesondere des kürzlich angenommenen Anhangs zu Zuckerzusätzen.

4.17

Die Produktentwicklung, die Marktentwicklung und der Aufbau von Schlüsselpartnerschaften können dazu beitragen, eine gesündere und nachhaltige Ernährungswahl einfach und attraktiv zu machen. Die Industrie und die Zivilgesellschaft sollten Chancen zur Erhöhung des Konsums von saisonalem und lokalem Obst und Gemüse und anderen von Natur aus ballaststoffreichen Erzeugnissen wie Vollkornprodukten oder Hülsenfrüchten ausloten und ergreifen. Die Ausrufung dieses Jahres zum internationalen Jahr der Hülsenfrüchte durch die Vereinten Nationen wird als guter Ausgangspunkt betrachtet.

4.18

Die Einführung eines klaren Systems zur Kennzeichnung des Ursprungs, der Herstellungsverfahren und des Nährwerts von Lebensmitteln würde den Verbrauchern die Wahl erleichtern. Auch die Rückverfolgbarkeit ist sowohl für die Lebensmittelerzeuger als auch für die Verbraucher von großer Bedeutung, um die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Ein einheitliches, leicht verständliches Gütesiegel „Nachhaltiges Lebensmittel“ sollte in Betracht gezogen und dessen Machbarkeit von der Kommission geprüft werden. Eine größere Schwerpunktsetzung auf Technologien wie mobile Apps sowie Warenauszeichnungen im Einzelhandel, die alle erforderlichen Informationen und eine lückenlose Rückverfolgbarkeit bieten, sollte stärker gefördert werden.

Ausbau der Wissensbasis und Mobilisierung von Forschung und Innovation

4.19

Viele Herausforderungen bei der weltweiten Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit erfordern die Beteiligung der Forschungsgemeinschaft, um Wissen hervorzubringen, die Innovation voranzutreiben, mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten und zur Schaffung eines nachhaltigeren Lebensmittelsystems beizutragen. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms der EU Horizont 2020 und des ehemaligen 7. Forschungsrahmenprogramms umfangreiche Mittel bereitgestellt. Allerdings wurde die Forschung auf dem Gebiet der Ernährung sowie von Lebensmittelverlusten und -verschwendung nicht angemessen berücksichtigt; hier sind noch verstärkte Bemühungen erforderlich. Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Initiative der Kommission einer langfristigen Strategie für Forschung und Innovation in der EU-Landwirtschaft und außerdem den jüngsten ehrgeizigen Beschluss der GD RTD, eine umfassende Strategie für einen Lebensmittelforschungsraum in der EU zu entwickeln. Europa kann außerdem über das SWITCH-Programm auch in anderen Regionen der Welt einen nachhaltigen Wandel im Ernährungsbereich sowie eine Verringerung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung ermöglichen (16).

4.20

Der Wissenschaftliche Lenkungsausschuss der EU für die Expo 2015 in Mailand ermittelte in sieben umfassenden Bereichen Herausforderungen für die Forschung und betonte, wie wichtig es ist, systemische Ansätze zu fördern und in inter- und transdisziplinäre Forschung zu investieren. Auch die Einrichtung eines internationalen Gremiums für Lebensmittel und Ernährungssicherheit wurde empfohlen, was ein klarer Schritt zur Förderung eines interdisziplinären und sektorübergreifenden Ansatzes wäre.

4.21

Forschung, Innovation und Entwicklung sind die wesentlichen Impulsgeber für den Übergang zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem im Einklang mit den Klimazielen. Der Ausschuss appelliert an die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten, für Arbeiten in diesem Bereich mehr Mittel bereitzustellen, und plädiert für gemeinsame Anstrengungen und den Austausch der Ergebnisse unter den Forschern, Fachleuten und anderen Akteuren. Der im Rahmen des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) geförderten Europäischen Innovationspartnerschaft „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ (EIP-AGRI) kommt eine wesentliche Rolle dabei zu, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Interessenträgern zu stärken und für eine engere Beziehung zwischen den Fachleuten und Forschern zu sorgen. Darüber hinaus ist der mehrere Akteure einbeziehende Ansatz im Rahmen von Horizont 2020 ein wichtiges Instrument, um sicherzustellen, dass Landwirte eine Schlüsselrolle in diesem Prozess spielen. Ausschlaggebend für die erfolgreiche Umsetzung von Innovationen ist die gezielte Information der Endnutzer im gesamten Lebensmittelsystem über Beratungs- und Bildungseinrichtungen und die aktive Einbeziehung der Endnutzer in die Forschungs- und Innovationstätigkeiten.

4.22

Der Ausschuss betont, dass der Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und bestehender Kommissionsprogramme wie Galileo und Copernicus in der Landwirtschaft zur Verbesserung nachhaltiger Rohstofferzeugungsverfahren in der EU beiträgt. Der EWSA plädiert für weitere Forschung und Entwicklung bei der Anwendung der IKT in allen Bereichen der Lebensmittelerzeugung. Diese Verfahren sind von entscheidender Bedeutung, um weitere präzise und ressourcenschonendere Lebensmittelerzeugungsmethoden sowie die Früherkennung von Krankheiten, Klimastörungen und extremen Wetterverhältnissen zu fördern. Dies könnte wiederum zu weniger Lebensmittelverlusten in der Primärerzeugung führen. Außerdem sollte die Forschung stärker auf die Bewertung des Potenzials innovativer Bewirtschaftungsmethoden (wie z. B. urbane Landwirtschaft) sowie auf die Verbesserung der Futtermittel ausgerichtet werden.

Bewältigung des Problems von Tier- und Pflanzenkrankheiten für ein stabileres Lebensmittelsystem

4.23

Die durch den globalisierten Handel und den weltweiten Klimawandel noch verstärkte Verbreitung von Tierseuchen und -krankheiten sowie Pflanzenschädlingen und -krankheiten fügt den Lebensmittelsystemen Schaden zu. Der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest oder der massenhafte Befall von Olivenbäumen in Süditalien mit dem Bakterium Xylella fastidiosa sind nur einige wenige Beispiele aus jüngster Zeit dafür, wie Pflanzen- und Tierkrankheiten das Lebensmittelsystem aus dem Gleichgewicht bringen und zu Lebensmittelverlusten führen können. Zwar verfügt die EU über das nahezu beste Früherkennungs- und Präventionssystem der Welt, doch könnten ihre Politik und ihr Rechtsrahmen im Bereich Tier- und Pflanzengesundheit weiterentwickelt und durch eine stärkere Ausrichtung auf die Krisenprävention, eine bessere Überwachung, Früherkennung und Abwehrbereitschaft und ein besseres Management sowie die Erkennung und Bewertung aufkommender oder neuer Risiken, sowohl inner- als auch außerhalb der EU, gestärkt werden. Für Tierkrankheiten gibt es bereits ein Netz von Referenzlaboren, nicht aber für Pflanzenkrankheiten. Wissen und Forschung sind die wichtigsten Säulen der Prävention. Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, bei der dringenden Finanzierung von Zentren für die Erforschung von Tierkrankheiten und der Einrichtung von Referenzlabors für Pflanzenkrankheiten noch größeren Ehrgeiz zu zeigen. Auch die Früherkennungs- und Präventionssysteme sollten gestärkt werden, und zugleich sollte sichergestellt werden, dass die Lebensmittelerzeuger und anderen Akteure (z. B. Landarbeiter) für Verluste angemessen entschädigt werden, u. a. für den wirtschaftlichen Schaden, der den Landwirten entsteht, wenn bei Ausbruch von Seuchen im allgemeinen öffentlichen Interesse Handelsbeschränkungen auferlegt werden. Außerdem muss schwerpunktmäßig auf eine stärkere Diversifizierung der Bewirtschaftungssysteme abgehoben werden, die im Hinblick auf ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber biotischem Stress solider sind.

4.24

Investitionen in die Forschung sollten auf die Prävention und Früherkennung ausgerichtet werden, da die Behandlung und Ausmerzung einer bereits ausgebrochenen Krankheit sehr kostspielig sein und erhebliche Störungen bewirken kann. Der Aufbau von Kapazitäten und die Sensibilisierung sind ebenso wichtig wie der Transfer von Wissen von den Forschern zu den Landwirten und anderen Marktteilnehmern. Der Austausch von Wissen und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten sind notwendig. Die EU sollte unverbindliche Vorschriften, Leitlinien und Instrumente für eine bessere Überwachung bereitstellen; auch strengere Einfuhrkontrollen sind erforderlich. Darüber hinaus ist die Lösung des Problems der Antibiotikaresistenz unerlässlich, und es sollte ein integrierter Ansatz, bei dem die medizinische Versorgung von Menschen und Tieren kombiniert wird („One-Health“-Konzept), verfolgt werden.

Brüssel, den 26. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Hochrangige Expertengruppe für Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung (HLPE) (2014): Food losses and waste in the context of sustainable food systems, HLPE-Bericht, Rom: HLPE.

(2)  http://www.unep.org/resourcepanel/Portals/24102/PDFs/PriorityProductsAndMaterials_Summary_EN.pdf.

(3)  COM(2013) 838 final, http://ec.europa.eu/agriculture/genetic-resources/pdf/com-2013-838_de.pdf.

(4)  FAO (2011): Global food losses and food waste.

(5)  Eine Definition der Vereinten Nationen der Begriffe Lebensmittelverluste und Lebensmittelverschwendung ist unter folgender Adresse zu finden: http://thinkeatsave.org/index.php/be-informed/definition-of-food-loss-and-waste.

(6)  FUSIONS (2016): Schätzungen des Ausmaßes der Lebensmittelverschwendung in Europa. http://eu-fusions.org/phocadownload/Publications/Estimates%20of%20European%20food%20waste%20levels.pdf.

(7)  EU-Datensatz für 2015 von FUSIONS; Vorstudie der Europäischen Kommission zur Lebensmittelverschwendung, 2011, http://eu-fusions.org/index.php/publications, http://ec.europa.eu/environment/eussd/pdf/bio_foodwaste_report.pdf.

(8)  EUA (2015): http://www.eea.europa.eu/signals/signals-2015/articles/agriculture-and-climate-change.

(9)  See EU Strategy on adaptation to climate change (COM(2013) 216 final).

(10)  WHO (2015): Daten der Beobachtungsstelle für weltweite Gesundheit (Global Health Observatory — GHO). Verfügbar unter: http://www.who.int/gho/ncd/risk_factors/obesity_text/en/.

(11)  WRR (2015): Towards a food policy.

(12)  Niederländisches Kabinett (2015) Food agenda: for safe, healthy and sustainable food (Lebensmittelagenda: für sichere, gesunde und nachhaltige Lebensmittel).

(13)  FAOSTAT, 2015.

(14)  Niederländischer Gesundheitsrat, Guidelines for a healthy diet: the ecological perspective, Veröffentlichung Nr. 2011/08, Den Haag: Niederländischer Gesundheitsrat (Gezondheidsraad).

(15)  Zweite Kammer des niederländischen Parlaments 2014-2015, 32793 Nr. 162.

(16)  http://www.switch-asia.eu.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/73


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein Nachhaltigkeitsforum der europäischen Zivilgesellschaft“

(Sondierungsstellungnahme)

(2016/C 303/09)

Berichterstatterin:

Brenda KING

Mitberichterstatter:

Roman HAKEN

Der niederländische Ratsvorsitz beschloss am 16. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

Ein Nachhaltigkeitsforum der europäischen Zivilgesellschaft

(Sondierungsstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt nahm ihre Stellungnahme am 11. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 26. Mai) mit 148 Stimmen bei 1 Gegenstimme und ohne Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Seiner Meinung nach wurde mit der Annahme dieser Agenda und dem auf der COP 21 geschlossenen Übereinkommen von Paris zum Klimawandel ein großer Durchbruch für eine globale und integrierte Vorgehensweise zur Beseitigung von Armut, zur Förderung des Wohlstands für alle und zum Schutz der natürlichen Ressourcen unseres Planeten erzielt.

1.2

Der EWSA empfiehlt die Errichtung eines europäischen Forums für nachhaltige Entwicklung (kurz „Nachhaltigkeitsforum“) in Partnerschaft mit der Europäischen Kommission und Vertretern der Zivilgesellschaft als Plattform für die Einbeziehung eines breiten Spektrums zivilgesellschaftlicher Organisationen und Interessenträger in den Aufbau des Rahmens für die Umsetzung, kontinuierliche Überwachung und Überprüfung dieser Agenda in der EU.

1.3

Die neue Agenda mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDG) richtet sich universell gleichermaßen an Entwicklungsländer und an Industrieländer und fordert allseitig einen umfassenden Wandel. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen all ihre politischen Maßnahmen, nicht nur ihre Entwicklungspolitiken, in ausgewogener und kohärenter Weise darauf ausrichten.

1.4

Als treibende Kräfte bei der Vorbereitung der 2030-Agenda der Vereinten Nationen sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten auch bei ihrer Umsetzung und dem Aufbau des Governance-Rahmens mit gutem Beispiel vorangehen. Der EWSA begrüßt daher das Vorhaben der Europäischen Kommission, 2016 eine neue Initiative „Nächste Schritte für eine nachhaltige Zukunft Europas“ (1) auf den Weg zu bringen, weil sie ein neues und dringend erforderliches Konzept beinhaltet, um gleichzeitig Wirtschaftswachstum und soziale und ökologische Nachhaltigkeit in Europa über das Jahr 2020 hinaus zu gewährleisten und die Nachhaltigkeitsziele in der internen und externen Politik der EU in einem integrierten Ansatz zu verwirklichen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, dieser Initiative hohe Priorität einzuräumen und einen partizipativen Governance-Rahmen vorzusehen. Seiner Meinung nach ist diese Initiative ein notwendiger Schritt zur Stärkung des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung in ganz Europa, indem eine integrierte Strategie für ein nachhaltiges Europa in einer globalisierten Welt mit einem Zeithorizont von mindestens 2030 aufgelegt wird, die den Rahmen für die Umsetzung in den Mitgliedstaaten vorgibt.

1.5

Der EWSA verpflichtet sich dazu, zur vollständigen Umsetzung der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung in der EU beizutragen. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ist er besonders gut positioniert, um für eine starke Teilhabe der Zivilgesellschaft an diesem Vorhaben zu sorgen.

1.6

Auf EU-Ebene müssen die Verfahren für partizipative Governance erst noch weiterentwickelt werden, um eine demokratische und inklusive Beschlussfassung zu stärken und der Zivilgesellschaft eine größere Rolle zuzuerkennen.

1.7

Das vom EWSA empfohlene Nachhaltigkeitsforum wird den Dialog und die Kommunikation zum einen zwischen den EU-Institutionen und Nichtregierungsakteuren und zum anderen zwischen Nichtregierungsakteuren aus verschiedenen Regionen über die Fortschritte hin zu einer nachhaltigen Entwicklung in der EU erleichtern. Es wird außerdem das Bewusstsein für die 2030-Agenda schärfen, eine sachkundige Debatte ermöglichen und das Mitverantwortungsgefühl aller Beteiligten fördern.

1.8

Der EWSA ist überzeugt, dass die Einrichtung dieses Forums in der Praxis machbar und für alle beteiligten Parteien sinnvoll ist. Er stützt sich dabei auf die in dieser Stellungnahme enthaltene eingehende Analyse (u. a. auf der Grundlage von Anhörungen und Sitzungen, in denen die Interessenträger die Idee der Einrichtung des Nachhaltigkeitsforums unterstützt haben) und das sehr erfolgreiche Beispiel des Europäischen Migrationsforums.

1.9

Da die Verwaltung der Nachhaltigkeitsziele auf verschiedenen Ebenen ein neues Politikfeld ist, müssen angemessene Governancestrukturen in den kommenden Jahren erst noch aufgebaut und konsolidiert werden. Daher sollte das Nachhaltigkeitsforum über eine flexible Struktur verfügen, um sich an die Entwicklungen des übergreifenden Governance-Rahmens anzupassen.

1.10

Das Nachhaltigkeitsforum soll ein breites Spektrum von Organisationen der Zivilgesellschaft und Interessenverbänden, einschl. des Privatsektor und der Gewerkschaften, zusammenbringen. Seine Zusammensetzung sollte so inklusiv wie möglich sein, ohne dass dies eine effiziente Verwaltung und Funktion des Forums beeinträchtigt. So sollten sich auch Bürgerinitiativen für nachhaltige Entwicklung daran beteiligen können. Die Einbeziehung von Wissenschaft und Forschung sollte zu einer faktengestützten Debatte beitragen.

1.11

Eine Teilnahme hochrangiger Vertreter der Europäischen Kommission ist von grundlegender Bedeutung; Vertreter des Rates der Europäischen Union und des Europäischen Parlaments werden ebenfalls eingeladen; ferner ist eine Zusammenarbeit mit dem Ausschuss der Regionen vorgesehen. Außerdem sollten die nationalen Nachhaltigkeitsräte und Wirtschafts- und Sozialräte sowie vergleichbare Einrichtungen, die sich für die nachhaltige Entwicklung einsetzen, an dem Nachhaltigkeitsforum teilnehmen.

1.12

Das Nachhaltigkeitsforum sollte von einem Leitungsgremium verwaltet werden, das sich mehrheitlich aus Vertretern der Zivilgesellschaft und der Interessengruppen sowie Vertretern von Kommission und EWSA zusammensetzt.

1.13

Das Nachhaltigkeitsforum muss gut in die Prozesse zur Umsetzung, Überwachung und Überprüfung der Nachhaltigkeitsziele eingebunden sein. Es sollte als kontinuierlicher Arbeitsprozess angelegt sein, mindestens einmal im Jahr zusammentreten und u. a. an den Vorbereitungen der EU für die jährliche Sitzung des Hochrangigen Politischen Forums für Nachhaltige Entwicklung (High-level Political Forum, HLPF) der Vereinten Nationen mitwirken. Das Nachhaltigkeitsforum sollte als Plattform für die Debatten betreffend Konzipierung, Einrichtung und Modalitäten des EU-Rahmens für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele dienen. Außerdem sollte es die Mitwirkung seiner Teilnehmer an den gegenseitigen Evaluierungen der Mitgliedstaaten betreffend der Nachhaltigkeitsziele erleichtern.

2.   Einleitung

2.1

Auf dem UN-Nachhaltigkeitsgipfel vom 25. bis 27. September 2015 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs die 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung, die 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) umfasst, die bis 2030 umgesetzt werden sollen.

2.2

In Europa wird die EU eine maßgebliche Rolle bei der durchgängigen Berücksichtigung der neuen Agenda in den europäischen Politikbereichen, ihrer Vermittlung, der Festsetzung von Meilensteinen, der Koordinierung und Orientierung sowie bei der Überwachung des Fortschritts und der Gewährleistung der Qualität von gegenseitigen (nationalen) Evaluierungen übernehmen.

2.3

Zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele müssen geeignete globale, regionale, nationale und lokale Governance-Mechanismen eingeführt werden. Auf der Grundlage eines partizipativen Ansatzes und ausgehend von den Grundsätzen von Transparenz und Rechenschaftspflicht sowie der Stärkung der Handlungskompetenz der Bürger müssen lokale Gemeinschaften, Unternehmen, Gewerkschaften, NGO und andere Akteure der Zivilgesellschaft eine aktive Rolle auf allen politischen Ebenen spielen.

2.4

In seinem Informationsbericht (2) analysierte der EWSA Modelle für eine Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Umsetzung der 2030-Agenda auf EU-Ebene und unterbreitete Empfehlungen für eine stärkere partizipative Governance. Das vorgeschlagene Nachhaltigkeitsforum stützt sich auf die grundlegenden Empfehlungen dieses Berichts.

2.5

Nach Präsentation dieses Informationsberichts bei der Europäischen Kommission, dem Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung (High-level Political Forum, HLPF) der Vereinten Nationen, in Arbeitsgruppen des Rates und auf verschiedenen Konferenzen ersuchte der niederländische Ratsvorsitz den EWSA, eine Stellungnahme zu der Frage zu erarbeiten, wie ein Mechanismus für die Einbeziehung der Zivilgesellschaft auf EU-Ebene in der Praxis aufgebaut, verwaltet und finanziert werden könnte, um ihn zu einem wirksamen Werkzeug für eine partizipative Governance der 2030-Agenda zu machen. Die Empfehlungen der Stellungnahme sollen eine politische Entscheidungshilfe für die Einführung eines derartigen Instruments bieten.

3.   Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Interessenträger in die nachhaltige Entwicklung

3.1

Die 2030-Agenda der Vereinten Nationen wurde im Rahmen eines breit angelegten partizipativen Dialogs mit Organisationen der Zivilgesellschaft und Interessengruppen erstellt, die erheblich zur Entwicklung der Nachhaltigkeitsziele in der offenen Arbeitsgruppe (Open Working Group) beigetragen haben. Dieser inklusive Ansatz muss beibehalten werden, da die Zivilgesellschaft in jeder Etappe des Nachhaltigkeits-Politikzyklus eine wichtige Rolle spielt, d. h. bei der Festlegung der Ziele und Zielvorgaben, der Entwicklung von Strategien und politischen Programmen, der Umsetzung und der Überprüfung. Fortschritte bei der nachhaltigen Entwicklung können nur erzielt werden, wenn sie direkt von engagierten und innovativen Unternehmen, lokalen Gemeinschaften und Bürgern angestoßen werden.

3.2

Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem früheren EWSA-Informationsbericht ist, dass die Einbindung der Interessenträger in eine nachhaltige Entwicklung am besten in Form eines strukturierten und kontinuierlichen Prozesses funktioniert anstatt auf der Grundlage von rein themenspezifischen oder Ad-hoc-Konsultationen. Ein strukturierter Prozess gibt den Interessenträgern die Möglichkeit, vorauszuplanen und fundierte Beiträge zu leisten.

3.3

In diesem Kontext werden verschiedene Definitionen des Begriffs „Zivilgesellschaft“ verwendet. So wird manchmal zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich dem Schutz öffentlicher Güter verschrieben haben, und dem Privatsektor unterschieden. In den Augen des EWSA umfasst die „Zivilgesellschaft“ hingegen alle Gruppen und Organisationen, in denen Menschen zusammenarbeiten und ihre Standpunkte zum Ausdruck bringen, u. a. Organisationen des Privatsektors, Gewerkschaften und weitere Interessengruppen (3). Die Empfehlungen in dieser Stellungnahme fußen auf einem weitgefassten Verständnis der Zivilgesellschaft, die alle Nichtregierungsakteure in einem inklusiven und breiten Rahmen umfasst, da die Teilhabe aller Gruppen und Sektoren notwendig ist, um die Herausforderungen in Verbindung mit der Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele zu meistern.

4.   Ein europäisches Forum für nachhaltige Entwicklung — ein Mehrwert

4.1

Der EWSA verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in allen Bereichen und der Schaffung eines Mehrwerts durch Dialog und konkrete Beiträge im europäischen Beschlussfassungsprozess. Er hat sich in mehreren Stellungnahmen und im Rahmen von Konferenzen und Workshops, die er gemeinsam mit der Kommission und verschiedenen UN-Gremien organisiert hat, für eine ehrgeizige 2030-Agenda eingesetzt. Diese haben während der Verhandlungen über die 2030-Agenda eine Plattform für den Dialog mit der Zivilgesellschaft auf EU-Ebene geboten. Der EWSA schlägt nun vor, diese Praxis in eine dauerhafte und stabilere Struktur weiterzuentwickeln.

4.2

Ausgehend von der Einschätzung in seinem Informationsbericht will der EWSA ein europäisches Forum für nachhaltige Entwicklung (kurz „Nachhaltigkeitsforum“) in Partnerschaft mit der Europäischen Kommission und Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft und Interessengruppen einrichten.

4.3

Es sollte eine dauerhafte, stabile, strukturierte und objektive Plattform für den Dialog mit der Zivilgesellschaft über eine nachhaltige Entwicklung auf EU-Ebene bieten und auf folgende Aufgaben ausgerichtet sein:

Bereitstellung eines Rahmens für den Dialog über nachhaltige Entwicklung und Förderung der Zusammenarbeit zum einen zwischen den EU-Institutionen und Nichtregierungsakteuren und zum anderen zwischen Nichtregierungsakteuren aus verschiedenen Regionen;

Schaffung eines Raums für Nichtregierungsakteure, Interessenträger und Bürgerinitiativen, um Vorschläge, bewährte Verfahren und Lösungen für eine sinnvolle Umsetzung der 2030-Agenda auszutauschen;

Gewährleistung der umfassenden Einbeziehung von Nichtregierungsakteuren in die kontinuierliche Überwachung und Überprüfung der 2030-Agenda;

zu diesem Zweck Organisation eines kontinuierlichen Dialogprozesses in Form von Treffen/Sitzungen und unter Nutzung weiterer Kommunikationsmittel wie einer Online-Plattform.

4.4

Der Mehrwert des Nachhaltigkeitsforums liegt in folgenden Bereichen:

Reichweite: Als Moderator für das Forum kann der EWSA seine Fähigkeit einbringen, die verschiedenen Interessenträger zu erreichen und eine sektorübergreifende Integration sicherzustellen;

Information und Beratung: Das Forum würde politische Erfolge ebenso wie Mängel und Versäumnisse bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele anhand von Fakten aufzeigen und eine erfolgreiche Umsetzung dieser Ziele durch den Austausch von Erfahrungen verschiedener Interessenträger und bewährter Verfahren, die Gewährleistung einer langfristigen Vision und die Erschließung neuer Sichtweisen fördern;

Sensibilisierung und Eigen-/Mitverantwortung: Das Forum wird das Bewusstsein für die 2030-Agenda schärfen und die Eigen-/Mitverantwortung durch die Einbeziehung der verschiedenen Interessenträger in den Prozess fördern.

Partnerschaft: Das Forum könnte die Schaffung von Multi-Stakeholder-Partnerschaften für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele auf EU-Ebene erleichtern.

4.5

Das Nachhaltigkeitsforum eröffnet Möglichkeiten für einen engeren Dialog, Konsensbildung und die Beleuchtung von Kontroversen. Weder wird es sich zum Sprachrohr der Organisationen der Zivilgesellschaft aufschwingen noch die Sensibilisierungskampagnen der teilnehmenden Organisationen ersetzen. Der EWSA ist sich der effizienten Arbeit von NGO und Bündnissen bewusst, die sich für eine ehrgeizige Umsetzung der 2030-Agenda in der EU einsetzen. Er fordert all diese Interessenträger auf, sich an dem Nachhaltigkeitsforum zu beteiligen und es als Plattform zu nutzen, um ihre Botschaften zu verbreiten und in einen Dialog mit einer breiteren Palette an Interessenträgern und den EU-Institutionen zu treten.

4.6

Mit seinem Vorschlag baut der EWSA auch auf den positiven Erfahrungen in einigen Mitgliedstaaten auf, in denen die nationalen Nachhaltigkeitsräte durch Überlegungen zur breiteren Nachhaltigkeitsdebatte wirksam in die nationale Entscheidungsfindung durch die Regierung, die lokalen Gebietskörperschaften und die Wirtschaft einbezogen wurden. Die Mitglieder der Nachhaltigkeitsräte vertreten die Zivilgesellschaft, Interessengruppen und -verbände sowie Unternehmen und Gewerkschaften. Sie werden von ihrer Regierung ernannt, weshalb die institutionelle Struktur je nach Mitgliedstaat unterschiedlich sein kann. Ohne legitime Interessenvertretungen zu ersetzen, können diese Nachhaltigkeitsräte die Entscheidungsträger auf hoher Ebene erreichen und übernehmen eine breite Palette an Tätigkeiten und Aufgaben:

Beratung der Regierung;

Plattform für die Interessenträger, Kontakte zu Zielgruppen und Ausweitung der vertikalen Integration;

Überwachung der Fortschritte;

Erleichterung des politischen Lernprozesses, insbesondere durch gegenseitige Evaluierung;

Festlegung der Agenda;

Förderung der Sensibilisierung für das Konzept der Nachhaltigkeit.

4.7

Das Beispiel Europäisches Migrationsforum (EMF) gibt Aufschluss über die Vorteile einer dem Nachhaltigkeitsforum vergleichbaren, vom EWSA organisierten Plattform. Das EMF wurde ursprünglich als Europäisches Integrationsforum 2009 von der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit dem EWSA gegründet (4). Angesichts des Erfolgs dieses Forums wurde dessen Aktionsbereich auf Asyl- und Zuwanderungsfragen ausgeweitet. Im EMF sind rund 200 Teilnehmer vertreten, u. a. 120 Organisationen der Zivilgesellschaft, 20 Vertreter von lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sowie Vertreter der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen.

4.8

Die GD DEVCO richtete 2012 sehr erfolgreich das politische Forum „Entwicklung“ als Plattform für einen Dialog mit Organisationen der Zivilgesellschaft und lokalen Gebietskörperschaften aus der EU und Partnerländern ein, um ihre wirksame Konsultation und Einbindung in die EU-Maßnahmen und Programme im Entwicklungsbereich zu gewährleisten. Zu den Teilnehmern zählen entwicklungspolitische NGO, Gewerkschaften, Genossenschaften, Stiftungen, lokale Gebietskörperschaften, Handelskammern, Menschenrechtsorganisationen, Hilfsorganisationen und humanitäre Organisationen, Umweltorganisationen und Jugendorganisationen. Dieses Forum beschäftigt sich allerdings nur mit Aspekten der Außen- und Entwicklungspolitik der EU, insbesondere im Rahmen eines eingehenden Dialogs mit der Zivilgesellschaft zur Entwicklungspolitik und zu Entwicklungsprojekten. Dies ist eine ideale Ergänzung zu der umfassenderen vom Nachhaltigkeitsforum verfolgten Agenda für nachhaltige Entwicklung und ihres Ziel der Berücksichtigung interner und externer Aspekte der Nachhaltigkeitsziele. In der Praxis wird die EU-interne Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele Hauptthema eines Großteils der Diskussionen im Nachhaltigkeitsforum sein. Die Arbeit des Nachhaltigkeitsforums muss gut mit dem politischen Forum „Entwicklung“ abgestimmt sein, um Synergien zu schaffen.

5.   Wichtige Merkmale/Elemente eines Europäischen Forums für nachhaltige Entwicklung

5.1

Die Nachhaltigkeitsziele sind beispiellos, und die Governance-Strukturen werden gerade erst entwickelt. Daher sollte bei der Einrichtung des Forums den Entwicklungen in Verbindung mit den Governance-Aspekten Rechnung getragen und Flexibilität an den Tag gelegt werden. Es muss sichergestellt werden, dass das Nachhaltigkeitsforum umfassend in den Nachhaltigkeitszyklus eingebunden ist. Daher muss eine detaillierte Überprüfung vorgenommen werden, sobald die Governance-Strukturen der EU und der Mitgliedstaaten für die 2030-Agenda Form annehmen.

5.2

Nach Analyse der wesentlichen Merkmale des Nachhaltigkeitsforums im Zuge der Vorbereitung dieser Stellungnahme kommt der EWSA zu dem Schluss, dass für seinen Start folgende Elemente berücksichtigt werden sollten:

5.3    Teilnehmer

5.3.1

Die Beteiligung von Nichtregierungsakteuren soll, wie in Ziffer 3.3 erläutert, so inklusiv wie möglich gestaltet sein und folgende Interessenträger umfassen:

entwicklungs-, sozial- und umweltpolitische NGO sowie NGO aus den Bereichen Menschenrechte und Nichtdiskriminierung;

den Privatsektor, u. a. Industrie, KMU und Kleinstunternehmen, Dienstleistungen und nachhaltige Investitionen;

Gewerkschaften;

Land- und Forstwirte;

Verbraucher;

die kulturelle Dimension der nachhaltigen Entwicklung;

junge Menschen;

Entwicklung des städtischen und ländlichen Raums;

weitere relevante Bereiche.

5.3.2

Gruppen der Zivilgesellschaft, die auf EU-Ebene normalerweise nicht besonders gut repräsentiert sind, müssen ebenfalls einbezogen werden. Zu den Teilnehmern sollten nicht nur Vertreter von Organisationen, sondern auch ursprüngliche Initiativen und Akteure im Bereich der nachhaltigen Entwicklung gehören, die Erfahrungen mit bewährten Verfahren einbringen können.

5.3.3

Bei der Zusammensetzung sollte gewährleistet werden, dass verschiedene Sektoren und Interessengruppen ausgewogen vertreten sind und alle Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung angemessen berücksichtigt werden. Gleichzeitig muss auch die unterschiedliche thematische Ausrichtung jeder Sitzung in Betracht gezogen werden. Somit werden Kerngruppen für die Nachhaltigkeitspolitik an allen Sitzungen teilnehmen, während die Teilnahme anderer Interessenträger als Fokusgruppen vom jeweiligen Themenschwerpunkt abhängen wird. Unter Kerngruppen sind jene Interessenträger zu verstehen, die alle 17 Nachhaltigkeitsziele verfolgen und sich auf übergeordnete Governance-Aspekte konzentrieren. Die Teilnahme von Fokusgruppen wird auf einer offenen Aufforderung zur Interessenbekundung beruhen, in der die Tagesordnung der jeweiligen Sitzung festgelegt ist.

5.3.4

Die Mitgliedschaft in dem Nachhaltigkeitsforum sollte der sektorübergreifenden Governance und einem ausgewogenen Ansatz in Bezug auf Kontinuität und Flexibilität in Sachen Fachwissen Rechnung tragen. Die wichtigste Zielgruppe sind Organisationen, die auf EU-Ebene tätig sind. Von nationaler und nachgeordneter Ebene sollten die Nachhaltigkeitsräte und die WSR sowie lokale und regionale Gebietskörperschaften im Nachhaltigkeitsforum vertreten sein. Außerdem sollte mit dem Ausschuss der Regionen zusammengearbeitet werden.

5.3.5

Aus institutioneller Sicht muss die Europäische Kommission, insbesondere der für die Koordinierung der Nachhaltigkeitspolitik zuständige Vizepräsident, an den Sitzungen teilnehmen, Präsentationen vorbereiten und in einen Dialog mit den Interessenträgern eintreten. Vertreter des Rates der Europäischen Union und des Europäischen Parlaments sollten ebenfalls eingeladen werden.

5.3.6

Forschung und Wissenschaft sollten in dem Forum vertreten sein. Durch die Einbeziehung der Wissenschaft könnte auch eine Verzahnung zwischen Wissenschaft und Politik bei der Umsetzung der 2030-Agenda auf europäischer Ebene erleichtert werden.

5.3.7

Um die Teilnahme von Organisationen der Zivilgesellschaft mit begrenzten Kapazitäten zu ermöglichen, müssen Mittel für die Erstattung der Reise- und Aufenthaltskosten bereitgestellt werden.

5.3.8

Zur Gewährleistung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Kontinuität und Flexibilität sollte die Auswahl der nicht-ständigen Teilnehmer vor jeder Sitzung des Nachhaltigkeitsforums unter Berücksichtigung der thematischen Ausrichtung und auf der Grundlage einer offenen Aufforderung vorgenommen werden. Ein vergleichbares Verfahren wird mit Erfolg für das Europäische Migrationsforum angewendet.

5.3.9

Durch transparente Teilnahmebedingungen und die Verpflichtung der Teilnehmer, sich in das EU-Transparenzregister einzutragen und sich zu einschlägigen Prinzipien, wie beispielsweise den Grundsätzen von Istanbul zur Wirksamkeit der Entwicklung der Organisationen der Zivilgesellschaft (5), zu bekennen, werden Inklusion und Vertrauen gewährleistet.

5.4    Organisation und Verwaltung

5.4.1

Zur korrekten Festlegung des institutionellen Status und der Verwaltungsstruktur des Nachhaltigkeitsforums müssen seine vielfältigen Funktionen in Betracht gezogen werden. Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des Forums sind sehr wichtig. Die Governance des Forums muss so eindeutig und transparent wie möglich gestaltet sein, und die Zuständigkeiten müssen ganz klar festgelegt sein.

5.4.2

In seiner Funktion als Katalysator für die Teilhabe der Zivilgesellschaft auf EU-Ebene sollte der EWSA als Gastgeber und Koordinator auftreten.

5.4.3

Die Vorbereitung der Sitzungen sollte von einem Leitungsgremium übernommen werden, das sich mehrheitlich aus Vertretern der Zivilgesellschaft und der Interessenverbände sowie Vertretern der Europäischen Kommission und des EWSA zusammensetzt. Nach Vorbild des Europäischen Migrationsforums könnten die Mitglieder dieses Leitungsgremiums gemäß dem Rotationsprinzip von den Teilnehmern des Nachhaltigkeitsforums gewählt werden.

5.5    Arbeitsprozess und Sitzungen

5.5.1

Das Nachhaltigkeitsforum sollte als kontinuierlicher Arbeitsprozess angelegt sein. Jedes Jahr werden regelmäßige Sitzungen (in Verbindung mit Vorbereitungssitzungen) abgehalten, entweder in Form von „Open Space“-Sitzungen, Arbeitsgruppen oder einer kontinuierlichen Zusammenarbeit in Online-Plattformen, wobei innovative Methoden für die Organisation der Kommunikationsprozesse und Veranstaltungen zur Anwendung kommen.

5.5.2

Die Zusammensetzung und die Arbeitsweise des Nachhaltigkeitsforums sollten das Recht der beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen wahren, ihre Beiträge unabhängig und selbstbestimmt einzubringen.

5.5.3

Das Nachhaltigkeitsforum wird sicherstellen, dass seine Arbeiten gut mit der laufenden Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele auf Ebene der UN, der EU und der Mitgliedstaaten verzahnt sind. In den Mitgliedstaaten ist es Aufgabe der Regierungen, sich den internationalen Zielen anzupassen und den Vereinten Nationen Bericht zu erstatten, die ein hochrangiges politisches Forum für nachhaltige Entwicklung (High-level Political Forum, HLPF) eingerichtet haben, um die Umsetzung der 2030-Agenda der Vereinten Nationen zu steuern und zu überwachen. Das Nachhaltigkeitsforum sollte zumindest einmal im Jahr in einer Plenarsitzung vor der Sommersitzung des HLPF zusammentreten, damit seine Ergebnisse berücksichtigt werden können.

5.5.4

Bei der Festlegung des Sitzungskalenders sollten das Europäische Semester, die Haushaltsverhandlungen und das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission berücksichtigt werden. Das Nachhaltigkeitsforum sollte die Teilnahme von Vertretern der Zivilgesellschaft und Interessengruppen an Mechanismen zur gegenseitigen Evaluierung erleichtern, die in den Mitgliedstaaten entwickelt und derzeit vom Europäischen Netz für nachhaltige Entwicklung (ESDN) geprüft werden.

5.5.5

Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt für die Einbeziehung der Interessenträger in die Überwachung sind die Monitoring-Berichte über die Umsetzung der 2030-Agenda in der EU, insbesondere die Monitoring-Berichte von Eurostat, die eine solide Wissensgrundlage für die Debatte im Nachhaltigkeitsforum bieten könnten.

5.6    Agendasetzung

5.6.1

Die Plenarsitzungen des Nachhaltigkeitsforums müssen regelmäßig auf die Fortschritte und Modalitäten in Verbindung mit sämtlichen Aspekten der 2030-Agenda ausgerichtet sein. Darüber hinaus könnte ein Schwerpunktthema im Mittelpunkt stehen, das eine Gruppe der Nachhaltigkeitsziele oder ein bereichsübergreifendes Thema von Bedeutung für viele Nachhaltigkeitsziele betrifft (z. B. gleichzeitige Halbierung von Armut und Ungleichheit). Diese Agenda sollte die Zusammenarbeit von Interessenträgern mit verschiedenem Hintergrund fördern.

5.6.2

Da das Nachhaltigkeitsforum als unabhängiges und transparentes Gremium auftreten soll, werden die Teilnehmer vom Leitungsgremium zur Festlegung der Agenda konsultiert.

5.7    Wissensgrundlage

5.7.1

Die Debatten des Nachhaltigkeitsforums müssen auf einer hervorragenden Wissensgrundlage aufbauen, um wirklich effizient und sinnvoll zu sein. Eurostat wird voraussichtlich auch weiterhin alle zwei Jahre Monitoring-Berichte (6) über die Umsetzung der 2030-Agenda der UN in der EU erstellen. Diese werden Teil der Wissensgrundlage für die Debatten in dem Forum sein.

5.7.2

Des Weiteren müssen auch Informationen von unabhängigen Quellen berücksichtigt werden, beispielsweise Berichte und Initiativen von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie auch nationalen Wirtschafts- und Sozialräten und Nachhaltigkeitsräten, Hochschulen, Forschungseinrichtungen wie das Internationale Institut für nachhaltige Entwicklung (International Institute for Sustainable Development — IISD) und sein Wissensmanagementsystem für Nachhaltigkeitsziele, und europäischen Agenturen sowie die Ergebnisse von Überwachungstätigkeiten von Bürgern. Beiträge könnten über Internetplattformen eingebracht werden. Das Nachhaltigkeitsforum sollte bereits vorhandene Forschungskapazitäten nutzen, um Know-how zu erhalten, indem Experten eingeladen oder Studien in Auftrag gegeben werden.

5.7.3

Ausgehend von den bewährten Verfahren der nationalen Nachhaltigkeitsräte sollte das Nachhaltigkeitsforum Kontakte zu Forschungsförderungseinrichtungen aufbauen und interdisziplinäre Forschungsprojekte in Verbindung mit der Umstellung auf eine nachhaltige Entwicklung in ganz Europa anstoßen.

5.8    Ergebnisse

5.8.1

Die Ergebnisse der Sitzungen des Nachhaltigkeitsforums und der Diskussionsprozesses sollten in einem Bericht oder einem anderen geeigneten Dokumentationsformat zusammengefasst werden. Die Standpunkte und Empfehlungen aller Teilnehmer sollten in die Ergebnisdokumentation einfließen. Es ist Aufgabe des Leitungsgremiums, im Konfliktfall Lösungen zu finden. Die teilnehmenden Organisationen sollten im Rahmen der Entstehung der Ergebnisdokumentation Gelegenheit erhalten, ihre Ergebnisse und Berichte vorzustellen.

5.8.2

Legen Eurostat oder die Europäische Kommission regelmäßige Berichte zur nachhaltigen Entwicklung vor, wird das Nachhaltigkeitsforum vorschlagen, seine Schlussfolgerungen in Form eines Schattenberichts aus Sicht der Zivilgesellschaft aufzunehmen.

5.8.3

Es muss sichergestellt werden, dass die Ergebnisse in die Arbeiten zur 2030-Agenda der Europäischen Kommission und der sonstigen EU-Institutionen einfließen. Jede Art von Feedback wird aufmerksam überwacht.

5.8.4

Ein weiteres Ergebnis könnte die Veranstaltung einer europäischen Dialogreihe mit spezifischen Interessengruppen oder anderen Zielgruppen sein, beispielsweise mit jungen Menschen als die nächste Generation an Entscheidungsträgern, die 2050 das Rentenalter erreichen werden.

5.8.5

Darüber hinaus könnte das Nachhaltigkeitsforum neue Formen der Interaktion wählen. Auch die Verleihung eines europäischen Nachhaltigkeitspreises ist denkbar; dieser könnte für herausragende Tätigkeiten und außergewöhnliche Pionierarbeit seitens der Zivilgesellschaft verliehen werden.

5.9    Finanzierung

5.9.1

Der EWSA könnte seine technische Infrastruktur zur Verfügung stellen und die Sekretariatsaufgaben wahrnehmen. Über die Bereitstellung von Mitteln für die Erstattung der Reisekosten der Teilnehmer und Redner, die Organisation der Online-Plattform und die Erstellung von Berichten und Ergebnisdokumentationen muss mit den Partnern der Zusammenarbeit beraten werden.

Brüssel, den 26. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2015) 610 final (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1468295843333&uri=CELEX%3A52015DC0610).

(2)  Informationsbericht, EESC-2015-1169 vom 17. September 2015; diesem Informationsbericht ist eine vom EWSA in Auftrag gegebene Studie des Stakeholder Forums zum Thema „Das Europa aufbauen, das wir wollen — Modelle für die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Umsetzung der Post-2015-Agenda“, Juni 2015, beigefügt.

(3)  Artikel 300 Absatz 2 AEUV.

(4)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Elemente für die Struktur, die Organisation und die Funktionsweise einer Plattform für eine bessere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Förderung europäischer Maßnahmen zur Integration von Drittstaatsangehörigen“, ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 95.

(5)  http://cso-effectiveness.org/InternationalFramework.

(6)  http://ec.europa.eu/eurostat/en/web/products-statistical-books/-/KS-GT-15-001.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

517. Plenartagung des EWSA vom 25./26. Mai 2016

19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/81


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Das jährliche Arbeitsprogramm 2016 der Union für europäische Normung

[COM(2015) 686 final]

(2016/C 303/10)

Berichterstatter:

Patrick LIÉBUS

Die Europäische Kommission beschloss am 5. Februar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Das jährliche Arbeitsprogramm 2016 der Union für europäische Normung“

[COM(2015) 686 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 10. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 141 Stimmen bei 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Schwerpunkt dieser Stellungnahme liegt auf dem zentralen Thema der Integration des europäischen Normungssystems. Diese Entscheidung wurde getroffen, weil die — in Zusammenhang mit der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates unter der Bezeichnung „Organisationen nach Anhang III“ bekannten — Organisationen ANEC, ECOS, EGB und SBS allesamt vom EWSA vertreten werden. Deshalb möchte der EWSA als „Haus“ der Zivilgesellschaft seinen Schwerpunkt auf die Transparenz und Integration des europäischen Normungssystems legen.

1.2

Des Weiteren begrüßt der EWSA die Absicht der Europäischen Kommission, sich im Rahmen ihrer jährlichen Arbeitsprogramme mit den strategischen Aspekten des europäischen Normungssystems zu befassen.

1.3

Hinsichtlich der Beziehungen zwischen den Organisationen nach Anhang III und dem europäischen Normungssystem fordert der EWSA die europäischen Normungsorganisationen auf, den Organisationen nach Anhang III einen besonderen Status als Mitglieder bzw. Partner mit eigenen Rechten und Verpflichtungen zu gewähren. Konkret müsste dies bedeuten, dass den Organisationen nach Anhang III ein uneingeschränktes Einspruchsrecht und eine beratende Funktion gewährt werden, insbesondere für Normen von öffentlichem Interesse.

1.4

Der EWSA erkennt an, dass die nationale Übertragung eines der grundlegenden Prinzipien der europäischen Normung darstellt, und betont daher, wie wichtig es ist, den KMU und den gesellschaftlichen Akteuren sowie ihren Vertretern auf nationaler Ebene den Zugang zum Normungsverfahren zu erleichtern. In diesem Zusammenhang schlägt der EWSA vor, auf nationaler Ebene für die KMU und die gesellschaftlichen Akteure sowie für ihre jeweiligen repräsentativen Verbände einen kostenlosen Zugang zu den Spiegelausschüssen zu schaffen.

1.5

Der EWSA erinnert an die grundlegende Rolle der „Konsultanten zum neuen Konzept“ und würdigt ihren Beitrag zur Bewertung der Übereinstimmung der Normen mit den EU-Maßnahmen im Rahmen der harmonisierten Normung. Der EWSA begrüßt deshalb, dass die Kommission die langfristige Fortsetzung ihrer Tätigkeiten gewährleisten will.

1.6

Abschließend fordert der EWSA, dass die Maßnahmen der wesentlichen Normungsakteure gründlich begleitet werden, um die Dimension der Integration des europäischen Normungssystems zu stärken. Der EWSA könnte diese Begleitung durch die Einrichtung eines Ad-hoc-Forums für die Integration des europäischen Normungssystems gewährleisten. Dieses Gremium würde mit der Veranstaltung einer jährlichen öffentlichen Anhörung beauftragt, um die Fortschritte in diesem Bereich zu evaluieren.

2.   Wesentlicher Inhalt der Mitteilung

2.1

Die Kommission hat ihre strategische Vision der europäischen Normung in einer Mitteilung erläutert und den entsprechenden Rechtsrahmen durch die am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 zur europäischen Normung eingerichtet. Zu den Neuerungen der Verordnung gehört die Verpflichtung der Kommission, ein jährliches EU-Arbeitsprogramm für europäische Normung aufzulegen.

2.2

Das jährliche Arbeitsprogramm soll zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und dem europäischen Normungssystem beitragen, indem die Kommission darin ihre Vorstellungen und Pläne im Bereich der Normung für das folgende Jahr erläutert. Die Kommission plant eine Überprüfung ihrer Partnerschaft mit dem europäischen Normungssystem, um die angemessene Beteiligung sämtlicher Interessenträger (Industrie, KMU, Verbraucher, Umweltschutzorganisationen, Arbeitnehmer usw.) zu gewährleisten.

2.3

Zu den strategischen Prioritäten für die europäische Normung gehört die Aufstellung eines Plans mit den Prioritäten für die IKT-Normung sowie die Normung der Dienstleistungen. Der Plan mit den Prioritäten für die IKT-Normung wird das jährliche Arbeitsprogramm der Union ergänzen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA begrüßt es, dass die Kommission das jährliche Arbeitsprogramms 2016 für europäische Normung vorgelegt hat, und verweist auf den grundlegenden Beitrag der Normen zur Strukturierung des Binnenmarktes und zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Wie der Ausschuss in seiner Stellungnahme INT/590 von September 2011 (1) ausgeführt hat, ist das jährliche Normungsprogramm eine echte Trumpfkarte in puncto Transparenz und Planung bzw. Planbarkeit, insbesondere für die Akteure und Interessenträger des europäischen Normungssystems.

3.2

Der EWSA begrüßt das Jahresprogramm 2016, da es eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Debatten ermöglicht, vor allem jedoch, weil es der künftigen Programmplanung einen echten Mehrwert verleiht. Dementsprechend fordert der EWSA die Kommission auf, die künftigen Jahresprogramme besser vorzubereiten und hierfür die Interessenträger zu den technischen und strategischen Aspekten zu konsultieren und das Arbeitsprogramm im Juli des Vorjahres zu veröffentlichen. Der EWSA begrüßt die inhaltliche Ausgestaltung der Prioritäten in den einzelnen Bereichen.

3.3    Vorrang für die Integration

3.3.1

Der EWSA vertritt sämtliche Interessenträger, die stets unter einem schwierigen und eingeschränkten Zugang zum europäischen Normungssystem gelitten haben, also Verbraucher, Umweltschützer, Arbeitnehmer und KMU, die von den unter der Bezeichnung „Organisationen nach Anhang III“ entsprechend der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 bekannten Organisationen ANEC, ECOS, EGB und SBS repräsentiert werden, sowie ihre nationalen Mitglieder. Aus diesem Grunde möchte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss — als „Haus“ der Zivilgesellschaft —, dem der grundlegende Beitrag und die generellen Probleme der anderen Interessenträger in Bezug auf ihre Mitwirkung bei der Normenentwicklung sehr wohl bewusst sind, den Schwerpunkt seiner Bemühungen auf die Transparenz und Integration des europäischen Normungssystems legen.

3.3.2

In diesem Zusammenhang erfordert die Umsetzung der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 folglich besondere Aufmerksamkeit, wie die Kommission zu Recht in ihrer Mitteilung unterstreicht. Hieraus ergibt sich insbesondere, dass die Verbreitung und Veröffentlichung der in Artikel 24 der Verordnung vorgesehenen Berichte sowie die Kommunikation und Information über diese verbessert werden müssen.

3.3.3

Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, die Fortschritte und Anstrengungen jedes Akteurs des europäischen Normungssystems für eine größere Integration des Systems genau zu begleiten. Der EWSA erwartet von der Kommission, dass sie gerade auch als Kofinanzierungsorgan des europäischen Normungssystems eine proaktive Rolle für die Erreichung dieses Ziels spielt.

3.3.4

Darüber hinaus begrüßt der Ausschuss den Abschluss des Finanzierungsverfahrens für die Organisationen nach Anhang III und fordert eine zusätzliche Verwaltungsvereinfachung sowie eine längerfristige Perspektive, um die Umsetzung einer mehrjährigen Strategie durch diese Organisationen zu gewährleisten.

3.4    Gemeinsame Normungsinitiative

3.4.1

Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag für eine gemeinsame Normungsinitiative ebenso wie die Beteiligung der Interessenträger an dem System, namentlich der Organisationen nach Anhang III, als wichtiges Signal für die Wiederherstellung der öffentlich-privaten Partnerschaft, die der europäischen Normung zugrunde liegt. In diesem Zusammenhang möchte der EWSA unterstreichen, wie wichtig es ist, dass die in der endgültigen Fassung der gemeinsamen Normungsinitiative vorgeschlagenen Maßnahmen eindeutig auf eine bessere Integration abzielen und hierzu beitragen, damit sie von sämtlichen Interessenträgern und insbesondere von den Organisationen nach Anhang III mitgetragen werden können.

3.4.2

Der Ausschuss begrüßt und unterstützt den Vorschlag für Maßnahmen im Rahmen der gemeinsamen Normungsinitiative, die eine Analyse zur besseren Erfassung der Möglichkeiten und Herausforderungen der kostenlosen Bereitstellung der Normen umfasst, beispielsweise im Rahmen einer Studie über die ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Normen.

3.5    Vorgehen der europäischen Normungsorganisationen

3.5.1

Der EWSA begrüßt die Rolle der Organisationen CEN, CENELEC und ETSI als unabhängiger, neutraler und professioneller Organisationen mit Regeln und Verfahren, welche die Einhaltung der Grundsätze der WTO im Bereich der Normung sowie der durch die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 eingeführten Prinzipien gewährleisten.

3.5.2

Zur Verbesserung der Beteiligung sämtlicher Akteure an der Normung fordert der EWSA die europäischen Normungsorganisationen auf, den Organisationen nach Anhang III einen besonderen Status als Mitglieder bzw. Partner zu gewähren, die entsprechend ihrem jeweiligen Status und ihrer jeweiligen Rolle besondere Rechte und Verpflichtungen haben und insbesondere über einen unbegrenzten Zugang zu den technischen Gremien und den laufenden Normungsprojekten verfügen, wobei die Politik der Vertraulichkeit unter Berücksichtigung der notwendigen Konsultation zu achten ist. Der EWSA schlägt vor, über die Gebührenfreiheit dieses Zugangs nachzudenken, da die EU an der Finanzierung der europäischen Normungsorganisationen und der Organisationen nach Anhang III beteiligt ist.

3.5.3

Des Weiteren schlägt der EWSA vor, für die Organisationen nach Anhang III wieder ein uneingeschränktes Einspruchsrecht einzuführen, auch für die Arbeiten, in die sie nicht von Anfang an eingebunden waren, und sie mit einer beratenden Funktion bei der Ratifizierung der Normen auszustatten.

3.5.4

Der EWSA möchte die Bedeutung einer integrativen und hochwertigen Normung unterstreichen. Er möchte darauf hinweisen, dass die Schnelligkeit der Aufstellung und Veröffentlichung der Normen nicht als Selbstzweck angesehen werden kann, vor allem, wenn dies dem Ziel des EWSA, der Einbeziehung der Organisationen nach Anhang III in das europäische Normungssystem, zuwiderläuft. Dementsprechend warnt der EWSA das europäische Normungssystem vor jeglichem Beschluss, der unter dem Vorwand der Schnelligkeit die Teilhabe und Öffnung einschränken würde.

3.5.5

Der EWSA weist darauf hin, dass die Integration der Interessenträger nur durch ihre Beteiligung und unter transparenten Bedingungen möglich ist. Zur Betonung, Stärkung und Umsetzung des Grundsatzes der nationalen Übertragung betont der EWSA, wie wichtig ein erleichterter Zugang der KMU und ihrer Vertreter zu dem Normungsverfahren auf nationaler Ebene ist; dies ist nach wie vor eine große Aufgabe, wie es auch in Ziffer 4 der Mitteilung heißt.

3.5.6

In diesem Zusammenhang schlägt der EWSA vor, auf nationaler Ebene für die KMU und die gesellschaftlichen Akteure sowie für ihre jeweiligen repräsentativen Verbände einen kostenlosen Zugang zu den Spiegelausschüssen zu schaffen. Außerdem ist eine problemlose Beteiligung und Mitarbeit in der Phase der öffentlichen Konsultation, in der es keine praktischen oder technischen Hemmnisse geben darf, besonders wichtig.

3.6    Der neue Leitfaden zur Normung und die Leitfäden für die Organisationen nach Anhang III

3.6.1

Im Rahmen der Umsetzung des neuen Leitfadens zur europäischen Normung begrüßt der EWSA es, dass die Kommission die europäischen Normungsorganisationen aufgefordert hat, ihre technischen Gremien und ihr technisches Personal über den Inhalt und die Maßnahmen dieses neuen Dokuments zu unterrichten.

3.6.2

Außerdem fordert der EWSA die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass der Leitfaden verbreitet, verstanden und von sämtlichen Dienststellen der Europäischen Kommission, welche die Normung für die Umsetzung europäischer Maßnahmen nutzen wollen, angewandt wird. Ferner sollte gewährleistet werden, dass der Leitfaden zusammen mit den entsprechenden Informationen über die Website der Europäischen Kommission verbreitet wird.

3.6.3

Besonders unterstreichen möchte der Ausschuss, wie wichtig es ist, dass die Verantwortlichen der technischen Gremien der europäischen Normungsorganisationen die unterschiedlichen CEN-CENELEC-Leitfäden für die Aufstellung der Normen kennen und dabei die Belange der gesellschaftlichen Akteure und der KMU (d. h. Leitfäden 2, 5 und 17 des CEN-CENELEC sowie Leitfaden 4 des CEN) berücksichtigen. Der Ausschuss begrüßt in diesem Zusammenhang die bereits vom CEN-CENELEC mit der Arbeitsgruppe „KMU“ (SME Working Group) und mit der Arbeitsgruppe „Gesellschaftliche Akteure“ (Societal Stakeholders Working Group) begonnenen Tätigkeiten und fordert dazu auf, diese mit konkreten und ehrgeizigen Maßnahmen fortzusetzen. Es sei darauf hingewiesen, dass diese Leitfäden von CEN und CENELEC während des gesamten Normungsverfahrens — von den Überlegungen zur Zweckmäßigkeit der Erarbeitung einer Norm bis hin zu ihrer Veröffentlichung — genutzt werden sollten.

3.7    IKT-Normung und Rechte des geistigen Eigentums bei der Normung

3.7.1

Der EWSA fragt nach dem Mehrwert des in Ziffer 3.1 der Mitteilung vorgeschlagenen „Plans mit den Prioritäten für die IKT-Normung“. Dieses Dokument stellt offenbar eine nicht notwendige Ergänzung des „Fortlaufenden Plans für die IKT-Normung“ sowie des jährlichen Normungsprogramms dar. Der Ausschuss befürchtet eine Verdopplung der Mittel und Prioritätenniveaus, welche die Verfolgung der Debatte und die Beteiligung der Interessenträger zu erschweren droht.

3.7.2

Im Bereich der Rechte des geistigen Eigentums warnt der Ausschuss vor einem Ungleichgewicht zwischen den Nutzern und den Inhabern standardessenzieller Patente (SEP), namentlich wenn ein innovatives KMU nicht wissen kann, wie viele Patente es anwenden muss und wer diese innehat. Deshalb schlägt der EWSA vor, dass das ETSI einen praktischen Leitfaden für Verhandlungen über Vereinbarungen zur Vergabe der SEP zugunsten von KMU und unter Anwendung der Bedingungen des FRAND-Grundsatzes („fair, reasonable, and non-discriminatory“ — fair, zumutbar und diskriminierungsfrei) erstellt.

3.7.3

Die FRAND-Kriterien sollten nach Auffassung des Ausschusses genauer definiert werden, um ihren Anwendungsbereich und ihre praktische Umsetzung zu bestimmen.

3.7.4

In diesem Zusammenhang fordert der EWSA das ETSI außerdem auf, die Qualität und Transparenz der Datenbank mit den Erklärungen über die Rechte des geistigen Eigentums zu verbessern. Dies ist grundlegend, um den SEP-Nutzern eine gewisse Planbarkeit zu gewährleisten und innovativen KMU ihre Sorgen hinsichtlich der Verhandlungskosten und -modalitäten der oben genannten Vergabevereinbarungen zu nehmen.

3.8    Die „Konsultanten zum neuen Konzept“

3.8.1

Der EWSA erinnert an die grundlegende Rolle der in Ziffer 7.2 der Mitteilung erwähnten „Konsultanten zum neuen Konzept“ und begrüßt ihren unverzichtbaren Beitrag zu einer verlässlichen Bewertung der Konformität der Normen mit den Rechtsvorschriften und den EU-Maßnahmen im Rahmen der harmonisierten Normung.

3.8.2

Der EWSA begrüßt die in Ziffer 7.2 der Mitteilung zum Ausdruck gebrachte Bereitschaft der Kommission, die langfristige Verfügbarkeit dieser Bewertung zu gewährleisten. Der EWSA möchte den Vorrang dieser unabhängigen Bewertung vor jeder anderen internen Evaluierung durch die europäischen Normungsorganisationen stärken.

3.8.3

Der EWSA plädiert dafür, die Unabhängigkeit dieser Konsultanten weiter auszubauen, eventuell durch die direkte vertragliche Bindung der „Konsultanten zum neuen Konzept“ seitens der Europäischen Kommission.

3.9    Normungsaufträge und Mandate

3.9.1

Der EWSA unterstreicht, wie wichtig das Verfahren zur Vorbereitung der europäischen Aufträge zur Ausarbeitung einer Norm ist, welche die Kommission den europäischen Normungsorganisationen erteilt. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, dieses Verfahren noch transparenter und integrativer — insbesondere für die Organisationen nach Anhang III — zu gestalten.

3.9.2

Der EWSA unterstreicht, wie wichtig es ist, das Ergebnis der aufgestellten Norm auf seine Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Ziel hin zu überprüfen und dabei insbesondere darauf zu achten, dass der Anwendungsbereich im Laufe der Arbeiten nicht ausgeweitet wurde.

3.9.3

Der Ausschuss betont die Bedeutung der vorbereitenden Normungsarbeiten, vor allem um die ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Normen zu bewerten, um die Interessenträger zu ermitteln und ihre Einbeziehung in die Normungsarbeiten zu ermöglichen.

3.10

Hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit unterstreicht der EWSA, dass die Organisationen nach Anhang III weiterhin erhebliche Schwierigkeiten haben, diese Arbeiten zu verfolgen, und fordert die europäischen sowie die nationalen Normungsorganisationen auf, im Rahmen ihrer Kooperationsabkommen mit der ISO und der IEC alles daranzusetzen, um die Transparenz, Beteiligung und Integration sämtlicher Interessenträger zu gewährleisten, vor allem wenn die Arbeiten mit einem Normungsauftrag der Kommission zusammenhängen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA könnte ein Ad-hoc-Forum zur Integration im Rahmen des europäischen Normungssystems einrichten. Diesem Forum, das regelmäßig und mindestens einmal jährlich zusammenträte, würden die Ausschussmitglieder angehören, die zu der Teilhabe und Berücksichtigung der Interessenträger — insbesondere der gesellschaftlichen Akteure und der KMU — beitragen möchten. Die Organisationen nach Anhang III würden regelmäßig zu den Sitzungen dieses Forums eingeladen.

4.1.1

Das Forum könnte unter anderem die Aufgabe haben, eine jährliche öffentliche Anhörung zum Thema Integration des europäischen Normungssystems zu veranstalten. Im Rahmen dieser Veranstaltung würde der EWSA die Akteure des europäischen Normungssystems und die Europäische Kommission zu einer öffentlichen Anhörung zu den in Artikel 24 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 vorgesehenen Berichten einladen, um deren Kenntnis und Verbreitung zu verbessern. Bei dieser Gelegenheit würde der EWSA auch das Europäische Parlament an den einschlägigen Arbeiten beteiligen.

4.1.2

Außerdem könnte das Forum eine Studie über die Zusammensetzung der nationalen Spiegelausschüsse finanzieren, um deren Repräsentativität und Integration zu bewerten.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 69.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/86


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge

[COM(2016) 31 final — 2016/0014 (COD)]

(2016/C 303/11)

Berichterstatter:

Herr Jan SIMONS

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 4. Februar bzw. am 11. Februar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge

[COM(2016) 31 final — 2016/0014 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 10. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 157 gegen 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission und ihr Bestreben, die Effektivität des Rechtsrahmens zu verbessern, um wirtschaftliche, umweltbezogene und soziale Ziele zu erreichen, wodurch zur Förderung der Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht im System beigetragen wird. Es sollte jedoch hervorgehoben werden, wie wichtig die Schaffung von ausgewogenen Rechtsvorschriften ist. Zudem müssen wirksame und kosteneffiziente Maßnahmen festgelegt werden.

1.2

Der EWSA unterstützt die vorgeschlagene Wahl einer Verordnung statt einer Richtlinie, um die bei der Auslegung und Strenge der Anwendung zwischen den Mitgliedstaaten herrschenden Unterschiede zu verringern. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, dieselbe Vorgehensweise künftig bei allen Binnenmarktvorschriften anzuwenden, wo dies zweckmäßig erscheint.

1.3

Die Überarbeitung beinhaltet die Verabschiedung einer Reihe von Rechtsakten und die Abstimmung einer Reihe von Fristen. Die Kommission, das Parlament und der Rat werden nachdrücklich dazu aufgefordert, einen angemessenen und ehrgeizigen Zeitplan für den Erlass der delegierten Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte festzulegen, der derzeit fehlt.

1.4

Detaillierte Marktüberwachungsvorschriften sollen dafür sorgen, dass nichtkonforme Produkte aus diesem konkreten Markt ausgeschlossen werden. Es müssen wirksame und kosteneffiziente Maßnahmen vorgesehen werden, insbesondere jene, die Auswirkungen auf die Marktvorgänge und Produktkosten haben. Es ist unbedingt ein effektives und unkompliziertes System für die Abstimmung und Zusammenarbeit aller Beteiligten, insbesondere für die Aktivitäten der Mitgliedstaaten, erforderlich.

1.5

Verbesserungen, was die Benennung, regelmäßige Überprüfung und Funktionsweise technischer Dienste anbelangt, sind grundsätzlich positiv. Es wird jedoch eine Reihe von beschwerlichen und unnötigen Anforderungen vorgeschlagen, die zu einem Kostenanstieg und zu einer Zunahme von Verzögerungen für die Verwaltungseinrichtungen und Hersteller führen und keine tatsächlichen Vorteile mit sich bringen würden.

1.6

Es sollten detailliertere Verfahren festgelegt werden, damit das neue Konzept der zeitlichen Gültigkeit für Genehmigungsbögen effizienter umgesetzt werden kann.

1.7

Der EWSA begrüßt eine weitere Konkretisierung und Vereinfachung der Verfahren und Anforderungen, die Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen haben, nebst Nischenmärkten, Ersatzteilen und Bauteilen. Der EWSA empfiehlt ferner, die Typgenehmigung von Anschlussmarktprodukten, die sich auf die Sicherheit und den Umweltschutz auswirken, ordnungsgemäß zu prüfen und zu regulieren.

2.   Einleitung und Hintergrund

2.1

Die Automobilindustrie spielt eine wichtige Rolle in der EU-Wirtschaft. Im Jahr 2012 wurden durch sie 2,3 Millionen direkte und 9,8 Millionen indirekte Arbeitsplätze bereitgestellt. Rund 75 % der originalen Bauteile und Technologie für Fahrzeuge stammen von unabhängigen Lieferanten. Der Umsatz beläuft sich auf insgesamt 859 Milliarden EUR und entspricht damit 6,4 % des Bruttoinlandsprodukts der EU.

2.2

Der Rechtsrahmen für das EU-Typgenehmigungssystem ist die Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (1), in der die Verfahren für die Genehmigung neuer Fahrzeuge und Anhänger sowie ihrer Systeme und Bauteile festgelegt sind, um Sicherheits- und Umweltschutzstandards zu gewährleisten. Siebzig spezifische technische Vorschriften sind erforderlich, von denen viele von den Vereinten Nationen aufgestellte internationale Vorschriften sind.

2.3

Allgemeine Bestimmungen bezüglich der Marktüberwachung finden nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) Anwendung.

2.4

Die Kommission hat bereits 2010 damit begonnen, den Rechtsrahmen für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen zu überarbeiten.

2.5

Der aktuelle Rahmen steht seit September 2015, nachdem bekannt wurde, dass Volkswagen „Abschalteinrichtungen“ (eine spezielle Art von Software zur Umgehung der Emissionsanforderungen) eingesetzt hat, besonders in der Kritik. Im Jahr 2016 erklärte die Kommission, dass die Verfahren zur Sicherstellung einer harmonisierten Umsetzung und Durchsetzung des aktuellen Rechtsrahmens nicht zuverlässig genug seien und dass aufgrund einer unterschiedlichen Auslegung und Anwendung der Vorschriften durch die Mitgliedstaaten die Hauptziele der Richtlinie untergraben würden.

2.6

In der Folgenabschätzung der Kommission zu diesem Vorschlag werden enorme Kosten für nichtkonforme Fahrzeuge und Teile aufgezeigt, die sich auf bis zu 12 Milliarden Euro jährlich belaufen könnten.

3.   Vorschlag der Kommission

3.1

Die wesentlichen Ergebnisse einer (2010 durchgeführten) öffentlichen Konsultation, einer Folgenabschätzung und einer Eignungsprüfung (2013), zusammen mit den Schlussfolgerungen der Mitteilung „CARS 2020: Ein Aktionsplan für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Automobilindustrie in Europa“ (2012), legen nahe, dass eine Überarbeitung der Verfahren für die Überwachung der Kfz-Produkte auf dem EU-Markt erforderlich ist, um sicherzustellen, dass alle Fahrzeuge und Teile den rechtlichen Anforderungen entsprechen und gleichzeitig der Verwaltungsaufwand verringert, die Forschung und Entwicklung innovativer Produkte unterstützt, die internationale Vereinheitlichung gefördert und die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen berücksichtigt werden.

3.2

Der Vorschlag wird dazu beitragen, drei Ziele zu erreichen:

die Stärkung der Unabhängigkeit und Qualität von Prüfverfahren für das Inverkehrbringen von Fahrzeugen;

die Verbesserung der Effektivität des Marktüberwachungssystems durch die Kontrolle neuer bzw. bereits in Betrieb genommener Fahrzeuge und Teile;

die Verbesserung des Typgenehmigungssystems durch eine strengere Aufsicht auf EU-Ebene.

3.3

Die Kommission schlägt neben anderen Maßnahmen vor, das Vergütungssystem zu ändern, um finanzielle Verflechtungen zwischen Prüflaboren und Herstellern zu verhindern, die zu Interessenskonflikten führen und die Unabhängigkeit der Prüfverfahren beeinträchtigen könnten. Der Vorschlag sieht außerdem strengere Leistungskriterien für diese technischen Dienste vor, die regelmäßig und unabhängig geprüft werden sollten, um ihre Benennung zu erhalten und beizubehalten. Nationale Typgenehmigungsbehörden werden einer Überprüfung durch Gleichrangige unterliegen, um sicherzustellen, dass die einschlägigen Vorschriften in der gesamten EU umgesetzt und konsequent durchgesetzt werden.

3.4

Mit dem Vorschlag wird ein System für die Verwaltung und Koordinierung von Stichprobenkontrollen bei neuen und bereits in Betrieb genommenen Fahrzeugen und Teilen festgelegt und die Kommission befugt, Überprüfungen vorzunehmen und Rückrufaktionen zu starten.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission als Ganzes und betont, wie wichtig es ist, ausgewogene Rechtsvorschriften aufzustellen. Aus dem Vorschlag wird die Festlegung kostengünstiger Maßnahmen resultieren, die es ermöglichen werden:

eine größere Chancengleichheit zu gewährleisten, wo Marktteilnehmer von einem fairen Wettbewerb profitieren würden;

den Schutz von Verbrauchern und der Umwelt vor nichtkonformen Produkten zu verbessern, die zu Verkehrsunfällen und einer schlechten Luftqualität beitragen;

sorgfältig die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen zu berücksichtigen;

zur Wiederherstellung des Vertrauens der Verbraucher in dieses Marktsegment beizutragen.

4.2

Ein zu beachtender Aspekt ist der Zeitplan für die Einführung neuer Anforderungen und Verfahren, um den Verwaltungseinrichtungen und Herstellern für die Anpassung ausreichend Vorbereitungszeit einzuräumen. Dieser Zeitplan sollte außerdem vollständig mit sämtlichen damit in Zusammenhang stehenden delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten, die in der nahen Zukunft von der Kommission verabschiedet werden, abgestimmt sein.

4.3

Es wird erneut ein Schwerpunkt auf die Marktüberwachung gelegt und es werden speziell dafür vorgesehene neue Vorschriften eingeführt, um die konkrete Situation dieses Marktsegments anzugehen. Es müssen jedoch Maßnahmen gegen die Vermehrung vergleichbarer Kontrollen und die Vervielfachung von Anfragen nach ähnlichen Informationen ergriffen werden, um Marktverzerrungen und übermäßige Belastungen oder Kosten zu vermeiden, und Objekte für die Marktüberwachung sollten zu Marktpreisen erworben werden. Insofern muss ein zuverlässiges und wirksames System für die Abstimmung und die Zusammenarbeit aller beteiligten Parteien (Marktaufsichtsbehörde, Marktteilnehmer, Hersteller, Typgenehmigungsbehörde) eingerichtet werden, wobei auch innerhalb und/oder außerhalb Europas bestehende bewährte Verfahren zu berücksichtigen sind.

4.4

Der EWSA unterstützt das Ziel, die Effektivität des Typgenehmigungsrahmens durch eine Verringerung der unterschiedlichen Auslegung und Strenge bei der Anwendung in den Mitgliedstaaten zu fördern und das gesamte Rechtssystem stabiler zu machen. Der vorgeschlagene Übergang von der Richtlinie 2007/46/EG zum Rechtsinstrument einer EU-Verordnung, die am zweckmäßigsten erscheint, ist ein erster Schritt nach vorne. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, dieselbe Vorgehensweise künftig bei allen Binnenmarktvorschriften anzuwenden, wo dies zweckmäßig erscheint.

4.4.1

Im Vorschlag wird großer Wert auf die Verbesserung der Verfahren für die Benennung und die regelmäßige Überprüfung des bzw. der technischen Dienste(s) gelegt, der bzw. die von einer Typgenehmigungsbehörde als Prüflabor angegeben wird bzw. werden. Dies kann als ein positives Merkmal erachtet werden. Bei dem Vorschlag besteht jedoch die Gefahr, dass beschwerliche und unnötige Anforderungen festgelegt werden, die zu einem Kostenanstieg und einer Zunahme von zeitlichen Verzögerungen ohne tatsächlichen Vorteil führen können, was wahrscheinlich eine unangemessene Umsetzung zur Folge hätte. Darüber hinaus erscheint eine übermäßige Überprüfung der Qualifikation der technischen Dienste, einschließlich doppelter oder übergreifender Prüfungen zwischen Behörden in verschiedenen Mitgliedstaaten, sowie die vorgeschlagene Häufigkeit der Prüfungen nicht kosteneffizient und kann im Widerspruch zum Genehmigungssystem der UNECE stehen.

4.4.2

Die wesentlich strengeren und starreren Grundsätze für die Ungültigkeitserklärung von Typgenehmigungsbögen, insbesondere im Fall von kleineren oder administrativen Nichtübereinstimmungen, scheinen den Grundsätzen einer „besseren Rechtsetzung“ zu widersprechen und sollten nicht, wie nun vorgeschlagen, zur Unterbrechung des Produktabsatzes führen.

4.4.3

Das vorgeschlagene System für eine nationale Gebührenordnung, mit dem festgelegt wird, wie die Mitgliedstaaten die Einnahmen aus Typgenehmigungstätigkeiten sammeln und verwalten sollten, scheint unverhältnismäßig und droht, kleinere Behörden der Fähigkeit zu berauben, wertvolle Dienste anzubieten.

4.5

Ein völlig neues Konzept bezieht sich auf die Gültigkeitsdauer eines Typgenehmigungsbogens von fünf Jahren, mit der Möglichkeit, erneuert zu werden, wenn die Typgenehmigungsbehörde bestätigt, dass dieser noch den geltenden Vorschriften entspricht. Diese neue Maßnahme kann effektiv dazu beitragen, die Anzahl „ungültiger“ Bögen zu verringern. Doch die extreme Komplexität und die umfangreiche Beschaffenheit dieser Bögen, die Hunderte von untergeordneten Bögen mit unterschiedlicher Gültigkeitsdauer umfassen und die jeweils mit unterschiedlichen Lieferanten von Teilen oder Komponenten in Zusammenhang stehen, erfordern detailliertere und zuverlässigere Verfahren als die im Vorschlag beschriebenen.

4.5.1

Es sollte verdeutlicht werden, ob und wie sich diese Verfahren gegebenenfalls auf die Bauteil- oder Systemzulassung beziehen, für die Typgenehmigungen, die nach Maßgabe des Rahmenwerks der Vereinten Nationen (UNECE) erteilt werden, in jedem Fall nur gemäß dem entsprechenden Rechtsrahmen reguliert werden können.

4.6

Um das Profil von Fahrzeugstrategien und konkreten Funktionsparametern, die die Sicherheit und den Umweltschutz beeinflussen können, zu schärfen, werden Hersteller dem Vorschlag nach verpflichtet, den Typgenehmigungsbehörden jede Art von Software oder Algorithmus uneingeschränkt zugänglich zu machen. Diese Anforderungen sind ziemlich breit gefasst und erfordern detailliertere Vorschriften für die verschiedenen Fälle, aus denen klar hervorgeht, dass Betriebsgeheimnisse stets gewahrt werden müssen.

4.7

Im Vorschlag wird vorgesehen, Verfahren und Anforderungen zu überarbeiten, die sich auf kleine und mittlere Unternehmen sowie auf Nischenprodukte auswirken. Der EWSA begrüßt das Vorhaben der stärkeren Konkretisierung und Vereinfachung der Verfahren, die sich auf folgende Aspekte beziehen:

„Mehrstufen-Fahrzeuge“, die von zwei oder mehr Herstellern in aufeinanderfolgenden Stufen gefertigt werden;

Einzelgenehmigungen für ein oder mehrere Fahrzeug(e) eines bestimmten Typs;

nationale Kleinserien für eine begrenzte Produktion auf nationaler Ebene;

EU-Kleinserien für Busse und Lastkraftwagen, für eine begrenzte Produktion auf europäischer Ebene (Personenkraftwagen und Transporter kommen bereits für eine EU-Kleinseriengenehmigung in Frage).

4.7.1

Der EWSA empfiehlt ferner, die Typgenehmigung von Anschlussmarktprodukten, die sich auf die Sicherheit und den Umweltschutz auswirken, ordnungsgemäß zu prüfen und zu regulieren.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Die „auslaufende Serie“ ist ein Verfahren, das die Zulassung von Fahrzeugen ermöglichen soll, die aus kommerziellen Gründen unverkauft bleiben und deren Typgenehmigung aufgrund von technischen Hürden bei der Erfüllung neuer Anforderungen ihre Gültigkeit verloren hat. Dieses Verfahren wird bereits angewandt, gibt jedoch jedem Mitgliedstaat das Recht, unabhängig zu handeln. Der EWSA begrüßt insbesondere den Vorschlag, das Verfahren auf europäischer Ebene zu vereinheitlichen, der vorgeschlagene Text gibt den Mitgliedstaaten jedoch nach wie vor das Recht, das Verfahren abzulehnen oder zu beschränken. Nur ein echtes europäisches Verfahren kann für die Gewissheit und Stabilität sorgen, die notwendig ist, um den EU-Binnenmarkt aufrechtzuerhalten.

5.1.1

Der Text zur „auslaufenden Serie“ muss stärker präzisiert und umformuliert werden, wobei zeitliche Beschränkungen noch stärker vereinfacht werden könnten, um die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Absatzvolumen zu verringern, das im Vergleich zum gesamten Markt relativ geringfügig ist.

5.2

Die elektronische „Übereinstimmungsbescheinigung“ existiert bereits in einigen Mitgliedstaaten. Zudem wird im Rahmen des europaweiten Projekts „EReg“ gerade ein Verfahren für die „elektronische Zulassung“ von Fahrzeugen ohne Papierdokumente zum Abschluss gebracht. Zwei Systeme, das europäische Datenaustauschsystem für Typgenehmigungen „ETAES“ (European Type-Approval Exchange System) und die UN-Datenbank für den Austausch von Typgenehmigungen „DETA“ (Database for the Exchange of Type-Approvals), sorgen für die elektronische Archivierung von Typgenehmigungsbögen. Es wäre sinnvoll, wenn der Vorschlag der Kommission einen Anreiz für die zügige Einführung von europäischen harmonisierten Verfahren für die elektronische Einreichung und den Austausch von Typgenehmigungsinformationen und Zulassungsdaten über eine — soweit es die Wahrung der Betriebsgeheimnisse erlaubt — öffentlich zugängliche, gemeinsame, elektronische Datenbank der EU enthielte, was — neben Vorteilen für die Umwelt — einen Abbau von Bürokratie sowie eine Kosten- und Zeitersparnis für Verwaltungseinrichtungen, Hersteller und Verbraucher zur Folge haben würde.

5.3

Der überarbeitete Rechtstext ist nicht vereinbar mit dem aktuellen System für die Nummerierung und Identifizierung einzelner Posten, die bereits seit vielen Jahren Anwendung findet. Eine Änderung am Nummerierungssystem ist nicht gerechtfertigt und wäre eine enorme Komplikation. Sie würde zusätzlichen bürokratischen Aufwand für Verwaltungseinrichtungen und Hersteller bedeuten und es ist davon auszugehen, dass dadurch Fehler verursacht werden, die zu höheren Kosten und Verzögerungen führen. Ein Typgenehmigungsdossier kann gut Hunderte von Seiten an Informationen mit Tausenden nummerierten Zeilen enthalten.

5.4

Im Rahmen des neuen Verfahrens der „auslaufenden Serie“ wird vorgeschlagen, einige spezifische Informationen auf die Übereinstimmungsbescheinigung jedes betreffenden Fahrzeugs zu drucken. Dies ist jedoch unpraktisch, da die Übereinstimmungsbescheinigung üblicherweise gedruckt wird, bevor das Fahrzeug auf den Markt gebracht wird. Es ist also weder möglich, zu einem späteren Zeitpunkt weitere Daten hinzuzufügen, noch effektiv, da Fahrzeuge, die nicht verkauft werden, nicht von Anfang an identifiziert werden können. Sollten für eine ausgewählte Anzahl von Fahrzeugen zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr Informationen benötigt werden, dann kann vom Hersteller gemäß dem aktuellen Verfahren ein separates Dokument bereitgestellt werden.

5.5

Es wird vorgeschlagen, Typgenehmigungsbehörden einen dreimonatigen Zeitraum zur Erstellung eines Antrags für die Genehmigung nationaler Kleinserien und die Entscheidung für die Annahme oder Ablehnung einzuräumen. Dies scheint, insbesondere für kleine Unternehmen, ein enormer zeitlicher Verzug zu sein, und könnte auf zwei Monate reduziert werden.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007, ABl. L 263 vom 9.10.2007, S. 1.

(2)  Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008, ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 30.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/91


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente in Bezug auf bestimmte Daten

[COM(2016) 56 final — 2016/0033 (COD)]

und

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente, der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 über Marktmissbrauch und der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer in Bezug auf bestimmte Daten

[COM(2016) 57 final — 2016/0034 (COD)]

(2016/C 303/12)

Berichterstatter:

Daniel MAREELS

Das Europäische Parlament beschloss am 25. Februar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente in Bezug auf bestimmte Daten

[COM(2016) 56 final — 2016/0033 (COD)].

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 25. Februar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente, der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 über Marktmissbrauch und der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer in Bezug auf bestimmte Daten

[COM(2016) 57 final — 2016/0034 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 10. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 26. Mai) mit 132 gegen 2 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Angesichts der im Hauptteil der Stellungnahme genannten Umstände akzeptiert der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) die Vorlagen der Kommission, in denen vorgeschlagen wird, die vollständige Anwendung der MiFID II-Regelung um ein Jahr vom 3. Januar 2017 auf den 3. Januar 2018 aufzuschieben Bedingt wird dieser Aufschub angeblich durch eine Reihe wichtiger technischer und IT-bezogener Probleme sowie die Tatsache, dass ein teilweiser Aufschub nicht unproblematisch wäre, da dies wiederum eine Reihe weiterer schwieriger Fragen aufwerfen würde, u. a. in Bezug auf Klarheit, Rechtssicherheit, potenzielle Marktverzerrungen und zusätzliche Kosten und Investitionen. Der EWSA fordert gleichwohl, dass alles getan wird, um einen weiteren Aufschub der Anwendung der MiFID II zu vermeiden und im Zeitraum des Aufschubs sicherzustellen, dass die Vorschriften zum Anlegerschutz in der Praxis nicht beeinträchtigt werden. In Erwartung der neuen Regelung müssen gegebenenfalls die bestehenden Vorschriften der MiFID I weiterhin unvermindert in Kraft bleiben.

1.2

Diese Forderung des EWSA ist umso mehr gerechtfertigt, als er in der Vergangenheit bereits gewisse Reformen der Finanzmärkte befürwortet (1) und auf deren rasche Umsetzung gepocht hat. Dies war u. a. bei der Vereinbarung der MiFID II im Jahr 2014 der Fall. Die MiFID II ist die überarbeitete und erweiterte Fassung der 2007 eingeführten europäischen Richtlinie MiFID (2) (MiFID I) und die Einführung der MiFIR-Verordnung (3). Im Wesentlichen geht es darum, dass die europäischen Finanzmärkte durch MiFID II effizienter und transparenter werden sollen und der Schutz von Investoren verbessert wird.

1.3

Als zumal die Überarbeitung und Verbesserung der MiFID-Richtlinie zur Diskussion stand, betonte der EWSA: „Übergeordnetes Ziel der Richtlinie ist es, die Transparenz und die Effizienz des Handels zu fördern und die Volatilität der Märkte zu beschränken, aber auch für korrektes Verhalten der Intermediäre zu sorgen, den Anlegerschutz zu stärken und die europäischen Märkte für einen effektiven Wettbewerb bei den Finanzdienstleistungen zu öffnen. Der EWSA unterstützt diese Ziele und ist der Auffassung, dass der Vorschlag im Großen und Ganzen in die richtige Richtung geht“ (4). Diese Ziele und die Anwendung der neuen Bestimmungen dürfen durch diese Verzögerung in keiner Weise beeinträchtigt werden.

2.   Hintergrund

2.1

Bei der Regulierung der Finanzmärkte wurden seit der Einführung der MiFID I im Jahr 2007, dessen Ziel letztendlich in der Förderung fairer und transparenter Märkte bestand, neue Wege beschritten. Diese Richtlinie hat insbesondere im Bereich des Wettbewerbs und der weiteren Integration der europäischen Finanzmärkte Verbesserungen gebracht. Die MiFID I führte zur Liberalisierung des Marktes für Auftragsausführung. Der Wettbewerb zwischen den Handelsplätzen hat zugenommen, und es kam zu einer Fragmentierung des Marktes. Außerdem wurden Vorschriften in Bezug auf den Anlegerschutz und den Schutz der Marktintegrität eingeführt.

2.2

Aufgrund der Finanzkrise wurde der Ruf nach mehr und strikterer Überwachung laut. Auch wurden Schwächen beim Anlegerschutz und Mängel bei der Funktionsweise und Transparenz der Finanzmärkte offenbar. Darüber hinaus mussten neue technische Entwicklungen auf dem Markt berücksichtigt werden, etwa im Bereich des Hochfrequenz- und algorithmischen Handels.

2.3

Infolge dessen wurde der vorhandene Rechtsrahmen ersetzt und ausgebaut. Dies geschah 2014 mit der MiFID II-Richtlinie in Kombination mit der Einführung der MiFIR-Verordnung, die die MiFID I ersetzen. Mit der MiFID II sollen die europäischen Finanzmärkte durch MiFID II effizienter und transparenter und der Schutz von Investoren verbessert werden.

2.4

Die MiFID II ist auf eine breitere Palette von Finanzinstrumenten anwendbar und gewährleistet, dass der Handel an reglementierten Handelsplätzen stattfindet. Verbessert werden sowohl die Transparenz und die Aufsicht über die Finanzmärkte als auch die Wettbewerbsbedingungen für den Handel mit Finanzinstrumenten und deren Clearing. Die überarbeiteten MiFID-Vorschriften stärken zudem den Anlegerschutz, indem sie solide organisatorische Anforderungen und Wohlverhaltensregeln einführen.

2.5

Bei der Ausarbeitung der Texte im Jahr 2014 wurde festgelegt, dass die Umsetzung der neuen Regelung in nationales Recht (5) bis zum 3. Juli 2016 erfolgen muss und der Wortlaut ab dem 3. Januar 2017 gilt.

2.6

Der vorliegende Vorschlag zielt darauf ab, das Inkrafttreten der MiFID II um ein Jahr vom 3. Januar 2017 auf den 3. Januar 2018 zu verschieben.

2.7

Dieser Aufschub ist insbesondere auf die Probleme zurückzuführen, vor denen die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) (6), die zuständigen nationalen Behörden und die Interessenträger bei der technischen Durchführung stehen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die MiFID II äußerst komplex ist und eine beträchtliche Zahl von Durchführungsmaßnahmen erfordert, u. a. im Zusammenhang mit den geplanten Berichtspflichten. Die entsprechenden Strukturen müssen fast ausnahmslos erst aufgebaut werden, was mehr Zeit als ursprünglich erwartet in Anspruch nimmt.

3.   Bemerkungen

3.1

Bei der Ausarbeitung der Texte wurde anvisiert, MiFID II in den Mitgliedstaaten bis zum 3. Juli 2016 umzusetzen und den Wortlaut am 3. Januar 2017 in Kraft treten zu lassen.

3.2

In MiFID II ist im Hinblick auf die Erreichung ihrer Ziele u. a. ein umfassendes System zur Datenerhebung vorgesehen. Im Hinblick auf die Gewährleistung einer effizienten und harmonisierten Datenerhebung muss eine neue Infrastruktur für die Datenerhebung entwickelt werden. Deshalb muss die ESMA in Zusammenarbeit mit den zuständigen nationalen Behörden ein Referenzdatensystem für Finanzinstrumente (im Folgenden „Referenzdatensystem“) einrichten, das die gesamte Bandbreite der Finanzinstrumente abdeckt, die in den erweiterten Anwendungsbereich von MiFID II fallen. Dazu müssen Datenströme zwischen der ESMA, den zuständigen nationalen Behörden und rund 300 Handelsplätzen in der gesamten Europäischen Union verknüpft werden. Aus der vorhandenen Information geht hervor, dass die überwiegende Mehrheit der neuen IT-Systeme, auf denen das Referenzdatensystem beruht, auf der Grundlage neuer Parameter völlig neu aufgebaut werden müssen (7).

3.3

Angeblich wegen der Komplexität des neuen Rechtsrahmens und der sehr großen Zahl der erforderlichen delegierten Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte wurde der Geltungsbeginn der MiFIR auf 30 Monate nach ihrem Inkrafttreten festgesetzt. Trotz der ungewöhnlich langen Frist behaupten die Interessenträger, wie etwa die Handelsplattformen, die zuständigen nationalen Behörden und die ESMA, nicht gewährleisten zu können, dass die erforderlichen Dateninfrastrukturen bis zum 3. Januar 2017 vorhanden und einsatzbereit sind. So hat insbesondere die ESMA bereits vor Ende 2015 der Kommission mitgeteilt, dass eine Verschiebung der technischen Durchführung von MiFID II unabdingbar sei. Dies wurde mit dem Umfang und der Komplexität der Daten vor allem in bestimmten Fällen (8) begründet, die erhoben und verarbeitet werden müssten, damit der neue Rahmen zur Anwendung kommen könne, sowie damit, dass sich der Mangel an Infrastruktur für die Datenerhebung auf den gesamten Anwendungsbereich von MiFID II auswirke (9).

3.4

Die Kommission hat diese Situation bewusst akzeptiert und infolgedessen zwischen einem teilweisen und einem vollständigen Aufschub von MiFID II abgewogen. Ein solcher teilweiser Aufschub ist jedoch für die Kommission offensichtlich nicht naheliegend und würde in jedem Fall eine Reihe neuer und schwerwiegender Probleme aufwerfen. Diese Probleme beziehen sich insbesondere auf das Risiko von Unklarheiten, die Abgrenzung von unmittelbar durchsetzbaren gegenüber anderen Vorschriften sowie die Ausarbeitung von Übergangsregelungen, die überdies wiederum neue Probleme hervorrufen können und die Gefahr weiterer Verzögerungen bergen. Darüber hinaus müsste auch der Kosteneffizienz Rechnung getragen werden.

3.5

Unter Berücksichtigung der angeführten bestehenden technischen und IT-Probleme sowie der Argumentation, dass ein teilweises Inkrafttreten nicht unproblematisch sei und alles unternommen werden müsse, um weitere Verzögerungen zu vermeiden, was bei einem teilweisen Inkrafttreten nicht ausgeschlossen werden könne, ist laut der Kommission der Vorschlag, die vollständige Umsetzung der MiFID II um ein Jahr zu verschieben, die vernünftigste und akzeptabelste Option.

3.6

Der EWSA bedauert, dass die Kommission nicht unmittelbar reagiert hat, als sie bereits 2015 die ersten Hinweise auf die Verzögerung bei der technischen Umsetzung der MiFID II erhielt, und dass sie keine Initiative ergriffen hat, um die Probleme zu beheben oder eine andere Lösung zu finden — hierdurch hätten die Bedingungen für das Funktionieren der Finanzmärkte und der Anlegerschutz verbessert werden können.

3.7

Der EWSA räumt zwar ein, dass unter den gegebenen Umständen ein Aufschub das geringere Übel ist, vertritt jedoch die Auffassung, dass diese Verzögerung nur einmal auftreten darf und dass alles Erdenkliche getan werden muss, um weitere Verzögerungen bei der Umsetzung der MiFID II zu vermeiden. Des Weiteren muss sichergestellt werden, dass die Vorschriften zum Anlegerschutz in der neuen MiFID II-Richtlinie, die als solche nicht von den derzeitigen Schwierigkeiten betroffen sind, in der Zeit bis zur Anwendung dieser neuen Regelung ab dem 3. Januar 2018 in der Praxis nicht beeinträchtigt werden. In Erwartung der neuen Regelung müssen ggf. die bestehenden Vorschriften der MiFID I weiterhin unverändert in Kraft bleiben.

Brüssel, den 26. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 42.

(2)  Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente.

(3)  Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente.

(4)  ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 80.

(5)  Insbesondere die MiFID II-Richtlinie. Bei der MiFIR handelt es sich um eine Verordnung.

(6)  Die Abkürzung ist von der englischsprachigen Bezeichnung der Behörde abgeleitet — „European Security and Markets Authority“ (ESMA).

(7)  COM(2016) 56 final — 2016/0033 (COD), vgl. Erwägungsgrund 4.

(8)  COM(2016) 57 final — 2016/0034 (COD), vgl. Erwägungsgrund 5.

(9)  COM(2016) 57 final — 2016/0034 (COD), vgl. Erwägungsgrund 6.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/94


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission: Investitionen in Beschäftigung und Wachstum — Maximierung des Beitrags der europäischen Struktur- und Investitionsfonds

[COM(2015) 639 final]

(2016/C 303/13)

Berichterstatter:

Dimitris DIMITRIADIS

Die Europäische Kommission beschloss am 14. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission: Investitionen in Beschäftigung und Wachstum — Maximierung des Beitrags der europäischen Struktur- und Investitionsfonds

[COM(2015) 639 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 14. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 182 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den neuen Ansatz nach Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen (1), die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten und ihren Partnern zusammenzufassen und zu erläutern, um einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse dieses Prozesses zu geben. Der EWSA ist der Auffassung, dass dies die notwendige Basis für eine Bewertung und Kontrolle der wirksamen und effizienten Nutzung der im Finanzierungszeitraum 2014-2020 zur Verfügung stehenden begrenzten Mittel sowie für eine bessere Überwachung der Leistungen und Fortschritte bei der Umsetzung der Indikatorzielwerte liefert.

1.2

Der EWSA unterstützt die Bemühungen der Europäischen Kommission, die Wirksamkeit der europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) zu maximieren, und schließt sich der Auffassung an, dass diesem Bemühen in der Zeit nach der Krise oberste Priorität eingeräumt werden sollte. Nichtsdestoweniger weist er darauf hin, dass sowohl auf der europäischen als auch auf der einzelstaatlichen Ebene vor allem für eine stärkere Vereinfachung für die Begünstigten sowie für eine genauere Ausrichtung auf ihre Bedürfnisse gesorgt werden muss.

1.2.1

In diesem Zusammenhang fordert der EWSA eine engere Einbindung und Zusammenarbeit von Sozialpartnern und Interessenträgern mit der hochrangigen Gruppe unabhängiger Sachverständiger zur Überwachung der Vereinfachung für die Begünstigten der europäischen Struktur- und Investitionsfonds (2) und ruft die Kommission dazu auf, für eine effizientere und transparentere Kommunikation bezüglich der Zusammensetzung und der Arbeit dieser hochrangigen Gruppe zu sorgen. Der EWSA ist überzeugt, dass die Sozialpartner und weitere Interessenträger dazu beitragen könnten, sowohl nachahmenswerte als auch weniger gute Beispiele zu bestimmen und Möglichkeiten der Vereinfachung in ihrem Land anzuwenden.

1.3

Der EWSA begrüßt die neuen ESIF-Bestimmungen (3), da darin eine thematische Konzentration vorgesehen ist und der Schwerpunkt auf die Möglichkeiten zur Eindämmung der negativen Auswirkungen der Krise gelegt wird. Besonders begrüßenswert sind nach Auffassung des EWSA die neuen Instrumente und Ansätze wie die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen, die Europäische Ausbildungsallianz und der neue Fonds zur Armutsbekämpfung (4).

1.4

Gleichzeitig zeigt sich der EWSA besorgt darüber, dass in den Verordnungen über die Nutzung der ESIF nicht alle Fragen geklärt werden.

1.4.1

Der EWSA warnt davor, dass immer dann, wenn die Entscheidungen und die damit verbundenen Risiken an die Mitgliedstaaten weitergegeben werden, die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass diese eine zu konservative Haltung einnehmen, um eventuelle Sanktionen durch die Kommission zu vermeiden, wodurch ein erheblicher Teil der potenziellen Begünstigten vom Zugang zu den ESIF ausgeschlossen wäre.

1.4.2

Der EWSA dringt auf vereinfachte Verfahren, damit Organisationen, die Menschen mit Behinderungen sowie besonders schutzbedürftige Begünstigte vertreten, von den Vorschriften über staatliche Beihilfen ausgenommen werden können.

1.5

Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission zur Annahme des Europäischen Verhaltenskodex für Partnerschaften (5), der die Einbindung der Sozialpartner und anderer Interessenträger in sämtliche Phasen der Programmplanung sowie ihre Beteiligung am Beschlussfassungsprozess und an der Umsetzung und Begleitung der ESIF regelt.

1.6

Andererseits hat der EWSA gewisse Bedenken bezüglich der Art, wie diese Verordnungen und die neuen Instrumente und Ansätze in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden, da die Sozialpartner aufgrund der unterschiedlichen Vorgehensweisen auf nationaler Ebene eine ungleiche Position innehaben. So wird der Europäische Verhaltenskodex für Partnerschaften beispielsweise nicht in allen Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt bzw. voll und ganz eingehalten: Sozialpartner werden nicht angemessen in die Umsetzung der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen einbezogen, und die Bedeutung gemeinsamen Handelns wird nicht in allen Mitgliedstaaten umfassend anerkannt, was dazu führt, dass der Beitrag, den die Sozialpartner zur Bewältigung der negativen Folgen der Krise, zur besseren Steuerung des industriellen Wandels und zur Schaffung von Beschäftigung und Wachstum leisten könnten, ungenutzt bleibt. Der EWSA schlägt der Kommission vor, die rechtlichen und die praktischen Maßnahmen zur Gewährleistung der vollständigen Umsetzung des Partnerschaftsprinzips und des Verhaltenskodex bis spätestens Ende 2016 anzunehmen sowie detailliertere Bestimmungen und Maßnahmen zu erlassen, um diese unterschiedlichen Praktiken auf nationaler Ebene zu vermeiden.

1.7

Der EWSA fordert eine Halbzeitüberprüfung der Verordnungen, in denen die Investitionen aus den ESIF geregelt sind, sowie insbesondere jener zu den staatlichen Beihilfen (6), da diese Regelwerke sowohl bei den Mitgliedstaaten als auch bei den Begünstigten die größte Unklarheit stiften und das höchste Risiko für Finanzkorrekturen bergen. Dies sollte im Rahmen der Kommissionsmitteilung und des Vorschlags für eine Verordnung des Rates zur Halbzeitüberprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 erfolgen. Der EWSA fordert die Kommission eindringlich dazu auf, den in den Politischen Leitlinien der Kommission Juncker (7) vorgegebenen Kurs einzuhalten, wonach „das Investitionsumfeld verbessert und für eine stärkere Inanspruchnahme der Mittel gesorgt werden“ muss.

1.8

Die öffentliche Auftragsvergabe ist ein weiterer Bereich, in dem Unklarheit herrscht und es laufend zu Problemen kommt, und der EWSA bedauert, dass in den letzten zehn Jahren keine funktionierende Lösung für alle Mitgliedstaaten gefunden wurde, die eine äußerst transparente, reibungslose und effiziente Auswahl von Unterauftragnehmern bei Investitionen aus den ESIF gewährleistet. Eine weitere Schwierigkeit erwächst diesbezüglich aus den spezifischen nationalen Bestimmungen zu diesem Bereich.

1.9

Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU-Mittel nicht nur in erster Linie zur Umsetzung der Europa-2020-Ziele, sondern auch für verstärkte Investitionen in die Realwirtschaft eingesetzt werden sollten. Die Kommission sollte künftig eine quantitative Bewertung der Wirksamkeit und der Effizienz der bereits investierten Mittel vornehmen.

1.10

Außerdem fordert der EWSA die Kommission nachdrücklich dazu auf, mehr im Hinblick auf eine flächendeckendere Anwendung des Small Business Act auf nationaler und regionaler Ebene zu unternehmen und die Mitgliedstaaten insbesondere im Hinblick auf Investitionen aus den ESIF zu dessen Umsetzung zu verpflichten.

2.   Hintergrund und Rechtsgrundlage

2.1

Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen (8) sieht vor, dass die Kommission die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten und ihren Partnern zusammenfasst und erläutert, um einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse dieses Prozesses zu geben.

2.2

Die Bemühungen der Kommission zur Maximierung der Wirkung der ESIF sowie für mehr Vereinfachungen für die Begünstigten werden durch die Einrichtung der hochrangigen Gruppe unabhängiger Sachverständiger zur Überwachung der Vereinfachung für die Begünstigten der europäischen Struktur- und Investitionsfonds weiter verstärkt (9).

2.3

Die neuen ESIF-Bestimmungen (10) wurden angenommen, um ein besseres Regelwerk für den laufenden Programmplanungszeitraum zu schaffen und eine thematische Konzentration zu gewährleisten. Die Kommission hat in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern neue Instrumente und Ansätze entwickelt, etwa die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen, die Europäische Ausbildungsallianz oder den neuen Fonds zur Armutsbekämpfung (11).

2.4

Die Kommission hat den Europäischen Verhaltenskodex für Partnerschaften (12) angenommen, der die Einbindung der Sozialpartner und anderer Interessenträger in sämtliche Phasen der Programmplanung sowie ihre Beteiligung am Beschlussfassungsprozess und an der Umsetzung und Begleitung der ESIF regelt.

3.   Allgemeine Bemerkungen zu Investitionen aus den ESIF vor dem Hintergrund der aktuellen sozioökonomischen Lage

3.1    Die ESIF als Hauptimpulsgeber für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und als Quelle für öffentliche Investitionen

3.1.1

In Krisenzeiten ist es normal, dass die ESIF an Bedeutung gewinnen — insbesondere in den am stärksten von der Krise betroffenen Mitgliedstaaten. Jedoch dürfen die ESIF keinesfalls an die Stelle öffentlicher und insbesondere privater Investitionen treten, sondern müssen vielmehr die Voraussetzungen für die Ankurbelung dieser Investitionen schaffen. Wie bereits im Zusammenhang mit dem dritten Bereich der Investitionsoffensive für Europa (13) und dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen ausgeführt, die nur dann zu einem zentralen Entwicklungsinstrument werden, wenn ein Zusammenspiel mit den ESIF möglich ist, fordert der EWSA die Kommission und die Mitgliedstaaten dazu auf, ihre Bemühungen zur Stärkung der privaten Investitionen und des Geschäftsumfelds fortzusetzen. Die Kommission sollte die Auswirkungen der Investitionen aus den Fonds auf private Investitionen bewerten und den Koeffizienten dieser Anstoßfunktion für die Realwirtschaft errechnen.

3.1.2

Der EWSA bedauert, dass sich die vorliegende Mitteilung nur auf die Ergebnisse der Verhandlungen zum laufenden Programmplanungszeitraum bezieht und darin nicht die Lehren der Vergangenheit zusammengefasst und für die Zukunft zugrunde gelegt werden. Die Kommission sollte die tatsächlichen Auswirkungen des Einsatzes von EU-Mitteln im letzten Programmplanungszeitraum eingehend prüfen sowie die positiven bzw. negativen Erfahrungen sehr genau auswerten und als Grundlage für eine Optimierung des Investitionsprozesses heranziehen.

3.1.3

Der EWSA hat den Eindruck, dass die Kommission im Titel ihrer Mitteilung zwar auf die „Investitionen in Wachstum und Arbeitsplätze“ abstellt, im Text selbst aber kein besonderer Schwerpunkt auf Beschäftigung und Schaffung von Arbeitsplätzen gelegt wird. Der EWSA empfiehlt der Kommission, den Auswirkungen der einzelnen Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung und zur Senkung der Arbeitslosigkeit mehr Aufmerksamkeit zu widmen, um zu bewerten, ob und in welchem Ausmaß die investierten Mittel tatsächlich Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hatten.

3.2    Ein Rahmen für wirksamere ESI-Fonds

3.2.1

Wie bereits in kürzlich verabschiedeten Stellungnahmen (14) erläutert, ist der EWSA der Ansicht, dass die Verwendung des Begriffs KMU mit seiner veralteten und äußerst weit gefassten Definition zu einem zu weit gesteckten Schwerpunkt der Maßnahmen führt, der seinerseits verhindert, dass konkrete, greifbare Ergebnisse erzielt werden. Zudem ist die Berichterstattung über die erzielten Ergebnisse ohne die Anwendung präziserer Einteilungskriterien irreführend, da nach der aktuellen Definition 98 % der europäischen Unternehmen KMU sind. Wenn so ungenaue Kriterien angelegt werden, ist es nicht möglich, Informationen zu erfassen und zu verarbeiten, um zu prüfen, inwieweit sich die Lage der verschiedenen Gruppen gefährdeter Unternehmen tatsächlich verbessert hat, handelt es sich dabei doch um Unternehmen, die wichtig für die Schaffung und Bewahrung von Arbeitsplätzen sind und die zu diesem Zweck dringend Unterstützung benötigen, etwa Kleinstunternehmen oder Unternehmen in entlegenen Gebieten bzw. im ländlichen Raum. Solche Unternehmen leisten einen wertvollen Beitrag zur regionalen Entwicklung und zum Zusammenhalt, selbst wenn sie nicht innovativ, in hohem Maße wettbewerbsfähig oder hochkomplex sind.

3.2.1.1

Der EWSA fordert nachdrücklich, die Definition von KMU umgehend zu aktualisieren, um für mehr Klarheit und eine Kategorisierung der einzelnen Arten von KMU zu sorgen, damit ihrem Bedarf besser Rechnung getragen werden kann und ihnen zusätzliche, diversifiziertere Informationsquellen zur Verfügung gestellt und die Informationsquellen sowie die Methoden zur Zusammenstellung von Informationen über die verschiedenen Arten von KMU einschließlich der Methoden zur Verarbeitung und zur Analyse statistischer Daten zwischen den Mitgliedstaaten verbessert werden können.

3.2.2

Die weithin propagierte Nutzung von Finanzinstrumenten wird durch zahlreiche Fälle des Missbrauchs aufgrund fehlender Informationen und einer mangelnden wirksamen Überwachung in den Mitgliedstaaten unterlaufen. So kommen die Finanzinstrumente, über die KMU Zugang zu Darlehen zu günstigen Konditionen erhalten sollen, oft nicht jenen KMU zugute, denen es an Mitteln fehlt, sondern werden stattdessen von finanziell gut ausgestatteten KMU verwendet, um ihre Finanzierungskosten weiter zu senken, was in gleichem Maße für Finanzgarantien für KMU gilt. Dies wird allerdings in den meisten Fällen wegen des Fehlens angemessener Bewertungsverfahren und in Ermangelung eines Systems für die Einholung von Rückmeldungen der Mittelempfänger nicht einmal festgestellt.

3.2.3

Die Bemühungen der Kommission, die Verfahren im Interesse der Begünstigten zu vereinfachen, sind zu begrüßen, sollten jedoch nicht ohne Beteiligung letzterer unternommen werden. Es ist in diesem Zusammenhang bedauerlich, dass die in den Mitgliedstaaten angewandten Verfahren, mit denen Rückmeldungen der Begünstigten eingeholt werden, zu bürokratisch und zu wenig zielgerichtet sind. Sehr oft sind sie nicht geeignet, die wirklichen Ursachen der Probleme zu ermitteln, und liefern deshalb auch keine praktikablen Lösungen. Die Kommission sollte den unterschiedlichen Bedürfnissen von KMU wie leichterer Zugang zu Finanzierung, umfassenderer Zugang zu Begleitmaßnahmen, Coaching und Mentoring usw. Rechnung tragen.

3.2.4

Eine der wesentlichen Hürden für die Unternehmen ist das Fehlen korrekter und rechtzeitiger Informationen. Die Kommission weist immer wieder darauf hin, dass die Informationen vollständig und zugänglich und dass alle Verfahren transparent und gleichzeitig wirksam sein müssen. In dieser Beziehung hat die Kommission selbst den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten eher verkompliziert. Unternehmen, vor allem Kleinstunternehmen und kleine Unternehmen, sollten wissen, wo sie nach Informationen über die verschiedenen Programme und Projekte suchen müssen, die direkt von der Kommission gefördert werden. In den Mitgliedstaaten gibt es zentrale Informationsportale für alle operationellen Programme und Finanzinstrumente, und auch auf EU-Ebene sollte es ein solches Portal geben.

3.2.4.1

Die zur Verfügung gestellten Informationen sollten benutzerfreundlich sein, um eine effiziente Kommunikation zu gewährleisten und sicherzustellen, dass sie von allen relevanten Akteuren des Förderverfahrens vollständig verstanden werden. Der EWSA fordert die Kommission auf, sich zu bemühen, Anleitungen für Einreichungen möglichst nicht zu komplex zu gestalten und auch Projekten mit großem Potenzial, die von Unternehmen selbst und nicht von professionellen Verfassern von Förderanträgen eingereicht werden, eine Chance zu geben. Der EWSA empfiehlt der Kommission nachdrücklich, die Arbeit ihres europäischen Verbindungsbüros zu evaluieren und in Fällen von Ineffizienz dringend Abhilfe zu schaffen, da die Mitarbeiter häufig unterschiedliche, verwirrende und damit unklare, ja manchmal sogar sich widersprechende Informationen bereitstellen.

3.2.5

Der EWSA empfiehlt der Kommission nachdrücklich, ein benutzerfreundliches Portal einzurichten, in dem eine kurze Beschreibung aller Finanzierungsoptionen auf EU-Ebene sowie Links zu den Internetauftritten der einzelnen Programme zu finden sind. Die Kommission hat mit dem TED-Portal, das benutzerfreundlich ist und eine Vielzahl an Informationen bietet, bereits wertvolle Erfahrungen gewonnen.

3.2.6

Dasselbe gilt für die Berichterstattung in Bezug auf Projekte, die bereits genehmigt oder gar abgeschlossen wurden. Die Kommission verfügt nicht über öffentlich zugängliche, zusammenfassende Statistiken für Projekte, deren Finanzierung durch die Länder im Rahmen einzelner Programme bereits genehmigt wurde. Die Informationen sind unvollständig und auf verschiedene elektronische Formate verteilt.

3.2.7

Es sollte gründlich geprüft werden, welche Auswirkungen die Projekte hatten, die im vergangenen Programmplanungszeitraum umgesetzt wurden, welche gescheitert sind und inwieweit die investierten Mittel zur Verwirklichung der EU-Ziele beigetragen haben. Die Auswirkungen der ESIF auf KMU und ihr Beitrag zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit wurden nicht geprüft. Die Mitgliedstaaten und die Kommission vergessen nur allzu oft, dass die meisten neuen Arbeitsplätze von KMU geschaffen werden, die deshalb gezielte Unterstützung brauchen.

3.2.8

Der EWSA fragt sich, inwieweit die Vereinfachung der Verfahren und der Kosten von den Rechnungsprüfern der Kommission berücksichtigt wird. Oft ist eine übermäßig formale, bürokratische Herangehensweise zu beobachten, die darauf schließen lässt, dass die Rechnungsprüfer mehr praktische Erfahrung in dem zu prüfenden Bereich brauchen. Der EWSA empfiehlt deshalb, die Fachleute der verschiedenen Generaldirektionen und die Rechnungsprüfer der Kommission im Detail über die Vereinfachung der Verfahren zu informieren, da die Vorschriften für die Verwendung der Mittel recht oft unterschiedlich ausgelegt werden.

3.2.9

Der EWSA empfiehlt außerdem nachdrücklich, im Rahmen des ESF vereinfachte Kostenoptionen einzuführen. So wird beispielsweise die Aufgabe der Festlegung vereinfachter Kostenoptionen gemäß Artikel 14 Absatz 1 von der Kommission fälschlicherweise an die Mitgliedstaaten delegiert (15). Im Leitfaden für die Anwendung vereinfachter Kostenoptionen gemäß Artikel 14 Absatz 1 ist festgelegt, dass sich die Mitgliedstaaten auf der Grundlage eigener Untersuchungen zu den vereinfachten Kostenoptionen äußern und die Kommission anschließend einen delegierten Rechtsakt erlässt, was das Verfahren allerdings unnötig verkompliziert und den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten einschränkt. Eine denkbare Lösung wäre, dass die Kommission standardisierte Einheitskosten und Pauschalen für typische Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Europäischen Sozialfonds (ESF) festlegt, deren Berechnung keiner Rechnungsprüfung unterliegt.

3.2.10

Der EWSA hält es für sinnvoll, die Indikatoren in den operationellen Programmen weiter zu reduzieren. Die Einführung gemeinsamer Indikatoren war ein guter Ausgangspunkt, doch weisen bestimmte operationelle Programme noch immer eine große Zahl spezifischer Indikatoren auf, von denen einige während der Verhandlungen künstlich von der Kommission aufgenommen wurden. Der EWSA ist der Auffassung, dass der Schwerpunkt bei der Überwachung der operationellen Programme weg von den spezifischen Indikatoren hin zu gemeinsamen Indikatoren verlagert werden sollte, da dies eine bessere Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen operationellen Programmen in den verschiedenen Mitgliedstaaten ermöglicht.

3.2.11

Der EWSA fände es begrüßenswert, wenn bei den ESIF (statt auf Leistungsindikatoren) stärker auf Ergebnisindikatoren zurückgegriffen würde, und spricht sich zudem dafür aus, den eigenen Beitrag der ESIF zum Wachstum und die Entwicklung von Umweltindikatoren stärker in den Mittelpunkt zu rücken, um dem neuen bereichsübergreifenden Schwerpunkt „Umwelt“ Rechnung zu tragen.

3.2.12

Prinzipiell begrüßt der EWSA die Tatsache, dass den Begünstigten durch Instrumente für lokale Entwicklung (wie Integrierte territoriale Investitionen sowie von der Bürgerebene ausgehende lokale Entwicklung (community-led local development — CLLD)) mehr Flexibilität und Handlungsspielraum geboten werden sollen (16). Der EWSA fragt sich jedoch, inwieweit sich diese Instrumente tatsächlich in der Praxis einsetzen lassen, da sie sehr komplex sind und die praktische Vorgehensweise und die Aufteilung von Finanzmitteln, Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf die einzelnen operationellen Programme nicht klar geregelt sind.

4.   Erwartete Errungenschaften der ESI-Fonds-Programme

4.1    FuI, IKT und Entwicklung von KMU

4.1.1

Der EWSA betont nachdrücklich, dass die internationalen wirtschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen und Trends in Bezug auf Forschung und Innovation (FuI) sehr aufmerksam verfolgt und beobachtet und bei der Gestaltung konkreter Maßnahmen auf EU-Ebene unmittelbar berücksichtigt und dass die entsprechenden Informationen dann an die einzelnen Mitgliedstaaten weitergeleitet werden sollten. Da die Entwicklungen in diesem Bereich außerordentlich rasch verlaufen, ist es zudem nötig, einen Rahmen zu schaffen, der ein überaus hohes Maß an Flexibilität zur Anpassung der Maßnahmen ermöglicht.

4.1.2

Die Kommission muss sehr sorgfältig prüfen, welche Art von Gründer- und Technologiezentren im vergangenen Programmplanungszeitraum geschaffen wurde und ob sich diese als nachhaltig erwiesen haben. Außerdem muss sie vor einer weiteren Unterstützung dieser Einrichtungen genau prüfen, welche Ergebnisse — im Vergleich zu den wichtigsten globalen Wettbewerbern — durch ihren Beitrag zu FuI in der EU erzielt werden konnten. Es stellen sich zahlreiche Fragen in Bezug auf den Nutzen von Gründer- und Technologiezentren für die Förderung von FuI sowie hinsichtlich der Transparenz ihrer Finanzierung im Allgemeinen. Der EWSA fordert eine eingehende Analyse sowie eine Gegenüberstellung von Investitionen und Nutzen auf der operativen Ebene sowie im Hinblick auf die Rendite, den Mehrwert und die Nachhaltigkeit der Ergebnisse.

4.1.3

Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Bemühungen zur Förderung des digitalen Binnenmarkts und die genannten Errungenschaften, von denen geschätzte 14,6 Millionen Haushalte und 18,8 Millionen Menschen profitieren dürften. Es wäre jedoch nützlich zu wissen, ob diese Zahlen zu Haushalten und Menschen auf einer eingehenden Analyse beruhen, der die aktuellen Zahlen zu den europäischen Haushalten insgesamt und zur Gesamtbevölkerung zugrunde gelegt wurden. Der EWSA kann nicht beurteilen, ob die geplante Unterstützung für Unternehmen ausreichen wird, um die Verwirklichung dieser Ziele zu gewährleisten, und fordert die Kommission deshalb auf, eine gründliche Folgenabschätzung vorzunehmen, in die auch Indikatoren zur Messung der Zahl und der Qualität der neu geschaffenen Arbeitsplätze sowie der Verbesserung des Wohlergehens und des Lebensstandards der Bürgerinnen und Bürger aufgenommen werden sollten. Die Digitalisierung von Dienstleistungen bringt nicht zwangsläufig die Schaffung menschenwürdiger und guter Arbeitsplätze mit sich. Das Fehlen einer eingehenden Prüfung der Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt gefährdet die Umsetzung der Europa-2020-Ziele. Der EWSA hat seine Bedenken bezüglich der Digitalisierung und ihrer Auswirkungen auf die Sozialschutzsysteme bereits in jüngst verabschiedeten Stellungnahmen (17) geäußert.

4.1.4

Der EWSA hält den Anteil der geförderten KMU und die erwartete Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze im Verhältnis gesehen für vollkommen unangemessen und wünscht sich diesbezüglich, dass mehr erreicht wird. Er fordert die Kommission auf, europäische Richtwerte festzulegen und die Leistungen der Mitgliedstaaten anhand dieser Parameter zu messen und aufmerksam zu verfolgen.

4.1.5

Der EWSA hat Bedenken bezüglich der Art und Weise, wie die Mittel für direkt von der Kommission finanzierte Programme auf die Unternehmen verteilt werden, da die Unternehmen in bestimmten Mitgliedstaaten ganz eindeutig in einer stärkeren Position sind. So wurden z. B. laut offiziellen Daten im Rahmen von Horizont 2020 insgesamt 36 732 förderfähige Anträge eingereicht. Die Zahlen zu den ersten hundert Aufrufen ergeben folgendes Bild: 29 794 vollständige Einreichungen bei einstufigen Aufrufen, 5 617 Projektentwürfe in der ersten Phase der zweistufigen Aufrufe und 1 321 vollständige Einreichungen in der zweiten Phase der zweistufigen Aufrufe. Die meisten Anträge stammten jedoch aus den fünf größten Mitgliedstaaten — dem Vereinigten Königreich, Italien, Deutschland, Spanien und Frankreich. In diesen Ländern wurden bisher viele Projekte genehmigt, während andere Länder sehr geringe Erfolgsraten aufweisen. Der EWSA empfiehlt deshalb nachdrücklich, umgehend eine eingehende Analyse der Situation vorzunehmen und Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen, mit denen die Verbreitung von Informationen verbessert sowie ein gleichberechtigter Zugang und eine geografische Ausgewogenheit gewährleistet werden.

4.1.6

Dasselbe gilt für Großprojekte und die bestellten Gutachter: Auch hier ist der Anteil der neuen Mitgliedstaaten deutlich geringer. Dies erklärt, warum manche Länder ein schwaches Innovationsprofil aufweisen — sie haben keinen Zugang zu Finanzmitteln direkt aus der EU. Dieses Problem muss schnell und wirksam gelöst werden.

4.2    Umwelt, Klimawandel, Energie und Verkehr

4.2.1

Der EWSA begrüßt den geschätzten Beitrag zur Energieeffizienz, meint jedoch, dass dieser Beitrag besser in relativen Zahlen zum Ausdruck gebracht werden sollte, da dies ein klareres Bild ergeben würde, inwieweit die Umwelt- und Klimaschutzziele generell verwirklicht werden.

4.2.2

In der Mitteilung heißt es, dass sechs Mitgliedstaaten planen, etwa zwei Milliarden Euro in eine intelligente Strom- und Gasinfrastruktur zu investieren. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Kommission sichergestellt hat, dass diese Pläne Synergien und einen zusätzlichen Nutzen auf EU-Ebene bewirken, oder ob sie völlig unkoordiniert bleiben.

4.2.3

Der EWSA weist darauf hin, dass nicht geprüft und bewertet wurde, wie effizient die Nutzung erneuerbarer Energieträger ist und wie sie zur Eindämmung des Klimawandels beiträgt, und hierfür auch keine Vorgehensweise festgelegt wurde. Unklar ist, ob der Klimawandel auf die Verschmutzung infolge der Verwendung konventioneller Energiequellen, auf die Industrieproduktion oder auf den zunehmenden Autoverkehr und dessen Gasemissionen in die Umwelt zurückzuführen ist. Die Einführung alternativer Energieträger kann sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken, da die Energieerzeugung teurer ist. Um dies zu vermeiden, muss nach Win-Win-Lösungen gesucht werden.

4.2.3.1

Der EWSA empfiehlt im Hinblick auf diese Frage der Wettbewerbsfähigkeit, dass die Kommission die tatsächlichen Auswirkungen des Einsatzes erneuerbarer Energieträger sowie den Grad der Verschmutzung durch die einzelnen konventionellen Quellen prüft. Die für die Eindämmung des Klimawandels bestimmten Mittel können so gezielter eingesetzt werden, beispielsweise für die Entwicklung neuer Technologien für saubere Kraftfahrzeuge, die sich durch geringe Kosten und eine hohe Sicherheit auszeichnen.

4.3    Beschäftigung, soziale Inklusion und Bildung

4.3.1

Der EWSA stellt mit großem Bedauern fest, dass es noch immer keine schlüssige und integrierte Politik in Einwanderungsfragen und zur Steuerung der Flüchtlingsströme gibt. Angesichts der Tausenden von jungen Menschen und Kindern, die in den vergangenen zwei Jahren nach Europa gekommen sind, ist die Gefahr groß, dass Menschen unter die EU-Armutsgrenze rutschen. Zudem unterscheiden sich die diesbezüglichen Instrumente und Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten.

4.3.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Integration von Flüchtlingen eine wichtige und dringliche politische Aufgabe ist, aber die Regionalpolitik und regionale Mittel nicht ausreichen, um diese komplexe Herausforderung zu bewältigen. Hierzu bedarf es gezielter politischer Maßnahmen und eigener Mittel.

4.3.3

Bei der Umsetzung der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen ist es zu erheblichen Verzögerungen gekommen. Der EWSA hat sich stets für eine aktive Einbindung der Zivilgesellschaft in die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen eingesetzt und fordert weiterhin insbesondere, dass die Mitgliedstaaten Jugendorganisationen und -dienste an deren Umsetzung beteiligen. Der EWSA ist der Auffassung, dass weitere Analysen nötig sind, um die Gründe für das langsame Anlaufen dieser Beschäftigungsinitiative zu ermitteln. Da die Jugendarbeitslosigkeit ein ernstes Problem für die Arbeitsmärkte zahlreicher EU-Länder darstellt, sollte die Kommission dafür Sorge tragen, dass die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen effizienter umgesetzt wird. Eine mögliche Lösung wäre, die in Artikel 22 Buchstabe a der Verordnung (EU) Nr. 779/2015 festgelegte Frist zu verlängern. Der Leitfaden für die Überprüfung wurde am 17. September 2015 von der Kommission angenommen, weshalb die Mitgliedstaaten nicht genügend Zeit haben, ihre Verwaltungsstrukturen so anzupassen, dass die Frist eingehalten werden kann.

4.3.4

Die Kommission sollte ein eigenes Internetportal für die Umsetzung der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen einrichten und entsprechende Daten zu den bereits erreichten Zielen vorlegen. Der EWSA empfiehlt der Kommission, Informationen von den Mitgliedstaaten einzuholen, da seit dem Start der Initiative schon zwei Jahre vergangen sind.

4.3.5

Die Kommission sollte sich darüber im Klaren sein, dass beschäftigungslose Jugendliche keine homogene Gruppe bilden und daher im Hinblick auf eine umfassende Eingliederung in die allgemeine und berufliche Bildung und den Arbeitsmarkt in unterschiedlichem Ausmaß unterstützt und gefördert werden müssen. Bei allen Maßnahmen muss dem tatsächlichen Bedarf auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt Rechnung getragen werden, um für die Zukunft bessere Beschäftigungschancen zu gewährleisten. Der EWSA empfiehlt daher, junge Menschen und ihre Verbände in enger Zusammenarbeit mit potenziellen Arbeitgebern und deren Vertretungsorganisationen stärker in die Umsetzung der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen einzubinden und von rein verwaltungstechnischen Ansätzen abzusehen, die keine Flexibilität bei den nationalen Aktionsplänen für die Beschäftigungsinitiative bieten.

4.3.6

Bildung ist der Schlüssel für wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung in den Mitgliedstaaten und für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU auf den Weltmärkten. Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in allen Mitgliedstaaten hat sehr schwerwiegende negative Folgen. Zudem ist die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage in einigen Branchen ganz besonders groß, so etwa im Ingenieurwesen, in den Spitzentechnologien und im Telekommunikationsbereich. Der EWSA ist der Auffassung, dass die wachsende Kluft zwischen der tatsächlichen Lage auf dem Arbeitsmarkt einerseits und dem Bildungssystem andererseits in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren zu spezifischen strukturellen Hindernissen für die Produktion führen wird. Der EWSA empfiehlt, die Mittel für Bildung gezielter zur Steigerung der Attraktivität und der Qualität der beruflichen Bildung einzusetzen und Reformen durchzuführen, um sicherzustellen, dass die Bildung wirksamer auf den Bedarf des Arbeitsmarkts ausgerichtet ist und mit dem Bedarf der Mitgliedstaaten in Bezug auf die einzelnen Berufe, Sparten, Branchen und Wirtschaftszweige übereinstimmt. Außerdem sollte die Kommission mehr in die Erwachsenenbildung investieren, sind doch die meisten Arbeitslosen und die meisten Beschäftigten Erwachsene. Diese brauchen Fachqualifikationen und müssen insbesondere ihre Kenntnisse im Bereich der neuen Technologien auf den neuesten Stand bringen.

4.4    Stärkung der institutionellen Kapazitäten und effizientere öffentliche Verwaltung

4.4.1

Zur Stärkung der institutionellen Kapazitäten der öffentlichen Verwaltungen sollten in den einzelnen Mitgliedstaaten Funktionsanalysen durchgeführt und es sollte eine europäische Plattform für den Informationsaustausch eingerichtet werden. Im Vorfeld von Reformen der öffentlichen Verwaltungen und der Justizsysteme der Mitgliedstaaten sollte geprüft werden, inwieweit die in früheren Programmplanungszeiträumen aufgewandten Mittel gegriffen haben.

4.4.2

Der EWSA ist darüber besorgt, dass die Kommission im Programmplanungszeitraum 2007-2013 eine Art von Ex-post-Konditionalität angewandt hat. Mit den neuen Maßnahmen wird für den laufenden Programmplanungszeitraum — neben einer umstritteneren Form der makroökonomischen Konditionalität — eine Ex-ante-Konditionalität eingeführt, bei der noch vor einer Investitionszusage bewertet wird, ob die Voraussetzungen für eine wirksame Mittelausschöpfung gegeben sind. Im Falle der makroökonomischen Konditionalität hängt eine Mittelzuweisung davon ab, ob die Staaten bzw. Regionen bereits über ein starkes Wirtschaftswachstum, eine gut organisierte Verwaltung sowie hochwertige öffentliche Dienstleistungen verfügen. Die Kommission behält sich das Recht vor, die Förderung auszusetzen, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

4.4.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass Vereinfachung einer der wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche Umsetzung des Programms ist. Obwohl der Regelungsrahmen für den jetzigen Programmplanungszeitraum ausreichend Anreize für eine Beschleunigung des Prozesses bietet, könnte die Kommission den Mitgliedstaaten noch mehr maßgeschneiderte Unterstützung bieten. Die Kommission sollte sich klarer dazu äußern, ob die unterschiedlichen Vorgehensweisen akzeptabel sind, damit die Mitgliedstaaten mit weniger Erfahrung die verschiedenen Vereinfachungsmöglichkeiten (z. B. die vereinfachten Kostenoptionen) mit größerer Zuversicht hinsichtlich des Endergebnisses nutzen können. Der EWSA ist darüber besorgt, dass in der Mitteilung 750 von den Mitgliedstaaten zu erfüllende Ex-ante-Konditionalitäten genannt werden (18).

5.   Europäische territoriale Zusammenarbeit/INTERREG

Der EWSA empfiehlt der Kommission nachdrücklich, mehr Indikatoren für die Messung der Lebensqualität und der Qualität des Wirtschaftswachstums festzulegen, die nicht auf dem BIP beruhen.

5.1

Angesichts der nach wie vor bestehenden Verschuldung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften hat der EWSA Bedenken bezüglich der Wirksamkeit der Programme, wobei der Anstieg der öffentlichen Verschuldung vornehmlich auf die Aktivitäten der zentralen nationalen Behörden zurückzuführen ist. Dies bedeutet, dass manche Regionen bzw. Gemeinden von einer Finanzierung ausgeschlossen sind.

5.2

Die ESIF-Verordnung ist recht konservativ und setzt Änderungen der bestehenden Partnerschaftsvereinbarungen rechtliche Grenzen. Dieser Ansatz ist etwas praxisfern und wird im Falle einer neuen Krise nicht funktionieren. Die aufwendigen Verfahren verringern die Flexibilität bei der Umsetzung der ESIF und könnten die Umsetzung der Ziele der Europa-2020-Strategie gefährden.

5.3

Die Programme für die territoriale Zusammenarbeit sollten umfassender für lokale Gebietskörperschaften geöffnet werden, indem die in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Grundsätze der Verwaltungsteilung nicht so strikt angewandt werden. Dies ist sinnvoll, da zahlreiche Ortschaften, die verwaltungstechnisch zu einer bestimmten Gemeinde bzw. einem Gebiet gehören, an den Ausschreibungen nicht eigenständig teilnehmen, weil sie in dieser Frage die Zustimmung einer übergeordneten Behörde benötigen. Dies behindert insbesondere die Entwicklung kleiner Ortschaften in Berggebieten.

6.   Länderberichte

6.1

Die Kommission sollte die Umsetzung der Empfehlungen in den einzelnen Mitgliedstaaten entschlossener verfolgen und insbesondere darauf achten, dass diese auch in anderen Mitgliedstaaten übernommen und umgesetzt werden. Bei der Umsetzung all dieser Empfehlungen sollten die Sozialpartner stärker einbezogen werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Unzufriedenheit mit den laufenden Reformen in den letzten Jahren in vielen Ländern zugenommen hat. Oftmals werden Reformen auferlegt, ohne den Traditionen der einzelnen Nationen Rechnung zu tragen. Das EU-Recht wird in manchen Mitgliedstaaten sehr liberal und in anderen sehr konservativ ausgelegt. Deshalb bedarf es einer stärkeren Einbindung der sozialen Interessenträger.

6.2

Die Mitgliedstaaten müssen bei Programmänderungen ein sehr komplexes Verfahren durchlaufen, das zu einer Zunahme des Verwaltungsaufwands führen wird, da es mit den gleichen Verpflichtungen einhergeht wie eine Partnerschaftsvereinbarung (Leistungsindikatoren, Bedingungen usw.), was den Einsatz zusätzlicher Sachverständiger ebenso wie die Genehmigung neuer Ausgaben erfordert. Wird das vorhandene Personal durch zusätzliche Aufgaben übermäßig belastet, so kann dies geringere Arbeitseffizienz nach sich ziehen und damit das genaue Gegenteil des angestrebten Effekts bewirken.

6.3

Die in den Begleitausschüssen zu den operationellen Programmen vertretenen Sozialpartner und weiteren Interessenträger beklagen häufig die Machtfülle der Zentralverwaltungen bei der Beschlussfassung sowie den Druck, Finanzdaten vorzulegen, anstatt sich auf echte Verbesserungen zu konzentrieren. Außerdem beklagen sie das Fehlen von Kosten-Nutzen-Analysen.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Verordnung (EU) Nr. 1303/2013.

(2)  Beschluss der Kommission vom 10.7.2015, C(2015) 4806 final.

(3)  ABl. L 270 vom 15.10.2015, S. 1; ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 289; ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 259; ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 259; ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 487.

(4)  COM(2012) 727 final; COM(2013) 144 final; ABl. C 120 vom 26.4.2013, S. 1; ABl. L 72 vom 12.3.2014, S. 1.

(5)  ABl. L 74 vom 14.3.2014, S. 1.

(6)  ABl. L 352 vom 24.12.2013, S. 1 ; ABl. L 204 vom 31.7.2013, S 11; ABl. L 248 vom 24.9.2015, S. 9.

(7)  https://ec.europa.eu/priorities/publications/president-junckers-political-guidelines_en.

(8)  Siehe Fußnote 1.

(9)  Aufgabe der Gruppe ist die Ermittlung von bewährten wie auch schlechten Verfahren und die Unterstützung der Verbreitung von Möglichkeiten zur Vereinfachung in den Behörden der Mitgliedstaaten. Die Arbeit der Gruppe wird zu den Errungenschaften der allgemeinen Ziele der besseren Rechtsetzung und der Initiative „ergebnisorientierter EU-Haushalt“ beitragen. (COM(2015) 639, S. 6).

(10)  Siehe Fußnote 2.

(11)  Siehe Fußnote 3.

(12)  Siehe Fußnote 4.

(13)  Eine Investitionsoffensive für Europa, COM(2014) 903 final.

(14)  Stellungnahme zum Grünbuch „Schaffung einer Kapitalmarktunion“, Informationsbericht zum Zugang zu Finanzierung für KMU sowie Stellungnahme zu Familienbetrieben als Impulsgeber für den Wirtschaftsaufschwung und bessere Arbeitsplätze.

(15)  In Artikel 14 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1304/2013 heißt es: Zusätzlich zu den Optionen nach Artikel 67 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 kann die Kommission die Ausgaben der Mitgliedstaaten auf der Grundlage von standardisierten Einheitskosten und Pauschalfinanzierungen, die von ihr definiert werden, erstatten.

(16)  Maßnahmen der örtlichen Bevölkerung zur lokalen Entwicklung (CLLD).

(17)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 40.

(18)  Mitteilung der Kommission: Investitionen in Beschäftigung und Wachstum — Maximierung des Beitrags der europäischen Struktur- und Investitionsfonds, COM(2015) 639 final, S. 14.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/103


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen

[COM(2015) 615 final — 2015/0278 (COD)]

(2016/C 303/14)

Berichterstatter:

Ask Løvbjerg ABILDGAARD

Der Rat beschloss am 13. Januar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen

[COM(2015) 615 final — 2015/0278 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 12. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 152 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für einen europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit.

1.2

Der EWSA hält den Vorschlag für einen europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit für ein gutes Beispiel für EU-Rechtsvorschriften, die dafür sorgen sollen, dass der Binnenmarkt sowohl den Bürgern als auch den Unternehmen zugutekommt.

1.3

Auf der Grundlage von Marktüberwachung und Untersuchungen EU-weiter Hindernisse in Bezug auf die Barrierefreiheit für Personen mit funktionellen Einschränkungen schlägt der EWSA im Anschluss an eine Bewertung der Umsetzung dieser vorgeschlagenen Richtlinie und nach Konsultation der Interessenträger eine allmähliche Erweiterung des Geltungsbereichs der vorgeschlagenen Richtlinie um Zahlungsterminals, das Gastgewerbe, Versicherungsdienstleistungen, elektronische Zeitungen und Zeitschriften sowie um die physischen Räumlichkeiten und Websites vor, die Zugang zu Produkten und Dienstleistungen ermöglichen, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen.

1.4

Der EWSA ruft alle Beteiligten auf, die Auslegung der Rechtsgrundlage des Vorschlags, nämlich Artikel 114 AEUV, weiter zu fassen, um eine zu starke Eingrenzung auf die bestehende, mit Barrierefreiheitsanforderungen verbundene Marktfragmentierung zu vermeiden.

1.5

Der EWSA schlägt vor, die Verkehrsinfrastruktur und Fahrzeuge, die nicht in anderer Weise unter EU-Rechtsvorschriften zur Barrierefreiheit fallen, ausdrücklich in den Geltungsbereich der Richtlinie aufzunehmen, um ungewollte Regelungslücken zu vermeiden.

1.6

Der EWSA empfiehlt, eine konkrete Bestimmung in den Richtlinientext aufzunehmen, wonach ab Wirksamwerden der Richtlinie deren Anforderungen nur auf neue Produkte bzw. Dienstleistungen Anwendung finden sollen. Damit können Verluste durch bereits in Barrierefreiheit getätigte Investitionen vermieden werden.

1.7

Der EWSA schlägt vor, ein EU-weites Kennzeichnungssystem für Barrierefreiheit einzuführen, damit Menschen mit funktionellen Einschränkungen zuverlässige und leicht zugängliche Informationen über den barrierefreien Zugang zu Produkten und Dienstleistungen finden können.

1.8

Der EWSA empfiehlt, in der Richtlinie starke und gut ausgestattete Durchführungsorgane vorzusehen, die länderübergreifend zusammenarbeiten können, um hinsichtlich der Barrierefreiheitsanforderungen gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaftsakteure zu schaffen.

1.9

Der EWSA betont die Bedeutung einer aktiven Marktüberwachung, um zu verhindern, dass die Einhaltung des europäischen Rechtsakts zur Barrierefreiheit durch alle einschlägigen Beteiligten zu sehr von individuellen Beschwerden von Verbrauchern mit funktionellen Einschränkungen abhängt.

1.10

Der EWSA empfiehlt, die Aufnahme des Kriteriums „verständlich“ als Anforderung in Bezug auf alle relevanten Produkte und Dienstleistungen zu erwägen, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen.

2.   Hintergrund des Vorschlags

2.1

Maßnahmen zur Gewährleistung von Barrierefreiheit sorgen dafür, dass Hindernisse bei der Nutzung gängiger Produkte und Dienstleistungen beseitigt werden bzw. gar nicht erst entstehen. Die Barrierefreiheit ermöglicht es Menschen mit funktionellen Einschränkungen, einschließlich der Menschen mit Behinderungen (1), solche Produkte und Dienstleistungen ebenso wie andere Menschen wahrzunehmen, zu bedienen und zu verstehen.

2.2

Der Bedarf an barrierefreien Produkten und Dienstleistungen ist groß, und die Zahl der Menschen mit Behinderungen und/oder funktionellen Einschränkungen wird angesichts der älter werdenden EU-Bevölkerung noch deutlich steigen.

2.3

Angesichts der Alterung der Bevölkerung wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2020 rund 120 Millionen Menschen in der Europäischen Union mehrfache und/oder leichte Behinderungen haben werden.

2.4

Wenn der Binnenmarkt für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen besser funktioniert, kommt dies sowohl diesen Bürgern bzw. Verbrauchern als auch den Unternehmen zugute.

2.5

Derzeit sehen sich Wirtschaftsakteure uneinheitlichen und häufig widersprüchlichen nationalen Barrierefreiheitsanforderungen gegenüber, so dass sie das Potenzial des Binnenmarkts nicht ausschöpfen können.

2.6

Die Barrierefreiheit ist ein zentraler Aspekt des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2), dem die EU und 25 ihrer Mitgliedstaaten beigetreten sind (3).

2.7

Die vorgeschlagene Richtlinie soll den Mitgliedstaaten dabei helfen, den Pflichten im Zusammenhang mit der Barrierefreiheit nachzukommen, die sie auf nationaler Ebene eingegangen sind und die aus dem Übereinkommen resultieren, wodurch die EU ihren Pflichten als Vertragspartei des Übereinkommens nachkommt.

2.8

Wie oben erwähnt, bestehen unter den Mitgliedstaaten schon jetzt in gewissem Grad Unterschiede in den Rechtsvorschriften, Normen und Leitlinien zur Barrierefreiheit, die in dem Maße zunehmen dürften, in dem die Mitgliedstaaten neue Vorschriften auf diesem Gebiet erlassen. Diese Entwicklung ist zum Teil dadurch bedingt, dass das Übereinkommen in der EU und in den meisten ihrer Mitgliedstaaten in Kraft getreten ist und dass seine allgemein gehaltenen Bestimmungen unterschiedliche Auslegungen und Formen der Umsetzung auf nationaler Ebene zulassen.

2.9

Daher herrscht bei Behörden und allen Wirtschaftsakteuren gleichermaßen Unsicherheit bezüglich der Barrierefreiheitsanforderungen für den möglichen grenzüberschreitenden Verkauf von Produkten bzw. die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen sowie bezüglich des geltenden politischen Rahmens für Barrierefreiheit. Zudem besteht die Gefahr künftiger weiterer Unsicherheiten, wenn die Mitgliedstaaten das Übereinkommen weiter umsetzen.

3.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags

3.1

Die vorgeschlagene Richtlinie soll eine einheitliche EU-Definition vorgeben und ist als Umsetzungsrahmen für die Barrierefreiheitsanforderungen an bestimmte Produkte und Dienstleistungen gedacht.

3.2

Die vorgeschlagene Richtlinie wird die Barrierefreiheitsanforderungen für ausgewählte Produkte und Dienstleistungen harmonisieren:

Hardware und Betriebssysteme für Universalrechner,

Geldautomaten; Fahrausweisautomaten und Check-in-Automaten,

Smartphones,

TV-Geräte für digitales Fernsehen,

Telefondienste und zugehörige Ausrüstung,

audiovisuelle Mediendienste und zugehörige Verbraucherendgeräte,

Personenbeförderungsdienste im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr,

Bankdienstleistungen,

E-Books,

den elektronischen Handel.

3.3

Darüber hinaus werden in dem Vorschlag diese Barrierefreiheitsanforderungen dazu verwendet, die Barrierefreiheitspflichten zu konkretisieren, die im EU-Recht (etwa im Bereich des Vergabewesens oder der Struktur- und Investitionsfonds) zwar schon vorhanden, aber nicht genau definiert sind.

3.4

In dem Vorschlag wird nicht im Einzelnen vorgeschrieben, wie die Pflicht, ein Produkt oder eine Dienstleistung barrierefrei entsprechend den Anforderungen zu gestalten, in der Praxis zu erfüllen ist. Wenn es trotzdem noch zu Hindernissen im Binnenmarkt kommt, ermöglicht der Vorschlag der Kommission andere Optionen, um den Mitgliedstaaten Hilfestellung zu geben, etwa in Form von Normen oder Durchführungsmaßnahmen.

3.5

In dem Vorschlag ist die Möglichkeit vorgesehen, dass für die Beurteilung der Konformität mit den Barrierefreiheitsanforderungen harmonisierte freiwillige Normen herangezogen werden. Ferner eröffnet er der Europäischen Kommission die Möglichkeit, technische Spezifikationen zu erlassen, wenn unzureichende europäische Normen offenkundige Lücken bei den Leitlinien für Barrierefreiheit zur Folge haben.

3.6

Ferner sind in dem Vorschlag schlanke Verfahren für die Konformitätsbewertung (Eigenerklärung) und bestehende Marktüberwachungsmechanismen vorgesehen, um die Übereinstimmung der Produkte mit den Barrierefreiheitsanforderungen zu bewerten. Auch ein schlankeres Verfahren für die Überprüfung von Dienstleistungen auf deren Konformität ist vorgesehen.

3.7

Durch den Vorschlag wird den Mitgliedstaaten vorgeschrieben, dass alle Maßnahmen der Richtlinie — einschließlich der zum freien Waren- und Dienstleistungsverkehr — spätestens sechs Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtlinie anwendbar sein müssen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission als Rechtsinstrument, das dafür sorgen soll, dass der Binnenmarkt sowohl den Bürgern als auch den Unternehmen zugutekommt.

4.2

Der Vorschlag verfügt über erhebliches Potenzial für mehr Transparenz, Klarheit und Kohärenz im Binnenmarkt für die Wirtschaftsakteure, einschließlich der Hersteller und Dienstleistungserbringer, was die Preise für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen in der EU senken könnte. Insbesondere kann der Vorschlag durchaus die Zugangsschwelle für kleinere Wirtschaftsakteure senken, die Lösungen für den barrierefreien Zugang außerhalb ihrer häufig eng gesteckten nationalen Märkte anzubieten haben.

4.3

Darüber hinaus birgt der Vorschlag das Potenzial für die Schaffung von Vertrauen bei Verbrauchern mit Barrierefreiheitsbedürfnissen in grenzüberschreitende Einkäufe von Produkten und Dienstleistungen, insbesondere aufgrund der Aufnahme des elektronischen Handels in den Geltungsbereich des Vorschlags.

4.4

Nach Überzeugung des EWSA könnte der Vorschlag für eine Richtlinie seinen Zweck noch besser erfüllen, wenn der Geltungsbereich umfassender wäre und der Vorschlag wirksamere Durchsetzungsmechanismen enthielte.

4.5

Der EWSA regt an, dass die Kommission ihre eng gefasste Auslegung von Artikel 114 AEUV überdenken sollte. Die Auslegung, auf die sich der Vorschlag stützt, schränkt den Geltungsbereich der Richtlinie erheblich ein und berücksichtigt nicht in ausreichendem Maße mögliche künftige Hindernisse für die grenzüberschreitende Bereitstellung barrierefreier Produkte und Dienstleistungen, was die Gefahr birgt, dass Unternehmen, die in Sektoren und auf Märkten tätig sind, die nicht vom Geltungsbereich des Vorschlags abgedeckt werden, in ihrer langfristigen Planung Lösungen für einen barrierefreien Zugang nicht berücksichtigen könnten.

4.6

Der vorgeschlagene Geltungsbereich ist so eingeschränkt, dass möglicherweise nur Teile einer Dienstleistung von den Barrierefreiheitsanforderungen der Richtlinie abgedeckt sind, was andere Teile nicht barrierefrei bzw. in einigen Fällen die gesamte Dienstleistung für Menschen mit funktionellen Einschränkungen nicht zugänglich macht. Ein Beispiel wären Bankdienstleistungen; die Banken werden durch die Richtlinie nicht verpflichtet, einen barrierefreien Zugang zu ihren physischen Räumlichkeiten für Menschen mit funktionellen Einschränkungen zu schaffen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Auf der Grundlage von Marktüberwachung und Untersuchungen EU-weiter Hindernisse in Bezug auf die Barrierefreiheit für Personen mit funktionellen Einschränkungen empfiehlt der EWSA, im Anschluss an eine Bewertung der Umsetzung dieser vorgeschlagenen Richtlinie und nach Konsultation der Interessenträger eine allmähliche Aufnahme der folgenden Elemente in den Geltungsbereich der Richtlinie zu erwägen:

Zahlungsterminals, wie etwa Service-Terminals für Kartenzahlungssysteme;

das Gastgewerbe, einschließlich Hotels;

Versicherungsdienstleistungen, einschließlich privater und öffentlicher Rentensysteme;

elektronische Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften;

die bauliche Umwelt, die mit Produkten und Dienstleistungen verbunden ist bzw. den Zugang zu ihnen ermöglicht, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen;

Websites und mobile Anwendungen, die von Wirtschaftsakteuren bereitgestellt werden, die ansonsten in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen.

5.2

Generell empfiehlt der EWSA, die Auslegung von Artikel 114 AEUV weiter zu fassen, um den Geltungsbereich der Richtlinie zu erweitern. Gemäß der Rechtsprechung des EuGH sind eine mögliche Marktfragmentierung, die technische Komplexität der Regulierung eines bestimmten Marktes und der Verbraucherschutz Aspekte, die ebenfalls berücksichtigt werden könnten, wenn Rechtsakte auf der Grundlage von Artikel 114 AEUV vorgeschlagen werden (4). Die bestehende Marktfragmentierung ist somit nicht das einzige Kriterium, das bei der Festlegung des Geltungsbereichs der Richtlinie anzusetzen ist.

5.3

Der EWSA schlägt vor, die Verkehrsinfrastruktur und Fahrzeuge, die nicht in anderer Weise unter EU-Rechtsvorschriften zur Barrierefreiheit fallen, ausdrücklich in den Geltungsbereich der Richtlinie aufzunehmen, um ungewollte Regelungslücken zu vermeiden. Eine moderate Erweiterung des Geltungsbereichs der Richtlinie dieser Art würde eine Definition der Barrierefreiheitsanforderungen für die einschlägige Verkehrsinfrastruktur, die mit der Verkehrsinfrastruktur verbundenen Gebäude und Anlagen sowie für die Fahrzeuge ermöglichen, die nicht unter geltende EU-Rechtsvorschriften fallen, so dass die willkürliche Unterscheidung zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln und der Verkehrsinfrastruktur vermieden und die Zugänglichkeit der gesamten Verkehrskette für Personen mit funktionellen Einschränkungen, die reisen möchten, erleichtert würde.

5.4

Nach Auffassung des EWSA sollte im Text klargestellt werden, dass die Richtlinie ab dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens nur auf neue Produkte bzw. Dienstleistungen Anwendung findet, um Verluste durch bereits in Barrierefreiheit getätigte Investitionen zu vermeiden. Angesichts der kurzen Lebensdauer von IT-Produkten und -Dienstleistungen wäre es sinnvoll, den Zeitrahmen von sechs Jahren für das Inkrafttreten zu verkürzen, vor allem bei den Bestimmungen, die sich auf die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und die damit verbundenen Dienstleistungen beziehen.

5.5

Wenn Teile der baulichen Umwelt und der physischen Infrastruktur wie vom EWSA empfohlen in den Geltungsbereich der Richtlinie aufgenommen würden, könnte eine schrittweise Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen in Betracht gezogen werden, so dass für Produkte und Dienstleistungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie eine kürzere Umsetzungsfrist und für die bauliche Umwelt eine längere Frist gelten würde.

5.6

Der EWSA schlägt vor, in der Richtlinie ausdrücklich die Schaffung einer EU-weiten Kennzeichnung für barrierefreie Produkte und Dienste vorzusehen, was die Umsetzung der Richtlinie erleichtern könnte. Eine CE-Kennzeichnung nach dem Vorschlag der Kommission ist nicht dazu gedacht, die Barrierefreiheit für Verbraucher mit funktionellen Einschränkungen anzuzeigen. Von den Verbrauchern kann nicht erwartet werden, dass sie mit dem Geltungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie vertraut sind, weswegen sie auch nicht beurteilen können, ob die CE-Kennzeichnung an einem Produkt angibt, ob der europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit eingehalten wird oder ob geltende EU-Rechtsvorschriften anderer Art eingehalten werden. Daher sollte die Verwendung der CE-Kennzeichnung als Instrument betrachtet werden, das die Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen ermöglicht, die geltenden Rechtsvorschriften entsprechen, und nicht als Information der Verbraucher über die Barrierefreiheit.

5.7

In der Tatsache, dass die CE-Kennzeichnung keine Dienstleistungen abdeckt, sieht der EWSA weitere Gründe für die Schaffung einer neuen Barrierefreiheitskennzeichnung für die EU als Folge des europäischen Rechtsakts zur Barrierefreiheit. Eine Kennzeichnung für die Barrierefreiheit von Dienstleistungen sollte naturgemäß auch einen gewissen Kenntnisstand in Bezug die Barrierefreiheit bei den zuständigen Mitarbeitern voraussetzen.

5.8

Der EWSA möchte betonen, dass in der Richtlinie eine Schutzklausel gegen die Senkung von in Mitgliedstaaten bestehenden Standards für die Barrierefreiheit vorgesehen werden sollte. Ferner sollte vermieden werden, dass bestehende, gut funktionierende Kennzeichnungssysteme für Barrierefreiheit untergraben werden. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Richtlinie dazu genutzt wird, gegensätzliche Barrierefreiheitsanforderungen für Wirtschaftsakteure zu vermeiden.

5.9

Der EWSA schlägt vor, zwei weitere Definitionen in die Richtlinie aufzunehmen:

eine Definition des Begriffs „Dienstleistungserbringer“, um etwaige Missverständnisse aufgrund dessen zu vermeiden, dass einige Dienstleistungserbringer, die in den Geltungsbereich dieses Vorschlags fallen, nicht in den Geltungsbereich anderer EU-Rechtsvorschriften fallen, die die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben;

eine Definition des Begriffs „Website“, um etwaige Missverständnisse im Zusammenhang mit der Bereitstellung bestimmter Funktionen auf einer bestimmten Website durch die Nutzung von Websites Dritter zu vermeiden. Alle Websites und deren Funktionen, die im Zusammenhang mit Produkten und Dienstleistungen stehen, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, sollten ausdrücklich von einer solchen Definition erfasst sein.

5.10

Der EWSA hält es für wichtig, der Anwendung der vorgeschlagenen Bestimmungen über grundlegende Veränderungen und unverhältnismäßige Belastungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, um zu vermeiden, dass Ausnahmen von den allgemeinen Verpflichtungen der Richtlinie willkürlich angewandt werden. Der EWSA hält es für erforderlich, über die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen und der Anwendung des Konzepts unverhältnismäßiger Belastungen auf Einzelfallbasis zu entscheiden. Es wird vorgeschlagen, Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft, einschließlich der Sozialpartner und insbesondere Vertreter von Organisationen von Menschen mit Behinderungen, an der Anwendung des Konzepts grundlegender Veränderungen sowie unverhältnismäßiger Belastungen im Zusammenhang mit der Marktüberwachung zu beteiligen, die in der Richtlinie vorgesehen ist.

5.11

Der EWSA schlägt vor, die Bestimmungen zur Durchführung der Richtlinie im Wortlaut des Vorschlags zu verstärken. Die mit der Durchführung beauftragten Stellen oder Behörden sollten unbedingt zur Schaffung EU-weit gleicher Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaftsakteure beitragen, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen, nämlich den freien Verkehr von barrierefreien Produkten und Dienstleistungen im Binnenmarkt. Daher müssen die Durchführungsorgane eines Mitgliedstaats zur Zusammenarbeit mit den Durchführungsorganen in anderen Mitgliedstaaten verpflichtet werden. Außerdem sollten die Durchführungsorgane über ausreichende Analysekapazitäten und Sachkenntnisse verfügen. Auf diese Weise könnten die Durchführungsorgane auch allen relevanten Akteuren Hilfestellung bei der ordnungsgemäßen Anwendung der Barrierefreiheitsanforderungen der vorgeschlagenen Richtlinie geben.

5.12

Der EWSA betont die Bedeutung einer aktiven Marktüberwachung, um zu verhindern, dass die wirksame und transparente Anwendung der vorgeschlagenen Richtlinie zu sehr von individuellen Beschwerden abhängt. Ein Ansatz für die Marktüberwachung, der auf individuellen Beschwerden beruht, birgt ein erhebliches Risiko einer willkürlichen Anwendung der Richtlinie und möglicherweise auch unterschiedlicher Bedingungen für die Wirtschaftsakteure in den einzelnen Mitgliedstaaten, was durch die Richtlinie eigentlich vermieden werden soll.

5.13

Der EWSA hält es für positiv, dass in Anhang I des Vorschlags für eine Richtlinie unter den funktionalen Barrierefreiheitsanforderungen auch das Kriterium „verständlich“ aufgeführt ist, um Menschen mit geistigen Behinderungen sowie der breiten Öffentlichkeit den Zugang zu erleichtern. Die Fälle, in denen „verständlich“ als relevante funktionale Anforderung ausgewählt wurde, scheinen jedoch eher willkürlich ausgewählt zu sein. Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Aufnahme von „verständlich“ als Anforderung in Bezug auf alle relevanten Produkte und Dienstleistungen zu erwägen, die in den Geltungsbereich der Richtlinie und ihrer Anhänge fallen.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Gemäß dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zählen zu den Menschen mit Behinderungen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder sensorische Beeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.

(2)  Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

(3)  Alle EU-Mitgliedstaaten haben das Übereinkommen unterzeichnet; Finnland, Irland und die Niederlande befinden sich derzeit im Ratifizierungsprozess.

(4)  Rechtssache C-217/04, Vereinigtes Königreich gegen das Europäische Parlament und den Rat, 2. Mai 2006.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/109


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 768/2005 des Rates zur Errichtung einer Europäischen Fischereiaufsichtsagentur

[COM(2015) 669 final — 2015/0308 COD],

der

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Ein europäischer Grenz- und Küstenschutz und effiziente Sicherung der Außengrenzen

[COM(2015) 673 final]

und dem

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004, der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 und der Entscheidung 2005/267/EG

[COM(2015) 671 final — 2015/0310 (COD)]

(2016/C 303/15)

Berichterstatter:

Giuseppe IULIANO

Mitberichterstatter:

Cristian PÎRVULESCU

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 21. Januar bzw. am 4. Februar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 768/2005 des Rates zur Errichtung einer Europäischen Fischereiaufsichtsagentur

[COM(2015) 669 final — 2015/0308 (COD)]

der

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Ein europäischer Grenz- und Küstenschutz und effiziente Sicherung der Außengrenzen

[COM(2015) 673 final]

und dem

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004, der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 und der Entscheidung 2005/267/EG

[COM(2015) 671 final — 2015/0310 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 12. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 133 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt grundsätzlich die Vorschläge der Kommission zur Änderung der Verordnungen, hat dazu aber eine Reihe von Anmerkungen.

1.2

Die von einigen Mitgliedstaaten veranlassten Grenzschließungen stellen eine ernste Gefährdung der Reisefreiheit dar. Die EU-Organe müssen das Funktionieren des Schengen-Systems gewährleisten. Auf der Plenartagung am 17. Februar 2016 verabschiedete der EWSA eine wichtige Entschließung (1) als Plädoyer für den Schengen-Raum. Darin forderte er den Rat und die Mitgliedstaaten auf, die Ausübung der Freizügigkeit sowie die Konsolidierung und Erweiterung des Schengen-Raums zu garantieren.

1.3

Die Schengen-Vorschriften müssen in allen Mitgliedstaaten auf gleiche Weise angewandt werden, weshalb neue rechtlich verbindliche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Der EWSA ist jedoch nicht einverstanden mit dem Vorschlag der Kommission, systematische und obligatorische Kontrollen an den Außengrenzen des Schengen-Raums für die Bürger der EU durchzuführen, da dies die Ausübung einer der Grundfreiheiten einschränken würde.

1.4

Zur Gewährleistung eines reibungslosen Funktionierens des Schengen-Systems müssen die Außengrenzen — also die gemeinsamen Grenzen — von der EU zusammen mit den Mitgliedstaaten verwaltet werden. Der EWSA war die erste Institution, die die Schaffung einer Europäischen Grenzwache vorgeschlagen hat.

1.5

Der Vorschlag, das Mandat von Frontex durch neue Teams und einen Soforteinsatzpool mit 1 500 Grenzbeamten und Experten zu stärken, muss mit einer Verbesserung der Transparenz über die Steuerung und die Tätigkeiten der Agentur sowie über ihre Rechenschaftspflicht („accountability“) einhergehen.

1.6

Die Zusammenarbeit zwischen der Grenzagentur und den nationalen Behörden muss verbessert werden. Die Agentur sollte das Zentrum für Risikobewertungen ausbauen, wozu sie Verbindungsbeamte in die Mitgliedstaaten entsenden und über ein Mandat zur Bewertung der operativen Kapazitäten und Mittel verfügen könnte. Die EU muss sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten bei den von der Agentur durchgeführten Grenzoperationen zusammenarbeiten.

1.7

Das Recht der Agentur, tätig zu werden, auch wenn ein Mitgliedstaat nicht darum ersucht hat, ist die heikelste der von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen. Der EWSA befürwortet, dass die Kommission über den Einsatz der Agentur an den Außengrenzen entscheiden kann, allerdings nur in dringenden Fällen und nach einem transparenten Verfahren, das die umgehende Information der europäischen Gesetzgeber (Parlament und Rat) gewährleistet.

1.8

Die Koordinierung zwischen den einzelnen Agenturen und Einrichtungen, die für Grenzkontrollen, Bewachung der Küsten, Sicherheit des Seeverkehrs, Seenotrettung, Zoll und Fischerei zuständig sind, muss verbessert werden. Gleichwohl müssen diese Agenturen und Einrichtungen ihr jeweiliges Aufgabengebiet behalten. Deshalb ist der EWSA der Meinung, dass sich die Verordnung auf die Europäische Grenzwache beziehen und der Begriff „Küsten-“ im Titel entfallen sollte (2).

1.9

Die Grenzkontrollen dürfen nicht „militarisiert“ werden. Die Grenzwache darf keinen militärischen Charakter haben, sondern muss den einer Zivilpolizei haben.

1.10

Wenn sich Menschen an den Außengrenzen (seien es See- oder Landgrenzen) in einer für ihre Sicherheit oder ihr Leben bedrohlichen Situation befinden, besteht die vornehmste Pflicht der Grenzwache und der übrigen vor Ort tätigen Einrichtungen darin, diese Personen zu retten und angemessen zu versorgen. Der EWSA weist darauf hin, dass in den letzten Monaten zahlreiche Vertriebene aus nahen Kriegsgebieten an den europäischen Küsten und Grenzen gestorben sind, ohne dass die Behörden die notwendigen Rettungs- und Schutzmaßnahmen eingeleitet hätten.

1.11

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Vorschlag der Kommission zur Verbesserung des Außengrenzmanagements entsprechend den Änderungen am gemeinsamen Asylsystem angepasst werden sollte. Die derzeitige Krise resultiert daraus, dass die EU nicht in der Lage ist, ein gemeinsames Asylsystem zu entwickeln, um den Hunderttausenden Vertriebenen und Asylsuchenden, die unsere Grenzen erreichen, einen angemessenen Schutz zu bieten. Einige Regierungen haben die Vorschläge der Kommission und die Beschlüsse des Rates zur Umsetzung der Umsiedlungs- und Neuansiedlungsprogramme abgelehnt und sich geweigert, die Verpflichtungen gemäß dem Vertrag und dem Völkerrecht zu erfüllen.

1.12

Der EWSA weist darauf hin, dass die Grenzbehörden in vielen Fällen den ausdrücklich im internationalen Asylrecht und im Vertrag verankerten Grundsatz der Nichtzurückweisung nicht beachtet haben. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass das neue integrierte Außengrenzschutzsystem bessere Garantien für die Einhaltung der Menschenrechte bewirken sollte.

1.13

Der EWSA schlägt vor, dass er im Interesse einer Zusammenarbeit mit der Agentur für Grundrechte durch ein Mitglied im Konsultationsforum vertreten wird. Der Ausschuss ist auch der Auffassung, dass die Rolle des Grundrechtsbeauftragten gestärkt werden sollte, damit er von sich aus tätig werden und das vom Bürgerbeauftragten vorgeschlagene Beschwerdeverfahren („complaint mechanism“) ausgestalten kann.

1.14

Der Ausschuss verweist auf die Vernachlässigung und Schutzlosigkeit Tausender von in der EU lebenden unbegleiteten Minderjährigen, die vor kriegerischen Auseinandersetzungen nach Europa geflohen sind, und schlägt der Kommission vor, umgehend Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

2.   Hintergrund

2.1

Mit der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 wurde die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der EU (Frontex) errichtet.

2.2

In einer früheren Stellungnahme (3) begrüßte der EWSA die Gründung von Frontex und betonte, dass an den Grenzen das Asylrecht (der Grundsatz der Nichtzurückweisung) beachtet und der Schutz der Grundrechte gewährleistet werden müssen.

2.3

Danach wurde mittels der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 ein Mechanismus zur Bildung von „Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke“ (RABIT) eingeführt und die Verordnung (EG) 2007/2004 hinsichtlich dieses Mechanismus und der Regelung der Aufgaben und Befugnisse von eingeladenen Beamten geändert. Mit dieser Änderung der Verordnung kann ein Mitgliedstaat im Rahmen der Agentur die Entsendung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke aus besonders ausgebildeten Experten anderer Mitgliedstaaten in sein eigenes Hoheitsgebiet anfordern.

2.4

Der EWSA sprach sich in einer Stellungnahme (4) für die Aktualisierung der Verordnung aus. Er wies aber auch darauf hin, dass der Schutz der Menschenrechte und des Asylrechts verbessert werden sollte. Darüber hinaus machte er auf das Risiko der „Militarisierung“ der Überwachung und Kontrolle der Außengrenzen aufmerksam.

2.5

Die Richtlinie 2008/115/EG („Rückkehrrichtlinie“) enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger „im Einklang mit den Grundrechten (…), einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind“.

2.6

Die letzte Frontex betreffende Änderung fand im Oktober 2011 statt. Dabei wurden Grenzkontrollen als gemeinsame Aufgabe von EU und Mitgliedstaaten festgelegt und ein integriertes Grenzmanagement eingeführt. Es wurden europäische Grenzschutzteams eingesetzt; dennoch bleibt es Sache des Mitgliedstaats, um Unterstützung durch die Agentur zu ersuchen. Ebenso wurden die Rolle von Frontex in den Rückführungsmaßnahmen gestärkt und das Mandat für den Schutz der Grundrechte verbessert.

3.   Der Vorschlag der Kommission für eine europäische Grenz- und Küstenwache und ein effizienteres Außengrenzmanagement

3.1

Der Vorschlag der Kommission zur Einsetzung einer europäischen Grenz- und Küstenwache gehört zu den Maßnahmen, die in der Europäischen Migrationsagenda vorgesehen sind, um das Management und die Sicherheit an den EU-Außengrenzen zu verbessern. Damit wird auf die Notwendigkeit reagiert, die Sicherheitskontrollen an den EU-Außengrenzen entsprechend der Forderung der Innenminister vom 20. November 2015 zu verstärken (5).

3.2

Die Europäische Grenz- und Küstenwache wird sich aus einer aus Frontex hervorgehenden Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache und den für das Grenzmanagement zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zusammensetzen, die auch weiterhin das kontinuierliche Management der Außengrenzen übernehmen werden.

3.3

Die neue Europäische Grenz- und Küstenwache wird über einen Soforteinsatzpool von 1 500 Beamten und Experten, die in weniger als drei Tagen einsatzbereit sind, sowie über einen Bestand an technischer Ausrüstung, eine Überwachungs- und Aufsichtsfunktion, das Recht, tätig zu werden, die Aufgabe der Küstenüberwachung, ein Mandat für die Tätigkeit in Drittländern, den Auftrag zur Gewährleistung der inneren Sicherheit und eine stärkere Rolle bei der Rückführung verfügen. Ein europäisches Standard-Reisedokument für die Rückkehr soll eine größere Akzeptanz der Rückkehrer seitens der Drittstaaten gewährleisten.

3.4

Die Europäische Kommission hat ein wichtiges Maßnahmenpaket zum Management der EU-Außengrenzen und zum Schutz des Schengen-Raums ohne Binnengrenzen angenommen. Zur Verbesserung der Sicherheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger schlägt die Kommission vor, auf der Grundlage der einschlägigen Datenbanken systematische Kontrollen für alle Personen einzuführen, die in den Schengen-Raum einreisen oder daraus ausreisen. Die Vorschläge werden zu einer wirksameren Migrationssteuerung, zur Verbesserung der inneren Sicherheit der EU und zur Wahrung des Grundsatzes der Freizügigkeit beitragen.

3.5

Die Kommission schlägt eine spezifische Änderung des Schengener Grenzkodex vor, um die Pflicht zu systematischen Kontrollen von EU-Bürgern durch den Abgleich mit bestimmten Datenbanken einzuführen, z. B. dem Schengener Informationssystem, der Interpol-Datenbank für gestohlene und verlorene Reisedokumente und den relevanten nationalen Systemen an den Land-, See- und Luftaußengrenzen. Der Vorschlag bekräftigt auch die Notwendigkeit, bei Zweifeln an der Echtheit des Passes oder an der Identität des Inhabers die biometrischen Daten in den Ausweisen von EU-Bürgern zu überprüfen. Ab dann werden auch Kontrollen beim Verlassen der EU vorgeschrieben sein.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Beim Treffen des Europäischen Migrationsforums (6) am 26./27. Januar 2015 diskutierte die von der Kommission und dem EWSA eingeladene Zivilgesellschaft mit den europäischen Institutionen über die humanitäre Notlage im Mittelmeerraum und den parallelen Zustrom von Migranten und Asylsuchenden. Nach den Schlussfolgerungen des Forums ergriff die Kommission eine Reihe von Schritten zur Verbesserung der Asyl- und Grenzpolitik. Der Ausschuss bedauert jedoch, dass die Schlussfolgerungen des Forums seitens des Rates nicht berücksichtigt wurden. Viele der derzeitigen Probleme hätten vermieden werden können, wären seine Empfehlungen umgesetzt worden.

4.2

Die derzeitige Krise führt vor Augen, dass das Modell des Außengrenzmanagements beschränkt und das derzeitige Mandat von Frontex unzureichend ist. In verschiedenen Stellungnahmen (7) hat der EWSA vorgeschlagen, dass die EU die Außengrenzen im Schengen-Raum als gemeinsame Grenzen betrachten und die Verantwortung deshalb von der EU und den Mitgliedstaaten gemeinsam getragen werden sollte.

4.3

Der EWSA war die erste Institution, die die Schaffung einer Europäischen Grenzwache vorgeschlagen hat. Darüber hinaus hat er Vorschläge (8) zum Schutz der Grundrechte im Rahmen der Grenzkontrollen und der Rückkehrpolitik erarbeitet.

4.4

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Vorschläge der Kommission zur Verbesserung des Außengrenzmanagements entsprechend den Änderungen am gemeinsamen Asylsystem angepasst werden sollten. Die sehr hohe Zahl von Vertriebenen, die an den Außengrenzen einiger Länder ankommen, übersteigt das Handlungsvermögen und zeigt, dass das Dublin-System nicht geeignet ist, um den massiven Zustrom von Vertriebenen und Asylsuchenden zu bewältigen. Die Verantwortung muss gemeinsam und solidarisch übernommen werden. Der Ausschuss schlägt vor:

4.4.1

dass die EU den Umsiedlungs-Notfallplan und den dauerhaften Umsiedlungsmechanismus im Sinne des Beschlusses des Europäischen Rates vom 22. September 2015 in die Tat umsetzt;

4.4.2

dass die Neuansiedlungsprogramme für den Umzug von Flüchtlingen aus Drittstaaten und deren Aufnahme in die EU in Zusammenarbeit mit den Drittstaaten und dem UNHCR aufgestockt werden und

4.4.3

dass neue Umsiedlungsprogramme innerhalb der EU unter Bereitstellung finanzieller Anreize für mitwirkungswillige Mitgliedstaaten aufgelegt werden. Der Umsiedlungsmechanismus muss dauerhaft und effektiv sein und auf einem Verteilungsschlüssel beruhen.

4.4.4

Bereits mehrfach hat der Ausschuss darauf hingewiesen, dass das Dublin-System durch ein System mit mehr Solidarität innerhalb der EU ersetzt werden muss, das dem Wunsch der Asylbewerber Rechnung trägt und eine Verteilung der Verantwortlichkeiten auf die Mitgliedstaaten gewährleistet (9).

4.5

Der Vorschlag der Kommission stärkt die Rolle der Grenzagentur bei den Rückführungsmaßnahmen. Der Ausschuss erinnert daran:

4.5.1

dass das Verwaltungsverfahren der Ausweisung individueller Natur sein muss und jeder Betroffene das Recht hat, administrative oder rechtliche Einwände den Behörden vorzutragen, und

4.5.2

dass gemäß der Charta Kollektivausweisungen ausdrücklich untersagt sind und es festgelegt ist, dass niemand in einen Staat ausgewiesen, abgeschoben oder dorthin ausgeliefert werden darf, in dem für ihn die ernsthafte Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Das ist das Prinzip der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement).

4.5.3

Der EWSA hat darauf hingewiesen (10), dass die EU die Türkei nicht als „sicheres Land“ im Bereich des Asyls betrachten sollte; auch der UNHCR und verschiedene NGO haben festgestellt, dass das kürzlich zwischen der EU und der Türkei geschlossene Abkommen die Achtung des internationalen Asylrechts nicht uneingeschränkt gewährleistet, weil „Flüchtlinge Schutz, aber keine Zurückweisung brauchen“ (11). Außerdem stellt der Beschluss Mazedoniens zur Schließung der Grenzen für Flüchtlinge eine Verletzung des Asylrechts dar.

4.6

Der EWSA begrüßt, dass mit der Reform der Frontex-Verordnung vom Oktober 2011 das Konsultationsforum und der Grundrechtsbeauftragte eingeführt wurden, und stellt mit Zufriedenheit fest, dass im neuen Verordnungsvorschlag eine Reihe von Anregungen des Ausschusses (12) zum Schutz der Grundrechte an den Außengrenzen berücksichtigt wurden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der Ausschuss empfiehlt einen gleichermaßen integrierten und präventiven Ansatz, bei dem es vordringlich um eine sorgfältige Auswertung der Daten über Bewegungen an den Außengrenzen geht und der eine örtliche und zeitliche Prognostizierung eines etwaigen Unterstützungsbedarfs bei den nationalen Behörden ermöglicht. Auch ist es erforderlich, einen Katalog von Leitlinien und Indikatoren auszuarbeiten, die Aufschluss darüber liefern, inwieweit dieses integrierte System seine komplexe Aufgabe erfüllt. Die Erfahrungen mit dem Schengen-System und den Verfahren zu seiner Bewertung sind für den Aufbau eines ähnlichen Systems zur Verwaltung der Informationen und der konkreten Maßnahmen relevant.

5.2

Wenngleich der Ausschuss die Bestimmungen betreffend die verbindlichen Beschlüsse der Agentur und ihr Interventionsrecht für unerlässlich hält, ist er der Ansicht, dass die Union alles Notwendige unternehmen muss, um zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten an den Einsätzen der Agentur an den Außengrenzen teilnehmen. Der EWSA ist einverstanden, dass die Kommission über ein Eingreifen der Agentur an den Außengrenzen entscheiden kann, dies jedoch ausschließlich in Notsituationen und im Wege transparenter Verfahren, die eine unmittelbare Benachrichtigung der europäischen Gesetzgeber vorsehen (Parlament und Rat). Dies ist ein Schlüsselelement für den Erfolg eines integrierten und koordinierten Ansatzes für den Grenzschutz, der mit einer größeren Transparenz einhergehen sollte, ebenso wie mit einer besseren Fähigkeit, das Außengrenzmanagement und die entsprechenden Maßnahmen zu erklären.

5.3

Der Ausschuss hält es für erforderlich, die Koordinierung zwischen den zahlreichen Agenturen zu verbessern, die für Küstenwache, Grenzschutz, Zoll, Sicherheit des Seeverkehrs, Such- und Rettungseinsätze auf See, Umweltschutz und Fischerei zuständig sind. Auf diese Weise können Überschneidungen vermieden und Einsparungen — zumindest im Haushalt der EU — erzielt werden. Allerdings müssen die betreffenden Agenturen und Institutionen ihre jeweiligen Aufgaben voll und ganz beibehalten; und es muss vermieden werden, sie einer übergeordneten Struktur zu unterstellen, die der Gewährleistung der Sicherheit dient.

5.4

Der EWSA begrüßt die Bildung einer aus 1 500 Fachkräften (Grenzschutzbeamte) bestehenden Europäischen Grenzwache. Deren Stärke könnte im Laufe der Zeit an die Bedarfslage angepasst werden. In diesem Zusammenhang geht es vor allem um die Schnelligkeit, mit der die Grenzschützer in die Grenzgebiete entsandt werden, und die Art und Weise, wie sie mit ihren Kollegen zusammenarbeiten.

5.5

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ihrer Vorbereitung auf den Einsatz ist die Ausbildung. Der Ausschuss sieht einen Schulungsbedarf bei sowohl den europäischen Grenzschützern als auch ihren Kollegen in den Mitgliedstaaten. Die Agentur sollte eine aktive Rolle bei der Schulung und der Vermittlung bewährter Verfahren zwischen den Grenzschutzbeamten aus allen Mitgliedstaaten einnehmen. Bei der Durchführung von Schulungsprogrammen sollte den Grundrechten ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden, weil es die Grenzschutzbeamten sind, die den ersten Kontakt mit Flüchtlingen und Zuwanderern haben — Menschen, die sich zumeist in einer sehr schwierigen Lage befinden.

5.6

Die Beteiligung der Agentur an Rückführungsmaßnahmen ist zu begrüßen. Mit Blick auf die Aufmerksamkeit, die der Rückführungspolitik künftig gewidmet wird, reicht die Mittelausstattung der Agentur möglicherweise aber nicht aus. Außerdem muss im Text der Mitteilung sowie auf operativer Ebene geklärt werden, welche Rolle die Agentur bei Rückführungsmaßnahmen übernehmen soll, insbesondere wenn sie auf eigene Initiative handelt. Ebenso muss die Agentur sicherstellen, dass sie sich an Rückführungsmaßnahmen beteiligt, bei denen die Grundrechte der betroffenen Personen gewahrt werden (13).

5.7

Die Agentur sollte mit allen beteiligten Behörden zusammenarbeiten, um angemessene Aufnahmebedingungen und die Sicherheit der rückgeführten Personen zu gewährleisten. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Wahrung der Menschenrechte eine unabdingbare Voraussetzung für die Unterzeichnung von Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten ist; er lehnt es ab, dass Mitgliedstaaten oder die EU Vereinbarungen über die Rückführung mit Staaten schließen, die nicht die wesentlichen internationalen Instrumente zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert oder letztere systematisch verletzt haben (14).

5.8

Der Schutz der Grundrechte muss eine Priorität der Agentur sein. Die Grundrechte gelten für alle Menschen, nicht nur für die Unionsbürger. Asylbewerber und Einwanderer stehen unter dem Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (15). Das besondere Augenmerk des Ausschusses gilt der Achtung der Grundrechte bei Einsätzen in Drittstaaten, dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung bei Kontrollen im Zusammenhang mit der Einreise in die Union, Kollektivausweisungen von Zuwanderern und Asylbewerbern in Länder ohne wirksamen Schutz der Menschenrechte und besonders schutzbedürftigen Personen, darunter unbegleiteten Minderjährigen und Frauen.

5.9

Zur Sicherstellung einer gebührenden Berücksichtigung und Förderung der Grundrechte bietet der EWSA der Agentur seine Unterstützung an, indem er am Konsultationsforum für Grundrechte teilnimmt. Der Ausschuss empfiehlt ebenfalls, dass die Agentur unabhängige Bewertungen ihrer Verfahren und Maßnahmen zulässt. Was die interne Organisation der Agentur betrifft, hält der Ausschuss die Benennung eines Grundrechtsbeauftragten für ausreichend, sofern dieser mit einer soliden Arbeitsstruktur sowie umfangreichen Zuständigkeiten und Ressourcen ausgestattet wird.

5.10

Der Ausschuss hält die Einführung eines neuen europäischen Reisedokuments für Drittstaatsangehörige sowie dessen Einsatz bei Rückführungsmaßnahmen für begrüßenswert und notwendig.

5.11

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Schengener Grenzkodex geändert werden könnte, wobei allerdings Anstrengungen unternommen werden müssen, damit Kontrollen von Unionsbürgern — sei es innerhalb oder außerhalb des Schengen-Raums — zu keiner Einschränkung der Mobilität führen, die zu ihren Grundfreiheiten zählt. Eine allgemeine Einführung derartiger Kontrollen, ganz gleich, ob sie mit fortschrittlicher Technologie oder einfachen Mitteln durchgeführt werden, käme schlussendlich einer Infragestellung des Funktionierens des Schengen-Systems gleich.

5.12

Der Ausschuss bekräftigt in diesem Zusammenhang, dass auf allen Ebenen und bei allen Maßnahmen offen auf die Zivilgesellschaft zugegangen werden muss. Er erinnert daran, dass die Zivilgesellschaft und die Bürger entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich die humanitäre Lage in den Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten und auf deren Staatsgebieten nicht noch weiter verschlimmert hat. Der Ausschuss hält eine Unterstützung der Zivilgesellschaft für vorrangig, da sie sich mit sehr beschränkten Ressourcen darum bemüht, in diesen Notlagen zu helfen.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 1.

(2)  ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 57.

(3)  ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 97.

(4)  ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 162.

(5)  http://www.consilium.europa.eu/es/press/press-releases/2015/11/20-jha-conclusions-counter-terrorism.

(6)  http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.events-and-activities-european-migration-forum-1.

(7)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 1, ABl. C 458 vom 19.12.2014, S. 7, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 162.

(8)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 29.

(9)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 1.

(10)  ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 82.

(11)  http://www.unhcr.org/56ec533e9.html.

(12)  Siehe Fußnote 8.

(13)  Gemäß Artikel 19 der Grundrechtecharta der Europäischen Union sind Kollektivabschiebungen nicht zulässig; außerdem darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.

(14)  Siehe Fußnote 8.

(15)  Siehe Fußnote 8.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/116


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die nachhaltige Bewirtschaftung von Außenflotten und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1006/2008 des Rates

[COM(2015) 636 final — 2015/0289 (COD)]

(2016/C 303/16)

Berichterstatter:

Gabriel SARRÓ IPARRAGUIRRE

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 17. bzw. 22. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die nachhaltige Bewirtschaftung von Außenflotten und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1006/2008 des Rates

[COM(2015) 636 final — 2015/0289 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt nahm ihre Stellungnahme am 11. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 146 gegen 4 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) teilt die mit diesem Vorschlag verfolgten Ziele der Europäischen Kommission und hält daher eine Überarbeitung der geltenden Verordnung für erforderlich, um die Vereinfachung voranzutreiben, mehr Transparenz zu schaffen, die Steuerung zu verbessern, eine wirksame Kontrolle der Anwendung der Normen sicherzustellen, den Gegenseitigkeitsgrundsatz gegenüber Drittländern zu bekräftigen und die althergebrachte Kultur der Fischereitätigkeit durch Gewährleistung ihrer Nachhaltigkeit zu bewahren.

1.2

Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass der Vorschlag in seiner derzeitigen Form möglicherweise zu einem übermäßigen bürokratischen und administrativen Aufwand für die Europäische Kommission, die Mitgliedstaaten und die Marktteilnehmer führen würde und dadurch die beabsichtigten Vereinfachungsbemühungen untergraben könnte sowie negative sozioökonomische Auswirkungen für Arbeitgeber und Beschäftigte im Fischereisektor entstehen würden, wenn die notwendigen technischen, materiellen und personellen Mittel nicht bereitgestellt werden.

1.3

Der EWSA fordert eine ausreichende Zuweisung von Humanressourcen und Haushaltsmitteln sowohl für das in diesem Bereich zuständige Referat der Generaldirektion Maritime Angelegenheiten und Fischerei der Europäischen Kommission als auch für die Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten, damit sie ihre Aufgaben ordnungsgemäß wahrnehmen können.

1.4

Der EWSA plädiert dafür, die Zuständigkeit für das Ausstellungsverfahren von Fanggenehmigungen den Mitgliedstaaten zu übertragen und der Europäischen Kommission gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, die Gültigkeit der Genehmigung anhand von Zulässigkeitskriterien zu überprüfen. Die Kommission wacht so als Hüterin der Verträge darüber, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nachkommen.

1.5

Der EWSA fordert die Europäische Kommission, den Rat der für Fischerei zuständigen EU-Minister und das Europäische Parlament auf, die allgemeinen und besonderen Bemerkungen dieser Stellungnahme zu berücksichtigen.

2.   Hintergrund

2.1

Die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) befasst sich mit der Erhaltung der biologischen Meeresschätze und der Bewirtschaftung der Fischereien und Flotten, die diese Meeresressourcen nutzen. Dies umfasst Fischereitätigkeiten innerhalb und außerhalb der Unionsgewässer durch Fischereifahrzeuge der Union. Die GFP wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 1380/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 reformiert.

2.2

In der Verordnung (EG) Nr. 1006/2008 des Rates vom 29. September 2008 sind die Fanggenehmigungen für außerhalb der Unionsgewässer Fischfang betreibende Unionsschiffe sowie für in den Unionsgewässern tätige Fischereifahrzeuge aus Drittländern geregelt.

2.3

Die Kommission ist der Ansicht, dass die geltende Verordnung über Fanggenehmigungen überarbeitet werden muss, um den Zielen der neuen GFP angemessen zu entsprechen und die Kohärenz mit der Verordnung (EG) Nr. 1005/2008 des Rates vom 29. September 2008 über ein Gemeinschaftssystem zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und nicht regulierten Fischerei (IUU-Fischerei) sowie mit der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 des Rates vom 20. November 2009 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der GFP zu gewährleisten.

2.4

Desgleichen unterstreicht die Kommission die internationalen Verpflichtungen der Union, die sie als Vertragspartei des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen, durch den Beitritt zum FAO-Übereinkommen zur Förderung der Einhaltung internationaler Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen durch Fischereifahrzeuge auf Hoher See sowie im Rahmen des Internationalen Aktionsplans der FAO zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der IUU-Fischerei eingegangen ist.

2.5

Mit dem Vorschlag wird der Geltungsbereich u. a. auf folgende Bereiche ausgeweitet: die Ausstellung direkter Genehmigungen in Fällen, in denen es kein geltendes partnerschaftliches Abkommen über nachhaltige Fischerei mit dem betreffenden Drittstaat gibt, die Genehmigung und Meldung von Hilfsschiffen der Fischereifahrzeuge, die Kontrolle von Umflaggungen, die Neuaufteilung nicht ausgeschöpfter Fangmöglichkeiten sowie die Notwendigkeit der Schaffung eines Rechtsrahmens, durch den der Union eine bessere Überwachung der Tätigkeiten gecharterter Fischereifahrzeuge in der Union gemäß den Vorschriften der zuständigen regionalen Fischereiaufsichtsbehörden ermöglicht wird.

2.6

Darüber hinaus sind in dem Vorschlag viele weitere Fragen geregelt, wie z. B. der elektronische Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission; die Einrichtung eines elektronischen Registers der Fanggenehmigungen der Union; die Vorschriften für in den Unionsgewässern Fischfang betreibende Drittlandschiffe (auch in Bezug auf fangbezogene Daten), die den geltenden Vorschriften für Fischereifahrzeuge der Union entsprechen sollten, sowie die Möglichkeit der Kommission, delegierte Rechtsakte und ggf. sofort geltende Durchführungsrechtsakte zu erlassen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA teilt die Ziele, die die Europäische Kommission mit diesem Vorschlag verfolgt, nämlich die Fähigkeit der EU zu stärken, ihre außerhalb der Unionsgewässer Fischfang betreibende Flotte unabhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen zu überwachen, wobei das Verhältnis zwischen mehr Kontrolle der Unionsflotte und Begrenzung der Arbeitsbelastung für die Verwaltungen auf nationaler und auf EU-Ebene ausgewogen sein muss. Der EWSA hält eine Überarbeitung der geltenden Verordnung für erforderlich, um die Vereinfachung voranzutreiben, mehr Transparenz zu schaffen, die Steuerung zu verbessern, eine wirksame Kontrolle der Anwendung der Normen sicherzustellen, den Gegenseitigkeitsgrundsatz gegenüber Drittländern zu bekräftigen und die althergebrachte Kultur der Fischereitätigkeit durch Gewährleistung ihrer Nachhaltigkeit zu bewahren.

3.2

Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass der Vorschlag in seiner derzeitigen Form — ohne Angaben zu geeigneten Instrumenten zur Vereinfachung des Systems — möglicherweise zu einem übermäßigen bürokratischen und administrativen Aufwand führen würde und dadurch die beabsichtigten Vereinfachungsbemühungen untergraben könnte, wenn die notwendigen technischen, materiellen und personellen Mittel nicht bereitgestellt werden. Es muss ein Verfahren der Genehmigungserteilung eingerichtet werden, das effizient ist und bei dem die Rechtmäßigkeit der Genehmigungen gewährleistet wird, das aber gleichzeitig einfach und zügig sein sollte. Andernfalls würden die Marktteilnehmer aus der EU erheblich beeinträchtigt und hätten unter den Folgen von Verzögerungen bei der Genehmigungserteilung zu leiden, wodurch sie Fangtage verlieren und sozioökonomisch benachteiligt würden.

3.3

Der EWSA ist sich des Personalmangels sowohl in dem für diesen Bereich zuständigen Referat der Generaldirektion Maritime Angelegenheiten und Fischerei der Europäischen Kommission als auch bei den Aufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten bewusst. Daher fordert er eine ausreichende Zuweisung von Humanressourcen und Haushaltsmitteln, damit sie ihre Aufgaben ordnungsgemäß wahrnehmen können.

3.4

Der EWSA unterstreicht erneut die wichtige Rolle der Europäischen Kommission im Rahmen dieses Verfahrens und plädiert zugleich dafür, die Zuständigkeit für das Ausstellungsverfahren von Fanggenehmigungen den Mitgliedstaaten zu übertragen und der Europäischen Kommission gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, die Genehmigung anhand von Zulässigkeitskriterien zu überprüfen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Nach Auffassung des EWSA sollte sich die Bestimmung des Begriffs „Beobachterprogramm“ im Sinne von Artikel 3 Buchstabe f nicht nur auf Regelungen im Rahmen einer regionalen Fischereiorganisation (RFO), sondern auch auf Regelungen der Mitgliedstaaten erstrecken, und zwar nicht nur, um zu prüfen, ob ein Fischereifahrzeug die Vorschriften einhält, sondern auch zum Zwecke der Datenerfassung.

4.2

In Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d des Vorschlags ist festgelegt, dass ein Flaggenmitgliedstaat nur dann eine Fanggenehmigung erteilen darf, wenn weder gegen den Marktteilnehmer noch gegen das Fischereifahrzeug in den zwölf Monaten vor dem Antrag auf eine Fanggenehmigung eine Sanktion wegen eines schweren Verstoßes verhängt wurde. Nach Auffassung des EWSA sollte dieses Zulässigkeitskriterium abgeschafft werden, da es zu einer unverhältnismäßigen und diskriminierenden Doppelbestrafung führen kann. Der EWSA ist der Ansicht, dass in den Verordnungen (EG) Nr. 1224/2009 (Kontrollverordnung) und (EG) Nr. 1005/2008 (IUU-Verordnung) bereits Verfahren und Sanktionen im Falle schwerer Verstöße sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU-Gewässer vorgesehen sind.

4.3

Gemäß Artikel 7 Absatz 5 verweigert der Flaggenmitgliedstaat auf Antrag der Kommission die Genehmigung, setzt sie aus oder widerruft sie, wenn „zwingende politische Gründe“ […] vorliegen. Diese Formulierung ist nach Auffassung des EWSA zu vage und kann unter Umständen und je nachdem, was die Europäische Kommission jeweils als „zwingende politische Gründe“ ansieht, zu Rechtsunsicherheit für die Marktteilnehmer führen. Aus dem Artikel sollte klar hervorgehen, dass die Verweigerung, Aussetzung oder Widerrufung einer Genehmigung auf Antrag der Kommission geschieht, wenn diese der Ansicht ist, dass die ernsthafte Gefahr eines möglichen Verstoßes besteht.

4.4

In Artikel 8 ist festgelegt, dass ein Fischereifahrzeug der Union nur dann die Gewässer eines Drittlandes befischen darf, wenn dieses Land Vertragspartei oder kooperierende Nichtvertragspartei einer RFO ist. Der EWSA verweist auf die Situation des Staates Guinea-Bissau, mit dem die EU ein partnerschaftliches Abkommen über nachhaltige Fischerei geschlossen hat, der jedoch weder Vertragspartei noch kooperierende Nichtvertragspartei der Internationalen Kommission zur Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik (ICCAT) ist. Nach Meinung des EWSA sollte die EU daher von der Regelung von Fragen absehen, die die Souveränität von Drittstaaten betreffen. Auf der anderen Seite würde eine solche Vorgabe zu einem Wettbewerbsnachteil für die EU-Flotte gegenüber Flotten von Drittstaaten führen, die sich nicht an eine solche Vorgabe halten müssen. Im Sinne einer nachhaltigen Ressourcenbewirtschaftung ermutigt der EWSA die Kommission in jedem Fall zur Fortführung ihrer Anstrengungen im Rahmen des partnerschaftlichen Fischereiabkommens, damit Guinea-Bissau an den Arbeiten der ICCAT teilnimmt.

4.5

In Bezug auf Artikel 12 Absatz 3 und Absatz 4 zeigt sich der EWSA darüber besorgt, dass die Europäische Kommission das Verfahren zur Erteilung der Fanggenehmigungen verzögern kann.

4.6

In Bezug auf die Artikel 13 und 14, in denen es um die Neuaufteilung nicht ausgeschöpfter Fangmöglichkeiten im Rahmen von partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei geht, fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, dafür Sorge zu tragen, dass diese Neuaufteilung der Fangmöglichkeiten aus Gründen der Kohärenz sowohl in den EU-Gewässern als auch im Rahmen bilateraler Fischereiabkommen mit Drittstaaten wie Norwegen stattfindet.

4.7

Nach Maßgabe von Artikel 18 Buchstabe c darf ein Flaggenmitgliedstaat nur dann eine Fanggenehmigung für Fischereitätigkeiten erteilen, wenn der Marktteilnehmer einen Nachweis der Nachhaltigkeit der geplanten Fischereitätigkeiten auf der Grundlage einer von dem Drittland und/oder einer RFO vorgelegten wissenschaftlichen Bewertung und einer Prüfung der genannten Bewertung durch den Flaggenmitgliedstaat auf der Grundlage der Bewertung durch sein nationales Wissenschaftsinstitut vorgelegt hat. Der EWSA ist der Auffassung, dass von einer solchen Prüfung durch den Flaggenmitgliedstaat abgesehen werden sollte.

4.8

Gemäß Artikel 19 Absatz 2 verfügt die Europäische Kommission über einen Zeitraum von 15 Kalendertagen für die Prüfung der von den Mitgliedstaaten eingereichten Unterlagen und im Falle eines Problems mit einem Fischereifahrzeug (Fischereifahrzeug und/oder Ausrüstung) über einen Zeitraum von zwei Monaten, um die Erteilung der Fanggenehmigung abzulehnen. Eine Anwendung der Bestimmung dieses Absatzes könnte beträchtliche Verzögerungen bei der Erteilung direkter Fanggenehmigungen verursachen.

4.9

Gemäß Artikel 27 muss ein Flaggenmitgliedstaat die Europäische Kommission mindestens 15 Kalendertage vor Beginn der geplanten Fischereitätigkeiten auf Hoher See über die Fanggenehmigung informieren. In Übereinstimmung mit den vorstehenden Bemerkungen ist der EWSA der Auffassung, dass von der 15-Tage-Frist abgesehen und stattdessen lediglich festgelegt werden sollte, dass die Europäische Kommission jeweils „vor“ Beginn der Tätigkeiten zu informieren ist.

4.10

Der EWSA hält den elektronischen Informationsaustausch zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten sowie mit Drittstaaten für sehr sinnvoll. Desgleichen hält er die Einrichtung eines elektronischen Registers der Fanggenehmigungen für erforderlich.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


ANHANG

Die folgende Textstelle der Fachgruppenstellungnahme wurde aufgrund von im Plenum angenommenen Änderungsanträgen geändert, erhielt jedoch mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

Ziffer 4.2

In Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d des Vorschlags ist festgelegt, dass ein Flaggenmitgliedstaat nur dann eine Fanggenehmigung erteilen darf, wenn weder gegen den Marktteilnehmer noch gegen das Fischereifahrzeug in den zwölf Monaten vor dem Antrag auf eine Fanggenehmigung eine Sanktion wegen eines schweren Verstoßes verhängt wurde. Nach Auffassung des EWSA sind angemessene Sanktionen gegen Marktteilnehmer, die einen schweren Verstoß begangen haben, notwendig: die Verweigerung einer Fanggenehmigung ist keine doppelte Bestrafung, sondern ergibt sich aus der Anwendung eines Zulässigkeitskriteriums. Ebenso ist der EWSA der Ansicht, dass eine solche Maßnahme nur im Falle rechtskräftiger Entscheidungen angewandt werden sollte.

Begründung

Ein solches Kriterium kann zu einer unverhältnismäßigen Doppelbestrafung führen, da der Marktteilnehmer und der Kapitän des Fischereifahrzeugs nicht nur den Sanktionen unterlägen, die in Artikel 90 und 92 der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 des Rates vom 20. November 2009 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der GFP sowie in Artikel 42 und 47 der Verordnung (EG) Nr. 1005/2008 des Rates vom 29. September 2008 über ein Gemeinschaftssystem zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei vorgesehen sind, sondern auch durch die Verweigerung der Fanggenehmigung bestraft würden.

In den genannten Artikeln sind bereits umfangreiche Sanktionen für Marktteilnehmer vorgesehen, die schwere Verstöße begehen — von wirtschaftlichen Sanktionen (Sanktion von mindestens dem Fünffachen des Wertes der durch den schweren Verstoß gewonnenen Fischereierzeugnisse) bis hin zu folgenden Begleitsanktionen:

1.

die Beschlagnahme des an dem Verstoß beteiligten Fischereifahrzeugs;

2.

die vorübergehende Stilllegung des Fischereifahrzeugs;

3.

die Beschlagnahme von verbotenem Fanggerät, Fängen oder Fischereierzeugnissen;

4.

die Aussetzung oder der Entzug der Fanggenehmigung;

5.

die Kürzung oder der Entzug der Fangrechte;

6.

der vorübergehende oder dauerhafte Entzug des Rechts, neue Fangrechte zu erhalten;

7.

der vorübergehende oder dauerhafte Ausschluss von öffentlichen Finanzhilfen oder Beihilfen;

8.

die Aussetzung oder der Entzug des gemäß Artikel 16 Absatz 3 bewilligten Status eines „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“.

Darüber hinaus ist in Artikel 92 der Verordnung (EG) Nr. 122/2009 ein Punktesystem für schwere Verstöße vorgesehen. Bei Erreichen oder Überschreiten einer bestimmten Gesamtpunktzahl wird die Fanglizenz automatisch für einen Zeitraum von mindestens zwei Monaten ausgesetzt. Die Aussetzung gilt für vier Monate, wenn die Fanglizenz ein zweites Mal ausgesetzt wird, für acht Monate, wenn die Fanglizenz ein drittes Mal ausgesetzt wird, und für ein Jahr, wenn die Fanglizenz ein viertes Mal ausgesetzt wird, weil der Inhaber eine bestimmte Anzahl von Punkten erreicht hat. Erreicht der Inhaber diese Punktzahl ein fünftes Mal, so wird die Fanglizenz endgültig entzogen.

Des Weiteren sind wir der Ansicht, dass mit einem solchen Kriterium gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen wird, da dieselben Verstöße innerhalb und außerhalb der EU-Gewässer nicht mit denselben Sanktionen geahndet werden. Bei identischen Verstößen unterlägen Marktteilnehmer, die außerhalb der EU fischen, einer zusätzlichen Bestrafung wie z. B. der Verweigerung einer Fanggenehmigung für 12 Monate. So würde ein unterschiedliches Strafmaß für ähnliche Verstöße geschaffen.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

92

Nein-Stimmen:

50

Enthaltungen:

23.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/122


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Quecksilber und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1102/2008“

[COM(2016) 39 final — 2016/023 (COD)]

(2016/C 303/17)

Berichterstatter:

Vladimír NOVOTNÝ

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 4. Februar 2016 bzw. am 18. Februar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 192 Absatz 1, 207 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Quecksilber und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1102/2008“

[COM(2016) 39 final — 2016/023 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt nahm ihre Stellungnahme am 11. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai 2016) mit 153 gegen 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) spricht sich uneingeschränkt für die Annahme des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Quecksilber und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1102/2008 aus, um so den Weg zu ebnen für die Ratifizierung des Übereinkommens von Minamata durch die Europäische Union insgesamt und die einzelnen Mitgliedstaaten.

1.2.

Das globale Problem der Quecksilberemissionen erfordert eine Lösung auf globaler Ebene, wie sie das Minamata-Übereinkommen darstellt. Die EU ist zusammen mit Japan die stärkste treibende Kraft bei den Bemühungen, die Belastung der Umwelt (und der Bevölkerung) durch Quecksilber zu verringern. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Quecksilber und dessen Verbindungen Bestandteil der Umwelt bleiben und nicht abgebaut werden.

1.3.

Der EWSA stellt fest, dass die Tätigkeit der EU in Bezug auf die Quecksilberproblematik auf globaler Ebene und vor allem innerhalb der Union selbst zu einer Senkung der anthropogenen Quecksilberemissionen um 75 % gegenüber dem Jahr 1990 geführt hat und dass die rechtlichen Regelungen die weitere schrittweise Verringerung der anthropogenen Quecksilberemissionen gewährleisten.

1.4.

Der EWSA empfiehlt, dass das weitere Vorgehen der EU in Übereinstimmung mit der Erfüllung des ratifizierten Minamata-Übereinkommens nach dessen Inkrafttreten erfolgen sollte. Der Ausschuss ist der Überzeugung, dass der vor allem die Emissionen, aber auch die Produktionsprozesse und die Produkte regelnde legislative Rahmen ausreichend ist, um alle verabschiedeten Verpflichtungen des Übereinkommens zu erfüllen, ohne die Konkurrenzfähigkeit der EU insgesamt zu gefährden.

1.5.

Der EWSA erachtet es als notwendig, dass sich ein entsprechender Teil der Wissenschafts- und Forschungskapazitäten der EU mit der Problematik des Quecksilbers und seiner Ersatzstoffe in den Produktionsprozessen und Produkten befasst.

1.6.

Der Ausschuss empfiehlt ferner, dass die zuständigen EU-Behörden zusammen mit den EU-Mitgliedstaaten, die das Übereinkommen unterzeichnet haben, nach der Ratifizierung des Minamata-Übereinkommens an der in Vorbereitung befindlichen Quecksilber-Konferenz der Vertragsparteien (COP 1) teilnehmen und neue Erkenntnisse vorstellen sollten, die eine weitere Verringerung der anthropogenen Quecksilberemissionen und der Verwendung von Quecksilber in Produkten und Produktionsprozessen ermöglichen.

2.   Einleitung

2.1.

Quecksilber ist ein natürlicher Bestandteil unserer Erde, mit einem durchschnittlichen Vorkommen von 0,05 mg/kg in der Erdkruste, wobei die Unterschiede von Ort zu Ort beträchtlich sein können. Außerdem kommt Quecksilber in sehr geringen Konzentrationen in der gesamten Biosphäre vor. Die Absorption von Quecksilber durch Pflanzen führt dazu, dass Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas, aber auch Biobrennstoffe Quecksilber enthalten. Hinsichtlich der Emission von Quecksilber gibt es praktisch keinen Unterschied zwischen der Verbrennung von Biomasse und der von Kohle. In den UNEP-Dokumenten wird die Problematik des Quecksilbers und seiner Emissionen eingehend behandelt (1).

2.2.

Einmal freigesetzt, reichert sich das Quecksilber in der Umwelt an, wo es in verschiedenen Formen zwischen Luft, Wasser, Sedimenten sowie Flora und Fauna zirkuliert. Seine Form kann sich (vor allem durch Mikroorganismen) zu Methylquecksilber verändern, das sich insbesondere in Organismen der aquatischen Nahrungsmittelkette (Fische und Meeressäuger) ansammeln kann. Da sich Quecksilber und weitere Schwermetalle in Organismen anreichern und über die Atmosphäre weiträumig verbreiten können, werden sie als globale Umweltgefährdung angesehen.

2.3.

In einigen Teilen der Welt, insbesondere außerhalb der EU, ist ein großer Teil der menschlichen Bevölkerung Quecksilberkonzentrationen ausgesetzt, die deutlich über den als unschädlich geltenden Grenzwerten liegen. Den besten Berechnungen zufolge beläuft sich die Menge der anthropogenen Quecksilberemissionen in die Umgebungsluft weltweit auf 1 960 Tonnen pro Jahr, von denen die anthropogenen Quecksilberemissionen in der EU 87,5 Tonnen pro Jahr (4,5 %) ausmachen. In die Gewässer gelangen weltweit ungefähr 900 Tonnen pro Jahr, und die Höhe der natürlichen Emissionen (Gesteinserosion und Vulkantätigkeit) beläuft sich ebenfalls auf etwa 900 Tonnen jährlich. Eine Übersicht über die anthropogenen Quecksilberemissionen ist in Anhang I enthalten.

2.4.

Trotz des insgesamt zurückgegangenen Quecksilberverbrauchs (die weltweite Nachfrage liegt unter der Hälfte des Wertes von 1980) und der niedrigen Preise wird in vielen Ländern der Welt nach wie vor Quecksilber in Minen gewonnen. Die größten Produzenten von Quecksilber sind China und Kasachstan. In Europa wurde die primäre Quecksilberproduktion bereits 2003 eingestellt, doch kommt es in anderen Förder- und Verarbeitungsprozessen mineralischer Rohstoffe zur Abscheidung von Quecksilber als Nebenprodukt. Dieses Quecksilber wird als Abfall eingestuft und im Einklang mit dem Abfallrecht behandelt.

2.5.

Eine große Menge Quecksilber gelangt dort, wo im Gegensatz zur EU der Handel mit Quecksilber nicht verboten ist, auch durch den Umbau oder die Schließung von Anlagen zur Herstellung von Chlor und Alkalihydroxid nach dem Quecksilberverfahren auf den Weltmarkt.

2.6.

Die Emissionen aus der Kohleverbrennung und aus Verbrennungsprozessen einschließlich der Stahlgewinnung sowie aus der Herstellung von Nichteisenmetallen sind die Hauptquelle anthropogener Emissionen und vor allem der Immission von Quecksilberverbindungen in die Umgebung der betreffenden punktuellen Emissionsquellen in der EU. Bei der Ermittlung möglicher Optionen werden einerseits die Abscheidung von Quecksilber bei der Reinigung von Rauchabgasen und anderseits — sofern diese selektiven Prozesse sinnvoll sind — spezifische Abscheidungsprozesse bewertet.

2.7.

Eine weitere bedeutende Quelle anthropogener Emissionen, vor allem von reinem Quecksilber, ist die Verwendung von Zahnfüllungen aus Amalgam. Es scheint, dass in diesem Bereich die Emissionen (insbesondere ins Wasser) wesentlich beherrschbarer sind und dass in den entwickelten Ländern der Einsatz der verfügbaren Technologien weit verbreitet ist.

2.8.

Den Standpunkt der Zivilgesellschaft zur Problematik schädlicher Emissionen von Quecksilber und Quecksilberverbindungen hat der EWSA in seinen früheren Stellungnahmen dargelegt, an die diese Stellungnahme anknüpft (2).

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

3.1.

Die Union und 26 Mitgliedstaaten haben ein neues internationales Übereinkommen über Quecksilber unterzeichnet. Das sogenannte Übereinkommen von Minamata regelt auf globaler Ebene den gesamten Lebenszyklus von Quecksilber — vom primären Quecksilberbergbau bis zur Quecksilberabfallentsorgung — und zielt darauf ab, die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor anthropogenen Emissionen von Quecksilber und Quecksilberverbindungen in die Luft, das Wasser und den Boden zu schützen. Die Union und der überwiegende Teil der Mitgliedstaaten haben das neue internationale Übereinkommen über Quecksilber unterzeichnet. Es trägt somit bereits 128 Unterschriften und wurde bislang von 25 Staaten ratifiziert (3).

3.2.

Bei der Bewertung des Besitzstands der Union wurde eine begrenzte Zahl regulatorischer Lücken festgestellt, die im Hinblick auf die vollständige Angleichung des Unionsrechts an das Übereinkommen geschlossen werden müssen (4). In dem vorgelegten Vorschlag wird versucht, diese Lücken zu beseitigen. Konkret geht es dabei um folgende Punkte:

die Einfuhr von Quecksilber;

die Ausfuhr bestimmter mit Quecksilber versetzter Produkte;

die Verwendung von Quecksilber in bestimmten Herstellungsprozessen;

neue Verwendungszwecke für Quecksilber in Produkten und Herstellungsprozessen;

die Verwendung von Quecksilber im kleingewerblichen Goldbergbau und

die Verwendung von Quecksilber in Dentalamalgam.

3.3.

Im Interesse der Rechtsklarheit sollten die aus dem Übereinkommen erwachsenden Verpflichtungen, die noch nicht in EU-Recht umgesetzt wurden, in einem einzigen Rechtsakt zusammengefasst werden.

3.4.

Mit Blick auf die Notwendigkeit, die Kohärenz und Rechtsklarheit zu verbessern, sollte die Verordnung (EG) Nr. 1102/2008 durch diesen Entwurf aufgehoben und ersetzt werden, wobei die in ihr enthaltenen Verpflichtungen, soweit noch benötigt, übernommen werden.

3.5.

Die Ziele dieser Initiative stehen auch im Einklang mit den Zielen der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum. Dieser Vorschlag trägt dazu bei, für industrielle Verfahren, bei denen Quecksilber und Quecksilberverbindungen verwendet oder unabsichtlich emittiert werden, sowie für die Herstellung und den Vertrieb von mit Quecksilber versetzten Produkten gleiche globale Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in der Union zu fördern.

3.6.

Darüber hinaus wird der Besitzstand dort, wo dies möglich ist, im Hinblick auf eine bessere und wirksamere Anwendung vereinfacht und präzisiert.

3.7.

Die Folgenabschätzung führte zu dem Schluss, dass die Ratifizierung und Durchführung des Übereinkommens von Minamata der EU beträchtliche Vorteile für die Umwelt und die menschliche Gesundheit bietet, hauptsächlich aufgrund der erwarteten Verringerung der Quecksilberemissionen in anderen Teilen der Welt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der Ausschuss befürwortet die Annahme dieses Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates als Abschluss der langjährigen Bemühungen um die Schaffung eines verantwortlichen Rechtsrahmens, der eine globale, langfristige und dauerhafte Beschränkung der unerwünschten Wirkungen von Quecksilber und seinen Verbindungen ermöglicht. Der Ausschuss stellt fest, dass der Vorschlag für eine Verordnung im Einklang steht mit dem wichtigsten Ziel, die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen von Quecksilber zu schützen.

4.2.

Der Ausschuss begrüßt nachdrücklich den Beitrag, den die EU-Institutionen und die einzelnen Mitgliedstaaten zum Zustandekommen und Abschluss des Minamata-Übereinkommens sowie zu dessen Ratifizierung geleistet haben.

4.3.

Der Ausschuss begrüßt darüber hinaus nachdrücklich, dass im Rahmen des gesamten Prozesses die grundlegenden Prinzipien der Subsidiarität sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Geltung gebracht wurden, ohne dass die Wirksamkeit der angenommenen rechtlichen Regelungen auf EU-Ebene und im globalen Kontext eingeschränkt worden wäre.

4.4.

Der Ausschuss ist überzeugt, dass die europäischen Bemühungen zu einer raschen Ratifizierung des Minamata-Übereinkommens bis Ende 2016 und zu einer adäquaten Beschränkung der gesundheitlichen und ökologischen Gefahren beitragen werden, die sich aus den anthropogenen Quecksilberemissionen und der weltweiten Verwendung von Quecksilber ergeben. Der Ausschuss gibt zugleich seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates den Umfang der Anforderungen des Minamata-Übereinkommens nicht überschreiten sollte und nicht überschreiten wird.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der EWSA begrüßt ferner, dass sowohl die Ergebnisse der Konsultationen mit den betroffenen Parteien innerhalb der EU als auch die Ergebnisse der Erörterung des Minamata-Übereinkommens in den Sachverständigengremien unter der Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) in die Verordnung aufgenommen wurden. Der Ausschuss gratuliert der Kommission zum erfolgreichen Abschluss der äußerst anspruchsvollen und umfangreichen analytischen Arbeit, die zu dem vorliegenden Entwurf für eine Verordnung geführt hat.

5.2.

Der Ausschuss teilt die Ansicht der Kommission, dass Handelsbeschränkungen, die über die Anforderungen des Übereinkommens hinausgehen würden, d. h. ein zwingendes Einfuhrverbot für Quecksilber, nicht gerechtfertigt wären, da solche Beschränkungen für die Industrie der EU höhere Kosten bedeuten, jedoch keinen nennenswerten ökologischen Nutzen bringen würden.

5.3.

Der Ausschuss teilt darüber hinaus den in dem Verordnungsentwurf dargelegten Standpunkt der Kommission, dass auch eine Beschränkung der Ausfuhr bestimmter Produkte mit Quecksilberzusatz nicht begründet wäre, da der Einsatz von Quecksilber und seine Freisetzung in die Umwelt weitgehend unverändert bleiben würden und die Quecksilberemissionen in Drittstaaten infolge eines solchen Verbots zunehmen könnten.

5.4.

Der Ausschuss befürwortet weiterhin vorbehaltlos (in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Konsultationen und Analysen), dass die Beschränkung der Verwendung von Quecksilber in bestimmten Herstellungsprozessen und in neuen Produktionsprozessen in einem angemessenen Verhältnis zu den jeweiligen Risiken stehen sollte, und ist der Ansicht, dass dies ein längerfristiger Prozess im Rahmen der technologischen Entwicklung sein wird.

5.5.

Dennoch identifiziert sich der Ausschuss mit den Bestimmungen des Übereinkommens von Minamata, denen zufolge die Vertragsparteien verpflichtet sind, Maßnahmen zu ergreifen, die die Entwicklung neuer Herstellungsverfahren unter Verwendung von Quecksilber sowie die Herstellung und das Inverkehrbringen neuer mit Quecksilber versetzter Produkte unattraktiv machen.

5.6.

Der Ausschuss stellt fest, dass die Richtlinie 2001/80/EG zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft in der Energiebranche, die maßgeblich an den anthropogenen Quecksilberemissionen sowie den Quecksilberimmissionen infolge atmosphärischer Depositionsprozesse durch Verbringung in den Boden und ins Wasser beteiligt ist, zu einem bedeutenden Rückgang der Emission von Quecksilber geführt hat und dass sich dieser Trend fortsetzt. Seit 1990 ist die Menge der anthropogenen Quecksilberemissionen in der EU um mehr als 75 % (5) reduziert worden. Zu einer weiteren Verringerung der Quecksilberemissionen wird die vollständige Umsetzung der Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen beitragen. Der EWSA teilt die Auffassung der Europäischen Kommission, dass die Anforderungen der Richtlinie über Industrieemissionen speziell in Bezug auf die Quecksilberemissionen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verändert oder ergänzt werden müssen.

5.7.

Der EWSA unterstützt den vorgeschlagenen Ansatz, die Quecksilberemissionen aus Industrieprozessen auf der Grundlage des Konzepts der besten verfügbaren Techniken (BVT) und ihrer Referenzdokumente (BREF) einzuschränken.

5.8.

Der EWSA betont die Notwendigkeit, einen Rechtsrahmen für die dauerhafte und sichere Lagerung des aus dem industriellen Produktionskreislauf abgezogenen Quecksilbers in geeigneten geologischen Strukturen zu schaffen, zum Beispiel in stillgelegten Salzlagern. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, möglichst rasch die Kriterien für die Lagereinrichtungen und die Anforderungen an eine Lagerung quecksilberkontaminierter Abfälle festzulegen.

5.9.

Der EWSA begrüßt die ausgewogene Haltung der Europäischen Kommission in Bezug auf die Problematik der Anwendung von Amalgam in der Zahnmedizin auf der Grundlage der neuesten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse und erachtet die Anforderungen an die Ausstattung zahnmedizinischer Arbeitsplätze mit Quecksilberabscheidern sowie die Beschränkung der Verwendung von Amalgam auf dessen verkapselte Form als ausreichend effektiv, um die Freisetzung von Quecksilber in die Umwelt einzuschränken und die menschliche Gesundheit zu schützen (6). Zugleich weist der EWSA auf die bisher nur unzureichend erkannten und nicht detailliert spezifizierten Risiken neuer zahnmedizinischer Materialien hin, die als Ersatz für Amalgam zum Einsatz kommen sollen.

5.10.

Der EWSA weist zugleich auf die höheren Kosten für Dienstleistungen hin, die aus Mitteln des öffentlichen Gesundheitswesens bezahlt werden, sowie auf mögliche gesundheitliche und soziale Auswirkungen für Patientengruppen, wenn entsprechende Kosten an diese weitergegeben werden.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  UNEP, (2013). Global Mercury Assessment 2013: Sources, Emissions, Releases and Environmental Transport. UNEP Chemicals Branch, Genf, Schweiz.

(2)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 115.

ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 44.

ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 78.

(3)  http://mercuryconvention.org/Convention/tabid/3426/Default.aspx.

(4)  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Folgenabschätzung als Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Quecksilber und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1102/2008 und Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkommens von Minamata über Quecksilber, SWD(2016) 17 final.

(5)  Quelle: EUA, „Trends in Emissions of Heavy Metals“ unter: http://www.eea.europa.eu/data-and-maps/daviz/emission-trends-of-heavy-metals-3#tab-chart_3.

(6)  Siehe Stellungnahme des Wissenschaftlichen Ausschusses Gesundheit und Umweltrisiken der Europäischen Kommission „Opinion on the environmental risks and indirect health effects of mercury from dental amalgam“ (Aktualisierung aus dem Jahr 2014).


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/127


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Nutzung des Frequenzbands 470-790 MHz in der Union“

[COM(2016) 43 final — 2016/0027 (COD)]

(2016/C 303/18)

Berichterstatter:

Raymond HENCKS

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 16. Februar 2016 bzw. am … 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Nutzung des Frequenzbands 470-790 MHz in der Union“

[COM(2016) 43 final — 2016/0027 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 3. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 26. Mai 2016) mit 167 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, nach einem genauen Zeitplan die neu verfügbaren Kapazitäten auf dem Frequenzband 470-790 MHz (sog. 700-MHz-Band) koordiniert freizugeben, die es den Mobilfunkbetreibern ermöglichen werden, drahtlose Breitbanddienste der fortgeschrittenen vierten und später dann der fünften Generation anzubieten und durch eine bessere Versorgung der Gebiete und eine höhere Übertragungsgeschwindigkeit die geografische digitale Kluft zu verringern.

1.2.

Er befürchtet jedoch, dass den Verbrauchern durch die im 700-MHz-Band genutzte neue Technologie und durch die Versteigerung der neuen Kapazitäten Mehrkosten entstehen, die sich ein wachsender Teil der Bevölkerung sowie bestimmte Kleinunternehmen nicht mehr leisten können, was bedeutet, dass zahlreiche schutzbedürftige Personen womöglich aus finanziellen Gründen nicht am digitalen Wandel teilhaben können. Der EWSA fordert deshalb die Mitgliedstaaten auf, im Einklang mit den EU-Regeln für staatliche Beihilfen Ausgleichsleistungen einzuführen, um einer erneuten Verbreiterung der digitalen Kluft entgegenzuwirken.

1.3.

Die physikalischen Wesensmerkmale der Ausbreitung der Frequenzen des 700-MHz-Bands werden voraussichtlich die Diskussion über die möglichen gesundheitlichen Auswirkungen einer Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern wieder aufflammen lassen. Der EWSA ersucht die Kommission erneut (1), im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip ihre Arbeiten in diesem Bereich fortzusetzen, zumal weitere Forschungsarbeiten notwendig sind.

1.4.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, bei der Erteilung von Nutzungsrechten im 700-MHz-Band für drahtlose breitbandige elektronische Kommunikationsdienste sicherzustellen, dass die verschiedenen öffentlichen Personenverkehrsnetze über die erforderlichen Kanäle für eine angemessene Breitbandversorgung verfügen.

1.5.

Angesichts der Tatsache, dass einige Mitgliedstaaten bereits begonnen haben, die freigewordenen Frequenzkapazitäten zu versteigern, und ihre nationalen Verfahren zur Festlegung der Nutzungsrechte eingeleitet haben, fordert der EWSA die Kommission auf, die Entwicklung aufmerksamst zu verfolgen und beim geringsten Anzeichen einer Fragmentierung des Binnenmarkts im Rahmen ihrer Zuständigkeiten einzugreifen.

2.   Einleitung/Hintergrund

2.1.

Mit der Analogabschaltung zugunsten des terrestrischen Digitalfernsehens, das das Frequenzspektrum besser ausnutzt, und infolge der Freigabe der 800-MHz-Frequenzen (sog. Digitale Dividende) für Mobilfunk wird weniger Bandbreite belegt (Einsparung von ca. 18 % der Gesamtressourcen).

2.2.

Für terrestrisches Fernsehen werden derzeit die Frequenzen im unteren Bereich des UHF-Rundfunkbands (470-862 MHz) genutzt, die ein günstigeres Wellenausbreitungsverhalten (geringere Dämpfung als bei höheren Frequenzen) aufweisen.

2.3.

Kennzeichnend für diese Frequenzen sind eine größere Reichweite der Signale und eine bessere Materialdurchdringung, sodass sie für die Versorgung ländlicher Gebiete und für Gebäudedurchdringung besonders gut geeignet sind. Die Bereitstellung der wertvollen niedrigen Frequenzen für bidirektionale Hochleistungs-Breitbanddienste ist auch unter dem Aspekt der Netzausbaukosten — sie benötigen weniger Sende- oder Übertragungsstationen — und der öffentlichen Finanzen — die Frequenznutzungslizenzen werden nach genauen, durch die Regulierungsbehörden für Telekommunikation festgelegten Bestimmungen verkauft — vorteilhaft. Diese Frequenzen sind also durchaus Goldes wert. Die Mobilfunkbetreiber und die Rundfunkanbieter reißen sich um die Zuteilung dieser Frequenzen durch die Behörden.

2.4.

Die Frequenzen im 470-790-MHz-Bereich werden bislang für die Verbreitung audiovisueller Mediendienste, u. a. terrestrischen digitalen Fernsehens, sowie für Funkanwendungen zur Übertragung von Ton und Bild zur Programmerstellung und bei Veranstaltungen (sog. PMSE-Anwendungen (Programme Making and Special Events) wie bspw. drahtlose Mikrofone und Kopfhörer zur Übertragung von Regieanweisungen bei Aufführungen und in Fernsehstudios) genutzt. Für mobile Kommunikationstechnik der jüngsten Generation werden derzeit die 800-MHz-, 900-MHz-, 1 800-MHz- und 2 600-MHz-Frequenzbänder genutzt.

2.5.

Auf der Weltfunkkonferenz 2012 (WRC-12) wurde beschlossen, einen Großteil der frei gewordenen Frequenzen des Frequenzbands 470-790 MHz (sog. 700-MHz-Band) in Europa und Afrika mobilen Breitbanddiensten vorzubehalten.

2.6.

Diese Umwidmung von Frequenzen im 700-MHz-Band, das zusätzliche Breitbandkapazitäten bietet, für Mobildienste entspricht voll und ganz der Zielsetzung des EU-Mehrjahresprogramms für die Funkfrequenzpolitik, dass bis 2020 alle Haushalte der Union einen Breitbandzugang mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von mindestens 30 Mbit/s nutzen können.

2.7.

Die Frequenzumwidmung verursacht nach Einschätzung der Kommission erhebliche Kosten für die Fernsehbetreiber durch die Umstellung der Übertragungsnorm für Digitalfernsehen von MPEG-2 auf MPEG-4 (600 bis 890 Mio. EUR) und/oder auf HEVC (450 bis 660 Mio. EUR) wie auch für die Verbraucher durch die Anschaffung neuer Decoder oder Adapter (40-100 EUR zusätzlich je Haushalt).

3.   Inhalt des Vorschlags für einen Beschluss

3.1.

Ziel des vorgeschlagenen Beschlusses ist es, die Freigabe von Kapazitäten auf dem 700-MHz-Band für eine nahezu völlige weltweite Harmonisierung dieses Frequenzbands zu nutzen und dazu eine koordinierte Zuweisung und Genehmigung des besagten Frequenzbandes auf EU-Ebene vorzusehen. Dazu gilt es,

die technischen Bedingungen für drahtlose breitbandige elektronische Kommunikationsdienste nach dem Grundsatz der Technologie- und Dienstneutralität zu harmonisieren;

die nationalen Fahrpläne für die Umwidmung des 700-MHz-Bands bis Ende 2017 zu beschließen und unionsweit bekannt zu machen und gleichzeitig die grenzübergreifenden Koordinierungsvereinbarungen zu treffen;

einen gemeinsamen Termin für die Bereitstellung der Kapazitäten auf dem 700-MHz-Band festzulegen (bis Mitte 2020);

die Mitgliedstaaten zu verpflichten, bis Juni 2022 Nutzungsrechte im 700-MHz-Band handelbar zu machen.

3.2.

Hinsichtlich der Nutzung des UHF-Bands unter 700 MHz gilt es,

entsprechend dem nationalen Rundfunkbedarf für die Verfügbarkeit des Frequenzbands 470-694 MHz oder von Teilen dieses Bands für die terrestrische Bereitstellung audiovisueller Mediendienste für ein breites Publikum, einschließlich des frei zugänglichen Fernsehens, und für die Nutzung durch drahtlose PMSE-Ausrüstungen zu sorgen;

vor 2025 die Frequenznutzung im UHF-Band unter 700 MHz auf der Grundlage der Schlussfolgerungen der ITU-Weltfunkkonferenz 2023 zu überprüfen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt die Zuweisung der freigegebenen Kapazitäten auf dem 700-MHz-Band für die Bereitstellung drahtloser Breitbanddienste unter Aufrechterhaltung ausreichender Kapazitäten für das digitale terrestrische Fernsehen.

4.2.

Er befürwortet auch den Vorschlag der Kommission für eine koordinierte und terminlich abgestimmte Freigabe, womit eine Wiederholung der negativen Erfahrungen mit der in Ermangelung eines Zeitplans ungeordneten Zuweisung der 2008 freigegebenen Frequenzen des 800-MHz-Bands vermieden wird. Gleichzeitig schlägt der EWSA vor, dass die Kommission die Mitgliedstaaten dabei unterstützt, rechtzeitig grenzübergreifende Koordinierungsvereinbarungen mit Nicht-EU-Nachbarländern abzuschließen, um die Freigabe der Frequenzen des 700-MHz-Bands für drahtlose Breitbanddienste innerhalb des Binnenmarkts zu erleichtern.

4.3.

Mobilfunkanbieter können sich durch die Zuweisung von Frequenzkapazitäten im 700-MHz-Band mittelfristig als Trendsetzer auf dem Mobilkommunikationsmarkt behaupten, auf dem derzeit noch das Mobilfunknetz der vierten Generation (LTE) flächendeckend ausgebaut wird, bevor dieses dann wiederum vom — in der Testphase befindlichen — Mobilfunknetz der fünften Generation (LTE Advanced) abgelöst wird, das Datentransfers von 10 bis 50 Gb/s ermöglicht. Die Verbraucher werden von der gesteigerten Geschwindigkeit und Leistung der 5G-Technologie profitieren, die die Weiterentwicklung des Internets der Dinge, von Video on Demand, von eHealth-Anwendungen, holografischen Darstellungen usw. möglich macht.

4.4.

Der EWSA begrüßt, dass die künftige Netzanbindung über das 700-MHz-Frequenzband besonders gut zur Versorgung der ländlichen Gebiete geeignet ist und mithin zur Verringerung der geografischen digitalen Kluft beitragen wird.

4.5.

Andererseits wird die Frequenzumwidmung in jedem Fall höhere als von der Kommission veranschlagte Kosten für die Verbraucher verursachen (siehe Ziffer 2.7), da sowohl die Rundfunkbetreiber ihre Ausgaben für die Umstellung der Übertragungsnorm für Digitalfernsehen als auch die Mobilfunkbetreiber ihre Ausgaben für den Erwerb der frei gewordenen Frequenzen im 700-MHz-Band auf die Verbraucher umlegen werden, die neben den neuen TV-Decodern/Adaptern auch noch neue, 5G-kompatible Smartphones anschaffen müssen.

4.6.

Die direkten und indirekten Kosten in Verbindung mit der Umwidmung des 700-MHz-Bands werden daher möglicherweise für einen wachsenden Teil der Bevölkerung nicht mehr erschwinglich sein, desgleichen für bestimmte Kleinunternehmen, die häufig mehr für ihren Internetzugang bezahlen müssen als „integrierte“ Großkunden, die bedarfsgerechte Angebote erhalten. Auf diese Weise werden zahlreiche schutzbedürftige Personen nicht in der Lage sein, eigenständig ihre Rechte geltend zu machen, die teilweise nur digital zugänglich sind, wie bspw. bestimmte Leistungen oder Beihilfen für ältere Menschen oder Arbeit suchende Jugendliche. Um einer erneuten Verbreiterung der digitalen Kluft entgegenzuwirken und eine universelle digitale Netzanbindung sicherzustellen, fordert der EWSA deshalb die Mitgliedstaaten auf, im Einklang mit den EU-Regeln für staatliche Beihilfen Ausgleichsleistungen zugunsten der schutzbedürftigen Verbraucher einzuführen, damit alle vom digitalen Wandel profitieren können.

4.7.

Die physikalischen Wesensmerkmale der Ausbreitung der Frequenzen des 700-MHz-Bands werden voraussichtlich die Diskussion über die möglichen gesundheitlichen Auswirkungen einer Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern wieder aufflammen lassen. Der EWSA ersucht die Kommission erneut (2), im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip ihre Arbeiten in diesem Bereich fortzusetzen, zumal weitere Forschungsarbeiten notwendig sind.

4.8.

Dem vorgeschlagenen Beschluss zufolge sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Gewährleistung einer hochwertigen Versorgung ihrer Bevölkerung und ihres Hoheitsgebiets zu erwägen, wenn sie Nutzungsrechte im 700-MHz-Band für drahtlose breitbandige elektronische Kommunikationsdienste erteilen. Die Mobilfunkbetreiber sollten dem EWSA zufolge in diesem Zusammenhang über die erforderlichen Kanäle verfügen, um eine angemessene Hochleistungsbreitbandversorgung nicht nur auf dem tiefsten Land, sondern auch in den verschiedenen öffentlichen Personenverkehrsnetzen sicherstellen zu können.

4.9.

Angesichts der Tatsache, dass einige Mitgliedstaaten bereits begonnen haben, die frei gewordenen Frequenzkapazitäten zu versteigern, und ihre nationalen Verfahren zur Festlegung der Nutzungsrechte eingeleitet haben, fordert der EWSA die Kommission auf, die Entwicklung aufmerksamst zu verfolgen und beim geringsten Anzeichen einer Fragmentierung des Binnenmarkts im Rahmen ihrer Zuständigkeiten einzugreifen.

Brüssel, den 26. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 242 vom 23.7.2015, S. 31.

(2)  Siehe Fußnote 1.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/131


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Zukunft der EU-Beziehungen zu den AKP-Staaten“

(2016/C 303/19)

Berichterstatterin:

Frau Brenda KING

Die Europäische Kommission beschloss am 15. Juli 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

Die Zukunft der EU-Beziehungen zu den AKP-Staaten.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 19. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 192 Stimmen ohne Gegenstimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen und Schlussfolgerungen

1.1

Das Auslaufen des Cotonou-Abkommens im Jahr 2020 bietet Gelegenheit zur Überprüfung der AKP-EU-Partnerschaft sowie zur Festlegung ihrer künftigen Form und der zu behandelnden Themen. Während die Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) eine Erneuerung der Beziehungen anstreben — da die AKP-Staaten als Schlüsselpartner angesehen werden —, wurde doch betont, dass alle Optionen, einschließlich Alternativen zu einem Vertrag und einem kollektiven Ansatz, geprüft werden sollen.

1.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) weist darauf hin, dass die Entscheidung über eine Fortsetzung der Beziehungen zur AKP-Gruppe von den AKP-Staaten selbst getroffen werden sollte.

1.3

Der EWSA empfiehlt der EU, eine moderne, gleichberechtigte und wirksame Partnerschaft mit den AKP-Staaten anzustreben, die über ein Geber-Nehmer-Verhältnis hinausgeht und auf einer kohärenten und integrierten EU-Außenpolitik im Einklang mit dem Grundsatz der Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung beruht.

1.4

Dieser Rahmen sollte die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen einschließlich des Privatsektors gewährleisten, mit der besonderen Aufgabe, die Auswirkungen der Umsetzung des Abkommens auf die nachhaltige Entwicklung der beteiligten Parteien zu beobachten und zu bewerten. Die Zivilgesellschaft sollte die zur Wahrnehmung dieser Rolle erforderliche technische und finanzielle Unterstützung erhalten.

1.5

Das Cotonou-Abkommen stellt in seiner derzeitigen Form — Kombination von Investitionen und wirtschaftlicher Entwicklung mit einem politischen, werteorientierten Ansatz — bereits eine Ergänzung zur Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung dar. Bei der Nachfolgelösung zum Cotonou-Abkommen müssten jedoch die Empfehlungen aus dieser Stellungnahme berücksichtigt und ebenfalls eine Überwachung und Bewertung des Abkommens vorgesehen werden. Der EWSA ist bereit, in diesem Prozess eine zentrale Rolle zu übernehmen.

1.6

Der EWSA empfiehlt, dass alle Formen von Entwicklungsförderung, die Drittstaaten von der EU erhalten, demselben Rechtsrahmen und derselben demokratischen Kontrolle durch das Europäische Parlament unterliegen sollten, wobei jeweils dieselben positiven Aspekte des EEF beibehalten werden sollten.

1.7

Die EU-AKP-Partnerschaft bietet bereits einen umfassenden Rahmen für die Bewältigung globaler Fragen wie Klimawandel, was sich bei den COP-21-Verhandlungen als wirksam erwiesen hat. Die gemeinsamen Bemühungen müssen verstärkt werden, um sowohl in den AKP- als auch den EU-Staaten die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen und möglichen negativen Auswirkungen wie Naturkatastrophen, wirtschaftlicher Ruin und klimabedingte Migration entgegenzuwirken.

1.8

Der EWSA unterstützt die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen von der Konzipierung und Planung bis hin zur Überwachung, Umsetzung und nachträglichen Überprüfung der von EU und AKP behandelten Politikbereiche. Durch einen ganzheitlichen Prozess des strukturierten Dialogs und regelmäßige Konsultationen zivilgesellschaftlicher Organisationen wird die Partnerschaft dem Geist des Cotonou-Abkommens entsprechend und nach Maßgabe seines Artikels 6 zu einer vollständigen Einbindung nichtstaatlicher Akteure führen.

1.9

Aufbauend auf den bisherigen Errungenschaften der EU-AKP-Zusammenarbeit können beide Partner gleichberechtigt und effizient gemeinsame Strategien innerhalb des künftigen Rahmens für die Entwicklungszusammenarbeit konzipieren, der auf der Süd-Süd-Zusammenarbeit und der Dreieckskooperation beruht. Der gegenseitige Austausch zwischen diesen Partnern kann ein wirkungsvoller Katalysator sein, um den neuen Rahmen für die internationale Entwicklung und globale Herausforderungen (u. a. im Zusammenhang mit der Rolle von Ländern mit mittlerem Einkommen) in Angriff zu nehmen.

1.10

Die neue Partnerschaft muss eine gleichberechtigte Partnerschaft sein, wie auch in dem neuen Rahmen hervorgehoben wird, mit dem die umfassenden Herausforderungen in den EU- und AKP-Staaten — u. a. Einkommensunterschiede, Jugendarbeitslosigkeit, Klimawandel — anerkannt werden. Gemeinsam und in gleichberechtigter Zusammenarbeit können die EU- und AKP-Partnerländer die Lösung von Entwicklungsproblemen in der EU wie auch in den AKP-Staaten angehen.

2.   Einleitung

2.1

Die Europäische Union (EU) und die Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean (AKP) haben ein umfassendes und rechtsverbindliches internationales Kooperationsabkommen geschlossen, dem mehr als die Hälfte aller Staaten weltweit angehören. Das sog. Partnerschaftsabkommen von Cotonou (kurz CPA oder Cotonou-Abkommen) wurde im Jahr 2000 in Benin unterzeichnet, um die langjährige Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Handel, und Entwicklung zu verstärken. Das Abkommen führte zur Einrichtung verschiedener Organe, mit denen die AKP-EU-Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Beamten, Parlamentsmitgliedern, lokalen Gebietskörperschaften und der Zivilgesellschaft einschließlich des Privatsektors erleichtert wird. Sie beruht auf historischen Beziehungen zwischen der EU und ihren früheren Kolonien, die durch eine Reihe aufeinanderfolgender postkolonialer Abkommen weiterentwickelt wurden: von den Assoziierungsabkommen von Yaoundé I und II, die zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ehemaligen französischen Kolonien in Afrika geschlossen wurden (1963-1975), über die nachfolgenden AKP-EU-Abkommen von Lomé (1975-2000) bis hin zu dem im Jahr 2000 unterzeichneten Partnerschaftsabkommen von Cotonou.

2.2

Da das Cotonou-Abkommen 2020 ausläuft, haben die Europäische Kommission und die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik am 6. Oktober 2015 ein gemeinsames Konsultationspapier herausgegeben. Ziel dieses Papiers ist es, vor dem Hintergrund der institutionellen, politischen und sozioökonomischen Entwicklungen in der EU und den AKP-Staaten in einer Welt, die sich in den vergangenen 15 Jahren erheblich verändert hat, festzustellen „inwieweit […] sich [das Partnerschaftsabkommen] für die Zukunft noch eignet und als Plattform zur Förderung der gemeinsamen Interessen dienen kann.“

2.3

Einbeziehung der Zivilgesellschaft — Besondere Bemerkungen zum politischen Dialog

2.3.1

Der EWSA begrüßt, dass in Artikel 6 des Cotonou-Abkommens die Einbeziehung nichtstaatlicher Interessenträger durch ihre Anerkennung als wesentliche Akteure der Partnerschaft unterstützt wird. Der Ausschuss nimmt jedoch mit Enttäuschung zur Kenntnis, dass die Zusammenarbeit immer noch in erster Linie auf die Regierungen ausgerichtet ist, obschon die Bedeutung des politischen Dialogs für die Förderung einer zivilgesellschaftlichen Beteiligung am Entwicklungsprozess anerkannt wurde.

2.3.2

Der EWSA verweist erneut mit Nachdruck auf die wesentliche Rolle nichtstaatlicher Akteure im gesamten Entwicklungsprozess und bei der Überwachung der WPA. Es liegt auf der Hand, dass mit einem offenen partizipativen Post-Cotonou-Rahmen bessere Chancen für die Erzielung vielversprechender Ergebnisse bestehen.

2.3.3

Der EWSA stellt mit Bedauern fest, dass eine Reihe von AKP-Staaten derzeit restriktive Rechtsvorschriften erlassen, um die Arbeit nichtstaatlicher Organisationen einzuschränken, was in einigen Fällen negative Auswirkungen auf die aktive Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen hatte. Aus dem Nachhaltigkeitsindex für zivilgesellschaftliche Organisationen 2014 (1) geht hervor, dass Organisationen der Zivilgesellschaft — insbesondere solche, die vornehmlich für Menschenrechte eintreten — in vielen afrikanischen Ländern südlich der Sahara zunehmend in ihrer Arbeit eingeschränkt werden oder diesbezügliche Drohungen erhalten.

2.3.4

Der EWSA empfiehlt, dass der für die Zeit nach 2020 vereinbarte Rahmen — unabhängig davon, wie er letztlich aussehen wird — dazu beitragen sollte, die Legitimität zivilgesellschaftlicher Organisationen im Besonderen und nichtstaatlicher Akteure im Allgemeinen als echte Mitwirkende an politischen Prozessen zu stärken. Zudem ist sich der EWSA bewusst, dass die Auswirkungen eines Ausschlusses nichtstaatlicher Akteure sehr nachteilig sind. Daher fordert er stärkere technische und finanzielle Verpflichtungen, um die aktive Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen zu fördern und zu verstärken.

3.   Hintergrund des Cotonou-Abkommens

3.1

Mit der Unterzeichnung des Vertrags von Rom 1957 wurden die überseeischen Länder und Gebiete (ÜLG) der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) assoziiert. So wurde ein offizieller und privilegierter Rahmen für eine Zusammenarbeit geschaffen, mit dem die Beziehungen zwischen Europa und den AKP-Staaten strukturiert wurden. Die AKP-Gruppe, die 1975 mit dem Abkommen von Georgetown gebildet wurde, umfasste ursprünglich 46 AKP-Staaten: 36 Staaten Subsahara-Afrikas, 7 Staaten des karibischen Raums und 3 Staaten des Pazifischen Ozeans. Heute besteht die AKP-Gruppe aus 79 Staaten: 48 Staaten Subsahara-Afrikas, 16 Staaten des karibischen Raums und 15 Staaten des Pazifischen Ozeans (Kuba zählt zu den Mitgliedern, jedoch nicht zu den Unterzeichnerstaaten des Cotonou-Abkommens, und Südafrika gehört zu den Vertragsparteien des Cotonou-Abkommens, ist aber von einigen Bestimmungen ausgenommen). Seit dem Jahr 2000 wird die Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Staaten durch das Cotonou-Abkommen geregelt.

3.2

Das Kernziel des Cotonou-Abkommens, „im Einklang mit den Zielen der nachhaltigen Entwicklung und der schrittweisen Integration der AKP-Staaten in die Weltwirtschaft die Armut einzudämmen und schließlich zu besiegen“, soll über drei einander ergänzende Säulen ins Werk gesetzt werden:

Politischer Dialog: Das Cotonou-Abkommen war seiner Zeit voraus, da es auf einem umfassenden politischen Dialog beruht, der weitreichende bilaterale Verpflichtungen erfordert. So heißt es in dem Abkommen: „Der Dialog konzentriert sich unter anderem auf spezifische politische Fragen, die von beiderseitigem Interesse oder von allgemeiner Bedeutung für die Verwirklichung der Ziele dieses Abkommens sind, z. B. Handel mit Rüstungsgütern, übermäßige Rüstungsausgaben, Drogenmissbrauch und organisiertes Verbrechen oder Diskriminierung aus Gründen der Volkszugehörigkeit, der Religion oder der Rasse. Der Dialog schließt ferner eine regelmäßige Bewertung der Entwicklungen bei der Achtung der Menschenrechte, der demokratischen Grundsätze und des Rechtsstaatsprinzips sowie der verantwortungsvollen Staatsführung ein.“

Wirtschafts- und Handelsbeziehungen: Das Cotonou-Abkommen geht von der Logik ehemaliger Handelsvereinbarungen nach den Abkommen von Yaoundé und Lomé aus, die durch nicht reziproke, einseitig von der EU gewährte Präferenzen bestimmt waren. Die EU hat anerkannt, dass „das derzeitige System mit Blick auf die grundlegenden Wirtschaftsparameter gescheitert ist; dass die AKP-Staaten trotz großzügiger Zollpräferenzen im Welthandel zunehmend an den Rand gedrängt wurden“ (2). Mit den neuen im Rahmen des Cotonou-Abkommen zu verhandelnden Handelsvereinbarungen, den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA), sollte hiermit abgeschlossen und den AKP-Staaten endlich eine Integration in die Weltwirtschaft ermöglicht werden. Die WPA entsprechen auch den Vorschriften der Welthandelsorganisation (WTO), da dadurch die negativen Auswirkungen sog. nicht reziproker Präferenzen auf Entwicklungsländer verringert werden, die nicht zur AKP-Gruppe gehören, und die regionale Integration durch die Anknüpfung an bestehende regionale Wirtschaftseinrichtungen und Freihandelszonen der AKP-Staaten gefördert wird. Die Verhandlungen im Hinblick auf reziproke und asymmetrische Freihandelsabkommen dieser Art begannen zwar im Jahr 2002, doch ist das Cariforum die erste und einzige Region, die (2007) ein umfassendes WPA unterzeichnete, das über den Handel hinausgeht und die sog. „Singapur-Themen“ umfasst. In den Verhandlungen mit den übrigen Regionen gab es immer wieder Spannungen aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen der wirtschaftlichen Entwicklung, und bislang wurden lediglich einige vorläufige WPA mit der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC), der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) und der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) geschlossen, die ausschließlich den Warenhandel betreffen.

Handel und regionale Integration: Die WPA sind auf die Förderung der regionalen Integration ausgerichtet, wobei davon ausgegangen wird, dass durch eine bessere regionale Integration die Handelskapazitäten verbessert und dadurch wiederum Wachstum, Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung gefördert werden. Kritische Stimmen behaupten im Zusammenhang mit WPA jedoch das genaue Gegenteil, nämlich dass die WPA in Wirklichkeit einer besseren regionalen Integration im Wege stehen. Dieses Argument beruht auf der Überzeugung, dass durch die WPA nicht der notwendige strukturelle Wandel in den Volkswirtschaften der AKP-Staaten herbeigeführt wird, der es ihnen ermöglichen würde, ihre Position zu stärken und in der globalen Wertschöpfungskette aufzusteigen.

Handel und nachhaltige Entwicklung: Ironischerweise werden die WPA vielfach kritisiert, nicht ehrgeizig genug zu sein, insbesondere in Sachen nachhaltige Entwicklung. Die vorläufigen WPA mit den drei afrikanischen Regionen wurden u. a. von Mitgliedern des Europäischen Parlaments dahingehend kritisiert, dass sie kein Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung enthalten. Ihrer Meinung nach wird dadurch der ehrgeizige Geltungsbereich des Abkommens, das eigene Engagement der EU für die nachhaltige Entwicklung und ihr Grundsatz der Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung untergraben. Obwohl das WPA Cariforum-EU derzeit das einzige umfassende Abkommen ist, wurde diesbezüglich bemängelt, dass die Reaktionsfähigkeit der Region im Falle systemischer Schocks durch restriktive Ausfuhrbestimmungen geschwächt werden könnte, wodurch wiederum die Kapazitäten der Region zur Erzielung von Ernährungssicherheit untergraben werden könnten.

Entwicklungszusammenarbeit: Mit den Instrumenten und Methoden der Zusammenarbeit sollen die Grundsätze des Cotonou-Abkommens durch Ergebnisorientierung sowie eine Schwerpunktsetzung auf Partnerschaft und Eigenverantwortung in die Praxis umgesetzt werden. Die Programmplanung und Durchführung des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) erfolgt daher in gemeinsamer Verantwortung.

Der EEF wird direkt über freiwillige Beiträge der EU-Mitgliedstaaten außerhalb des EU-Haushaltplans finanziert; im Sinne der Kohärenz wird er jedoch parallel zu anderen Außenfinanzierungsinstrumenten der EU verhandelt. Der EEF wird von der Europäischen Kommission und der Europäischen Investitionsbank (EIB) verwaltet. Die EIB verwaltet die Investitionsfazilität und stellt für Privatunternehmen in den AKP-Staaten Darlehen, Garantien und Mittel sowohl aus dem EEF als auch aus eigenen Ressourcen bereit, die sie für kurz- und langfristige Projekte im privaten und öffentlichen Sektor nutzen können.

Die Gesamtmittelausstattung des EEF ist gestiegen, der zwischenstaatliche Charakter des Fonds und seine Verwaltungsstruktur wurden jedoch beibehalten, sodass er neben dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) zum größten Element der EU-Entwicklungszusammenarbeit werden konnte. Aufgrund des einzigartigen geschichtlichen Hintergrunds und Rechtsstatus des Fonds und seines zwischenstaatlichen Charakters hat das Europäische Parlament (EP) in Bezug auf den EEF kein Mitentscheidungsrecht. Der EP-Entwicklungsausschuss bringt sich in die allgemeine politische Diskussion ein und ist ein wichtiger Akteur im Zusammenhang mit dem Cotonou-Abkommen. Die Paritätische Parlamentarische Versammlung ist zudem befugt, die EEF-Zuweisungen im Rahmen der Nationalen Richtprogramme (NRP) und der Regionalen Richtprogramme (RRP) einer parlamentarischen Kontrolle zu unterziehen.

EEF und Eingliederung in den Haushaltsplan — Im Wege eines besonderen Entlastungsverfahrens erteilt das EP der Europäischen Kommission Entlastung für die Verwaltung und Umsetzung des EEF. Die sog. „Budgetarisierung“, d. h. die Eingliederung des EEF in den Haushaltsplan der EU, ist ein Thema, das nach wie vor zu Spannungen zwischen dem EP und dem Rat führt, obschon die Kommission mehrfach eine Eingliederung des EEF in den EU-Haushaltsplan vorgeschlagen hat.

Der EWSA ist der Auffassung, dass alle Formen von Unterstützung, die Drittstaaten von der EU erhalten, demselben Rechtsrahmen und derselben demokratischen Kontrolle durch das EP unterliegen sollten. Daher empfiehlt er eine Eingliederung des EEF in den EU-Haushaltsplan, wobei die positiven Aspekte des EEF beibehalten werden sollten (z. B. Gegenseitigkeit und wechselseitige Verantwortung). Dies wird zu einer stimmigeren EU-Entwicklungspolitik führen.

4.   Hintergrund — Eine Welt im Wandel

4.1

Wie auch in dem Gemeinsamen Konsultationspapier anerkannt wird, hat sich die Welt seit dem Inkrafttreten des Abkommens im Jahr 2000 erheblich verändert. Auf EU-Ebene hat zwischen 2000 und 2013 eine Erweiterung um 13 neue Mitgliedstaaten stattgefunden, sodass die EU nunmehr 28 Mitgliedstaaten zählt. Die neuen Mitgliedstaaten verfügen über keine historischen Verbindungen aus der Kolonialzeit und haben somit andere oder gar keine Handels-, Wirtschafts- und politischen Beziehungen zu den AKP-Staaten, abgesehen von den Verbindungen seit dem EU-Beitritt. Auf globaler Ebene ist die Weltbevölkerung gewachsen, Vernetzung und Verflechtung haben zugenommen, die Welt wird immer komplexer und unbeständiger, und neue Herausforderungen wie Klimawandel, die Auswirkungen der Globalisierung, Zunahme von Terroranschlägen, Konflikte und Massenmigration sind hinzugekommen.

4.2

Seit 2000 sind in Afrika, Asien und Lateinamerika weitere Wirtschaftsmächte auf den Plan getreten, und neue Zusammenschlüsse wie die Afrikanische Union und die G-77 sind entstanden. Viele AKP-Staaten sind auf dem Weg zu dem Ziel, zwischen 2020 und 2030 den Status eines Landes mit mittlerem Einkommen zu erlangen und damit ihre Abhängigkeit von ausländischer Unterstützung zu verringern.

4.3

Die Partnerschaft mit den drei Regionen, die zur AKP-Gruppe gehören, wurde auch außerhalb des Cotonou-Abkommens — aber stets in Wechselbeziehung dazu — vertieft, wie die Strategische Partnerschaft Afrika-EU, die Gemeinsame Partnerschaftsstrategie Karibik-EU und die Strategie für eine verstärkte Partnerschaft mit den Pazifik-Inseln zeigen. Die Zusammenarbeit mit regionalen und subregionalen Organisationen wurde ebenfalls ausgebaut, insbesondere im Rahmen der WPA und in den Bereichen Frieden und Sicherheit.

4.4

Zwar sind Erfolge in der globalen Entwicklung zu verzeichnen, doch gibt es weiterhin erhebliche Defizite, da immer noch Hunderte Millionen Menschen in extremer Armut leben, Männer und Frauen nicht gleichgestellt sind und die weltweiten CO2-Emissionen seit 1990 um mehr als 50 % gestiegen sind. Im September 2015 hat die internationale Gemeinschaft einen neuen globalen Rahmen mit Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals — SDG) und mit entsprechenden Finanzierungsvorgaben verabschiedet, um die Armutsbekämpfung und die nachhaltige Entwicklung, die miteinander zusammenhängen, gleichzeitig anzugehen. Dieser Rahmen wird durch eine neue „Globale Partnerschaft“ zur Mobilisierung aller Umsetzungsmittel und Akteure untermauert und hat Allgemeingültigkeit für alle Länder.

4.5

Der EWSA empfiehlt daher einen wirksamen Rahmen für internationale Beziehungen, der über ein Geber-Nehmer-Verhältnis hinausgeht und dazu geeignet ist, die Nachhaltigkeitsziele umzusetzen und mittels politischer, wirtschaftlicher und entwicklungspolitischer Zusammenarbeit bessere Ergebnisse für die Bürgerinnen und Bürger in den AKP-Staaten und in Europa zu erzielen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1    Die Säule Entwicklungszusammenarbeit

5.1.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Wiederherstellung einer ausgewogenen Partnerschaft im Einklang mit der Agenda 2030 und ihren 17 Nachhaltigkeitszielen der beste Rahmen sein wird, um die „Umsetzungsmittel [zu] stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung wieder[zu]beleben“ (Nachhaltigkeitsziel 17). Die Nachhaltigkeitsziele bieten einen gemeinsamen Rahmen mit 169 Zielvorgaben, um Armut und Hunger zu beenden, den Zugang zu bezahlbarer und nachhaltiger Energie für alle zu sichern, eine belastbare Infrastruktur aufzubauen, den Klimawandel und seine Auswirkungen zu bekämpfen sowie Rechtsstaatlichkeit und den gleichberechtigten Zugang aller zur Justiz zu fördern.

5.1.2

Im Einklang mit dem Grundsatz der Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung liefert der Rahmen der Nachhaltigkeitsziele eine komplementäre und ganzheitliche Orientierungshilfe für die künftigen EU-AKP-Beziehungen mit Blick auf die Verwirklichung gemeinsamer Ziele, die globale Reichweite haben werden. Da die internen Politikbereiche der EU externe Auswirkungen haben, die sich nachteilig auf Partnerländer auswirken können, hat eine Zusammenarbeit zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele darüber hinaus auch insofern positive Folgewirkungen für die Gewährleistung der Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung, da Prioritäten aufeinander abgestimmt und gleichzeitig regionale Entwicklungsagenden eingehalten werden.

5.1.3

Die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele erfordert enorme Finanzmittel, wobei nach Angaben der Weltbank und anderer multilateraler Entwicklungsbanken etwa 80 % auf Infrastrukturinvestitionen entfallen. Auch wenn der EEF für die am wenigsten entwickelten Länder nach wie vor eine wichtige Finanzierungsquelle ist, nimmt er sich im Vergleich zum Gesamthaushalt vieler Länder bescheiden aus und wird voraussichtlich weiter schrumpfen. Die Mobilisierung inländischer Finanzmittel kann jedoch in zahlreichen AKP-Staaten eine wichtige Quelle der Entwicklungsfinanzierung sein. Laut dem 2013 vorgelegten Bericht der Weltbank über die Entwicklungsfinanzierung nach 2015 ist davon auszugehen, dass schätzungsweise 50 bis 80 % der Infrastrukturfinanzierung im Zusammenhang mit den Nachhaltigkeitszielen mit inländischen Eigenmitteln der Staaten bestritten werden.

5.1.4

Der EWSA ist daher der Ansicht, dass die Entwicklungsfinanzierung für den Aufbau von Kapazitäten zur Mobilisierung und Nutzung inländischer Ressourcen eingesetzt werden sollte. So kann nach Angaben der OECD beispielsweise jeder Dollar, der im Rahmen der Entwicklungshilfe in Übersee für den Aufbau von Verwaltungskapazitäten im Steuerbereich ausgegeben wird, je nach den Gegebenheiten des betreffenden Landes möglicherweise Tausende Dollar an inkrementellen Steuereinnahmen generieren. Schätzungen zufolge machen Steuern in den meisten afrikanischen Ländern lediglich 10 bis 15 % des BIP aus (3). Gleichermaßen können ressourcenreiche Länder dabei unterstützt werden, ihre Kapazitäten im Hinblick auf die Aushandlung fairer Verträge mit Bergbauunternehmen und anderen Unternehmen der mineralgewinnenden Industrie auszubauen, um so ihre Einkommen zu verbessern, damit sie ihren Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Nachhaltigkeitszielen nachkommen können. Die AKP-Staaten sollten darüber hinaus in ihrem Ziel unterstützt werden, eigene Roh- und Grundstoffe für lokale, regionale und internationale Märkte industriell zu nutzen und zu verarbeiten.

5.1.5

Der EWSA empfiehlt weiterhin eine künftige Zusammenarbeit im Hinblick auf die Behebung des erheblichen Mangels an qualifizierten Arbeitskräften in wachstumsstarken Branchen in den AKP-Staaten — insbesondere angesichts der UN-Prognose, dass die afrikanische Bevölkerung auf 2,5 Milliarden Menschen anwachsen und damit ein Viertel der Weltbevölkerung stellen wird (4). Zu diesen Branchen gehören die mineralgewinnende Industrie, Energie, Wasserversorgung und Infrastruktur sowie Landwirtschaft, Gesundheit und Telekommunikation. Dieser Fachkräftemangel ist einer der Gründe dafür, dass die AKP-Staaten Rohstoffe exportieren, die in anderen Teilen der Welt weiterverarbeitet werden, was zulasten der Industrien und Arbeitsplätze im AKP-Raum geht. Auch brauchen diese Länder eigene Forschung und innovative Lösungen zur Bewältigung ihrer entwicklungspolitischen Herausforderungen einschließlich des Klimawandels. Der Anteil der Forscher im Verhältnis zur Bevölkerung ist in den afrikanischen Ländern jedoch sehr gering. In Burkina Faso entfallen beispielsweise 45 Forschungs- und Entwicklungsfachleute auf eine Million Menschen, in Nigeria sind es 38 gegenüber durchschnittlich 481 in Lateinamerika und 1 714 in Ostasien (5). Auch die zirkuläre Migration sollte zur Überwindung des Fachkräftemangels zum Einsatz gebracht werden. Durch das Programm Erasmus+ erhalten Jugendliche aus der EU bereits die Möglichkeit zur zirkulären Migration. Ähnliche Bestimmungen sollten für Jugendliche aus den AKP-Staaten geschaffen werden. Dies erfordert eine Neuausrichtung der Debatte über Migration mit einer stärkeren Schwerpunktsetzung auf Mobilität, insbesondere bei Jugendlichen zur Aus- und Fortbildung, für Praktika und Austauschmaßnahmen usw.

5.1.6

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten — im Einklang mit dem Grundsatz der Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung und mit der oben genannten Empfehlung zum Aufbau von Verwaltungskapazitäten im Steuerbereich durch die Nutzung von Entwicklungshilfe — wirksam gegen das Problem der illegalen Finanzströme vorgehen. Die Steuerverwaltung ist von höchster Bedeutung und hat das Potenzial zur Verbesserung der nachhaltigen Entwicklung der AKP-Staaten. In Afrika z. B. gehen mehr Finanzmittel aufgrund illegaler Finanzströme verloren als der Kontinent in Form von öffentlicher Entwicklungshilfe und ausländischen Direktinvestitionen zusammen genommen erhält.

5.1.7

In der künftigen Partnerschaft muss auch die nicht zu vernachlässigende Rolle von Heimatüberweisungen der im Ausland beschäftigten und in der Diaspora lebenden Migranten anerkannt werden, die zu einer grundlegenden Quelle ausländischer Direktinvestitionen in den AKP-Staaten geworden sind und die öffentliche Entwicklungshilfe übersteigen. Dennoch ist es wichtig, dass die EU-Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung zur Bereitstellung von 0,7 % des BNE nachkommen und damit dazu beitragen, den Grundsatz der Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung zu wahren.

5.2    Die wirtschafts- und handelspolitische Säule

5.2.1

Die WPA sollen die regionale Integration fördern und umfassen die Einrichtung regionaler Wirtschaftsgemeinschaften (RWG) in den AKP-Staaten. Die Verhandlungen wurden 2002 aufgenommen, allerdings unter einem gewissen Zeitdruck aufgrund der Ende 2007 auslaufenden WTO-Ausnahmegenehmigung zur Beibehaltung einer Präferenzbehandlung für Entwicklungsländer innerhalb der AKP-Gruppe gegenüber nicht zu den AKP-Staaten gehörenden Entwicklungsländern.

5.2.2

In den WPA-Verhandlungen ergaben sich aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten: unterschiedliche Verhandlungskapazitäten und Reife der regionalen Wirtschaftsgemeinschaften in den AKP-Staaten; verschiedene Vorstellungen von Entwicklung und regionaler Integration; abweichende Konzepte des Handels auf der Grundlage von Gegenseitigkeit etc. Nachdem die Verhandlungen 2002 aufgenommen wurden, gibt es inzwischen sowohl umfassende WPA und vorläufige WPA als auch verschiedene Handelsregelungen für die AKP-Staaten, z. B. das Allgemeine Präferenzsystem (APS/APS+) und die Regelung „Alles außer Waffen“ (EBA).

5.2.3

Da die WPA u. a. zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum, Armutsbekämpfung, verbesserten Lebensstandards und zur regionalen Integration beitragen sollen, wird es für die Erreichung dieser Ziele maßgeblich sein, die WPA wirksam umzusetzen und ihre Funktionsweise zu überwachen.

5.2.4

Der EWSA empfiehlt daher mit Nachdruck, einen Rahmen zu schaffen (z. B. in Form von Gemischten Beratenden Ausschüssen), um zu gewährleisten, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen sowohl der EU als auch der AKP-Regionen in die Überwachungsstrukturen der WPA eingebunden werden, dass ihre aus dieser Überwachung resultierenden Empfehlungen umgesetzt werden können und dass die Prozesse mit der nachhaltigen Entwicklung vereinbar sind. Dies wird auch für die Zeit nach 2020 gelten. Für diejenigen Fälle, in denen die WPA-Verhandlungen bereits abgeschlossen sind (wie z. B. mit der SADC) und Neuverhandlungen daher wohl kaum möglich sein dürften, würde der EWSA diesbezüglich die Aushandlung eines Protokolls zum WPA unterstützen.

5.2.5

Die EU-Delegationen sind Schlüsselakteure und sollten mit lokalen nichtstaatlichen Akteuren und den regionalen Einrichtungen der EU und der AKP-Staaten im Hinblick auf ein transparentes, koordiniertes und wirksames gemeinsames Handeln zusammenarbeiten. Darüber hinaus sollte eine gemeinsame Koordinierung der Fahrpläne der EU-Delegationen für die Organisationen der Zivilgesellschaft und der entsprechenden regionalen Strategie der AKP-Staaten für zivilgesellschaftliche Organisationen stattfinden, um ein umfassendes Konzept für die Einbeziehung der Organisationen der Zivilgesellschaft zu fördern.

5.2.6

Der EWSA empfiehlt ferner, im Rahmen dieser Gemischten Beratenden Ausschüsse (GBA) eine umfassende Beteiligung der Zivilgesellschaft vorzusehen und u. a. Wissenschaft, Wirtschaft und Sozialpartner (einschließlich Landwirtschafts-, Frauen- und Jugendorganisationen) gleichermaßen einzubeziehen. Außerdem sollten diese GBA über angemessene und zugängliche Mittel verfügen, um ihr wirksames und selbständiges Handeln zu erleichtern. Des Weiteren unterstreicht der EWSA die Bedeutung der Bereitstellung von Finanzmitteln seitens beider Partner für die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen in die Partnerschaft, um die von der EU und den AKP-Staaten angestrebte gleichberechtigte Partnerschaft in vollem Umfang zu verwirklichen.

5.3    Europäischer Entwicklungsfonds (EEF)

5.3.1

Der EEF wird als berechenbare und verlässliche Quelle der Entwicklungsfinanzierung angesehen, die eine wichtige Rolle spielt, um das Interesse der AKP-Staaten am Cotonou-Abkommen aufrechtzuerhalten. Eine umstrittene Form der Finanzierung aus dem EEF ist die Budgethilfe bzw. direkte Beihilfen für die nationalen Haushalte, entweder mit vorher festgelegter Prioritätensetzung (sektorbezogene Budgethilfe) oder ohne (allgemeine Budgethilfe). Im Zeitraum 2002-2010 hat die Kommission Mittel in Höhe von insgesamt 6,2 Mrd. EUR für allgemeine Budgethilfe bereitgestellt (über 90 % zugunsten von Afrika). Unabhängig davon, wie die künftige Partnerschaft aussehen wird, sollten die Beziehungen zum karibischen und pazifischen Raum trotzdem weder verwässert werden, noch sollte die Einstufung als Land mit mittlerem Einkommen grundsätzlich ein Hemmnis für die nachhaltige Entwicklung sein. Im Rahmen der künftigen Partnerschaft muss Inklusion gefördert werden und ein vorrangiges Anliegen sein.

5.3.2

Im Durchschnitt wird ein Fünftel der EEF-Mittel für sektorbezogene Unterstützung und Budgethilfe eingesetzt. Die Budgethilfe wird zwar allgemein als wirksames Mittel zur Kanalisierung von Geberhilfe angesehen, schwächt jedoch die Rechenschaftspflicht und die Verwaltungsführung, da eine wirkliche Überwachung und ausreichende Auflagenbindung bei dieser Hilfe fehlen. Zudem ist die Budgethilfe wenig sichtbar, da sie Teil des öffentlichen Gesamthaushalts wird, sodass die Höhe der EEF-Beiträge für die meisten Bürger und einzelstaatlichen Akteure nicht nachvollziehbar ist.

5.3.3

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, dass alle Formen von Entwicklungsförderung, die Drittstaaten von der EU erhalten, zur Verbesserung von Rechenschaftspflicht und Transparenz demselben Rechtsrahmen und derselben demokratischen Kontrolle durch das Europäische Parlament unterliegen sollten, wobei jeweils dieselben positiven Aspekte des EEF beibehalten werden sollten.

5.3.4

Rückmeldungen aus regionalen Sitzungen des EWSA belegen, dass die Akteure der Zivilgesellschaft die Ausschreibungsverfahren der EU zur Bewerbung um Finanzmittel für zu langwierig, bürokratisch und undurchsichtig halten. Außerdem sind die Bewerbungsverfahren aus Sicht vieler nichtstaatlicher Akteure zu umständlich, und die einschlägigen Informationen werden in einigen Ländern nicht ausreichend verbreitet.

5.3.5

Der EWSA hat sich regelmäßig für den Ausbau der Kapazitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen und für ihren Zugang zu den notwendigen Ressourcen ausgesprochen, damit sie wirksame Partner bei der Förderung von Eigenverantwortung und bei der Überwachung im Zusammenhang mit Entwicklungsstrategien, Staats- und Verwaltungsführung und Menschenrechten in ihren jeweiligen Ländern und Regionen sein können. Diese Grundsätze müssen sowohl in der EU als auch in den AKP-Staaten gewahrt werden.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  https://www.usaid.gov/africa-civil-society.

(2)  Karel de Gucht, für Handel zuständiges Mitglied der Europäischen Kommission, Eine gleichberechtigte Partnerschaft (liegt nur auf Englisch vor), 20. Tagung der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU, Kinshasa, 4. Dezember 2010, S. 3. Abgefragt am 26. Dezember 2012 unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2010/december/tradoc_147082.pdf.

(3)  The Economist, 16.4.2015, „Making Africa Work“.

(4)  Siehe Fußnote 3.

(5)  http://www.worldbank.org/en/news/press-release/2014/04/15/world-bank-centers-excellence-science-technology-education-africa.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/138


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Gemeinsamen Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik

[JOIN(2015) 50 final]

(2016/C 303/20)

Berichterstatter:

Andrzej ADAMCZYK

Mitberichterstatter:

Gintaras MORKIS

Die Europäische Kommission beschloss am 18. November 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik

[JOIN(2015) 50 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 19. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 162 gegen 15 Stimmen bei 21 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Annahme der Gemeinsamen Mitteilung zur Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik durch die Hohe Vertreterin und die Europäische Kommission und nimmt zur Kenntnis, dass in der Überprüfung viele der Empfehlungen enthalten sind, die vom EWSA in seiner Stellungnahme zum gemeinsamen Diskussionspapier Eine neue Europäische Nachbarschaftspolitik  (1) vorgeschlagen wurden, was dem Bestreben Rechnung trägt, die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) neu zu definieren, um diese wirksamer zu gestalten.

1.2

Das Bedürfnis, die Europäische Nachbarschaftspolitik zu überarbeiten, ist einerseits das Ergebnis des fehlgeschlagenen für alle gleichen Universalkonzepts, und andererseits eine Folge daraus, dass die relative Einheitlichkeit zwischen der südlichen und der östlichen Nachbarschaft fortlaufend schwindet und sich allmählich auflöst.

1.3

In der neuen ENP sollte anerkannt werden, dass der Ursprung der dramatischen Entwicklungen in diesen Regionen sowohl bei dem externen Druck als auch der internen Instabilität liegt, verbunden mit Armut, Ungleichheit, fehlenden Möglichkeiten, Korruption, politischer und religiöser Radikalisierung sowie gewalttätigem Extremismus.

1.4

Zweck der Überarbeitung der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist es, diese flexibel genug zu gestalten, damit eine Beteiligung der Länder sichergestellt werden kann, die nicht alle Anforderungen in Bezug auf die wirtschaftliche Integration oder Ausrichtung am Besitzstand der Gemeinschaft erfüllen können oder wollen. In diesem Sinne orientiert sich die neue Europäische Nachbarschaftspolitik am Prinzip der Inklusivität.

1.5

Um die Schäden zu begrenzen, die aus den dramatischen Entwicklungen in der Nachbarschaft resultieren, wird der Stabilisierung in der Mitteilung ein neuer Stellenwert verliehen, und ein neues Konzept der Differenzierung festgelegt.

1.6

Durch den auf die Stabilisierung gelegten Schwerpunkt ergibt sich auch die Erklärung, warum die Frage der internen und externen Sicherheit eine so große Rolle in der Mitteilung spielt. Obwohl die der EU zur Verfügung stehenden Instrumente begrenzt sind, sollte die derzeitige reaktive Einstellung durch eine proaktive Strategie der dynamischen diplomatischen Bemühungen mit dem Ziel ersetzt werden, Konflikten vorzubeugen und friedliche Lösungen für die eingefrorenen Konflikte zu finden.

1.7

Der EWSA betont die Bedeutung wirtschaftlicher Entwicklung als wichtigster Voraussetzung für ein stabiles und sicheres Umfeld in den Nachbarländern der EU. Die EU sollte die ENP-Partner konsistent wirtschaftlich unterstützen und die Bedingungen und die Motivation für die Fortführung von Reformen auf lange Sicht verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit steigern und die Vorschriften für Unternehmen modernisieren.

1.8

Es liegt ferner auf der Hand, dass begleitend zur wirtschaftlichen Entwicklung auch die soziale und die ökologische Dimension gestärkt werden muss, da nur durch das Zusammenspiel dieser drei Faktoren echte Fortschritte, Stabilität und sozialer Frieden gewährleistet werden können.

1.9

Dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss ist klar, dass die neue Arbeitsmethode der Differenzierung dem Sinn für politischen Realismus, den zunehmenden politischen Diskrepanzen zwischen Partnerländern und ihren unterschiedlichen Erwartungen entspricht. Aber selbst wenn nicht alle wirtschaftlichen Kriterien erfüllt werden können, darf die EU keine Kompromisse in Bezug auf die grundlegenden europäischen Werte eingehen, wozu auch die soziale Dimension, die Einhaltung der universellen Menschenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit gehören. Es ist bedauerlich, dass der Grundsatz, die IAO-Arbeitsnormen zu achten, in der Mitteilung nicht als Eckpfeiler für gesunde Arbeitsbeziehungen erwähnt wird.

1.10

Die Rolle einer organisierten Zivilgesellschaft und der unabhängige soziale und zivile Dialog werden nicht genügend betont. Die Ziele der Europäischen Nachbarschaftspolitik, einschließlich der Stabilisierung, werden ohne eine erhebliche Beteiligung unabhängiger Organisationen der Zivilgesellschaft nie erreicht werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die europäische Integration zu aller erst ein Friedensprojekt ist, dessen Erfolg im ureigenen Interesse der Zivilgesellschaft liegt.

1.11

In der Mitteilung findet sich jedoch weder ein Hinweis auf die in den ENP-Ländern bestehenden Defizite beim sozialen und zivilen Dialog noch auf die dortigen Verstöße gegen die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.

1.12

In der Mitteilung wird anscheinend aufgrund ihres sinkenden Potenzials ein eher defensiver Ansatz empfohlen, der die ehrgeizigen Bestrebungen der Europäischen Nachbarschaftspolitik einschränken soll. Die EU sieht sich sowohl in der südlichen als auch in der östlichen Nachbarschaft tatsächlich mit störenden, und manchmal sogar dramatischen Entwicklungen konfrontiert. Mangelnde Vorstellungskraft ist jedoch nicht hilfreich, um einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Der EWSA empfiehlt für die Europäische Nachbarschaftspolitik eine neue, gewagte, dynamische Agenda, einschließlich der Aussicht auf einen Beitritt zur EU für bestimmte Partnerländer (insbesondere im Osten), die dieses Ziel verfolgen und willens und in der Lage sind, die Anforderungen zu erfüllen.

1.13

Der EWSA begrüßt die Absicht, bessere Kommunikation und Bewerbung der EU-Maßnahmen ins Zentrum der neuen ENP zu stellen, um die Beweggründe für die EU-Politik und die positiven Auswirkungen des konkreten Handelns der EU besser zu vermitteln. Genauso wichtig ist es aber, die Gefahren einzudämmen, die sich aus im Widerspruch zur Realität, zu den EU-Werten und den ENP-Zielen stehenden Falsch- und Desinformation und Propaganda ergeben.

1.14

Es muss betont werden, dass die ENP sowohl im Süden als auch im Osten durch externe Faktoren unterminiert wird. Der so genannte „Islamische Staat“ (IS) versucht, u. a. die südlichen Nachbarländer durch Terrorismus und Krieg zu destabilisieren. Die russische Diplomatie und das militärische Eingreifen Russlands zielen direkt auf die ENP und insbesondere die Östliche Partnerschaft ab. Außerdem stärkt diese militärische Intervention im Süden das autoritäre Regime in Syrien.

2.   Notwendigkeit einer neuen, überarbeiteten Europäischen Nachbarschaftspolitik

2.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Überarbeitung der Europäischen Nachbarschaftspolitik durch die Kommission mit dem Bestreben, die Ziele und das allgemeine Konzept der Europäischen Nachbarschaftspolitik nach den dramatischen Entwicklungen in den Nachbarschaftsländern der EU neu zu definieren.

2.2

Grundlage für die Beziehungen der EU zu ihren Nachbarschaftsländern ist Artikel 8 Absatz 1 EUV, welcher besagt, dass die Union besondere Beziehungen zu den Ländern in ihrer Nachbarschaft entwickeln soll, um einen Raum des Wohlstands und der guten Nachbarschaft zu schaffen, der auf den Werten der Union aufbaut und sich durch enge, friedliche Beziehungen auf der Grundlage der Zusammenarbeit auszeichnet.

2.3

Ursprünglich waren die Ziele der Europäischen Nachbarschaftspolitik durchaus ehrgeizig, und die allgemeine Zielvorgabe bestand darin, mit den südlichen und östlichen Nachbarn der EU die engstmögliche politische Assoziierung und das größtmögliche Maß an wirtschaftlicher Integration zu erreichen.

2.4

Eine der Folgen der wirtschaftlichen Integration ist ein potenziell besserer Zugang zum Binnenmarkt der EU, was aber mit schwierigen politischen, wirtschaftlichen und institutionellen Reformen einhergehen muss, sowie dem Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte.

2.5

Seit 2003–2004, als die Europäische Nachbarschaftspolitik geplant wurde, hat sich die Nachbarschaft dramatisch verändert, und das ursprüngliche, für alle gleiche Universalkonzept hat sich als vollkommen unwirksam erwiesen.

2.6

Seit 2014 besteht durch die aggressive Politik der aktuellen russischen Präsidialverwaltung und -regierung ein starker Einfluss auf die östliche Nachbarschaft, insbesondere durch den Krieg in der Ukraine und (teilweise erfolgreiche) politische Manöver, um die östlichen Nachbarn der EU der Eurasischen Wirtschaftsunion näherzubringen, die von Russland dominiert wird.

2.7

In Anerkennung der Tatsache, dass jedes Land das Recht hat, seine politische Zukunft selbst zu bestimmen, ist darauf hinzuweisen, dass die gegenwärtige russische Verwaltung ihre eigene Nachbarschaftspolitik aufbauen möchte, welche sich nicht mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik vereinbaren lässt, und sie möchte als globaler Akteur wahrgenommen werden, sowie als Instanz von ähnlicher Bedeutung wie die EU.

2.8

Obwohl die konstruktive Zusammenarbeit der EU mit Russland potenziell für beide Seiten vorteilhaft sein könnte, scheint es unwahrscheinlich, dass in absehbarer Zukunft die Möglichkeit bestehen wird, den Interessenkonflikt in der östlichen Nachbarschaft zu vermeiden, sollte sich die aggressive und subversive Einstellung Russlands nicht ändern. Die jüngsten Entwicklungen in Syrien zeigen, dass dies auch für die südlichen Nachbarländer gelten könnte.

2.9

In der südlichen Nachbarschaft bedeuten der Krieg in Syrien, Konflikte in Libyen, das Aufkommen des IS, kontroverse politische Entwicklungen in einigen Ländern der Region und andere bewaffnete Konflikte im Mittleren Osten, dass die große Hoffnung auf Frieden und demokratische Veränderungen in Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling schwindet, zumindest im Hinblick auf die nahe Zukunft.

2.10

Alle diese negativen Entwicklungen und zunehmenden Diskrepanzen in vielen Bereichen zwischen verschiedenen Ländern, sowohl in der südlichen als auch in der östlichen Nachbarschaft, erfordern die Festlegung neuer Prioritäten, ein neues Konzept, neue Arbeitsmethoden und eine pro-aktivere und wirksamere EU-Diplomatie. Diese Mitteilung ergibt sich als Folge dieser Herausforderungen.

3.   Stabilisierung — ein neuer Stellenwert

3.1

Die Kommission schloss sich der Ansicht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in Bezug auf die Notwendigkeit an, Stabilität, erhöhte Sicherheit, Flexibilität und Differenzierung, sowie größere gemeinsame Verantwortung zu Schwerpunkten der überarbeiteten Europäischen Nachbarschaftspolitik zu machen. Die Stabilisierung wurde gemäß der Überprüfung als dringendste Herausforderung in vielen Teilen der Nachbarschaft identifiziert, und daher folgt die Empfehlung, dass sie den höchsten politischen Stellenwert in der neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik einnehmen sollte.

3.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Überzeugung, dass diese Empfehlung gut begründet ist, weil jüngste Entwicklungen den Nachweis liefern, dass es der EU nur teilweise gelungen ist, Stabilität, Wohlstand und Sicherheit in der Nachbarschaft zu fördern.

3.3

Zudem ist äußerst klar, dass Bedrohungen für die Stabilität in der Nachbarschaft nicht nur bedeutende Hindernisse für den demokratischen Übergang und für den von der EU geforderten Reformprozess darstellen können, sondern auch negative Auswirkungen auf die EU selbst, sowie auf Länder haben, deren Wandel aufgrund der Europäischen Nachbarschaftspolitik erfolgreich verläuft.

3.4

Die Konfliktprävention und die Konfliktbewältigung sollten deutlich gestärkt werden, insbesondere da viele eingefrorene Konflikte weiterhin eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität in der südlichen und auch in der östlichen Nachbarschaft darstellen. Um eine positive Rolle bei friedlichen Lösungen einzunehmen, sollte Europa einerseits unparteiisch bleiben, und andererseits den Opfern helfen, die den meisten Schutz bedürfen und die der größten Gefahr ausgesetzt sind.

3.5

Außerdem ist offensichtlich, dass die Instabilität nicht nur eine Folge externen Drucks ist. Wie in der gemeinsamen Mitteilung richtig erkannt, besteht eine Verbindung zwischen Instabilität und Armut, Ungleichheit, fehlenden Möglichkeiten sowie Korruption, die alle zu einer erhöhten Anfälligkeit für Radikalisierung beitragen können. Dem Dokument fehlt jedoch das Gleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen und sozialen Dimension. Die wichtige Rolle der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherung für die Stabilität wird unterschätzt.

4.   Differenzierung

4.1

Die neue Europäische Nachbarschaftspolitik wurde so konzipiert, dass sie verschiedenen Erwartungen, Bestrebungen und Interessen der Partnerländer Rechnung trägt, sowie der Lage, die sich aus verschiedenen Entwicklungen ergibt, insbesondere denen der Ländern in der Nachbarschaft der EU.

4.2

„Die EU wird weiterhin mit Partnerregierungen, Bürgern und zivilgesellschaftlichen Akteuren in Fragen der Menschenrechte und der Demokratie […] zusammenarbeiten“, diese Erklärung erfolgte in der gemeinsamen Mitteilung. Dabei hat sie bei weitem keinen grundlegenden Charakter, sondern entspricht dem neuen Sinn für politischen Realismus und der Bereitschaft, die beständige Förderung der europäischen Werte, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, in abgeschwächter Form fortzusetzen.

4.3

In der Mitteilung werden die Übereinkommen und Empfehlungen der IAO nicht erwähnt. Die Achtung der IAO-Arbeitsnormen stellt jedoch eine minimale Anforderung dar, die unbedingt erfüllt werden muss. Dieser Grundsatz darf durch die Differenzierung keine Schwächung erfahren.

4.4

In der Mitteilung wird erklärt, „dass sich daraus unterschiedliche Beziehungsmuster ergeben werden, die eine größere Eigenverantwortung auf beiden Seiten ermöglichen. Die EU ist bereit, die Möglichkeit zu erörtern, neue Prioritäten für die Partnerschaften festzulegen, um die jeweiligen Beziehungen stärker auf einvernehmlich vereinbarte gemeinsame Interessen auszurichten“. Dies kennzeichnet nicht nur einen veränderten Sprachgebrauch, sondern auch die Abkehr von einem eher „normativen Konzept“, dessen Schwerpunkt auf der Umsetzung europäischer Werte in Partnerländern liegt.

4.5

Die Änderung der Strategie kann teilweise aus dem Wunsch heraus entstanden sein, die Illusion zu beseitigen, dass alle Völker die demokratischen Normen der EU annehmen möchten, und nur repressive Regimes sie davon abhalten. Der EWSA vertritt nichtsdestoweniger die Auffassung, dass Kompromisse bei den universellen Menschenrechten oder den demokratischen Werten undenkbar sind.

4.6

Fakt ist auch, dass einige Partnerländer äußerten, die Europäische Nachbarschaftspolitik sei zu regulatorisch und die Besonderheiten und die Erwartungen der Partnerländer fänden keine ausreichende Berücksichtigung.

4.7

Das als Anreiz gedachte Konzept „mehr für mehr“ hat sich nur teilweise als effizient erwiesen. In Ländern, in denen sich lokale Eliten dem Wandel durch die Bestrebungen der EU widersetzten, konnte das Konzept nicht greifen. Zudem vermittelte das Konzept „mehr für mehr“ manchmal den Eindruck, dafür zu bezahlen, dass die Werte der EU geachtet werden. Die einzige Möglichkeit sicherzustellen, dass die Werte der EU geachtet werden, besteht jedoch darin, dass Menschen und Gesellschaften von deren universeller Bedeutung überzeugt sind und sie als ihre eigenen annehmen. Es ist nicht wirksam, Werte im Gegenzug für Projekte zu kaufen. Diesbezüglich begrüßt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Erklärung, dass „die EU nach wirksameren Möglichkeiten suchen [wird], um die Partner von der Notwendigkeit grundlegender Reformen zu überzeugen. Dazu zählt u. a. die Zusammenarbeit mit zivilen, wirtschaftlichen und sozialen Akteuren“.

4.8

Unter Berücksichtigung des neuen differenzierten Ansatzes dürfen wir das Konzept „mehr für mehr“ trotzdem nicht zu einem „mehr für weniger“ werden lassen, nur zum Zweck der Stabilisierung in der Nachbarschaft als neuem vorrangigem Ziel. Das Konzept der Auflagengebundenheit zur Umsetzung der „maßgeschneiderten“ Politik als Bestandteil der Europäischen Nachbarschaftspolitik muss weiter ausgearbeitet werden.

4.9

Es bleibt abzuwarten, ob das neue differenzierte Konzept in der Praxis nicht nur den stufenweisen Niedergang der Europäischen Nachbarschaftspolitik und einen reibungslosen Übergang zu einem rein bilateralen Ansatz bedeutet.

4.10

Dabei ist auch hervorzuheben, dass die neue „gemeinsame Eigenverantwortung“, was weniger Bevormundung und mehr aufrichtige Partnerschaft bedeutet, in Kombination mit der Differenzierung nicht zu einer wählerischen Politik führen darf, bei der sich die Partnerländer nur jene Bestandteile der Partnerschaft aussuchen können, die für ihre Regierungen zweckdienlich sind.

4.11

Die Differenzierung wird sich auch auf die Art der Berichterstattung über die Fortschritte der Partnerländer auswirken. Entwickelt werden soll ein neues Bewertungsmodell, dessen Schwerpunkt auf spezifischen, mit den Partnern vereinbarten Zielen liegt. Der EWSA findet es bedauerlich, dass die derzeitige transparente Erarbeitung von Fortschrittsberichten, die vom Format her für alle Länder gleich sind und gleichzeitig vorgelegt werden, durch eine Reihe unterschiedlicher Berichte zu den einzelnen Ländern, deren Format noch festzulegen ist, ersetzt werden soll.

5.   Rolle der organisierten Zivilgesellschaft

5.1

Die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft oder der soziale oder zivile Dialog findet in der Mitteilung nicht genügend Berücksichtigung. Es besteht lediglich ein ungenauer Verweis auf die Notwendigkeit, die Zivilgesellschaft, einschließlich der sozialen Partner, verstärkt einzubeziehen, und die „EU sollte daher ihre Sensibilisierungsmaßnahmen auf Akteure der Zivilgesellschaft im weitesten Sinne, einschließlich der Sozialpartner, ausweiten“.

5.2

Ein eindeutiges Defizit des zivilen und sozialen Dialogs ist in fast allen Ländern vorhanden, sowohl in der südlichen als auch in der östlichen Nachbarschaft, obwohl es mit Tunesien und Georgien beispielsweise auch Länder gibt, bei denen diesbezüglich beträchtliche Fortschritte erzielt wurden.

5.3

In der Mitteilung wird für den Geltungsbereich der Europäischen Nachbarschaftspolitik nicht die Verletzung der Vereinigungsfreiheit erwähnt, und auch nicht das Recht auf freie Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervereinigung, sowie auf die Bildung von Nichtregierungsorganisationen. Zudem mangelt es an einer Vision, wie den Nachbarschaftsländern ein Umfeld zur Verfügung gestellt werden kann, das ihnen die Beteiligung an der Politikgestaltung, Programmplanung, Umsetzung, Überwachung und Evaluierung der politischen Maßnahmen der öffentlichen Hand ermöglicht.

5.4

In der Mitteilung werden die Reform der öffentlichen Verwaltung und die Einhaltung der Verpflichtungen hervorgehoben, die die Partner gemäß Europäischer Nachbarschaftspolitik in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter eingehen, aber die Rolle der Zivilgesellschaft wird diesbezüglich nicht erwähnt.

5.5

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich verpflichtet, mit seinen Partnerorganisationen in den Ländern der europäischen Nachbarschaft mit dem klaren Ziel zusammenzuarbeiten, die Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik gemeinsam zu überwachen und die Auswirkungen des Konzepts der Differenzierung zu beobachten.

6.   Migration und Mobilität

6.1

Obwohl die Strategie der EU und konkrete Maßnahmen hinsichtlich Migration und Mobilität kein spezifischer Bestandteil der Europäischen Nachbarschaftspolitik sind, ist die Zusammenarbeit mit Partnerländern diesbezüglich von entscheidender Bedeutung.

6.2

Eine Lösung zur anhaltenden Flüchtlingskrise muss Teil einer größeren Strategie der EU sein, aber die effiziente und wirksame Umsetzung der Agenda für Migration und Mobilität im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik kann hierbei eine große Rolle spielen.

6.3

Wie in der Mitteilung sehr richtig angemerkt, „ist die Bewältigung der Ursachen von irregulärer Migration und Zwangsvertreibungen von zentraler Bedeutung für die Stabilisierung der Nachbarschaft“. Dies steht jedoch nicht in besonderem Einklang mit dem Konzept der Differenzierung, was eine weniger ehrgeizige Einstellung in Bezug auf die Verurteilung systematischer Verletzungen der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte durch einige Regierungen der Partnerländer bedeuten kann, selbst wenn dies die Hauptursache für die Instabilität darstellt.

6.4

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss weist zudem darauf hin, dass Initiativen für Erleichterungen bei der Erteilung von Visa als eines der wichtigsten Instrumente im Hinblick auf eine engere Zusammenarbeit mit den Nachbarschaftsländern im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik betrachtet werden sollten. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt Pläne zur Erleichterung bei der Erteilung von Visa nachdrücklich, und warnt davor, dass die Auflösung des Schengen-Raums diese aufs Spiel setzen könnte.

6.5

„Die EU wird weiterhin für ein faires und realistisches Bild der Migration eintreten, mit Nachdruck alle Ausprägungen und Erscheinungsformen von Rassismus und Diskriminierung bekämpfen und den interkulturellen Dialog, die kulturelle Vielfalt und das gegenseitige Verständnis fördern“, diese Erklärung aus der Mitteilung wird auch durch den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet.

7.   Wirtschaftliche Entwicklung als Mittel zur Stabilisierung

7.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Anstrengungen, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, die Wirtschaft in den Partnerländern zu unterstützen, und die Aussichten für die lokale Bevölkerung als wichtigste Voraussetzung für ein stabiles und sicheres Umfeld in der Nachbarschaft der EU zu verbessern. Alle Nachbarschaftsländer haben wirtschaftliche Probleme, aber die Art dieser Probleme ist sehr unterschiedlich, sowohl in Bezug auf ihre Ursachen, wie auch im Hinblick auf ihr Ausmaß und ihre Auswirkungen auf die Stabilität. Daher erfordern unter anderem ihre wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede für die künftige Entwicklung der Beziehungen mit Nachbarschaftsländern den Aspekt der Differenzierung. Für eine weitere Zusammenarbeit sind Reformen in der öffentlichen Verwaltung, in den Rechtssystemen und im Sicherheitssektor sowie bei der Bekämpfung der Korruption und der organisierten Kriminalität von vorrangiger Bedeutung. Fortschritte in diesem Bereich sind von entscheidender Bedeutung für die Stabilität, aber es bedarf auch eines sicheren und stabilen Umfelds, um einen Erfolg zu gewährleisten.

7.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt, dass die Notwendigkeit einbezogen wurde, die Assoziierungsabkommen und die vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen, die bereits unterzeichnet wurden, zusammen mit den Reformen in den Nachbarschaftsländern vollständig und wirksam umzusetzen. Um jedoch Vorteile aus den vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen zu ziehen, müssen die Partnerländer einen schwierigen Prozess der grundlegenden Modernisierung von Produktion und Dienstleistungen durchlaufen. Die Mitteilung ist diesbezüglich eindeutig, da sie eine Erklärung zur Unterstützung durch die EU beim Kapazitätsaufbau enthält, um die Herausforderungen der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen zu bewältigen.

7.3

Das Ziel des völlig freien Handels zwischen der EU und den Nachbarschaftsländern, die eine engere Zusammenarbeit anstreben, sollte nicht aufgegeben werden. Die Möglichkeit des Zugangs zum EU-Markt bietet eine Motivation für die Nachbarschaftsländer, um wirtschaftliche Reformen zu verfolgen sowie Produktion und Unternehmen zu modernisieren. Selbst die Unterzeichnerstaaten der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen haben aufgrund der instabilen politischen und wirtschaftlichen Lage, die für Investitionen nicht förderlich ist, Schwierigkeiten bei der Modernisierung ihrer Wirtschaft. Der Zugang zum EU-Markt und anderen internationalen Märkten steht in direktem Bezug zu den Themen Beschäftigung und Aussichten der Jugend, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Die gefestigte Stellung der Oligarchen und die Korruption stellen ein Hindernis für wirtschaftliche Reformen dar. Die EU sollte mehr Druck ausüben und von allen möglichen Maßnahmen Gebrauch machen, um die Situation zu verbessern und somit die Möglichkeit zu schaffen, dass der Anreiz geboten ist, in die Länder Investitionskapital fließen zu lassen, in denen ein gesundes wirtschaftliches Umfeld besteht.

7.4

Klar ist ebenso, dass die Umsetzung der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen große soziale Herausforderungen mit sich bringt. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, alle Interessenträger, insbesondere soziale Partner, in den Prozess einzubeziehen. Interne Beratungsgruppen und Plattformen der Zivilgesellschaft können dabei eine positive Rolle spielen und sollten in alle Aspekte der Umsetzung der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen (DCFTA) einbezogen werden.

7.5

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss stellt mit Zufriedenheit fest, dass der Frage der allgemeinen und beruflichen Bildung (insbesondere für die Jugend) in der Mitteilung tatsächlich die angemessene Beachtung zukommt. Wahrscheinlich wird die Unterstützung für primäre und sekundäre Bildungssysteme in den Ländern aufgestockt, in denen der größte Bedarf besteht, und was den Umfang und die Finanzierung angeht, werden vermehrt Möglichkeiten für die Nachbarschaftsländer bestehen, an Erasmus+ teilzunehmen. Auch andere Maßnahmen für die Kompetenzentwicklung der Jugend werden zur Anwendung kommen, damit der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird.

7.6

Der Aufbau von Verkehrsverbindungen mit Nachbarschaftsländern kann weiter zur Stärkung ihrer Wirtschaft beitragen. Die Bestimmungen, dass die EU die wichtigen transeuropäischen Netze in den östlichen Partnerländern erweitern und Investitionen zusammen mit den internationalen Finanzinstituten und anderen Partnern fördern, sowie maßgebliche Pläne für ein Europa-Mittelmeer-Netz erarbeiten sollte, sind äußerst begrüßenswert. Dieses Vorhaben ist auch für die Organisationen der Zivilgesellschaft von großer Bedeutung, die aktiv in die Umsetzung eingebunden werden sollten.

7.7

Hinsichtlich der Energieversorgung ist die EU von Nachbarschaftsländern abhängig. Daher sind gemeinsame Energieprojekte für beide Parteien gleichermaßen wichtig und notwendig. Die Themen Energieeinsparung, Energieeffizienz und Emissionsreduktion sind von besonderer Bedeutung, ebenso wie Projekte im Bereich der erneuerbaren Energie. Die Notwendigkeit eines verstärkten Energiedialogs der EU mit den Nachbarschaftsländern im Bereich der Energieversorgungssicherheit, der Energiemarktreformen und der Förderung einer nachhaltigen Energiewirtschaft, mit dem Ziel eine belastbare Energieunion mit einer ehrgeizigen Klimapolitik als zentralem Schwerpunkt aufzubauen, wird in der gemeinsamen Mitteilung zurecht betont.

7.8

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission auf Folgendes hinweist: „Da in vielen Partnerländern ein Großteil der Erwerbsbevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt ist, sollte die EU weiterhin nachhaltige und inklusive Maßnahmen und Investitionen zur Modernisierung dieses Sektors sowie ggf. die Diversifizierung hin zu anderen einkommensschaffenden Tätigkeiten im ländlichen Raum unterstützen“. In diesem Zusammenhang sollte jedoch betont werden, dass die Harmonisierung im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung in Folge der Umsetzung des DCFTA nicht zu einer Verschlechterung der Qualität landwirtschaftlicher Produkte oder zu einer Aushöhlung arbeitsrechtlicher Normen führen darf.

8.   Die Sicherheitsdimension

8.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Hervorhebung der Sicherheitsdimension in der gemeinsamen Mitteilung. Die Belastbarkeit der Partner in Bezug auf externe und interne Bedrohungen zu stärken, sowie die Modernisierung zugunsten einer langfristigen wirtschaftlichen und sozialen Stabilität zu fördern, ist von entscheidender Bedeutung.

8.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die gemäß Europäischer Nachbarschaftspolitik aufgeführten Sicherheitsprioritäten, die der Terrorismusbekämpfung, der Prävention einer Radikalisierung und organisierter Kriminalität, der Korruptionseindämmung und der Bekämpfung der Cyberkriminalität eine zentrale Bedeutung zukommen lassen. Die zentrale Aufgabe dieser Prioritäten, die Sicherheit sowohl in den Nachbarschaftsländern als auch in der EU selbst zu erhöhen, sollte unterstrichen werden.

8.3

Hervorgehoben werden sollte aber auch die Tatsache, dass nicht nur terroristische und kriminelle Vereinigungen eine Bedrohung für die Stabilität der Nachbarschaftsländer darstellen, sondern auch bestimmte Regierungen, die das Völkerrecht missachten und Konflikte und Krisen in der Region der europäischen Nachbarschaft provozieren.

8.4

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Initiative, der Zusammenarbeit in Bezug auf Angelegenheiten der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) neuen Schwung zu verleihen, insbesondere unter Hinweis auf die Möglichkeit, zur praktischen Umsetzung der geteilten Verantwortung und der Sicherheitsinteressen von GSVP-Missionen und GSVP-Operationen Gebrauch zu machen, wenn nötig auch von EU-eigenen Gefechtsverbänden. Die GSVP-Instrumente und die diplomatischen Bemühungen sollten jedoch nicht nur als Reaktion auf Krisen zur Anwendung kommen, sondern auch als politisches Mittel zur Krisenvorsorge dienen. Die EU sollte die Notwendigkeit für ein umfangreicheres Engagement bei der Konfliktprävention und der diplomatischen Vermittlung zwischen potenziellen Konfliktparteien — Ländern oder nichtstaatlichen Akteuren — betonen.

9.   Regionale Dimension

9.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die in der gemeinsamen Mitteilung vertretene Position, den bestehenden Hauptaufbau der regionalen Zusammenarbeit beizubehalten, d. h. die Stärkung der östlichen Partnerschaftsprogramme und die regionale Zusammenarbeit in der südlichen Nachbarschaft. Dabei sollte aber betont werden, dass sich in den letzten Jahren innerhalb der bestehenden regionalen Rahmen erhebliche Abweichungen und Ungleichheiten entwickelt haben. Die Empfehlung einer eindeutigeren Unterscheidung zwischen den Partnern in der europäischen Nachbarschaft, zwischen denen, die gegenüber der EU bereits ein höheres Integrationsniveau erreicht haben (durch Assoziierungsabkommen und vertiefte und umfassende Freihandelsabkommen) oder dies vorhaben, und den übrigen Ländern, könnte vielversprechend sein.

9.2

Unklar bleibt, wie eine weitere engere Zusammenarbeit mit diesen Partnerländern, die bei der Umsetzung der Assoziierungsabkommen und der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen Erfolge verzeichnen und europäische Bestrebungen haben, durch die neue Europäische Nachbarschaftspolitik gefördert werden soll. Der EWSA weist erneut darauf hin, dass den Ländern der Östlichen Partnerschaft eine eindeutige Perspektive für einen EU-Beitritt angeboten werden sollte. Dies würde nicht nur ihre Regierungen hinsichtlich der Bemühungen mobilisieren und motivieren, ihre Länder einem Wandel zu unterziehen und ihre Rechtsvorschriften auf den Besitzstand der Gemeinschaft auszurichten, sondern die organisierte Zivilgesellschaft auch darin bestärken, zu diesen Bemühungen beizutragen. Dies würde den Bürgern der Partnerländer auch die europäischen Werte und die europäische Identität näherbringen.

9.3

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet die Idee eines thematischen Rahmens, der die allgemeine Entwicklung in Richtung eigens zusammengestellter Initiativen und Projekte für interessierte Parteien aus der südlichen und östlichen Nachbarschaft fördern sollte. Der Vorschlag scheint aber zu breit gefasst, und ihm mangelt es offensichtlich an einem klaren Ziel. Foren für Gespräche zu Themen wie etwa Migration, Energie und Sicherheit sind der erste Schritt zu einer intensiveren Zusammenarbeit im Hinblick auf die zuvor genannten Herausforderungen. Die EU sollte die spezifischen Ergebnisse, die sie durch diese thematischen Rahmen erreichen möchte, klarer formulieren.

9.4

Berücksichtigt werden sollte auch, dass einige Nachbarn von Nachbarn (insbesondere Russland) eingeladen wurden, Teil der Europäischen Nachbarschaftspolitik zu sein, diese Gelegenheit aber nie wahrgenommen haben. Daher sollten die thematischen Plattformen ausnahmslos für spezifische zweckgebundene Ziele zur Anwendung kommen, und nicht dafür, Dritten die Möglichkeit zu bieten, ihre eigenen Ziele auf Kosten der Grundsätze der Europäischen Nachbarschaftspolitik voranzutreiben. Das in der Mitteilung beschriebene Modell einer Zusammenarbeit mit den „Nachbarn der Nachbarn“ ist viel zu unpräzise, so dass eine solche Zusammenarbeit jeweils aufmerksam beobachtet werden muss, um etwaigen Missbrauch durch Dritte auszuschließen, die versuchen könnten, die Interessen der Partnerländer, der EU oder der ENP selbst zu unterlaufen. Die Beteiligung anderer Akteure über die Nachbarschaft hinaus (oder Nachbarn von Nachbarn) und eine Zusammenarbeit mit diesen sollte auf der Grundlage einer wohlwollenden und souveränen Entscheidung der Partnerländer erfolgen, damit neue Akteure in deren Zusammenarbeit mit der EU einbezogen werden.

10.   Flexibilität der Finanzierungsinstrumente

10.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Initiative, „über den weiteren Ausbau ihrer Zusammenarbeit mit großen internationalen Finanzinstitutionen und über die Nachbarschaftsinvestitionsfazilität (NIF) beträchtliche zusätzliche Mittel zu mobilisieren“, und die Halbzeitüberprüfung der externen EU-Finanzinstrumente im Jahr 2017. Klar betont werden sollte, dass gestiegene Bedürfnisse und Herausforderungen in der EU-Nachbarschaft nicht nur eine wirksamere Neuverteilung der zugewiesenen 15 Milliarden EUR über das Europäische Nachbarschaftsinstrument (ENI) im Zeitraum von 2014-2020 erfordern, sondern auch erhebliche zusätzliche Mittel.

10.2

Der EWSA befürwortet die Vorschläge zur Verwendung eines „Flexibilitätspolsters“ im Rahmen des ENI, um im Falle unvorhergesehenen Bedarfs eine dringende Zuteilung von Mitteln vornehmen zu können, und die Anpassung der Haushaltsordnungen, sodass nicht verwendete Finanzmittel in das nächste Jahr übertragen werden können.

10.3

Wir sind jedoch der Auffassung, dass der primäre Schwerpunkt der Europäischen Nachbarschaftspolitik auf der Verbesserung der bestehenden Finanzinstrumente liegen sollte, anstatt neue Finanzierungsstrukturen oder „Treuhandfonds“ in den Vordergrund zu rücken. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und Partnerländern sollte eine größere Transparenz von Ausgaben und Rechenschaftspflicht zur Folge haben. Dies umfasst die Fähigkeit, schneller auf die sich verändernde politische und sicherheitspolitische Lage vor Ort reagieren zu können, damit Finanzmittel umgeleitet werden, um sie dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden. Die EU sollte außerdem einen klaren Ansatz für Fälle beschließen, in denen Partner nicht den Weg einer stärkeren Integration wählen, und Anreize für die Achtung grundlegender Werte und für weitere zentrale Reformen schaffen.

10.4

Die EU und die Mitgliedstaaten sollten Möglichkeiten untersuchen, die gemeinsame Programmplanung im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik zu erweitern. Für die Mitgliedstaaten und sonstige Interessenträger muss eine höhere Transparenz der Programmplanung und der Berichterstattung zu den Ergebnissen erreicht werden. Organisationen der Zivilgesellschaft können hier eine wichtige Rolle spielen.

11.   Sichtbarkeit, Kommunikations- und Kontaktarbeit

11.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Entschlossenheit, die Sichtbarkeit der EU-Strategien zu verbessern, und eine wirksamere Kommunikation der neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik zu fördern. In der Mitteilung wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es „mit einer aufgewerteten ‚Public Diplomacy‘ möglich sein [wird], die Logik der EU-Politik und die positiven Effekte konkreter EU-Maßnahmen besser darzustellen“. Genauso wichtig ist es, dass der Schaden nicht übersehen wird, der aus den Fehlinformationen, Desinformationen und der Propaganda resultiert, die im Gegensatz zu den EU-Werten und den Grundsätzen der Europäischen Nachbarschaftspolitik stehen.

11.2

Die EU sollte geeignete Instrumente und Bezugspunkte finden, um Herausforderungen bei der Kommunikation in den Partnerländern und in der EU zu bewältigen. Die vom Europäischen Auswärtigen Dienst eingerichtete EU East StratCom Task Force ist nur der allererste Schritt bei der vermehrten Sensibilisierung unter den Bürgern der EU-Partner und Nachbarschaftsländer in Bezug auf feindselige und Unruhe stiftende Diskurse in der öffentlichen Kommunikation. Der Europäische Auswärtige Dienst sollte nicht von seinen Verpflichtungen zurückweichen, die strategische Kommunikation der EU weiter zu stärken.

11.3

Die Herausforderungen der Migration sollten sowohl in der Region der europäischen Nachbarschaft als auch in der EU den höchsten Stellenwert einnehmen, was die strategische Kommunikation und Öffentlichkeits-Diplomatie betrifft. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten zur Kenntnis nehmen, dass Fehlkommunikation zur Migrations- und Flüchtlingspolitik sehr viel Schaden hinsichtlich des folgerichtigen Vertrauens der Mitgliedstaaten und der Partnerländer anrichten kann, und sogar in Bezug auf die Stabilität der EU.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Gemeinsamen Konsultationspapier „Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik“, ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 91.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/147


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 258/2014 zur Auflegung eines Unionsprogramms zur Unterstützung spezieller Tätigkeiten im Bereich Rechnungslegung und Abschlussprüfung für den Zeitraum 2014-2020“

[COM(2016) 202 final — 2016/0110 (COD)]

(2016/C 303/21)

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 28. April 2016 bzw. am 29. April 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 258/2014 zur Auflegung eines Unionsprogramms zur Unterstützung spezieller Tätigkeiten im Bereich Rechnungslegung und Abschlussprüfung für den Zeitraum 2014-2020“

[COM(2016) 202 final — 2016/0110 (COD)].

Da sich der Ausschuss bereits in seiner Stellungnahme CESE 1031/2013 — 2012/0364 (COD) vom 20. März 2013 (1) zu dem Vorschlag geäußert hat, beschloss er auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai 2016) mit 154 Stimmen gegen 1 Stimme bei 7 Enthaltungen, auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 64.


19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/148


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 für das Kalenderjahr 2016

[COM(2016) 159 final — 2016/0086 COD]

(2016/C 303/22)

Der Rat beschloss am 11. April 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 für das Kalenderjahr 2016“

[COM(2016) 159 final — 2016/0086 COD].

Da der Ausschuss sich bereits in seinen Stellungnahmen CES2942-2013_00_00_TRA_AC vom 22. Mai 2013 (*), EESC-2014-02897-00-00-AC vom 5. Juni 2014 (**) und EESC-2015-02052-00-00-AC-TRA vom 22. April 2015 (***) zu dem Inhalt dieses Vorschlags geäußert hat, beschloss er auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 161 gegen 2 Stimmen bei 8 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Stellungnahmen vertreten hat.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(*)  EWSA-Stellungnahme NAT/602 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für die Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates für das Kalenderjahr 2013 (ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 143).

(**)  EWSA-Stellungnahme NAT/646 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für die Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 für das Kalenderjahr 2014 (ABl. C 424 vom 26.11.2014, S. 73).

(***)  EWSA-Stellungnahme NAT/668 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für die Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 für Direktzahlungen für das Kalenderjahr 2015 (ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 60).