ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 383

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

58. Jahrgang
17. November 2015


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

509. Plenartagung des EWSA vom 1./2. Juli 2015

2015/C 383/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Frauen im Verkehrswesen (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen der Europäischen Kommission)

1

2015/C 383/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Umwelt-, gesellschafts- und gesundheitsbezogene Werbeaussagen im Binnenmarkt (Initiativstellungnahme)

8

2015/C 383/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu Sport und europäische Werte (Initiativstellungnahme)

14

2015/C 383/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Energiespeicherung: ein Faktor der Integration und der Energieversorgungssicherheit (Initiativstellungnahme)

19

2015/C 383/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Intelligente Städte als treibende Kraft für eine neue europäische Industriepolitik (Initiativstellungnahme)

24

2015/C 383/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die TTIP und ihre Auswirkungen auf die KMU (Initiativstellungnahme)

34

2015/C 383/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Post-2015-Ziele im Europa-Mittelmeer-Raum (Initiativstellungnahme)

44

2015/C 383/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Entwicklungsfinanzierung — der Standpunkt der Zivilgesellschaft (Initiativstellungnahme)

49

2015/C 383/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Bewertung der Konsultation der Interessenträger durch die Europäische Kommission (Initiativstellungnahme)

57


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

509. Plenartagung des EWSA vom 1./2. Juli 2015

2015/C 383/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch: Schaffung einer Kapitalmarktunion (COM(2015) 63 final)

64

2015/C 383/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Das Paris-Protokoll — Ein Blueprint zur Bekämpfung des globalen Klimawandels nach 2020(COM(2015) 81 final)

74

2015/C 383/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzstrategie (COM(2015) 80 final) und der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Erreichung des Stromverbundziels von 10 % — Vorbereitung des europäischen Stromnetzes auf 2020 (COM(2015) 82 final)

84

2015/C 383/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik(JOIN(2015) 6 final)

91

2015/C 383/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Richtlinie 76/621/EWG des Rates zur Festsetzung des Höchstgehalts an Erukasäure in Speiseölen und -fetten und der Verordnung (EG) Nr. 320/2006 des Rates mit einer befristeten Umstrukturierungsregelung für die Zuckerindustrie [COM(2015) 174 final — 2015/0090 COD]

99

2015/C 383/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen mehrjährigen Wiederauffüllungsplan für Roten Thun im Ostatlantik und im Mittelmeer und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 302/2009 [COM(2015) 180 final — 2015/0096 COD]

100


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

509. Plenartagung des EWSA vom 1./2. Juli 2015

17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Frauen im Verkehrswesen“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen der Europäischen Kommission)

(2015/C 383/01)

Berichterstatterin:

Madi SHARMA

Mitberichterstatter:

Raymond HENCKS

Die Europäische Kommission beschloss am 8. März 2015 gemäß Artikel 304 AEUV, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

Frauen im Verkehrswesen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 16. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 1. Juli) mit 119 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Alle Bereiche des Verkehrswesens — Luft, See, Straße, Schiene, Binnenschifffahrt, Weltraum, Logistik — sind traditionell von Männern beherrscht. Mit dem Ergebnis:

Verkehrspolitik ist auf Männer ausgerichtet: sie wird von Männern gestaltet und dreht sich ganz um ihren Lebensstil;

in dieser Branche sind vorwiegend Männer beschäftigt, und sie ist auf männliche Beschäftigte zugeschnitten;

die in Verkehrsunternehmen gelebten Werte zeugen von wenig Unterstützung für Frauen und tragen der Geschlechterfrage kaum Rechnung;

die Gleichstellung der Geschlechter wird in der EU-Verkehrspolitik nicht berücksichtigt.

Ein Überblick über aktuelle Statistiken für diesen Sektor (siehe Anhang 1) veranschaulicht die in diesem Wirtschaftszweig herrschende Diskriminierung. Zahlreiche Hindernisse sind mit denen in anderen Sektoren vergleichbar, aber in der Verkehrsbranche wird besonders wenig für ihren Abbau getan.

1.2.

Deshalb liegt der Schwerpunkt in dieser, auf Ersuchen des für Verkehr zuständigen EU-Kommissars erarbeiteten Sondierungsstellungnahme auf den Möglichkeiten im Verkehrssektor, Frauen besser zu integrieren und mehr wirtschaftliches, soziales und nachhaltiges Wachstum zu schaffen. In dieser Stellungnahme soll es nicht um Frauen als Nutzerinnen von Verkehrsleistungen gehen; gleichwohl könnte nach Ansicht des EWSA zu diesem Thema ebenfalls eine Sondierungsstellungnahme erarbeitet werden. Trotz aller Mängel kann die Situation durch Gleichstellungsmaßnahmen zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Wachstum und Beschäftigung im Rahmen von Europa 2020 geändert werden. Die neue Investitionsoffensive für Europa zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung muss die Gleichstellung der Geschlechter durch Beseitigung bestehender geschlechtsspezifischer Hindernisse gewährleisten und eine Kultur des Engagements und der Integration von Männern und Frauen entwickeln, damit diese gleichermaßen in allen Bereichen des Verkehrswesens tätig sein können. Die Geschlechtergleichstellung muss stärker anerkannt werden, damit sie ein wichtiger Bestandteil der EU-Verkehrspolitik wird.

1.3.

Die wichtigsten Empfehlungen lauten:

Datensammlung und Aufstellung von Schlüsselindikatoren zu Ermittlung und Beseitigung von Hindernissen;

Gewährleistung einer größeren Präsenz und Beteiligung von Frauen in der Politikgestaltung, Entscheidungsfindung und Planung;

proaktiv beiderlei Geschlecht in die Schaffung eines besseren Arbeitsumfelds einbinden, u. a. gleicher Lohn für gleiche Arbeit in sämtlichen Bereichen der Branche;

Initiativen zu ergreifen, mit denen Frauen die Beschäftigungsmöglichkeiten im Verkehrssektor mittels Maßnahmen zur Steigerung der Beschäftigungsqualität attraktiver gemacht werden;

bessere Einbindung von Universitäten und Berufsberatungsstellen, um die große Bandbreite des Sektors, u. a. Technologie, FuE und Ingenieurwesen, stärker zu umwerben;

proaktive Förderung der Rolle von Frauen in Unternehmen;

Befähigung von Frauen und stärkere Integration von Frauen in Verkehrsberufe.

2.   Überblick

2.1.

Das Thema Frauen im Verkehrswesen ist komplex und kann in diesem Papier nicht in aller Tiefe behandelt werden. Interesse am Verkehrswesen wird durch Erziehung, Familie, Erfahrungen, Notwendigkeit oder Innovationsbedarf geweckt. Der Einstieg in diesen Sektor ist das Ergebnis von Karrieremöglichkeiten, die in Bildungseinrichtungen geboten werden, Qualifikationen, Fähigkeiten oder Netzen. Der Verbleib in diesem Sektor kann von der Entwicklung der Humanressourcen, Schulungen, Ausbau von Qualifikationen und Diversifizierung, von Arbeitsbedingungen, Gehalt, Arbeitszeiten und Vereinbarkeit von Familie und Beruf abhängen.

2.2.

Für Frauen beinhaltet das auch Aspekte wie Sicherheit, geschlechtsspezifische Gewalt und sexuelle Belästigung durch Kollegen oder Nutzer. Darüber hinaus kann es sein, dass Frauen ihre Berufstätigkeit wegen Mutterschaft und Betreuung Angehöriger unterbrechen. Deshalb erfordert der Wiedereintritt in diese Branche flexible Arbeitszeitregelungen, Umschulung und Maßnahmen gegen einen Verlust des Dienstalters/Status.

2.3.

Doch dort, wo die Arbeitsbedingungen gut sind, finden Männer und Frauen im Verkehrssektor Erfüllung und Zufriedenheit am Arbeitsplatz, hohe Ausbildungsstandards, Weiterbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen vor und werden in die Entscheidungsfindung einbezogen. Dies schlägt sich für die Unternehmer in Innovationschancen, Wachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen nieder.

2.4.

Bei der Analyse von Beschäftigungstrends ist zwischen fahrendem und nichtfahrendem Personal im Verkehrswesen zu unterscheiden. Weiblichen Beschäftigten im Verkehrssektor fällt es schwerer, in großer Entfernung von zu Hause zu arbeiten, weshalb in fast allen Verkehrsberufen mit Ausnahme der Luftfahrt mobile Tätigkeiten vorwiegend von Männern ausgeübt werden. Mobile Tätigkeiten sind traditionell besser bezahlt, was das geschlechtsspezifische Lohngefälle im Verkehr verstetigt und schwerer behebbar macht.

2.5.

Die Wirtschaftskrise hat sich ebenfalls auf weibliche Beschäftigte ausgewirkt. Vor der Krise ließen sich Tendenzen einer Öffnung des Wirtschaftszweiges für Frauen erkennen; es wurden mehr Anstrengungen unternommen, Frauen in der Verkehrsbranche einzustellen und zu befördern. Dieser Trend entstand seinerzeit im Zuge der Entwicklung von landgestützten Dienstleistungsberufen und Investitionen in Technologien, die keinen körperlichen Kraftaufwand mehr erfordern. Gleichwohl wurden diese Trends durch die Krise gedämpft, da von den Ausgabenkürzungen auch Maßnahmen zur Flankierung von Politiken zur Gleichstellung am Arbeitsplatz betroffen waren.

3.   Politische Ziele für eine bessere Ausgewogenheit der Geschlechter

3.1.

Der EWSA ist darüber erfreut, dass Kommissionsmitglied Bulc, eine Frau, das Ressort Verkehr übernommen hat. Allzu oft basiert die geschlechtsspezifische Zusammensetzung von Entscheidungsgremien auf Stereotypen statt auf Sachkompetenz. Wenn im EU-Verkehrssektor ein starkes und nachhaltiges Wachstum erzielt werden soll, dann muss die einschlägige Politikgestaltung und Entscheidungsfindung geschlechtsneutral sein. Frauen müssen gleichberechtigt in beides einbezogen werden, und zwar nicht durch positive Diskriminierung, sondern auf der Grundlage von Verdienst, Kompetenz und Transparenz bei den Ernennungen.

3.2.

Es hat sich erwiesen, dass eine höhere Mitwirkung von Frauen auf der höheren Ebene, auch als nicht geschäftsführende Direktorinnen, grundlegende Vorteile für Unternehmen bringt (1). Die Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen hilft Unternehmen, Institutionen und Vereinigungen, innovativ zu sein, und gibt ihnen neue Einsichten in den Markt. Eine Geschlechterdiversität unter den Arbeitnehmern fördert Zusammenarbeit, gegenseitiges Verständnis und Toleranz und hat sich als förderlich für Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und soziale Verantwortung von Unternehmen erwiesen, was den Verbleib beider Geschlechter gewährleistet.

3.3.

Der EWSA empfiehlt daher einfache, unbürokratische Verfahren der regelmäßigen Überprüfung und Berichterstattung über die Fortschritte aufseiten der Verkehrsakteure (politische Entscheidungsträger, Unternehmen, Gewerkschaften, Verkehrsverbände, Interessenträger) bei der Geschlechtergleichstellung. Das sollte auch die Sensibilisierung der Nutzer mit Blick auf die Überwindung von Stereotypen und Vorurteilen umfassen. Frauen und Männern sollten dieselben Chancen der Einflussnahme auf Schaffung, Entwicklung und Verwaltung des Verkehrssystems eingeräumt werden, und ihre Werte sollten dasselbe Gewicht haben. Die Kommission könnte das sowohl in ihrem eigenen politischen Dialog beherzigen als auch als zur Auflage für die TEN-V-Projektfinanzierung oder die FuE-Finanzierung machen.

4.   Datenerhebung und Indikatoren

4.1.

Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten könnten die Unternehmen besser durch die Erhebung und statistische Analyse von geschlechtsspezifischen und nach Geschlechtern aufgeschlüsselten Daten unterstützen und zentrale Bereiche für Investitionen oder Unterstützung aufzeigen.

4.2.

Folgende Indikatoren sollten in Betracht gezogen werden:

Anleitung und Beratung in der Sekundar- und Hochschulbildung;

Qualifikationen und Ausbildung — einschließlich weiterführende Schulen bis zur höheren Bildung;

Einstellung/Gehälter;

Karrierechancen und -hindernisse;

Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben;

Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz;

Arbeitskultur, einschließlich Aufschlüsselung nach Geschlechterrollen;

Frauen in Politikgestaltung und Entscheidungsfindung, einschließlich in Führungsgremien von Unternehmen;

Mittelzuweisung für Unternehmerinnen.

4.3.

Die Analyse der Daten kann zur Prüfung des Beschäftigungszyklus genutzt werden, wo es Hindernisse für die Einstellung und den Aufstieg von Frauen im Sektor gibt. Anschließend können unternehmensspezifische Instrumente geschaffen werden, mit denen die Schwachstellen behoben werden, durch die Frauen diskriminiert werden.

4.4.

Die Europäische Kommission könnte ferner die Analyse folgender Aspekte in Erwägung ziehen:

Verteilung und Zuweisung öffentlicher Gelder, einschließlich Projektfinanzierung durch die EU, da geschlechtsspezifische Vorurteile bei den Entscheidungsfindungprozessen sich auf die Verwendung öffentlicher Gelder und die Nutzung öffentlicher Infrastrukturen auswirken. Dies sollte zur Berücksichtigung des Gleichstellungsaspekts in der Haushaltsplanung für die EU-Verkehrspolitik führen;

die Unterteilung der makroökonomischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Folgen von geschlechtsspezifischen Vorurteilen bei der Konzipierung von politischen Maßnahmen in den Bereichen Besteuerung, Straßenbenutzungsgebühren, Luftverkehrssteuer, öffentliche Dienstleistungen, Liberalisierung und Verbraucherrechte. Dies würde die Einbeziehung der geschlechtsspezifischen Dimension in öffentliche Dienstleistungen und in Liberalisierungs-/Privatisierungsmaßnahmen innerhalb des Sektors sicherstellen;

Erhebung von Daten als evidenzbasierte Grundlage für die künftige europäische Verkehrspolitik und ihre Prozesse. So zeigt zum Beispiel die britische Aufsichtsstelle für Gleichstellung im öffentlichen Verkehr auf, ob Verkehrseinrichtungen die Gleichstellungsanforderungen erfüllen.

5.   Beschäftigung: Frauenanteil

5.1.

In den letzten Jahrzehnten hat der Frauenanteil auf dem europäischen Arbeitsmarkt in allen Branchen zugenommen. Dieser Trend setzt sich fort, und doch arbeiten im Verkehrssektor weiterhin zu wenige Frauen. Trotz einer Reihe von Initiativen im Rahmen des Europäischen Sozialfonds und des Programms EQUAL ist der Verkehrssektor weiterhin eine nach Geschlechtern getrennte Branche, in der überwiegend Männer als Fahrer/Piloten, Techniker arbeiten oder Tätigkeiten nachgehen, die körperliche Arbeit und eine hohe Arbeitsbelastung mit sich bringen, während Frauen vorwiegend in Dienstleistungen und Verwaltung tätig sind.

5.2.

Generell waren von Umstrukturierungen im Verkehrswesen hauptsächlich die von Männern dominierten Arbeitsplätze betroffen: Eisenbahn, Häfen und Binnenwasserstraßen, während Frauen vermehrt den Dienstleistungstätigkeiten nachgehen, die in neuen Lieferketten, Logistikunternehmen usw. entstanden sind. Heute ermöglicht es die Einführung neuer Technologien, dass Frauen und Männer gleichermaßen Tätigkeiten in Bereichen nachgehen, die bislang mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden waren. Gleichwohl bleibt die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ein Problem und erschwert die Beschäftigung von Frauen in mobilen Tätigkeiten.

5.3.

Die allgemeine Vorstellung, dass bestimmte Tätigkeiten, Arbeitsplätze, Arbeitszeitregelungen ausschließlich für Männer geeignet sind, ist weit verbreitet. Das hat beträchtliche Auswirkungen auf die Einstellung und den Verbleib von Arbeitnehmerinnen in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind.

5.4.

In puncto Lohngleichheit ist festzuhalten, dass die Segregation im Verkehrswesen das geschlechtsspezifische Lohngefälle aufrechterhält. Männer sind vorwiegend im technischen Dienst beschäftigt und gelten als besser qualifiziert, während Frauen überwiegend in der Verwaltung und im Kundendienst tätig sind. Männer in Verkehrsberufen kommen auf mehr Arbeitsstunden und haben häufiger eine Vollzeitstelle, während Frauen eher flexible Arbeitszeitregelungen wählen, die beschränkte Möglichkeiten bieten. Im Verkehrssektor sind die Karriereaussichten für Männer besser als für Frauen. Der Zugang zu von Männern dominierten Tätigkeiten ist weiterhin problematisch, obwohl Männer und Frauen gleichberechtigten Zugang zur beruflichen Bildung haben. Das führt dazu, dass Frauen technische Berufe erlernen, aber keine Arbeit finden, die ihrem Qualifikationsniveau entspricht. All dies trägt dazu bei, dass das geschlechtsspezifische Lohngefälle zwischen Frauen und Männern im Verkehrssektor weiter zunimmt.

5.5.

Ein gleichstellungsorientierter Ansatz für Gesundheitsschutz und Sicherheit im Verkehrssektor stößt auf eine Reihe von Schwierigkeiten, weil die meisten Tätigkeiten, die ein erhöhtes Risiko für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten mit sich bringen, vorwiegend von Männern ausgeübt werden. Das mindert die Chancen für einen nach Geschlecht aufgeschlüsselten Ansatz in gesundheits- und arbeitsschutzpolitischen Maßnahmen. Gleichwohl bringen die verschiedenen Tätigkeiten, Aufgaben, Arbeitsbedingungen oder Arbeitsstunden eine unterschiedliche Gefährdung mit sich.

5.6.

Im EU-Verkehrssektor kommt es vermehrt zu verschiedenen Formen von Gewalt, über die oftmals nicht berichtet wird. Gewalt durch Dritte ist ebenfalls ein Problem im Verkehrswesen, da Frauen vorwiegend jenen Verkehrsberufen nachgehen, die einen direkten Kontakt mit dem Verbraucher erforderlich machen und sie somit stärker aggressivem Verhalten und Angriffen von Verbrauchern ausgesetzt sind. Die am Kundenschalter tätigen Mitarbeiter haben mit einer zunehmenden Frustration seitens der Öffentlichkeit zu tun, hervorgerufen durch Staus, Verspätungen oder mangelnde Information bei Verzögerungen. Vor diesem Hintergrund sollte mehr getan werden, damit Verkehrsunternehmen Maßnahmen zur Nulltoleranz von Gewalt am Arbeitsplatz ergreifen.

5.7.

Der EWSA schlägt vor, im Zuge der Überarbeitung des Weißbuchs „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum“ aus dem Jahr 2011 eine neue Initiative in die Liste im Anhang I aufzunehmen, mit der die Gleichstellung der Geschlechter in Verkehrsberufen gefördert wird, namentlich Initiativen, mit denen Beschäftigungsmöglichkeiten im Verkehrssektor für Frauen mit Maßnahmen attraktiver gemacht werden, durch die die Beschäftigungsqualität in allen Verkehrsträgern, die Arbeitsbedingungen, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und gute Karrieremöglichkeiten verbessert werden, die alle zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen. Die Eingliederung von Frauen in Verkehrsberufe könnte durch positive Maßnahmen erleichtert werden, zu denen zumindest eine neue sanitäre Infrastruktur, neue Umkleideräume und Unterkünfte sowie eine angemessenere, nach Verkehrsträger aufgeschlüsselte Beurteilung von durchgehenden Arbeitszeiten ebenso wie Stress, repetitiven Bewegungen und Ermüdung zählen.

5.8.

Eine Reihe von europäischen Initiativen der branchenspezifischen Sozialpartner, mit denen der Verkehr zu einem besseren Arbeitsplatz für Frauen werden soll, zeigt, dass sich die Industrie der potenziellen Hindernisse bewusst ist. Eine Studie der Sozialpartner in der Eisenbahnbranche CER und ETF über die Vertretung und bessere Integration von Frauen in Eisenbahnberufen führte zu Empfehlungen, deren Umsetzung auf betrieblicher Ebene derzeit von den beiden Organisationen gemeinsam überwacht wird. Der UITP und die ETF verfolgen denselben Ansatz für den städtischen ÖPNV. Im Seeverkehr haben die ETF und die ECSA 2014 umfassende Schulungsinstrumente entwickelt, darunter Leitlinien, ein Video und ein Arbeitsbuch, mit denen Belästigungen an Bord von Schiffen behoben werden sollen. In Häfen und Docks haben sich ETF, ESPO, IDC und FEPORT unlängst auf gemeinsame Empfehlungen mit 14 Aktionspunkten verständigt, mit denen Frauen verstärkt für Tätigkeiten in Häfen gewonnen und gehalten werden sollen.

5.9.

Viele Organisationen, darunter die ILO, und die Sozialpartner haben bereits Leitlinien, Ausbildungspakete, Instrumentarien und Verhaltenskodizes geschaffen, die genutzt oder ausgebaut werden können, um den Frauenanteil im Sektor zu steigern. Die Kommission könnte eine starke Geschlechterdimension als eine der tragenden Säulen einer Beobachtungsstelle für Sozial-, Beschäftigungs- und Ausbildungsfragen im Verkehrsgewerbe aufnehmen, wie es der EWSA in seiner 2011 verabschiedeten Stellungnahme „Die Auswirkungen der EU-Politik auf Beschäftigungschancen, Ausbildungsbedarf und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Verkehrsgewerbe“ empfahl.

6.   Frauen in Unternehmen

6.1.

Unternehmer sind als Anbieter von Beschäftigungsmöglichkeiten und zentrale Akteure auch im Verkehrssektor wichtiger geworden (2). Das bedeutet heutzutage Engagement in der grünen Wirtschaft, intelligente Verkehrssysteme ITS, CCTV, Planung in Echtzeit und Sicherheit.

6.2.

Einfache, spezifische politische Maßnahmen für von Frauen geführte Unternehmen könnten eine Kapitalrendite bringen, die zu einer Steigerung des Wachstums und der Beschäftigungsmöglichkeiten in der EU führen würde. Die Kommission sollte die Einrichtung eines Büros für von Frauen geführte Unternehmen in der Europäischen Kommission und in den zuständigen Ministerien der Mitgliedstaaten in Betracht ziehen. Es sollte in den für wirtschaftliche Entwicklung zuständigen Ministerien angesiedelt sein, damit es eine klare Trennung zwischen Zuständigkeiten für wirtschaftliche Tätigkeiten und für Gleichstellungsfragen gibt.

6.3.

Außerdem sollte erwogen werden, einen Direktor/eine Direktorin oder hochrangigen Vertreter/Vertreterin für von Frauen geführte Unternehmen in der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten zu ernennen, der/die ressortübergreifend über den wirtschaftlichen Nutzen der Ermutigung von mehr Frauen zur Gründung und Weiterentwicklung von Unternehmen informiert. Diese Direktorin für Unternehmen könnte auch für die betrieblichen oder wissenschaftlichen Bildungswege zuständig sein, die zu mehr Unternehmertätigkeit von Frauen führen, wie Forschung, Wissenschaft, Hochtechnologie und Ingenieurwesen, Verkehrstechnik und IT-Entwicklung.

7.   Frauen im Verkehrswesen — von der Theorie zur Praxis

7.1.

Um die Unterrepräsentation von Frauen zu überwinden und die vielfältigen Begabungen von Frauen auf dem Verkehrsarbeitsmarkt wirksamer und umfassender zu nutzen, empfiehlt der EWSA folgende Instrumente zum Kapazitätenaufbau bei Frauen auf allen Ebenen. Dies kann durch Entwicklung von EU-Projekten in der GD Verkehr oder in Zusammenarbeit mit anderen, bereits bestehenden Projektpartnerschaften auf EU-Ebene erfolgen:

Entwicklung eines koordinierten Ansatzes zwischen Institutionen, Industrieverbänden, Gewerkschaften, Akteuren des Sektors, um eine Kampagne zu starten, mit der Frauen in Verkehrsunternehmen willkommen geheißen werden und der zusätzliche Nutzen einer besseren Integration von Frauen in die Branche für die EU-Wirtschaft und das soziale Gefüge herausgestellt wird. Das ist den Londoner Verkehrsbetrieben unlängst gelungen, wo 100 Frauen im Verkehrssektor vorgestellt wurden. Ihre Erfolgsgeschichte verdeutlichte die wichtige Rolle der Frauen in der Verkehrsbranche und von engagierten, motivierten und einfallsreichen aktuellen und künftigen Generationen von Arbeitnehmerinnen in der Verkehrsindustrie;

Gleichstellung im Verkehrswesen: dies ist nicht branchenspezifisch; Studien zeigen vielmehr, dass Ungleichheiten im Verkehrssektor einer der Hauptgründe sind, weshalb Frauen sich nicht stärker in diese Branche einbringen. Folgende Themen sollten vorrangig behandelt werden:

gleicher Lohn für gleiche Arbeit,

transparente Einstellungsverfahren,

flexible Arbeitsgestaltung — einschließlich Job Sharing- und Teilzeitmöglichkeiten,

Anwerbung von Talenten — ältere wie jüngere Arbeitnehmerinnen mit und ohne Hochschulabschluss,

Entscheidungsfindung — mehr Frauen in Unternehmensvorständen, in Verwaltungsstrukturen, in Gewerkschaften über die reine Mitgliedschaft hinaus und in der Politikgestaltung.

7.2.

Mentoring: Ausbau der Unterstützungsmechanismen, Bereitstellung von Wissen und Erfahrungen, Schaffung von Netzwerken und Angebot von Beratung. Dies kann intern in den Unternehmen und zwischen den verschiedenen Ebenen der Beschäftigten erfolgen, extern zwischen Unternehmen und vergleichbaren Einheiten des Verkehrssektors sowie durch etablierte Mentoring-Programme ohne spezifischen Schwerpunkt auf dem Verkehrsbereich. An Mentoringnetzen sollten sowohl Männer als auch Frauen teilnehmen. Darüber hinaus können diese Netze zu Clustern weiterentwickelt und sektorübergreifend gestaltet sein, um den Transfer von Wissen, bewährten Verfahren, Fähigkeiten und Chancen in der gesamten Verkehrsindustrie zu ermöglichen.

7.3.

Entwicklungsprogramme: Aus- und Weiterbildungskurse, welche die Qualifizierung und das Erreichen einer beruflichen Qualifikation ermöglichen, um den Ausbau der Kompetenzen ohne geschlechtsspezifische Vorurteile und somit die Gleichheit der Qualifikationsniveaus bei der Einstellung oder bei Beförderungen zu gewährleisten.

7.4.

Bildung: Überarbeitung des Bildungssystems und Förderung der Rollen im Verkehrssektor, um die Behauptung zu widerlegen, dass die Branche nur etwas für Männer sei. Ermittlung weiblicher Rollenmodelle zur Förderung von Möglichkeiten.

7.5.

Förderung von Innovation und KMU im Verkehrswesen: Ermittlung von in KMU tätigen Frauen, um neue Tendenzen, Innovationen und FuE-Möglichkeiten zu eruieren. Erfolgsgeschichten vorstellen. Bewährtes Verfahren: Der „Women 1st Top 100 Club“ ist ein Netz der einflussreichsten Frauen im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Personenverkehr, in der Reise und Tourismusbranche, die als Botschafterinnen und Rollenmodelle für die weiblichen Führungskräfte von morgen fungieren (http://women1st.co.uk/top-100).

7.6.

Miteinbeziehen der Lieferkette: Ermutigung der Zulieferer, geschlechtsspezifische Daten in ihrer Lieferkette aufzunehmen. Ermittlung von Möglichkeiten, öffentliche Aufträge an von Frauen geführte Unternehmen zu vergeben. (Bewährtes Verfahren: Die Initiative WEConnect aus den USA bietet Ausschreibungen und öffentliche Aufträge speziell für Frauen in allen Branchen. Sie wurde mittlerweile auch in Europa gestartet (http://weconnectinternational.org).

7.7.

Soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR): Ermutigung von Unternehmen, im Rahmen ihrer sozialen Verantwortung geschlechtsspezifische Statistiken zu veröffentlichen und sich für die Förderung von Frauen im Verkehrssektor stark zu machen. Beitrag zur Schaffung eines Markenzeichens der Branche als einer „Branche der Wahl“ für alle.

7.8.

Internationalisierung: Europa wird für seinen Wissenstransfer und die Entwicklung von Partnerschaften geschätzt. Verkehr ist ein globaler Sektor mit vielen Herausforderungen, bei denen Europa seine Erfahrungen und Innovationsfähigkeit teilen und sich neuen Märkten öffnen kann. Eine zentrale Rolle für Frauen in dem Sektor bestünde darin, die europäische Industrie und Sachkenntnis in anderen Teilen der Welt bekannt zu machen.

Brüssel, den 1. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 133 vom 9.5.2013, S. 68.

(2)  ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 24.


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Umwelt-, gesellschafts- und gesundheitsbezogene Werbeaussagen im Binnenmarkt“

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 383/02)

Berichterstatter:

Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 22. Januar 2015 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Umwelt-, gesellschafts- und gesundheitsbezogene Werbeaussagen im Binnenmarkt

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 9. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 2. Juli) mit 135 gegen 17 Stimmen bei 14 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die kommerzielle Kommunikation ist für die Unternehmen ein wichtiges Instrument zur Verbreitung ihrer Produkte und Dienstleistungen auf transparente Weise, womit ein wirksames Funktionieren des Binnenmarkts mit einem hohen Verbraucherschutzniveau sichergestellt wird. Dennoch gibt es bestimmte Aussagen, die nicht wahrheitsgemäß sind oder die hinsichtlich ihrer umweltbezogenen, sozialen, ethischen oder gesundheitsbezogenen Angaben inhaltlich ungenau sind. Diese Aussagen sind zum Nachteil jener Unternehmen, die sämtliche Rechtsvorschriften einhalten, wie auch zum Nachteil der Verbraucher.

1.2.

Die Umwelt- und Sozialverträglichkeit von Produkten und Dienstleistungen wird derzeit mittels verschiedener Kanäle und Formate im Rahmen einzelner Initiativen (mit unterschiedlichen Formen und zugrunde liegenden Bewertungsmethoden) bemessen und kommuniziert. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hält es für wichtig, dass die Kommission europäische Methoden zur Bewertung und Bekanntmachung der gesamten Umweltfolgen von Produkten und Dienstleistungen vorschlägt. Außerdem sollte ein Verzeichnis offizieller Kennzeichnungen erstellt werden, einschließlich der Angabe ihrer Bedeutung und der zugelassenen Stellen, die für ihre Vergabe, Gültigkeit und Überprüfung zuständig sind. In jedem Fall haben die Verbraucher ein Recht auf klare und genaue Informationen über die Herkunft von Produkten.

1.3.

Der EWSA erwartet, dass die Kommission hinsichtlich der Fortführung der Richtlinie 2005/29/EG die Leitlinien überarbeitet, um den Zugang der Verbraucher und Unternehmen zu verlässlichen, transparenten Informationen zu erleichtern, und dass sie die Verwendung umwelt-, ethik- und gesundheitsbezogener Aussagen in der kommerziellen Kommunikation klärt.

1.4.

Im Bereich der Verwaltungszusammenarbeit sollten die Verbraucherschutzbehörden die umwelt-, gesellschafts-, ethik- und gesundheitsbezogenen Werbeaussagen auf der Ebene jedes Mitgliedstaats „durchforsten“, um den derzeitigen Stand anhand konkreter Daten bewerten zu können.

1.5.

Seitens der EU muss ein kohärenter, vollständiger und konsistenter Rechtsrahmen zur Regulierung der kommerziellen Online-Kommunikation im Sinne der Wahrung des Rechts auf Privatsphäre und des Schutzes weiterer Ziele des öffentlichen Interesses festgelegt werden.

1.6.

Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten sollten im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten Maßnahmen zur Überwachung, Kontrolle und Sanktion bezüglich der bestehenden Selbst- und Koregulierungssysteme in diesem Bereich unterstützen, die sich auf umwelt-, gesellschafts- und gesundheitsbezogene Aussagen erstrecken. Hierbei muss insbesondere sichergestellt werden, dass die nationalen und europäischen Einrichtungen der Selbstkontrolle in der Werbebranche den festgelegten Normen und den gemeinschaftlichen Bestimmungen und Empfehlungen entsprechen, um ein hohes Maß an Verbraucherschutz zu erreichen. Die Verbraucherorganisationen müssen des Weiteren über die Ausarbeitung von Verhaltenskodizes in Kenntnis gesetzt werden, damit sie sich an deren Formulierung beteiligen können.

2.   Einleitung

2.1.

In der Europäischen Union gibt es eine große Zahl von Unternehmen, die dem Verbraucher umfassende, wahrheitsgemäße und transparente Informationen über die wesentlichen Eigenschaften der angebotenen Güter und Dienstleistungen verschaffen. Hingegen schadet die unangemessene Verwendung umwelt-, gesellschafts- und gesundheitsbezogener Werbeaussagen sowohl denjenigen Unternehmen, die sich an die Regeln halten, als auch den Verbrauchern, die die entsprechenden Produkte und Dienstleistungen erwerben.

2.2.

Das Recht auf Information ermöglicht eine transparentere Funktionsweise des Binnenmarkts und gleicht die offenkundigen Asymmetrien in den Anbieter-Verbraucher-Beziehungen aus.

2.3.

Verbraucher haben ein Recht auf umfassende, wahrheitsgemäße und transparente Informationen über die wesentlichen Eigenschaften der angebotenen Güter und Dienstleistungen.

2.4.

Informationen sind somit ein wesentlicher Faktor für die Kaufentscheidungen der Verbraucher und Nutzer, die ein Produkt bevorzugen und auswählen und gleichzeitig andere Produkte ablehnen, die ihren Bedürfnissen und Wünschen nicht im selben Maße entsprechen. Der technische Fortschritt ermöglicht es wiederum den Unternehmen zunehmend, auf individualisierte Weise den Bedürfnissen der verschiedenen Verbrauchergruppen im Zuge der Kundenbindung durch personalisierte Produkte gerecht zu werden, so wie es das „One-to-One“-Marketing vorsieht.

2.5.

In dem im Vertrag verankerten Modell der sozialen Marktwirtschaft verfügt die EU über keinen vollständigen Rechtsrahmen für die kommerzielle Kommunikation. Die derzeitigen Regelungen sind unnötig komplex, lückenhaft, inkonsistent und mitunter inkohärent und umfassen vornehmlich folgende Elemente:

die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (1) über unlautere Geschäftspraktiken, die lediglich die Beziehungen zwischen Verbrauchern und Unternehmen berührt; diese Richtlinie gilt ungeachtet der Rechtsvorschriften der EU und der Mitgliedstaaten im Gesundheitsbereich. In Bezug auf Finanzdienstleistungen können die Mitgliedstaaten strengere und restriktivere Anforderungen stellen als die in der Richtlinie vorgesehenen;

die Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (2) über irreführende und vergleichende Werbung, die für die Beziehungen zwischen Unternehmen gilt;

die Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (3) zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) zur Änderung der üblicherweise als „Fernsehen ohne Grenzen“ bezeichneten Richtlinie;

im Lebensmittelbereich existiert die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates (4) über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel. Darüber hinaus hat die Kommission bereits mit Arbeiten in gesundheitsbezogenen Bereichen wie Kosmetika und Pflegeprodukten begonnen;

die Mitteilung über die soziale Verantwortung von Unternehmen (5) oder die jüngst vorgelegte Mitteilung über eine Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa (6).

2.6.

Die Kommission hat verschiedene Mitteilungen vorgelegt und eine öffentliche Debatte angestoßen sowie Arbeiten begonnen, die Themen wie den „ökologischen Fußabdruck“ von Produkten betreffen. Ziel ist es, verlässliche und genaue Informationen über die Umweltfolgen von Produkten während ihres gesamten Lebenszyklus gewährleisten zu können.

2.7.

Zwar haben die Verbraucher dank des technischen Fortschritts mehr Möglichkeiten des Zugangs zu Informationen, doch ist die kommerzielle Online-Kommunikation auf Unionsebene gegenwärtig in verschiedenen Rechtsakten geregelt (Richtlinien zum elektronischen Handel, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre in der kommerziellen Kommunikation, unlautere Geschäftspraktiken usw.). Der EWSA ist der Ansicht, dass künftig ein Vorschlag zur Verlängerung der angenommenen Strategie vorgelegt werden sollte. Gleichwohl sollte umgehend eine Konsolidierung in Angriff genommen werden, um die geltenden Rechtsvorschriften in einem einzigen, neu formulierten Text zusammenzufassen und Widersprüche in den Botschaften, die diesen Weg nutzen, zu vermeiden.

2.8.

Andererseits besteht bereits ein Rahmen für die Kooperation zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten gemäß der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz. Innerhalb dieses Rahmens sollten die genannten Aspekte eingehender untersucht werden, um etwaige Verstöße zu ermitteln.

2.9.

Bei den existierenden Rechtsbehelfen gibt es große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. In einigen Ländern erhalten die Gerichte für die Einhaltung der Vorschriften wirksame Mittel; in anderen Ländern sind verschiedene Initiativen zur Selbst- und Koregulierung der Werbung entwickelt worden, die auf einschlägigen Verhaltenskodizes und außergerichtlichen Streitbeilegungsinstanzen beruhen, welche die geltenden Gesetze und Verfahren zur Kontrolle der Einhaltung der Verwaltungs- und Rechtsvorschriften ergänzen.

2.10.

Es gibt andere Variablen, die das fragliche Problem noch komplexer machen, wie z. B.:

die Option einer freiwilligen Kennzeichnung;

der Einfluss der Maßnahmen im Rahmen der sozialen Verantwortung der Unternehmen;

eine stärkere selektive Nachfrage der Verbraucher nach Produkten mit besonderen oder spezifischen Eigenschaften entsprechend ihren individuellen Besorgnissen;

der häufige Mangel an effektiven Kontrollmechanismen und

die Schwierigkeiten für Verbraucher, Informationen zu unterscheiden und zu vergleichen.

2.11.

Schließlich helfen bestimmte Werbetechniken — wie etwa branded content („Markeninhalte“), emotionales Marketing oder storytelling („Geschichten erzählen“), Produktplatzierung oder die Anwendungen des sog. Neuromarketings — zwar den Anbietern, ihre gewerblichen Ziele effizienter zu verwirklichen, erschweren es aber den Verbrauchern, rationale Kauf-, Nutzungs- und Konsumentscheidungen zu treffen, die auf einer realen Bewertung der Vorzüge der Waren und Dienstleistungen und der Angemessenheit ihres Preises beruhen. Grund hierfür ist u. a., dass sie in vielen Fällen die traditionelle Unterscheidung zwischen Werbeinhalten und nicht werbebezogenen Inhalten beseitigen und so den Empfängern der Botschaft das Recht vorenthalten, die mögliche kommerzielle Natur und Absicht einer augenscheinlich informativen Aussage zu erkennen, die somit insbesondere schutzbedürftige Verbraucher — wie junge, ältere, benachteiligte oder behinderte Menschen — irreführen könnte.

2.12.

Insgesamt begrüßt der EWSA, dass es hochwertige Produkte und Dienstleistungen gibt, die auf ethische Weise hergestellt bzw. erbracht wurden oder die sich durch ihren größeren Nutzen für Umwelt und Gesellschaft auszeichnen, wie auch das Vorhandensein umwelt-, gesellschafts- und gesundheitsbezogener Angaben. Im Mittelpunkt dieser Stellungnahme sollen daher Werbeaussagen und kommerzielle Mitteilungen stehen, die falsch, ungenau oder irreführend sind.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die Fälle der kommerziellen Kommunikation, die auf ungewissen, ungenauen und schwer vergleichbaren Angaben beruhen und die irreführend und verwirrend sind, haben eine unterschiedliche Natur und Häufigkeit. Doch sind sie alle in hohem Maße nachteilig für die Verbraucher, die die Vorschriften befolgenden Unternehmen und damit auch für einen auf Ethik und Transparenz beruhenden Waren- und Dienstleistungsmarkt.

3.2.

Unter anderem sind folgende Konsequenzen zu nennen:

die Verzerrung des Angebots im Zusammenhang mit der Wirkung der betreffenden Angaben auf die Preise;

die Schaffung intransparenter Märkte mit einer ausgeprägten Asymmetrie zwischen Angebot und Nachfrage;

die Beschränkung der Kaufkraft der Verbraucher, denn ihre Fähigkeit, fundierte Entscheidungen zu treffen, wird verringert, weil sie nicht über wahrheitsgemäße Informationen verfügen, mit denen sie die Merkmale des jeweiligen Angebots an ihren Bedürfnissen und Wünschen messen können;

die abschreckende Wirkung und Frustration bei den Verbrauchern, die sich um verantwortungsvolle Entscheidungen (in Bezug auf umweltrelevante, gesellschafts- und gesundheitsbezogene Merkmale) bemühen, wenn sich die erhaltenen Informationen als irreführend, fehlerhaft oder nicht überprüfbar erweisen;

die Förderung des „Trittbrettfahrens“, das die Einführung und Ausweitung eines verantwortungsvollen Konsums erschwert, durch Anbieter, die vom wachsenden Interesse der Verbraucher an diesen Faktoren profitieren, ohne bereit zu sein, die erforderlichen Mittel aufzuwenden, was im Übrigen zum Schaden derjenigen Gewerbetreibenden ist, die sich korrekt verhalten;

der Verlust des Vertrauens der Verbraucher in den Markt und in die behördliche Kontrolle in diesem Bereich.

3.3.

Die Informationen müssen den realen Erfordernissen und den Erwartungen der Verbraucher entsprechen. Die Bewertung ihrer Angemessenheit muss deshalb unter den Aspekten Zweck, Inhalt, Präsentation, Kontext und Identifizierung der Werbebotschaft erfolgen, deren grundlegende Parameter Zuverlässigkeit, Aktualität, Objektivität, Genauigkeit, Sachdienlichkeit, Kürze, Verständlichkeit, Klarheit, Lesbarkeit und Zugänglichkeit sind. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Etiketten von Produkten Herkunftsangaben aufweisen sollten, weil damit das Schutzniveau erhöht wird; auch werden die Irreführung und Verwirrung der Verbraucher vermieden und ihre Kaufentscheidungen erleichtert.

4.   Umweltbezogene Aussagen

4.1.

Umweltbezogene Aussagen konzentrieren sich hauptsächlich auf die Umweltfolgen aufgrund der Zusammensetzung der Produkte oder ihrer Verwendung, häufig im Hinblick auf den Klimawandel und den Ausstoß von Schadstoffen. Sie können sich aber auch auf andere Aspekte beziehen, wie den rationellen Einsatz natürlicher Ressourcen, die Entwaldung, die Artenvielfalt oder die Energieeffizienz. Letztlich geht es darum, welchen ökologischen Fußabdruck Unternehmenstätigkeiten und der Konsum von Produkten in unserer Lebensumwelt hinterlassen.

4.2.

Wenn diese Aussagen rein formal oder offenkundig verwendet werden, aber nichts an der Realität des jeweiligen Produkts oder seiner Herstellung ändern, kommt es zu einem als „Greenwashing“ („Grünfärberei“) bezeichneten Phänomen, das wie folgt definiert werden kann: selektive Ausweitung von unter Umweltaspekten positiven Informationen durch die Werbung, die ein verzerrtes Bild in der Vorstellung der Verbraucher bewirkt, in dem diese „ökologischen“ Aspekte überrepräsentiert sind. Dies wird auch von der Kommission in ihrem Leitfaden für die Anwendung der Richtlinie 2005/29/EG definiert (7).

4.3.

Aus Umweltsicht bewirken Informationen über die (negativen oder positiven) Umweltfolgen einer Marke eine bestimmte Wahrnehmung dieser Marke durch die Verbraucher. Gleichzeitig beeinflusst dieses Image u. a. Kaufentscheidungen oder politische Meinungen. Durch die Bestrafung „schlechter“ und die Auszeichnung „guter“ Verhaltensweisen — ausgedrückt durch die Kaufentscheidungen — befindet sich das System in einem gewissen dynamischen Gleichgewicht.

4.4.

Die häufigsten Greenwashing-Techniken sind:

Ein umweltschädigendes Verfahren wird als umweltfreundlich dargestellt. Die Behauptung, ein Produkt sei umweltfreundlich, wird auf eine begrenzte Reihe von Eigenschaften gestützt, während andere wichtige Umweltaspekte unberücksichtigt bleiben. Das Endprodukt kann durchaus sehr umweltfreundlich sein, doch der Herstellungsprozess ist sehr umweltschädigend. Darüber hinaus kann es in der Versorgungskette negative Praktiken im Zusammenhang mit ausbeuterischen und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen und mit schädlichen Produkten geben.

Beweismangel. Eine Umwelterklärung, die nicht mit leicht zugänglichen Informationen oder einer verlässlichen Beglaubigung durch Dritte bestätigt werden kann;

Unklarheit: ein Werbeinhalt, der so wenig definiert ist, dass seine Bedeutung wahrscheinlich durch die Verbraucher missverstanden werden dürfte;

„falsche“ Kennzeichnungen oder Prämien, die eigentlich keine sind.

4.5.

Es müssen Kriterien herangezogen werden, um eine korrekte Information der Verbraucher zu ermöglichen und einen Missbrauch des Umweltarguments in der kommerziellen Kommunikation zu unterbinden.

4.6.

Die Einführung harmonisierter europäischer Methoden, wie der sog. ökologische Fußabdruck, zur Verwirklichung der ökologischen Rückverfolgbarkeit der Produkte und Organisationen kann dazu beitragen, die Funktionsweise des Markts zu klären. Diese Methoden sollten sich auf weitverbreitete internationale Standards stützen, u. a. den internationalen Standard ISO 14201 über selbst vorgenommene Umweltaussagen oder den Kodex der Internationalen Handelskammer.

5.   Ethik- und gesellschaftsbezogene Aussagen

5.1.

Ähnlich wie bei Umweltangaben kann von einer Art Greenwashing im Falle „ethischer und sozialer Eigenschaften“ von Unternehmen und Produkten gesprochen werden. In diesem Fall geht es darum, den Erwerb eines Produkts insofern zu einer möglichen wohltätigen oder solidarischen Handlung mit sozialem Charakter zu machen, als dieser Erwerb für Bevölkerungsgruppen oder -teile, die in gewisser Weise notleidend oder schutzbedürftig sind, implizit Vorteile mit sich bringt.

5.2.

Gegenwärtig gibt es eine Vielzahl von Marken, die sich sozialen Projekten anschließen mit Kampagnen, die der Verkaufsförderung dienen. Dabei handelt es sich um sog. charity promotions, also verkaufsfördernde Kampagnen verbunden mit einer sozialen Aktion, die im Zuge der Wirtschaftskrise einen gewissen Boom erlebt haben. Wenn sie mit nicht wahrheitsgemäßen, als bloßer Vorwand für den Verkauf dienenden Argumenten eingesetzt werden, können diese Aktionen für die Verbraucher irreführend und verwirrend sein und somit besonders großen Schaden anrichten.

5.3.

Die Aktionen erfolgen im Rahmen von Kampagnen der Solidarität, der humanitären Hilfe, der sozialen Unterstützung für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder -teile wie auch des Eintretens für vorübergehende Anliegen aufgrund einer punktuellen Notlage oder struktureller Fragen in Fällen von Diskriminierung, Segregation, Ungleichheit usw.

5.4.

Andere Fälle von „Social Washing“ oder „sozialem Greenwashing“ liegen vor, wenn sich ein Unternehmen ein nicht hinreichend begründetes sozial verantwortliches Image gibt oder wenn ein Unternehmen eine soziale und öffentlichkeitswirksame Tätigkeit in überzogener Weise als sein „Kerngeschäft“ hinstellt.

5.5.

Werbeaussagen mit ethischen oder sozialen Komponenten werden gelegentlich mit Umweltangaben verbunden. Sie werden aber auch aktuellen Themen entsprechend auf Beschäftigung, Förderung des lokalen Lebens, Bürgerbeteiligung oder andere Aspekte ausgeweitet, die die Verbraucher zum Kauf motivieren könnten.

5.6.

Außerdem gilt es in diesem Zusammenhang die verdeckte Tätigkeit falscher „Berater für ethische, soziale und Umweltfragen“ zu berücksichtigen, die die Verbraucher in die Irre führen oder für deren Verwirrung sorgen: Sie sind auf dem Markt als Wirtschaftsakteure oder Mittler tätig und missbrauchen die Gut- und Leichtgläubigkeit der Verbraucher, indem sie Produkte und Dienstleistungen aus Gewinnstreben mit betrügerischen Argumenten vermarkten.

5.7.

Besonders schädlich für das Funktionieren des Binnenmarkts sind die Finanzaktionen, die mit ethischen, sozialen oder umweltbezogenen Argumenten die Vermarktung von Finanzprodukten und -instrumenten bezwecken, ohne dieselben Bonitätskriterien zu erfüllen und denselben Überwachungsmaßnahmen zu unterliegen, die für Finanzinstitute gelten. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde hat vor Kurzem eine Stellungnahme verabschiedet, in der sie eine Reihe von Maßnahmen zur Minderung der Risiken anregt, Bekanntmachungspflichten festlegt und Empfehlungen für den Schutz der Beteiligten im Falle von Interessenkonflikten unterbreitet.

5.8.

„Social Washing“ muss ebenfalls vermieden werden, also die Verwendung nicht wirklichkeitsgetreuer Informationen zu dem Zweck, das Image eines sozial engagierten Unternehmens zu schaffen.

6.   Gesundheitsbezogene und andere Aussagen

6.1.

Das derzeitige Interesse der Verbraucher an gesunden Lebensweisen und die Ausweitung der Technik auf die Bereiche Lebensmittelerzeugung, Kosmetika und Gesundheitserzeugnisse führen ebenfalls zur Verwendung gesundheitsbezogener Behauptungen, die sich auf Lebensmittel und Ernährung (einschließlich diätetischer und ästhetischer Vorzüge) und sogar die Verbesserung kognitiver und körperlicher Funktionen beziehen.

6.2.

Analog zu den Umweltangaben eröffnet das rapide zugenommene Interesse der Verbraucher an einer gesunden Ernährung auch einen Ansatzpunkt für Werbeaussagen, die sich auf die biologische Landwirtschaft oder auch auf das Vorhandensein bzw. das Fehlen von Lebensmittelinhaltstoffen wie Vitaminen, Omega-3-Fettsäuren, Zucker, Salz oder Alkohol wie auch genetisch veränderte Substanzen beziehen.

6.3.

Die allmähliche Bevölkerungsalterung und die höhere Lebenserwartung bieten viel Raum für eine künftige Ausweitung der Informationstätigkeit mittels unerlaubter Angaben.

6.4.

In ähnlicher Weise führt das „Gesundheitsmarketing“, bei dem solche Aussagen als Mehrwert für eine wirksamere Vermarktung von Produkten genutzt werden (wie im Falle von Nahrungsergänzungsmitteln oder Heilkräutererzeugnissen, aber auch von Massenkonsumprodukten), zur missbräuchlichen Nennung angeblicher Gesundheitsvorteile mithilfe pseudowissenschaftlicher Argumente.

7.   Besondere Bemerkungen

7.1.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass sowohl die freiwillige Kennzeichnung als auch die Gestaltung von Logos und Piktogrammen wenig präzise Assoziationen in den kognitiven und emotionalen Prozessen hervorrufen, die die Verbraucher zu einer Kaufentscheidung verleiten. Mithilfe von Aussagen und Bildern darf nicht kategorisch und nachdrücklich behauptet werden, was nicht glaubhaft nachgewiesen werden kann. Es sollten gezielte Maßnahmen zur Kontrolle der Werbeaussagen ergriffen werden.

7.2.

Allerdings muss die Überwachung der Werbeaussagen vom eingesetzten Werbeträger abhängen, da jeder aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften eine eigene Behandlung erfordert. Zusammenfassend und schematisch sind u. a. folgende zu nennen:

Texte;

Werbeaussagen und -sprüche;

Logos;

Symbole und Zeichen;

Piktogramme;

Bilder und Fotos;

Grafiken und Daten;

Farbabstufungen;

Gesichter und Namen von medial bekannten und renommierten Personen und Institutionen.

7.3.

Es kann gefordert werden, solche Informationen, die nicht beweisbare Behauptungen enthalten und kommerziellen Zwecken dienen, zu unterlassen oder die Angaben richtigzustellen.

7.4.

Aus den genannten Gründen ersucht der EWSA die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten um geeignete Maßnahmen im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 im Zuge der Verwaltungszusammenarbeit und insbesondere der Förderung gemeinsamer Tätigkeiten, um gegen die betrügerische Verwendung nichtkonformer Werbeaussagen ethischer oder umwelt- oder gesundheitsbezogener Art vorzugehen, und zwar in enger Zusammenarbeit mit den Europäischen Verbraucherzentren, die in derartigen Situationen eine entscheidende Rolle spielen.

Brüssel, den 2. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. L 149 vom 11.6.2005, S. 22.

(2)  ABl. L 376 vom 27.12.2006, S. 21.

(3)  ABl. L 95 vom 15.4.2010, S. 1.

(4)  ABl. L 404 vom 30.12.2006, S. 9.

(5)  KOM(2002) 347 endg.

(6)  COM(2015) 192 final.

(7)  SEC(2009) 1666 final. Siehe Ziffer 2.5.1.


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/14


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu „Sport und europäische Werte“

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 383/03)

Berichterstatter:

Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Juli 2014, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Sport und europäische Werte“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 2. Juli) mit 99 gegen 59 Stimmen bei 32 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Sport trägt zur Verwirklichung der strategischen Ziele der Union bei, wirft ein Schlaglicht auf grundlegende pädagogische und kulturelle Werte und fördert die Integration, da er unabhängig von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion, Alter, Staatsangehörigkeit, sozialen Verhältnissen und sexueller Orientierung alle Bürgerinnen und Bürger anspricht. Sport ist ein Instrument zur Bekämpfung von Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

1.2.

Durch sportliche Betätigung können alle Menschen ihren Hoffnungen auf konstruktive Art Ausdruck verleihen und erfahren durch die vom Sport vermittelten Werte der Anstrengung, Solidarität und des Zusammenhalts eine persönliche Bereicherung. Sport trägt zudem zu körperlichem und geistigem Wohlbefinden und durch seine positiven Werte zur Abfederung sozialer Probleme bei. In der Diskussion über dieses Thema sollte auch die Festlegung von allgemeinen Mindeststandards erwogen werden, mit denen die sportliche Betätigung von Kindern und Jugendlichen in sämtlichen Sportarten gefördert wird.

1.3.

Das ehrenamtliche Engagement im Sportbereich erfüllt eine grundlegende Aufgabe bei der Entwicklung des Breitensports und in den Sportvereinen und ist deshalb aus gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und demokratischer Sicht besonders wertvoll. Aus diesem Grund muss die ehrenamtliche Tätigkeit und die aktive Bürgerschaft im Rahmen des Sports, auch des Wintersports, gefördert werden.

1.4.

Durch ein verantwortungsvolles Handeln und eine solide Verwaltung muss die Integrität im sportlichen Wettstreit sichergestellt werden. Eine wichtige Voraussetzung im Sport ist die Autonomie der Sportorganisationen, die nach den Grundsätzen der Transparenz, Rechenschaftspflicht und der Demokratie arbeiten müssen. Davon ausgehend sollten im Beschlussfassungsprozess alle Interessenträger angemessen vertreten sein. Im Hinblick auf die Konsolidierung dieses allgemeinen Rahmens der Prävention ist es ganz wesentlich, dass — wie eine neuere umfassende Studie (1) zeigt — das Vertrauen zwischen den nationalen Behörden und den Sporteinrichtungen gestärkt wird, damit der notwendige Informationsaustausch zwischen den nationalen Justizbehörden und den internationalen Sportinstitutionen stattfinden kann.

1.5.

Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, in einem europäischen Rahmen Informationen über und gute Erfahrungen mit Innovationen und bewährte Verfahren zu verbreiten und untereinander auszutauschen, u. a. darüber, wie strategische Partnerschaften zwischen den Schlüsselakteuren aus verschiedenen Bereichen geschaffen und gefördert werden können, um die Rolle des Sports als Triebfeder für Innovation und Wirtschaftswachstum zu stärken. In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, dass die Vorteile genutzt werden, die Sportgroßereignisse für die ausrichtenden Regionen und Städte bringen können und müssen. Die Kommission sollte weltweit die neuen Initiativen und Verfahren aufmerksam verfolgen, mit denen Regionen und Städte unterstützt werden, die Sportprojekte unter dem Gesichtspunkt einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung auf die Beine stellen.

1.6.

Es gilt, auf den verschiedenen Ebenen den Einsatz der EU-Finanzinstrumente zur Entwicklung des Sportsektors zu fördern.

1.7.

Zudem sollten der soziale Zusammenhalt und die Maßnahmen zur Einbeziehung benachteiligter Bevölkerungsgruppen in den Sport sowie zur sozialen Integration von Menschen — auch von Gefangenen — unionsweit gefördert werden. Denn Sport kann für sie ein Instrument zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft sein, das ihnen emotionales Wohlbefinden verschafft und durch Werte wie Anstrengung, Solidarität und vor allem Fairness Stabilität gibt und damit zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung beitragen kann.

1.8.

Der EU kommt eine wichtige Rolle zu, wenn es darum geht, Ungleichheit zu bekämpfen und konkret die Hürden zu beseitigen, die Menschen mit Behinderungen von der Teilnahme am Sport abhalten, sowie ihre Teilnahme an Wettkämpfen zu fördern und gegen alle diesbezüglichen Vorurteile in der Gesellschaft vorzugehen. Daher wäre es ein positiver Schritt, wenn die Kommission dem Ministerrat die Aufstellung eines „Europäischen Kodex bewährter Praktiken im Bereich Sport und soziale Eingliederung“ vorschlägt, um damit die sportliche Betätigung von Menschen mit Behinderungen zu fördern und anzustoßen.

1.9.

Besondere Aufmerksamkeit sollten die EU und die Mitgliedstaaten der Förderung von Sport und körperlicher Betätigung unter älteren Menschen widmen. Mit einer zunehmend alternden Bevölkerung in Europa ist es von größter Bedeutung, dass gezielte Initiativen und Mittel zu diesem Zweck eingesetzt werden.

2.   Einführung

2.1.

Laut dem Vertrag von Lissabon zeichnet sich der europäische Integrationsprozess durch bestimmte gemeinsame Werte der EU und ihrer Mitgliedstaaten aus. Diese übergeordneten Werte sind die Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Menschen, die einer Minderheit angehören.

Im Vertrag von Lissabon wird der Union eine Zuständigkeit zur Förderung der europäischen Aspekte des Sports (Art. 165 AEUV) zugewiesen. Es gilt, die verschiedenen — sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen — Dimensionen des Sports unter dem Gesichtspunkt ihrer Einordnung in die in Artikel 2 EUV verankerten Werte zu untersuchen, wobei hier eine klare Verpflichtung der Institutionen und der Mitgliedstaaten besteht, unter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips tätig zu werden, um politische Strategien, Vorschriften und Maßnahmen zur Förderung der europäischen Aspekte des Sports auf den Weg zu bringen.

2.2.

In dieser Initiativstellungnahme soll versucht werden, das den europäischen Werten und den Werten des Sports — einschließlich des Wintersports — innewohnende Potenzial allen Bürgerinnen und Bürgern und Organisationen der Gesellschaft zu vermitteln und Impulse für eine Sportpolitik der EU zu setzen, zumal es bislang auf diesem Gebiet nur vereinzelte gerichtliche Entscheidungen gab, die in der Regel mit der Ausübung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten im Zusammenhang standen.

2.3.

Bereits im Altertum unterschied die klassische griechische Philosophie zwischen der Tätigkeit des Körpers und des Geistes, wobei der olympische Geist eine Weiterentwicklung dieser Ideen, insbesondere der Ethik und der Förderung des Friedens darstellt.

Der Sport leistet einen wichtigen Beitrag zu den europäischen und weltweiten Zielen der Europa-2020-Strategie, da er in erheblichem Maße zu einem intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstum beiträgt.

3.   Die gesellschaftliche Funktion des Sports

3.1.

Zur Gewährleistung der gesellschaftlichen Funktion des Sports sollten die Mitgliedstaaten über geeignete Infrastrukturen für die sportliche Betätigung verfügen und auf ihrem Territorium ein entsprechendes, ausreichendes und ausgewogenes Kernnetz an Sporteinrichtungen und Anlagen bereitstellen.

3.2.

Die ehrenamtliche Tätigkeit bleibt die tragende Säule des Sports in Europa, da die Entwicklung und Verbreitung der Ideale des Sports ohne freiwillige und gemeinnützige Sportvereine nicht möglich wäre. In diesem Zusammenhang muss die Rolle der Schule bei der Verbreitung der olympischen Werte hervorgehoben werden, denn diese Werte stehen für Frieden und Eintracht im Sport, das Miteinander und die Integration in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Dies gilt auch für die humanistischen Werte, die dem Sport zugeschrieben werden und zur Bekämpfung von Gewalt, Rassismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit im Sport beitragen.

3.2.1.

In den Sportorganisationen müssen die Grundsätze einer verantwortungsvollen Verwaltung zur Anwendung kommen. Diese Organisationen müssen auf den Grundsätzen der Transparenz, Rechenschaftspflicht und der Demokratie aufbauen und in ihnen müssen alle Interessenträger angemessen vertreten und in die Entscheidungsfindung eingebunden sein, so auch die Fans, die generell die Prinzipien der sportlichen Fairness vertreten. Werden Tätigkeiten mit öffentlichen Mitteln finanziert, sind u. U. strengere Transparenzanforderungen anzulegen.

3.2.2.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Möglichkeit eines konzertierten Vorgehens gegen unerwünschte Phänomene wie Korruption durch Spielabsprachen, Doping, Gewalt erwogen werden. Als Grundlage dafür dienen nicht nur die der Union in den Artikeln 6 und 165 AEUV zuerkannten Zuständigkeiten, sondern auch die Zuständigkeiten im Zusammenhang mit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts oder auf anderen Gebieten, die erforderlich sein könnten, um supranationale Maßnahmen — auch solche mit abschreckender Wirkung — zu erlassen.

3.2.3.

Diese Maßnahmen sollten darauf ausgerichtet sein, ein hohes Sicherheitsniveau zu gewährleisten, z. B. Maßnahmen mit dem Ziel einer Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen polizeilichen Behörden (Europol), der Justiz (Eurojust) und anderen zuständigen Behörden und Einrichtungen, zu denen auch die Sportverbände gehören müssen.

3.3.

Die Förderung von körperlicher Betätigung und sportlicher Aktivität ist in einer modernen Gesellschaft ein ausschlaggebender Faktor für den Schutz der öffentlichen Gesundheit. Sport zu treiben fördert eine gesunde Lebensweise und verbessert die Lebensqualität. Dadurch werden die durch den Sport entstehenden Chancen umfassend genutzt und zugleich die Gesundheitsausgaben gesenkt.

3.4.

Entscheidende Impulse für das institutionelle Handeln der EU im Bereich des Sports gingen u. a. von der öffentlichen Debatte über die „europäische Dimension des Sports“, der Einbeziehung des Sports in das Erasmus+-Programm und den strategischen Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter im Sport aus. Die Prioritäten innerhalb des genannten Programms werden jedes Jahr erörtert, weshalb der EWSA fordert, bei der nächsten Überprüfung die in dieser Stellungnahme enthaltenen Bemerkungen zu berücksichtigen.

3.4.1.

Diese institutionellen Schritte sollten durch die Maßnahmen verstärkt werden, die notwendig sind, um den Mehrwert und die positiven Aspekte der einheimischen, traditionellen und vor Ort am stärksten verwurzelten Sportarten als Ausdruck der kulturellen und historischen Vielfalt der Union zum Tragen zu bringen. Diese Vielfalt gilt es zu fördern und zu verbreiten.

3.4.2.

Im Rahmen des Programms Erasmus+ sollte die Kommission klar bewerten, wie sich die Einbeziehung der sportlichen Aktivitäten in dieses Programm auswirkt, insbesondere im Hinblick auf das Erreichen der Ziele im Bereich neue Qualifikationen und Beschäftigung sowie Jugend.

3.5.

Damit der Sport zur Festigung und Weiterentwicklung der europäischen Werte beitragen kann, muss eine Reihe von Maßnahmen zur Koordinierung, Ergänzung oder Unterstützung ergriffen und umgesetzt werden. Diese Maßnahmen sollten auf diese europäischen Werte ausgerichtet werden, insbesondere auf den Schutz der menschlichen Würde, sowie auf bestimmte Aspekte des Bildungsweges des Menschen. Die erfolgreiche Verinnerlichung dieser Werte ist eine entscheidende Voraussetzung für ein reibungsloses Funktionieren von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Verstärkt werden könnte dieser Ansatz durch die Fair-play-Botschaft des Sports, mit der der Gesellschaft ein Großteil der europäischen Werte in konzentrierter Form vermittelt wird.

Die europäische Dimension des Sports trägt zudem dazu bei, bestimmte Parameter für die Gleichstellung von Männern und Frauen zu erreichen. Wichtige Maßnahmen wären die Entwicklung und der Einsatz von Lehrmaterialien für die Fortbildung von Entscheidungsträgern, sowohl in der Welt des Sports als auch bei den Eltern der jungen Sportler, um so zum Abbau von Geschlechterstereotypen, zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter im Sport und zu einer immer ausgewogeneren Präsenz beider Geschlechter in den Leitungsgremien und Beiräten der Sportbereichs beizutragen. In diesem Zusammenhang wird die Erarbeitung einer Charta bewährter Verfahren für die Entwicklung junger Menschen und den Schutz im Rahmen des Sports als wichtiger Schritt angesehen (2).

3.6.

Die sportliche Betätigung, ob nun als Einzel- oder Mannschaftssport, kann eine wahre Quelle für neue Arbeitsplätze, Wohlstand und Wohlergehen darstellen. Die angemessene Nutzung dieses Potenzials ist gerade jetzt, wenn es darum geht, Jugendarbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung zu bekämpfen, von großer Bedeutung. So z. B. im Falle von Sportlern, die nach Beendigung des Leistungssports vor einer neuen beruflichen Laufbahn stehen und besonders für diesen neuen Lebensabschnitt (zweite Laufbahn) vorbereitet werden müssen. Die Gleichwertigkeit und Anerkennung von Abschlüssen und Qualifikationen im Sport ist Voraussetzung dafür, dass sich diese jungen Menschen beruflich richtig entwickeln können. Dieser Aspekt ist wichtig, um der in diesem Sektor vorhandenen Schattenwirtschaft möglichst ein Ende zu setzen und sie künftig in die formelle Wirtschaft zu überführen.

3.6.1.

Außerdem sollte ermittelt werden, wie europäische Finanzierungsinstrumente zur Förderung des Sports im Hinblick auf bestimmte Ziele eingesetzt werden können, z. B. als Instrument zur Förderung von sozialer Integration, Jugendbeschäftigung, Gleichstellung der Geschlechter, Innovation und der Vernetzung von Organisationen, die auf dem Gebiet der sozialen Wiedereingliederung und anderer gemeinnütziger Ziele tätig sind.

Zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und als Mittel der Wiedereingliederung ist Sport ein geeignetes Instrument, um Werte zu fördern, die die persönliche und soziale Entwicklung voranbringen und sich auf die Gesundheit und Bildung der Menschen auswirken. Es gilt, auf europäischer Ebene den sozialen Zusammenhalt und die soziale Integration von Menschen — auch von Gefangenen — zu fördern, da Sport für sie ein Instrument zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft sein kann, das ihnen emotionales Wohlbefinden verschafft und durch seine Werte der Anstrengung, Solidarität und vor allem Fairness zum Zusammenhalt und zur Stabilität beiträgt.

3.6.2.

Es sollte ein Netz von Organisationen geschaffen werden, die den sozialen Zusammenhalt und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft durch Sport fördern, insbesondere in Bezug auf besonders populäre Sportarten. Angestrebt wird ein Austausch bewährter Praktiken auf der Grundlage der in den Verträgen verankerten europäischen Werte, wobei eine europäische Konferenz über innovative Methoden der Wiedereingliederung in die Gesellschaft durch Sport, z. B. unionsweite Meisterschaften, veranstaltet werden könnte, um die Ergebnisse dieses Netzes zu veröffentlichen und zu verbreiteten.

3.7.

Die EU muss im Rahmen ihrer institutionellen Aufgabe auch die Ungleichheit bekämpfen und dazu die Hindernisse beseitigen, die Menschen mit Behinderungen von der Teilnahme am Sport abhalten, sowie ihre Teilnahme an Wettkämpfen fördern und gegen alle diesbezüglichen Vorurteile in der Gesellschaft vorgehen.

Ein positiver Schritt wäre, wenn die Kommission dem Ministerrat die Aufstellung eines „Europäischen Kodex bewährter Praktiken im Bereich Sport und soziale Eingliederung“ vorschlägt.

3.7.1.

Die Integration von Menschen mit Behinderungen durch Sport sollte im Rahmen von Veranstaltungen unterstützt werden, um die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien zu steigern und ihre sozialen Gewohnheiten zu fördern. Sport ist nämlich nicht nur eine gesunde Lebensgewohnheit, sondern verbessert auch die Mobilität dieser Menschen und ermöglicht es ihnen, Entscheidungsstärke, Kameradschaft und Teamgeist zu entwickeln.

3.7.2.

Zur Verbreitung des paralympischen Sports, d. h. des Leistungssports für Menschen mit Behinderungen, und somit zur stärkeren Sensibilisierung der Öffentlichkeit sollten die Behörden für die Paralympischen Spiele und andere hochkarätige internationale Veranstaltungen eine Kommunikationsstrategie mit den erforderlichen Mitteln und Fachleuten zur Berichterstattung und einer hochwertigen Fernsehübertragung der Paralympischen Spiele mit vielen Sendestunden und zu attraktiven Sendezeiten umsetzen.

3.7.3.

In den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung des internationalen Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen werden die gleichen Ziele verfolgt und die Barrierefreiheit und das Konzept „Design für Alle“ als Instrumente bestimmt, die zur Anpassung und Schaffung der für die volle Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger erforderlichen Rahmenbedingungen genutzt werden müssen.

3.7.4.

Da bei der Entwicklung von Integrationsprogrammen zur Beteiligung von Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen am Sport regelmäßig die mangelnde Ausbildung der verschiedenen Akteure beklagt wird, sollte das für die Schulung von Grundschullehrern, Sportlehrern und Trainern auf dem Gebiet der sportlichen Betätigung in einem inklusiven Umfeld erforderliche Material bereitgestellt werden.

3.8.

„Im Zuge des offensichtlich unumkehrbaren Alterungsprozesses der europäischen Bevölkerung und der gleichzeitig stetig steigenden Lebenserwartung ist es unverzichtbar, gezielte Initiative und Programme zur Förderung von Sport und körperlicher Betätigung unter älteren Menschen zu entwickeln. Dieser Bereich wurde in den meisten Ländern vernachlässigt und bedarf besonderer Aufmerksamkeit auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten.“

4.   Der wirtschaftliche Aspekt im Sport

4.1.

Sport hat eine wirtschaftliche Dimension, die sich aus der gewerblichen sportlichen Betätigung und der Professionalisierung des Sports ergibt und den Binnenmarkt betrifft. Es gibt zudem eine spezifische Dimension des Sports, die auf der ehrenamtlichen Tätigkeit und den gesellschaftlichen, erzieherischen und kulturellen Funktionen des Sports beruht, wobei Sport einen großen Beitrag zur Förderung positiver Werte wie Fairness, gegenseitige Achtung und soziale Integration leistet.

Es gilt daher zwischen sportlichen und kommerziellen Interessen zu unterscheiden, wobei der Sport nach Ansicht des EWSA vor einer zu großen Einflussnahme durch die Wirtschaft geschützt werden muss, damit seine Prinzipien und Werte im Vordergrund bleiben.

4.1.1.

Aufgrund des besonderen Wesens des Sports mit seinen einzigartigen und wesentlichen Aspekten sollte im Einzelfall abgewogen werden, ob und wann EU-Rechtsvorschriften auf diesen Bereich anzuwenden sind, soweit die Union wirksamer als die Mitgliedstaaten tätig werden kann und das Subsidiaritätsprinzip gewahrt bleibt.

4.2.

In Bezug auf die wirtschaftliche Dimension des Sports muss berücksichtigt werden, dass diese Tätigkeiten in einem besonderen Zusammenhang mit den Grundrechten stehen.

4.2.1.

So gilt es, geeignete, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Maßnahmen für einen angemessenen Schutz vor Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums zu erwägen, insbesondere gegen die digitale Piraterie, da diese Praktiken die Sportwirtschaft gefährden. Dabei müssen jedoch die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürgern auf Information Vorrang haben, damit zumindest das Recht der Öffentlichkeit auf Berichterstattung und Information, die Übertragung bedeutender Sportereignisse und das Recht der Journalisten auf Berichterstattung gewährleistet sind.

4.2.2.

In anderen Bereichen wie der Wettbewerbspolitik und dort insbesondere im Bereich der staatlichen Beihilfen sollten Leitlinien für die entsprechenden staatlichen Beihilfen erlassen werden, um zu klären, welche Beihilfen vor dem Hintergrund der Erfüllung des gesellschaftlichen, kulturellen und pädagogischen Auftrags des Sports als zulässig einzustufen sind.

4.2.3.

Eine der größten Bedrohungen für den Sport geht derzeit von Sportwetten in nicht regulierten Märkten im Internet, insbesondere von illegalen Wetten, aus. Ihre negativen Folgen sind mit denen des Dopings und der Gewalt unter Zuschauern vergleichbar, und sie können aufgrund der Nichtvorhersagbarkeit des Ausgangs von Sportwettkämpfen Manipulationen Vorschub leisten. Es gibt hier weitere Aspekte wie Wetten und Spiele, die Maßnahmen im öffentlichen Interesse notwendig machen, um Spielsucht zu verhindern und insbesondere Minderjährige vor Online-Glücksspielen zu schützen.

4.2.4.

Sport bietet einen inhärenten Anreiz, der die Sportler nach kontinuierlicher Verbesserung und Bestleistungen streben lässt. Deshalb zeichnet sich Sport durch ständige Innovationen aus, durch die die Sporttechnologie in bestimmten Bereichen der angewandten Wissenschaften zur führenden Technologie geworden ist: Textiltechnologie, Mechanik der menschlichen Bewegung, neue Werkstoffe, Sensoren, Aktoren, am Menschen orientiertes Design. Auch der Bau und Betrieb von Sportanlagen sowie die aktive und passive Teilnahme an Sportveranstaltungen sind zu einem wichtigen Bestandteil der so genannten Erlebniswirtschaft geworden. Ein Beispiel dafür ist auch die Entwicklung des Sporttourismus.

4.2.5.

Weitere wirtschaftsbezogene Aspekte des Sports, die untersucht werden sollten und zu denen die Kommission gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen oder vorschlagen sollte, sind die Freizügigkeit und der freie Dienstleistungsverkehr, Sponsorenverträge, die Regelung der Tätigkeit der Spielervermittler, Versicherungen und Gesundheit im Sport, Bildungsprogramme für Sportlerinnen und Sportler sowie berufliche Qualifikationen auf dem Gebiet des Sports.

4.2.6.

Im Hinblick auf die Ausbildung des Trainernachwuchses müssen die diesbezüglichen einzelstaatlichen Vorschriften nachgebessert werden, in der Überlegung, dass die Tätigkeit eines Trainers mit der eines Lehrers vergleichbar ist, wobei der Trainer in einigen Fällen (z. B. bei der Vorbereitung von Wettkämpfen) mehr Zeit mit den jungen Sportler verbringt als der Lehrer mit dem Schüler. Die Ausbildung der Trainer muss in einem formellen Rahmen erfolgen und durch ein staatliches Bildungsdiplom zertifiziert werden.

4.2.7.

Der EWSA fordert, dass sich die europäischen Sportverbände für die in dieser Stellungnahme propagierten Werte und Grundsätze stark machen und sich in ihrem Handeln in allen Bereichen selbst danach richten, auch wenn es nur um die Vergabe von Auszeichnungen und öffentliche Würdigungen geht.

Brüssel, den 2. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  „Protecting the Integrity of Sport Competition The Last Bet for Modern Sport“, S. 120-124, Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne und International Centre for Sport Security (ICSS), Mai 2014.

(2)  So lautet eine der wichtigsten Schlussfolgerungen des interregionalen sportpolitischen Gipfels, der am 16./17. März 2015 in Lissabon stattfand und auf dem ein Großteil der wichtigsten weltweit im Bereich Sportpolitik tätigen Akteure vertreten war.


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/19


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Energiespeicherung: ein Faktor der Integration und der Energieversorgungssicherheit“

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 383/04)

Berichterstatter:

Pierre Jean COULON

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 22. Januar 2015, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Energiespeicherung: ein Faktor der Integration und der Energieversorgungssicherheit.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 16. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 1. Juli) einstimmig (mit 131 Stimmen) folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA fordert, dass die Klima- und Energieziele der Europäischen Union auf einen größeren Anteil erneuerbarer Energieträger (EE) am Energiemix abheben. Er hat dies stets unterstützt, denn nur ein nachhaltiges Energiesystem, das großenteils auf erneuerbare Energien zurückgreift, kann eine langfristig gangbare Lösung für unsere Energiezukunft bieten. Das Energiesystem muss dementsprechend angepasst werden.

1.2.

Der Ausbau der fluktuierenden erneuerbaren Energieträger stellt große Anforderungen an die Energiespeichertechnologien. Um eine dauerhafte Versorgungssicherheit und einen technisch wie auch unter Kostengesichtspunkten funktionierenden Energiemarkt zu gewährleisten, muss die Europäische Union die strategische Herausforderung der Energiespeicherung bewältigen. Dementsprechend steht diese Problematik weit oben auf der europäischen Agenda und ist insbesondere im Rahmen der im Februar 2015 auf den Weg gebrachten Energieunion ein prioritäres Tätigkeitsfeld.

1.3.

In einer früheren Stellungnahme hat der EWSA die Energiespeicherung als „eine Herausforderung, eine Chance und eine absolute Notwendigkeit“ bezeichnet. Er unterstreicht, dass die Energiewende in der EU gelingen und alles daran gesetzt werden muss, flächendeckend Energiespeicher zu bauen.

1.4.

Die verschiedenen Energiespeichertechnologien, die es gibt, haben einen unterschiedlichen technologischen und industriellen Reifegrad.

1.5.

Der EWSA weist darauf hin, dass Energiespeicherung neben all ihren Vorteilen auch hohe finanzielle sowie Umwelt- und Gesundheitskosten verursachen kann. Deshalb plädiert er für systematische Folgenabschätzungen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der Technologien sowie ihrer Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit. Auch das jeweilige Tätigkeits- und Beschäftigungspotenzial dieser Technologien sollte analysiert werden.

1.6.

Der EWSA plädiert für eine Intensivierung der FuE-Tätigkeiten und eine Verbesserung der Synergie auf europäischer Ebene im Bereich der Energiespeicherung, um die Kosten der Energiewende zu senken, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu fördern. Er plädiert für eine verstärkte Angleichung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten.

1.7.

Der EWSA befürwortet ferner die Einrichtung eines europaweiten öffentlichen Dialogs über Energiefragen — des Europäischen Energiedialogs —, damit sich die Bürger und die Zivilgesellschaft insgesamt die Energiewende zu eigen machen und die künftigen Optionen im Bereich Energiespeichertechnologien beeinflussen können.

1.8.

Der EWSA verweist auf die Bedeutung von Erdgas im Energiemix und für die Energiesicherheit der Bürger. Er plädiert für die Förderung der Gasspeicherung im Hinblick auf gemeinsame Gasspeichervorräte für alle Mitgliedstaaten.

2.   Die Energiewende und Energiesicherheit schaffen

2.1.

Energieversorgung und Energiemanagement sind von hoher politischer und sozioökonomischer Priorität und von entscheidender Bedeutung für das Gelingen der Energiewende und die Bewältigung des Klimawandels. Trotz der sinkenden Energienachfrage in der EU (der Energieverbrauch sinkt seit 2006 und befindet sich derzeit fast auf demselben Niveau wie Anfang der 1990er-Jahre) hat der Ausbau der schwankenden erneuerbaren Energieträger den Energiespeicherbedarf deutlich erhöht. Energiespeicherung ist in zahlreichen Bereichen (Ausgleich der Stromversorgungsschwankungen, elektrische Fahrzeuge, Verteidigung usw.) von großem Belang und hat für Europa und seine Industrie strategische Bedeutung. Im Übrigen ist die Problematik der Speicherung von EE-Strom einer der Hauptkritikpunkte in der Argumentation der Gegner von erneuerbaren Energieträgern.

2.2.

Die meisten Primärenergieträger (Gas, Erdöl, Kohle) lassen sich problemlos speichern, doch werfen die Größe, Kosten und Standorte strategischer Stromspeicheranlagen nach wie vor Fragen auf. Die erneuerbaren Energieträger als alternative große Primärenergiequelle lassen sich unterschiedlich gut speichern. Wasserkraft kann häufig durch die Stauung von Wasser in Seen und Talsperren gespeichert werden. Biomasse lässt sich ebenfalls vergleichsweise einfach speichern. Die Speicherung von Solar- und Windstrom jedoch ist derzeit nur über komplexe und kostspielige Zwischenschritte möglich.

3.   Eine Priorität der EU

3.1.

Die Europäische Kommission hat Szenarien für eine Dekarbonisierung des Energiesystems analysiert und 2011 einen „Energiefahrplan 2050“ vorgelegt, in dem sie verschiedene Szenarien bis 2050 entwirft. Zur Verwirklichung der Dekarbonisierungs-Zielannahmen würde Elektrizität zu 59-85 % aus erneuerbaren, zumeist fluktuierenden Energieträgern erzeugt. 2014 wurde in einer weiteren Mitteilung „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020-2030“ durch die Vorgabe eines Anteils von nahezu 45 % erneuerbarer Energieträger an der Stromerzeugung bis 2030 der Weg hin zur Dekarbonisierung bekräftigt. Dies stimmt mit den Zielen überein, auf die sich der Europäische Rat am 23. Oktober 2014 im EU-Klima- und Energierahmen bis 2030 verständigt hat. Der hohe Anteil fluktuierender erneuerbarer Energieträger im Elektrizitätssystem würde ungeachtet sonstiger Flexibilitätsmaßnahmen Speicherkapazitäten im Stromnetz im zwei- oder dreistelligen GW-Bereich erfordern.

3.2.

Die Europäische Kommission ihrerseits hat die Speicherung von Elektrizität als vorrangiges Tätigkeitsfeld eingestuft und immer wieder die Wichtigkeit der Energiespeicherung hervorgehoben. 2013 plädierte sie in ihrem Arbeitsdokument über Energiespeicherung (http://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/energy_storage.pdf) für eine bessere Koordinierung zwischen dem Erfordernis der Energiespeicherung und anderen wichtigen EU-Politikbereichen wie dem Klimaschutz. Die Energiespeicherthematik sollte in allen bestehenden und künftigen einschlägigen Maßnahmen und Rechtsakten der EU im Bereich Energie und Klimaschutz sowie in den Strategien für Energieinfrastrukturen berücksichtigt und unterstützt werden. Ferner hat die Kommission in ihrer Mitteilung über die Energieunion vom 25. Februar 2015 die Entschlossenheit der EU betont, „weltweit die Führungsrolle bei den erneuerbaren Energien zu übernehmen und zum globalen Zentrum für die Entwicklung der nächsten Generation fortgeschrittener und wettbewerbsfähiger Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien zu werden. Die EU hat sich ferner selbst das Ziel gesetzt, den Anteil der in der EU verbrauchten erneuerbaren Energien bis 2030 auf mindestens 27 % zu steigern.“ Die Kommission beabsichtigt, eine neue Strategie für Forschung und Innovation auf den Weg zu bringen: „Wenn Europa im Bereich der erneuerbaren Energien die globale Führungsrolle übernehmen will, muss es diese sowohl bei der nächsten Generation von Technologien für diese Energien als auch bei den Speicherlösungen erobern.“

3.3.

Auch das jüngste Madrid-Forum bekräftigt in seinen Schlussfolgerungen die strategische Bedeutung der Erdgasspeicherung für die Versorgungssicherheit der EU. Der EWSA betont seinerseits, dass die Förderung der Entwicklung der Erdgasspeicherung wichtig ist.

4.   Entwicklungen im Bereich der Speichertechnologien

4.1.

Die Stromspeichertechnologien lassen sich in vier Großkategorien unterteilen. Je nach Energiebedarf und Gegebenheiten kann Energie in verschiedenen Formen (Elektrizität, Gas, Wasserstoff, Wärme oder Kälte) in der Nähe der Erzeugungsanlagen, im Netz oder in der Nähe des Verbrauchsorts gespeichert werden:

mechanische potenzielle Energie (Talsperre, Pumpspeicherkraftwerk, Pumpspeicherkraftwerk im Meer, Druckluftspeicherkraftwerk),

mechanische kinetische Energie (Schwungrad),

elektrochemische Energie (Batterie, Akkumulator, Kondensator, Wasserstoff),

thermische Energie (latente oder fühlbare Wärmespeicher).

4.2.

Die weltweit am weitesten verbreiteten Speichertechnologien sind die hydraulische Energiespeicherung durch Pumpspeicher, bspw. in Systemen für unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV). Netzbetreiber, Unternehmer und Verwalter von gewerblich genutzten Gebäuden zeigen wachsendes Interesse an diesen Systemen. Pumpspeicherkraftwerke ermöglichen die Integration fluktuierender erneuerbarer Energien, insbesondere der Windkraft und der Photovoltaik, Spitzenlastdeckung und Verschiebung von Angebots- und Nachfragespitzen, einen wirtschaftlichen Kompromiss (d. h. einen „sozialen Ausgleich“ zwischen der Einspeicherung zu niedrigen Preisen bei niedriger Nachfrage und der Ausspeicherung zu hohen Preisen bei hoher Nachfrage) und eine Streckung der Investitionen in den Netzausbau. Bei einem massiven Ausbau dieser erneuerbaren Energieträger dürften die planbaren Speicherkapazitäten indes kaum ausreichen, um langanhaltende Flauten oder sonnenarme Zeiten auszugleichen.

4.3.

Auf dem Energiespeichermarkt werden fünf für die kommenden zehn Jahre vielversprechende neue Segmente erschlossen:

thermische oder chemische Energiespeicherung in industriellen Verfahren, wodurch die Verschiebung oder der Ausgleich von Lastspitzen zur Optimierung des Strom-, Wärme- und Gasverbrauchs ermöglicht wird;

Energiespeicherung durch die Verknüpfung der Elektrizitäts- und Gasnetze, indem durch Elektrolyse hergestellter Wasserstoff oder über Methanisierung erzeugtes synthetisches Erdgas (SNG) in die Erdgasnetze eingespeist werden (z. B.: Power-to-Gas der Deutschen Energie-Agentur (dena) (www.powertogas.info));

Speicherung elektrischer Energie für Stadtviertel und Wohngebäude im Rahmen intelligenter oder Positiv-Energie-Konzepte für Gebäude und Gewerbegebiete (Nicegrid-Projekt in Frankreich);

mobile Stromspeicherung durch Elektrofahrzeuge im Rahmen von Vehicle-to-Grid-Systemen (V2G): Toyota, Nissan, Renault usw.

flexible Stromspeicherung in Pumpspeicherwerken mit dynamisch und fein regelbarer Leistung für den Lastausgleich.

4.4.

Wasserstoff stellt eine vielversprechende Option dar (wobei sein Potenzial durch Kosten-, Sicherheits- und Transportfragen erheblich beeinträchtigt wird): Er ist ein klimaneutraler Energieträger, sofern er aus einer kohlenstofffreien Quelle erzeugt wird, und er kann in zahlreichen, vor allem industriellen Verfahren eingesetzt werden, so bei lokaler Stromversorgung (Versorgung abgelegener Orte, Hilfsgeneratoren), zur Energiespeicherung (Sicherung der Netzstabilität, Grundlastfähigkeit erneuerbarer Energien) und bei Kraft-Wärme-Kopplung. Er wird ferner im Straßenverkehr (Kfz, öffentliche Verkehrsmittel, Lkw usw.), im Luftverkehr (Hauptantrieb oder Hilfsmotor von Flugzeugen), in der See- und Binnenschifffahrt (U-Boote, Hauptantrieb oder Hilfsmotor), in Raffinerien und petrochemischen Anlagen (grüner Wasserstoff) oder auch in Anwendungen wie bspw. tragbaren Brennstoffzellen-Ladegeräten, die Brennstoffzelle und Batterie in einem sind. All dies ist noch in der Entwicklung begriffen.

Die Verfahren zur Herstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse und die Brennstoffzellentechnik sind mittlerweile sehr flexibel und verbreitet einsetzbar, aufgrund des niedrigen Wirkungsgrads werden jedoch weiterhin verstärkt Wind- und Solarkraftanlagen errichtet, wodurch Überkapazitäten entstehen. Wasserstoff entwickelt sich zu einem wichtigen Energieträger in Systemen, in denen verschiedene Energienetze flexibel miteinander verknüpft werden (z. B. Hybridkraftwerk Prenzlau). Wasserstoff kann nach Bedarf mit erneuerbaren Energien gewonnen und dann als E-Methan (methanisierter Wasserstoff) in das Erdgasnetz eingespeist, im Hinblick auf die Verteilung/Verwendung als Brennstoff oder chemischer Arbeitsstoff gespeichert oder in Strom zurückverwandelt werden. Methanisierter Wasserstoff hat das bei Weitem größte Energiespeicherpotenzial, kann sicher transportiert, über lange Zeit in Gasspeichern (Gaskavernenspeicher usw.) vorgehalten und außerdem auch zu langkettigen Kohlenwasserstoffen weiterverarbeitet werden (die u. a. als Flugtreibstoff oder in der Kunststoffherstellung eingesetzt und bislang nur aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden). Dabei kann der im Idealfall in einer Kreislaufwirtschaft anfallende Kohlenstoff (CO2 usw.) wiederverwendet werden und reichert sich nicht in der Atmosphäre an. Anstatt Treibhausgasen wird so Energie erzeugt. Bei der Herstellung von Wasserstoff und bei der Stromerzeugung aus Wasserstoff wird Wärme freigesetzt, durch deren Nutzung der Wirkungsgrad der Systeme erhöht wird. Das Besondere am Energieträger Wasserstoff ist somit, dass er es ermöglicht, die Strommärkte mit den übrigen Energiemärkten auf wirtschaftlich, gesellschaftlich und ökologisch vertretbare Weise miteinander zu verknüpfen.

4.5.

Als weiteres Beispiel wäre die Speicherung von tagsüber erzeugtem Solarstrom in Batterien zu nennen. Solarpaneele auf den Dächern von Wohngebäuden erzeugen tagsüber Strom, wenn die Bewohner abwesend sind. Abends, wenn die Bewohner nach Hause kommen, ist die Sonne meist längst untergegangen und die Paneele erzeugen keinen Strom mehr.

4.6.

Bei einem von einem deutschen Unternehmen entwickelten Lösungskonzept sind die verschiedenen Elemente elektronisch miteinander verknüpft. Über eine Smartphone-Anwendung können die Nutzer den Ladezustand ihres Solarbatteriespeichers kontrollieren. Das zahlt sich finanziell aus: Gewöhnlich deckt Solarstrom 25-35 % des Energiebedarfs einer Familie, mit dieser Lösung teils über 70 %. Von der derzeitigen Preislage ausgehend amortisieren sich die Investitionen in ca. acht Jahren; die Garantie der Batterien beträgt 20 Jahre.

4.7.

Dies ist auch ein Anreiz für Eigenenergieerzeugung und -verbrauch (Prosument), wofür der EWSA sich bereits in mehreren Stellungnahmen ausgesprochen hat.

4.8.

Zwar gibt es bereits verschiedene Lösungskonzepte, doch sind die Möglichkeiten für zusätzliche Ausrüstungen noch begrenzt. Zudem stößt die Entwicklung neuer flexiblerer Technologien wie bspw. Lithium-Ionen-Batterien und Power-to-Gas nach wie vor auf Hemmnisse. Die größten Nachteile sind die hohen Kosten, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und Marktreife der Konzepte sowie die Größe der Batterien. Die französische Agentur für Umwelt- und Energiewirtschaft (ADEME) geht davon aus, dass stationäre Energiespeichersysteme erst ab 2030 in industriellem Maßstab nutzbar sein werden (Agence française de l’environnement et de la maitrise de l’énergie — Les systèmes de stockage d’énergie/Feuille de route stratégique, 2011). McKinsey hingegen schätzt, dass die Energiespeicherkosten in den nächsten Jahren fallen, wobei Ausmaß und Geschwindigkeit des Preisrückgangs offen bleiben (Battery Technology Charges Ahead, McKinsey, 2012). Laut dem Beratungsunternehmen könnten die Kosten für Lithium-Ionen-Batterien bis 2020 von 600 USD/kWh auf 200 USD/kWh und bis 2025 auf 160 USD/kWh sinken.

5.   Strategische Herausforderungen

5.1.

Die notwendige Senkung des Klimagasausstoßes und die allgemeine Verknappung der fossilen Energieträger (wenn auch in den letzten Jahren neue Vorkommen entdeckt worden sind) begünstigen den Ausbau der erneuerbaren Energien, was der EWSA in zahlreichen Stellungnahmen befürwortet hat (TEN/564 und TEN/508). So hat der Ausschuss angesichts der dynamischen Entwicklung der erneuerbaren Energieträger die erforderliche Anpassung des Energiesystems angemahnt — den Ausbau der Übertragungsnetze, Speichervorrichtungen und Reservekapazitäten. Die Erzeugung großer Mengen erneuerbarer Energie wird zur strategischen Herausforderung, denn zum einen ermöglicht sie eine Verringerung der Energieimporte (was in wirtschaftlicher und ethischer Hinsicht von Vorteil ist) und zum anderen macht sie den flächendeckenden Ausbau von Speicheranlagen (die nicht nur eine tageweise, sondern eine saisonale Energiespeicherung ermöglichen) notwendig.

5.2.

Der EWSA ist sich im Klaren darüber, dass die Energiespeicherung eine grundlegende Voraussetzung für das Gelingen einer Energiewende unter Einbeziehung eines großen Anteils schwankender erneuerbarer Energien ist. Er betont die notwendige Schaffung und Ausweitung von Speicherkapazitäten. Energiespeicherung ist eine wesentliche Bedingung für die Umsetzung der übergeordneten Energieziele der EU, die der EWSA unterstützt, insbesondere:

die Verbesserung der Energiesicherheit für Bürger und Unternehmen,

die flächendeckende Nutzung erneuerbarer Energieträger (Ausgleich der Fluktuation ohne Rückgriff auf fossile Energien),

die Kostenoptimierung durch eine Senkung der Energiepreise.

5.3.

Der EWSA räumt ein, dass Energiespeicherung hohe finanzielle wie auch Umwelt- und Gesundheitskosten verursachen kann. So gibt es bei bestimmten Vorhaben für unterirdische Gasspeicherung Konflikte mit dem Erhalt der Wasserressourcen. Deshalb plädiert der EWSA für die Weiterentwicklung aller Technologien. Seiner Meinung nach können Massenspeicher einen wichtigen Beitrag zur Komplementarität der erneuerbaren Energieträger leisten. So können bspw. kurz-, mittel- und langfristige Schwankungen bei der PV-Stromerzeugung durch Windenergie ausgeglichen werden. Auf diese Weise kann auf der Grundlage von Smart-Grid-Lösungen ein Verbundnetz zwischen den verschiedenen Stromquellen errichtet werden. Bei diesen intelligenten Netzen werden Energieerzeugung, -verteilung und -verbrauch mithilfe von Informationstechnologien optimiert. Der EWSA befürwortet eine Weiterentwicklung dieser Technologie, die eine Steuerung der Energienachfrage ermöglicht, selbstredend auf der Grundlage einschlägiger Folgenabschätzungen und unter Wahrung der Verbraucherfreiheit. Noch sinnvoller wäre eine allgemeine Bewertung aller Instrumente, wie das Normungsmandat M/441 für intelligente Messgeräte und das deutsche BSI-Schutzprofil, um eine sichere Datenübertragung und -verbreitung, die Berücksichtigung einer intelligenten Haussteuerung (Smart Home) usw. zu gewährleisten und so konkrete Anwendungen für künftige Bedürfnisse intelligenter Städte zu erschließen, wie bspw. eine intelligente Steuerung aufgrund der Wettervorhersage.

5.4.

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung eines europäischen Regelungsrahmens für Energiespeicherung, der es ermöglicht, den Nutzen der Ökologisierung der Strom- und Gasnetze zu quantifizieren.

5.5.

Der EWSA betont, dass der Stromspeichermarkt für Stromnetze stark wächst und ein umfangreiches Tätigkeits- und Beschäftigungspotenzial aufweist, das die Beschäftigungsverluste in anderen Energiemarktsegmenten ausgleichen sollte. Investitionen seitens der Netzbetreiber und der Energieunternehmen sind durch die notwendige Integration eines zunehmenden Anteils fluktuierender Energie begründet. In Europa wird die Marktentwicklung durch den Bau neuer und die Renovierung der vorhandenen Pumpspeicherwerke und den Umbau von Talsperren zu Pumpspeicherwerken bestimmt. Es müssen also unverzüglich die Hemmnisse für einen effizienten Betrieb der Pumpspeicherwerke aus dem Weg geräumt werden. Um die wirtschaftlichen und ökologischen Vorteile dieser Speichertechnologie zum Tragen zu bringen, sind die erforderlichen Maßnahmen für den Bau und Betrieb der Anlagen zu ergreifen.

6.   Ausbau von Forschung und Entwicklung

6.1.

Der EWSA stellt fest, dass die EU ihre Mittel bisher eher für den Einsatz von Technologien als für FuE aufgewendet hat (Bericht „Énergie, l’Europe en réseaux“ von Michel Derdevet vom 23. Februar 2015). Die öffentlichen Ausgaben für FuE (alle Sektoren zusammengenommen) liegen real mehr oder weniger auf dem Niveau der 1980er-Jahre (in den USA und Japan dagegen sind sie gestiegen), während die erneuerbaren Energien boomen. Der 2007 aufgelegte SET-Plan (Strategieplan für Energietechnologie) hat nicht die Bereitstellung der erforderlichen Finanzmittel bewirkt. Die zahlreichen Belastungen des europäischen Energiesystems aufgrund der Notwendigkeit, die erneuerbaren Energieträger zu integrieren sowie die Versorgungssicherheit und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas zu gewährleisten, machen die Wiederaufnahme einer europäischen Zusammenarbeit bei FuE im Energiebereich erforderlich. Energiespeicher sind ein wesentlicher Bestandteil der großen, 2012 und 2013 aufgelegten Smart-Grid-Projekte und ein Hauptthema für FuE im Bereich der Energienetze von morgen.

6.2.

Die verschiedenen Energiespeichertechnologien haben einen unterschiedlichen technologischen und industriellen Reifegrad. Der EWSA plädiert für eine Intensivierung der FuE-Tätigkeiten und eine Verbesserung der Synergie auf europäischer Ebene, zumal die meisten FuE-Projekte in Europa und weltweit ähnliche Herausforderungen und Chancen zum Gegenstand haben. Der EWSA hat in verschiedenen Stellungnahmen kritisiert, dass die Forschungsanstrengungen nicht den Erfordernissen angemessen sind, und den Ausbau der Forschung auf europäischer Ebene angemahnt. Die Mitgliedstaaten müssen angehalten werden, proportional dazu beizutragen. In Anbetracht der wichtigen Rolle von FuE im Hinblick auf die Überwindung der letzten technischen Hemmnisse und die Senkung der nach wie vor viel zu hohen Investitionskosten durch die Industrialisierung der Speicherkonzepte muss die EU unbedingt schleunigst die Koordinierung ihrer Tätigkeiten und ihre Investitionen vorantreiben; letztlich können dadurch die Integration der erneuerbaren Energieträger erleichtert, die Kosten der Energiewende gesenkt, die Auswirkungen bestimmter Energieträger auf die Gesundheit begrenzt, die Ausbildung und Beschäftigung im Energiebereich entwickelt, die Sicherheit des Energiesystems gewährleistet, die Entwicklung international wettbewerbsfähiger, innovativer Verfahren sichergestellt und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gefördert werden.

Brüssel, den 1. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/24


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Intelligente Städte als treibende Kraft für eine neue europäische Industriepolitik“

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 383/05)

Berichterstatterin:

Frau RONDINELLI

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 22. Januar 2015 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema auszuarbeiten:

Intelligente Städte als treibende Kraft für eine neue europäische Industriepolitik

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 16. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 1. Juli) mit 149 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Im Hinblick auf die wachsende Verstädterung betrachten die Union und die Mitgliedstaaten die Städte als „Laboratorien für ein dynamischeres und digitales Europa“, in denen Maßnahmen zur Schaffung von mit Beschäftigung und sozialer Entwicklung einhergehendem Wachstum erprobt werden.

1.2.

Die Nachhaltigkeit der Städte ergibt sich aus der intelligenten Verbindung ausgereifterer und innovativerer Technologien, (auf europäischer, nationaler und kommunaler Ebene) integrierter Plattformen, moderner Infrastrukturen, Energieeffizienz, entsprechend den Bedürfnissen der Bürger und Nutzer neu gestalteter effizienterer Dienste sowie der Integration zwischen intelligentem Stromnetz, Internet und Sensortechnologie.

1.3.

Städte als derart fortschrittliche, groß angelegte Laboratorien für Innovationen würden zur industriellen und sozioökonomischen „Wiedergeburt“ der Union beitragen und eine echte industrielle, finanzielle und soziale Revolution in Gang setzen.

1.4.

In diesem Sinne ist der EWSA der Ansicht, dass „intelligente Städte“ die treibende Kraft einer neuen europäischen Industriepolitik werden können, die bestimmte Produktionssektoren beeinflussen kann, indem die Vorteile der digitalen Wirtschaft in umfassendem Maße verbreitet werden. So erklärte der Vizepräsident der Kommission Maroš Šefčovič auf der Plenartagung des EWSA vom 22. April 2015, dass intelligente Städte für die Union eine Entwicklungspriorität besitzen, und betonte die Motivation der Bürgermeister der Städte, in die Gesellschaft der Zukunft zu investieren.

1.5.

Damit diese Ziele erreicht werden können, bedarf es eines Entwicklungsmodells, das fortschrittlicher und wirksamer ist als der bisherige extrem fragmentierte Ansatz. Der EWSA schlägt daher den anderen europäischen Institutionen und den Regierungen der Mitgliedstaaten vor, ein solches nachhaltiges Entwicklungsmodell für Städte, Inseln, Gebiete und Industriegebiete dann als intelligent zu bezeichnen, wenn es auf der Kohärenz und der gleichzeitigen Integration folgender sechs tragender Säulen beruht:

Technologien und Instrumente für die Energieeffizienz und Integration erneuerbarer Energien,

Verbreitung von Technologie- und Vernetzungsplattformen zur Schaffung neuer Systeme digitaler Dienste,

neue digitale Systeme zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsqualität der Bürger und Unternehmen,

Angleichung der Infrastrukturen und Umgestaltung der Städte,

Aus- und Weiterbildung der Bürger, der Unternehmen und des öffentlichen Sektors im Bereich digitaler Kompetenzen,

Modell für wirtschaftliche und finanzielle Nachhaltigkeit der Investitionen.

1.6.

Das gleichzeitige Vorhandensein dieser sechs Säulen muss als fester und unabdingbarer Bestandteil jedweden strategischen Projekts für eine intelligente Stadt betrachtet werden. Genauso unerlässlich ist die Anwendung dieses Modells im Rahmen einer Politik, die höhere Sicherheitsstandards für die Netze, die Informationssysteme, die Anwendungen und Einrichtungen gewährleistet, die den Ökosystemen der digitalen Dienste zugrunde liegen.

1.7.

Zwecks Umsetzung dieses Vorschlags in konkrete Schritte hält es der EWSA — neben der unverzichtbaren Einbeziehung der Zivilgesellschaft — für grundlegend, dass die EU und die Mitgliedstaaten ihre politischen Maßnahmen aufeinander abstimmen, für diese die geeigneten öffentlichen Finanzmittel vorsehen und sie strukturell auf öffentlich-private Partnerschaften einstellen.

1.8.

Der EWSA ist insbesondere der Auffassung, dass zur Einführung vollkommen nachhaltiger Innovationen zur Verbesserung der Lebensqualität und des Wohlbefindens der Bürger die Investitionen in intelligente Städte aufgestockt und Synergien zwischen den bestehenden europäischen, nationalen und regionalen Fonds zur Geltung gebracht werden müssen; dabei gilt es, die Möglichkeiten des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) zu nutzen.

1.9.

Im Sinne konkreter Fortschritte schlägt der EWSA vor, dass

die Europäische Kommission ein „einheitliches europäisches Kompetenzzentrum für intelligente Städte“ gründet, an dem sich die zuständigen Generaldirektionen, die Mitgliedstaaten, der EWSA und der Ausschuss der Regionen beteiligen;

in jedem Mitgliedstaat anschließend „zentrale Anlaufstellen für den Zugang intelligenter Städte zu technisch-finanzieller Unterstützung“ eingerichtet werden, die strukturell mit dem „einheitlichen europäischen Kompetenzzentrum für den Zugang intelligenter Städte zu Maßnahmen und Ressourcen“ verbunden sind. Diese Anlaufstellen sollten dem Dialog mit den öffentlichen und privaten Interessenvertretern vor Ort offenstehen, um Fördermaßnahmen auf Ebene der Einzelstaaten und einzelner Städte seitens Beratungsgruppen anzuregen, denen Organisationen der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner angehören;

die derzeit neu entstehende „Europäische Plattform für Investitionsberatung“ (European Investment Advisory Hub) des EFSI eine entsprechende Abteilung für intelligente Städte erhält;

der Kreis der Teilnehmer an der Europäischen Innovationspartnerschaft für intelligente Städte und Gemeinden auf die Zivilgesellschaft und den ESWA ausgedehnt wird.

1.10.

Der EWSA tritt aufgrund dieser neuen Instrumente für eine europäische Projektplattform mit den vom EFSI vorgesehenen Merkmalen ein, die die Entstehung und Integration von Projekten intelligenter Städte der Mitgliedstaaten fördert und die Finanzierung der Projekte mittels Kopplung verfügbarer öffentlicher Mittel, zuverlässiger privater Mittel und über den EFSI abrufbarer Garantien unterstützt.

1.11.

Für den EWSA ist es von wesentlicher Bedeutung, dass ein Binnenmarkt für intelligente Städte auch über einen harmonisierten regulatorischen Rahmen gefördert wird, der Folgendes vorsieht:

die Überarbeitung der Instrumente der öffentlich-privaten Partnerschaft auf europäischer Ebene mit dem Ziel, diese für Unternehmen attraktiver zu gestalten und auch auf die Dienstleistungen auszudehnen, die der Dreh- und Angelpunkt der digitalen Wirtschaft sind;

Instrumente für eine innovative Auftragsvergabe und die vorkommerzielle Auftragsvergabe;

homogene Mechanismen, die den Stadtverwaltungen eine transparente Nutzung der Finanzmittel ermöglichen, die aus den Kostenersparnissen und den neuen Diensten dank der in den intelligenten Städten entstandenen Plattformen resultieren und die die Reinvestition in weitere innovative Projekte fördern.

1.12.

Für den EWSA sind die Beteiligung und die Teilhabe der zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie die Konzertierung zwischen den Sozialpartnern aus zwei Gründen grundlegend: einerseits zur Ermittlung strategischer und konzeptioneller Entwürfe im Zusammenhang mit der Umsetzung des nachhaltigen und integrierten Entwicklungsmodells der intelligenten Städte, andererseits um zu gewährleisten, dass diese Pläne auch zu finanziellem und sozialem Nutzen für die Bürger und zu besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen führen.

2.   Hintergrund

2.1.

Die zunehmende Verstädterung weltweit (im Rahmen des Millenniumsziels Nr. 11 setzen die Vereinten Nationen das Projekt „United Smart Cities“ um, damit alle Städte der Welt nachhaltig, inklusiv, katastrophensicher und sicher werden) und in Europa (1) ist immer mehr mit der Verbreitung intelligenter Städte verknüpft (Europäische Union — Regionalpolitik, Städte von morgen, Oktober 2011). Denn in diesem Umfeld werden sich die wirtschaftlichen, persönlichen und sozialen Interessen der Mehrheit der Bürger und der Produktionstätigkeiten konzentrieren (72 % der EU-Bürger (359 Millionen) leben heute in Städten, bis 2020 werden es 80 % sein (Angaben der Kommission)). Im europäischen Kontext, der sich u. a. durch verstreute kleinere städtische Zentren und einer durch Produktionsketten und Unternehmensnetzwerken gekennzeichneten Industriegeschichte auszeichnet, muss der Übergang zu diesem neuen Modell auch für große Gebiete und Bezirke geplant und unterstützt werden.

2.2.

Die stärkere Empfänglichkeit der öffentlichen Entscheidungsträger für diese Fragen wird belegt durch die Zunahme bilateraler Partnerschaftsabkommen zwischen intelligenten Städten in Europa und Kommunen, deren Nachhaltigkeitsentwicklung noch am Anfang steht, auf anderen Kontinenten. Diese Abkommen sind auf den Austausch positiver Erfahrungen bzw. die Aufwertung und Teilung bewährter Verfahren angelegt. So hat zum Beispiel die chinesische Regierung zwölf Städte ermittelt, die mit den einschlägigen intelligenten Städten der EU Kooperationsabkommen über eine nachhaltige Stadtentwicklung abgeschlossen haben (http://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/12_cities.pdf). Außerdem ist eine starke Zunahme von Projekten und Initiativen im Bereich intelligenter Stadtentwicklung festzustellen, die spontan von den Regierungen und/oder Bürgern (siehe z. B. die Charta von Malaga vom 7. Februar 2011, http://www.catmed.eu/pag/fr/11/la-charte-de-malaga) bzw. Verbänden, Organisationen oder Netzen auf europäischer Ebene wie Eurocities (http://www.eurocities.eu) oder dem Bürgermeisterkonvent (http://www.covenantofmayors.eu) gefördert werden.

2.3.

Die Strategie Europa 2020 fördert intelligente Städte in ganz Europa mittels Investitionen in IKT-Infrastrukturen, in das Humankapital und in Lösungen zur Nutzung der neuen Technologien und der Digitalisierung. Dabei sollten folgende Ziele erreicht werden: Erhöhung der Nachhaltigkeit und Verbesserung der Lebens- und Arbeitsqualität von Bürgern und Unternehmen, höhere Effizienz und Zugänglichkeit der Dienste sowie Verringerung von Armut, Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgrenzung und Umweltverschmutzung und -schädigung.

2.4.

Mit der Erklärung von Venedig zu einem digitalen Europa (http://ec.europa.eu/digital-agenda/en/news/digital-venice-2014) haben die einzelstaatlichen Regierungen bekräftigt, den Übergang ihrer Wirtschaftssysteme zur digitalen Wirtschaft zu erleichtern. Sie haben betont, dass dies ein Schwerpunkt eines neuen Modells der Industriepolitik werden kann, bei dem die Informations- und Kommunikationstechnologien einen wesentlichen Beitrag für jede Art von Produktion von Waren und Dienstleistungen leisten können und die gleiche Bedeutung haben wie der Zugang zu Finanzmitteln und Energiequellen.

2.5.

In diesem Zusammenhang werden die Städte von den Mitgliedstaaten als „Laboratorien für ein dynamischeres und digitales Europa“ und als mögliche Impulsgeber für diese Veränderungen betrachtet. Intelligente Städte sind für die EU Erprobungsstätten für Maßnahmen, die in der Lage sind, Wachstum und Beschäftigung anzukurbeln, weil sie digitale Technologien mit innovativen und neuen Dienstleistungen kombinieren können.

2.6.

Die Umwandlung der Städte in intelligente Städte wird Auswirkungen haben auf die technologischen Innovation, intelligente Verkehrsmittel, die effizientere Nutzung von Energie, das Leben der Bürger und die Unternehmen aufgrund zahlreicher Änderungen, die z. B. mit Telearbeit, digitaler Demokratie und höherer Transparenz verbunden sind. Diese Umwandlung wird eine aktive Teilhabe am Entscheidungsfindungsprozess gestatten.

2.7.

Auf der vom EWSA am 10. November 2014 organisierten Konferenz zum Thema „Smart Cities — towards a European Economic Revival through Civic Innovation“ (http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.events-and-activities-smart-cities-civic-innovation) diskutierten politische Entscheidungsträger, kommunale Verantwortliche und Vertreter der Zivilgesellschaft, wie intelligente Städte Vorreiter für die Entwicklung einer neuen europäischen Industriepolitik werden, wie sie Wachstum und Beschäftigung fördern, wie die Akteure der Zivilgesellschaft sich am Entwurf von Strategien beteiligen und welche Politikinstrumente eingesetzt werden können, um Investitionen in intelligente Städte EU-weit zu unterstützen.

2.8.

Der EWSA ist der Ansicht, dass drei Punkte im Fokus stehen müssen, damit intelligente Städte zur treibenden Kraft einer neuen europäischen Industriepolitik (2) werden können:

2.8.1.

Definition eines moderneren und wirksameren Entwicklungsmodells für intelligente Städte, um die derzeitige Fragmentierung zu überwinden und eine einheitliche Vision für die Projekte zu entwickeln, die weit über die Integration von IKT, Mobilität und Energieeffizienz hinausgeht. Insbesondere muss auf Initiativen gesetzt werden, die auf lokaler Ebene unterschiedlich ausgestaltet werden können und die gleichzeitig positive Auswirkungen auf BIP, Wachstum, Beschäftigung, Produktivität (quantitative Wirtschaftsindikatoren), Lebensqualität und körperlich-geistiges Wohlbefinden der Menschen (qualitative Wirtschaftsindikatoren) abzielen;

2.8.2.

Förderung der Investitionen in intelligente Städte unter Bevorzugung öffentlich-privater Partnerschaften, wobei vor allem auf die zahlreichen verfügbaren europäischen Fonds zurückgegriffen und Synergien mit dem Einsatz des EFSI erzielt werden (Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1291/2013 und (EU) Nr. 1316/2013, COM(2015) 10 final); Ziel ist dabei, ein Entwicklungsmodell auf europäischer Ebene anzunehmen, das in den Bereichen Soziales, Umwelt, Produktion und Beschäftigung gleichermaßen Erträge generieren kann (die Europäische Kommission geht von 2,8 Millionen neuen Arbeitsplätzen bis 2018 aus (Start-Up Europe, EWSA-Konferenz, 10. November 2014), sowie den privaten Ko-Investoren die Aussicht auf Rendite aus dem investierten Kapital sicherzustellen;

2.8.3.

Stärkung der Präsenz und der Rolle der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner bei der strategischen Konzeption der intelligenten Städte, bei ihrer Umsetzung und ihrer anschließenden Überwachung, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Bürgern und Unternehmen zu verbessern.

3.   Ein nachhaltiges und integratives Modell zur Entwicklung intelligenter Städte im Rahmen der digitalen Wirtschaft

3.1.

Eine Studie des Europäischen Parlaments (3) belegt, wie die aktuellen Strategien bzw. Initiativen bestrebt sind, die Städte in mindestens einem der folgenden Punkte intelligenter zu machen: Governance, Teilhabe der Bürger, Lebensbedingungen, Mobilität, Wirtschaft, Umwelt. Daraus geht hervor, dass ein Projekt einer intelligenten Stadt auch mit nur einem dieser Merkmale denkbar ist. In der Studie werden drei Arten von „wesentlichen Bestandteilen einer intelligenten Stadt“ herausgearbeitet, die die Bereiche Technologie, Menschen und Institutionen betreffen.

3.2.

Der EWSA hält es für wesentlich, dass ein neues nachhaltiges, produktives und inklusives Modell einer intelligenten Stadt entwickelt wird, das nicht mehr lediglich als Projekt der Informationstechnologie, der Umweltverbesserung oder der Energieeffizienz angesehen wird, sondern vielmehr als Teil einer neuen europäischen Industriepolitik, bei der beschäftigungswirksames Wachstum zusammen mit sozialer Entwicklung die Dividende aus der Umwandlung der heutigen Wirtschaft in eine digitale Wirtschaft bilden.

3.3.

Die Umsetzung dieses Modells ist nicht nur mit einer integrativeren Sicht auf die Projekte im Rahmen intelligenter Städte verbunden, sondern auch mit:

einer geringeren Fragmentierung der Strategien der Mitgliedstaaten und der Kommission;

einer höheren Standardisierung und Integration der operationellen Programme, der wesentlichen Elemente und der europäischen und einzelstaatlichen Finanzinstrumente für die Entwicklung intelligenter Städte;

der Entwicklung von Finanzierungslösungen, die die Hebelwirkung privater Mittel fördern können, auch mittels Nutzung öffentlicher Mittel zur Abschwächung des Risikos;

einer Politik der strategischen öffentlichen Auftragsvergabe, die sich an der Schaffung von Arten von Produkten und Dienstleistungen orientiert, um die von den Bürgern, der öffentlichen Verwaltung und den Unternehmen wahrgenommene Effizienz zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit eines Gebiets, eines Netzes bzw. einer Unternehmensbranche zu erhöhen.

3.4.

Der EWSA ist sich daher bewusst, dass eine intelligente Strategie sowohl auf Städte, Inseln, Gebiete oder Industriezonen angewendet werden kann; er schlägt den europäischen Organen und den Regierungen der Mitgliedstaaten vor, ein Entwicklungsmodell für intelligente Städte zu konzipieren, deren Programme durch die Koexistenz und Integration folgender sechs tragender Säulen gekennzeichnet sind (in Italien dient dieses Modell, das aus einem Vorschlag des Verbands Amerigo (International Cultural Exchange Programs Alumni) und Enam (European Network of American Alumni Associations) hervorgegangen ist, als Vorlage für die Festlegung einer Strategie für intelligente Städte durch den Minister für wirtschaftliche Entwicklung im Rahmen des sogenannten Juncker-Plans):

Vorhandensein von Technologien und Instrumenten für die Energieeffizienz und die Integration erneuerbarer Energien, wie z. B. intelligente Stromnetze (Smart Grids), die in der Lage sind, Pläne zur Stromeinsparung zu unterstützen und zu fördern und dabei Ad-hoc-Lösungen und Vorrichtungen zu berücksichtigen; den Rückgriff auf einen Mix unterschiedlicher Energiequellen sowohl im privaten wie im öffentlichen Bereich zu fördern; Bestandteil der Vernetzungsinfrastrukturen zu werden und frei zugänglichen Internetzugang zu verbreiten;

Verbreitung von Technologie- und Vernetzungsplattformen zur Schaffung neuer Systeme digitaler Dienstleistungen dank IKT- und Telekommunikationsstrukturen, die in der Lage sind, eine flächendeckende Anbindung zu gewährleisten, auch mittels Integration in die Smart Grids; Verbreitung des Internets der Dinge fördern durch die Verbindung mit Sensoren, Vorrichtungen und Diensten; Nutzung öffentlicher und privater Open-Data-Projekte sowie der urbanen digitalen Agenda; gleichzeitig Gewährleistung höchster Sicherheitsstandards für Lösungen und Produkte sowie für den Schutz von Daten der Bürger, Unternehmen und Verwaltungen;

Entwicklung neuer Ökosysteme digitaler Dienste, um die Lebensqualität der Bürger und die Produktionsprozesse der Unternehmen zu verbessern — dank integrierter intelligenter Dienste und Produkte, die auf den Vernetzungsplattformen und den Smart Grids beruhen. Diese Ökosysteme digitaler Dienste, die in verschiedenen Bereichen (z. B. Mobilität, elektronische Gesundheitsdienste, digitaler Tourismus, Industrie 4.0) operativ sind, könnten die Entstehung und Stärkung einer europäischen Industrie für die intelligenten Städte fördern, zumal dort, wo seitens der maßgeblichen Technologieakteure die Beschleunigung von Lösungen gefördert wird, die von kleineren Einheiten — wie z. B. Unternehmensgründungen — entwickelt und fertiggestellt wurden;

Projekte zur Verbesserung der Infrastrukturen und zur städtischen Neugestaltung wie z. B. die Neuausrichtung von Flächennutzungsplänen der Städte, die Umnutzung von Gebäuden und öffentlichen Infrastrukturen in produktiver, ökologischer und sozialer Hinsicht. Dabei soll nicht nur der wirtschaftliche Wert der Güter gesteigert, sondern auch der von den Nutzern empfundene Nutzwert — auch dank der Verbreitung effizienter und vernetzter Technologien im Rahmen einer indirekten öffentlichen Auftragsvergabe — erhöht werden;

Schulungs- und Anpassungspläne bezüglich der digitalen Kompetenz von Bürgern, Unternehmen und dem öffentlichen Sektor, damit die eingeführten Innovationen von so vielen Endnutzern wie möglich umfassend genutzt werden;

Pläne für eine wirtschaftliche und finanzielle Nachhaltigkeit der Investitionen mit eindeutiger Ermittlung der Erträge aus den Dienstleistungen, der Erschließung der Infrastrukturen und der Effizienzsteigerungsmaßnahmen, der Modalitäten für die Verteilung der Gewinne unter den Konzessionsinhabern von Netzen, Investoren, Entwicklern von intelligenten Lösungen und Vorrichtungen und den Nutzern sowie der öffentlichen und privaten Finanzinstrumente, die die Umsetzung dieser neuen Verfahrensmodelle ermöglichen.

3.5.

Die Koexistenz dieser Elemente kann die Auswirkung der Projekte auf das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung, die Lebensqualität, die Vereinfachung der Beziehungen zwischen und mit der Verwaltung sowie die Energieeinsparungen im öffentlichen und privaten Sektor maximieren und positive Nebeneffekte auf die Wettbewerbsfähigkeit und die systemischen Kenntnisse der Unternehmen haben.

3.6.

Auf diese Weise verwirklichte intelligente Städte führen zu hochwertigen öffentlichen Diensten, besserer Lebensqualität der Bürger und besseren Betriebsbedingungen für Bürger und Unternehmen, zu neuen Arbeitsplätzen im Zuge eines innovativen unternehmerischen Ökosystems und zu verbesserter ökologischer Nachhaltigkeit. Diese Ergebnisse können mit weniger rückzahlungsfreien öffentlichen Mitteln erreicht werden dank der Einbeziehung privater Finanzmittel, der strategischen Planung von Dienstleistungssystemen, die neue „Ertragsflüsse“ erzeugen, und der Schaffung von Netzen zwischen großen Konzernen und kleinen und mittleren Unternehmen.

3.7.

In diesem Szenario der großen Möglichkeiten hält es der EWSA für grundlegend, das Thema der Sicherheit der Netze, der Informationssysteme, der Anwendungen und Vorrichtungen, die den Ökosystemen der digitalen Dienste zugrunde liegen, anzugehen. Der Wandel der Städte hin zu intelligenten Systemen macht es erforderlich, dass die sehr sensiblen Informationen, auf denen die Dienste beruhen, mit Diskretion, Integrität und Hilfsbereitschaft ermittelt und behandelt werden.

3.8.

Ferner ist es zwingend notwendig, dass auf europäischer Ebene eine Debatte unter den Mitgliedstaaten über die Sicherheitsstandards angeregt wird, die für die Dienste und die im Rahmen des Internets der Dinge verbreiteten Vorrichtungen zu gelten haben. Damit muss verhindert werden, dass diese eventuell unterbrochen, korrumpiert oder sogar fehlgesteuert werden und dadurch den Personen, der Gesundheit der Öffentlichkeit, dem Schutz des Privatlebens und der Wirtschaftstätigkeiten sowie letztlich dem Image aller Initiativen zur Verwirklichung intelligenter Städte selbst schwere Schäden zugefügt werden.

4.   Intelligente Städte — Instrument für eine europäische Industriepolitikplattform

4.1.

Die Integration der sechs tragenden Säulen würde die intelligenten Städte zu einem idealen Instrument machen, um eine neue Art von Investitionen zu begünstigen, die bezüglich der Externalitäten eine positive soziale Auswirkung mit einem Rentabilitätsverhältnis verbinden, das diese Investitionen aus wirtschaftlicher und finanzieller Sicht voll und ganz nachhaltig werden lässt.

4.2.

Ein europäischer Investitionsplan für intelligente Städte mit den folgenden drei Faktoren würde die Auswirkungen der Initiativen vervielfachen: Maßnahmen, die die Skalierbarkeit der Lösungen begünstigen, die wiederum eine Funktion für die Standardisierung der Komponenten ist; die Förderung eines Binnenmarkts für intelligente Städte, um kleinräumige und verschiedenartige Maßnahmen in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu überwinden und gemeinsame Instrumente zur Beseitigung auftretender Probleme auszumachen; ein einheitlicher Finanzierungsansatz.

4.3.

Die Skalierbarkeit der Lösungen bzw. die Möglichkeit, bestehende Lösungen auszubauen oder nachzubilden, ist heute vor allem mit experimentellen Mikro-Infrastrukturen und Systemen des intelligenten Verkehrs verbunden und dient der Einbeziehung großer Technologieanbieter und der Kooperation zwischen Städten. Andere Initiativen in der Versuchsphase sind so speziell, dass ihre Nachbildung eingeschränkt ist, auch wenn sie für die Qualität der vorgeschlagenen Lösungen oder die basisorientierte Beteiligungsmöglichkeit von Bürgern und Unternehmen von sehr großer Bedeutung sind.

4.4.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Skalierbarkeit der Lösungen auf europäischer Ebene einer der Knackpunkte darstellt für die Mobilisierung ausreichender privater Investitionen. Damit entscheidet sich, ob die Strategien für intelligente Städte zur Ankurbelung der Beschäftigung, des BIP und der Produktivität sowie zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen können.

4.5.

Der EWSA ist insbesondere der Ansicht, dass

bei den Projekten für intelligente Städte darauf geachtet werden muss, dass die gewählten Lösungen reproduzier- und skalierbar sind, wenngleich die vollständige Autonomie der Städte bei der Festlegung von detaillierten Unterkomponenten der sechs tragenden Säulen anerkannt wird;

diese Reproduzier- und Skalierbarkeit der Lösungen auch mittels Förderung neuer Technikstandards für die Interoperabilität, den Austausch und die Offenheit der neuen unterstützenden Lösungen angestrebt werden muss. Damit kann auf lokaler Ebene die maximale Flexibilität garantiert und der Entwicklung maßgeschneiderter Lösungen von kollektivem und allgemeinem Wert der Vorzug gegeben werden;

die Quote der wirtschaftlichen und finanziellen Nachhaltigkeit der Investitionen in intelligente Lösungen erhöht werden kann, um es Großunternehmen, KMU und Unternehmensgründungen — insbesondere in Verbindung mit Ersteren — leichter zu machen, fortschrittliche Lösungen für Umsetzungsprogramme innerhalb der EU vorzuschlagen;

auch die Effizienz und Wirksamkeit der eingesetzten öffentlichen und privaten Mittel dadurch erhöht werden kann, dass öffentliche Mittel vor allem für die Finanzierung von Unterkomponenten oder Projektkomponenten, in denen der Markt kaum oder gar nicht funktioniert, und private Mittel vor allem für Komponenten mit einer positiven oder hohen Rendite verwendet werden;

die Wirksamkeit dieses Prozesses hinsichtlich der sozioökonomischen Auswirkungen mittels Kooperationsplattformen zwischen den Städten, die dem Austausch und der Förderung bewährter Verfahren dienen, erhöht werden kann.

4.6.

Die Kombination aus diesen Maßnahmen könnte zur Schaffung eines Binnenmarkts für intelligente Städte führen. Dadurch würde die EU zur ersten Versuchsplattform der Welt für das vorstehend beschriebene Entwicklungsmodell. Dies hätte erhebliche Auswirkungen auf

die Höhe der Investitionen, auf die große, mittlere und kleine Unternehmen im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften zugreifen könnten;

die Förderung und Einbindung — im Rahmen strategischer Projekte — von Unternehmensgründungen, innovativen Unternehmen und Forschungsunternehmen, die wesentliche externe Effekte hinsichtlich Technologien, Organisations- und Sozialmodelle und Beschäftigung generieren könnten;

die daraus folgende Mobilisierung privater Finanzierungsmittel, die durch einen einheitlicheren Rahmen auf EU-Ebene und durch die geeignete Nutzung öffentlicher Mittel als Hebel und zur Abschwächung von Risiken angezogen werden.

5.   Investitionen und wirtschaftliche und finanzielle Nachhaltigkeit

5.1.

Auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten gibt es keinen speziellen Fonds für die intelligenten Städte, sondern eine Vielzahl von Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen spezifischer Programme. Neben den Programmen in den einzelnen Mitgliedstaaten, die auf der Zusammenführung nationaler Ressourcen und Strukturfondsmittel (EFRE, ESF, ELER) beruhen, können besondere Aspekte der intelligenten Städte durch folgende europäische Fonds finanziert werden: Horizont 2020, die Fazilität „Connecting Europe“ sowie die Programme COSME, URBAN und Life. Da der gegenwärtige Regelungsrahmen die Zusammenführung in einem einzigen Fonds nicht gestattet, hält es der EWSA für wesentlich, dass die Koordinierung zwischen den beteiligten Institutionen intensiviert wird. Die Synergieeffekte der von ihnen durchgeführten Maßnahmen müssen gesteigert und die Kommunikationswege zwischen Institutionen, Städten und öffentlichen und privaten Interessenträgern müssen eindeutig und vereinheitlicht werden.

5.2.

In Bezug auf die Notwendigkeit eines langfristigen Entwicklungsmodells für integrative Maßnahmen besteht nach Auffassung des EWSA die Gefahr, dass dieses Ziel aufgrund der Fragmentierung der Kompetenzen und Ressourcen sowohl seitens der Kommission (sechs Generaldirektionen beschäftigen sich querschnittsmäßig mit intelligenten Städten) als auch seitens der Mitgliedstaaten, in denen die Zuständigkeiten zwischen Zentral-, Regional- und Kommunalverwaltung nicht immer klar sind, nicht umfassend verfolgt wird.

5.3.

Der EWSA empfiehlt daher der Kommission, ein „einheitliches europäisches Zentrum für den Zugang intelligenter Städte zu Maßnahmen und Ressourcen“ zu gründen, an dem sich die zuständigen Generaldirektionen, die Mitgliedstaaten, der Ausschuss der Regionen und der EWSA beteiligen und dem folgende Aufgaben zukommen:

die richtungsweisenden Strategien zentralisieren, auch um die Fragmentierung und den Verwaltungsaufwand zu verringern;

die politische und administrative Koordination zwischen der EU, den Mitgliedstaaten und den Gemeinden bei der Umsetzung des Modells und der entsprechenden Strategien gewährleisten;

den Verwaltungen, die intelligente Maßnahmen planen, einheitliche Informationen liefern, auch mittels erhöhter Transparenz der verfügbaren Finanzmittel und einer klaren Zuordnung zwischen diesen und den Haushaltslinien;

den Start europäischer Partnerschaften zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen fördern;

die Einbindung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft fördern;

den gegenseitigen Informationsaustausch über die bewährten Verfahren verbessern;

die Verbreitung des integrierten und nachhaltigen Entwicklungsmodells für intelligente Städte auf den einzelstaatlichen Ebenen fördern.

5.4.

Das „einheitliche europäische Zentrum für den Zugang intelligenter Städte zu Maßnahmen und Ressourcen“ sollte Synergien mit dem EFSI entwickeln. Diesbezüglich bekräftigt (4) der EWSA, dass der EFSI strategische Infrastrukturprojekte unterstützen sollte, die einen wirtschaftlichen und sozialen Mehrwert darstellen. Denn diese können zur Erreichung der politischen Ziele der EU (5) zur Vollendung des Binnenmarkts in den Bereichen Verkehr, Telekommunikation, digitale Infrastrukturen, Energie, städtische und ländliche Entwicklung, soziale Entwicklung, Umwelt und natürliche Ressourcen beitragen.

5.5.

Diese für die Realisierung intelligenter Städte essenziellen Projekte können die wissenschaftliche und technische Basis Europas stärken und für die Gesellschaft Nutzen bringen. Durch sie wird das wirtschaftliche und industrielle Potenzial der Strategien im Zusammenhang mit Innovation, Forschung und technologischer Entwicklung besser ausgenutzt.

5.6.

Dank der Verknüpfungen zwischen dem einheitlichen europäischen Zentrum für den Zugang und dem EFSI und aufgrund der Möglichkeit, auf EU-, Mitgliedstaaten- und sektoraler Ebene Projekt- und Finanzplattformen zu gründen, empfiehlt der EWSA, eine europäische Projektplattform für intelligente Städte zu gründen, die einen homogenen Ansatz ihrer Finanzierung über die Integration der verfügbaren öffentlichen Mittel und der aktivierbaren privaten Mittel sowie über die Aktivierung geeigneter öffentlicher Instrumente zur Abschwächung des Risikos fördert. Eine solche Plattform müsste die Ermittlung, Aggregation und die Finanzierung von in mehreren Mitgliedstaaten geförderten Projekten erleichtern, die dem Modell einer intelligenten Stadt entsprechen, das der EWSA der Europäischen Kommission vorzulegen empfiehlt.

5.7.

Damit solche Projekte entstehen, legt der EWSA nahe, in allen Mitgliedstaaten „zentrale Anlaufstellen für den Zugang intelligenter Städte zu technisch-finanzieller Unterstützung“ einzurichten. Diese haben die Aufgabe,

die maximale Koordinierung mit dem „einheitlichen europäischen Zentrum für den Zugang intelligenter Städte zu Maßnahmen und Ressourcen“ zu gewährleisten, um so die Verbreitung der politischen Leitlinien auf nationaler Ebene sicherzustellen;

die lokalen Erfordernisse in Anforderungen und Ziele im Rahmen der tragenden Säulen umzusetzen;

die Verwendung nicht rückzahlbarer und/oder zinsvergünstigter öffentlicher Mittel zur Finanzierung von Initiativen, auch im Rahmen der verschiedenen tragenden Säulen, zu verbessern;

die Strukturierung der geeigneten Instrumente öffentlich-privater Partnerschaften und der Auftragsvergabe zu unterstützen mit dem Ziel, eine schnelle, effiziente und effektive Interaktion mit den Unternehmen zu ermöglichen;

eine geeignetere Finanzarchitektur zu ermitteln, um die Integration von öffentlichen Mitteln und von Mitteln, die Privatinvestoren bereitstellen können, sicherzustellen. Dafür könnte ggf. auf eine zusätzliche Garantie des EFSI zurückgegriffen werden.

5.8.

Der ESWA wünscht sich, dass in der künftigen „Europäischen Plattform für Investitionsberatung (EIAH), die an der Seite des EFSI die Mitgliedstaaten bei der Ergreifung geeigneter Maßnahmen zum Aufbau einer Projektpipeline und zur Aktivierung aller erforderlichen Instrumente für die Finanzierung der Projekte unterstützen soll, eine eigene Abteilung für intelligente Städte eingerichtet wird. Diese sollte über die entsprechenden fachlichen Qualifikationen und Kompetenzen verfügen, damit alle Dimensionen des Projekts berücksichtigt werden können.

6.   Bürgerbeteiligung, Rolle der Zivilgesellschaft und Überprüfung des regulatorischen Rahmens zur Verbesserung der Politikgestaltung

6.1.

Der EWSA betont, dass eine Vorbedingung für die Annahme und Umsetzung des integrierten Entwicklungsmodells für intelligente Städte darin besteht, dass die europäischen Organe eine langfristige Vision entwickeln und alle von den Änderungsprozessen betroffenen Interessengruppen (Bürger, Organisationen der Zivilgesellschaft und Sozialpartner) voll einbezogen werden und dass die Verfahren zur Entwicklung der intelligenten Städte effizient und innovativ verwaltet werden.

6.2.

Die in den Prozess der strategischen Planung der Maßnahmen für intelligente Städte involvierten europäischen, einzelstaatlichen und lokalen Institutionen werden aufgerufen, eine langfristige strategische Vision für diese Programme anzunehmen. Das integrative Entwicklungsmodell kann dazu dienen, die Bedürfnisse aller involvierten Interessengruppen in Einklang zu bringen, maximale Inklusion sicherzustellen und dies mit einer wirtschaftlichen und finanziellen Nachhaltigkeit der Initiativen zu verbinden.

6.3.

Die Städte übernehmen die Rolle eines intelligenten „strategischen Planers und Überwachers“, der die unterschiedlichen Akteure aus den Bereichen Unternehmen, Finanzen, Industrie, Soziales und Verbände in einen nutzbringenden, strukturierten und fortwährenden Dialog bringt und sie mit der Aufgabe betraut, die vorgesehenen Ziele innerhalb bestimmter Fristen und unter Anpassung an Änderungen und Weiterentwicklungen umzusetzen.

6.4.

Die Entwicklung der Städte hin zu intelligenten Städten kann nur auf der Grundlage eines ständigen Dialogs mit der Zivilgesellschaft erfolgen, der ggf. zur vollen Einbindung der Interessengruppen führt, die kollektive, einzelne oder allgemeine Interessen vertreten können. Das gilt sowohl für die Phase der Bedarfsermittlung als auch für die Transposition des Bedarfs in Anforderungen sowie für die Überwachung der Wirksamkeit der zur Erfüllung der Anforderungen ergriffenen Maßnahmen. Es gilt, diese Bürgerbeteiligung auf europäischer, einzelstaatlicher und lokaler Ebene zu fördern.

6.5.

Der EWSA empfiehlt daher, dass

an der von der High Level Group of the European Innovation Partnership for Smart cities and Communities (http://ec.europa.eu/eip/smartcities/) am 14. Oktober 2013 vorgelegte Initiative „Europäische Innovationspartnerschaft für intelligente Städte und Gemeinden“ neben den Anbietern von Mobilitäts-, IKT- und Umweltlösungen, die bereits heute vertreten sind, auch die Akteure der Zivilgesellschaft, darunter auch der EWSA, sowie alle Akteure in den Bereichen, die zu den sechs tragenden Säulen des Modells für intelligente Städte gehören, beteiligt werden;

jeder Mitgliedstaat Fördermaßnahmen begünstigt, in die Vertreter der Zivilgesellschaft in der Phase der Bedarfsermittlung, der Anforderungen und des Entwurfs von Strategien über die Einrichtung von Beratungsgruppen auf Ebene der „zentralen Anlaufstellen für den Zugang intelligenter Städte zu technisch-finanzieller Unterstützung“ als auch auf Ebene der einzelnen betroffenen Städte einbezogen werden;

der regulatorische Rahmen vereinfacht und integriert wird durch eine gemeinsame europäische Rechtsregelung, vorzugsweise in Form einer Richtlinie mit folgenden Zielen:

Überarbeitung der Instrumente der öffentlich-privaten Partnerschaft mit dem Ziel, diese für Unternehmen attraktiver zu machen und auch auf Dienste auszudehnen, die der Dreh- und Angelpunkt der digitalen Wirtschaft sind;

Verbesserung der Instrumente für die innovative Auftragsvergabe und die vorkommerzielle Auftragsvergabe;

Einführung homogener Verfahren mit Blick auf die Stadtverwaltungen, wodurch diese auf transparente Weise von einem Anteil am Cashflow profitieren können, der sich aus den neuen Dienstleistungen auf der Grundlage der im Rahmen der intelligenten Städte geförderten Plattformen sowie aus der kommerziellen Nutzung öffentlicher und privater Open-Data-Projekte und von offenen Diensten ergibt. Dadurch erhalten sie einen Anreiz, die Mittel aus den erzielten Kostenersparnissen und aus den Erträgen im Zusammenhang mit den verbesserten Infrastrukturen und den Abgaben der Dienste in die Stärkung und Ausdehnung der Projekte im Rahmen einer intelligenten Stadt zu reinvestieren.

Brüssel, den 1. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Kommissionsmitteilung zur EU-Städteagenda, COM(2014) 490 final; Stellungnahme ECO/369; Stellungnahme des EWSA zur EU-Städteagenda (ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 54).

(2)  Stellungnahmen des EWSA zum Thema „Für ein Wiedererstarken der europäischen Industrie (ABl. C 311 vom 12.9.2014, S. 47), „Eine stärkere europäische Wirtschaft bringt Wachstum und wirtschaftliche Erholung“ (ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 82), „Rückverlagerung von EU-Industrien im Rahmen der Reindustrialisierung“ (ABl. C 311 vom 12.9.2014, S. 15).

(3)  Generaldirektion Innere Politikbereiche, Mapping Smart Cities in the EU, 2014, http://www.smartcities.at/assets/Publikationen/Weitere-Publikationen-zum-Thema/mappingsmartcities.pdf

(4)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Eine Investitionsoffensive für Europa“ (ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 27).

(5)  Mitteilungen der Kommission COM(2013) 634 final über den Telekommunikationsbinnenmarkt, COM(2014) 520 final, COM(2015) 80 final und COM(2015) 82 final über die Energieunion und COM(2014) 22 final über den Verkehrsbinnenmarkt.


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die TTIP und ihre Auswirkungen auf die KMU“

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 383/06)

Berichterstatterin:

Emmanuelle BUTAUD-STUBBS

Mitberichterstatter:

Panagiotis GKOFAS

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 11. Dezember 2014, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Die TTIP und ihre Auswirkungen auf die KMU.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 11. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 2. Juli) mit 187 gegen 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Angesichts der Bedeutung der KMU für die Wirtschaft der Europäischen Union ist es nach Ansicht des EWSA von großer Bedeutung, für alle Wirtschaftsbereiche und alle Mitgliedstaaten, genau zu untersuchen, welche voraussichtlichen Folgen — insbesondere mit Blick auf die Beschäftigung und die Regeln — ein Inkrafttreten der TTIP nach dem derzeitigen Verhandlungsstand für die europäischen KMU haben wird.

1.2.

Die beiden von der Generaldirektion Handel durchgeführten Studien zu den KMU — eine zu den Herausforderungen und Chancen für die exportierenden KMU im Allgemeinen (1) und die andere, jüngere (vom April 2015), speziell zu den KMU und der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) (2) — sind zweifellos von Nutzen, decken jedoch nicht alle Aspekte des Themas ab. Sie sind zwar wichtig, um bestimmte Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Internationalisierung von KMU und den Handels- und Regulierungshemmnissen aufzuzeigen, mit denen KMU konfrontiert sind, sie enthalten jedoch keine genaue, nach Wirtschaftszweig und Mitgliedstaat aufgeschlüsselte Einschätzung der möglichen Auswirkungen, die die TTIP auf exportierende und nichtexportierende Unternehmen in den einzelnen Wertschöpfungsketten haben kann.

1.3.

Der EWSA fordert daher die Europäische Kommission auf, eine neue Wirkungsanalyse zu KMU, Kleinstunternehmen und freien Berufen — ob sie nun im Exportgeschäft tätig sind oder nicht — durchzuführen, um die möglichen Folgen eines integrierten transatlantischen Marktes für die Geschäftsbereiche dieser Unternehmen auszuloten (Landwirtschaft und Lebensmittelbranche, Tourismus, Handwerk, Hotel- und Gaststättengewerbe, Industrie, Dienstleistungen usw.). Es ist von großer Bedeutung, die möglichen Auswirkungen der Öffnung eines stärker integrierten transatlantischen Marktes auf diese Unternehmen frühzeitig zu erkennen. Es stellt sich die Frage, ob die TTIP im Hinblick auf Investitionen und Beschäftigung im Rahmen eines neuen Wettbewerbsszenarios eine Änderung ihres Geschäftsmodells, ihrer Produktionsmethoden, ihrer regulativen Rahmen, der Erbringung ihrer Dienstleistungen oder ihrer Strategien herbeiführen wird.

1.4.

Der EWSA möchte die Gelegenheit, die die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten bieten, nutzen, um die politischen Maßnahmen zur Förderung von KMU auf beiden Seiten des Atlantiks mithilfe eines faktengestützten Ansatzes besser zu überwachen (z. B. Leistungsvergleich des öffentlichen Auftragswesens und der KMU, Bedingungen des Zugangs zu Finanzmitteln und zum Kapitalmarkt, Katastrophenmanagement, Zugang zu Marktinformationen/Marktanforderungen und Standards für kleine Unternehmen). Dieser Vergleich wird es zweifellos ermöglichen, neue einschlägige Maßnahmen zur Förderung der KMU festzulegen und damit die praktische Umsetzung des Small Business Act in Europa zu untermauern. Der EWSA erarbeitet derzeit eine Stellungnahme zu diesem Thema (INT/755) als Fortführung früherer einschlägiger Stellungnahmen. Seines Erachtens ist es zum aktuellen Zeitpunkt günstig, darauf hinzuwirken, dass die EU-Institutionen den Aufruf der europäischen und nationalen KMU-Verbände zu einem rechtsverbindlichen Small Business Act und zu einer stärkeren Koordinierung der Industrie- und Handelspolitik berücksichtigen. Außerdem ist es notwendig, dass das Netz „SME Envoys“ umgestaltet und zu einer wirksameren, echten Autorität zur Koordinierung, Überwachung und Stärkung der KMU-Politik im Binnenmarkt wird, die sich für die neu auftretenden Erfordernisse der KMU einsetzt und geeignete Lösungswege vertritt.

1.4.1.

Die KMU bilden in der Europäischen Union eine sehr uneinheitliche Kategorie mit einem hohen Anteil an sehr kleinen Unternehmen mit weniger als neun Beschäftigten. Darüber hinaus ist auch die Unterteilung der KMU nach ihrem Größenprofil in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr uneinheitlich. Gleiches gilt für regulierte und nichtregulierte freie Berufe. Angesichts des hohen Anteils an Kleinstunternehmen im Bereich des Handels, der Industrie und des Handwerks empfiehlt der EWSA, dass die Europäische Kommission in Abstimmung mit den Behörden der am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten (einschließlich öffentlicher und privater Forschungseinrichtungen und Universitäten) lokale Sensibilisierungs- und Informationskampagnen durchführt und Fortbildungsseminare abhält, um ein besseres Verständnis der verschiedenen Kapitel der TTIP und der davon betroffenen Sektoren zu gewährleisten, über die Vorteile zu informieren und auch die kritischen Punkte des Abkommens nicht auszuklammern.

1.4.2.

Die freien Berufe — reguliert und nichtreguliert — bilden in der EU ein System von sensiblen Dienstleistungen im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit ab, die besondere Zuweisungen erfahren haben.

1.5.

Der EWSA begrüßt, dass ein Kapitel der Verhandlungen den KMU gewidmet ist, möchte dessen Inhalt jedoch verbessern und legt daher im Abschnitt „Besondere Bemerkungen“ entsprechende Vorschläge vor. Der derzeitige, von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Wortlaut sollte um mehrere Aspekte ergänzt werden, insbesondere mit Blick auf die Modalitäten der Vertretung von KMU im künftigen KMU-Ausschuss sowie das Aufgabenspektrum dieses Ausschusses.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die übrigen zuständigen Stellen auf, ein „KMU-Kapitel“ als festen Bestandteil in alle laufenden und künftigen Handelsverhandlungen aufzunehmen. Darin sollen die Interessen der europäischen KMU berücksichtigt werden, damit die möglichen Vorteile in den einzelnen Regionen und Märkten zum Tragen kommen.

Auf diese Weise wird gemeinsam mit dem in der Handelspolitik verfolgten Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ dafür Sorge getragen, dass die KMU vom Globalisierungsprozess profitieren und dabei eine wichtige Rolle spielen können und sollen.

1.6.

Der EWSA fordert den KMU-Beauftragten der Europäischen Kommission auf, dafür Sorge zu tragen, dass Klein- und Kleinstunternehmen und die freien Berufe in den Verhandlungen vertreten werden und mindestens einen eigenen Sitz im TTIP-Beratungsgremium (TTIP Advisory Board) erhalten, um Informationslücken zu beseitigen, das nötige sektorübergreifende Fachwissen bereitzustellen und grundlegende Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen/Daten von gemeinsamem Interesse zu erfüllen. Er empfiehlt darüber hinaus die Einführung von Maßnahmen, um die Wirtschafts-, Berufs- und Branchenverbände der KMU in ihren Betreuungs- und Beratungsdiensten für KMU und Kleinstunternehmen in Zusammenarbeit mit interessierten wissenschaftlichen Gremien und Forschungsstellen zu unterstützen, sowie nötigenfalls Maßnahmen zur Finanzierung. Er fordert die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen und Zertifizierungen jeweils für alle Stufen staatlichen Handelns und ein „level playing field“ auf allen Ebenen öffentlicher Auftragsvergabe (inkl. Bundesstaaten, Regionen und Gemeinden).

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.    Die Bedeutung der KMU auf beiden Seiten des Atlantiks

Auf beiden Seiten des Atlantiks bilden die KMU den Kern der Wirtschaft; sie sind die wichtigsten Garanten für Wertschöpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen, auch wenn der Begriff „KMU“ jeweils unterschiedlich definiert wird. Das bedeutet, dass ein Großteil der wirtschaftlichen Auswirkungen der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), die in der Hoffnung auf Mehrwert und intensivere Kontakte unterzeichnet wird, von den KMU und ihrer Fähigkeit ausgehen wird, von neuen Marktchancen zu profitieren und sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Mehrere Studien machen deutlich, dass international agierende KMU innovativer sind, schneller wachsen sowie mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze schaffen.

2.1.1.   KMU — eigentlich meist Kleinstunternehmen — in der Europäischen Union

Als kleines bzw. mittleres Unternehmen gilt in der EU ein Unternehmen, das weniger als 250 Personen beschäftigt und einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. EUR erzielt. Nach Angaben der Europäischen Kommission gibt es mehr als 20 Mio. KMU in der EU, die 98 % aller Unternehmen ausmachen und für 67 % der Gesamtbeschäftigung und 58 % der Bruttowertschöpfung stehen. Im Zeitraum zwischen 2002 und 2010 schufen die KMU 85 % aller neuen Arbeitsplätze in der EU.

Nach dem jüngsten Bericht der Europäischen Kommission zeichnen die KMU in Europa für 28 % aller Direktexporte in die Vereinigten Staaten verantwortlich, was deutlich macht, wie groß der Entwicklungsspielraum noch ist. Von den 7 90  000 Unternehmen in der EU, die in Drittländer exportieren, sind 6 19  000 KMU und davon wiederum 3 53  000 Kleinstbetriebe mit weniger als neun Beschäftigten. Das zeigt, dass ihre geringe Größe sie nicht davon abhält, zu exportieren (3).

Dagegen ist der Anteil der europäischen KMU, die derzeit in die USA exportieren, relativ gering: Laut Kommissionsbericht sind es 1 50  000, davon 65  000 Kleinstunternehmen mit weniger als neun Beschäftigten. Dieser Anteil von weniger als 1 % der über 20 Mio. KMU in Europa scheint zwar sehr gering zu sein. In manchen Ländern (wie z. B. Italien) stehen jedoch viele KMU und Kleinstunternehmen in der Liste der Unternehmen, die Handel mit US-Märkten treiben, weit oben. Doch werden von Eurostat lediglich die Direktexporte berücksichtigt, nicht aber die indirekten Ausfuhren, also die zahlreichen als Unterauftragnehmer oder als Betriebe für Geschäftskunden („B to B — Business to Business“) tätigen KMU und Kleinstunternehmen, deren Waren oder Vorleistungen für den Export in die USA weiterverarbeitet werden. Diese geringe Zahl ist auch auf die zahlreichen, in der lokalen Wirtschaft (Präsenzwirtschaft) der EU tätigen KMU und Kleinstunternehmen zurückzuführen, die nicht daran interessiert sind, zu exportieren oder im Ausland zu investieren. Auf der anderen Seite gibt es sicherlich noch einen beträchtlichen Spielraum für Unternehmen, die exportieren könnten oder bereits in andere Drittländer exportieren.

2.1.2.   KMU in den Vereinigten Staaten — Unternehmen mit mehr Struktur

In den USA zählen zu den KMU Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten, in einigen Wirtschaftszweigen jedoch mit weniger als 1  000 oder sogar 1  500 Beschäftigten (4). Auch in den USA bilden diese Unternehmen, die demnach um ein Vielfaches größer sein können als ihre Pendants in der EU, das Rückgrat der Wirtschaft. Die 28 Mio. KMU machen 99 % aller Unternehmen aus, beschäftigen mehr als 50 % der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft und schaffen 65 % der neuen Arbeitsplätze im Privatsektor.

2.2.    Die Bedeutung der TTIP für die KMU

2.2.1.

Aufgrund ihrer Größe sind die KMU im Transatlantikhandel häufig unverhältnismäßig stark von hohen Zöllen und belastenden Regulierungsanforderungen betroffen, da sie im Vergleich zu größeren Unternehmen mehr Ressourcen und Kompetenzen aufbringen müssen, um bei ihrem mengen- und wertmäßig geringen Umsatz Handelshindernisse zu überwinden. Daher werden sie von dem im transatlantischen Abkommen vorgesehenen Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse profitieren. In seiner Stellungnahme „Die transatlantischen Handelsbeziehungen und der Standpunkt des EWSA zu einer verstärkten Zusammenarbeit und einer möglichen Freihandelszone EU-USA“ hat der EWSA bereits eine Bestandsaufnahme der Chancen und der kritischen Punkte bezüglich aller von den Verhandlungen abgedeckten Themen vorgelegt (5).

2.2.2.

Einer der größten Vorteile, die die TTIP aller Voraussicht nach für die KMU haben wird, liegt in den Ergebnissen der Zusammenarbeit in Regulierungsfragen, die zu einer Harmonisierung und Angleichung bestimmter Regeln und zur gegenseitigen Anerkennung der Kontrolle und Zertifizierung führen könnte. Der EWSA möchte bei dieser Gelegenheit jedoch daran erinnern, dass beide Seiten nachdrücklich zugesichert haben, das TTIP-Abkommen nicht zu einer Absenkung der geltenden technischen Standards nutzen zu wollen. Eine Analyse des Mehrwerts der Arbeit der europäischen Organisation „Small Business Standards“, die von der Europäischen Kommission in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den repräsentativsten KMU-Verbänden unterstützt wird, könnte daher vielversprechend sein. Die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen muss transparent sein und der regulatorischen Autonomie der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union Rechnung tragen: Deren Recht, Bereiche wie Gesundheit, Verbraucherschutz, Beschäftigung und Umweltschutz in einem Umfang zu regulieren, den sie als geeignet erachten, muss davon unberührt bleiben.

2.3.    Die Entwicklung der internationalen Tätigkeit von KMU

Der WTO zufolge lässt sich die Entwicklung der internationalen Tätigkeit von KMU in vier Phasen einteilen:

direkte Ausfuhren in ein anderes Land,

Ausfuhren mit Unterstützung unabhängiger Fachleute aus dem Ausland,

Gründung von Zweigniederlassungen im Ausland,

Aufbau von Betriebsstätten im Ausland, um im Zielmarkt zu produzieren und zu verkaufen.

Jede dieser Phasen erfordert zusätzliche Informationen, Kapazitäten für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften sowie personelle und finanzielle Mittel, da die KMU vor Beginn der Ausfuhren von Waren und/oder Dienstleistungen die Marktregelungen für das jeweilige Exportland kennen müssen. Danach müssen sie in der Lage sein, eine auf Dauer angelegte Strategie zu konzipieren, um sich in dem Ausfuhrland zu etablieren und letztendlich vollständig zu integrieren, wobei ihre lokalen Niederlassungen örtliche Arbeitskräfte nach dem geltenden Recht vor Ort beschäftigen. Die digitale Wirtschaft könnte natürlich dazu beitragen, dass einige KMU schneller international tätig werden. Die rasche Zunahme des elektronischen Geschäftsverkehrs bietet kleinen Unternehmen mehr Geschäftsmöglichkeiten, insbesondere im Bereich der Verbrauchsgüter („B to C — Business to Consumer“), für freie Berufe auch im B-to-B-Sektor.

Die Analyse der Europäischen Kommission zeigt auch, dass eine Verbindung zwischen der Größe eines Unternehmens und den Ausfuhrmengen besteht. 81 % der exportierenden Unternehmen sind KMU, die jedoch nur 34 % der Ausfuhrmengen erbringen (6), in speziellen Nischenmärkten weltweit aber Anteile von über 50 % halten.

2.4.    Grad der Internationalisierung von KMU in den USA und der EU

Der Grad der Internationalisierung ist laut einigen Quellen bei den KMU in Europa höher als bei den US-amerikanischen KMU. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass KMU in der EU in den innereuropäischen Handel involviert sind und dessen Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist. Dies ist der erste Schritt auf dem Weg zur Internationalisierung und zu vertieften Kenntnissen über ausländische Märkte, der es ihnen ermöglicht, außerhalb der EU nach neuen Chancen zu suchen. Die Unternehmensgröße scheint dabei kein Hindernis zu sein: In einigen Mitgliedstaaten sind 90 % der exportierenden Unternehmen KMU, und bestimmte Wirtschaftszweige sind besonders stark auf den Export ausgerichtet, beispielsweise die Textil- und die Lebensmittelbranche, der Maschinenbau und die Möbelindustrie.

Obwohl die vorliegenden Daten recht spärlich und mitunter schwer zu analysieren sind, weil die angewandten Methoden und die Daten so unterschiedlich sind, dass sie nicht immer miteinander verglichen werden können, zeigen im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführte Studien (7), dass in der EU 42 % der KMU in irgendeiner Form international tätig sind.

Die Internationalisierung eines Unternehmens hängt häufig ab von Faktoren wie

der Exportintensität der Branche und

der Größe des Inlandsmarkts.

Die Internationalisierung der europäischen KMU ist unter anderem im Großhandel, im Bergbau, im verarbeitenden Gewerbe und in der Forschung sowie beim Verkauf von Kraftfahrzeugen höher, während sie z. B. bei den Rechtsdienstleistungen, im Baugewerbe, im Planungs- und Entwicklungsbereich und im Gesundheitswesen verhältnismäßig niedrig ist, da hier die Nähe zum Kunden bzw. Patienten naturgemäß eine größere Rolle spielt (8).

Einer US-amerikanischen Studie (9) zufolge stehen KMU für etwa 30 % der registrierten Handelsausfuhren. Die wichtigsten Exportmärkte sind dabei Kanada und Mexiko, das heißt die Partnerländer im Rahmen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (North American Free Trade Agreement, NAFTA). Elektrische Erzeugnisse, Maschinen und Chemikalien gehören zu den wichtigsten Ausfuhrgütern für KMU. Über die Dienstleistungsexporte US-amerikanischer KMU liegen nur spärliche Daten vor, doch dürften Dienstleistungen der freien Berufe einen beträchtlichen Anteil des US-Exports ausmachen.

2.5.    Die aktuelle Rolle der KMU auf dem transatlantischen Handels- und Investitionsmarkt

Der bilaterale transatlantische Handel ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Großteil zwischen multinationalen Konzernen abgewickelt wird. Das bedeutet, dass dieser besondere bilaterale Handel in erster Linie aus konzerninternen Dienstleistungs- und Warenströmen besteht und sich darüber hinaus auch im Austausch von Lizenzen und Rechten des geistigen Eigentums sowie Kapitalströmen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften äußert.

In der Studie der Kommission zum Thema KMU und TTIP wird festgestellt, dass dem Volumen nach 28 % der EU-Ausfuhren im Jahr 2012 auf KMU entfallen. Diese Zahl ist geringer als der durchschnittliche mengenmäßige Anteil der KMU an den EU-Exporten in sämtliche Auslandsmärkte, der sich auf 32 % beläuft. Diese Zahl muss auch im Zusammenhang mit dem Anteil der KMU an den in die USA exportierenden Unternehmen gesehen werden, der 88 % beträgt, während der durchschnittliche Anteil der KMU an den in Drittstaaten exportierenden KMU viel geringer ist, nämlich nur 78 %. Diese Zahlen bestätigen die These, dass ein Großteil des Exportvolumens auf den konzerninternen Handel zurückgeht. Dadurch wird auch deutlich, welches Potenzial zur Förderung von Ausfuhren und Investitionen durch KMU in Europa ein transatlantisches Abkommens mit sich bringen kann. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die indirekten Ausfuhren der europäischen KMU, die als Unterauftragnehmer oder als Hersteller von Halbfabrikaten an der Herstellung komplexer Endprodukte für den Export in die USA tätig sind, dabei unberücksichtigt bleiben. Innerhalb der Mitgliedstaaten gibt es große Unterschiede hinsichtlich der Zahl der exportierenden KMU und der Ausfuhrmengen.

Über die Zahl der amerikanischen KMU, die in die EU exportieren, und über ihre Ausfuhrmengen liegen keine genauen Zahlen vor. Die KMU in den USA zeichnen jedoch für 33 % der amerikanischen Exporte verantwortlich (10) — ein Wert, der sehr nahe am Exportanteil der KMU in der Europäischen Union liegt.

2.6.    Die größten Hindernisse für KMU

Aufgrund ihrer Größe ist es für KMU im Allgemeinen nicht so leicht, ausländische Märkte zu erschließen, die sich aus dem Handel mit Waren in kleinen Stückzahlen ergebenden zusätzlichen Kosten zu tragen und sich auf die vor Ort geltenden Vorschriften einzustellen. Nach Aussagen von Sergio Arzeni, Direktor des Zentrums für Unternehmertum, KMU und lokale Entwicklung der OECD, „können die Kosten für die Einhaltung der Vorschriften für KMU proportional 10- bis 30-mal höher liegen als für große Unternehmen“ (11).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die KMU bei der Internationalisierung auf Schwierigkeiten stoßen, die auf ihre geringe Größe und ihre begrenzten Ressourcen zurückgehen und die überwunden werden müssen, noch bevor die spezifischen Handels- und Investitionshindernisse angegangen werden können. Zu diesen gehören

Hindernisse beim Zugang zu Ausfuhrfinanzierungen,

Fehlen aktueller Informationen und Daten zu den Anforderungen in Bezug auf Produkte/Dienstleistungen,

unzureichende Kenntnisse des Marktes, auf dem sie ihre Produkte bzw. Dienstleistungen verkaufen möchten (Marktstudien),

Schwierigkeiten bei der Akquirierung potenzieller Kunden und bei der Kontaktaufnahme mit ihnen,

unzureichende Ausbildung der Beschäftigten, um die internationale Entwicklung des Unternehmens zu steuern und Kontakte mit Investoren oder Importeuren aufzubauen und aufrechtzuerhalten,

fehlende Anreize und Unterstützung seitens der Behörden sowie eine gewisse bürokratische Überfrachtung der öffentlichen Förderpolitik,

kulturelle und sprachliche Barrieren,

uneinheitliche Regulierungen, Anpassungs- und Anerkennungssysteme bei Qualifikationen und Handlungsberechtigungen.

Das Erste, was KMU angesichts dieser Mängel brauchen, sind maßgeschneiderte Betreuungs- und Beratungsdienste (Coaching, Mentoring usw.), die im Allgemeinen von ihren Berufs- und Branchenverbänden zur Verfügung gestellt werden.

Die Handels- und Investitionshindernisse, auf die europäische Unternehmen in den USA stoßen, lassen sich nur schwer nach ihrer Bedeutung klassifizieren, da die Unternehmen die auftretenden Hindernisse häufig beschreiben, ohne sie unbedingt in eine bestimmte Kategorie einzuordnen. Darüber hinaus besteht ein Unterschied zwischen den von nichtexportierenden Unternehmen wahrgenommenen Hindernissen und den Hindernissen, auf welche Exportunternehmen tatsächlich stoßen. Auf der Grundlage der verschiedenen Studien und Untersuchungen (12), die bislang zu diesem Thema vorliegen, können die wichtigsten Hindernisse wie folgt beschrieben werden:

die sehr verschiedenen Haftungsumfänge und deren Versicherbarkeit zu marktkonformen Kosten,

die Kosten für die Ausfuhr (ohne Zölle) gegenüber den Transportkosten, die Dauer und die Komplexität der Zollformalitäten und die Notwendigkeit, einen eigenen Zollagenten zu haben oder einen solchen zu bezahlen sowie eine Versicherung gegen etwaige Haftungsansprüche abzuschließen, was insbesondere in den Vereinigten Staaten wichtig ist,

die Schwierigkeiten beim Zugang zu Exportkrediten,

die Steuern und Zölle, die für bestimmte Wirtschaftszweige wie die Tabak-, Textil- und Bekleidungsindustrie ein großes Hindernis darstellen,

die Komplexität der Ursprungsregeln und die Kosten für Ursprungsbescheinigungen,

die Einhaltung der verschiedenen technischen bzw. gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Vorschriften sowie die Zertifizierungen und Inspektionen im Zusammenhang mit diesen Vorschriften,

die nur für einige Staaten der USA geltenden technischen und gesundheitlichen Vorschriften oder die unterschiedlichen Vorschriften in den einzelnen Bundesstaaten,

verschiedene Qualifikationsanforderungen und Tätigkeitsbeschränkungen in einzelnen Bundesstaaten und lokalen Regulierungsbezirken,

der Schutz der Rechte des geistigen Eigentums, insbesondere die Nichtbeachtung der Ursprungsbezeichnungen und der unterschiedlichen Vorschriften im Zusammenhang mit Markenrechten und Patenten,

die Kosten des Rechtsschutzes und der Marktüberwachung für europäische Unternehmen, die Inhaber geografischer Herkunftsangaben sind,

Einschränkungen in Bezug auf das öffentliche Auftragswesen aufgrund des „Buy American Act“ und dessen Änderungen, die auf die Ausweitung des Anwendungsbereichs dieses Gesetzes abzielen,

die Komplexität der Verfahren zur Visumerteilung, zum Aufenthalt, zur Arbeitserlaubnis und Tätigkeitsaufnahme in den Vereinigten Staaten,

die auf föderaler oder bundesstaatlicher Ebene bestehenden Beschränkungen oder erforderlichen Lizenzen für bestimmte Dienstleistungserbringer.

Mit diesen Hindernissen sind nicht nur die KMU konfrontiert, aber für sie sind die Folgen viel weitreichender und abschreckender. Im Rahmen der TTIP sind die meisten von ihnen Gegenstand der spezifischen, unterschiedslos für alle Unternehmen geltenden Kapitel. Das in der TTIP vorgesehene KMU-Kapitel dient demnach einem recht beschränkten Zweck, nämlich der Förderung der Teilnahme aller KMU am transatlantischen Handel durch die Bereitstellung einschlägiger Informationen und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den für KMU-Belange zuständigen Behörden.

2.7.    Der Bedarf an KMU-Förderung

2.7.1.

Das Erste, was KMU und insbesondere die Klein- und Kleinstunternehmen angesichts der Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, und ihrer begrenzten Ressourcen brauchen, sind maßgeschneiderte Betreuungs- und Beratungsdienste auch im Bereich der Mitarbeiterschulung (Coaching, Mentoring usw.), die im Allgemeinen von ihren Wirtschafts-, Berufs- und Branchenverbänden zur Verfügung gestellt werden. Es sollte darauf geachtet werden, dass diesen — insbesondere durch die Nutzung der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) — die erforderlichen logistischen Mittel zur Verfügung stehen, um die Unternehmen informieren, beraten und individuell begleiten zu können.

2.7.2.

Neben den für jedes kleine und mittlere Unternehmen entsprechend seinen Besonderheiten und Bedürfnissen zugeschnittenen Unterstützungs- und Beratungsdiensten müssen die Unternehmen über die erforderlichen Mittel verfügen, um ihre materiellen und immateriellen Investitionen finanzieren zu können. Zusätzlich zu den ESIF empfiehlt der EWSA zu diesem Zweck, dass die Finanzierungsinstrumente des Programms COSME, insbesondere das Risikokapital und die Kreditbürgschaften, für KMU leicht zugänglich sein sollten, auch für jene, die in den US-Märkten investieren wollen.

2.7.3.

Die EU sollte das Versicherungsangebot für Waren- und Dienstleistungsexporte überprüfen und zu marktverträglichen Angeboten weiterentwickeln.

2.8.    Das aktuelle KMU-Kapitel der TTIP

Der EWSA begrüßt, dass ein Kapitel der TTIP-Verhandlungen ausschließlich den KMU gewidmet ist, möchte dessen Inhalt jedoch verbessern (vgl. die Vorschläge im Abschnitt „Besondere Bemerkungen“). Der Vorschlag der Europäischen Union für einen Rechtsakt über die „Kleinen und mittleren Unternehmen“ im TTIP-Abkommen wurde den USA in der Verhandlungsrunde vom 19. bis 23. Mai 2014 zur Erörterung vorgelegt. Es handelt sich dabei um ein für die EU neues Kapitel in einem Freihandelsabkommen. Ein diesbezüglicher Wortlaut wurde am 7. Januar 2015 veröffentlicht (13). In diesem Text, der als Kapitel X über die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) konzipiert wurde, werden verschiedene Punkte angesprochen, um die Teilnahme von KMU am Handel zu erhöhen und bewährte Verfahrensweisen auszutauschen.

2.8.1.   Zusammenarbeit in KMU-Fragen

Die Vertragsparteien sollten Informationen austauschen, Instrumente und Ressourcen in Bezug auf die Rechte des geistigen Eigentums erarbeiten und zugänglich machen, bewährte Regulierungsverfahren austauschen, Maßnahmen für Unternehmen unterstützen sowie Risikokapital und Investitionen in kleine Unternehmen fördern, um die Wettbewerbsfähigkeit von KMU im internationalen Handel zu stärken.

2.8.2.   Marktdaten und Informationsaustausch

In Artikel X.2 des aktuellen Vorschlags geht es um den Informationsaustausch zwischen den Vertragsparteien. Es sollte eine Internetseite eingerichtet werden, die die wichtigsten Informationen enthält (wie den Text des TTIP-Abkommens, Zollvorschriften, ein Register der geltenden technischen Regelungen, gesundheits- und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, Regeln für das öffentliche Auftragswesen und Verfahren für die Unternehmenseintragung). Das Programm zur Harmonisierung der Daten für die wichtigsten Bereiche, die für KMU von Belang sind, sollte einer gemeinsamen Analyse durch eine europäisch-amerikanische Expertengruppe unterzogen werden.

Die Vertragsparteien sollten eine Online-Datenbank in allen EU-Amtssprachen zur Verfügung stellen, die u. a. die Codes der Zollnomenklatur und Zolltarife, Ursprungsregeln, die Anforderungen für die Angabe des Ursprungslands usw. enthält.

2.8.3.   Helpdesk

Im Vorschlag der Europäischen Kommission wird eine einheitliche Informationsstelle erwähnt (Artikel X.2.c), die auch vom Transatlantischen Wirtschaftsrat gefordert wird. Ein ausgedehntes Subnetz solcher Informationsstellen, die von verlässlichen repräsentativen KMU-Organisationen mit Kontakten zu Wirtschaftskreisen in der EU und den USA unterstützt werden, könnte einen fachkundigen Einfluss und ein stärkeres Engagement der verschiedenen Stellen sowie eines breiten Spektrums an Interessenträgern garantieren.

2.8.4.   Einrichtung eines KMU-Ausschusses

In einem Entwurf des Artikels X.4 ist die Einrichtung eines transatlantischen Ausschusses vorgesehen.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.    Tragweite der Unterschiede in der Definition von KMU

In der EU und den USA gibt es unterschiedliche Definitionen des Begriffs KMU, wobei die größtmögliche Spanne bei der Zahl der Beschäftigten 250 bis 1  000 Personen beträgt. Die US-amerikanische Definition des Begriffs KMU richtet sich darüber hinaus nach der Branche (14) — er bezieht sich vor allem auf Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten, in einigen Branchen gehören jedoch auch Unternehmen mit bis zu 750 oder sogar 1  000 Beschäftigten in diese Kategorie. Für die meisten Branchen ist der Umsatz oder die Jahresbilanzsumme unerheblich.

Der EWSA ersucht die Dienststellen der Europäischen Kommission, einen umfassenden Überblick über die in den einzelnen Branchen verwendete Definition des Begriffs KMU in den USA zu erstellen und durch die Einleitung geeigneter Maßnahmen besonders darauf zu achten, dass diese Definitionsunterschiede für die europäischen KMU mit ihrer geringeren Größe nicht von Nachteil sind.

3.1.1.

Die regulierten und die nichtregulierten freien Berufe sind ein in allen EU-Staaten in verschiedener Intensität und Ausprägung vorhandener besonderer Typ der KMU, deren Markt- und deren Leistungsangebote auf besonderem Wissen basieren, die besonderes Vertrauen der Leistungsempfänger in Anspruch nehmen und an deren Unabhängigkeit besondere Anforderungen gestellt werden. Sie sind neben ihrer Bedeutung als Wirtschaftspartner auch Teil des europäischen Gesellschaftsmodells.

3.2.    Bewertung und Überwachung der Auswirkungen eines erweiterten transatlantischen Marktes auf exportierende und nichtexportierende Unternehmen

Angesichts der Bedeutung der KMU für die Wirtschaft der Europäischen Union ist es nach Ansicht des EWSA von großer Bedeutung, für alle Wirtschaftsbereiche und alle Mitgliedstaaten zu prüfen, ob untersucht werden sollte, welche voraussichtlichen Folgen — insbesondere mit Blick auf die Beschäftigung — ein Inkrafttreten der TTIP nach dem derzeitigen Verhandlungsstand für die europäischen KMU haben wird. Es ist erforderlich, in Ex-ante- und Ex-post-Analysen zu untersuchen, welche möglichen Auswirkungen die Einrichtung eines transatlantischen Marktes auf KMU, Kleinstunternehmen und freie Berufe hätte, ganz gleich, ob sie im Exportgeschäft tätig sind oder nicht.

Das Europäische Parlament hat sich bereits mit den Folgen der TTIP für das verarbeitende Gewerbe und den Energiemarkt beschäftigt und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Auswirkungen positiv, jedoch je nach Branche unterschiedlich sein werden (15). Die Auswirkungen in anderen Branchen, die enger mit der lokalen Wirtschaft verknüpft sind (Landwirtschaft, Tourismus, Handwerk, Hotelgewerbe, IKT, Gaststättengewerbe, Industrie, selbstständig Erwerbstätige, Dienstleistungen, freie Berufe usw.), sind bislang nicht eigens untersucht worden.

In den nächsten Verhandlungsrunden über die TTIP müssen ambitionierte Ergebnisse für die Landwirtschaft erzielt werden, wobei der Schwerpunkt auf Marktzugang, geografischen Angaben sowie Tier- und Pflanzenschutz liegen sollte. Es ist von entscheidender Bedeutung, die hohen in der EU geltenden Standards für Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit und menschliche Gesundheit zu bewahren.

Es ist von großer Bedeutung, die möglichen Auswirkungen der Öffnung eines stärker integrierten transatlantischen Marktes auf diese Unternehmen frühzeitig zu erkennen. Es stellt sich die Frage, ob die TTIP im Hinblick auf Investitionen und Beschäftigung im Rahmen eines neuen Wettbewerbsszenarios eine Änderung ihres Geschäftsmodells, ihrer Produktionsmethoden, der Erbringung ihrer Dienstleistungen oder ihrer Strategien herbeiführen wird. Darüber hinaus müssen Anpassungsmaßnahmen und -strategien vorgesehen werden, damit alle europäischen KMU die Vorteile der TTIP bestmöglich nutzen können.

3.3.    Ein neuer De-minimis-Schwellenwert für KMU und Kleinstunternehmen zum „Testen“ des Marktes in sehr kleinem Maßstab

De-minimis-Schwellen sind Grenzwerte, unter denen keine Zölle oder Abgaben erhoben werden, und die Abfertigungsverfahren einschließlich der Datenanforderungen sind auf ein Minimum beschränkt.

Es gibt eine Forderung des Atlantikrates und einen allgemeinen Vorstoß der USA, die De-minimis-Schwellenwerte für Warensendungen kleiner Unternehmen in die USA oder in die Europäische Union auf 800 USD anzuheben (die derzeitigen Grenzwerte liegen bei 200 USD bzw. 150 EUR). In der Europäischen Union wird auf alle Sendungen mit einem Wert von mehr als 10 bis 22 EUR (je nach Mitgliedstaat) Mehrwertsteuer erhoben, auch wenn sie von Zöllen befreit sind.

Eine Anhebung der De-minimis-Schwellenwerte für Reisende, die mit dem Flugzeug ankommen, und für eingehende Sendungen könnte dazu beitragen, dass KMU, vor allem neue Start-up-Unternehmen, insbesondere im Bereich der Verbrauchsgüter ihr Exportgeschäft auf einem niedrigen Niveau starten oder in den elektronischen Handel einsteigen können, ohne Zölle zahlen zu müssen. Der EWSA ersucht die Europäische Kommission, die Durchführbarkeit dieser Forderung zu prüfen (Auswirkungen auf die Zolleinnahmen, die Rechte am geistigen Eigentum usw.). Der EWSA begrüßt die Initiative der Europäischen Union zur Einrichtung einer Datenbank für „10 wichtige Punkte zum Online-Geschäft“ (16), die sich an europäische Gewerbetreibende richtet, die ihre Produkte in andere EU-Mitgliedstaaten exportieren. Der EWSA ist der Ansicht, dass eine derartige Datenbank auch für den transatlantischen Handel aufgebaut werden könnte.

3.4.    Der erforderliche Zugang zu allen einschlägigen Informationen über ein mehrsprachiges Internetportal

Der EWSA unterstützt die Forderung der Europäischen Kommission hinsichtlich der Einrichtung eines KMU-Portals und schlägt vor,

alle Informationen in den 24 Amtssprachen der EU zur Verfügung zu stellen,

die Software so einfach und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten,

den Betrieb der Datenbank durch eine repräsentative Auswahl europäischer KMU prüfen zu lassen, um sicherzugehen, dass das Instrument den Bedürfnissen der Unternehmen Rechnung trägt,

die Datenbank auch mit einer menschlichen Schnittstelle zu versehen, d. h. ein Team für die Beantwortung von Fragen von beiden Seiten des Atlantiks zu bilden.

Der Bericht der Kommission zum Thema KMU und TTIP macht deutlich, dass ein Großteil der Unternehmen zwar die für die Abwicklung ihrer Exportgeschäfte nötigen Schritte kennt, jedoch nicht weiß, ob sie auf föderalen oder bundesstaatlichen Vorschriften oder aber privaten Regelungen beruhen. Daher ist es wichtig, dass die Behörden regelmäßig registrieren können, welche Verfahren und Regelungen von den KMU als besonders schwierig angesehen werden, und dass sie in spezifischen Erläuterungen und Beschreibungen Aufschluss über die Schritte geben, die zur Einhaltung der Anforderungen erforderlich sind.

3.5.    Ein repräsentativer KMU-Ausschuss mit klaren Befugnissen

Der EWSA begrüßt, dass der bereits bestehende Dialog zwischen den für KMU-Belange zuständigen Behörden in der EU und den USA institutionalisiert werden soll. Er hält es jedoch für notwendig, eine adäquate Vertretung von KMU-Verbänden in den transatlantischen Dialog über KMU-Fragen einzubeziehen und nicht nur Vertreter der nationalen Behörden in den künftigen KMU-Ausschuss zu entsenden, sondern ihn auch für repräsentative Verbände von KMU sowie sehr kleinen und Kleinstunternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks zu öffnen. Bestimmte regulatorische Rahmenbedingungen für KMU werden auch erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigten und auf die Konsumenten von Erzeugnissen der KMU haben. Daher sollten auch Vertreter dieser Interessengruppen als Mitglieder dem zukünftigen KMU-Ausschuss angehören, um deren Interessen von Anfang an entsprechend berücksichtigen zu können.

Der EWSA schlägt vor, die Zuständigkeiten des künftigen KMU-Ausschusses wie folgt festzulegen: Überwachung der Bedingungen für die Anwendung der TTIP auf KMU, sehr kleine und Kleinstunternehmen und deren Auswirkungen auf die Beschäftigten und Konsumenten der Erzeugnisse dieser Unternehmen, Durchführung von Folgenabschätzungen, Vorschläge für die Behebung der Schwierigkeiten von KMU, sehr kleinen und Kleinstunternehmen sowie deren Beschäftigten und Konsumenten ihrer Produkte, Kommunikation mit diesen Unternehmen usw.

3.6.    Eine Informationskampagne auf nationaler und regionaler Ebene

Korrekte Informationen sind für KMU von ausschlaggebender Bedeutung, um die neuen Handelsmöglichkeiten, die die TTIP bietet, nutzen zu können (Beseitigung von Zöllen, Handelserleichterungen und Zusammenarbeit in Regulierungsfragen, die zu einer Angleichung oder gegenseitigen Anerkennung der Konformitätsbewertungen, Qualifikationen und berufsrechtlichen Regulierungen führt).

Diese Informationen können nicht nur über das Internet verbreitet werden. Um das Wissen und das Verständnis der KMU über die zur Verfügung stehenden Instrumente und die öffentlichen Förderinitiativen zu erhöhen, sollte eine entsprechende Informationskampagne für KMU unter Mitwirkung von Experten auf den Gebieten internationaler Handel, Ausfuhr in die USA und Investitionen in den USA auf den Weg gebracht werden. Die KMU nehmen die bestehenden Instrumente wie die Datenbank über den Marktzugang und das Enterprise Europe Network, die ihrer Internationalisierung förderlich sein könnten, kaum wahr. Die Bemühungen um eine Internationalisierung und die Expansion eines Unternehmens ins Ausland müssen im Heimatland ihren Anfang nehmen; daher sollten die Unternehmen mit Aufmerksamkeit alle Mittel und Hilfen im Auge behalten, die auf nationaler und gegebenenfalls auch europäischer Ebene für KMU bereitgestellt werden.

Der EWSA empfiehlt darüber hinaus die Einrichtung eines Netzes europäischer und amerikanischer KMU-Verbände mit der Aufgabe, die TTIP durch einen echten Bottom-up-Ansatz zu fördern.

3.7.    Eine Vertiefung der europäischen KMU-Politik

3.7.1.

Die TTIP darf nicht als Instrument gesehen werden, durch das die Vorzugsbehandlung der KMU bei der öffentlichen Auftragsvergabe auf lokaler und regionaler Ebene ausgehebelt wird. Im Rahmen der TTIP sollten diese Prioritäten beibehalten werden, sofern sie unterschiedslos für europäische und amerikanische KMU Gültigkeit haben.

3.7.2.

Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, im Rahmen der Verhandlungen und der Zusammenarbeit in Regulierungsfragen den Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ einzuhalten, um zu gewährleisten, dass die Prioritäten und die tatsächliche Lage der Klein- und Kleinstunternehmen gleich zu Beginn des Legislativverfahrens berücksichtigt und die spezifischen Interessen der KMU gewahrt werden. Zu diesem Zweck fordert der EWSA, dass die Klein- und Kleinstunternehmen eigens im TTIP-Beratungsgremium (TTIP Advisory Board) vertreten werden.

3.7.3.

Bezüglich der Zusammenarbeit in Regulierungsfragen sollte den KMU und insbesondere den Klein- und Kleinstunternehmen eine maßgeschneiderte Unterstützung zur Anpassung an die Vorschriften geboten werden.

3.7.4.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass zahlreiche Unternehmen, die in der Lage sind, zu investieren oder auf dem transatlantischen Markt zu exportieren, innovativ tätig sind und daher verbindliche und verständliche Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums brauchen — sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Europäischen Union.

3.7.5.

In der Agrar- und Lebensmittelbranche muss ein besonderes Augenmerk den Unternehmen gelten, die ihre Produktion und die damit verbundenen Verfahren an ethischen, kulturellen und ökologischen Grundsätzen ausrichten. Der Handel mit derartigen Erzeugnissen muss auch weiterhin gefördert werden, um so einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Auch für einen angemessenen Schutz der geografischen Angaben muss Sorge getragen werden, denn sie bieten den Verbrauchern Sicherheit in Bezug auf den Ursprung der Erzeugnisse und die Produktionsmethoden. Die EU hat seit Jahren eine Qualitätspolitik für ihre Erzeugnisse entwickelt, die einer ihrer wesentlichen Trümpfe ist, der den Produzenten der EU Wettbewerbsvorteile bringt, beträchtlich zur Erhaltung ihrer kulturellen und gastronomischen Tradition beiträgt und die ländliche Entwicklung sowie die Maßnahmen zur Stützung des Marktes und der Erzeugereinkommen fördert.

3.7.6.

In einer weiteren Stellungnahme prüft der EWSA derzeit die Erfahrungen mit dem Small Business Act in den Vereinigten Staaten und der EU, um besser zu verstehen, welche Vorteile der amerikanische Small Business Act den KMU in Amerika bietet, beispielsweise im Hinblick auf den Zugang zu den öffentlichen Beschaffungsmärkten oder zu Finanzmitteln. Diese Untersuchung wird zu gegebener Zeit in Vorschläge zur Verbesserung und Effizienzsteigerung des europäischen Small Business Act einmünden mit dem Ziel, diesen mit Blick auf die europäischen KMU zu verbessern und seine Verbindlichkeit zu erhöhen.

Brüssel, den 2. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  GD Handel, Vermerk des Chefökonomen: „SMEs are more important than you think! Challenges and opportunities for EU exporting SMEs“ (KMU sind wichtiger als Sie denken! Herausforderungen und Chancen für exportierende KMU in der EU) (http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/september/tradoc_152792.pdf).

(2)  „Small and medium sized entreprises and the Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (Kleine und mittlere Unternehmen und die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) (http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/april/tradoc_153348.pdf).

(3)  Siehe Fußnote 1.

(4)  https://www.sba.gov/sites/default/files/files/Size_Standards_Table.pdf

(5)  ABl. C 424 vom 26.11.2014, S. 9.

(6)  Siehe Fußnote 1.

(7)  Die Internationalisierung der KMU — Abschlussbericht 2010. „Annual report on European SMEs 2013/2014“ (Jahresbericht 2013/2014 über die KMU in Europa) (http://ec.europa.eu/growth/smes/business-friendly-environment/performance-review/files/supporting-documents/2014/annual-report-smes-2014_en.pdf), S. 62.

(8)  Siehe Fußnote 7.

(9)  US International Trade Commission (USITC), „Small and Medium-Sized Enterprises: Overview of Participation in U.S. Exports“ (Kleine und mittlere Unternehmen: Überblick über den Anteil an den Ausfuhren der USA), 2010 (http://www.usitc.gov/publications/332/pub4125.pdf).

(10)  „The Transatlantic Trade and Investment Partnership — Big opportunities for small business“ (Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft — Große Chancen für kleine Unternehmen) — Atlantikrat (http://www.atlanticcouncil.org/images/publications/TTIP_SME_Report.pdf), S. 3.

(11)  WTO, wt/COMTD/AFT/W/53, S. 23.

(12)  „The Transatlantic Trade and Investment Partnership — Big opportunities for small business“ (Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft — Große Chancen für kleine Unternehmen) — Atlantikrat (http://www.atlanticcouncil.org/images/publications/TTIP_SME_Report.pdf), S. 3; „Small and medium sized enterprises and the Transatlantic Trade and Investment Partnership (Kleine und mittlere Unternehmen und die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft)“ (http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/april/tradoc_153348.pdf); „Small companies in a big market (Kleine Unternehmen in einem großen Markt)“ (http://www.svensktnaringsliv.se/english/publications/small-companies-in-a-big-market-how-a-free-trade-agreement-betwee_611404.html).

(13)  http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/january/tradoc_153028.pdf

(14)  https://www.sba.gov/sites/default/files/files/Size_Standards_Table.pdf

(15)  ITRE-Ausschuss des EP, „TTIP impact on European Energy markets and manufacturing industries (Die Auswirkungen der TTIP auf die Energiemärkte und das verarbeitende Gewerbe der EU)“, 2015 (http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2015/536316/IPOL_STU(2015)536316_EN.pdf).

(16)  https://ec.europa.eu/growth/tools-databases/dem/watify/selling-online?language=de


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Post-2015-Ziele im Europa-Mittelmeer-Raum“

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 383/07)

Berichterstatterin:

An LE NOUAIL MARLIÈRE

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 22. Januar 2015, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Die Post-2015-Ziele im Europa-Mittelmeer-Raum.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 11. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 1. Juli) mit 57 gegen 22 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA empfiehlt den UfM-Mitgliedstaaten und der EU, die vereinbarten Nachhaltigkeitsziele anzuerkennen und in diesem Sinne die einschlägigen internationalen Übereinkommen zu ratifizieren.

1.2.

Der EWSA empfiehlt den UfM-Mitgliedstaaten und der EU, die für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele notwendigen öffentlichen Investitionen umfassend zu schützen.

1.3.

Der EWSA empfiehlt den UfM-Mitgliedstaaten und der EU, bei der Umsetzung die Zivilgesellschaft und die lokalen Gebietskörperschaften mit der größten Basisnähe einzubeziehen.

1.4.

Der EWSA nimmt die Schlussfolgerungen des Rates „Auswärtige Angelegenheiten und internationale Beziehungen“ vom 26. Mai 2015 und den Jahresbericht 2015 der Europäischen Kommission über die Öffentliche-Entwicklungshilfe-Verpflichtungen der EU und der Mitgliedstaaten und die Umsetzung dieser Verpflichtungen zur Kenntnis.

1.5.

Der EWSA bedauert jedoch, dass die EU das Ziel einer Quote von 0,7 % des BNE erst bis 2030 erreichen will (1).

1.6.

Der EWSA unterstützt die EU in ihrem Bestreben, die nichtfinanziellen Aspekte zu stärken (Ratifizierung der internationalen Rechtsinstrumente, Bekämpfung von Finanzkriminalität).

1.7.

Der EWSA plädiert für einen kohärenten Standpunkt zwischen den bi-, pluri- und multilateralen Handelsinteressen und den Nachhaltigkeitszielen, um die Glaubwürdigkeit sowohl der Ziele als auch der europäischen Entwicklungshilfe zu wahren.

1.8.

Der EWSA empfiehlt die Verlängerung des Dialogs zwischen den Sozialpartnern und den europäischen Einrichtungen für Berufsbildung und lebenslanges Lernen (2), zu dem er eingeladen worden ist und an dessen Errichtung er mitgewirkt hat, sowie der einschlägigen Aktionsprogramme.

1.9.

Der EWSA fordert, diese Empfehlungen in dem Programm und der Nachbarschaftspolitik der EU zu berücksichtigen und Kohärenz zwischen der Handels-, Außen-, Entwicklungs- und Finanzpolitik und dem Schutz der Demokratie und der Menschenrechte zu gewährleisten, wie es Vizepräsidentin Federica Mogherini der Zivilgesellschaft am 28. Mai 2015 zusicherte (3).

2.   Einleitung

2.1.

Die europäische und weltweite Agenda der kommenden Jahre wird von der Debatte über die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung nach 2015 geprägt sein. Der Europa-Mittelmeer-Raum weist einige gemeinsame Merkmale auf, aufgrund derer spezifische Überlegungen dazu angestellt werden müssen, wie sich die Nachhaltigkeitsziele in die europäische Nachbarschaftspolitik und in die Politik der Länder des südlichen Mittelmeerraums integrieren lassen. Die Probleme der Ernährungssicherheit, Armut und soziale Ausgrenzung, der schwierige Zugang zu Wasser oder auch die besondere Situation der Länder in der Region, die einen demokratischen und wirtschaftlichen Wandel durchlaufen, erfordern eine Stellungnahme des EWSA, in der eine Orientierung für die effiziente Umsetzung der Post-2015-Agenda im Mittelmeerraum gegeben wird.

2.2.

Der EWSA kann den Regierungen dieser angeschlagenen Region wie auch den europäischen Institutionen sachkundige Empfehlungen unterbreiten, indem er die konkret anstehenden Herausforderungen benennt und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft Vorschläge für den Europa-Mittelmeer-Raum erarbeitet.

2.3.

In dieser Stellungnahme möchte der EWSA auch an seine Arbeiten zu den Nachhaltigkeitszielen im Allgemeinen anknüpfen, und zwar mit besonderem Schwerpunkt auf dem Mittelmeerraum.

2.4.

Der UN-Generalsekretär hat in einem Synthesebericht Beiträge zusammengefasst, die die mit der Prüfung der Post-2015-Nachhaltigkeitsziele beauftragte offene Arbeitsgruppe (Open Working Group on Sustainable Development Goals — OWG) zusammengetragen hat. Die Einsetzung der offenen Arbeitsgruppe geht auf die von den Staats- und Regierungschefs am Ende der Rio+20-Konferenz angenommene Erklärung „Die Zukunft, die wir wollen“ zurück, in der beschlossen wurde, die auf die Entwicklungsländer ausgerichteten Millenniumsentwicklungsziele durch differenzierte universell anwendbare Ziele abzulösen, die für alle Menschen in den Industrie-, Schwellen-, Entwicklungs- und am wenigsten entwickelten Ländern relevant sind. Auf verschiedenen regionalen und subregionalen Ebenen haben breitangelegte Konsultationen stattgefunden, und die wichtigen, bei den Vereinten Nationen vertretenen Gruppen der Zivilgesellschaft haben aktiv daran mitgewirkt und ihre Anliegen geltend gemacht. 17 Ziele und 169 Unterziele sind formuliert worden, um die Mittel zur Umsetzung und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung abzustecken.

2.5.

2015 werden zwei wichtige, untrennbar mit den Post-2015-Nachhaltigkeitszielen verbundene Veranstaltungen stattfinden: eine internationale Konferenz über Entwicklungsfinanzierung im Juli in Addis Abeba und die 21. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention Ende des Jahres in Paris.

2.6.

Ziel dieses Programms für eine nachhaltige Entwicklung nach 2015 ist es, einen Rahmen für die künftigen einschlägigen Maßnahmen der Vereinten Nationen aufzustellen, der auf Gleichheit, soziale Integration und menschenwürdige Arbeit wie auch auf nachhaltige Existenzgrundlagen für die Arbeitnehmer, Umweltschutz und Berücksichtigung der Erneuerungsrhythmen der biologischen und natürlichen Ressourcen abhebt. Dem Programm liegt indes die Feststellung zugrunde, dass das herrschende Wirtschaftsparadigma nicht nachhaltig ist. Die politischen Entscheidungsträger müssen also großen Ehrgeiz an den Tag legen. Die gegenwärtige wirtschaftliche, soziale, ökologische und schlussendlich politische Lage ist in vielen Teilen der Welt in keiner Weise tragfähig, und ganz besonders gilt das für den Europa-Mittelmeer-Raum. Verbreitet herrscht die Meinung, dass zumindest die gegenwärtigen wirtschaftsbestimmenden wirtschaftlichen und finanziellen Grundsätze geändert werden müssten, um die Voraussetzungen für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele zu schaffen.

2.7.

In den südeuropäischen Ländern des nördlichen Mittelmeerraums lehnen sich die Bürger gegen die soziale und wirtschaftliche Lage auf, die es nicht zulässt, Umwelt- und Klimaschutzerfordernissen gerecht zu werden und den europäischen Bürgern die Möglichkeit zu geben, einen neuen Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialraum aufzubauen. Für die jungen Menschen gibt es allen nationalen oder europäischen Bildungsinvestitionen zum Trotz keine Gelegenheiten, sich einzubringen und zur Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Wettbewerbsfähigkeit der EU beizutragen.

2.8.

Seit 2008 sind kaum neue Arbeitsplätze entstanden; im Gegenteil, zahlreiche Arbeitsplätze sind vernichtet worden, und das Beschäftigungswachstum hält weder mit der Bevölkerungsentwicklung noch mit dem Andrang von Absolventen auf dem Arbeitsmarkt Schritt. In der Folge wird eine aussichtslos erscheinende Sparpolitik abgelehnt. Die öffentlichen Maßnahmen und Dienste im Bildungs-, Gesundheits-, Verkehrs- und Wohnungswesen werden durch die Sparpolitik beeinträchtigt; dabei ist gerade ihr Ausbau nötig, um die Nachhaltigkeitsziele zu verwirklichen. Die Zahl der Obdachlosen und Menschen in prekären Wohnverhältnissen in der EU-28 steigt immer weiter, ein Großteil der Beschäftigungsverhältnisse ist viel zu flexibel, prekär und ohne Zukunftsaussichten. Es gibt immer mehr gering oder schlecht bezahlte Praktikanten, die europäische Gesellschaft radikalisiert sich, wird intolerant, ablehnend, verständnislos, die Kluft zwischen den Generationen vertieft sich, Individualismus und Überlebenskampf erweitern den Graben zwischen den Berufspolitikern und den sich ausgeliefert fühlenden Bürgern.

2.9.

In den südlichen Mittelmeerländern wurden Diktatoren gestürzt, die ihr Land wirtschaftlich ausgebeutet und um Meinungsfreiheit und Gleichheit gebracht hatten. Der politische Wandel der einzelnen Länder ist unterschiedlich verlaufen und geht von der erhofften Demokratisierung im nationalen Konsens bis hin zur Machtergreifung durch das Militär. Radikale Gruppen haben ihrerseits die Lage für kriegerische Besetzungen oder die Errichtung krimineller Regime genutzt. Ein Teil Afrikas ist dieser permanenten Bedrohung ausgesetzt, im Nahen und Mittleren Osten finden riesige Bevölkerungsverschiebungen und Veränderungen der militärischen und politischen Einflussnahme statt, und die Zivilgesellschaft kommt nicht zur Ruhe.

2.10.

Unter diesen Voraussetzungen kann vermutlich kein Nachhaltigkeitsziel glaubhaft dazu beitragen, Frieden zu schaffen, materielles Wohlergehen zu fördern und die Region wirtschaftlich zu entwickeln. Demokratisch, sozial und umweltpolitisch instabile Regionen sind für Investoren nicht auf Dauer attraktiv. Da die wirtschaftliche Entwicklung außerdem jahrzehntelang nur einer Minderheit von Familien, Einzelpersonen oder Diktatoren zugutegekommen ist, mangelt es an in gerechter, transparenter, demokratischer Weise funktionierenden Institutionen.

3.   Umwelt

3.1.

Der Europa-Mittelmeer-Raum ist für Umweltkatastrophen sowohl an Land als auch zur See anfällig. Einem 2013 veröffentlichten Bericht zufolge sind die Küstenregionen des Mittelmeers für mindestens 150 Mio. Menschen die Lebensgrundlage. Die UNEP hat diesem Bericht zufolge an den Mittelmeerküsten 13 Gaskraftwerke, 55 Raffinerien, 180 Elektrizitätswerke, 750 Yachthäfen, 286 Handelshäfen, 112 Flughäfen und 238 Meerwasserentsalzungsanlagen gezählt, von denen die meisten eine Umweltkatastrophe auslösen könnten. In dem Bericht wird ferner hervorgehoben, dass die Entwicklung geeigneter Maßnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen von Naturkatastrophen und durch Menschen verursachten Katastrophen für die gesamte Region allererste Priorität hat (4).

4.   Beschäftigung

4.1.

Kommissionsmitglied Johannes Hahn betonte in seiner Ansprache am 28. Mai, dass jährlich fünf Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen, um den Arbeitskräftezuwachs zu bewältigen und die soziale Inklusion zu gewährleisten. Dazu benötigt die Region ein Wirtschaftswachstum von mehr als 6 %.

4.2.

Die Förderung menschenwürdiger Arbeit (Ziel Nr. 8) ist hierfür unerlässliche Voraussetzung, denn eine qualitativ minderwertige Beschäftigung — prekäre, schlecht bezahlte Arbeit ohne langfristige und universelle soziale Absicherung — ist eine Ursache von Armut. Daher muss der Schwerpunkt erneut auf Wachstumsqualität, Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und Sozialschutz für die Arbeitnehmer und ihre Familien als wichtiges Instrument zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung gelegt werden.

5.   Private Finanzierungsquellen

5.1.

Voraussetzung für einen produktiven und wirksamen Beitrag des Privatsektors zu Handelspartnerschaften für industrielle Entwicklung ist eine Agenda für menschenwürdige Arbeit, die besser als bisher für zufriedenstellende Arbeitsbedingungen sorgt. Mehr denn je müssen die geschaffenen Arbeitsplätze qualitativ hochwertig, gut bezahlt, umwelt- wie auch gesundheitsverträglich und mit einem wirksamen Sozialschutz verknüpft sein (5). Dies ist besonders in der MENA-Region wichtig, wo die Jugendarbeitslosigkeit weltweit am höchsten ist und noch weiter steigt und wo viele erwerbsfähige junge Menschen keine Schule besuchen, keiner Arbeit nachgehen und sich nicht in beruflicher Ausbildung befinden. Die Gewährleistung einer Mindesteinkommenssicherheit für die Menschen im informellen Sektor ist wesentliche Voraussetzung für soziale und politische Stabilität und Konfliktprävention, denn sie trägt zur Eindämmung von Radikalismus und Extremismus und dadurch zu politischer Stabilität und Sicherheit bei (6). Schul- und Berufsbildung, Gleichheit, Erwerbsbeteiligung von Jugendlichen und Frauen, Respekt vor den Bürgern, freie Meinungsäußerung, faire Löhne, Sicherheit, Umwelt- und Gesundheitsschutz, frühkindliche Bildung und Solidarität zwischen den Generationen — diese Anliegen sind den Menschen im nördlichen wie auch im südlichen Mittelmeerraum gemeinsam. Diese Bestrebungen müssen von den Regierungen gewährleistet werden können, ohne durch die Durchsetzung von Partikularinteressen über supranationale Schiedsverfahren gefährdet zu werden, auch wenn der internationale Handel für die Finanzierung universeller Ziele unleugbar wichtig ist (7).

6.   Umsetzungsmittel und Überwachung der Ziele

6.1.

Die multilateralen WTO-Verhandlungen stellen den Handel als Mittel für die Umsetzung einer erstrebenswerten nachhaltigen Entwicklung in den Vordergrund. In verschiedenen laufenden Verhandlungsrunden tritt indes der Mangel an Kohärenz zwischen bestimmten Freihandelszielen und der Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele zutage: so beim Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, das auf die Liberalisierung oder Privatisierung zahlreicher öffentlicher Dienstleistungen abhebt, die möglichst vielen Bürgern zugänglich sein sollen und Voraussetzung für die Verwirklichung der Ziele sind, bei Abkommen über Umweltgüter, Technologietransfer, geistiges Eigentum, über die mineralgewinnende Industrie und den Untertagebergbau, bei Streitschlichtungsinstanzen zur Regelung von Konflikten zwischen multinationalen Unternehmen und Staaten, um nur einige der Bereiche zu nennen, in denen die Glaubhaftigkeit erstrebenswerter Ziele durch das Tauziehen zwischen handelspolitischer und staatlicher Macht untergraben wird.

6.2.

Die Handelspolitik sollte Entwicklungsländern politischen Gestaltungsspielraum zugestehen, damit sie den Auswirkungen auf die Beschäftigung, schutzbedürftige Personen, Gleichstellung und nachhaltige Entwicklung Rechnung tragen können, und nicht nur Liberalisierung als Selbstzweck vorantreiben. Der EWSA empfiehlt deshalb eine umfassende Überprüfung aller Handels- und Investitionsabkommen, um zu klären, wo sie eventuell die Möglichkeiten der Entwicklungsländer einschränken, Krisen zu verhindern und zu bewältigen, Kapitalströme zu regulieren, das Recht auf eine Existenzgrundlage und menschenwürdige Arbeit zu schützen, für Steuergerechtigkeit zu sorgen, wichtige gemeinwirtschaftliche Leistungen zu erbringen und eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen.

6.3.

Die Regierungen sollten verpflichtet werden, die Auswirkungen von multi-, pluri- und bilateralen Handels- und Investitionsabkommen auf die Menschenrechte mit Schwerpunkt auf den Rechten auf Entwicklung, Nahrung, Gesundheit und eine Existenzgrundlage und unter besonderer Berücksichtigung marginalisierter Gruppen zu bewerten. Dazu wäre die Resolution des UN-Menschenrechtsrats vom Juni 2014 für die Einsetzung einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines internationalen Instruments, das transnationale Unternehmen rechtlich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet, umzusetzen.

6.4.

Während eines noch zu bestimmenden Zeitraums, in dem davon ausgegangen werden kann, dass weltweit eine Erholung von den Krisen (Finanzkrise 2008 und Demokratiekrise 2011) eingesetzt hat, sollten die Investitionen in Beschäftigung und Umwelt in Verbindung mit den Post-2015-Entwicklungszielen aus der Berechnung der Staatsverschuldung ausgenommen, als universelle, nachhaltige und tragfähige Investitionen von allgemeinem Interesse eingestuft, zinsfrei finanziert und für Spekulationsgeschäfte verboten werden.

6.5.

Durch die Bekämpfung von Steuerumgehung und -vermeidung, von illegalen Finanzströmen zur Geldwäsche von Geldern aus rechtswidrigen Aktivitäten wie u. a. informeller Arbeit, Schleuserkriminalität oder illegaler Verbringung nicht verwerteter Abfälle dürften zusätzliche, für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele notwendige Ressourcen freigesetzt werden (8).

6.6.

Auch die bestehenden internationalen Rechtsinstrumente sind als Mittel für die Umsetzung zu betrachten. Wenn bestimmte Übereinkommen — u. a. grundlegende IAO-Übereinkommen zum Arbeitsrecht, das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979, das Übereinkommen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, das Übereinkommen über die menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte C189, das Übereinkommen über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft C184, der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und das dazugehörige Fakultativprotokoll — ratifiziert und in das geltende Recht der Mitgliedstaaten der Union für den Mittelmeerraum (UfM) übernommen würden, würden sie als vorrangige nichtfinanzielle Mittel für die Umsetzung an sich schon den rechtlichen Schutz der Personen gewährleisten, der für die faktische Umsetzung zahlreicher Nachhaltigkeitsziele unerlässliche Voraussetzung ist:

Ziele für nachhaltige Entwicklung (9)

 

Ziel 1: Armut in jeder Form und überall beenden

 

Ziel 2: Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern

 

Ziel 3: Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern

 

Ziel 4: Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern

 

Ziel 5: Geschlechtergleichheit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen

 

Ziel 6: Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten

 

Ziel 7: Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern

 

Ziel 8: Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern

 

Ziel 9: Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen

 

Ziel 10: Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten verringern

 

Ziel 11: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen

 

Ziel 12: Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen

 

Ziel 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen (10)

 

Ziel 14: Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen

 

Ziel 15: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung stoppen und umkehren und den Biodiversitätsverlust stoppen

 

Ziel 16: Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen

 

Ziel 17: Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung wiederbeleben

6.7.

Am 28. Mai 2015 organisierten der Ausschuss der Regionen, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und die Europäische Kommission gemeinsam das Forum der Zivilgesellschaft der südlichen Nachbarländer, bei dem Kommissionsmitglied Johannes Hahn, Vizepräsidentin Federica Mogherini sowie EP-Präsident Martin Schulz als Redner auftraten.

6.8.

Kommissionsmitglied Johannes Hahn erläuterte, dass über die Fazilität zur Förderung der Zivilgesellschaft im Rahmen der Nachbarschaftspolitik 52 Mio. EUR in Maßnahmen zur Bewältigung der humanitären Krise in Syrien und den benachbarten Ländern geflossen sind. Zusätzlich werden noch 40 Mio. EUR aus dem Regionalen Treuhandfonds der EU bereitgestellt.

6.9.

Schließlich ist auf die Europäische Migrationsagenda zu verweisen, die die Europäische Kommission zwei Wochen nach dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs vorgelegt hat und in der sie gemäß Artikel 78 Absatz 3 AEUV ein Umsiedlungs- und Neuansiedlungsprogramm für Flüchtlinge vorschlägt (11).

Brüssel, den 1. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Kommissionsmitglied Neven Mimica auf der 508. Plenartagung des EWSA am 28. Mai 2015.

(2)  http://www.etf.europa.eu/web.nsf/pages/home

(3)  http://eeas.europa.eu/statements-eeas/2015/150528_01_en.htm

(4)  http://www.preventionweb.net — Euro-Mediterranean Partnership Program (PPRD South), Februar 2013.

(5)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Sozialschutz in der Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union“ (ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 82).

(6)  Anhörung des EWSA zum Thema „Post-2015-Ziele im Europa-Mittelmeer-Raum“ am 22. Mai 2015, „SOLIDAR vision on Post 2015“.

(7)  EWSA-Stellungnahme REX/441 (siehe Seite 49 dieses Amtsblatts).

(8)  Laut Weltbank, IWF, transparency.org usw. mindestens 1 Billion USD.

(9)  Gemäß dem Entwurf des Abschlussdokuments (Zero-Draft) vom Januar 2015 für den UN-Klimagipfel im Hinblick auf die Verabschiedung der Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung („Transforming our World by 2030 — A New Agenda for Global Action)“.

(10)  In Anerkennung dessen, dass das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen das zentrale internationale zwischenstaatliche Forum für Verhandlungen über die globale Antwort auf den Klimawandel ist.

(11)  http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-is-new/news/news/2015/20150527_02_en.htm


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/49


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Entwicklungsfinanzierung — der Standpunkt der Zivilgesellschaft“

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 383/08)

Berichterstatter:

Ivan VOLEŠ

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 18. Februar 2015, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Entwicklungsfinanzierung — Standpunkt der Zivilgesellschaft.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 11. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 2. Juli) mit 142 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert, dass die neue Entwicklungsagenda eine globale Dimension erhält und darauf ausgerichtet wird, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Grundlagen der Agenda sollten die Einhaltung der Menschenrechte, die Vermeidung und friedliche Beilegung von Konflikten, die verantwortungsvolle Regierungsführung, der Abbau sozialer Ungleichheiten, die Stärkung der Rolle der Frauen und die Einbeziehung aller Menschen sein, die Verantwortung für die Entwicklung dieser Welt und ihre Bewahrung für künftige Generationen übernehmen.

1.2.

Der EWSA befürwortet die Annahme der vorgeschlagenen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und fordert die Mobilisierung und den transparenten und effizienten Einsatz aller verfügbaren finanziellen Ressourcen für eine ausgewogene Integration der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension der nachhaltigen Entwicklung. Die Bekämpfung der Verschwendung von Finanzmitteln in kriegerischen Auseinandersetzungen, illegaler Finanztransfers und des Abfließens von Finanzmitteln in die Schattenwirtschaft ist von großer Bedeutung.

1.3.

Der EWSA fordert, dass die Förderung des sozialen Dialogs in die Entwicklungsprioritäten aufgenommen wird, denn der soziale Dialog ist ein wichtiges Instrument für eine ausgewogene Berücksichtigung der Interessen der Sozialpartner und damit zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens, der für die erfolgreiche Verwirklichung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung unerlässlich ist.

1.4.

Die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) muss in erster Linie in die am wenigsten entwickelten und in die gefährdeten Länder fließen. Die EU sollte ihre Verpflichtung bekräftigen, für die gesamte ODA 0,7 % des BIP und für die am wenigsten entwickelten Länder 0,15-0,20 % des BIP bereitzustellen. Diese Verpflichtung muss im Einklang mit den in Monterrey, Doha und Busan vereinbarten Grundsätzen an die Forderung nach einer ordnungsgemäßen und wirksamen Verwendung aller Finanzierungsquellen der Entwicklungshilfe gekoppelt sein.

1.5.

Die öffentliche Entwicklungshilfe sollte nicht nur nach ihrer Höhe, sondern auch nach ihrer Qualität und ihrem Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung bewertet werden. Dazu müssen neue Indikatoren für die Bewertung ihrer Wirkung erarbeitet werden.

1.6.

Um die Effizienz der EU-Budgethilfe für die Entwicklungsländer zu erhöhen, empfiehlt der EWSA, auf den Erfahrungen mit der Umsetzung der EU-Kohäsionspolitik und ihren Instrumenten wie beispielsweise den Strukturfonds und dem Kohäsionsfonds aufzubauen, damit die Entwicklungshilfe gezielt zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele eingesetzt werden kann.

1.7.

Voraussetzungen für eine bessere Nutzung der einheimischen öffentlichen und privaten Ressourcen, deren Stellenwert weiter zunehmen wird, sind die Durchführung grundlegender Finanzreformen, der Aufbau einer verantwortungsvollen Steuerverwaltung und die Integration der Schattenwirtschaft in die offizielle Wirtschaft sowie ein entschlossenes Vorgehen zur Bekämpfung und Verhütung der Korruption. Hilfreich wären in diesem Zusammenhang auch der Abschluss eines internationalen Abkommens zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steueroasen und illegalen Finanzströmen sowie eine verbesserte Zusammenarbeit mit der OECD und dem Steuerausschuss der Vereinten Nationen.

1.8.

Der EWSA befürwortet die Einbeziehung des privaten Sektors in die Durchführung wirtschaftlich nicht oder nur teilweise realisierbarer Projekte durch öffentlich-private Partnerschaften und die Finanzierung von ÖPP-Projekten durch Mischfinanzierungen. Voraussetzung für ihre erfolgreiche Durchführung sind die Ex-ante-Bewertung ihrer Nachhaltigkeit und die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und Berichterstattung, der gemeinsamen Verantwortung und der Durchsetzung der Verpflichtungen.

1.9.

Der EWSA erkennt den potenziellen Beitrag der ausländischen Direktinvestitionen für die Entwicklung an, sofern sie auf die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet sind. Die Gewinne aus den ausländischen Direktinvestitionen sollten in erster Linie in den Entwicklungsländern reinvestiert werden, in denen sie erwirtschaftet wurden. Die Empfängerländer sollten eine klare Investitionsstrategie haben. Neue Investoren wie China, Brasilien, Indien und andere Länder sollten bei ihren Investitionen in den Entwicklungsländern den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung Rechnung tragen.

1.10.

Der EWSA unterstützt innovative und ergänzende Quellen für die Entwicklungsfinanzierung, beispielsweise das Crowdfunding, die Tätigkeiten internationaler gemeinnütziger Fonds und die Überweisung von Ersparnissen durch Emigranten in die Länder, aus denen sie stammen. Der EWSA begrüßt die von der Leitenden Gruppe für innovative Entwicklungsfinanzierung vorgelegten Vorschläge für neue Finanzierungsquellen, die möglicherweise eine große Bedeutung erlangen werden unter der Voraussetzung, dass sie weltweit angewandt werden und keine zu große Belastung für den jeweiligen Sektor darstellen.

1.11.

Die Zivilgesellschaft einschließlich der Sozialpartner und der NRO muss sehr viel wirksamer und strukturierter in die Konzipierung der Entwicklungsprogramme, die Überwachung ihrer Durchführung und die Bewertung ihrer Ergebnisse und Auswirkungen eingebunden werden. Daher muss sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den Industriestaaten ein System zur Kontrolle der Verfahren im Rahmen der Entwicklungshilfe eingerichtet und verbessert werden, wobei die einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft einzubeziehen sind. Der EWSA bietet in diesem Zusammenhang seine umfassenden Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit seinen Partnern u. a. in den AKP-Ländern, in Lateinamerika und Asien, in den Ländern der östlichen Partnerschaft und den Euromed-Ländern an.

1.12.

Damit die Zivilgesellschaft diese Aufgabe wahrnehmen kann, muss ihre Tätigkeit durch Programme zum Kapazitätsaufbau der zivilgesellschaftlichen Institutionen in den Partnerländern flankiert werden.

2.   Die grundlegenden Standpunkte des EWSA bezüglich der Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015

2.1.

Das Jahr 2015 ist ausschlaggebend für die Formulierung eines neuen globalen Ansatzes für die Entwicklung. Das wichtigste Ziel unter den Millenniums-Entwicklungszielen, die Armutsbekämpfung, wurde nur teilweise erreicht. Neue Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (1) sollten grundlegende, vom EWSA seit Langem geforderte Änderungen mit sich bringen. Der EWSA begrüßt insbesondere die Tatsache, dass einige seiner Empfehlungen in die Nachhaltigkeitsziele eingeflossen sind.

2.2.

In seinen jüngsten Stellungnahmen fordert der EWSA, die neuen Entwicklungsziele zu einem Teil der globalen nachhaltigen Entwicklung zu machen (2). Er verweist auf die unverzichtbare Rolle der Zivilgesellschaft in der Entwicklungspolitik (3) und auf die Notwendigkeit der Einbeziehung des Sozialschutzes in die EU-Entwicklungspolitik (4). Er legt eine Reihe von Vorschlägen zu folgenden Bereichen vor: Beteiligung der Privatwirtschaft an der Entwicklung nach 2015 (5), Aufnahme der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und der Rolle der Zivilgesellschaft in die Investitionsabkommen der EU (6), Bedeutung des Handels für das Wachstum und die Entwicklung (7) sowie Post-2015-Ziele im Europa-Mittelmeer-Raum (8). Am 20. Oktober 2014 wurden in einer außerordentlichen gemeinsamen Sitzung der Fachgruppe REX mit der EWSA-Beobachtungsstelle für nachhaltige Entwicklung Empfehlungen zur Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 angenommen, die in die anstehenden Verhandlungen über die Nachhaltigkeitsziele und ihre Finanzierung einfließen sollen.

2.3.

Der soziale Dialog als Instrument für die Gestaltung der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern muss ein wichtiges Element der Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 werden, denn eine ausgewogene Berücksichtigung der Interessen der Sozialpartner in den Tarifverträgen ermöglicht es, den sozialen Frieden zu wahren, der für die kontinuierliche und erfolgreiche Entwicklung der Gesellschaft unverzichtbar ist.

2.4.

Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit der Kohärenz zwischen den Freihandelszielen und den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung bei den laufenden Verhandlungen im Rahmen der WTO und den jüngsten Verhandlungen der EU über Dienstleistungen, Umweltgüter sowie bei der Umsetzung der bestehenden WTO-Vereinbarungen.

2.5.

Alle Handels- und Investitionsabkommen einschließlich ihrer Folgen für die Beschäftigung, schutzbedürftige Personen und die Gleichstellung der Geschlechter sollten im Einklang mit den Kriterien für eine nachhaltige Entwicklung stehen. Sie sollten die Entwicklungsländer nicht daran hindern, Krisen zu bewältigen, Kapitalströme zu regulieren, für Steuergerechtigkeit zu sorgen und grundlegende Dienstleistungen zu erbringen. Die EU sollte umfassende Nachhaltigkeitsprüfungen durchführen, insbesondere bei Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, wobei das Recht auf Entwicklung, Nahrung, Gesundheit und einen fairen Lohn im Mittelpunkt stehen und auch die Auswirkungen auf schutzbedürftige Gruppen nicht ausgeklammert werden sollten.

2.6.

Ein weltweiter Konsens über die nachhaltige Entwicklung muss die Wahrung der grundlegenden Menschenrechte beinhalten und darauf abzielen, Konflikte zu verhüten und den Frieden zu fördern, die sozialen Ungleichheiten zu beseitigen, die Regierungsführung verantwortungsvoll zu gestalten, kommunale demokratische Selbstverwaltungen zu unterstützen, die Rolle der Frauen zu stärken und den Privatsektor in die Entwicklung einzubeziehen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten die internationalen Rechtsinstrumente, Übereinkommen, Abkommen und Regelungen von den Mitgliedern der Vereinten Nationen angenommen, gefördert und ratifiziert werden (9). Der EWSA sieht in der Mitteilung der Europäischen Kommission „Globale Partnerschaft zur Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung nach 2015“ (10) einen guten Ausgangspunkt für die anstehenden Verhandlungen und fordert die EU auf, in diesen Verhandlungen eine führende Rolle einzunehmen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA betont, dass ein ganzheitlicher Ansatz für die nachhaltige Entwicklung erforderlich ist. Jedes Land ist in erster Linie für seine eigene Entwicklung verantwortlich, während die Weltgemeinschaft dafür zuständig ist, für die nachhaltige Entwicklung aller Länder ein günstiges internationales Umfeld zu schaffen, was unter anderem die Erhaltung der globalen öffentlichen Güter, die Erhaltung der natürlichen Ressourcen, stabile Finanzmärkte, einen offenen internationalen Handel, kontrollierte Zuwanderung und eine gezielte Förderung der auf Nachhaltigkeit ausgerichteten technologischen Entwicklung umfasst.

3.2.

Die Voraussetzung zur Realisierung der Nachhaltigkeitsziele ist die Mobilisierung aller verfügbaren Finanzmittel. Nach Einschätzung der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) beläuft sich in den Entwicklungsländern der jährliche Investitionsbedarf zur Verwirklichung der wichtigsten Ziele für eine nachhaltige Entwicklung in den Jahren 2015-2030 auf 3,9 Billionen USD, wobei eine Investitionslücke von 2,5 Billionen USD klafft (11).

3.3.

Der EWSA teilt die Überzeugung, dass in der Welt genügend Finanzierungsquellen zur Verfügung stehen. Neben den offiziellen Quellen (12) gibt es versteckte Ressourcen wie die Finanzierung kriegerischer Auseinandersetzungen und Konflikte überall in der Welt. Beeinträchtigt wird die Verfügbarkeit von Ressourcen insbesondere auch durch Phänomene wie Steuerhinterziehung, Schattenwirtschaft und illegale Finanztransfers, die systematisch bekämpft werden müssen.

3.4.

Die Suche nach Ressourcen und ihre Mobilisierung können nicht von der Pflicht entbinden, diese Mittel ordnungsgemäß zu verwenden. Der Schwerpunkt sollte weiterhin auf den in Monterrey, Doha und Busan vereinbarten Grundsätzen der Wirksamkeit und Effizienz der Entwicklungshilfe liegen, wobei jegliche Verschwendung und ineffiziente Nutzung aller Formen finanzieller und sonstiger für die Entwicklung bestimmter Ressourcen unterbunden werden sollte.

3.5.

Die Entwicklungshilfe sollte nicht nur nach ihrer Höhe, sondern auch nach ihrer Qualität und ihrem Beitrag zur Erreichung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und die Verbesserung der Lebensbedingungen bewertet werden. Dazu müssen neue Indikatoren einschließlich der Bewertungskriterien geschaffen und die Statistikbehörden der Entwicklungsländer gestärkt werden, was den Transfer von Fachwissen und einen gegenseitigen Informationsaustausch einschließt.

3.6.

Eine umfassendere Einbindung von Organisationen des gesamten Spektrums der Zivilgesellschaft in die Formulierung der nationalen Ziele und Entwicklungspläne würde dazu beitragen, die Interessen des privaten Sektors besser auf die öffentlichen Ziele abzustimmen. Ihr gemeinsames Interesse ist es, die Grundsätze der Transparenz, der offenen Vergabe öffentlicher Aufträge, der Effizienz und des Nachweises der eingesetzten Mittel sowie der gemeinsamen Verantwortung der Akteure der öffentlichen Hand für die Umsetzung der angenommenen Entwicklungsstrategien zu wahren.

3.7.

Die Privatwirtschaft braucht zur Erfüllung ihrer Rolle im Entwicklungsbereich ein günstiges unternehmerisches Umfeld einschließlich der Wahrung der allgemein anerkannten demokratischen Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, wodurch die Gründung und das Wachstum von Unternehmen erleichtert, die Bürokratie abgebaut, die Transparenz erhöht, die Korruption bekämpft und Investitionen gefördert werden. Der Privatsektor muss die international anerkannten Grundsätze der sozialen Verantwortung der Unternehmen einhalten, die grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Rechte wahren, die Anforderungen in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung erfüllen und im Einklang mit der ILO-Agenda für menschenwürdige Arbeit neue Arbeitsplätze schaffen.

3.8.

Der EWSA fordert eine bessere Koordinierung und Kohärenz aller mit der nachhaltigen Entwicklung im Zusammenhang stehenden Politikbereiche der EU (13), um Doppelarbeit, Überschneidungen, Fragmentierungen und manchmal auch Widersprüche in der Vorgehensweise zu vermeiden und die systematische Koordinierung der von den Mitgliedstaaten zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele gewährten bilateralen Entwicklungshilfe zu vertiefen.

4.

Spezifische Fragenkomplexe

4.1.    Öffentliche Entwicklungshilfe (ODA)

4.1.1.

Zwar kann die ODA nicht den gesamten Bedarf an Entwicklungshilfe decken, doch wird sie auch in Zukunft unverzichtbar sein für die Menschen in den am wenigsten entwickelten Ländern, in Ländern, in denen bewaffnete Konflikte ausgetragen werden und die anfällig sind für Naturkatastrophen und Epidemien, sowie für die Menschen, die auf isolierten Inseln und in Ländern ohne Zugang zum Meer leben.

4.1.2.

Die Mittel der ODA sollten in erster Linie für die Beseitigung der Armut in den armen und gefährdeten Ländern verwendet werden. Der EWSA weist darauf hin, dass aufgrund der ungleichen Verteilung des Wohlstands die Armut auch in den Ländern mit mittleren Einkommen zugenommen hat. Die Hebelwirkung der öffentlichen Entwicklungshilfe sollte dazu genutzt werden, alle Finanzierungsquellen — einschließlich privater Investitionen — zur Beseitigung der Armut zu mobilisieren.

4.1.3.

Der EWSA fordert die Kommission und den Rat auf, sich im Hinblick auf die Verhandlungen auf der Konferenz in Addis Abeba auf eine klare gemeinsame europäische Haltung bezüglich der ODA zu verständigen. Die EU sollte ihre Verpflichtung bekräftigen, für die ODA insgesamt 0,7 % des BIP und für die am wenigsten entwickelten Länder 0,15-0,20 % des BIP bereitzustellen. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Maßnahmen zum Klimaschutz, auf die sich die Teilnehmer der Konferenz in Paris im Dezember 2015 verständigen werden, zusätzliche Ressourcen erfordern werden.

4.1.4.

Die Daten über die Höhe der öffentlichen Entwicklungshilfe allein lassen noch keine Rückschlüsse auf die Qualität und die Ergebnisse der geleisteten Hilfe und ihre tatsächliche Wirkung in den Empfängerländern zu. Der EWSA unterstützt den Vorschlag des Ausschusses für Entwicklungshilfe (DAC) der OECD, neben der ODA auch die außerhalb der öffentlichen Entwicklungshilfe gewährte Hilfe und Unterstützung für eine nachhaltige Entwicklung zu berücksichtigen (14). Die sonstige Unterstützung hat oftmals einen größeren entwicklungspolitischen Nutzen für das Land als die finanzielle Hilfe (wie beispielsweise Studienstipendien, Erfahrungsaustausch, Transfer von Technologie und Fachwissen, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit).

4.1.5.

Budgethilfen für Entwicklungsländer sollten immer einen bestimmten haushaltspolitischen Zweck haben, wobei Geber und Empfänger gegenseitig für die Verwendung dieser Form der Hilfe zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele und für die Einhaltung der international anerkannten Regeln der Finanzverwaltung und -kontrolle verantwortlich zeichnen. Dazu gehören auch strenge Auflagen und Maßnahmen zur Bekämpfung und Verhütung der Korruption. Die EU-Mittel selbst sollten glaubhaft vor Korruption geschützt werden. Der EWSA empfiehlt, die Erfahrungen aus der Durchführung der EU-Kohäsionspolitik auch in den Entwicklungsländern zu nutzen, um die Entwicklungshilfe besser und zielgerichteter auf die Nachhaltigkeitsziele auszurichten, die Verwendung der Mittel strenger zu kontrollieren und die erzielten Ergebnisse effektiver zu bewerten.

4.2.    Inländische Ressourcen

4.2.1.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Bedeutung der landeseigenen öffentlichen und privaten Ressourcen für die Entwicklung in nächster Zeit deutlich wachsen wird.

4.2.2.

Um den Umfang und die Wirkung der inländischen Ressourcen zu erhöhen, sollten illegale Finanzströme und Geldwäsche von Geldern aus rechtswidrigen Tätigkeiten wie u. a. informeller Arbeit, Schleuserkriminalität oder illegaler Verbringung nicht verwerteter Abfälle konsequent bekämpft, die Steuereintreibung verbessert, Korruption und Kriminalität eingedämmt und die umfangreiche Schattenwirtschaft in die offizielle Wirtschaft integriert werden. Die Entwicklungsländer brauchen Hilfe bei der Durchführung grundlegender Steuerreformen und der Verbesserung einer verantwortungsvollen Steuerverwaltung. Der EWSA fordert, dass die EU sich verstärkt für den Abschluss internationaler Abkommen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steueroasen und illegalen Finanzströmen sowie für eine verbesserte Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Steuerpolitik und Steuerverwaltung der OECD sowie dem Steuerausschuss der Vereinten Nationen einsetzt.

4.2.3.

Inländische private Direkt- oder Portfolioinvestitionen übersteigen heute die ausländischen Investitionen um ein Vielfaches. Diese Investitionen müssen — beispielsweise durch geeignete Anreize oder durch ordnungsgemäß vorbereitete und gesicherte ÖPP-Projekte — auf die Entwicklungsziele hin ausgerichtet werden, um so zu einem wichtigen Instrument zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele zu werden.

4.2.4.

Ein ungenutztes Potenzial an inländischen Ressourcen weisen vor allem rohstoffreiche Entwicklungsländer auf, in denen trotz relativ hoher Staatseinnahmen die Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebt und der Aufbau der eigenen Wirtschaft, der Infrastruktur und der sozialen Dienstleistungen vernachlässigt wird. Die Methoden einiger ausländischer Investoren in der Rohstoffindustrie der Entwicklungsländer werden zu Recht von der Zivilgesellschaft kritisiert: Sie fordert die Einhaltung der grundlegenden Standards in den Bereichen Umweltschutz, Sozialschutz für die Arbeitnehmer, Transparenz der Steuerzahlungen und der Gewinntransfers ins Ausland sowie eine Berichterstattung gemäß den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen (15). Der EWSA begrüßt die Bemühungen um eine Verbesserung der Situation wie beispielsweise die Initiative zur Verbesserung der Transparenz in der Rohstoffindustrie (16).

4.3.    Mischfinanzierung („Blending“) und öffentlich-private Partnerschaften

4.3.1.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass dort, wo die Möglichkeiten der Regierungen zur Finanzierung der notwendigen Investitionen aus öffentlichen Mitteln nicht ausreichen und diese Investitionen — insbesondere im Infrastrukturbereich, aber auch bei den öffentlichen Dienstleistungen — wirtschaftlich nicht realisierbar sind, öffentlich-private Partnerschaften geschlossen werden müssen und die Finanzierung von ÖPP-Projekten durch Mischfinanzierungen in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der OECD (17) gesichert werden muss.

4.3.2.

Projekte im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften müssen in Übereinstimmung mit der Entwicklungsstrategie des jeweiligen Landes und auf der Grundlage von Durchführbarkeitsstudien konzipiert werden, wobei die Nachhaltigkeitsfaktoren bereits im Vorfeld zu berücksichtigen sind und die Grundsätze der Transparenz, der gemeinsamen Verantwortung und der Durchsetzung der Verpflichtungen eingehalten werden müssen. Die Sozialpartner und andere Vertreter der Zivilgesellschaft sollten in die Bewertung des Nutzens derartiger Projekte für die nachhaltige Entwicklung einbezogen werden und die Einhaltung der geltenden ILO-Übereinkommen überwachen.

4.3.3.

Mischfinanzierungen könnten auch in der Sozialwirtschaft und für nachhaltige Projekte zur Eingliederung benachteiligter Gesellschaftsgruppen in das Wirtschaftsleben genutzt werden.

4.4.    Ausländische Investitionen

4.4.1.

2013 beliefen sich die ausländischen Direktinvestitionen (ADI) in den Entwicklungsländern auf 778 Mrd. USD, wobei die Angaben über ihren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung jedoch häufig nicht eindeutig sind. Nur 2 % der gesamten ausländischen Direktinvestitionen in Entwicklungsländern gehen an die am wenigsten entwickelten Länder. In afrikanischen Ländern südlich der Sahara fließen ausländische Direktinvestitionen vor allem in die Rohstoffindustrie, ohne dass ein weiterer Beitrag zur übrigen Wirtschaft geleistet würde. Neue Investoren wie China, Brasilien, Indien und andere Länder sollten bei ihren Investitionen in den Entwicklungsländern den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung Rechnung tragen.

4.4.2.

Laut einer Studie der Nichtregierungsorganisation EURODAD über die Finanzierung von Entwicklungsländern im Jahr 2014 ist der Abfluss von Kapital aus den Entwicklungsländern doppelt so hoch wie der Zufluss von Finanzmitteln aus dem Ausland einschließlich der öffentlichen Entwicklungshilfe, ADI, Spenden, des Transfers von Gewinnen und Ersparnissen und anderer Mittel (18). Es muss alles daran gesetzt werden, dass diese Mittel weitestgehend in die nachhaltige Entwicklung der Empfängerländer reinvestiert werden.

4.4.3.

Teil der nationalen Entwicklungsstrategien sollte auch die Förderung von Investitionen sein. Es müssen günstige Voraussetzungen wie Frieden, Stabilität und eine gute Regierungsführung geschaffen werden, um ADI anzulocken und auf die Nachhaltigkeitsziele hin auszurichten. Die Entwicklungsländer sollten die Nachhaltigkeitsziele in die unterzeichneten Investitionsabkommen integrieren und gleichzeitig die entsprechenden Garantien für diese Investitionen anbieten. Der EWSA empfiehlt den Agenturen und Finanzinstituten für Investitionsförderung in den Herkunftsländern und den Agenturen für Investitionsförderung in den Empfängerländern, eine mit der jeweiligen nationalen Strategie für nachhaltige Entwicklung verknüpfte unmittelbare technische Zusammenarbeit aufzunehmen.

4.4.4.

Es ist notwendig, Wirkungsinvestitionen (Impact Investments) zu fördern, die auf kurze Sicht eine gewisse Rentabilität gewährleisten, durch ihre sozialen Auswirkungen — beispielsweise in den Bereichen Kapazitätsaufbau oder Umwelt — jedoch auch die Möglichkeit einer langfristigen Rentabilität bieten, was zu einer nachhaltigen Entwicklung führen würde.

4.5.    Innovative und ergänzende Finanzierungsformen

4.5.1.

Ein vielversprechendes Instrument zur Finanzierung kleinerer Entwicklungsprojekte ist das Crowdfunding bzw. Crowdinvesting (19). Der EWSA weist darauf hin, dass es dringend notwendig ist, dieses Instrument zu definieren und einen angemessenen Regulierungsrahmen für das Crowdfunding zu erarbeiten und anzunehmen, wie er es bereits in einer früheren Stellungnahme (20) empfohlen hat.

4.5.2.

Der EWSA begrüßt die wachsende Zahl internationaler gemeinnütziger Fonds, Stiftungen und Programme zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung, beispielsweise den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, die Globale Partnerschaft für Bildung, die Impfallianz GAVI zur Impfung von Kindern in den am wenigsten entwickelten Ländern usw. Diese Fonds und Stiftungen, in denen öffentliche Institutionen mit privaten Spendern und Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten, sollten ihre Tätigkeiten besser koordinieren und auf die Nachhaltigkeitsziele hin ausrichten.

4.5.3.

Ressourcen für die öffentliche Entwicklungshilfe könnten, solange sie nicht zugewiesen sind, in Fonds für Entwicklungsinvestitionen eingestellt und als gesicherte Anleihen angelegt werden, um kurzfristige Einnahmen zu erzielen und einen Beitrag zur Schaffung zusätzlicher Ressourcen zu leisten (21). Dies würde auf längere Sicht dazu beitragen, die für die Entwicklungshilfe benötigten Ressourcen zu steigern (22).

4.5.4.

Der EWSA begrüßt einige der Vorschläge der Leitenden Gruppe für innovative Entwicklungsfinanzierung (23) und unterstützt die Bemühungen zur Erschließung neuer Finanzierungsquellen für die Nachhaltigkeitsziele. Allerdings ist es notwendig, dass diese neuen Ressourcen konsequent global verwendet werden, die Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen Sektors nicht beeinträchtigen und ihre Verwendung für die Nachhaltigkeitsziele transparent ist. Der EWSA würde es begrüßen, wenn der Bankensektor durch eine weltweite freiwillige Initiative dazu beitragen würde, die Finanzierungslücke zwischen den für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele zur Verfügung stehenden und den tatsächlich benötigten Ressourcen zu schließen.

4.5.5.

Eine der wenig genutzten Quellen sind die Finanzmittel aus der „Diaspora“, also die Überweisung der Ersparnisse im Ausland lebender Menschen in ihre Heimatländer. Auch diese Mittel könnten zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele verwendet werden. Die Gebühren für die Überweisung von Ersparnissen müssen gesenkt werden. Emigranten sollten Fortbildungs- und Anreizprogramme angeboten werden, damit sie nicht nur konsumieren, sondern ihr Interesse an Investitionen in die Entwicklungsprojekte geweckt wird, durch die ihre Ersparnisse aufgewertet und gleichzeitig ein Beitrag zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele geleistet wird.

4.6.    Die Finanzierung von Kleinst- sowie kleinen und mittleren Unternehmen

4.6.1.

Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen, die ein großes Potenzial für Wachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze bieten, haben Schwierigkeiten beim Zugang zu Finanzmitteln. Dieses Problem ist besonders in den am wenigsten entwickelten Ländern akut, und deshalb ist es notwendig, hier nach Instrumenten zu suchen, um den Zugang von Kleinstunternehmen und KMU zu Finanzmitteln zu erleichtern. Dabei müssen die unterschiedlichen Unternehmensformen in den Entwicklungsländern berücksichtigt werden, in denen Kleinstunternehmen, Einzelhändler und kleine landwirtschaftliche Familienbetriebe überwiegen.

4.6.2.

Es gibt zahlreiche unterschiedliche Mikrofinanzierungsprogramme für kleine und mittlere Unternehmen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Systeme, die Anwendungen für Mobiltelefone verwenden, am wirksamsten sind. Er begrüßt des Weiteren Mikrokredite zur Finanzierung von Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien und befürwortet die Initiativen zur Vergabe zinsloser Mikrokredite. Wo Kredite für kleine und mittlere Unternehmen (10  000 bis 2 00  000 USD) fehlen, könnten Kapital-Leasing und weitere Instrumente eingesetzt werden. Dazu muss die Entwicklung des Finanzmarktes und der örtlichen Banken einschließlich der lokalen Niederlassungen unterstützt werden.

4.6.3.

Die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen seitens der Industrieländer sollte unter anderem auch durch die Weitergabe von Erfahrungen, Managementwissen und technischem Wissen, durch Schulungen im Bereich des Finanzmanagements und der Finanzkompetenzen sowie durch die Förderung ihrer Einbeziehung in die Wertschöpfungs- und Lieferketten erfolgen. Die EU sollte empfehlen, die Grundsätze ihrer Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug zur Verbesserung der Finanzlage kleiner und mittlerer Unternehmen einzuhalten.

4.6.4.

Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen, die in der Landwirtschaft tätig sind, müssen vor den Investitionspraktiken mit dem Ziel der Landnahme („land grabbing“) geschützt werden, die letztlich den Untergang dieser Unternehmen zur Folge haben. Die Schaffung von Instrumenten, die sie vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen, wäre für sie ebenfalls von Vorteil. Auch die Unterstützung der sozialwirtschaftlichen Unternehmen sollte in den Entwicklungsplänen nicht vergessen werden, denn diese können eine bedeutende Rolle bei der Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele spielen.

4.6.5.

Wichtig für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ist die Sicherstellung des Zugangs der breitesten Schichten der Bevölkerung in den Entwicklungsländern zu Finanzinstrumenten, beispielsweise zu einem Girokonto oder Finanzanwendungen für Mobiltelefone.

4.7.    Einbindung der Zivilgesellschaft in die Entwicklungshilfe

4.7.1.

Die Zivilgesellschaft in den Industrieländern einschließlich der Sozialpartner und NRO ist unmittelbar an der Entwicklungszusammenarbeit beteiligt und sorgt maßgeblich dafür, dass diese Hilfe gezielt ausgerichtet und ihre Wirkung überwacht wird (24).

4.7.2.

Die Einrichtung oder Verbesserung eines Systems zur Kontrolle der Verfahren und Ergebnisse im Rahmen der Entwicklungshilfe in den einzelnen Ländern mit direkter Beteiligung einschlägiger Organisationen der Zivilgesellschaft muss systematisch gefördert werden, denn dieses System trägt dazu bei, die Hindernisse bei der Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele zu identifizieren und zu beseitigen. Der EWSA verfügt in diesem Bereich über langjährige Erfahrungen aus der Tätigkeit gemeinsamer Ausschüsse, Plattformen und Beratungsorgane wie etwa dem Begleitausschuss AKP/EU, den Treffen der Zivilgesellschaft EU-Lateinamerika-Karibik usw.

4.7.3.

Die Sozialpartner leisten ebenfalls unmittelbar Entwicklungshilfe. Die Gewerkschaften der Industriestaaten führen Entwicklungsprojekte im sozialen Bereich durch und unterstützen den institutionellen Aufbau gewerkschaftlicher Partnerorganisationen. Arbeitgeberverbände, Handelskammern, Verbände kleiner und mittlerer Unternehmen sowie Branchenverbände führen gemeinsame Projekte mit ihren Partnern unter den Unternehmensverbänden in den Entwicklungsländern durch und teilen so ihre Erfahrungen mit ihnen.

4.7.4.

Eine unverzichtbare Rolle in der Entwicklungshilfe spielen die NRO — sowohl in den Industriestaaten als auch in den Entwicklungsländern. Sie sind insbesondere in der Bewältigung der Folgen humanitärer Krisen und Naturkatastrophen sowie auf sozialem Gebiet tätig — im Gesundheitswesen, in Fragen der Geschlechtergleichstellung, in der Bildung usw. Sie mobilisieren ferner Ressourcen der breiten Öffentlichkeit, organisieren Sammlungen, Informationsveranstaltungen usw. Ein interessantes Beispiel ist auch die Finanzierung einer Art von Fernunterricht, die dazu beiträgt, zwischenmenschliche Beziehungen zwischen den Bürgern aufzubauen.

4.7.5.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die auf die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele ausgerichteten Tätigkeiten der zivilgesellschaftlichen Organisationen in der EU durch entsprechende Finanzierungsprogramme für den Aufbau der Institutionen der Zivilgesellschaft in den Partnerländern zu unterstützen. Der EWSA erarbeitet zurzeit einen Informationsbericht, in dem Modelle für eine wirksame Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Umsetzung und Überwachung der Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 empfohlen werden und der die vorliegende Stellungnahme ergänzt.

Brüssel, den 2. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Gipfel der Vereinten Nationen im September in New York.

(2)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Ein menschenwürdiges Leben für alle: Beseitigung der Armut und Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft für die Welt (ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 144).

(3)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union ( ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 28).

(4)  Stellungnahme des EWSA zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Sozialschutz in der Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union (ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 82).

(5)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Einbeziehung der Privatwirtschaft in den Entwicklungsrahmen für die Zeit nach 2015 (ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 1).

(6)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Die Rolle der nachhaltigen Entwicklung und der Beteiligung der Zivilgesellschaft in eigenständigen Investitionsabkommen der EU mit Drittstaaten (ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 19).

(7)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Handel, Wachstum und Entwicklung — Eine maßgeschneiderte Handels- und Investitionspolitik für die bedürftigsten Länder (ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 77).

(8)  Stellungnahme REX/438 zum Thema Die Post-2015-Ziele im Europa-Mittelmeer-Raum, Ziffer 6.4 (siehe Seite 47 dieses Amtsblatts).

(9)  Das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979, das Übereinkommen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, das Übereinkommen über die menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte C189, das Übereinkommen über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft C184, der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und das dazugehörige Fakultativprotokoll u. a.

(10)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Globale Partnerschaft für Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung nach 2015, COM(2015) 44 final, 5. Februar 2015.

(11)  The Global Development Financing Landscape — Who can contribute what?, James Zhan, Direktor der Abteilung Unternehmen und Investitionen, World Investment Report, UNCTAD, vorgestellt bei einer öffentlichen Anhörung im Europäischen Parlament am 24. Februar 2015.

(12)  Die Höhe der Aktiva wird wie folgt beziffert: Banken — 121 Billionen USD, Pensionsfonds — 34 Billionen, Versicherungen — 28 Billionen, multinationale Unternehmen — 25 Billionen und staatliche Investmentfonds — 6,5 Billionen.

(13)  Beispielsweise Handel, Landwirtschaft, Schaffung von Arbeitsplätzen, Sozialschutz, Klimaschutz, Energie, Schutz der Umwelt und der biologischen Vielfalt, Verkehr, Gesundheit, Produkt- und Verbraucherpolitik, Regional- und Stadtentwicklung, Migration sowie Bekämpfung von Korruption und Geldwäsche.

(14)  TOSSD — Total official support for Sustainable Development.

(15)  http://www.oecd.org/corporate/mne/48004323.pdf

(16)  https://eiti.org/

(17)  http://www.oecd.org/governance/budgeting/PPP-Recommendation.pdf

(18)  http://www.eurodad.org/Entries/view/1546315/2014/12/15/The-State-of-Finance-for-Developing-Countries-2014

(19)  InfoDev, Crowdfunding’s Potential for the Developing World, 2013, infoDev, Weltbank — Abteilung Finanzen und Entwicklung des Privatsektors.

(20)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Freisetzung des Potenzials von Crowdfunding in der Europäischen Union, Brüssel (ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 69).

(21)  Die jährliche Zuweisung von Mitteln für ODA schließt diese Optionen gänzlich aus.

(22)  Die von der Regierung gegründete belgische Investitionsgesellschaft für Entwicklungsländer (BIO) zur Unterstützung der Wirtschaft in afrikanischen Ländern hat einen Teil ihrer Finanzen für die Kreditvergabe an Unternehmer in andere Investmentfonds übertragen, und nach und nach zog sie bedarfsorientiert diese Mittel wieder zurück.

(23)  http://www.leadinggroup.org/rubrique69.html

(24)  Development Policy Forum (www.friendsofeurope.org/policy-area/global-europe/), Policy Forum on Development (www.uclg.org).


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bewertung der Konsultation der Interessenträger durch die Europäische Kommission“

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 383/09)

Berichterstatter:

Ronny LANNOO

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 20. Januar 2015, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Bewertung der Konsultation der Interessenträger durch die Europäische Kommission.

Der mit den Vorarbeiten beauftragte Unterausschuss „Bewertung der Konsultation der Interessenträger durch die Europäische Kommission“ nahm seine Stellungnahme am 9. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 2. Juli) mit 179 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

Einleitende Bemerkungen

In dieser Initiativstellungnahme sollen die bestehenden Vorgehensweisen bei der Konsultation der Interessenträger durch die Europäische Kommission gemäß Artikel 11 Absatz 3 des Vertrags analysiert werden. Auf der Grundlage dieser Analyse sollen konstruktive und realistische Vorschläge formuliert werden, wie der Konsultationsprozess im Interesse aller Parteien strukturell verbessert und weiterverfolgt werden kann.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

In dieser Stellungnahme formuliert der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) Empfehlungen zu der in den Verträgen vorgesehenen Konsultation der Interessenträger, um die Qualität dieser Konsultationen zu erhöhen und die Kluft zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der EU zu schließen. Diesem Anliegen diente auch die von der Europäischen Kommission durchgeführte umfassende Konsultation der Interessenträger über die Konsultationsverfahren, die sich im Paket „Bessere Rechtsetzung“ von Vizepräsident Timmermans niedergeschlagen hat. Der EWSA wird später auf Ersuchen der Kommission eine Stellungnahme zu dem Paket „Bessere Rechtsetzung“ insgesamt abgeben.

1.2.

Der EWSA ist besorgt über die Art und Weise, wie die Konsultationen der Interessenträger derzeit eingeleitet werden, und somit auch über die Qualität der Ergebnisse dieser Konsultationen. Daher fordert der EWSA absehbare und repräsentative Konsultationen mit einem Mehrwert für die betroffenen Organisationen und Interessengruppen.

1.3.

Aufgrund einer stichprobenartigen Untersuchung der in der ersten Hälfte des Jahres 2014 durchgeführten Konsultationen kommt der EWSA zu dem Schluss, dass der qualitative Ansatz je nach der betroffenen Generaldirektion unterschiedlich ausfällt und dass ausreichender Rücklauf und damit die Repräsentativität fehlen, die Sprache und Terminologie nicht an die Zielgruppen angepasst sind und über die Ergebnisse und Folgemaßnahmen nicht berichtet wird. Daher kann insgesamt der Schluss gezogen werden, dass die geltenden Leitlinien unzureichend umgesetzt werden.

1.4.

Der EWSA ist sich bewusst, dass es schwierig ist, die Bürgerinnen und Bürger und die Organisationen in den EU-Mitgliedstaaten in ihrer Vielfalt in geeigneter Weise zu konsultieren, daher unterbreitet der EWSA nachstehend eine Reihe struktureller, konkreter und realistischer Vorschläge und fordert die Europäische Kommission zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bei der weiteren Ausgestaltung und Umsetzung der neuen Maßnahmen auf.

1.5.

Der EWSA ersucht die Kommission, ihren Generaldirektionen die bestehenden Leitlinien und Qualitätsstandards für die Anhörung der Interessenträger verbindlich vorzuschreiben. Um die Anwendung dieser Leitlinien zu gewährleisten, schlägt der EWSA die Bildung einer Koordinierungsstelle im Generalsekretariat vor, die die Generaldirektionen bei der Konsultation der Interessenträger unterstützen kann.

1.6.

Durch einen stärker strategisch angelegten Konsultationsprozess, von der Vorbereitung bis zur Evaluierung, mit einer strukturierten Einbeziehung der bestehenden einschlägigen Strukturen (repräsentative Organisationen der Zielgruppen und Beratungs- und Konzertierungsgremien) sollten eine höhere Qualität und Menge der Antworten garantiert werden können. Eine klare Planung der Konsultationen und die Bekanntgabe ihrer Zielsetzungen würde den Interessenträgern die Teilnahme an einer konkreten Konsultation erleichtern.

1.7.

Der EWSA weist darauf hin, dass die korrekte Kartierung der Interessenträger von entscheidender Bedeutung ist für eine hohe Qualität des Anhörungsverfahrens. Der EWSA empfiehlt der Kommission, dazu bereits existierende Gremien zu nutzen, wie den EWSA und die repräsentativen Verbände, und sich auf das Transparenzregister zu stützen. Daher ist die Schaffung neuer Strukturen nicht erforderlich.

1.8.

Die für die Konsultation der Interessengruppen eingesetzten Methoden und Instrumente müssen nach Ansicht des EWSA erneut gestrafft werden. Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten der Konsultation: schriftlich/online oder mündlich/interaktiv. In Abhängigkeit von dem Zweck, der Zielgruppe usw. müssen — im Rahmen des allgemeinen strategischen Konzepts des Konsultationsverfahrens — geeignete Methoden und Instrumente gewählt werden. Darüber hinaus ist es angezeigt, auf effiziente Weise neue Technologien einzuführen, vor allem, um bestimmte Zielgruppen wie junge Menschen besser zu erreichen.

1.9.

Bei diesem Konzept ist zu unterscheiden zwischen der Konsultation der Organisationen der Zivilgesellschaft und der breiten Öffentlichkeit. Die beiden Konsultationen unterscheiden sich jedoch nicht nur in ihrer Art und Weise, sondern auch in Bezug auf das angestrebte Ziel, denn für die Erstere geht es um die Sicherstellung der Repräsentativität, während es für Letztere um die Förderung der Inklusion und Teilhabe geht.

1.10.

Wird ein schriftlicher Fragebogen gewählt, sollte er in allen Amtssprachen der EU bereitgestellt werden. Darüber hinaus spricht sich der EWSA dafür aus, den Fragebogen vorher den Verbänden zu übermitteln, die die betreffenden Zielgruppen vertreten, um zu vermeiden, dass Fachjargon den Fragebogen für die Zielgruppe schwer verständlich macht.

1.11.

Der EWSA fordert, dass bei der Verwertung der Ergebnisse eine quantitative und qualitative Gewichtung vorgesehen wird, je nachdem, ob eine Reaktion von einer Einzelperson oder einer repräsentativen Organisation der Zivilgesellschaft stammt. Die Rückmeldungen aus einer Organisation sollten ein höheres Gewicht erhalten.

1.12.

Im Hinblick auf eine stärkere Beteiligung an den Konsultationen fordert der EWSA, dass für jede Konsultation ein zusammenfassender Bericht mit den eingegangenen Antworten erstellt und darin zudem aufgezeigt wird, warum bestimmte Antworten bei der weiteren Ausgestaltung des Vorschlags sehr wohl, andere aber nicht berücksichtigt werden.

1.13.

Angesichts seiner in den Verträgen verankerten Rolle schlägt der EWSA vor, als Mittler zu fungieren, um sicherzustellen, dass die Anhörungen der Interessenträger erfolgreich durchgeführt werden. Er kann mitwirken und einen Beitrag zu allen wichtigen Phasen des Prozesses leisten (Ermittlung der Interessenträger, Ausarbeitung der Fragebögen, Zusammenfassung und Weiterverfolgung der Ergebnisse). Im Sinne einer Strukturierung, Stabilität und Repräsentativität des Verfahrens kann der EWSA, wie bereits in der Vergangenheit, Anhörungen und Konferenzen veranstalten sowie Plattformen und Foren für den Dialog einrichten.

1.14.

Im Rahmen der Konsultation der Interessenträger sollte die Europäische Kommission das Potenzial einer verstärkten Zusammenarbeit mit dem EWSA noch umfangreicher nutzen, wie dies in dem am 22. Februar 2012 vom EWSA und der Kommission unterzeichneten Protokoll über die Zusammenarbeit empfohlen wird (1). Dadurch könnten im Bemühen um eine Optimierung der Ressourcen und im Sinne einer interinstitutionellen Zusammenarbeit sowohl die Fähigkeiten und Fachkenntnisse der Interessenträger als auch ihr Sachverstand, ihre Erfahrungen und ihre Sachkenntnis in der konkreten Durchführung von Konsultationen optimal genutzt werden.

1.15.

Für die interaktiven Debatten kann der EWSA in Zusammenarbeit mit der Kommission der Veranstalter sein — so wie er regelmäßig Plattformen im Rahmen des strukturierten Dialogs ausrichtet (z. B. über die Migration, den Verbrauch usw.).

1.16.

Schließlich spricht sich der EWSA für eine kontinuierliche Informationskampagne über den Konsultationsprozess und die Konsultationen aus. Der EWSA möchte sich hieran mit den von ihm vertretenen Organisationen aktiv beteiligen.

1.17.

Im Übrigen fördert der EWSA den strukturierten Dialog mit der Zivilgesellschaft als grundlegendes Instrument der partizipativen Demokratie und schlägt der Kommission vor, die Plattformen des strukturierten Dialogs verstärkt in Anspruch zu nehmen. Dadurch könnten die beteiligten Akteure fortlaufend an allen Phasen des politischen Prozesses mitwirken, was sich wiederum positiv auf den Kosten- und Zeitaufwand auswirken würde.

2.   Aktueller Stand bei der Konsultation der Interessenträger

2.1.    Geltende Bestimmungen

2.1.1.

In Artikel 11 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union heißt es: „Um die Kohärenz und Transparenz des Handelns der Union zu gewährleisten, führt die Europäische Kommission umfangreiche Anhörungen der Betroffenen durch.“

Der Zweck dieser Konsultationen ist, die aktive Beteiligung der Akteure der Zivilgesellschaft und der Bürgerinnen und Bürger bei den Bemühungen um die Wahrung des europäischen Gemeinwohls in der Politikgestaltung sicherzustellen, um so deren Zweckdienlichkeit für die Demokratie und eine möglichst breite Unterstützung durch die Öffentlichkeit zu gewährleisten.

2.1.2.

Eine Anhörung („Konsultation“) ist ein Prozess, bei dem die Kommission die Stellungnahmen und Standpunkte der Bürgerinnen und Bürger und der Interessenträger einholt. Dieser ergänzende Prozess erfolgt unbeschadet des strukturierten zivilen Dialogs (Artikel 11 Absatz 2 AEUV) und der in bestimmten Rahmen stattfindenden Konsultationen, wie die Anhörung der Sozialpartner im Rahmen des sozialen Dialogs (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Artikel 154 AEUV) und die Anhörung beratender Einrichtungen wie des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (Artikel 304 AEUV) (2), die er auf keinen Fall ersetzen kann.

2.1.3.

Die Sozialpartner, sprich Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, beteiligen sich zusätzlich zu den Konsultationen im Rahmen des Artikels 154 AEUV im vollen Umfang an den in den Ziffern 2.1.1 und 2.1.2 genannten Konsultationen, u. a. in den Bereichen Verbraucherrecht, Umweltrecht, Handelspolitik usw.

Die Verträge weisen dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss eine beratende Funktion gegenüber dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission zu. Im Übrigen sind in dem Protokoll über die Zusammenarbeit (3) die konkreten Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen dem EWSA und der Kommission beschrieben.

2.2.    Leitlinien für die Konsultation der Interessenträger

2.2.1.

Die Europäische Kommission hatte im Jahr 2002 für die Konsultation der Interessenträger zu allen Legislativvorschlägen und sonstigen Vorschlägen Mindestqualitätsstandards (4) aufgestellt. Im Rahmen von REFIT hatte die Kommission im Übrigen angekündigt, dass im Zusammenhang mit Evaluierungen, Eignungstests sowie bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte und von Umsetzungsmaßnahmen Konsultationen stattfinden werden (5).

2.2.2.

Die europäische Kommission hat in ihren Leitlinien von 2002 für ihre Generaldirektionen zur Durchführung von Konsultationen u. a. die Veröffentlichung von Erläuterungen zu Gegenstand, Inhalt und Ziel der Konsultation vorgesehen. Ferner ist nach Ablauf der Antwortfrist bekannt zu geben, wie viele Antworten von welcher Art von Befragten eingegangen sind; zudem wird eine inhaltliche Zusammenfassung der Ergebnisse verlangt.

2.2.3.

In Bezug auf die Mehrsprachigkeit gibt es bislang keine förmliche Regelung.

2.2.4.

Die Leitlinien von 2002 mit Mindeststandards für die Konsultation von Interessenträgern enthalten zehn Schritte im Konsultationsprozess, unterteilt in drei Phasen: Festlegung der Strategie (6), Konsultation (7), Ergebnisanalyse (8).

2.2.5.

Die Europäische Kommission hatte je nach den angestrebten Zielen und Zielgruppen zwölf verschiedene Methoden für ihre Konsultationen vorgesehen. Und zwar: öffentliche offene Online-Konsultation; Studien; Eurobarometer; Konferenzen; Sitzungen, Workshops und Seminare mit unmittelbar Betroffenen; Fokusgruppen; persönliche Gespräche; Expertengruppen der Europäischen Kommission; KMU-Panels; Konsultation lokaler und regionaler Gebietskörperschaften; Fragebögen; Online-Diskussionsforen.

2.3.    Anwendung der Leitlinien in der Praxis

2.3.1.

Trotz dieser Leitlinien und einer Vielzahl möglicher Instrumente hegen zahlreiche Akteure Zweifel an der Wirksamkeit des derzeitigen Konsultationssystems. Spezifische Hindernisse sind unter anderem die Schwierigkeit, Kenntnis von einer laufenden Konsultation (sie muss auf den angegebenen EU-Internetportalen schnell auffindbar und bekannt gemacht worden sein) zu erlangen, die Sprache und Terminologie, Informationen über die Ergebnisse und schließlich auch die Folgemaßnahmen.

2.3.2.

Darüber hinaus variieren die Qualität und das Konzept der Konsultationen erheblich je nach der zuständigen GD, es mangelt an Koordinierung, und es fehlt eine einheitliche Methodik.

2.3.3.

Der EWSA hat stichprobenartig die Anwendung der Leitlinien auf die ersten 25 im Jahr 2014 durchgeführten Konsultationen geprüft. Auf der Grundlage der Stichprobe können folgende Feststellungen getroffen werden:

Die Teilnahme an Online-Konsultationen ist sehr uneinheitlich (9).

Gehen wenige Antworten ein, ist die Repräsentativität de facto gering, sowohl geografisch als auch bezüglich der Art der Befragten. Bei einer höheren Rücklaufquote ist die geografische Repräsentativität offenbar besser, aber die Qualität der Antworten ist häufig nach wie vor sehr unausgewogen. Allerdings ist ein eindeutiger Trend zu einem Vorherrschen der Antworten aus den großen Mitgliedstaaten zu beobachten. Die Antworten der in Brüssel ansässigen Organisationen werden im Übrigen als Beiträge aus Belgien angesehen, während es sich in vielen Fällen um europäische Dachverbände bzw. Organisationen handelt, die in keinerlei Verbindung mit Belgien als Mitgliedstaat stehen;

In Bezug auf Transparenz und Rückmeldungen über die Ergebnisse wird aus der Stichprobe von 25 Konsultationen ersichtlich, dass bei lediglich sechs dieser Konsultationen eine Zusammenfassung der Ergebnisse veröffentlicht wurde — das ist weniger als ein Viertel. Bei weniger als der Hälfte der Konsultationen werden die Reaktionen auch tatsächlich veröffentlicht. Weitere Informationen über die Weiterverfolgung der Dossiers sind nirgendwo verfügbar.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es allgemein an Repräsentativität, Qualität und Informationen über die Ergebnisse und die Weiterverfolgung mangelt.

3.   Die amtierende Kommission: neue Arbeitsmethoden und Ausblick

3.1.

In den politischen Leitlinien der neuen Europäischen Kommission ist die Forderung nach mehr Demokratie in der Europäischen Union eine der zehn Prioritäten. Das Ziel der Schaffung eines verbindlichen Registers für alle Organisationen und Personen, die bei der Europäischen Kommission und beim Europäischen Parlament Lobbyarbeit betreiben, ist dabei einer der Handlungsschwerpunkte.

3.2.

Die Kommission hat am 19. Mai 2015 ein Paket mit Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung, das Paket „Bessere Rechtsetzung“ (10), veröffentlicht, zu dem sich der EWSA auf Ersuchen der Kommission äußern wird. Die geplanten Maßnahmen sind vier Schwerpunktbereichen zugeordnet: Konzept der Transparenz und Konsultation, ständige Überprüfung der geltenden Rechtsvorschriften, bessere Folgenabschätzungen und Qualitätskontrolle sowie eine neue interinstitutionelle Vereinbarung.

3.3.

In diesem Zusammenhang sollen auch überarbeitete Leitlinien für die Konsultation von Interessenträgern vorgeschlagen werden. In Vorbereitung auf diese Konsultation (11) wurde eine Konsultation zu den „Leitlinien der Kommission für Konsultationen der Interessenträger“ durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Konsultation (12) sind in die vorliegende Stellungnahme eingeflossen.

4.   Konsultationen mit größerer Wirksamkeit: Empfehlungen

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Konsultationen eines der Mittel zur Überbrückung der Kluft zwischen den Bürgerinnen und Bürgern der EU sein können, sofern die Verfahren strukturiert und kontinuierlich sind und eine angemessene Repräsentativität der Akteure gewährleisten. Nur so werden die Konsultationen zur wirksamen Einbindung der Bürger und der Zivilgesellschaft in das Projekt Europa beitragen.

Der EWSA hat dazu bereits konkrete Vorschläge gemacht, unter anderem in den Stellungnahmen zur Konsultation im Rahmen des Programms „Bessere Rechtssetzung“, zum Artikel 11 AEUV und zum Programm REFIT (13).

4.1.    Wesentliche Elemente der Konsultation

4.1.1.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die bestehenden internen Leitlinien ihren Generaldirektionen verbindlich vorzuschreiben und bei Verstößen Sanktionen zu verhängen (etwa, wenn die Antworten oder ein Folgenabschätzungsbericht nicht transparent sind), so wie auch eine mangelhafte Qualität der Folgenabschätzungen durch den „Ausschuss für Folgenabschätzung“ geahndet wird.

4.1.2.

Aus diesem Grund empfiehlt der EWSA die Bildung einer Koordinierungsstelle im Generalsekretariat der Kommission unter der unmittelbaren Aufsicht des zuständigen Vizepräsidenten der Kommission. Diese Stelle hätte gleichermaßen Unterstützungsfunktion gegenüber allen Generaldirektionen für das allgemeine Konzept und die Strategie für die Konsultationen, die Ausarbeitung und Umsetzung der Qualitätsanforderungen und -verfahren, die Überwachung der Qualität, Informationen und die Folgemaßnahmen.

4.1.3.

Die Koordinierungsstelle sollte von einer Sachverständigengruppe unterstützt werden, die jeweils um Vertreter der Zielgruppen zu ergänzen ist, an die sich die betreffende Umfrage richtet. Der EWSA fordert die Kommission auf, dabei den Sachverstand der Mitglieder des EWSA zu nutzen, insbesondere bei der Auswahl der Zielgruppen, der Validierung der Fragebögen, der Zusammenfassung und der Weiterverfolgung der Ergebnisse.

4.1.4.

Ein systematischeres Konzept für Konsultationen mit klarem Zeitplan und vorheriger Ankündigung soll es den Interessenträgern erleichtern, ihre Teilnahme vorzubereiten. In diesem Zusammenhang bedarf es unbedingt eines vorläufigen Zeitplans für die Konsultationen, der zuverlässig ist und regelmäßig aktualisiert wird. Generell schlägt der EWSA der Kommission vor, die Konsultationen insbesondere auf institutioneller und repräsentativer Grundlage besser zu strukturieren und dazu die Ressourcen der beratenden Einrichtungen bzw. entsprechender Gremien in den Mitgliedstaaten, den Regionen sowie auf kommunaler Ebene zu nutzen.

4.1.5.

Der EWSA fordert von der Kommission, jährlich eine Bewertung ihres Konsultationskonzepts und die erzielten Ergebnisse zu veröffentlichen.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, als Orientierungshilfe ein Register der bewährten Praktiken in den Mitgliedstaaten anzulegen. Hierfür können einschlägigen Studien der OECD äußerst nützlich sein (14). Zudem empfiehlt der Ausschuss, alle sonstigen Formen des Engagements und der Einbeziehung von Interessenträgern zu fördern. Der „Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess“ des Europarates kann als gutes Beispiel dienen (15).

4.2.    Kartierung der Interessenträger

4.2.1.

Die richtige Zielgruppenwahl für eine bestimmte Konsultation ist von grundlegender Bedeutung, um die notwendigen Informationen zu erhalten. Dazu braucht es professionelle Instrumente mit nachgewiesener Zuverlässigkeit. Ferner bedarf es einer wirksamen Zusammenarbeit mit bestehenden Strukturen, dem EWSA und den repräsentativen und legitimen Organisationen der Zivilgesellschaft. Der EWSA kann im Rahmen seiner Zuständigkeiten und in enger Zusammenarbeit mit allen einschlägigen Organisationen und mit der Kommission seinen Beitrag zur Identifizierung der repräsentativen Organisationen innerhalb der Zielgruppen leisten.

4.2.2.

Die Arbeiten des EWSA (16) zur Definition von Repräsentativitätskriterien für die Organisationen der organisierten Zivilgesellschaft könnten bei der vorstehend genannten Kartierung der repräsentativen Organisationen als Referenz genutzt werden. Der EWSA möchte die Resonanz der Tätigkeit dieser Organisationen und die Zusammenarbeit mit ihnen im Rahmen der Konsultationen noch verstärken.

4.2.3.

Dabei muss systematisch auf die richtige geografische und zielgruppenmäßige Streuung geachtet werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass unterrepräsentierte Gruppen bzw. Gruppen mit weniger Ressourcen in der „Kartierung der Interessenträger“ ganz besondere Aufmerksamkeit erhalten.

4.2.4.

Der EWSA unterstreicht die Wichtigkeit der Einführung eines Mechanismus zur begründeten Gewichtung bei der Analyse der Antworten auf die Konsultationen, damit den repräsentativen und unmittelbar betroffenen Organisationen Vorrang eingeräumt wird.

4.2.5.

Für eine höhere Beteiligung der Interessenträger an den Konsultationen kommt es vor allem auf den Inhalt der Rückmeldungen nach der Konsultation an. Die Interessenträger müssen ein Ergebnis ihres Engagements sehen und folglich einen Einfluss auf den Inhalt der Vorschläge für Maßnahmen verspüren bzw. eine Begründung erhalten, warum bestimmte Elemente nicht berücksichtigt wurden.

4.3.    Methodik und Instrumente

4.3.1.

Der EWSA kann als ein „Netz der Netze“ fungieren, um schriftliche (Online-)Konsultationen an verschiedene Interessenträger weiterzuleiten (wie es auch der Ausschuss der Regionen in Bezug auf die lokalen Behörden praktiziert). Im Falle der interaktiven Debatten kann der EWSA gestützt auf seine Kontakte und sein einschlägiges Fachwissen als Veranstalter auftreten.

4.3.2.

Der Fragebogen für die (Online-)Konsultation sollte den zivilgesellschaftlichen Organisationen der betreffenden Zielgruppen und in der Sprache der jeweils anzusprechenden Zielgruppe zur Einreichung ihrer Bemerkungen vorgelegt werden. Ferner empfiehlt es sich, den Fragebogen vorher an einer Testgruppe von Interessenträgern zu erproben. Zu diesem Zweck könnten eine vorherige Kartierung der betroffenen Akteure sowie das Transparenzregister als Instrumente eingesetzt werden, um diese Organisationen gezielt anzusprechen (siehe 4.2). Dabei kann der EWSA eine unterstützende Rolle spielen.

4.4.    Bestimmung von Zeitplan und Dauer

4.4.1.

In den Leitlinien ist vorgesehen, dass für eine Online-Konsultation mindestens zwölf Wochen anzusetzen und für die interaktive Sitzung 20 Arbeitstage vorzusehen sind. Der EWSA empfiehlt, keine Anhörung während der Sommerferienzeit einzuleiten. Zudem muss ein vorläufiger Zeitplan (siehe Ziffer 4.1.4) bestmöglich eingehalten werden.

Damit die Interessenträger sich auf die Teilnahme an Konsultationen vorbereiten können, sollten sie nach Ansicht des EWSA genügend Informationen über die gesamte Vorbereitungsphase und die Planung der (verschiedenen) Konsultationen erhalten. Alle zielführenden Mittel für eine Förderung der Beteiligung der Interessenträger müssen zum Einsatz kommen.

4.5.    Bekanntmachung der Konsultation: Zugänglichkeit und Sichtbarkeit

4.5.1.

Der EWSA fordert die Kommission auf, auch im Zusammenwirken mit ihren Vertretungen in den Mitgliedstaaten eine wirksame und kontinuierliche Informationskampagne aufzulegen, um die Konsultationen bekannt zu machen und die betroffenen Interessenträger für eine Teilnahme zu gewinnen. In diesem Zusammenhang kann der EWSA gewiss auch eine Rolle übernehmen und seine Mitglieder auffordern, innerhalb ihres Netzes Informationen zu verbreiten.

4.5.2.

Jede Konsultation wird in geeigneter Weise, deutlich und rechtzeitig über die Medieninstrumente der Kommission, der Mitgliedstaaten und den betreffenden Organisationen der Zivilgesellschaft angekündigt. Für diesen globalen Ansatz müssen auch die Vertretungen der Kommission in den Mitgliedstaaten eingesetzt werden.

4.6.    Ergebnisanalyse

4.6.1.

Nach Ansicht des EWSA ist es wichtig, dass die Kommission die im Rahmen der Konsultationen formulierten Standpunkte berücksichtigt und auch begründet, in welcher Form sie die Standpunkte berücksichtigt hat.

4.6.2.

Bei der begründeten Gewichtung im Rahmen der Verwertung der Ergebnisse (siehe Ziffer 4.2.3) müssen die Akteure der Zivilgesellschaft verhältnismäßig am stärksten zur Geltung kommen.

4.7.    Berichterstattung und Rückmeldung

4.7.1.

Der EWSA unterstützt die Veröffentlichung eines zusammenfassenden Berichts in Verbindung mit einer Übersicht über alle eingegangenen Antworten. Dies kommt der Transparenz zugute.

4.7.2.

Darüber hinaus plädiert der EWSA dafür, den Befragten Informationen über das weitere Prozedere zu geben, wie etwa über Änderungen an dem Vorschlag und über die nächsten Schritte im Entscheidungsprozess.

5.   Die Rolle des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

5.1.    Im Rahmen der Konsultation

5.1.1.

Mit Blick auf eine Optimierung der Ressourcen und im Sinne einer interinstitutionellen Zusammenarbeit könnte der EWSA sowohl seine Kenntnis der in den verschiedenen Politikbereichen der EU aktiven Interessenträger in den Dienst des Entscheidungsprozesses stellen, als auch seine Erfahrungen und Sachkenntnis in der konkreten Durchführung von Konsultationen einbringen.

5.1.2.

Der EWSA würde gern je nach seinen Prioritäten und in Zusammenarbeit mit der Kommission bestimmte Konsultationen verfolgen und bewerten, eine Stellungnahme dazu erarbeiten und gegebenenfalls eine öffentliche Anhörung organisieren.

5.1.3.

Der Ausschuss möchte in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Organisationen seinen Beitrag leisten und seinen Sachverstand der Kommission für die wichtigsten Etappen des Konsultationsprozesses zur Verfügung stellen, insbesondere für die Auswahl der Zielgruppe, den Fragebogen, die Zusammenfassung und die Weiterverfolgung.

5.1.4.

Der EWSA kann zudem als ein „Netz der Netze“ und Vermittler fungieren, um schriftliche (Online-)Konsultationen an verschiedene Interessenträger weiterzuleiten (wie es auch der Ausschuss der Regionen in Bezug auf die lokalen Behörden praktiziert).

5.1.5.

Für die interaktiven Debatten kann der EWSA in Zusammenarbeit mit der Kommission der Veranstalter sein — so wie er regelmäßig Plattformen im Rahmen des strukturierten Dialogs ausrichtet (z. B. über die Migration, den Verbrauch usw.).

5.1.6.

Im Rahmen einer wirksamen und kontinuierlichen Informationskampagne kann der EWSA über seine Mitglieder in der Form beitragen, dass sie innerhalb ihrer Netze entsprechende Informationen verbreiten.

5.2.    Im Rahmen des Protokolls über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und dem EWSA

5.2.1.

Der EWSA kann in verschiedenen Phasen der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Konsultationen als Informationskanal zwischen der Europäischen Kommission und der organisierten Zivilgesellschaft dienen.

5.2.2.

Für bestimmte Maßnahmen wie interaktive Sitzungen kann eine gemeinsame Aktion von Kommission und EWSA eingeleitet werden.

Brüssel, den 2. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.fr.eu-cooperation.22470

(2)  Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Der Wirtschafts- und Sozialausschuss wird vom Europäischen Parlament, vom Rat oder von der Kommission in den in den Verträgen vorgesehenen Fällen gehört. Er kann von diesen Organen in allen Fällen gehört werden, in denen diese es für zweckmäßig erachten. Er kann von sich aus eine Stellungnahme in den Fällen abgeben, in denen er dies für zweckmäßig erachtet.

Wenn das Europäische Parlament, der Rat oder die Kommission es für notwendig erachten, setzen sie dem Ausschuss für die Vorlage seiner Stellungnahme eine Frist; diese beträgt mindestens einen Monat, vom Eingang der Mitteilung beim Präsidenten des Ausschusses an gerechnet. Nach Ablauf der Frist kann das Fehlen einer Stellungnahme unberücksichtigt bleiben.

Die Stellungnahmen des Ausschusses sowie ein Bericht über die Beratungen werden dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission übermittelt.

(3)  http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.fr.eu-cooperation.22470

(4)  KOM(2002) 704, ergänzt und geändert durch COM(2012) 746 und SWD(2012) 422.

(5)  COM(2014) 368.

(6)  1. Formulierung des Ziels der Konsultation; 2. Identifizierung der Interessenträger; 3. Festlegung der Methodik und Instrumente; 4. Bestimmung von Zeitpunkt und Dauer.

(7)  1. Vorbereitung des Internetauftritts; 2. Bekanntmachung der Konsultation; 3. Bestätigung der eingegangenen Beiträge.

(8)  1. Ergebnisanalyse; 2. Berichterstattung und Rückmeldung; 3. Evaluierung der Konsultation.

(9)  Nur bei 13 der 25 Konsultationen wurde die Zahl der Teilnehmer angegeben. Die Teilnehmerzahl schwankt zwischen 14 und 1  114. Bei der Hälfte gibt es weniger als 100 Antworten.

(10)  http://ec.europa.eu/smart-regulation/index_en.htm

(11)  Konsultation zu den Leitlinien für Konsultationen der Interessenträger vom 30. Juni bis 30. September 2014: http://ec.europa.eu/smart-regulation/guidelines/consultation_2014/stakeholder-consultation/index_en.htm

(12)  http://ec.europa.eu/smart-regulation/impact/docs/contributions/summary_responses_stakeholder_consultation_guidelines_public_consultation_en.pdf

(13)  Stellungnahme des EWSA: „Bessere Rechtsetzung“, ABl. C 48 von 15.2.2011, S. 107.

Stellungnahme des EWSA: „Grundsätze, Verfahren und Maßnahmen zur Umsetzung von Artikel 11 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 2 des Vertrags von Lissabon“, ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 8.

Stellungnahme des EWSA: „Programm zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT): Bestandsaufnahme und Ausblick“, ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 66.

(14)  http://www.oecd.org/gov/regulatory-policy/governance-regulators.htm

(15)  http://www.coe.int/t/ngo/code_good_prac_fr.asp

(16)  Stellungnahme des EWSA, ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 41.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

509. Plenartagung des EWSA vom 1./2. Juli 2015

17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/64


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch: Schaffung einer Kapitalmarktunion

(COM(2015) 63 final)

(2015/C 383/10)

Berichterstatter:

Juan MENDOZA CASTRO

Mitberichterstatterin:

Milena ANGELOVA

Die Europäische Kommission beschloss am 9. März 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Grünbuch: Schaffung einer Kapitalmarktunion

(COM(2015) 63 final).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 18. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 1. Juli) mit 100 gegen 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Ausschuss unterstützt das Grünbuch zur Kapitalmarktunion, sieht den Kommissionsvorschlägen bezüglich der zur Erreichung der im Dokument dargelegten Ziele notwendigen Änderungen entgegen und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen auf einer ausgewogenen Berücksichtigung der von den Interessenträgern vorgebrachten Standpunkten beruhen werden.

1.2.

Ziel der Kommissionsinitiative sollte es sein, die Voraussetzungen für eine effiziente moderne Finanzdienstleistungsbranche mit angemessenen Vorschriften zu schaffen, die den Zugang von Unternehmen, die Investitionskapital benötigen — insbesondere KMU und wachstumsstarker Unternehmen —, zu Kapitalgebern gewährleisten.

1.3.

Der EWSA betrachtet die Kapitalmärkte als Liquiditätspool, aus dem Unternehmen Mittel aufnehmen und wo sie mit Finanzinstrumenten handeln können. Er befürwortet nachdrücklich das letztliche Ziel der Kapitalmarktunion, die derzeitige Fragmentierung der Märkte zu überwinden und dadurch die Notierung aller Unternehmensarten zu ermöglichen.

1.4.

Da die Kapitalmarktunion für Großunternehmen weitgehend Realität ist, betont der EWSA die Notwendigkeit von Maßnahmen, damit KMU ebenfalls davon profitieren können.

1.5.

Die Kapitalmarktunion sollte die langfristige Finanzierung der Wirtschaft verbessern, indem das Potenzial zur Förderung bewährter Verfahren der Unternehmensführung und der sozialen Verantwortung der Unternehmen genutzt wird. Dabei sollte es nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch um ökologische und soziale Ziele gehen.

1.6.

Die besonderen Bedürfnisse von KMU sollten bei allen künftigen Entscheidungen bezüglich der Kapitalmarktunion ausdrücklich berücksichtigt werden. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, in folgenden Bereichen rasch und entschlossen Maßnahmen zu ergreifen:

Entwicklung eines Sekundärmarktes;

Ausarbeitung eines vereinfachten einheitlichen Standards für qualitative und quantitative Anforderungen für die Börsennotierung von KMU auf den regulierten Märkten für Finanzinstrumente;

Einführung von Ratings gemäß einer transparenten und standardisierten Methodik;

Festlegung vereinfachter standardisierter Kriterien (Muster) für die Notierung auf regulierten Märkten sowie — zusätzlich zu den Finanzinformationen — eines detaillierten mittelfristigen Geschäftsplans für Investitionen und Unternehmensentwicklung;

Schaffung von mehr maßgeschneiderten Anlageprodukten, da diese den Bedürfnissen der Unternehmen besser entsprechen;

Aktualisierung und Zusammenfassung der Definitionen für Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen in den verschiedenen EU-Rechtsvorschriften, um der Vielfalt von KMU und den Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten besser Rechnung zu tragen;

Erarbeitung einer Definition für aufstrebende Wachstumsunternehmen und wachstumsstarke Unternehmen. Dabei solle den Bedürfnissen solcher Unternehmen auf den Kapitalmärkten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden;

Schaffung eines einheitlichen europäischen Modells für die Segmentierung der Wertpapierbörsen, das KMU auf der Grundlage ihres Emittententypus unterscheidet, oder Schaffung spezialisierter Segmente auf den entsprechenden regulierten Märkten der Mitgliedstaaten;

Stärkung der Verwaltungskapazität der nationalen Verbraucherschutzgremien und Finanzmarktregulierungsbehörden;

zumindest vergleichbare, wenn nicht bessere Bedingungen als auf den internationalen Märkten für die Anleger.

1.7.

Der EWSA stimmt dem im Grünbuch zum Ausdruck gebrachten Befund zu, dass nur ein sehr geringer Anteil der Ersparnisse privater Haushalte in produktivere Anlageformen als Staatsanleihen oder Bankeinlagen fließt, zumal in diesen Zeiten der für Sparer repressiven Finanzpolitik.

1.8.

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung des traditionellen Bankwesens für die Stabilität des Finanzsystems. Der EWSA weiß, wie wichtig die Vollendung der Europäischen Bankenunion ist.

1.9.

Nachhaltige und hochwertige Verbriefungen machen die Förderung grundlegender Strukturen mit kurzen Vermittlungsketten erforderlich.

1.10.

Nach Auffassung des EWSA bietet das Grünbuch einen umfassenden Überblick über den derzeitigen Stand der Kapitalmärkte in Europa sowie über die Maßnahmen, die zur Verwirklichung der Kapitalmarktunion notwendig sind.

2.   Wesentlicher Inhalt des Grünbuchs

2.1.

Verglichen mit anderen Regionen ist die kapitalmarktgestützte Finanzierung in Europa relativ schwach ausgeprägt. Die europäischen Märkte für Beteiligungskapital, Schuldverschreibungen und andere Instrumente tragen in geringerem Umfang zur Wachstumsfinanzierung bei und die europäischen Unternehmen sind weiterhin stark von den Banken abhängig, weshalb unsere Volkswirtschaften empfindlich auf eine Einschränkung der Kreditvergabe durch die Banken reagieren.

2.2.

Auch das Vertrauen der Anleger ist unzureichend, sodass Ersparnisse in Europa womöglich nicht immer dem produktivsten Zweck zugeführt werden.

2.3.

Die Schaffung einer Kapitalmarktunion ist eine zentrale Initiative im Arbeitsprogramm der neuen Kommission.

2.4.

Sie würde die Finanzierungsmöglichkeiten der Wirtschaft stärker diversifizieren und vor allem für KMU die Kosten der Kapitalaufnahme senken.

2.5.

Stärker integrierte Kapitalmärkte, insbesondere für Beteiligungskapital, würden die Schockresistenz der europäischen Wirtschaft erhöhen und zusätzliche Investitionen ermöglichen, ohne die Schuldenstände in die Höhe zu treiben.

2.6.

Die Kapitalmarktunion soll mittels effizienter Marktinfrastrukturen und Intermediäre zu einem besseren Kapitalfluss von Anlegern zu europäischen Investitionsprojekten führen und so die Allokation von Risiken und Kapital EU-weit verbessern und letztlich Europas Widerstandsfähigkeit gegen künftige Schocks erhöhen.

2.7.

Die Kapitalmarktunion basiert auf folgenden zentralen Grundsätzen: Sie sollte den Nutzen aller Kapitalmärkte für Wirtschaft, Beschäftigung und Wachstum maximieren; sie sollte zu einem Kapitalbinnenmarkt mit allen 28 Mitgliedstaaten führen; sie sollte auf einem soliden Fundament finanzieller Stabilität stehen; sie sollte ein wirksames Maß an Verbraucher- und Anlegerschutz gewährleisten; und sie sollte dazu beitragen, Investitionen aus der ganzen Welt anzuziehen und die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu steigern.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der Ausschuss befürwortet ausdrücklich die Initiative der Kommission. Wenn alle EU-Mitgliedstaaten an einer dynamischen wissensbasierten Wirtschaft teilhaben sollen, ist die Schaffung einer Kapitalmarktunion eine notwendige Strukturreform. Die Hindernisse für die unionsweite Entwicklung eines breiten Spektrums innovativer Finanzprodukte müssen beseitigt werden, da sie wettbewerbsfähige Kapitalinvestitionen — vor allem für KMU, Unternehmensgründungen sowie für langfristige Infrastrukturvorhaben — verhindern.

3.2.

Ziel der Kommissionsinitiative sollte es sein, die Voraussetzungen für eine effiziente moderne Finanzdienstleistungsbranche zu schaffen, die angemessen, aber nicht übermäßig reguliert ist. Dadurch werden viel mehr Investitionsfinanzierungen ermöglicht und somit das Problem des erschreckend niedrigen Investitionsniveaus angegangen.

3.3.

Der EWSA betrachtet die Kapitalmärkte als Liquiditätspool, aus dem Unternehmen Mittel aufnehmen und wo sie mit Finanzinstrumenten handeln können. Hiervon ausgehend ist der EWSA der Auffassung, dass die Kapitalmarktunion für Großunternehmen bereits Realität ist. Er wird sich in seinen Antworten auf die im Grünbuch gestellten Fragen vorwiegend auf Maßnahmen konzentrieren, die es KMU und wachstumsstarken Unternehmen gestatten, auch von einer solchen Union zu profitieren.

3.4.

Die Kapitalmarktunion sollte die langfristige Finanzierung der Wirtschaft verbessern, indem das Potenzial zur Förderung bewährter Verfahren der Unternehmensführung und der sozialen Verantwortung der Unternehmen genutzt wird. Dabei sollte es nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch um ökologische und soziale Ziele gehen.

3.5.

Im Grünbuch wird insbesondere auf KMU als Emittenten abgezielt. Daher sollten die besonderen Bedürfnisse von KMU bei allen künftigen Entscheidungen bezüglich Anleihen und anderen festverzinsliche Finanzinstrumenten ausdrücklich berücksichtigt werden in Bezug auf:

angemessene Wahl der Finanzierungslaufzeiten;

Finanzierungs- und Amortisierungsstruktur;

Finanzierungskosten, einschließlich der Kosten zur Erschließung der betreffenden Märkte;

Inhalt und Struktur von Garantien und Sicherheiten zur Vorbereitung des jeweiligen Anlageprodukts.

Um all diesen Erfordernissen angemessen zu entsprechen, ist es ganz wichtig, vereinfachte und standardisierte Produkte und Verfahren für die Beteiligung von KMU an den Kapitalmärkten zu konzipieren.

3.6.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission, die europäischen Aufsichtsbehörden und die Mitgliedstaaten auf, bei der Erarbeitung und Umsetzung künftiger Rechtsvorschriften für eine funktionierende Kapitalmarktunion sorgsam darauf zu achten, dass die europäischen Kapitalmärkte Anlegern und Emittenten Bedingungen gewähren, die mit denen der internationalen Märkte vergleichbar, wenn nicht besser sind.

3.7.

Eine effiziente Kapitalmarktunion ist ohne Einbeziehung und Mobilisierung der Unionsbürger als private Einzelanleger nicht möglich. Der EWSA stimmt dem im Grünbuch zum Ausdruck gebrachten Befund zu, dass nur ein sehr geringer Anteil der Ersparnisse privater Haushalte in produktivere Anlageformen als Staatsanleihen oder Bankeinlagen fließt, zumal in diesen Zeiten der für Sparer repressiven Finanzpolitik.

3.8.

Die Bedeutung des traditionellen Bankwesens für die Stabilität des Finanzsystems sollte betont werden.

3.9.

Nachhaltige und hochwertige Verbriefungen — auf die sich das Grünbuch bezieht — machen die Förderung grundlegender Strukturen mit kurzen Vermittlungsketten erforderlich, um Kreditnehmer und Sparer direkt zu verbinden.

4.   Antworten auf die im Grünbuch gestellten Fragen

4.1.    Prioritäten für frühzeitige Maßnahmen

1.   Welche anderen Bereiche sollten neben den fünf genannten prioritären Bereichen für kurzfristige Maßnahmen vorrangig behandelt werden?

Die vorgeschlagenen Maßnahmen zielen weitgehend auf die Primärmärkte ab. Unter Berücksichtigung der spezifischen Merkmale von KMU müssen aber auch Möglichkeiten zur Entwicklung des Sekundärmarkts sondiert werden.

Insbesondere muss ein einheitlicher vereinfachter Standard für die qualitativen und quantitativen Anforderungen bezüglich der Notierung von KMU auf den regulierten Märkten für Finanzinstrumente entwickelt werden. Es sollte auch ein Mechanismus entwickelt werden, um börsennotierte KMU für Anleger attraktiver zu machen, wobei die begrenzten finanziellen und administrativen Ressourcen von KMU zu berücksichtigen sind.

Es wird empfohlen, die Hauptgrundsätze für die Berücksichtigung der Anlegerinteressen beizubehalten und bei einigen spezifischen Fragen der Prospektrichtlinie anzusetzen, um die bürokratischen Verwaltungsanforderungen — wo immer möglich — zu reduzieren und die Möglichkeiten zur Liberalisierung gewisser Offenlegungspflichten für KMU zu sondieren:

Verkürzung der Fristen für die Prüfung des Prospekts für Emittenten, die bereits über Wertpapiere verfügen, die zum Handel an einem regulierten Markt zugelassen sind, bereits ein öffentliches Zeichnungsangebot durchgeführt haben bzw. öffentliche Unternehmen oder registrierte Emittenten sind. Die Fristen könnten entsprechend auf sieben Tage verringert werden. Ein besonderes Verfahren sollte für eine vereinfachte Börsennotierung von KMU gelten, vor allem, wenn diese auf Parallelmärkten der Börsen gehandelt werden. Die Richtlinie sollte nationalen Regulierungsbehörden bei der Regelung der Börsennotierung von KMU mehr Spielraum geben.

Gemäß Artikel 14 Absatz 2 der Richtlinie 2003/71/EG sollten die Mitteilung über öffentliche Zeichnungsangebote und der Beginn und das Ende der Zeichnungsfrist in einer Tageszeitung veröffentlicht werden. Die Anforderungen für die Veröffentlichung von Ankündigungen/Mitteilungen und den Prospekt selbst in Papierform und in Tageszeitungen sollten schrittweise gesenkt werden. Die Offenlegung von Informationen im Internet, insbesondere auf der Website des entsprechenden regulierten Markts oder des Unternehmens, sollte zum vorrangigen Mittel der Kommunikation zwischen Emittenten und Anlegern werden. Andererseits sollte es eine gewisse Einheitlichkeit bezüglich der Anforderungen für die Offenlegung von Informationen auf Websites geben — mittels Vereinheitlichung oder einer besonderen Website für Anleger; Letztere könnten darüber schneller und einfacher Informationen über die wesentlichen Aspekte der öffentlich angebotenen Wertpapiere erhalten.

2.   Welche weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der Verfügbarkeit und stärkeren Standardisierung von KMU-Kreditinformationen könnten einem tieferen Markt für die Finanzierung von KMU und Start-ups zugutekommen und die Anlegerbasis verbreitern?

Sinnvolle Maßnahmen in diesem Zusammenhang wären:

Einführung von Ratings gemäß einer standardisierten und transparenten Methodik;

Festlegung vereinfachter standardisierter Kriterien (Muster) für die Notierung auf regulierten Märkten sowie — neben Finanzinformationen — eines detaillierten mittelfristigen Geschäftsplans für Investitionen und Unternehmensentwicklung.

3.   Wie kann ein Anstoß zur Nutzung von europäischen langfristigen Investmentfonds (ELTIF) gegeben werden?

Am dringendsten erforderlich ist die Überprüfung der rechtlichen Anforderungen für Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften in den verschiedenen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die ggf. notwendige Öffnung ihrer Portfolios, damit sie eventuell in europäische langfristige Investmentfonds (ELTIF) investieren können. Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften werden an solchen Aktiva interessiert sein, und sie verfügen auch über die nötigen Mittel zur Kapitalisierung der ELTIF. Um diese Entwicklung voranzutreiben, wäre es sinnvoll, ein einheitliches Modell zur Evaluierung der Rentabilität zu entwickeln, das die gesamte Investitionskette umfasst.

4.   Sollte die EU die Entwicklung von Privatplatzierungsmärkten auch durch Maßnahmen, die über die Förderung vom Markt ausgehender Bemühungen um gemeinsame Standards hinausgehen, unterstützen?

Nein. Ein Eingriff der EU könnte dann erforderlich sein, wenn diese vom Markt ausgehenden Bemühungen keinen Erfolg haben.

4.2.

Entwicklung und Integration der Kapitalmärkte

5.   Welche weiteren Maßnahmen könnten dazu beitragen, den Zugang zu Finanzmitteln zu verbessern und die Mittel besser dorthin zu lenken, wo Kapitalbedarf besteht?

Im Allgemeinen würde der Zugang zu Finanzierungen durch die Schaffung von mehr „maßgeschneiderten“ Anlageprodukten verbessert werden, da diese den Bedürfnissen der Unternehmen besser entsprechen (z. B. bezüglich der Laufzeit, der Sicherheiten und der Zahlungsstruktur).

Die Aufsichtsbehörden sollten auch die Begebung von Schuldtiteln ermöglichen. Diese sollten als eine Art vertragliche Vereinbarung mit den Anleiheinhabern weitestgehend der Projektfinanzierung und Unternehmenskreditvergabe der Banken entsprechen.

6.   Sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die Liquidität der Märkte für Unternehmensanleihen z. B. durch eine stärkere Standardisierung zu stärken? Falls ja, welche Maßnahmen sind notwendig; können diese vom Markt selbst erreicht werden oder erfordern sie Regulierungsmaßnahmen?

Ja, Standardisierung wird die Liquidität der Märkte für Unternehmensanleihen verbessern. Diesbezüglich wäre es sinnvoll, Regulierungsmaßnahmen mit allen Interessenträgern zu erörtern und anzunehmen.

7.   Muss die EU über die Unterstützung der Entwicklung von Leitlinien durch den Markt hinaus tätig werden, um Standardisierung, Transparenz und Rechenschaftspflicht im Zusammenhang mit Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Investitionen, einschließlich „grüner Anleihen“, zu fördern?

Ja, die Standardisierungskriterien sollten spezifische Grundsätze für Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Investitionen umfassen. Der EWSA tritt ein für die Förderung „grüner Anleihen“, „grüner“ Hypothekarkredite, Darlehen für Energieeffizienzmaßnahmen und erneuerbarer Energien. Diese sollten alle zu den Wahlmöglichkeiten der Anleger gehören. Der EWSA hält es für erforderlich, darüber zu informieren und Maßnahmen zur breiten Förderung von Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Investitionen zu ergreifen. Bewährte Verfahren in diesem Bereich sollten veröffentlicht werden, auch in enger Zusammenarbeit und über die Netze von Unternehmens- und Anlegerverbänden.

8.   Wäre es sinnvoll, einen gemeinsamen EU-Rechnungslegungsstandard für kleine und mittlere Unternehmen, die an einem multilateralen Handelssystem (MTF) notiert sind, zu erarbeiten? Sollte ein solcher Standard Merkmal der KMU-Wachstumsmärkte werden? Falls ja, unter welchen Voraussetzungen?

Die derzeitige europäische Definition für KMU umfasst Unternehmen stark unterschiedlicher Größe und ermöglicht keine Unterscheidung nach Branchenzugehörigkeit. Der EWSA tritt ein für eine europäische Standarddefinition für Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen und fordert, die unterschiedlichen Definitionen in den verschiedenen Rechtsvorschriften der EU zu aktualisieren und zu vereinheitlichen (1). Damit soll der Vielfalt von KMU und den Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten besser Rechnung getragen werden. Er empfiehlt, eine Definition für aufstrebende Wachstumsunternehmen und wachstumsstarke Unternehmen zu erarbeiten und den Bedürfnissen solcher Unternehmen auf den Kapitalmärkten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ohne ein solches Vorgehen werden MTF nur für eine begrenzte Zahl von Mitgliedstaaten gelten, und Wachstumsmärkte werden nicht in der Lage sein, viele grenzüberschreitende Anleger anzuziehen. Die inhaltliche Gestaltung eines solchen Standards sollte mit der begrenzten finanziellen und administrativen Leistungsfähigkeit von KMU im Einklang stehen.

9.   Bestehen Hindernisse für die Entwicklung angemessen regulierter Plattformen für „Crowdfunding“ oder Peer-to-Peer-Darlehen, einschließlich Hindernissen für grenzüberschreitende Transaktionen? Falls ja, wie sollten diese angegangen werden?

Unterschiede zwischen den innerstaatlichen Vorschriften sind ein wichtiger Grund für die schwache Entwicklung zukunftsträchtiger Anlageformen wie Crowdfunding. Daher sollte die Kommission hier eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften fördern.

4.3.    Entwicklung und Diversifizierung des Finanzierungsangebots

10.   Welche politischen Maßnahmen könnten institutionelle Anleger dazu motivieren, höhere Summen einzusammeln und diese in eine breitere Palette von Vermögenswerten, insbesondere langfristige Projekte, KMU und innovative, wachstumsintensive Start-ups, zu investieren?

Zuallererst müssen die Vorschriften bezüglich der Portfolios institutioneller Anleger geändert werden, da diesen in vielen Mitgliedstaaten solche Investitionen gänzlich untersagt sind.

11.   Durch welche Maßnahmen könnten die Kosten der Fondsverwalter für die Errichtung und den Vertrieb von Fonds in der EU verringert werden? Aufgrund welcher Hindernisse ist es für Fonds schwierig, Skaleneffekte zu erzielen?

Die Kosten sind bereits jetzt nicht übermäßig hoch und hängen vor allem von den Vertriebskanälen ab. Fonds, die über Zweigniederlassungen von Banken oder sonstige Finanzinstitute vermarktet werden, sind im Allgemeinen nicht mit hohen Kosten verbunden und haben auch keine Schwierigkeiten, Skaleneffekte zu erzielen. Fonds, die separat vermarktet werden, haben höhere Kosten zu tragen.

Prospekte bezüglich der Kapitalbeschaffung sollten vereinfacht und vereinheitlicht werden — ebenso wie alle Dokumente, die zur Registrierung auf dem jeweiligen regulierten Markt erforderlich sind.

Es ist ein einheitliches europäisches Modell für die Segmentierung der Wertpapierbörsen notwendig, mit dem KMU aufgrund ihres Emittentenprofils unterschieden würden. Das gleiche Ergebnis kann durch die Schaffung spezieller Segmente in den entsprechenden regulierten Märkten auf nationaler Ebene erzielt werden.

12.   Sollte im Zusammenhang mit Investitionen in die Infrastruktur mit bestimmten, eindeutig zu ermittelnden Teilkategorien von Vermögenswerten gearbeitet werden? Falls ja, welche Kategorien sollte die Kommission bei künftigen Überprüfungen der aufsichtsrechtlichen Vorschriften (z. B. im Rahmen von CRD IV/CRR oder Solvabilität II) prioritär behandeln?

Bezüglich der Finanzierung von Infrastrukturvorhaben empfiehlt der EWSA:

ein umfangreichere öffentliche Überprüfung bei Infrastrukturvorhaben einzurichten, um eine bessere strategische Koordinierung der Planung sicherzustellen;

der staatlichen und europaweiten Finanzierung von finanziell nicht tragfähigen, aber gesellschaftlich notwendigen Projekten (möglicherweise mittels (Teil-)Bürgschaften, die sie finanziell absichern) mehr Aufmerksamkeit zu schenken;

einen leicht verständlichen Leitfaden für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten durch Banken und Kapitalmärkte zu erstellen;

die Rechnungslegungs- und Aufsichtsvorschriften für Infrastrukturprojekte zu ändern, um sie für Anleger attraktiver zu machen;

bestimmte genau definierbare Untergruppen von Infrastrukturprojekten zu definieren und die Behandlung von Infrastrukturinvestitionen auf diese zuzuschneiden. Dies beinhaltet eine eigene Risikobewertung für jede Untergruppe und wird die Vorhersehbarkeit verbessern, wodurch solche Investitionen für institutionelle Anleger attraktiver werden;

die Nutzung von Strukturen erhöhen, dank derer Kleinanleger besser an illiquiden Finanzierungen teilnehmen können;

da bei den derzeitigen Kapitalanforderungen der Solvabiliät-II-Richtlinie nicht zwischen langfristigen Unternehmensschulden und Infrastrukturschulden unterschieden werden kann, sollte eine diesbezügliche Änderung erwogen werden;

die Transparenz und demokratische Rechenschaftspflicht öffentlich-privater Partnerschaften zu verbessern, indem der öffentliche Zugang zu allen Verträgen sowie eine regelmäßige öffentliche Berichterstattung über ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis verlangt werden.

13.   Würden die Einführung eines standardisierten Produkts oder die Beseitigung bestehender Hindernisse für den grenzüberschreitenden Zugang den Binnenmarkt für die Altersvorsorge stärken?

Ja. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Altersvorsorge und die diesbezüglichen Gepflogenheiten in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind und die Europäische Kommission im Grünbuch das Ziel festlegt, zu einer gesamteuropäischen Ruhestandsregelung zu gelangen.

14.   Könnten Änderungen der Verordnungen über Risikokapitalfonds und Fonds für soziales Unternehmertum es den Verwaltern größerer Fonds erleichtern, solche Arten von Fonds zu betreiben? Welche sonstigen Änderungen sollten gegebenenfalls vorgenommen werden, um die Anzahl dieser Arten von Fonds zu erhöhen?

Es ist möglich, dass solche Änderungen das Interesse großer Fondsverwalter an der Verwaltung solcher Fonds steigern könnten. Gleichwohl könnte dies auch zu übermäßiger Konzentration und Interessenkonflikten führen. Deshalb sollte vor diesbezüglichen Maßnahmen genau untersucht werden, ob dies der Hauptgrund ist, der die Verwalter größerer Fonds von dem Betreiben solcher Arten von Fonds abhält.

15.   Wie kann die EU weitere Möglichkeiten für die Bereitstellung von Beteiligungs- und Risikokapital als alternativer Finanzierungsquelle für die Wirtschaft schaffen? Welche Maßnahmen könnten das Volumen von Risikokapitalfonds steigern und die Ausstiegsmöglichkeiten für Risikokapitalgeber verbessern?

Das Volumen von Beteiligungs- und Risikokapitalfonds könnte gesteigert werden, indem Beschränkungen für die Portfolios institutioneller Anleger wie Pensionsfonds, Versicherungsunternehmen und Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) in angemessener Weise gelockert werden.

16.   Gibt es Hindernisse für eine sichere Ausweitung der Direktkreditvergabe durch Banken und Nichtbanken an Unternehmen mit Finanzierungsbedarf?

Im Anschluss an die Finanzkrise unterlag die Bankfinanzierung aufgrund höherer Eigenkapitalanforderungen und der erforderlichen Senkung der Risikoexposition starken Einschränkungen. In vielen Mitgliedstaaten sind direkte Kredite aus dem Nicht-Bankensektor untersagt. In vielen Fällen dürfen Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds und andere Finanzinstitute Unternehmen außerhalb des Finanzsektors keine direkten Kredite gewähren.

17.   Wie kann die grenzübergreifende Beteiligung von Kleinanlegern an OGAW erhöht werden?

Grenzüberschreitende Anlagen erfordern eine gut entwickelte Investitionskultur, einschlägige Kenntnisse und Fremdsprachenkenntnisse. Deshalb könnte die grenzübergreifende Beteiligung von Kleinanlegern nur durch eine Förderung des Einsatzes von persönlichen Finanzberatern erreicht werden, die Kleinanlegern dabei behilflich sein könnten, im internationalen Kontext informierte Entscheidungen zu treffen.

18.   Wie können die Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) noch stärker zum Verbraucher- und Anlegerschutz beitragen?

In den meisten Mitgliedstaaten haben nationale Verbraucherschutzverbände im Bereich der Finanzdienstleistungen nur relativ begrenzte Kapazitäten. In einigen Fällen ist es nicht einmal klar, ob sie in diesem Bereich gesetzliche Rechte haben und wie diese Rechte beschaffen sind. Deshalb könnte es sinnvoll sein, dass die europäischen Aufsichtsbehörden eine Stärkung der Verwaltungskapazitäten der nationalen Verbraucherschutz- und Finanzmarktregulierungseinrichtungen anregen.

19.   Welche Maßnahmen könnten Kleinanleger zur Ausweitung ihrer Anlagetätigkeit veranlassen? Was könnte sonst noch getan werden, um den Bürgerinnen und Bürgern der EU beim Zugang zu den Kapitalmärkten mehr Kontrolle zu geben und sie besser zu schützen?

Die Mitgliedstaaten sollten dazu angehalten werden, günstige Bedingungen für Börsenmakler und Investmentgesellschaften zu schaffen, damit Mittel für Steueranreize zugunsten von Unternehmensgründungen bereitgestellt werden (wie z. B. die Abzugsfähigkeit von Investitionen bei der Besteuerung von Kapitalerträgen privater Haushalte). Neben der Verbesserung des institutionellen Verbraucherschutzes (wie in der Antwort zur vorhergehenden Frage empfohlen) könnte die private Investitionstätigkeit auch durch verschiedene Formen der Vermittlung von Finanzwissen für Kleinanleger sowie gut regulierte Beratungsdienstleistungen für Privatkunden im Bereich der persönlichen Finanzplanung gefördert werden.

20.   Gibt es auf nationaler Ebene bewährte Verfahren für die Entwicklung einfacher und transparenter Anlageprodukte, die ausgetauscht werden können?

Bewährte Verfahren haben sich noch nicht etabliert und nehmen erst Gestalt an. Zu den wenigen Beispielen gehört das Akkreditierungsverfahren für Anlageprodukte durch Berufsverbände im Vereinigten Königreich (2). Im Allgemeinen ist die Entwicklung solcher Produkte nicht einfach, da Anlageprodukte von Natur aus komplex sein können, aber auch, weil Emittenten versuchen, vielfältigen Bedürfnissen gerecht zu werden und ihre Produkte von ähnlichen Angeboten zu unterscheiden. Ein anderes Problem könnte darin liegen, dass der Versuch der Regierung, die Entwicklung solcher Produkte mit Macht zu beeinflussen, als Marktintervention und Wettbewerbseinschränkung aufgefasst werden könnte. Anstatt diesbezüglicher Anstrengungen wäre es daher zweckmäßiger, die Vermittlung von Finanzwissen und finanzielle Beratungsdienste für Privatkunden zu fördern.

21.   Gibt es weitere Maßnahmen im Bereich der Finanzdienstleistungsregulierung, mit denen sichergestellt werden könnte, dass die EU international wettbewerbsfähig und als Investitionsstandort attraktiv ist?

Wettbewerbsfähigkeit sollte in einer vergleichenden Perspektive gesehen werden. Die EU-Kapitalmärkte sollten den Anlegern daher Bedingungen bieten, die mit denen der internationalen Märkte vergleichbar — wenn nicht besser — sind. Dies würde Maßnahmen für den Anlegerschutz und zur Anpassung der Steuerstrukturen erforderlich machen (und eine sorgfältigere Bewertung der Vorteile und Kosten der vorgeschlagenen Finanztransaktionssteuer).

22.

Mit welchen Maßnahmen könnte EU-Firmen der Zugang zu Anlegern und Kapitalmärkten in Drittländern erleichtert werden?

Der beste Weg besteht darin, die Zusammenarbeit mit Banken, die ein gut entwickeltes Filialnetz in Drittländern aufgebaut haben, zu fördern.

4.4.    Die Funktionsweise der Märkte verbessern — Intermediäre, Infrastruktur und allgemeiner Rechtsrahmen

23.   Gibt es Mechanismen zur Verbesserung der Funktionsweise und Effizienz der Märkte, auf die in diesem Papier nicht eingegangen wird, insbesondere in Bezug auf die Funktionsweise und Liquidität der Aktien- und Anleihemärkte?

Solche Mechanismen sind z. B.:

Gewährleistung einer langfristigen Minimalliquidität der Märkte für von KMU begebene Finanzinstrumente. Dies könnte erreicht werden durch Anreize für Liquiditätsgeber oder Market-Maker, die von KMU begebene Finanzinstrumente führen;

Steigerung des Vertrauens der Anleger in KMU durch die Einführung bewährter Verfahren der Unternehmensführung und die Einbeziehung wichtiger Finanzinvestoren an ihrer Leitung;

Steigerung der Attraktivität von KMU, insbesondere durch Möglichkeiten für Unternehmensbürgschaften (oder Bürgschaften spezialisierter Institutionen) für KMU-Emissionen, die bestimmten Kriterien entsprechen;

Anreize für an regulierten Märkten notierte KMU;

Anreize für Anleger, die in Emissionen notierter KMU investieren.

24.   Gibt es aus Ihrer Sicht Bereiche, in denen das einheitliche Regelwerk noch nicht hinreichend entwickelt ist?

Mit dem Konzept des einheitlichen Regelwerks, das mittels der Eigenkapitalrichtlinie (CRD) IV, der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (DGS) und der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD) für den Bankensektor konzipiert wurde, werden gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen und der Binnenmarkt weiterentwickelt. Die Ausweitung dieses Konzepts auf den Nichtbankensektor könnte daher sehr nützlich sein. Ein zu dem des BRRD analoger Ansatz sollte auch für zentrale Gegenparteien eingeführt werden.

25.   Halten Sie die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörden für ausreichend, um eine kohärente Aufsicht zu gewährleisten? Welche zusätzlichen Maßnahmen im Bereich der Aufsicht auf EU-Ebene würden wesentlich zur Entwicklung einer Kapitalmarktunion beitragen?

Bezüglich der aufsichtsbezogenen Konvergenz:

stimmt der EWSA zu, dass Korrekturmaßnahmen zur Verbesserung der Funktionsweise des Europäischen Systems der Finanzaufsicht (ESFS) ergriffen werden müssen;

ruft er zur Förderung von Maßnahmen zur besseren Koordinierung des ESFS mit dem neuen Instrument des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) und dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus auf (SRM);

fordert er, die Regulierungsfunktionen der ESFS-Einrichtungen zwecks Vereinfachung des Regelwerks sowie Steigerung der Transparenz und Effizienz der Verfahren zur rationalisieren;

ersucht er um eine mittelfristige Strategie zur organisatorischen und funktionalen Konsolidierung der Aufsichtsbehörden (wobei die Möglichkeit eines gemeinsames Sitzes und des Modells einer Doppelspitze (twin peaks) geprüft werden sollte);

fordert er die Europäische Kommission auf, die Machbarkeit von Lösungen eher struktureller Art hinsichtlich der Organisation der ESFS und der Finanzierungsmodalitäten für die Behörden zu prüfen.

26.   Gibt es angesichts der bisherigen Erfahrungen gezielte Änderungen an den Regelungen für Eigentumsrechte an Wertpapieren, die zu enger integrierten Kapitalmärkten in der EU beitragen könnten?

Die Wechselbeziehungen zwischen den Hinterlegungsstellen sollten ebenso wie die Sicherheit der grenzüberschreitender Clearing- und Abwicklungstätigkeiten verbessert werden.

27.   Mit welchen Maßnahmen könnte der grenzüberschreitende Sicherheitenfluss verbessert werden? Sollten Arbeiten unternommen werden, um die rechtliche Durchsetzbarkeit von Sicherheiten und Close-out-Netting-Vereinbarungen grenzübergreifend zu verbessern?

Begrüßenswert sind Maßnahmen zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Registers für grenzübergreifende Sicherheiten oder zur Verknüpfung der jeweiligen nationalen Registerstellen. Ohne die Umsetzung solcher Maßnahmen werden grenzübergreifende Investitionen begrenzt bleiben.

28.   Welche Haupthindernisse für integrierte Kapitalmärkte ergeben sich aus dem Gesellschaftsrecht einschließlich Corporate Governance? Gibt es gezielte Maßnahmen, mit denen sich diese überwinden ließen?

Die Unterschiede in puncto Handelsrecht, Geschäftspraktiken und Corporate-Governance-Modellen zwischen den Mitgliedstaaten sind die größten Hindernisse für eine Kapitalmarktunion. Die Beseitigung dieser Hindernisse wird langwierig und nicht einfach sein, ist aber unbedingt erforderlich. Dies bedarf einer sorgfältigen Untersuchung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten.

29.   Welche spezifischen Aspekte des Insolvenzrechts müssten harmonisiert werden, um die Entstehung eines gesamteuropäischen Kapitalmarkts zu unterstützen?

Das Insolvenzrecht ist für die Kapitalmärkte von zentraler Bedeutung, und es sollte ebenso wie das Handelsrecht und die Corporate Governance nach eingehender Untersuchung harmonisiert werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Investitionen in Länder mit besserem Schutz der Anlegerrechte fließen. Insbesondere sollte die Option eines Neubeginns sorgfältig geprüft werden.

30.   Welche Hindernisse rund ums Thema Steuern sollten prioritär angegangen werden, um zu integrierteren Kapitalmärkten in der EU und einer robusteren Finanzierungsstruktur auf Unternehmensebene beizutragen, und auf welchem Wege sollte dies geschehen?

Die Steuersysteme der Mitgliedstaaten unterscheiden sich in ihrem Aufbau sehr, und jedwede Änderung ist eine sehr heikle Angelegenheit. Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Steuerharmonisierung kaum zu erreichen und sollte als Ende eines langen Prozesses gesehen werden.

31.   Wie kann die EU die Entwicklung neuer Technologien und Geschäftsmodelle durch den Markt zugunsten integrierter und effizienter Kapitalmärkte am besten unterstützen?

Die EU sollte sich auf den Aufbau einer einheitlichen digitalen Netzinfrastruktur konzentrieren, die einen raschen, effizienten und sicheren Informationsaustausch zwischen Märkten, Unternehmen und Anlegern (3) gewährleistet sowie die grenzüberschreitende Fernteilnahme an Hauptversammlungen und Abstimmungen der Aktionäre ermöglicht. Ebenso sollten Wege gefunden werden, die relativ hohen Clearing- und Abwicklungskosten im grenzüberschreitenden Handel zu senken.

32.   Gibt es weitere, in diesem Grünbuch nicht genannte Aspekte, bei denen aus Ihrer Sicht Handlungsbedarf besteht, um zu einer Kapitalmarktunion zu gelangen? Wenn ja, welche, und wie könnten entsprechende Maßnahmen aussehen?

Das Grünbuch bietet einen umfassenden Überblick über den derzeitigen Stand der Kapitalmärkte in Europa sowie über die Maßnahmen, die zur Verwirklichung der Kapitalmarktunion notwendig sind. Zum jetzigen Zeitpunkt sollten keine weiteren Handlungsfelder eröffnet, sondern vielmehr die Zeitplanung für die Umsetzung der bereits beschlossenen Maßnahmen optimiert und einige wichtige taktische Reformen ausgewählt werden, mit denen begonnen werden muss. Diese sollten konkret sein und direkte und messbare Auswirkungen haben. Damit wird eine Dynamik geschaffen, die die Umsetzung künftiger schwierigerer Reformen erleichtern wird.

Gleichwohl stellt der EWSA fest, dass im Grünbuch folgende Aspekte nicht angesprochen werden:

das Rating von Finanzinstrumenten;

Maßnahmen bezüglich des Problems prozyklischer Effekte von Finanzinstrumenten.

Brüssel, den 1. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Im Allgemeinen ist die gemeinsame Definition für KMU der Empfehlung 2003/361/EG zu entnehmen, die indes veraltet ist und weder der EU-Erweiterung noch den wirtschaftlichen Gegebenheiten nach der Krise Rechnung trägt. Die Definition von KMU für die Zwecke des Grünbuchs ist Richtlinie 2014/65/EU vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente zu entnehmen. Eine weitere Definition von KMU enthält die Richtlinie 2013/34/EU vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen.

(2)  Der Verband der britischen Versicherungsunternehmen, der britische Bankenverband und der Bauverband haben nach Verhandlungen mit dem British Standards Institute beschlossen, einfache Finanzprodukte zu entwickeln, die bestimmten vereinbarten Grundsätzen entsprechen (siehe Sergeant-Bericht vom März 2013).

(3)  Als Beispiel für ein vorbildliches Verfahren siehe den unabhängigen elektronischen Marktplatz für Unternehmenskredite FINPOINT https://www.finpoint.de/


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/74


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Das Paris-Protokoll — Ein Blueprint zur Bekämpfung des globalen Klimawandels nach 2020“

(COM(2015) 81 final)

(2015/C 383/11)

Berichterstatter:

Lutz RIBBE

Die Europäische Kommission beschloss am 25. März 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Das Paris-Protokoll — Ein Blueprint zur Bekämpfung des globalen Klimawandels nach 2020

(COM(2015) 81 final).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 4. Juni 2015 an. Berichterstatter war Lutz Ribbe.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 2. Juli) mit 193 gegen 12 Stimmen bei 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA erwartet von den Verhandlungsparteien der COP 21, dass diese endlich ein ambitiöses und faires Abkommen mit verbindlichem Charakter beschließen. Die hierzu von der Kommission vorgelegte Verhandlungsposition wird — abgesehen von marginalen Ausnahmen — inhaltlich voll unterstützt. Kritisiert wird allerdings, dass die EU die zentrale Rolle, die die Zivilgesellschaft in diesem Prozess spielen muss, immer noch nicht voll begriffen hat.

1.2.

Ausnahmslos alle Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention müssen Verantwortung übernehmen, um das eigentliche Ziel, nämlich „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene (1) Störung des Klimasystems verhindert wird“, zu erreichen. Nur dann kann noch größerer Schaden an Mensch, Umwelt und zukünftigen Generationen abgewendet werden.

1.3.

Der Grundsatz einer gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung ist richtig. Für die meisten Staaten gilt es, rasch in einen Transformationsprozess einzutreten, der weg von fossilen Energien hin zu hoher Ressourcen- und Energieeffizienz sowie erneuerbaren Energien (EE) führt. Jene Staaten, die heute kaum zur Klimabelastung beitragen, müssen unterstützt werden, direkt den Weg in eine „low carbon economy“ zu gehen. Hier tun sich gerade für innovative europäische Unternehmen große Chancen auf, die dabei politische Unterstützung erfahren müssen. In diesem Zusammenhang muss dafür Sorge getragen werden, dass der Transformationsprozess nicht dazu führt, dass Menschen noch weiter unter die Armutsgrenze absinken. Vielmehr soll und muss er erfolgreich dazu genutzt werden, um neue wirtschaftliche Impulse — auch und gerade auf regionaler Ebene — auszulösen und unter Einbeziehung der Menschen vor Ort neue dezentrale, kohlenstofffreie Energieerzeugungsstrukturen aufzubauen.

1.4.

Auf der COP 21 wird somit kein klassisches Umweltthema verhandelt, es soll vielmehr die Basis einer neuen globalen „low carbon economy“ hergestellt werden.

1.5.

Solche Prozesse brauchen Vorreiter. Europa hat diese Rolle über viele Jahre erfolgreich eingenommen. Von einem Alleingang Europas in Klimaschutzbemühungen kann nun allerdings nicht mehr gesprochen werden. Mittlerweile investieren viele andere Wirtschaftsblöcke massiv in den Transformationsprozess und in grüne Technologien, ohne dass sie eine aktivere Rolle im COP-Verhandlungsprozess einnehmen würden. Unabhängig vom Verhandlungsausgang in Paris: real hat der Kampf um Zukunftsmärkte bei grünen Technologien, die für den Klimaschutz wichtig sind, längst begonnen, und diesem Kampf wird sich Europa stellen müssen, mit oder ohne COP-21-Ergebnissen.

1.6.

Wichtige wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die zu „carbon leakage“ bzw. „low carbon leakage“ führen können, werden nicht im Rahmen der COP verhandelt. Deshalb ist es notwendig, auch außerhalb des UNFCCC-Verhandlungsprozesses die Klimaschutzfragen mit ihren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Konsequenzen stets im Auge zu haben. Die EU muss sich auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass z. B. marktwirtschaftliche Mechanismen geschaffen werden, die dazu beitragen, dass die produktbezogenen Emissionen bei globalen Handelsfragen berücksichtigt werden.

1.7.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass nicht — hoffentlich — ambitiöse Ergebnisse der COP 21, sondern erst deren konsequente Umsetzung unser Klima retten würden. Umgesetzt werden diese nicht von Politikern, sondern von den Bürgern. Sie müssen zwar die richtigen Rahmenbedingungen setzen und neben den ökologischen auch den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen Rechnung tragen, die Umsetzung erfolgt aber durch die Zivilgesellschaft. Die Beschlüsse brauchen deshalb gesellschaftlich breite Akzeptanz und Unterstützung von Unternehmen, Gewerkschaften und allen anderen Teilen der Zivilgesellschaft.

1.8.

Die vielfältigen Rollen der Zivilgesellschaft (s. Ziffer 6) werden auf der COP leider nur absolut am Rande diskutiert, und die EU hat auch keine erkennbaren Initiativen ergriffen, dies zu ändern. Die vorgelegte Mitteilung enthält absolut keine konkreten Hinweise, welche Rolle die Zivilgesellschaft spielen soll. Die neue Klimapolitik kann und darf nicht „von oben“ verordnet werden, sondern muss auf breiter Zustimmung bei einer Mehrheit der Bürger fußen, die im Wege eines aktiven gesellschaftlichen Dialogs mit allen Beteiligten erreicht wird, und „von unten“ umgesetzt werden. Der EWSA empfiehlt der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament (EP), endlich in einen intensiven und strukturierten Dialog einzutreten, um die grundsätzliche Bereitschaft der Gesellschaft, neue Strukturen zu entwickeln, nicht zu verspielen. Die bisherige reale Politik der EU ist diesbezüglich sehr enttäuschend. Der EWSA empfiehlt in diesem Zusammenhang, dass die Kommission sowohl die strukturellen Voraussetzungen schafft als auch die erforderlichen Mittel bereitstellt, um die Zivilgesellschaft in die Lage zu versetzen, auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung und Inklusion in einen Dialog mit allen Interessenträgern einzutreten.

1.9.

Der EWSA betont, dass die bereits existierenden Verfahren zur Senkung der CO2-Emissionen ein ökologisches, wirtschaftliches und soziales Potenzial aufweisen, das weltweit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung der Wirtschaft beitragen kann.

2.   Hintergrund

2.1.

Vor 23 Jahren, im Mai 1992, wurde in New York die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United Nations Framework Convention on Climate Change, kurz UNFCCC) verabschiedet. In Artikel 2 wird ihr Ziel beschrieben, nämlich „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene (2) Störung des Klimasystems verhindert wird“ sowie eventuelle Folgen zu mildern.

2.2.

Noch im selben Jahr wurde sie auf der Rio-Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) von 154 Staaten unterschrieben. Sie trat im März 1994 in Kraft; mittlerweile umfasst die Konvention 196 Vertragsparteien.

2.3.

Diese treffen sich jährlich zu den sog. UN-Weltklimagipfeln, der Konferenz der Vertragsparteien (Conference of Parties, abgekürzt: COP). Bisher wurden keine Maßnahmen beschlossen, die ausreichen würden, um die Ziele der Konvention auch nur annähernd zu erreichen: Bislang gibt es nur — durch das auf der COP 3 in Kyoto beschlossene „Kyoto-Protokoll“ — verbindliche Ziele für Emissionshöchstmengen für Industrieländer; das Kyoto-Protokoll wurde aber bekanntlich nur von einem Teil der Industrieländer ratifiziert.

2.4.

Es besteht mittlerweile aber Einigkeit darüber, dass es nach nunmehr 21 Verhandlungsjahren, in denen die globalen Emissionen um fast 50 % weiter angestiegen sind (von 30,8 Mrd. t CO2-Äquivalent in 1992 auf 43,4 Mrd. t in 2011) (3) und die negativen Folgen der anthropogenen Klimaveränderungen immer deutlicher werden, höchste Zeit ist zu handeln.

2.5.

Nahezu alle wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, dass es immer noch möglich ist, den Temperaturanstieg entsprechend zu begrenzen. Dazu ist es notwendig, sehr schnell mit der Umsetzung entsprechend ambitiöser Maßnahmen zu beginnen: Die Studien zeigen zwar auch, dass das Ziel theoretisch auch noch später erreicht werden kann, dann aber zu unverhältnismäßig höheren Kosten und unter Inkaufnahme von massiven Schädigungen, von denen Millionen von Menschen und die Wirtschaft gleichermaßen betroffen wären.

2.6.

Die Klimarahmenkonvention definiert nicht, was „gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems“ genau bedeutet. Auf der COP 16 (im Jahr 2010) haben sich die Vertragsparteien politisch darauf verständigt, den globalen Temperaturanstieg unter 2 Grad Celsius (ggf. sogar 1,5 Grad) gegenüber vorindustrieller Zeit zu begrenzen, ohne allerdings eine wissenschaftliche Grundlage dafür anzuführen, dass mit dieser politischen Verständigung das Ziel auch erreicht wird.

2.7.

Der EWSA weist alle Beteiligten — Politiker wie Zivilgesellschaft — ausdrücklich darauf hin, dass Störungen mit gravierenden Folgen schon heute, weit unterhalb einer 2-Grad-Erwärmung, deutlich erkennbar sind. Die 2-Grad-Grenze kann also kein Ziel in dem Sinne sein, das man zu erreichen gedenkt, sondern das möglichst maximal zu unterbieten ist.

3.   Die COP 21 in Paris

3.1.

Im Dezember 2015 wird in Paris die 21. COP stattfinden. Dem Versprechen nach sollen dort — endlich — in Form eines „global deal“ die notwendigen, ambitiösen, fairen und verbindlichen Beschlüsse für alle 196 Vertragsparteien gefasst werden. Diese sollen im Jahr 2020 in Kraft treten.

3.2.

Die angestrebten Beschlüsse betreffen u. a.:

a)

die Bekämpfung des Klimawandels; die Vertragsparteien haben sich verpflichtet, dem UNFCCC-Sekretariat bis Ende März 2015 ihre nationalen Emissionsminderungsziele (Intended Nationally Determined Contributions (= INDC)) anzuzeigen, die ambitiös sein und über bisherige Anstrengungen hinausgehen sollen. Die Summe dieser INDC soll ausreichend sein, um den globalen Temperaturanstieg unter 2 Grad zu halten. Ein Synthesebericht, ob dies auch erreicht wird, soll bis zum 1. November 2015 vorliegen;

b)

Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel;

c)

Finanzregelungen, was die Bekämpfung, die Anpassung und den Schadensausgleich („loss and damage“) angeht; hierbei geht es u. a. um die Frage, wie bis zum Jahr 2020 die zugesagten 100 Mrd. USD pro Jahr a) aufgebracht und b) unter welchen Kriterien und mit welchen Vorgaben sie verteilt werden;

d)

Fragen des Transfers von Technologien (unter Berücksichtigung von „geistigem Eigentum“);

e)

Vorschriften zur Überwachung der Vereinbarung, u. a. zu Messung, Berichterstattung, Überwachung/Transparenz usw. (4) und — besonders wichtig —

f)

den rechtlichen Rahmen der Vereinbarung, also: die Verbindlichkeit der Beschlüsse.

3.3.

Auch soll vereinbart werden, wie der Zeitraum zwischen der Beschlussfassung im Dezember 2015 und dem Inkrafttreten der verbindlichen Maßnahmen im Jahr 2020 mit konkreten Klimaschutzmaßnahmen genutzt werden soll („pre-2020 action“).

3.4.

Die Regierungen werden sich erstmals damit befassen, wie die klimapolitischen Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Der EWSA befürwortet aktuelle Verweise auf die Notwendigkeit, die Menschenrechte zu wahren und einen gerechten Wandel herbeizuführen, in dessen Rahmen beim Übergang zu einer Niedrigemissionswirtschaft menschenwürdige Arbeit und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze gewahrt bleiben und entstehen.

3.5.

Die EU hat ihre Positionen und Erwartungen zur COP 21 in der Mitteilung „Das Paris-Protokoll — Ein Blueprint zur Bekämpfung des globalen Klimawandels nach 2020“ (5) zusammengefasst. Sie schlägt u. a. vor, die Vereinbarungen dadurch verbindlich zu machen, dass das Übereinkommen von Paris als Protokoll zur Klimarahmenkonvention verabschiedet wird. Es soll „in Kraft treten, sobald es von Staaten, die gemeinsam für insgesamt 80 % der aktuellen weltweiten Emissionen verantwortlich sind, ratifiziert wurde“.

3.6.

Es herrscht unter den Vertragsparteien Einvernehmen darüber, dass der Grundsatz einer gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung gilt; d. h. dass alle Vertragsparteien, egal ob sie viel oder wenig zur Klimabelastung beitragen, Verantwortung übernehmen müssen. Wobei der genaue Umfang von mehreren, durchaus verschiedenen Faktoren wie z. B. dem historischen sowie dem derzeitigen Emissionsniveau, der Wirtschaftskraft, der sozialen Lage, der Betroffenheit usw. abhängig gemacht werden soll.

4.   Die Erwartungen der europäischen Zivilgesellschaft an die COP-21-Verhandlungen

4.1.

Der EWSA ruft alle Verhandlungsparteien auf, in Paris endlich ein rechtlich verbindliches Abkommen zu verabschieden. Er unterstützt mit Nachdruck die in der Kommissionsmitteilung COM(2015) 81 final festgelegte Verhandlungsposition der EU.

4.2.

Auf der COP 21 gilt es einen Konsens darüber herzustellen, im Sinne einer Vorsorgepolitik heute ambitiöse, weitreichende Entscheidungen für morgen zu treffen. Diese Entscheidungen werden die Basis für das wirtschaftliche und soziale Handeln künftiger Generationen sein; und sie werden helfen das Leid derer zu lindern, die schon heute unter den Folgen des Klimawandels leiden.

4.3.

Auf der COP 21 wird somit kein klassisches Umweltthema verhandelt, es soll vielmehr die Basis einer neuen globalen „low carbon economy“ hergestellt werden.

4.4.

Der EWSA begrüßt den Grundsatz der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung. Jede Vertragspartei muss ihre Verantwortung erkennen und darf sich dieser nicht mehr entziehen, sich hinter anderen Staaten „verstecken“ oder — was in der Vergangenheit teilweise geschehen ist — nach dem Motto verfahren: Wir sind nur bereit Verantwortung zu übernehmen, wenn wir dafür bezahlt werden.

Bekämpfung des Klimawandels

4.5.

Der EWSA weist darauf hin, dass ein global ausreichendes Emissionsniveau nur erreicht werden kann, wenn jeder auf der Erde lebende Mensch im Durchschnitt nicht mehr als 2 t CO2-Äquivalent pro Jahr emittieren würde.

4.5.1.

In Europa (Durchschnitt rund 9 t CO2-Äquivalent/Einwohner und Jahr) würde dieser Wert erst mit der Umsetzung des 2050-Ziels (80-95 % CO2-Reduktion in Europa) erreicht. China (derzeit ca. 6 t CO2-Äquivalent/Einwohner und Jahr) müsste seinen aktuellen pro-Kopf-Ausstoß dritteln, noch stärker z. B. die USA (derzeit 16,5 t CO2-Äquivalent/Einwohner und Jahr) oder der derzeitige „Weltspitzenreiter“ Katar (mit 40 t CO2-Äquivalent/Einwohner und Jahr).

4.5.2.

Hingegen können Reduktionen von Staaten wie Mali (0,04 t CO2-Äquivalent/Einwohner und Jahr) oder Ruanda (0,06 t CO2-Äquivalent/Einwohner und Jahr) nicht erwartet werden. Insofern geht der EWSA nicht völlig mit einer Aussage der Kommission konform, nämlich dass „alle Staaten ihre Treibhausgasemissionen erheblich und anhaltend senken“ müssen. Für diese Staaten gilt es allerdings, direkt den Weg in eine „low carbon economy“ zu gehen. Insofern sind die klimapolitischen Verantwortlichkeiten hinsichtlich Bekämpfung und Anpassung in der Tat gemeinsam, aber unterschiedlich. Diese Staaten benötigen dringende Unterstützung, was zugleich viele Kooperationsmöglichkeiten für innovative Unternehmen eröffnet. Europäische Unternehmen, die (noch) 40 % aller Patente an grünen Technologien halten, könnten davon besonders profitieren.

4.5.3.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die genannten Emissionsdaten nicht die großen Unterschiede widerspiegeln, die es innerhalb der sozialen Schichten der Staaten gibt, und dass es Fakt ist, dass die CO2-Emissionen, die bei der Produktion entstehen, den Ländern zugerechnet werden, in denen produziert wird, nicht jenen, in denen die Produkte verwendet werden. Wäre es umgekehrt, so stünde beispielsweise China mit seiner Treibhausbilanz wesentlich besser und Deutschland schlechter da (6).

4.6.

Der EWSA sieht in der Erstellung nationaler Emissionsminderungsziele (INDC) einen zentralen Bestandteil des COP-21-Prozesses. Die dramatischen zeitlichen Verzögerungen bei der Einreichung der INDC beim UNFCCC-Sekretariat (7) sind ein ganz schlechtes Zeichen.

4.7.

Der EWSA ist sich im Klaren darüber, dass es noch keineswegs sicher ist, dass es den Befürwortern eines stringenten COP-21-Abkommens gelingt, unter 196 Vertragsparteien mit sehr unterschiedlichen Ausgangssituationen, teilweise extrem unterschiedlichen politischen Ausrichtungen und kulturellen Hintergründen eine solche „Solidarität für zukünftige Generationen“ (8) herzustellen.

4.8.

Schon die Verhandlungen über das Klima- und Energiepaket 2030 der EU, die quasi eine „COP“ auf EU-Ebene gewesen sind, haben gezeigt, dass es selbst auf EU-Ebene kaum gelingt, das umzusetzen, was bei der COP 21 angestrebt wird, nämlich klare nationale Verantwortlichkeiten zu schaffen. So bedauert der EWSA, dass im Rahmen des „EU Energie- und Klimapakets 2030“ keine national verbindlichen Zielwerte mehr festgelegt sind, was das Erreichen des europäischen Gesamtziels und die „Zuteilung“ von Verantwortung erschweren dürfte (9). Die Festlegung nationaler Emissionsminderungsziele (INDC) für die EU-Mitgliedstaaten wäre ein Signal in die richtige Richtung für die COP-Verhandlungen.

Anpassung an den Klimawandel, Finanzregelungen und Technologietransfer

4.9.

Differenzierte Verantwortung heißt auch, dass eine Solidarität dahingehend notwendig ist, gerade den weniger entwickelten und finanzschwachen Ländern beim Aufbau einer klimaschonenden „grünen“ Wirtschaft besonders zu helfen und sie zu befähigen, mit den Klimaschädigungen, von denen sie häufig am intensivsten betroffen sind, klarzukommen. In diesem Zusammenhang muss dafür Sorge getragen werden, dass der Transformationsprozess nicht dazu führt, dass Menschen noch weiter unter die Armutsgrenze absinken. Vielmehr soll und muss er erfolgreich dazu genutzt werden, um neue wirtschaftliche Impulse — auch und gerade auf regionaler Ebene — auszulösen und unter Einbeziehung der Menschen vor Ort neue dezentrale, kohlenstofffreie Energieerzeugungsstrukturen aufzubauen.

4.10.

Deshalb kommt den Finanzfragen und dem Technologietransfer eine wichtige Rolle zu. Schon einmal wurden die weniger entwickelten Staaten bitter enttäuscht, denn die einst versprochenen „Entwicklungshilfegelder“ (0,7 % BIP) sind längst nicht in dem versprochenen Umfang geflossen wie versprochen; dies darf sich nicht noch einmal wiederholen.

Rechtliche Verbindlichkeit und Überwachung der Vereinbarung

4.11.

Der EWSA unterstützt die Aussage der EU, dass die rechtliche Verbindlichkeit des Abkommens die entscheidende Grundlage für ein globales „level playing field“ und die Umsetzung der notwendigen Beschlüsse ist.

4.12.

Die Vorteile eines rechtlich-verbindlichen Abkommens wären u. a.:

es gäbe ein klares politisches Signal aller Regierungen an die Wirtschaft, Investoren, aber auch an die Öffentlichkeit, dass eine „low carbon economy“ das gemeinsame Ziel der gesamten Weltgemeinschaft ist;

es würde einen langfristigen und vorhersehbaren Rahmen schaffen, der Investitionen in Emissionsreduktions- und Klimaanpassungstechnologien kosteneffizient fördert;

Transparenz und Verantwortlichkeit wären klar benannt und

Investitionsmittel für notwendige Maßnahmen würden verfügbar werden, es würde also eine direkte Verbindung in die reale Wirtschaft hergestellt.

4.13.

Die Zivilgesellschaft erwartet, dass ihren Forderungen nach einem gerechten Übergang („just transition“) unter Berücksichtigung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte und der sozialen Auswirkungen, einschl. Schadensausgleich („loss and damage“), und Fragen in Verbindung mit der Anpassung an den Klimawandel, insbesondere in den ärmsten Ländern, in dem neuen Weltklimaübereinkommen Rechnung getragen wird.

4.14.

Die Umsetzung der Beschlüsse muss zwingend transparent und überprüfbar sein, und Staaten, die sich nicht an Beschlüsse halten, sollten die Vorteile, die das Abkommen bieten wird, nicht weiter in Anspruch nehmen dürfen.

4.15.

Der EWSA weist darauf hin, dass der Vorschlag der Kommission, durch regelmäßige Überprüfungen für Dynamik zu sorgen, stringentere Klimaschutzzusagen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten und sich ändernder Verantwortlichkeiten ermöglichen könnte.

Erwartungen an die Rolle der EU im globalen Klimaschutz

4.16.

Die EU hat sich in den letzten Jahren in Klimaschutzfragen global einen guten Ruf erworben. Der EWSA hält es für wichtig, nicht nur bei den COP-Verhandlungen, aber auch durch eine aktive Politik abseits dieser Verhandlungen weiter Vertrauen dahingehend aufzubauen, dass eine ambitiöse Klimaschutzpolitik nicht etwa dazu etabliert wird, um sich gegenüber anderen Nationen oder Wirtschaftskreisen wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen.

4.17.

Die EU sollte weiter glaubwürdig und mit positivem Beispiel global vorangehen: Ohne „Vorreiter“ und „Motoren“ in Politik und Wirtschaft geht es bei solchen Verhandlungs- und Veränderungsprozessen nicht. Es ist wichtig zu betonen, dass die EU diese Vorreiterrolle nur dann glaubhaft spielen kann, wenn bewiesen wird, dass Klimaschutzpolitik und wirtschaftlich positive Entwicklung Hand in Hand gehen.

4.18.

Positiv ist zu beobachten, dass mittlerweile viele Maßnahmen, die zuerst in der EU eingeführt wurden und die durchaus nicht unumstritten waren, nun von anderen Nationen übernommen wurden. Als Beispiel können die Fördermaßnahmen bei erneuerbaren Energien, aber auch das Emissionshandelssystem genannt werden; von Letzterem wird nun z. T. sogar in China Gebrauch gemacht.

4.19.

Der EWSA würdigt, dass die EU-Außenbeauftragte, Federica MOGHERINI, mit dem „Climate Diplomacy Action Plan“ (10) Klimaschutzfragen in ihrer Außenpolitik intensiv anspricht. Auch die Aussage von Kommissionspräsident Juncker, die EU weltweit zur Nummer 1 bei erneuerbaren Energien machen zu wollen, und zwar nicht nur, weil es dem Klimaschutz dient, sondern weil damit Arbeitsplätze geschaffen und die Energieversorgungssicherheit gefördert wird, ist ein wichtiges und richtiges Signal.

4.20.

Die EU hat somit global einiges vorzuweisen, sie hat u. a. gezeigt, dass Wirtschaftswachstum vom Emissionsanstieg entkoppelt werden kann. Kein Wirtschaftsraum der Welt emittiert beispielsweise pro GDP-Einheit weniger Treibhausgase als die EU, viele europäische Unternehmen sind „frontrunner“, was Energie- und Ressourceneffizienz angeht. Das hat viel mit den technischen Errungenschaften und somit mit der Innovationskraft europäischer Unternehmen zu tun, die einer vergleichsweise stringenten Umweltschutzgesetzgebung der EU entsprungen sind.

4.21.

Doch Europa hat auch noch viele Aufgaben vor sich: die angestrebten CO2-Reduktionswerte von 80-95 % bis 2050 werden sich nicht allein mit technischen Innovationen erreichen lassen. Das zeigt sich z. B. im Verkehrsbereich, wo Innovation im Bereich von Abgastechnik schlichtweg durch die Zunahme an Fahrzeugen und Fahrwegen zumindest teilweise wieder kompensiert wurde. Es werden folglich auch strukturelle Veränderungen notwendig werden, d. h. es bedarf einer viel stärkeren Kohärenz zwischen der Klimapolitik und anderen Politikbereichen als bisher.

5.   Der Verhandlungsverlauf der COP der letzten Jahre — und die reale Wirklichkeit abseits der Verhandlungen

5.1.

Der EWSA verfolgt die Klimaverhandlungen seit vielen Jahren. Er ist sich der extremen Bedeutung eines positiven Abschlusses in Paris bewusst, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass nicht Beschlüsse an sich, sondern nur die Umsetzung realer Maßnahmen das Klima retten können.

5.2.

Die Staatengemeinschaft täte sich in Paris sicher leichter, einen Konsens herzustellen, wären beispielsweise die gemeinsamen Beschlüsse der Rio+20-Konferenz umgesetzt bzw. auf dem Weg der Umsetzung, nämlich die „schädlichen und ineffizienten Subventionen für fossile Brennstoffe, die verschwenderischen Verbrauch fördern und die nachhaltige Entwicklung untergraben, stufenweise zu beseitigen“ (11). Schon damals gab es die Erkenntnis, dass marktwirtschaftliche Instrumente (z. B. Kohlenstoffbesteuerung, Emissionshandelssysteme usw.) genutzt werden sollten, was der EWSA für zielführend hält (12). Ein neues Arbeitspapier des Internationalen Währungsfonds (13) beziffert die direkten und indirekten Subventionen, die global in fossile Energien gesteckt werden, auf jährlich 5,3 Billionen (!) USD, was mehr als 15 Mrd. USD pro Tag bedeutet. Selbst mit dem angestrebten Klimaschutzfonds in Höhe von 100 Mrd. USD pro Jahr können die negativen Auswirkungen, die von diesen Subventionen ausgehen, nicht ausgeglichen werden.

5.3.

Zwischen politischen Versprechungen und Umsetzungen klaffen aber riesige Lücken, die das Vertrauen der Zivilgesellschaft in globale politische Verständigungen erschüttern. Paris darf diese Enttäuschungen nicht noch verstärken, sondern muss eine Kehrtwende herbeiführen.

5.4.

Für Europa ist es aber auch wichtig zu beobachten, welche Entwicklungen sich abseits der „Welt der COP-Verhandlungen“ in der „Welt der realen wirtschaftlichen Entwicklung“ vollziehen. Dazu ein paar Beispiele:

Auf der COP 20 in Lima haben China und Kalifornien ein Abkommen unterzeichnet, das eine enge Zusammenarbeit dieser mächtigen Wirtschaftsblöcke in Fragen der erneuerbaren Energien, der Elektromobilität und bei Energieeffizienzfragen vorsieht. Entsprechende strategische Kooperationsabkommen mit Europa gibt es nicht.

China und die USA führen mittlerweile die Liste der Staaten mit den höchsten Investitionen in erneuerbare Energien seit einigen Jahren an. Im Jahr 2013 wurden in China 54,2 Mrd. USD, in den USA 33,9 Mrd. USD und in Japan 28,6 Mrd. USD in erneuerbare Energien investiert. Auf Rang 4 und 5 folgen das Vereinigte Königreich (12,1 Mrd. USD) und Deutschland (9,9 Mrd. USD). Besonders in Deutschland und Italien sind die entsprechenden Investitionen stark zurückgegangen (14).

Globale Wettbewerbsfähigkeit, „carbon leakage“ und/oder „low carbon leakage“

5.5.

Die Beschlüsse, die notwendig sind, um die Ziele der Klimarahmenkonvention zu erreichen, werden heute nicht nur zu „win-win-Situationen“ führen. Deshalb wird zu Recht auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die COP-Beschlüsse soweit irgend möglich mit kurzfristigen nationalen bzw. branchenbezogenen (Wirtschafts-) Interessen vereinbar zu machen.

5.6.

Das wird nicht immer gelingen, denn es ist offensichtlich, dass es Wirtschaftsbereiche geben wird, die im neuen System einer „low carbon economy“ keine bzw. eine wesentlich geringere Rolle spielen werden, die also zu den „Verlierern“ des notwendigen Strukturwandels gehören. Vielmehr haben diese Wirtschaftsbereiche und die betroffenen Personen und Regionen ein Recht darauf zu erfahren, wie die Politik diesen Wandel möglichst ohne Brüche und sozialverträglich gestalten will. Diese Schwierigkeiten dürfen allerdings auch kein Anlass sein, heute nicht zu handeln. Denn heute zu handeln, die Transformation in eine „low carbon economy“ zu fördern, ist billiger, als später Schäden zu reparieren (15).

5.7.

Die Frage der Erschließung von Zukunftsmärkten, z. B. bei Erneuerbare-Energien- bzw. Effizienz-Technologien, ist für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Europas von herausragender Bedeutung. Natürlich sind jene Stimmen, die in Europa z. B. vor „carbon leakage“ warnen, die fordern, nicht im europäischen Alleingang zu schnell voranzugehen, ernst zu nehmen.

5.8.

Doch es gibt keinen europäischen Alleingang mehr, es gibt vielmehr einen globalen Wettbewerb! Deshalb muss nun auch „low carbon leakage“ angesprochen werden; also die Gefahr, dass die bisherige technologische und somit wirtschaftliche Führerschaft Europas, z. B. bei erneuerbaren Energien, verloren gehen könnte.

5.9.

Und das kann sehr schnell geschehen. Im Bereich der erneuerbaren Energien ist zu beobachten, dass Europa bei der Batteriespeichertechnologie den Anschluss verloren hat. Bei der Elektromobilität haben China und Kalifornien die Führerschaft übernommen, die weltweit billigsten PV-Panel werden in China hergestellt; und das ist kaum auf Lohndumping zurückzuführen. Es ist dringend notwendig, die öffentlichen und privaten FuE-Investitionen erheblich aufzustocken.

5.10.

Die weltweit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen stellen europäische Unternehmen im internationalen Wettbewerb vor bedeutende Herausforderungen. Sektoren wie Stahl, Papier und Chemie, wo es besondere globale Verflechtungen gibt, sind nach wie vor wirtschaftlich wichtig. In der EU ist die Klimabelastung durch die verarbeitende Industrie aufgrund der technologischen Entwicklung zwischen 1990 und 2012 um 31 % zurückgegangen (16).

5.11.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Rolle dieser Industriesektoren bis 2050 vollkommen durch neue „grüne“ Industriezweige ersetzt werden kann. Es würde weder der europäischen Wirtschaft noch dem globalen Klima dienlich sein, wenn Produktionsverlagerungen dieser Industrien in Länder außerhalb der EU forciert würden, ohne dass es global zu Emissionsrückgängen käme.

5.12.

Das Ausmaß dieses „carbon leakage“ sorgt oftmals für Diskussionsstoff. Es kann sich um eine direkte Form des „carbon leakage“ handeln, indem Fabriken und Produktionsstätten als direkte Reaktion auf neue politische Maßnahmen in Nicht-EU-Länder verlagert werden, aber auch um eine indirektere Form, indem verstärkt in Nicht-EU-Ländern investiert wird, für den Moment jedoch weiterhin in der EU produziert wird. In Bezug auf die heutigen globalen Unternehmen ist aufgrund der vielen Produktionsfaktoren letzteres viel häufiger der Fall. Da die Produktion in diesen „alten Industrien“ weltweit zunimmt, müssen auch für diese Industriezweige in der EU ausgewogene Anreize für die Förderung CO2-armer Technologien geschaffen werden, ohne ihre relative Wettbewerbsfähigkeit zu beeinträchtigen.

5.13.

Industrie und Handel in der EU müssen mit daran arbeiten, ihren Beitrag zur Verringerung der Klimabelastung durch ihre Unternehmen im Einklang mit dem Ziel von minus 80-95 % bis 2050 zu leisten. Der Fahrplan zur Erreichung dieses Ziels könnte allerdings je nach Sektor und Unternehmen unterschiedlich sein. Industrie und Handel in der EU können durch die Entwicklung, Herstellung und Ausfuhr von Erzeugnissen und Dienstleistungen andere Länder in ihren Bemühungen zur Emissionsreduktion unterstützen. Sofern dies bei einer geringeren Klimabelastung in Europa als in anderen Regionen geschieht, könnten kurzfristig sogar höhere Gesamtemissionen erlaubt werden, ohne jedoch das europäische Reduktionsziel im Horizont 2050 in Frage zu stellen. Es sollte daher geprüft werden, ob spezifische EU-Fahrpläne für jeden einzelnen Industriesektor zweckdienlich sind.

5.14.

Die beschriebenen Probleme von „carbon leakage“ bzw. „low carbon leakage“ sind nicht Teil der COP-21-Verhandlungen. Deshalb muss sich die EU auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass z. B. marktwirtschaftliche Mechanismen geschaffen werden, die z. B. produktbezogene Emissionen bei globalen Handelsfragen berücksichtigen. Es sind weitere Maßnahmen zur Vermeidung von Emissionsverlagerungen erforderlich, beispielsweise der preisliche Grenzausgleich auf den Kohlenstoffgehalt von exportierten und importierten Gütern (Border Carbon Adjustments, BCA), um gleiche Ausgangsbedingungen zu gewährleisten. Bei BCA wird der Preis importierter Güter an der Grenze auf der Grundlage ihres Klimagasgehalts erhöht. Modellen einer neueren Studie zufolge können BCA Emissionsverlagerungen in betroffenen Branchen erheblich mindern (17).

5.15.

BCA in ihrer derzeit geplanten Form werden von einigen der wichtigsten Handelspartner der EU nicht gutgeheißen. Darüber muss im Rahmen der WTO verhandelt werden. Das WTO-Abkommen ermöglicht die Prüfung solcher „nicht handelsbezogenen Anliegen“. Allerdings sollte nicht unterschätzt werden, wie schwierig sich dies ohne eine internationale Vereinbarung über eine Bepreisung der CO2-Emissionen gestalten würde. Dem kann durch konzeptionelle Verbesserungen von BCA begegnet werden. Schlussendlich sind angemessen konzipierte BCA keine Anti-Dumping-Maßnahme, sondern dienen der Förderung eines weltweiten nachhaltigen Klimaschutzes (18).

5.16.

Konkret bedeutet dies, dass z. B. bei den TTIP- bzw. CETA-Verhandlungen entsprechende Mechanismen vorgesehen werden sollten.

Was würde ein (teilweises) Scheitern der Verhandlungen bedeuten?

5.17.

Der EWSA möchte mit diesen Ausführungen zum Ausdruck bringen, dass selbst ein Scheitern bzw. ein teilweises Scheitern der COP-21-Verhandlungen, so bedauerlich dies wäre, zwar ein herber Rückschlag wäre, aber keinesfalls das „Aus“ von Klimaschutzaktivitäten bedeutet. Die Klarheit und Berechenbarkeit, die ein verbindliches Abkommen mit sich bringen würde und die für die Wirtschaft wie für die Gesellschaft allgemein unbedingt wünschenswert wäre und die neue Impulse setzen würde, wäre nicht gegeben. Real hat der Kampf um Zukunftsmärkte bei grünen Technologien indes längst begonnen, und diesem Kampf wird sich Europa stellen müssen, mit oder ohne COP-21-Ergebnisse.

5.18.

Der Weg in die „low carbon economy“ ist bekanntlich nicht allein mit dem Argument des Klimaschutzes zu begründen. Die beginnende Knappheit der fossilen Energien, das Thema Energiesicherheit und die Tatsache, dass mit EE-Technologien in vielen Bereichen bereits billiger Energie produziert wird als mit konventionellen Energieträgern, zeichnen den unumkehrbaren Weg vor.

6.   Die Rolle der Zivilgesellschaft

6.1.

So wie der EWSA die Positionen der Kommission in ihrer Mitteilung zum Paris-Protokoll unterstützt, so unverständlich findet er es auf der anderen Seite, dass die Mitteilung jegliche Strategie dazu vermissen lässt, wie die Kommission ihre Positionen sowie die später anstehende Umsetzung der Beschlüsse mit der Zivilgesellschaft kommunizieren bzw. organisieren will. Für den EWSA steht die Kommission eindeutig in einer Bringschuld, zu ihrer klimapolitischen Strategie in einen strukturierten Dialog mit der Zivilgesellschaft und insbesondere mit den sie repräsentierenden institutionellen Gremien einzutreten.

6.2.

Der Zivilgesellschaft kommen mindestens drei wichtige Rollen zu. Zum einen muss sie dazu beitragen, den politischen Verhandlungsprozess zu begleiten und gesellschaftlichen Druck ausüben, damit die oben genannten verbindlichen Beschlüsse nicht nur gefasst werden, sondern auch den ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Erwartungen entsprechen.

6.2.1.

Verhandlungen — wie die COP — sind ja nur deshalb nötig, weil es innerhalb der Staatengemeinschaft unterschiedliche Auffassungen über Dringlichkeit, Umfang, Finanzierung, Verantwortlichkeit usw. gibt. Wäre man sich einig, bräuchte man nicht zu verhandeln. Auch innerhalb der Zivilgesellschaft gab (und gibt) es entsprechend unterschiedliche Positionen. Doch die letzten COP haben indes gezeigt, dass es längst nicht mehr „nur“ Umweltschützer, entwicklungspolitische Gruppen, Frauenorganisationen oder die Vertreter indigener Völker — um nur einige „Stakeholder“ zu nennen — sind, die sich für einen stringenten Klimaschutz einsetzen, sondern dass eine ganz breite globale zivilgesellschaftliche Bewegung entstanden ist.

6.2.2.

Besonders zu würdigen ist seit vielen Jahren das intensive Engagement der (globalen) Gewerkschaftsbewegung sowie vieler Wirtschaftskreise und Unternehmen, genannt sei hier z. B. die Arbeit des IGB und des World Business Council for Sustainable Development. Es wird anerkannt, dass eine ressourceneffiziente und klimaschonende Wirtschaftsweise neue wirtschaftliche Entwicklungschancen eröffnet.

6.2.3.

Die COP 20 in Lima war diesbezüglich eine eindrucksvolle „Demonstration“ beider Seiten, sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer, aber auch der gesamten Zivilgesellschaft, die den verantwortlichen Politikern zeigt, dass sehr breite Gesellschaftsschichten mehr wollen, als politisch bisher verhandelt wurde.

6.2.4.

Auch in den Kommunen und den Regionen haben Klimaschutzaktivitäten eine völlig neue Dimension erreicht. Auch dort wird anerkannt, dass nicht nur eine Notwendigkeit besteht, weitere Schäden von bestimmten Regionen und den dort lebenden und wirtschaftenden Menschen abzuwenden, sondern sich Chancen zum Aufbau neuer Wertschöpfungsketten auftun, die genutzt werden sollten.

6.3.

Die zweite Rolle der Zivilgesellschaft liegt darin, aktiv an der Umsetzung der Klimaschutzbeschlüsse mitzuwirken. Die Politik muss sich hier nach Auffassung des EWSA strategisch völlig neu aufstellen, eine solche Mitwirkung möglich machen und sich um eine viel intensivere Einbeziehung bemühen.

6.3.1.

Der EWSA hat z. B. in seiner Untersuchung zur Frage, wie die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der europäischen Erneuerbaren-Energien-Richtlinie eingebunden ist, sehr dezidiert erfahren, dass sich breite Kreise der Zivilgesellschaft, inkl. viele KMU, eine direkte Beteiligung, z. B. in Form von Bürgerenergieprojekten, wünschen, um von den neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten in ihren Regionen selbst profitieren zu können.

6.3.2.

Der Erfolg z. B. der „Energiewende“ in Dänemark und Deutschland beruht ja geradezu darauf, dass sich Privatbürger, Landwirte, Gemeinden, Genossenschaften und kleinere Unternehmen an der Energieproduktion beteiligen und daraus auch wirtschaftlich Nutzen ziehen, doch die entsprechenden Beteiligungsmöglichkeiten werden von der Kommission eher systematisch verschlechtert, denn verbessert.

6.4.

Drittens kann die Zivilgesellschaft neben der Überwachung des Prozesses und der Unterstützung für die Umsetzung der Beschlüsse auch zur Verbreitung bewährter Verfahren und von Fachwissen in Verbindung mit positiven Entwicklungen in den Unternehmen beitragen. Ein besonderer Schwerpunkt sollte auf die wirtschaftlichen Bereiche gelegt werden, über die die weit verbreitete falsche Annahme herrscht, dass sie untätig bleiben und die Emissionen einfach weitersteigen lassen — beispielsweise Verkehr oder industrielle Verfahren. Politische Entscheidungen können wirksamer sein, wenn die Anreize auf dem Wissen über aktuelle oder künftige Entwicklungen in Technologie und Unternehmensmodellen beruhen. Die Zivilgesellschaft kann diese Rolle durch die Veranstaltung von Konferenzen und die Förderung des Informationsaustausches ausüben, die von der starken Unterstützung durch den privaten Sektor, nicht zuletzt in den EU-Mitgliedstaaten zeugen.

6.5.

Auf der COP 21 wird die strategische Rolle der Zivilgesellschaft so gut wie nicht angesprochen. Umso wichtiger ist es, dass sich die politisch Verantwortlichen außerhalb des COP-Prozesses mit der Zivilgesellschaft abstimmen und entsprechende Strategien entwickeln.

6.6.

Die EU hat hier einen enormen Nachholbedarf. Der Ausschuss bedauert beispielsweise, dass weder im „Energie- und Klimapaket 2030 der EU“ noch im Vorschlag zur Europäischen Energieunion konkrete Ideen zur Einbeziehung der Zivilgesellschaft gegeben werden.

6.7.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, dem Rat und dem EP, hier endlich in einen intensiven und strukturierten Dialog einzutreten, um die grundsätzliche Bereitschaft der Gesellschaft, neue Strukturen zu entwickeln, nicht zu verspielen. Die neue Klimapolitik kann und darf nicht „von oben“ verordnet werden, sondern muss auf breiter Zustimmung bei allen Beteiligten fußen und „von unten“ umgesetzt werden.

Brüssel, den 2. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  D. h. vom Menschen verursachte.

(2)  D. h. vom Menschen verursachte.

(3)  http://de.statista.com/statistik/daten/studie/311924/umfrage/treibhausgasemissionen-weltweit/

(4)  Schon heute sind die Vertragsparteien verpflichtet, regelmäßige Berichte zu veröffentlichen, die Auskunft über die aktuellen Treibhausgasemissionen und Trends enthalten müssen.

(5)  COM(2015) 81 final vom 25.2.2015.

(6)  Universität Maryland, siehe: www.tagesschau.de/ausland/klimaindex104.html

(7)  Die INDC sollten bis Ende März 2015 eingereicht sein. Mit Stand vom 17. Mai 2015 hatten lediglich die Schweiz, die EU, Norwegen, Mexiko, die USA, Gabun, Russland, Liechtenstein, Andorra und Kanada ihre INDC eingereicht.

(8)  Siehe: http://www.futurejustice.org/

(9)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020-2030“ (NAT/636), Ziffer 1.2 und 1.3.

(10)  Erörtert auf der Tagung des Rates (Auswärtige Angelegenheiten) am 19. Januar 2015, Dok. 5411/15.

(11)  Siehe Textziffer 225 der Abschlusserklärung.

(12)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Marktwirtschaftliche Instrumente zur Förderung einer ressourceneffizienten und kohlenstoffarmen Wirtschaft in der EU“ (NAT/620), Ziffer 1.3, 1.7, 1.8 (ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 1).

(13)  IMF Working Paper „How Large are Global Energy Subsidies?“ (WP/15/105).

(14)  DE: 30,6 Mrd. USD (2011) über 22,8 Mrd. USD (2012) auf nunmehr 9,9 Mrd. USD (2013). Italien: 28,0 Mrd. USD (2011, damals Rang 4 weltweit) über 14,7 Mrd. USD (2012) auf nunmehr 3,6 Mrd. EUR (2013, nun weltweit Rang 10).

(15)  Hinweis auf World Resource Institute-Studie: Better Growth Better Climate, The New Climate Economy Report.

(16)  Europäische Umweltagentur: Jährliches Treibhausgasinventar der Europäischen Gemeinschaft 1990-2012 und Inventarbericht 2014.

(17)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Marktwirtschaftliche Instrumente zur Förderung einer ressourceneffizienten und kohlenstoffarmen Wirtschaft in der EU“ (NAT/620), Ziffer 3.5 (ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 1)..

(18)  Siehe Fußnote 17.


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/84


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzstrategie

(COM(2015) 80 final)

und der

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Erreichung des Stromverbundziels von 10 % — Vorbereitung des europäischen Stromnetzes auf 2020

(COM(2015) 82 final)

(2015/C 383/12)

Berichterstatterin:

Frau Ulla SIRKEINEN

Mitberichterstatter:

Herr Pierre-Jean COULON

Die Europäische Kommission beschloss am 9. bzw. 25. März 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzstrategie

(COM(2015) 80 final)

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Erreichung des Stromverbundziels von 10 % — Vorbereitung des europäischen Stromnetzes auf 2020

(COM(2015) 82 final).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 16. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 1. Juli) einstimmig (mit 100 Stimmen) folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der EWSA ist zu folgenden Schlussfolgerungen gelangt:

1.1.

Die EU-Energiepolitik hat sich zumindest in Bezug auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Vergrößerung des Angebots für die Verbraucher als erfolgreich erwiesen. Indes werden die meisten energiepolitischen Fragen in der Praxis nach wie vor als nationale Belange erachtet.

1.2.

Die Probleme haben sich verschärft: Risiken für die Gasversorgungssicherheit; steigende Energiekosten, die den Verbrauchern schaden und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie beeinträchtigen; Auswirkungen eines hohen Anteils an fluktuierenden erneuerbaren Energien auf die Stabilität des Stromsystems.

1.3.

Zur Sicherung der Energieversorgung in Europa sind umfangreiche Investitionen erforderlich. Investoren benötigen einen möglichst berechenbaren und zuverlässigen politischen Rahmen.

1.4.

Um den Erwartungen der Menschen in Europa gerecht zu werden, ist ein kohärenterer Ansatz im Energiebereich erforderlich. Die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und ein umfassend funktionierender Energiebinnenmarkt sind unerlässlich.

1.5.

Der Vorschlag für eine Europäische Energieunion wird unterstützt und sollte schleunigst umgesetzt werden. Damit könnte der grenzübergreifende freie Fluss der Energie zur fünften Freiheit der EU werden!

Der EWSA unterbreitet folgende Empfehlungen:

1.6.

Für einen Erfolg dieser Initiative sollte in Form eines Leitbilds deutlicher aufgezeigt werden, welche Vorteile die europäischen Bürger und Unternehmen von einer Energieunion haben werden.

1.7.

Neben Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit sollte den Bürgern und Unternehmen entstehenden Energiekosten hohe Priorität eingeräumt werden. Wenn Steigerungen der Endkundenstrompreise politisch begründet sind, können zu Recht Korrekturmaßnahmen erwartet werden.

1.8.

Angesichts des steigenden Wettbewerbs um Energiequellen und der notwendigen Diversifizierung der Energiequellen muss Energie zu einem wichtigen Teil der EU-Außenpolitik werden.

1.9.

Bei der im Fahrplan vorgeschlagenen und vom Ausschuss unterstützten Ausarbeitung von Vorschlägen zur Überarbeitung der einzelnen Rechtsvorschriften im Energiebereich sollte die Europäische Kommission Unstimmigkeiten und Kostensteigerungen vermeiden und vielmehr auf eine Vereinfachung der Verfahren abheben.

1.10.

In Zusammenarbeit mit den Verbrauchern sollten Verfahrensweisen, insbesondere die innovative Nutzung der IKT, entwickelt werden, um die aktive Teilnahme der Verbraucher am Energiemarkt zu fördern. Energiearmut sollte in erster Linie durch sozialpolitische Maßnahmen bekämpft werden.

1.11.

Im Hinblick auf die Nutzung des enormen Energieeffizienzpotenzials insbesondere im Gebäude- und im Verkehrsbereich sind innovative Finanzierungslösungen gefragt.

1.12.

Eine strukturelle Reform des EU-Emissionshandelssystems (EU ETS) tut Not, wobei Maßnahmen in den Nicht-EHS-Sektoren ebenso wichtig sind.

1.13.

Bis weltweit gleiche Ausgangsbedingungen erreicht sind, muss dem Problem der Kohlenstoffverlagerung umfassend Rechnung getragen werden. Die bzgl. THG-Effizienz am besten abschneidenden Unternehmen müssen einen vollen Ausgleich für direkte und indirekte Kostensteigerungen erhalten.

1.14.

Die Entwicklung erneuerbarer Energien, u. a. Bioenergie, sollte gefördert werden, was aber nicht zu einer Steigerung der Verbraucherkosten führen sollte.

1.15.

Zur Bewältigung künftiger Herausforderungen im Energiebereich müssen verstärkt Forschung und Innovation finanziert werden. Ein möglichst effizienter und nachhaltiger Umgang mit Energie als Produktionsmittel eröffnet ein breites Potenzial für Wachstum und Beschäftigung in der EU.

1.16.

Eine neue Energie-Governance muss für Kohärenz zwischen verschiedenen Aspekten der Energiepolitik und für die Umsetzung von EU-Zielen sorgen. Der vom EWSA als flankierende Maßnahme vorgeschlagene Europäische Energiedialog (EED) sollte umgehend auf den Weg gebracht werden.

1.17.

Maßnahmen zum Ausbau des Stromverbundnetzes, u. a. kürzere Genehmigungsverfahren, müssen dringend umgesetzt werden. Es könnte geprüft werden, ob eine gleiche Zielsetzung für alle Mitgliedstaaten wirklich praktisch möglich ist.

2.   Einleitung

2.1.

Mit der Energiepolitik in der EU werden drei Hauptziele verfolgt: Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Die EU-Rechtsvorschriften erstrecken sich auf die Energiemärkte sowie auf die Umwelt- und Klimaaspekte der Energie. Die EU unterstützt finanziell Forschung und Entwicklung sowie Infrastrukturentwicklung im Energiebereich. Eine effiziente Energienutzung fällt weithin in den Zuständigkeitsbereich der lokalen, regionalen oder nationalen Ebene, wobei Binnenmarktaspekte zu berücksichtigen sind. Die Verträge gewähren den Mitgliedstaaten das Recht, über die Nutzung ihrer Energieressourcen und die Zusammensetzung ihres Energiemixes zu bestimmen.

2.2.

Energiepolitische Maßnahmen in Europa sind teilweise als erfolgreich zu bewerten. Die Ziele (die so genannten „20-20-20-Ziele“ bis 2020) zur Senkung des Klimagasausstoßes und zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energieträger am Energieverbrauch dürften vor Fristablauf erfüllt sein und das Energieeffizienzziel dürfte fast fristgerecht erreicht werden, wenn auch vor allem aufgrund der Wirtschaftskrise. Neue Märkte sind erschlossen worden und die Verbraucher verfügen über mehr Auswahlmöglichkeiten. In der Praxis wird Energiepolitik indes vor allem als nationale Angelegenheit betrachtet. Die EU-Rechtsvorschriften sind nur langsam oder unvollständig umgesetzt worden, einen wirklich funktionierenden Binnenmarkt gibt es noch nicht. Maßnahmen zu verschiedenen Energieaspekten sind auf EU- und auf Mitgliedstaatsebene fragmentiert und häufig unausgewogen.

2.3.

Um dem abzuhelfen, schlug das Notre Europe — Jacques Delors Institut 2010 die Errichtung einer Europäischen Energiegemeinschaft vor. Der Ausschuss unterstützte diese Initiative aktiv.

2.4.

In jüngster Zeit sind neue Herausforderungen im Energiebereich aufgetreten. In einigen Mitgliedstaaten herrscht Sorge um die Energieversorgungssicherheit. Verbraucher, insbesondere die Schutzbedürftigen unter ihnen, leiden unter steigenden Energiekosten bei gleichzeitigem Konjunkturrückgang. Die Industrie kämpft darum, gegenüber anderen Regionen mit niedrigeren Energiepreisen wettbewerbsfähig zu bleiben. Wird der industrielle Niedergang, der in vielen Mitgliedstaaten Hand in Hand mit Kohlenstoffverlagerung geht, nicht gestoppt, sind nicht nur Arbeitsplätze und das Wachstum in Gefahr, sondern auch die Energiewende selbst. Trotz seiner großen Erfolge im Bereich der erneuerbaren Energien (EE) läuft Europa Gefahr, seine Vorreiterrolle zu verlieren. In einigen Ländern führen immer höhere EE-Anteile zu Managementproblemen im Elektrizitätssystem und die herkömmliche Energieerzeugung aus fossilen Energieträgern wird zunehmend unrentabler. Mittelfristig müssen laut Kommission (1) zwischen 2020 und 2030 2 Billionen EUR u. a. in die Erzeugungs- und Netzinfrastruktur investiert werden, um die Energieversorgung zu sichern, unabhängig von der Frage, ob man auf konventionelle oder alternative Energieträger setzt.

3.   Die Mitteilungen der Kommission

3.1.

Die neue Europäische Kommission unter Jean-Claude Juncker hat die Energiepolitik zu einem ihrer zehn Schwerpunktbereiche erklärt. Im Oktober 2014 legte der Europäische Rat Ziele für eine Energie- und Klimapolitik bis 2030 fest: eine Senkung des Klimagasausstoßes um mindestens 40 % gegenüber 1990, ein Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch von mindestens 27 % und eine Verbesserung der Energieeffizienz um mindestens 27 %.

3.2.

Am 25. Februar 2015 legte die Kommission ihre Mitteilung „Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzstrategie“ (2) vor. Die Strategie verfügt über fünf sich gegenseitig verstärkende und miteinander verknüpfte Dimensionen, mit denen größere Energieversorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit angestrebt wird:

Sicherheit der Energieversorgung, Solidarität und Vertrauen;

ein vollständig integrierter europäischer Energiemarkt;

Energieeffizienz als Beitrag zur Senkung der Nachfrage;

Verringerung der CO2-Emissionen der Wirtschaft;

Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.

3.3.

Die Strategie gründet auf dem Zukunftsbild der Kommission von einer Energieunion. Ausgehend von den kurz erläuterten Herausforderungen im Rahmen der fünf Dimensionen werden 15 Maßnahmen vorgeschlagen. Der Anhang zu der Mitteilung enthält einen Fahrplan mit den von der Kommission für vor allem 2015 und 2016 geplanten Maßnahmen. Es handelt sich überwiegend um die Überarbeitung bestehender Rechtsvorschriften.

3.4.

Im Rahmen des Pakets zur Energieunion legte die Kommission eine Mitteilung „Erreichung des Stromverbundziels von 10 % — Vorbereitung des europäischen Stromnetzes auf 2020“ (3) sowie eine Mitteilung „Das Paris Protokoll — Ein Blueprint zur Bekämpfung des globalen Klimawandels nach 2020“ (4) vor.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der Ausschuss befürwortet diese Initiative der Europäischen Kommission, denn sie steht seiner Meinung nach in engem Zusammenhang mit der früher angedachten Europäischen Energiegemeinschaft.

4.2.

Um die erforderliche umfangreiche Finanzierung bereitstellen zu können, müssen die Investoren baldmöglichst über einen ab 2020 geltenden, berechenbaren und zuverlässigen Rechtsrahmen verfügen. Die von der Kommission vorgelegten Maßnahmen und ihr Fahrplan beinhalten keine umwälzenden Veränderungen, sondern überarbeitete und aktualisierte Rechtsvorschriften. Ausschlaggebend ist nun die praktische Durchführung. Es kommt vor allem darauf an, dass der ehrgeizige Zeitplan eingehalten wird. Genauso wichtig ist selbstredend, dass das Europäische Parlament und der Rat die gebotene Eile walten lassen.

4.3.

Für einen Erfolg dieser Initiative hält der Ausschuss es jedoch für erforderlich, in Form eines Leitbilds deutlicher aufzuzeigen, welche Vorteile die europäischen Bürger und Unternehmen von einer Energieunion haben werden. Alle beteiligten Entscheidungsträger sollten sich an diesem Leitbild orientieren.

4.4.

Viele Interessenträger sind besorgt angesichts unstimmiger Rechtsvorschriften und Eingriffe in zu vielen Bereichen der Energiewirtschaft. Um den Erwartungen der Menschen in Europa, insbesondere mit Blick auf neue Herausforderungen, gerecht zu werden, ist im Energiebereich ein kohärenterer Ansatz erforderlich, d. h., eine bessere Abstimmung der verschiedenen strategischen Ziele und Bereiche sowie der nationalen und der übergreifenden gemeinsamen EU-Interessen.

4.5.

Der Ausschuss ist überzeugt, dass die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und ein umfassend funktionierender Energiebinnenmarkt unerlässlich für die Verwirklichung der energiepolitischen Ziele sind. Die erneuerbaren Energieträger müssen ausgebaut werden, um die Außenabhängigkeit zu verringern und den Klimagasausstoß zu senken. Es ist bereits bekannt, dass ein Elektrizitätssystem mit einem vergleichsweise hohen Anteil an fluktuierender erneuerbarer Energie besser in einem länderübergreifenden Markt funktionieren kann. Auch für Reservekapazitäten, Spitzenlast und (Gas-)Speicherung fallen in einem größeren Markt geringere Kosten an.

4.6.

Neben Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit sollte den Bürgern und Unternehmen entstehenden Energiekosten hohe Priorität eingeräumt werden. In einer Zeit, in der die Bürger der EU immer mehr entfremdet sind und unter der Wirtschaftskrise leiden, sind ihnen die Energiekosten zweifellos ein wichtiges Anliegen. Dies gilt auch für Unternehmen, insbesondere KMU, und ihre Arbeitnehmer, die im internationalen Wettbewerb bestehen müssen.

4.7.

Wenn die Steigerungen der Endkundenenergiepreise, insbesondere der Strompreise, in erster Linie durch politische Entscheidungen betreffend Steuern und Gebühren begründet sind, können zu Recht Korrekturmaßnahmen erwartet werden. Die Kommission sollte ihre Pläne zur Überprüfung der Preise und zur Aufstellung von Leitlinien für Fördermaßnahmen in die Praxis umsetzen. Gleichzeitig sollte die Kommission darstellen, welche preislichen Auswirkungen die geplanten Änderungen im Emissionshandelssystem sowie die versprochenen Streichungen der Subventionen für umweltschädliche Energieträger (5) haben werden.

5.   Besondere Bemerkungen

Sicherheit der Energieversorgung, Solidarität und Vertrauen

5.1.

Der Ausschuss stimmt der Kommission darin zu, dass die wichtigsten Grundlagen für die Energieversorgungssicherheit die Verwirklichung des Energiebinnenmarktes und ein effizienterer Energieverbrauch sind. Darüber hinaus muss auch dem internationalen geopolitischen Kontext mehr Gewicht beigemessen werden. Der globale Wettbewerb um Energieressourcen wird zunehmen; diese Tatsache und die Diversifizierung der Energieversorgung der EU sollten zentrale Anliegen der EU-Außen- und -Handelspolitik sein.

5.2.

Die Diversifizierung der Energieversorgung hängt weit gehend vom nationalen Energiemix und den nationalen Versorgungsoptionen ab. Die EU kann und sollte den Infrastrukturausbau fördern. Derzeit steht die Gasversorgung im Brennpunkt. Die Entwicklung der Gasnachfrage in der EU sollte eingehend analysiert und in der Planung von Infrastrukturinvestitionen berücksichtigt werden. Die Aufmerksamkeit sollte verstärkt auf andere, insbesondere einheimische Energiequellen gerichtet werden.

5.3.

Die Mitgliedstaaten sollten sich bewusst machen, dass eine engere Zusammenarbeit und Informationsaustausch in ihrem Interesse liegen, wenn sie auf einem Markt — wie bspw. dem Erdgasmarkt — einem marktbeherrschenden Anbieter oder einem Kartell gegenüberstehen. Die Zusammenarbeit sollte jedoch nicht das Funktionieren des Marktes behindern. Es ist von Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten auszugehen, Voraussetzung sind jedoch Vertrauen und die Einhaltung gemeinsamer Verpflichtungen und Regeln. Die Probleme von Energieinseln bedürfen besonderer Aufmerksamkeit. Auch müssen die spezifischen Gegebenheiten auf Inseln im Vergleich zum Festland berücksichtigt werden.

Ein vollständig integrierter Energiebinnenmarkt

5.4.

Wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung der Energieunion ist die Modernisierung der Strom- und Gasnetze. Die Frage des Stromverbunds wird in Ziffer 6 auf der Grundlage der einschlägigen Mitteilung erörtert.

5.5.

Die Energiemärkte und insbesondere der Elektrizitätsmarkt leiden unter der unvollständigen Umsetzung der einschlägigen Richtlinien und der nach wie vor schwachen Zusammenarbeit zwischen Übertragungsnetzbetreibern und nationalen Regulierungsbehörden. Der Ausschuss unterstützt die diesbezüglichen Vorschläge der Kommission, warnt jedoch vor mehr Verwaltungsaufwand und Kosten.

5.6.

Die Verbindungen zwischen den Großhandels- und Endmärkten sind schwach oder zumindest undurchsichtig. Hier muss für mehr Transparenz im Hinblick auf die Preisgestaltung gesorgt werden. Problematisch scheinen insbesondere ungenügende Preissignale für Investitionen und mangelnde Nachfrageflexibilisierung zu sein. Als Herausforderungen stellen sich der zunehmende Anteil erneuerbarer Energie und die Frage, ob Überkapazitäten vorgehalten oder Spitzenlasten ausgeglichen werden sollen. Eine Überprüfung der einschlägigen Rechtsvorschriften ist angesagt, doch sollte die Kommission bemüht sein, erhöhte Verbraucherkosten zu vermeiden und grenzüberschreitende Märkte zu fördern.

5.7.

Die Elektrizitäts- und Gasmärkte sind de facto bereits regionale Märkte von Nachbarländern. Dies ist als Entwicklung hin zu EU-weiten Märkten zu begrüßen und sollte von den Entscheidungsträgern gefördert werden. Insbesondere sollten zwischen den Regionen und auch der EU bewährte Verfahren und Erfahrungen ausgetauscht werden. Auch hier ist vor mehr bürokratischen Hürden zu warnen.

5.8.

Es ist von allgemeinem Interesse, dass die Verbraucher aktiv am Energiemarkt teilnehmen, doch lässt sich dies nicht erzwingen. In Zusammenarbeit mit den Verbrauchern müssen gezielt Verfahrensweisen, insbesondere die innovative Nutzung der IKT, entwickelt werden, um das Potenzial der Nachfragesteuerung und der damit verbundenen Kosteneinsparungen auszuschöpfen.

5.9.

Besonders schutzbedürftige Verbraucher sind in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage in vielen Mitgliedstaaten noch stärker gefährdet als ohnehin. Der Ausschuss befürwortet den Denkansatz der Kommission, diese Verbrauchergruppen in erster Linie durch geeignete sozialpolitische Maßnahmen zu unterstützen. Eine europäische Beobachtungsstelle für Energiearmut, wie sie der Ausschuss bei früherer Gelegenheit vorgeschlagen hat, wäre hilfreich, um den praktischen Bedarf auszuloten.

Energieeffizienz als Beitrag zur Senkung des Energiebedarfs

5.10.

Der Ausschuss ist wie die Kommission der Auffassung, dass die Arbeit im Bereich Energieeffizienz überwiegend auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene erfolgen muss. Zu den erfolgreichen Maßnahmen der EU in diesem Bereich zählen die Vorschriften in den Bereichen Ökodesign und Energieverbrauchskennzeichnung, die regelmäßig überarbeitet werden müssen.

5.11.

Der Ausschuss begrüßt die Absicht der Kommission, durch Vorschläge sicherzustellen, dass der Energieeffizienz und der nachfrageseitigen Steuerung im Energiemarkt die gleiche Bedeutung zukommen, vorausgesetzt, dies liegt im Interesse der Verbraucher.

5.12.

Der Ausschuss stimmt zu, dass das Energieeffizienz- bzw. Energiesparpotenzial im Gebäude- und im Verkehrssektor enorm ist und über sorgfältig konzipierte Maßnahmen genutzt werden sollte. Bspw. müssten Systeme für Energiezertifizierung und Baustoffkennzeichnung überprüft werden. Innovative Finanzierungslösungen sind gefragt.

Umstellung auf eine Wirtschaft mit geringen CO2-Emissionen

5.13.

Der Ausschuss erarbeitet eine separate Stellungnahme zu der Mitteilung „Auf dem Weg nach Paris“. Er unterstützt im Wesentlichen die Bemühungen der EU, die sich auf diesem wichtigen Weg für ausreichende globale rechtsverbindliche Zusagen einsetzt.

5.14.

Wie schon in früheren Stellungnahmen befürwortet der Ausschuss auch die Vorschläge für eine Umstrukturierung des EU-Emissionshandelssystems (EU-EHS). Ebenso wichtig sind die Beschlüsse über vor allem nationale Maßnahmen in den Nicht-EHS-Sektoren.

5.15.

Bis weltweit gleiche Ausgangsbedingungen erreicht sind, muss die EU dem Problem der Kohlenstoffverlagerung umfassend Rechnung tragen. Für energieintensive Unternehmen, bei denen die Gefahr der Kohlenstoffverlagerung besteht, muss ein vollständiger Ausgleich für direkte und indirekte, durch das EU-EHS bedingte Kostensteigerungen in Abstimmung auf ihre THG-Effizienz sichergestellt werden, wobei die am besten abschneidenden Unternehmen einen vollen Ausgleich erhalten müssen. Ein indirekter Ausgleich sollte im Rahmen eines EU-weiten Systems geregelt werden, um Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern.

5.16.

Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich das Ziel, der EU weltweit die Führungsrolle bei den erneuerbaren Energien zu sichern. Fördermaßnahmen sind notwendig, sollten indes in Einklang mit Marktvorschriften stehen, marktbasiert sein und eine Erhöhung der Energieendverbraucherpreise vermeiden. Die Förderung für ausgereifte und wettbewerbsfähige Technologien sollte schrittweise eingestellt werden. Der Ausschuss befürwortet die diesbezüglichen Bemühungen der Kommission.

5.17.

Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energieträger sollte sich die EU die Entwicklung verschiedener Niedrigemissionstechnologien und -lösungen — „Clean Tech“, also neue grüne Umwelttechnologien — zum Ziel setzen.

5.18.

Der Ausschuss unterstützt die Ansicht der Kommission, dass die EU in die pflanzenbasierte Bioökonomie als wichtige Quelle zuverlässiger erneuerbarer Energie investieren muss. Bei der Aufstellung entsprechender Pläne muss den Auswirkungen auf die Umwelt, die Landnutzung und die Lebensmittelerzeugung Rechnung getragen werden. Auch Wasserkraft hat Potenzial.

Eine Energieunion für Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit

5.19.

Der Ausschuss befürwortet die vorgeschlagene neue Strategie für Forschung und Innovation, bekräftigt jedoch seinen in früheren Stellungnahmen bereits zum Ausdruck gebrachten Standpunkt, dass zur Bewältigung künftiger energiepolitischer Herausforderungen mehr Ressourcen bereitgestellt werden müssen. Er unterstreicht insbesondere die Notwendigkeit der Förderung der privaten Finanzierung durch EU-Maßnahmen und eines stärkeren Engagements in der globalen FuE-Zusammenarbeit.

5.20.

Bei der Wettbewerbsfähigkeit der EU geht es indes nicht nur darum, in Energie- und Klimaschutztechnologien führend zu sein. Mindestens ebenso wichtig ist es, mit Energie als Produktionsmittel so effizient und nachhaltig wie möglich bzw. besser als die Konkurrenten umzugehen. Dies ist ein breiter gefächerter und sichererer Ansatz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung in Europa.

5.21.

Alle Wirtschaftsbereiche sind vom Wandel betroffen. Der Ausschuss betont nachdrücklich, dass der Wandel gerecht und fair sein muss. Berufsbildung und lebenslanges Lernen sind entscheidend für einen Erfolg. Der soziale Dialog auf EU- und nationaler Ebene spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Lenkung der Energieunion

5.22.

Der Ausschuss unterstützt voll und ganz die Anstrengungen der Kommission, für Kohärenz zwischen verschiedenen Aspekten der Energiepolitik und Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten zu sorgen. Das neue Lenkungssystem muss auch auf die Umsetzung der EU-Ziele für 2030 abheben. Anstatt jedoch den Mitgliedstaaten weitere Planungs- oder Berichterstattungspflichten aufzuerlegen, sollten lieber bereits bestehende Anforderungen angepasst werden.

5.23.

Der Ausschuss nimmt zufrieden zur Kenntnis, dass die Kommission seine Initiative, einen Energiedialog mit den Interessenträgern einzurichten, aufgegriffen hat. Er erwartet nun einen ausführlichen einschlägigen Aktionsplan.

6.   Bemerkungen zu der Mitteilung „Erreichung des Stromverbundziels von 10 %“

6.1.

Ein größerer Anteil fluktuierenden erneuerbaren Stroms und die Senkung der Kosten für Spitzenlast und Reservekapazität erfordern mehr Netzkapazität. Die Notwendigkeit von mehr Verbindungsleitungen ist vielfach offenkundig und sogar dringlich. Es ist erstaunlich, dass die Erreichung des 10 %-Ziels in so vielen Fällen noch in weiter Ferne liegt. Die in der Mitteilung vorgeschlagenen Maßnahmen werden begrüßt. Der Ausschuss hat sich zu dieser Thematik bereits geäußert, u. a. jüngst in einer Initiativstellungnahme zum Thema „Die europäische Zusammenarbeit im Bereich der Energienetze“.

6.2.

Das Konzept der „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ scheint ebenso angemessen wie die vorrangige Finanzierung von Vorhaben, die eine deutliche Erhöhung der derzeit noch unter dem 10 %-Ziel liegenden Verbindungskapazität ermöglichen. Allerdings sollte auch der wirtschaftlichen Situation in den betreffenden Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden.

6.3.

Die TEN-E-Verordnung muss dringend in vollem Umfang umgesetzt werden. Die Genehmigungsverfahren müssen unbedingt abgekürzt werden. Auch sollten in diesem Bereich alle Möglichkeiten ausgelotet werden, die Verfahren durch eine frühzeitige Einbeziehung der lokalen Interessenträger zu erleichtern und zu beschleunigen. Der Ausschuss hat diesbezüglich u. a. die Einrichtung des Europäischen Energiedialogs vorgeschlagen. Dies sollte bei der Ausarbeitung des Vorschlags für ein Energieinfrastruktur-Forum berücksichtigt werden.

6.4.

Indes könnte geprüft werden, ob eine gleiche Zielsetzung für alle Mitgliedstaaten ohne Rücksicht auf ihre Größe, ihren Energiemix, ihre Nachbarländer usw. wirklich praktisch möglich ist. Ein ausgeglichener Strompreis könnte als Indikator für eine ausreichende Verbundkapazität dienen.

Brüssel, den 1. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2014) 903 final.

(2)  COM(2015) 80 final.

(3)  COM(2015) 82 final.

(4)  COM(2015) 81 final.

(5)  Diese werden vom Internationalen Währungsfonds für Europa auf 330 Mrd. EUR pro Jahr geschätzt.


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/91


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik“

(JOIN(2015) 6 final)

(2015/C 383/13)

Berichterstatter:

Gintaras MORKIS

Mitberichterstatter:

Cristian PÎRVULESCU

Die Europäische Kommission beschloss am 10. Juni 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik

(JOIN(2015) 6 final).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 11. Juni 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 1. Juli) mit 108 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Europäische Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) haben eine öffentliche Debatte über die neue Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) angestoßen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt diese Überprüfung der ENP und betrachtet sie als eine wichtige Initiative, die zur rechten Zeit kommt.

1.2.

Der EWSA stellt fest, dass die derzeitige ENP nicht die tatsächlichen Gegebenheiten in den Nachbarländern der EU widerspiegelt und dass viele Herausforderungen zu bewältigen sind, die nicht wirksam in Angriff genommen wurden. Die Verfahren und Instrumente der ENP müssen von Grund auf verändert werden.

1.3.

Die ENP-Länder verfolgen hinsichtlich ihrer Beziehung zur EU unterschiedliche außenpolitische Prioritäten und Bestrebungen. Der EWSA betont daher, dass die Grundsätze der Differenzierung und Flexibilität angewandt werden müssen. Er hält fest, dass die Ausrichtung der ENP auf die südliche und östliche Nachbarschaft beibehalten, jedoch die politischen Maßnahmen zur Gestaltung der Beziehungen ausgebaut und verbessert werden sollten. Einige der derzeitigen ENP-Länder sollten als echte Partner der EU, andere als Nachbarn betrachtet werden. Zugleich unterstreicht der EWSA, dass die Übernahme der demokratischen Werte und die Wahrung der Menschenrechte für alle Staaten gelten sollte, da es für die anderen ENP-Länder demoralisierend wäre, wenn mit zweierlei Maß gemessen würde.

1.4.

Die Europäische Kommission hat in dem Gemeinsamen Konsultationspapier mit dem Titel Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik zahlreiche Fragen aufgeworfen. In dieser Stellungnahme wird sich der EWSA auf die wichtigsten dieser Fragen konzentrieren: die Standpunkte der Zivilgesellschaft sowohl der EU als auch der Partnerländer.

1.5.

Der EWSA begrüßt die jüngsten Konsultationen mit den südlichen Partnerländern auf dem informellen Ministertreffen über die Zukunft der ENP (Barcelona, 13. April 2015), wo die Teilnehmer ihre Absicht bekräftigten, gemeinsam auf die Schaffung eines Raumes des Wohlstands und der guten Nachbarschaft im Mittelmeerraum hinzuarbeiten. Er begrüßt auch die Gemeinsame Erklärung des Gipfeltreffens der Östlichen Partnerschaft (Riga, 21./22. Mai 2015), in der die Teilnehmer ihr Bekenntnis zu einer weiteren Stärkung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie zur Achtung der Grundsätze und Normen des internationalen Rechts erneuerten. Die EU muss weiterhin entschlossen für die territoriale Integrität sowie die Unabhängigkeit und Souveränität aller ihrer Partner eintreten.

1.6.

Die neue ENP sollte nach Auffassung des EWSA schwerpunktmäßig auf Maßnahmen für mehr menschliche Sicherheit und mehr Stabilität in der Nachbarschaft der EU sowie für bessere wirtschaftliche und soziale Bedingungen und mehr Wohlstand in den ENP-Partnerländern ausgerichtet werden. Hauptziel der erneuerten ENP sollte es sein, die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten und ihnen ein Leben in Würde und Wohlstand, frei von Gewalt, Unterdrückung und Armut in ihrem Land zu ermöglichen. Die ENP sollte einen aktiven Beitrag zu vertrauensbildenden und Post-Konflikt-Maßnahmen leisten.

1.7.

Der EWSA unterstreicht, dass bessere Beschäftigungsbedingungen, ein nachhaltiges und offenes Wirtschaftssystem, Attraktivität für ausländische Investitionen, effektive und zugängliche öffentliche Dienste und Sozialschutz die Grundlage für Stabilität, Sicherheit und selbst Demokratisierung bilden. Neben den beiden wichtigen Initiativen, die maßgeblich zur weiteren Integration der ENP-Länder mit der EU beitragen können, nämlich der Liberalisierung des Handels (hauptsächlich über Assoziierungsabkommen — AA — und Abkommen über umfassende und vertiefte Freihandelszonen — DCFTA) und der Mobilität und Visaerleichterung (bzw. Visaliberalisierung für einige Länder), ist die allgemeine und berufliche Bildung (insbesondere für junge Menschen) nach Ansicht des EWSA die dritte wichtige Initiative im Rahmen der ENP.

1.8.

Der EWSA ist der Meinung, dass die ENP nicht getrennt von der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) betrachtet werden darf. Zugleich sollte die EU — unter Bewertung der Interessen und Reaktionen von Akteuren außerhalb des Bereichs der ENP — klar Position beziehen und sicherstellen, dass niemand unabhängigen Staaten seinen Willen aufzwingen oder der EU und den ENP-Ländern ihre Agenda oder ihre Ziele vorschreiben kann.

1.9.

Die EU sollte enger mit anderen internationalen Organisationen wie der NATO und der UN zusammenarbeiten, um die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller ENP-Länder zu verteidigen. Diplomatie und Kommunikation außerhalb des Bereichs der ENP (insbesondere mit der Zivilgesellschaft) müssen als Mittel der Konfliktverhütung verstärkt werden, um Beziehungen herzustellen, die für alle Seiten von Vorteil sind und zu wirtschaftlichem Fortschritt und besseren Lebensbedingungen führen.

1.10.

Der EWSA dringt auf die Steuerung von Mobilität und Migration durch die Förderung der Solidarität der Mitgliedstaaten im Rahmen des Gesamtansatzes der EU. Partnerschaften mit den ENP-Ländern und anderen Ländern spielen bei der Bewältigung der erheblichen Herausforderungen in diesem Politikbereich eine wichtige Rolle. Die EU sollte schnell und koordiniert handelt, um eine Lösung für die humanitäre Lage im Mittelmeerraum zu finden.

1.11.

Der EWSA unterstreicht, dass die Visaerleichterung und Visaliberalisierung aus der Sicht der ENP-Partner weiterhin von entscheidender Bedeutung ist. Der EWSA begrüßt die Verhandlungen über ein Rückübernahmeabkommen mit Marokko und die Aufnahme der Verhandlungen über ein Visaerleichterungsabkommen. Verhandlungen über Visaerleichterungs- und Rückübernahmeabkommen mit Tunesien und Jordanien sieht er erwartungsvoll entgegen. Die Visaliberalisierungsabkommen (mit Moldau) und die Visaerleichterungsabkommen (mit der Ukraine, Armenien, Aserbaidschan und Georgien) sollten voll umgesetzt und zum Vorbild für alle ENP-Länder werden.

1.12.

Der EWSA schlägt vor, dass die Rolle der Zivilgesellschaft in dreierlei Hinsicht ausgebaut wird: die Zivilgesellschaft sollte befähigt werden, die Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozesse besser zu unterstützen; die zivilgesellschaftlichen Organisationen sollten stärker in die Verpflichtungen und Maßnahmen im Zusammenhang mit der ENP eingebunden werden; und schließlich sollten der Sachverstand und die Ressourcen der europäischen Zivilgesellschaft besser genutzt werden, um die Entwicklung der Zivilgesellschaft in den ENP-Ländern zu unterstützen.

1.13.

Der Ausschuss fordert, dass die Einhaltung der grundlegenden Menschen- und Sozialrechte — insbesondere der Versammlungsfreiheit und des Rechts auf Tarifverhandlungen — umfassend berücksichtigt wird. Der soziale Dialog sollte sowohl in der östlichen als auch der südlichen Partnerschaft gleichermaßen gefördert werden. Der EWSA dringt auf die Wahrung der Unabhängigkeit der Sozialpartner und der zivilgesellschaftlichen Organisationen (ZGO).

1.14.

Der EWSA betont, dass kulturelle (wie auch wirtschaftliche und politische) Institutionen zu Dialog und Konsensbildung ermutigt werden müssen. Die Stabilisierung und Demokratisierung in den ENP-Ländern hängt seiner Meinung nach von der Tragfähigkeit der Kultur- und Religionsmodelle ab, die tolerant und integrativ sein sollten.

1.15.

Nach Auffassung des EWSA sollte die EU ein klares Signal an die Bürger der ENP-Länder senden, dass die Politik ihre Bürger, ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen im Blick hat. Die Mitverantwortlichkeit auf zivilgesellschaftlicher Ebene sollte in der gesamten EU zu einem vorrangigen Anliegen werden. Im Rahmen der Überprüfung der ENP sollten die Interessen und Werte der EU besser vermittelt werden, sowohl in der EU als auch in den Partnerländern.

2.   Herausforderungen für die ENP

2.1.

Die EU braucht gutnachbarliche Beziehungen, um sich sicher fühlen und prosperieren zu können. Die ENP wurden mit dem ehrgeizigen Ziel konzipiert, die Nachbarländer der EU zu politischen und wirtschaftlichen Reformen im Gegenzug für die Öffnung der EU-Märkte, mehr Mobilität und finanzielle Unterstützung zu bewegen. Durch erhöhte sicherheitspolitische Herausforderungen und geopolitische Erschütterungen in der Nachbarschaft der EU ist die Bedeutung stabiler, demokratischer und prosperierender Nachbarländer noch stärker in den Vordergrund getreten.

2.2.

Dramatische Veränderungen in der Nachbarschaft stellen auch eine Bedrohung für die EU-Mitgliedstaaten dar. Die Umsetzung der Östlichen Partnerschaft hat Russland zu einer aggressiven Politik nicht nur gegenüber den Nachbarn der EU, sondern auch gegenüber EU-Mitgliedstaaten provoziert — insbesondere gegenüber den nordeuropäischen und den mittel- und osteuropäischen Ländern. Die gewaltsamen Konflikte in Syrien, im Irak und in Libyen haben zu humanitären Krisen und Terrorismusgefahren geführt, die auch auf die EU übergreifen können.

2.3.

Die EU muss ihre Rolle und ihren Einfluss auf die ENP-Länder und ihre Nachbarn anerkennen, die zu den politischen und sozialen Verwerfungen beigetragen und bestimmte Akteure jenseits der Grenzen der ENP-Länder auf den Plan gerufen haben. Der Arabische Frühling und seine Folgen wie auch die Ukraine-Krise sollten als Beweis für den erheblichen Einfluss der EU auf die sozialen und politischen Prozesse gesehen werden. Die EU hat zur Schärfung des Bewusstseins der Menschen und zur Steigerung ihrer Erwartungen an ihre jeweiligen Regierungen beigetragen; die EU hat — zumindest teilweise — die gesellschaftlichen Kräfte geweckt, die politisch aktiv werden.

2.4.

Gleichzeitig hat die ENP sowohl in der EU als auch den ENP-Ländern einige Rückschläge hinnehmen müssen. Daher sind bei der Überprüfung der ENP und ihrer Instrumente grundlegende Veränderungen erforderlich, die auf den Grundsätzen der Differenzierung und Flexibilität basieren sollten. Der südliche und östliche geografische Geltungsbereich der ENP sollten beibehalten, die politischen Maßnahmen zur Gestaltung der Beziehungen jedoch ausgebaut und verbessert werden. Durch die ENP sollten alle Nachbarländer ermutigt werden, echte Partner für den Dialog und die Zusammenarbeit zu werden.

3.   Hauptsäulen der neuen ENP

3.1.    Wirtschaft und Wohlstand

3.1.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Verbesserung der Beziehungen zwischen der EU und den ENP-Ländern von vier Bedingungen abhängen wird: Stabilität, Transparenz, marktwirtschaftlichen Regelungen und einer langfristigen Strategie. Die überarbeitete ENP sollte auf die Schaffung der Voraussetzungen für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den ENP-Ländern ausgerichtet werden. Bessere Beschäftigungsbedingungen und ein offenes Wirtschaftssystem schaffen einen hohen Mehrwert für die Gesellschaft als Ganzes und bilden damit die Grundlage für Stabilität, Sicherheit und selbst Demokratisierung. Die EU sollte sich stärker auf finanziell besser ausgestattete Instrumente konzentrieren, durch die die notwendigen wirtschaftlichen Anpassungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, Initiativen für nachhaltige Unternehmensinvestitionen und die Anpassungen der wirtschaftlichen Produktion zur Schaffung höherwertiger Arbeitsplätze unterstützt werden. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Stärkung der wirtschaftlichen Rolle von jungen Menschen, Frauen und Randgruppen geschenkt werden. Initiativen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung müssen mit angemessenen Finanzmitteln ausgestattet und durch maßgeschneiderte Programme flankiert werden. Bei der Umsetzung derartiger Programme könnte auf bewährte Verfahren aus der Initiative für den sozialen Zusammenhalt in Verbindung mit dem Stabilitätspakt für Südosteuropa (1) zurückgegriffen werden.

3.1.2.

Bildung und berufliche Bildung wäre die beste langfristige Investition in Wirtschaftswachstum und nachhaltige Sicherheit. Die EU sollte prüfen, ob die Erasmus+-Programme ausgeweitet werden können, um eine verstärkte Beteiligung der ENP-Länder zu ermöglichen. Diese Programme bieten die besten Möglichkeiten, um die im Hochschul- und Berufsbildungsbereich in der EU verfügbaren Kompetenzen den am weitesten fortgeschrittenen ENP-Partnern zugänglich zu machen. Der EWSA begrüßt die erste internationale Erasmus+-Ausschreibung vom Oktober 2014 und fordert die EU auf, die Beteiligungsmöglichkeiten für die ENP-Länder auszubauen und zusätzlich die Finanzmittel für andere Instrumente der allgemeinen und beruflichen Bildung aufzustocken.

3.1.3.

Die EU sollte die Vollendung einer Freihandelszone zwischen der EU und sämtlichen ENP-Ländern anstreben, die als ein entscheidendes Instrument für dauerhaften wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand angesehen werden kann. Die EU sollte sich bemühen, die ENP-Partnerländer aktiver in den EU-Binnenmarkt zu integrieren, insbesondere durch Abkommen über umfassende und vertiefte Freihandelszonen (DCFTA), sobald die notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. Diejenigen ENP-Länder, für die eine weitergehende Integration Priorität hat, können den Schwerpunkt auf die Unterzeichnung von Assoziierungsabkommen (AA) und DCFTA legen, während sich andere bei alternativen Kooperationsplattformen (beispielsweise der europäischen Energieunion) engagieren könnten. AA und DCFTA sollten jedoch weder als Selbstzweck noch als allein selig machende Lösung betrachtet werden. Ihr Nutzen sollte anhand ihrer positiven Auswirkungen im Hinblick auf eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Innovation, dauerhafte Arbeitsplätze und eine verbesserte Fiskalkapazität in den ENP-Ländern bewertet werden.

3.1.4.

Der EWSA begrüßt den Start der DCFTA-Fazilität für KMU, mit der kleine und mittlere Unternehmen aus Georgien, Moldau und der Ukraine dabei unterstützt werden sollen, neue Handelschancen aufgrund der vertieften und umfassenden Freihandelszone zu nutzen und höhere Qualitätsstandards im Einklang mit den bewährten Verfahren der EU zu erreichen. Auf dem 3. Wirtschaftsforum der Östlichen Partnerschaft (Riga, 21. Mai 2015) wurde unterstrichen, dass zusätzliche Instrumente für die Unterstützung des Umbaus von Unternehmen und ihrer Anpassung an höhere Standards bereitgestellt werden sollten, um von den erheblichen Vorteilen von AA und DCFTA profitieren zu können. Außerdem wird vorgeschlagen, unternehmerische Tätigkeiten und Handel in der Region stärker zu fördern.

3.1.5.

Die Unterstützung für Reformen der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und des Sicherheitssektors sowie im Bereich der rechtlichen Regelung und der wirksamen Umsetzung der Rechtsvorschriften sollte zu einer der sichtbarsten Maßnahmen der neuen ENP werden. Positive Trends wie beispielsweise eine Steigerung der Investitionen in den ENP-Ländern und die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen der EU und der ENP-Länder können nur durch sichtbare Fortschritte bei der Bekämpfung von Korruption und organisiertem Verbrechen in der Nachbarschaft der EU in Gang gesetzt werden. Korruption ist in allen EU-Nachbarländern weit verbreitet. Trotz Maßnahmen zu ihrer Eindämmung besteht sie weiter und durchdringt alle Schichten des öffentlichen und privaten Lebens. Die EU sollte daher im Rahmen ihrer Finanzierungsprogramme die Konditionalität mit dem Ziel glaubwürdiger Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen verbessern und ein robustes Instrumentarium zur Überwachung der Umsetzung schaffen. Ebenso viel Aufmerksamkeit sollte der Verbesserung der Effizienz, Tragfähigkeit und Zugänglichkeit der Sozialdienste und des Bildungs- und Gesundheitswesens in den ENP-Ländern geschenkt werden, da diese für die Lebensqualität und Sicherheit der Menschen in diesen Ländern von entscheidender Bedeutung sind.

3.2.    Stabilität und Sicherheit

3.2.1.

Stabilität und menschliche Sicherheit sollten zum wichtigsten Ziel der ENP werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass die menschliche Sicherheit in der Region erheblich verbessert werden muss, damit eine sichere und prosperierende Nachbarschaft entstehen kann. Eine verantwortungsvolle Regierungsführung und die Wahrung der Menschenrechte, der Schutz vor Verbrechen und physischer Gefährdung, eine allen zugutekommende wirtschaftliche Entwicklung sowie Sozial- und Umweltschutz — dies alles sind Faktoren, die mittel- bis langfristig für die Stabilität der Region bestimmend sind. Instabilität in der Nachbarschaft der EU und mangelnde Glaubwürdigkeit des ENP-Modells und seiner Instrumente dürfen nicht zu einem Nachlassen in den Bemühungen oder einer Verweigerung der Verpflichtungen der EU führen. Programme und Instrumente für Stabilität und Konfliktverhütung sollten zu den obersten Prioritäten der neuen ENP gehören.

3.2.2.

Die EU sollte enger mit anderen internationalen Organisationen wie der NATO und der UN zusammenarbeiten, um die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller ENP-Länder zu verteidigen. Diplomatie und Kommunikation außerhalb des Bereichs der ENP (insbesondere mit der Zivilgesellschaft) müssen als Mittel der Konfliktverhütung verstärkt werden, um Beziehungen herzustellen, die für alle Seiten von Vorteil sind und zu wirtschaftlichem Fortschritt und besseren Lebensbedingungen führen.

3.2.3.

Der ENP kommt bei der Verhütung von Radikalisierung sowie bei der Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen eine grundlegende Rolle zu. Zusätzlich zur Ergreifung notwendiger und verhältnismäßiger Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus muss die EU die vorhandenen Instrumente der ENP nutzen, um gegen die strukturellen Ursachen seiner Ausbreitung anzugehen. Neben Maßnahmen zur Verbesserung der Governance sind Investitionen in die Bildung und die wirtschaftlichen Möglichkeiten erforderlich (2).

3.2.4.

Die neue ENP sollte darauf abzielen, „harte“ und „weiche“ Maßnahmen miteinander in Einklang zu bringen. Die ENP darf nicht getrennt von der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) betrachtet werden. Die aktuelle Überprüfung der ENP sollte in enger Abstimmung mit der überarbeiteten EU-Sicherheitsstrategie erfolgen.

3.2.5.

Die Frage der „Nachbarn der Nachbarn“ ist von größter Bedeutung. Niemand darf unabhängigen Staaten seinen Willen aufzwingen oder der EU und den ENP-Ländern ihre Agenda oder ihre Ziele vorschreiben. Der EWSA betont, dass es für Russland vorteilhafter wäre, sich an den Bemühungen um das Entstehen stabiler, demokratischer und wirtschaftlich fortgeschrittener Länder zu beteiligen, statt sich gegen diejenigen ENP-Länder zu stellen, die eine weitergehende Integration mit der EU verfolgen.

3.3.

Mobilität und Migration

3.3.1.

Die Visaerleichterung ist aus der Sicht der ENP-Partner weiterhin von entscheidender Bedeutung. Der EWSA begrüßt die (seit Januar 2015 laufenden) Verhandlungen über ein Rückübernahmeabkommen mit Marokko und die Aufnahme der Verhandlungen über ein Visaerleichterungsabkommen. Verhandlungen über Visaerleichterungs- und Rückübernahmeabkommen mit Tunesien und Jordanien sieht er erwartungsvoll entgegen. Die Visaliberalisierungsabkommen (mit der Republik Moldau) und die Visaerleichterungsabkommen (mit der Ukraine, Armenien, Aserbaidschan und Georgien) sollten vollständig umgesetzt und zum Vorbild für alle ENP-Länder werden. Nach Auffassung des EWSA sind die Visaliberalisierungsabkommen mit der Ukraine und Georgien wirksame Instrumente, durch die diese Staaten zu einer rascheren Annäherung an die EU motiviert werden. Ihre Umsetzung sollte jedoch mit einer verstärkten internationalen Unterstützung einhergehen, um die territoriale Integrität und die Kontrolle der Grenzen dieser Länder sicherzustellen.

3.3.2.

Die EU-Nachbarschaftspolitik sollte Teil des Gesamtansatzes für Migration und Mobilität sein. Die EU muss mittels legaler, flexibler und transparenter Verfahren Anreize für die Einwanderung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit und zu Bildungszwecken schaffen (3).

3.3.3.

Als Reaktion auf die jüngsten Ereignisse, die zum Anstieg der Migrationsströme aus Nordafrika — und in der Folge tragischerweise zu einer großen Zahl von Todesfällen — geführt haben, sollte die EU dringend handeln, um das Leben derjenigen, die EU-Gebiet erreichen wollen, zu schützen. Die EU sollte sich zu einer ernsthafteren und weiterreichenden Zusammenarbeit mit den von diesen Migrationsströmen betroffenen Ländern, also den Herkunfts- und Transitländern, verpflichten.

3.3.4.

Die EU sollte Abkommen mit Drittländern, insbesondere mit Nachbar-, Herkunfts- und Transitländern, schließen und dabei die besonderen Umstände in den einzelnen Ländern berücksichtigen. Zu den Prioritäten solcher Mobilitätspartnerschaften gehören auch Aspekte im Zusammenhang mit Wirtschaftsmigration und Mobilität. Ein stärkerer Schwerpunkt sollte auf der Regelung der legalen Einwanderung und der Visapolitik, der Anerkennung von Qualifikationen, der Bildungsmobilität, den Sozialleistungsansprüchen sowie dem Beitrag von Migration und Mobilität zur Entwicklung liegen (4). Eine Priorität ist die Reform der Agentur Frontex und ihre Umgestaltung zu einem europäischen Kontingent von Grenzschutzbeamten zur Unterstützung der Mitgliedstaaten. Dies muss mit der Entwicklung eines wirksameren und standardisierten Systems der Rechenschaftslegung über seine Aktivitäten einhergehen (5).

3.4.

Differenzierung

3.4.1.

Die ENP sollte neu formuliert werden, um eine flexiblere Anwendung des Grundsatzes der Differenzierung sowohl in geografischer Hinsicht als auch — innerhalb der Regionen — in Abhängigkeit von den Bestrebungen der ENP-Länder, den bürgerlichen Freiheiten und Menschenrechten, den institutionellen Kapazitäten und den Sicherheitsbedürfnissen zu ermöglichen. Alle Partnerländer sollten sich zur Achtung der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit verpflichten und gleichzeitig den Grundsatz der Differenzierung unterstützen. Die Übernahme der demokratischen Werte und die Wahrung der Menschenrechte sollten für alle Staaten gleichermaßen gelten, da es für die anderen ENP-Länder demoralisierend wäre, wenn mit zweierlei Maß gemessen würde.

3.4.2.

Der Grundsatz der Auflagenbindung ist für die EU auch weiterhin von Interesse, und sie bleibt ihm nach wie vor verpflichtet. Der EWSA hat die Grundsätze der Differenzierung und der Auflagenbindung in seinen Beziehungen zu den Partnerländern unterstrichen (6). Gleichzeitig hat der Ausschuss seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, sicherzustellen, dass das Potenzial eines Landes, die Reformprozesse nach seinem eigenen Tempo und entsprechend seinen Kapazitäten voranzutreiben, nicht durch die Anwendung eines „weniger für weniger“-Ansatzes geschmälert wird. Wenn die nationalen Regierungen in den ENP-Ländern von einer intensiveren Einbeziehung in die ENP-Instrumente absehen, sollte die EU mit „weichen“ Maßnahmen gezielt die Zivilgesellschaft in den Blick nehmen.

3.4.3.

Die ENP ist nicht mit der Erweiterungspolitik gleichzusetzen; europäische Staaten können sich jedoch um eine EU-Mitgliedschaft bewerben, sofern sie die Kriterien und Bedingungen zur Aufnahme gemäß Artikel 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen erfüllen. Wenn ein europäischer Staat durch die ENP zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien motiviert wird, sollten wir ein solches Ergebnis als Errungenschaft des „mehr für mehr“-Ansatzes begrüßen.

4.   Schwerpunkt Zivilgesellschaft und Kommunikation

4.1.    Zivilgesellschaft

4.1.1.

Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Konzipierung der ENP sollte neu bewertet und weiter ausgebaut werden. Die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten, die Menschenrechtslage, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie der Schutz der Religionsfreiheit wurden vom EWSA als entscheidende Kriterien für die Beurteilung der Regierungsführung eines Landes angeführt (7). Die Mitverantwortlichkeit auf zivilgesellschaftlicher Ebene sollte in der gesamten EU zu einem vorrangigen Anliegen werden. Kooperationsinstrumente wie das Zivilgesellschaftliche Forum der Östlichen Partnerschaft sollten gestärkt und ausgebaut werden.

4.1.2.

Die Reform sollte im Wesentlichen in drei Richtungen gehen: die Zivilgesellschaft sollte befähigt werden, die Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozesse besser zu unterstützen; die zivilgesellschaftlichen Organisationen sollten stärker in die Verpflichtungen und Maßnahmen im Zusammenhang mit der ENP eingebunden werden und schließlich sollten der Sachverstand und die Ressourcen besser genutzt werden, die die europäische Zivilgesellschaft bieten kann, um die Entwicklung der Zivilgesellschaft in den ENP-Ländern zu unterstützen.

4.1.3.

Wie der Übergang zur Demokratie in Mittel- und Osteuropa gezeigt hat, spielt die Zivilgesellschaft bei der Schaffung von Stabilität und bei der Demokratisierung eine wichtige Rolle. Über die Instrumente der ENP sollten erhebliche Ressourcen in die Verbesserung der organisatorischen Kapazitäten der Zivilgesellschaft geleitet und diese in den Regierungsprozess eingebunden werden (8). Ein entscheidender Aspekt dabei ist die Unterstützung des sozialen Dialogs und der institutionalisierten öffentlichen Anhörung als Mittel zur Förderung der Konsensbildung und des demokratischen Fortschritts (9).

4.1.4.

Die EU sollte Klauseln zum Schutz der demokratischen Freiheiten und der individuellen Rechte in die bilateralen Abkommen aufnehmen; mit Blick auf ihre Umsetzung fordert der EWSA jedoch vor allem, dass die Kriterien zur Bewertung der Regierungsführung eines Landes auch vergleichende Analysen zum Umgang mit der Zivilgesellschaft (rechtliche Rahmenbedingungen, Kapazitätsaufbau, Dialog usw.), den Menschenrechten sowie den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten umfassen sollten (10).

4.1.5.

Der EWSA fordert eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung, Umsetzung und Überwachung der Abkommen zwischen der EU und den ENP-Ländern (11). Die ENP-Fortschrittsberichte sollten nicht nur die offiziellen Daten und Positionen von Regierungsseite enthalten, sondern umfassendere Beiträge von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren einbeziehen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Zivilgesellschaft sowohl der EU als auch der Partnerländer vor den Verhandlungen an der Ausarbeitung einer Nachhaltigkeitsprüfung beteiligt werden sollte und dass zivilgesellschaftliche Mechanismen in die künftigen vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen aufgenommen werden sollten (12).

4.1.6.

Die ENP-Instrumente sollten für die zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Mitgliedstaaten und den ENP-Ländern leicht zugänglich sein. Sie sollten den Dialog, das Engagement und den Gedankenaustausch fördern. Der EWSA betont, dass die Sozialpartner, die Organisationen der Zivilgesellschaft und die Wirtschafts- und Sozialräte der Mitgliedstaaten einen wesentlichen Beitrag leisten können, was den Austausch von Erfahrung und Wissen, die Verbreitung von Informationen, den Leistungsvergleich, die Weitergabe von Fachwissen und die Bewirtschaftung von Verwaltungsressourcen angeht (13).

4.2.    Sozialer Dialog

4.2.1.

Der EWSA hat die Bedeutung des sozialen Dialogs für die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Demokratisierung immer wieder betont. Auch hat er die allgemeinen Erfolge der ENP hervorgehoben (14). Der soziale Dialog sollte sowohl in der östlichen als auch der südlichen Dimension der ENP gleichermaßen gefördert werden. Der EWSA dringt auf die Wahrung der Unabhängigkeit der Sozialpartner und der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die zu den von internationalen und europäischen Organisationen definierten grundlegenden Menschenrechten und sozialen Rechten gehört (15).

4.2.2.

Der Ausschuss fordert, dass die Einhaltung dieser Grundrechte — insbesondere der Versammlungsfreiheit und des Rechts auf Tarifverhandlungen — umfassend anerkannt wird. Er fordert die betreffenden Länder auf, die erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen, um auf die Übernahme europäischer und internationaler Normen, die in der EU-Grundrechtecharta, der Europäischen Sozialcharta (des Europarates) und von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) festgelegt wurden, sowie auf die Umsetzung eines „sozialen Rechtsstaates“ hinzuwirken. Die Einhaltung dieser Normen muss zu den formalen Kriterien gehören, die bei der Ausarbeitung und Bewertung der Assoziierungsabkommen angewandt werden (16).

4.2.3.

Obwohl es in sämtlichen ENP-Ländern Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen gibt, ist der soziale Dialog — dem eine wichtige Rolle zukommt, wenn nachhaltiges Wachstum und sozialer Frieden in der Gesellschaft erreicht werden sollen — in diesen Ländern bislang eher schwach ausgebildet. Es sollte ein systematisches Programm entwickelt werden, um den Austausch der in der EU und den Partnerländern gewonnenen bewährten Verfahren im sozial- und beschäftigungspolitischen Bereich zu fördern.

4.3.    Kultureller Dialog

4.3.1.

Die ENP sollte ein größeres gegenseitiges Verständnis — sowohl unter den ENP-Ländern als auch zwischen ihnen und den EU-Mitgliedstaaten — der Kulturen sowie den religiösen Dialog und die kulturelle Vielfalt fördern. Auf lange Sicht hängt die Schaffung von Stabilität und die Demokratisierung in den ENP-Ländern auch von der Tragfähigkeit kultureller und religiöser Modelle ab, d. h., wie tolerant und integrativ sie sind.

4.3.2.

Dialog und Konsensbildung müssen auf kultureller — wie auch auf politischer und wirtschaftlicher — Ebene gefördert werden. Im Hinblick darauf sollte finanziell und bei der Netzwerkarbeit wirksame und umfangreiche Unterstützung für den interkulturellen Dialog, unabhängiges Kulturschaffen und öffentliche Debatten geleistet werden. Dadurch sollte die Stimme und Sichtbarkeit unabhängiger Intellektueller, Künstler und Aktivisten aus den ENP-Ländern gestärkt und ihre produktive Interaktion mit nationalen und europäischen Zielgruppen gefördert werden.

4.4.    Öffentlichkeitswirksamkeit und Kommunikation

4.4.1.

Im Rahmen der Überprüfung der ENP sollten die Interessen und Werte der EU besser vermittelt werden, sowohl in der EU als auch in den Partnerländern. Dies wird besonders dann wichtig, wenn die Propagandawelle seitens terroristischer Gruppierungen und Russlands zunimmt (17). Die EU muss ein klares Signal an die Bürger der ENP-Länder senden, dass diese Politik die Menschen, ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen im Blick hat. Dies erfordert die Schaffung neuer Instrumente, um die kommunalen Behörden, die Medien und die nichtstaatlichen Organisationen zu erreichen.

4.4.2.

Ein allgemeines Bewusstsein ist entscheidend, um den Einfluss der ENP hinsichtlich der Bedürfnisse der Menschen zu bewerten und zu würdigen. Meinungs-, Glaubens- und Medienfreiheit sowie Informationssicherheit in den Nachbarländern der EU sind von wesentlicher Bedeutung. Die Unterstützung des Internetzugangs für die Bürger, der freien Medien und des investigativen Journalismus sowie von Initiativen für die Medienzusammenarbeit (Medienpartnerschaften) zwischen der EU und den ENP-Ländern sollte zu den wichtigsten Zielen gehören, um die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft gegen aggressive Propaganda zu stärken.

Brüssel, den 1. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  EWSA-Stellungnahme „Der soziale Dialog in den Ländern der Östlichen Partnerschaft“, ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 40.

(2)  ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 91.

(3)  ABl. C 458 vom 19.12.2014, S. 7.

(4)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 1.

(5)  Siehe Fußnote 3.

(6)  ABl. C 43 vom 15.2.2012, S. 89.

(7)  Siehe Fußnote 6.

(8)  Siehe auch ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 27.

(9)  Siehe auch ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 37.

(10)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 32.

(11)  Siehe auch ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 34 und ABl. C 12 vom 15.1.2015, S. 48.

(12)  Siehe Fußnote 9.

(13)  Siehe Fußnote 10.

(14)  Siehe Stellungnahme des EWSA „Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Östliche Partnerschaft“, ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 30. ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 37.

(15)  Siehe Fußnote 1.

(16)  Siehe Fußnote 1.

(17)  Siehe EWSA-Informationsbericht REX/432 „Nutzung der Medien zur Einflussnahme auf gesellschaftliche und politische Prozesse in der EU und ihren östlichen Nachbarländern“ (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/99


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Richtlinie 76/621/EWG des Rates zur Festsetzung des Höchstgehalts an Erukasäure in Speiseölen und -fetten und der Verordnung (EG) Nr. 320/2006 des Rates mit einer befristeten Umstrukturierungsregelung für die Zuckerindustrie

[COM(2015) 174 final — 2015/0090 COD]

(2015/C 383/14)

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 27. April 2015 bzw. am 11. Mai 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Richtlinie 76/621/EWG des Rates zur Festsetzung des Höchstgehalts an Erukasäure in Speiseölen und -fetten und der Verordnung (EG) Nr. 320/2006 des Rates mit einer befristeten Umstrukturierungsregelung für die Zuckerindustrie“

[COM(2015) 174 final — 2015/0090 COD].

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 1. Juli 2015), eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 1. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


17.11.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 383/100


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen mehrjährigen Wiederauffüllungsplan für Roten Thun im Ostatlantik und im Mittelmeer und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 302/2009

[COM(2015) 180 final — 2015/0096 COD]

(2015/C 383/15)

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 30. April 2015 bzw. am 7. Mai 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen mehrjährigen Wiederauffüllungsplan für Roten Thun im Ostatlantik und im Mittelmeer und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 302/2009“

[COM(2015) 180 final — 2015/0096 COD].

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 509. Plenartagung am 1./2. Juli 2015 (Sitzung vom 1. Juli 2015), eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 1. Juli 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE