ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 264

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

59. Jahrgang
20. Juli 2016


Informationsnummer

Inhalt

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I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

516. Plenartagung des EWSA vom 27./28. April 2016

2016/C 264/01

Stellungahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die neue EU-Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik (Initiativstellungnahme)

1

2016/C 264/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Gerechtere Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU (Sondierungsstellungnahme)

11

2016/C 264/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Integration von Flüchtlingen in der EU (Sondierungsstellungnahme)

19

2016/C 264/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Externe Dimension der EU-Energiepolitik

28


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

516. Plenartagung des EWSA vom 27./28. April 2016

2016/C 264/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch über Finanzdienstleistungen für Privatkunden — Bessere Produkte, größere Auswahl und mehr Möglichkeiten für Verbraucher und Unternehmen [COM(2015) 630 final]

35

2016/C 264/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Schritte zu einem modernen, europäischeren Urheberrecht [COM(2015) 626 final]

51

2016/C 264/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte [COM(2015) 634 final — 2015/0287 (COD)] und dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren [COM(2015) 635 final — 2015/0288 (COD)]

57

2016/C 264/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zu den Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik [COM(2015) 454 final]

73

2016/C 264/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen [COM(2015) 750 final — 2015/0269 (COD)]

77

2016/C 264/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (kodifizierter Text) [COM(2015) 616 final — 2015/0283 (COD)]

82

2016/C 264/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt [COM(2015) 627 final — 2015/0284 (COD)]

86

2016/C 264/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 im Hinblick auf die Ausnahmen für Warenhändler [COM(2015) 648 final — 2015/0295 (COD)]

91

2016/C 264/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU im Hinblick auf den verpflichtenden automatischen Informationsaustausch im Bereich der Besteuerung [COM(2016) 25 final — 2016/0010 (CNS)] und zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts [COM(2016) 26 final — 2016/0011 (CNS)]

93

2016/C 264/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Den Kreislauf schließen — Ein Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft [COM(2015) 614 final], Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle [COM(2015) 596 final — 2015/0276 (COD)], Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle [COM(2015) 595 final — 2015/0275 (COD)], Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 1999/31/EG über Abfalldeponien [COM(2015) 594 final — 2015/0274 (COD)], Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2000/53/EG über Altfahrzeuge, der Richtlinie 2006/66/EG über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren sowie der Richtlinie 2012/19/EU über Elektro- und Elektronik-Altgeräte [COM(2015) 593 final — 2015/0272 (COD)]

98

2016/C 264/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang von Waren und Dienstleistungen aus Drittländern zum EU-Binnenmarkt für öffentliche Aufträge und über die Verfahren zur Unterstützung von Verhandlungen über den Zugang von Waren und Dienstleistungen aus der Union zu den Märkten für öffentliche Aufträge von Drittländern [COM(2016) 34 final — 2012/0060 (COD)]

110

2016/C 264/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Bericht zur Lage der Energieunion 2015 [COM(2015) 572 final]

117

2016/C 264/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Handel für alle — Hin zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitionspolitik [COM(2015) 497 final]

123

2016/C 264/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten [COM(2016) 71 final — 2016/43 (NLE)]

134


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

516. Plenartagung des EWSA vom 27./28. April 2016

20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/1


Stellungahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die neue EU-Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik“

(Initiativstellungnahme)

(2016/C 264/01)

Berichterstatter:

José María ZUFIAUR NARVAIZA

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 21. Januar 2016, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Die neue EU-Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten betraute Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 19. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 28. April) mit 190 gegen 10 Stimmen bei 50 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stimmt der Ansicht zu, dass die geltende Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) von 2003 überprüft und an die internationalen Rahmenbedingungen angepasst werden muss, die sich seitdem wesentlich verändert haben. Als beratende Einrichtung für die Organe der EU und als Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft (OZG) sollte der Ausschuss bei der Ausarbeitung der neuen Strategie unbedingt konsultiert werden. Der EWSA hält dabei die strukturierte Einbindung der Zivilgesellschaft für unverzichtbar. Nach Auffassung des EWSA sollte die globale Strategie in kürzeren Abständen überprüft werden; zum Beispiel alle fünf Jahre im Einklang mit den Mandatsperioden des Europäischen Parlaments und der Kommission.

1.2.

Die EU ist mit Krisen konfrontiert, die vor allem durch sozialen Zerfall, gegenseitige Abhängigkeit, Schwäche der Institutionen und weltweite Ungleichheit gekennzeichnet sind. Eine Phase von Konflikten ist angebrochen, die im Wesentlichen aus sozialer Ausgrenzung resultieren und die mit militärischen Mitteln eindeutig nicht hinreichend gelöst werden können.

1.3.

Die zunehmende Dynamik des geopolitischen und geoökonomischen Wettbewerbs und das Beharren einiger Mächte, die Welt in Einflussbereiche aufzuteilen, wirkt sich auf das strategische Modell der EU aus, das auf Zusammenarbeit und positiver Konditionalität beruht, was entsprechende Anpassungen erforderlich macht.

1.4.

Nach Ansicht des EWSA kann Europa in einem derart komplexen internationalen Kontext seine Werte und Interessen nur dann verteidigen, wenn es sich auf eine stärkere Einheit der Ziele, politischen Strategien und Mittel stützen kann. Europäische Außenpolitik beginnt zu Hause, denn interne und externe Politikbereiche sind untrennbar miteinander verbunden.

1.5.

Die europäischen Bürger werden nur dann ihre Verdrossenheit wieder ablegen, sich als Europäer fühlen und sich für die Union engagieren, wenn die EU eine andere Richtung einschlägt und sich als Förderin der Sicherheit, der Freiheit und des Wohlstands sowie als Verteidigerin der Gleichheit in Europa und im Rest der Welt positioniert.

1.6.

Die europäische politische Integration muss unbedingt vertieft werden, um in einer globalisierten Welt souverän auftreten zu können, um Beschlüsse zu fassen, die die Begeisterung für das europäische Projekt durch einen erneuerten Sozialvertrag wiederbeleben, und um das Demokratiedefizit anzugehen.

1.7.

Die Außenpolitik und die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europas, für die mehr Mittel vorgesehen werden sollten, erfordern flexiblere Arbeitsmethoden, die besser zwischen den Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen abgestimmt sind.

1.8.

Die Verteidigung der EU erfordert eine stärkere Koordinierung und gemeinsame Planung im Hinblick auf die Schaffung einer Europäischen Verteidigungsunion. Dies setzt eine höhere Mittelausstattung und die Entwicklung der europäischen Verteidigungsindustrie voraus, wobei Doppelausgaben durch „Pooling-and-Sharing“-Instrumente (Bündelung und gemeinsame Nutzung) zu vermeiden sind. In dieser Hinsicht sind auch eine bessere Beschlussfassung und eine starke institutionelle Struktur wichtig, neben der Förderung gemeinsamer Großprojekte. Dies darf natürlich die transatlantischen Beziehungen und die enge Zusammenarbeit mit den Bündnissen und Organisationen nicht beeinträchtigen, denen die meisten EU-Staaten angehören, wie der NATO.

1.9.

Nach Auffassung des EWSA sollte die neue globale Strategie folgende Prioritäten haben: a) Stärkung des Beitrittsprozesses der Kandidatenländer, insbesondere der Westbalkanländer, und Stabilisierung der östlichen und südlichen Nachbarschaft, u. a. durch die Bewältigung der Migranten- und Flüchtlingsströme; b) Förderung einer funktionsfähigeren, wirksameren und sichtbareren Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), gestützt auf eine solide und klarer definierte technologische und industrielle Basis der europäischen Verteidigung (EDTIB); c) Ausbau eines effektiven und reformierten multilateralen Steuerungssystems in den Bereichen Sicherheit, Wirtschaft und Soziales und Entwicklung; d) Förderung von Handel und Investitionen. Diesen Prioritäten sollten zwei Querschnittsthemen zugrunde liegen: nachhaltige Entwicklung im Allgemeinen und Stärkung der Organisationen der Zivilgesellschaft.

1.10.

Die EU sollte mit ihrer traditionell präventiven und multilateralen Diplomatie als normgebende und konstruktive Macht wirken und dabei eine inklusive Governance unter Beteiligung der aufstrebenden Volkswirtschaften in den multilateralen Institutionen fördern.

1.11.

Die EU, die zur Friedenskonsolidierung in Europa errichtet wurde, muss im Rahmen ihrer globalen Strategie die Aufrechterhaltung und Förderung des Friedens als wesentliches Ziel verfolgen. Grundlegende Bedeutung kommt hierbei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, dem diplomatischen Handeln und der Rolle der Zivilgesellschaft zu.

1.12.

Mit Blick auf die Flüchtlingskrise hält es der EWSA für entscheidend, dass die EU eine gemeinsame, von einer europäischen Institution umgesetzte Flüchtlings-, Asyl- und Einwanderungspolitik verfolgt, um zu gewährleisten, dass die europäische Staaten ihren Aufgaben gemeinsam, in einem angemessenen Verhältnis und solidarisch gerecht werden.

1.13.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das System zur Bewilligung von EU-Mitteln für die Entwicklungshilfe geändert werden sollte, um es flexibler und vielseitiger gestalten und besser an die konkreten Umstände anpassen zu können.

1.14.

Eine Reihe von umfangreichen Handelsabkommen, die derzeit ausgehandelt bzw. ratifiziert werden, erlangen über rein handelsbezogene Aspekte hinaus eine eindeutige geopolitische Dimension. Zu den wichtigsten Aspekten der künftigen globalen Strategie der EU wird es gehören, sich der geopolitischen Wirkung dieser Art von Abkommen anzunehmen, ihre multilateralen Beziehungen zu stärken und Spannungen zwischen verschiedenen Handelsblöcken zu vermeiden. Soweit diese Abkommen sich auf die Lebensweise der Menschen auswirken, müssen nach Ansicht des EWSA unbedingt die diesbezüglichen Forderungen und Bedenken der Zivilgesellschaft und der breiten Öffentlichkeit berücksichtigt werden.

1.15.

Die Stärkung der Zivilgesellschaft und ihres Handelns sowie Kontakte parallel zu den diplomatischen Maßnahmen sind nach Ansicht des EWSA von wesentlicher Bedeutung für die Umsetzung der Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Deshalb spricht sich der EWSA dafür aus, diese Komponente ausdrücklich als vorrangiges Ziel der GASP zu verankern.

1.16.

Der EWSA als beratende Einrichtung der EU-Institutionen und als Vertreter aller großen Organisationen der Zivilgesellschaft der EU-Mitgliedstaaten ist optimal aufgestellt, um als wesentlicher Partner derjenigen EU-Institutionen zu fungieren, die die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU umsetzen, insbesondere des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) und der Europäischen Kommission.

1.17.

Zu diesem Zweck schlägt der Ausschuss vor, die vorgenannten Prioritäten und die Möglichkeiten zur Formalisierung einer Zusammenarbeit zwischen EAD und EWSA gemeinsam zu prüfen.

1.18.

Der EWSA bietet an, den EAD bei der Erarbeitung eines Bewertungsberichts über die derzeitige Beteiligung der Zivilgesellschaft im Bereich der europäischen Außenpolitik zu unterstützen.

1.19.

Es wird vorgeschlagen, im EWSA eine jährliche Anhörung zur Außen- und Sicherheitspolitik zu veranstalten, an der die Hohe Vertreterin und die wichtigsten europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft teilnehmen.

2.   Neue Rahmenbedingungen für das auswärtige Handeln der EU

2.1.

Der EWSA hält eine Strategie für notwendig, die sämtliche Instrumente des auswärtigen Handelns der EU, u. a. in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung, umfasst und in ein kohärentes und aktualisiertes Gesamtkonzept eingebettet ist. Deshalb bedarf es Änderungen bei den Zielen, Prioritäten, Interessen und Instrumenten des auswärtigen Handelns der EU aus einer ganzheitlichen Perspektive, bei der Teilstrategien und einzelstaatliche Widerstände überwunden sowie die Koordinierung und Flexibilität gestärkt werden (1)  (2).

2.2.

Trotz der großen sozialen Fortschritte in mehreren Teilbereichen der Millenniumsentwicklungsziele sind auch andere Erscheinungen zu verzeichnen: Bedeutungsverlust des Westens, Konsolidierung der neuen aufstrebenden Mächte, zunehmender Einfluss der Informationstechnologien, demografische Tendenzen und größere Ungleichheit. Diese Entwicklungen deuten auf weltweit komplexere geopolitische Rahmenbedingungen hin, die den Fortschritt eines auf den Normen und Werten offener Gesellschaften beruhenden Modells beträchtlich hemmen werden. So z. B. in den multilateralen Institutionen, die sich nicht an die neue multipolare Welt angepasst haben. Als Folge davon kommt es zu einer Aushöhlung internationaler Standards, während gleichzeitig die Bedeutung der Geopolitik neu kalibriert wird. Aufgrund einer größeren Zahl von Akteuren (einschließlich nichtstaatlicher Akteure und supranationaler Unternehmen) und der Entwicklung disruptiver Technologien werden die Festlegung einer strategischen Agenda und die Steuerung komplexer Systeme erschwert.

2.3.

Die drei unmittelbarsten Bedrohungen für die EU sind: die Steuerung der Migrationsströme, der Schutz des Kontinents vor Terroranschlägen und die Abwehr militärischer und computergestützter Angriffe auf EU-Mitgliedstaaten. Die weiteren Herausforderungen, Bedrohungen und Gefahren sind derzeit im Wesentlichen globaler Natur: Klimawandel, Finanz- und Wirtschaftskrisen, Steuerflucht, Korruption, organisierte Kriminalität, Pandemien, humanitäre Krisen usw. In all diesen Bereichen muss die Union eine Rolle spielen. Die GASP muss ein im Vergleich zur derzeitigen Situation viel wirksameres Instrument werden, um die Interessen der Union und der Mitgliedstaaten zu verteidigen, was wiederum wichtig wäre, damit sich die Mitgliedstaaten in deutlich stärkerem Umfang an der Außen- und Sicherheitspolitik der EU beteiligen. Die HR/VP hat erklärt, dass wir eine Strategie brauchten, um unsere Interessen aktiv zu schützen, denn die Förderung unserer Werte sei Teil unserer Interessen.

2.4.

Seit der Strategie von 2003 haben im Wesentlichen zwei strukturelle Veränderungen stattgefunden:

2.4.1.

Zum Ersten sind wir mit Krisen konfrontiert, die vor allem durch sozialen Zerfall, gegenseitige Abhängigkeit, Schwäche der Institutionen und weltweite Ungleichheit gekennzeichnet sind. Heute impliziert die Globalisierung Nähe, Sichtbarkeit und hohe Bevölkerungsdichte. Ungleichheit ist zu einem globalen Parameter geworden. Diese ausgeprägten sozialen Unterschiede liegen der Massenmigration zugrunde. Und diese Welt, die immer stärker zusammenwächst, jedoch extrem ungleich ist, bringt Instabilität und Unsicherheit hervor. Eine Phase von Konflikten ist angebrochen, die aus sozialer Ausgrenzung resultieren und die mit militärischen Mitteln eindeutig nicht hinreichend gelöst werden können. Wir stehen vor einer weltweiten sozialen Frage, die wir analysieren und beantworten müssen, so wie die europäischen Nationalstaaten im 19. und 20. Jahrhundert. Auf internationaler Ebene lässt sich hier die bahnbrechende Erklärung von Philadelphia von 1944 als Beispiel nennen. Dazu ist eine Politik der Regulierung, der Solidarität und der Zusammenarbeit notwendig.

2.4.2.

Zum Zweiten gewinnt die geopolitische Kompetenz wieder an Bedeutung, und dies nicht nur in der europäischen Nachbarschaft. Unsere geografische Lage ist für uns bestimmend. Die Konflikte z. B. in der Ukraine, Syrien, dem Irak, Libyen und der Sahelzone betreffen uns auf Handelsebene unmittelbarer als der dschihadistische Terrorismus, die Energieversorgung oder die Flüchtlings- und Migrationsbewegungen. Dies wirkt sich auf das europäische Strategiemodell aus, das auf Zusammenarbeit und positiver Konditionalität beruht.

2.4.3.

Der folgende Aspekt der derzeit geltenden Strategie ist weiterhin zutreffend: „Der beste Schutz für unsere Sicherheit ist eine Welt verantwortungsvoll geführter demokratischer Staaten.“ Allerdings hat sich diese Strategie in mehrfacher Hinsicht als mangelhaft erwiesen: 1) Im Allgemeinen hat diese Konzeption nicht die angestrebten Ergebnisse geliefert, bis auf wenige Ausnahmen, insbesondere im Zusammenhang mit den EU-Beitrittsprozessen. 2) Andere Konzeptionen basieren auf einer spezifischen Auslegung von Religion wie im Falle des selbst ernannten Islamischen Staats oder auf einem gewissen autoritären Nationalismus wie im Falle Russlands und Chinas (zwei die erweiterte Nachbarschaft der EU unmittelbar beeinflussende Großmächte), die einen auf Einflusszonen beruhenden geopolitischen Ansatz verfolgen. 3) Häufig wurde den zahlreichen Unterschieden zwischen den Ländern nicht Rechnung getragen, mit denen sich die EU um eine Assoziierung bemüht hat. 4) Der auf EU-Ebene geführte Diskurs entspricht oft nicht dem tatsächlichen praktischen Handeln. 5) Es wurde nicht hinreichend berücksichtigt, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht von außen auferlegt werden können, sondern von innen heraus entstehen müssen.

2.5.

Zur Verteidigung ihrer universellen Grundsätze und Werte und zu deren wirksameren Förderung muss die EU ihre Strategie durch einen vom EAD als „pragmatischer Idealismus“ bezeichneten Ansatz anpassen.

3.   Außenpolitik beginnt zu Hause

3.1.

Außenpolitik ist eine Verlängerung der Innenpolitik, so sagt man gemeinhin. Im Interesse der Effizienz müssen beide Politiken die gleichen Ziele verfolgen sowie verzahnt und koordiniert werden, und sie dürfen in ihren zentralen und gemeinsamen Aspekten nicht voneinander abweichen. Nach Auffassung des EWSA werden die beiden wesentlichen Säulen einer globalen EU-Außenpolitik „zu Hause“ geschaffen.

3.1.1.

Bei der Ersten geht es darum, was die EU in der Welt vornehmlich attraktiv macht: ihre auf Freiheit, Menschenrechten und sozialem Zusammenhalt der gesamten Bevölkerung beruhende Lebensweise. Eine strukturiertere, gemeinsam getragene und wirksame Außen- und Sicherheitspolitik der EU ist nur dann eine realistische Vorstellung, wenn man gegen Entwicklungen angeht wie die Vergrößerung des wirtschaftlichen und sozialen Gefälles zwischen den Mitgliedstaaten, die Schwächung ihres Sozialmodells, die Zeichen mangelnder Solidarität und von Misstrauen, den Rückfall in nationales Denken, die Schwierigkeiten einer gemeinsamen Beschlussfassung, die wachsende Unzufriedenheit der Bürger und die Zunahme populistischer, fremden- und europafeindlicher Bewegungen. Die europäische politische Integration muss unbedingt — am besten mittels der in den Verträgen vorgesehenen verstärkten Zusammenarbeit — vertieft werden, um in einer globalisierten Welt souverän auftreten zu können, um Beschlüsse zu fassen, die die Begeisterung für das europäische Projekt durch einen erneuerten Sozialvertrag wiederbeleben, und Entscheidungsprozesse und Demokratie in Einklang zu bringen.

3.1.2.

Die zweite Säule bezieht sich auf eine stärkere europäische Integration und die Festlegung gemeinsamer Handlungsmaßnahmen und -instrumente, z. B. in diesen Bereichen: Migrationsströme, Energieversorgung, Klimawandel, internationaler Terrorismus, Ernährungssicherheit, Handelspolitik, Bekämpfung der organisierten Kriminalität, ein wirksamer europäischer Investitions- und Beschäftigungsplan, eine europäische soziale Dimension, Vollendung des Binnenmarkts. Die europäischen Bürger werden nur dann ihre Verdrossenheit wieder ablegen, sich als Europäer fühlen und sich für die Union engagieren, wenn die EU eine andere Richtung einschlägt und sich als Förderin der Sicherheit, der Freiheit und des Wohlstands sowie als Verteidigerin der Gleichheit in Europa und im Rest der Welt positioniert.

3.2.

Nach Auffassung des Ausschusses muss die Vollendung des europäischen Binnenmarkts (Industriepolitik, Finanzwesen, Telekommunikations- und Verkehrspolitik, Digitaltechnologien, Verteidigungsindustrie) eine Priorität für die EU sein. Außerdem sollte die Außenpolitik einer zunehmenden Zahl von Problemstellungen in anderen EU-Politikbereichen Rechnung tragen, einschließlich der Sozial-, Umwelt-, Energie-, Digital-, Verkehrs-, Wirtschafts- und Industriepolitik. Ebenso ist es erforderlich, ein langfristiges Konzept zu entwickeln, in dem die Außenwirtschaftspolitik eine tragende Säule zur Förderung von Handel und Investitionen bildet. Dringend notwendig sind auch eine gemeinsame Energiepolitik und eine ebenfalls gemeinsame Migrations- und Asylpolitik.

3.3.

Angesichts der neuen globalen geostrategischen Gegebenheiten hat die EU keine andere Wahl, als ihre Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten auszubauen. Dies erfordert zwangsläufig eine stärker integrierte Außenpolitik — auf internationaler Ebene verlieren die einzelnen Mitgliedstaaten nach und nach an Bedeutung, und gemeinsames Handeln kommt ihnen allen zugute — und impliziert einen höheren Stellenwert der europäischen Verteidigungspolitik, wobei auf ein viel umfassenderes Sicherheits- und Verteidigungskonzept als den Einsatz von Gewalt zurückgegriffen werden sollte. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass Verteidigungspolitik zwar eine präventive Funktion hat und gleichzeitig der Abschreckung dient, aber auch als letztes Mittel eingesetzt werden kann, wenn sich die vitalen Interessen und die Schutzverantwortung nicht anders gewährleisten lassen. Dies erfordert mehr Ressourcen und eine bessere Nutzung derselben. Obwohl die EU 28 unterschiedliche Verteidigungssysteme hat, belaufen sich ihre Ausgaben nur auf 40 % des Verteidigungshaushalts der Vereinigten Staaten. Dazu kommen u. a. erhebliche Doppelungen und eine gering entwickelte Verteidigungsindustrie, was mehr Finanzmittel und gemeinsame Planungs- und Überwachungsinstrumente erforderlich macht. Die Regierungen und die Bürger der EU müssen sich darüber im Klaren sein, dass Sicherheit, Wohlstand und Freiheit untrennbar miteinander verbunden sind. Eine größere strategische Selbstständigkeit der EU im Bereich Verteidigung darf jedoch nicht den transatlantischen Beziehungen und der Zusammenarbeit mit den Bündnissen und Organisationen entgegenstehen, denen die meisten EU-Staaten angehören, insbesondere der NATO, die weiterhin die Grundlage ihrer kollektiven Verteidigung ist.

3.4.

Die europäische Verteidigungspolitik sollte sich auf zwei wesentliche Bereiche konzentrieren: Erstens sollte die EU als Garant für Sicherheit außerhalb ihrer Grenzen angesichts der derzeitigen geopolitischen Lage den Schwerpunkt neben der Unterstützung der Menschenrechte und der Förderung der Entwicklung ihrer Nachbarländer auf die erweiterte Nachbarschaft legen, und zweitens sollte sie zum freien Zugang zu globalen öffentlichen Gütern und zu einer auf festen Regeln beruhenden Weltordnung beitragen.

3.5.

Die EU-Verteidigungspolitik muss eine zentrale Rolle für die Erlangung der strategischen Autonomie der Europäischen Union spielen. Ihre Wettbewerbsfähigkeit ist ein Wert, der weit über die Interessen des privaten Sektors hinausreicht. Die Fragmentierung der Verteidigungsindustrie muss überwunden werden. Der Erfolg dieses Prozesses ist eng verknüpft mit der Umsetzung einiger wichtiger Instrumente, wie z. B. Durchführung von Kooperationsprojekten, Bereitstellung ausreichender Mittel für die nächste Vorbereitungsaktion (3) und Einrichtung einer spezifischen Haushaltslinie im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen.

3.6.

Der Gedanke, dass die Stabilität unserer tatsächlichen Nachbarschaft — unserer Nachbarn und der Nachbarn unserer Nachbarn — unabdingbar für unsere eigene Stabilität ist, lässt sich ganz direkt auf die vom selbst ernannten Islamischen Staat ausgehende terroristische Bedrohung anwenden. Das bedeutet zum Beispiel, dass eine politische Lösung für den Krieg in Syrien direkt in die Verantwortung der EU fällt, weil sie impliziert, eine der Ursachen des Problems anzugehen. Dazu gehört auch eine Verbesserung der Koordinierung bei der Terrorismusbekämpfung und der nachrichtendienstlichen Aufklärung. Der verstärkte Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, einschließlich der Schaffung eines europäischen Nachrichtendienstes, sollte zwingend sein. Außerdem muss eine umfassende Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus erarbeitet werden, die seine Ursachen eruiert, eine Konfrontation zwischen religiösen Ansichten vermeidet und im Gegenteil die Zusammenarbeit zwischen Gemeinschaften mit unterschiedlichem Glaubensbekenntnis im Kampf gegen den terroristischen Fanatismus fördert. Es ist von grundlegender Bedeutung, die arabisch-islamische Welt (die am meisten unter den Anschlägen des zu Unrecht diesen Namen tragenden Islamischen Staats leidet) zu unterstützen, damit sie sich gegen diese in ihrer eigenen Mitte bestehende Bedrohung erhebt. Auch das Vorgehen gegen den Verkauf und den Schmuggel von Waffen oder die entsprechenden Finanzierungsquellen sollte Teil einer europäischen Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus sein. Die Beziehungen der Zivilgesellschaft zur erweiterten Nachbarschaft der EU können dabei eine positive Rolle spielen.

3.7.

Es sollte die Flexibilität des auswärtigen Handelns erhöht werden. Ein höheres Maß an Flexibilität darf nicht zu einer Fragmentierung führen, sondern muss durch den umfassenden Einsatz der im EUV und AEUV vorgesehenen Instrumente erreicht werden. So sollten die Mitgliedstaaten im Rat im Bereich der GASP und GSVP häufiger von der konstruktiven Stimmenthaltung Gebrauch machen. In diesem Zusammenhang und in Bezug auf die Stärkung der internationalen Sicherheit weist der EWSA einmal mehr darauf hin, dass bestimmte Werte in der Außenpolitik aufrechterhalten werden sollten, insbesondere was die Achtung der Charta der Vereinten Nationen angeht. Wenn allerdings im Rahmen der bestehenden Instrumente keine zufriedenstellende Lösung gefunden werden kann, sollten Ad-hoc-Gruppen eingesetzt werden, in denen der Hohe Vertreter/die Hohe Vertreterin bzw. an ihrer Stelle Vertreter der Arbeitsorgane der europäischen Institutionen vertreten sein sollten, damit der Einstimmigkeitsgrundsatz die außenpolitischen Möglichkeiten der Union nicht blockiert. Das Netz der Umweltdiplomatie, das ursprünglich geschaffen wurde, um die Berücksichtigung von Umweltzielen in den Außenbeziehungen der EU zu fördern, und das eine wichtige Rolle bei der Initiierung und Koordinierung diplomatischer Maßnahmen der EU im Vorfeld der COP 21 gespielt hat, kann als Vorbild für andere Netze dienen.

3.8.

Die EU sollte nicht erst auf die nächste Krise warten, um mehr Mittel für die Außenpolitik bereitzustellen. Die Mittel müssen den Zielen gerecht werden und dürfen nicht zu sehr von den aktuellen Gegebenheiten abhängen. Im Zuge einer wirksamen Planung sollten die Bereiche ermittelt werden, wo die Mittelausstattung der EU unzureichend ist. Auf diese Weise würde vermieden, dass nur reagiert wird, so wie es die EU bei unterschiedlichen Krisen in den letzten Jahren getan hat. Die Haushaltsmittel der EU für das auswärtige Handeln müssen aufgestockt werden, insbesondere in den Bereichen humanitäre Hilfe, Migration, Entwicklung, Bildung, Terrorismusbekämpfung, Diplomatie und Stärkung der organisierten Zivilgesellschaft.

4.   Die Rolle der EU in der Welt neu konzipieren

4.1.

Nach Ansicht des EWSA erfordert die neue Strategie, dass die EU den internationalen Kontext und die Rolle, die sie darin zu spielen gedenkt, neu analysiert. Es müssen neue Konzepte entwickelt werden, die auf der aktiven und gleichberechtigten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an Aspekten der Sicherheit, der Freiheit und des Wohlstands beruhen. Darin müssen die Stärken, über die die EU verfügt, herausgestellt werden. Dazu zählen ihr Status als größter Binnenmarkt der Welt, eine aktive Handelspolitik, die weltweit finanziell am besten ausgestattete Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, eine auf Rechtstaatlichkeit und demokratischen Grundsätzen fußende Lebensweise, ein Sozialmodell auf der Grundlage des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und das Eintreten für ein auf der Bekämpfung der Ungleichheit und dem Schutz der Umwelt basierendes Modell der nachhaltigen Entwicklung, einschließlich deutlicher Klimaschutzziele.

4.2.

Der Mangel an innerem Zusammenhalt und politischem Willen haben die Rolle der EU in der Welt seit Langem beeinträchtigt. Die Union strebt keine Supermachtstellung an, sondern will ihre Macht so wirksam wie möglich nach außen zur Geltung bringen. Deshalb muss sie sich auf die Bereiche konzentrieren, in denen ihr Handeln einen Mehrwert erbringen und eine stärkere Wirkung erzielen kann, insbesondere in ihrer Nachbarschaft und in internationalen Institutionen wie den Vereinten Nationen, dem IWF, der Weltbank oder der G-20, wo kaum eine Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten stattfindet, was ihre Einflussmöglichkeiten einschränkt. Vor diesem Hintergrund begrüßt der EWSA den Vorschlag der Kommission vom Oktober 2015 für eine einheitliche Vertretung des Euro-Währungsgebiets im IWF und anderen internationalen Organisationen.

4.3.

Die EU muss ihre traditionell präventive und multilaterale Diplomatie fortsetzen und die Rolle einer normgebenden und konstruktiven Macht anstreben. Ein grundlegender Aspekt der Identität der Union auf internationaler Ebene ist die Verfechtung einer offenen und auf Normen basierten Weltordnung. Als wichtige Handelsmacht profitierte die Union von einer vernetzten Welt, im Energiesektor wie in der Finanzbranche, Cyberspace oder auf den Seeverkehrswegen (ca. 90 % des EU-Außenhandels werden über den Seeweg abgewickelt). Nukleare Sicherheit und Energiesicherheit müssen im Zentrum der Aufmerksamkeit bleiben.

4.4.

Außerdem muss sie die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Organisationen der regionalen Integration wie Ecowas, ASEAN oder Mercosur fortsetzen.

4.5.

Die EU sollte inklusive demokratische Regierungsformen und dazu die Mitwirkung der aufstrebenden Volkswirtschaften in den multilateralen Institutionen fördern, um Spannungen auf friedliche Weise zu lösen und der Schaffung alternativer und den jetzigen Regierungsmodellen feindselig gegenüberstehender Modelle entgegenzuwirken.

4.6.

Die EU muss an ihren Werten und Grundsätzen, der universellen Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte, der Bekämpfung der Todesstrafe und der Gewalt gegen Frauen und Mädchen und dem Schutz der Rechte von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Identität (LGBTI) festhalten. Mithin muss die EU ihre Außen- und Sicherheitspolitik auf das Sozialmodell stützen, das sie auszeichnet und das die Grundlage für ihre Sicherheit, Freiheit und Prosperität bildet.

5.   Stärkeres Engagement in der erweiterten Nachbarschaft

5.1.

Im Rahmen der derzeitigen Erarbeitung der globalen Strategie sollte der Bedeutung der östlichen und südlichen Nachbarländer Europas für die Sicherheit und den Wohlstand des Kontinents klar Rechnung getragen und der EU eine größere (Hebel-)Wirkung bezüglich wesentlicher Entwicklungen in diesen Regionen ermöglicht werden, und zwar im Hinblick auf die Bewältigung und Steuerung der Migranten- und Flüchtlingsströme. Diesen Prioritäten sollten zwei Querschnittsthemen zugrunde liegen: nachhaltige Entwicklung und Stärkung der Organisationen der Zivilgesellschaft (4)  (5).

5.2.

Die erweiterte oder strategische Nachbarschaft (von der Sahelzone bis zum Persischen Golf und von Zentralasien bis zur Arktis) ist der wichtigste Bereich nicht nur für das auswärtige Handeln der EU, sondern auch für die interne Politik der Mitgliedstaaten. Dieser geografische Raum erlebt gegenwärtig tief greifende soziale und institutionelle Zerfallserscheinungen, die eine Vielzahl von Ursachen haben: bewaffnete Konflikte, Vertreibung, internationaler Terrorismus, Zusammenbruch staatlicher Strukturen, Korruption und organisierte Kriminalität, Rückfall in Autoritarismus wie im Falle der Türkei, dominantes Auftreten von Mächten wie Russland sowie hybride und militärische Angriffshandlungen. Dies bringt langfristig große strukturelle Herausforderungen mit weitreichenden Folgen für die Union mit sich.

5.3.

Angesichts dieser schwierigen Situation muss die EU mehr Verantwortung für die Verbesserung der Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitssituation in ihren Nachbarländern übernehmen. Die EU darf bei der Verteidigung der Demokratie, des Rechtsstaats und der grundlegenden Menschen- und Sozialrechte (z. B. der Versammlungsfreiheit und des Rechts auf Tarifverhandlungen) in ihren Nachbarländern nicht zurückstecken. Deshalb ist es entscheidend, die lokale Zivilgesellschaft und die Sozialpartner zu unterstützen und ihre Unabhängigkeit zu erhalten.

5.4.

Der EWSA begrüßt die Überarbeitung der europäischen Nachbarschaftspolitik sowie die Feststellung, dass zwischen Instabilität, Armut, Ungleichheit und Chancenlosigkeit ein Zusammenhang besteht und diese Faktoren die Anfälligkeit für eine Radikalisierung verstärken können. In diesem Sinne kann das auswärtige Handeln Synergieeffekte bei der Verknüpfung der Bereiche Sicherheit, Entwicklung und Handel bewirken. Um dieses Ziel zu erreichen, muss den Verstößen gegen die Versammlungs- und Organisationsfreiheit der Unternehmer, Arbeitnehmer und Organisationen des dritten Sektors ein Ende bereitet werden. Auch ist es wichtig, die Frühwarnsysteme zur Vermeidung möglicher künftiger Krisen zu stärken.

5.5.

Der EWSA befürwortet die Beibehaltung eines strikten, aber nicht restriktiven Ansatzes zur Ausweitung und Liberalisierung der Visumsgewährung, die stets von überprüfbaren Reformen abhängig gemacht werden sollte.

5.6.

Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dieser Nachbarschaft und dem afrikanischen Kontinent, der das zweite vorrangige geografische Gebiet der EU-Außenpolitik sein sollte — und dies nicht nur, weil dort eine Vielzahl von Herausforderungen ihren Ursprung haben, sondern auch wegen der Möglichkeiten für Bündnisse, die zur Wirtschaftsentwicklung und Ordnungspolitik in der Welt beitragen können (6). Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und das Klima-Übereinkommen von Paris eröffnen gute Chancen zur Schaffung und Stärkung von Partnerschaften mit Afrika.

5.7.

Geopolitisch betrachtet, impliziert die Stabilität unserer erweiterten Nachbarschaft auch, sich um die Großmächte zu kümmern, die dort den größten Einfluss haben, insbesondere Russland und China. Das neue dominante Auftreten Russlands und die chinesische Politik „One Belt, One Road“ (mit massiven Investitionen in die Transportinfrastruktur) machen es notwendiger denn je, dass die EU gegenüber diesen beiden Mächten mit einer Stimme spricht, und nicht mit 28 Stimmen.

5.8.

Mit Blick auf die Flüchtlingskrise hält es der EWSA für entscheidend, dass die EU eine gemeinsame, von einer europäischen Institution umgesetzte Asyl- und Flüchtlingspolitik verfolgt, um zu gewährleisten, dass die europäische Staaten ihren Aufgaben gemeinsam, in einem angemessenen Verhältnis und solidarisch gerecht werden. Gleichzeitig ist der Ausbau der Wege für die reguläre Einwanderung von entscheidender Bedeutung, um sowohl den Wünschen nach Beschäftigung und Zuflucht zu entsprechen als auch um den Bedarf der EU an Zuwanderern infolge ihres Bevölkerungsrückgangs zu decken und Menschenhandel zu verhindern. Unabdingbar sind auch die Achtung des internationalen Rechts und des EU-Rechts, eine gemeinschaftliche Reaktion auf die humanitäre Krise, die die bereits auf Unionsgebiet befindlichen Personen betrifft, sowie die Aufstockung der Mittel für den Schutz der gemeinsamen Grenzen und die Suche und Rettung auf See sowie für die Schaffung einer europäischen Grenz- und Küstenwache, wie die Europäische Kommission vorgeschlagen hat.

6.   Impulse für die EU-Entwicklungspolitik

6.1.

Die EU muss die internen und externen politischen Maßnahmen auf die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung abstimmen. Im Bereich der Entwicklungspolitik sollte die EU dem Aktionsplan von Addis Abeba besondere Aufmerksamkeit schenken. Das Klimaschutzübereinkommen von Paris hat vor Augen geführt, dass sich die Welt unweigerlich auf eine grüne Wirtschaft hinbewegt. In diesem Prozess spielt die EU eine Vorreiterrolle.

6.2.

Der EWSA begrüßt die Anstrengungen zur Neuausrichtung der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) auf die am wenigsten entwickelten Länder, die Finanzierung des „New Deal“ für die Zusammenarbeit der fragilen Staaten, die strategische Bewertung der Hilfe für die Geschlechtergleichstellung, die Aufstockung der Mittel für den Schutz der biologischen Vielfalt und die Anstrengungen der EIB zur Bekämpfung des Klimawandels sowie die im Übereinkommen von Paris vorgesehene Verpflichtung zur finanziellen Unterstützung der Entwicklungsländer in Höhe von 100 Mrd. Dollar pro Jahr ab 2020.

6.3.

Die wirtschaftlichen Aspekte der Außen- und Sicherheitspolitik sollten verstärkt werden und nicht auf den Handelsbereich beschränkt bleiben. Außerdem müssen Bildung, Innovation und Unternehmertum gefördert werden, da die Stabilisierung unserer Nachbarländer von ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung abhängt. Länder wie Tunesien, der Libanon oder Jordanien sollten von einem Entwicklungsplan profitieren, der ihre Wirtschaft ankurbeln kann. Die Unterstützung von Drittstaaten beim Übergang zur kohlenstoffarmen Wirtschaft — u. a. durch wirksamen Technologietransfer und Zusammenarbeit — bietet für alle Seiten Chancen.

6.4.

Der EWSA sieht den Klimawandel als einen Faktor, der zur Migration infolge staatlicher Fragilität, Unsicherheit und Ressourcenknappheit beiträgt. Die EU muss die Entwicklungsländer — insbesondere die schwächsten Länder — unterstützen und ihnen helfen, unmittelbar den Schritt hin zur kohlenstoffarmen Wirtschaft zu machen und ihre Klimaresistenz zu stärken.

6.5.

Der EWSA bekräftigt, dass trotz der derzeit knappen Haushaltsmittel in vielen Mitgliedstaaten das Ziel, mindestens 0,7 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die ODA aufzubringen, Priorität haben muss. Es ist auch notwendig, die Kohärenz der entwicklungspolitischen Maßnahmen zu verstärken und die Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen zu fördern (7).

6.6.

Im Rahmen der Finanzierung der Ziele der nachhaltigen Entwicklung muss unbedingt ein breites Spektrum von Akteuren beteiligt werden, wie die Zivilgesellschaft oder die Einrichtungen für die Entwicklungsfinanzierung. Auch sollten die Sozialpartner in die Projektverwaltung möglichst weitgehend einbezogen werden (8).

6.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das System zur Bewilligung von EU-Mitteln für die Entwicklungshilfe geändert werden sollte, um es flexibler und vielseitiger gestalten und besser an die konkreten Umstände anpassen zu können. Es sollten u. a. Modalitäten wie „Rahmenabkommen“, Betriebskostenzuschüsse, Finanzhilfen nach dem Kaskadenprinzip, Vereinbarungen mit mehrjähriger Laufzeit, Nothilfen oder die Umsetzung des im strukturierten Dialog festgelegten Instrumentariums eingeführt werden (9).

7.   Das neue Handels- und Investitionsumfeld

7.1.

Der EWSA befürwortet den Freihandel, eine der Säulen der Europäischen Union. Er weist gleichzeitig darauf hin, dass die Asymmetrien der Verhandlungsparteien, die Achtung der grundlegenden Arbeitnehmerrechte sowie die Umweltstandards berücksichtigt werden sollten. Der Ausschuss unterstützt weiterhin den multilateralen Ansatz der Handelsordnung in der WTO. Nach Ansicht des Ausschusses bedarf es einer grundlegenden Neugestaltung der — konsultativen und realen — Beteiligung der repräsentativsten Organisationen der Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung der Abkommen (10).

7.2.

„Mega-Abkommen“ wie TTP, CETA, TTIP, die Freihandelsabkommen mit Japan und Indien oder RCEP nehmen über rein handelsbezogene Aspekte hinaus gegenwärtig eine eindeutige geopolitische Dimension an. Darüber hinaus werden sie für die Zivilgesellschaft immer interessanter, weil sie Vorschriften und Standards betreffen, die sich auf die Lebensweise der Bürger auswirken. Dies ist im Rahmen der demokratischen Beschlussfassung besonders relevant hinsichtlich der Folgen der Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten sowie der Ausschüssen für die Zusammenarbeit im Legislativbereich.

7.3.

Die Herausforderung, vor der die EU in diesem Fall steht, ist, dass sie nicht nur wirtschaftliche und geostrategische Perspektiven eröffnen, sondern auch europäische Normen und Standards, öffentliche Dienstleistungen und den Erhalt wesentlicher Bereiche der politischen Regulierung wie Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzvorschriften gewährleisten muss (11). Der EWSA spricht sich ebenso wie die Zivilgesellschaft dafür aus, den Investorenschutz durch ordentliche Gerichte oder ersatzweise durch ein von der UNO geschaffenes unabhängiges internationales Gericht sicherzustellen. Er befürwortet ferner die wirksame Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft an den Abkommen, und zwar in Verbindung mit einer Politik transparenter Echtzeitinformationen sowohl in den Verhandlungen als auch in den Entscheidungsverfahren, die die Zivilgesellschaft betreffen (12).

8.   Stärkung der Zivilgesellschaft als grundlegendes Element der Außen- und Sicherheitspolitik der EU

8.1.

Nach Ansicht des EWSA ist die organisierte Zivilgesellschaft einer der grundlegenden Bestandteile der Demokratie. Eine Zivilgesellschaft mit Freiheit und Rechten, mit starken Sozialpartnern, mit einer wirksamen Beteiligung an Beschlussverfahren und mit einer institutionellen Anerkennung ist wichtig, um die Demokratie zugänglich zu machen und zu festigen, Rückfälle in den Autoritarismus zu verhindern, um die Wirtschaftsentwicklung anzuregen, die Konsolidierung des Friedens zu fördern, den sozialen Zusammenhalt zu stärken, für die Gleichheit in verschiedenen Bereichen zu kämpfen, ein Modell der nachhaltigen Entwicklung anzuregen und zu ermöglichen sowie den Aufbau demokratischer Institutionen zu fördern. Entscheidend ist auch die Intensivierung der Beziehungen zu den Zivilgesellschaften anderer Länder und Weltregionen durch Maßnahmen, die parallel zu diplomatischen Bemühungen ergriffen werden, um historische, kulturelle, religiöse und globale Ziele betreffende Gräben zu schließen.

8.2.

Deshalb spricht sich der EWSA dafür aus, diese Komponente ausdrücklich als vorrangiges Ziel der GASP zu verankern. Zu dieser Stärkung sollte auf unterschiedliche Mittel zurückgegriffen werden, wie die Fonds für die Zusammenarbeit und die Entwicklung der Menschenrechte, Aktionen und Forderungen auf diplomatischer Ebene, eine wirkliche und wirksame beratende Mitwirkung der Zivilgesellschaft, die sich nicht auf eine „Anhörung“ beschränken darf, im Rahmen der Handels- oder Assoziierungsabkommen, wobei die Zivilgesellschaft Teil der Abkommen sein und in sämtlichen Bereichen Mitsprache haben muss. Außerdem ein stärkeres Hinwirken darauf, dass die europäischen Unternehmen, die in anderen Ländern oder Regionen der Welt präsent sind, die grundlegenden Übereinkommen der ILO einhalten und die von der EU propagierte Strategie der unternehmerischen Verantwortung verfolgen.

8.3.

Zu diesem Zweck hält es der EWSA für notwendig, dass die GASP eine Beteiligung der europäischen organisierten Zivilgesellschaft an der Festlegung und Umsetzung der einschlägigen Ziele und Prioritäten vorsieht. Der EWSA regt an, die Rolle der Zivilgesellschaft wie folgt zu verbessern:

Stärkung der Zivilgesellschaft im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik zur Unterstützung der Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozesse;

bessere Ermittlung von Partnern nach Kriterien, die mit dem europäischen Sozialmodell vereinbar sind, womit konkret die Anerkennung der Sozialpartner und ihre Behandlung auf Augenhöhe gehören;

Förderung von Instanzen zur Beteiligung der Zivilgesellschaft, wie etwa der Wirtschafts- und Sozialräte;

Verringerung des Defizits an zivilem und sozialem Dialog in den ENP-Ländern;

Förderung der Entwicklung regionaler sektorspezifischer Organisationen, so wie sie bereits in den Bereichen Sozialwirtschaft, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, landwirtschaftliche Organisationen, Unterstützung der Unternehmertätigkeit von Frauen, Menschenrechte usw. existieren.

stärkere Kontrolle und Überwachung des auswärtigen Handelns durch die europäische Zivilgesellschaft;

wirksamere Beteiligung der Zivilgesellschaft an den Handels-, Assoziierungs- und Partnerschaftsabkommen;

Förderung der Schaffung eines günstigen Umfelds für die Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft von Drittstaaten an der EU-Entwicklungspolitik;

ihre Einbeziehung in die Asyl- und Flüchtlingspolitik in den Bereichen Integration und Bekämpfung fremdenfeindlicher Einstellungen;

Beteiligung der verschiedenen Komponenten der Zivilgesellschaft (Unternehmer, Gewerkschaften, soziale und wirtschaftliche Organisationen des dritten Sektors, nichtstaatliche Organisationen) in stärker strukturierter Form und weniger in Form von Versammlungen.

9.   Die Rolle des EWSA

9.1.

Der EWSA als das beratende Gremium der europäischen Institutionen und Vertreter aller großen Organisationen der Zivilgesellschaft der EU-Mitgliedstaaten ist bestens aufgestellt, um zu einem wesentlichen Partner des EAD und der Europäischen Kommission für die Stärkung und Weiterentwicklung einer wirksamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu werden. Dafür sprechen seine Dreigliedrigkeit, seine umfassende Sicht, seine lange Erfahrung und seine Beziehungen zur Zivilgesellschaft in anderen Teilen der Welt, die überwiegend auf Mandaten beruhen, die ihm durch unterschiedliche, von der EU unterzeichnete internationale Abkommen zu Fragen wie Assoziierung, strategische Partnerschaft und Freihandel sowie in Vereinbarungen mit EU-Beitrittskandidatenländern erteilt wurden (13).

9.1.1.

Es wird vorgeschlagen, im EWSA eine jährliche Anhörung zur Außen- und Sicherheitspolitik zu veranstalten, an der die Hohe Vertreterin und die wichtigsten europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft teilnehmen.

9.2.

Nach Auffassung des EWSA wäre die Schaffung strategischer Beziehungen zum EAD sehr positiv, die auf der Überzeugung beider Seiten fußen, dass die Zivilgesellschaft in der EU-Außenpolitik, insbesondere bei der Verwirklichung bestimmter vorrangiger Ziele, eine wichtige Rolle spielt. Zu diesem Zweck schlägt der Ausschuss vor, die vorgenannten Prioritäten und die Möglichkeiten zur Formalisierung einer Zusammenarbeit zwischen EAD und EWSA gemeinsam zu prüfen.

9.3.

Der EWSA könnte den EAD bei der Erarbeitung eines Bewertungsberichts über die derzeitige Beteiligung der Zivilgesellschaft im Bereich der europäischen Außenpolitik unterstützen.

9.4.

Im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wird der EWSA seine Zusammenarbeit mit Organisationen der Vereinten Nationen wie der ILO und der FAO verstärken.

Brüssel, den 28. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die externe Dimension der erneuerten Lissabon-Strategie“ (ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 41).

(2)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die neue Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU und die Rolle der Zivilgesellschaft“ (ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 56).

(3)  Die Europäische Kommission erarbeitet derzeit gemeinsam mit der Europäischen Verteidigungsagentur eine vorbereitende Maßnahme für die Forschung im Bereich der GASP im Zeitraum 2017-2019.

(4)  REX/458 — Stellungnahme des EWSA zum Thema „Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik“, verabschiedet am 25. Mai 2016 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(5)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zur Erweiterungsstrategie der EU (ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 31).

(6)  REX/455 — Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Zukunft der EU-Beziehungen zu den AKP-Staaten“, verabschiedet am 25. Mai 2016 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(7)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Entwicklungspolitik der Europäischen Union — Der europäische Konsens“ (ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 79).

(8)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Entwicklungsfinanzierung — der Standpunkt der Zivilgesellschaft“ (ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 49).

(9)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union“ (ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 28).

(10)  Schreiben von Präsident Malosse an Kommissarin Malmström vom 18. Juni 2015, das Einschätzungen und Empfehlungen über die Beratergruppen im Rahmen von Assoziierungsabkommen enthält.

(11)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Handel für alle — Hin zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitionspolitik“ (siehe Seite 123 dieses Amtsblatts).

(12)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Investitionsschutz und Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat in Handels- und Investitionsabkommen der EU mit Drittländern“ (ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 45).

(13)  Der EWSA unterhält derzeit 23 internationalen Gremien und Strukturen für internationale Fragen.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/11


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Gerechtere Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU“

(Sondierungsstellungnahme)

(2016/C 264/02)

Berichterstatterin:

Laura GONZÁLEZ DE TXABARRI ETXANIZ

Mitberichterstatterin:

Dorthe ANDERSEN

Mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 ersuchte das niederländische Ministerium für Soziales und Beschäftigung den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des niederländischen Ratsvorsitzes und gemäß Artikel 304 AEUV um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

Gerechtere Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU

(Sondierungsstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April) mit 232 gegen 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA ist der Ansicht, dass unter den derzeitigen politischen Bedingungen sowohl die Europäische Kommission als auch die Mitgliedstaaten besondere Anstrengungen unternehmen müssen, um die Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU durch Abschaffung jedweder Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit unter Vermeidung ungerechtfertigter Beschränkungen sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Unternehmen insofern zu gewährleisten und zu fördern, als es sich um im AEUV festgeschriebene Grundprinzipien und eine der am meisten geschätzten Errungenschaften des europäischen Integrationsprozesses handelt. Der EWSA unterstützt Initiativen zur Förderung der Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU, wie es auch vom niederländischen Ratsvorsitz formuliert wurde und das erklärte Ziel der Kommission ist.

1.2.

Die Mobilität von Arbeitskräften kann sich — wenn sie unter gerechten Bedingungen erfolgt und als positive Option wahrgenommen wird — als bereichernd und nutzbringend für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die Gesellschaft als Ganzes erweisen. Arbeitskräftemobilität ist einer der Eckpfeiler des Binnenmarkts und kann zu Beschäftigungschancen und Wohlstand für die Bürger und Unternehmen der EU beitragen. Sie kann ein wichtiges Element bei der Erreichung der Ziele in puncto Beschäftigung und Wirtschaftswachstum der EU sein und so die unterschiedlichen Beschäftigungsniveaus in den Mitgliedstaaten dadurch ausgleichen, dass genau dort Arbeitskräfte und Talente eingesetzt werden, wo sie fehlen. Sie kann zudem eine bessere Zuweisung der Human- und Finanzressourcen ermöglichen und Wissenstransfer, Innovation und Kompetenzausbau fördern, die in einer vom technologischen Wandel gekennzeichneten Welt wesentlich sind. Gleichzeitig trägt sie zur Abfederung der Folgen einer Überalterung der Arbeitnehmerschaft in den Bestimmungsländern bei.

1.3.

Die Arbeitskräftemobilität kann jedoch in einigen Fällen und Sektoren auch dem sogenannten Braindrain Vorschub leisten, bei dem insbesondere jüngere Menschen aus Ländern mit einer hohen Arbeitslosenquote auf der Suche nach Arbeit oder besseren Arbeitschancen auswandern. Gleichzeitig darf der positive Wert der Freizügigkeit nicht durch unbegründete Angst vor Missbrauch untergraben oder infrage gestellt werden.

1.4.

Um dies zu vermeiden, fordert der EWSA die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, eine Wirtschaftspolitik zu fördern, die Wachstum und Produktivität steigert und qualitative Arbeitsplätze in allen Mitgliedstaaten schafft, um die Lebensbedingungen aller Unionsbürger zu verbessern.

1.5.

Eine gerechte Mobilität erfordert die Gewährleistung der Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit für europäische mobile Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen und den Arbeitsbedingungen und der Lohnsetzung des Bestimmungslandes unter Achtung der nationalen Systeme der Tarifverhandlungen und Arbeitsbeziehungen unterliegen.

1.6.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, in Absprache mit den Sozialpartnern alle notwendigen Aspekte in Bezug auf entsandte Arbeitnehmer zu behandeln, um gegen unlautere Praktiken, die zu Sozialdumping führen, vorzugehen. Ferner muss jedwede neue Maßnahme auf europäischer Ebene die nationalen Zuständigkeiten bei den Tarifverhandlungen und die verschiedenen Systeme der Arbeitsbeziehungen achten.

1.7.

In Bezug auf Grenzarbeitnehmer erachtet es der EWSA für notwendig, die Lage zu überwachen und EU-weit Daten zusammenzutragen, um etwaige Hindernisse zu beseitigen und eine freie und gerechte Mobilität dieser Arbeitnehmer zu gewährleisten.

1.8.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, im Sinne ihrer erklärten Absicht, Sozialdumping und Missbrauch zu unterbinden, dafür zu sorgen, dass auch keine anderen Binnenmarktinitiativen (u. a. der geplante Dienstleistungspass) dies ermöglichen.

1.9.

Die Arbeitsaufsichtsbehörden spielen bei der Gewährleistung einer gerechten Mobilität eine zentrale Rolle. Deshalb fordert der EWSA die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, die nationalen Arbeitsaufsichtsbehörden und Arbeitsmarktkontrollbehörden mit hinreichenden Zuständigkeiten, geschultem Personal und ausreichenden Human- und Finanzressourcen auszustatten. Außerdem unterstützt er die Verbesserung der grenzüberschreitenden europäischen Instrumente für Arbeitsmarktaufsicht, einschließlich einer besseren grenzübergreifenden Durchsetzung von Sanktionen.

1.10.

Der EWSA befürwortet die Vereinfachung der Bestimmungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei ihrer Anwendung und unterstreicht die Notwendigkeit, dass bei der Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (1) unbedingt der Grundsatz der Gleichbehandlung mobiler Arbeitnehmer Anwendung finden muss, damit sie ihre erworbenen Ansprüche nicht verlieren oder im Zuge eines arbeitsbedingten Umzugs in einen anderen Mitgliedstaat nicht ohne Ansprüche sind.

2.   Einleitung

2.1.

Der EWSA erarbeitet diese Sondierungsstellungnahme zu einer gerechteren Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU auf Ersuchen des niederländischen Ratsvorsitz, der in seinen Prioritäten erklärt: „Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer kann sich positiv auf das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung auswirken, doch ihre Schattenseiten müssen bekämpft werden, um in der Öffentlichkeit einen größeren Rückhalt für die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu erhalten.“

2.2.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine der Grundfreiheiten des Binnenmarkts und eine Säule der europäischen Integration sowie eine der von den Unionsbürgern am meisten geschätzten Errungenschaften. Auf der Grundlage der Freizügigkeit hat der Binnenmarkt zu Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Chancen für Bürger, Arbeitnehmer und Unternehmen beigetragen. Eine Mobilität von Arbeitskräften unter gerechten Bedingungen kann sich positiv auf Arbeitnehmer, Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes auswirken und sollte daher durch Beseitigung sämtlicher Hindernisse möglichst erleichtert werden. Unlauterer Wettbewerb oder Diskriminierung von Arbeitnehmern im Binnenmarkt dürfen nicht geduldet werden.

2.3.

Die Arbeitskräftemobilität kann aber auch mit einer Reihe von Nachteilen einhergehen, die angegangen werden müssen, um ihre Risiken zu mindern und es Arbeitnehmern und Unternehmen gleichermaßen zu ermöglichen, von den Vorteilen der Arbeitskräftemobilität zu profitieren.

2.4.

Die EU ist bestrebt, eine gerechte Arbeitskräftemobilität in Europa durch Abbau bestehender Mobilitätshindernisse zu steigern. In diesem Zusammenhang hat die Europäische Kommission in ihrem Arbeitsprogramm 2016 Vorschläge zur Arbeitskräftemobilität angekündigt, die „Maßnahmen zur Bekämpfung von Missbrauch durch eine bessere Durchsetzung und Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vorsehen [werden]“. Außerdem soll die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern (2) dahingehend überarbeitet werden, „dass unfaire Praktiken, die einem Sozialdumping und einem Braindrain Vorschub leisten, unterbunden werden, indem sichergestellt wird, dass für gleiche Arbeit am gleichen Ort der gleiche Lohn gezahlt wird“ und dass die Arbeitskräftemobilität in der EU gefördert wird.

2.5.

In dieser Stellungnahme sollen die verschiedenen Aspekte der Arbeitskräftemobilität in Bezug auf Arbeitsmärkte beleuchtet werden, die von kontinuierlich hohen Arbeitslosenraten gekennzeichnet sind und aufgrund von Globalisierung, sozialem Wandel und technologischen Innovationen tief greifende Veränderungen durchlaufen.

2.6.

Nach Jahrzehnten, in denen die innergemeinschaftliche Mobilität sehr begrenzt war, haben die Erweiterung der EU, die seit 2008 andauernde Krise und der Anstieg der Arbeitslosigkeit dazu geführt, dass Arbeitskräfte zunehmend mobil geworden sind. So gab es 2014 in der EU rund 15 Millionen mobile Arbeitnehmer gegenüber knapp 12 Millionen im Jahr 2006 (3). Im selben Jahr lebten und arbeiteten 8,3 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter in einem anderen als ihrem eigenen Mitgliedstaat. Das entsprach 3,4 % der Erwerbsbevölkerung. Hinzu kamen noch 1,6 Millionen, die in einem Land lebten, aber in einem anderen arbeiteten (Grenzarbeitnehmer) (4).

2.7.

Die Freizügigkeit für Unionsbürger und Arbeitnehmer in der EU wird derzeit jedoch durch mehrere Faktoren infrage gestellt. Der EWSA ist über diese Entwicklung besorgt. Sowohl die von einigen Mitgliedstaaten aufgrund des Flüchtlingszustroms (5) im Schengen-Raum eingeführten Beschränkungen wie auch die Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung innergemeinschaftlicher mobiler Arbeitnehmer, die dem Vereinigten Königreich auf der Tagung des Europäischen Rates am 18./19. Februar 2016 (6) gewährt wurden, können Auswirkungen auf eine der am meisten geschätzten Errungenschaften des europäischen Integrationsprozesses haben.

2.8.

Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Abschaffung jedweder Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit sind im AEUV festgeschriebene Grundprinzipien, die es sicherzustellen und zu fördern gilt. Zudem ist der Schengen-Raum ein zentrales Element des europäischen Integrationsprozesses und Voraussetzung für das ordnungsgemäße Funktionieren der europäischen Wirtschaft. Die Gewährleistung offener Grenzen und der Möglichkeit für die Bürger, sich in jedem Mitgliedstaat unter gleichen Bedingungen zu bewegen, zu leben und zu arbeiten, muss für die EU und ihre Mitgliedstaaten eine Priorität und Verantwortung zugleich sein.

2.9.

Da dies insbesondere Arbeitskräfte und Unternehmen betrifft, muss die Europäische Kommission die branchenspezifischen und branchenübergreifenden Sozialpartner zur Notwendigkeit jedweder Initiative in diesem Bereich und zu sämtlichen Aspekten dieses Themas konsultieren. Ferner muss jedwede neue Maßnahme auf europäischer Ebene die nationalen Zuständigkeiten bei den Tarifverhandlungen und die verschiedenen Systeme der Arbeitsbeziehungen achten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist in Artikel 3 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union (VEU) sowie in Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a, Artikel 20, 26, 45 und 48 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelt. Sie bedeutet die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen und den Anspruch auf Mobilitäts- und Aufenthaltsrechte sowie wirtschaftliche und soziale Rechte, die grundlegend in der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (7) und der Richtlinie 2014/54/EU (8) über Maßnahmen zur Erleichterung der Ausübung der Rechte, in einem anderen Mitgliedstaat eine Arbeit aufzunehmen, geregelt sind.

3.2.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit umfasst das Recht, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats frei zu bewegen und mit dem Ziel aufzuhalten, dort einer Beschäftigung in Übereinstimmung mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die im Bereich des Arbeitsrechts für die nationalen Arbeitskräfte gelten, nachzugehen. Das Recht beinhaltet daher sowohl die eigentliche Freizügigkeit wie auch das Recht auf Gleichbehandlung in Bezug auf u. a. Arbeit, Sozialleistungen, Bildung und Ausbildung.

3.3.

Eine Mobilität von Arbeitskräften unter gerechten Bedingungen kann sich als nutzbringend für Arbeitnehmer, Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes erweisen. Sie kann eine großartige Chance zur persönlichen Entfaltung und wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung für die Bürger und die Arbeitnehmer eröffnen und muss daher erleichtert werden.

3.4.

Mobilität ist ein Schlüsselfaktor für Beschäftigungsfähigkeit und Förderung von Talenten und kann ein Weg zur Annäherung der unterschiedlichen Beschäftigungsniveaus in den verschiedenen Mitgliedstaaten sein, weil sie dazu beiträgt, einen etwaigen Fachkräftemangel auszugleichen und die Arbeitskräfte entsprechend ihren Fähigkeiten besser einzusetzen. Sie eröffnet zum einen Arbeitnehmern beträchtliche Beschäftigungsmöglichkeiten und zum anderen Arbeitgebern ein breiteres Angebot bei ihrer Suche nach Talenten. In diesem Sinne kann die Mobilität entscheidend zur Erreichung der Ziele für mehr Beschäftigung und Wirtschaftswachstum im Rahmen der Strategie Europa 2020 beitragen.

3.5.

Die Arbeitsmobilität kann auch zur Förderung von Wissenstransfer, Innovation und Entwicklung des Humankapitals beitragen, die im Kontext rascher technologischer Veränderungen und der Globalisierung von grundlegender Bedeutung sind. Unter geeigneten Bedingungen sollte eine gerechte Arbeitsmobilität auch die Interaktion zwischen den Unionsbürgern sowie die Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses und der gegenseitigen Akzeptanz erhöhen und so eine tolerantere und inklusivere Gesellschaft stärken.

3.6.

Gleichzeitig darf aber auch nicht ignoriert werden, dass die Arbeitsmobilität eine Reihe von Nachteilen mit sich bringt. Europäische Arbeitskräfte, die in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten, sind mitunter aus verschiedenen Gründen stärker Missbrauch und Diskriminierungen ausgesetzt, u. a. in den Bereichen Sozialversicherung, Arbeitsbedingungen und Entlohnung, Zugang zu Sozialleistungen und zu Bildung sowie Besteuerung. Diese Faktoren können auch zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmen führen, insbesondere in hochgradig arbeitsintensiven Sektoren wie dem Bausektor mit einer hohen Konzentration sehr kleiner Unternehmen. Mobilität kann darüber hinaus die Trennung von Familien und Schwierigkeiten bei der Integration in ein anderes Land als Folge sprachlicher und kultureller Barrieren usw. zur Folge haben. Der EWSA hat in einer Reihe von Stellungnahmen betont, wie wichtig die Stärkung der Mobilität innerhalb der EU und eine Beseitigung dieser Hemmnisse ist (9).

3.7.

Die kontinuierlich schlechten Wirtschaftsaussichten, die hohen Arbeitslosenquoten und die fehlende Beschäftigungsperspektiven in einigen Mitgliedstaaten haben Arbeitnehmer, vor allem junge Menschen, dazu bewogen, Arbeit oder bessere Entlohnung und Arbeitsbedingungen in anderen Ländern zu suchen. Dies kann insofern positiv sein, als junge Menschen in einem anderen Land arbeiten, Erfahrungen sammeln und ihre Kompetenzen ausbauen können, statt im eigenen Land arbeitslos zu sein. Außerdem kann ihre Erfahrung nach ihrer Rückkehr ins eigene Land von Vorteil für dieses sein. Gleichzeitig kann diese Entwicklung aber auch problematisch sein, da sie den sogenannten Braindrain und eine Verschärfung der Auswirkungen der Überalterung der Bevölkerung in den Herkunftsländern zur Folge hat.

3.8.

Darüber hinaus kann eine hohe Mobilität große Herausforderungen mit sich bringen und zu Spannungen auf dem Arbeitsmarkt der Bestimmungsländer führen, insbesondere dann, wenn die Wirtschaftslage nicht in ausreichendem Maße Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen verspricht, um die Zunahme der Arbeitslosigkeit zu verhindern.

3.9.

Eine unabdingbare Voraussetzung für die optimale Nutzung der Vorteile der Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU bei gleichzeitiger Reduzierung ihrer Risiken, um zu ermöglichen, dass sowohl die Arbeitnehmer als auch die Unternehmen uneingeschränkt von den Chancen dieser Mobilität profitieren können, besteht in der Stärkung einer Wirtschaftspolitik zur Förderung von Wachstum, Produktivität und Schaffung von Arbeitsplätzen, die eine Verbesserung der Lebensbedingungen in allen Ländern ermöglicht.

3.10.

Der in einigen Ländern verbreitete Eindruck, dass Arbeitskräftemobilität zu Sozial- und Lohndumping führen kann, in Kombination mit der unbegründeten Annahme eines Missbrauchs öffentlicher Dienste und Sozialleistungen durch die mobilen Arbeitnehmer — der sogenannte „Sozialtourismus“ — schürt Ressentiments gegen die Arbeitsmobilität. Verschiedene Studien in Bezug auf diese Annahme haben ergeben, dass sich die in einigen Staaten höheren Sozialleistungen als im Herkunftsland nicht als maßgeblicher Grund für die Arbeitskräftemobilität belegen lassen. Dies wird durch die geringe Inanspruchnahme dieser Leistungen durch mobile innergemeinschaftliche Arbeitskräfte im Vergleich zu nationalen Arbeitnehmer bestätigt. Die intensivere Inanspruchnahme bestimmter Leistungen hängt mit den spezifischen sozioökonomischen Umständen mobiler Arbeitnehmer zusammen (10). Studien zufolge ist das Verhältnis zwischen Mobilität und Sozialleistungen minimal, während die im Land bestehende Arbeitslosenquote oder das Lohnniveau sehr viel ausschlaggebender ist (11).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.    Gerechtere Arbeitskräftemobilität

Eine gerechte Arbeitskräftemobilität bedeutet, dass mobile Arbeitnehmer, die ihr Recht auf Freizügigkeit im Einklang mit dem EU-Besitzstand wahrnehmen, nach Maßgabe der Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung behandelt werden. Dazu müssen die Mitgliedstaaten die Anwendung und uneingeschränkte Durchsetzung der geltenden Rechtsvorschriften in Verbindung mit den sozialen Rechten sowie den Sozial- und Arbeitsbedingungen für mobile Arbeitnehmer gewährleisten, um der Gefahr von Sozial- und Lohndumping und unlauterem Wettbewerb zwischen Unternehmen vorzubeugen. Dies wirkt sich auch positiv auf den Binnenmarkt aus.

4.1.1.

Gleichermaßen müssen die nach wie vor für die Arbeitskräftemobilität bestehenden administrativen, institutionellen und sprachlichen Hindernisse abgebaut werden; hierfür müssen konkrete Maßnahmen zur Erleichterung des Austauschs von Informationen und Bewertungen mobiler Arbeitnehmer in engerer Zusammenarbeit mit dem EURES-Netz und dem Europäischen Netzwerk der öffentlichen Arbeitsverwaltungen und Maßnahmen für den Ausbau der sprachlichen Kompetenzen, die Anerkennung der beruflichen Qualifikationen usw. im Einklang mit den Vorschlägen aus früheren EWSA-Stellungnahmen ergriffen werden (12).

4.1.2.

Eine gerechte Arbeitskräftemobilität muss außerdem durch Maßnahmen zur Gewährleistung von Wachstum und Beschäftigung in allen Mitgliedstaaten flankiert werden, damit die bereits bestehenden Unterschiede zwischen diesen nicht noch vergrößert werden und alle von der Arbeitskräftemobilität profitieren können.

4.1.3.

Einzig unter diesen Bedingungen kann eine gerechte Arbeitskräftemobilität im Sinne einer positiven Option für die Arbeitnehmer und nicht einer erzwungenen Entscheidung gewährleistet werden.

4.2.    Entsendung von Arbeitnehmern

4.2.1.

Für entsandte Arbeitnehmer gilt eine rechtliche Sonderregelung dahingehend, dass nicht sie die Freizügigkeitsrechte in Anspruch nehmen, sondern der Arbeitnehmer das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr wahrnimmt, um Arbeitnehmer zeitweise in ein anderes Land zu entsenden. Daraus ergibt sich für den Unternehmer wie auch für den Arbeitnehmer der Vorteil, dass der im Arbeitsvertrag genannte Arbeitsort nicht geändert werden muss und weiterhin die Sozialversicherungsbeiträge des Herkunftslandes gezahlt werden.

4.2.2.

Die für diese entsandten Arbeitnehmer geltenden gesetzlichen Bestimmungen sind in der Richtlinie 96/71/EG (13) und der Richtlinie 2014/67/EU (14) vom Mai 2014 zur Durchsetzung der Rechtsvorschriften über die Entsendung von Arbeitnehmern geregelt.

4.2.3.

Auch wenn es keine offiziellen Statistiken über die Entlohnung entsandter Arbeitnehmer gibt, ist einem Bericht der Europäischen Kommission (15) zu entnehmen, dass sie im Bau- und Transportgewerbe bis zu 50 % niedrigere Löhne als lokale Arbeitnehmer erhalten. Diese Unterschiede lassen sich erklären durch fehlerhafte Anwendung der Mindestlöhne oder andere Gründe, wie die Tendenz, entsandte Arbeitnehmer in eine niedrigere Tarifstufe einzustufen. Auch in anderen Produktionssektoren gibt es Unterschiede, wenn auch weniger große. Erwähnenswert ist die Heterogenität der Informationsquellen: Arbeitsaufsichtsbehörden, Berichte von Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbänden, Massenmedien (16).

4.2.4.

Der EuGH hat die Frage des Lohns für entsandte Arbeitnehmer behandelt und mit seiner Rechtsprechung eine große Kontroverse ausgelöst. Diese Situation nahm die Europäische Kommission zum Anlass, die Richtlinie 2014/67/EU (17) mit dem Ziel einer verstärkten Bekämpfung von Betrug und Missbrauch bei der Entsendung von Arbeitnehmern vorzuschlagen. Die Mitgliedstaaten haben noch bis zum 18. Juni 2016 Zeit zur Umsetzung der Durchführungsrichtlinie. Nach Ansicht des EWSA reicht diese Richtlinie nicht aus, um seine Forderungen zu erfüllen, auch wenn sie ein Schritt in die richtige Richtung ist (18).

4.2.5.

Im Rahmen des Pakets zur Arbeitskräftemobilität kündigte die Europäische Kommission an, die Arbeitnehmerentsenderichtlinie dahingehend zu überarbeiten, „dass unfaire Praktiken, die einem Sozialdumping und einem Braindrain Vorschub leisten, unterbunden werden, indem sichergestellt wird, dass für gleiche Arbeit am gleichen Ort der gleiche Lohn gezahlt wird“ (19). Am 8. März 2016 veröffentlichte sie im Vorfeld der Präsentation dieses Pakets und vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Durchführungsrichtlinie ihren Legislativvorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie (20). Der EWSA wird sich mit allen diesbezüglichen Fragen in einer gesonderten Stellungnahme zu dem Kommissionsvorschlag befassen.

4.2.6.

In jedem Fall nimmt der EWSA die erklärte Absicht der Europäischen Kommission, dem Sozialdumping ein Ende zu setzen, mit Interesse zur Kenntnis. Er bekräftigt seinen bereits in der Stellungnahme SOC/460 geäußerten Standpunkt und „unterstreicht die Bedeutung der Gewährleistung des Schutzes entsandter Arbeitnehmer, wobei die verschiedenen Arbeitsmarktmodelle in den Mitgliedstaaten zu achten und Sozialdumping sowie unlauterem Wettbewerb entgegenzuwirken sind“. Es ist auch in Zukunft wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der notwendigen Förderung des freien Dienstleistungsverkehrs und dem notwendigen Schutz der Rechte entsandter Arbeitnehmer zu finden. Der EWSA wird sich hierzu noch eingehender äußern.

4.2.7.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, im Sinne ihrer erklärten Absicht, Sozialdumping und Missbrauch zu unterbinden, dafür zu sorgen, dass auch keine anderen Binnenmarktinitiativen (u. a. der geplante Dienstleistungspass) dies ermöglichen.

4.3.    Grenzarbeitnehmer

Grenzarbeitnehmer fallen gemäß Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unter das Sozialversicherungssystem des Landes, in dem sie arbeiten. Gleichwohl können sie in bestimmten Fällen einer etwaigen Diskriminierung ausgesetzt sein, weil die geltenden Regeln nicht hinreichend durchgesetzt werden. Deshalb ist es notwendig, die Lage zu überwachen und EU-weit Daten zusammenzutragen, um etwaige Hindernisse für die Freizügigkeit grenzüberschreitender Arbeitnehmer zu beseitigen und eine ordnungsgemäße Anwendung der EU- und nationalen Rechtsvorschriften im Einklang mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung zu gewährleisten.

4.4.    Rolle der Arbeitsaufsichtsbehörde

4.4.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die nationalen Arbeitsaufsichtsbehörden eine wesentliche Rolle bei der Bekämpfung von Briefkastenfirmen, Niedriglöhnen und nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit spielen und dabei dafür sorgen könnten, dass die Rechte mobiler Arbeitskräfte und entsandter Arbeitnehmer eingehalten und umgesetzt werden, sodass Missbrauch verhindert wird. Dadurch kann auch Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmen vorgebeugt werden.

4.4.2.

In einigen Ländern fehlen diesbezügliche Kontrollen, entweder weil eine angemessene Struktur für Arbeitsinspektoren, geeignete Zuständigkeiten oder Kompetenzen bzw. erforderliche Ressourcen fehlen, sodass Missbrauch begünstigt wird. Arbeitsaufsichtsbehörden und Arbeitsmarktkontrollbehörden können nur wirksam arbeiten, wenn sie über eine ausreichende finanzielle Ausstattung und ausreichendes angemessen geschultes Person verfügen. In diesem Sinne sind Vorschriften auf europäischer Ebene, u. a. für eine verbesserte grenzübergreifende Durchsetzung von Sanktionen, ebenso erforderlich wie Unterstützung für Mitgliedstaaten, die Schwierigkeiten mit der Schaffung dieser Infrastrukturen haben.

4.4.3.

Zusätzlich würde die Verbesserung der europäischen Instrumente für die grenzüberschreitende Arbeitsinspektion, wie in der Entschließung des Parlaments vom 14. Januar 2014 (21) vorgeschlagen, dazu beitragen, Fälle von Sozialdumping zu ermitteln und zu unterbinden, insbesondere durch Ermittlung von Briefkastenfirmen.

4.4.4.

Dies sollte in Zusammenarbeit mit der vor Kurzem eingerichteten Europäischen Plattform zur Bekämpfung nicht gemeldeter Erwerbstätigkeit erfolgen.

4.5.    Die Übertragbarkeit von sozialen Rechten und der Schutz mobiler Arbeitnehmer

4.5.1.

Der EWSA befürwortet die Vereinfachung der Bestimmungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei ihrer Anwendung und unterstreicht die Notwendigkeit, dass bei der Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unbedingt der Grundsatz der Gleichbehandlung mobiler Arbeitnehmer Anwendung finden muss, damit sie ihre erworbenen Ansprüche nicht verlieren oder im Zuge eines arbeitsbedingten Umzugs in einen anderen Mitgliedstaat nicht ohne Ansprüche sind.

4.5.2.

Im Sinne einer gerechten Mobilität ist auch die Gewährleistung der Übertragbarkeit der sozialen Rechte der mobilen Arbeitnehmer ein unverzichtbarer Aspekt — und zwar sowohl für Arbeitnehmer, die zu Arbeitszwecken in ein anderes Land gehen, als auch für diejenigen, der nach einer Beschäftigung im Ausland in ihr Herkunftsland zurückkehren.

4.5.3.

Zur Erleichterung der Freizügigkeit und Förderung der Arbeitskräftemobilität wurde in der EU die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit entwickelt, mit der die Beziehungen zwischen den nationalen Systemen geregelt werden sollen, ohne die Vorschriften inhaltlich zu ändern.

4.5.4.

Im Zuge der Weiterentwicklung der Verträge wurden Bestimmungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit integriert, u. a. die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (Grundverordnung) und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 (Durchführungsverordnung), die durch die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 (Grundverordnung) und (EG) Nr. 987/2009 (22) (Durchführungsverordnung) ersetzt wurden. Derzeit wird die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 überarbeitet.

4.5.5.

Der EWSA wird einen ausführlichen Bericht erarbeiten, sobald die Europäische Kommission ihm ihren Vorschlag für eine Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 übermittelt hat. Wie bereits in einer früheren Stellungnahme dargelegt wurde, muss der Rechtsrahmen an die sich wandelnde Arbeitswelt, an die neuen Beschäftigungsformen und insbesondere an die neuen Mobilitätsformen angepasst werden (23).

4.5.6.

Nach Ansicht des EWSA sind die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Zusammenrechnung von Zeiten, der Leistungsübertrag und der Festlegung der anzuwendenden Rechtsvorschriften (Grundsatz der Einheitlichkeit) für die Freizügigkeit unverzichtbar und sollten bei einer künftigen Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 verankert werden.

4.5.7.

In Bezug auf die Freizügigkeit von Arbeitssuchenden in einem anderen Land verweist der EWSA auf die Erklärung von Kommissionsmitglied Thyssen vom 13. November 2015: „Das Recht auf Freizügigkeit für Arbeitssuchende muss aus unserer Sicht gewahrt werden — vor allem angesichts der zwischen den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlichen Arbeitslosenzahlen. Wichtig ist dabei jedoch, dass dies nicht zulasten des Sozialversicherungssystems des Gastlandes geht. Vor diesem Hintergrund möchten wir jemandem, der seinen Arbeitsplatz verliert, ermöglichen, sein Arbeitslosengeld mit in ein anderes Land zu nehmen, wo er vielleicht bessere Aussichten auf einen neuen Job hat. Dies ist schon heute für einen Zeitraum von drei Monaten möglich.“ Die Kommission möchte ihn auf sechs Monate verlängern.

4.5.8.

Die Komplexität der Regulierung im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten, damit sichergestellt ist, dass die unterschiedlichen nationalen Bestimmungen die Freizügigkeit nicht behindern und mit größtmöglicher Klarheit kommuniziert wird, welche Rechte und Verpflichtungen die Leistungsempfänger und Unternehmen haben. Auch muss die Nutzung elektronischer Medien und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten dahingehend verstärkt werden, dass die Berichtspflichten der Arbeitnehmer und Unternehmen minimiert werden.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166 vom 30.4.2004, S. 1).

(2)  Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. L 18 vom 21.1.1997, S. 1).

(3)  Europäische Kommission, Beschäftigungs- und Sozialbericht 2015, S. 33.

(4)  Europäische Kommission, Rede von Kommissionsmitglied Marianne Thyssen zu Europas Vision für faire Arbeitsmobilität, Dublin, 13. November 2015.

(5)  http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/policies/borders-and-visas/schengen/reintroduction-border-control/index_en.htm.

(6)  Beschluss der im Europäischen Rat vereinigten Staats- und Regierungschefs über eine neue Regelung für das Vereinigte Königreich innerhalb der Europäischen Union, insbesondere Abschnitt D „Sozialleistungen und Freizügigkeit“.

(7)  Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77).

(8)  Richtlinie 2014/54/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Maßnahmen zur Erleichterung der Ausübung der Rechte, die Arbeitnehmern im Rahmen der Freizügigkeit zustehen (ABl. L 128 vom 30.4.2014, S. 8).

(9)  ABl. C 424 vom 26.11.2014, S. 27, ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 74, ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 14.

(10)  Europäische Kommission, A fact finding analysis on the impact on the Member States social security systems of the entitlements of non active intra-EU migrants to special no contributory cash benefits and healthcare granted on the basis of residence.

(11)  Giuletti Corrado, IZA-World of Labor, The welfare magnet hypothesis and the welfare take-up of migrants, S. 5-6.

(12)  ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 65, ABl. C 424 vom 26.11.2014, S. 27, ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 74 und ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 14.

(13)  Ebenda.

(14)  Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung“) (ABl. L 159 vom 28.5.2014, S. 11).

(15)  Europäische Kommission, Study on wage setting systems and minimum rates of pay applicable to posted workers in accordance with Directive 96/71/EC in a selected number of Member States and sectors. Final Report.

(16)  Ebda., S. 18-20.

(17)  Ebenda.

(18)  ABl. C 351 vom 15.11 2012, S. 61.

(19)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Arbeitsprogramm der Kommission 2016 (COM(2015) 610 final).

(20)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (COM(2016) 128 final).

(21)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Januar 2014 über wirksame Kontrollen am Arbeitsplatz als Strategie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Europa (P7_TA(2014)0012).

(22)  Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 1).

(23)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 14.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/19


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Integration von Flüchtlingen in der EU“

(Sondierungsstellungnahme)

(2016/C 264/03)

Berichterstatterin:

Christa SCHWENG

Mitberichterstatter:

Panagiotis GKOFAS

Mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 ersuchte das niederländische Ministerium für Soziales und Beschäftigung den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des niederländischen Ratsvorsitzes gemäß Artikel 304 AEUV um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

Integration von Flüchtlingen in der EU

(Sondierungsstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April) mit 232 gegen 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

Der niederländische Ratsvorsitz hat sein Ersuchen wie folgt begründet:

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind auf den derzeitigen massiven Zustrom von Flüchtlingen weitgehend unvorbereitet. Allerdings entspricht die Zahl der Neuankömmlinge nur einem Bruchteil aller Personen, die weltweit migrieren; zudem handelt es sich um ein Phänomen, das bereits aus der jüngeren Geschichte Europas bekannt ist. Alle Regierungsebenen und viele zivilgesellschaftliche Organisationen müssen zusammenarbeiten, um die Aufnahme von Flüchtlingen und (nach der Anerkennung des Schutzstatus) ihre Integration sicherzustellen. Konzept, Nutzen und Ausmaß der organisatorischen Maßnahmen als Reaktion auf diese Situation variieren zwischen den Mitgliedstaaten. Beispiele für bewährte Methoden sind in verschiedenen Datenbanken zu finden, die als Grundlage für eingehendere Untersuchungen dienen könnten.

Die Sondierungsstellungnahme hat zum Ziel, Empfehlungen zu unterbreiten, die sich auf konkrete Erfahrungen und Beispiele aus anderen Weltregionen und Epochen stützen, in denen der Zustrom einer vergleichbaren bzw. noch deutlich höheren Zahl von Flüchtlingen und anderen Migrantinnen und Migranten zu verzeichnen war, wobei der Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Es sollen Antworten auf Fragen gegeben werden wie: Was sind die besten Modelle der Zusammenarbeit zwischen nationalen, regionalen und lokalen Stellen und zivilgesellschaftlichen Organisationen? Welche innovativen Ansätze existieren bereits? Wie können sie auf andere Kontexte übertragen werden?

2.   Empfehlungen

2.1

Der EWSA ist der Überzeugung, dass Integration für unsere Gesellschaften notwendig ist, wenn wir den sozialen Zusammenhalt bewahren wollen.

2.2

Nach Auffassung des EWSA bedarf es umgehend eines gemeinsamen europäischen Asylsystems und einer tiefgreifenden Reform der Dublin-Verordnung sowie eines europäischen Migrationsplans, um entsprechende Wirkungen zu erzielen und das Vertrauen in die Werte unserer Gesellschaften wiederherzustellen.

2.3

Der EWSA weist darauf hin, dass Integration ein wechselseitiger Prozess ist. Bewährte integrationspolitische Verfahren sind nicht nur auf Flüchtlinge ausgerichtet, sondern auch auf die einheimische Bevölkerung. Ein solcher Ansatz ist für die Akzeptanz der Integrationsmaßnahmen ausschlaggebend. Medien, lokale Gebietskörperschaften, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und NRO spielen dabei eine wichtige Rolle. Zur Schaffung eines positiven Klimas für Flüchtlinge in den Aufnahmeländern — insbesondere angesichts eines voraussichtlich geringen Wirtschaftswachstums und einer angespannten Arbeitsmarktsituation in einigen Ländern — sollten Integrationsmaßnahmen und soziale Investitionen gleichermaßen auf Einheimische und Flüchtlinge abzielen und dabei den besonderen Bedürfnissen jeder Zielgruppe Rechnung tragen.

2.4

Mit dem Sprachunterricht sollte bald nach der Registrierung begonnen werden, wenn eine positive Entscheidung über den Asylstatus zu erwarten ist. Der Unterricht sollte auch grundlegende Informationen über Wertvorstellungen, kulturelle Aspekte und Verfahren umfassen. Außerdem sollten Kompetenzen und Qualifikationen ermittelt werden. Das Cedefop könnte helfen, Methoden zu entwickeln, die dazu dienen, die im Herkunftsland erworbenen Kompetenzen festzustellen.

2.5

Der EWSA ist der Ansicht, dass (vor allem unbegleiteten) Minderjährigen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, da sie oft traumatisiert sind und sozialpädagogische Unterstützung benötigen. Es sollte für eine rasche schulische Integration bzw. für eine Beratung über Berufsausbildungsmöglichkeiten gesorgt werden.

2.6

Der EWSA betont, dass Flüchtlinge Zugang zu Informationen über Rechte und Pflichten in der Aufnahmegesellschaft im Allgemeinen und auf dem Arbeitsmarkt im Besonderen haben müssen. Flüchtlinge müssen auf dem Arbeitsmarkt genauso behandelt werden wie Einheimische, um unfairen Wettbewerb sowie Sozial- und Lohndumping zu vermeiden.

2.7

Der EWSA würdigt erneut die Solidarität, die Teile der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen, Privatpersonen und Unternehmen (insbesondere Kleinstunternehmen und mittelständische Handwerksbetriebe) bei der freiwilligen Hilfe für Asylbewerber an den Tag gelegt haben. Der EWSA unterstreicht, dass ein solches individuelles Engagement geschützt und unterstützt werden muss, durch entsprechende Anreize (insbesondere bei humanitären Notfällen), um die Solidarität in der Zivilgesellschaft zu fördern.

2.8

Der EWSA hebt hervor, dass die EU ihre unmittelbaren Reaktionen auf die Situation auf die in Artikel 80 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankerten Grundsätze der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten, einschließlich in finanzieller Hinsicht, stützen sollte.

2.9

Die Mitgliedstaaten und die zuständigen Stellen der EU (auch in den „Transitländern“) sollten im Interesse einer gemeinsamen, wirksameren EU-Asylpolitik mit den Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Überwachung, Aktualisierung von Daten und Koordinierung von Tätigkeiten zusammenarbeiten. Es sollten harmonisierte und aktualisierte statistische Systeme entwickelt werden, um die politischen Optionen der EU und der Mitgliedstaaten definieren zu können.

2.10

Zum nachhaltigen Gelingen der Integration von Flüchtlingen sind im Rahmen des Juncker-Plans und darüber hinaus verstärkte Anstrengungen bei Investitionen zur Förderung des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung erforderlich. Zusätzliche Investitionen in Integrationsmaßnahmen und soziale Investitionen sollten Einheimischen und Flüchtlingen gleichermaßen zugutekommen und dabei den besonderen Bedürfnissen jeder Zielgruppe Rechnung tragen. Der EWSA hat festgestellt, dass sich eine Finanztransaktionssteuer positiv auf die öffentlichen Finanzen auswirken kann, indem sie einen gerechteren Beitrag des Finanzsektors gewährleistet. Wegen der außergewöhnlichen Umstände und im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt sollten die zusätzlichen Kosten für die Aufnahme von Flüchtlingen nach eingehender Prüfung nicht in die Berechnung der öffentlichen Defizite der Mitgliedstaaten einfließen. Investitionen in Integrationsmaßnahmen sind zwar kurz- und mittelfristig kostspielig, sollten aber als Investitionen in Menschen gesehen werden, die sich langfristig rentieren. Eine erfolgreiche Integration führt zu sozialem Zusammenhalt, wirtschaftlichem Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Mittel des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) ebenso wie des Europäischen Sozialfonds (ESF) sollten daher angemessen aufgestockt werden — insbesondere in den Mitgliedstaaten, deren Flüchtlingsquoten überschritten wurden —, um eine bessere Kofinanzierung von Maßnahmen zur Integration von Flüchtlingen zu erreichen.

3.   Hintergrund

3.1

Die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten haben einen beispiellosen Zustrom von Flüchtlingen nach Europa ausgelöst. Menschen aus kriegsgebeutelten Ländern mischen sich dabei mit Menschen, die ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Alle europäischen Länder haben die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 unterzeichnet, die Grundrechte für die besonders schutzbedürftige Gruppe der Flüchtlinge garantiert. Angesichts der hohen Zahl betroffener Personen und zur Einhaltung der Konvention und der allgemeinen Menschenrechtsprinzipien ist es wichtig, klar zwischen Wirtschaftsmigranten und Flüchtlingen zu unterscheiden, d. h. Personen, die einen Schutzstatus (insbesondere Asyl oder subsidiären Schutz) benötigen.

3.2

Auch wenn es aus der Sicht der Betroffenen völlig verständlich ist, dass sie ihre Heimat verlassen und hoffen, im Ausland unter besseren wirtschaftlichen Bedingungen leben zu können, erfordern die derzeitige Situation und das gesellschaftliche Klima in den meisten Mitgliedstaaten diese deutliche Unterscheidung. Wirtschaftsmigranten müssen in ihre Herkunftsländer zurückkehren, wenn ihr Antrag auf einen Schutzstatus unbegründet ist. Der EU-Aktionsplan für die Rückkehr/Rückführung sowie das Handbuch zu diesem Thema sollten von den Mitgliedstaaten in den Fällen beachtet werden, in denen der Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde.

3.3

All dies erfordert ein gemeinsames europäisches Asylsystem mit einem wirksamen Schutz der Außengrenzen, einer angemessenen Registrierung in den sogenannten Hotspots, einer schnellen Bearbeitung von Asylanträgen und — falls kein internationaler Schutzstatus zuerkannt wird im Falle einer Ablehnung des Asylantrags — einer Rückführung in den Herkunftsstaat bzw. in einen Drittstaat, mit dem ein Rückübernahmeabkommen geschlossen wurde. Es könnte sich auch als wichtig und wirksam erweisen, Hotspots in an die EU angrenzenden Drittländern zu errichten und migrationspolitische Abkommen über die Registrierung und Beantragung von Asyl zu schließen.

3.4

Die Ereignisse in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 haben gezeigt, dass Drittstaatsangehörige, die nach Europa kommen, häufig falsche Erwartungen und überzogene Vorstellungen vom Leben in der EU haben, die gewöhnlich von den Schleusern geweckt werden. Konfrontiert mit der Realität zeigen sich diese Personen enttäuscht und entschließen sich mitunter zur freiwilligen Rückkehr. Im Rahmen eines Programms für die freiwillige Rückkehr könnten die betreffenden Rückkehrer dazu beitragen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihrer Heimatländer ein realistischeres Bild vom Leben in Europa erhalten, was einige von ihnen davon abhalten könnte, sich auf die gefährliche Reise nach Europa zu begeben.

3.5

Zur Entlastung des derzeitigen Asylsystems ist es nicht nur notwendig, für ein voll funktionsfähiges gemeinsames europäisches Asylsystem sowie für eine gerechte Verteilung der Verantwortlichkeiten und Kosten zu sorgen. Nötig sind außerdem rasch ein neues europäisches Migrationskonzept und eine tiefgreifende Reform der Dublin-Verordnung, um die kurz- und langfristigen Probleme zu bewältigen, wie von Präsident Juncker für das erste Quartal 2016 angekündigt. Der EWSA wird sich dazu in einer gesonderten Stellungnahme äußern.

3.6

In seiner im Dezember 2015 verabschiedeten Entschließung zu Flüchtlingen hat der EWSA betont, dass es die derzeitige Situation erforderlich macht, dass die EU sichere humanitäre Korridore für Flüchtlinge aus Ländern einrichtet, die von Krieg betroffen und durch Terrorismus bedroht sind, und dass dies in Zusammenarbeit mit den Ländern geschehen muss, in denen sich die meisten Flüchtlinge aufhalten. Der EWSA bekräftigt, dass das Registrierungsverfahren bereits außerhalb der EU stattfinden sollte.

3.7

Krieg, Klimawandel und fehlende Perspektiven in Drittstaaten können einen stetigen und sogar verstärkten Zustrom von Flüchtlingen und Migranten zur Folge haben. Die Begrenzung der Schubfaktoren der Migration ist grundsätzlich eine globale Herausforderung. Gegenstand dieser Stellungnahme ist jedoch ausschließlich die Integration von Personen, die einen Schutzstatus erhalten haben oder beantragen.

4.   Vergleichbarkeit mit früheren Flüchtlingsströmen?

4.1

Der niederländische Ratsvorsitz hat die Frage gestellt, welche Lehren für die Integration aus früheren Krisen gezogen werden können, die große Migrationsbewegungen hervorgerufen haben. Der EWSA ist zu dem Schluss gelangt, dass die derzeitige Flüchtlingskrise nicht mit früheren Krisen vergleichbar ist, und zwar einerseits hinsichtlich der Zahl der Migranten (über 900 000 Migranten gelangten 2015 über Griechenland in die EU) und andererseits hinsichtlich der Schnelligkeit der Entwicklung (die in der einheimischen Bevölkerung zu größerer Unsicherheit führt). Wenn man etwa den Fall Österreichs betrachtet, das Anfang der 90er-Jahre ca. 90 000 Flüchtlinge aufgenommen hat, die vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien flohen, erkennt man deutliche Unterschiede: Die Menschen aus Bosnien hatten häufig Verwandte in Österreich oder hatten dort bereits gearbeitet. Die im Herkunftsland erworbenen Qualifikationen hatten für österreichische Unternehmen einen unmittelbaren Wert, und es war üblich, dass Frauen uneingeschränkt am Arbeitsmarkt teilhaben. Dadurch erhöhten sich das Einkommen und die Mobilität von Familien, was die Bildung abgegrenzter Gebiete verhinderte und eine bessere soziale Durchmischung in den Schulen und auf dem Arbeitsmarkt begünstigte.

4.2

Die Erfahrungen, die in den 90er-Jahren gemacht wurden, sind mit der heutigen Situation nicht völlig vergleichbar. Heute haben die Migranten einen sehr heterogenen Hintergrund: Einige verfügen über Hochschuldiplome, die mit europäischen Abschlüssen gleichgesetzt werden können. Andere haben eine Bildung, die in Europa möglicherweise nicht von unmittelbarem Nutzen ist. Wieder andere sind kaum gebildet, und viele Frauen haben noch nie am Arbeitsmarkt teilgenommen. Darüber hinaus stehen die Bürger in den Aufnahmeländern, die noch unter den Nachwirkungen der Wirtschaftskrise leiden, den mit ihnen auf dem Arbeitsmarkt konkurrierenden Ausländern tendenziell reserviert gegenüber.

5.   Was ist Integration?

5.1

Dem UNHCR zufolge besteht kein Konsens bezüglich der Definition der Integration von Einwanderern im Kontext der Industrieländer; auch gibt es keine offizielle Definition im internationalen Flüchtlingsrecht. Viele Versuche von Regierungen und Wissenschaftlern zu definieren, wie Integration bzw. eine integrative Gesellschaft aussehen sollte, beruhen auf der allgemeinen Vorstellung von Integration als einem individuellen und wechselseitigen Prozess.

5.2

„Im Mittelpunkt der Definition des UNHCR steht das Konzept der Integration als ein auf Gegenseitigkeit beruhender Prozess, nämlich der ‚Anpassung‘ der einen Seite und der ‚Aufnahme‘ durch die andere. Erforderlich ist jedoch nicht, dass Flüchtlinge ihre kulturelle Identität aufgeben; insofern unterscheidet sich Integration von Assimilation“ (1). Diese Definition entspricht der Auffassung des EWSA (2).

5.3

Der EWSA betont, dass die Integration mit den im Vertrag verankerten Werten und Grundsätzen, der Grundrechtecharta, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Agenda Europa 2020 sowie mit den beschäftigungspolitischen Maßnahmen und der Sozialagenda verknüpft werden muss. Angesichts der in einigen gesellschaftlichen und politischen Kreisen Europas herrschenden Wertekrise misst der EWSA diesem Bezugssystem wesentliche Bedeutung bei. Integration und wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt sind zwei Seiten einer Medaille (3). Die Gewährleistung menschenwürdiger Lebensbedingungen und Perspektiven für alle wird die Akzeptanz von Integrationsmaßnahmen begünstigen.

5.4

Die gemeinsamen Grundprinzipien für die Integration (2004) und das Mittel für ihre Umsetzung, die gemeinsame Integrationsagenda (2005), bilden die Basis für die Ausgestaltung der Politik zur Integration von Migranten in der EU. Dieses Integrationskonzept umfasst folgende Aspekte:

einen wechselseitigen dynamischen Prozess,

die Achtung der Werte der EU,

Beschäftigung als entscheidenden Faktor für Integration und Partizipation,

Kenntnisse der Sprache, Geschichte und Institutionen der Aufnahmegesellschaft als Kernelemente einer erfolgreichen Integration,

Bildung als grundlegenden Faktor für aktive Teilhabe,

einen mit den Bürgerinnen und Bürgern des Aufnahmelands gleichberechtigten Zugang zu Institutionen, Waren und Dienstleistungen als grundlegenden Faktor für Integration,

Interaktion zwischen Migrantinnen und Migranten/Bürgerinnen und Bürgern,

Schutz unterschiedlicher kultureller und religiöser Praktiken,

Teilhabe am demokratischen Prozess,

bereichsübergreifende Berücksichtigung von Integrationsmaßnahmen,

klare Ziele, Indikatoren und Bewertungsverfahren zur Anpassung der Integrationspolitik.

5.5

Bei allen diesen Prinzipien wird zwar nicht zwischen der Integration von Migrantinnen und Migranten und der von Flüchtlingen unterschieden, doch sind sie nach Auffassung des EWSA auch grundlegend für die Integration von Flüchtlingen. Allerdings sind aufgrund der hohen Zahl von Menschen, die nach Europa kommen, zusätzliche Anstrengungen erforderlich, um Sprachausbildung, Unterkünfte und Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration bereitzustellen.

5.6

Zur Schaffung eines positiven Klimas für Flüchtlinge in den Aufnahmeländern — insbesondere angesichts eines voraussichtlich geringen Wirtschaftswachstums und einer angespannten Arbeitsmarktsituation in einigen Ländern — sollten Integrationsmaßnahmen und soziale Investitionen gleichermaßen auf Einheimische und Flüchtlinge abzielen und dabei den besonderen Bedürfnissen jeder Zielgruppe Rechnung tragen. Der EWSA hat bereits auf die Bedeutung der Verzahnung und allgemeinen Berücksichtigung sozialer Ziele im Bereich der Integration hingewiesen (4).

5.7

Der EWSA ist der Überzeugung, dass die Integration von Flüchtlingen unbedingt erforderlich für unsere Gesellschaften ist, wenn wir den sozialen Zusammenhalt bewahren wollen. Fehlende Integration kann zu Parallelgesellschaften führen, die die Aufnahmeländer destabilisieren könnten. Es ist deshalb in unserem eigenen Interesse, Integrationsmaßnahmen sehr frühzeitig einzuleiten. Die Medien sollten aufgefordert werden, die Bedeutung der Integration wie auch der Rolle anzuerkennen, die sie selbst bei der Schaffung eines positiven politischen und gesellschaftlichen Klimas spielen.

5.8

Die demografische Entwicklung in den meisten europäischen Ländern lässt einen Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter erkennen. Damit unsere Sozialsysteme für künftige Generationen tragfähig bleiben, muss die Arbeitsmarktintegration aller Erwerbsfähigen — ungeachtet ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer körperlichen Fähigkeiten, ihres Glaubens, ihrer sexuellen Ausrichtung oder ihrer (ethnischen) Herkunft — zu einer Priorität werden. Investitionen in Integrationsmaßnahmen sind zwar kurz- und mittelfristig kostspielig, sollten aber als Investitionen in Menschen gesehen werden, die sich langfristig rentieren. Eine erfolgreiche Integration führt zu sozialem Zusammenhalt, wirtschaftlichem Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.

5.9

Eine entscheidende Rolle bei der Integration kommt der lokalen Ebene zu, wo die Menschen zusammenleben und ein Mangel an Integration zuerst zutage tritt. Die Gemeinden sollten Hilfestellungen und Hinweise zu gut funktionierenden Integrationsmaßnahmen erhalten, z. B. die Einladung an Flüchtlinge, in Freiwilligenorganisationen (z. B. Gewerkschaften, NRO, Feuerwehr- oder Sportvereinen) mitzuarbeiten.

5.10

Die Europäische Kommission bietet auf einer Internetseite zum Thema Integration (5) eine Fülle einschlägiger Informationen und Beispiele. Mittels einer Reihe von Suchkriterien (Land, Integrationsbereich, Zielgruppe usw.) können Beispiele für bewährte Methoden gefunden werden. Diese Internetseite sollte bekannter gemacht werden, um Mitgliedstaaten, lokale Gebietskörperschaften, Nichtregierungsorganisationen und Sozialpartner Ideen für Integrationsmaßnahmen zu liefern.

5.11

Gemäß einem Vorschlag des EWSA wurde bereits eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, dem EWSA und der Europäischen Kommission im Rahmen des Europäischen Migrationsforums eingeleitet, das sich mit sämtlichen Fragen der Migration, des Asyls und der Integration auseinandersetzt. Darüber hinaus könnte es nützlich sein, das Mandat des beratenden Ausschusses für die Freizügigkeit von Personen auf die Integration von Flüchtlingen auszuweiten, da Regierungen in diesem Forum mit Sozialpartnern diskutieren und Meinungen austauschen. Dieser Ausschuss könnte zusätzliche Gelegenheiten für den Austausch bewährter Methoden bieten.

6.   Integrationsmaßnahmen

6.1

Asylsuchende, die in Europa nach einer (zumeist) erschöpfenden und oft traumatisierenden Reise ankommen, brauchen zuerst einmal einen Platz, wo sie unterkommen und sich ausruhen können. Diese Zeit sollte von den Behörden genutzt werden, um sie ordnungsgemäß zu registrieren und eine erste Prüfung vorzunehmen, ob sie eine Chance haben, als Flüchtling anerkannt zu werden. In solchen Fällen sollten sehr frühzeitig Integrationsmaßnahmen eingeleitet werden. Aktuellen Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge brauchen Flüchtlinge, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, eine besondere medizinische Versorgung, da es sich bei diesen Störungen häufig um ein wichtiges Integrationshindernis handelt.

6.2

Integration ist zumindest ohne Grundkenntnisse der Sprache des Aufnahmelands nicht denkbar. Deshalb sollte der Sprachunterricht während des Asylverfahrens so früh wie möglich beginnen. Das erfordert die Schaffung neuer Strukturen sowie ein besseres Management der Zwischenebenen, um die große Zahl der Asylsuchenden bewältigen zu können. Sprachkurse sollten auch dazu dienen, die Asylsuchenden mit den Werten (z. B. Gleichstellung von Frauen und Männern, Meinungsfreiheit, Verbot häuslicher Gewalt) und der Kultur des Aufnahmelands vertraut zu machen. Diese Kurse können auch dazu genutzt werden, Asylsuchenden grundlegende Informationen über Organisationen und Institutionen sowie Ansprechpartner, die bei Problemen helfen können, zu bieten. Asylbewerber kommen häufig aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen. Handlungen, die aus der Unkenntnis der Grundwerte, Rechte und Pflichten des jeweiligen Aufnahmelands resultieren, können die Integration beeinträchtigen.

6.3

Flüchtlingskinder sollten so schnell wie möglich gemeinsam mit den Kindern vor Ort zur Schule gehen und beim Erwerb der Landessprache unterstützt werden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen (vor allem unbegleitete) Minderjährige, die oft traumatisiert sind. Wenn sie (aufgrund ihres Alters) nicht mehr zur Schule gehen dürfen, sind entsprechende Angebote für diese Zielgruppe erforderlich, die dazu dienen, Frustration vorzubeugen. Die Mitgliedstaaten sollten den besonderen Bedürfnissen traumatisierter Kinder und unbegleiteter Minderjähriger Rechnung tragen und ihnen sozialpädagogische Unterstützung anbieten (z. B. versucht die Stadt Wien im Rahmen bestehender Programme, unbegleitete Kinder in Pflegefamilien unterzubringen).

6.4

Die frühzeitige Prüfung und Klassifizierung von Zeugnissen, Kompetenzen und Qualifikationen ist für eine zügige Eingliederung in den Arbeitsmarkt von wesentlicher Bedeutung. Schon zu Beginn des Asylverfahrens sollten die beruflichen Fähigkeiten und Qualifikationen der Asylsuchenden mithilfe von Arbeitsmarktexperten ermittelt werden. Es handelt sich um unerlässliche Aspekte für eine gezielte Sprachförderung, die Initiierung eines Ausbildungskurses, die Anerkennung von Berufsqualifikationen, die Bereitstellung der erforderlichen sekundären Qualifikationen und die wirksame Vermittlung angemessener Arbeitsplätze. Die Feststellung von Qualifikationen kann jedoch ein sehr schwieriger Prozess sein. Viele Flüchtlinge haben noch nicht einmal ihre persönlichen Dokumente bei sich, geschweige denn Bescheinigungen und Zeugnisse zum Nachweis ihres Qualifikationsniveaus. Mehrere Länder (z. B. Deutschland und Österreich) entwickeln derzeit unterschiedliche Methoden zur Prüfung von Fertigkeiten und Kompetenzen. Das Cedefop könnte eine Plattform für gegenseitiges Lernen und den Austausch bewährter Verfahren in diesem Bereich bereitstellen.

6.5

Asylverfahren dauern oft sehr lange, was für Asylbewerber eine Situation der Unsicherheit schafft. Lange Phasen, in denen die Asylsuchenden nicht in der Lage sind, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, können psychosozialer Instabilität, einem Verlust an Selbstvertrauen und Abhängigkeitssyndromen Vorschub leisten, was wiederum die Beschäftigungschancen verringert, auch wenn die Anerkennung als Flüchtling erfolgt ist. Kinder sind noch stärker betroffen, da sie ein stabiles Umfeld benötigen. Der EWSA fordert deshalb die Mitgliedstaaten auf, Asylentscheidungen so schnell wie möglich zu treffen. Gemäß einem Bericht (6) der OECD über die Förderung der Integration von Asylbewerbern sind die Asylverfahren in Griechenland, Belgien und Dänemark am kürzesten und umfassen Sprachunterricht in Verbindung mit Erwachsenen- und Berufsbildung.

6.6

Mit Blick auf das voraussichtliche Wirtschaftswachstum und die Arbeitsmarktsituation können die Länder Maßnahmen ergreifen, um die Wartefrist für den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verringern. Deutschland und Ungarn haben bereits die Wartefrist für den Zugang zum Arbeitsmarkt verringert, während Finnland, Belgien und Luxemburg erste Schritte in diese Richtung unternommen haben. Gerechte, transparente und angemessene Vorschriften über den Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber verhindern die illegale Beschäftigung und fördern die Akzeptanz seitens der Einheimischen. Gleichzeitig sollten Menschen mit Schutzstatus auch die Perspektive erhalten, im Aufnahmeland zu bleiben, wenn sie in den Arbeitsmarkt oder die Gesellschaft des Aufnahmelands integriert sind. Asylbewerber sollten darauf hingewiesen werden, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt davon abhängt, in welchem Land sie ihren Asylantrag gestellt haben. Einige, denen dies nicht bekannt ist, reisen in andere Mitgliedstaaten in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden. Dies ist allerdings nicht rechtmäßig und könnte durch korrekte Informationen einfach vermieden werden.

6.7

Die Unterbringung spielt für die Integration eine sehr wichtige Rolle: Aufnahmezentren bieten zwar zunächst den nötigen Platz zum Ausruhen (und dies oft für einen längeren Zeitraum als eigentlich geplant), längere Aufenthalte dort erschweren aber die Integration. In Österreich wurde das Projekt „Kosmopolis“ für Privatunterkünfte ins Leben gerufen. In Neubausiedlungen sind einige Wohnungen Flüchtlingen vorbehalten, die bereits einer Beschäftigung nachgehen. Um Missverständnissen zwischen Flüchtlingen und der lokalen Bevölkerung vorzubeugen, wurde in der Nähe eine Informationsstelle eingerichtet. In Portugal hat eine Vereinbarung zwischen der Stadt Lissabon und portugiesischen Nichtregierungsorganisationen die Bereitstellung von Wohnraum für Flüchtlinge und den Zugang zu städtischen Diensten für die allgemeine und berufliche Bildung und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglicht (7).

6.8

Nach einer positiven Asylentscheidung müssen die Flüchtlinge selbst eine Wohnung finden. Dieser Zeitraum erweist sich oft als äußerst schwierig, weil nun die anfängliche staatliche Unterstützung endet und die Flüchtlinge auf die gleiche Weise einen Arbeitsplatz finden müssen wie die Bürger des Aufnahmelands.

6.9

In diesem Zusammenhang spielen öffentliche Arbeitsverwaltungen eine besondere Rolle. Sie sollten in erster Linie ihre Aufgabe, für eine dauerhafte Beschäftigung zu sorgen, aktiv erfüllen. Sie müssen aber auch entscheiden, welche Zusatzqualifikationen Flüchtlinge benötigen dürften, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Es ist zu betonen und zu berücksichtigen, dass selbst nach vier Jahren Aufenthalt nur 25 % der Flüchtlinge Arbeit haben, und bis zum zehnten Jahr sind es nur rund die Hälfte (8). Mit jedem einzelnen Flüchtling könnte ein individueller Integrationsvertrag geschlossen werden, der die zu ergreifenden Maßnahmen umfasst (zusätzliche Ausbildung, Zahl der Bewerbungen usw.). Ziel wäre die vollständige Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Der EWSA betont, dass Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt genauso behandelt werden müssen wie Einheimische, um unfairen Wettbewerb sowie Sozial- und Lohndumping zu vermeiden. Wenn ein Flüchtling zunächst keine Möglichkeit hat, innerhalb angemessener Zeit einen Arbeitsplatz zu finden, könnte die Ausübung einer gemeinnützigen Tätigkeit eine gute Alternative sein. Damit könnten der Spracherwerb und die gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen unterstützt werden.

6.10

Ein gutes Beispiel ist Deutschland, wo kürzlich beschlossen wurde, einen speziellen Personalausweis an Asylbewerber auszugeben. Nach der Erstregistrierung ist der Ausweis das wesentliche und verpflichtende Dokument zur Identifizierung, das mit einer zentralen Datenbank verknüpft ist, die Informationen über Bildungsgrad und Berufserfahrung der betreffenden Personen umfasst.

6.11

Unter den Flüchtlingen sowie der einheimischen Bevölkerung gibt es Menschen mit unternehmerischen Interessen und Kompetenzen. Sie sollten Informationen und Ratschläge zu der Frage erhalten, wie man ein Unternehmen gründet und Unternehmer wird.

6.12

In Deutschland und der Slowakei wird gegenwärtig darüber diskutiert, wie hochqualifizierte Flüchtlinge in Berufen, in denen ein Arbeitskräftemangel herrscht, im Schnellverfahren Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten könnten.

6.13

Flüchtlinge benötigen Informationen über den Arbeitsmarkt im Allgemeinen, Berufsausbildungsangebote und freie Stellen. Viele Flüchtlinge sind im klassischen Ausbildungsalter (zwischen 16 und 25 Jahren). Deshalb sind grundlegende Informationen und Vorbereitungskurse für verschiedene Berufe notwendig, bevor die eigentliche Ausbildung beginnen kann. In Deutschland haben die Industrie- und Handelskammern Initiativen zur Stellenvermittlung ergriffen, z. B. Bewerbungsgespräche im Stil von „Speed-Datings“. Die deutschen IHK unterstützen Unternehmen bei der Qualifizierung und Ausbildung von Flüchtlingen im Rahmen von Ausbildungspakten. Sie versuchen auch, freiwillige Unterstützer zu finden, die sich um Flüchtlinge und Unternehmen kümmern und beide Seiten beraten. Außerdem helfen die IHK Flüchtlingen bei der Unternehmensgründung.

6.14

In Österreich ist ein Projekt angelaufen, das zum Ziel hat, mit Hilfe öffentlicher Arbeitsverwaltungen und Betreuer jungen Flüchtlingen offene Lehrstellen zuzuweisen. Der Unterzeichnung eines formellen Lehrvertrags kann ein Praktikum vorausgehen. Darüber hinaus haben die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) das Projekt „Diversität als Chance“ ins Leben gerufen und 50 zwischen 15 und 17 Jahre alten unbegleiteten Flüchtlingen Lehrstellen angeboten.

6.15

Zur Erleichterung der Integration hochqualifizierter Migrantinnen und Migranten hat die Wirtschaftskammer Österreich das Programm „Mentoring für MigrantInnen“ entwickelt, das auf hochqualifizierte Flüchtlinge ausgeweitet wurde. Mentoren sind Personen, die in den österreichischen Arbeitsmarkt gut integriert sind und Migranten während der Arbeitssuche durch Informationen oder gar den Zugang zu eigenen beruflichen Kontakten unterstützen. Dieses Programm trägt auch dazu bei, kulturellen Missverständnissen vorzubeugen.

6.16

In einigen Mitgliedstaaten kümmern sich „Refugee Buddies“ um Flüchtlinge. Sie engagieren sich ehrenamtlich in unterschiedlichen Organisationen und kommen regelmäßig mit einem bestimmten Flüchtling zusammen, um eine persönliche Beziehung aufzubauen. Dies ist umso wichtiger, als eine Vielzahl von Flüchtlingen unbegleitete Minderjährige sind, die ihre Familien zurückgelassen haben. Diese ehrenamtlichen Betreuer haben auch die Aufgabe, das Bild, das die Öffentlichkeit in ihrem Heimatland von Flüchtlingen hat, zu verbessern.

6.17

Organisationen der Sozialpartner haben in einigen Mitgliedstaaten (z. B. Spanien, Frankreich, Deutschland, der Tschechischen Republik und Österreich) ihre Regierungen aufgefordert, sich wirksamer für die Integration von Flüchtlingen einzusetzen. In Spanien wurde in den jährlichen Beschäftigungsplan eine zusätzliche Maßnahme speziell zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen aufgenommen.

6.18

In Dänemark wird ein „Treppenmodell“ für die Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt genutzt: Auf der ersten Stufe (4-8 Wochen) werden die Kompetenzen eines Flüchtlings bestimmt und Dänischkenntnisse vermittelt. Auf der zweiten Stufe (26-52 Wochen) wird der/die Auszubildende in einem Unternehmen untergebracht (ohne Kosten für den Arbeitgeber) und erhält zusätzlichen Dänischunterricht. Danach sind die Flüchtlinge bereit, eine Arbeit auszuüben, für die ein Lohnzuschuss gewährt wird. Eine wirksame Umsetzung solcher Modelle sollte zur Schaffung zusätzlicher Beschäftigungsmöglichkeiten beitragen und die Verdrängung einheimischer Arbeitnehmer („Drehtüreffekt“) verhindern.

6.19

Zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs müssen die Arbeitsbedingungen (u. a. die Löhne) ungeachtet der Nationalität oder des Status eines Arbeitnehmers („Lex loci laboris“) voll und ganz geachtet werden. Um dies zu erreichen, müssen die Mitgliedstaaten für wirksame Maßnahmen, Mechanismen und Verwaltungskapazitäten sorgen. Gewerkschaften unterstützen Flüchtlinge oder Arbeitsmigranten ohne Papiere bei der Wahrnehmung ihrer Rechte („École des solidarités“ in Belgien, „UNDOK“ in Österreich).

7.   Finanzierung der Integration von Flüchtlingen

7.1

Der EWSA weist darauf hin, dass jede Maßnahme angemessen finanziell ausgestattet sein muss, um eine nachhaltig positive Wirkung in unseren Gesellschaften zu entfalten. Zum nachhaltigen Gelingen der Integration von Flüchtlingen sind im Rahmen des Juncker-Plans und darüber hinaus verstärkte Anstrengungen bei Investitionen zur Förderung des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung erforderlich. Zusätzliche Investitionen in Integrationsmaßnahmen und soziale Investitionen sollten Einheimischen und Flüchtlingen gleichermaßen zugutekommen und dabei den besonderen Bedürfnissen jeder Zielgruppe Rechnung tragen. Der EWSA hat festgestellt, dass sich eine Finanztransaktionssteuer positiv auf die öffentlichen Finanzen auswirken kann, indem sie einen gerechteren Beitrag des Finanzsektors gewährleistet. Wegen der außergewöhnlichen Umstände und im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt sollten die zusätzlichen Kosten für die Aufnahme von Flüchtlingen nach eingehender Prüfung nicht in die Berechnung der öffentlichen Defizite der Mitgliedstaaten einfließen (9).

7.2

Die Mitgliedstaaten der Erstaufnahme, z. B. Italien, Malta, Spanien und Griechenland, sollten eine unmittelbare finanzielle Unterstützung für jeden Flüchtling oder Migranten erhalten, damit sie die Asylanträge ordnungsgemäß und zügig bearbeiten oder aber Vorkehrungen für die Rückführung treffen können, falls die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl nicht erfüllt sind. Mitgliedstaaten, die die Aufgabe übernehmen, mehr Flüchtlinge gesellschaftlich zu integrieren als vom Subsidiaritätsprinzip her erforderlich ist, sollten auf die finanzielle Unterstützung durch die EU zählen können.

7.3

Die Mittel aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) sollten aufgestockt werden, um eine bessere Beteiligung der Mitgliedstaaten bei der Finanzierung der Integration von Flüchtlingen zu erreichen, insbesondere im Falle von Programmen, die von lokalen Gebietskörperschaften und Nichtregierungsorganisationen durchgeführt werden. Der Europäische Sozialfonds sollte ggf. zusätzliche Mittel bereitstellen, um die soziale Integration von Flüchtlingen, die Gleichstellung von Frauen, die Unterstützung von Unternehmen und die Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, was den Dialog und die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern erfordert. Darüber hinaus sollten aus dem Fonds für regionale Entwicklung zusätzliche Ressourcen für die städtischen Gebiete bereitgestellt werden, die Maßnahmen zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen umsetzen.

7.4

In Zusammenarbeit mit dem UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration sollte untersucht werden, inwieweit eine internationale Kooperation bei der Finanzierung der Integration von Flüchtlingen möglich ist.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  A new beginning — Refugee integration in Europe (2013) („Ein neuer Anfang — Integration von Flüchtlingen in Europa“ — Anm. d. Übers. Text liegt nicht auf Deutsch vor; eigene Übersetzung).

(2)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 131 und ABl. C 347 vom 18.12.2010, S. 19.

(3)  Informationsbericht zum Thema Die neuen Herausforderungen auf dem Gebiet der Integration, Berichterstatter: Luis Miguel PARIZA CASTAÑOS.

(4)  ABl. C 347 vom 18.12.2010, S. 19.

(5)  https://ec.europa.eu/migrant-integration/home.

(6)  Making Integration Work, 28.1.2016, OECD.

(7)  Approaches towards the labour market integration of refugees in the EU, 7.1.2016, EurWORK.

(8)  Siehe Fußnote 6.

(9)  Erklärung des EWSA zu Flüchtlingen.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Externe Dimension der EU-Energiepolitik“

(2016/C 264/04)

Berichterstatter:

Vitas MAČIULIS

Der EU-Ratsvorsitz beschloss am 16. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Externe Dimension der EU-Energiepolitik“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 19. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 28. April 2016) mit 143 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen: Hin zu einer konsolidierten und belastbaren externen Energiepolitik der EU

1.1

Energie ist integraler Bestandteil der internationalen Politik und steht derzeit ganz oben auf der Agenda der EU. Da einige internationale Akteure versuchen, Energie als Hebel für das Erreichen politischer Ziele zu nutzen, ist es im Interesse der EU-Bürger, dass die EU bei Energiefragen wachsam bleibt.

1.1.1

Für die externe Energiedimension sind drei Faktoren ausschlaggebend: Diversifizierung, „mit einer Stimme sprechen“ und ein gut ausgebautes internes Energiesystem.

1.2

Die Diversifizierung der Energiequellen, -lieferanten und -versorgungswege der EU ist von wesentlicher Bedeutung für die externe Energiepolitik. Wie in der Strategie für die Energieunion der EU betont wird, besteht eine entscheidende Herausforderung für die EU darin, dass mehr als die Hälfte der verbrauchten Energie aus Importen stammt, die durch einschlägige handelspolitische Maßnahmen gesichert werden müssen.

1.2.1

Der Kreis der Energieimportpartner muss durch die ständige Ausschau nach und den Dialog mit neuen, zuverlässigen und berechenbaren Energielieferanten erweitert werden.

1.2.2

Neue große Infrastrukturprojekte, die zur Verwirklichung der Diversifizierungsziele beitragen, sollten die Ziele der Strategie für die Energieunion erfüllen und in Einklang mit dem Besitzstand der EU stehen. Außerdem sollten sie voll und ganz dem Ziel entsprechen, ein dezentrales Energiesystem aufzubauen, bei dem den erneuerbaren Energieträgern eine entscheidende Rolle zukommt.

1.2.3

Über die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Vertretern der Privatwirtschaft und der Politik sollten die am besten geeigneten Verfahrensweisen und Partner für die Entwicklung der externen Energiedimension ermittelt werden. Dabei sind immer die Ziele Energiesicherheit und Nachhaltigkeit zu berücksichtigen.

1.3

Trotz unterschiedlicher Energiemixe, Energieimportstrukturen und traditioneller Energiehandelspartner muss stets „mit einer Stimme gesprochen“ werden. Ein gemeinsamer interner Standpunkt der EU ist für eine starke externe Dimension von entscheidender Bedeutung.

1.3.1

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, ihre individuellen Energieinteressen abzustimmen und untereinander Solidarität und Transparenz zu wahren.

1.3.2

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission vom 16. Februar 2016, mit dem der derzeitige Mechanismus für den Informationsaustausch über zwischenstaatliche Abkommen und nicht verbindliche Instrumente verstärkt wird.

1.3.3

Gemeinsame Umweltstandards und nukleare Sicherheitsstandards bei Energieprojekten in den Nachbarstaaten der EU sollten ein wichtiger Aspekt der Energieaußenpolitik der EU sein. Der Energiebezug aus Ländern, die diese Standards nicht einhalten, sollte begrenzt werden.

1.4

Maßgebliche Voraussetzung für die Abfederung externer Einflüsse ist ein stabiles internes Energiesystem: Ein zentraler Aspekt der Energieunion ist die Schaffung eines voll funktionsfähigen und transparenten Energiebinnenmarkts der EU. Dies würde sich unmittelbar in einem effizienteren Ansatz in Energieaußenfragen niederschlagen.

1.4.1

Die notwendigen Elemente der Energieinfrastruktur müssen errichtet werden, um die Einfuhr von Energieressourcen in die EU zu verbessern und zu rationalisieren.

1.4.2

Der EWSA betont, dass die Energienetze und -systeme aller Mitgliedstaaten vollständig in den Binnenmarkt der EU integriert und synchronisiert werden müssen.

1.4.3

Die Wettbewerbsfähigkeit der Energieerzeuger in der EU muss gesichert werden, indem zwischen europäischen und nichteuropäischen Energieerzeugern gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden.

1.4.4

Der EWSA fordert, bei der Konzeption und Durchführung der externen Energiepolitik der EU zu berücksichtigen, dass die europäische Industrie und insbesondere die energieintensiven Branchen auf eine wettbewerbsfähige, stabile und vorausplanbare Energieversorgung angewiesen sind, um unter gleichen Ausgangsbedingungen im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.

1.5

Eine zukunftsfähige Energiepolitik, die der Verwirklichung der Energieaußenziele der EU dient, zumal mit Blick auf das Übereinkommen von Paris (COP 21), sollte in erster Linie auf einer systematischen Berücksichtigung der Ziele der europäischen Klimapolitik und der Gesamtbemühungen der internationalen Gemeinschaft um eine Begrenzung der klimatischen Störungen gründen, insbesondere mittels der Entwicklung dreier Schlüsselelemente: erneuerbare Energien, Energieeffizienz sowie Forschung und Entwicklung.

1.5.1

Erneuerbare Energieträger tragen entscheidend zur Erhöhung der Energiesicherheit und Verringerung der Einfuhrabhängigkeit bei.

1.5.2

Die EU sollte alles daransetzen, ihre führende Rolle auf diesem Gebiet beizubehalten.

1.5.3

Energieeffizienz ist einer der Eckpfeiler der Maßnahmen, mit denen der Energieverbrauch der EU reduziert und folglich die Energieeinfuhren verringert werden sollen. Deshalb ist die Senkung der Energieausgaben privater und kommerzieller Verbraucher von wesentlicher Bedeutung.

1.6

Für Forschung und Entwicklung müssen angemessene Mittel bereitgestellt werden, um die Effizienz der Energieerzeugung zu verbessern und ihre Kosten zu senken. Die internationale Zusammenarbeit ist in diesem Zusammenhang zweifellos ebenfalls wichtig.

1.7

Da Energie für die Verbraucher erschwinglich und der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie förderlich sein sollte, fordert der EWSA die Kommission und die nationalen Regierungen zu einer umfassenden Einbindung der Zivilgesellschaft, Sozialpartner und Verbraucherorganisationen auf. Er plädiert aus diesem Grund für die Einrichtung eines europäischen Energiedialogs und eines europäischen Energieforums unter Einbeziehung aller Interessenträger. Dies ist grundlegende Voraussetzung für eine intelligente, effiziente und nachhaltige Energieaußenpolitik der EU.

1.7.1

Der EWSA muss seine international ausgerichteten Arbeitsorgane und Arbeitsgruppen mobilisieren, um eine aktive Rolle bei der Gestaltung einer effizienten und belastbaren EU-Energieaußenpolitik zu übernehmen.

2.   Hintergrund

2.1

Energiefragen haben erst in der jüngeren Vergangenheit in den strategischen Debatten der EU an Bedeutung gewonnen, stehen aber mittlerweile ganz oben auf der Agenda der Europäischen Kommission. Auch der EWSA befasst sich mit der Energieaußendimension und hat sich dazu bereits in verschiedenen Stellungnahmen geäußert (1).

2.2

Angesichts der zunehmenden Abhängigkeit der EU von Energieeinfuhren, insbesondere Erdöl und Erdgas, kommt der externen Dimension der EU-Energiepolitik bei der Stärkung der Energieversorgungssicherheit zentrale Bedeutung zu.

2.2.1

Mehr als die Hälfte (53,2 %) des Bruttoinlandenergieverbrauchs der EU stammt aus Importen. Die EU importiert 44,2 % der festen Brennstoffe (davon ist mehr als die Hälfte Steinkohle), 87,4 % des Erdöls und der Erdölprodukte und 65,3 % des Erdgases (Eurostat, 2013).

2.2.2

An diesen Zahlen wird deutlich, in welchem Umfang die EU vom Handel mit Lieferanten aus Drittstaaten abhängig ist. Erweist sich der Lieferant als unzuverlässig oder unberechenbar oder werden die Infrastrukturen nicht angemessen instand gehalten, könnte dies deshalb die Energiesicherheit der gesamten EU ernsthaft gefährden.

3.   Bedeutung der Diversifizierung in den Energieaußenbeziehungen

3.1

Der EWSA sollte neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit suchen und bestehende Energiepartnerschaften mit Drittländern stärken, um Energiequellen, -lieferanten und -versorgungswege zu diversifizieren.

3.2

Russland wird aller Voraussicht nach in der nahen Zukunft der wichtigste Partner der EU bei Energieeinfuhren bleiben, vor allem für Pipeline-Gas.

3.2.1

Russland hat ein vorrangiges Interesse daran, seine vorteilhafte Position auf dem Energiemarkt der EU, seinem größten Ausfuhrbestimmungsort und einem sehr verlässlichen Kunden, zumindest zu wahren.

3.2.2

Das Pipelineprojekt Nord Stream II ist derzeit ein zentrales Thema auf der Energieagenda Russlands und hat die Erhöhung der Erdgasausfuhren in die EU zum Ziel. In der EU wurden Bedenken geäußert, ob dieses Projekt im Widerspruch zur EU-Strategie für die Energieunion zur Diversifizierung der Gasversorgung stehen könnte. Der EWSA sieht es als wichtigste Aufgabe der Kommission an, das Nord-Stream-II-Projekt und seine Übereinstimmung mit dem Besitzstand der EU, einschließlich des dritten Energiepakets, sowie mit den Zielen der Strategie für die Energieunion, insbesondere der Diversifizierung der Energiequellen, -lieferanten und -versorgungswege, sorgfältig zu bewerten.

3.2.3

Die Interessen aller Mitgliedstaaten müssen bei der Festlegung eines gemeinsamen Standpunkts der EU zum Nord-Stream-II-Projekt berücksichtigt werden. Die kommerziellen Aspekte des Projekts sollten nicht alleiniges Entscheidungskriterium sein, zumal Russland dazu neigt, Energie als geopolitischen Hebel anzusetzen.

3.3

Norwegen ist auf der internationalen Bühne ein zuverlässiger Partner der EU, der die gleichen politischen Prioritäten hat, auch im Energiesektor. Als Unterzeichnerstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist Norwegen Teil des EU-Binnenmarkts.

3.3.1

Die Bedeutung der Nördlichen Dimension wird voraussichtlich zunehmen, ebenso wie die Zusammenarbeit in den nördlichen Regionen hinsichtlich der Erdöl- und Erdgasvorkommen im Arktischen Ozean wichtiger werden wird. Besonderes Augenmerk sollte indes der ökologischen Sensibilität gelten, vor allem dann, wenn Unternehmen die potenziellen Ressourcen in dieser Region ernsthaft zu erschließen beginnen.

3.4

Die Energiezusammenarbeit der EU mit ihren Partnern im südlichen und östlichen Mittelmeerraum hat durch die kürzlich erfolgte Einrichtung regionaler Plattformen für Gas, Strom, erneuerbare Energien und Energieeffizienz neue Impulse bekommen. Diese Plattformen sollen eine wichtige Rolle bei der Erleichterung und Verbesserung der Zusammenarbeit im Energiebereich spielen.

3.5

Da die Europäische Union Zentralasien als Region von strategischer Bedeutung mit umfangreichen Energieressourcen betrachtet, hat sie sich für die Herstellung dauerhafter und stabiler Beziehungen zu den zentralasiatischen Ländern eingesetzt. Wie es in den Schlussfolgerungen des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ vom 22. Juni 2015 zur Strategie der EU für Zentralasien heißt, sollten die energiepolitischen Bindungen ausgebaut werden, was zur beiderseitigen Energiesicherheit beitragen würde.

3.6

Die Verbindung zwischen der Kaspischen Region und dem EU-Markt über den Südlichen Gaskorridor eröffnet neue Möglichkeiten für den Erdgashandel und trägt zum Diversifizierungsziel der EU bei. Die Transanatolische Pipeline (TANAP) wird neben der Transadriatischen Pipeline (TAP) ein zentraler Teil des Verbundnetzes sein.

3.7

Die energiepolitischen Beziehungen zu den USA nehmen auf der Agenda der EU einen immer wichtigeren Platz ein, wie dies im Energierat EU-USA zum Ausdruck kommt. In den USA sind die Erdgaspreise infolge der Förderung von nicht-konventionellem Erdgas derzeit niedrig. Die EU sollte die Gelegenheit nutzen, um die Entwicklung des transatlantischen Handels mit Flüssigerdgas (LNG) als wichtigen Beitrag zur Diversifizierung der Energieversorgung zu fördern.

3.7.1

Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) könnte zu einem entscheidenden Instrument zur Förderung von u. a. der transatlantischen Energiesicherheit werden. Der EWSA fordert die Parteien auf, alles daranzusetzen, dass Energiefragen in dem Abkommen gebührende Aufmerksamkeit zukommt.

3.8

Die Energiesicherheit der EU ist eng mit der Energiepolitik ihrer Nachbarstaaten verbunden, die EU sollte daher weiterhin eng mit ihren Nachbarn zusammenarbeiten und die für beide Seiten nutzbringende Kooperation ausweiten.

3.8.1

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Energiegemeinschaft weiter zu stärken, insbesondere durch die Ausdehnung des EU-Besitzstands im Energiebereich auf die Vertragsparteien (2).

3.8.2

Hauptziel der Energiegemeinschaft ist der Ausbau des Energiebinnenmarkts der EU. Die EU muss die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten und ihren Zivilgesellschaften weiterhin mit dem Ziel verstärken, einen echten europaweiten Energiemarkt zu schaffen. Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine überarbeitete Verordnung zur Gasversorgungssicherheit unter unmittelbarer Einbeziehung der Vertragsparteien der Energiegemeinschaft.

3.9

Nach der Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen den Iran muss die EU die Gelegenheit nutzen und die energiepolitischen Beziehungen wiederbeleben, da der Iran eine Rolle bei der Diversifizierung der Energieversorgung der EU spielen kann.

3.10

Die EU sollte auch ihre Bemühungen um stabile Partnerschaften mit so unterschiedlichen, jedoch wichtigen Drittstaaten wie Kanada, der Türkei und Algerien beschleunigen und verstärken. Der EWSA begrüßt die Einleitung von Energiedialogen auf hoher Ebene mit diesen Ländern im Jahr 2015.

3.11

Die Energiedimension sollte in Handelsabkommen mit Drittländern gebührend berücksichtigt werden. Ferner müssen bei Energieabkommen mit Lieferanten aus Drittstaaten die EU-Rechtsvorschriften und die Grundsätze der EU zur Energiesicherheit vollständig gewahrt werden.

4.   Die Bedeutung, „mit einer Stimme zu sprechen“, und ein einheitlicher Ansatz in Energiefragen

4.1

Am 20. Juli 2015 nahm der Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ den Aktionsplan für die Energiediplomatie an, um die externe Dimension der Strategie für die Energieunion zu unterstützen. Ziel des Plans ist es, gemeinsame Botschaften und die Fähigkeit der EU, in wichtigen Energiefragen mit einer Stimme zu sprechen, zu stärken und die energiepolitischen Ziele im Geiste der Solidarität und des gemeinsamen Interesses zu erreichen, anstatt die Energiepolitik zu renationalisieren.

4.1.1

Zu den wichtigsten Dimensionen des Energiediplomatie-Aktionsplans gehören diplomatische Unterstützung für die Diversifizierung der Energiequellen, -lieferanten und -versorgungswege, die Verstärkung der Zusammenarbeit mit Transitländern (vor allem mit der Ukraine) und wichtigen Energiepartnern in Drittstaaten, eine Stärkung der Energiegemeinschaft und die Aufrechterhaltung des strategischen Engagements der EU bei energiebezogenen multilateralen Initiativen.

4.2

Ein Mechanismus für den Informationsaustausch über zwischenstaatliche Abkommen wurde mit Annahme eines Beschlusses durch das Parlament und den Rat am 25. Oktober 2012 eingerichtet, um Rechtsklarheit und Transparenz der Abkommen sowie ihre vollständige Übereinstimmung mit dem EU-Recht zu gewährleisten. Im Februar 2016 legte die Kommission einen Vorschlag zur Stärkung des bestehenden Mechanismus vor.

4.2.1

Der EWSA begrüßt die Bemühungen, bei den Abkommen der EU mit Drittstaaten für die Einhaltung der Binnenmarktvorschriften und für Transparenz zu sorgen (3), und befürwortet daher die Stärkung des derzeitigen Mechanismus für den Informationsaustausch.

4.3

Die EU sollte sich weiterhin für die Förderung und ständige Verbesserung von Umweltstandards und nuklearen Sicherheitsstandards in Drittstaaten engagieren.

4.3.1

Besondere Aufmerksamkeit muss den Kernkraftwerken gelten, die von Drittstaaten in der Nähe der EU-Grenzen errichtet werden (beispielsweise das Kernkraftwerk in Astraviec in Belarus, bei dem die Bestimmungen des Übereinkommens von Espoo nicht eingehalten wurden). Die EU sollte gegenüber Drittstaaten unterstreichen, dass die umfassende Sicherheit dieser Projekte in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen über nukleare Sicherheit der IAEO und anderen einschlägigen internationalen Abkommen gewährleistet werden muss. Die Kommission sollte sich verstärkt darum bemühen, sicherzustellen, dass Länder, die der kerntechnischen Risiko- und Sicherheitsbewertung gemäß den Bestimmungen der EU zugestimmt haben, dieser Verpflichtung baldmöglichst nachkommen. Darüber hinaus sollte der Zugang unsicherer Kraftwerke zur EU-Energieversorgung beschränkt werden.

5.   Auswirkungen eines starken EU-Energiesystems

5.1

Ein starkes internes Energiesystem schlägt sich unmittelbar in einer belastbaren externen energiepolitischen Position nieder. Die EU sollte daher ihre interne Energiepolitik abstimmen.

5.2

Die Strategie für die Energieunion ist eine vorrangige Initiative mit dem Ziel, eine gemeinsame Haltung der EU gegenüber den energiepolitischen Herausforderungen zu konsolidieren. Energiesicherheit bedingt den wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand der EU und fällt somit in die gemeinsame Verantwortung der Mitgliedstaaten, Energieerzeuger, Verbraucher, Transitländer und der internationalen Gemeinschaft, die alle an den heutigen globalisierten Energiemärkten beteiligt sind.

5.2.1

Ein wichtiger Pfeiler der Energieunion ist die Verbesserung der Verbindungsleitungen zwischen den Mitgliedstaaten und die vollständige Umsetzung der Energiebinnenmarktvorschriften. Durch die vollständige Integration des EU-Binnenmarkts wird sich der Wettbewerb zwischen den Energieanbietern verstärken, was wiederum bessere Preise für die Endverbraucher zur Folge hätte.

5.2.2

Durch die zunehmende globale Verfügbarkeit von LNG eröffnen sich neue Möglichkeiten für die EU zur Diversifizierung der Erdgasversorgung. Daher sollte die LNG-Infrastruktur innerhalb der EU ausgebaut und weiterentwickelt werden. Der EWSA begrüßt diesbezüglich die im Februar 2016 beschlossene Strategie der Kommission für Flüssigerdgas und die Speicherung von Gas.

5.2.3

Vollständige Integration der EU bedeutet Beseitigung von „Energieinseln“. Der EWSA unterstreicht, dass die Energienetze und -systeme aller Mitgliedstaaten vollständig in den Binnenmarkt der EU integriert werden müssen, indem die physische Netzverbundinfrastruktur ausgebaut und die Stromnetze der drei baltischen Staaten, deren Elektrizitätssystem derzeit von einem Drittlandsbetreiber (Russland) abhängt, endlich mit dem EU-Verbundnetz synchronisiert werden (4).

5.2.4

Die Wettbewerbsfähigkeit der Energieerzeuger in der EU muss erhalten bleiben. Zwischen europäischen und nichteuropäischen Energieerzeugern müssen gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden, um dafür zu sorgen, dass die Wettbewerbsregeln der EU von allen Energiemarktteilnehmern befolgt werden.

6.   Eine vorausschauende Energiepolitik als wesentlicher Faktor der externen Dimension

6.1

Erneuerbare Energiequellen bieten der EU eine direkte Möglichkeit, nicht nur ihre Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen zu verringern, sondern auch ihre interne Energieerzeugung nachhaltiger zu gestalten. Der EWSA erachtet die Entwicklung der erneuerbaren Energiequellen als eine der wichtigsten Maßnahmen auf dem Weg zu einer sichereren Zukunft im Energiebereich. Die EU sollte sich indes nicht auf ihren bisherigen Erfolgen ausruhen, sondern alles daransetzen, ihre führende Rolle auf diesem Gebiet beizubehalten. EU-Vertreter sollten Drittstaaten anhalten, sich ehrgeizige Ziele im Bereich der erneuerbaren Energieträger zu setzen.

6.1.1

Die EU blickt bereits über den Zeithorizont 2020 hinaus und hat für 2030 noch ehrgeizigere Ziele festgelegt. Das gemeinsame Ziel eines Anteils erneuerbarer Energie von mindestens 27 % würde erfordern, dass die Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit auf regionaler Ebene verstärken und den Energiesektor der EU weiter konsolidieren.

6.1.2

Im Rahmen der Eindämmung des Klimawandels begrüßt der EWSA das COP-21-Übereinkommen und die Verpflichtung der EU, gemäß dem Rahmen für die Klima- und Energiepolitik die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40 % (gegenüber dem Stand von 1990) zu senken. Die EU sollte ihre Partner nicht nur zu aktiven Maßnahmen in diesem Bereich ermutigen, sondern gegebenenfalls auch praktische Unterstützung bieten.

6.1.3

Eine dezentrale Energieerzeugung und Energiegenossenschaften würden dazu beitragen, die Klima- und Energieziele der EU zu erreichen. Dadurch könnte die Gesellschaft insgesamt an den Bemühungen um Energieunabhängigkeit und -sicherheit in den Mitgliedstaaten und in der gesamten Union beteiligt werden. Daher sollten bewährte Verfahren für kosteneffiziente Eigenerzeugung und -verbrauch vorgesehen werden.

6.2

Energieeffizienz ist ebenfalls eine Möglichkeit, das Problem der hohen Einfuhren der EU unmittelbar anzugehen. Für die gesamte EU wurde für das Jahr 2030 das Ziel einer Verbesserung der Energieeffizienz von mindestens 27 % (der gleiche Anteil wie für erneuerbare Energie) vorgesehen, die Kommission bemüht sich dabei um die Umsetzung des Grundsatzes „energy efficiency first“ (= Energieeffizienz zuerst). Die Energieunion wird wiederum weiterhin zur Förderung eines besseren Zugangs zu Finanzinstrumenten für die Energieeffizienz, insbesondere im Verkehrssektor und im Gebäudebereich, beitragen und die Mitgliedstaaten darin bestärken, der Energieeffizienz im Rahmen ihrer eigenen Maßnahmen größte Aufmerksamkeit zu schenken.

6.3

Die Bereitstellung angemessener Mittel für Forschung und Entwicklung ist von entscheidender Bedeutung, um technische Fortschritte bei Energieerzeugung und intelligenter Verteilung sicherzustellen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf erneuerbare Energien relevant, um ihre Erzeugung kostengünstig und verlässlich zu machen. Ferner sollte weiter an der Entwicklung von Spitzentechnologien zur Energieerzeugung, wie Wasserstoff- und Brennstoffzellen und Kernfusion, gearbeitet werden.

6.4

Der EWSA drängt die EU, bei der nachhaltigen Auseinandersetzung mit Energiefragen der Entwicklungsländer eine führende Rolle durch Strategien und Initiativen zu übernehmen, die auf eine Verstärkung der finanziellen, technischen und rechtlichen Hilfe abzielen. Die Unterstützung der allgemeinen und beruflichen Bildung in einschlägigen Bereichen sollte bei der Ausweitung der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern das wichtigste Instrument sein.

7.   Die Zivilgesellschaft als Akteur in den Energieaußenbeziehungen

7.1

Da die Verbraucher erwarten, dass Energie zugänglich ist und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie unterstützt, fordert der EWSA die Kommission und die nationalen Regierungen auf, die Zivilgesellschaft, die Sozialpartner und die Verbraucherorganisationen in Energiefragen einzubinden und einen offenen Dialog zu führen. Dies würde wesentlich zu einem besseren Verständnis der anstehenden Energiefragen beitragen.

7.1.1

Energiearmut ist ein weltweites Problem, das weder bei der internen noch bei der externen Energiepolitik der EU vernachlässigt werden darf. Die hiervon am stärksten bedrohten Menschen müssen unterstützt werden.

7.2

Die Zivilgesellschaft sollte sich verstärkt in die Gestaltung der Energiepolitik einbringen. Der EWSA begrüßt die Gemeinsame Erklärung zu Energie der Plattform der Zivilgesellschaft EU-Ukraine vom 11. Februar 2016, deren Ziel die Stärkung der Rolle der Zivilgesellschaft und die Erarbeitung von Empfehlungen zur Rechtsstaatlichkeit für die maßgeblichen Behörden ist.

7.2.1

Energiefragen müssen auf die Agenda der internationalen Treffen des EWSA gesetzt und in den Debatten mit der Zivilgesellschaft in Partnerländern thematisiert werden.

Brüssel, den 28. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  

1)

EWSA-Stellungnahme zum Thema „Der Beitrag der Zivilgesellschaft zur Überarbeitung der EU-Strategie für Zentralasien“, ABl. C 242 vom 23.7.2015, S. 1.

2)

EWSA-Stellungnahme zum Thema „Rahmenstrategie Energieunion“, ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 84

3)

EWSA-Stellungnahme zum Thema „Energie als Faktor für die Entwicklung und die Vertiefung des Beitrittsprozesses des Westbalkans“, ABl. C 32 vom 28.1.2016, S. 8.

4)

EWSA-Stellungnahme zum Thema „Sicherstellung von für die EU wichtigen Einfuhren durch die derzeitige EU-Handelspolitik und verwandte Politikbereiche“, ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 47.

5)

EWSA-Stellungnahme zum Thema „Zwischenstaatliche Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten im Energiebereich“, ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 65.

6)

EWSA-Stellungnahme zum Thema „Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Errichtung einer künftigen Europäischen Energiegemeinschaft“, ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 15.

7)

EWSA-Stellungnahme zum Thema „Energieaußenbeziehungen der EU“, ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 8.

(2)  Vertragsparteien — Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Moldau, Montenegro, Serbien und Ukraine.

(3)  Siehe Fußnote 1, Nummer 5.

(4)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 84.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

516. Plenartagung des EWSA vom 27./28. April 2016

20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch über Finanzdienstleistungen für Privatkunden — Bessere Produkte, größere Auswahl und mehr Möglichkeiten für Verbraucher und Unternehmen

[COM(2015) 630 final]

(2016/C 264/05)

Berichterstatterin:

Milena ANGELOVA

Die Europäische Kommission beschloss am 10. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Themen zu ersuchen:

Grünbuch über Finanzdienstleistungen für Privatkunden — Bessere Produkte, größere Auswahl und mehr Möglichkeiten für Verbraucher und Unternehmen

[COM(2015) 630 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April) mit 191 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt das von der Kommission mit der Veröffentlichung des vorliegenden Grünbuchs erklärte Ziel und die Tatsache, dass die Kommission auf dem richtigen Weg ist und über ein ehrgeiziges Programm für die Umsetzung des Aktionsplans zur Schaffung einer Kapitalmarktunion verfügt (1).

1.2

Der EWSA unterstützt die Idee der Kommission, sich um eine Erleichterung der grenzübergreifenden Durchdringung von Finanzdienstleistungen für Privatkunden und um verbesserte Möglichkeiten für Verbraucher zu bemühen, die Anbieter zu wechseln. Solche Maßnahmen sollten für eine wettbewerbsfähigere Marktstruktur sorgen und den Komfort für Kunden von Finanzdienstleistungen erhöhen, einschließlich des zwischen den Mitgliedstaaten grenzübergreifenden Zugangs zu außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (2).

1.3

Der EWSA begrüßt den Ansatz der Kommission, im Grünbuch nach geeigneten Maßnahmen zu suchen, um beide Seiten des Finanzdienstleistungsmarktes anzukurbeln: Angebot und Nachfrage.

1.4

Der EWSA befürwortet die Idee, dass Verbrauchern nach Möglichkeit die Gelegenheit gegeben werden sollte, verschiedene Produkte zu vergleichen, damit sie eine fundierte Entscheidung treffen können. Der EWSA unterstützt in diesem Zusammenhang uneingeschränkt die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) II — während er gleichzeitig seine Stellungnahme zu den jüngst vorgeschlagenen Überarbeitungen vorbereitet (3) — sowie die Verordnung über Privatanlageprodukte und fondsgebundene Versicherungen, mit denen eine größere Transparenz und eine bessere Offenlegung von Informationen vorgeschrieben werden (4).

1.5

Eines der Ziele des Grünbuchs ist es, die Fragmentierung des Markts der Finanzdienstleistungen im Privatkundenbereich zu reduzieren. Diesbezüglich möchte der EWSA darauf hinweisen, dass keinerlei wirklich belastbare Nachweise dafür vorliegen, dass die Preisunterschiede lediglich einem Marktversagen innerhalb der EU geschuldet sind. Die Preise für Produkte und Dienstleistungen werden auch von einzelstaatlichen und lokalen Faktoren beeinflusst, was die Preisharmonisierung zwischen Mitgliedstaaten erschwert. Die Prämie für die Kfz-Versicherung eines Verbrauchers kann sich beispielsweise in einem Mitgliedstaat grundsätzlich von der entsprechenden Prämie in einem anderen Mitgliedstaat unterscheiden. Grund dafür ist die unterschiedliche Schadenquote in den beiden Ländern, die sich auf die Zahl der Unfälle oder Betrugsfälle in den jeweiligen Ländern stützt. Ebenso können sich in Abhängigkeit von der Zahl der Forderungsausfälle auch die Zinssätze für Verbraucherdarlehen in den Mitgliedstaaten unterscheiden. Solche lokalen Faktoren werden im Grünbuch zwar richtig genannt, sollten aber gründlicher untersucht werden. Der EWSA erwartet daher mit Spannung die Ergebnisse der Konsultation und fordert die Kommission auf, weiter nach Beweisen für einen unzureichenden Wettbewerb und nach eindeutigeren Gründen zu suchen, um die erkannten Preisunterschiede zu erklären. Die Kommission sollte diese Untersuchung außerdem in der Folgenabschätzung fortsetzen, die vor den erwarteten Legislativvorschlägen durchzuführen ist.

1.6

Gleichzeitig weist der EWSA mit Nachdruck darauf hin, dass viele der Probleme, die im Grünbuch zu Finanzdienstleistungen im Privatkundenbereich aus dem Jahr 2007 (5) aufgezeigt worden sind, im jetzigen Grünbuch — acht Jahre später — immer noch angeführt werden. Der EWSA hat das letzte Grünbuch (6) grundsätzlich befürwortet und die Maßnahmen gelobt, die ergriffen wurden, um einige praktische Lösungen zu finden (7). Ungeachtet einiger weniger positiver Ergebnisse ist jedoch nur ein äußerst begrenzter Fortschritt zu verzeichnen, die Funktionsschwächen des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen im Privatkundenbereich bestehen fort. Nach Auffassung des EWSA sind die Ergebnisse der Konsultationen zu diesem Grünbuch daher dieses Mal in ein ehrgeizigeres Programm zu überführen, mit dem die seit langem bestehenden Probleme überwunden werden können.

1.7

Im Grünbuch wird eine breite Palette von Finanzprodukten berücksichtigt, für all die nicht gleichzeitig größere Auswahl und mehr Möglichkeiten erreicht werden können. Diese erfordern selbstverständlich unterschiedliche Priorisierungen und Zeitrahmen. Der EWSA schlägt vor, die Ergebnisse aus dem Konsultationsverfahren vorrangig auf einfachere Produkte anzuwenden, für die lokale Faktoren weniger Bedeutung haben. Auf diese Weise erlangt die Schaffung eines Binnenmarkts für Finanzprodukte Auftrieb und Vertrauen. Solche Produkte könnten beispielsweise Zahlungsdienstleistungen, gesamteuropäische Altersvorsorgeprodukte, Sparkonten sowie Kfz- und Lebensversicherungen sein. Einer der ersten Schritte könnte darin bestehen, das Bonus-/Malus-System bei Kfz-Versicherungen, mit dem die Bedeutung lokaler Faktoren reduziert und die Versicherungsprämien eng mit den Profilen der jeweiligen Versicherungsnehmer in Relation gesetzt werden, in allen Mitgliedstaaten anzuwenden. Produkte wie Hypotheken, Verbraucherdarlehen, Berufshaftpflichtversicherungen und Vermögensverwaltung sollten innerhalb eines bestimmten Zeitraums folgen.

1.8

Während im Grünbuch der Schwerpunkt hauptsächlich auf digitale Technologien gelegt wird, sieht der EWSA zwei wichtige Faktoren für eine höhere grenzübergreifende Nachfrage, die ebenfalls berücksichtigt werden sollten:

die Vermittlung von Finanzwissen ist von zentraler Bedeutung, um das Vertrauen in das Finanzsystem aufrechterhalten und ein verantwortungsvolles Verbraucherverhalten in Bezug auf Finanzprodukte gewährleisten zu können. Der EWSA hat sich zu dieser Frage bereits geäußert (8);

Finanzberatung muss auf EU-Ebene wirksam reguliert und die Unterscheidung zwischen Werbung und Vermarktung deutlich gemacht werden. Deshalb muss das Augenmerk auch auf die von unabhängigen Maklern angebotenen Dienstleistungen gelegt werden.

1.9

Der EWSA betrachtet es als unerlässlich, alles dafür zu tun, um die Wiederaufnahme der Überarbeitung von Richtlinien (wie zum Beispiel Zahlungsdienste-II-Richtlinie und Hypothekarrichtlinie (9)) zu verhindern, die bereits angenommen wurden. Die wirksame Umsetzung von Maßnahmen braucht Zeit, und die Einführung neuer Regulierungsinstrumente muss mit Vorsicht erfolgen, um die Finanzmärkte nicht überzuregulieren.

2.   Ziel des Grünbuchs. Frühere Arbeiten der Kommission und des EWSA zu Finanzdienstleistungen im Privatkundenbereich

2.1

Die Europäische Kommission veröffentlichte das Grünbuch im Zusammenhang mit dem Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion (10), um zu untersuchen, wie der europäische Finanzdienstleistungsmarkt für Privatkunden — nämlich Versicherungen, Kredite, Zahlungen, Giro- und Sparkonten und Privatkundenanlagen — weiter geöffnet werden kann, mit dem Ziel, unter Wahrung eines angemessenen Verbraucher- und Anlegerschutzes Verbesserungen für Verbraucher und Unternehmen zu erreichen.

2.2

Im Grünbuch gilt besonderes Augenmerk den Antworten auf die Herausforderungen der Digitalisierung, die zu einer Senkung des Preisniveaus und einer Verbesserung der Vergleichbarkeit der Produkte beitragen und so den Verbrauchern helfen können, fundierte finanzielle Entscheidungen zu treffen. Auf lange Sicht dürfte die Digitalisierung es den Unternehmen ermöglichen, ihre Produkte unionsweit anzubieten; das bringt die Verwirklichung des Europäischen Binnenmarkts ein Stück weiter voran.

2.3

Eine weitere wichtige im Grünbuch aufgeworfene Frage betrifft die Wiederherstellung des zerstörten Vertrauens in Finanzdienstleistungen für Privatkunden, da dieses Vertrauen für den Ausbau des Binnenmarkts für diese Produkte eine ganz entscheidende Rolle spielt. Um diese Ziele zu erreichen, konzentriert sich das Dokument auf die Frage, wie die Dienstleistungen und Produkte verständlicher gemacht werden können.

2.4

Im Grünbuch wird außerdem untersucht, was dafür getan werden kann, damit der Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen spürbare Verbesserungen für den Alltag der Menschen in der EU bewirkt und neue Marktchancen für Anbieter geschaffen werden, um so das Wachstum der europäischen Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu begünstigen.

3.   Anmerkungen zur derzeitigen Lage der Märkte für Dienstleistungen im Privatkundenbereich

3.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass die im Grünbuch hervorgehobene Fragmentierung der Märkte für Finanzdienstleistungen im Privatkundenbereich dem kombinierten Einfluss einzelstaatlicher und lokaler Faktoren auf die Preise von Produkten und Dienstleistungen (rechtliche, regulatorische und kulturelle Besonderheiten sowie Besonderheiten der öffentlichen Sozialschutzsysteme) sowie Herausforderungen auf Angebots- und Nachfrageseite des Marktes geschuldet sind, die in Zukunft bewältigt werden müssen.

3.2

Auf der Angebotsseite sind die wichtigsten Herausforderungen:

ungerechtfertigte und unnötige Unterschiede in einzelstaatlichen Rechtsvorschriften als Ergebnis von Überregulierung und nationalen Traditionen sowie Besonderheiten und andere nationale Unterschiede bei Faktoren, die sich auf die Kosten unternehmerischer Tätigkeiten auswirken;

Schwierigkeiten bei der grenzübergreifenden Ermittlung von Kunden und deren Finanzierungsquellen;

Schwierigkeiten bei der grenzübergreifenden Bewertung von Kundenvermögen und bei der Durchsetzung von Kreditsicherheiten;

unterschiedliche Rechtsinstrumente in den Mitgliedstaaten und insbesondere in Bezug auf die Verwertung von Sicherheiten (d. h. Dauer von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, nötige Inanspruchnahme eines Notars, unterschiedliche Rechtsvorschriften für Grundbucheintragungen).

3.3

Auf der Nachfrageseite sind die wichtigsten Herausforderungen:

Verbraucher, die in ihrem eigenen Land an ein bestimmtes Schutzniveau gewöhnt sind, können sich in einem anderen Mitgliedstaat nicht auf dasselbe Schutzniveau verlassen;

ungleiche Durchsetzung der Einhaltung europäischer Rechtsvorschriften;

ungleicher Zugang zu außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen für Verbraucher von Finanzdienstleistungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten (11);

Sprachbarrieren;

die Festlegung von Anforderungen an die Fähigkeiten und Qualifikationen von Finanzberatern ist einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden vorbehalten, diese sind jedoch nicht einheitlich für alle Mitgliedstaaten gestaltet. Es gibt kaum kompetente Finanzberater, die eine objektive Beratung anbieten, das gilt insbesondere für grenzübergreifende Verkäufe.

3.4

Der EWSA räumt auch ein, dass die Entwicklung der Digitalisierung ein neues Umfeld schafft und das Spektrum neuer Dienstleistungen und grenzübergreifender Geschäfte erheblich ausdehnt. Allerdings ist darauf zu achten, dass Fortschritte im digitalen Bereich nicht zur Irreführung von Verbrauchern genutzt werden, indem die bereitgestellten Informationen über Finanzdienstleistungen zu komplex, irrelevant oder schwer zu vergleichen sind.

3.5

Der EWSA weist darauf hin, dass die Finanzkompetenz der Menschen lokal immer noch erhebliche Unterschiede aufweist und im Vergleich zu anderen entwickelten Ländern, wie zum Beispiel den USA, Australien und Kanada (12), relativ niedrig ist. Finanzberatung vor dem Verkauf ist nicht gut reguliert und gewährleistet nicht, dass Kunden die am besten geeigneten Produkte auswählen, professionelle Finanzberatungsleistungen sind im Vergleich zu einigen Nicht-EU-Ländern nicht ausreichend entwickelt.

3.6

Die Möglichkeiten, die sich durch die neuen Technologien und ein größeres Angebot — einschließlich eines grenzübergreifenden Angebots — bieten, schaffen Chancen, sie bringen allerdings auch potenzielle Risiken mit sich. Sie könnten zu einer hohen Verschuldung, Ausfällen von Hypothekendarlehen und weiteren Insolvenzfällen führen, falls Verbraucher nicht über das nötige Finanzwissen verfügen. Verbraucher, die Versicherungs- und Altersvorsorgeprodukte online kaufen, könnten gefährdet sein, weil sie oftmals nicht genügend recherchieren und unter Umständen Verträge abschließen, ohne es zu wissen (13). Einzelstaatliche Aufsichtsbehörden sollten daher sicherstellen, dass Unternehmen, die Produkte online verkaufen, eine „Beratungspflicht“ einhalten, um Verbraucher zu schützen. Es mangelt nicht an Argumenten, die zeigen, wie wichtig Finanzwissen und richtige Beratung sind.

3.7

Verbraucher, die das Zinseszinskonzept nicht verstehen, sammeln höhere Schulden an und tragen höhere Zinslasten und Transaktionskosten (14), während Verbraucher mit Finanzkompetenz besser planen, mehr für die Rente sparen (15) und finanzielle Risiken diversifizieren (16). Das gleiche gilt auch auf makroökonomischer Ebene, wo sich Finanzkompetenz äußerst vorteilhaft auf die Inlandsersparnisse und den Vermögensaufbau auswirkt (17). Daher wird dringend empfohlen, Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten stärker von Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Verkauf von Produkten abzugrenzen, insbesondere in Fällen, in denen Beratung bereitgestellt wird. Beratung darf keinesfalls als Marketinginstrument eingesetzt werden, und Berater sollten wirklich unabhängig sein. Die vorvertraglichen Informationen sollten in einer klaren und verständlichen Weise bereitgestellt und präsentiert werden. Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass — zur Wiederherstellung des Vertrauens in den Finanzdienstleitungsmarkt, zur Förderung der grenzübergreifenden Geschäftstätigkeit und zur Erleichterung der Portabilität von Finanzprodukten — gezielte Maßnahmen erforderlich sind, um Privatanleger aufzuklären und die Finanzberatung zu verbessern.

4.   Antworten auf die im Grünbuch gestellten Fragen

4.1    Allgemeine Fragen:

1.   Bei welchen Finanzprodukten könnte ein verbessertes grenzübergreifendes Angebot den Wettbewerb auf den nationalen Märkten stärken, so dass sich eine bessere Auswahl und niedrigere Preise ergeben?

4.1.1

Das Grünbuch enthält Fragen zu verschiedenen Produkten und Dienstleistungen des Banken- und Nichtbankenbereichs, es gibt jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den wichtigsten Zahlungsverkehrsprodukten (wie zum Beispiel Girokonten oder Termineinlagen) und Vertragsprodukten (wie zum Beispiel Hypothekendarlehen oder Spar- und Anlageprodukte). Was Spar- und Anlageprodukte angeht, so werden sich einige andere Rechtsinstrumente der EU (wie zum Beispiel die МiFID oder die Initiative zur Schaffung einer Kapitalmarktunion) auf den Markt auswirken, wenn sie in Kraft treten.

4.1.2

Bei allen im Grünbuch erörterten Produkten hat eine grenzübergreifende Bereitstellung der Produkte das Potenzial, den Wettbewerb auf den einzelstaatlichen Märkten zu verstärken. Die Produkte mit dem größten Potenzial sind zu diesem Zeitpunkt zweifellos Altersvorsorge- und Anlageprodukte. Nach dem scorecardbasierten System der Kommission nimmt der Markt für diese Produkte von 31 Verbrauchermärkten den schlechtesten Platz ein (18). Die angebotenen Altersvorsorgeprodukte zeichnen sich durch lokale Begrenztheit und hohe Gebühren aus. Werden Inflation, Verwaltungsgebühren und weitere Zahlungen berücksichtigt, weisen diese Produkte oftmals eine negative reale Rendite auf und erzielen schlechtere Ergebnisse als die entsprechenden Marktindizes (19). Aus diesem Grund spricht sich der EWSA nachdrücklich für die Idee eines Binnenmarkts für Altersvorsorgeprodukte, genauer gesagt für die Entwicklung eines gesamteuropäischen privaten Altersvorsorgeprodukts (20) aus, das zu größeren Skaleneffekten, niedrigeren Preisen und einer größeren Auswahl für Verbraucher führen wird.

4.1.3

Einige der Versicherungsprodukte, wie zum Beispiel Lebensversicherungsprodukte, mit denen der Kunde auch dann geschützt ist, wenn er sich außerhalb der örtlichen Grenzen bewegt, sind leicht portierbar. Andere weisen dagegen Elemente auf, die lokal reguliert sind und angepasst werden müssen, wenn Unternehmen versuchen, sie in anderen Ländern zu vertreiben. In Artikel 11 der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung) (21) ist festgelegt, dass Mitgliedstaaten eine einzige Kontaktstelle einrichten müssen, die für die Bereitstellung von Informationen über die „Vorschriften zum Schutz des Allgemeininteresses“ in ihrem jeweiligen Land verantwortlich ist; die EIOPA wird damit beauftragt, die Links zu den Websites der zuständigen Behörden, auf denen Informationen über diese „Vorschriften zum Schutz des Allgemeininteresses“ veröffentlicht sind, auf ihrer Website öffentlich zugänglich zu machen. Zudem ist eine uneingeschränkte grenzübergreifende Bereitstellung der Produkte wegen der tatsächlichen Bedürfnisse der Kunden, die mit ihnen versorgt werden, und wegen der unterschiedlichen Verhaltensweisen und Risikofaktoren mit Auswirkungen auf die Produktbedingungen weder möglich noch wünschenswert. Der EWSA begrüßt Lösungen, die dazu beitragen, die fehlende Portabilität von Produkten abzuschwächen, und empfiehlt, in einigen Fällen zumindest Teillösungen zu suchen, wie zum Beispiel Möglichkeiten für Versicherungsnehmer, nur für die Deckungsdifferenzen zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten zu bezahlen.

2.   Welche Hemmnisse halten Unternehmen davon ab, Finanzdienstleistungen grenzübergreifend direkt anzubieten und welche Hemmnisse halten Verbraucher davon ab, Produkte grenzübergreifend direkt zu erwerben?

4.1.4

Die maßgeblichen angebotsseitigen Hemmnisse werden in Ziffer 3.2 aufgelistet. Zu ihrer Überwindung ist Folgendes notwendig:

Erleichterung von grenzübergreifenden Rechtsverfahren im Zusammenhang mit der wirksamen Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen;

gemeinsame Vorschriften/Normen für:

die Identifizierung von Kunden in Verbindung mit den Know-Your-Customer-Vorschriften und den Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche;

die Identifizierung von Unternehmen auf der Grundlage ihres Geschäftsverhaltens oder — alternativ — eine geeignete Identifizierung der Endbegünstigten;

Online-Verträge für Finanzprodukte (beispielsweise Fonds, Cash/Share-Deals usw.);

das Vermarkten und Bewerben von Finanzprodukten und Finanzdienstleistungen (insbesondere bei aggressiven Werbekampagnen);

Vertriebsunternehmen, die Produkte an Kunden liefern (z. B. Versicherungsprodukte);

standardisierte Mindestanforderungen an Informationen für die Bestätigung der Herkunft von Geldmitteln;

Transparenz/Vergleichbarkeit — standardisierte Mindestinformationen zu Produkten und Dienstleistungen (Bereitstellung von Informationen nicht nur über die Ausgaben, die für Verbraucher anfallen, sondern auch über die zu erwartenden Vorteile);

Berücksichtigung steuerlicher Hemmnisse insbesondere für Spar- und Anlageprodukte, weil sie großen Einfluss auf die Rentabilität haben können. Es werden z. B. zahlreiche Produkte entwickelt, um von Gelegenheiten zu profitieren, die von Steuerregulierungsbehörden zur Förderung spezieller Sparmethoden geschaffen werden (d. h. langfristige Sparprodukte werden grundsätzlich begünstigt, allerdings sind die Schwellenwerte und die Instrumente, die eine solche Vorzugsbehandlung erhalten, von Land zu Land sehr unterschiedlich);

Die Meldung der Aufsichtsbehörden des Herkunftsstaates an die Aufsichtsbehörden des Aufnahmestaats gilt als ausreichend, um die Auferlegung zusätzlicher Anforderungen oder Lasten zu vermeiden, während gleichzeitig das festgelegte Niveau an Verbraucherschutz (z. B. bei Versicherungsprodukten) beibehalten wird. Darüber hinaus sollten Maßnahmen ergriffen werden, um Situationen zu vermeiden, in denen Anbietern zusätzliche Kosten durch die Einhaltung lokaler Rechtsvorschriften entstehen.

4.1.5

Die maßgeblichen nachfrageseitigen Hemmnisse werden in Ziffer 3.3 aufgelistet.

3.   Werden (einige) diese(r) Hemmnisse durch Digitalisierung und Innovation im Finanztechnologiesektor überwunden werden können?

4.1.6

Dank neuer Technologien, vor allem dank der Digitalisierung, kann bei der grenzübergreifenden Bereitstellung von Finanzprodukten erstmals ein wirklicher Durchbruch erzielt werden. Sie könnten eine wesentliche Rolle dabei spielen, mehr und qualitativ bessere Informationen bereitzustellen, die Transparenz und Vergleichbarkeit der Produkte zu verbessern und Kunden zu identifizieren. Durch das Wegfallen der Notwendigkeit, Kontaktstellen vor Ort zu betreiben, könnten sich auch Kosten einsparen lassen. Sie sind jedoch kein Ersatz für die Überwindung anderer bedeutender Hindernisse, wie zum Beispiel des ungleichen Grads der Harmonisierung der Rechtssysteme und des Verbraucherschutzes.

4.   Was kann getan werden um sicherzustellen, dass die Digitalisierung von Finanzdienstleistungen nicht dazu führt, dass insbesondere Menschen ohne digitale Kompetenzen eine verstärkte finanzielle Ausgrenzung erfahren?

4.1.7

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass es in Zukunft nach wie vor Menschen geben wird, die aus dem einen oder anderen Grund nicht in der Lage sind, digitale Technologien zu verwenden. Das sollte aber nicht von Anstrengungen abhalten, die Verwendung solcher Technologien bei der Bereitstellung von Finanzprodukten zu fördern. Erstens werden traditionelle Mittel zur Bereitstellung solcher Produkte nämlich noch für lange Zeit weiter bestehen, zweitens werden diese Menschen auf der Grundlage gut regulierter Finanzberatungsdienstleistungen auf ein breiteres Produktsortiment zugreifen können.

5.   Wie sollten wir vorgehen, wenn die durch die Zunahme und Verbreitung digitaler Technologien gebotenen Möglichkeiten zu neuen Risiken im Bereich des Verbraucherschutzes führen?

4.1.8

Die umfassende Nutzung digitaler Technologien wird zweifellos gewisse Herausforderungen für Informationssicherheit, Daten- und Verbraucherschutz mit sich bringen. Aus diesem Grund sollte parallel zu den verschiedenen Rechtsvorschriften, die das Angebot von und die Nachfrage nach Finanzprodukten mittels solcher Technologien regulieren, eine Bewertung der Risiken durchgeführt werden, die mit diesen Herausforderungen verbunden sind; es sollten zudem Verfahren vorgeschlagen werden, mit denen diese Risiken auf ein Mindestmaß reduziert werden können.

6.   Haben Kunden EU-weit Zugang zu sicheren, einfachen und verständlichen Finanzprodukten? Falls nicht, was könnte getan werden, um einen derartigen Zugang bereitzustellen?

4.1.9

Es gibt keine allgemein akzeptierte Bestimmung des Begriffs „sichere, einfache und verständliche Finanzprodukte“. Nach allgemeinem Verständnis sollten diese Produkte Eigenschaften wie Preistransparenz, Angemessenheit und Verständlichkeit in der Sprache des Verbrauchers aufweisen, um eine wirksame Kommunikation, Möglichkeiten eines Vergleichs mit ähnlichen Produkten sowie Klarheit und eindeutige Ergebnisse zu gewährleisten. Das ist in einer komplexen Welt wie dem Finanzmarkt nicht einfach zu erreichen.

4.1.10

Produkte mit diesen Eigenschaften im eigentlichen Sinne sind auf den Märkten kaum verfügbar, folglich haben die Verbraucher keinen einfachen Zugang zu ihnen. Dies trifft sowohl auf Länder mit gut entwickelten Finanzmärkten als auch auf Länder mit weniger gut entwickelten Märkten zu. Die Vielzahl an Produkten in einigen Mitgliedstaaten macht die Situation für die Verbraucher nicht unbedingt einfacher, weil sie zu Verwirrung, zu Schwierigkeiten bei Entscheidungen und schließlich zu falschen Entscheidungen führen kann.

4.1.11

Solche Produkte können zugänglich gemacht werden, indem auf europäischer Ebene eine Grundkategorie an Finanzprodukten (22) festgelegt wird, die konkreten standardisierten Anforderungen in Abhängigkeit von den Bedürfnissen entsprechen, die sie befriedigen sollen. Sie sollten zertifiziert sein und einen speziellen Namen tragen, um von den Verbrauchern leichter erkannt zu werden. Eine solche Kategorie könnte gemeinsame Produkte, wie zum Beispiel verschiedene Sparkonten und Lebensversicherungen mit fester Laufzeit, umfassen. Die relativ hohe grenzübergreifende Vertriebsquote von OGAW gibt Grund zur Annahme, dass gesamteuropäische Altersvorsorgeprodukte auf der Grundlage der OGAW-Erfolgsfaktoren geschaffen und in dieselbe Kategorie aufgenommen werden könnten. Die Existenz einer solchen Produktkategorie würde das Vertrauen in die Finanzmärkte wieder stärken.

7.   Stellt die Qualität der unionsweiten Durchsetzung der EU-Vorschriften im Bereich der Finanzdienstleistungen für Privatkunden im Hinblick auf das Vertrauen der Verbraucher und die Marktintegration ein Problem dar?

4.1.12

In vielen Ländern sind eine Übererfüllung der Rechtsvorschriften (so genanntes „Goldplating“) (23), unterschiedliche Auslegungen europäischer Rechtsvorschriften, Verzögerungen bei der Harmonisierung und Unterschiede in der Umsetzung von europäischen Rechtsvorschriften in einzelstaatliche Rechtsvorschriften sowie Unterschiede in der konkreten Anwendung dieser Rechtsvorschriften festgestellt worden, die zu übermäßig hohen Verwaltungsanforderungen und Hemmnissen führen. Diese Hemmnisse stehen einer Integration im Wege und wirken sich auf das Vertrauen der Verbraucher nachteilig aus.

4.1.13

Europäische Aufsichtsbehörden sind für den Verbraucherschutz zuständig. Der EWSA fordert die Umsetzung dieser Aufgabe im Einklang mit den folgenden Grundsätzen:

Die Verbrauchermobilität zwischen verschiedenen Anbietern sollte kein absolutes Ziel darstellen, sie hängt immer von der Entscheidung der Verbraucher ab, und diese wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst: Qualität und Vielfalt der angebotenen Produkte und Dienstleistungen, potenzielle Ergänzung der Angebote, Zufriedenheitsgrad usw.;

die Praxis der verbundenen Verkäufe verpackter Finanzprodukte sollte vorsichtig ausgeübt werden, den Kunden sind in einem solchen Fall klare und transparente Informationen bereitzustellen. Wenn solche Produkte angeboten werden, müssen sie zurückverfolgt werden können (24).

4.1.14

Schließlich sollten die europäischen Aufsichtsbehörden grundsätzlich diejenigen Praktiken bevorzugen, die für die Kunden besser sind. Dabei sind vorrangig die folgenden Maßnahmen zu ergreifen:

Reduzierung der Komplexität des gegenwärtigen regulatorischen Rahmens;

Sicherstellung der Ressourcen, die für die Tätigkeiten der europäischen Aufsichtsbehörden erforderlich sind;

Förderung einer größeren Finanzkompetenz unter den Verbrauchern.

8.   Sollten im Zusammenhang mit dem grenzübergreifenden Wettbewerb und der Auswahl an Finanzdienstleistungen für Privatkunden weitere Elemente oder Entwicklungen berücksichtigt werden?

4.1.15

Das Grünbuch befasst sich ausführlich mit den derzeit vorherrschenden Trends, nämlich einem schwachen grenzübergreifenden Wettbewerb bei Finanzdienstleistungen im Privatkundenbereich und einem eingeschränkten Angebot an Finanzprodukten für Verbraucher.

4.2    Unterstützung der Verbraucher beim grenzübergreifenden Erwerb von Finanzprodukten

4.2.1   Kenntnis des Angebots

4.2.1.1

Bessere Informationen für die Verbraucher und Hilfe beim Anbieterwechsel

9.   Wie könnten Verbraucher am besten über die verschiedenen unionsweit verfügbaren Finanzdienstleistungen und Versicherungsprodukte für Privatkunden informiert werden?

4.2.1.1.1

Stärkung der Finanzkompetenz und Zugang zu Finanzberatung sind zweifellos unerlässlich. Verbraucher sollten nicht nur über zugängliche Informationen verfügen, sondern diese Informationen auch verstehen können oder aber Zugang zu hochwertigen und angemessenen Finanzberatungsdienstleistungen haben.

4.2.1.2

Trotz des anhaltenden Trends unter den Verbrauchern, digitale Dienstleistungen zu nutzen, um Informationen zu erhalten, zieht ein großer Teil der Verbraucher vor allem beim Verhandeln über die Produkte nach wie vor den persönlichen Kontakt vor. Angesichts des derzeitigen Wissensstands der Verbraucher, ihres derzeitigen Verhaltens und ihrer Präferenzen könnten Banken über Kanäle nachdenken, die besser dazu geeignet sind, die Kenntnisse der Verbraucher über Finanzdienstleistungen zu erhöhen — beispielsweise eine gesamteuropäische EU-Verbraucherwebsite. Die Finanzierungquellen einer solchen Website sollten weiter erörtert werden, gleichwohl könnten sich die nationalen Regierungen, Gebietskörperschaften und Drittaggregatoren beteiligen. Bei der Schaffung einer solchen Möglichkeit ist zu berücksichtigen, dass Instrumente zum Vergleich von Versicherungen in erster Linie vor dem Hintergrund des nationalen kulturellen Verständnisses gesehen werden müssen. Es ist daher eine anspruchsvolle Aufgabe für einen gesamteuropäischen Dienst zum Vergleich von Versicherungen, der Vielfalt der Nutzer/Kunden in Europa erfolgreich Rechnung zu tragen, vor allem im Hinblick auf den Vergleich der zu versichernden Risiken etwa in einem gegebenen nationalen und lokalen kulturellen, rechtlichen, steuerlichen und sozialen Rahmen.

10.   Was kann sonst noch getan werden, um den grenzübergreifenden Vertrieb von Finanzprodukten über Mittelspersonen zu erleichtern?

4.2.1.2.1

Der EWSA spricht sich dafür aus, Anstrengungen zu unternehmen, um den Markt effektiver, flexibler und transparenter zu gestalten, und befürwortet es, den Schwerpunkt der gegenwärtigen regulatorischen Initiative auf einen besseren Verbraucherschutz zu legen. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Qualität der Leistungen, die mit der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen einhergehen, auch durch eine effektivere Nutzung der Vorteile der Digitalisierung und des Potenzials der verschiedenen Mittler, mit gut ausgebildetem und qualifiziertem Personal und einer angemessenen Methode für die Bereitstellung von vollständigen, objektiven und vergleichbaren Informationen verbessert werden könnte, um Verbrauchern fundierte Entscheidungen zu ermöglichen.

11.   Sind weitere Maßnahmen notwendig, um die Vergleichbarkeit zu fördern und/oder den Wechsel zu in demselben oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anbietern von Finanzdienstleistungen für Privatkunden zu erleichtern? Falls ja, welche und für welche Produktsegmente?

4.2.1.2.2

Die bereitgestellten Informationen sollten präzise, verständlich und für alle Verbraucher relevant sein. Die Überschwemmung der Verbraucher mit Informationen ist dabei ebenso zu vermeiden wie eine zu große Vereinfachung der Realität, um bessere Renditen versprechen zu können. Ein gutes Beispiel ist an dieser Stelle die Praxis zum Wechsel des Finanzdienstleisters im Vereinigten Königreich, wo die Genauigkeit des Wechsels zwischen der sendenden und der empfangenden Bank durch einen unabhängigen Dritten garantiert wird. Dadurch wird gewährleistet, dass der Wechsel einfach und transparent und innerhalb von sieben Werktagen vonstattengeht. Ein weiteres bewährtes Verfahren ist 2006 in Italien eingeführte Portabilität von Hypothekendarlehen (25).

4.2.1.3

Bewältigung komplexer und übermäßig hoher Gebühren für Auslandstransaktionen

12.   Was kann auf EU-Ebene sonst noch unternommen werden, um das Problem der überhöhten Gebühren für innerhalb der EU getätigte grenzübergreifende Zahlungen (z. B. Überweisungen), die mit einem Währungsumtausch verbunden sind, anzugehen?

4.2.1.4

Mit der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates (26) wurden bereits die unterschiedlichen Gebühren für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro im Vergleich zu entsprechenden Zahlungen in Euro auf nationaler Ebene beseitigt. Es könnte eine Ad-hoc-Bewertung durchgeführt werden um zu überprüfen, ob die Anwendung dieser Rechtsvorschrift auf alle Währungen in der EU (d. h. Angleichung der Gebühren für grenzüberschreitende oder inländische Zahlungen in einer bestimmten Währung) sinnvoll und zum Nutzen der Verbraucher wäre. Was die Informationen an Zahlungsnutzer betrifft, müssen Zahlungsdienstleister gemäß der überarbeiteten Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) (27) den Kunden (d. h. den Zahlungsdienstnutzer) vor bindendem Vertrag oder Angebot über alle Gebühren unterrichten, die er an den Zahlungsdienstleister zu entrichten hat, sowie über den aktuellen Wechselkurs oder den für den Zahlungsvorgang geltenden Referenzwechselkurs im Falle einer Währungsumrechnung. PSD2 enthält ähnliche Bestimmungen bezüglich der Informationen, die Zahlungsdienstleister nach der Durchführung der Transaktion an den Auftraggeber und den Begünstigten übermitteln müssen. Der EWSA sieht keinen weiteren Handlungsbedarf, da PSD2 den Zahlungsdienstleistern bereits klare Transparenzanforderungen auferlegt. Zudem könnte die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 über grenzüberschreitende Zahlungen auf andere Währungen außer dem Euro in der EU ausgeweitet werden.

13.   Sollten neben den bestehenden Informationspflichten  (28) weitere Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die Verbraucher wissen, welche Währungsumrechnungsgebühren bei grenzübergreifenden Transaktionen erhoben werden?

4.2.1.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass PSD2 eindeutige Transparenzanforderungen enthält, die sowohl Auftraggebern als auch Begünstigten eine ordnungsgemäße Unterrichtung über den vor und nach einer grenzüberschreitenden Transaktion angesetzten Wechselkurs ermöglichen. Diese Richtlinie muss bis spätestens 13. Januar 2018 in einzelstaatliches Recht umgesetzt werden. Daher besteht kein weiterer Handlungsbedarf.

4.2.2   Europaweiter Zugang zu Finanzdienstleistungen

14.   Was kann getan werden, um die ungerechtfertigte Diskriminierung von Verbrauchern aufgrund des Wohnsitzes im Finanzdienstleistungsmarkt für Privatkunden (einschließlich Versicherungswesen) einzuschränken?

Die Bereitstellung von Finanzdienstleistungen für Privatkunden im Ausland ist nicht einfach und könnte sich für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer als wirtschaftlich nicht tragfähig erweisen. Kulturelle Unterschiede zwischen den Verbrauchern im Hinblick auf die Bereitschaft, Risiken einzugehen, Verhaltensweisen, Erfahrung und Finanzkompetenz könnten sich ebenfalls als bedeutsam erweisen. Die Banken wissen ganz genau, dass das Vertrauen ein Kernaspekt bei Finanzbeziehungen ist. Aus diesem Grund wenden sie sich möglicherweise lieber an Kunden, die den gleichen Wissensstand haben und die Erwartungen haben, die sie verstehen. In jedem Fall dürfte eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften, die in der Antwort auf Frage 2 angeführt sind, in dieser Hinsicht von großer Bedeutung sein.

4.2.2.1

Für Versicherer ist der Wohnort aus folgenden Gründen von Bedeutung:

Lokale Faktoren, wie zum Beispiel Klimafaktoren oder seismographische Faktoren, müssen berücksichtigt werden, wenn etwa die Bedingungen und die Preisgestaltung für Hausversicherungen festgelegt werden. Ohne eine bestimmte kritische Masse können keine Dienstleistungen auf geeigneter Basis erbracht werden. Die Modelle der Versicherungsmathematiker arbeiten mit einer hohen Fehlermarge, wenn die Anzahl der für die Berechnungen verwendeten Ereignisse nicht hoch genug ist. Wenn Risiken darüber hinaus durch Rückversicherungen abgesichert werden, errechnen die Rückversicherungsmodelle auf der Grundlage des Standorts unterschiedliche Preise.

Diese Elemente machen die Bereitstellung von Versicherungsdienstleistungen und Versicherungsprodukten im Ausland schwieriger als in den Ländern, in denen es ein hinreichend großes Geschäftsvolumen gibt, und dies sollte nicht als Diskriminierung des Wohnsitzes des Kunden betrachtet werden.

Das grenzübergreifende Angebot bestimmter Versicherungsprodukte ist eine große Herausforderung und in den Fällen fast unmöglich, in denen die tatsächlichen Bedürfnisse des Kunden, denen mit den Produkten Rechnung getragen werden soll, in hohem Maße kulturell geprägt sind und von nationalen Unterschieden im Verhalten und bei Risikofaktoren bestimmt werden.

Der psychologische Aspekt der Leistungen sollte auch berücksichtigt werden. Die Versicherungsleistung wird erbracht, wenn der Kunde tatsächlich ein Problem hat. Zu einem solchen Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass er Unterstützung und Verständnis benötigt. Wenn der Kunde den Vertrag für sein Versicherungsprodukt über das Internet mit einem Unternehmen mit Sitz im Ausland abgeschlossen hat, möglicherweise in einer Sprache, die nicht seine Muttersprache ist, kann es sein, dass er sich genau dann unsicher fühlt, wenn er diese Unterstützung braucht.

In einigen Mitgliedstaaten bevorzugen Kunden im Schadensfall eine Erstattung, in anderen Mitgliedstaaten hingegen ziehen sie es vor, dass alles repariert wird.

4.2.2.2

Verstärkte Portabilität von Produkten

15.   Was kann auf EU-Ebene unternommen werden, um die Portabilität von Finanzprodukten für Privatkunden, zum Beispiel Lebensversicherungen und private Krankenversicherungen zu erleichtern?

4.2.2.2.1

Generell dürften Versicherungsprodukte, die eine Vergütung oder eine einfache Auszahlung liefern, einfacher portierbar sein als Versicherungsprodukte, die eine Leistung erbringen oder Schäden abwickeln.

4.2.2.2.2

Lebensversicherungsprodukte sind bereits in einem gewissen Maße in dem Sinne portabel, dass der Kunde bei Reisen ins Ausland versichert ist, abgesehen von bestimmten Fällen, wenn er beispielsweise in Risikogebiete reist. Lokale Lebensversicherungen stellen ihm ebenfalls unabhängig von seinem Wohnort Versicherungsschutz bereit. Es bleibt jedoch der Fall, in dem ein Versicherungsnehmer nicht als Tourist in ein anderes Land reist, sondern sich dort dauerhaft niederlassen will. In einer solchen Situation sollte er seine Versicherung beibehalten können, indem er die Versicherungsprämie oder die durch die Versicherungspolice gedeckte Versicherungssumme anpasst. Das sind Fälle, in denen die Versicherungsprodukte einen bestimmten Geldbetrag liefern.

4.2.2.2.3

Andere Versicherungsprodukte sind per se nicht so leicht portabel, weil ihre Vertragsbedingungen untrennbar mit landesspezifischen Merkmalen verbunden sind. So ist die Produkt- und Preisgestaltung bei Krankenversicherungen beispielsweise in hohem Maße abhängig von den Leistungen des öffentlichen Gesundheitssystems in den einzelnen Ländern.

4.2.2.2.4

Damit verknüpft ist die Frage der Größenvorteile: theoretisch wäre es natürlich möglich, das Produkt ganz speziell für den Kunden an die tatsächlichen Bedingungen in dem Land anzupassen, in dem er lebt, das würde jedoch bedeuten, auf die Erzielung von Größenvorteilen zu verzichten. Das Produkt wäre zu sehr auf seinen Fall zugeschnitten, und das Unternehmen, das das Produkt anbietet, wäre weniger wettbewerbsfähig als die Anbieter in dem entsprechenden Land. Die beste Option bestünde in diesem Fall darin, die Zusammenarbeit zwischen Versicherungsunternehmen mit Niederlassungen in verschiedenen europäischen Ländern zu fördern.

4.2.2.3

Weitere Versicherungsprodukte, die Leistungen erbringen, sind Haus- und Kraftfahrzeugversicherungen. Produkte, die die Reparatur von Schäden bereitstellen oder Verkehrsunfälle abwickeln, setzen voraus, dass das Versicherungsunternehmen Verträge mit Dienstleistern im ganzen Land unterhält, was wiederum eine bestimmte Größenordnung erfordert, um wirtschaftlich tragfähig zu sein. Eine Option besteht jedoch in jedem Fall darin, die Zusammenarbeit mit lokalen (Versicherungs-) Unternehmen zu fördern, um diese Dienstleistung in anderen Ländern anzubieten.

4.2.2.4

Erleichterung des grenzübergreifenden Abschlusses und der grenzübergreifenden Anerkennung von Berufshaftpflichtversicherungen

16.

Was kann auf EU-Ebene unternommen werden, um Dienstleistungserbringern den Zugang zu obligatorischen Berufshaftpflichtversicherungen zu erleichtern und deren grenzübergreifende Anerkennung zu fördern?

4.2.3

Ein Weg, grenzübergreifenden Zugang zu obligatorischen Berufshaftpflichtversicherungen zu ermöglichen, bestünde in der Harmonisierung der Versicherungssummen und Bedingungen für die obligatorischen Berufshaftpflichtversicherungen.

4.2.3.1

Das Vertrauen der Menschen in Angebote aus dem EU-Ausland fördern

4.2.3.2

Erleichterung des grenzübergreifenden Abschlusses und der grenzübergreifenden Anerkennung von Berufshaftpflichtversicherungen

17.   Sind auf EU-Ebene weitere Maßnahmen erforderlich, um die Transparenz und Vergleichbarkeit von Finanzprodukten (insbesondere durch digitale Lösungen) zu erhöhen, um das Vertrauen der Verbraucher zu stärken?

4.2.3.2.1

Der EWSA erachtet unabhängige Websites, die Informationen bereitstellen und den Vergleich spezifischer Produkte und Dienstleistungen unterschiedlicher Anbieter in den verschiedenen Mitgliedstaaten für eine gute Möglichkeit im Sinne der Sensibilisierung. Er unterstützt nachdrücklich die Idee einer speziell zu diesem Zweck eingerichteten offiziellen Website, die entweder von einem gesetzlich zugewiesenen Administrator unterstützt wird, wobei die Versicherungsanbieter verpflichtet werden, die Informationen in festgelegten Zeitabständen zu aktualisieren, oder über ein von Verbraucherorganisationen geschaffenes Netzwerk in den Mitgliedstaaten. Verschiedene Websites könnten auch in einem dezentralisierten, miteinander verbundenen System verknüpft werden.

Wenn digitale Lösungen zu Vergleichszwecken verwendet werden, sollten die Plattformen eindeutige Informationen bereitstellen, damit gleichwertige Produkte und die Risiken, denen Verbraucher bei der Nutzung dieser Produkte ausgesetzt sind, miteinander verglichen werden können. Wenn es mehr Unterschiede gibt, als auf der Plattform dargestellt werden kann (der Schwerpunkt von Plattformen ist in der Regel der Preis), sind die nicht verglichenen Eigenschaften klar und deutlich anzugeben. Sämtliche wichtigen Bedingungen im Zusammenhang mit der Produktdifferenzierung sind ebenfalls anzuführen. Verbraucher sollten bei der Nutzung von Vergleichsplattformen ausdrücklich vor den damit verbundenen Risiken (z. B. durch die Aggregation ihrer personenbezogenen Daten) gewarnt werden.

4.2.3.2.2

Der Vergleich sollte anhand signifikanter Parameter durchgeführt werden und nicht irreführend sein. Die Verwendung personenbezogener Daten sollte auf das absolute Mindestmaß begrenzt werden, das erforderlich ist, um Verbrauchern einen Nutzen anzubieten. Gleichzeitig sind die Informationen in klarer und leicht verständlicher Weise bereitzustellen.

4.2.3.3

Verbesserung des Rechtsschutzes bei Finanzdienstleistungen für Privatkunden

18.   Sollten Maßnahmen ergriffen werden, um das Wissen der Verbraucher um FIN-NET und seine Wirksamkeit im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten zu verbessern?

4.2.3.3.1

Die außergerichtliche Streitbeilegung ist ein erheblich flexibleres Verfahren als Gerichtsverfahren: Es ist günstiger, schneller und mit erheblich weniger Formalitäten verbunden. Ein solches Verfahren ist international ganz besonders nützlich, und angesichts der gewünschten Erhöhung eines grenzübergreifenden Angebots an — und der Nachfrage nach — Finanzdienstleistungen, sollte die Rolle von FIN-NET gestärkt werden. Leider sind die Kenntnisse der Verbraucher über das Angebot von FIN-NET derzeit vergleichsweise gering, es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um dessen Bekanntheit zu steigern. Darüber hinaus sind nicht alle EU-Mitgliedstaaten — sondern nur 22 von 28 — Mitglied des FIN-NET (29). Falls diese Situation weiter andauert, kann FIN-NET natürlich nicht als Infrastruktur verwendet werden, mit der die Schaffung eines Binnenmarkts für Finanzleistungen erleichtert wird. Daher sind die Möglichkeiten diesbezüglicher rechtlicher Anforderungen sorgfältig zu prüfen.

19.   Haben die Verbraucher im Falle irreführender Praktiken beim Vertrieb von Finanzprodukten und Versicherungen Zugang zu angemessenen finanziellen Entschädigungen? Falls nicht, was könnte getan werden, um einen derartigen Zugang zu gewährleisten?

4.2.3.3.2

In den meisten Fällen besteht kein solcher Zugang. Das Konzept der irreführenden Vertriebspraktiken ist noch weitgehend unverstanden und wird wegen seiner unklaren Formulierung und aufgrund fehlender Erfahrung der Aufsichtsbehörden (30) praktisch nicht angewendet. In vielen Orten sind die Tests, mit denen bestimmt wird, ob die Finanzprodukte für die Kunden geeignet sind, rein formal und führen keinesfalls zur Auswahl der Produkte, die sich am besten für die Kunden eignen.

4.2.3.3.3

Zugang zu einer finanziellen Entschädigung könnte durchaus gewährleistet werden, wenn eine einzige, präzise und praktische Bestimmung des Begriffs „irreführender Vertrieb bzw. unseriöse Verkaufspraktiken (englisch Mis-selling)“ eingeführt und eine gesamteuropäische aufsichtsbehördliche Praxis durchgesetzt würde, um solche Verkäufe zu sanktionieren (31).

4.2.3.4

Schutz der in einen Verkehrsunfall verwickelten Personen bei Zahlungsunfähigkeit eines Kraftfahrzeugversicherers

20.   Sind Maßnahmen erforderlich, um zu gewährleisten, dass in Verkehrsunfälle verwickelte Personen bei Zahlungsunfähigkeit der Versicherungsgesellschaft durch Garantiefonds aus anderen Mitgliedstaaten entschädigt werden?

4.2.3.5

Es gibt ein spanisches Beispiel für ein bewährtes Verfahren. Das spanische Unternehmen „Consorcio de Compensación de Seguros“ handelt als Versicherer in Fällen, in denen ein Risiko nicht von einem Versicherungsunternehmen akzeptiert wird, oder bei Fehlen eines Versicherungsunternehmens, etwa bei Insolvenz, und grundsätzlich subsidiär. Die Bürgschaft dieses Unternehmens gilt lediglich für spanische Unternehmen. Um dafür Sorge zu tragen, dass in Verkehrsunfälle verwickelte Personen auf demselben Niveau entschädigt werden, wird die Europäische Kommission ein ähnliches Bürgschaftssystem in allen Mitgliedstaaten vorschreiben müssen. Ein ähnliches Instrument könnte auf europäischer Basis auf Länder ausgedehnt werden, in denen es ein solches Instrument nicht gibt.

4.2.3.6

Verstärkte Transparenz und Vergleichbarkeit von Zusatzversicherungen

21.   Welche weiteren Maßnahmen sollten ergriffen werden, um die Transparenz in Bezug auf Zusatzversicherungsprodukte zu verbessern und die Verbraucher in die Lage zu versetzen, eine fundierte Entscheidung über den Erwerb dieser Produkte zu treffen? Sind in der Autovermietungsbranche besondere Maßnahmen in Bezug auf Zusatzprodukte erforderlich?

4.2.3.6.1

In der neuen Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (32) sind die Anforderungen an Transparenz der Informationen für Versicherungsmakler verstärkt. Dazu zählen auch — wenngleich mit bestimmten Einschränkungen (Schwellenwert) — Versicherungsvermittler in untergeordneter Position. Außerdem haben sich im Jahr 2015 fünf große Autovermietungsunternehmen selbst verpflichtet, ihre Websites zu optimieren und Kunden besser über optionale Verzichtserklärungen und Versicherungsprodukte aufzuklären. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Die Mitgliedstaaten haben bis zum 23. Februar 2018 Zeit, die Richtlinie über den Versicherungsbetrieb umzusetzen, es kann deshalb noch keine Aussage darüber getroffen werden, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind. Gleichzeitig scheint es für die Kommission ratsam zu sein, zu überwachen, ob die Verpflichtungen der Autovermietungsunternehmen nicht nur im Hinblick auf Versicherungsprodukte eingehalten worden sind, und weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz und zur Verhinderung einer Verbraucherbenachteiligung in Erwägung zu ziehen.

4.2.3.6.2

Im Fall der Autovermietungsbranche ist unbedingt zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an die zusätzlichen Versicherungsprodukte oftmals in Abhängigkeit von dem Risikoprofil des Mieters (gewöhnlich in Verbindung mit einem Kreditkartenlimit) oder in Abhängigkeit von der Kraftfahrzeug-Schadenquote oder anderen Marktmerkmalen des Mitgliedstaats differenziert werden. Für Verbraucher sind die vorvertraglichen Informationen und die auf Vergleichbarkeit unterschiedlicher Angebote gerichteten Anstrengungen indes in jedem Falle wichtig; es wäre daher ratsam, mit der Analyse der Notwendigkeit weiterer Maßnahmen zu warten, bis die Vorschriften dieser Richtlinie vollständig in Kraft getreten sind.

4.3    Schaffung neuer Marktchancen für Anbieter

4.3.1   Umgang mit den Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung

4.3.1.1

Unterstützung der Unternehmen bei einer besseren Nutzung der Digitalisierung

22.   Was kann auf EU-Ebene getan werden, um Unternehmen dabei zu unterstützen, innovative digitale Finanzdienstleistungen, die ein angemessenes Maß an Sicherheit und Verbraucherschutz aufweisen, zu entwickeln und europaweit anzubieten?

4.3.1.1.1

Der EWSA begrüßt die Förderung innovativer digitaler Finanzdienstleistungen in Europa. Er räumt jedoch ein, dass Banken die größten Anbieter von Finanzleistungen sind, die zudem darin unterstützt werden müssen, die durch die digitale Revolution gebotenen Chancen aktiv zu nutzen. Daher müssen für sie dieselben Vorschriften gelten, denen auch ihre Wettbewerber unterliegen, die ähnliche Leistungen anbieten; das macht eine Überprüfung der zentralen Ebenen der Bankenregulierung auf vielen Gebieten erforderlich, um hinsichtlich der folgenden Punkte gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen:

Aufsichtsrechtliche Anforderungen;

Erbringung von Zahlungsverkehrsleistungen;

Anwendung der Know-Your-Customer-Vorschriften und der Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche;

Empfehlungen in Bezug auf die Sicherheit von Zahlungen;

elektronische Sicherheit auf dem neuesten Stand der Technik.

4.3.1.2

Ermöglichen von elektronischen Unterschriften und Identitätsüberprüfungen

23.   Sind weitere Maßnahmen erforderlich, um die Anwendung der Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche auf EU-Ebene zu verbessern, insbesondere um zu gewährleisten, dass die Dienstleister die Identität ihrer Kunden aus der Ferne prüfen können und dabei die Standards des derzeit geltenden Rahmens gewahrt bleiben?

4.3.1.2.1

Es gibt immer noch Unterschiede bei den Vorschriften für die elektronische Identifizierung, den Know-Your-Customer-Vorschriften und den Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche. Die bestehenden Rechtsvorschriften machen die Durchführung einer persönliche Identifizierungen und persönlicher Bewertungen erforderlich, damit Kunden dauerhaft akzeptiert werden. Durch solche Vorschriften wird die Entwicklung vollständig digitaler Finanzdienstleistungen eingeschränkt, es werden Barrieren für die Aufnahme neuer Kunden geschaffen, die Kosten werden gesteigert.

4.3.1.2.2

Es müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden, um das Fehlen eines europaweiten Mechanismus für elektronische Identifizierung und Unterschriften wegen Unterschieden in einzelstaatlichen Praktiken zu überwinden: Obwohl in den Rechtsvorschriften gemeinsame Normen für digitale Unterschriften in den Mitgliedstaaten festgelegt sind, verhindert die Art und Weise, in der sie auf einzelstaatlicher Ebene von den Wirtschaftsteilnehmern des jeweiligen Mitgliedstaats angewendet werden, die grenzübergreifende Anerkennung von digitalen Unterschriften. Lokale digitale Akteure sind nicht vernetzt, was deren Möglichkeiten einschränkt, europäischen Verbrauchern vollständig digitalisierte Finanzdienstleistungen anzubieten.

24.   Sind — auch im Hinblick auf Sicherheitsstandards — weitere Maßnahmen notwendig, um die Einführung und Nutzung der elektronischen Identifizierung und elektronischer Signaturen im Bereich der Finanzdienstleistungen für Privatkunden zu fördern?

4.3.1.2.3

Ja, im Hinblick auf die folgenden Punkte müssen Maßnahmen ergriffen werden:

Unterstützung der Einrichtung unabhängiger Zertifizierungsstellen zur Überprüfung der Identität digitaler Kunden und für die Durchführung von Untersuchungen für die persönliche Erkennung von Kunden;

Klären der widersprüchlichen Aspekte in den Rechtsvorschriften zur digitalen Identifizierung und in den Verfahren zur Bekämpfung von Geldwäsche sowie den Know-Your-Customer-Vorschriften;

Zusammenarbeit zwischen Finanzunternehmen und europäischen und einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden bei der Ausarbeitung gemeinsamer Normen für die digitale Identifizierung von Unterschriften, die auch von Behörden und Finanzunternehmen anzuwenden sind;

Prüfung der möglichen Anwendung einer einheitlichen europäischen digitalen Identifizierung und einheitlicher Unterschriften, die letzten Endes auch die Grundlage für die Verbraucheridentifizierung in Finanzinstituten sein würde.

4.3.1.3

Verbesserung des Zugangs zu Finanzdaten und Verbesserung von deren Nutzbarkeit

25.   Welche Arten von Daten sind Ihrer Meinung nach für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit erforderlich?

4.3.1.3.1

Obwohl allgemein Einvernehmen über die Aspekte der finanziellen Situation eines Kunden herrscht, die für die Bewertung der Kreditwürdigkeit verwendet werden sollten, legen Darlehensgeber ihre eigenen Expertengutachten und internen Methoden für die Bewertung und Abwicklung der einzelnen Fälle zugrunde. Daher sollten Initiativen, mit denen Banken oder andere Kreditinstitute verpflichtet werden, verarbeitete Daten, die sie über die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden erwerben, weiterzugeben, vermieden werden. Gleichzeitig könnten Rohdaten (nicht verarbeitete Daten) mit Erlaubnis des betreffenden Kunden und im Einklang mit den Datenschutznormen der EU weitergegeben werden. Dadurch würde die Vergleichbarkeit von Kreditwürdigkeitsbeurteilungen verbessert.

26.   Erfordert die verstärkte Nutzung personenbezogener Finanz- und Nichtfinanzdaten durch Unternehmen (einschließlich traditioneller Nichtfinanzunternehmen) weitere Maßnahmen, um die Erbringung von Dienstleistungen zu erleichtern bzw. den Verbraucherschutz zu gewährleisten?

4.3.1.3.2

Finanzinstitutionen sind bestrebt, mit dem Verhalten der Kunden vertrauter zu werden, damit sie ihre Produkte und Dienstleistungen mit größerem Erfolg diversifizieren und personalisieren können. Es gibt allerdings keine eindeutigen Vorschriften dazu, wie die erfassten Daten zu verwenden sind, selbst wenn die Verbraucher ihre Zustimmung erteilt haben. Der EWSA begrüßt es, für größere Klarheit über die Anwendbarkeit der Vorschriften in diesem Bereich zu sorgen, um Verbraucherschutz sicherzustellen und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass Verbraucher von diesen finanztechnischen Innovationen profitieren können.

27.   Sollten die Anforderungen in Bezug auf die Form, den Inhalt und die Zugänglichkeit des Schadenverlaufs erweitert werden (z. B. in Bezug auf den abgedeckten Zeitraum oder den Inhalt), um sicherzustellen, dass die Unternehmen in der Lage sind, Dienstleistungen grenzübergreifend zu erbringen?

4.3.1.3.3

Schadenverläufe enthalten empfindliche personenbezogene Daten von Kunden. Das Hausversicherungsunternehmen darf diese Daten nicht an andere Interessengruppen, sondern ausschließlich an den tatsächlichen Kunden übermitteln. Es liegt in der Entscheidung des Kunden, ob er den Schadenverlauf einem neuen Versicherungsunternehmen zur Verfügung stellen will oder nicht. Dadurch wird kein Hindernis für die Erbringung grenzübergreifender Dienstleistungen geschaffen, weil der Kunde seinen Schadenverlauf in ein Land mitnehmen kann, das er bevorzugt. Gleichzeitig sollte die Kommission mit Unterstützung der EIOPA nach Methoden zur Förderung eines standardisierten Austauschs von Schadenverläufen zwischen Versicherungsunternehmen und der Akzeptanz von Bonus-Malus-Systemen suchen.

4.3.1.4

Erleichterung der Erbringung von Kundendienst-Leistungen

28.   Sind weitere Maßnahmen erforderlich, um Unternehmen dabei zu unterstützen, in einem anderen Mitgliedstaat ohne Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung nachvertragliche Dienstleistungen zu erbringen?

4.3.1.4.1

Nachvertragliche in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Leistungen sollten sich nicht von solchen Leistungen in dem Land unterscheiden, in dem die betreffenden Produkte angeboten werden. Das heißt, dass das betreffende Produkt und die dazugehörigen nachvertraglichen Leistungen für die grenzübergreifende Bereitstellung von Finanzprodukten als eine Einheit anzusehen sind. Die Anwendung dieses Grundsatzes muss garantiert werden, sonst werden Verbraucher ungleich behandelt. Es ist wichtig, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden die Anwendung dieses Grundsatzes überwachen.

4.3.1.4.2

Plattformen, die Unternehmen (Firmen) dabei unterstützen, ihre Produkte grenzübergreifend anzubieten, sollten auch Bereiche für nachvertragliche Dienstleistungen enthalten. Eine praktische Methode für das Angebot solcher nachvertraglicher Leistungen besteht darin, Unternehmen bei der Bildung von Gruppen zu fördern, in denen sie zusammenarbeiten, um ein ausreichendes Geschäftsvolumen zu erhalten.

4.3.1.5

Angleichung der Verfahren in den Bereichen Privatinsolvenzen, Immobilienbewertung und Verwertung von Sicherheiten

29.   Sind weitere Maßnahmen erforderlich, um Kreditgeber zur grenzübergreifenden Vergabe von Hypothekarkrediten oder sonstigen Krediten zu ermutigen?

4.3.1.5.1

Das Hauptproblem in diesem Bereich betrifft die Zwangsbeitreibung von Forderungen in Fällen, in denen Darlehensnehmer ihre Verpflichtungen aus den Darlehensverträgen nicht mehr einhalten. Vor diesem Hintergrund ist für Darlehensgeber die Vergabe grenzübergreifender Hypothekardarlehen derzeit kein attraktiver Vorschlag. Hier sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich, um Anreize für den EU-Binnenmarkt in diesem Bereich zu schaffen.

4.3.1.5.2

Hypotheken und Darlehen gehören zu den Finanzprodukten, deren grenzübergreifende Vermarktung auf zahlreiche Hindernisse stößt, die schwer zu überwinden sind. Aus dem gesamten Spektrum der Finanzdienstleistungen sind diese Produkte wahrscheinlich diejenigen, bei denen es am längsten dauern wird, die Hindernisse zu überwinden. Folglich ist es zum jetzigen Zeitpunkt besser, erste Anstrengungen auf andere Finanzdienstleistungen im Privatkundenbereich zu konzentrieren, bei denen es weniger Hindernisse gibt, und durch die aktive Arbeit an diesen Finanzdienstleistungen praktische Erfahrungen und Impulse zu gewinnen.

4.3.2

Einhaltung unterschiedlicher rechtlicher Anforderungen in den Mitgliedstaaten der Verbraucher

4.3.2.1

Unternehmen die Erfüllung der in anderen Mitgliedstaaten geltenden Anforderungen erleichtern

30.   Ist ein Handeln auf EU-Ebene erforderlich, damit die Regierungen der Mitgliedstaaten bzw. zuständige nationale Behörden praktische Hilfen (wie zentrale Anlaufstellen) bereitstellen, um den grenzübergreifenden Absatz von Finanzdienstleistungen insbesondere im Hinblick auf innovative Unternehmen oder Produkte zu erleichtern?

4.3.2.1.1

Die Anwendung europäischer Rechtsvorschriften ist auf vielen Gebieten — wie zum Beispiel, aber nicht ausschließlich, bei der Bereitstellung von Anlageprodukten — in den verschiedenen Mitgliedstaaten uneinheitlich und widersprüchlich. Deshalb müssen die einzelstaatlichen Behörden um Unterstützung gebeten werden, um „Goldplating“; also die Übererfüllung von Rechtsvorschriften, zu beseitigen.

Eine weitere gute Initiative ist das EU-weite SOLVIT-Netz, das Unternehmen bei Problemen mit Behörden unterstützt, die das EU-Recht nicht korrekt anwenden. Einheitliche Ansprechpartner unterstützen Unternehmen, die grenzübergreifend Dienstleistungen erbringen, bei der Einhaltung ihrer Verpflichtungen (33).

4.3.2.1.2

Die Erfahrungen von SOLVIT sollten genutzt werden, maßgeschneiderte Lösungen speziell für Finanzprodukte, bessere Zusammenarbeit und Koordination zwischen nationalen Regulierungsbehörden einschließlich Hilfe von Regulierungsbehörden für innovative Unternehmen bezüglich des Verständnisses ihrer Verpflichtungen zu erreichen.

31.   Welche Schritte (wie beispielsweise eine Straffung der Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden von Sitz- und Aufnahmeland) würden Unternehmen am meisten dabei unterstützen, die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit für innovative Produkte zu nutzen?

4.3.2.2

Uneingeschränkte Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit

Oft ist für Versicherer eine lokale Präsenz erforderlich, um sich einen besseren Überblick über die Risiken vor Ort sowie die zu versichernden Kunden zu verschaffen. Die Niederlassungsfreiheit am Ort selbst ist deshalb für Versicherer sowie für Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit von Bedeutung. Die Tatsache, dass bestimmte Arten von Unternehmen der Sozialwirtschaft, darunter auch Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit, auf europäischer Ebene nicht anerkannt sind, verhindert die Niederlassung solcher Unternehmen in den Mitgliedstaaten, in denen sie nicht anerkannt sind, und damit auch deren grenzüberschreitende Entwicklung sowie die Entwicklung der Märkte und des Wettbewerbs. Der EWSA fordert die Kommission, den Rat der Europäischen Union, das Europäische Parlament sowie die Mitgliedstaaten auf, die Anerkennung des Gegenseitigkeitsmodells in der Europäischen Union voranzutreiben.

4.3.2.3

Schaffung autonomer oder stärker harmonisierter EU-weiter Regelungen

32.   Für welche Finanzdienstleistungsprodukte für Privatkunden könnten eine Standardisierung oder Opt-in-Regelungen der wirksamste Weg sein, um Unterschiede in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu überwinden?

4.3.2.3.1

Aus Sicht des grenzüberschreitenden Vertriebs sind folgende Aspekte zu beachten:

Kundenidentifizierung mittels elektronischer Zertifikate. Der EWSA ist der Auffassung, dass ein Register über anerkannte Aussteller von elektronischen Zertifikaten auf EU-Ebene (beispielsweise von der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde) geführt werden muss, wenn Fern-Finanzdienste angeboten werden;

die Möglichkeit für Finanzdienstleister, die Kredithistorie von Kunden in Erfahrung zu bringen. Die Führung eines Darlehensregisters auf EU-Ebene ist für das grenzübergreifende Angebot von Finanzdienstleistungen von entscheidender Bedeutung, vor allem für Finanzdienstleistungen in Verbindung mit der Darlehensvergabe;

die Verfahren für die Verwertung von Sicherheiten, die für die Gewährung eines Darlehens hinterlegt werden. Ressourcen und Anstrengungen sollten in der Schaffung eines einheitlichen EU-Rechtsrahmens für die Verwertung von Sicherheiten bei der grenzübergreifenden Bereitstellung von Finanzdienstleistungen gebündelt werden;

Im Hinblick auf Versicherungsprodukte sind Produkte, die Entschädigungen liefern, einfacher zu standardisieren. Der Kunde erhält unabhängig von seinem Wohnort einen Geldbetrag. Das Unternehmen muss lediglich das Risiko abschätzen können. Lebensversicherungen sind hierfür ein gutes Beispiel. Diejenigen Versicherungsprodukte, die Leistungen erbringen (wie zum Beispiel Schadensreparatur), können jedoch weder standardisiert noch portiert werden. Dies gilt vor allem für Produkte wie Krankenversicherungen.

33.   Sind weitere Maßnahmen auf der EU-Ebene im Hinblick auf den Grundsatz der „Risikobelegenheit“ im Versicherungsrecht und zur Klärung der Anwendung des „Allgemeininteresse-Grundsatzes“ im Versicherungswesen erforderlich?

4.3.2.3.2

Die Risikobelegenheit ist in der Regel der gewöhnliche Aufenthaltsort der versicherten Person, mit einigen Ausnahmen bei Immobilien, bei denen es der Standort der jeweiligen Immobilie ist. Dieser Grundsatz ist gewöhnlich weltweit standardisiert und für die betroffenen Parteien mit rechtlichen und steuerlichen Folgen verknüpft. Der EWSA ist der Auffassung, dass der Grundsatz der Risikobelegenheit bei Versicherungen seinen Zweck erfüllt. Der Ausschuss geht allerdings davon aus, dass die Rechtsvorschriften zum „Allgemeininteresse“ überarbeitet werden müssen, weil sie den Mitgliedstaaten Möglichkeiten zu Annahme von Rechtsvorschriften eröffnen, die den grenzüberschreitenden Vertrieb von Versicherungsprodukten voraussichtlich behindern werden.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 17.

(2)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 93, und ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 99. Diese Situation dürfte sich nun auch verbessert haben, nachdem die Richtlinie über alternative Streitbeilegung von den Mitgliedstaaten umgesetzt sein müsste (ABl. L 165 vom 18.6.2013, S. 63, und ABl. L 165 vom 18.6.2013, S. 1).

(3)  COM(2016) 56 final, COM(2016) 57 final, ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 1; ABl. L 257 vom 28.8.2014, S. 1.

(4)  ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 80.

(5)  COM(2007) 226 final.

(6)  ABl. C 151 vom 17.6.2008, S. 1.

(7)  ABl. L 257 vom 28.8.2014, S. 214; ABl. L 60 vom 28.2.2014, S. 34; ABl. L 337 vom 23.12.2015, S. 35; ABl. L 26 vom 2.2.2016, S. 19; ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349.

(8)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 24.

(9)  ABl. L 337 vom 23.12.2015, S. 35; ABl. L 60 vom 28.2.2014, S. 34.

(10)  COM(2015) 468 final.

(11)  Siehe Fußnote 2.

(12)  Der Grad der Finanzkompetenz unterscheidet sich innerhalb der EU beträchtlich. Durchschnittlich verfügen 52 % der erwachsenen Bevölkerung über fundiertes Finanzwissen, am besten schneiden im Vergleich (mindestens 65 %) Dänemark, Deutschland, die Niederlande und Schweden ab. Südeuropäische Länder schneiden erheblich schlechter ab: Griechenland (45 %), Spanien (49 %), Italien (37 %) und Portugal (26 %). Ähnlich niedrige Indikatoren weisen die Länder auf, die der EU im Jahr 2004 und danach beigetreten sind: Bulgarien (35 %), Zypern (35 %) und Rumänien (22 %). Aus globaler Sicht liegt Europa im Durchschnitt hinter den USA (57 %), Kanada (68 %) und Australien (64 %) zurück. Datenquelle: Klapper, Leora, Annamaria Lusardi, Peter van Oudheusden, Financial Literacy Around the World, 2015.

(13)  Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) sagt in einer Stellungnahme zu Verbraucherschutz und dem Verkauf von Versicherungen und Altersvorsorgeversicherungen, dass Verbraucher nicht angemessen recherchieren, bevor sie Produkte online kaufen — EIOPA-BoS-14/198 28. Januar 2015 EIOPA Stellungnahme zum Verkauf von Versicherungs- und Rentenversicherungsprodukten über das Internet.

(14)  Lusardi, Annamaria und Peter Tufano (2015). Debt Literacy, Financial Experiences, and Overindebtedness, Journal of Pension Economics and Finance, Band 14, Sonderausgabe 4, S. 332-368, Oktober 2015.

(15)  Behrman Jere R., Olivia S. Mitchell, Cindy K. Soo und David Bravo (2012). The Effects of Financial Education and Financial Literacy: How Financial Literacy Affects Household Wealth Accumulation, American Economic Review: Papers & Proceedings, Band 102(3), S. 300-304.

(16)  Abreu, Margarida und Victor Mendes (2010). Financial Literacy and Portfolio Diversification, Quantitative Finance, Band 10(5), S. 515-528.

(17)  Jappelli, Tullio und Mario Padula, Investment in financial literacy and saving decisions, Arbeitspapier des Zentralen Finanzdienstes, Nr. 2011/07.

(18)  http://ec.europa.eu/consumers/consumer_evidence/consumer_scoreboards/10_edition/docs/cms_10_factsheet_en.pdf.

(19)  The European Federation of Investors and Financial Services Users, Pension Savings: The Real Return, 2015 Edition, A Research Report by Better Finance.

(20)  Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA), Consultation Paper on the creation of a standardised PanEuropean Personal Pension product (PEPP), 2015.

(21)  Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung) (ABl. L 26 vom 2.2.2016, S. 19).

(22)  Wie sie z. B. im Anhang I der Initiativstellungnahme des EWSA „Vermittlung von Finanzwissen und verantwortungsvolles Verbraucherverhalten“ (ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 24) beschrieben werden.

(23)  In ihrer Mitteilung „Bessere Ergebnisse durch bessere Rechtsetzung — Eine Agenda der EU“ (COM(2015) 215 final, S. 7) definiert die Kommission diesen Begriff wie folgt: „Häufig gehen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften auf nationaler Ebene auch über das hinaus, was unbedingt erforderlich ist (‚Goldplating‘).“Weiter heißt es: „Dadurch mag der Nutzen erhöht werden, den Unternehmen und den öffentlichen Verwaltungen können jedoch auch zusätzliche unnötige Kosten entstehen, die fälschlicherweise mit den EU-Vorschriften in Verbindung gebracht werden.“ Die Fachgruppe INT arbeitet derzeit an der Erstellung eines zusammenfassenden Berichts über „Umsetzungspraktiken“, der sich mit eben diesem Hinzufügen einzelstaatlicher Bestimmungen zu EU-Richtlinien befasst. Das Europäische Parlament führt außerdem eine Studie über „Goldplating in europäischen Strukturfonds und Anlagefonds“ durch.

(24)  ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 1.

(25)  Dies wurde ohne jedwede Kosten für Verbraucher realisiert, und Hunderte und Tausende von Haushalten und KMU machen jedes Jahr von dieser Möglichkeit Gebrauch, um ihre Hypothekendarlehen neu auszuhandeln und dadurch Tausende von Euro einzusparen. Dieses Verfahren liegt auch der Annahme der Richtlinie 2014/17/ЕU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. L 60 vom 28.2.2014, S. 34) zugrunde.

(26)  ABl. L 266 vom 9.10.2009, S. 11.

(27)  ABl. L 319 vom 5.12.2007, S. 1.

(28)  ABl. L 271 vom 9.10.2002, S. 16; ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 338; ABl. L 267 vom 10.10.2009, S. 7; ABl. L 319 vom 5.12.2007, S. 1. (COM(2013) 547 final — C7-0230/2013-2013/0264 (COD)). Siehe Artikel 59 und Artikel 60 Absatz 3.

(29)  FIN-NET verfügt derzeit über 56 Mitglieder aus 22 Mitgliedstaaten, und laufend beantragen neue Organisationen die Mitgliedschaft — ein Prozess, der sich nach der Annahme der AdR-Richtlinie noch beschleunigen dürfte — Large Business and International Directive on Information Document Requests Enforcement Process, 28. Februar 2014.

(30)  Das Konzept irreführender Verkaufspraktiken wird detailliert in Ziffer 3.7 erläutert. Dieses Problem wird mit der Annahme der MiFID-Richtlinie und des darin vorgesehenen Stabilitätstests für bestimmte Produktarten z. T. gelöst. Siehe Fußnote 3.

(31)  ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 61, und ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 24.

(32)  ABl. L 26 vom 2.2.2016, S. 19.

(33)  http://ec.europa.eu/internal_market/eu-go/index_de.htm.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Schritte zu einem modernen, europäischeren Urheberrecht

[COM(2015) 626 final]

(2016/C 264/06)

Berichterstatter:

Denis MEYNENT

Die Europäische Kommission beschloss am 22. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Schritte zu einem modernen, europäischeren Urheberrecht

[COM(2015) 626 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April) mit 216 gegen 3 Stimmen bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA bedauert, dass die Kommission in der vorliegenden Mitteilung keine konkreteren Vorschläge unterbreitet und lediglich Denkanstöße gibt, ohne Stellung zu nehmen, wodurch eine strukturierte Debatte erschwert wird.

1.2.

Das Urheberrecht bleibt ein wichtiges Instrument für den Schutz und die gerechte Vergütung der Autoren und derer, die an der Verbreitung von Werken und Darbietungen über miteinander verbundene digitale Netze beteiligt sind.

1.3.

Der EWSA ruft zu einer raschen Ratifizierung des Vertrags von Marrakesch auf; auch Ausnahmeregelungen in den Bereichen Bildung, wissenschaftliche Forschung und Wissensaustausch sollte Vorrang eingeräumt werden; darüber hinaus plädiert der Ausschuss für eine Digitalisierung verwaister Werke.

1.4.

Der EWSA hält eine europaweite Vereinheitlichung in Bezug auf Privatkopien für möglich und wünschenswert. Ein erheblicher Teil der Einnahmen aus der Abgabe für Privatkopien sollte logischerweise für die Finanzierung literarischen und künstlerischen Schaffens und der Förderung der kulturellen Vielfalt sowie beispielsweise für gemeinsame Bildungs- und Forschungsanstrengungen verwendet werden.

1.5.

Der EWSA empfiehlt, einen rechtlichen Rahmen abzustecken, der sowohl die Schaffung von urheberrechtlich geschützten Werken begünstigt als auch mit neuen Lizenzvergabe- und Geschäftsmodellen zum Aufbau des europäischen Binnenmarkts beiträgt, während die Vertragsfreiheit und das Recht der Autoren und Urheber, in vollem Umfang von ihrem künstlerischen Schaffen zu profitieren, gewahrt werden.

1.6.

Der EWSA erachtet die Verordnung als das für den Aufbau des digitalen Binnenmarkts am besten geeignete Instrument; außerdem sollte das geltende Recht konsolidiert werden.

1.7.

Der EWSA ruft die Kommission auf, Studien und eingehende Untersuchungen hinsichtlich der mit freien Lizenzen verbundenen Geschäftsmodelle, ihrer derzeitigen und potenziellen wirtschaftlichen Bedeutung, der durch sie in den verschiedenen Bereichen eventuell generierten Einkünfte und geschaffenen Arbeitsplätze sowie ihrer Förderung und Nutzung förderlicher Legislativvorschläge durchzuführen.

1.8.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die kulturelle Vielfalt Europas den Kern der europäischen Identität bildet und die Mitgliedstaaten diese Vielfalt untereinander fördern und stimulieren sollten.

1.9.

Bei der Bekämpfung von Verstößen gegen das Urheberrecht sollten vorrangig gewerbsmäßige Zuwiderhandlungen abgestellt und sanktioniert werden; hierfür sind die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungs- und Justizbehörden der Mitgliedstaaten unerlässlich.

1.10.

Die Problematik des Vermögenstransfers online, von dem derzeit selbst ernannte Vermittler ohne die Zustimmung oder Vergütung der Urheber profitieren, sollte angegangen werden.

2.   Vorschläge der Kommission

2.1.

Der vorliegende Aktionsplan dient der Modernisierung des EU-Urheberrechts. Die Kommission legt in ihrer Mitteilung die zur Umsetzung ihrer Strategie für einen digitalen Binnenmarkt wesentlichen Elemente dar: Verbesserung des europaweiten Zugangs zu Inhalten, Ausnahmen vom Urheberrecht, Schaffung eines gerechteren Markts und Bekämpfung der gewerbsmäßigen Piraterie bei gleichzeitiger Förderung einer langfristigen Vereinheitlichung des Urheberrechts.

2.2.

Die Mitteilung enthält unter anderem einen Vorschlag für eine Verordnung zur grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten (1), die für die europäischen Verbraucher ein neues Recht bedeuten würde und 2017 Wirklichkeit werden dürfte, in demselben Jahr, in dem auch die Roaming-Gebühren in der Union abgeschafft werden.

3.   Einleitung

3.1.

Der digitale Datenaustausch zwischen den EU-Mitgliedstaaten ist sehr gering (4 % der Gesamtbewegungen); die meisten digitalen Dienste befinden sich in den USA, und der übrige Datenaustausch erfolgt innerhalb der Grenzen. Der europäische digitale Binnenmarkt ist derzeit noch sehr wenig entwickelt. Es gibt nach wie vor Hemmnisse, die insbesondere den kulturellen Austausch zwischen den in Europa zahlreichen beidseitig mehrerer Staatsgrenzen lebenden sprachlichen Minderheiten behindern.

3.2.

Der Präsident der Kommission hat in seinem Programm „Ein neuer Start für Europa“ (2) die Schaffung eines großen, vernetzten digitalen Binnenmarkts für alle EU-Mitgliedstaaten zur Priorität erklärt, und zwar ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.

3.3.

Das Urheberrecht bildet das gesetzliche Fundament für die Vergütung von Autoren, Urhebern, ausübenden Künstlern und anderen Rechteinhabern und ist auf globaler Ebene essenziell für das Zusammenspiel der kulturellen und kreativen Tätigkeiten und Branchen. Es handelt sich beim Urheberrecht um ein territoriales Recht, das sich von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheidet. Es gewährt den Rechteinhabern überall ausschließliche und wesentliche Rechte. Die Rechteinhaber erzielen nicht nur aus den Lizenzen Einkünfte, sondern auch aus der bloßen Eventualität, dass das Werk auf andere Datenträger kopiert oder vom Lizenzerwerber an Dritte weitergegeben werden könnte, ohne dass ein Nachweis darüber erbracht werden muss, dass eine solche Kopie tatsächlich angefertigt wurde (Abgabe für private Kopien und Besteuerung unbeschriebener Datenträger, die sich zur Anfertigung illegaler Kopien eignen); in einigen Mitgliedstaaten haben sogar einige gutgläubig vollzogene, rechtschaffene Handlungen der Nutzer strafrechtliche Relevanz, die in anderen Mitgliedstaaten zulässig sind.

3.4.

In allen Mitgliedstaaten umfasst das Urheberrecht nur minimale Ausnahmen und Beschränkungen. Das im Papierdruckzeitalter und für die damaligen Technologien — allen voran das Verlegen von Büchern, an zweiter Stelle die Veröffentlichung von Zeitungen und Zeitschriften — konzipierte Urheberrecht steht nicht mehr ganz im Gleichtakt mit der sich in einem ständigen Wandel befindlichen digitalen Gesellschaft und den verbundenen Hochgeschwindigkeitsnetzen und muss daher präzisiert werden. In anderen Bereichen wie den neuen Formen, auf Musik und audiovisuelle Werke zuzugreifen, ist die Wahrnehmung der Rechte komplexer geworden, was auf die uneinheitliche Gesetzeslage zurückzuführen ist, die durch die neue Richtlinie über die kollektive Urheberrechtewahrnehmung in Einklang gebracht werden sollte (3). Beim Übergang von Schallplatten zur DVDs änderte sich wenig, insbesondere im Bereich der Verbreitung oder dem Verleih von Werken. Durch die neuen Technologien hat sich das Modell grundlegend gewandelt, und fast alle Geschäfte, die Schallplatten, CDs und DVDs angeboten haben, sind verschwunden und haben neuen Formen des Online-Vertriebs oder -Verleihs Platz gemacht. Gleiches gilt für Kino und Fernsehen sowie alle Formen der Kunst, die online angeboten werden können.

3.5.

Da es beim geltenden Recht keine nennenswerte Entwicklung gab, kann das Potenzial, das sich aufgrund der Digitalisierung der Werke und immateriellen Schöpfungen sowie ihrer Verbreitung im sich rasch weiterentwickelnden und entfaltenden Internet bietet, nicht voll ausgeschöpft werden.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA bedauert, dass die Kommission in der vorliegenden Mitteilung keine konkreteren Vorschläge unterbreitet und lediglich Denkanstöße gibt, ohne Stellung zu nehmen, wodurch eine strukturierte Debatte erschwert wird.

4.2.

In seiner Stellungnahme vom 26. Oktober 2006 (4) fordert der EWSA die Kommission insbesondere auf, Vorschläge für die Förderung und den Schutz der freien Lizenzen und vor allem der „Lesser General Public License“ (LGPL) für die technische Dokumentation oder der „Creative Commons“-Lizenz für literarische und künstlerische Werke zu unterbreiten. Aber trotz der Bedeutung dieser Thematik — die überwiegende Mehrheit der Server und Serverfarmen auf der Welt nutzt freie Lizenzen wie Debian oder die GPL (General Public License) für GNU/Linux — ist festzustellen, dass die Kommission seitdem keinen entsprechenden Vorschlag unterbreitet hat.

4.3.

Dies schadet der Entwicklung des grenzüberschreitenden Daten- und Dienstleistungsverkehrs im europäischen Binnenmarkt. „Creative Commons“-Lizenzen und die Gemeinfreiheit sind neue universelle Bereiche, die durch die Digitalisierung und das Verbundnetz entstanden sind, während die Fragmentierung des Rechts ebenso viele Hindernisse wie Hemmnisse für den grenzüberschreitenden Austausch mit sich bringt.

4.4.

Das Recht muss die Freisetzung des enormen Potenzials des Internets zugunsten der Autoren und Urheber einerseits und der Nutzer andererseits ermöglichen, anstatt es einzuschränken und einzuengen. Die europäischen Rechtsvorschriften sollten es ermöglichen, möglichst viele Hürden, die einem grenzüberschreitenden Austausch im Hinblick auf die Minderheitensprachen der Europäischen Union im Weg stehen, zu beseitigen, um den Zugang zu Dienstleistungen und Werken zu erleichtern.

4.5.

Anstatt derartige Entwicklungen zu scheuen, sollten die Rechteinhaber eher die gebotenen Möglichkeiten nutzen. Frei bedeutet nicht automatisch kostenlos. Eine freie Software beispielsweise ermöglicht ein andersartiges Geschäftsmodell. Im Gegensatz zu bestimmten derzeit angewandten Praktiken, bei denen die Zahlungen an den Rechteinhaber und dessen rechtlicher Schutz begünstigt werden, basiert eine freie Software auf der Dienstleistung und schafft Arbeitsplätze.

4.6.

Der EWSA ruft die Kommission erneut auf, Studien und eingehende Untersuchungen zu den mit freien Lizenzen verbundenen Geschäftsmodellen, ihrer derzeitigen und potenziellen wirtschaftlichen Bedeutung, den durch sie in den verschiedenen Bereichen eventuell generierten Einkünften und geschaffenen Arbeitsplätze sowie ihrer Förderung und Nutzung förderlicher Legislativvorschläge durchzuführen.

4.7.

Ansätze wie die lizenzfreie Online-Bereitstellung von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Berichten über durch öffentliche Subventionen mitfinanzierte Untersuchungen, Reihen von Hochschullehrgängen zum Ausgleich unverhältnismäßig hoher Studienkosten in einigen Staaten, wie z. B. sämtliche vom MIT angebotenen Kurse, verdienen große Aufmerksamkeit und müssen im Hinblick auf ihre mögliche Durchführbarkeit in der EU („massive open online courses“ — MOOC) untersucht werden. Vor diesem Hintergrund werden Hochschulbildung und Wissen zu Gemeingütern, die zur Verwirklichung der von uns in der EU angestrebten Wissensgesellschaft beitragen.

4.8.

Die Herstellungsmethoden ändern sich, und die über die Verbundnetze vertriebenen immateriellen Güter und Dienstleistungen eröffnen neue Möglichkeiten für die wirtschaftliche Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Gründung innovativer Unternehmen. Beim Konsumverhalten zeichnet sich ein Wandel ab, und diese neuen Gewohnheiten etablieren sich rasch, wobei man sich jedoch darüber im Klaren sein muss, dass es dennoch in Bezug auf die derzeitigen Anbieter immaterieller Dienstleistungen einen europäischen Binnenmarkt bislang nicht gibt. Dies liegt in erster Linie an den unterschiedlichen kulturellen Vorlieben und Gepflogenheiten in den Mitgliedstaaten, der von den Verbrauchern gesprochenen Sprache und auch dem uneinheitlichen Urheberrecht, das weder dem Ausbau des europäischen Marktes noch der Schaffung von Mehrgebietslizenzen oder gar europaweiten Lizenzen förderlich ist.

4.9.

Der EWSA empfiehlt, einen rechtlichen Rahmen abzustecken, der sowohl die Schaffung von urheberrechtlich geschützten Werken begünstigt als auch mit neuen Lizenzvergabe- und Geschäftsmodellen zum Aufbau des europäischen Binnenmarkts beiträgt, während die Vertragsfreiheit und das Recht der Autoren und Urheber, in vollem Umfang von ihrem künstlerischen Schaffen zu profitieren, gewahrt werden. Diese neuen Modelle können parallel zu den in den WIPO-Verträgen enthaltenen Modellen entwickelt werden. Diese Frage sollte untrennbarer Bestandteil der von der Kommission im Mai 2015 angekündigten Digitalen Agenda und des Plans zur Modernisierung des hier untersuchten Urheberrechts sein.

4.10.

Eine weitere Hürde stellen die Ausnahmeregelungen dar; der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, den Vertrag von Marrakesch so rasch wie möglich zu ratifizieren, mit dem eine Ausnahmeregelung für Blinde oder Menschen mit Sehbehinderungen geschaffen wird. Die EU hat diesen Vertrag unterzeichnet, doch müssen ihn die Mitgliedstaaten einzeln ratifizieren, damit er in Kraft treten kann. Der EWSA empfiehlt der Kommission, der Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 9. Juli 2015 zu folgen und die Mitgliedstaaten dazu anzuhalten, diesen wichtigen Vertrag möglichst zügig zu ratifizieren, dessen Verhandlungen angesichts der konservativen Haltung einiger Interessenträger sehr schwierig war. Der Ausschuss fordert außerdem den Europäischen Rat auf, alles zu tun, um den Ratifizierungsprozess zu beschleunigen.

4.11.

Außerdem sollten mehr für Blinde und Menschen mit Sehbehinderung zugängliche Werke geschaffen werden, da ihnen derzeit der Zugang zu mehr als 95 % der Bücher verwehrt bleibt.

4.12.

Angesichts der raschen Verbreitung von E-Readern und der großen Vielfalt an neuen Datenträgern sollten auch andere mit dem Zeitalter der Digitalisierung und der Vernetzung verbundene Ausnahmeregelungen erwogen werden, insbesondere hinsichtlich der öffentlichen Forschung, der Digitalisierung literarischer, gemeinfreier oder verwaister Werke durch Hochschulbibliotheken und öffentliche Bibliotheken und des Verleihs von E-Books und Ton- und Bildträgern. Gleichzeitig sei darauf hingewiesen, dass in einigen technologischen Industriezweigen der Versuch unternommen wird, Schutzrechte an bereits gemeinfreien Werken zurückzuerlangen, und der Zugriff darauf für Geschäftsstrategien beschränkt wird.

4.13.

Auch die geografische Gebietseinteilung ist ein Hindernis für die Verbreitung von Werken. Dies betrifft sämtliche potenzielle Nutzer, aber vor allem die in der EU so zahlreichen sprachlichen Minderheiten, die sich aufgrund der unterschiedlichen politischen und sprachlichen Unterteilung Europas und historisch als Folge der Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts gebildet haben. Die Zunahme populistischer und nationalistischer Denkweisen verleiht der Lösung des Problems eine politische Dringlichkeit. Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen wurde weitgehend ratifiziert, doch wird beispielsweise der kulturelle Einfluss von Fernsehsendungen in Regionalsprachen durch die derzeit existierenden Hemmnisse stark eingeschränkt.

4.14.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die kulturelle Vielfalt Europas den Kern der europäischen Identität bildet und die Mitgliedstaaten diese Vielfalt untereinander fördern und stimulieren sollten.

4.15.

Nach Meinung des EWSA handelt es sich hierbei um vorrangige Themen, weshalb er die Kommission aufruft, seine Vorschläge zu berücksichtigen; diese entsprechen den internationalen Verträgen zum Urheberrecht und können neue Möglichkeiten für die Verwirklichung des digitalen Binnenmarkts in der EU eröffnen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Hinsichtlich der auf 16 Initiativen beruhenden im Mai 2015 veröffentlichten Strategie und der obigen allgemeinen Bemerkungen, in deren Rahmen eine neue, große Initiative zur Förderung der Gemeingüter, der Interoperabilität und der grenzüberschreitenden Beziehungen sowie die freien Lizenzen vorgeschlagen werden, werden in naher Zukunft erhebliche Veränderungen erforderlich sein. In seinen Stellungnahmen zu digitalen Vertragsrechten (INT/775) und zur Sharing Economy und Selbstregulierung (INT/779) erkennt der EWSA die Bedeutung an, die das Urheberrecht für eine ordnungsgemäße Festlegung der Rechte der an der Bereitstellung digitaler Verträge und an der Sharing Economy Beteiligten hat.

5.2.

Der EWSA nimmt mit Interesse den deutlichen Hinweis der Kommission zur Kenntnis, dass das EU-Urheberrecht so angepasst werden muss, dass alle Marktteilnehmer und die Bürgerinnen und Bürger die mit diesem neuen Medium verbundenen Chancen ergreifen können sowie dass ein „europäischerer“ Rechtsrahmen erforderlich ist, damit Fragmentierungen und Reibungsverluste im Interesse eines funktionierenden Binnenmarkts überwunden werden. Der EWSA befürwortet dieses Ziel, weist allerdings darauf hin, dass die Regierungen die Verteidigung der Territorialität als einziges Mittel zur Finanzierung der schöpferischen Tätigkeit ansehen. Es gibt noch weitere Möglichkeiten, die untersucht werden müssen, und es sollten nicht alle Türen geschlossen werden, bevor nicht zumindest objektiv die Alternativen geprüft werden können.

5.3.

Der Ausschuss ist überzeugt, dass Untätigkeit und die Ablehnung von Änderungen im Bereich des Urheberrechts sich nicht mit dem schnellen technologischen Wandel und den Innovationen Dienstleistungs- und Vertriebsbereich vertragen, die sich zwangsläufig im Zuge der Entwicklung des Internets und der Netze sowie der hohen Übertragungsraten herausbilden und entfalten. Er teilt die Auffassung der Kommission, die Folgendes erklärt: „Ferner muss das Urheberrecht gegebenenfalls neuen technologischen Realitäten angepasst werden, damit es weiterhin seinen Zweck erfüllen kann.“

5.4.

Im Hinblick auf die Ausnahmen, die eng mit Bildung, Forschung und Wissenszugang zusammenhängen, ist eine große Vielfalt festzustellen, die künftig noch wachsen kann. Dies kann vom bloßen Gebrauch über die beispielhafte Nutzung oder dem Gebrauch zur Veranschaulichung — wenn nicht im rechtlichen Sinne, so doch in der Praxis — bis hin zur uneingeschränkten Bereitstellung von Werken, Büchern oder Lehrinhalten im Unterricht reichen.

5.5.

Die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (5) über das Urheberrecht enthält eine Liste von Ausnahmen. Die Umsetzung und Entwicklung der Elemente dieser Liste sollte im Wege der partizipativen Demokratie debattiert werden, um die individuellen und kollektiven Meinungen weiterzuentwickeln und auf kohärente und einheitliche europäische Rechtsvorschriften in Bezug auf die Ausnahmeregelungen hinzuwirken, die im Sinne einer leichteren Anwendung genau formuliert und definiert werden müssen. Der EWSA teilt die Ansicht der Kommission, dass den Ausnahmen im Bereich Bildung, wissenschaftliche Forschung und Wissensaustausch Vorrang eingeräumt werden sollte; zugleich sollten zur Vorbereitung auf die Zukunft auch andere Gemeingüter untersucht werden.

5.6.

Der EWSA hält eine europaweite Vereinheitlichung in Bezug auf Privatkopien für möglich und wünschenswert. Er wird diesbezügliche Maßnahmen der Kommission unterstützen, die möglichst rasch handeln sollte, da die nationalen Unterschiede ein erhebliches Hemmnis für die Verwirklichung eines Binnenmarkts für Elektronikgüter darstellen, zumal neue Datenträger auf den Markt gekommen sind. Kohärenz ist eine unabdingbare Voraussetzung für den freien Verkehr von mit derartigen Datenträgern ausgestatteten Waren. Bei der Verteilung der Einnahmen aus den auf diese Datenträger erhobenen Steuern sollte berücksichtigt werden, dass die meisten dieser Datenträger ursprünglich nicht für die Anfertigung von Kopien urheberrechtlich geschützter Werke bestimmt waren; logischerweise sollte demnach ein wesentlicher Teil dieser Mittel für die Finanzierung der schöpferischen Tätigkeit und Förderung der kulturellen Vielfalt verwendet werden — wie es bereits in einigen Mitgliedstaaten der Fall ist — sowie für Gemeingüter beispielsweise im Bereich Bildung und Forschung.

5.7.

Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass das Neutralitätsprinzip wesentlicher Bestandteil des Internets bleiben muss, um die absolute Gleichheit der Verbraucher ungeachtet ihrer Wirtschaftskraft zu gewährleisten. Die Neutralität des Internets ist eines der Grundprinzipien des Internets, wodurch gewährleistet wird, dass die Telekommunikationsbetreiber die Kommunikation unter ihren Nutzern unterschiedslos behandeln und weiterhin als bloße Informationsübermittler fungieren. Dieser Grundsatz ermöglicht es allen Nutzern, unabhängig von ihren finanziellen Mitteln in vollem Umfang auf dasselbe Netz zuzugreifen. In den europäischen Rechtsvorschriften sollte ausdrücklich auf diese Definition und die Wahrung dieser Neutralität hingewiesen werden.

5.8.

Bei der Bekämpfung von Verstößen gegen das Urheberrecht sollten gewerbsmäßige Zuwiderhandlungen abgestellt und sanktioniert werden, die die Urheber um einen Großteil ihres Einkommens bringen. Der Ausschuss hat sich bereits wiederholt zu den Problemen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Warenfälschungen und jeglicher Art von Verstößen gegen das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte geäußert; er verweist daher auf frühere Stellungnahmen, die er nach wie vor für voll und ganz zutreffend hält (6).

5.9.

Das Urheberrecht bleibt ein wichtiges Instrument zum Schutz der Autoren selbst und auch derer, die an der Verbreitung von Werken und Darbietungen über miteinander verbundene digitale Netze beteiligt sind. Das Urheberrecht muss weiterentwickelt werden, um dem rasanten technologischen Wandel und den Innovationen im Bereich des Vertriebs und der Dienstleistungen Rechnung zu tragen. Diese Modernisierung muss in einem Rahmen erfolgen, der die Wahrung der Rechte der Autoren und der Künstler, eine gerechte Vergütung für ihre kreative Tätigkeit, ihre Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg der Werke und ein hohes Maß an Schutz und Finanzierungssicherheit für die Werke ermöglicht. Insbesondere muss der urheberrechtliche Status von Online-Plattformen überprüft werden. Obwohl sie heute den wichtigsten Zugang für Nutzer zu Online-Inhalten stellen, sehen sich Plattformdienste lediglich als technische Vermittler und lehnen daher die Vergütung der Urheber der Inhalte ab. Dies beeinträchtigt die Effizienz des Marktes, verzerrt den Wettbewerb und mindert den Wert von online verfügbaren kulturellen Inhalten.

5.10.

Wird das bestehende System nicht an die weltweite Wesenscharakteristik des Internets, die Hochgeschwindigkeitsnetze und die neuen Erwartungen der Verbraucher angepasst, könnte ein Recht geschwächt werden, das dem Fortschritt der geistigen Werke und ihrer Verbreitung förderlich ist. Allerdings müssen Ausnahmeregelungen akzeptiert werden, die durch die Rechte anderer Betroffener begründet sind, deren gesellschaftlichen Bedürfnisse sich noch weiterentwickeln, wie im Falle der Menschen mit Behinderung, Schüler und Studenten oder öffentlichen Bibliotheken. Weitere Veränderungen zur kontinuierlichen „Europäisierung“ des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte werden seitens der Mitgliedstaaten erforderlich sein, die die wichtigsten rechtlichen Hebel für einen künftigen Wandel in Händen halten.

5.11.

Der EWSA erachtet die Verordnung als das für den Aufbau des digitalen Binnenmarkts am besten geeignete Instrument, da die Vielfalt der nationalen Rechtsordnungen zweifellos das quasi alles lähmende Element darstellt, das in einem diskriminierungsfreien Dialog zwischen allen Beteiligten einschließlich der Vertreter freier Lizenzen für Software und Inhalte und der sich daraus ergebenden neuen Dienstleistungen und Geschäftsmodelle überwunden werden muss. Außerdem müssen die den Mehrgebietslizenzen im Wege stehenden Hemmnisse und die Möglichkeiten zu ihrer Überwindung eingehend analysiert werden.

5.12.

Die verschiedenen Interessen und Vorurteile im Bereich des Urheberrechts sind so stark ausgeprägt, dass auf Grundlage einer eingehenden Bewertung und den entsprechenden Maßnahmen vielleicht nur kleine Fortschritte möglich sein werden; dennoch muss alles darangesetzt werden, den Übergang zu einer Wissens- und Informationsgesellschaft zu bewerkstelligen, was der einzige Weg ist, die Stagnation und die Krise in Europa zu überwinden, die die Grundlagen der europäischen Idee bedrohen. Das Gemeinwohl sollte in einer dynamischen sozialen Marktwirtschaft über bestimmten Einzelinteressen stehen.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2015) 627 final (siehe Seite 86 dieses Amtsblatts).

(2)  http://ec.europa.eu/priorities/sites/beta-political/files/pg_de.pdf

(3)  ABl. L 84 vom 20.3.2014, S. 72; ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 104.

(4)  ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 8.

(5)  ABl. L 167 vom 22.6.2001, S. 10.

(6)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 72; ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 104; ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 28; ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 66; ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 62; ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 105; ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 52; ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 7; ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 36; ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 32; ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 8; ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 7; ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 3; ABl. C 32 vom 5.2.2004, S. 15.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte“

[COM(2015) 634 final — 2015/0287 (COD)]

und dem

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren“

[COM(2015) 635 final — 2015/0288 (COD)]

(2016/C 264/07)

Berichterstatter:

Jorge PEGADO LIZ

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 18. bzw. 21. Januar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte“

[COM(2015) 634 final — 2015/0287 (COD)]

und

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren“

[COM(2015) 635 final — 2015/0288 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April 2016) mit 146 gegen 61 Stimmen bei 44 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA hält es ebenfalls für notwendig und sinnvoll, einige der in der Mitteilung der Kommission (COM(2015) 633 final) angesprochenen Themen zu regeln, die nun im Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte Aspekte der Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte enthalten sind.

1.2

Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass andere Faktoren, die der Ausschuss in der Stellungnahme nennt, wesentlich wichtiger sind als die Regelung der vertraglichen Rechte bei Verträgen über den Online-Verkauf von Sachgütern. Diese Faktoren sind zudem relevanter und von höherer Priorität für die Ziele, die die Kommission sich zur Schaffung eines digitalen Binnenmarkts gesteckt hat, und stellen außerdem erhebliche Hindernisse für die Entwicklung des grenzüberschreitenden Handels dar.

1.3

In Bezug auf die behandelten Aspekte stimmt der EWSA überdies nicht mit der von der Kommission angeführten Rechtsgrundlage überein und schlägt stattdessen Artikel 169 AEUV dafür vor.

1.4

Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich die getroffenen Maßnahmen auf Richtlinien der Mindestharmonisierung beruhen müssen, wie aus Absatz 2 Buchstabe a und Absatz 4 des genannten Artikels hervorgeht und was von den EU-Rechtsetzungsorganen grundsätzlich anerkannt wird.

1.5

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Regulierung dieser Fragen mittels zweier Richtlinien statt eines einzigen Rechtsinstruments lediglich aufgrund der Dringlichkeit und Aktualität bei der Regulierung des Online-Handels mit digitalen Inhalten zulässig ist.

1.6

Außerdem hält der EWSA die Wahl der Option der gezielten Voll-Harmonisierung statt anderer, wie zum Beispiel europäischer Musterverträge in Verbindung mit einem EU-Gütesiegel oder einer Mindestharmonisierung entsprechend Art 169 AEUV, für nicht ausreichend begründet.

1.7

Die jetzt im Vorschlag zu Verträgen über den Online-Verkauf von Sachgütern gesondert regulierten Aspekte sollten nach Ansicht des Ausschusses besser im Zuge der Überarbeitung der Richtlinie 1999/44/EG im Rahmen der REFIT-Maßnahmen im Verbraucherrecht mit geregelt werden, da sie ein Kapitel dieser Richtlinie bilden.

1.8

Darüber hinaus hat die Kommission mit dem Vorschlag zum Online-Verkauf von Sachgütern zwei Systeme geschaffen und so eine unterschiedliche Behandlung für den Online- und Offline-Verkauf von Waren bewirkt, was nicht akzeptabel ist.

1.9

Für den Fall, dass die Pläne der Kommission in ihrer jetzigen Form bestätigt werden, schlägt der EWSA eine ganze Reihe von Verbesserungen an den Vorschlägen und ihren Bestimmungen vor, damit die Verbraucherrechte nicht untergraben werden und das im AEUV geforderte hohe Schutzniveau gewährleistet wird.

1.10

In Bezug auf die Regelung des Verkaufs von digitalen Inhalten, die für den Ausschuss von Vorrang ist, stimmt der EWSA aus pragmatischen Gründen der von der Kommission vorgeschlagenen gezielten größtmöglichen Harmonisierung zu.

1.11

Wo es jedoch größere Regelungslücken oder mangelhafte Bestimmungen gibt, die nicht mit einer größtmöglichen Harmonisierung vereinbar sind und somit unüberwindbare Schwierigkeiten bei der rechtlichen Umsetzung und Anwendung in den Mitgliedstaaten verursachen könnten, unterbreitet der Ausschuss konkrete Vorschläge zur Abhilfe.

2.   Einleitung: eine Mitteilung, zwei Richtlinienvorschläge

2.1

Die Mitteilung ist der erste Schritt der Kommission auf dem Weg zur Umsetzung der Strategie für den digitalen Binnenmarkt für Europa (1) und eine der wichtigsten Maßnahmen des Arbeitsprogramms für 2015 (2). Das Paket, das darauf abzielt, einen „besseren Online-Zugang für Verbraucher und Unternehmen zu Waren und Dienstleistungen in ganz Europa“ sicherzustellen, besteht aus den folgenden beiden Rechtsakten:

a)

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte,

b)

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren.

2.2

Die Kommission ist sich bewusst, dass vom systematischen Standpunkt aus die beiden Vorschläge in den wesentlichsten Aspekten eng mit der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf (3) zusammenhängen, und betont deshalb, dass sie „so weit wie möglich aufeinander abgestimmt“ sind. Sie habe jedoch beschlossen, „zwei getrennte Rechtsakte anzunehmen, da wegen der Besonderheiten digitaler Inhalte verschiedene Regeln anders zu gestalten sind als bei Sachgütern“ und weil „durch die schnelle technologische und kommerzielle Entwicklung der digitalen Inhalte eine Überprüfung der Anwendbarkeit dieser Richtlinie erforderlich sein“ werde. Außerdem wird so die Aufnahme dieser „Bestimmungen in einen einzigen Rechtsakt, die Richtlinie über die Bereitstellung digitaler Inhalte“, begründet.

2.3

Mit diesen beiden Vorschlägen werden fünf Ziele verfolgt:

a)

Senkung von Kosten, die sich aus Unterschieden im Vertragsrecht ergeben;

b)

Schaffung von Rechtssicherheit für Unternehmen;

c)

Erschließung der Vorteile des grenzüberschreitenden Online-Handels für Verbraucher in der EU;

d)

Verringerung der Nachteile, die Verbrauchern aufgrund fehlerhafter digitaler Inhalte entstehen;

e)

insgesamt ausgewogene Berücksichtigung der Interessen von Verbrauchern und Unternehmen und Verbesserungen im Alltag.

2.4

Die Kommission ist der Ansicht, dass in beiden Fällen die „gezielte“ Harmonisierung das geeignetste Mittel ist. Die Vertragsbestimmungen für die Bereitstellung digitaler Inhalte und für den Online-Warenhandel und die wichtigsten verbindlichen Rechte und Pflichten der Parteien bei Verträgen über die Bereitstellung digitaler Inhalte und Verträgen über den Online-Kauf anderer Waren werden in vollem Umfang harmonisiert. Dies gilt für fast alle Bestimmungen der Richtlinie mit Ausnahme der Regeln über das Zustandekommen eines Vertrags, seine Gültigkeit und die Rechtsfolgen, einschließlich der Auswirkungen einer Beendigung des Vertrags (Artikel 1 Absatz 4 des Vorschlags für eine Richtlinie über den Fernabsatz), und bestimmter Aspekte der Durchführung der Richtlinie.

2.5

Die Kommission beschränkt den Anwendungsbereich ausdrücklich auf die Bestimmungen von Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern, da — wie in der Folgenabschätzung (S. 23) dargelegt wird — keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Unterschiede im Vertragsrecht die Unternehmen in der EU daran hindern, in anderen Mitgliedstaaten Online-Käufe vorzunehmen. Dabei räumt die Kommission jedoch ein, dass KMU — als schwächere Parteien mit geringerer Verhandlungsmacht — insbesondere bei der Nutzung digitaler Inhalte ebenfalls mit vertragsrechtlichen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Unter besonderer Berücksichtigung der von den Interessenträgern und Mitgliedstaaten vertretenen Standpunkte hat die Kommission beschlossen, diese Problematik im Rahmen weiterer, bereits angekündigter Initiativen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt anzugehen.

2.6

Was das gewählte Rechtsinstrument der Richtlinie betrifft, so ist die Kommission der Überzeugung, dass Richtlinien im Vergleich zu Verordnungen den Mitgliedstaaten mehr Freiraum bei der Umsetzung in nationales Recht gewähren. Ihrer Ansicht nach schafft diese Option in Verbindung mit einer gezielten vollständigen Harmonisierung der zwingenden Verbraucherrechte ein angemessenes Gleichgewicht zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau auf EU-Ebene und erheblich mehr Möglichkeiten für Unternehmen.

2.7

Die wirtschaftliche Begründung der Kommission für die vorliegenden Richtlinien basiert auf einer Reihe von Annahmen, von denen insbesondere folgende zu nennen sind:

a)

Der europäische Markt für den elektronischen Handel verfügt noch über ein großes Wachstumspotenzial, das freigesetzt werden kann.

b)

Die Schaffung eines digitalen Binnenmarktes kurbelt das Wachstum in Europa zusätzlich an.

c)

Die Unternehmen in der EU werden ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern können, wenn es für sie einfacher wird, auf einem im Vergleich zu ihrem Inlandsmarkt größeren Markt zu verkaufen.

d)

Mit einheitlichen Rechten und einem hohen Schutzniveau für Verbraucher wird das Vertrauen dieser in Auslandskäufe wachsen.

e)

Ohne vertragsrechtliche Hindernisse würden sich etwa 122 000 Unternehmen mehr als derzeit am grenzüberschreitenden Online-Handel beteiligen. Der grenzüberschreitende Handel in der EU könnte um ca. 1 Milliarde EUR wachsen. Mit mehr Wettbewerb zwischen den Online-Einzelhändlern werden in allen Mitgliedstaaten die Endverbraucherpreise im EU-Durchschnitt um 0,25 % sinken, wodurch der Verbrauch der privaten Haushalte in der EU unmittelbar um rund 18 Milliarden EUR steigen wird.

f)

Darüber hinaus wird das größere Angebot an Gütern und Dienstleistungen das Wohl der Verbraucherinteressen erhöhen. Zwischen 7,8 und 13 Millionen Neukunden werden beginnen, online in anderen EU-Ländern einzukaufen. Das reale BIP der EU insgesamt wird voraussichtlich um etwa 4 Milliarden EUR pro Jahr wachsen.

2.8

Die beiden vorgeschlagenen Richtlinien reichen jedoch nicht aus, um die genannten Resultate zu erzielen. Sie sind Teil eines größeren Pakets, in dem die Kommission die folgenden Maßnahmen ausdrücklich hervorhebt:

a)

den Vorschlag für eine Verordnung über die grenzüberschreitende Portabilität von Online-Inhaltediensten;

b)

die Entwicklung hochwertiger Dienstleistungen für die grenzüberschreitende Paketzustellung;

c)

die Abschaffung des Geoblockings;

d)

die Aufnahme der Tätigkeit der Plattform für die Online-Streitbeilegung (4).

2.9

Abschließend hält die Kommission es für wichtig, zu handeln, bevor es zu spät ist, da jede Verzögerung in Bezug auf die digitalen Inhalte das Risiko einer einsetzenden Fragmentierung des Binnenmarktes durch entstehende nationale Gesetzesvorschriften birgt, was die Teilnahme der Verbraucher und Anbieter am grenzüberschreitenden Handel erschwert.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

In der der Folgeabschätzung beigefügten Studie sollten die wirtschaftlichen und psychologischen Gründe für einen Zusammenhang zwischen den vorgeschlagenen Gesetzesmaßnahmen und dem Anstieg des elektronischen Handelsvolumens und die daraus resultierenden Auswirkungen auf das Wachstum auf europäischer Ebene dargelegt sein. Doch lässt die gründliche Analyse dieser Studie nicht klar und deutlich den Schluss zu, dass die Ausgangsdaten und Folgerungen absolut verlässlich sind, dass nicht auch andere Faktoren diese Daten beeinflussen und dass mit anderen Optionen nicht bessere Ergebnisse erzielt werden könnten.

3.1.1

Selbst wenn die statistischen Ausgangsdaten richtig sind, d. h., dass 62 % (S. 10) der europäischen Händler (mehr als 122 000 Unternehmen) und mehr als 13,5 % (S. 13) der Verbraucher (zwischen 8 und 13 Millionen Menschen), also insgesamt 70 Millionen Personen anfangen würden, am grenzüberschreitenden Online-Handel teilzunehmen, wenn die genannten, aus dem derzeit geltenden Rechtssystem stammenden Hindernisse beseitigt würden und zusätzlichen Kosten wegfielen, selbst dann lässt sich der Anstieg des Handelsvolumens nicht mit Gewissheit bestimmen, der für sich allein ein Wachstum des BIP der EU um 0,03 % (entspricht ca. 4 Milliarden EUR) bewirken soll. Was allerdings feststeht, ist die Tatsache, dass jedes Unternehmen Kosten von im Durchschnitt 7 000 EUR tragen muss, um seine Verträge an die neuen Regelungen anzupassen.

3.1.2

Darüber hinaus liefert die genannte Studie auch keine hinreichend quantifizierten Erkenntnisse dafür, dass nicht auch andere Faktoren die Entscheidung für oder gegen grenzüberschreitende Online-Geschäfte entscheidend beeinflussen. So z. B. das Sprachenproblem, die Steuerregelungen, die Qualität, Kosten und Verfügbarkeit von Hochgeschwindigkeitsinternetdiensten, das Betrugsrisiko, die Justizkosten, die Sicherheit der Zahlungsarten, die Zertifizierung der Identität und der Eignung der Verkäufer und das fehlende Vertrauen in gerichtliche oder außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten. Diese Faktoren wirken sich vielleicht stärker aus als das derzeitige Rechtssystem (wie auf den Seiten 7 ff. und 18. ff. der Folgenabschätzung beschrieben).

3.1.2.1

Verzögerungen bei der Umsetzung, Schwierigkeiten bei der Anwendung und das Versagen bestimmter, mit der Richtlinie 2013/11/EU (5) eingeführter Systeme der alternativen Streitbeilegung (ADR) sind besonders in diesem Zusammenhang relevant und werden in allen von der Kommission in Auftrag gegebenen Studien als Faktor genannt. Der Ursprung dieser Probleme liegt häufig in den fehlenden Finanzmitteln bestimmter Mitgliedstaaten und vor allem darin, dass das System zur Online-Beilegung von Streitigkeiten (ODR), das mit der am 15. Februar 2016 in Kraft getretenen Verordnung (EU) Nr. 524/2013 (6) eingeführt wurde und ein für den digitalen Binnenmarkt wichtiges Instrument ist, nicht effizient funktioniert.

3.1.3

Außerdem kann auch nicht die Angebots- und Nachfrageelastizität bei der Berechnung der Marktsättigung bei vollkommenem Wettbewerb eindeutig gewichtet werden, was in jedem Fall für die Glaubwürdigkeit des Modells grundlegend ist, auch wenn es sich um eine rein theoretische Annahme handelt. Des Weiteren gibt es auch externe Faktoren der makroökonomischen Wirtschaftspolitik, die maßgeblich die Kaufentscheidungen der Verbraucher bestimmen, wie beispielsweise die Auswirkungen der Sparpolitik im Vergleich zu einer auf Konsum und Investitionen gestützten keynesianischen Wachstumspolitik.

3.1.4

Schließlich beruht die gesamte von der Kommission vorgenommene Bewertung nur auf dem vorgeschlagenen Modell und vernachlässigt die wirtschaftlichen Folgen der vier anderen Modelle, die ebenfalls zur Wahl standen (Folgenabschätzung S. 23 ff.) und die im gleichen Maße einen Beitrag zur Beseitigung dieser Hindernisse leisten, um eine vergleichende Analyse zu ermöglichen. Dies betrifft insbesondere Option 5 — freiwilliger europäischer Mustervertrag in Verbindung mit einem EU-Gütesiegel (S. 25) —, obwohl es sich um eine einfache und kostengünstige Option mit geringem Verwaltungsaufwand handelt (S. 38 ff.). Sie entspräche am ehesten den Grundsätzen des Pakets „Bessere Rechtsetzung“ (7) und des REFIT-Programms (8) und hat während der Konsultationen im Vorfeld beträchtlichen Zuspruch gefunden.

3.2

Der Rückgriff auf Richtlinien zur größtmöglichen Harmonisierung wird ebenfalls nicht ausreichend begründet. In Hinblick auf die Harmonisierung von für das Funktionieren des Binnenmarkts grundlegenden Themen ist es nach Ansicht des EWSA besser, Verordnungen zu erlassen, die so detailliert wie erforderlich sein können. Bezüglich Themen, die insbesondere für die Verbraucherrechte von Belang sind, zieht der EWSA hingegen Richtlinien zur Mindestharmonisierung nach den Grundsätzen von Artikel 169 Absatz 4 AEUV vor.

3.2.1

Aus diesem Grund hat sich der EWSA wiederholt gegen die in den letzten Jahren vorherrschende Tendenz ausgesprochen, dass die Kommission Richtlinien zur größtmöglichen Harmonisierung erlässt, die ein niedriges Maß an Schutz bieten und kaum den Interessen der Wirtschaftsteilnehmer gerecht werden (9).

3.2.2

Im vorliegenden Fall bleibt eine Reihe von Fragen offen, die in den Richtlinien nicht behandelt werden, die jedoch harmonisiert werden müssen. Dies betrifft beispielsweise die Geschäftsfähigkeit von Minderjährigen bei im digitalen Umfeld abgeschlossenen Verträgen (in der vorherigen Fassung der Datenschutzrichtlinie wurde diese zwischen 13 und 16 Jahren festgesetzt), die Kategorisierung von besonderen, nicht in der Richtlinie 93/13/EWG (10) berücksichtigten missbräuchlichen Klauseln in Online-Verträgen, die seit Kurzem gängige Praxis der Schaltflächen „Jetzt bezahlen“ auf den Seiten bestimmter sozialer Netzwerke ohne einen Verweis auf die Seite einer zuständigen Plattform sowie die ratsame Aufnahme einer Musterklausel zur Koregulierung.

3.3

Darüber hinaus wird auch die Entscheidung für zwei Richtlinien anstatt nur einer nicht angemessen begründet. Dadurch, dass sich die gesetzlichen Bestimmungen unnötigerweise doppeln, wird die Umsetzung der Richtlinien in Einklang mit den innerstaatlichen Vorschriften eines jeden Mitgliedstaats aufwendiger. Außerdem ist eine weitergehende Auslegung der Richtlinien erforderlich, was sich erübrigt hätte, wenn der Text der Richtlinie über den Online-Verkauf von Sachgütern als Grundlage herangezogen worden wäre und die Besonderheiten des Verkaufs von immateriellen Gütern als Ausnahmen von der Basisregelung aufgenommen worden wären, denn die Unterscheidung zwischen Sachgütern und einem digitalen Inhalt ist minimal, vor allem wenn sie miteinander verbunden sind.

3.4

Nach Ansicht der Kommission stützt sich die Wahl des Instruments auf die bei einer Konsultation von Interessenträgern aus der gesamten EU eingegangenen 189 Stellungnahmen, auf die Konsultation einer Gruppe von 22 Organisationen, die ein breites Spektrum an Interessen vertreten und sieben Mal zusammenkamen, auf die Ergebnisse von Seminaren mit Mitgliedstaaten, von Sitzungen mit den nationalen Durchsetzungsbehörden beim Ausschuss für die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz und von Sitzungen mit den nationalen für die Verbraucherpolitik zuständigen Behörden auf der Tagung des Netzes für Verbraucherpolitik (Mai 2015) (später wurde die Gültigkeit Letzterer unter Hinweis auf die geringe Teilnehmerzahl (11) infrage gestellt).

3.4.1

Doch gibt es nach den bekannten und veröffentlichten Ergebnissen (12) keine eindeutige Mehrheit für die gewählte Option: Die Verbraucherorganisationen lehnen ab, dass das Recht des Verkäufers in irgendeiner Form gilt, während die Mehrheit der Branchenverbände und einige Fachleute für diese Option sind. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten stellte ihrerseits die Notwendigkeit neuer Rechtsvorschriften über Fernverkäufe (zu denen Online-Verkäufe ja gehören) und insbesondere die Angemessenheit der beiden Richtlinien angesichts der Schwierigkeit, präzise und klar definierte Leitlinien aus ihnen abzuleiten, infrage. Auf den ersten Blick ließe eine objektive Analyse der Stellungnahmen aus den Konsultationen vermuten, es bestehe ein allgemeiner Konsens unter den Wirtschaftsteilnehmern und Verbrauchern für Option 5 — was natürlich davon abhängt, auf welchen Inhalt der Standard-Vertragsbedingungen sich der Sektor einigt und in welchem Maße das Gütesiegel von EU-Unternehmen verwendet und akzeptiert wird —, insbesondere, weil sie für die Wirtschaftsteilnehmer die kostengünstigste Option ist.

3.5

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der EWSA die Möglichkeit hatte, in mehreren Stellungnahmen seinen Standpunkt zum Thema Verbraucherrechte in der digitalen Wirtschaft ausführlich darzulegen, und so eine Grundorientierung gegeben hat, gemäß der dieselben Rechte wie bei Offline-Verträgen (Präsenzgeschäfte) auch für Online-Verträge gelten sollten, unbeschadet der besonderen Merkmale oder angepassten Modalitäten für Transaktionen mit (immateriellen) digitalen Inhalten. Dabei hat er sich stets grundsätzlich für eine Stärkung dieser Rechte und gegen ihren Abbau oder ihre Schwächung ausgesprochen. Die Kommission hat mit dem Vorschlag zum Online-Verkauf von Sachgütern zwei Systeme geschaffen und so eine unterschiedliche Behandlung für den Online- und Offline-Verkauf von Waren bewirkt, was nicht akzeptabel ist.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Die vorstehenden Ausführungen bedeuten nicht, dass der EWSA es nicht auch in vollem Umfang für notwendig und sinnvoll hält, einige der in den vorliegenden Richtlinienvorschlägen behandelten Fragen zu regeln, insbesondere die Themen, die sich auf den Online-Verkauf von digitalen Inhalten beziehen. Für den Online-Verkauf von Sachgütern empfiehlt der EWSA, diese Maßnahmen zu gegebener Zeit im Zuge des REFIT-Programms anzunehmen. Die nachstehenden Anmerkungen zum Inhalt der beiden Vorschläge beziehen sich aus offensichtlichem Platzmangel nur auf die vom Ausschuss bemängelten Bestimmungen.

4.2

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren (COM(2015) 635 final — 2015/0288 (COD))

4.2.1

In Bezug auf die Rechtsgrundlage sind sowohl die Vertreter der Verbraucher als auch die meisten Mitglieder des ESWA im Einklang mit früheren EWSA-Stellungnahmen der Ansicht, dass vor allem Artikel 169 Absatz 2 AEUV als Grundlage herangezogen werden sollte, da es grundsätzlich auch um die Festlegung der Verbraucherrechte und ihren Schutz geht und nicht nur um die Vollendung des Binnenmarkts. Einige Mitglieder des EWSA, insbesondere Vertreter der Berufskategorien, stimmen mit der Kommission überein, da sie wie diese die Vollendung des Binnenmarktes in den Vordergrund stellen.

4.2.2

Angesichts der Entscheidung der Kommission, diese Fragen mittels einer Richtlinie zu regeln, ist der EWSA der Auffassung, dass eine Richtlinie zur Mindestharmonisierung anzustreben ist. Sie sollte eher dem aktuellen Modell der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter (Richtlinie 1999/44/EG) entsprechen. Die gewählte Option führt zu mehr „Fragmentierung“, weniger Rechtssicherheit und zwei verschiedenen Schutzsystemen. Die jetzt eingeführten „Verbesserungen“ müssen zwangsläufig auch im Offline-Handel durchgesetzt werden.

4.2.3

Aufgrund der Komplexität des Verbraucherrechts steht der Vorschlag mit einer Reihe anderer Rechtsvorschriften im Zusammenhang und ergänzt diese (13). Er erfordert jedoch einen größeren und zudem unnötigen Auslegungsaufwand, was den Grundsätzen des Pakets „Bessere Rechtsetzung“ widerspricht. Außerdem entstehen so größere Schwierigkeiten bei der Umsetzung, denn die nationalen Vorschriften in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterscheiden sich teilweise deutlich, was es erschwert, die Richtlinie mit bereits bestehendem nationalem Recht kompatibel zu machen und dieses zu ergänzen.

4.2.4

Daher wäre es nach Ansicht des EWSA besser, wenn die Bestimmungen dieses Richtlinienvorschlags bei der Überarbeitung der Richtlinie 1999/44/EG im Rahmen des REFIT-Programms aufgegriffen würden.

4.2.5

Im Folgenden werden konkrete Änderungen an einigen Bestimmungen des Vorschlags unterbreitet:

4.2.5.1    Artikel 1 — Gegenstand und Anwendungsbereich

Der Bezug von Online- oder Fernabsatzdiensten in bestimmter Form — z. B. Leasinggeschäfte — sollte nicht vom Gegenstand und Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sein.

4.2.5.2    Artikel 2 — Begriffsbestimmungen

1.

Der Begriff „gewerbliche Garantie“ sollte auch andere Formen der Entschädigung umfassen, für die sonst die Bestimmungen des Artikels 15 nicht gelten würden.

2.

Der Begriff „bewegliche Sachgüter“ ist nicht eindeutig definiert, was zu unterschiedlichen Auslegungen durch die Mitgliedstaaten führen kann.

3.

Außerdem werden andere Produktarten mit gesonderter Gesetzgebung wie Arzneimittel und medizinische Geräte, bei denen andere Verbraucherschutznormen keine Anwendung finden, nicht ausgenommen.

4.

Es bleibt unklar, ob Online-Plattformen als „Verkäufer“ bezeichnet werden können.

5.

Ebenso fehlt eine Definition des Begriffs „Hersteller“ in Hinblick auf ihre unmittelbare Haftung gegenüber dem Verbraucher gemäß Artikel 16.

4.2.5.3    Artikel 3 — Grad der Harmonisierung

Die Harmonisierung sollte mit allen nötigen Auswirkungen auf die Regelungen so gering wie möglich sein.

4.2.5.4    Artikel 4 und 5 — Vertragsmäßigkeit der Waren

1.

Das Kriterium der „Lebensdauer“ sollte ebenfalls berücksichtigt werden (14) und die Laufzeit der Garantie beeinflussen.

2.

Die Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit müssen negativ formuliert werden, um ausdrücklich den Verbraucher von der Pflicht zu befreien, nachweisen zu müssen, dass die Ware nicht den Anforderungen entspricht. Stattdessen sollte die Beweislast beim Verkäufer liegen.

3.

Die Formulierung der Ausnahmen in dem Artikel suggeriert einen allgemeinen Haftungsausschluss für den Verkäufer, was dem Verbraucher gegenüber aber nur unter Beeinträchtigung seiner Regressansprüche geltend gemacht werden kann (anwendbar auf den Fall VW).

4.2.5.5    Artikel 7 — Rechte Dritter

Am Ende Folgendes hinzufügen: „… sofern die Parteien dies nicht ausdrücklich und genau im Vertrag vereinbaren“.

4.2.5.6    Artikel 8 — Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit und Umkehrung der Beweislast

1.

Am Ende von Absatz 2 Folgendes hinzufügen: „außer in den Fällen, in denen die besondere Komplexität der Montage oder Installation in Übereinstimmung mit dem Verkäufer mehr Zeit erfordert“.

2.

Die dem Verkäufer in diesem Vorschlag zugestandenen Rechte müssen auf jeden gutgläubigen Besitzer übertragen werden können.

4.2.5.7    Artikel 9 — Abhilfen des Verbrauchers bei Vertragswidrigkeit

1.

Die Bestimmungen räumen dem Verbraucher zunächst nicht die Möglichkeit ein, die Sache unmittelbar zurückzugeben und den Kaufpreis zurückerstattet zu bekommen. Die Verweigerung dieses Rechts steht im Konflikt mit dem Verbraucherrecht mehrerer Mitgliedstaaten (Griechenland, Portugal, Irland, Vereinigtes Königreich, Dänemark, Litauen).

2.

Der Begriff „angemessene Frist“ ist subjektiv und eröffnet den Mitgliedstaaten Raum, die Richtlinie in dieser entscheidenden Frage unterschiedlich umzusetzen, was unvereinbar mit der größtmöglichen Harmonisierung ist. Beispielsweise beträgt die Frist in Ländern wie Bulgarien, Frankreich, Portugal und Luxemburg 30 Tage und in Ungarn, Rumänien, Griechenland und Estland 15 Tage. In der Bestimmung sollte eine Frist festgesetzt werden, die der in einigen EU-Ländern gewährten Maximalfrist entspricht, d. h. 15 Tage.

3.

Der Begriff „unmöglich“ in Absatz 3 Buchstabe a sollte durch „technisch unmöglich“ ersetzt werden.

4.

Ebenso ist der Begriff „erhebliche Unannehmlichkeiten“ subjektiv und sollte gestrichen oder durch die Formulierung des österreichischen Gesetzes — möglichst wenig nachteilig — ersetzt werden. Dazu sollte der Verbraucher die Möglichkeit haben, eine ähnliche Ware ersatzweise zur Verfügung gestellt zu bekommen, bis die Nachbesserung erfolgt ist.

5.

Der Vorschlag der Kommission berücksichtigt nicht die in den Rechtsvorschriften verschiedener Länder (Frankreich, Malta, Griechenland, Rumänien, Portugal und Slowenien) vorhandene Bestimmung, dass Hersteller die Pflicht haben, für die erwartete Lebensdauer der Ware über einen entsprechenden Bestand an Ersatzteilen zu verfügen und diese den Verkäufern in angemessener Zeit zu liefern. Diese Frage steht in engem Zusammenhang mit der geplanten Obsoleszenz und der Laufzeit der Garantie des ersetzten Teils.

6.

Die Kommission sollte den Verkäufer zu vorübergehendem Ersatz verpflichten.

4.2.5.8    Artikel 10 — Ersatzlieferung

1.

Die Kommission hat keine Unterbrechung der Laufzeit der gesetzlichen Garantie während der Dauer der Nachbesserung oder Ersatzlieferung vorgesehen, was jedoch in den meisten nationalen Rechtssystemen der Fall ist. Ebenso fehlt eine Fristunterbrechung im Falle einer möglichen Schlichtungs- oder Schiedsentscheidung oder eines Urteils über einen Rechtsbehelf.

2.

Wird eine Ware ersetzt, sollte hierfür ab der Lieferung eine neue, identische Garantielaufzeit gewährt werden.

4.2.5.9    Artikel 11 — Wahl des Verbrauchers zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung

1.

Der Begriff „erhebliche“ sollte aus den oben genannten Gründen gestrichen werden.

2.

Im Falle von „wiederkehrenden“ Mängeln muss der Verbraucher automatisch die Möglichkeit erhalten, den Vertrag zu beenden.

4.2.5.10    Artikel 13 — Recht des Verbrauchers auf Beendigung des Vertrags

1.

Es ist höchst fragwürdig, ob der Verbraucher im Fall einer Beendigung des Vertrags verpflichtet ist, für den Wertverlust durch die Nutzung, Beschädigungen oder den Untergang der Sache aufzukommen.

2.

Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass im Fall der Ausübung des Rechts auf Ersatzlieferung nicht verlangt werden kann, dass der Verbraucher für die Nutzung des fehlerhaften Produkts bezahlt (Quelle Rechtssache (15)).

3.

Es ist unklar, welcher Betrag zurückerstattet werden muss, wenn der Erwerb für einen nicht aufgeschlüsselten Pauschalpreis für ein Paket mehrerer Waren erfolgt ist.

4.2.5.11    Artikel 14 — Fristen

Der Zeitraum sollte die in einigen Mitgliedstaaten (Finnland, Niederlande, Schweden und Vereinigtes Königreich) bereits bestehenden Garantiefristen berücksichtigen, die der Lebensdauer und geplanten Obsoleszenz der Produkte Rechnung tragen.

4.2.5.12    Artikel 15 — Gewerbliche Garantien

1.

Zu Absatz 1 einen weiteren Buchstaben d hinzufügen: „andere vom Verkäufer im Namen Dritter angebotene Garantien, deren Ziel die Gewährung einer Garantie ist (Ausrüstungsversicherung, Markengarantie usw.)“.

2.

Ebenfalls muss der Verbraucher über die Möglichkeit unterrichtet werden, die gewerbliche Garantie an Dritte zu übertragen.

4.2.5.13    Artikel 16 — Regressansprüche

1.

Wird dieser Aspekt nicht harmonisiert, kann das eine unterschiedliche Anwendung der Richtlinie verursachen, was negative Folgen für den Handel mit sich bringt.

2.

In dieser Bestimmung sollte die unmittelbare und gesamtschuldnerische Haftung des Herstellers gegenüber dem Verbraucher vorgesehen sein, wenn dieser sich für die Nachbesserung oder Ersatzlieferung entscheidet.

3.

Ebenso sollte die Richtlinie dem Verkäufer das Recht auf vollständige Rückerstattung der angefallenen Ausgaben gewähren, wenn er den Hersteller in Regress nimmt.

4.

Wie bei den vorhergehenden Punkten sollte die gesamtschuldnerische Haftung von Online-Plattformen, auf denen der Verbraucher die Ware erworben hat, vorgesehen sein.

4.2.5.14    Artikel 17 — Rechtsdurchsetzung

Die fehlende Harmonisierung der Überwachung der Rechtsdurchsetzung im Zusammenhang mit der Anwendung der Richtlinie ist eines der größten Hindernisse für einen effizienten Verbraucherschutz und einen lauteren Wettbewerb.

4.3

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte (COM(2015) 634 final — 2015/0287 (COD))

4.3.1

Wie die Europäische Kommission selbst feststellt, gelten das dem Vorschlag zugrunde liegende Konzept, die Einholung von Expertenwissen und Folgenabschätzungen für beide Vorschläge, da diese als ein Paket mit gemeinsamen Zielen erarbeitet wurden. Der EWSA sieht daher davon ab, allgemeine Fragen zu beiden Vorschlägen zu wiederholen, und wird sich auf Anmerkungen zu spezifischen Aspekten beschränken. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass der Vorschlag von EWSA grundsätzlich unterstützt wird, insbesondere angesichts und in Bezug auf folgende Aspekte:

a)

besonderer Verbraucherschutz beim Online-Erwerb von immateriellen Gütern aufgrund der erhöhten Komplexität der Produkte, der fehlenden Transparenz bei den Geschäftsverhandlungen, den größeren Gefahren für die Sicherheit und den Schutz von Daten, der besonderen Formen von unlauteren Praktiken und missbräuchlichen Klauseln, der versteckten Kosten, der unterschiedlichen Preise je nach Standort und aufgrund der geringeren Rolle des verwendeten Mediums (Internet, Mobiltelefone, soziale Netzwerke usw.);

b)

dringender Bedarf an klaren Rechtsvorschriften auf einem Gebiet, auf dem offenbar nur ein Mitgliedstaat (das Vereinigte Königreich) über eine spezifische gesetzliche Regelung für diese Art von Verträgen verfügt;

c)

die Zweckmäßigkeit, eine größtmögliche Harmonisierung mit einem höheren Maß an Verbraucherschutz — beschränkt auf Verträge zwischen Unternehmen und Kunden („Business-to-Consumer“, B2C) — zu verfolgen, was übrigens mittels einer Verordnung stets besser erreicht werden kann;

d)

die Notwendigkeit, die Rechtsnatur dieser Art von Verträgen auf einheitliche Weise zu bestimmen;

e)

die Notwendigkeit einer umfassenden Angleichung an eine ganze Reihe anderer Maßnahmen im Rahmen der Strategie für den digitalen Binnenmarkt, insbesondere an Initiativen in Bezug auf die grenzüberschreitende Übertragbarkeit von Inhalten, die Rolle von Plattformen, den freien Datenverkehr und die europäische Cloud-Initiative, die Beiträge im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer sowie Maßnahmen zur Gewährleistung der Übertragbarkeit und Interoperabilität der Inhalte unter Berücksichtigung der Inbetriebnahme der Plattform zur Online-Streitbeilegung (16) und die Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 vom 27. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen nationalen Stellen für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze;

f)

die Notwendigkeit, besonders dem Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten nachzukommen, der in der Richtlinie 1995/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (17) und der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation geregelt wird (18). Diese Vorschriften gelten uneingeschränkt auch für die Bereitstellung digitaler Inhalte, soweit sie Auswirkungen auf die Verarbeitung personenbezogener Daten haben.

g)

die Überarbeitung des Regulierungspakets für elektronische Kommunikationsdienste;

h)

die Notwendigkeit, sich Cloud-Computing-Verträgen besonders zu widmen;

4.3.2

Im Folgenden werden konkrete Änderungen an einigen Bestimmungen des Vorschlags unterbreitet, der 24 Artikel (und nicht 20, wie es in einigen Fassungen irrtümlich heißt, Ziffer 5) umfasst:

4.3.2.1    Artikel 1 — Gegenstand

Der klar definierte Gegenstand „Dienstleistungsvertrag“, wie eindeutig aus der Definition von „digitale Inhalte“ und „Bereitstellung“ in Artikel 2 Absatz 1 und 10 dieses Vorschlags hervorgeht, stärkt den Vorschlag zu Artikel 1 des oben behandelten Richtlinienvorschlags.

4.3.2.2    Artikel 2 — Begriffsbestimmungen

Auch hier wird vorgeschlagen, selbstständige Freiberufler in die Definition des Verbrauchers aufzunehmen.

4.3.2.3    Artikel 3 — Anwendungsbereich

1.

Der EWSA kann akzeptieren, dass der Preis nicht in Form von Geld („gegen eine andere Gegenleistung als Geld“) gezahlt werden muss, solange dieser inhaltlich genau definiert ist. Werden personenbezogene oder anderen Daten geliefert, muss notwendigerweise festgelegt sein, um welche Daten es sich handelt und unter welchen Bedingungen und Umständen sie bereitgestellt werden.

2.

Ferner ist es erforderlich, festzulegen, ob bestimmte Dienste wie Abonnentenfernsehen (Pay-TV) ebenso wie die Dienstleistungen von Google und Facebook Messenger eingeschlossen sind und ob bestimmte physische Zugangsplattformen oder das Internet der Dinge Sachgüter oder immaterielle Güter sind.

3.

Es ist nicht klar, ob die Ausnahme von Absatz 5 Buchstabe a Gesundheits-, Glücksspiel- oder Finanzdienstleistungen umfasst. Diese Frage muss präzisiert werden, um Rechtsunsicherheit zu vermeiden.

4.

Es ist nicht klar, ob die Ausnahme auch in Bezug auf sogenannte „versteckte Zahlungen“ gilt, d. h. Dienstleistungen, die kostenlos erbracht werden, jedoch im Laufe der Ausführung andere, kostenpflichtige Leistungen umfassen können.

5.

Nicht nur die Erfüllung des Vertrags, sondern auch der „Vertragsschluss“ müssen in den in Artikel 3 Absatz 4 definierten Anwendungsbereich der Daten, deren Verarbeitung erforderlich ist, fallen. Die Verarbeitung dieser Daten muss entsprechend den gesetzlichen Vorgaben für personenbezogene Daten genehmigt werden.

6.

Eine entscheidende Rolle spielt auch die eindeutige Abgrenzung zwischen online erworbenen Produkten und online erbrachten Dienstleistungen und solchen Produkten und Dienstleistungen, die vollständig mit Sachgütern verbunden sind. Dies ist der Fall bei „tragbaren Computersystemen“ („wearables“) oder dem Internet der Dinge, bei denen der größte Teil der Vorgänge digital vonstattengeht, unbeschadet der Existenz eines Sachguts als Grundlage.

7.

Rechenzentrumsdienstleistungen und besonders sogenannte Cloud-Computing-Dienste müssen im vorliegenden Vorschlag eindeutig definiert werden — unabhängig davon, ob sie kostenlos oder für eine Gegenleistung erbracht werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass sie häufig in Verbindung mit anderen dem Verbraucher angebotenen Dienstleistungen oder Produkten stehen und dieser so Gefahr läuft, dass diese nicht mehr in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.

8.

Im Rahmen dieses Instruments ist auch zu klären, ob die Richtlinie auch auf die Kombination von Dienstleistungen mit digitalem Inhalt mit Kommunikationsdiensten wie Facebook Messenger oder Google Hangout anwendbar ist. Vor allem deshalb, weil diese Dienste derzeit nicht unter die Richtlinie 2002/21/EG über elektronische Kommunikationsdienste fallen, einige von ihnen jedoch als elektronische Kommunikationsdienste verstanden werden und daher ein erhöhter Verbraucherschutz angebracht wäre.

9.

Ebenso muss eine deutlichere Abgrenzung erfolgen der Fälle, in denen personenbezogene Daten gesammelt werden, um den Vertrag zu erfüllen, von den Fällen, in denen dies getan wird, um rechtlichen Anforderungen nachzukommen. Aus diesem Grund schlägt der EWSA vor, als Vorsichtsmaßnahme die Richtlinie auf alle Leistungen, die durch Bereitstellung personenbezogener Daten erbracht werden, anzuwenden, sofern der Anbieter nicht ausdrücklich nachweist, dass die Daten zur Erfüllung des Vertrags oder der rechtlichen Anforderungen erhoben werden.

10.

Darüber hinaus muss in Bezug auf Absatz 4 geklärt werden, wann personenbezogene Daten zur Erfüllung eines Vertrags oder rechtlicher Anforderungen erhoben werden. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass in anderen Sektoren wie dem Telekommunikations- oder Energiesektor personenbezogene Daten häufig zu Werbezwecken der Unternehmen verwendet werden, obwohl lediglich die Erhebung zur Erfüllung des Vertrags genehmigt war. Darüber hinaus muss insbesondere auch geklärt werden, ob dies auch für andere Arten von Gegenleistungen, die kein Geld sind, gilt.

4.3.2.4    Artikel 4 — Grad der Harmonisierung

Der EWSA stimmt den im Vorschlag angeführten Gründen für eine größtmögliche Harmonisierung zu, sofern ein höheres Maß an Verbraucherschutz gewährleistet ist.

4.3.2.5    Artikel 5 — Bereitstellung digitaler Inhalte

Es ist nicht klar, ob die Verpflichtung aus Absatz 2 zur sofortigen Bereitstellung der Inhalte in Einklang mit der Richtlinie 2011/83/EU steht, die besagt, dass für eine sofortige Bereitstellung die Zustimmung des Verbrauchers notwendig ist, und gleichzeitig für 14 Tage ein Widerrufsrecht gewährt (Artikel 16 Buchstabe m) der Richtlinie). Daher empfiehlt es sich, die Vorschriften in diesem Bereich zu harmonisieren, um nicht Gefahr zu laufen, dass sich Bestimmungen überschneiden und sich nachteilig auf Unternehmen und Verbraucher auswirken.

4.3.2.6    Artikel 6 — Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte

1.

In Absatz 1 die Formulierung „soweit dies relevant ist“ streichen.

2.

In Absatz 1 Buchstabe b nach „vom Verbraucher angestrebten“ Folgendes einfügen: „berechtigterweise erhofften“.

3.

In Absatz 2 Buchstabe b die Formulierung „sofern relevant“ streichen.

4.3.2.7    Artikel 9 — Beweislast

In Absatz 3 „und möglich“ streichen.

4.3.2.8    Artikel 11 — Abhilfe bei nicht erfolgter Bereitstellung

Der Wortlaut des Artikels berücksichtigt nicht das Modell der Bereitstellung von Inhalten in zeitlich begrenzten Pauschalpaketen. In solchen Fällen ist es schwierig, die Wertminderung im Verhältnis zum Pauschalpreis des Pakets zu bestimmen, beispielsweise wenn im Rahmen eines Streaming-Abonnements auf einen bestimmten Film nicht zugegriffen werden kann. Darüber hinaus wird die Möglichkeit nicht berücksichtigt, andere Inhalte auf dem gleichen Preisniveau bereitzustellen (von den Nutzern bevorzugt).

4.3.2.9    Artikel 12 — Abhilfen bei Vertragswidrigkeit

In Absatz 2 „innerhalb einer angemessenen Frist“ durch „unverzüglich“ ersetzen.

4.3.2.10    Artikel 13 — Beendigung des Vertrags

1.

In Absatz 2 Buchstabe b „alle Maßnahmen zu ergreifen, die erwartet werden können, um“ streichen.

2.

Die Buchstaben c, d und e hängen von der Regelung des Urheberrechts ab, die bisher noch nicht vorliegt.

4.3.2.11    Artikel 16 — Recht auf Beendigung langfristiger Verträge

Der Zeitraum sollte lediglich sechs Monate betragen.

Es muss ausdrücklich angegeben werden, dass dies gebührenfrei möglich ist.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Stellungnahme des EWSA veröffentlicht in: ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 65.

(2)  COM(2014) 910 final.

(3)  ABl. L 171 vom 7.7.1999, S. 12.

(4)  ABl. L 165 vom 18.6.2013, S. 1.

(5)  ABl. L 165 vom 18.6.2013.

(6)  Siehe Fußnote 5.

(7)  Stellungnahme des EWSA veröffentlicht im ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 192.

(8)  Stellungnahme des EWSA veröffentlicht im ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 66.

(9)  ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 81. ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 54 und ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 75.

(10)  Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, geändert durch die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011.

(11)  Stellungnahme des EWSA veröffentlicht im ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 57.

(12)  http://ec.europa.eu/justice/newsroom/contract/opinion/index_de.htm.

(13)  Richtlinie 2011/83/EU (ABl. L 304 vom 22.11.2011, S. 64), Richtlinie 2009/125/EG (ABl. L 285 vom 31.10.2009, S. 10) und Richtlinie 2010/30/EU vom 19.5.2010 (ABl. L 153 vom 18.6.2010, S. 1).

(14)  Stellungnahme des EWSA, ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 23.

(15)  Rechtssache C-404/06 — Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 17. April 2008, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1461850459727&uri=CELEX:62006CC0404.

(16)  ABl. L 165 vom 18.6.2013, S. 1.

(17)  ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31.

(18)  ABl. L 201 vom 31.7.2002, S. 37.


ANHANG

I.

Die folgende Ziffer der Stellungnahme der Fachgruppe wurde im Anschluss an einen im Plenum angenommenen Kompromissänderungsantrag geändert, wobei mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen auf die Beibehaltung dieser Ziffer in der ursprünglichen Fassung entfiel (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

a)   Ziffer 3.4.1

Doch gibt es nach den bekannten und veröffentlichten Ergebnissen keine eindeutige Mehrheit für die gewählte Option: Die Verbraucherorganisationen lehnen ab, dass das Recht des Verkäufers in irgendeiner Form gilt, während die Mehrheit der Branchenverbände und einige Fachleute für diese Option sind. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten stellte ihrerseits die Notwendigkeit neuer Rechtsvorschriften über Fernverkäufe (zu denen Online-Verkäufe je gehören) und insbesondere die Angemessenheit der beiden Richtlinien angesichts der Schwierigkeit, präzise und klar definierte Leitlinien aus ihnen abzuleiten, infrage. Auf den ersten Blick ließe eine objektive Analyse der Stellungnahmen aus den Konsultationen vermuten, es bestehe ein allgemeiner Konsens unter den Wirtschaftsteilnehmern und Verbrauchern für Option 5 — was natürlich davon abhängt, auf welchen Inhalt der Standard-Vertragsbedingungen sich der Sektor einigt und in welchem Maße das Gütesiegel von EU-Unternehmen verwendet und akzeptiert wird —, insbesondere, weil sie für die Wirtschaftsteilnehmer die kostengünstigste Option ist.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

115

Nein-Stimmen:

91

Enthaltungen:

18

II.

Folgender Kompromissänderungsantrag wurde im Plenum abgelehnt, erhielt jedoch mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

b)   Ziffer 4.2.1

In Bezug auf die Rechtsgrundlage sind sowohl die meisten Mitglieder des EWSA einschließlich der Vertreter der Verbraucher als auch die meisten Mitglieder des EWSA wie bereits in im Einklang mit früheren EWSA-Stellungnahmen der Ansicht, dass vor allem Artikel 169 Absatz 2 AEUV als Grundlage herangezogen werden sollte, da es grundsätzlich auch um die Festlegung der Verbraucherrechte und ihren Schutz geht und nicht nur um die Vollendung des Binnenmarkts.Einige Mitglieder des EWSA, insbesondere Vertreter der Unternehmensverbände Berufskategorien, stimmen mit der Kommission überein und stellen, da sie ebenfalls die Vollendung des Binnenmarktes stärker in den Vordergrund, dass die Unternehmen klare Regeln brauchen, an die sie sich halten können stellen.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

110

Nein-Stimmen:

110

Enthaltungen:

10

Gemäß Artikel 56 Absatz 6 der Geschäftsordnung des EWSA gibt bei Stimmengleichheit in einer Abstimmung die Stimme des Sitzungsvorsitzenden den Ausschlag. Kraft dieser Bestimmung beschloss der Sitzungsvorsitzende, den Kompromissänderungsantrag abzulehnen.

c)   Ziffer 4.2.2

Angesichts der Entscheidung der Kommission, diese Fragen mittels einer Richtlinie zu regeln, ist der sind die meisten Mitglieder des EWSA einschließlich der Verbrauchervertreter der Auffassung, dass eine Richtlinie zur Mindestharmonisierung anzustreben ist. Sie sollte eher dem aktuellen Modell der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter (Richtlinie 1999/44/EG) entsprechen. Die gewählte Option führt zu mehr „Fragmentierung“, weniger Rechtssicherheit und zwei verschiedenen Schutzsystemen. Die jetzt eingeführten „Verbesserungen“ müssen zwangsläufig auch im Offline-Handel durchgesetzt werden. Die Unternehmensvertreter im EWSA stimmen dem Vorschlag einer größtmöglichen Harmonisierung zu, da dies zur Klarheit bei der Anwendung der Rechte im Binnenmarkt beitrage.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

102

Nein-Stimmen:

115

Enthaltungen:

14

d)   Ziffer 4.2.5.3

Artikel 3 — Grad der Harmonisierung

Nach Ansicht der meisten Mitglieder des EWSA einschließlich der Verbrauchervertreter sollte d Die Harmonisierung sollte mit allen nötigen Auswirkungen auf die Regelungen so gering wie möglich sein. Die Vertreter der Unternehmen sprechen sich für eine größtmögliche Harmonisierung aus.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

112

Nein-Stimmen:

114

Enthaltungen:

12

e)   Ziffer 4.2.5.4

Artikel 4 und 5 — Vertragsmäßigkeit der Waren

1.

Das Kriterium der „Lebensdauer“ sollte ebenfalls berücksichtigt werden und die Laufzeit der Garantie beeinflussen.

2.

Nach Ansicht der meisten Mitglieder des EWSA einschließlich der Verbrauchervertreter sollten d Die Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit müssen negativ formuliert werden, um ausdrücklich den Verbraucher von der Pflicht zu befreien, nachweisen zu müssen, dass die Ware nicht den Anforderungen entspricht. Stattdessen sollte die Beweislast beim Verkäufer liegen. Unternehmensvertreter empfehlen dagegen, die Formulierung der Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit allgemein zu halten. Das wichtigste Kriterium für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit sollte ihnen zufolge die Frage sein, ob die Ware dem entspricht, was als vereinbart gilt (in Art, Menge, Qualität und anderen Merkmalen).

3.

Die Formulierung der Ausnahmen in dem Artikel suggeriert einen allgemeinen Haftungsausschluss für den Verkäufer, was dem Verbraucher gegenüber aber nur unter Beeinträchtigung seiner Regressansprüche geltend gemacht werden kann (anwendbar auf den Fall VW).

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

99

Nein-Stimmen:

126

Enthaltungen:

13

f)   Ziffer 4.2.5.7

Artikel 9 — Abhilfen des Verbrauchers bei Vertragswidrigkeit

1.

Nach Ansicht der Vertreter der Verbraucher räumen dDie Bestimmungen räumen dem Verbraucher zunächst nicht die Möglichkeit ein, die Sache unmittelbar zurückzugeben und den Kaufpreis zurückerstattet zu bekommen. Die Verweigerung dieses Rechts steht im Konflikt mit dem Verbraucherrecht mehrerer Mitgliedstaaten (Griechenland, Portugal, Irland, Vereinigtes Königreich, Dänemark, Litauen). Unternehmensvertreter befürworten, dass — im Sinne einer größtmöglichen Harmonisierung — eine derartige Möglichkeit nicht vorgesehen ist.

2.

Der Begriff „angemessene Frist“ ist nach Auffassung der Verbrauchervertreter subjektiv und eröffnet den Mitgliedstaaten Raum, die Richtlinie in dieser entscheidenden Frage unterschiedlich umzusetzen, was unvereinbar mit der größtmöglichen Harmonisierung ist. Beispielsweise beträgt die Frist in Ländern wie Bulgarien, Frankreich, Portugal und Luxemburg 30 Tage und in Ungarn, Rumänien, Griechenland und Estland 15 Tage. In der Bestimmung sollte eine Frist festgesetzt werden, die der in einigen EU-Ländern gewährten Maximalfrist entspricht, d. h. 15 Tage. Nach Ansicht von Unternehmensvertretern ist der Begriff „angemessene Frist“ ein objektiver Rechtsbegriff und lässt zugleich Spielraum für die Anwendung auf vielfältige Situationen.

3.

Der Begriff „unmöglich“ in Absatz 3 Buchstabe a sollte durch „technisch unmöglich“ ersetzt werden.

4.

Ebenso ist der Begriff „erhebliche Unannehmlichkeiten“nach Ansicht der Verbrauchervertreter subjektiv und sollte gestrichen oder durch die Formulierung des österreichischen Gesetzes — möglichst wenig nachteilig — ersetzt werden. Dazu sollte der Verbraucher die Möglichkeit haben, eine ähnliche Ware ersatzweise zur Verfügung gestellt zu bekommen, bis die Nachbesserung erfolgt ist. Unternehmensvertreter weisen darauf hin, dass diese etablierte rechtliche Formulierung einen Spielraum für die Anwendung auf vielfältige Situationen lässt.

5.

Der Vorschlag der Kommission berücksichtigt nicht die in den Rechtsvorschriften verschiedener Länder (Frankreich, Malta, Griechenland, Rumänien, Portugal und Slowenien) vorhandene Bestimmung, dass Hersteller die Pflicht haben, für die erwartete Lebensdauer der Ware über einen entsprechenden Bestand an Ersatzteilen zu verfügen und diese den Verkäufern in angemessener Zeit zu liefern. Diese Frage steht in engem Zusammenhang mit der geplanten Obsoleszenz und der Laufzeit der Garantie des ersetzten Teils.

6.

Die Kommission sollte den Verkäufer zu vorübergehendem Ersatz verpflichten.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

100

Nein-Stimmen:

135

Enthaltungen:

2

g)   Ziffer 4.2.5.10

Artikel 13 — Recht des Verbrauchers auf Beendigung des Vertrags

1.

Unternehmensvertreter fordern, dass die Bestimmung aus Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 1999/44 aufgenommen wird, wonach der Verbraucher keinen Anspruch auf Vertragsauflösung hat, wenn es sich um eine geringere Vertragswidrigkeit handelt.

1.

Es ist höchst fragwürdig, ob der Verbraucher im Fall einer Beendigung des Vertrags verpflichtet ist, für den Wertverlust durch die Nutzung, Beschädigungen oder den Untergang der Sache aufzukommen.

2.

Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass im Fall der Ausübung des Rechts auf Ersatzlieferung nicht verlangt werden kann, dass der Verbraucher für die Nutzung des fehlerhaften Produkts bezahlt (Quelle Rechtssache).

3.

Es ist unklar, welcher Betrag zurückerstattet werden muss, wenn der Erwerb für einen nicht aufgeschlüsselten Pauschalpreis für ein Paket mehrerer Waren erfolgt ist.

4.

Unternehmensvertreter fordern, dass die Bestimmung aus Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 1999/44/EG aufgenommen wird, wonach der Verbraucher keinen Anspruch auf Vertragsauflösung hat, wenn es sich um eine geringere Vertragswidrigkeit handelt.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

110

Nein-Stimmen:

118

Enthaltungen:

18

h)   Ziffer 4.2.5.10

Artikel 13 — Recht des Verbrauchers auf Beendigung des Vertrags

1.

Es ist nach Ansicht der meisten Mitglieder des EWSA einschließlich der Verbrauchervertreter höchst fragwürdig, ob der Verbraucher im Fall einer Beendigung des Vertrags verpflichtet ist, für den Wertverlust durch die Nutzung, Beschädigungen oder den Untergang der Sache aufzukommen. Die Vertreter der Unternehmen unterstützen diese Bestimmung dagegen.

2.

Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass im Fall der Ausübung des Rechts auf Ersatzlieferung nicht verlangt werden kann, dass der Verbraucher für die Nutzung des fehlerhaften Produkts bezahlt (Quelle Rechtssache).

3.

Es ist unklar, welcher Betrag zurückerstattet werden muss, wenn der Erwerb für einen nicht aufgeschlüsselten Pauschalpreis für ein Paket mehrerer Waren erfolgt ist.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

101

Nein-Stimmen:

132

Enthaltungen:

10

i)   Ziffern 1.3 und 1.4

1.3

In Bezug auf die behandelten Aspekte stimmen die meisten Mitglieder des EWSA einschließlich der Verbrauchervertreter t der EWSA überdies nicht mit der von der Kommission angeführten Rechtsgrundlage überein und schlagen schlägt stattdessen Artikel 169 AEUV dafür vor. Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich die getroffenen Maßnahmen auf Richtlinien der Mindestharmonisierung beruhen müssen, wie aus Absatz 2 Buchstabe a und Absatz 4 des genannten Artikels hervorgeht und was vom europäischen Gesetzgeber grundsätzlich anerkannt wird.

1.4

Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich die getroffenen Maßnahmen auf Richtlinien der Mindestharmonisierung beruhen müssen, wie aus Absatz 2 Buchstabe a) und Absatz 4 des genannten Artikels hervorgeht und was vom europäischen Gesetzgeber grundsätzlich anerkannt wird. Die Vertreter der Unternehmen stimmen jedoch der von der Kommission angeführten Rechtsgrundlage zu, da Fragen des Binnenmarktes im Vordergrund stehen und die Unternehmen nach eigenen Angaben klare Regeln brauchen, an die sie sich halten können.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

111

Nein-Stimmen:

123

Enthaltungen:

12


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/73


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zu den Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik

[COM(2015) 454 final]

(2016/C 264/08)

Berichterstatter:

Erik SVENSSON

Die Europäische Kommission beschloss am 14. Oktober 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zu den Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik

[COM(2015) 454 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2015 (Sitzung vom 27. April) mit 220 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

In einer Situation, in der die öffentlichen Auftraggeber bei der Lösung dringlicher Probleme im Zusammenhang mit der Flüchtlings- und Asylkrise unter sehr großem Druck stehen, nimmt der EWSA die erläuternde Mitteilung der Kommission, die keinerlei Änderungen mit sich bringt, mit Interesse zu Kenntnis.

1.2

Der EWSA vertraut darauf, dass sowohl die geltende als auch die neue Richtlinie durch die Möglichkeiten einer erheblichen Verkürzung der Fristen für die Einreichung von Angeboten und der direkten Vergabe öffentlicher Aufträge genügend Spielraum für eine zügigere Bearbeitung lassen können.

1.3

Der EWSA betont jedoch, dass es wichtig ist,

einen hohen Grad an Transparenz und eine ausführliche Dokumentation der Verfahren zu gewährleisten,

zu verhindern, dass die Flexibilität der Vorschriften ungebührlich ausgenutzt wird,

Lösungen anzustreben, die eine anschließende Integration und zusätzliche Unterstützung erleichtern,

dass Aufträge in dringlichen Fällen für einen kurzen Zeitraum vergeben werden.

1.4

Die Bedeutung des gemeinnützigen Sektors als Ergänzung zur öffentlichen Auftragsvergabe kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dank des Engagements dieses Sektors konnten zahlreiche Länder weitaus mehr Menschen unterstützen und ihnen helfen, als es andernfalls möglich gewesen wäre.

1.5

Auch wenn der Rechtsrahmen eine schnellere Bearbeitung ermöglicht, hält der EWSA eine Verschlankung bürokratischer Abläufe, die zu langwierigen Vergabeverfahren führen, für geboten.

1.6

Angesichts neuer und zunehmender Bedrohungen müssen öffentliche Auftraggeber ein getrenntes Vergabeverfahren für Sicherheits- und Versicherungslösungen in Erwägung ziehen.

1.7

Der EWSA verweist darauf, dass es in Bezug auf Flüchtlinge, die nach ihrer Ankunft kein Asyl beantragen wollen, ähnliche Probleme gibt, da sie ebenfalls dringend auf Betreuung, Gesundheitsversorgung und Schutz angewiesen sind.

1.8

Der EWSA betont, dass im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der Asyl-und Flüchtlingsproblematik auch andere Dienstleistungen in Betracht gezogen werden sollten, die den Weg für eine künftige Integration ebnen und sie erleichtern.

1.9

Der EWSA fordert und empfiehlt, dass die Kommission ihre Mitteilung auch im Hinblick auf die Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der derzeitigen Flüchtlingskrise präzisiert oder dass eine weitere Mitteilung zur öffentlichen Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise verfasst wird.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

2.1

Der plötzlich stark angestiegene Zustrom von Asylsuchenden stellt die Europäische Union derzeit vor große Herausforderungen. Nicht zuletzt müssen die Mitgliedstaaten die unmittelbaren Bedürfnisse der Asylsuchenden (Wohnraum, Lieferungen von Waren und Dienstleistungen) angemessen und zügig sicherstellen. Die europäischen Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe bieten mit der derzeit geltenden Richtlinie 2004/18/EG (1) (im Folgenden „die Richtlinie“) sowie der neuen Richtlinie 2014/24/EU (2) über die öffentliche Auftragsvergabe alle erforderlichen Instrumente, mit denen diesen Bedürfnissen entsprochen werden kann.

2.2

Mit dieser Mitteilung werden keine neuen Rechtsvorschriften geschaffen. Sie umfasst die Auslegung der Kommission bezüglich der Vorschriften für: (i) Aufträge für Infrastrukturen (Wohnraum), die entweder durch das Anmieten vorhandener Gebäude, in denen keine umfangreichen Herrichtungsarbeiten (also Bauarbeiten) erforderlich sind, durch den Bau neuer Gebäude oder durch die Renovierung vorhandener Gebäude verfügbar gemacht werden, mit einem Schwellenwert von 5 186 000 EUR; (ii) Aufträge für Lieferungen von Waren wie Zelte, Container, Kleidung, Decken, Betten und Nahrungsmittel, mit einem Schwellenwert von 135 000 EUR (ehemals 134 000 EUR) oder 209 000 EUR (ehemals 207 000 EUR), je nach Art des öffentlichen Auftraggebers; (iii) Aufträge für Dienstleistungen wie Reinigungs-, Gesundheits-, Verpflegungs- und Sicherheitsdienste, mit denselben Schwellenwerten wie die Aufträge über die Lieferung von Waren. Obgleich die Bestimmungen der Richtlinie vollständig bei allen Dienstleistungen anwendbar sind, gelten für die „Sonderregelung“ (für soziale und andere besondere Dienstleistungen) besondere Vorschriften für die Auftragsvergabe. Für solche Dienste ist der Schwellenwert auf 750 000 EUR festgesetzt worden.

2.3

Aufträge, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, kann der öffentliche Auftraggeber im Wege eines offenen oder eines nichtoffenen Verfahrens vergeben. Die Mindestfrist für die Einreichung der Angebote bei einem offenen Verfahren beträgt 52 Tage, kann aber im Rahmen einer elektronischen Abwicklung auf 40 Tage verkürzt werden. Bei einem nichtoffenen Verfahren betragen die allgemeinen Fristen 37 Tage für die Einreichung der Teilnahmeanträge und weitere 40 Tage für die Einreichung der Angebote, nachdem der öffentliche Auftraggeber die Teilnehmer ausgewählt hat, die ein Angebot abgeben dürfen.

Für dringliche Fälle ist in der Richtlinie eine erhebliche Kürzung der allgemeinen Fristen vorgesehen: a) „beschleunigtes nichtoffenes Verfahren“, in dem die Fristen für die Einreichung von Teilnahmeanträgen 15 und für die Einreichung von Angeboten 10 Tage betragen; b) „Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung“, das eine Auftragsvergabe zur Sicherstellung der Bedürfnisse der Asylsuchenden in den dringlichsten Fällen ermöglicht.

2.4

Die öffentlichen Auftraggeber müssen von Fall zu Fall entscheiden, welches Verfahren sie für die Vergabe von Aufträgen in Anspruch nehmen, die der Erfüllung unmittelbarer Bedürfnisse der Asylsuchenden (Wohnraum, Lieferungen von Waren, Dienstleistungen) dienen sollen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA nimmt die Kommissionsmitteilung mit Interesse zur Kenntnis und stimmt der allgemeinen Haltung der Kommission zu, dass die Mitgliedstaaten in der Lage sein müssen, die dringlichsten Bedürfnisse der Asylsuchenden sicherzustellen.

3.1.1

Der EWSA stellt fest, dass diese Mitteilung keine Änderungen mit sich bringt, sondern konstruktive Präzisierungen und Erläuterungen enthält.

3.2

Nach Auffassung des EWSA ist es sehr gut und zweckmäßig, dass sich die Kommission gerade jetzt zum Anwendungsbereich der geltenden Bestimmungen äußert, da zahlreiche Länder — wenn auch in unterschiedlichem Maße — mehr Asylbewerber als jemals zuvor aufgenommen haben und die (nationalen und regionalen) öffentlichen Auftraggeber unter sehr großem Druck stehen.

3.3

Der EWSA teilt die in der Mitteilung zum Ausdruck gebrachte Auffassung der Kommission, dass die Bestimmungen der geltenden Richtlinie 2004/18/EG und der neuen Richtlinie 2014/24/EU, die spätestens bis zum 18. April dieses Jahres in nationales Recht umgesetzt werden muss, im Wesentlichen bereits ausreichen, um den steigenden Zahlen und dem höheren Zeitdruck infolge der aktuellen Flüchtlingssituation gerecht zu werden.

3.3.1

Es ist von größter Bedeutung, dass die Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen kein Hindernis für die Bewältigung der entstandenen Situation und für die Gewährleistung des durch das Asylrecht vorgeschriebenen Schutzes darstellen. Dieses Risiko besteht vor allem in den Bereichen Wohnen, Gesundheitsfürsorge, Sicherheit und Versorgung mit Lebensmitteln.

3.3.2

Der EWSA vertraut darauf, dass die neue Richtlinie, und somit auch die neuen nationalen Vorschriften, durch die Möglichkeit einer erheblichen Verkürzung der Fristen für die Einreichung von Angeboten genügend Spielraum für eine zügigere Bearbeitung lassen können.

3.3.3

Ferner besteht in Fällen größter Dringlichkeit die Möglichkeit der direkten Vergabe öffentlicher Aufträge auch oberhalb der Schwellenwerte.

3.4

Der EWSA hält es jedoch für überaus wichtig, bei schnelleren Verfahren oder bei der direkten Vergabe einen höheren Grad an Transparenz und eine ausführlichere Dokumentation der Verfahren zu gewährleisten.

3.4.1

Damit das Gesetz über die öffentliche Auftragsvergabe sowohl von den Unternehmen als auch von den Gewerkschaften und der restlichen Zivilgesellschaft weiterhin unterstützt wird, ist es von ausschlaggebender Bedeutung, dass keine Partei — seien es Behörden oder Lieferanten — die Flexibilität der Vorschrift auf unangemessene Weise ausnutzt. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, bereits während des Verfahrens eventuelle Überprüfungen zu erleichtern. Zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Durchführung wäre ein Verfahren zur Ex-post-Bewertung zu erwägen.

3.4.2

Es ist wichtig zu betonen, dass selbst in dringlichen Fällen nach Lösungen gesucht werden sollte, die eine spätere Integration und weitere Unterstützung erleichtern. Dies gilt insbesondere für schutzbedürftige Gruppen wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere und Menschen mit Behinderungen.

3.5

In Notsituationen, wie wir sie in einigen Ländern in der EU derzeit im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik erleben, besteht stets ein gewisses Risiko, dass sowohl die öffentlichen Auftraggeber als auch die Lieferanten nach „Abkürzungen“ suchen.

3.6

Es ist wichtig, Aufträge, die in dringenden Fällen vergeben werden (im Rahmen eines beschleunigten nichtoffenen Verfahrens oder eines Verhandlungsverfahrens ohne Bekanntmachung) auf einen kurzen Zeitraum zu beschränken, um so schnell wie möglich zum Normalbetrieb zurückkehren zu können.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Es muss betont werden, dass der gemeinnützige Sektor als Ergänzung zum öffentlichen Auftraggeber einen enormen Beitrag geleistet hat. In den Ländern, die die meisten Asylsuchenden aufgenommen haben (z. B. Deutschland und Schweden), war dies von ausschlaggebender Bedeutung. Ohne den Einsatz des gemeinnützigen Sektors hätten wir die Situation in diesem Ausmaß nicht bewältigen können.

4.1.1

Die Möglichkeit der Direktvergabe steht nunmehr auch jenen Akteuren offen, die bei einer öffentlichen Auftragsvergabe sonst kaum zum Zuge kommen (z. B. gemeinnützige Organisationen).

4.2

Obgleich der Rechtsrahmen Möglichkeiten für eine schnelle Bearbeitung bietet, benötigen die Vergabestellen hierfür oftmals (viel) zu viel Zeit. Die bürokratischen Abläufe können zu langwierigen Vergabeverfahren führen.

4.3

Es wäre vielleicht sinnvoll, ein konkretes Beispiel aus dem EU-Land zu nennen, das (zusammen mit Deutschland) im Verhältnis zu seiner Größe die meisten Asylsuchenden aufgenommen hat, in erster Linie aus Syrien.

4.3.1

Die schwedische Regierung hat im November 2015 geprüft, ob für die Bewältigung der extremen Asylsituation eine Gesetzesänderung angebracht wäre.

4.3.2

Den Antworten schwedischer Vergabebehörden zufolge ermöglichen die Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe sowohl eine rasche Reaktion in Dringlichkeitsfällen als auch die Wahrung des öffentlichen Interesses und einen klugen Interessenausgleich.

4.4

Damit die Vergabebehörden bei ihrer Arbeit sowohl die Qualität sicherstellen als auch mit der gebotenen Schnelligkeit reagieren können, sollten sie nach Auffassung des EWSA vor dem Entstehen einer Krisensituation eine Marktsondierung durchführen, um in Frage kommende und verfügbare Lieferanten zu ermitteln und die zu erwartenden Kosten abschätzen zu können.

4.5

Nach Auffassung des EWSA ist es überaus wichtig, dass die Vergabebehörde den Vertragsabschluss nicht aufschiebt, sondern mit der unter den gegebenen Umständen gebotenen Schnelligkeit vorgeht.

4.6

Erfahrungsgemäß sind die Sicherheits- und Versicherungskosten aufgrund der Bedrohungen und jüngsten Ereignisse beträchtlich gestiegen (bis auf das Dreifache).

4.7

Um die Unsicherheit im Bereich des Auftragswesens zu mindern und die Verfügbarkeit möglicher Lösungen zu steigern, müssen die öffentlichen Auftraggeber gesonderte Vergabeverfahren für Sicherheits- und Versicherungslösungen in Erwägung ziehen.

5.   Bemerkungen zu Fragen, die nicht Gegenstand der Kommissionsmitteilung sind

5.1

Der EWSA verweist darauf, dass sich in Bezug auf Flüchtlinge, die kein Asyl beantragen wollen, eine ähnliche Problematik stellt. Auch in diesen Fällen müssen dringend Betreuungs-, Gesundheitsversorgungs- und Schutzmaßnahmen gewährleistet und die grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse erfüllt werden.

5.2

Nach Auffassung des EWSA müssen im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe in den Bereichen Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Dienstleistungen für Asylsuchende und sonstige Flüchtlinge auch Dienstleistungen in Betracht gezogen werden, die auf den Alltag und eine eventuelle künftige Integration vorbereiten und diese erleichtern. Zu solchen dringenden Dienstleistungen gehören Sprachkurse und vorzugsweise auch Berufsbildungsmaßnahmen.

5.2.1

Es gibt bereits konkrete Beispiele für die Auftragsvergabe für Sprachkurse, Fahrunterricht und andere wichtige Tätigkeiten, die vom gemeinnützigen Sektor, Kirchen oder Vereinen sichergestellt werden.

5.3

In finanzschwachen Ländern, in denen das Risiko besteht, dass die Behörden für die in Auftrag gegebenen Dienstleistungen nicht aufkommen können, ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die Zahlung tatsächlich erfolgt.

5.4

Schließlich ist der EWSA der Auffassung, dass die Kommission ihre Mitteilung in Bezug auf den breiteren Kontext präzisieren muss, entweder indem sie auch auf die öffentliche Auftragsvergabe in Bezug auf sowohl die Asyl- als auch die Flüchtlingsproblematik eingeht, oder indem sie eine weitere Mitteilung zur öffentlichen Auftragsvergabe als Reaktion auf die Flüchtlingskrise verfasst.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. L 134 vom 30.4.2004, S. 114; Stellungnahme des EWSA: ABl. C 193 vom 10.7.2001, S. 7.

(2)  Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65; Stellungnahme des EWSA: ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 84.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/77


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen

[COM(2015) 750 final — 2015/0269 (COD)]

(2016/C 264/09)

Berichterstatter:

Paulo BARROS VALE

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 14. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen

[COM(2015) 750 final — 2015/0269 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April) mit 176 gegen 8 Stimmen bei 20 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Thematik Waffen wird seit jeher kontrovers diskutiert, doch die tragischen Ereignisse in Europa haben die Debatte darüber noch weiter angeheizt. Bei der Beurteilung der überarbeiteten Richtlinie sind jedoch eine gewisse Nüchternheit und Objektivität angezeigt, um die Fragen der Sicherheit und des Marktes in ausgewogener Weise prüfen zu können, weshalb die grundlegende Frage der Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität nicht hier, sondern an anderer Stelle erörtert werden soll, um ihrer Dimension besser gerecht zu werden.

1.2

Laut der Study on Firearms  (1) (Studie über Feuerwaffen) des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung gab es 2007 etwa 875 Mio. Waffen. Davon befanden sich nur 3 % im Besitz der Polizei und 23 % im Besitz des Militärs. In einer Branche dieser Größe obliegt es dem Gesetzgeber, Mittel und Wege zu finden, um die von dieser riesigen Zahl von Waffen ausgehenden Gefahren zu mildern.

1.3

Der EWSA befürwortet die Annahme dieser Richtlinie, in der Begriffsbestimmungen präzisiert und neue Pflichten und kohärentere Vorschriften für die Kennzeichnung und die Vernichtung von Waffen eingeführt werden, möchte jedoch auch Maßnahmen vorschlagen, die zu mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger beitragen können.

1.4

Im Gegensatz zu anderen Bereichen, in denen die Europäische Union umfassend gesetzgeberisch tätig wurde, ist dies bei der Rüstungsindustrie nicht der Fall — hier bleiben die Vorschriften weit hinter dem zurück, was in puncto Sicherheit und Rückverfolgung von Waffen und von an kriminellen Handlungen beteiligten Personen möglich gewesen wäre. Im Hinblick auf die angestrebten Ziele in einem so sensiblen Bereich wie der Sicherheit gilt es daher, entschlossen vorzugehen.

1.5

Aufgrund der Bedeutung der Rückverfolgbarkeit nicht nur der Waffen, sondern auch der Munition sollte nach Ansicht des EWSA auf mittlere bis lange Sicht die Möglichkeit erwogen werden, die Industrie zu einer technischen Weiterentwicklung zu veranlassen: die Projektile sollten an einer Stelle, die bei der Verwendung nicht zerstört wird, dauerhaft gekennzeichnet werden. Soweit technisch machbar sollten diese und weitere Angaben über die Waffen den zuständigen Behörden in Form interoperabler Datenbanken zur Verfügung gestellt werden, denn damit wird ein wichtiger Beitrag zur mehr Effizienz bei den Ermittlungen geleistet. Diese Datenbanken sollten nicht nur die einzelstaatlichen Waffenregister umfassen, sondern auch auf europäischer Ebene durch die Behörden aller Mitgliedstaaten mit Daten gespeist und von ihnen verwendet werden.

1.6

Nach Ansicht des EWSA sollte die Möglichkeit geprüft werden, dass die EU dem Beispiel Australiens und Großbritanniens hinsichtlich der Programme zum Waffenaufkauf folgt, um so viele Tausende von Waffen aus dem Verkehr zu ziehen. Der direkte Zusammenhang zwischen der Zahl der im Umlauf befindlichen Waffen und der Zahl der begangenen Straftaten ist vielleicht nicht bewiesen, doch die statistische Wahrscheinlichkeit von Verbrechen, Unfällen und Fällen, in denen Waffen in die Hände von Kriminellen gelangen, wäre dann geringer.

1.7

Die technologische Entwicklung des 3D-Drucks führt insofern zu Gefahren, als sie die Herstellung von tödlichen und sonstigen Waffen ermöglicht, ohne dass die Möglichkeit einer Kontrolle und Rückverfolgbarkeit besteht. Zudem sind diese Waffen zumeist aus Material hergestellt, das von herkömmlichen Sicherheitssystemen nicht erfasst werden kann. Es ist dringend notwendig, diesen Punkt auf die Sicherheitsagenda der Staaten zu setzen, damit konzertierte Maßnahmen getroffen werden können, um die völlig unkontrollierte Verbreitung tödlicher Waffen zu verhindern.

2.   Hintergrund des Vorschlags

2.1

Vor dem Hintergrund der besonderen Sorge um die Sicherheit schlägt die Kommission eine Änderung der Richtlinie 91/477/EWG (2) über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen, ihrerseits geändert durch die Richtlinie 2008/51/EG (3), vor.

2.2

Diese Änderung ist Teil der am 28. April 2015 vorgestellten Europäischen Sicherheitsagenda, die auf europäischer Ebene eine wirksame und koordinierte Antwort auf die Bedrohungen für die Sicherheit geben soll. In der Europäischen Sicherheitsagenda werden die bestehenden Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften als Hindernis für die Wirksamkeit der Kontrollen und die Zusammenarbeit der Polizeibehörden der Mitgliedstaaten genannt und es wird zur Überprüfung der Rechtsvorschriften über Feuerwaffen und der Bestimmungen über ihre Deaktivierung aufgerufen.

2.3

Ziel der Richtlinie ist es, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und zugleich das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Feuerwaffen zu gewährleisten. Zu diesem Zweck werden Vorschriften festgelegt, die für den gesamten Lebenszyklus einer Feuerwaffe von der Produktion bis zur Vernichtung gelten sollen.

2.4

In der Richtlinie sind Mindestanforderungen festgelegt, die die einzelnen Mitgliedstaaten für den Erwerb, den Besitz und die Verbringung der verschiedenen Kategorien von Feuerwaffen, auch der für Jäger und Sportschützen bestimmten Waffen, erlassen müssen.

2.5

Als Grundlage für die Überarbeitung des geltenden Rechtsrahmens wurden drei Studien über die Eignung der bestehenden Rechtsvorschriften erstellt, mit dem Ergebnis, dass der Erlass EU-weiter Mindestvorschriften über den unerlaubten Handel mit Feuerwaffen und eine Überarbeitung der bestehenden Richtlinie angezeigt sind, um folgende Zielsetzungen zu erreichen:

Harmonisierung der Vorschriften für die Kennzeichnung von Waffen;

Annahme einheitlicher Standards und Verfahren sowie Einführung von Registrierungsanforderungen für deaktivierte Feuerwaffen;

Festlegung von Verfahren für die Umbaubarkeit von Schreckschuss-/Signalwaffen und Nachbauten;

Förderung des Wissensaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten und Entwicklung und Pflege von Datenbanken über die Herstellung, den Besitz und die Deaktivierung von Feuerwaffen;

Festlegung eines abgestimmten Konzepts zur Klassifizierung von Jagd- und Sportfeuerwaffen.

2.6

Die einschlägigen Interessenträger (Vertreter europäischer Verbände der Hersteller von Feuerwaffen und Munition zu zivilen Zwecken, Vertreter des Handels mit zivilen Waffen, Jäger, Sammler, NGO, Forschungsinstitute usw.) wurden von der Kommission angehört. Die Mitgliedstaaten und die NGO hielten die geltende Richtlinie für nützlich, um die Umlenkung von Feuerwaffen vom legalen Handel auf illegale Märkte zu verhindern. Die Vertreter des privaten Sektors dagegen waren besorgt, dass Änderungen an den Kategorien der Feuerwaffen negative Folgen für kleine und mittlere Unternehmen haben könnten.

2.7

Die von der Kommission konsultierten Interessenträger vertraten die Ansicht, dass die Reaktivierung unbrauchbar gemachter Feuerwaffen maßgeblich zur Beschaffung von Waffen für kriminelle Zwecke beiträgt, weshalb eine Harmonisierung der Deaktivierungsvorschriften im Hinblick auf die Bekämpfung dieser Praktiken als vorrangig angesehen wird.

2.8

Weitgehende Übereinstimmung besteht bei den konsultierten Interessenträgern auch über die Notwendigkeit eines Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten, der Harmonisierung der Definitionen und der Festlegung von Mindeststandards für Deaktivierungsleitlinien.

3.   Allgemeine Bemerkungen

Die tragischen Ereignisse der letzten Zeit haben eine intensive Debatte über den Handel und Umgang mit Waffen ausgelöst. Die Sicherheit der Bürger, die immer stärker durch den Terrorismus bedroht wird, darf jedoch nicht mit Waffenbesitz verwechselt werden. Die leichte Beschaffbarkeit von Feuerwaffen muss deshalb dringend und entschieden bekämpft werden, können doch so Gruppen von Extremisten oder der organisierten Kriminalität und gestörte Einzeltäter mit nicht nachvollziehbaren Motiven nach wie vor an die Werkzeuge für ihre schrecklichen Verbrechen kommen. Darüber hinaus dürfen die allgemeine Kriminalität sowie die Selbstmorde und Unfälle im Zusammenhang mit Feuerwaffen nicht außer Acht gelassen werden.

3.1

Die vorgeschlagenen Präzisierungen stellen eine erhebliche Verbesserung gegenüber der bisherigen Richtlinie dar und werden daher vom EWSA begrüßt. Ziel dieser Vorschläge ist kein Feuerwaffenverbot, sondern eine Harmonisierung der Vorschriften über den Erwerb und den Besitz von Waffen, die für den gesamten Lebenszyklus einer Feuerwaffe gelten und der Regulierung des Marktes und Gewährleistung der Sicherheit dienen sollen.

Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass nach Anhörung der Interessenträger (insbesondere Polizei, Industrie, Handel, Nutzer, Sammler und NGO, die sich für die Sicherheit der Bürger einsetzen) die Rechtsvorschriften angesichts der fortbestehenden Sicherheitsprobleme zu diesem Thema ambitionierter ausfallen sollten. Die Kommission sollte Rechtsvorschriften nicht nur als unmittelbare Reaktion auf die jüngsten terroristischen Ereignisse erlassen, sondern auch mit der Zielsetzung, die Frage der Sicherheit legaler Feuerwaffen zu lösen.

3.2

Zur Thematik Waffenkontrolle wurden verschiedene Studien durchgeführt. Einige davon enthalten Hinweise darauf, dass durch restriktive Waffengesetze Gewalttaten (4), Unfälle (5) und Selbsttötungen (6) zurückgehen, während es anderen zufolge zur Verringerung von Gewaltverbrechen beiträgt und keine signifikanten Auswirkungen auf die Zunahme von Selbsttötungen oder Unfällen hat (7), wenn Bürgern, die keine Vorstrafen haben und keine psychischen Probleme aufweisen, der Waffenbesitz gestattet wird.

3.2.1

Der Fall Australiens ist beispielhaft für die Waffenkontrolle. Nachdem dort ein Mann ein Café betreten und mit zwei Waffen 35 Menschen erschossen und 23 weitere verletzt hatte, unternahm Australien 1997 eine der bisher umfassendsten Reformen des Waffenrechts, die sich in einer deutlichen Verringerung der Todesfälle durch Schusswaffen niederschlug. Das Land verbot bestimmte Arten von Waffen, führte eine Bestimmung ein, wonach für einen Waffenbesitz rechtmäßige Gründe (und nicht nur das Selbstschutz-Argument) geltend gemacht werden müssen, und finanzierte ein Programm zum Aufkauf von Waffen durch den Staat. Im Rahmen dieser Initiative konnten fast 700 000 Waffen aus dem Verkehr gezogen und — im Zusammenwirken mit den neuen Restriktionen — die Zahl von Tötungsdelikten durch Schusswaffengebrauch drastisch gesenkt werden (8).

3.2.2

Das australische Programm für den Waffenaufkauf basierte auf der Annahme, dass der Tötungstrieb eines Einzelnen durch die große Verfügbarkeit von Waffen leichter in einem Massenmord enden könnte.

3.2.3

Auch im Vereinigten Königreich wurden, nachdem bei einem Amoklauf 15 Menschen erschossen und 15 weitere verletzt wurden, ähnliche Maßnahmen wie in Australien ergriffen: Verbot einiger Arten von Waffen, Einführung einer Registrierpflicht für die Eigentümer von Waffen und Finanzierung eines Programms zum Aufkauf von Waffen. Dies wirkte sich jedoch nicht so stark wie in Australien auf die Zahl der Todesopfer durch Schusswaffengebrauch aus (9).

3.2.4

Die jüngste umfassende Studie über Waffenkontrolle wurde im Februar 2016 veröffentlicht. Darin werden 130 andere Untersuchungen ausgewertet, die im Zeitraum zwischen 1950 und 2014 in zehn verschiedenen Ländern durchgeführt wurden (10). Nach Ansicht der Verfasser ist es zwar nicht erwiesen, dass restriktive Gesetze Gewalt verringern, doch lassen die veröffentlichten Daten darauf schließen, dass in einigen Ländern ein Zusammenhang zwischen der Beschränkung des Zugangs zu bestimmten Arten von Waffen und der Verringerung der Zahl der Todesopfer durch Feuerwaffen besteht. Der Erlass von Gesetzen mit strengeren Voraussetzungen für den Erwerb von Schusswaffen (z. B. Überprüfung des Vorstrafenregisters) oder für den Zugang zu Waffen (z. B. in Bezug auf die Lagerung) geht außerdem mit einem Rückgang von Tötungsdelikten in Beziehungen und von tödlichen Waffenunfällen mit Kindern einher.

3.3

Angesichts dieser Erwägungen und Untersuchungen ist der EWSA der Auffassung, dass für den Erhalt von Waffenscheinen, den Erwerb von Waffen und Munition, das Verbot und die Deaktivierung bestimmter Arten von Waffen sowie auch im Hinblick auf ein Programm zum Aufkauf und zur anschließenden Vernichtung von Waffen durch die Mitgliedstaaten strenge Vorschriften gelten müssen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Vorschlag entspricht dem Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Richtlinie ist das geeignete Instrument, da es zweifelhaft ist, dass die Mitgliedstaaten bereit sind, eine Verordnung zu akzeptieren.

4.2

Mit dieser Richtlinie werden mehrere Artikel der früheren Richtlinie geändert, Bestimmungen präzisiert und neue Anforderungen eingeführt, was den bisherigen Rechtstext erheblich verbessert und daher vom EWSA begrüßt wird.

4.3

Der EWSA unterstützt die Einführung einer obligatorischen medizinischen Untersuchung der körperlichen und geistigen Gesundheit für die Ausstellung oder Erneuerung von Waffenscheinen, was in einigen Mitgliedstaaten bereits praktiziert wird. Diese Untersuchung sollte europäischen Mindeststandards und Mindestqualitätsanforderungen genügen. Er merkt jedoch an, dass in der Richtlinie auch Bestimmungen über regelmäßige Schulungen für den Umgang mit Feuerwaffen sowie Anforderungen an die sichere Lagerung (insbesondere in Waffenschränken, wie sie in einigen Mitgliedstaaten bereits vorgeschrieben sind) und den sicheren Transport von Waffen und ihren Bestandteilen vorgesehen werden könnten.

4.4

Die Europäische Union hat unter Beweis gestellt, dass sie in vielen Bereichen umfassend gesetzgeberisch tätig werden kann. Beispielhaft dafür ist die Automobilindustrie, die zur Erfüllung von Sicherheitsanforderungen (in Bezug auf die Insassen und die Umwelt) und damit zu hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung gezwungen wurde. In Bezug auf die Kennzeichnung von Waffen und Waffenteilen wurden die Bestimmungen ebenfalls weiter gefasst. Der EWSA schlägt vor, mittel- und langfristig bei der Kennzeichnung von Projektilen noch ein wenig weiter zu gehen und die Möglichkeit zu erwägen, bei den Herstellern auf eine dauerhafte Projektilkennzeichnung an einer Stelle hinzuwirken, die bei der Verwendung nicht zerstört wird, z. B. im Inneren des Geschosses, um damit eine vollständige Rückverfolgbarkeit gewährleisten zu können. Normalerweise werden an Tatorten Projektile und nicht die Waffen selbst gefunden, weshalb diese Kennzeichnung eine wichtige Informationsquelle für die polizeilichen Ermittlungen sein kann.

4.5

Hinsichtlich der Datenbanken über Feuerwaffen begrüßt der EWSA die neue Formulierung, mit der der Zeitraum, in dem Aufzeichnungen über Waffen geführt werden müssen, bis zur Vernichtung der Feuerwaffe ausgedehnt wird. Dies bringt zusätzlichen Nutzen und ist ein wichtiges Instrument bei der Kontrolle und den Ermittlungen. Die Kommission sollte die Behörden dahingehend unterstützen, dass diese Register in allen Mitgliedstaaten in Echtzeit abgerufen werden können, was die Beweiserhebung erleichtert und den raschen und effizienten Austausch von Informationen zur Identifizierung und Lokalisierung von Feuerwaffen ermöglicht.

4.6

In die Kategorie der verbotenen Waffen wurden auch „halbautomatische zivile Feuerwaffen, die wie vollautomatische Kriegswaffen aussehen“ aufgenommen. Die Formulierung „die wie aussehen“ ist weder objektiv noch ausreichend, weshalb zunächst einmal klare Kriterien für diese Ähnlichkeit festgelegt werden müssen, nach denen diese Waffen in die Kategorie der verbotenen Feuerwaffen fallen sollen.

4.7

Schreckschuss-, Signal- und Salutwaffen, akustische Waffen sowie Waffennachbauten wurden in die Kategorie C — meldepflichtige Feuerwaffen — aufgenommen. Der EWSA hegt Zweifel hinsichtlich der Zweckmäßigkeit dieser in den Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten bereits vorgesehenen Meldepflicht, da diese Waffen nicht nur im einschlägigen Protokoll der Vereinten Nationen nicht als Feuerwaffen eingestuft werden, sondern auch, weil in den Mitgliedstaaten, in denen die Rechtsvorschriften noch keine solche Meldepflicht vorsehen, erhebliche Verwaltungskosten für eine Art von Waffen entstehen werden, von der keine große Gefahr für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger auszugehen scheint.

4.8

Die Gefahren für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, die von diesen und von anderen, z. B. Luftdruckwaffen ausgehen, sollten in einer Studie untersucht werden, um die Gefährlichkeit dieser Waffen und die Möglichkeiten für ihren Umbau zu potenziell tödlichen Waffen zu bewerten. Diese Studie könnte als Grundlage für neue technische und gesetzliche Vorschriften in Bezug auf die Sicherheit, den Umbau, die Umwandlung, die Deaktivierung und die Vernichtung von Waffen dienen.

4.9

In einer digitalen Gesellschaft muss die Aufmerksamkeit auf die Gefahren des elektronischen Waffen- und Munitionshandels gerichtet werden. Facebook und Instagram verkündeten Beschränkungen für den Verkauf von Waffen in ihren sozialen Netzen und untersagten ihren Nutzern, Waffengeschäfte über Veröffentlichungen, Newsgroups oder private Nachrichten anzubieten oder zu verabreden. Obwohl vorgesehen ist, dass der Waffenhandel über elektronische Kanäle nur Waffenhändlern und Maklern für einige Arten von Waffen und Munition gestattet sein soll, ist der EWSA der Auffassung, dass grundsätzlich nur Waffengeschäfte erlaubt sein sollten, bei denen die Geschäftspartner persönlich anwesend sind, um die strenge Überwachung durch die zuständigen Behörden gewährleisten zu können.

4.10

Der technische Fortschritt hat zur Entwicklung von 3D-Druckern geführt. Waffen blieben von dieser Technologie nicht ausgespart, und im Internet wurden Anleitungen und Programme zum Druck potenziell letaler Waffen veröffentlicht. Da die Herstellung von Waffen mit diesen Druckern in keinerlei Rechtsvorschriften geregelt ist, geht von dieser Technologie eine echte Bedrohung aus, die jedoch noch unterschätzt wird. Die Staaten sollten diese Thematik gemeinsam erörtern, im Netz beobachten oder sogar den Erwerb des Ausgangsmaterials für die Herstellung solcher Waffen unter Kontrolle stellen sowie ernsthaft ein Verbot ihrer Herstellung erwägen.

4.11

Die Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten den mit kulturellen und historischen Aspekten von Waffen befassten und als solche anerkannten Einrichtungen gestatten können, im Besitz von vor Inkrafttreten dieser Richtlinie erworbenen Feuerwaffen der Kategorie A zu bleiben, sofern diese deaktiviert wurden. Nach Auffassung des EWSA sollten für die Anwendung der Richtlinie auf die in Museen vorhandenen Sammlungen Sonderregelungen gelten, soweit die Tätigkeit dieser Museen von den Mitgliedstaaten als relevant anerkannt wird und keine Gefährdung der Sicherheit oder öffentlichen Ordnung gegeben ist. Diese Regelung muss strenge Bestimmungen für die Ausstellung, Erfassung, Lagerung und Handhabung der Waffen beinhalten, kann jedoch verhindern, dass historisch wertvolle Waffen der Kategorie A vernichtet werden müssen.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), Study on Firearms 2015 — A study on the transnacional nature of and routes and modus operandi used in trafficking in firearms (Studie über Feuerwaffen 2015 — Studie über den grenzüberschreitenden Charakter des Handels mit Schusswaffen sowie der entsprechenden Routen und Vorgehensweisen).

(2)  Richtlinie 91/477/EWG des Rates vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. L 256 vom 13.9.1991, S. 51); Stellungnahme des EWSA: ABl. C 35 vom 8.2.1988, S. 25.

(3)  Richtlinie 2008/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. L 179 vom 8.7.2008, S. 5); Stellungnahme des EWSA: ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 83.

(4)  Hepburn, Lisa; Hemenway, David, Firearm availability and homicide: A review of the literature. (Verfügbarkeit von Feuerwaffen und Tötungsdelikte: ein Überblick über die Fachliteratur), Aggression and Violent Behavior: A Review Journal (Aggression und gewalttätiges Verhalten: Wissenschaftsmagazin), 2004; 9:417-40, zitiert von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in http://www.hsph.harvard.edu/hicrc/firearms-research/guns-and-death/.

(5)  Miller, Matthew; Azrael, Deborah; Hemenway, David, Firearm availability and unintentional firearm deaths (Verfügbarkeit von Feuerwaffen und fahrlässige Tötungen mit Feuerwaffen), Accident Analysis and Prevention (Analyse und Prävention von Unfällen), 2001; 33:477-84, zitiert von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in http://www.hsph.harvard.edu/hicrc/firearms-research/gun-threats-and-self-defense-gun-use/.

(6)  Miller, Matthew; Hemenway, David, Gun prevalence and the risk of suicide: A review (Prävalenz von Schusswaffen und Suizidrisiko), Harvard Health Policy Review (Harvard-Magazin über Gesundheitspolitik), 2001; 2:29-37, zitiert von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in http://www.hsph.harvard.edu/hicrc/firearms-research/gun-ownership-and-use/.

(7)  John R. Lott, Jr. und David B. Mustard, Crime, Deterrence, and Right-to-Carry Concealed Hand Guns (Verbrechen, Abschreckung und das Recht, Handfeuerwaffen verborgen bei sich zu tragen), University of Chicago Law School, Mai 1998.

(8)  Alpers, Philip, Amélie Rossetti und Marcus Wilson, 2016, Guns in Australia: Total Number of Gun Deaths (Schusswaffen in Australien: Gesamtzahl der Toten durch Schusswaffen), Sydney School of Public Health, The University of Sydney. GunPolicy.org, 7. März. Aufgerufen am 10. März 2016 unter: http://www.gunpolicy.org/firearms/compareyears/10/total_number_of_gun_deaths.

(9)  Alpers, Philip, Marcus Wilson, Amélie Rossetti und Daniel Salinas, 2016, Guns in the United Kingdom: Total Number of Gun Deaths (Schusswaffen im Vereinigten Königreich: Gesamtzahl der Toten durch Schusswaffen), Sydney School of Public Health, The University of Sydney. GunPolicy.org, 23. Februar. Aufgerufen am 10. März 2016 unter: http://www.gunpolicy.org/firearms/compareyears/192/total_number_of_gun_deaths.

(10)  Julian Santaella-Tenorio, Magdalena Cerdá, Andrés Villaveces und Sandro Galea, What Do We Know About the Association Between Firearm Legislation and Firearm-Related Injuries? (Was wissen wir über die Korrelation zwischen den Rechtsvorschriften über Feuerwaffen und den durch Feuerwaffen verursachten Verletzungen?), veröffentlicht von Oxford University Press für die Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/82


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (kodifizierter Text)

[COM(2015) 616 final — 2015/0283 (COD)]

(2016/C 264/10)

Berichterstatter:

Jorge PEGADO LIZ

Mitberichterstatter:

Roger BARKER und Christophe LEFÈVRE

Der Rat beschloss am 29. April 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 50 Absatz 1 und Absatz 2 Buchstabe g AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (kodifizierter Text)

[COM(2015) 616 final — 2015/0283 (COD)].

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April 2016) mit 223 gegen 2 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet uneingeschränkt das Vorhaben zur Konsolidierung und Kodifizierung und damit der Vereinfachung des Wortlauts des Vorschlags über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (COM(2015) 616 final). Dieses Vorhaben entspricht voll und ganz dem, was er wiederholt in seinen Stellungnahmen vorgeschlagen hat.

1.2

Nach gründlicher Prüfung aller konsolidierten Texte und aller Vorschläge neuer kodifizierter Texte kann der EWSA versichern, abgesehen von den unter Ziffer 4.2 genannten Details keine formalen Fehler gefunden zu haben.

1.3

Der EWSA empfiehlt, die Entsprechungstabelle in Anhang IV mit jeweils zwei Einträgen zu erstellen, um auch die neuen Artikel mit den alten und nicht nur die alten mit den neuen vergleichen zu können.

1.4

Zudem hätte der EWSA ein ehrgeizigeres Vorhaben gewünscht, das auf die Kodifizierung weiterer, in anderen Rechtsinstrumenten zerstreuter Aspekte abzielt, insbesondere derjenigen, auf die in den unter Ziffer 4.4 genannten Richtlinien verwiesen wird.

1.5

Der EWSA ersucht darum, bei einer grundlegenden Überarbeitung des neuen Textes alle Vorschläge gebührend zu berücksichtigen, die er im Laufe der Jahre insbesondere in den in Ziffer 4.8 genannten Stellungnahmen zu allen Richtlinien unterbreitet hat, die Gegenstand des Vorhabens der Kommission sind.

2.   Gegenstand und Ziel des Kommissionsvorschlags

2.1

In der Begründung des Kommissionsvorschlags (COM(2015) 616 final vom 3. Dezember 2015) heißt es:

„Mit dem vorliegenden Vorschlag sollen die Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Dezember 1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (82/891/EWG), die Elfte Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (89/666/EWG), die Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, die Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, die Richtlinie 2011/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften und die Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten kodifiziert werden.“

2.2

Da es sich um eine Kodifizierung handelt, betont die Kommission Folgendes: „Die neue Richtlinie ersetzt die verschiedenen Rechtsakte, die Gegenstand der Kodifizierung sind. Der Vorschlag behält den materiellen Inhalt der kodifizierten Rechtsakte vollständig bei und beschränkt sich darauf, sie in einem Rechtsakt zu vereinen, wobei nur insoweit formale Änderungen vorgenommen werden, als diese aufgrund der Kodifizierung selbst erforderlich sind.“ Dennoch wird bei der Kodifizierung „das übliche Verfahren für den Erlass der Rechtsakte der Union uneingeschränkt“ eingehalten. Diese Feststellung rechtfertigt die Stellungnahme des EWSA, selbst wenn es sich um „ein beschleunigtes Verfahren für die rasche Annahme kodifizierter Rechtsakte“ handelt, wie in „einer interinstitutionellen Vereinbarung vom 20. Dezember 1994“ zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission vorgesehen, die immer noch in Kraft ist und durch die jüngste interinstitutionelle Vereinbarung zwischen diesen Institutionen bekräftigt wird (1).

2.3

Durch die Zusammenstellung, Systematisierung und Kodifizierung des europäischen Gesellschaftsrechts sollen die EU-Normen für diesen Bereich des Rechts leichter auszulegen, umzusetzen, anzuwenden und durchzusetzen sein.

2.4

In zahlreichen Stellungnahmen hat der EWSA angeregt, empfohlen und gefordert, dass der europäische Gesetzgeber Bemühungen in diesem Sinne unternimmt, die er immer unterstützt hat. Der EWSA kann daher dem von der Kommission in diesem Vorschlag eingeleiteten Vorhaben nur uneingeschränkt zustimmen, insbesondere weil es sich um einen Bereich handelt, in dem die Vereinfachung allen zugutekommt: Unternehmen, Arbeitnehmern, Verbrauchern und den Bürgern im Allgemeinen, aber auch und ganz besonders Richtern, Anwälten, Notaren und ganz allgemein allen, die die Anwendung des Gesellschaftsrechts zu ihrem Beruf gemacht haben.

3.   Ursprung und Entwicklung des Gesellschaftsrechts in der Europäischen Union

3.1

Im ursprünglichen Römischen Vertrag von 1957, mit dem die EWG gegründet wurde, finden sich die rechtlichen Grundlagen für die Anfänge eines Gesellschaftsrechts, beschränkt auf die Artikel 48 bis 66 EWG-Vertrag. Die Idee einer Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in bestimmten Aspekten des Gesellschaftsrechts kommt erst mit dem am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrag auf, insbesondere mit der Neufassung der Artikel 94 bis 97 (aus der Einheitlichen Europäischen Akte) über die Angleichung der Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Verwirklichung des Binnenmarkts sowie mit der Neufassung der Artikel 39 bis 55 EG-Vertrag (die die früheren Artikel 48 bis 66 EWG-Vertrag ersetzen).

3.2

So wurde — angefangen mit der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65 vom 14.3.1968, S. 8) — mit Dutzenden von Richtlinien, Verordnungen und Empfehlungen versucht, bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts in Europa, die die Verwirklichung des Binnenmarktes betreffen, durch Angleichung oder Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu „regeln“, ohne jemals einen echten, das Gesellschaftsrecht in Europa „vereinheitlichenden Kodex“ anzustreben.

3.3

Mit dem jetzigen Vorschlag der Kommission sollen nicht einmal alle Richtlinien kodifiziert werden, die die verschiedenen Aspekte des Gesellschaftsrechts betreffen. Denn es geht darin nur um Aspekte, die Gegenstand der sechs folgenden Richtlinien sind:

Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Dezember 1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (82/891/EWG);

Elfte Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (89/666/EWG);

Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten;

Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten;

Richtlinie 2011/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften;

Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten.

3.4

Dieses Vorhaben wurde realisiert durch eine vorläufige Konsolidierung des Wortlautes der Richtlinien 82/891/EWG, 89/666/EWG, 2005/56/EG, 2009/101/EG, 2011/35/EU und 2012/30/EU und der sie ändernden Rechtsakte in den 23 Amtssprachen. Die alte und die neue Nummerierung werden einander in einer Entsprechungstabelle in Anhang IV der künftigen Richtlinie gegenübergestellt.

4.   Bewertung des Vorschlags

4.1

Wie vorstehend angegeben befürwortet der EWSA uneingeschränkt das Vorhaben zur Konsolidierung und Kodifizierung und damit zur Vereinfachung des daraus resultierenden Wortlautes.

4.2

Nach gründlicher Prüfung aller konsolidierten Texte und aller Vorschläge neuer kodifizierter Texte kann der EWSA versichern, abgesehen von den folgenden Bemerkungen keine formalen Fehler gefunden zu haben:

in der Kodifizierung des Erwägungsgrunds 3 der Richtlinie 2005/56/EG heißt es „festgelegt“ statt „vorgesehen“;

Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie 89/666/EWG wurde in dem Richtlinienvorschlag nicht kodifiziert;

in den Erwägungsgründen 48, 62, 65, 66 und 80 sollte die Kommission überprüfen, ob die Verweise auf bestimmte Rechtstexte tatsächlich den zuletzt in den jeweiligen Bereichen getroffenen Maßnahmen entsprechen (z. B. müsste der Verweis auf die Richtlinie zum Marktmissbrauch im Erwägungsgrund 48 durch den Verweis auf die Verordnung über den Marktmissbrauch (Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission ersetzt werden);

im Titel des Kapitels III sollte präzisiert werden, dass die entsprechende Offenlegung „zum Schutz Dritter“ erfolgt. Kommt die fragliche Offenlegung hingegen auch den Aktionären zugute, müssten dann nicht in Artikel 13 Buchstabe f auch die Richtlinien 2013/24/EU und 2014/95/EU aufgeführt werden?

4.3

Der EWSA empfiehlt, die Entsprechungstabelle in Anhang IV mit jeweils zwei Einträgen zu erstellen, um auch die neuen Artikel mit den alten und nicht nur die alten mit den neuen vergleichen zu können.

4.4

Zudem hätte der EWSA ein ehrgeizigeres Vorhaben gewünscht, das auf die Kodifizierung weiterer, in anderen Rechtsinstrumenten zerstreuter Aspekte abzielt, insbesondere derjenigen, auf die in den folgenden Richtlinien verwiesen wird:

Richtlinie 2010/76/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Wiederverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik;

Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften;

Richtlinie 2004/25/EG vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote;

Richtlinie 2001/86/EG vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer;

Richtlinie 2009/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter;

Achte Richtlinie 84/253/EWG des Rates vom 10. April 1984 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen;

Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags über den konsolidierten Abschluss;

Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen.

4.5

In ihrem Arbeitsprogramm für 2015 (COM(2014) 910 final, Anhang III, Ziffer 45) hatte die Kommission allerdings auch die Kodifizierung der Richtlinie 2009/102/EG auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter angekündigt.

4.6

Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Kommission offenbar bestimmte Empfehlungen der Arbeitsgruppe für die Vereinfachung des Gesellschaftsrechts im Rahmen der Initiative SLIM zur Vereinfachung der Ersten und Zweiten Richtlinie im Bereich des Gesellschaftsrechts in den Richtlinien 2003/58/EG und 2006/68/EG berücksichtigt hat.

4.7

Der EWSA hatte Gelegenheit, Stellungnahmen zu allen Richtlinien zu erarbeiten, die Gegenstand des Vorhabens der Kommission sind, wobei diese Stellungnahmen nicht immer in vollem Umfang berücksichtigt wurden. Deshalb ersucht er die Kommission darum, bei einer grundlegenden Überarbeitung des neuen Textes alle Vorschläge gebührend zu berücksichtigen, die er im Lauf der Jahre unterbreitet hat und die in dem jetzigen Vorhaben nicht erwähnt werden.

4.8

Es handelt sich insbesondere um die Stellungnahmen:

vom 24.9.1987, ABl. C 319 vom 30.11.1987, S. 61. Berichterstatter: Herr Jean PARDON;

vom 28.4.2004, ABl. C 117 vom 30.4.2004, S. 43. Berichterstatterin: Frau María Candelas SANCHEZ MIGUEL;

vom 30.5.2007, ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 33. Berichterstatterin: Frau María Candelas SANCHEZ MIGUEL;

vom 25.2.2009, ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 27. Berichterstatterin: Frau María Candelas SANCHEZ MIGUEL;

vom 15.6.2011, ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 118. Berichterstatter: Herr Miklós PASZTOR;

vom 12.12.2012, ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 68. Berichterstatterin: Frau Lena ROUSSENOVA.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fNONSGML%2bCOMPARL%2bPE-575.118%2b03%2bDOC%2bPDF%2bV0%2f%2fDE.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/86


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt“

[COM(2015) 627 final — 2015/0284 (COD)]

(2016/C 264/11)

Berichterstatter:

Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 8. Januar bzw. am 21. Januar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt“

[COM(2015) 627 final — 2015/0284 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April 2016) mit 162 Stimmen bei 6 Gegenstimmen und 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission, sich mit der sogenannten grenzüberschreitenden Portabilität auseinanderzusetzen. Grenzüberschreitende Portabilität bedeutet, dass die Nutzer und Verbraucher auf audiovisuelle Online-Inhaltedienste, zu denen sie in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat rechtmäßig Zugang haben, zugreifen können, wenn sie sich vorübergehend in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhalten.

1.2

Der EWSA erachtet ferner das Rechtsinstrument einer Verordnung zur Regelung der Portabilität als angemessen, da es sich um ein grenzübergreifendes Anliegen handelt. Auch die vorgesehene Legisvakanz, nach deren Ablauf die restriktiven Klauseln der bestehenden Verträge nicht mehr gelten, erscheint sinnvoll. Sechs Monate sind ein angemessener Zeitraum, innerhalb dessen die Diensteanbieter ihr Angebot an die neue Situation anpassen können.

1.3

Der EWSA hält es für erforderlich, den Begriff „Wohnsitzmitgliedstaat“ des Abonnenten klar einzugrenzen, sodass die übrigen EU-Mitgliedstaaten zwangsläufig für einen vorübergehenden Aufenthalt infrage kommen. Das bloße Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts gemäß Artikel 2 des Verordnungsvorschlags kann sich als unzureichend erweisen, und deshalb sollten weitere Kriterien wie u. a. Zeitweiligkeit, Lebensumfeld usw. einbezogen werden, um den Begriff des Wohnsitzes in einen zeitlichen Zusammenhang zu stellen. Wenn Nutzer als Kunden oder Abonnenten eines Dienstes einem Mitgliedstaat zugeordnet und über ihre IP-Adresse, ihren Internetzugang o. Ä. identifiziert werden, sollte nach Meinung des EWSA dadurch die grenzüberschreitende Portabilität sichergestellt werden.

1.4

Bezüglich Art und Bedingungen der portablen Dienste erstreckt sich der Vorschlag auf kostenpflichtige und kostenfreie Dienste, wobei in letzterem Falle der Wohnsitzmitgliedstaat zu prüfen ist. Die Portabilität der kostenfreien Dienste sollte gewährleistet sein, wenn der Mitgliedstaat überprüfbar ist, d. h., überprüft werden kann, ohne dem Dienstleister Mehrkosten zu verursachen.

1.5

Im verfügenden Teil sollte ausdrücklich festgelegt werden, dass jedwede Einschränkung oder Verschlechterung des Angebots hinsichtlich der Leistungen, Repertoires, Zugänglichkeit über Geräte und Anzahl der Nutzer als Nichterfüllung gilt. Ferner sollte eine Mindestqualität des Zugangs gewährleistet werden, die mindestens der Standard- oder Referenzqualität des Zugangs über Ortsleitungen im Aufenthaltsland entspricht, um missbräuchlichen Praktiken und Bedingungen wie der an einen Aufpreis gebundenen Gewährung eines „Premium“-Zugangs entgegenzuwirken. Es reicht nicht aus, die Nutzer lediglich über die zu erwartende Qualität zu informieren. Auch diese Verpflichtungen sollten nicht nur in die Erwägungsgründe, sondern ausdrücklich in den verfügenden Teil der Verordnung aufgenommen werden.

2.   Einleitung

2.1

Priorität Nr. 2 der am 15. Juli 2014 veröffentlichten politischen Leitlinien der Europäischen Kommission lautete „Ein vernetzter digitaler Binnenmarkt“. Davon ausgehend legte die Kommission ihre Mitteilung über eine „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa“ vor (1). In seiner einschlägigen Stellungnahme (2) befürwortete der EWSA diese Priorität als neuen Impuls für eine Digitalisierungsstrategie in der EU.

2.2

Die Kommission schlug darin vor, „ungerechtfertigtes Geoblocking abzustellen“, damit „die Verbraucher und Unternehmen in der EU vollen Nutzen aus dem Binnenmarkt in Gestalt eines breiteren Warenangebots und niedrigerer Preise ziehen können“.

2.3

Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad) hat jüngst eine Aktualisierung der UN-Richtlinien zum Verbraucherschutz befürwortet, um sie an die technische Entwicklung wie den elektronischen Geschäftsverkehr und den sogenannten digitalen Konsum anzupassen, den Schutz der Privatsphäre im Internet zu verbessern und den Grundsatz eines angemessenen Schutzes der Verbraucher zu verankern.

2.4

Im Rahmen ihrer Strategie für einen digitalen Binnenmarkt hat die Kommission zudem eine Mitteilung zur Modernisierung des EU-Urheberrechts sowie zwei Richtlinienvorschläge über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und der Bereitstellung digitaler Inhalte vorgelegt, zu denen der EWSA Stellung beziehen wird.

2.5

Unter diese Strategie fällt auch der Verordnungsvorschlag zur sogenannten grenzüberschreitenden Portabilität, der zum Ziel hat, dass der Abonnent eines Online-Inhaltedienstes in einem bestimmten EU-Mitgliedstaat zu diesen Diensten auch während eines vorübergehenden Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat Zugang hat. Die Sicherstellung dieser Portabilität gilt als wichtiger Schritt hin zu einem breiteren Zugriff der Nutzer auf audiovisuelle Inhalte, einem zentralen Ziel der Kommissionsstrategie für den digitalen Binnenmarkt.

2.6

Die Schwierigkeiten bzw. die Unmöglichkeit für die europäischen Bürger, die Online-Inhalte abonniert haben, derzeit im EU-Ausland auf diese Dienste zuzugreifen, sind nicht auf technische Ursachen, sondern auf Geoblocking aufgrund der Praxis der Lizenzvergabe durch die Rechteinhaber bzw. der Handelspraktiken der Diensteanbieter zurückzuführen. Die grenzüberschreitende Portabilität wird auch durch die den europäischen Verbrauchern und Anwendern aufgelasteten hohen Roaminggebühren erschwert, deren Abschaffung aufgrund der angenommenen Neuregelung absehbar ist.

3.   Inhalt des Vorschlags

3.1

Ziel des Verordnungsvorschlags gemäß seinem Artikel 1 ist die Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität für Online-Inhaltedienste im Binnenmarkt. Das bedeutet, dass jeder Anwender in der Union, der in seinem Wohnsitzmitgliedstaat rechtmäßig Zugang zu diesen Inhalten hat, darauf auch zugreifen kann, wenn er sich vorübergehend in anderen Mitgliedstaaten der Union aufhält.

3.2

Artikel 2 enthält verschiedene Begriffsbestimmungen betreffend die Art der Dienstleistung und die beteiligten Akteure: „Abonnent“, „Verbraucher“, „Wohnsitzmitgliedstaat“, „vorübergehender Aufenthalt“, „Online-Inhaltedienst“ und „portabel“. Bei Online-Inhaltediensten kann es sich um audiovisuelle Mediendienste oder um Dienste handeln, die den Zugang zu Werken, anderen Schutzgegenständen oder Übertragungen von Rundfunkveranstaltern bereitstellen. Die Bereitstellung dieser Dienste kann linear oder „à la carte“, gegen Zahlung eines Betrags oder frei erbracht werden.

3.3

Artikel 3 des Vorschlags zufolge beinhaltet die Verpflichtung der Anbieter von portablen Diensten, diese Portabilität in anderen Staaten zuzulassen, nicht, dass dabei auch die im Wohnsitzmitgliedstaat gebotene Qualität zu gewährleisten ist, es sei denn, der Anbieter garantiert diese ausdrücklich. Er ist aber gehalten, den Abonnenten über die Qualität der Leistung zu informieren.

3.4

Artikel 4 zufolge gelten sowohl die Bereitstellung des portablen Dienstes als auch der Zugriff darauf und seine Nutzung durch den Abonnenten als im Wohnsitzmitgliedstaat erfolgt, und zwar im Sinne der Rechtsvorschriften über audiovisuelle Mediendienste, geistiges Eigentum und Datenschutz.

3.5

In Artikel 5 ist festgelegt, dass Vertragsbestimmungen zwischen Rechteinhabern und Diensteanbietern sowie zwischen Diensteanbietern und ihren Kunden, die gegen die Verpflichtung zur grenzüberschreitenden Portabilität verstoßen, nicht durchsetzbar sind. Die Rechteinhaber können von den Diensteanbietern verlangen, mithilfe geeigneter — zumutbarer und verhältnismäßiger — Maßnahmen zu überprüfen, dass der Dienst im Einklang mit der Verordnung erbracht wird.

3.6

Gemäß Artikel 6 muss die Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Abonnenten im Einklang mit den einschlägigen EU-Rechtsvorschriften erfolgen (Richtlinie 95/46/EG und Richtlinie 2002/58/EG) (3).

3.7

Nach Artikel 7 gilt diese Verordnung nicht nur für Verträge ab ihrem Inkrafttreten, sondern auch rückwirkend für davor abgeschlossene Verträge und erworbene Rechte, sofern sie für die Bereitstellung eines Dienstes, den Zugriff darauf oder seine Nutzung relevant sind.

3.8

Artikel 8 zufolge tritt die Verordnung sechs Monate nach ihrer Veröffentlichung in Kraft.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission zur sogenannten grenzüberschreitenden Portabilität, die im Wesentlichen zum Ziel hat, dass die Nutzer und Verbraucher auf audiovisuelle Online-Inhaltedienste, für deren Nutzung sie in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat registriert sind, zugreifen können, wenn sie sich vorübergehend in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhalten.

4.2

Nach Auffassung des EWSA ist dies ein wichtiger Schritt im Rahmen der Strategie der Kommission zur Verwirklichung des digitalen Binnenmarkts, um Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr und für den freien Wettbewerb zwischen den Unternehmen auszuräumen. Aufgrund der kommerziellen Aspekte können auch der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt und die Integration der verschiedenen Gruppen der organisierten Zivilgesellschaft gefördert werden.

4.3

Der von der Kommission am 9. Dezember 2015 vorgelegte Verordnungsvorschlag hebt diesbezüglich darauf ab, Hindernisse für die grenzüberschreitende Portabilität zu beseitigen, indem die Diensteanbieter verpflichtet werden, diese Dienste bereitzustellen, wenn sie im Wohnsitzmitgliedstaat rechtmäßig bereitgestellt werden und portabel sind.

4.4

Die Wahl des Rechtsinstruments (Verordnung) ist gerechtfertigt, da es sich um ein überstaatliches Anliegen handelt und das Instrument in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewendet werden und gleichzeitig in Kraft treten soll. Der Vorschlag steht im Einklang mit Art. 56 AEUV: „Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind […] verboten.“

4.5

Der EWSA ist damit einverstanden, das Binnenmarktrecht (Art. 114 AEUV) zugrunde zu legen, und zwar aufgrund des Anwendungsbereichs und grenzübergreifenden Charakters der Dienste, die Gegenstand des Verordnungsvorschlags sind, sowie der notwendigen Kohärenz mit anderen Maßnahmen der EU, insbesondere in Bezug auf die kulturellen Aspekte (Art. 167 AEUV) und den Schutz der Verbraucherinteressen (Art. 169 AEUV). Diese Verordnung sollte daher im Einklang mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten, der Freiheit der Meinungsäußerung sowie der unternehmerischen Freiheit ausgelegt werden.

4.6

Der Vorschlag erstreckt sich auf Dienste, die durch Rundfunkveranstalter oder IT-Dienstleister übertragen, linear erbracht oder on-demand abgerufen, heruntergeladen oder gestreamed oder auf andere Weise nutzbar gemacht, von großen oder kleinen Unternehmen gegen Entgelt (Abonnement) oder unentgeltlich bereitgestellt werden, im letzteren Fall vorausgesetzt, dass der Wohnsitzmitgliedstaat des registrierten Nutzers überprüft wird (über die IP-Adresse oder den Internetanschluss). Die vorgeschlagene Verordnung gilt nicht für Güter und Dienstleistungen, die Gegenstand grenzüberschreitender Transaktionen sind und bei denen rein audiovisuelle Medieninhalte lediglich zu Nebenzwecken genutzt werden.

4.7

Ziel des Verordnungsvorschlags ist daher, den Wüschen und Bedürfnissen der Bürger im digitalen Umfeld wirksamer gerecht zu werden und sie in die Lage zu versetzen, bei Aufenthalten in anderen EU-Mitgliedstaaten diejenigen audiovisuellen Inhalte zu nutzen, zu denen sie berechtigt Zugang haben. Gleichzeitig sollen die Entwicklung des Markts für audiovisuelle Inhalte, ein erhöhtes Schutzniveau für die Rechteinhaber (Urheberrechte und verwandte Schutzrechte) und auch die Übertragung wichtiger Ereignisse und Informationen miteinander vereinbart werden.

4.8

Die Kommission verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Initiative sowohl für die Nutzer als langfristig auch für die Anbieter Vorteile bringen kann. In der Präambel des Verordnungsvorschlags wird festgestellt, dass die grenzüberschreitende Portabilität nicht nur im Interesse der Verbraucher liegt. Sie bringt auch verschiedene Vorteile für die Inhaber von Rechten für die Schaffung, Interpretation und Aufführung, Vervielfältigung, öffentliche Wiedergabe und Bereitstellung audiovisueller Inhalte, die über mehr Rechtssicherheit verfügen und so besser auf Nutzerforderungen reagieren können.

4.9

Die Kommission weist — vermutlich infolge von während der Konsultationsphase vorgetragenen Bedenken — spezifisch auf die Rechte und Tätigkeiten der Diensteanbieter und Rechteinhaber hin. Es wird dargelegt, dass diese Verordnung keine erheblichen Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Lizenzen für die Rechte vergeben werden, oder auf die Geschäftsmodelle hat, dass die Nichtdurchsetzbarkeit von Vertragsbestimmungen, die gegen die Portabilität verstoßen, nicht zur Neuaushandlung von Lizenzen verpflichtet und dass die Portabilität (für die Übertragung audiovisueller und Sport-Premiuminhalte) nicht das Spektrum der Nutzer ausweitet und damit auch die Territorialität der Lizenzen nicht infrage stellt.

4.10

Artikel 5 Absatz 2 sollte dahin gehend ergänzt werden, dass die „wirksamen Mittel“ zur Überprüfung der angemessenen Bereitstellung der Online-Inhaltedienste nicht nur angemessen und verhältnismäßig sein, sondern auch im Einklang mit den in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegten Grundsätzen und Rechten stehen müssen, die ausdrücklich genannt werden sollten.

4.11

Die Bereitstellung des Dienstes über grenzüberschreitende Portabilität wird mit der Bereitstellung im Wohnsitzmitgliedstaat gleichgesetzt. In Bezug auf die Urheberrechte und verwandten Schutzrechte, Vervielfältigung, öffentliche Wiedergabe, Bereitstellung oder Wiederverwendung, Content-Kataloge, Geräteformate, zulässige Nutzerzahl und Funktionalitätenspektrum käme dies einer Fiktion gleich. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass der Grundsatz der Technologieneutralität gelten muss. Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen der vorgeschlagenen Verordnung sollten geklärt werden, vor allem hinsichtlich des subjektiven Anwendungsbereichs. Dieser muss in jedem Fall auf objektiven und klar erkennbaren Kriterien beruhen, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Vorschriften zu gewährleisten.

4.11.1

Aber:

diese Verpflichtung ist bestimmten Bedingungen der Verhältnismäßigkeit unterworfen, falls dem Diensteanbieter unverhältnismäßig hohe Kosten entstehen. Auch ist Portabilität nicht verpflichtend, wenn die Diensteanbieter den Wohnsitzmitgliedstaat ihrer Abonnenten nicht überprüfen;

ferner wird die Verpflichtung, die Ansprüche der Rechteinhaber zu gewährleisten, eingeschränkt;

vor allem wird nicht verlangt, dass die Qualität der Bereitstellung der Dienste im Aufenthaltsland mit den Qualitätsanforderungen im Wohnsitzland übereinstimmt, es sei denn, der Anbieter hat sich dazu verpflichtet; indes sollte die Qualität mindestens der Referenzqualität des Zugangs über Ortsleitungen im Aufenthaltsland entsprechen. Ein Einwand lautet, dass diese Qualitätsgarantie für die Diensteanbieter aufgrund der unterschiedlichen Kapazitäten der Telekommunikations-Infrastruktur der verschiedenen Mitgliedstaaten unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht.

4.12

Die fehlende Verpflichtung, einer Qualitätsnorm zu genügen, und die gleichzeitige Möglichkeit, gegen Aufpreis Premiumdienste mit Qualitätsgarantie anzubieten, könnte missbräuchlichen Praktiken der Diensteanbieter Vorschub leisten. Dadurch könnte die Qualität des Basisdienstes abgewertet oder ausgehöhlt und der Inhalt praktisch zu einem Grundstoff werden, dessen Bereitstellung gewinnorientiert ist. Zumindest sollte im Verfügungsteil der Verordnung ausdrücklich verankert werden, dass die gebotene Qualität in jedem Fall mindestens der Qualität des Zugangs über Ortsleitungen im Aufenthaltsland entsprechen muss.

4.13

Schließlich ist die Absicht der Kommission erkennbar, die Verordnung rückwirkend anzuwenden. Das bedeutet, dass Bestimmungen in zuvor ausgehandelten Vereinbarungen, die Portabilität verhindern oder einschränken, nicht durchsetzbar sind. Ferner wird zum Abschluss von Vereinbarungen ermutigt, die grenzüberschreitende Portabilität beinhalten.

4.14

Der EWSA schlägt eine neue Definition für „teilweise portable“ Dienste vor, die auf hochwertige sensible Onlinedienste in den Fällen anzuwenden ist, in denen Abonnenten Online-Inhaltedienste in bestimmten Gebieten wegen der geringen Qualität des lokalen Internets nicht nutzen können. Auf Seite 8 der Folgenabschätzung (4) wird dieser Begriff in ähnlicher Weise verwendet.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2015) 192 final.

(2)  ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 65.

(3)  ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31 und ABl. L 201 vom 31.7.2002, S. 37.

(4)  SWD(2015) 270 final.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/91


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 im Hinblick auf die Ausnahmen für Warenhändler“

[COM(2015) 648 final — 2015/0295 (COD)]

(2016/C 264/12)

Berichterstatter:

John WALKER

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 12. bzw. am 18. Januar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 im Hinblick auf die Ausnahmen für Warenhändler“

[COM(2015) 648 final — 2015/0295 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April 2016) mit 224 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss schließt sich der Sicht an, dass die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 (Eigenmittelverordnung) einer Überarbeitung bedarf, und billigt die vorgeschlagenen Änderungen.

1.2

Der EWSA wird zu der geänderten Verordnung zu gegebener Zeit Stellung nehmen.

2.   Einleitung

2.1

In den folgenden Absätzen aus der Präambel des Verordnungsentwurfs werden die Verpflichtungen kurz erläutert.

2.2

Gemäß der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 sind Wertpapierfirmen, deren Haupttätigkeit ausschließlich in der Erbringung von Investitionsdienstleistungen oder Tätigkeiten im Zusammenhang mit den Finanzinstrumenten gemäß Anhang I Abschnitt C Nummern 5, 6, 7, 9 und 10 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates besteht, und auf die die Richtlinie 93/22/EWG des Rates keine Anwendung fand (im Folgenden „Warenhändler“), von den Vorschriften in Bezug auf Großkredite und von den Eigenmittelanforderungen ausgenommen. Diese Ausnahmen gelten bis zum 31. Dezember 2017.

2.3

Die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 schreibt auch vor, dass die Kommission bis zum 31. Dezember 2015 einen Bericht über eine angemessene Regelung für die aufsichtliche Überwachung von Warenhändlern erstellt. Außerdem verlangt die Verordnung, dass die Kommission zum selben Zeitpunkt einen Bericht über eine angemessene Regelung für die aufsichtliche Überwachung von Wertpapierfirmen im Allgemeinen ausarbeitet. Auf diese Berichte können gegebenenfalls Gesetzgebungsvorschläge folgen.

2.4

Die Überprüfung der aufsichtlichen Behandlung von Wertpapierfirmen (im Folgenden „Wertpapierrechtsüberprüfung“), die sich auch auf Warenhändler erstreckt, wurde eingeleitet, ist aber noch nicht abgeschlossen. Die Überprüfung und die Verabschiedung neuer Rechtsvorschriften, die angesichts dieser Überprüfung erforderlich sein könnten, werden erst nach dem 31. Dezember 2017 abgeschlossen sein.

2.5

Bei der gegenwärtigen Rechtslage werden die Großkreditvorschriften und die Eigenmittelanforderungen nach dem 31. Dezember 2017 auch für Warenhändler gelten. Dadurch könnten diese gezwungen sein, erheblich mehr Eigenmittel vorzuhalten, um ihre Tätigkeiten fortführen zu können, sodass sich diese Tätigkeiten verteuern könnten.

2.6

Die Entscheidung für eine Anwendung der Großkreditvorschriften und Eigenmittelanforderungen auf Warenhändler sollte nicht fallen, weil eine Ausnahmeregelung ausläuft. Sie sollte vielmehr eine fundierte Entscheidung sein, die auf den Ergebnissen der Wertpapierrechtsüberprüfung beruht und in einem Rechtsakt zum Ausdruck gebracht wird.

2.7

Deshalb sollte für den Ablauf der Ausnahmeregelung ein neuer Zeitpunkt festgelegt werden. Die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 sollte entsprechend geändert werden.

3.   Die Sichtweise des EWSA

3.1

Der EWSA akzeptiert die Tatsache, dass die Verordnung, wie in der obigen Ziffer 2.7 dargelegt, lediglich eine Verschiebung des Stichtags — vom 31. Dezember 2017 auf den 31. Dezember 2020 — enthält.

3.2

Der EWSA bedauert, dass die Kommission nicht in der Lage gewesen ist, die Fristen, die sie sich selbst gesetzt hatte, einzuhalten, wie in Ziffer 2.4 dargelegt wird. Er ist jedoch der Auffassung, dass Aufsichtsanforderungen nach einer ausführlichen Bewertung und Überprüfung festgelegt werden sollten. Die derzeit geltenden Ausnahmeregelungen für Warenhändler sollten nicht aufgrund des bloßen Auslaufens einer willkürlich festgelegten Frist aufgehoben werden.

Brüssel, den 27. April 2016

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/93


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU im Hinblick auf den verpflichtenden automatischen Informationsaustausch im Bereich der Besteuerung“

[COM(2016) 25 final — 2016/0010 (CNS)]

und zu dem

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts“

[COM(2016) 26 final — 2016/0011 (CNS)]

(2016/C 264/13)

Berichterstatter:

Petru Sorin DANDEA

Mitberichterstatter:

Roger BARKER

Der Rat beschloss am 9. bzw. 10. Februar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 113 und 115 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung“

[COM(2016) 25 final — 2016/010 CNS]

und zu dem

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts“

[COM(2016) 26 final — 2016/011 CNS].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 14. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 28. April 2016) mit 126 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Initiative der Kommission zur einheitlichen Umsetzung der Standards des OECD-Aktionsplans zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS) in den Mitgliedstaaten. Diese Initiative erfolgt im Rahmen der Anstrengungen zur Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung, die von einigen multinationalen Unternehmen praktiziert wird und zu einer Schwächung der Steuerbasis der Mitgliedstaaten in Höhe von schätzungsweise 50 bis 70 Milliarden EUR pro Jahr führt.

1.2

Der EWSA ist der Ansicht, dass zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen, der Attraktivität der EU als Investitionsstandort und der Kohärenz des internationalen Steuersystems in der jetzigen Zeit langsamer und unbeständiger wirtschaftlicher Erholung nach der Krise die Maßnahmen daran ausgerichtet werden sollen, was auf der Ebene der OECD tatsächlich vereinbart wurde und von den anderen internationalen Partnern umgesetzt wird.

1.3

Der EWSA hält es in diesem Zusammenhang für wichtig, wirklich gleiche Wettbewerbsbedingungen und eine einheitliche Regelung anzustreben, die in allen Mitgliedstaaten auf dieselbe Weise angewandt wird. Das Risiko einer Fragmentierung, die die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen gefährden kann, muss tunlichst in Grenzen gehalten werden.

1.4

Nach Auffassung des EWSA dürfen die Unternehmen der Finanzwirtschaft nicht aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken ausgenommen werden. Der EWSA empfiehlt der Kommission und den Mitgliedstaaten, ihre Verhandlungen auf internationaler Ebene — wie etwa im OECD- oder G20-Rahmen — zu intensivieren, um sicherzustellen, dass die vorgeschlagenen Vorschriften EU- und OECD-weit einheitlich umgesetzt werden; außerdem sollten sie prüfen, ob und wie diese Vorschriften auch auf die Unternehmen der Finanzwirtschaft angewendet werden könnten.

1.5

Der EWSA unterstützt den Vorschlag und rät den Mitgliedstaaten, eine gestaffelte Zahlung derartiger Steuern nur dann zu gewähren, wenn die Verlagerung nicht ausschließlich der Verringerung der steuerlichen Belastung des jeweiligen Unternehmens dient.

1.6

Der EWSA empfiehlt, die Switch-over-Klausel unmittelbar auf alle Steuerpflichtigen anzuwenden, die Einkünfte in als Steueroasen eingestuften Rechtsgebieten erzielen.

1.7

Der EWSA unterstützt die Vorschriften bezüglich beherrschter ausländischer Unternehmen (CFC — controlled foreign companies) im Richtlinienvorschlag.

1.8

Angesichts der Tatsache, dass die aggressive Steuerplanung vor allem durch große multinationale Konzerne betrieben wird, sollten die KMU nach Auffassung des EWSA vom Anwendungsbereich der Richtlinie zur Bekämpfung der Steuervermeidung sowie von dem Anwendungsbereich der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung ausgenommen werden.

1.9

Mit Blick auf die Forderungen der Organisationen der Zivilgesellschaft, die Transparenz der Besteuerung multinationaler Konzerne zu verbessern, empfiehlt der EWSA der Kommission, in die Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung Bestimmungen aufzunehmen, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, die Berichte über Finanzergebnisse, die dem automatischen Informationsaustausch unterliegen, zu veröffentlichen.

1.10

Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, ein Verzeichnis der Staaten bzw. Rechtsgebiete zu erstellen, die sich weigern, die Vorschriften des verantwortungsvollen Handelns im Steuerbereich einzuhalten. Nach Auffassung des EWSA sollte diese Liste durch Sanktionen gegen Unternehmen flankiert werden, die weiterhin in diesen Rechtsgebieten operieren.

1.11

Der EWSA empfiehlt der Kommission und den Mitgliedstaaten eine kürzere Frist zur Einführung dieser Vorschriften, durch die die auf EU-Ebene im Rahmen des BEPS-Prozesses der OECD eingegangenen Verpflichtungen einheitlich umgesetzt werden sollen.

1.12

Angesichts der potenziellen Auswirkungen auf das Investitionsklima in Europa vermisst der EWSA eine Folgenabschätzung im Richtlinienentwurf, wie sie bei Vorschlägen mit wesentlichen Änderungen üblich ist.

2.   Vorschlag der Kommission

2.1

Im Januar 2016 hat die Kommission das Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuervermeidung vorgelegt, bei dem es sich um eine Komponente der Agenda für eine transparentere, gerechtere und effektivere Unternehmensbesteuerung handelt (1).

2.2

Das Maßnahmenpaket umfasst eine allgemeine Mitteilung (2), in der der politische, wirtschaftliche und internationale Kontext der Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung dargelegt werden, sowie als Hauptbestandteile: einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidung (3), einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung (4) und eine Empfehlung der Kommission bezüglich Steuerabkommen (5). Ferner enthält das Maßnahmenpaket eine Mitteilung über die externe Strategie der Union (6) bei der Zusammenarbeit mit Drittstaaten für verantwortungsvolles Handeln im Steuerbereich.

2.3

In der Rahmenmitteilung wird der politische, wirtschaftliche und internationale Kontext des Maßnahmenpakets zur Bekämpfung von Steuervermeidung dargelegt. Das Paket umfasst Maßnahmen, die darauf abzielen, sowohl auf der Unionsebene als auch auf mitgliedstaatlicher Ebene bestimmte Elemente des BEPS-Aktionsplans der OECD (BEPS — Base Erosion Profit Shifting, d. h. planmäßige Verminderung steuerlicher Bemessungsgrundlagen und grenzüberschreitendes Verschieben von Gewinnen durch multinationale Konzerne) umzusetzen; daneben ist eine Reihe ergänzender neuer Schritte vorgesehen.

2.4

Mit dem Richtlinienvorschlag sollen Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts festgelegt werden. Es handelt sich um Vorschriften zu folgenden Bereichen: Abzugsfähigkeit von Zinsen, Wegzugsbesteuerung, Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode (Switch-over-Klausel, auch: Umschaltklausel), allgemeine Vorschrift zur Verhinderung von Missbrauch, Vorschriften für beherrschte ausländische Unternehmen sowie Rahmenregelung für das Vorgehen gegen hybride Gestaltungen.

2.5

Der Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung dient der Umsetzung von Aktion 13 (7) des BEPS-Aktionsplans der OECD in den Mitgliedstaaten. Diese Maßnahmen betreffen die Verbesserung des Mechanismus für den automatischen Informationsaustausch zwischen den Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten, darunter auch Informationen über die Geschäftsjahresergebnisse von multinationalen Unternehmen.

2.6

Die im Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuervermeidung enthaltene Empfehlung der Kommission zielt auf die Stärkung der einschlägigen Vorschriften in den von den Mitgliedstaaten abgeschlossenen Steuerabkommen ab, um die aggressive Steuerplanung einzudämmen.

2.7

Durch die Mitteilung der Kommission bezüglich der externen Strategie wird für die Zusammenarbeit mit Drittstaaten ein robusterer und kohärenterer Rahmen für verantwortungsvolles Handeln im Steuerbereich festgelegt.

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

3.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen, der Attraktivität der EU als Investitionsstandort und der Kohärenz des internationalen Steuersystems zum jetzigen Zeitpunkt der langsamen und unbeständigen wirtschaftlichen Erholung nach der Krise die Maßnahmen daran ausgerichtet werden sollen, was auf der Ebene der OECD tatsächlich vereinbart wurde und von den anderen internationalen Partnern umgesetzt wird.

Richtlinie des Rates zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken

3.2

Der EWSA hält es in diesem Zusammenhang für wichtig, wirklich gleiche Wettbewerbsbedingungen und eine einheitliche Regelung anzustreben, die in allen Mitgliedstaaten auf dieselbe Weise angewandt wird. Das Risiko einer Fragmentierung, die die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen gefährden kann, muss tunlichst in Grenzen gehalten werden.

3.3

In dem Richtlinienvorschlag wird die einheitliche Umsetzung der Vorschriften, die im BEPS-Aktionsplan der OECD (8) enthalten sind, auf Ebene der Mitgliedstaaten gefordert, um so die aggressive Steuerplanung auf globaler Ebene zu bekämpfen. Wie bereits in den früheren Stellungnahmen (9) betont, begrüßt der EWSA die Initiative der Kommission und unterstützt ihr Vorgehen gegen die aggressive Steuerplanung, da diese von einigen multinationalen Unternehmen betriebene Praxis zur Verringerung der Steuerbemessungsgrundlagen der Mitgliedstaaten um schätzungsweise 50 bis 70 Milliarden EUR pro Jahr führt.

3.4

Der EWSA ist mit den vorgeschlagenen Vorschriften zur Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Zinsen im Unternehmensbereich einverstanden. Allerdings ist es wichtig, dass die Vorschriften der EU im Einklang mit denen der OECD und ihrer Umsetzung in den USA sowie in anderen wirtschaftlich wichtigen Staaten und Rechtsgebieten stehen. Ein international koordinierter Ansatz würde zur Eindämmung der von bestimmten multinationalen Unternehmen betriebenen aggressiven Steuerplanung beitragen, bei der „künstlich aufgeblähte“ Zinsen an Tochtergesellschaften gezahlt werden, die ihren Sitz in Rechtsgebieten mit niedrigen Steuersätzen haben. Der EWSA empfiehlt der Kommission und den Mitgliedstaaten, ihre Verhandlungen auf internationaler Ebene — wie etwa im OECD- oder G20-Rahmen — zu intensivieren, um sicherzustellen, dass die vorgeschlagenen Vorschriften EU- und OECD-weit einheitlich umgesetzt werden; außerdem sollten sie prüfen, ob diese Vorschriften auch auf die Unternehmen der Finanzwirtschaft angewendet werden könnten.

3.5

In puncto Wegzugsbesteuerung unterstützt der EWSA den Vorschlag und rät den Mitgliedstaaten, eine gestaffelte Zahlung derartiger Steuern nur dann zu gewähren, wenn die Verlagerung nicht ausschließlich der Verringerung der steuerlichen Belastung des jeweiligen Unternehmens dient.

3.6

Der EWSA empfiehlt, die Switch-over-Klausel unmittelbar auf alle Steuerpflichtigen anzuwenden, die Einkünfte in als Steueroasen eingestuften Rechtsgebieten erzielen.

3.7

Der EWSA unterstützt die Vorschriften bezüglich beherrschter ausländischer Unternehmen (CFC — controlled foreign companies) im Richtlinienvorschlag.

3.8

Angesichts der Schäden, die den Steuerbemessungsgrundlagen der Mitgliedstaaten durch aggressive Steuerplanung zugefügt werden, empfiehlt der EWSA der Kommission und den Mitgliedstaaten die Festlegung einer möglichst kurzen Frist für die Einführung derjenigen Elemente der Richtlinie, die im Einklang mit den Verpflichtungen aus dem BEPS-Aktionsplan im Rahmen der OECD-/G20-Vereinbarungen stehen. Der EWSA hält die im Richtlinienvorschlag vorgesehene Frist von drei Jahren für viel zu lang.

3.9

Angesichts der potenziellen Auswirkungen auf das Investitionsklima in Europa vermisst der EWSA eine Folgenabschätzung im Richtlinienentwurf, wie sie bei Vorschlägen mit wesentlichen Änderungen üblich ist.

Richtlinie zur Änderung der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung

3.10

Angesichts der schwerwiegenden Auswirkungen von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung unterstützt der EWSA die im Richtlinienvorschlag zur Änderung der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung enthaltenen Vorschriften. Die Aufnahme der Berichte zu den Finanzergebnissen der Unternehmen in den Kreis der Informationen, die automatisch zwischen den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten auszutauschen sind, dürfte die Wirksamkeit dieses Instruments verbessern, dem eine erhebliche Bedeutung für die Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung sowie von aggressiver Steuerplanung zukommt.

3.11

Nach Auffassung des EWSA sollten die im Richtlinienvorschlag vorgesehenen Berichte lediglich von den großen multinationalen Konzernen verlangt werden, auf die sich der Vorschlag bezieht, nicht jedoch von den KMU, auf die dadurch ein unverhältnismäßiger Kostenaufwand zukäme. Die Beschränkung dieser Anforderung auf multinationale Konzerne, deren konsolidierte Einnahmen eine bestimmte Schwelle überschreiten, könnte sich als kontraproduktive und diskriminierende Maßnahme erweisen.

3.12

Mit den im Richtlinienvorschlag vorgeschlagenen Änderungen wird die einheitliche Umsetzung von Aktion 13 des BEPS-Aktionsplans der OECD auf Ebene der Mitgliedstaaten gefördert. Der EWSA teilt die Einschätzung der Kommission, dass die wirksame Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung nur auf globaler Ebene erfolgreich sein kann.

3.13

Angesichts der wiederholten Forderungen der Organisationen der Zivilgesellschaft, die Transparenz im Bereich der Besteuerung multinationaler Konzerne zu verbessern, empfiehlt der EWSA der Kommission, in die Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung Bestimmungen aufzunehmen, durch die die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die Daten aus den Berichten, die dem automatischen Informationsaustausch unterliegen, zu veröffentlichen.

Empfehlung der Kommission hinsichtlich der Bekämpfung des Missbrauchs von Steuerabkommen

3.14

Mit der Empfehlung der Kommission wird darauf abgezielt, die in den Aktionen 6 und 7 des BEPS-Aktionsplans der OECD enthaltenen Maßnahmen auf mitgliedstaatlicher Ebene umzusetzen; es geht um die Änderung des Musterabkommens zur Besteuerung, um die Möglichkeit eines Missbrauchs durch multinationale Unternehmen zu verringern.

3.15

Der EWSA unterstützt die beiden von der Kommission in ihrer Empfehlung vorgeschlagenen Klauseln gegen derartige missbräuchliche Nutzungen. Durch die Aufnahme dieser Klauseln in Steuerabkommen, die zwischen Mitgliedstaaten oder zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten geschlossen werden, lässt sich das Risiko erheblich verringern, dass multinationale Unternehmen Gewinne an der Besteuerung vorbeischleusen, indem sie eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Abkommen (sog. Treaty Shopping) betreiben.

Mitteilung über eine externe Strategie für effektive Besteuerung

3.16

In der Mitteilung der Kommission wird die externe Strategie der EU bezüglich der wirksamen Besteuerung von Unternehmen angesichts des weltweiten Charakters der Steuerhinterziehung und der aggressiven Steuerplanung dargelegt. Der EWSA unterstützt den Ansatz der Kommission.

3.17

Die Kommission schlägt einen koordinierten Ansatz für das Vorgehen der Mitgliedstaaten gegenüber Drittstaaten hinsichtlich der steuerlichen Transparenz vor. Der EWSA unterstützt den Standpunkt der Kommission, da die einzelstaatlich uneinheitliche Umsetzung der Vorschriften über verantwortungsvolles Handeln im Steuerbereich gegenüber Drittstaaten keine überzeugenden Ergebnisse bei der Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung gezeitigt hat.

3.18

Angesichts der dynamischen Entwicklung des internationalen Steuerumfelds müssen die Kriterien der EU für ein verantwortungsvolles Handelns im Steuerbereich aktualisiert werden. In Anhang I der Mitteilung schlägt die Kommission neue Kriterien für verantwortungsvolles Handeln im Steuerbereich vor. Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission und legt dem Rat die Annahme der neuen Kriterien nahe.

3.19

Der EWSA hat sich bereits in der Vergangenheit für ein Verzeichnis der EU ausgesprochen (10), in der die Rechtsgebiete aufgeführt werden, die sich weigern, die Vorschriften des verantwortungsvollen Handelns im Steuerbereich anzuwenden. Derzeit verfügen die meisten Mitgliedstaaten jeweils über eigene Systeme derartiger Listen und Sanktionen gegen Finanzoperationen, die über solche Rechtsgebiete abgewickelt werden. Nach Auffassung des EWSA wäre eine unionsweite Liste — mit klaren Kriterien für die Ermittlung nicht kooperierender Rechtsgebiete und mit von sämtlichen Mitgliedstaaten einheitlich anzuwendenden Sanktionen — ein weitaus wirksameres Instrument zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und der aggressiven Steuerplanung. Deshalb unterstützt der EWSA die seitens der Kommission in dieser Strategie vorgeschlagenen Maßnahmen.

Brüssel, den 28. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/taxation/company_tax/anti_tax_avoidance/timeline_without_logo.png.

(2)  COM(2016) 23 final.

(3)  COM(2016) 26 final.

(4)  COM(2016) 25 final.

(5)  C(2016) 271 final.

(6)  COM(2016) 24 final.

(7)  http://www.oecd.org/tax/transfer-pricing-documentation-and-country-by-country-reporting-action-13-2015-final-report-9789264241480-en.htm.

(8)  http://www.oecd.org/ctp/beps-actions.htm.

(9)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Aktionsplan zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 34.

(10)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Maßnahmenpaket zur steuerlichen Transparenz ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 64.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/98


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Den Kreislauf schließen — Ein Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft“

[COM(2015) 614 final],

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle“

[COM(2015) 596 final — 2015/0276 (COD)],

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle“

[COM(2015) 595 final — 2015/0275 (COD)],

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 1999/31/EG über Abfalldeponien“

[COM(2015) 594 final — 2015/0274 (COD)],

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2000/53/EG über Altfahrzeuge, der Richtlinie 2006/66/EG über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren sowie der Richtlinie 2012/19/EU über Elektro- und Elektronik-Altgeräte“

[COM(2015) 593 final — 2015/0272 (COD)]

(2016/C 264/14)

Berichterstatter:

Cillian LOHAN

Die Kommission, das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 2. Dezember 2015, am 14. Dezember 2015 bzw. am 15. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 192 Absatz 1, Artikel 114 Absatz 1 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Den Kreislauf schließen — Ein Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft [COM(2015) 614 final],

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle [COM(2015) 596 final — 2015/0276 (COD)],

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle [COM(2015) 595 final — 2015/0275 (COD)],

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 1999/31/EG über Abfalldeponien [COM(2015) 594 final — 2015/0274 (COD)],

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2000/53/EG über Altfahrzeuge, der Richtlinie 2006/66/EG über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren sowie der Richtlinie 2012/19/EU über Elektro- und Elektronik-Altgeräte [COM(2015) 593 final — 2015/0272 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt nahm ihre Stellungnahme am 12. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April) mit 192 gegen 4 Stimmen bei 12 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA hofft, dass das Bestreben der Kommission, den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu fördern, der erste Schritt zu einem Paradigmenwechsel in Verhalten und Praxis ist. Er erinnert daran, dass er sich seinerzeit gegen die Rücknahme des 2014 veröffentlichten ersten Kreislaufwirtschaftspakets ausgesprochen hatte.

1.2.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission einige seiner Empfehlungen zu dem Paket von 2014 aufgegriffen hat (Schwerpunkt auf die der Produktion vorgelagerten Lebenszyklusphasen). Was den Ehrgeiz der mit dem Paket verfolgten Ziele anbelangt, gibt es jedoch durchaus noch Raum für Verbesserungen. Die Ziele des Pakets von 2014 stellten größere Vorteile für Wirtschaft und Umwelt in Aussicht (1). Der EWSA empfiehlt, die Abfallbehandlungsziele aus dem 2014er Vorläuferpaket zu übernehmen und zugleich sicherzustellen, dass sie kosteneffizient umgesetzt werden können. Insgesamt scheinen Umfang und Ehrgeiz des neuen Pakets, zumal im Vergleich zum Vorläufer, nicht die 18-monatige Wartezeit zu rechtfertigen.

1.3.

Maßnahmen für die Kreislaufwirtschaft sollten gewährleisten, dass die Kreisläufe lang andauernd, klein, lokal und sauber sind. Bei bestimmten industriellen Tätigkeiten können die Kreisläufe vergleichsweise groß angelegt sein.

1.4.

In dem Kommissionsvorschlag werden die sozialen und beschäftigungsbezogenen Vorteile und Risiken des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft nicht ausreichend berücksichtigt (2). Es fehlt an den erforderlichen Anpassungsmaßnahmen in Form von Aus- und Weiterbildung der Arbeitnehmer. Es gilt, die anfälligsten Sektoren und Arbeitnehmer zu ermitteln, um umfassende Unterstützungsstrukturen für sie aufzubauen.

1.5.

Der EWSA begrüßt die Einführung der verbindlichen Berichterstattung über die Nutzung angemessener wirtschaftlicher Instrumente zur Verwirklichung der Abfallminderungsziele, dies sollte jedoch in einem breiteren Kontext Anwendung finden. Die Nutzung von wirtschaftlichen Instrumenten zur Förderung der Umstellung sollte verstärkt und systemisch integriert werden.

1.6.

Der EWSA ist bereit, die Machbarkeit einer offenen europäischen Plattform für Kreislaufwirtschaft zu untersuchen, in der Interessenträger und Zivilgesellschaft aus dem öffentlichen, halböffentlichen und privaten Sektor, die sich mit Ressourceneffizienz befassen, zusammenkommen; der Ausschuss selbst würde als Gastgeber auftreten. Diese Plattform würde Gelegenheit zum Austausch bewährter Verfahren und zur Sensibilisierung bieten.

1.7.

Bildung in allen Formen und auf allen Ebenen wird ein wesentlicher Bestandteil des Übergangs zur Kreislaufwirtschaft sein. Dazu gehören die Ermittlung des unmittelbaren Ausbildungsbedarfs der direkt vom Wandel betroffenen Arbeitnehmer wie auch längerfristige Bildungsmaßnahmen für künftige Generationen.

1.8.

Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft muss den Unternehmen Lösungen bieten. Maßnahmen zur Unterstützung von KMU wurden in der Stellungnahme „Kreislaufwirtschaft: Neue Arbeitsplätze und grüner Aktionsplan für KMU“ (NAT/652) beleuchtet (3). Zugang zur Finanzierung wird für KMU und Unternehmer relevant sein, die die Chancen der Kreislaufwirtschaft nutzen wollen.

1.9.

Bei der geplanten Überarbeitung der Ökodesign-Richtlinie muss der komplette Produktlebenszyklus berücksichtigt werden, d. h. Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit, Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Ersatzteilen sowie umfassende Informationspflichten für Reparatur und Service seitens der Hersteller. Der EWSA betont die Notwendigkeit, die Ökodesign-Grundsätze sektorübergreifend anzuwenden. Dies würde eine wirtschaftlich und technisch tragfähige Rückgewinnung der Rohstoffe und Bestandteile nicht mehr genutzter Produkte erleichtern. Zur Veranschaulichung wird in der Regel das Beispiel elektronische Geräte, insbesondere Mobiltelefone, angeführt.

1.10.

Die Produktkennzeichnung muss erweitert werden und Angaben zur erwarteten Produktlebensdauer beinhalten. Es reicht nicht aus, nur die Möglichkeit einer geplanten Obsoleszenz zu prüfen. Der EWSA bekräftigt seine Forderung an die politischen Entscheidungsträger, ein Totalverbot von Produkten in Erwägung zu ziehen, bei denen Fehlerhaftigkeit einkalkuliert wurde, um die Funktionsuntüchtigkeit des Produkts herbeizuführen (4).

1.11.

Verhaltensänderungen können am besten durch klare Preissignale erreicht werden, d. h., wenn den Verbrauchern Komfort und wettbewerbsfähige Preise geboten werden. Der Preis von Produkten oder Diensten, die nach dem Kreislaufprinzip hergestellt bzw. erbracht werden, sollte sich nach der Ressourcenverfügbarkeit/-knappheit oder dem Produktdesign richten. Zunächst können dazu Systeme der erweiterten Herstellerverantwortung und/oder Umweltsteuern herangezogen werden. Der EWSA betont, dass jedwede neue Maßnahme auf ihre Durchführbarkeit hin zu prüfen ist.

1.12.

Der EWSA begrüßt die Einführung von Mindestanforderungen für Systeme der erweiterten Herstellerverantwortung, allerdings bedarf es einer weiteren Klärung der Rolle und Verantwortung aller Parteien in der Wertekette. Die Mitgliedstaaten sollten zur Annahme von Systemen für die erweiterte Herstellerverantwortung verpflichtet werden.

1.13.

Es müssen Förderinstrumente entwickelt werden, die Menschen mit geringerem Einkommen den Zugang zu qualitativ hochwertigen (zunächst teureren) Gütern und Dienstleistungen ermöglichen. Denkbar wären staatlich geförderte Darlehen oder von den Herstellern unterstützte Finanzierungssysteme mit niedrigen Zinssätzen, die ausschließlich für Produkte mit einer bestimmten Mindestlebenserwartung in Anspruch genommen werden können, die den Anforderungen der kreislaufgerechten Produktgestaltung genügen.

1.14.

Spezifische Instrumente wie Pfand- und Rücknahmesysteme sowie Integrierte Management-Systeme haben sich als wirksam erwiesen und sollten im Rahmen des Kreislaufwirtschaftspakets gefördert werden. Ermäßigte Mehrwertsteuersätze oder Mehrwertsteuerbefreiung für recycelte Erzeugnisse und Wiederverwendungs- und Reparaturtätigkeiten können Unternehmer ermutigen, in diesem Bereich tätig zu werden, und Verbrauchern Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen bieten, was wiederum auf breiter Ebene Verhaltensänderungen fördern wird. Beihilfen sollten auf die Nutzung von Sekundärrohstoffen verlagert werden und die sektorübergreifende Anwendung der Grundsätze des Öko-Designs fördern.

1.15.

Regierungen und ihre Institutionen sollten als Vorreiter beim Kauf von Produkten und Diensten in ihrem Zuständigkeitsbereich durchweg nach dem Verfahren der umweltorientierten Beschaffung vorgehen. Als Standardoption sollte das umweltverträglichste Angebot gewählt werden; die Wahl einer anderen Option muss begründet werden.

1.16.

Die getrennte Sammlung von Abfallströmen ist für die Kreislaufwirtschaft unerlässlich. Die Aufnahme einer Verpflichtung zur unmittelbaren Einführung der getrennten Sammlung von Bioabfällen wird begrüßt. Die in der Richtlinie enthaltene Anforderung sollte für die getrennte Sammlung aller Abfälle untermauert und verbindlich gemacht werden, sofern keine spezifische Ausnahme aufgrund praktischer Einschränkungen gewährt wird.

1.17.

Die Verringerung der Lebensmittelverschwendung kann nur durch die Aufnahme von Meilensteinen auf dem Weg zur Verwirklichung des Nachhaltigkeitsziels Nr. 2 erreicht werden. Die Entwicklung eines Mechanismus zur Quantifizierung von Lebensmittelverschwendung und -abfällen in Verbindung mit einer spezifischen Frist und ausgehend auf der bereits geleisteten Arbeit (5) sollte in den Anhang aufgenommen werden.

1.18.

Kreislaufwirtschaftskonzepte können nicht isoliert entwickelt werden. Es muss ein Aufsichtsgremium nach Vorbild der Europäischen Plattform für Ressourceneffizienz eingerichtet werden, das sicherzustellen hat, dass andere, von der Kommission aufgelegte sektorbezogene Strategien mit den Grundsätzen einer Kreislaufwirtschaft übereinstimmen.

1.19.

Im Rahmen des Europäischen Semesters kann über die länderspezifischen Empfehlungen die Durchführung auf Ebene der Mitgliedstaaten und die vorrangige Umstellung auf ein Kreislaufwirtschaftsmodell sichergestellt werden.

2.   Einleitung

2.1.

Am 2. Dezember 2015 hat die Europäische Kommission ein überarbeitetes Paket zur Kreislaufwirtschaft vorgelegt. Dieses Paket enthält einen nichtlegislativen Teil mit der Mitteilung „Den Kreislauf schließen — Ein Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft“ und einen Teil mit Änderungen geltender europäischer Rechtsvorschriften über die Behandlung und Wiederverwertung von Abfällen.

2.2.

Die neuen Vorschläge treten an die Stelle des Vorläuferpakets, das die Europäische Kommission unter José Manuel Barroso im Juli 2014 im Rahmen der Europa-2020-Leitinitiative „Für ein ressourcenschonendes Europa“ vorgelegt hatte. In dem neuen Paket gibt es einige Verbesserungen — es ist vor allem breiter angelegt und umfasst sämtliche Produktlebenszyklusphasen —, aber auch einige Bereiche, in denen der Ehrgeiz zurückgeschraubt wurde. Es besteht die Gefahr, dass das Paket überwiegend auf Recycling ausrichtet ist und keine Politikinstrumente enthält, die dem Wunsch nach Schaffung eines neuen Kreislaufmodells für die Wirtschaft gerecht werden. Höhere Recyclingraten sind nicht gleichbedeutend mit einer stärkeren kreislauforientierten Wirtschaft. Insgesamt jedoch scheinen Umfang und Ehrgeiz des neuen Pakets, zumal im Vergleich zum Vorläufer, nicht die 18-monatige Wartezeit zu rechtfertigen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die Umstellung von einer Durchlauf- oder Linearwirtschaft — extrahieren, transformieren, konsumieren, deponieren — auf eine Kreislaufwirtschaft, in der Abfälle zu Ressourcen werden, ist eine zentrale Herausforderung für Europa. Diese Wirtschaftsform ist nachhaltiger und hat aufgrund einer besseren Ressourcenbewirtschaftung, eines geringeren Rohstoffabbaus und weniger Umweltverschmutzung einen kleineren ökologischen Fußabdruck; sie bringt den Unternehmen durch bessere Rohstoffbewirtschaftung Wettbewerbsvorteile und verringert die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Einfuhr potenziell kritischer und seltener Stoffe; sie erschließt neue wirtschaftliche Möglichkeiten und Märkte innerhalb und außerhalb Europas und fördert die Beschäftigung vor Ort.

3.2.

Die Einsicht in die Notwendigkeit, den Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft zu vollziehen, ist zu begrüßen. Wenn das gesamte Potenzial der vielfältigen wirtschaftlichen und sozialen Vorteile erschlossen werden soll, muss ein systemischer Wandel stattfinden — eine Herausforderung. Maßnahmen zur Förderung der Kreislaufwirtschaft sollten gewährleisten, dass die Kreisläufe dauerhaft, klein, lokal und sauber sind, wobei die Schleifen unterschiedlich groß sein können. In einer Kreislaufwirtschaft sollte Nutzung wichtiger sein als Besitz. Produkt-Dienstleistungs-Systeme (PSS) und gemeinschaftlicher Konsum können diesbezüglich eine ausgesprochen positive Wirkung haben; diese Aspekte werden in zwei künftigen EWSA-Stellungnahmen näher beleuchtet. Kreislaufwirtschaft bedeutet nicht einfach, dass nach linearwirtschaftlichen Abläufen die Abfälle schlicht wieder in die Produktion zurückfließen, sondern dass auf ein vollständiges wirtschaftliches Umdenken abgezielt wird, in dessen Zuge grundlegende Konzepte wie Haftung und Eigentum infrage gestellt werden. Bei der Bewerkstelligung dieser grundlegenden Veränderungen muss die globale Vernetzung des gegenwärtigen Wirtschaftsmodells berücksichtigt werden. In globalen Fragen ist rein regionales Handeln kaum zielführend, es bedarf vielmehr einer globalen Initiative.

3.3.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft müssen kontinuierlich analysiert werden. Da veraltete Geschäftsmodelle hinfällig werden, müssen die am schwersten betroffenen Unternehmen ermittelt und entsprechend unterstützt werden, um einen gerechten und fairen Übergang zur Kreislaufwirtschaft zu gewährleisten. Außerdem müssen die sozialen und beschäftigungsbezogenen Vorteile und Risiken angegangen werden (6).

3.4.

Es fehlt indes an Instrumenten, um diesen Übergang voranzubringen. Der EWSA wies darauf hin, dass es einer Kombination aus marktwirtschaftlichen und regulatorischen Instrumenten zur Verwirklichung einer ressourceneffizienten Wirtschaft bedarf (7). Gemäß Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2008/98/EG sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, wirtschaftliche Instrumente zu nutzen; außerdem ist eine Berichterstattung nach 18 Monaten und danach alle fünf Jahre vorgesehen. Diese Bestimmung sollte durch die Einführung eines Zwischenberichts nach drei Jahren und die Aufnahme einer Empfehlung für eine Umweltbesteuerung gestärkt werden. Die Mitgliedstaaten sollten sich über die Entwicklung bewährter Verfahren und Mechanismen austauschen, deren Annahme im Rahmen des Europäischen Semesters gefördert werden sollte.

3.5.

Die Kommission muss für mehr Kohärenz zwischen Aktionsplänen aus den vergangenen Jahren sorgen und Fragen bezüglich Vorrang und Überschneidungen klären, und zwar zwischen dem Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa (8), dem Siebten Umweltaktionsprogramms (UAP) bis 2020 (9) und dem Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft. Viele der in dem jüngsten Aktionsplan vorgesehenen Tätigkeiten sind bereits Gegenstand der vorangegangenen Initiativen. Eine umfassende Bewertung der Erfolge und Fehlschläge der bisherigen Initiativen ist von entscheidender Bedeutung.

3.6.

Das Paket zur Kreislaufwirtschaft geht in die richtige Richtung. Indes muss kritisch hinterfragt werden, ob die vorgesehenen Maßnahmen insgesamt ausreichen, um den Übergang der europäischen Volkswirtschaften vom derzeitigen Entwicklungspfad (der ebenfalls auf Ressourceneffizienz ausgerichtet ist) hin zu einem echten Kreislaufmodell zu bewerkstelligen, das zur vollständigen Abkopplung des wirtschaftlichen Wohlstands vom Verbrauch natürlicher Ressourcen führt und vielfältige wirtschaftliche und soziale Vorteile bringt (10). Der Aktionsplan muss geeignet sein, die grundlegenden systemischen Herausforderungen zu bewältigen und geeignete Rahmenbedingungen für die Einleitung des Wandels zu schaffen (11).

3.7.

Der EWSA begrüßt, dass die Vorschläge der Kommission für Abfallrechtsvorschriften zusammen mit einer Folgenabschätzung vorgelegt worden sind (12). Er verweist auf die geringeren Vorteile dieses Pakets in den Bereichen Wirtschaft, Beschäftigung und Emissionsreduktion gegenüber dem zurückgezogenen Vorläuferpaket. Eine Kosten-Nutzen-Analyse des nichtlegislativen Aktionsplans könnte dabei helfen, die wirksamsten und angemessensten Maßnahmen zu ermitteln, um den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu bewerkstelligen (13).

3.8.

Auf die Umsetzung kommt es an. Der EWSA fordert, dass ein spezifisches Gremium für die Kohärenz und die Auflagenbindung von Fördergeldern zuständig sein sollte — nach dem Vorbild der Europäischen Plattform für Ressourceneffizienz (14), deren Arbeit in das 7. UAP und das Paket zur Kreislaufwirtschaft eingeflossen ist.

3.9.

Der EWSA erkennt die Bemühungen der Kommission an, ein breites Spektrum an Interessenträgern und Sachverständigen einzubeziehen, wie er dies in seiner Stellungnahme NAT/652 (15) gefordert hat. Die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft ist ein langfristiger Entwicklungsprozess, der eigenverantwortliches Handeln auf allen Ebenen und in allen Bereichen erfordert. Die Kommission unterstreicht ihre Absicht, die Interessenträger aktiv in die Durchführung des Aktionsplans einzubinden (16); es wird wesentlich darauf ankommen, wie sie dies im Einzelnen zu tun gedenkt.

3.10.

Der EWSA bekräftigt sein in der Stellungnahme NAT/652 unterbreitetes Angebot, Netze zivilgesellschaftlicher Akteure, die sich für den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft einsetzen, aktiv zu unterstützen, sowie die Idee zu sondieren, ein europäisches Forum für die Kreislaufwirtschaft einzurichten und zu betreiben. Es gibt bereits eine Reihe von Foren, die eine fachliche sektorspezifische Perspektive bieten. Der EWSA ist bestens geeignet, um ein öffentlichkeitswirksames Forum einzurichten, das die Berichterstattung und das Engagement der wesentlichen Interessenträger in Sachen Kreislaufwirtschaft fördern kann. Dies kann in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission erfolgen, um eine sektorübergreifende Plattform unter Einbeziehung einer breiten Palette an Interessenträgern einzurichten. Der EWSA verwaltet bereits das Europäische Migrationsforum, das ein geeignetes Beispielmodell sein könnte.

3.11.

Die Rolle der Arbeitnehmer während des Wandels und nach vollzogenem Wandel in einer Kreislaufwirtschaft und die Schaffung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze sind von entscheidender Bedeutung. Der EWSA betonte (17), dass die sozioökonomischen Vorteile und Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft in dem zurückgezogenen Vorläuferpaket trotz der Initiative für grüne Beschäftigung nicht ausreichend berücksichtigt wurden (18). Dies gilt auch für das neue Paket. Ein Teil der Fördermaßnahmen muss auf die Unternehmen und Branchen ausgerichtet werden, für die der Wandel nachteilig ist, um für einen gerechten Übergang zu sorgen. Die Arbeitnehmer müssen geschützt und in die Lage versetzt werden, die zahlreichen, durch das Kreislaufwirtschaftsmodell eröffneten Möglichkeiten zu nutzen (19).

3.12.

Bildungsmaßnahmen müssen auf alle Ebenen, von der Grundschule über Unternehmen und KMU bis hin zu Investoren und Finanzdienstleistern, ausgerichtet werden. Schul- und Berufsbildung müssen in einem kohärenten Programm zusammengeführt werden, in dem die ermittelten sozioökonomischen Herausforderungen aufgegriffen werden. Bildung ist ein Treiber für grundlegende Verhaltensänderungen und kann zur Entstehung einer neuen Generation verantwortungsbewusster Verbraucher beitragen, denen angemessene, qualitativ hochwertige und ethische Konsumoptionen zu korrekten Preisen zur Verfügung stehen.

3.13.

Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft muss den Unternehmen Lösungen bieten. Maßnahmen zur Unterstützung von KMU wurden in der Stellungnahme „Kreislaufwirtschaft: Neue Arbeitsplätze und grüner Aktionsplan für KMU“ (NAT/652) beleuchtet (20). Zugang zur Finanzierung wird für KMU und Unternehmer relevant sein, die die Chancen der Kreislaufwirtschaft nutzen wollen. Als Finanzierungsquellen kommen der Kohäsionsfonds, die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds, der Europäische Fonds für strategische Investitionen und thematische Fonds wie LIFE und COSME infrage; im Rahmen dieser Fonds sollten spezifische Finanzierungsmöglichkeiten bereitgestellt werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.    Produktion

4.1.1

Bei der anstehenden Überarbeitung der Ökodesign-Richtlinie (21) muss der komplette Produktlebenszyklus berücksichtigt werden, d. h. Langlebigkeit, geplante Obsoleszenz („Lebenserwartung“), Reparaturfähigkeit, Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Ersatzteilen und umfassende Informationspflichten seitens der Hersteller.

4.1.2.

Die Ökodesign-Richtlinie gilt derzeit nur für energieverbrauchsrelevante Produkte. In früheren Veröffentlichungen (22) wurde festgestellt, dass 70-80 % aller Umweltauswirkungen auf die Sektoren Ernährung, Wohnen und Mobilität zurückzuführen sind („Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa“, Kapitel 5). Dies untermauert die Notwendigkeit, die Ökodesign-Grundsätze sektorübergreifend anzuwenden und sozusagen horizontal zu denken. Die Entwicklung regionaler KMU in den opportunistischen Bereichen Reparatur, Wiederverwendung, Vorbereitung zur Wiederverwendung und Recycling setzt insbesondere voraus, dass das Ausgangsmaterial von Anfang an unter Berücksichtigung verschiedener und mehrfacher Verwendungszwecke, Demontage und Wiederverwertung gestaltet wird.

4.1.3.

Die erweiterte Herstellerverantwortung sollte allen Kreisläufen umfassend Rechnung tragen. Die Regelung der Materialeffizienz ist zugegebenermaßen komplexer als die Regelung der Energieeffizienz und erfordert eine innovative Herangehensweise. Neue Anreize im Bereich der erweiterten Herstellerverantwortung müssen gezielt auf wesentliche Verhaltensänderungen auf Herstellerebene ausgerichtet sein, die dann Verhaltensänderungen auf Verbraucherebene bewirken; die Hersteller sollten verpflichtet sein, die erwartete Lebensdauer ihrer Erzeugnisse anzugeben.

4.1.4.

Eine durch eine regionale „grüne“ Industriepolitik untermauerte KMU-freundliche Symbiose lokaler und sozialer Ökosysteme ist in der praktischen Phase des Wandels auf Unterstützung und Förderung angewiesen. Die erste Kreislaufphase wird die regionalwirtschaftliche Ebene mit einer Vielzahl KMU betreffen. Eine verstärkte Nutzung industrieller Nebenerzeugnisse als Rohstoffe in anderen Branchen wird Ressourceneffizienz fördern. Es ist unklar, wie die Kommission dieses Ziel über den geänderten Artikel 5 der Richtlinie 2008/98/EG erreichen will.

4.1.5.

In einer späteren Phase kann die Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft die nachhaltige Reindustrialisierung Europas unterstützen. Die Entwicklung kann in eine Phase mit einer deutlichen industriellen Dimension eintreten, wenn Standards zur Unterstützung eines effizienten, großmaßstäblichen Modells festgelegt werden.

4.1.6.

Zentrale Aspekte einer echten Kreislaufwirtschaft sind Eigentum und Haftung. Die Hersteller sollten angeregt werden, funktionsorientierte Geschäftsmodelle mit Leasing und Verkauf des Gebrauchsnutzens von Gütern zur gängigen Praxis zu machen, bei der alle Kosten internalisiert sind. Durch diese Art der Verknüpfung der Herstellung von Produkten und der Lieferung von Gebrauchsnutzen im Rahmen eines Kreislaufmodells entsteht eine „Performance-Wirtschaft“, deren Geschäftsmodelle der Ressourcenverknappung umfassend Rechnung tragen.

4.1.7.

Das Potenzial von Wiederverwendung und Reparatur für die Entstehung von Wirtschaftstätigkeiten und die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort könnte durch eine stärkere Zusammenarbeit mit den Herstellern besser genutzt werden. Insbesondere Informationen über Produkte sowie die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Ersatzteilen über einen Mindestzeitraum nach Einführung des Produkts sind Voraussetzung für die Ausbreitung von Strukturen zur Reparatur und Wiederverwendung. Freiwillige Regelungen für eine bessere Zusammenarbeit mit den Herstellern sollten gefördert und rechtliche Anforderungen für die Offenlegung von Produktinformationen beleuchtet werden. Reparatur- und Wiederverwendungsstrukturen sollten außerdem leichten Zugang zu Produkten haben, die am Ende ihres Lebenszyklus angekommen sind, um Innovation und Beschäftigung in diesem Bereich zu fördern.

4.1.8.

Der EWSA begrüßt, dass sich die Europäische Kommission durchaus bewusst ist, dass die Thematik geplante Obsoleszenz angegangen werden muss. Geplanter Obsoleszenz kann durch die Förderung innovativer, auf den Gebrauchsnutzen ausgerichteter „Performance“-Geschäftsmodelle wirksam ein Riegel vorgeschoben werden. In einer früheren Stellungnahme zum Thema „Produktlebensdauer und Verbraucherinformation“ fordert der EWSA die politischen Entscheidungsträger auf, ein Totalverbot von Produkten in Erwägung zu ziehen, bei denen Fehlerhaftigkeit einkalkuliert wurde, um die Funktionsuntüchtigkeit des Produkts herbeizuführen (23). Der in dem Aktionsplan enthaltene Vorschlag eines Prüfprogramms im Rahmen von Horizont 2020 zur Ermittlung von Praktiken geplanter Obsoleszenz reicht nicht aus, um diese Thematik umfassend zu behandeln. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, ehrgeizigere Vorschläge vorzulegen.

4.2.    Verbrauch

4.2.1.

Verhaltensänderungen können erreicht werden, wenn den Verbrauchern Komfort und wettbewerbsfähige Preise geboten werden. Der Preis von Produkten oder Diensten, die nach dem Kreislaufprinzip hergestellt bzw. erbracht werden, sollte sich nach der Ressourcenverfügbarkeit/-knappheit oder dem Produktdesign richten. Zunächst können dazu Systeme der erweiterten Herstellerverantwortung und/oder Umweltsteuern herangezogen werden. Der EWSA betont, dass jedwede neue Maßnahme auf ihre Durchführbarkeit hin zu prüfen ist.

4.2.2.

Der EWSA erwartet mit Spannung einen Vorschlag der Kommission zur Rationalisierung von Umweltzeichen und zur Vermeidung falscher Umweltaussagen. Eine korrekte Produktkennzeichnung mit den maßgeblichen Informationen, die die Käufer benötigen, wird zu besseren Verbraucherentscheidungen beitragen. Die Verbraucher können so ihre Entscheidungen anhand unmittelbar vergleichbarer Produkteigenschaften treffen. Beispielsweise kann der Erwerb eines zunächst teureren Küchengeräts in Anbetracht seiner Langlebigkeit, Qualität und Leistung langfristig die wirtschaftlichere Entscheidung sein.

4.2.3.

Dabei stellt sich die Frage der Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit der Geräte mit besserer Leistung für alle Verbraucher. Es müssten Förderinstrumente entwickelt werden, die Menschen mit geringerem Einkommen den Zugang zu qualitativ hochwertigen, zunächst teureren Gütern und Dienstleistungen ermöglichen. Denkbar wären staatlich geförderte Darlehen oder von den Herstellern unterstützte Finanzierungssysteme mit niedrigen Zinssätzen, die ausschließlich für Produkte mit einer bestimmten Mindestlebenserwartung in Anspruch genommen werden können, die den Anforderungen der kreislaufgerechten Produktgestaltung genügen. Eine Lösung wäre der Übergang vom Produktbesitz zum Produktleasing.

4.2.4.

Die Verbraucher müssen sich die Kreislauf-Option leisten können. Ein qualitativ hochwertigeres und langlebigeres Produkt wird gewöhnlich bei der Anschaffung zunächst auch mehr kosten. Während der Produktlebenszeit gleicht sich dieser Kostennachteil im Allgemeinen jedoch aus. Verbesserte Produktkennzeichnung und -informationen in Verbindung mit finanziellen Instrumenten, die eine längere Lebensdauer, umweltfreundlichere Bestandteile, bessere Reparaturfähigkeit und Demontage zur Wiederverwendung fördern, werden Verhaltensänderungen anstoßen.

4.2.5.

Im 7. Umweltaktionsprogramm (7. UAP) (Artikel 43 Buchstabe e Ziffer v) wird die Festlegung einer kohärenteren politischen Rahmenregelung für nachhaltige Produktion und nachhaltigen Verbrauch sowie von Zielen für die Verringerung der konsumbedingten Umweltbelastungen insgesamt vorgesehen. Es gibt zwar einen Verweis auf das Nachhaltigkeitsziel Nr. 12 der Vereinten Nationen „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen“, die im 7. UAP geforderte Festlegung von Zielen wird jedoch weder im Aktionsplan noch in seinem Anhang berücksichtigt.

4.2.6.

Die Digitalisierung der Wirtschaft zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks von Produktion und Verbrauch und die Erhöhung von Mehrfachverwendung und Reparatur müssen mit der Bewerkstelligung des Übergangs zur Kreislaufwirtschaft verbunden werden.

4.2.7.

Voraussetzung für verantwortungsvolle Verbraucherentscheidungen ist sinnvolle Verbraucherinformation. Deshalb ist die Entwicklung einer Methode zur Messung des Umweltfußabdrucks von Produkten begrüßenswert. Die Prüfung war jedoch bereits Gegenstand des 2011 vorgelegten Fahrplans für ein ressourcenschonendes Europa (24).

4.2.8.

Der EWSA fordert separate, von den Recyclingzielen getrennte Mengenziele für die Wiederverwendung. Es müssen die notwendigen Voraussetzungen für die Verwirklichung dieser Ziele geschaffen werden.

4.2.9.

Die Förderung von Wiederverwendungs- und Reparaturkonzepten könnte als bewährtes Verfahren für die Nutzung wirtschaftlicher Instrumente gelten. Es sollte die Möglichkeit geprüft werden, auf Produkte, die zur Wiederverwendung vorbereitet oder repariert und verkauft werden, niedrigere Mehrwertsteuersätze anzuwenden. Dadurch würden die Wettbewerbsfähigkeit reparierter Produkte verbessert und Innovation sowie Unternehmertätigkeit in diesem Bereich gefördert.

4.2.10.

Zum Thema gemeinschaftlicher Konsum wäre auf frühere Stellungnahmen des EWSA zu verweisen (25). Erfolgversprechende Entwicklungen aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere in Verbindung mit den Verhaltenswissenschaften und dem „Nudge“-Konzept, sollten berücksichtigt werden, damit Verbraucher verantwortungsbewusstere Entscheidungen treffen können. Der EWSA wird demnächst eine Stellungnahme zu diesem Thema verabschieden.

4.2.11.

Das umweltorientierte öffentliche Beschaffungswesen (green public procurement, GPP) ist ein wichtiges Instrument zur Förderung eines nachhaltigen Konsums. Es sollte der gegenwärtige GPP-Anteil am gesamten Staatsverbrauch berechnet werden. Den Zuschlag für öffentliche Aufträge erhalten gegenwärtig üblicherweise die preislich günstigsten Angebote. Als Standardoption sollte stattdessen das umweltverträglichste Angebot gewählt werden, damit die Auswahl einer anderen als der „grünen“ Option besonders berücksichtigungswürdige Umstände und eine angemessene Begründung erfordern würde.

4.3.    Abfallbewirtschaftung

4.3.1.

Es ist wichtig, dass das bestehende EU-Abfallrecht in der gesamten EU korrekt umgesetzt wird. Der EWSA bekräftigt seine Unterstützung für die Abfallhierarchie und fordert alle öffentlichen und privaten Interessenträger auf, sie umfassend anzuwenden.

4.3.2.

Der legislative Teil des Kreislaufwirtschaftspakets, mit dem verschiedene Abfall-Richtlinien geändert werden sollen, ist im Vergleich zu dem 2014 unterbreiteten Vorschlag offenkundig abgeschwächt worden. Der EWSA stellt fest, dass der Kommissionsvorschlag auch nicht den ehrgeizigen Zielen für Abfallvermeidung und Recycling gerecht wird, die das Europäische Parlament im Juli 2015 forderte (26).

4.3.3.

Der Vorschlag für eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, über die Einführung wirtschaftlicher Instrumente die Abfallhierarchie zu unterstützen (27) und Maßnahmen zur Abfallvermeidung zu ergreifen (28), ist zu befürworten. Unklar ist jedoch, ob die Mitgliedstaaten bestehende Abfallvermeidungsprogramme an die neuen Bestimmungen anpassen müssen (29).

4.3.4.

Nach Meinung des EWSA sollten die Mitgliedstaaten zur Annahme von Systemen für die erweiterte Herstellerverantwortung verpflichtet werden. Er begrüßt die Einführung von Mindestanforderungen für Systeme der erweiterten Herstellerverantwortung angesichts der sehr unterschiedlichen Leistungen dieser Systeme in den Mitgliedstaaten. Indes könnten diese Bestimmungen dahingehend verbessert werden, dass die Mindestanforderungen weiter harmonisiert werden; so sollten insbesondere die Rolle und die Verantwortung aller Parteien in der Wertekette und ihre finanzielle Haftung klargestellt werden. Außerdem sollte der Gesetzgeber die Aufnahme spezifischer Anforderungen für die erweiterten Herstellerverantwortung in die Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle (30) in Erwägung ziehen, um sie wirksamer zu machen.

4.3.5.

Der EWSA weist darauf hin, dass das Europäische Parlament die Festlegung verbindlicher Ziele für die Vermeidung von Siedlungsabfällen sowie gewerblichen und industriellen Abfällen gefordert hatte, doch ist in dem Paket nichts dergleichen vorgesehen.

4.3.6.

Die Recyclingziele für Siedlungs- und Verpackungsabfälle bis 2030 sind im Vergleich zum früheren Vorschlag herabgesetzt worden, obwohl in der begleitenden Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (31) darauf hingewiesen wird, dass höhere Recyclingziele größere finanzielle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorteile bewirken (32). Zugegebenermaßen hat die Kommission eine ausgefeilte Umsetzungsstrategie aufgestellt, in der die spezifischen Gegebenheiten der einzelnen Mitgliedstaaten berücksichtigt und die Maßnahmen mit kohäsionspolitischen Finanzierungsinstrumenten und anderen Instrumenten verknüpft werden (33).

4.3.7.

Irland hat über zehn Jahre hinweg rasche Fortschritte erzielt: Einstmals wurden dort fast alle Abfälle auf Deponien gelagert, jetzt werden sämtliche Recyclingziele erfüllt. Es gibt einen Abfallvermeidungsplan und drei regionale Abfallwirtschaftspläne. Irland übernahm mit der Einführung einer Abgabe auf Kunststofftragetaschen eine weltweite Vorreiterrolle; andere Länder folgten. Nach wie vor gibt es Probleme, die gelöst werden müssen, wie bspw. die privatwirtschaftliche Kontrolle nahezu sämtlicher Abfallbewirtschaftungstätigkeiten und die allzu häufige Ersetzung der Abfalldeponierung durch Abfallverbrennung. Irland bleibt ein gutes Beispiel dafür, dass eine rasche Umstellung möglich ist. Dies unterstreicht, dass keine umfassende Ausnahmeregelung für eine Fristverlängerung von fünf Jahren für die Verwirklichung der Ziele für einige Mitgliedstaaten notwendig ist.

4.3.8.

Die getrennte Sammlung von Abfallströmen dürfte unerlässlich sein, um Kreisläufe mit hochwertigen Sekundärrohstoffen zu schließen. Gemäß Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 2008/98/EG „wird bis 2015 die getrennte Sammlung zumindest folgender Materialien eingeführt: Papier, Metall, Kunststoffe und Glas“. Der frühere Vorschlag untermauerte dies durch die Einführung der getrennten Sammlung von Bioabfällen bis 2025 gemäß Artikel 25. Statt dieser strengen Abfalltrennungsvorschriften beinhaltet der neue Vorschlag eine einfache, in der Praxis weniger wirksame Bestimmung, dass Abfälle getrennt gesammelt werden, „falls dies technisch, ökologisch und wirtschaftlich durchführbar ist“. Der EWSA plädiert für strengere Vorschriften. Da die neuen Vorschriften für die getrennte Sammlung von Bioabfällen ohne angemessenen Übergangszeitraum in Kraft treten werden, könnte eine derartige „Ausweichklausel“ dazu führen, dass einige Mitgliedstaaten gar nicht erst versuchen, dieses Ziel praktisch auch zu erreichen.

4.3.9.

Es ist zu bedenken, dass bei kurzlebigen Konsumerzeugnissen wie bspw. Aluminiumgetränkedosen, deren Lebenszyklus von der Produktion bis zur Entsorgung zwischen drei Wochen und sechs Monaten liegt, hohe Recyclingraten allein nicht die Ressourcenschonung sicherstellen (34).

4.3.10.

Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Kommission, Begriffsbestimmungen und Berechnungsmethoden zu vereinheitlichen, um die Erhebung zuverlässiger und vergleichbarer Daten zu ermöglichen. Dabei muss sichergestellt werden, dass die vorgeschlagenen Definitionen, insbesondere von „Vorbereitung zur Wiederverwendung“ und „abschließendes Recyclingverfahren“ (35) nicht zur Errichtung von Schranken und/oder Hindernissen für wirtschaftliche Interessenträger im Bereich Wiederverwendung und Recycling führen. Vielmehr sollten diese Definitionen ihren Anforderungen gerecht werden und die Entwicklung ihrer Tätigkeiten unterstützen.

4.4.    Vom Abfall zur Ressource

4.4.1.

Mit der Unsicherheit in Bezug auf die Qualität von Sekundärrohstoffen und der rechtlichen Unsicherheit im Zusammenspiel der Rechtsvorschriften über Abfälle, Produkte und Chemikalien spricht die Kommission wesentliche Hemmnisse für einen funktionierenden Sekundärrohstoffmarkt an. Sie erläutert nicht, warum das grundlegende Konzept der geltenden Richtlinie 2008/98/EG, Kriterien für das Ende der Abfalleigenschaft festzulegen, nachgebessert werden muss.

4.4.2.

Es muss eine Unterscheidung zwischen der Verantwortung für die Produktleistung und der damit verbundenen Garantie/Haftung einerseits und der Verantwortung für die einzelnen Bestandteile des Produkts andererseits getroffen werden. Erstere ist für eine Veränderung des Verbraucherverhaltens ausschlaggebend; Letztere ist für den Schutz von Ressourcen und die Entsorgung von Abfällen aus dem System von entscheidender Bedeutung. Eine erweiterte Haftung für die Bestandteile eines Produkts würde bedeuten, dass die Altressourcen weiterhin einen Besitzer haben, der nicht nur haftbar ist, sondern auch über einen Wettbewerbsvorteil zur Wiederverwendung der Ressource verfügt.

4.4.3.

Die Nachfrage nach Sekundärrohstoffen muss stärker gefördert werden. Die Kommission hatte in dem Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa ehrgeizigere Maßnahmen angekündigt und wollte bspw. die Einführung von „Mindestanteilen für recycelte Werkstoffe“ bei wichtigen Erzeugnissen prüfen.

4.4.4.

Die Verbesserung der Nutzung von Sekundärrohstoffen bei der Herstellung neuer Produkte könnte auch ein Thema für öffentlich-private Partnerschaften auf EU-Ebene wie die Europäische Innovationspartnerschaft zu Rohstoffen. Einige europäische Sektoren scheinen bereit zu sein, sich auf die Kreislaufwirtschaft einzulassen. Die europäische Papierindustrie hat jüngst angekündigt, die Papierrecyclingquote von derzeit ca. 72 % weiter verbessern zu wollen (36).

4.5.    Schwerpunktbereiche

Der EWSA erachtet die Festlegung von fünf Schwerpunktbereichen als relativ willkürlich. Besonders bemerkenswert ist, dass Wasser nicht als Schwerpunktbereich eingestuft wird.

Kunststoffe

4.5.1.

Der EWSA begrüßt, dass 2017 eine Strategie für Kunststoffe vorgelegt werden soll, und ist bereit, dazu eine ausführliche Stellungnahme zu erarbeiten.

4.5.2.

In dieser Strategie müssen Maßnahmen und Zielvorgaben zur Bekämpfung der Meeresverschmutzung durch Kunststoffe vorgesehen werden. Die im Anhang zum Aktionsplan genannten spezifischen Maßnahmen zur Verringerung von Abfällen im Meer im Rahmen der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele können durch die Festlegung von Mengenzielen in der Kunststoffstrategie untermauert werden.

4.5.3.

Im Zusammenhang mit Kunststoffen wäre auch eine Auseinandersetzung mit den Konzepten Eigentum und erweiterte Herstellerverantwortung angebracht, zumal eine neue geologische Epoche, das Anthropozän, begonnen hat, das vermutlich anhand des Kunststoffgehalts der nun entstehenden geologischen Schichten nachweisbar sein wird.

Lebensmittelverschwendung

4.5.4.

Der EWSA wehrt sich gegen das Argument, dass die Messung der Lebensmittelverschwendung zu kompliziert bzw. die Festlegung eines Ziels in diesem Bereich verfrüht sei. Die Arbeit zur Festlegung von Kriterien für die Messung von Lebensmittelverschwendung ist bereits getan (37).

4.5.5.

Der Verweis auf die Nachhaltigkeitsziele allein reicht nicht aus, um eine Verringerung der Lebensmittelverschwendung zu erreichen. Es braucht Meilensteine mit Zeitvorgaben für die Umsetzung, damit die Fortschritte bis 2030 im Zuge von Zwischenüberprüfungen bewertet werden können.

Kritische Rohstoffe

4.5.6.

Das oftmals angeführte Beispiel Mobiltelefone verdeutlicht die Problematik in Verbindung mit der Rückgewinnung kritischer Rohstoffe. Ein derart allgegenwärtiges Produkt wird ein interessanter Anzeiger für den Erfolg vieler Aspekte des Kreislaufwirtschaftspakets sein, vom Öko-Design über die Obsoleszenz bis zur Rückgewinnung kritischer Rohstoffe.

Bau- und Abbruchabfälle

4.5.7.

„Verfüllung“ als Option muss abgeschafft werden.

4.5.8.

Bestehende Gebäude müssen als die Ressource verwaltet werden, die sie sind, d. h. mit Strategien für Wiederverwendung und Recycling der in ihnen vorhandenen umfassenden Ressourcen.

Weitere Bereiche

4.5.9.

Wasser als Ressource sollte ein wesentlicher Bestandteil der Kreislaufwirtschaft sein (38). Die Nutzung geschlossener Schleifen, die Verringerung von Abfällen und die Beseitigung von Schadstoffen sind grundlegende Aspekte der Wasserbewirtschaftung in einem Kreislaufmodell. Die Verwirklichung dieses Ziels muss im Detail ausgearbeitet werden.

4.6.

Überwachung der Fortschritte auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft

4.6.1.

In ihrem früheren Paket zur Kreislaufwirtschaft (39) hatte die Kommission angekündigt, dass sie die Empfehlungen der Europäischen Plattform für Ressourceneffizienz zu einem Kernziel für Ressourceneffizienz bei der laufenden Bestandsaufnahme zur Europa-2020-Strategie berücksichtigen würde. Auf diese Weise könnte für die Berücksichtigung dieses Aspekts in wichtigen Maßnahmenbereichen gesorgt werden. Die Kommission sollte das Ergebnis ihrer Bewertung veröffentlichen und eine praktikable Messmethode für die Überwachung der Fortschritte der Kreislaufwirtschaft entwickeln.

4.6.2.

Im Rahmen des Europäischen Semesters können über die Ermittlung der investitionspolitischen Herausforderungen der Mitgliedstaaten und die länderspezifischen Empfehlungen die Daten des Jahreswachstumsberichts und andere Quellen genutzt werden, um die Durchführung der Kreislaufwirtschaftsinitiativen und die Entwicklung weg vom gegenwärtigen nicht nachhaltigen linearen Modell zu fördern. Der Prozess des Europäischen Semesters und sein Instrumentarium sollten eingesetzt werden, um die Umsetzung und Förderung der Kreislaufwirtschaft voranzubringen. Das Europäische Semester muss verstärkt umweltorientiert ausgerichtet werden, damit die gesetzten Ziele erreicht werden. Der EWSA fordert eine Bewertung der Abschaffung umweltschädlicher Subventionen und die Aufnahme einer Empfehlung für die Nutzung steuerlicher Möglichkeiten zur Förderung der Kreislaufwirtschaft, wie bspw. Umweltsteuern.

4.6.3.

Die horizontale Kreislaufwirtschaft erfordert die Einrichtung eines sektorübergreifenden Überwachungsgremiums, das zur Aufgabe hätte, die zur Umsetzung des Aktionsplans erforderliche horizontale und vertikale Integration zu überprüfen.

4.6.4.

In Anbetracht des von der Kommission als notwendig erachteten Umfangs des Wandels sollte jeder Mitgliedstaat eine spezifische Kontaktstelle für die Berichterstattung über die Fortschritte benennen.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  SWD(2015) 259 final.

(2)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 99.

(3)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 99. insbesondere Ziffer 5.

(4)  ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 23.

(5)  Siehe beispielsweise das Projekt „EU FUSIONS“ des 7. Forschungsrahmenprogramms: http://www.eu-fusions.org/index.php.

(6)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 99, insbesondere Ziffer 4.

(7)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 1.

(8)  COM(2011) 571 final.

(9)  Beschluss Nr. 1386/2013/EU.

(10)  Ellen MacArthur Foundation, McKinsey, „Growth within: A circular economy vision for a competitive Europe“, S. 32, S. 39; http://www.mckinsey.com/client_service/sustainability/latest_thinking/growth_within_-_a_circular_economy_vision_for_a_competitive_europe.

(11)  Systemische Herausforderungen: siehe Europäische Umweltagentur, „Die Umwelt in Europa: Zustand und Ausblick 2015: Synthesebericht“, S. 141; http://www.eea.europa.eu/soer-2015/synthesis/die-umwelt-in-europa-zustand.

(12)  SWD(2015) 259 final.

(13)  Referenzbeispiele wären u. a.: Ellen MacArthur Foundation, McKinsey, „Growth within“, ebda., S. 34, Tab. 1; ausgewählte Literatur über die makroökonomischen Auswirkungen der Kreislaufwirtschaft, bspw. „Circular Economy & Benefits for Society“, Bericht des Club of Rome, Oktober 2015 (EN); http://www.clubofrome.org/?p=8851.

(14)  http://ec.europa.eu/environment/resource_efficiency/re_platform/index_en.htm.

(15)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 99, Ziffer 1.3.

(16)  COM(2015) 614 final, S. 24.

(17)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 99, Ziffer 4, und ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 91, Ziffern 1.5 und 4.8.

(18)  COM(2014) 446 final.

(19)  Europäisches Parlament, „Leasing Society“, November 2012, Studie abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/etudes/join/2012/492460/IPOL-ENVI_ET%282012%29492460_EN.pdf.

(20)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 99, insbesondere Ziffer 5.

(21)  Richtlinie 2009/125/EG.

(22)  KOM(2011) 571 endgültig, „Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa“, Kapitel 5.

(23)  ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 23. Siehe auch Agentur Sircome, Universität Südbretagne und Universität Südböhmen, „The Influence of Lifespan Labelling on Consumers“, im Auftrag vom EWSA erstellte Studie, März 2016.

(24)  Kapitel 3.1.

(25)  ABl. C 177 vom 11.6.2014, S. 1.

(26)  A8-0215/2015.

(27)  Richtlinie 2008/98/EG, Artikel 4.

(28)  Richtlinie 2008/98/EG, Artikel 9.

(29)  Richtlinie 2008/98/EG, Artikel 29.

(30)  Richtlinie (EU) 2015/720.

(31)  SWD(2015) 259 final.

(32)  SWD(2015) 259 final, S. 13, 15 und 17.

(33)  Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen SWD(2015) 260 final.

(34)  Bericht der Europäischen Umweltagentur zur Kreislaufwirtschaft, Seite 25.

(35)  Richtlinie 2008/98/EG, Artikel 1.

(36)  http://www.cepi.org/pressrelease/CircularEconomyDec2015.

(37)  Siehe beispielsweise das Projekt „EU FUSIONS“ des 7. Forschungsrahmenprogramms: http://www.eu-fusions.org/index.php.

(38)  Europäische Kommission, „The Junction of Health, Environment and the Bioeconomy: Foresight and Implications for European Research & Innovation Policies“, 2015, S. 43.

(39)  COM(2014) 398 final, S. 14.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/110


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang von Waren und Dienstleistungen aus Drittländern zum EU-Binnenmarkt für öffentliche Aufträge und über die Verfahren zur Unterstützung von Verhandlungen über den Zugang von Waren und Dienstleistungen aus der Union zu den Märkten für öffentliche Aufträge von Drittländern“

[COM(2016) 34 final — 2012/0060 (COD)]

(2016/C 264/15)

Berichterstatter:

Mário SOARES

Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament beschlossen am 29. Januar 2016 bzw. 4. Februar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 207 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang von Waren und Dienstleistungen aus Drittländern zum EU-Binnenmarkt für öffentliche Aufträge und über die Verfahren zur Unterstützung von Verhandlungen über den Zugang von Waren und Dienstleistungen aus der Union zu den Märkten für öffentliche Aufträge von Drittländern

[COM(2016) 34 final — 2012/0060 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 19. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April) mit 223 gegen 3 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Europäische Union (EU) hat für eine stärkere Integration und Liberalisierung der öffentlichen Aufträge in der EU im Rahmen der Überprüfung des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement, GPA), in den Handelsverhandlungen mit Drittländern und im Rahmen der von ihr unlängst geschlossenen Handelsabkommen gesorgt. Diese Reformen führten zu einer weiter gehenden Öffnung der Märkte für öffentliche Aufträge in der EU gegenüber den Unternehmen aus Industrie- und Schwellenländern, wobei diese Länder auf diese Öffnung nicht mit einem gleichwertigen Angebot reagiert haben und die Unternehmen aus der EU in den Drittländern weiterhin mit restriktiven und diskriminierenden Maßnahmen konfrontiert sind. Diese Öffnung ist umso notwendiger, weil die öffentliche Auftragsvergabe etwa 20 % des weltweiten BIP ausmacht und weil vor dem Hintergrund der derzeitigen Krise die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur und die Bau- und Lieferaufträge in den Volkswirtschaften der Industrie- und Schwellenländer einer der wesentlichen Hebel für das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren sind.

1.2.

In mehreren seiner Stellungnahmen hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) das Ziel der Europäischen Union unterstützt, die Märkte für öffentliche Aufträge aller Länder stärker für den internationalen Wettbewerb zu öffnen. Der EWSA hat außerdem die Notwendigkeit unterstrichen, die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge, insbesondere für die KMU, zu vereinfachen, aber auch die Grundsätze der Transparenz, des Diskriminierungsverbots und der Gleichbehandlung zu beachten. Er hat zudem mehrfach gefordert, die soziale und ökologische Dimension sowie die Achtung der grundlegenden Menschenrechte und den Verbraucherschutz bei der Durchführung der europäischen Handelspolitik im Einklang mit Artikel 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU gebührend zu stärken, denn in diesem Artikel wird mehr Kohärenz mit den Grundsätzen und Zielen der Union gefordert.

1.3.

Der EWSA kann die Sorgen der Kommission nachvollziehen, die eine größere Öffnung der Märkte für öffentliche Aufträge in Drittländern für Unternehmen aus der EU erreichen möchte, und er ist sich der Hebelwirkung bewusst, die sich aus dem geänderten Vorschlag für eine Verordnung über den Zugang von Waren und Dienstleistungen aus Drittländern zum EU-Binnenmarkt für öffentliche Aufträge ergibt, der Gegenstand dieser Stellungnahme ist.

1.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Vorschlag für eine Verordnung ein erster Schritt zur Gewährleistung einer stärkeren Öffnung der öffentlichen Aufträge sein kann, unter anderem bei den laufenden Verhandlungen im Rahmen der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der EU und den Vereinigten Staaten, wie auch im Rahmen der Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit Japan und im Rahmen der Beitrittsverhandlungen Chinas zum Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen der Welthandelsorganisation (WTO), denn die Märkte für öffentliche Aufträge in diesen Ländern sind weniger offen als die Märkte der Europäischen Union, aber auch gegenüber Staaten wie Russland, Brasilien oder Argentinien, die das GPA nicht unterzeichnet haben.

1.5.

Allerdings ist sich der EWSA der tief greifenden Meinungsverschiedenheiten im Rat und im Europäischen Parlament sowohl in Bezug auf die Relevanz als auch auf die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Verordnung bewusst.

1.6.

Der EWSA betont die absolute Notwendigkeit, einen freien und unverfälschten Wettbewerb mit Unternehmen aus Drittländern im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge zu gewährleisten. Er hegt jedoch Zweifel, ob mit dem jetzt vorliegenden Verordnungsvorschlag das Ziel einer ausgewogenen Öffnung der Märkte für öffentliche Aufträge in den Drittländern erreicht werden kann. Der EWSA ist insbesondere der Auffassung, dass es dem neuen Vorschlag für eine Verordnung an Ehrgeiz fehlt, denn sein Anwendungsbereich ist auf eine reine Preisanpassung für Aufträge mit einem Auftragswert von über 5 Mio. EUR beschränkt, und er merkt an, dass nur bei 7 % aller öffentlichen Aufträge der Auftragswert über 5 Mio. EUR liegt. Weiterhin ist seiner Ansicht nach ein Aufschlag von bis zu 20 % des Preises der betreffenden Angebote nicht ausreichend, und die Höhe des Aufschlags müsste von Fall zu Fall geprüft werden. Der EWSA schlägt vor, Preisanpassungsmaßnahmen bei Aufträgen anzuwenden, deren geschätzter Wert mindestens 2,5 Mio. EUR beträgt.

1.7.

Der EWSA fragt sich ferner, ob das Verbot für die Mitgliedstaaten, über die in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen hinausgehende restriktive Maßnahmen zu verhängen, nicht darauf hinausläuft, dass öffentliche Aufträge unterhalb des Schwellenwerts von 5 Mio. EUR für die Unternehmen von Drittländern de facto und ohne Gegenleistung liberalisiert werden. Der EWSA verweist daher auf die dringende Notwendigkeit einer ausgewogenen und gegenseitigen Öffnung der Vergabe öffentlicher Aufträge zwischen der EU und den Drittländern.

1.8.

Der EWSA bedauert, dass im Verordnungsvorschlag keinerlei Bezug auf das Ziel der nachhaltigen Entwicklung genommen wird, obwohl die Kommission dieses Ziel als ein wichtiges Element in ihre Mitteilung mit dem Titel „Handel für alle“ aufgenommen und wiederholt angekündigt hat, sie wolle die nachhaltige Entwicklung in allen wichtigen Kapiteln der Freihandelsabkommen (Energie, Rohstoffe und öffentliche Auftragsvergabe) berücksichtigen (1).

1.9.

Der EWSA bedauert die Streichung der Artikel 85 und 86 der Richtlinie 2014/25/EU durch die neue Verordnung, denn diese Bestimmungen sind ehrgeiziger und stehen stärker mit dem Ziel der Berücksichtigung der nachhaltigen Entwicklung im Einklang, weil sie auch eine soziale Dimension bezüglich der Schwierigkeiten der Unternehmen aus der EU enthalten, den Zuschlag für öffentliche Aufträge in Drittländern zu erhalten, in denen die internationalen arbeitsrechtlichen Bestimmungen nicht eingehalten werden. Der EWSA ist ferner der Ansicht, dass es sinnvoll wäre, sich eingehender mit einer möglichen Integration einiger ihrer Elemente in den jetzt vorgelegten Verordnungsentwurf zu befassen.

1.10.

Der EWSA ist nämlich der Auffassung, dass in der Verordnung ein ehrgeizigerer Ansatz zur Förderung der Ziele der nachhaltigen Entwicklung, der Achtung der Grundrechte und des Verbraucherschutzes bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in den Drittländern entwickelt werden muss. Nach Ansicht des EWSA können die Verstöße gegen diese Grundregeln sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen auswirken, und er ist der Ansicht, dass die Bestimmung des Begriffs „restriktive Maßnahme oder Praxis“ in Artikel 2 des Vorschlags Fälle von Verstößen gegen diese Grundregeln mit erfassen muss. Der EWSA ist zudem der Ansicht, dass die Kommission in dem Bericht, den sie bis spätestens 31. Dezember 2018 und mindestens alle drei Jahre (Artikel 16 des Vorschlags) vorlegen muss, nicht nur den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer zu den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge in den Drittländern erläutern, sondern auch darlegen muss, inwieweit die Vorschriften in den Bereichen Soziales und Umweltschutz bei der Vergabe der Aufträge in den Drittländern eingehalten sowie die grundlegenden Menschenrechte gewahrt und die Verbraucher geschützt werden; die Berichte der Kommission über die Durchführung der Verordnung müssen dem ebenfalls gebührend Rechnung tragen.

1.11.

Der EWSA fordert, dass in dem vorliegenden Vorschlag für eine Verordnung erneut auf die Notwendigkeit hingewiesen wird, dass die an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge innerhalb der EU teilnehmenden Unternehmen aus Drittländern die Bestimmungen zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung und zur Stärkung der sozialen und ökologischen Dimension sowie die grundlegenden Menschenrechte, die Bestimmungen des Verbraucherschutzes und zur sozialen und beruflichen Eingliederung oder Wiedereingliederung von Menschen mit Behinderungen einhalten müssen, die in den Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU über das öffentliche Beschaffungswesen verankert sind. Die Einhaltung dieser Bestimmungen ist entscheidend für einen freien und unverfälschten Wettbewerb auf dem Binnenmarkt.

1.12.

Der EWSA begrüßt ausdrücklich, dass die Verordnung nicht auf die am wenigsten entwickelten Länder und die am stärksten gefährdeten Länder laut APS-Verordnung (2) angewandt werden soll, doch weist er die Kommission darauf hin, dass weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Teilnahme der am wenigsten entwickelten Länder und der am stärksten gefährdeten Länder an den Ausschreibungen öffentlicher Aufträge in der EU zu fördern.

1.13.

Der EWSA begrüßt zudem, dass die Verordnung nicht auf die in der EU niedergelassenen KMU angewandt wird. Gleichwohl möchte er die Kommission darauf hinweisen, dass die KMU besondere Unterstützung benötigen, sowohl für den Zugang zu den „grenzüberschreitenden“ Aufträgen in der EU als auch für den Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den Drittländern.

2.   Hintergrund

2.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wurde sowohl von der Europäischen Kommission als auch vom Europäischen Parlament um Stellungnahme zu dem geänderten „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang von Waren und Dienstleistungen aus Drittländern zum EU-Binnenmarkt für öffentliche Aufträge und über die Verfahren zur Unterstützung von Verhandlungen über den Zugang von Waren und Dienstleistungen aus der Union zu den Märkten für öffentliche Aufträge von Drittländern“ ersucht.

2.2.

Die Ausgaben für öffentliche Aufträge werden in der Regel auf etwa 20 % des weltweiten BIP geschätzt. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Krise sind die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur und die Bau- und Lieferaufträge in den Volkswirtschaften der Industrie- und Schwellenländer voraussichtlich einer der wesentlichen Hebel für das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren.

2.3.

Die EU hat schrittweise für eine Integration ihrer Märkte für öffentliche Aufträge gesorgt und sie durch eine weiter gehende Liberalisierung der europäischen Märkte für öffentliche Aufträge im Rahmen der Überprüfung des im April 2014 in Kraft getretenen Übereinkommens der WTO über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement, GPA) sowie in den Handelsverhandlungen mit Drittländern geöffnet (vor allem im Rahmen der von der Europäischen Union unlängst geschlossenen Handelsabkommen — beispielsweise die Abkommen EU–Korea, EU–Zentralamerika und EU–Kolumbien und Peru, EU–Moldawien, EU–Georgien, EU–Ukraine).

2.4.

Allerdings stoßen Unternehmen aus der EU in den Drittländern immer noch auf restriktive und diskriminierende Praktiken. Diese Praktiken sind auf mehrere Faktoren zurückzuführen:

Einige andere Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (unterzeichnet von 43 Mitgliedern der WTO) sind nicht so weitgehende Verpflichtungen eingegangen wie die EU. So hat die EU 80 % ihrer Märkte für öffentliche Aufträge geöffnet, während die anderen Industriestaaten nur 20 % geöffnet haben. Die EU hat ihre Märkte für öffentliche Aufträge in einem Gesamtvolumen von rund 352 Mrd. EUR für Bieter aus den Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) geöffnet, während die Beschaffungsmärkte weltweit zu über 50 % ihres Wertes geschlossen sind, was dazu führt, dass nur Ausfuhren in einem Wert von 10 Mrd. EUR aus der Union realisiert werden und dass sich der Verlust bei den Ausfuhren auf geschätzte 12 Mrd. EUR beläuft.

China verhandelt noch über seinen Beitritt zu dem Übereinkommen, obwohl sich das Land bereits bei seinem Beitritt zur WTO im Jahr 2001 dazu verpflichtet hat, dem Übereinkommen beizutreten. Russland verpflichtete sich ebenfalls, die Verhandlungen über einen Beitritt zum Übereinkommen innerhalb von vier Jahren nach seinem Beitritt zur WTO im Jahr 2012 aufzunehmen. Die Integration Russlands in das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen könnte noch mehr Zeit erfordern als die Chinas;

Eine Reihe gewichtiger Akteure, die Mitglieder der G20 sind (Brasilien, Indien, Argentinien), wollen dem GPA nicht beitreten, und die bilateralen Verhandlungen mit diesen Ländern werden wohl kaum in Kürze zum Abschluss gebracht werden.

2.5.

Außerdem ist zu beachten, dass viele Handelspartner der Europäischen Union Präferenzen für inländische Hersteller oder Erzeugnisse bzw. Präferenzen zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen beibehalten (z. B. im Rahmen des Gesetzes „Buy American Act“ in den USA, der „Buy Chinese“-Politik in China, der gesetzlich vorgeschriebenen Präferenzspannen in Brasilien und der nationalen Präferenzen auf regionaler Ebene in Australien), was de facto die Unternehmen der Europäischen Union von einer Bewerbung um diese öffentlichen Aufträge ausschließt (3).

2.6.

Bei den in Drittländern zum Wettbewerb ausgeschriebenen öffentlichen Aufträgen werden die europäischen Unternehmen häufig an einer wirksamen Teilnahme an den öffentlichen Ausschreibungen gehindert — durch komplexere und technisch problematischere Hindernisse „hinter den Grenzen“ (wie verschiedene Vorschriften über Zertifizierung und Standardisierung, Genehmigungsverfahren, intransparente oder diskriminierende Verfahren usw.); diese festzustellen, zu analysieren und aus dem Weg zu räumen ist langwieriger, und die Vorschriften und Verfahren werden restriktiv gehandhabt. Darauf hat der EWSA bereits in einer früheren Stellungnahme hingewiesen.

2.7.

Vor diesem schwierigen Hintergrund — es gibt keinen Hebel, mit dem eine erhebliche Öffnung der Beschaffungsmärkte in Drittländern erreicht werden könnte — versucht die Europäische Union seit mehreren Jahren, ein Instrument zu schaffen, mit dem Beschränkungen eingeführt werden könnten, wenn es keine Gegenseitigkeit gibt oder seitens der Drittstaaten restriktive und diskriminierende Maßnahmen gegen europäische Unternehmen ergriffen werden.

2.8.

Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die EU über die Möglichkeit verfügt und bislang schon verfügt hat, den Zugang zu öffentlichen Aufträgen in der EU für die Unternehmen der Länder zu beschränken, die keine Gleichbehandlung mit der Behandlung gewähren, die Unternehmen aus diesen Ländern in der Europäischen Union bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste erhalten. Allerdings hat die EU von dieser Möglichkeit nie Gebrauch gemacht. So ist in der Richtlinie 2004/17/EG in der durch die Richtlinie 2014/25/EU geänderten Fassung (in Kraft getreten am 18. April 2016) vorgesehen, dass Angebote abgelehnt werden können, die mehr als 50 % Erzeugnisse mit Ursprung in einem Drittland enthalten, mit dem die Union keine internationalen Übereinkünfte geschlossen hat (Artikel 58), und dass die Kommission dem Rat vorschlagen kann (Artikel 59), während eines bestimmten Zeitraums den Zugang zu öffentlichen Aufträgen in der Europäischen Union für die Unternehmen aus Ländern einzuschränken oder auszusetzen, die nicht dieselbe Behandlung gewähren, die die Unternehmen dieser Länder in der EU erhalten, bzw. für die Unternehmen der Länder, in denen die Probleme dieser Art auf den Verstoß gegen die Vorschriften des internationalen Arbeitsrechts zurückzuführen sind. Diese Bestimmungen wurden in die Artikel 85 und 86 der Richtlinie 2014/25/EU übernommen.

2.9.

Die Richtlinie 2004/18/EG wiederum, die allgemeine Richtlinie über die öffentlichen Aufträge (in der durch die Richtlinie 2014/24/EU geänderten Fassung), enthält keine vergleichbaren Bestimmungen; daher wurden und werden in den einzelnen Ländern weiterhin ausländische Bieter bzw. Angebote, die Erzeugnisse oder Dienstleistungen mit Ursprung in einem Drittland enthalten, unterschiedlich behandelt. In einigen Mitgliedstaaten gab es eine Gleichbehandlung, in anderen Mitgliedstaaten hingegen war dies von den internationalen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen der WTO bzw. von bilateralen Abkommen abhängig.

2.10.

Um den Mangel fehlender Bestimmungen in der allgemeinen Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu beheben und wegen der Tatsache, dass einige Drittländer ihre Beschaffungsmärkte für den internationalen Wettbewerb nicht öffnen wollen, aber von einem relativ leichten Zugang zum europäischen Markt profitieren, hat die Kommission im Jahr 2012 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines gewissen Maßes an Gegenseitigkeit beim Zugang zu öffentlichen Aufträgen vorgelegt.

2.11.

In dem ersten Vorschlag der Kommission von 2012 wurde zunächst der allgemeine Grundsatz in Erinnerung gerufen, dass Waren und Dienstleistungen, die Verpflichtungen der EU hinsichtlich des Marktzugangs unterliegen, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auf dem Binnenmarkt der EU genauso behandelt werden müssen wie Waren und Dienstleistungen aus der EU. Diesen Grundsatz weitete die Kommission zudem auf Waren und Dienstleistungen aus den am wenigsten entwickelten Ländern aus.

Für die Waren und Dienstleistungen, die keinen Verpflichtungen hinsichtlich des Marktzugangs unterliegen, basierte der Vorschlag auf zwei Säulen:

Das dezentralisierte Verfahren (Artikel 6), bei dem es einer Vergabestelle gestattet war, der Kommission ihre Absicht einer Ablehnung bestimmter Angebote mitzuteilen, bei denen der Wert der nicht internationalen Verpflichtungen unterliegenden Waren und Dienstleistungen 50 % des Gesamtwerts der Waren und Dienstleistungen im jeweiligen Angebot überschreitet. Die Kommission konnte die Ablehnung genehmigen, wenn ein erheblicher Mangel an Gegenseitigkeit zwischen der EU und dem Land vorliegt, aus dem die Waren bzw. Dienstleistungen stammen. Sie hätte den Ausschluss des Angebots außerdem genehmigen können, wenn für die betreffenden Waren und Dienstleistungen in einem internationalen Übereinkommen ein Marktvorbehalt der EU festgelegt wurde.

Das zentralisierte Verfahren (Artikel 8 bis 13), wonach die Kommission eine Untersuchung einleiten konnte. Diese Untersuchung konnte von der Kommission von Amts wegen oder auf Antrag eines Mitgliedstaats oder einer interessierten Partei eingeleitet werden, um zu prüfen, ob es in Drittländern wettbewerbsbeschränkende Praktiken bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gibt. Die Kommission konnte mit dem betreffenden Land Anhörungen zur Lösung dieses Problems und zur Verbesserung der Bedingungen für den Zugang von Unternehmen aus der EU zum Markt dieses Landes durchführen oder, im Falle eines Scheiterns, vorübergehend restriktive Maßnahmen verhängen. Diese restriktiven Maßnahmen konnten grundsätzlich darin bestehen, bestimmte Angebote auszuschließen, die zu über 50 % Waren oder Dienstleistungen aus dem betreffenden Land enthalten, oder die Waren oder Dienstleistungen mit Ursprung in dem betreffenden Drittland mit einer Geldstrafe zu belegen. Die Kommission musste ihre Untersuchung in einem Zeitraum von neun Monaten abgeschlossen haben. Diese Frist konnte in begründeten Fällen um drei Monate verlängert werden.

2.12.

Das Parlament nahm seinen Bericht im Jahr 2014 (4) an und äußerte einen gewissen Widerstand gegen das dezentralisierte Verfahren. Nach Auffassung des Parlaments darf nur die Kommission — und nicht kommunale Behörden — über den Ausschluss eines Angebots entscheiden, weil der internationale Handelsverkehr eine ausschließliche Zuständigkeit der EU ist. Es hat daher vorgeschlagen, das dezentralisierte Verfahren in das zentralisierte Verfahren zu integrieren. Zudem wurden weitere Einwände vorgetragen wie die fehlende Gegenseitigkeit hinsichtlich der Einhaltung der Sozial- und Umweltnormen und der grundlegenden Normen der IAO sowie das Fehlen einer Begriffsbestimmung für die „substanzielle Reziprozität“; außerdem schlägt das Parlament die Vermutung einer fehlenden Gegenseitigkeit im Falle eines Verstoßes gegen Vorschriften des internationalen Arbeitsrechts vor. Das Parlament ist ferner besorgt darüber, dass mit der Verordnung nicht die europäischen Umwelt- und Sozialstandards geschützt wurden.

2.13.

Die erste Lesung hat im Rat nicht zu einer Entscheidung geführt. 15 Mitgliedstaaten billigten den Vorschlag nicht wirklich und bildeten eine Sperrminorität. Die wichtigsten davon waren Deutschland, Großbritannien, die Niederlande und Schweden sowie bestimmte osteuropäische Länder. Sie haben die Befürchtung geäußert, ein solches Instrument werde weltweit als protektionistisch empfunden. Die den Vorschlag unterstützenden Länder, angeführt von Frankreich, konnten im Jahr 2014 eine fachliche Debatte einleiten, und es bestand die Hoffnung auf einen Konsens (während des italienischen Ratsvorsitzes im zweiten Halbjahr 2014). Leider wurde dieser Konsens nicht erzielt, weshalb die Kommission im Januar einen geänderten Vorschlag (5) in der Hoffnung annahm, die Blockade im Rat aufzuheben.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die Kommission legt einen neuen Vorschlag vor, um bestimmte negative Auswirkungen des vorhergehenden Vorschlags zu beseitigen. In dem neuen Vorschlag streicht die Kommission das dezentralisierte Verfahren, das kritisiert wurde, weil es einen erheblichen Verwaltungsaufwand verursachte und zu einem gewissen Grade eine Zersplitterung des Binnenmarkts förderte. Sie streicht auch die Möglichkeit der vollständigen Abschottung des europäischen Marktes, behält jedoch die Möglichkeit bei, Angebote, die zu über 50 % Waren und Dienstleistungen aus Ländern enthalten, die restriktive oder diskriminierende Maßnahmen anwenden, nach einer Untersuchung der Kommission mit Geldstrafen in Höhe von 20 % zu belegen. Diese Preisanpassungsmaßnahme gilt ausschließlich für Aufträge ab einem geschätzten Wert von 5 Mio. EUR, wodurch nach Ansicht der Kommission das Risiko von Vergeltungsmaßnahmen seitens der Drittländer verringert würde. Ferner ist in dem Vorschlag vorgesehen, dass die Preisanpassungsmaßnahme weder für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) der EU noch bei Bietern oder Waren mit Ursprung in den am wenigsten entwickelten und den am stärksten gefährdeten Entwicklungsländern im Sinne der Verordnung über das Allgemeine Präferenzsystem (APS) zur Anwendung kommt.

3.2.

Bei verschiedenen Gelegenheiten hat der EWSA das Ziel der EU unterstützt, die eine weitere Öffnung der Märkte für öffentliche Aufträge aller Länder für den internationalen Wettbewerb anstrebt; er hat zudem aber auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Grundsätze der Vereinfachung der Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen, der Transparenz, des Diskriminierungsverbots, der Gleichbehandlung, der Verantwortung für soziale und ökologische Belange sowie die Achtung der Grundrechte durchzusetzen (6).

3.3.

Der EWSA kann die Sorgen der Kommission nachvollziehen, die eine größere Öffnung der Märkte für öffentliche Aufträge in Drittländern für Unternehmen aus der EU erreichen möchte. Der EWSA teilt zudem die Auffassung, dass der Vorschlag für eine solche Verordnung ein erster Schritt bei den Verhandlungen über das öffentliche Beschaffungswesen im Rahmen der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der EU und den Vereinigten Staaten wie auch im Rahmen der Handelsverhandlungen mit Japan und im Rahmen der Verhandlungen mit China über den Beitritt zum GPA sein kann, denn die Märkte für öffentliche Aufträge in diesen Ländern sind weniger offen als die Märkte der Europäischen Union, aber auch gegenüber Staaten wie Russland, Brasilien oder Argentinien, die das GPA nicht unterzeichnet haben.

3.4.

Der EWSA hegt jedoch Zweifel, ob nach der Annahme der Verordnung das Ziel einer Öffnung der Märkte für öffentliche Aufträge in den Drittländern erreicht werden kann. Der EWSA ist der Auffassung, dass es dem neuen Vorschlag für eine Verordnung an Ehrgeiz fehlt, denn sein Anwendungsbereich bleibt begrenzt; die Auswirkung auf die Öffnung der Märkte für öffentliche Aufträge in Drittländern ist mehr als ungewiss und könnte zudem nur sehr begrenzt wirksam werden.

3.5.

Die Kommission gibt selbst an, dass nur bei 7 % aller bekannt gegebenen Aufträge der Auftragswert über 5 Mio. EUR liegt. Diese Aufträge machen wertmäßig aber immerhin 61 % der in der EU bekannt gegebenen Aufträge aus. Da jedoch die Verordnung nur für Aufträge gilt, die nicht unter die von der Europäischen Union eingegangenen internationalen Verpflichtungen fallen, wäre die Frage zu stellen, welcher Anteil der öffentlichen Aufträge abgedeckt werden soll, insbesondere nach einem eventuellen Beitritt Chinas zum GPA und nach einem etwaigen Abschluss der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten und Japan. Es besteht die Gefahr, dass die Anwendung auf eine sehr geringe Zahl der Aufträge und einige wenige Länder beschränkt bliebe, und das könnte den Nutzen der Verordnung erheblich verringern. Der EWSA schlägt vor, Preisanpassungsmaßnahmen bei Aufträgen anzuwenden, deren geschätzter Wert mindestens 2,5 Mio. EUR beträgt.

3.6.

Bedauerlich ist zudem, dass in dem Vorschlag für eine Verordnung keinerlei Bezug auf die nachhaltige Entwicklung genommen wird, obwohl diese von der Kommission in ihrer Mitteilung mit dem Titel „Handel für alle“ hervorgehoben wird, wenn sie sagt, sie wolle „Erwägungen zur nachhaltigen Entwicklung in allen maßgeblichen Bereichen von Freihandelsabkommen (zum Beispiel bei den Themen Energie, Rohstoffe oder öffentliches Beschaffungswesen) berücksichtigen“ (7). Die soziale und ökologische Dimension sowie die Achtung der grundlegenden Menschenrechte und der Verbraucherschutz müssen bei der Durchführung der europäischen Handelspolitik im Einklang mit Artikel 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU gebührend gestärkt werden, denn in diesem Artikel wird mehr Kohärenz mit den Grundsätzen und Zielen der Union gefordert.

3.7.

Die neuen Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen dienen der Förderung der Einhaltung der nachhaltigen Entwicklung und der Stärkung der sozialen und ökologischen Dimension sowie der Wahrung der Menschenrechte, dem Verbraucherschutz und der sozialen und beruflichen Eingliederung oder Wiedereingliederung von Personen mit Behinderungen. Die Einhaltung dieser Bestimmungen ist entscheidend für einen freien und unverfälschten Wettbewerb auf dem Binnenmarkt. Der EWSA ist der Ansicht, dass es nützlich wäre, in dem vorliegenden Vorschlag für eine Verordnung darauf hinzuweisen, dass die Unternehmen aus Drittländern, die an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge innerhalb der EU teilnehmen, diese Vorschriften einhalten müssen.

3.8.

Die Kommission spricht in der Tat von „restriktiven Maßnahmen oder Praktiken“, doch findet sich kein Verweis auf die Schwierigkeit, den Zuschlag für öffentliche Aufträge in den Drittländern zu erhalten, wenn Mitbewerber gegen die grundlegenden Sozial- und Umweltschutzvorschriften verstoßen und die grundlegenden Menschenrechte nicht achten sowie die Verbraucher nicht schützen. Nach Ansicht des EWSA können die Verstöße gegen diese Grundregeln sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen auswirken, und er ist der Ansicht, dass die Bestimmung des Begriffs „restriktive Maßnahme oder Praxis“ in Artikel 2 des Vorschlags Fälle von Verstößen gegen diese Grundregeln mit erfassen muss. Der EWSA ist zudem der Ansicht, dass die Kommission in dem Bericht, den sie bis spätestens 31. Dezember 2018 und mindestens alle drei Jahre (Artikel 16 des Vorschlags) vorlegen muss, nicht nur den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer zu den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge in den Drittländern erläutern, sondern auch darlegen muss, inwieweit die Vorschriften in den Bereichen Soziales und Umweltschutz bei der Vergabe der Aufträge in den Drittländern eingehalten sowie die grundlegenden Menschenrechte gewahrt und die Verbraucher geschützt werden; die Berichte der Kommission über die Durchführung der Verordnung müssen dem ebenfalls gebührend Rechnung tragen.

3.9.

Der Erfolg dieser neuen Verordnung darf angezweifelt werden angesichts der im Ministerrat zu verzeichnenden Uneinigkeit, die zur Blockade der Verordnung geführt hat. Der Wegfall des dezentralisierten Verfahrens könnte zu einer erneuten Blockade führen, vor allem in Anbetracht aller übrigen Änderungen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt die Klarstellung in Artikel 1 Absatz 5 des Vorschlags für eine Verordnung, wonach die Mitgliedstaaten gegenüber Wirtschaftsteilnehmern, Waren und Dienstleistungen aus Drittländern keine über die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen hinausgehenden restriktiven Maßnahmen anwenden dürfen. Dies hat den Vorteil einer größeren Einheitlichkeit bei der Anwendung der europäischen Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge auf ausländische Unternehmen. Der EWSA fragt sich jedoch, ob dieses Verbot nicht darauf hinausläuft, dass öffentliche Aufträge in der EU unterhalb des Schwellenwerts von 5 Mio. EUR für die Unternehmen aus Drittländern de facto und ohne Gegenleistung liberalisiert werden. Denn derzeit wenden einige Mitgliedstaaten Beschränkungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge an, die nicht von internationalen Verpflichtungen erfasst sind, und in Artikel 85 der Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste ist ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen, Angebote abzulehnen, bei denen mehr als 50 % der Erzeugnisse ihren Ursprung in den Ländern haben, mit denen die EU keine internationalen Übereinkünfte geschlossen hat. Dieser Artikel wird in der vorgeschlagenen Verordnung gestrichen.

4.2.

Der EWSA befürwortet voll und ganz, dass die Verordnung nicht auf die am wenigsten entwickelten Länder und die am stärksten gefährdeten Länder laut APS-Verordnung (Artikel 4) angewandt wird; damit diese Ausnahme wirksam wird und den am wenigsten entwickelten Ländern und ihren Unternehmen zugutekommt, fordert er die Kommission auf, Erläuterungen über die öffentlichen Aufträge in der Europäischen Union und einen Link zu den Bekanntmachungen im Amtsblatt (TED) in die Export-Helpdesk-Datei für Entwicklungsländer aufzunehmen, damit die erforderliche technische Hilfe denjenigen Unternehmen in den Entwicklungsländern zugutekommt, die Informationen über die Anwendung der Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe in der EU erhalten möchten.

4.3.

Der EWSA begrüßt zudem, dass die Verordnung nicht auf die in der EU niedergelassenen KMU angewandt wird (Artikel 5). Gleichwohl möchte er die Kommission darauf hinweisen, dass die KMU besondere Unterstützung benötigen, sowohl für den Zugang zu den „grenzüberschreitenden“ Aufträgen in der EU als auch für den Zugang zu öffentlichen Aufträgen in Drittländern. Dieses Vorgehen steht im Einklang mit der besonderen Beachtung, die den KMU in der Mitteilung der Kommission „Handel für alle“ geschenkt wird. Insbesondere im Rahmen des KMU-Kapitels der TTIP, aber auch in künftigen Handelsabkommen mit Kapiteln dieser Art sollte ein Ziel der Verbesserung des Zugangs der KMU zu öffentlichen Aufträgen verankert werden. Der EWSA hat sich bereits gegen die Festsetzung von Quoten für KMU bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nach dem Vorbild des Small Business Act in den USA ausgesprochen; er plädiert jedoch für eine gezielte Politik zur Unterstützung der Teilnahme von KMU, damit sie Zugang zu einer größeren Zahl öffentlicher Aufträge erhalten (8). Der EWSA hat auch bereits darauf hingewiesen, dass die Datenbank mit Angaben über die Aufträge der Kommission (Marktzugangsdatenbank) verbessert werden muss, damit zum einen zuverlässige und leicht zugängliche Informationen über Ausschreibungen, über Formalitäten und technische Spezifikationen in Leistungsbeschreibungen aufgenommen werden, die die Teilnahme in Drittländern tatsächlich verhindern, und damit sie andererseits statistische Grundlagen und Indikatoren zur Bewertung der Auswirkungen von Wettbewerbsverzerrungen liefern kann (9).

4.4.

Der EWSA kann die Sorgen der Kommission der Kommission in Bezug auf das Fehlen eines Rechtsinstruments zur Gewährleistung eines tatsächlichen Zugangs der Unternehmen der EU zu öffentlichen Aufträgen der Drittländer nachvollziehen, da die Verordnung (EU) Nr. 654/2014 über die Ausübung der Rechte der Union in Bezug auf die Anwendung und die Durchsetzung internationaler Handelsregeln in Ermangelung eines internationalen Übereinkommens nicht anwendbar ist. Allerdings scheint das in den Artikeln 6 bis 8 der Verordnung vorgesehene Untersuchungsverfahren besonders schleppend und wirkungslos angelegt zu sein. Der EWSA hat zum einen Zweifel hinsichtlich des weiten Ermessensspielraums, der der Kommission bei der Entscheidung überlassen bleibt, ob eine Untersuchung durchgeführt wird. Das gilt auch für die Dauer der Untersuchung: im Gegensatz zu der Behauptung der Kommission wurde die Dauer nicht verkürzt und liegt weiterhin bei insgesamt möglichen zwölf Monaten. Dies scheint besonders lange, weil die Kommission in vielen Fällen und vor allem in den Fällen, in denen sie die Untersuchung aus eigener Initiative einleitet, bereits über eine Reihe Anhaltspunkte verfügt und dieses Thema häufig bereits im laufenden Dialog mit den Drittländern angesprochen hat. Der EWSA hat zugleich Verständnis dafür, dass eine Untersuchung während möglicherweise laufender Handelsverhandlungen ausgesetzt wird. Angesichts der Dauer der Handelsverhandlungen und der für ihre Umsetzung benötigten Zeit ist es seines Erachtens jedoch wünschenswert, eine Frist von höchstens zwei Jahren für die Aussetzung festzulegen.

4.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Vorlage nicht ausreicht und die Verordnung ihrer Wirksamkeit beraubt wird, weil die Untersuchung nur zu einer Anpassung des Preises um 20 % für Aufträge mit einem Wert über 5 Mio. EUR führen könnte, wobei für diese Bestimmung noch eine große Zahl von Ausnahmen vorgesehen ist.

4.6.

Der EWSA bedauert die Streichung der Artikel 85 und 86 der Richtlinie 2014/25/EU durch die neue Verordnung, denn diese Bestimmungen sind ehrgeiziger und stehen stärker mit dem Ziel der Berücksichtigung der nachhaltigen Entwicklung im Einklang, weil sie auch eine soziale und ökologische Dimension enthalten. Der EWSA ist ferner der Ansicht, dass es sinnvoll wäre, sich eingehender mit einer möglichen Integration einiger ihrer Elemente in den jetzt vorgelegten Verordnungsentwurf zu befassen.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Siehe COM(2015) 497 final.

(2)  Verordnung (EU) Nr. 978/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates.

(3)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Staatsunternehmen aus Drittländern auf den öffentlichen Beschaffungsmärkten der EU“ (ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 31).

(4)  P7_TA (2014)0027.

(5)  COM(2016) 34 final.

(6)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses über das Thema „Internationale Beschaffungsmärkte“, verabschiedet am 28. Mai 2008, Berichterstatter Henri Malosse (ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 32), und Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Staatsunternehmen aus Drittländern auf den öffentlichen Beschaffungsmärkten der EU“ (ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 31).

(7)  Siehe Fußnote 1.

(8)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Internationale Beschaffungsmärkte“, verabschiedet am 28. Mai 2008, Berichterstatter: Henri Malosse (ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 32).

(9)  Siehe Fußnote 3.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/117


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Bericht zur Lage der Energieunion 2015

[COM(2015) 572 final]

(2016/C 264/16)

Berichterstatter:

Stéphane BUFFETAUT

Die Europäische Kommission beschloss am 18. Januar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 194 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Bericht zur Lage der Energieunion 2015

[COM(2015) 572 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 28. April) mit 137 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Rahmenstrategie für eine Energieunion wurde im Februar 2015 vorgelegt. Diese Energieunion wird nun 2016 konkrete Form annehmen. Die Idee geht auf die in verschiedenen Think Tanks bzw. von eminenten europäischen Persönlichkeiten angestellten Überlegungen zum Konzept einer Europäischen Energiegemeinschaft zurück, ein insbesondere vom Institut Jacques Delors und von Jerzy Buzek unterstütztes Projekt. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat diese Initiative von Beginn an ausdrücklich gefördert.

1.2

Einige Mitgliedstaaten standen diesem Konzept sehr skeptisch gegenüber, da seine Umsetzung eine Überarbeitung der Verträge bedingt hätte, die in Zeiten großer Euroskepsis ein sehr gewagtes Vorhaben gewesen wäre. Die Idee einer besseren Koordinierung der Energiepolitik, die Notwendigkeit einer wirksamen Energiediplomatie, das Erfordernis der Bekämpfung des Klimawandels, die zunehmende Energieabhängigkeit der EU, die notwendige Verringerung der Anfälligkeit für Druck von außen auf die Energieversorgung, die Verwirklichung der Energiewende und die soziale Abfederung ihrer Folgen für die betroffenen Sektoren sprachen allerdings eindeutig für eine Initiative auf europäischer Ebene. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee einer Energieunion als institutionelle Lightversion, die auf Wirksamkeit durch konkrete Annäherungen und langfristige Verpflichtungen abzielt.

1.3

Der EWSA hat die Überlegungen über eine Europäische Energieunion bzw. zumindest eine bessere Koordinierung der Energiepolitik (1), die Energiediplomatie und die Energiewende schon sehr früh unterstützt und dabei auf die umfassende Einbeziehung der Zivilgesellschaft gepocht, die direkt betroffen ist, und zwar nicht nur als Verbraucher, sondern auch als Akteur der Energiewende, die ohne Einbindung bzw. Mitwirkung der Zivilgesellschaft nicht bewerkstelligt werden kann, und als künftig in noch größerem Maße als heute Erzeuger dezentraler Energie.

1.4

In der Mitteilung der Kommission soll eine erste Bilanz der neun Monate seit Einrichtung der Energieunion gezogen werden. Angesichts der Bedeutung der Herausforderungen und des Umfangs der notwendigen Veränderungen kann eine derartige Bestandsaufnahme natürlich nur eine Momentaufnahme und nicht wirklich aussagekräftig sein. Daher sollten die ersten Ergebnisse mit Vorsicht beurteilt werden, da sie erst am Anfang einer Politik stehen, die unermüdlich auf lange Sicht in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss.

1.5

Der Rahmen für die Umsetzung dieser Politik ist bekannt: im Rahmen der COP 21 eingegangene Verpflichtungen, starke geopolitische Unsicherheit im Energiebereich, europäische Klima- und Energieziele, Versorgungssicherheit, Energieeffizienz, Dekarbonisierung der europäischen Volkswirtschaften, Infrastrukturauf- und -ausbau und Vollendung des Energiebinnenmarkts. Die politischen Herausforderungen sind enorm und können nicht einfach nur auf verwaltungstechnische und regulatorische Weise gelöst werden. Es bedarf eines entschiedenen politischen Willens und einer starken, aber realistischen gemeinsamen Vision aller Mitgliedstaaten, die den wirtschaftlichen Tatsachen und den verfügbaren technischen Möglichkeiten Rechnung trägt und in der Realität verankert ist.

1.6

Der EWSA begrüßt diesen ersten Bericht über die Lage der Energieunion 2015, bedauert jedoch einige Mankos in dem tabellarischen Fahrplan für die Verwirklichung dieser Initiative. Ihre Behebung würde zum einen das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Konzept stärken und zum anderen die Zustimmung der Zivilgesellschaft zu dieser Initiative erhöhen, die eine mit Unwägbarkeiten behaftete Energiewende beinhaltet.

1.7

Der EWSA erachtet die von der Europäischen Kommission in ihrer Analyse unterstrichenen wichtigen Punkte für relevant, allerdings sollten sie ergänzt werden. Dies gilt in der derzeitigen Fassung für folgende Punkte:

Umstellung auf eine Wirtschaft mit geringen CO2-Emissionen;

Energieeffizienz als Beitrag zur Senkung des Energiebedarfs;

ein vollständig integrierter Energiebinnenmarkt;

Sicherheit der Energieversorgung, Solidarität und Vertrauen;

Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit;

Verwirklichung der Energieunion.

Nach Meinung des EWSA wird die soziale Dimension der Energieunion nicht deutlich genug herausgestrichen. Dieser Aspekt sollte Teil der Bewertungskriterien für die Energieunion sein. Einerseits sollte die Energieunion eine positive Wirkung auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovation haben, andererseits könnte sie bestimmte Sektoren auch beeinträchtigen; hier sind soziale Begleitmaßnahmen und Bildungsinitiativen notwendig. Die Begleitmaßnahmen müssen Präventivmaßnahmen sein, um die Entlassung der betroffenen Arbeitskräfte zu vermeiden; die Bildungsinitiativen müssen auf die künftigen Entwicklungen des Energiesektors abgestimmt werden. Es wäre sinnvoll, die soziale Dimension im nächsten Jahresbericht in die Bewertungskriterien aufzunehmen. Außerdem müssen die wirtschaftlichen Folgen der Entscheidungen in Verbindung mit der Energiewende beleuchtet werden, zumal die sozialen Auswirkungen eng an die wirtschaftlichen Folgen dieser Entscheidungen gekoppelt sind.

1.8

Energieeffizienz ist der Europäischen Kommission zufolge als eigenständige Energiequelle zu betrachten. Der EWSA mahnt eindringlich, diese Formulierung zu streichen, da sie irreführend und wissenschaftlich ungenau ist, denn keine primäre Energiequelle kann durch Energieeinsparungen „ersetzt“ werden. Dies tut indes der Tatsache keinen Abbruch, dass die Energieeffizienz sehr wichtig für die Zukunft des europäischen Energiesystems ist. Die Erhöhung der Energieeffizienz in allen Energienutzungsbereichen kann erheblich dazu beitragen, die Kosten für die europäische Wirtschaft zu senken.

1.9

Der EWSA empfiehlt, neben den Sozialpartnern auch die Zivilgesellschaft in die Erstellung des Jahresberichts einzubeziehen. Verbraucherschutzverbände, repräsentative Familienverbände, Wirtschaftsvertreter, Landwirte, Umweltorganisationen, Wissenschaft und Forschung, kurz gesagt, die Zivilgesellschaft, haben ein großes Interesse an dieser europäischen Initiative. Daher fordert der EWSA die Einrichtung eines europäischen Energiedialogs, um die Zivilgesellschaft besser an den Überlegungen zur europäischen Energiepolitik und ihrer Umsetzung teilhaben zu lassen. Dieser Dialog könnte in Verbindung mit dem Jahresbericht über den Stand der Energieunion stattfinden und grundlegende Punkte für die Verwirklichung dieser Energieunion behandeln.

1.10

Zu den statistischen Daten merkt der EWSA an, dass einige nicht mehr aktuell sind oder gar fehlen. Es gilt, Anstrengungen zu unternehmen, um aktuellere Daten von den Mitgliedstaaten einzuholen, andernfalls wird sich eine Überwachung der Folgen der Verwirklichung der Energieunion schwierig gestalten.

1.11

Der EWSA betont, dass die Energieunion nicht auf die Verwaltungsverfahren für Überwachung und Berichterstattung reduziert werden kann. Sie sind nur nützliche und notwendige Instrumente einer Politik, deren Ziele von allen Mitgliedstaaten mit Unterstützung der Zivilgesellschaft geteilt werden müssen.

2.   Inhalt des Kommissionsdokuments und Methodik der Europäischen Kommission

2.1

Das Kommissionsdokument ist zunächst ein Fortschrittsbericht, um den Stand der Verwirklichung der Energieunion zusammenzufassen, und kein politisches Dokument. Die von den Mitgliedstaaten erhobenen Daten werden anhand der von der Europäischen Kommission festgelegten Kriterien überprüft. Die Kommissionsmethodik beruht somit auf der Analyse und der Überwachung der Verwirklichung der Energieunion anhand von Schlüsselindikatoren. Diese Überwachung ist von Natur aus heikel, da die politischen Entscheidungen im Energiebereich von der Marktentwicklung und geopolitischen Ereignissen abhängen, auf die die Mitgliedstaaten relativ rasch reagieren müssen. Die langfristigen Ziele können daher durch kurzfristige Erfordernisse beeinträchtigt werden, weshalb auch die Überwachung flexibel sein muss.

2.2

Die Europäische Kommission hat sechs strategische Themenbereiche festgelegt, die als Grundlage für die Analyse der konkreten Umsetzung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten für die Schaffung dieser Energieunion bilden:

Umstellung auf eine Wirtschaft mit geringen CO2-Emissionen;

Energieeffizienz als Beitrag zur Senkung des Energiebedarfs;

ein vollständig integrierter Energiebinnenmarkt;

Sicherheit der Energieversorgung, Solidarität und Vertrauen;

eine Energieunion für Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit;

Verwirklichung der Energieunion.

2.3

Anhand dieser Themenbereiche will die Europäische Kommission eine erste Bewertung der Verwirklichung der Energieunion vornehmen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

In Bezug auf die Dekarbonisierung ist die Europäische Kommission der Ansicht, dass die EU unter den großen Volkswirtschaften weltweit am effizientesten ist. Ihr Argument: Die Summe der Bruttoinlandsprodukte der EU stieg zwischen 1990 und 2014 um 46 %, während die Treibhausgasemissionen um 23 % zurückgingen. Allerdings müssten auch die Auswirkungen der Krise, die die ganze Welt, aber insbesondere Europa erfasst hat, die anhaltende Konjunkturflaute und die Deindustrialisierung der EU in diese Zahlen eingerechnet werden, die dann vielleicht ein weniger positives Bild geben.

3.2

Die Europäische Kommission betont außerdem, dass die Europäische Union mehr als die Hälfte ihres Stroms ohne Treibhausgasemissionen erzeugt. Dies wäre allerdings ohne den Beitrag von Energieträgern nicht möglich, die in einigen Mitgliedstaaten umstritten sind oder deren Nutzung aufgegeben wurde (beispielsweise Kernenergie und die energetische Nutzung der Wasserkraft in Stauanlagen).

3.3

Das erklärte Ziel bleibt „die weitere Abkehr von einer auf fossile Brennstoffe gestützten Volkswirtschaft“. In diesem Zusammenhang sind die aktuell niedrigen Ölpreise und die Ölpreisschwankungen kein Vorteil, auch wenn es nach wie vor möglich scheint, das Ziel eines Anteils von 20 % erneuerbarer Energie bis 2020 zu erreichen. Eine Energiepolitik darf jedoch nicht auf einem negativen und restriktiven Konzept beruhen. Daher empfiehlt der EWSA, soweit wie möglich die Bedeutung von Ressourcen wie u. a. Wind- und Meeresenergie sowie Wasserstoff für die Zukunft auszuloten und ihre Entwicklung durch eine ehrgeizige Forschungs- und Entwicklungspolitik zu fördern.

3.4

Die Europäische Kommission hält fest, dass die Umstellung auf eine Wirtschaft, die mit geringen CO2-Emissionen auskommt, beträchtliche Investitionen erfordert. Sollten die Ölpreise niedrig bleiben, würden die Investitionskosten noch höher ausfallen. Daher muss die konkrete Umsetzung der auf der Paris COP 21 eingegangenen Verpflichtungen aufmerksam verfolgt werden.

3.5

Der EWSA betont, dass die Ergebnisse der COP 21 zum ersten Mal die Grundlagen für einen global koordinierten Klimaschutz bieten und so die wichtigen in der EU vereinbarten Anstrengungen legitimieren, die nur geringe Wirkung auf den weltweiten Klimawandel gehabt hätten, wenn der Rest der Welt nicht den gleichen Weg eingeschlagen hätte. Der europäische Fahrplan kann daher im Sinne des Übereinkommens von Paris weiterverfolgt werden und dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten ihren vollen Beitrag zum Klimaschutz unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Möglichkeiten leisten.

3.6

Die Europäische Kommission hält fest, dass sie Werkzeuge und Instrumente eingeführt hat, bei denen Energieeffizienz als eigenständige Energiequelle betrachtet wird. Der EWSA mahnt eindringlich, diese Formulierung zu streichen, da sie irreführend und wissenschaftlich ungenau ist, denn keine primäre Energiequelle kann durch Energieeinsparungen „ersetzt“ werden. Energiesparen ist zwar eine Notwendigkeit, aber nicht als Energiequelle zu verbuchen. Die Energieeffizienz ist selbstverständlich für die Zukunft des europäischen Energiesystems sehr wichtig. Die Erhöhung der Energieeffizienz in allen Energienutzungsbereichen kann erheblich dazu beitragen, die zusätzlichen Kosten für die europäische Wirtschaft zu senken. Im Idealfall würde die Erhöhung der Energieeffizienz proportional zur Steigerung der Kosten einer bestimmten Energie zu einer Stabilisierung der Preise auf ihrem derzeitigen Niveau führen.

3.7

Eine erhebliche Verbesserung der Energieeffizienz erfordert jedoch beträchtliche Investitionen seitens der Verbraucher, der Industrie und der öffentlichen Hand (Gebäude, Infrastrukturen, Fahrzeuge usw.). Die allgemeine Begrenzung der Investitionen wird das Tempo, mit dem diese Verbesserung erzielt wird, bestimmen. Hingegen werden einige Bereiche der europäischen Gesellschaft umfassende Investitionen tragen und von erheblichen Einsparungen profitieren können, während dies anderen unmöglich sein wird. So könnte sich eine wirtschaftliche Kluft zwischen verschiedenen Teilen der EU auftun. Daher fordert der EWSA Begleitmaßnahmen, damit alle von der Energieeffizienz profitieren können.

3.8

Für die Verwirklichung des Energiebinnenmarkts sind neue Transportinfrastrukturen, Stromtrassen und Gasleitungen notwendig, für die wiederum kostspielige Investitionen erforderlich sind. Die Europäische Kommission weist zurecht auf die Fortschritte in diesem Bereich und die Einrichtung des Energieinfrastrukturforums (Kopenhagener Forum) hin, das für die Ermittlung der Probleme sicherlich nützlich sein wird, aber alleine keine Lösung ist. Eine Reihe von Mitgliedstaaten haben Kooperationsvereinbarungen geschlossen, beispielsweise Polen und Litauen oder Norwegen und Schweden. Andererseits gab es durchaus auch Meinungsverschiedenheiten zwischen einigen Mitgliedstaaten, beispielsweise in Bezug auf das „Nord Stream“-Projekt, zu dem Kritik aus Polen, den baltischen Staaten und Schweden laut wurde. Daher muss darauf geachtet werden, dass die Investitionsentscheidungen nicht dem Geist der Energieunion zuwiderlaufen. Außerdem können sich bestimmte politische Entscheidungen erheblich auf die Investitionen auswirken, weshalb sie mit dem nötigen Abstand und unter sorgfältiger Abwägung der Entwicklungen in Wissenschaft und Technik getroffen werden müssen.

3.9

Die Europäische Kommission ist sich bewusst, dass die Verbraucher — Privathaushalte, Familien und Industrie — mehr Transparenz bei Energiepreisen und -kosten wollen, bei deren Beurteilung aber auch die Lage in den Ländern, die unsere wichtigsten Konkurrenten sind, berücksichtigt werden muss. Der EWSA begrüßt ausdrücklich den auf transparente und einfache Informationen ausgerichteten Ansatz, den er wiederholt gefordert hat. Allerdings muss in Zeiten zunehmender Energiearmut die Notwendigkeit des Energie-Universaldienstes und spezieller Indikatoren für die diesbezügliche Rolle der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse unterstrichen werden. Unsere Gesellschaft ist energieabhängig, die Energie ist ausschlaggebend für unsere Lebensqualität und die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, kommunizieren und wirtschaften. Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die Zivilgesellschaft in allen Gremien vertreten ist, in denen auf europäischer Ebene die Bedingungen für Universaldienste festgelegt werden. Die Verbraucher müssen umfassend in die Definition dieses Universaldienstes eingebunden werden und seine Umsetzung in die Praxis verfolgen können.

3.10

Der EWSA wird sich zunehmend der Notwendigkeit bewusst, ausgehend von dieser Sichtweise die Debatte über die Ende der 1990er Jahre angestoßene Liberalisierung des Energieerzeugungsmarktes wieder aufzunehmen — eine Liberalisierung, die schleichend und mit meist guten Argumenten durch nicht marktkonformen Instrumenten wie etwa Beihilfen (für nachhaltige Energieerzeugung) und Begrenzungen (u. a. in puncto CO2-Emission) flankiert wurde. Unternehmen und Arbeitnehmer in diesem Sektor müssen wissen, in welchem Rahmen Investitionen getätigt werden können, da es sich um hohe Beträge mit langer Amortisationszeit handelt. Ungewissheit als Folge einer sich kontinuierlich ändernden Energiepolitik trägt nicht dazu bei, die Risikobereitschaft zu fördern, und bremst somit nachhaltigkeitsfördernde technologische Innovationen im europäischen Energiesektor.

3.11

In den Augen der Bürger wird sich der Erfolg der Energieunion auch an sehr konkreten Dingen messen lassen müssen, insbesondere am Preis, der zunächst von den Energiesteuern abhängt, am Netzzugang, an der Versorgungssicherheit (Prävention von Stromausfällen oder Pannen) und an den Verbraucherinformationen für Gebrauchsgegenstände (Energiekennzeichnung für Elektro- und Haushaltsgeräte, Verbrauchsmessung für Fahrzeuge), die einfach und verständlich sein müssen (2).

3.12

Unternehmensmitarbeiter sollten ebenfalls umfassend in die energiepolitischen Entscheidungen des Unternehmens eingebunden werden. Die Energiewende bedeutet Umbrüche und technische Veränderungen. So werden neue Berufsbilder geschaffen, und bestehende Berufe könnten durch die Schließung oder Einschränkung bestimmter Betriebsarten (Kohle- oder Kernkraftwerke) verschwinden. Andere Berufe wiederum werden sich weiterentwickeln oder ändern, so wird beispielsweise ein Dachdecker nicht mehr nur Dachziegel oder Schieferplatten verlegen, sondern auch die Installierung von Solarpaneelen erlernen müssen. Bei der Durchführung der einzelnen Kapitel der Energieunion muss daher der Schulungsbedarf der Arbeitnehmer und Handwerker in den direkt und indirekt betroffenen Sektoren berücksichtigt werden. Außerdem muss fundiertes und für den wirtschaftlichen Wettbewerb sehr wertvolles Fachwissen erhalten bleiben (z. B. im Kernenergiebereich). Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz aufgrund der durch die Energiewende bedingten Veränderungen verlieren könnten, müssen vorausschauend unterstützt werden; ihre berufliche Wiedereingliederung muss vorab sichergestellt werden. Desgleichen müssen im Vorfeld die wirtschaftlichen Folgen der politischen Entscheidungen bewertet werden, um ihre Auswirkungen, insbesondere aufgrund des heftigen globalen Wettbewerbs, korrekt beurteilen zu können.

3.13

In Bezug auf die Unternehmen selbst muss bei der Verwirklichung der Ziele in punkto Dekarbonisierung, Energieeffizienz und Nachfragesteuerung dem weltweiten Wettbewerb umfassend Rechnung getragen werden, insbesondere in energieintensiven Sektoren (Stahl, Aluminium, Reifen, Chemie usw.). Der Verkehrsbereich steht hinsichtlich der CO2-Minderungsziele vor besonderen Schwierigkeiten. Alle Verkehrsträger sollten entsprechend ihres Verbrauchs an fossilen Brennstoffen zur Senkung der Emissionen beitragen. Die verfügbare Technik bietet wirtschaftlich rentable saubere Lösungen für Kurzstrecken, d. h. für den Nahverkehr. Mit Ausnahme des elektrischen Schienenverkehrs sind die Verkehrsträger auf der Langstrecke von fossilen Brennstoffen abhängig. Die Verkehrsverlagerung kann zu einer Dekarbonisierung beitragen, gestaltet sich in Europa allerdings schwierig. Zur Erreichung dieses Ziels müssen die Investitionen stärker auf die Integration verschiedener Verkehrsträger ausgerichtet werden, wobei die umweltverträglicheren Verkehrsträger zu bevorzugen sind. Die Energie ist aber auch eine geopolitische Waffe, und die Abhängigkeit in strategisch wichtigen Bereichen ist politisch gesehen eine Gefahr, und zwar gleichermaßen für die betroffenen Länder wie für die Bürger als Arbeitnehmer, Verbraucher und Unternehmer. Daher müssen Standortverlagerungen vermieden werden, die sowohl zum Verlust an Wirtschaftskraft als auch an wertvollem Fachwissen und Unabhängigkeit führen.

3.14

Die Sicherheit der Energieversorgung sowie die Solidarität und das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten sind wesentliche Elemente für den Erfolg der Energieunion vor dem Hintergrund einer ausgesprochen unsicheren geopolitischen Lage im Energiebereich. Der EWSA unterstützt die Idee, dass eine Erhöhung der Energieeffizienz und die verstärkte Nutzung erneuerbarer und heimischer Energiequellen zur Verringerung der Abhängigkeit und Anfälligkeit der EU beitragen. Dies liegt zwar auf der Hand, muss jedoch erst einmal unter wirtschaftlich nachhaltigen Bedingungen erreicht werden.

3.15

Die notwendige Stabilisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen der EU und ihren Partnern im Osten, im Süden, im Nahen Osten und im Westen ist ein Faktor für die Entwicklung und die Unabhängigkeit der Energieunion. Nach Ansicht des EWSA muss die EU eine klare und einheitliche Energiediplomatie gegenüber Drittländern verfolgen, die den ureigenen Interessen der EU entspricht.

3.16

Die Europäische Kommission betont zu Recht, dass Forschung und Innovation von größter Bedeutung sind, um die Umstellung des Energiesystems zu beschleunigen. Der EWSA hat mehrfach die Notwendigkeit unterstrichen, die einschlägigen Anstrengungen der Mitgliedstaaten zu koordinieren und gemeinsame Projekte auf den Weg zu bringen, um die Kosten zu senken und die Forschungsergebnisse allen zugänglich zu machen. Die EU wird ihre Ziele im Energiebereich durch Fortschritte in Forschung und Entwicklung sowie durch Rechtsvorschriften erreichen. Diesbezüglich sollte die Energieunion die Bemühungen für gemeinsame Projekte fördern und einer Streuung der Ressourcen vorbeugen, die der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Effizienz schadet. Hierfür sind Mittel erforderlich; allerdings wird das Emissionshandelssystem in seiner derzeitigen (nicht zufriedenstellend funktionierenden) Form wohl kaum ausreichen, um diese Mittel zu mobilisieren. Das Emissionshandelssystem der EU wird nämlich durch den infolge des Überangebots an verfügbaren Emissionsrechten viel zu niedrigen Preis für die CO2-Zertifikate (wodurch die angestrebte Wirkung einer Emissionsminderung verfehlt wird) und die Auswirkungen von Beihilfen für bestimmte grüne Energieträger beeinträchtigt.

3.17

Der EWSA befürwortet den Ansatz der Europäischen Kommission, die Sozialpartner eng in die Energiewende einzubeziehen, für die selbstredend Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zur Anpassung an neue Technologien und neue Berufsbilder erforderlich sind. Ohne Mobilisierung der Akteure des wirtschaftlichen und sozialen Lebens ist die Energiewende zum Scheitern verurteilt. Allerdings müssen sie die Möglichkeit haben, diese Energiewende mitzugestalten anstelle sie nur passiv oder resignierend über sich ergehen zu lassen. Arbeitnehmern, die ihren Arbeitsplatz in der Energiewirtschaft verloren haben, müssen Umschulungsmöglichkeiten angeboten werden.

3.18

Abschließend erläutert die Europäische Kommission ihre Vision für die Verwirklichung der Energieunion. Sie will einen zuverlässigen und transparenten Steuerungsprozess. Sie fügt jedoch hinzu, dass dieser Steuerungsprozess in der Gesetzgebung verankert sein muss. Aus Sicht des EWSA lässt sich eine Politik aber nicht auf Legislativverfahren oder auf eine administrative Planung beschränken. Für den Erfolg einer Energiepolitik müssen die betroffenen Regierungen handeln und die Bürger klare und verständliche Ziele mittragen sowie die wirtschaftlichen Realitäten vor Ort berücksichtigt, Innovationen gefördert, die Zivilgesellschaft an Bord geholt und die Möglichkeiten der Marktwirtschaft genutzt werden. Die Idee eines jährlichen Berichts ist an sich sinnvoll, reicht aber alleine nicht aus. Ein Bericht ist immer ein formelles Dokument und läuft Gefahr, sich in technokratischer Abstraktion zu verlieren. Um diesem Problem vorzubeugen, muss nach Meinung des EWSA ein echter europäischer Energiedialog aufgebaut werden, in dem alle Bürger ihren Platz haben — als Verbraucher, Vertreter von Umweltschutzorganisationen, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Landwirte, Stadt- oder Landbewohner, Rentner usw. (3), kurz gesagt, die Zivilgesellschaft, die insgesamt tagtäglich sehr konkret mit Energiefragen konfrontiert ist. Es gilt, die Zukunft anzupacken anstatt zu „erleiden“. Denn in dieser Zukunft wird es Prosumenten, Verbraucher, Erzeuger und „Energiesparer“ geben. Nur, wenn bürokratische Hürden abgebaut und entschiedene politische Maßnahmen ergriffen werden, sind die Weichenstellungen für den Erfolg der Energieunion gegeben.

Brüssel, den 28. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 13, und ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 22.

(2)  ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 6.

(3)  ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 15; ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 1; ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 8; ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 84.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/123


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Handel für alle — Hin zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitionspolitik

[COM(2015) 497 final]

(2016/C 264/17)

Berichterstatter:

Jonathan PEEL

Die Europäische Kommission beschloss am 11. November 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Handel für alle — Hin zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitionspolitik

[COM(2015) 497 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 31. März 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 28. April) mit 159 gegen 7 Stimmen bei 13 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die rechtzeitige und wünschenswerte Aktualisierung der Handels- und Investitionspolitik der EU, die in der Kommissionsmitteilung (1)„Handel für alle — Hin zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitionspolitik“ vom Oktober 2015 vorgenommen wird.

1.1.1

In dieser Mitteilung wird nicht nur eine positive Agenda für die Wirtschaft vorgelegt, sondern auch deutlich gemacht, dass das neue für Handel zuständige Kommissionsmitglied die wichtigsten Anliegen der Zivilgesellschaft und anderer Interessenträger mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen hat — nach zwei turbulenten Jahren, in denen der Handel zum ersten Mal seit zehn Jahren zu einem öffentlichkeitswirksamen politischen Thema geworden ist. In einer Zeit der wachsenden globalen wirtschaftlichen Unsicherheiten kommt einer solch ehrgeizigen Agenda, wie sie in dieser Mitteilung vorgelegt wurde, große Bedeutung zu. Handel und Investitionen sind für eine prosperierende Wirtschaft in der EU als weltweit bedeutendster Handelsgemeinschaft äußerst wichtig, und die Unterzeichnung des Transpazifischen Partnerschaftsabkommens (TPP) erinnert zur rechten Zeit daran, dass die EU wettbewerbsfähig bleiben muss.

1.1.2

Der EWSA befürchtet, dass die vielen Erwartungen, die geweckt wurden, schwer zu erfüllen sein werden; dies könnte mit der Zeit zu Problemen und Enttäuschungen führen, wenn die EU-Handelsverhandlungen unausweichlich in einen Kompromiss münden. Das Konzept „Handel für alle“ wird daran gemessen werden, ob die Kommission unter Beweis stellen kann, dass Handelsabkommen nicht zu einer Senkung der Umwelt-, Arbeits- und sonstigen Standards führen. Vielmehr sollten sie für eine Anhebung dieser Standards sorgen.

1.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich dies am besten durch eine erheblich stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in den gesamten Verhandlungsverlauf und auch in den Umsetzungsprozess bewerkstelligen lässt. Die Zivilgesellschaft erwartet, dass die EU Transparenz, Verantwortung, Bewertung und Analyse in den Mittelpunkt des Beschlussfassungsprozesses im Rahmen ihrer Handelspolitik stellt.

1.2.1

Der EWSA ist aufgrund seiner Rolle im EU-Institutionengefüge und durch seine vielfältigen Kontakte innerhalb und außerhalb der EU bestens dazu aufgestellt, hierzu seinen Beitrag zu leisten. Ein solcher verstärkter Dialog muss zudem eine intensivere Konsultation der Sozialpartner zu den möglichen Auswirkungen von Handel und Investitionen auf die Beschäftigung umfassen.

1.3

Der EWSA begrüßt, dass er mit der Erarbeitung einer Stellungnahme zum Thema „Handel für alle“ befasst wurde und dadurch seine zunehmende Rolle und Bedeutung in der Handelspolitik anerkannt wird. Er bedauert jedoch, dass die Rolle des EWSA in der Mitteilung selbst keine Erwähnung findet.

1.4

Der EWSA begrüßt, dass in der Mitteilung „Handel für alle“ nachdrücklich darauf hingewiesen wird, wie wichtig es ist, die Handels- und Investitionspolitik der EU wirksamer zu gestalten, die Transparenz zu erhöhen, die Werte der EU zu fördern und diesen Politikbereich mit anderen maßgeblichen EU-Politikfeldern zu verknüpfen. Vor allem nimmt darin die nachhaltige Entwicklung einen wichtigen Platz ein, insbesondere in puncto Menschen- und Sozialrechte sowie Umweltschutz. Im Anschluss an die COP 21 sollte die Eindämmung des Klimawandels nunmehr als ein integraler Bestandteil der europäischen Werte angesehen werden.

1.5

Begrüßenswert ist auch, dass sich die Kommission in ihrer Mitteilung „Handel für alle“ zu einem stärkeren Engagement für KMU verpflichtet, die beim Zugang zu neuen Märkten größere Hürden zu überwinden haben. Zugesagt werden darin — wie auch in der transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA (TTIP) vorgesehen — spezielle Bestimmungen für KMU in allen Verhandlungen sowie „regelmäßige Erhebungen über Hindernisse“, denen sich KMU auf bestimmten Märkten gegenübersehen. In diesem Zusammenhang ist auf die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die TTIP und ihre Auswirkungen auf die KMU“ (2) zu verweisen.

1.6

Der EWSA begrüßt ebenfalls die Vorschläge zur Stärkung der Welthandelsorganisation (WTO) und des multilateralen Systems, insbesondere im Lichte der 10. Ministerkonferenz in Nairobi. Dadurch wird sowohl der normative Aspekt der WTO als auch die Notwendigkeit eines gezielteren Ansatzes hervorgehoben, dem im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele und die COP-21-Ziele sowie angesichts des Wachstums der globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten und des digitalen und elektronischen Handels besondere Bedeutung zukommt. Dem multilateralen Ansatz muss weiterhin vorrangige Bedeutung eingeräumt werden, indem beispielsweise inkompatible Regelungen und Standards vermieden werden. Zudem muss besonders darauf geachtet werden, dass wichtige Länder, insbesondere ärmere Entwicklungsländer vor allem in Afrika, nicht außen vor bleiben.

1.7

Auch in der EU und insbesondere im Nachgang zur Debatte über die TTIP muss Überzeugungsarbeit für Handel und Investitionen geleistet werden. Des Weiteren begrüßt der EWSA die Zusicherung seitens der Kommission, „dass kein Handelsabkommen der EU zu einem niedrigeren Niveau beim Verbraucher- und Umweltschutz, beim sozialen Schutz oder beim Arbeitsschutz führen wird“ (3). Die Handelspolitik muss erkennbar mit einer nachhaltigen Entwicklung und einer langfristigen wirtschaftlichen Tragfähigkeit im Einklang stehen.

1.7.1

Sowohl auf europäischer als auch auf mitgliedstaatlicher Ebene ist eine intensive sachkundige Debatte erforderlich. Es muss gewährleistet werden, dass alle Betroffenen sicher sein können, dass sie Gehör finden.

1.7.2

Der EWSA begrüßt die Absicht, die Handelspolitik für die Verbraucher vorteilhafter, offener und transparenter zu gestalten, als äußerst positiven Schritt. Den Standpunkten der Verbraucher muss Rechnung getragen werden, um das Vertrauen zu stärken und im Handel für mehr Nachhaltigkeit und Verantwortungsbewusstsein zu sorgen. Der EWSA teilt jedoch die Bedenken des Europäischen Verbraucherverbands BEUC, wonach es bislang noch keine Instrumente zur Verankerung des Vorsorgeprinzips und des risikobasierten Ansatzes in der Handelspolitik gibt. Dies wiederum muss fester Bestandteil des Innovationsgrundsatzes (4) sein.

1.8

Er ist der Auffassung, dass die Kommission hier mehr tun muss. So muss sich diese selbst bereit zeigen, Rechenschaft über die von ihr geführten Handels- und Investitionsverhandlungen abzulegen, und unter Beweis stellen, dass sie ihren Anspruch, im Interesse aller zu handeln, auch tatsächlich einlöst.

1.8.1

Der EWSA begrüßt, dass sich die Kommission in ihrer Mitteilung dazu verpflichtet, das Niveau an Transparenz, das für die TTIP-Verhandlungen vereinbart wurde, auch bei allen anderen Verhandlungen sicherzustellen (für Japan gilt dies noch nicht). Regelmäßige Informationssitzungen während der einzelnen Verhandlungsrunden sind wichtig für die Zivilgesellschaft. Der EWSA bedauert, dass er mit Blick auf seine Funktion im Institutionengefüge nicht formell in die spezielle TTIP-Beratungsgruppe eingebunden wurde. Dies muss sich bei allen künftigen Verhandlungen ändern.

1.9

Besonders enttäuscht ist der EWSA darüber, dass die Kommission in ihrer Mitteilung weder auf die zivilgesellschaftlichen Überwachungsmechanismen hinweist, die in bestehenden EU-Handelsabkommen für die Kapitel Handel und nachhaltige Entwicklung vorgesehen sind, noch darauf, wie diese ausgebaut und gestärkt werden können. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass Durchsetzungsmechanismen gleichermaßen für die Kapitel Handel und nachhaltige Entwicklung gelten müssen und dies bereits im Kommissionsvorschlag für die TTIP entsprechend vorgesehen werden sollte.

1.9.1

Diese Mechanismen bergen erhebliches Potenzial und können konkrete Ergebnisse liefern. Sie sind ein wichtiges Instrument für den Dialog und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft der Partnerländer, werden jedoch nicht erwähnt. Dies steht nach Auffassung des EWSA im Widerspruch zu der Absicht, neben den aufgeführten umfassenden Bestimmungen ehrgeizige und innovative Kapitel zu Handel und nachhaltiger Entwicklung in künftige Abkommen aufzunehmen.

1.9.2

Es wurden bereits genug Erfahrungen gesammelt, um Überlegungen anstellen und Schlüsse für eindeutige, positive Empfehlungen für die Zukunft ziehen zu können. Gebraucht werden ausgewogene, strukturierte und gestärkte Interne beratende Gruppen (Domestic Advisory Groups — DAG). Sowohl für die Partnerländer als auch für die örtliche Zivilgesellschaft sind Kapazitätsaufbau und eine bessere Unterstützung wichtig, um mehr Organisationen zur Beteiligung zu bewegen.

1.9.3

In die Abkommen müssen gemeinsame Sitzungen beider DAG aufgenommen werden, flankiert durch eine angemessene finanzielle Unterstützung sowie eine Ausweitung des Mandats auf Aktivitäten, die auf breiter gefasste Ziele in den Bereichen Handel und nachhaltige Entwicklung ausgerichtet sind.

1.10

Der Text weist weitere überraschende Versäumnisse auf. Obwohl es sich um eine „Mitteilung der Kommission“ handelt, wird nicht ausreichend auf die Verzahnung mit anderen Generaldirektionen eingegangen. Der EWSA ist nicht davon überzeugt, dass die Kommission bei den Schlüsselfragen einen GD-übergreifenden Ansatz entwickelt hat.

1.10.1

Der EWSA bedauert, dass kein umfassend integrierter Ansatz zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele vorgelegt wurde. Handel und Investitionen werden bei der Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele, die die globale Agenda für die nächsten 15 Jahre bestimmen werden, eine tiefgreifende Rolle spielen; dennoch wird in der Mitteilung nur an zwei Stellen auf die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung eingegangen. Hier wird ganz klar eine Chance verpasst. Der EWSA fordert dringlich einen Dialog zur Sicherstellung der Einbindung der Zivilgesellschaft in die Beobachtung der Auswirkungen von Handel und Investitionen auf die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele.

1.10.2

Es fehlt auch jeglicher Hinweis auf die 2020 fällige Verlängerung des Partnerschaftsabkommens zwischen der EU und den AKP-Staaten („Cotonou-Abkommen“). Aktiv fördern muss die EU auch die zunehmende Dynamik bei der innerafrikanischen handelspolitischen Zusammenarbeit, der entscheidende Bedeutung für die Entwicklung in Afrika zukommt. Obwohl rund 50 % der afrikanischen Staaten nicht unter die derzeitigen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) fallen, ist abgesehen von diesen bzw. vom AKP-Rahmenabkommen keine afrikaweite Strategie der EU zu erkennen.

1.10.3

Enttäuschend findet der EWSA auch, dass in der Mitteilung nicht auf andere Schlüsselbereiche der Handelspolitik eingegangen wird. Zwar wird die Bedeutung von Energie und Rohstoffen häufig betont, doch fehlt der Hinweis darauf, dass diese wesentlichen Importe aus den entsprechenden Ländern, mit denen bislang kein Freihandelsabkommen in Sicht ist, gesichert werden müssen bzw. dass die Energieabhängigkeit der EU auf andere Weise zu senken ist.

1.11

Darüber hinaus fordert der EWSA, ausreichend Ressourcen für eine Umsetzung des Konzepts „Handel für alle“ bereitzustellen, was die Voraussetzung für einen Erfolg dieser ehrgeizigen Handels- und Investitionspolitik bildet. Dabei sollte auch der Rolle der Missionen und Delegationen der EU in Drittstaaten Rechnung getragen werden.

2.   Hintergrund

2.1

Handel und Investitionen sind für die EU immens wichtig. Die Kommission weist in ihrer Mitteilung darauf hin, dass über 30 Mio. Arbeitsplätze in der EU — jeder siebte — vom Export abhängen, womit der Handel zu den wenigen verfügbaren Instrumenten gehört, mit denen sich die Wirtschaft ohne Belastung für die staatlichen Haushalte ankurbeln lässt, und 90 % des globalen Wirtschaftswachstums in den nächsten 15 Jahren werden voraussichtlich außerhalb der EU stattfinden.

2.2

Mit der Mitteilung „Handel für alle“ wird ein Jahr nach Amtsantritt der derzeitigen Kommission eine zeitgerechte Überprüfung der EU-Handelspolitik vorgenommen. Dies ist die dritte Mitteilung in dieser Reihe; die erste mit dem Titel „Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt“ (5) wurde 2006 veröffentlicht, als die WTO-Verhandlungen über die Doha-Entwicklungsagenda (DDA) effektiv zum Stillstand gekommen waren.

2.2.1

In der Mitteilung wird nachdrücklich darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die Handels- und Investitionspolitik der EU wirksamer zu gestalten, die Transparenz zu erhöhen, die Werte der EU zu fördern und diesen Politikbereich mit anderen maßgeblichen EU-Politikfeldern zu verknüpfen. Mehr Aufmerksamkeit soll den KMU gewidmet werden, die beim Zugang zu neuen Märkten größere Hürden zu überwinden haben.

2.2.2

Zudem wird betont, dass die laufenden Verhandlungen abgeschlossen werden müssen, insbesondere über die TTIP und die Abkommen mit Japan und China (6) (über Investitionen) — letzteres unter besonderem Verweis auf die chinesische Initiative „One Belt, One Road“. Des Weiteren wird auf die Ratifizierung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens EU-Kanada (CETA) hingewiesen.

2.2.3

Eine stärkere Berücksichtigung der Handelsbeziehungen mit Asien insgesamt wird zugesichert, mit erneutem Schwerpunkt auf dem interregionalen Freihandelsabkommen zwischen der EU und den ASEAN-Ländern, Investitionsabkommen mit Hongkong und Taiwan sowie der Forderung nach Wiederaufnahme der ins Stocken geratenen Verhandlungen mit Indien. Auch mit Australien und Neuseeland sind Freihandelsabkommen geplant, und die Überarbeitung der bestehenden Freihandelsabkommen mit Mexiko und Chile wird bestätigt.

2.3

In der Mitteilung wird dargelegt, in welchem Umfang der erhebliche und stetige Zuwachs des weltweiten Handels- und Investitionsvolumens in den letzten Jahrzehnten zur Verbesserung des allgemeinen Wohlstands und zur Steigerung der Beschäftigung in der EU und anderswo beigetragen hat.

2.3.1

Außerdem wird darin eingeräumt, dass „sich [der Handel] für einige Regionen und Arbeitnehmer vorübergehend negativ auswirken [kann], wenn sich der neue Wettbewerb für einige Unternehmen als zu scharf erweist“ und dass „eine solche Veränderung für die direkt betroffenen Menschen keineswegs geringfügig“ ist. Hier ist der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF) ein wichtiges Instrument. Mehr als 27 600 Beschäftigte konnten in den Jahren 2013-14 mit Mitteln aus dem EGF unterstützt werden (7). Die durch den Handel erzielten Gewinne werden nie gleichmäßig verteilt, und auch wenn die Gesamtbilanz positiv ist, können auf branchenspezifischer, geografischer und/oder individueller Ebene negative Folgen auftreten.

2.3.2

Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass heutzutage um zwei Drittel mehr Arbeitsplätze vom Export abhängen als noch vor 15 Jahren, und diese Arbeitsplätze sind „hoch qualifiziert und überdurchschnittlich bezahlt“ (8). Und weiter heißt es: „Über 600 000 KMU, die mehr als sechs Millionen Menschen beschäftigen, tätigen direkte Warenausfuhren in Länder außerhalb der EU, auf die ein Drittel der EU-Exporte entfallen“ (9), während „viele weitere Unternehmen“ Dienstleistungen erbringen oder als Zulieferer größerer Unternehmen tätig sind.

2.3.3

Seit dem Jahr 2000 ist der Wert der Ausfuhren europäischer Waren um etwa 1,5 Billionen Euro gestiegen und hat sich damit fast verdreifacht, womit der „Anteil der EU an den weltweiten Warenausfuhren“ gleich geblieben ist (bei 15 %), während China einen Anstieg und die USA und Japan einen entsprechenden Rückgang des Anteils an den weltweiten Ausfuhren zu verzeichnen haben. In der Mitteilung werden außerdem die erheblichen positiven Auswirkungen infolge des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Südkorea umrissen, wo aus dem Handelsdefizit inzwischen ein Überschuss geworden ist.

2.3.4

Unterstrichen wird auch die wechselseitige Abhängigkeit von Ein- und Ausfuhren. Energie- und Rohstoffeinfuhren sind weiterhin von entscheidender Bedeutung, aber laut der Mitteilung gilt „Gleiches für Teile, Bauteile und Investitionsgüter wie Maschinen […]. Der Anteil der eingeführten Komponenten an den Ausfuhrerzeugnissen der EU ist seit 1995 um mehr als die Hälfte gestiegen“ (10).

3.   Die Veränderungen des Welthandels

3.1

In der Mitteilung „Handel für alle“ wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die wichtigsten Grundsätze der EU beibehalten und Handelsabkommen dazu genutzt werden sollten, „Werte wie die nachhaltige Entwicklung, die Menschenrechte und die sozialen Rechte, den fairen und ethischen Handel sowie die Korruptionsbekämpfung weltweit zu fördern“.

3.1.1

Die Kommission legte ihre Mitteilung zu einer Zeit weitreichender Veränderungen des Handels vor. Zwei wichtige, unlängst geschlossene internationale Übereinkommen werden tiefgreifende Auswirkungen auf die Strukturen des Welthandelsgefüges haben. Zunächst wurden im September 2015 die Nachhaltigkeitsziele durch die Vereinten Nationen als Teil ihrer Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet, doch die Mitteilung „Handel für alle“ enthält lediglich zwei Verweise auf die Nachhaltigkeitsziele.

3.1.2

Darauf folgte im Dezember der erfolgreiche Abschluss der Vertragsstaatenkonferenz (COP 21) der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in Paris.

3.2

Handel und Investitionen werden bei der Förderung, Ausrichtung und Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele eine wichtige Rolle zu spielen haben, vor allem weil nach Schätzungen der Unctad die Verwirklichung der gesteckten Ziele zusätzliche Finanzmittel in Höhe von 2,5 Billionen USD pro Jahr erfordern würde, die zu einem Großteil aus dem Privatsektor kommen müssten.

3.2.1

In der Erklärung der 10. Ministerkonferenz der WTO in Nairobi wird eingeräumt, dass der internationale Handel dazu beitragen kann, ein nachhaltiges, stabiles und ausgewogenes Wachstum für alle (11) zu erzielen. Mit dieser Erklärung wird unmissverständlich deutlich gemacht, dass die WTO eine wichtige Rolle für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele spielen muss und dass dies ohne einen wirksamen multilateralen Handelsmechanismus weitaus schwieriger wäre.

3.2.2

Handel und Investitionen werden auch einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels leisten. Die Auswirkungen des Übereinkommens von Paris sind noch nicht voll abzusehen. Die Fortschritte bei den Verhandlungen über ein plurilaterales Abkommen über den Handel mit Umweltschutzgütern lassen einen wichtigen Schritt für die Integration des Klimawandels in die multilaterale Handelspolitik erhoffen, doch müssen weitere multilaterale Maßnahmen ergriffen werden, um die Kohärenz und die gegenseitige Unterstützung zwischen Handel und Umwelt zu fördern.

3.3

Eine weitere wichtige Änderung, die sich auf den internationalen Handel und internationale Investitionen auswirkt, betrifft die bedeutende Ausweitung der globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten sowie das exponentielle Wachstum des digitalen Handels und des elektronischen Geschäftsverkehrs.

3.3.1

Ein Großteil des Handels erstreckt sich heute auf Halbfertigerzeugnisse und Vorleistungen, die Bestandteile des Endprodukts bilden. Dieser fragmentierte Produktionsprozess kann sich über zahlreiche Länder erstrecken und Änderungen unterliegen, doch auch Entwicklungsländer bemühen sich um eine Spezialisierung in bestimmten Bereichen der globalen Wertschöpfungskette. Die globalen Lieferketten decken die Teile der globalen Wertschöpfungskette ab, in denen es um Beschaffung, nicht aber um die Konzipierung, die Endproduktion oder den Vertrieb von Waren und Dienstleistungen geht.

3.3.2

Dienstleistungen und das exponentielle Wachstum bei Dienstleistungen als zentraler Bestandteil des Handels werden in der Mitteilung „Handel für alle“ zu Recht ausführlich behandelt (Ziffer 2.1.1). Über den traditionellen Aspekt des Dienstleistungsverkehrs hinaus muss die Kommission jedoch die weitere Entwicklung dieser Wachstumsbranche und die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Handel auf internationaler Ebene genau verfolgen.

3.3.3

Der EWSA begrüßt daher, dass die Kommission in ihrer Mitteilung nachdrücklich hervorhebt, dass „die Handelspolitik eine größere Palette von Fragen behandeln“ muss, wenn die EU den ihr gebührenden Platz in den globalen Wertschöpfungsketten sichern will (12). Dazu muss sie auch den Handel mit Dienstleistungen fördern, den digitalen Handel erleichtern sowie den Schutz der Verbraucher und der personenbezogenen Daten gewährleisten.

3.3.4

Der EWSA begrüßt außerdem die Zusage der Kommission, ihre Politik zur Gewährleistung eines verantwortungsvollen Managements globaler Lieferketten weiter auszubauen, was, wie sie betont, ein „entscheidender Faktor für die Ausrichtung der Handelspolitik an europäischen Werten“ (13) ist. Er begrüßt die Fortschritte, die von der Kommission in diesem Zusammenhang bereits erzielt wurden, insbesondere die Initiative zur Förderung grundlegender Arbeitnehmerrechte und Arbeitsbedingungen in Myanmar. Die Überwachung der Lieferketten ist von maßgeblicher Bedeutung, um die in der Mitteilung „Handel für alle“ genannten Ziele zu erfüllen.

3.3.5

Ein besseres Verständnis der Funktionsweise globaler Lieferketten, insbesondere ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Drittländern ist absolut zeitgemäß, um die nachhaltige Entwicklung, ein inklusives Wachstum, die Menschenrechte und vor allem die Schaffung guter Arbeitsplätze zu fördern. In diesem Zusammenhang verweist der EWSA auf seinen aktuellen Informationsbericht zum Thema „Die soziale und gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen“ (14). Darüber hinaus erarbeitet er im Vorfeld der im Juni stattfindenden Internationalen Arbeitskonferenz und zur Förderung des verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns, das zu den Prioritäten des niederländischen EU-Ratsvorsitzes gehört, eine gesonderte Stellungnahme zum Thema „Menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten“.

3.4

Der multilaterale Ansatz für den Handel ist indes weiterhin von grundlegender Bedeutung. Er ist das zentrale Element des Welthandels und muss, wie betont wird, „der Eckpfeiler der Handelspolitik der EU bleiben“ (15). Die WTO folgt jedoch einem Ansatz, der sich von dem der Nachhaltigkeitsziele oder der COP 21 erheblich unterscheidet. Sowohl bei den Nachhaltigkeitszielen als auch bei den COP-21-Zielen handelt es sich um klare Zielvorgaben, während bei der WTO nur ein klarer Mechanismus vorgesehen ist. Wie die begrenzten Übereinkünfte von Bali und Nairobi zeigen, ist eine Verständigung auf gemeinsame Ziele der WTO nur schwer herbeizuführen.

3.4.1

Der Multilateralismus wird vom EWSA weiterhin nachdrücklich unterstützt, nicht zuletzt im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Nachhaltigkeitsziele und die COP-21-Ziele zu erfüllen, sowie mit Blick auf das Wachstum der globalen Versorgungs- und Lieferketten, des digitalen Handels und des elektronischen Geschäftsverkehrs.

3.5

Mit ihrer Aussage, dass das WTO-Regelwerk „den Grundstein der Welthandelsordnung“ (16) bildet, hebt die Kommission in der Mitteilung „Handel für alle“ zu Recht (17) die zentrale Rolle der WTO bei der Entwicklung und Durchsetzung der Regeln des Welthandels hervor. Die WTO gewährleistet weltweite Kompatibilität und wird, unterstützt durch ihr Streitbeilegungssystem (18), weitgehend geschätzt und zunehmend genutzt. Es besteht die reale Gefahr, dass durch großregionale und andere wichtige bilaterale Freihandelsabkommen Regelungen in Kraft gesetzt werden, die sich potenziell überschneiden oder sogar widersprüchlich sind und dadurch die Welthandelsregeln eher komplizierter als klarer gestalten würden. Der EWSA stellt beispielsweise mit Besorgnis fest, dass die Ursprungsregeln in dem unlängst geschlossenen Abkommen zwischen der EU und Vietnam den Bestimmungen zuwiderlaufen könnten, die Vietnam im Zuge des Transpazifischen Partnerschaftsabkommens (TPP) akzeptiert hat.

3.6

Viele der Fragen, die in die WTO-Entwicklungsagenda von Doha aufgenommen wurden, können nur auf multilateraler Ebene gelöst werden, wie bereits im Rahmen der Uruguay-Runde festgestellt worden war. Dazu würde auch ein wirksames weltweites Übereinkommen über die Gesamthöhe von Subventionen in der Landwirtschaft gehören — eines der wichtigsten Doha-Ziele. Es muss weiterhin auf multilaterale Lösungen hingearbeitet werden.

3.6.1

Durch Freihandelsabkommen muss ein echter Mehrwert geschaffen werden. Sie bieten mehr Raum für regionale und nationale Unterschiede sowie für kulturelle Befindlichkeiten. Letztendlich müssen Freihandelsabkommen den Multilateralismus stärken.

3.7

In der Mitteilung „Handel für alle“ wird untersucht, wie die WTO und das multilaterale System wieder gestärkt werden können. Es ist richtig, neben dem normativen Aspekt auch die Notwendigkeit eines gezielteren Ansatzes zu betonen. Zu Recht wird auf das zunehmende Ungleichgewicht aufgrund des Aufstiegs mehrerer schnell wachsender Schwellenländer sowie auf die Notwendigkeit verwiesen, diese zu einem größeren Beitrag zur Hilfe für die anderen Ländern, die in ihrer Entwicklung zurückliegen, zu bewegen.

3.8

Der EWSA ist indes über zwei in der Mitteilung enthaltene Vorschläge besorgt, die in eine Richtung zu gehen scheinen, die nicht der erklärten Absicht entspricht. Das ist zum einen der Vorschlag, „dass eine Gruppe von WTO-Mitgliedern bei einem bestimmten Thema vorangehen kann“ (der plurilaterale Ansatz), wie dies bereits bei den Verhandlungen über ein Abkommen über den Handel mit Umweltschutzgütern und den Verhandlungen über das vorgeschlagene Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TiSA) der Fall ist. Wird dieser Ansatz jedoch zur Regel, könnten viele wichtige Länder, insbesondere ärmere Entwicklungsländer, außen vor bleiben, vor allem in Afrika. Es muss genau darauf geachtet werden, dass die Kompatibilität zwischen Plurilateralismus und vollem Multilateralismus gewährleistet ist.

3.8.1

Zweitens — sollte der Vorschlag der Kommission, dass einem Abkommen wie der TTIP auch andere Staaten beitreten können (wenngleich bei diesem Vorschlag an Staaten wie die Türkei, Norwegen und andere EWR-Mitgliedstaaten gedacht wird), mit anderen wichtigen Abkommen verknüpft werden (beispielsweise mit dem Abkommen EU-Japan oder dem CETA), dann könnte die Bedeutung der WTO selbst in Frage gestellt werden, vor allem weil dies als eine Rückkehr zu den alten Tagen der Vorherrschaft der „Quad“ bzw. der G4 angesehen werden könnte.

4.   Strategische Überlegungen und Versäumnisse

4.1

Wenngleich in der Mitteilung „Handel für alle“ viele zentrale strategische Fragen und wichtige Handelsthemen aufgegriffen werden, gibt es doch eine Reihe von Versäumnissen.

4.2

Erstens wird nur zweimal auf die Nachhaltigkeitsziele hingewiesen, für die Handel und Investitionen eine wichtige Rolle werden spielen müssen. Diese Ziele sind viel weitreichender als die Millenniumsentwicklungsziele und werden sich auf nahezu jedes Land auswirken, zumal sie sich auch auf Energiefragen und den Klimawandel beziehen.

4.2.1

In Ziffer 4.2 der Mitteilung werden zwar viele einschlägige Punkte angesprochen und Zusagen gemacht und viele relevante Fragen einschließlich der Nachhaltigkeitsprüfungen und der Auswirkungen neuer Freihandelsabkommen auf die am wenigsten entwickelten Länder werden behandelt, aber die grundlegende Verknüpfung mit dem umfassenden Ansatz der EU zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele fehlt. Der EWSA bedauert, dass kein umfassend integrierter Ansatz vorgelegt wurde.

4.3

Darüber hinaus fehlt jedweder Hinweis auf die Verlängerung des Partnerschaftsabkommens zwischen der EU und den AKP-Staaten („Cotonou-Abkommen“) oder auf jene Gebiete, v. a. in Afrika, mit denen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) noch abgeschlossen werden müssen. Eine der zentralen Botschaften aus Nairobi war der weitverbreitete Wunsch, nicht nur die Afrikanische Union weiterzuentwickeln, sondern auch auf eine kontinentale Freihandelszone in Afrika (CFTA) mit insgesamt über 50 Mitgliedsländern hinzuarbeiten. Die EU ist am besten dazu in der Lage, dieses Bestreben zu fördern, und sie sollte diesem Thema daher vorrangige Bedeutung beimessen.

4.3.1

Die erhebliche Aufmerksamkeit, die die EU den AKP-Staaten zu Recht widmet, muss mit dem Beginn der Umsetzung der neuen Nachhaltigkeitsziele noch mehr Priorität erhalten. Der EWSA begrüßt die Zusage der Kommission, die gemeinsame EU-Strategie für Handelshilfe zu überprüfen, um „die Fähigkeit der Entwicklungsländer zur Nutzung der von Handelsabkommen eröffneten Chancen zu verbessern“ — im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen sowie dem Ziel, die regionale Integration durch den Handel voranzutreiben.

4.3.2

Die Aufmerksamkeit der EU wird auf die Schlusserklärung des 14. Treffens der wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen AKP-EU im Juli 2015 in Jaunde (19) gelenkt, in der es heißt, dass im Rahmen einer soliden und transparenten finanzpolitischen Steuerung unter Einbeziehung des Privatsektors alle verfügbaren finanziellen Ressourcen zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele mobilisiert werden müssen.

4.3.3

Dieser Ansatz spiegelt zwei weitere unlängst verabschiedete Stellungnahmen des EWSA wider. In der einen (20) wird hervorgehoben, dass eine effiziente Handelshilfe auch die aktive Einbindung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure an der Gestaltung der Programme, der Überwachung ihrer Durchführung und der Bewertung ihrer Ergebnisse und Auswirkungen erforderlich macht. Die Kommission sollte sicherstellen, dass in den Beziehungen zu den AKP-Staaten deren Vielfalt berücksichtigt wird, und dabei auch die umfassende und aktive Beteiligung dieser Akteure einschließlich der Sozialpartner und der weiteren Zivilgesellschaft anstreben. Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass das kürzlich geschlossene WPA mit der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika derartige Bestimmungen nicht enthält.

4.3.3.1

In der zweiten Stellungnahme (21) unterstreicht der EWSA, dass Unternehmensverbände und zivilgesellschaftliche Organisationen in den Entwicklungsländern beim Erwerb der Kompetenzen und Fähigkeiten zur positiven Beeinflussung des unternehmerischen Umfelds Unterstützung benötigen. Dazu gehört auch die Wahrung allgemein anerkannter demokratischer Grundsätze. Durch ein derartiges unternehmerisches Umfeld werden die Gründung und das Wachstum von Unternehmen erleichtert, die Transparenz erhöht, eine ausufernde Bürokratie vermieden und die allgegenwärtige Korruption eingeschränkt, um nicht zuletzt Anreize für ausländische und einheimische Investoren zu schaffen.

4.4

Drittens gibt es in der Mitteilung keine Hinweise darauf, dass wesentliche Importe aus wichtigen Ländern, mit denen bislang kein Freihandelsabkommen in Sicht ist, gesichert oder weitere Maßnahmen getroffen werden müssen, um die Energieabhängigkeit der EU zu verringern. Ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze hängt auch von einer sicheren und regelmäßigen Versorgung mit Energie und wichtigen Rohstoffen ab. Dieser Frage wurde in einer früheren Stellungnahme des EWSA nachgegangen, in der eine wirksame globale Strategie und innerhalb der EU ein klares Notfall- oder Krisenreaktionsverfahren gefordert wird für den Fall, dass ein besonders wichtiges Importgut — aus welchem Grund auch immer — plötzlich nicht mehr zur Verfügung steht (22).

4.4.1

Der EWSA hat mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen, dass in der jüngsten Mitteilung der Kommission „Paket zur Energieunion“ (23) dem Abschnitt „Eine stärkere Rolle Europas auf den globalen Energiemärkten“ erstaunlich wenig Gewicht beigemessen wurde. Algerien und die Türkei werden — nach Auffassung der EWSA zu Unrecht — in einem Atemzug genannt, aber es wird weder auf die wichtigen Energiekorridore noch auf die strategische Partnerschaft der EU mit China, insbesondere im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit in den Bereichen Energie und Verkehr, eingegangen.

4.4.2

Die Einigung auf der COP 21 wurde erzielt, als die Mitteilung „Handel für alle“ bereits vorlag. Das internationale Handelssystem wird den Zielen der COP 21 sowie den Nachhaltigkeitszielen Rechnung tragen müssen. Auch der ökologische Fußabdruck und Impulse für die Artenvielfalt müssen bei der Bekämpfung des Klimawandels berücksichtigt werden.

4.5

Die EU ist erst seit dem Vertrag von Lissabon für den Bereich Investitionen zuständig. In der Mitteilung wird vorgeschlagen, alle bestehenden Freihandelsabkommen der EU zu aktualisieren und gesonderte Verhandlungen mit Hongkong und Taiwan aufzunehmen.

4.5.1

Zweitens wird im Anschluss an die Kontroverse über die Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten (ISDS) und die anschließenden Vorschläge für die TTIP-Verhandlungen eine Regelung für den Investitionsschutz und die Schiedsverfahren angestrebt. Es wird vorgeschlagen, die staatliche Regulierungskompetenz in Freihandelsabkommen stärker zu verankern. Ebenso wird versucht, das alte System „in eine öffentliche Investitionsgerichtsbarkeit umzuwandeln, die aus einem Gericht erster Instanz und einem Berufungsgericht besteht und wie ein traditioneller Gerichtshof arbeitet“ (24). Es bedarf eines Verhaltenskodex und unabhängiger Richter, welche hohe fachliche und rechtliche Qualifikationen besitzen müssen.

4.5.2

Der EWSA spricht sich für eine offene und transparente Debatte aus. Es ist daher bedauerlich, dass diese Vorschläge, gegen die sich eine ganze Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen ausgesprochen hatte, da sie sich nicht wesentlich von dem vom EWSA kritisierten (25) Verfahren zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten (ISDS) unterscheiden, nun ohne eine umfassende und ordentliche öffentliche Konsultation in das Abkommen mit Vietnam und den revidierten CETA-Text eingebunden wurden.

4.6

Schließlich sind für eine ehrgeizige EU-Handels- und Investitionspolitik angemessene, zweckbestimmte und ausreichende Ressourcen erforderlich — sowohl für die gleichzeitige Durchführung mehrerer Verhandlungen als auch für die Überwachung und Umsetzung von Handelsabkommen (einschließlich ausreichender Finanzmittel für die Überwachung durch die Zivilgesellschaft), aber auch, um in der Öffentlichkeit mehr Überzeugungsarbeit für den Handel zu leisten. Die Bereitstellung ausreichender Ressourcen dort, wo sie am meisten gebraucht werden, sollte eine zentrale Erwägung bei der Umsetzung des Konzepts „Handel für alle“ sein und sich auch auf die Rolle der Missionen und Delegationen der EU in Drittstaaten erstrecken.

5.   Nachhaltigkeit und Werte der EU — Schlüssel für die Überzeugungsarbeit innerhalb der EU

5.1

Es wird wichtig sein, innerhalb der EU umfangreiche Überzeugungsarbeit für den Handel zu leisten, wenn „Handel für alle“ zum Erfolg geführt werden soll. Handel und Investitionen werden derzeit in der Öffentlichkeit diskutiert und von weiten Kreisen der Zivilgesellschaft als wichtig betrachtet, wobei vielfach Grundprinzipien hinterfragt werden. Die frühere Annahme auf EU-Seite, dass der liberalisierte Handel automatisch Vorteile bringt, wird nicht länger akzeptiert.

5.2

In der Mitteilung „Handel für alle“ wird ausführlich auf die Bedenken eingegangen, die im Zuge der TTIP-Debatte geäußert wurden. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die „Kommission […] eine Politik verfolgen [muss], die der Gesellschaft insgesamt zugutekommt und europäische und weltweite Standards und Werte neben zentralen wirtschaftlichen Interessen fördert, indem sie nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte, Steuervermeidung, Verbraucherschutz und verantwortlichen, fairen Handel stärker betont“ (26). Vorschriften zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerflucht werden ebenfalls wichtig sein. Des Weiteren wird zugesichert, „dass kein Handelsabkommen der EU zu einem niedrigeren Niveau beim Verbraucher- und Umweltschutz, beim sozialen Schutz oder beim Arbeitsschutz führen wird“ (27). Nach der COP 21 sollte nunmehr auch die globale Erwärmung aufgenommen werden.

5.3

Der EWSA begrüßt diese Zusagen, die auf die Mitteilung „Europa in einer globalen Welt“ aufbauen, in der es heißt: „Wenn wir zu Hause Kohäsion und soziale Gerechtigkeit anstreben, sollten wir im Übrigen auch versuchen, unsere Werte, und dazu zählen auch unsere Sozial- und Umweltstandards und die kulturelle Vielfalt, weltweit zu befördern“ (28).

5.3.1

Das Engagement der EU für eine nachhaltige Entwicklung liegt zum Teil in ihrem Wunsch begründet, ihre gemeinsamen Überzeugungen nach außen zu tragen und dementsprechend für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Transparenz und Berechenbarkeit einzutreten. Es geht dabei um Umweltschutz, Bekämpfung des Klimawandels, Förderung von menschenwürdiger Arbeit, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und das breite Spektrum der in den Kernübereinkommen der ILO und den grundlegenden multilateralen Umweltübereinkommen behandelten Fragen. In dieser Hinsicht müssen jetzt auch die Nachhaltigkeitsziele eine zentrale Rolle spielen.

5.3.2

In den meisten Branchen sind die Zölle in den Handelsverhandlungen gegenüber den nichttarifären Hemmnissen und Vorschriften einschließlich der Regulierungszusammenarbeit zweitrangig geworden. Das gilt allerdings nicht für die Textil- und Keramikbranche. Deshalb sind es die Folgen dieser Zusammenarbeit, die Fragen über die eigentlichen Gewinner aufkommen lassen. In der Mitteilung wird hervorgehoben, wie wichtig es ist, dass diese Regulierungszusammenarbeit ohne eine Abschwächung des bestehenden regulatorischen Schutzes in Schlüsselbereichen wie Gesundheit, Sicherheit, Umwelt, Arbeitsbedingungen und Verbraucherschutz erreicht wird. Das Kapitel über gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen des CETA ist in dieser Hinsicht wegweisend. Das Recht auf Regulierung muss gewährleistet werden. Es muss vermieden werden, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.

5.4

Der Ausschuss begrüßt die von der Kommission bekundete Absicht, im Einklang mit den Standpunkten des EWSA, des Europäischen Parlaments und der Zivilgesellschaft im weiteren Sinne die öffentlichen Dienstleistungen im Rahmen von Freihandelsabkommen zu schützen, und ist der Ansicht, dass dies am besten durch die Verwendung einer Positivliste für den Marktzugang und die Inländerbehandlung zu bewerkstelligen ist.

5.5

Da der Handel heute intensiver diskutiert wird, kann nicht mehr ohne Weiteres von einer Ratifizierung durch das Europäische Parlament ausgegangen werden, zumal dieses über erweiterte Befugnisse verfügt und in ihm eine viel größere Bandbreite von Ansichten vertreten wird. Daher hält es der Ausschuss für angebracht, dass die Kommission bei den Handelsverhandlungen die vom Europäischen Parlament in seinen Entschließungen (zuletzt zu TTIP und TISA) geäußerten Bemerkungen und Bedenken berücksichtigt. Wahrscheinlich werden einige Freihandelsabkommen geteilte Zuständigkeiten berühren, weshalb in diesen Fällen eine Ratifizierung durch die nationalen Parlamente notwendig sein wird. In derartigen Fällen erfordert die Ratifizierung ein Verfahren, das uneingeschränkt der Rechenschaftspflicht unterliegt und im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen steht. Weitere Aktivitäten der Kommission werden sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene erforderlich sein, um die Zustimmung zu solchen Abkommen zu erlangen.

5.6

Die Stärken der EU im Handel gehören nach wie vor zu ihren größten Trümpfen, aber die positiven Seiten des Handels und insbesondere der Investitionen müssen immer wieder neu hervorgehoben werden. Sowohl auf europäischer als auch auf mitgliedstaatlicher Ebene ist eine breit angelegte sachkundige Debatte unter Einbindung der Zivilgesellschaft erforderlich, wobei dafür Sorge zu tragen ist, dass alle interessierten Kreise sicher sein können, ihrer Stimme Gehör verschaffen zu können.

5.6.1

Bisher hat eine erweiterte, attraktive Palette importierter Produkte in Verbindung mit niedrigeren Preisen infolge der Senkung oder des Abbaus von Zöllen klar erkennbare Vorteile für die Verbraucher gebracht, da sie nun eine größere Auswahl und Vielfalt zur Verfügung haben. Fragen wie die Senkung der Roaminggebühren für die Telekommunikation mit Handelspartnern sind noch offen. Die Förderung der Verbraucherausgaben in der EU ist von entscheidender Bedeutung, um die umfassenden Vorteile der Handelsliberalisierung in der EU — vor allem in Form von mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung — zu nutzen.

5.7

In der Mitteilung wird die Bedeutung des Handels für die EU in puncto Wachstum und Arbeitsplätze betont. Ebenso wichtig ist jedoch der Standpunkt der Verbraucher, die über die Senkung von Standards und potenzielle ökologische Folgewirkungen besorgt sind.

5.7.1

Die Verbraucher, die in der Kommissionsmitteilung (29) als die Nutznießer des Handels ausgemacht werden, müssen Vertrauen in den globalen Markt haben. Um dieses Vertrauen zu gewinnen, muss die Handelspolitik erkennbar mit einer nachhaltigen Entwicklung und einer langfristigen wirtschaftlichen Tragfähigkeit im Einklang stehen. Folgenabschätzungen werden dies vollumfänglich widerspiegeln und greifbare Ergebnisse zeitigen müssen.

5.7.2

Die Verbraucher und die Zivilgesellschaft im weiteren Sinne müssen in den Mittelpunkt der Politikgestaltung gerückt werden. Nach Ansicht des EWSA ist es ein äußerst positiver Schritt, dass der Schwerpunkt der Mitteilung auf eine für die Verbraucher vorteilhaftere, offenere und transparentere Handelspolitik gelegt wurde. Nichtsdestoweniger ist auch der EWSA besorgt darüber, dass es bislang noch keine Instrumente zur Verankerung des Vorsorgeprinzips und des risikobasierten Ansatzes in der Handelspolitik gibt. Dies wiederum muss fester Bestandteil des Innovationsgrundsatzes (30) sein.

6.   Transparenz und verstärkte Teilnahme der Zivilgesellschaft

6.1

„Handel für alle“ wird daran gemessen werden, ob die Kommission unter Beweis stellen kann, dass Handelsabkommen nicht zu einer Senkung der Umwelt-, Arbeits- und sonstigen Standards führen. So muss sich diese auch selbst bereit zeigen, Rechenschaft über die von ihr geführten Handels- und Investitionsverhandlungen abzulegen, und unter Beweis stellen, dass sie ihren Anspruch, im Interesse aller zu handeln, auch tatsächlich einlöst.

6.1.1

Dies lässt sich nur dadurch erreichen, dass die Zivilgesellschaft von Anfang an erheblich stärker eingebunden wird.

6.1.2

Der Notwendigkeit, die Zivilgesellschaft aktiv einzubinden, wird in der Mitteilung Rechnung getragen, wenn auch nicht so umfassend, wie man es hätte erwarten können. Aufgrund seiner Rolle im EU-Institutionengefüge kann der EWSA durch seine regelmäßigen Kontakte zur Zivilgesellschaft innerhalb und außerhalb der EU hierzu einen Beitrag leisten. Dies muss auch direkte Konsultationen der Sozialpartner zu den möglichen Auswirkungen von Handel und Investitionen auf die Beschäftigung umfassen.

6.2

Nach den Kontroversen in Bezug auf die TTIP wird in der Mitteilung nun uneingeschränkt anerkannt, dass Transparenz erforderlich ist. Der EWSA begrüßt die Zusage, für alle Verhandlungen das gleiche Maß an Transparenz wie für die TTIP zu gewährleisten. Daher fordert der EWSA den Rat auf, das Mandat und die Verhandlungsvorlagen für das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan unverzüglich zu veröffentlichen.

6.2.1

Seiner Ansicht nach sind Informationssitzungen für die Zivilgesellschaft während der einzelnen Verhandlungsrunden besonders wichtig. Auch die Beratungsgruppe, die eingesetzt wurde, um Beiträge zu den TTIP-Verhandlungen zu liefern, war von großem Nutzen, und der EWSA bedauert, dass er als EU-Einrichtung nicht formell in diese Gruppe eingebunden wurde. Hier muss in Zukunft Abhilfe geschaffen werden.

6.3

Was in der Kommissionsmitteilung jedoch ganz augenscheinlich fehlt, sind Hinweise auf die zivilgesellschaftlichen Überwachungsmechanismen für die Kapitel Handel und nachhaltige Entwicklung in den bereits geschlossenen EU-Handelsabkommen und darauf, wie diese ausgebaut und gestärkt werden können. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass Durchsetzungsmechanismen gleichermaßen für die Kapitel Handel und nachhaltige Entwicklung gelten müssen und dies bereits im Kommissionsvorschlag für die TTIP entsprechend vorgesehen werden sollte.

6.3.1

Das ist enttäuschend. In seiner Stellungnahme zur Mitteilung „Europa in einer globalen Welt“ plädiert der EWSA dafür, in allen nachfolgenden Freihandelsabkommen ein Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung sowie eine aktive Beobachterrolle für die Zivilgesellschaft vorzusehen (31).

6.3.2

Ausgehend vom Abkommen EU-Korea aus dem Jahr 2010 gibt es mittlerweile sieben Handelsabkommen der EU, in denen explizit ein Kapitel zum Thema „Handel und nachhaltige Entwicklung“ enthalten ist. Der EWSA hat inzwischen gefordert, derartige Kapitel auch in eigenständige Investitionsabkommen aufzunehmen (32).

6.3.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Fehlen einer eingehenden Bewertung, Überwachung oder potenziellen Weiterentwicklung dieser Kapitel im krassen Widerspruch zur ansonsten begrüßenswerten Absicht der Kommission steht, sich neben den materiellrechtlichen Bestimmungen auch weiterhin um ehrgeizige und innovative Kapitel zum Thema Handel und nachhaltige Entwicklung in den Handels- und Investitionsabkommen der EU zu bemühen.

6.3.4

In jedes derartige Abkommen wurden auch verschiedene Arten gemeinsamer Mechanismen der Zivilgesellschaft zur Überwachung der Umsetzung der Kapitel „Handel und nachhaltige Entwicklung“ aufgenommen. Es liegen mittlerweile genug Erfahrungen und Erkenntnisse vor, auf deren Grundlage Überlegungen angestellt sowie eindeutige und positive Empfehlungen für die Zukunft abgegeben werden können.

6.3.5

Diese Mechanismen verfügen über ein großes Potenzial und können gegebenenfalls zu konkreten Ergebnissen im Hinblick auf die positiven Auswirkungen von Handel und Investitionen führen. Sie sind ein wichtiges Instrument für den Dialog und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft der Partnerländer und erfordern auch Zeit, Aufwand und den Aufbau von Kapazitäten, um uneingeschränkt eingesetzt werden und eine wirksame Rolle spielen zu können, insbesondere in den Ländern, in denen das Modell des sozialen und zivilen Dialogs von demjenigen der EU abweicht. Die bestehenden Kontakte des EWSA haben sich bei der Einrichtung der internen beratenden Gruppen (DAG) als nützlich erwiesen.

6.4

Da die Zahl derartiger Gremien wächst, werden auch die Herausforderungen größer, eine ausgewogene Vertretung der verschiedenen Seiten in den DAG zu erreichen, und das führt zu beträchtlichen Verzögerungen.

6.4.1

Weitere wiederholt auftretende Probleme sind:

Kapazitätsengpässe in den zuständigen Organisationen: Hier benötigen sowohl die Partnerländer als auch die Akteure der Zivilgesellschaft mehr Unterstützung;

die Notwendigkeit, in den Abkommen gemeinsame Sitzungen der DAG der EU und der Partnerländer festzuschreiben, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsame Kriterien für die Überwachung festzulegen;

die Bereitstellung angemessener Mittel für die Beteiligung der Zivilgesellschaft: Dies sollte sich auch auf weitergehende Tätigkeiten einschließlich einschlägiger Seminare oder Studien erstrecken, die zur Verwirklichung der allgemeinen Ziele im Bereich Handel und nachhaltige Entwicklung beitragen.

6.4.2

Der EWSA empfiehlt darüber hinaus, das Mandat der DAG auf alle Fragen, die für die Zivilgesellschaft von Interesse sind, auszuweiten. Dazu gehören die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen, KMU-Kapitel und Bestimmungen in Bezug auf die Menschenrechte.

Brüssel, den 28. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2015) 497 final.

(2)  ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 34.

(3)  Siehe Fußnote 1.

(4)  „Better Framework for Innovation“, veröffentlicht von BusinessEurope et al., Juni 2015.

(5)  COM(2006) 567 final.

(6)  In Bezug auf China ist die Frage der Zuerkennung des Status einer Marktwirtschaft ebenfalls von zentraler Bedeutung.

(7)  Pressemitteilung der Europäischen Kommission, Juli 2015.

(8)  Siehe Fußnote 1.

(9)  Ebd.

(10)  Ebd.

(11)  Ministererklärung von Nairobi — Punkt 4, WT/MIN(15)/DEC https://www.wto.org/english/thewto_e/minist_e/mc10_e/mindecision_e.htm.

(12)  Siehe Fußnote 1.

(13)  Ebd.

(14)  Informationsbericht zum Thema „Die soziale und gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen“ (http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.rex-opinions.35349).

(15)  COM(2015) 497 final, Ziffer 5.1.

(16)  Ebd.

(17)  Ebd., Ziffer 5.1.1.

(18)  Derzeit wird der 500. Fall behandelt.

(19)  Schlusserklärung des 14. Treffens der wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen AKP/EU gemäß dem Cotonou-Abkommen.

(20)  ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 49.

(21)  ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 1.

(22)  ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 47.

(23)  COM(2015) 80 final.

(24)  Ebd.

(25)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Anlegerschutz und Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat in Handels- und Investitionsabkommen der EU mit Drittländern“, ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 45.

(26)  Siehe Fußnote 1.

(27)  Ebd.

(28)  COM(2006) 567 final, Ziffer 3.1 iii.

(29)  COM(2015) 497 final, Ziffer 4.1.1.

(30)  Vgl. Fußnote 5.

(31)  ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 82.

(32)  ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 19.


20.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 264/134


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten

[COM(2016) 71 final — 2016/43 (NLE)]

(2016/C 264/18)

Der Rat beschloss am 24. Februar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 148 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten

[COM(2016) 71 final — 2016/43 NLE].

Da der Ausschuss sich bereits in seiner früheren Stellungnahme zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien (EESC-2015-01167-00-02-AC-TRA) vom 27. Mai 2015 (*) zu dem Inhalt dieses Vorschlags geäußert hat, beschloss er auf seiner 516. Plenartagung am 27./28. April 2016 (Sitzung vom 27. April) mit 220 Stimmen gegen 1 Stimme bei 7 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 27. April 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(*)  Stellungnahme des EWSA SOC/519 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten COM(2015) 098 final — 2015/0051 (NLE), ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 68.