ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 251

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

58. Jahrgang
31. Juli 2015


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

505. Plenartagung des EWSA vom 18./19. Februar 2015

2015/C 251/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Kartierung makroregionaler Strategien in Europa (Initiativstellungnahme)

1

2015/C 251/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Bedeutung von Genossenschaftsbanken und Sparkassen für den territorialen Zusammenhalt — Vorschläge für einen angepassten Finanzregulierungsrahmen (Initiativstellungnahme)

7

2015/C 251/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Ein asbestfreies Europa

13

2015/C 251/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Fortschritte bei der Umsetzung der Strategie Europa 2020 und Möglichkeiten zur Erreichung ihrer Ziele bis 2020 (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des lettischen Ratsvorsitzes)

19


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

505. Plenartagung des EWSA vom 18./19. Februar 2015

2015/C 251/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Strategie und den Aktionsplan der EU für das Zollrisikomanagement: Umgang mit Risiken, Erhöhung der Sicherheit der Lieferkette und Vereinfachung des Handels (COM(2014) 527 final)

25

2015/C 251/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anforderungen in Bezug auf die Emissionsgrenzwerte und die Typgenehmigung für Verbrennungsmotoren für nicht für den Straßenverkehr bestimmte mobile Maschinen und Geräte (COM(2014) 581 final — 2014/0268 (COD))

31

2015/C 251/07

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Tätigkeit der Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) und das Europäische System der Finanzaufsicht (ESFS) COM(2014) 509 final und dem Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Aufgaben und die Organisation des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) COM(2014) 508 final

33

2015/C 251/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch — Bestmögliche Nutzung des traditionellen Wissens Europas: Mögliche Ausdehnung des Schutzes der geografischen Angaben der Europäischen Union auf nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse (COM(2014) 469 final)

39

2015/C 251/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Jahreswachstumsbericht 2015 (COM(2014) 902 final)

44


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

505. Plenartagung des EWSA vom 18./19. Februar 2015

31.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 251/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Kartierung makroregionaler Strategien in Europa

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 251/01)

Berichterstatter:

Etele BARÁTH

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. Februar 2014, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Vorschlag für eine Kartierung makroregionaler Strategien in Europa“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. Februar 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 505. Plenartagung am 18./19. Februar 2015 (Sitzung vom 18. Januar 2015) mit 166 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

Einleitung

Die bisherigen Antworten Europas auf die durch die Finanzkrise ausgelöste allgemeine Krise sind unzureichend gewesen. Zahlreiche Analysen belegen, dass die getroffenen Entscheidungen allzu sehr auf den Finanzsektor ausgerichtet waren und dass der Entscheidungsmechanismus der EU äußerst hierarchisch ist, weshalb keine zur Lösung der sozialen Spannungen notwendigen Maßnahmen ergriffen werden können. Es ist eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Zielen und Aktionsplänen der Europa-2020-Strategie zur Unterstützung der langfristigen Entwicklung der EU einerseits und den verfügbaren Mitteln andererseits festzustellen. Die Stärkung der Kohärenz zwischen den verschiedenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen hat entscheidende Bedeutung erlangt.

Während einige mittel- und osteuropäische Länder gut aufgeholt haben, hat der Abstand zwischen anderen Mitgliedstaaten hingegen zugenommen, was die Wirtschaftsleistung wie auch das Einkommensniveau und den Lebensstandard angeht. Bestimmte regionale Gegebenheiten haben dieses Phänomen nur noch verstärkt, und in bestimmten Regionen sind bereits unhaltbare Spannungen aufgetreten.

Die sozialpolitischen Erfordernisse für den Weg aus der Krise sowie die erneuerten kohäsionspolitischen Ziele und Programme erfordern die Betonung der territorialen Dimension der europäischen Politik.

Dies wurde von der neu eingesetzten Europäischen Kommission anerkannt, als sie das Programm „Ein Neubeginn“ für Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Lebensbedingungen auf den Weg gebracht hat. Das Programm der Europäischen Kommission bedeutet auch im Hinblick auf die makroregionalen Strategien neue Möglichkeiten und neue Verantwortlichkeiten hinsichtlich der substanziellen Aufstockung der Investitions- und Entwicklungsressourcen für den Zeitraum 2015-2017 und der Beseitigung der rechtlichen und organisatorischen Hindernisse. Die Tatsache, dass die in dem Arbeitsplan festgelegten zehn Prioritäten direkt oder indirekt die Verknüpfung der europäischen Makroregionen und ihre gemeinsame Entwicklung stärken, trägt ebenfalls zur Neubestimmung der Rolle der makroregionalen Politik sowie zur Stellung und Durchführbarkeit der Strategien bei.

Eine neuartige entwicklungsorientierte, stark dezentralisierte, die Wirtschafts- und Sozialpartner systematischer einbeziehende und auch die makroregionalen Strategien berücksichtigende Governance-Praxis könnte einen wichtigen Beitrag zur Ankurbelung des Wachstums und zur Steigerung von Effizienz und Wirkung der Investitionen leisten (1).

Die makroregionalen Strategien lassen sich durch eine erneuerte Governance hervorragend als Instrument dafür einsetzen, die Entwicklungsprozesse zu beschleunigen, den territorialen Zusammenhalt zu stärken, die Verwirklichung der Europa-2020-Strategie voranzutreiben und nicht zuletzt die Umwelt zu schützen. Die früheren „drei Nein“ sind kein Hindernis mehr: Der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) 2014-2020 eröffnet finanzielle Möglichkeiten, der strategische gemeinsame Rahmen (GSR) gibt die Regeln vor, und in der Praxis hat sich ein kleiner Exekutivapparat herausgebildet.

Mit der Erarbeitung dieser Initiativstellungnahme möchte der EWSA die Vereinbarungen von seiner Herbstplenartagung 2013 umsetzen und — insbesondere aus der Sicht der Zivilgesellschaft — die Auswirkungen der makroregionalen Strategien auf Europa analysieren. Außerdem soll vorgeschlagen werden, wie diese Strategien in die europäische Entwicklungspolitik integriert werden können.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat die Lage der makroregionalen Strategien sowie die diesbezüglichen Stellungnahmen und Vorschläge analysiert (2) und stellt fest, dass es klar erforderlich ist, die makroregionalen Strategien — ausgehend von den erzielten Ergebnissen — auf europäischer Ebene weiterzuentwickeln. Das Ziel der Makroregionen lautet nicht zu teilen, sondern zu vereinen.

1.2.

Der EWSA empfiehlt dem Europäischen Rat, sich für die Integration der makroregionalen Politik in die Governance-Struktur der Union auszusprechen und die Erarbeitung von EU-weit gültigen Leitlinien zu fordern, um eine makroregionale Entwicklungsstrategie zugunsten der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu erarbeiten.

1.3.

Nach Ansicht des EWSA wurde die Bedeutung der makroregionalen Strategien mit Blick auf die Zukunft der Union aufgewertet. Die bestehenden makroregionalen Programme:

haben in politischer Hinsicht zur Bildung einer derzeit fehlenden mittleren Ebene beigetragen, welche die unverrückbar einander gegenüberstehenden föderalistischen und nationalen Vorstellungen einander annähert;

haben als die horizontale Zusammenarbeit sicherstellendes Governance-Instrument das Problem der übermäßigen hierarchischen und bürokratischen Konzentration gelöst und

haben zur systematischen Einbeziehung der Zivilgesellschaft und insbesondere der Wirtschafts- und Sozialpartner in den gesamten Prozess der Erarbeitung und Umsetzung der Strategie geführt.

1.4.

Die makroregionalen Strategien können zur Verbesserung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und zu dem so erstrebenswerten Wachstum des BIP und darüber hinaus zur Steigerung des europäischen Mehrwerts beitragen. Dank einer Überwachung auf der Grundlage einer geeigneten Datenbank, der effektiven Anwendung des Partnerschaftsprinzips und einer auf den bisherigen Erfahrungen basierenden vergleichenden Analyse haben sich diese Strategien als wirksame Politik erwiesen. Hierdurch:

1.4.1.

könnte im Rahmen des Europäischen Semesters eine bessere Sichtbarkeit der Verwirklichung der Ziele der Strategie Europa 2020 auf territorialer Ebene gewährleistet werden,

1.4.2.

könnten die in den verschiedenen „Partnerschaftspakten“ aufgeführten Entwicklungselemente sowie ökologischen und städtebaulichen Elemente der makroregionalen Kooperationen während der Halbzeitüberprüfung der allgemeinen und spezifischen Ziele und Ergebnisse der Strategie Europa 2020 im Interesse der Wirksamkeit integriert werden,

1.4.3.

kann auf der Grundlage der 11 für den Zeitraum 2014-2020 festgelegten strategischen kohäsionspolitischen Ziele der Ausbau des makroregionalen Kontextes der in den operationellen Programmen enthaltenen Maßnahmen ihren Mehrwert, ihre Effektivität und ihre Effizienz auf europäischer Ebene gewährleisten,

1.4.4.

kann der makroregionale Kontext der im Rahmen des Städteprogramms beschlossenen regionalen Kooperationsprogramme zur Vernetzung der europäischen Gemeinden die soziokulturelle Integration und das Entstehen der für die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse notwendigen Bedingungen fördern,

1.4.5.

wird ein neues makroregionales Instrument für Umweltschutz und nachhaltige Ressourcennutzung geschaffen.

1.5.

Der EWSA empfiehlt, die Governance-Struktur auf europäischer Ebene auszubauen, indem die Zivilgesellschaft sowie die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften — neben der für die makroregionale Verwaltung zuständigen hochrangigen Koordinierungsgruppe aus Vertretern der 28 Länder — in jede Etappe des Beschlussfassungsprozesses einbezogen werden.

2.   Debatte

2.1.

Wie die bisherige Praxis zeigt und die Analysen der Kommission bestätigen, stellen die makroregionalen Strategien in folgenden Punkten einen europäischen Mehrwert dar:

Stärkung der europäischen und regionalen Identität,

Planung und Umsetzung der europäischen Strategien,

Koordinierung der Ressourcennutzung.

2.2.

Die makroregionalen Strategien bieten neue Instrumente, die dringend notwendig sind, denn:

die Antworten auf die Krise sind nicht komplex, weshalb ein Gleichgewicht zwischen den territorialen und den sozialen Aspekten gefunden werden muss;

die Wahlen zum Europäischen Parlament haben gezeigt, dass die Europäische Union nach wie vor keine angemessenen Beziehungen zur Zivilgesellschaft unterhält;

es bedarf einer Reform des institutionellen Systems der EU (beispielsweise hinsichtlich seiner Demokratisierung und Dezentralisierung, der Stärkung der horizontalen Strukturen, der Effizienz und Wirksamkeit der Umsetzung seiner Politik sowie der sozioökonomischen Partnerschaft).

2.3.

Die makroregionalen Strategien sind zeitgemäß, denn:

als Ergebnis der Wahlen wird eine neue Kommission gebildet, die neue Prioritäten setzt, und deren wesentliche Ziele — die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Stärkung des Wachstums und die Wirksamkeit der von den Unternehmen geplanten Investitionen — in hohem Maße von der regionalen Anpassungsfähigkeit abhängen,

die Halbzeitüberprüfung der EU-2020-Strategie wird derzeit vorbereitet, und die überarbeiteten Richtlinien dürften 2015 angenommen werden; dabei ist u. a. mit der Stärkung des makroregionalen Ansatzes zu rechnen,

es hat sich erwiesen, dass durch die bereits verabschiedeten und derzeit umgesetzten makroregionalen Strategien (Donau- und Ostseeraum) — unter anderem zum Umweltschutz (Meere) und zur Katastrophenvermeidung (Hochwasserschutz) bzw. im Rahmen von Wirtschaftskooperationen im Tourismus und in innovationssensiblen Branchen — sowohl für die Governance als auch für den europäischen Mehrwert neue Ressourcen erschlossen wurden,

die Kommissionsinitiativen (Adria und Alpenraum) werden immer weiträumiger, wodurch die Notwendigkeit für die Mitgliedstaaten und Regionen, makroregionale Verbindungen zu planen (unter besonderer Berücksichtigung der Einbeziehung von „Drittländern“ in die Zusammenarbeit), zunimmt,

die durch die sozioökonomische Dimension eröffneten Möglichkeiten der makroregionalen Zusammenarbeit (Mittelmeerraum, Atlantikküste) zeigen auch im politischen Bereich eine bedeutende Entwicklung. Sie leistet auch einen erheblichen Beitrag zur Abstimmung mit den Meeresstrategien und der Binnenlandpolitik,

die historischen, makroregionalen Kooperationsformen verstärken sich entlang der großen grenzüberschreitenden und linearen Infrastrukturen, insbesondere dank der Entwicklung der makroregionalen Achsen der Fazilität „Connecting Europe“,

der Nachweis einer makroregionalen Zusammenarbeit ist für Partnerschaftsabkommen im Programmplanungszeitraum 2014-2020 obligatorisch geworden.

2.4.

Die makroregionalen Strategien sind von Natur aus entwicklungsorientiert und können daher einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung und Umsetzung der Entwicklungspolitik der Union — insbesondere bei Bottom-up-Initiativen — leisten. Folgende Bereiche (Funktionen) wären am ehesten denkbar:

Wirtschaftstätigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU);

Forschung, Bildung, Fremdsprachenerwerb, Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur und Gesundheit;

Kooperation auf den Gebieten Energie, Umweltschutz, Logistik und öffentliche Dienstleistungen (Wasser, Abwasser, Abfall);

gemeinsame Planung von öffentlichen Einrichtungen, regionalen Institutionen und Gebietskörperschaften;

Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Migration;

praktische Stärkung des Wettbewerbs auf dem Markt (konkrete Zusammenarbeit auf dem Arbeitsmarkt, wobei die KMU unterstützt bzw. Entwicklungsfonds eingerichtet werden);

Zusammenarbeit im Bereich der Statistik.

Es handelt sich hierbei zumeist um Bereiche, in denen primär Bottom-up-Initiativen für die Integration gerechtfertigt sind, da die direkte Regulierungsfunktion der europäischen Institutionen marginal ist.

2.5.

Die Teilnehmer der makroregionalen Strategie müssen als Akteure mit horizontaler Verantwortung für ihre Regierungen kooperieren.

2.6.

Der makroregionale Ansatz spiegelt sowohl in der ihm zugrunde liegenden Anschauung als auch in seinen Governance-Instrumenten die Orientierungen zur Erneuerung der Union wider:

durch seine politische Governance und strategische Ausrichtung wird die Teilhabe der Akteure der unterschiedlichen Ebenen so koordiniert, dass keine neuen umfassenden Institutionen geschaffen werden müssen;

mit seiner Hilfe lassen sich die politischen Maßnahmen und Programme der verschiedenen Ebenen (Maßnahmen und Programme der EU, der einzelnen Mitgliedstaaten und der territorialen Zusammenarbeit, der assoziierten bzw. der Beitrittsländer sowie sektorbezogene bzw. finanzielle Instrumente usw.) integrieren;

über ihn werden die politischen, strategischen und finanziellen Instrumente zur Gewährleistung einer wirksamen und effizienten Umsetzung koordiniert;

durch ihn wird die Abschaffung der regionalen Grenzen zwischen territorialen Verwaltungsorganisationen und den einzelnen Sektoren gefördert, und letztendlich

wird durch ihn ein klares Verständnis des Konzepts der Eigenverantwortung während des gesamten Prozesses der Strategiekonzipierung und -umsetzung gewährleistet.

2.7.

Voraussetzungen für eine „gute“ makroregionale Governance sind:

die Fähigkeit zur strategischen Planung,

eine verlässliche gebietsspezifische Datenbank und Analysekapazitäten,

ein geeigneter Durchführungsorganismus,

ein umfassendes Kontrollsystem hinsichtlich der Planung wie der Umsetzung,

angemessene Kommunikationsinstrumente,

die notwendige Anpassungsfähigkeit und

die zu Kontrollzwecken erforderliche Transparenz der Aktivitäten.

2.8.

Der grundlegenden Definition makroregionaler Strategien zufolge weisen Makroregionen folgende Merkmale auf:

es handelt sich um zusammenhängende Gebiete mit gleichen geografischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eigenschaften;

sie stehen vor gemeinsamen Herausforderungen und Möglichkeiten und

durch die Koordinierung ihrer Ressourcen zur Förderung des territorialen Zusammenhalts sorgen sie für eine verstärkte Zusammenarbeit.

2.9.

In der gegenwärtigen europäischen Praxis entsprechen zwei Arten von Makroregionen dieser Definition, wobei für beide kennzeichnend ist, dass sie auch die Teilnahme von Drittländern ermöglichen:

die linearen Makroregionen, die im Wesentlichen mit den großen Infrastrukturen verbunden sind, wie etwa der Donauraum oder die an den Korridoren gelegenen Regionen, und

die sich über ein großes Gebiet erstreckenden Makroregionen wie das Baltikum, die Adria und der Alpenraum bzw. der Mittelmeerraum und die Atlantikküste.

2.10.

Durch die Gründung der EU sind die historischen Grenzen Europas in funktioneller Hinsicht virtuell geworden. Die makroregionale Perspektive ermöglicht die Schaffung neuer funktioneller Grenzen auf der Europa-Karte. Auf der Grundlage der makroregionalen Systeme spiegeln die Mechanismen einer (künftigen) verstärkten offenen Zusammenarbeit bereits die politische Haltung des 21. Jahrhunderts wider, die in einem demokratischen Europa eine Zusammenarbeit in den Vordergrund stellt, die sich zugunsten der Wirtschaft und einer inklusiven Gesellschaft erneuert und zugleich nachhaltig die Umwelt schützt.

3.   Allgemeine Bemerkungen, Vorschläge zur Erweiterung der Rolle der makroregionalen Strategien

3.1.

Es ist möglich, ein Gleichgewicht zwischen den neuen Schwerpunkten der Europa-2020-Strategie und der Wirtschafts- und Finanzgovernance sowie dem Konzept „über das BIP hinaus“ zu finden, wenn die regionalen Unterschiede verringert werden und auf eine harmonische Entwicklung geachtet wird, die den sozialen Belangen und den ökologischen Bedingungen Rechnung trägt.

3.2.

Die makroregionalen Strategien tragen durch die Stärkung der Solidaritätsmechanismen zur Verbesserung des territorialen Zusammenhalts bei. Desgleichen ist unter Berücksichtigung der territorialen Besonderheiten eine bessere Koordinierung der Entwicklungsinstrumente möglich.

3.3.

Die Vorschläge zur koordinierten makroregionalen Entwicklung und die immanenten wirtschaftlichen Vorteile der verstärkten makroregionalen Zusammenarbeit tragen dazu bei, mehr Investitionen für Innovation wie für bedeutende Produktions- und Versorgungskapazitäten anzuziehen.

3.4.

Die Netzwerke und institutionellen und ökonomischen Verbindungen innerhalb der Makroregionen können die Auswirkungen der Globalisierungskrise erheblich abschwächen, indem sie die Ressourcen nutzen und zur Angleichung der Regionen mit unterschiedlichem Entwicklungsstand beitragen; hierbei können die Metropolregionen und die anderen entwickelten städtischen Regionen mithilfe ihrer Entwicklungsdynamik eine bedeutende Rolle spielen.

3.5.

Die miteinander vernetzten, polyzentrischen großstädtischen Regionen besitzen ein wichtiges ökonomisches und innovatives Potenzial und sind Motoren für die Schaffung von Arbeitsplätzen, können jedoch zugleich auch bedeutende Umweltrisiken bergen. Im Rahmen der makroregionalen Strategien können diese durch die hochgradige Verstädterung entstehenden, mit dem Klimawandel verbundene Risiken ausgeglichen und ihre Beseitigung geplant werden.

3.6.

Die makroregionalen Strategien können außerdem die proportionierte Entwicklung kleiner und mittlerer Agglomerationen fördern, zur Konsolidierung der Verbindungen zwischen diesen beitragen und so die lokalen und regionalen Werte stärken.

3.7.

Die makroregionale Politik kann zur Verringerung der territorialen und wirtschaftlichen Unterschiede beitragen, indem die vorrangigen Programme der Europa-2020-Strategie an die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten angepasst werden.

3.8.

Die makroregionale Strategie ist zur Erreichung der kritischen Masse geeignet, die für ein entwicklungsförderndes Zusammenspiel der jeweiligen ökonomischen, sozialen und ökologischen Stärken notwendig ist. Dies kann im Rahmen der grenzüberschreitenden transnationalen Programme von besonderer Bedeutung sein.

3.9.

Aufgrund ihrer Reichweite können die makroregionalen Strategien zu einer gerechteren und erschwinglichen Entwicklung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse beitragen und den Zugang zu Information und Wissen sowie die Mobilitätsbedingungen fördern.

Brüssel, den 18. Februar 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zum Mehrwert makroregionaler Strategien (COM(2014) 284 final).

(2)  Neuere und künftige Stellungnahmen des EWSA zum Thema makroregionale Gebiete und Strategien sowie damit zusammenhängende Querschnittsfragen — wichtigste Punkte.


31.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 251/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Bedeutung von Genossenschaftsbanken und Sparkassen für den territorialen Zusammenhalt — Vorschläge für einen angepassten Finanzregulierungsrahmen“

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 251/02)

Berichterstatter:

Carlos TRIAS PINTÓ

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Juli 2014 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Die Bedeutung von Genossenschaftsbanken und Sparkassen für den territorialen Zusammenhalt — Vorschläge für einen angemessenen Finanzregulierungsrahmen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. Februar 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 505. Plenartagung am 18./19. Februar 2015 (Sitzung vom 18. Februar 2015) mit 153 gegen 2 Stimmen bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hält es für unerlässlich, beim Übergang zu neuen Geschäftsmodellen für Banken und Nichtbanken im Finanzbereich die „Artenvielfalt“ des Finanzsystems zu erhalten, was allerdings nicht mit einer willkürlichen Anwendung der Vorschriften einhergehen darf (1).

1.2.

Auf den Shareholder Value (Aktionärswert) ausgerichtete Banken müssen sich im Geschäfts-, Privatkunden- und Investmentgeschäft wirksam mit auf den Stakeholder Value (Wert für alle Interessenträger) fokussierten Banken ergänzen. Nur so lässt sich ein stabiles und effizientes Finanzsystem erreichen, das umfassend zur Entwicklung der Realwirtschaft beiträgt.

1.3.

Der EWSA befürwortet nachdrücklich die von der Europäischen Kommission unternommenen Bemühungen, zur Vermeidung unerwünschter Folgen einer pauschalen Anwendung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften und eines potenziellen übermäßigen Verwaltungsaufwands die Besonderheit der Genossenschaftsbanken und Sparkassen in den neuen Finanzvorschriften zu berücksichtigen.

1.4.

Allerdings liegt das Hauptproblem nach wie vor in der richtigen Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der neuen Bankenregulierung (insbesondere im Hinblick auf die Eigenkapitalrichtlinie (CRD IV) und die Eigenkapitalverordnung (CRR)), die laut Vorschlag des Basler Ausschusses im Einklang mit den Verträgen der Europäischen Union gemäß dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit anzuwenden ist. Voraussetzung hierfür ist die Anwendung der strengsten Anforderungen auf globale Banken, strenger Anforderungen auf europaweit tätige Banken (mit systemischer Bedeutung in Europa) und flexiblerer Anforderungen auf nationale und lokale Banken (unter Gewährleistung eines angemessenen Verbraucherschutzniveaus).

1.5.

Es geht nicht darum, bestimmten Sparten des Finanzsektors willkürlich Privilegien zu gewähren. Der EWSA hat sich stets für gleiche Wettbewerbsbedingungen eingesetzt und plädiert daher dafür, objektive Parameter heranzuziehen, die spezifische Regelungen für die einzelnen Geschäftsmodelle rechtfertigen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die finanzielle und wirtschaftliche Leistung, den Beitrag zur Realwirtschaft, das Risikomanagement und die Unternehmensführung. Der EWSA schlägt den Finanzbehörden vor, denjenigen Akteuren Anreize zu bieten, die diese Kriterien am besten erfüllen.

1.6.

Der EWSA will zum einen das Bankenmodell der Genossenschaftsbanken und Sparkassen aufwerten und zum anderen bestimmte Verhaltensweisen des Finanzsektors, darunter auch einiger Kreditinstitute, nachdrücklich verurteilen. Er spricht sich dafür aus, die berufsständischen Regeln und die Kodizes für eine verantwortungsvolle Unternehmensführung für die gesamte Finanzwirtschaft zu verbessern, was eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist, das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen.

1.7.

Der EWSA hebt hervor, welch dramatische Folgen die anhaltende Stagnation und Verteuerung der Kredite für KMU und Privathaushalte für die Zukunft der EU haben kann. Darüber hinaus bekräftigt er die Kritik, die das Europäische Parlament jüngst am Basler Ausschuss geübt hat, da dessen Position die spezifischen europäischen Instrumente für die Finanzierung von KMU infrage stellt.

1.8.

Wenn Europa die künftigen Herausforderungen erfolgreich angehen und den Wandel aktiv gestalten (und nicht passiv über sich ergehen lassen) will, muss es im Finanzsektor dringend eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, die zur tatsächlichen Verwirklichung der Europa-2020-Strategie, der Binnenmarktakten I und II, des Small Business Act, des COSME-Programms, der Initiative zur Förderung des sozialen Unternehmertums usw. führen. Die Stärkung der Rolle der Sparkassen und Genossenschaftsbanken innerhalb des europäischen Finanzsystems ist ein entscheidender Faktor für die Erreichung dieser Ziele.

2.   Genossenschaftsbanken und Sparkassen im finanziellen Umfeld in Europa

2.1.

Sparkassen und Genossenschaftsbanken spielen seit jeher eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Wirtschaft, insbesondere bei Förderung der Landwirtschaft, der Kleinindustrie und des Handels. Derzeit machen sie ca. 40 % des Finanzsektors der Europäischen Union aus (in Frankreich erreichen sie einen Anteil von 70 % und in Deutschland 60 %), wobei zwischen den einzelnen Ländern erhebliche Unterschiede in der Struktur bestehen. Im Fall der Sparkassen steht die hohe Konzentration in diesem Sektor in Ländern wie Spanien und Finnland einer starken Zersplitterung in Deutschland und Österreich gegenüber.

2.2.

Generell hat die Umstrukturierung der Banken eine kleinere, gesündere, aber auch weniger inklusive Bankenlandschaft hervorgebracht, da in ihrer Folge in den letzten Jahren den KMU und Privathaushalten Finanzmittel vorenthalten wurden, was mit einer schrittweisen Verkleinerung des flächendeckenden Geschäftsstellennetzes und dem Abbau zahlreicher Arbeitsplätze einherging. Diese Entwicklung könnte sich noch verschärfen, wenn die lokalen Banken vom Markt verdrängt werden.

2.3.

Als Geschäftsmodell für das Privatkundengeschäft weisen die Genossenschaftsbanken und Sparkassen sehr erhebliche Unterscheidungsmerkmale auf: Verbindung zur gewerblichen Wirtschaft vor Ort, territoriale Verwurzelung, eng geknüpftes kommerzielles Netz, Kundennähe, Finanzierung bestimmter Sektoren, Nähe zu den lokalen Interessen und den sozialen Akteuren und Solidarität.

2.4.

Sparkassen und Genossenschaftsbanken verfügen aufgrund ihres strukturellen Aufbaus in der Regel über gesunde Kapitalstrukturen mit einer angemessenen Risikobereitschaft, wobei sie ihre Investitions- und Kapitalisierungstätigkeit auf die politischen Maßnahmen der territorialen Entwicklung im jeweiligen Gebiet abstimmen.

2.5.

Konzeptuell sollten die Unterschiede zwischen Genossenschaftsbanken und Sparkassen aufgezeigt werden:

die Genossenschaftsbanken sind privatwirtschaftlich und haben eine Doppelrolle: Sie sind Genossenschaften und zugleich Kreditinstitute, deren Hauptziel in der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen für ihre Genossenschaftsmitglieder/Eigentümer und für die Kunden liegt. Die genossenschaftlichen Grundsätze, nach denen sie geführt werden, sind demokratische Entscheidungsfindung und Mitwirkung („ein Mitglied — eine Stimme“), und die Tatsache, dass ein erheblicher Teil ihrer Gewinne Rücklagenfonds und obligatorischen Sozialfonds zugeführt werden;

die Sparkassen sind hauptsächlich privatwirtschaftlich und besitzen eine wesentliche Dualität: Finanzgeschäft und soziale Zielsetzung. Die Besonderheit dieses Modells besteht darin, dass es keine eigentlichen Eigentümer gibt, obgleich es auch andere Formen gibt, wie öffentliche Gesellschaften oder Aktiengesellschaften. In ihrer Grundform werden die Leitungsorgane von der Generalversammlung gewählt, in der lokale und regionale Gebietskörperschaften und je nach Land auch die Kunden, die Gründungsträger oder die Angestellten vertreten sind. Die erzielten Gewinne werden für die Rücklagenbildung verwendet und gemeinnützigen Zwecken zugeführt.

2.6.

Die über die Genossenschaftsbanken vorliegenden Daten sind in Krisenzeiten äußerst aufschlussreich: keine dieser Banken musste in der EU bislang eine Insolvenz anmelden. Sie haben beim Einlagengeschäft einen Marktanteil von ca. 20 %, finanzieren in Ländern wie Italien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden zwischen 25 % und 45 % der an KMU vergebenen Kredite und haben ihren Anteil beim Einlagengeschäft in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht, was ein großes Vertrauen in dieses Bankenmodell deutlich macht.

2.7.

Die Sparkassen haben ihrerseits ihren hohen Anteil am Finanzsystem der EU gehalten. So erreichen sie in Deutschland einen Marktanteil von 43 % bei den Einlagen und 39 % bei den Krediten, in Spanien 41 % bzw. und 42 %.

2.8.

Auch der Internationale Währungsfonds (2) unterstreicht die wesentliche Rolle der Genossenschaftsbanken. Diese Institute, die weniger auf die Erwartungen von Aktionären Rücksicht nehmen müssen, decken zuverlässig und sicher den Kreditbedarf der KMU und vieler Privathaushalte.

2.9.

Jedoch gab es auch hier Ausnahmen: Einige Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben ihre Ziele aufgegeben, sind in Spekulationsgeschäfte eingestiegen und haben maßlos in andere Regionen expandiert, was zu einem Prestigeverlust geführt hat. Dies wiederum war in einigen Ländern Anlass für die Ergreifung von Regulierungsmaßnahmen, mit denen dieses Bankenmodell in gewisser Weise ausgehöhlt wurde.

2.10.

Kurz gesagt müssen die Stärkung der Kapitalausstattung, das Erreichen einer angemessenen Größe, der Erhalt der territorialen Verwurzelung und die Aufrechterhaltung des hohen Verbraucherschutzniveaus mit der Bewahrung der grundlegenden Eigenschaften dieses einzigartigen Unternehmensmodells einhergehen. Der EWSA fordert bei diesem Prozess die Anerkennung und Unterstützung durch die Institutionen der Europäischen Union.

3.   Herausforderungen beim Ausbau des Privatkundengeschäfts

3.1.

Die Genossenschaftsbanken und Sparkassen weisen die spezifischen Merkmale eines Geschäftsmodells für das Privatkundengeschäft auf: Kundennähe, lokale Verwurzelung, Zusammenarbeit, soziales Engagement usw. Allerdings wird die Entwicklung ihres Potenzials von verschiedenen Faktoren beeinträchtigt (3):

Der zunehmende Wettbewerb hat zu einer fortschreitenden Schmälerung der Zinsspannen geführt;

der Vertrieb über mehrere Kanäle erfordert hohe Investitionen im Technologiebereich;

eine unzureichende Größe bedeutet in bestimmten Fällen, dass strategische Bündnisse oder Zusammenschlüsse mit anderen Finanzinstituten eingegangen werden müssen;

Fusionen sind nicht frei von Risiken und können Größennachteile mit sich bringen;

die Kundennähe dieses Bankenmodells lässt sich nur schwer mit der geografischen Diversifizierung auf internationalen Märkten vereinbaren.

3.2.

Dennoch spielen die Genossenschaftsbanken und Sparkassen aufgrund ihrer finanziellen, sozialen und territorialen Funktion neben den bankenunabhängigen Finanzierungsformen (Crowdfunding, Risikokapital, Business Angels usw.), die infolge der sehr restriktiven Kreditvergabe (Kreditklemme) und der hohen verlangten Sicherheiten entstanden sind, nach wie vor eine sehr bedeutende Rolle für die erfolgreiche Umsetzung der Europa-2020-Strategie.

3.3.

Nach Ansicht des EWSA sollten die wirtschafts- und geldpolitischen Entscheidungsgremien verstärkt Maßnahmen ergreifen, um den KMU den Zugang zu Finanzmitteln zu erleichtern und langfristige Finanzierungen zu unterstützen, und die Vielfalt der Unternehmensformen (4) sowie die Risikoteilung im Finanzdienstleistungssektor fördern.

4.   Soziale Funktion zum Vorteil der lokalen Wirtschaft

4.1.

Bei den Genossenschaftsbanken und Sparkassen sind die finanzielle und soziale Funktion eng mit ihrem Engagement für den territorialen Zusammenhalt verknüpft. Ihre soziale Verpflichtung und ihr Interesse für das Gemeinwesen sind für die Öffentlichkeit besonders sichtbare Merkmale (5).

4.2.

Der erwirtschaftete Überschuss wird verschiedenen Zwecken wie der Kultur, der Sozial- und Gesundheitsfürsorge, der Bildung und Forschung, dem Kulturerbe, der ökologischen Nachhaltigkeit usw. zugeführt, und im Falle der Sparkassen betragen die sozialen Dividenden mehrere Milliarden Euro pro Jahr.

4.3.

Angesichts der Notwendigkeit der Wertschöpfung für die lokale Wirtschaft gewinnt der Stakeholder-Value-Ansatz immer mehr an Bedeutung. Insbesondere fördern die Institute des sozialen Bankwesens die finanzielle Inklusion und den territorialen Zusammenhalt sowie das Unternehmertum und die Umsetzung von Projekten im Bereich Mikrofinanzierung und sozial verantwortliche Investitionen.

4.4.

Die Genossenschaftsbanken und Sparkassen spielen im Rahmen der Instrumente und Programme der EU eine wichtige Vermittlerrolle. Der EWSA plädiert dafür, die Vermittlerrolle kleinerer Genossenschaftsbanken bei der Inanspruchnahme von Finanzinstrumenten der Europäischen Investitionsbank (EIB) und des Europäischen Investitionsfonds (EIF) zu erleichtern, insbesondere durch vereinfachte Verwaltungsauflagen, was ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Umsetzung des Juncker-Plans ist. Außerdem sollten diese Institute unbedingt eine größere Rolle bei der Umsetzung der Initiative für soziales Unternehmertum spielen.

5.   Auswirkungen der Umstrukturierungen im Sozialbankensektor

5.1.

Die Sparkassen haben in letzter Zeit eine intensive Umstrukturierung durchlaufen, was in einigen Ländern zu einer Änderung ihrer ursprünglichen Ausrichtung geführt hat.

5.2.

Zu einem späteren Zeitpunkt kam es aufgrund der weltweiten Finanzkrise zu Rettungs- und Sanierungsmaßnahmen, Fusionen und Übernahmen, Verstaatlichungen und sogar zur Umwandlung der spanischen Sparkassen in Banken.

5.3.

Die Probleme bei der Unternehmensführung, die höheren Anforderungen der neuen Finanzvorschriften und die Notwendigkeit, die Größe des Sektors an einen schrumpfenden Markt anzupassen, haben eine gewisse Konzentration im Bankensektor nach sich gezogen. Angesichts der Schwierigkeiten bei der Internationalisierung dieser Finanzinstitute im Hinblick auf ihr Größenwachstum gibt der EWSA zu bedenken, dass die Risikobereitschaft in der Regel bei den multinationalen Konzernen größer ist.

5.4.

Auch hat die Kommission auf der Grundlage des Berichts der Liikanen-Gruppe von 2012 eine Verordnung über strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Kreditinstituten in der Union auf den Weg gebracht, um den Problemen entgegenzutreten, die die systemrelevanten Banken („too big to fail“) für den Fiskus mit sich bringen. Zu dieser Verordnung hat sich der Ausschuss bereits in einer mit großer Mehrheit verabschiedeten Stellungnahme (6) geäußert.

5.5.

In bestimmten Artikeln dieses Verordnungsvorschlags sind Abweichungen von den Eigenkapitalanforderungen und Stimmrechtsregelungen für Genossenschaftsbanken oder Sparkassen vorgesehen, da sie sehr spezifische wirtschaftliche und eigentumsrechtliche Strukturen aufweisen.

5.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass bestimmte Vorschriften über die Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken die Arbeitsweise kleinerer lokaler Banken konterkarieren und ihre tagtägliche Unterstützung der Realwirtschaft vor Ort untergraben und somit unangemessen sein könnten.

5.7.

Diese Veränderungen wirken sich auch auf die europäischen Bürger aus: die Präsenz vor Ort (Geschäftsstellen und Personal) nimmt ab, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigung und die Finanzierungen für Privatkunden und KMU.

5.8.

Insgesamt ist der EWSA der Auffassung, dass ohne eine gewisse Flexibilität bei der Erfüllung der neuen Regulierungsanforderungen die Gefahr besteht, dass die Genossenschaftsbanken und Sparkassen zu Banken werden und folglich ihr Wesen einbüßen und der Gesellschaft ein über Jahrhunderte aufgebautes wertvolles Gemeingut verloren ginge.

6.   Strategische Optionen angesichts der künftigen Herausforderungen

6.1.

Die Genossenschaftsbanken und Sparkassen haben dazu beigetragen, dem europäischen Bankensystem Stabilität, Solvenz und Sachverstand zu verleihen. Allerdings stehen sie aufgrund der neuen Marktanforderungen vor folgenden Herausforderungen:

Stärkung des Modells für kundennahe Banken im Privatkundengeschäft;

intensivere Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen;

Verbesserung der internen Risikomanagementsysteme;

Anpassung an die neuen Regulierungs-, Aufsichts- und Resilienzmaßnahmen;

professionellere Führungskräfte;

effizientere Verwaltung;

Schutz ihrer Kapitalausstattung zur Vermeidung von Insolvenzen;

Förderung der Transparenz und einer guten Unternehmensführung.

6.2.

Das Beziehungskapital gehört zu den immateriellen Vermögenswerten und ist im Bankgeschäft von größter Bedeutung, weshalb die Finanzinstitute der Sozialwirtschaft ihre internen Kontakt- und Unterstützungsnetze nutzen sollten. Die Finanzbehörden müssen ihrerseits bei der Anwendung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften den Wert dieses Kapitals an Solidarität zwischen den Kreditgenossenschaften anerkennen.

6.3.

Zudem müssen sie die Zahlungsverzugsniveaus, ungewisse Situationen aufgrund geopolitischer Risiken und die technologischen Innovationen (Digitale Agenda) im Auge behalten, denn diese Faktoren bedingen ein neues Finanzsystem mit vier Akteuren, deren Zusammenspiel sie in Zukunft beobachten müssen: traditionelle Banken, neue Akteure im Online-Geschäft, Regulierungsbehörden und Verbraucher.

6.4.

Sie müssen ihre Stärke, die Nähe zum Kunden und zum lokalen Gemeinwesen, (auf der Grundlage der Kundenkenntnis und ihres Engagements für Projekte zugunsten des Gemeinwesens) mit der Nutzung der IKT kombinieren, um neue Initiativen für die Erholung der Realwirtschaft zu unterstützen.

6.5.

Sie müssen ihre Unternehmensführung verbessern und geeignete Strukturen für die Ausbildung, das Management und die Kontrolle ihrer Geschäftstätigkeit einführen. Konkret sind strenge Verhaltensregeln notwendig, um bei der Vertretung der verschiedenen Interessen in den Leitungsorganen Professionalität und die Einhaltung ethischer Grundsätze gewährleisten zu können.

6.6.

Der EWSA schlägt vor, ein neues Modell für die interne Aufsicht bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu schaffen, das die Beschäftigten, Vertreter kleiner und mittlerer Unternehmen und andere Interessenträger einbezieht.

6.7.

Als neue Herausforderung werden sie sich dem Wettbewerb des Nichtbankensektors stellen müssen, um auf die neuen Bedürfnisse der Bürger reagieren und parallel zu den Crowdfunding-Plattformen und den Anwendungen für den gemeinschaftlichen Konsum wachsen und mit ihnen Bündnisse schließen zu können.

7.   Verbesserte Resilienz und Aufsicht der europäischen Banken

7.1.

Der EWSA plädiert für eine Ergänzung der Systeme zur Regulierung und Aufsicht des Finanzsektors und dafür, die Finanzinstitute mit den nötigen Kapazitäten auszustatten, um künftigen Krisen zu widerstehen.

7.2.

In diesem Zusammenhang hat die Europäische Kommission eine Delegierte Verordnung (7) erlassen, mit der auf der Grundlage der von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde vorgelegten Vorschläge für technische Vorschriften bestimmte Aspekte in Bezug auf die Eigenmittelanforderungen geregelt werden, wobei davon ausgegangen wird, dass die Genossenschaftsbanken und Sparkassen über andersartige Kapitalinstrumente verfügen. Von besonderer Bedeutung sind die Fragen in Bezug auf die Beschränkung des Rückkaufs von Instrumenten des harten Kernkapitals im Falle der Genossenschaftsbanken.

7.3.

Ein weiterer Eckpfeiler für die Vollendung der Bankenunion sind der „einheitliche Aufsichtsmechanismus“ und die Verwaltung des Fonds zur Finanzierung eventueller Bankenrettungsmaßnahmen. Nach Auffassung des EWSA wird dieses Instrument die Fähigkeit der Banken stärken, auf künftige Krisen zu reagieren (8).

7.4.

Angesichts der erforderlichen Risikoteilung betont der EWSA, dass bei der Festlegung des Beitrags der einzelnen Institute zum künftigen Einheitlichen Bankenabwicklungsfonds das jeweilige Risikomodell zu berücksichtigen ist. Er macht die Kommission darauf aufmerksam, dass sie die in der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (9) vorgegebenen Indikatoren angemessen anwenden sollte. Zugleich begrüßt der EWSA, dass die Mitgliedschaft in institutsbezogenen Sicherungssystemen berücksichtigt worden ist (10).

7.5.

Bei diesem neuen finanziellen Szenario fordert der EWSA, den Themen soziale Verantwortung der Unternehmen, Ethik und Transparenz in der Finanzwelt deutliche Impulse zu verleihen, und ruft die Aufsichtsbehörden auf, pädagogische Anstrengungen zu unternehmen, um die Kompetenz der Bürger in Finanzfragen zu verbessern (11), insbesondere hinsichtlich der bislang kaum bekannten Formeln der Sozialwirtschaft. In diesem Zusammenhang sollte unbedingt den sie vertretenden Netzwerken größere Bedeutung und Sichtbarkeit verliehen werden: dem Europäischen Verband der Genossenschaftsbanken (EACB), der Europäischen Föderation der Ethischen und Alternativen Banken (FEBEA) und dem Europäischen Sparkassenverband (ESBG).

7.6.

Der EWSA erachtet es als sehr begrüßenswert, dass neue Finanzinstrumente zur Verbesserung der derzeitigen Unternehmensführung konzipiert werden, weist jedoch darauf hin, dass bei ihrer Regulierung der Vielfalt der betroffenen Finanzakteure Raum gegeben und diesen Stabilität verliehen werden muss, während zugleich die Lasten für ressourcenärmere Finanzinstitute begrenzt werden. Letztlich geht es dabei um eine bessere Rechtsetzung.

8.   Stärkung des Modells der sozial verantwortlichen Bank

8.1.

Die EU sollte sich vorrangig auf die Erholung der gewerblichen Wirtschaft, die Stärkung des wirtschaftlichen Gefüges vor Ort und die Bewältigung der sozialen Probleme konzentrieren. Daher fordert der EWSA die Institutionen auf, im Wege ständiger Dialogforen die Bankenmodelle zu stärken, die das Finanzsystem in der Realwirtschaft verankern und so zu Stabilität und Wohlstand in ihren Regionen beitragen.

8.2.

Die sich aus den Umstrukturierungen ergebende Tendenz zu immer größeren Banken gibt Anlass zur Sorge im Hinblick auf das damit verbundene systemische Risiko. Folglich sollte eine Rückkehr zum traditionellen Geschäft (back to basics) im Rahmen einer größeren Differenzierung der Finanzinstitute erfolgen, die sich im Gegensatz zu den Banken, die ihre Geschäftstätigkeit mit Investmentbankaktivitäten kombinieren, auf die Tätigkeit als Geschäftsbank spezialisiert haben. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich Vielfalt, Streuung und Risikoteilung positiv auf das europäische Finanzsystem auswirken.

8.3.

Die Vitalität und Entwicklung der Genossenschaftsbanken und Sparkassen fußen auf einer demokratischen Geschäftsführung und der Freiheit, auf verantwortliche Weise die Zweckbestimmung der erwirtschafteten Überschüsse bestimmen zu können. Eine verstärkte Finanzvermittlungstätigkeit im Interesse der Realwirtschaft garantiert ihren künftigen Fortbestand im Einklang mit den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung bis 2015 und der Erklärung der Vereinten Nationen von 2012 über Genossenschaften.

8.4.

Daher verdienen die Sparkassen und Genossenschaftsbanken eine Sonderbehandlung bei der Anwendung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften, da sie dem von den EU-Bürgern geforderten Bankenmodell entsprechen, das auf einer verantwortungsvollen und solidarischen Geschäftsführung (12) beruht und sich auf die Grundsätze und Werte der Sozialwirtschaft stützt.

Brüssel, den 18. Februar 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 45.

(2)  Redesigning the Contours of the Future Financial System, IMF staff position note — 16. August 2010 (SPN/10/10).

(3)  Spanische Zentralbank: Cooperative and savings banks in Europe: Nature, challenges and perspectives, April 2011; Europäischer Verband der Genossenschaftsbanken: EACB answer to the Green Paper on territorial cohesion turning territorial diversity into strength, Februar 2009; WSBI-ESBG: 200 years of savings banks: a strong and lasting business model for responsible, regional retail banking, September 2011; EWSA: Die Sozialwirtschaft in der Europäischen Union, 2014.

(4)  ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 22.

(5)  Castelló, E.: El liderazgo social de las cajas de ahorros. FUNCAS, Madrid 2005.

(6)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 45.

(7)  Delegierte Verordnung (EU) Nr. 241/2014 der Kommission vom 7. Januar 2014.

(8)  ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 58.

(9)  Siehe Richtlinie 2014/59/EU.

(10)  Siehe Delegierte Verordnung (EU) 2015/63 der Europäischen Kommission.

(11)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 24.

(12)  ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 84.


31.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 251/13


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein asbestfreies Europa“

(2015/C 251/03)

Berichterstatter:

Aurel Laurenţiu PLOSCEANU

Ko-Berichterstatter:

Enrico GIBELLIERI

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 8. Juli 2014 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Ein asbestfreies Europa.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 28. Januar 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 505. Plenartagung am 18./19. Februar 2015 (Sitzung vom 18. Februar 2015) mit 162 gegen 5 Stimmen bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die vollständige Entfernung von Asbest jedweder Art und aller asbesthaltigen Materialien muss ein vorrangiges Ziel der Europäischen Union sein. Für Maßnahmenpläne sind die Mitgliedstaaten zuständig, die EU sollte jedoch die Koordinierung übernehmen. Der EWSA appelliert daher an die EU, auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene mit den Sozialpartnern und anderen Interessenvertretern zusammenzuarbeiten, um Maßnahmenprogramme für die Beseitigung und Handhabung von Asbest zu entwickeln und auszutauschen. Diese Pläne sollten Folgendes umfassen: Aufklärung und Information; Schulungen für Bedienstete des öffentlichen Dienstes; nationale und internationale Schulungen; Finanzierungsprogramme zur Asbestsanierung; Maßnahmen zur Sensibilisierung für die Beseitigung von Asbest und asbesthaltiger Produkte einschließlich ihrer Beseitigung aus Gebäuden, öffentlichen Einrichtungen und Anlagen sowie Standorten früherer Asbestfabriken; Reinigung von Betriebsstätten und Einrichtung von Anlagen für die Vernichtung von Asbest und asbesthaltigem Schutt; Kontrolle der Wirksamkeit bestehender rechtlicher Anforderungen, Bewertung der Exposition von gefährdeten Arbeitnehmern und Gesundheitsschutz.

1.2.

In mehreren EU-Mitgliedstaaten werden asbesthaltige Gebäude in einem Register erfasst. Die übrigen Mitgliedstaaten sollten angeregt werden, ebenfalls solche Register anzulegen, um Arbeitnehmern und Arbeitgebern vor der Aufnahme von Renovierungsarbeiten einschlägige Informationen zur Gefährdung durch Asbest bereitzustellen und vorhandene Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen, die nach EU-Recht erforderlich sind, zu ergänzen. Die Registrierung könnte auf lokaler Ebene für öffentliche Gebäude und öffentliche Infrastruktur begonnen werden.

Derzeit verfügt lediglich Polen über einen mit entsprechenden Finanzmitteln ausgestatteten Maßnahmenplan zur Entfernung aller noch vorhandenen Asbestquellen (1).

1.3.

Das Ziel ist, bis Ende 2032 Asbest vollständig zu entfernen. Mit diesem Beispiel vor Augen sollte die Europäische Union die Mitgliedstaaten dazu auffordern, auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene spezifische Maßnahmen- und Zeitpläne aufzustellen. Vor diesem Hintergrund ist auch die uneingeschränkte Durchsetzung der europäischen und nationalen Asbestvorschriften von größter Bedeutung. Auf europäischer Ebene kann dem Ausschuss hoher Arbeitsaufsichtsbeamter (SLIC) und auf nationaler Ebene den Arbeitsaufsichtsbehörden hierbei eine wichtige Rolle zukommen.

1.4.

Das Beispiel Polens zeigt, dass für die Entfernung von Asbest eine ausreichende öffentliche Finanzierung gegeben sein muss. Die organisierte und strukturierte Entfernung von Asbest dient zudem der regionalen Entwicklung und der Verbesserung der Infrastruktur dieser Regionen. Die Europäische Kommission sollte eine ausdrückliche Öffnung ihrer Strukturfonds für Asbestsanierungspläne in Erwägung ziehen.

1.5.

Die Europäische Kommission wird nachdrücklich aufgefordert, die bestehenden nationalen Vorgehensweisen und Systeme für die Registrierung von Asbest sowie ihre Finanzierung zu untersuchen.

1.6.

Deponien für Asbestabfälle sind nur eine provisorische Lösung des Problems, das auf diese Weise zukünftigen Generationen aufgebürdet wird, da sich Asbestfasern auch nach langer Zeit nicht zersetzen. Der EWSA ruft daher die Kommission auf, die Systeme zur Vernichtung asbestbelasteter Produkte (wie z. B. Plasmabrenner, Pyrolyse-Vergasung) bekannt zu machen und sich dabei an den besten verfügbaren Techniken zu orientieren; Forschung und Innovation müssen gefördert werden, um nachhaltige Technologien für die Behandlung und Inertisierung asbesthaltiger Abfälle bereitzustellen und damit deren sicheres Recycling und ihre weitere Verwertung zu ermöglichen sowie die deponierten Mengen zu verringern. Die Kommission sollte dafür sorgen, dass wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um die gefährliche Praxis der Entsorgung von Asbestabfällen auf für allgemeine Bauabfälle vorgesehenen Deponien zu verhindern.

1.7.

EU-Mittel und Anreize der Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Energieeffizienz in Gebäuden sollten mit der gefahrlosen Entfernung von Asbest aus diesen Gebäuden verknüpft werden. Zwar hat die EU eine ehrgeizige Politik zur Energieeffizienz entwickelt und soll mit der überarbeiteten Energieeffizienzrichtlinie in jedem Mitgliedstaat eine langfristige Strategie zur Gebäudesanierung begründet werden, doch wird diese Politik nicht von Strategien zur Asbestsanierung begleitet. Die Formulierung einer solchen Verknüpfung in einer kohärenten EU-Politik, die alle relevanten Politikbereiche zusammenführt, wird nachdrücklich empfohlen.

Bei jedem Aktionsplan zur Entfernung von Asbest ist der Qualifikation aller an dieser Arbeit/Maßnahme Beteiligten Rechnung zu tragen. Dies betrifft Arbeitnehmer und Unternehmen, Arbeitsschutz-Koordinatoren sowie Arbeitsaufsichtsbeamte, Berater, Ausbilder, Arbeitgeber u. a. Eine Zertifizierung der Unternehmen, die deren Kompetenz für eine Mitwirkung an diesen Maßnahmenplänen bescheinigt, ist unbedingt erforderlich und wird nachdrücklich empfohlen.

1.8.

Eine gefahrlose Beseitigung ist in hohem Maße von qualifizierten Arbeitnehmern abhängig, die in zwei Kategorien fallen: die Beschäftigten von Spezialfirmen und diejenigen, die in Berufen und Gewerben tätig sind, durch die sie zufällig mit Asbest in Kontakt geraten.

Der EWSA fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden die erforderliche Unterstützung für Maßnahmen und Initiativen zum Schutz aller Arbeitnehmer in der EU zu bieten, weil die Umsetzung der Gesundheitsschutz- und Sicherheitsvorschriften für kleine und mittlere Unternehmen, die die Mehrheit der Arbeitnehmer in Europa beschäftigen, eine besondere Belastung darstellt. Eine gute Schulung ist in dieser Hinsicht von größter Bedeutung.

1.9.

Der EWSA fordert die Kommission auf, im Hinblick auf die mit Asbest verbundenen Risiken und die Notwendigkeit, gemäß Artikel 14 Absatz 1 der Richtlinie 2009/148/EG für alle Arbeitnehmer, die durch asbesthaltige Materialien geschädigt werden könnten, eine angemessene Unterweisung durchzuführen, zusammen mit den Sozialpartnern und anderen einschlägigen Interessenvertretern entsprechende Programme und Sensibilisierungsmaßnahmen auszuarbeiten sowie die Aufklärung über die geltenden Rechtsvorschriften über Asbest zu verbessern und praktische Anleitungen für die Einhaltung dieser Vorschriften zu erstellen, die sich an alle EU-Bürger richten.

1.10.

In den EU-Rechtsvorschriften sollten sich auch die jüngsten wissenschaftlichen und medizinischen Forschungsergebnisse widerspiegeln. Jüngste Forschungsarbeiten haben zudem ergeben, dass auch eine sehr geringe Exposition nach einer sehr langen Latenzzeit zu einem Mesotheliom und Lungenkrebs führen kann. Der EWSA fordert daher die Kommission nachdrücklich auf, die Empfehlung 2003/670/EG entsprechend den neuesten Erkenntnissen der medizinischen Forschung dahingehend zu ändern, dass Kehlkopf- und Eierstockkrebs als asbestbedingte Krankheiten aufgenommen werden.

1.11.

Es sollte dafür Sorge getragen werden, dass in den Mitgliedstaaten alle Fälle von Asbestose, Mesotheliomen und anderen asbestbedingten Erkrankungen im Rahmen einer systematischen Datenerfassung über durch Asbest hervorgerufene berufsbedingte und nicht berufsbedingte Erkrankungen registriert werden. Ferner sollte Pleuraplaques als asbestbedingte Krankheit eingestuft und amtlich registriert werden und mithilfe eigener Beobachtungsstellen eine verlässliche Kartierung zum Vorkommen von Asbest bereitgestellt werden. Angehörige der Gesundheitsberufe brauchen angemessene Schulungen, um korrekte Diagnosen stellen zu können.

1.12.

Überdies sollten die EU-Institutionen bewährte Vorgehensweisen im Bereich nationaler Leitlinien und Praktiken für Verfahren der Mitgliedstaaten zur Anerkennung asbestbedingter Krankheiten bekannt machen bzw. ihre Bekanntmachung unterstützen.

1.12.1.

Insbesondere muss die aktive Rolle der Opfer in den Anerkennungsverfahren verbessert werden. Damit sie an die nötigen Informationen herankommen und man ihnen Gehör schenkt, müssen sie rechtliche, finanzielle und persönliche Unterstützung erhalten. Asbestopfer sollten sich in Verbänden organisieren. Dies würde ihnen etwas von der persönlichen Last nehmen, die ein Anerkennungsverfahren mit sich bringt und die zu ihrem krankheitsbedingten Leiden noch hinzukommt.

Der EWSA spricht sich daher wie folgt aus:

Er fordert Versicherungsanbieter und Entschädigungsstellen zu einem gemeinsamen Ansatz für die Anerkennung von asbestbedingten Berufskrankheiten und entsprechende Entschädigungen auf;

er dringt auf eine Vereinfachung und leichtere Zugänglichkeit von Anerkennungsverfahren;

er stellt fest, dass Asbestopfer aufgrund der äußerst langen Latenzperioden häufig nicht in der Lage sind, den ursächlichen Zusammenhang mit ihrer beruflichen Asbest-Exposition nachzuweisen;

er ruft die Kommission auf, Konferenzen zu fördern, die Asbestopfergruppen professionell beraten und ihre Mitglieder unterstützen.

1.12.2.

Schließlich ermutigt der EWSA die Europäische Kommission, in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), mit Drittstaaten und mit anderen internationalen Organisationen weltweit einen hohen Gesundheits- und Sicherheitsstandard am Arbeitsplatz zu fördern, beispielsweise durch das Aufzeigen der von Asbest hervorgerufenen Probleme und das Bekanntmachen gesundheitsförderlicher Lösungen; zudem sollte auch für eine bessere Aufklärung und Unterstützung der Opfer asbestbedingter Krankheiten gesorgt werden.

1.12.3.

Angesichts der großen Bedeutung dieses Themas wird der EWSA/die CCMI diese Stellungnahme auf einer Konferenz vorstellen, die er gemeinsam mit dem Europäischen Parlament, dem Ausschuss der Regionen und der Europäischen Kommission organisiert.

2.   Einleitung

2.1.

Trotz des europaweiten Verbots von Asbest (2) (seit 1999, umzusetzen bis 2005) sterben in Europa immer noch Menschen an Asbest. Ungeachtet der Tatsache, dass alle Formen von Asbest gefährlich sind, dass die gesundheitsgefährdende Wirkung von Asbest belegt ist und entsprechende Vorschriften erlassen wurden, und trotz des Verbots der Verwendung von Asbest ist der Stoff nach wie vor in vielen Schiffen, Zügen, Maschinen, Bunkern, Tunneln, Stollen, Leitungen der öffentlichen und privaten Wasserversorgung und vor allem in Gebäuden, darunter auch in vielen öffentlichen und privaten Gebäuden, vorhanden.

2.2.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation werden alleine in der Europäischen Union jährlich zwischen 20  000 und 30  000 Fälle von asbestbedingten Erkrankungen registriert, und bis 2030 werden voraussichtlich mehr als 3 00  000 Bürger in der EU an einem Mesotheliom sterben (3). Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr weltweit 1 12  000 Menschen an asbestbedingten Krankheiten (4).

2.3.

Mit dem europaweiten Verbot von Asbest (5) (1999, Umsetzung bis 2005) und der bestehenden Marktüberwachung ist nicht gewährleistet, dass asbesthaltige Produkte nicht in den europäischen Markt importiert werden. Dies betrifft eine breite Palette von Produkten, zu denen unter anderem Baumaterialien, Haushaltsgeräte, Bremsbeläge oder Thermosflaschen gehören. Auf der Grundlage des neuen Ansatzes für die europäische Marktüberwachung (6) könnte die EU Maßnahmen gegen asbesthaltige Produkte ergreifen.

2.4.

Auf EU-Ebene bestehen umfassende Rechtsvorschriften für Asbest, die das Verbot, Grenzwerte und den Arbeitnehmerschutz betreffen. Zusätzlich zu dem Verbot der Verwendung und des Vertriebs von Asbest wurden Grenzwerte festgelegt und in einer speziellen EU-Richtlinie die Arbeitsbedingungen geregelt (7). Die Zertifizierung von Unternehmen sowie die Aufklärung und Schulung von Arbeitnehmern sind verpflichtend. Die EU-Bestimmungen sind jedoch häufig sehr allgemein und führen zu einer unterschiedlichen Umsetzung. Zudem fehlen nach wie vor spezifische Bestimmungen für das Schulungsniveau für die verschiedenen Funktionen sowie Bestimmungen für die Registrierung von Asbestquellen.

2.5.

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass in einem Initiativbericht des Europäischen Parlaments von März 2013 (8) die verschiedenen Probleme und Politikbereiche im Zusammenhang mit Asbest ausführlich beschrieben und den Entscheidungsträgern der europäischen und nationalen Politik 62 konkrete Forderungen vorgetragen werden.

2.6.

Es ist eine traurige Tatsache, dass die jährliche weltweite Asbestproduktion unverändert hoch ist, auch wenn viele Länder Asbest verboten haben. Der Handel mit Asbest und seine Verwendung hat sich lediglich von den Industrie- in die Schwellenländer verlagert. Der weltweit florierende Handel mit Asbest geht einher mit dem Treiben einer mächtigen internationalen Asbestlobby, die sich in ihren Werbekampagnen auch auf willfährige Forschungen einiger Wissenschaftler stützt. In dieser Hinsicht ist zudem darauf hinzuweisen, dass nach wie vor europäische Investitionen in die weltweite Asbestindustrie fließen. Indem Schiffe zum Abwracken in andere Teile der Welt verschickt werden, exportiert Europa auch weiterhin Asbest. Ferner muss man wissen, dass Schiffe, die Asbest als Ladung befördern, im Transitverkehr nach wie vor in der EU anlegen und dort Hafenanlagen oder Zwischenlager benutzen.

2.7.

Die Schaffung weltweit gleicher Bedingungen in puncto Asbest ist von entscheidender Bedeutung. Daher sollte die EU eine entscheidende Rolle dabei übernehmen, auf ein globales Verbot der Verwendung jeder Art von Asbest hinzuwirken. Europa kann in dieser Hinsicht andere Regionen der Welt über die gesundheitlichen Auswirkungen von Asbest, seinen Ersatz durch andere Materialien und die gefahrlose Entfernung von Asbest beraten. Ein stärkeres Engagement der EU in internationalen Organisationen ist erforderlich, um Instrumente auf den Weg zu bringen, die den Asbestmarkt als Gifthandel kennzeichnen, und um der Aufnahme von Chrysotilasbest in Anlage III des Rotterdamer Übereinkommens (9) höchste Priorität einzuräumen.

3.   Besondere Entwicklungen

3.1.

Nach einer 2011 veröffentlichten Studie (10) ist ein beträchtlicher Teil des heutigen Gebäudebestandes in der EU älter als 50 Jahre. Mehr als 40 % der Wohngebäude wurden vor 1960 gebaut. Zwischen 1961 und 1990 gab es einen Bauboom; dies war eine Zeit, in der sich der Wohnungsbestand in nahezu allen Mitgliedstaaten mehr als verdoppelte und die Verwendung von Asbest weit verbreitet war.

3.2.

Aus der Studie geht ferner hervor, dass etwa 40 % des Gesamtendenergiebedarfs in Europa auf Gebäude entfallen. Gebäude stellen damit, noch vor dem Verkehr mit 33 %, den energieintensivsten Sektor dar. Zugleich hat sich die EU aber in ihrem Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050 zu einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen von 80-95 % bis 2050 verpflichtet (11).

3.3.

Die Renovierung des Gebäudebestandes bietet also zum einen beträchtliches Potenzial zur Verbesserung der Energieleistung von Gebäuden und somit zur Erreichung der Ziele des EU-Energiefahrplans 2050 und zum anderen die einzigartige Gelegenheit zur Entfernung von Asbest.

3.4.

Die erfordert jedoch hinsichtlich der politischen Maßnahmen und der Finanzierungsprogramme einen koordinierten Ansatz und eine enge Zusammenarbeit sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene. Als Anreiz für private Investitionen sind zudem innovative Finanzierungsinstrumente nötig.

3.5.

Von der EU ist in diesem Zusammenhang zu erwarten, dass sie eine unterstützende und koordinierende Rolle übernimmt. Zudem müsste in den Bereichen Arbeitnehmerschulung, Registrierung und Anerkennung asbestbedingter Krankheiten die Koordinierung verbessert werden.

4.   Entwicklungen auf nationaler Ebene

4.1.

Selbst mit einem Verbot verbleiben Millionen Tonnen Asbest in Gebäuden, und noch nicht alle Mitgliedstaaten führen Register darüber, wo sich Asbest befindet und wie viel Asbest beseitigt werden muss. Es fehlt daher ein angemessener Ausgangspunkt für den richtigen Umgang mit den verbleibenden Asbestquellen in Europa.

4.2.

Derzeit verfügt Polen als einziges EU-Land über ein landesweites Programm zur Entfernung von Asbest, dessen Kosten bis 2030 auf bis zu 10 Mrd. EUR geschätzt werden. Das Programm beinhaltet einen klaren Zeitrahmen und ist durch eine Mischung aus öffentlichen (staatlich, EU-Programme) und privaten (Eigentümer, territoriale Verbände u. a.) Mitteln mit einer entsprechenden Finanzierung ausgestattet. Programme dieser Art müssten in allen EU-Ländern initiiert werden (12).

4.3.

In Frankreich wurden in drei von insgesamt 15 Millionen Sozialwohnungen Probleme mit Asbest festgestellt; die Kosten für die erforderlichen Sanierungen werden auf 15 Mrd. EUR geschätzt. Pro Wohneinheit betragen die Kosten zwischen 15  000 und 20  000 EUR. Die Arbeiten im Zusammenhang mit Asbest im legendären Tour Montparnasse in Paris sollten genau beobachtet werden.

4.4.

In Großbritannien wurde eine Kampagne zur Entfernung von Asbest aus allen Schulen gestartet. Einer der Gründe für die Kampagne ist ein erhöhtes Auftreten von Mesotheliomen unter Lehrkräften im Vereinigten Königreich (13).

4.5.

In Litauen lief 2012 ein Programm zum Austausch von Asbestdächern an, das vom Landwirtschaftsministerium durchgeführt wird und für Dorfbewohner vorgesehen ist. Die Zuschussobergrenze für ein Projekt beträgt 6  000 LTL (1  740 EUR). Die EU und der Staat unterstützen die Projekte mit bis zu 50 % der gesamten förderfähigen Kosten.

5.   Ausbildungsmaßnahmen

5.1.

Ein großes Problem ist das Wissen bzw. das mangelnde Wissen über Asbest. Viele Arbeitnehmer sind bei ihrer Tätigkeit Asbest ausgesetzt. Besonders ist dies in den Bereichen Instandhaltung und Dekontaminierung der Fall, aber auch viele andere Branchen (Dachdecker, Elektriker, Heizungsinstallateure, Recycling-Arbeiter, Arbeitsschutz-Koordinatoren, Arbeitsaufsichtsbeamte und viele andere) können betroffen sein. Nach den geltenden Rechtsvorschriften sind die Arbeitgeber bereits verpflichtet, alle Arbeitnehmer, die Asbeststaub oder Staub von asbesthaltigen Materialien ausgesetzt sind oder sein könnten, angemessen zu schulen. Mit dem Verbot der Nutzung der verschiedenen Materialtypen geht jedoch die Kenntnis über deren Gefahren, Eigenschaften und äußeres Erscheinungsbild nach und nach verloren. Obwohl viele Mitgliedstaaten für Abriss-, Bau- und Wartungsarbeiter und andere, die im Bereich der Beseitigung asbesthaltiger Materialien tätig sind, entsprechende Schulungen durchgeführt haben, gibt es noch immer keine ausreichenden europaweit geltenden Normen.

5.2.

Körperliche Unversehrtheit ist ein grundlegendes Menschenrecht, das unter anderem in der Europäischen Charta der Grundrechte verankert ist. EU-Maßnahmen müssen für den Schutz dieses Rechts sorgen. In allererster Linie betrifft dies gesundheitspolitische Maßnahmen und Maßnahmen zu Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, aber auch andere Politikbereiche, die Fragen einer möglichen Asbestexposition und des Umgangs mit Asbest behandeln.

5.3.

Ein weiteres Problemfeld ist ein ausreichendes Wissen bei Bauingenieuren, Architekten und Mitarbeitern von nicht auf Asbestsanierung spezialisierten Unternehmen. Der EWSA fordert die Kommission auf, zusammen mit den Mitgliedstaaten eine Arbeitsgruppe einzurichten, um Mindestanforderungen für asbestspezifische Qualifikationen aufzustellen und asbestspezifische Qualifikationen für die Schulung dieser Berufsgruppen/Arbeitnehmer anzubieten.

5.4.

Die europäischen Sozialpartner des Baugewerbes (FIEC und EFBH) haben dieses Problem angepackt, indem sie für die zweite Kategorie von Arbeitnehmern Asbest-Informationsmodule (14) entwickelt haben. Im Rahmen eines weiteren, aus EU-Mitteln finanzierten Projekts (ABClean — Leonardo da Vinci), das außerhalb des sozialen Dialogs stattfindet, werden Materialien für Kurse zur Schulung von Ausbildern („Train the Trainer“) entwickelt (15).

6.   Ergebnisse der Mini-Anhörung

6.1.

Zu viele Menschen leiden in Europa an verschiedenen asbestbedingten Krankheiten. Die meisten davon sind berufsbedingt, jedoch keineswegs alle. Früher waren Hausfrauen, die die Arbeitskleidung ihrer Ehemänner reinigten, den Asbestfasern ebenso ausgesetzt wie ihre Kinder. Eine britische Kampagne hat ergeben, dass etwa 80 % aller Schulen noch immer Asbest enthalten. Dies kann eine weitere Generation von Asbestopfern zur Folge haben, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Forschung zu Belastungswerten/Latenzperioden und der Entwicklung von Krankheiten. Auch eine sehr niedrige Expositionsdosis kann in Kombination mit einer langen Latenzzeit zu verschiedenen asbestbedingten Krankheiten führen. Asbestexposition ist daher in mehreren Mitgliedstaaten eine Gefahr für die gesamte Bevölkerung.

6.2.

Zudem erhalten die Betroffenen aufgrund der sehr langen Latenzzeit und teilweise auch der Unkenntnis des medizinischen Personals oft nicht die angemessene und rechtzeitige Unterstützung und Aufklärung vonseiten der Gesundheitsdienste.

6.3.

Die sichere Entsorgung ist ein wichtiger Aspekt jedes Sanierungsplans. Wird dieser Aspekt vernachlässigt, ist eine unerwartete Exposition die Folge. In der Schweiz etwa wurde die höchste Asbestbelastung in der Recyclingbranche gemessen.

6.4.

Zum Schutz der Bürger und Arbeitnehmer ist eine funktionierende Marktüberwachung notwendig, um zu verhindern, dass asbesthaltiges Material erneut auf den europäischen Markt kommt.

6.5.

In Anbetracht des letalen Charakters aller Formen von Asbest handelt die EU auf solider allgemein anerkannter Grundlage. In der Richtlinie 1999/77/EG heißt es: „Bisher wurde noch kein Schwellenwert ermittelt, unter dem Chrysotilasbest nicht mit einem Krebsrisiko verbunden wäre“, und „ein wirksames Mittel zum Schutz der menschlichen Gesundheit besteht darin, die Verwendung von Chrysotilasbestfasern sowie von Erzeugnissen, die diese Fasern enthalten, zu untersagen“.

6.6.

Asbestbedingte Krankheiten führen meist zu einem besonders schmerzhaften und schleichenden Tod. Ein Bericht von Eurogip (16) und der Bericht über ein gemeinsames Projekt der Europäischen Föderation der Bau- und Holzarbeiter (EFBH), des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) und der IBAS zeigen die Situation bezüglich der Anerkennung asbestbedingter Krankheiten und der entsprechenden Entschädigung, wie sie in den mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten geregelt ist (17). Obwohl im Prinzip in den meisten Mitgliedstaaten die wichtigsten asbestbedingten Krankheiten als solche anerkannt sind, kämpfen allzu viele Opfer immer noch erfolglos um Anerkennung.

Aus den genannten Berichten geht zudem hervor, dass die einzelstaatlichen Bestimmungen und Verfahren bezüglich Anerkennung und Entschädigung sehr unterschiedlich sind. Häufig erhalten die Opfer nicht die Unterstützung und Beratung, die sie brauchen.

Brüssel, den 18. Februar 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Der polnische Wirtschaftsminister: Programm für die Asbestsanierung in Polen 2009-2032 — Anhang zu der Entschließung Nummer 39/2010 des Ministerrates vom 15. März 2010.

(2)  Richtlinie 1999/77/EG.

(3)  http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs343/en/

(4)  http://www.efbww.org/pdfs/Presentation%20Mr%20Takala.pdf

(5)  Richtlinie 1999/77/EG.

(6)  http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2013:0075:FIN:DE:PDF; COM(2013) 75 final, siehe insbesondere Artikel 12.

(7)  Richtlinie 83/477/EWG vom 19.9.1983, geändert durch Richtlinie 91/382 EWG vom 25.6.1991 und geändert durch Richtlinie 98/24/EG vom 7.4.1998.

(8)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. März 2013 zu asbestbedingten Gefährdungen der Gesundheit am Arbeitsplatz und Aussichten auf Beseitigung von sämtlichem noch vorhandenen Asbest (2012/2065(INI)).

(9)  Das Übereinkommen trat am 24. Februar 2004 mit folgenden Zielen in Kraft: Förderung einer geteilten Verantwortung und gemeinsamer Bemühungen der Parteien im internationalen Handel mit bestimmten gefährlichen Chemikalien zum Schutz der menschlichen Gesundheit und zur Vermeidung potenzieller Umweltschäden; Beitrag zur umweltverträglichen Verwendung solcher gefährlichen Chemikalien durch die Erleichterung eines Informationsaustauschs über ihre Eigenschaften, durch die Schaffung einzelstaatlicher Verfahren zur Entscheidung über ihre Ein- und Ausfuhr und durch die Verbreitung entsprechender Beschlüsse unter den Parteien. http://www.pic.int/TheConvention/Overview/TextoftheConvention/tabid/1048/language/en-US/Default.aspx

(10)  BPIE (Buildings Performance Institute Europe), Europe’s buildings under the microscope, Oktober 2011.

(11)  Richtlinie 2010/31/EG vom 17.5.2010.

(12)  Anhang zu der Entschließung Nr. 39/2010 des Ministerrates vom 15. März 2010.

(13)  http://www.asbestosexposureschools.co.uk/pdfnewslinks/INCREASING%20MESOTHELIOMA%20DEATHS%20AMONGST%20SCHOOL%20STAFF%20AND%20FORMER%20PUPILS%20%2017%20JAN%2015.pdf

(14)  http://www.efbww.org/default.asp?Issue=Asbestos&Language=EN und: http://www.fiec.eu/en/library-619/other-publications.aspx

(15)  http://www.abcleanonline.eu/Project.aspx

(16)  http://www.eurogip.fr/en/publications-d-eurogip/130-asbestos-related-occupational-diseases-in-europe-recognition-statistics-specific-systems

(17)  http://www.efbww.org/default.asp?Issue=Asbestos diseases&Language=EN


31.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 251/19


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Fortschritte bei der Umsetzung der Strategie Europa 2020 und Möglichkeiten zur Erreichung ihrer Ziele bis 2020

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des lettischen Ratsvorsitzes)

(2015/C 251/04)

Hauptberichterstatter:

Etele BARÁTH

Mit Schreiben vom 25. September 2014 ersuchte Rihards KOZLOVSKIS, Minister des Innern und amtierender Minister für auswärtige Angelegenheiten der Republik Lettland, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

„Fortschritte bei der Umsetzung der Strategie Europa 2020 und Möglichkeiten zur Erreichung ihrer Ziele bis 2020“.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte den Lenkungsausschuss Europa 2020 am 14. Oktober 2014 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 505. Plenartagung am 18./19. Februar 2015 (Sitzung vom 19. Februar 2015) Etele BARÁTH zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 184 gegen 5 Stimmen bei 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stimmt dem lettischen Ratsvorsitz zu, der anerkennt, dass die Überprüfung der Strategie Europa 2020 zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit von grundlegender Bedeutung ist. Der EWSA unterstützt die direkte Verbindung zwischen einer verbesserten europäischen Wettbewerbsfähigkeit und der Leitinitiative „Digitale Agenda für Europa“ (1) mitsamt den enormen Konsequenzen für die Industrie, den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft allgemein, die von der Europäischen Kommission und dem Rat unterschätzt wurden. Die Lage erfordert eine übergeordnete mittel- und langfristige Vision und mehr Eigenverantwortung.

1.2.

Die in dieser Stellungnahme des EWSA vorgeschlagenen Maßnahmen sollen dazu beitragen, dass die Strategie Europa 2020 (sowie anschließend Europa 2030) über einen Zeitraum von mehreren Jahren schrittweise zum zentralen Konzept der langfristigen wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Strategien wird, wobei den vielfältigen Umständen in den Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden muss.

1.3.

Durch die Finanzkrise wurde die Verwirklichung der Ziele der Strategie Europa 2020 erheblich beeinflusst, denn es wurden Einschränkungen und Zwänge in puncto Wirksamkeit, Angemessenheit und Legitimität ihrer Ziele und ihres Steuerungsmodells geschaffen. Generell ist die EU heute viel weiter von den Europa-2020-Zielen entfernt als noch im Jahr 2010. Die Strategie wurde durch die Krise in Mitleidenschaft gezogen.

1.4.

Einzelheiten zum gegenwärtigen Stand finden sich in dem Bericht der Kommission über die Halbzeitbewertung der Strategie Europa 2020 und in der Stellungnahme des EWSA (2). Letztere umfasst einige Aspekte, die mit Blick auf die zukunftsorientierten Änderungsvorschläge für die überarbeitete Strategie berücksichtigt werden sollten. Der EWSA hat mehrfach betont, dass Europa keine völlig neue, sondern eine weitaus effizientere Strategie benötigt.

1.5.

Die im Herbst 2014 eingesetzte neue Europäische Kommission hat ihr Arbeitsprogramm mit dem Titel „Ein neuer Start“ vorgelegt (3).

Der EWSA stimmt den drei Säulen des Arbeitsprogramms zu:

a)

zusätzliche Impulse für den Aufschwung der europäischen Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen;

b)

Verbesserung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit in strategischen Bereichen;

c)

Stärkung der europäischen Humanressourcen und physischen Infrastruktur mit einem Schwerpunkt auf den europäischen Verbindungen.

1.6.

Der Schwerpunkt des neuen Arbeitsprogramms liegt auf der Umsetzung der zehn politischen Leitlinien — der Prioritäten von Präsident Juncker. Dies ist umso wichtiger, als mehrere dieser Leitlinien die Umsetzung der Strategie Europa 2020 unmittelbar unterstützen:

a)

Eine Investitionsoffensive für Europa (4), Schaffung eines neuen risikobehafteten europäischen Fonds für strategische Investitionen,

b)

ein ehrgeiziges Paket für den digitalen Binnenmarkt und

c)

erste Schritte auf dem Weg zu einer Energieunion.

1.6.1.

Es muss eine globale Vision und eine Strategie für deren Umsetzung sowie weit verbreitete Informationen über diese Vision geben. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Strategie Europa 2020 und die Investitionsoffensive sehr viel enger miteinander verknüpft werden sollten.

1.6.2.

Der EWSA prüft derzeit im Rahmen einer Stellungnahme (5), inwiefern die Investitionsoffensive die wesentlichen Mängel der Strategie Europa 2020 beheben kann und die neuen Finanzinstrumente die Chance auf eine Verwirklichung ihrer Ziele erhöhen.

1.6.3.

Der EWSA befürwortet die Verbesserung des Pakets für den digitalen Binnenmarkt (6) — ein entscheidender Schritt zur Umsetzung der Digitalen Leitinitiative der Strategie Europa 2020. Die Sicherung der digitalen Zukunft der Europäischen Union ist eine der wesentlichen Säulen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und ausschlaggebend für die nachhaltige Entwicklung einer umweltfreundlichen europäischen Gesellschaft. Der EWSA fordert Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die starke Zunahme digitaler Anwendungsbereiche für die Menschen in Europa auch in der Arbeitswelt positiv zu Buche schlägt.

Der EWSA bekräftigt seine Unterstützung für die Bereitstellung von Mitteln zur Deckung der Unterfinanzierung, die der Europäische Rat hinsichtlich der Ausweitung der Breitband- und digitalen Netze innerhalb des Mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 beschlossen hat (7).

1.6.4.

Der EWSA bekräftigt seinen Standpunkt hinsichtlich der Förderung einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik zur Stärkung von Grundsätzen wie die Anpassung und Verringerung der Unterschiede von Energiepreisen, die Verbesserung der Bedingungen für den Energiebinnenmarkt, die Verringerung der Energieabhängigkeit von Drittstaaten und die Förderung erneuerbarer Energien.

2.   Analyse der wichtigsten Auswirkungen auf die künftigen Maßnahmen für eine bessere Umsetzung der Strategie Europa 2020

2.1.

In dem Ende 2014 veröffentlichten Jahreswachstumsbericht (JWB) (8) wird das neue Entwicklungsprogramm, das für die Zukunft der Union unverzichtbar ist, offiziell berücksichtigt. Die wesentlichen Ziele des Europäischen Semesters, der nationalen Reformprogramme und der Strategie Europa 2020 sollten endlich durch eine langfristige Vision miteinander verknüpft werden:

2.1.1.

koordinierte Impulse für Investitionen auf der Grundlage der Investitionsoffensive für Europa:

a)

Ziel der Nutzung von mindestens 315 Mrd) EUR zusätzlicher EU-Finanzmittel für Infrastrukturinvestitionen, wo dank der Fortschritte ein erheblicher wirtschaftlicher und sozialer Nutzen entstehen dürfte,

b)

Gewährleistung von Finanzierungen für die Realwirtschaft,

c)

Verbesserung des Investitionsumfelds und

d)

Stärkung eines innovativen Kofinanzierungssystems;

2.1.2.

ein erneuertes Engagement für Strukturreformen;

2.1.3.

Fortsetzung einer verantwortungsvollen Fiskalpolitik;

2.1.4.

die bestmögliche Nutzung der Flexibilität in den bestehenden Regelungen und

2.1.5.

die unabdingbare Straffung des Steuerungssystems zur Erhöhung seiner Wirksamkeit und Stärkung der Identifikation seitens der Mitgliedstaaten und der EU.

3.

Die Anpassung der auf der Grundlage der Partnerschaftsvereinbarungen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten erarbeiteten operationellen Programme steht vor dem Abschluss. Da sich das Programm „Ein neuer Start“ — hinsichtlich der Ziele wie auch der Instrumente — auf die einzelnen nationalen Programme auswirken soll, muss die bisherige europäische Koordinierung verstärkt werden.

3.1.

Die Relevanz, Wirksamkeit und Effizienz der Nutzungsweise der europäischen Struktur- und Kohäsionsfonds wirkt sich stark auf die Rahmen zur Anwendung der neuen Finanz- und Rechtsinstrumente aus. Der EWSA schlägt vor, eine Übersicht über die Infrastrukturinvestitionen und Wirtschaftsentwicklungsprogramme zu erstellen, die aus den Fonds gefördert und mit dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) in Einklang gebracht werden (9).

3.2.

Die Erreichung der Ziele der Investitionsoffensive und des Europäischen Fonds für strategische Investitionen, die Steigerung der Hebelwirkung der EU-Fonds 2014-2020 und die Verdopplung der Mittel innovativer Finanzinstrumente sind entscheidend für die Verwirklichung der Ziele der Strategie Europa 2020.

3.3.

Der EWSA, der AdR und die Mitglieder des Europäischen Parlaments haben eine Reihe von Optionen präsentiert, die bestimmte Zugeständnisse für eine Übergangszeit ermöglichen, um die Mittel für neue Impulse für EU-Investitionen aufzustocken. Es sollte darüber nachgedacht werden, wie die von den Mitgliedstaaten gewährleistete Kofinanzierung der für langfristige Sozialinvestitionen eingesetzten Strukturfonds (insbesondere in der Bildung) — im Einklang mit dem Kommissionsansatz — ohne eine Regelungsänderung aus der Defizitberechnung herausgenommen werden kann. Der EWSA unterstützt die laufende Debatte innerhalb der Europäischen Kommission über die Anwendung der sogenannten goldenen Finanzierungsregel („golden rule“), im Kontext des fiskalischen Regelwerks der WWU Zukunftsinvestitionen der öffentlichen Hand aus der Berechnung der staatlichen Nettodefizite auszunehmen (10).

3.4.

Hinsichtlich der finanziellen Aspekte bedarf es eines umfassenden Ansatzes für die unterschiedlichen Ausgabenarten, wie das Kofinanzierungssystem für das transeuropäische Verkehrsnetz (11) und die Fazilität „Connecting Europe“ (12)sowie die durch den ESFI kofinanzierten nationalen Investitionen. Dies muss von der Kommission näher erläutert werden.

3.5.

Bei den unterschiedlichen Zielen der Strategie Europa 2020 sollte — neben der Verbesserung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit — der Schwerpunkt der Strukturfonds stärker auf der Umsetzung der Umweltprogramme und der auf die Menschen bezogenen Programme liegen, wodurch außerdem die nachhaltige Entwicklung der „über das BIP hinausreichenden“ Faktoren gefördert würde (13). Aufgrund der zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten sollte der stärkere Fokus auf einem „produktionsorientierten“ Entwicklungssystem und auf Bereichen, welche die Gesellschaft, die Familien und individuelle Werte unterstützen — etwa Bildung und Gesundheitsversorgung — ausgeweitet werden.

4.

Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass eine überarbeitete und ergänzte Strategie Europa 2020 eine zentrale Rolle bei der Verwirklichung einer neuen entwicklungsorientierten wirtschaftspolitischen, auf erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklung ausgerichteten Steuerung in Europa spielen kann.

4.1.

Aufgrund der sich ändernden Schwerpunkte für die erfolgreiche Umsetzung der Strategie EU 2020 wäre eine zentrale Anlaufstelle sinnvoll, welche die Aufgaben und Verfahren effektiv koordinieren und rationalisieren kann; dies gilt auch für EU-Agenturen.

4.2.

Es sollte erwogen werden, eine zentrale Anlaufstelle zur Steuerung und Kontrolle der agenturenübergreifenden Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen der Realwirtschaft sowie der gesamteuropäischen und der nationalen bzw. regionalen Ebene zu schaffen oder eine bestehende Einrichtung zu diesem Zweck umzuwidmen. Dieser Ansatz könnte Überschneidungen vermeiden und bessere Synergien schaffen.

5.   Maßnahmen zur Stärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung in Europa

5.1.

Aufgrund der schwachen Steuerungsverbindungen der Strategie Europa 2020 zwischen den kurz- und langfristigen Zielen sind mindestens folgende Maßnahmen erforderlich:

5.1.1.

Der JWB sollte einen Verweis auf die Fortschritte bei der Umsetzung der Strategie Europa 2020 enthalten;

a)

der Schwerpunkt des Europäischen Semesters sollte viel stärker auf der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sowie auf der öffentlichen und der Auslandsverschuldung und insbesondere auf der Umsetzung liegen;

b)

die Ausgaben des EU-Kohäsionsfonds sollten auf den nationalen Reformprogrammen im Einklang mit den Semestern basieren;

c)

die fiskalpolitische Integration sollte vertieft und der Kampf gegen Steuerbetrug ausgebaut werden und

d)

die Überwachung sollte auf der Grundlage eindeutiger Indikatoren und Benchmarks, darunter auch Maßnahmen „über das BIP hinaus“, erfolgen.

5.1.2.

Die sehr unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten erfordern Flexibilität bei der Bewertung sowie eindeutige Ziele und zielgerichtete Instrumente in den länderspezifischen Empfehlungen, beispielsweise:

a)

Strukturreformen im öffentlichen Sektor, Erhaltung des Sektors als einer der grundlegenden Garantien für Lebensqualität;

b)

ein besseres Unternehmensklima zur Anziehung von Kapital;

c)

Förderung von Infrastrukturinvestitionen;

d)

verbesserter Zugang zu Krediten für KMU;

e)

Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für eine reibungslosere Energiewende;

f)

Stärkung des Bildungswesens;

g)

eine höhere Erwerbsquote und niedrigere Arbeitslosigkeit, die auf EU-Ebene überwacht werden (14);

h)

Verringerung der sozialen Unterschiede zwischen den und innerhalb der Mitgliedstaaten, unter besonderer Berücksichtigung der Lage von Minderheiten;

i)

Bekämpfung der Armut und Steigerung des BIP sowie

j)

Stärkung des sozialen Zusammenhalts und Verringerung der Ungleichheit dank Solidarität, sozialem Dialog und Tarifverhandlungen.

6.   Feinabstimmung des „Wachstumskonzepts“:

a)

Umsetzung zusammen mit einer „nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit“;

b)

Annahme von Maßnahmen zur Förderung von neuem Wohlstand und Umweltschutz sowie (15)

c)

Einführung eines neuen EU-weiten Indikators für Arbeitsmarkttrends bei der Schaffung echter neuer Arbeitsplätze auf EU-Ebene.

7.   Die Digitale Agenda für Europa

7.1.

Der EWSA teilt den Standpunkt der Kommission: Durch die digitalen Technologien werden neue Verfahren zur Herstellung von Waren und Dienstleistungen eingeführt und unsere Lebens-, Arbeits- und Lernformen verändert (16). Der Beitrag des EWSA zur Umsetzung der Leitinitiative „Digitale Agenda für Europa“ (17) und die wichtigsten Vorschläge für einen ambitionierten digitalen Binnenmarkt lauten wie folgt:

 

Im wirtschaftlichen Bereich:

a)

aktive Gestaltung der digitalen Zukunft der EU;

b)

durchgängige Berücksichtigung der Digitalisierung und Abbau der digitalen Mängel auf der Ebene der EU und der Mitgliedstaaten;

c)

Digitalisierung der Wirtschaft und Entwicklung von Forschung und Innovation;

 

im sozialen Bereich:

d)

massive Ausweitung der Bildung im digitalen Bereich, damit die Europäer digitale Inhalte schaffen und erzeugen;

e)

Deckung des Bedarfs an IKT-Fachkräften;

f)

Schaffung der Voraussetzungen für eine lebendige digitale Wirtschaft und Gesellschaft durch die Stärkung des Regelungsumfelds für Telekommunikation;

g)

Überprüfung des allgemeinen Regelungs- und Legislativrahmens mit Blick auf die Festlegung verlässlicher Voraussetzungen für Unternehmen und Start-ups;

h)

Anerkennung des digitalen Sektors als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse;

 

im Bereich digitales Umfeld:

i)

Förderung der digitalen Inklusion und des universellen, gleichberechtigten Zugangs zum Breitbandinternet;

j)

Vereinfachung der Vorschriften für die Verbraucher bei online und digital getätigten Einkäufen durch die Stärkung ihres Vertrauens mittels größerer Sicherheit;

k)

Verbesserung des grenzüberschreitenden elektronischen Handelsverkehrs;

 

im Bereich Sicherheit:

l)

Nutzung der digitalen Technologien zum Schutz der menschlichen und natürlichen Umgebung;

m)

Beschleunigung der EU-Rechtsetzung auf der Grundlage eines ethischen Ansatzes und der Stärkung des Verbraucherschutzes;

n)

Aktualisierung des Urheberrechts;

o)

Verbesserung der Cybersicherheit zum Schutz der bürgerlichen Rechte und Freiheiten (EU-Grundrechtecharta (18)) sowie

p)

Schutz von Kindern und schutzbedürftigen Nutzern vor Cyberkriminalität;

7.2.

Die Entwicklung digitaler Technologien und die starke Zunahme ihrer Anwendungsbereiche schlagen sich in nahezu allen Wirtschaftssektoren in einem Strukturwandel erheblichen Ausmaßes nieder. Betroffen sind die Bürger/innen davon nicht nur als Konsument/innen, sondern vor allem auch an ihren Arbeitsplätzen. Neben Autonomiezunahme und Flexibilitätssteigerung führen digitale Technologien am Arbeitsplatz auch zu Rationalisierungsdruck, der mit erheblichen Kosten für die Betroffenen bis hin zum Arbeitsplatzverlust verbunden ist. Vor diesem Hintergrund hält der EWSA das weitgehende Ausklammern dieser Fragen im Rahmen nahezu aller Initiativen der Digitalen Agenda für Europa für ein grobes Defizit, fordert ein entsprechende Umdenken und wird dazu selbst im Rahmen einer Initiativstellungnahme Stellung beziehen (19).

8.   Hin zu einer neuen entwicklungsorientierten wirtschaftspolitischen Steuerung

8.1.

Schritte hin zu einer entwicklungsorientierten Steuerung;

a)

Stärkung der Steuerung auf der Ebene der EU und der Mitgliedstaaten;

b)

Bekräftigung der Notwendigkeit der Strategie Europa 2020, Steigerung ihrer Vereinbarkeit mit EU-Maßnahmen innerhalb der europäischen Strategien;

c)

Ergänzung der wirtschaftlichen Koordinierung im Rahmen der europäischen Steuerung durch die Stärkung ihrer entwicklungsorientierten institutionellen und finanziellen Rahmenbedingungen;

d)

Stärkung der langfristigen strategischen Koordinierung im Rahmen der Strategie Europa 2020 auch in der Ausrichtungs- und der Umsetzungsphase;

e)

Durchführung einer weitreichenden territorialen Bewertung der erneuerten Strategie Europa 2020;

Grafik „Entwicklungsorientierte Steuerung“ — zur Ansicht der Grafik folgen Sie bitte diesem Link:

http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.europe-2020-opinions.34752

f)

Stärkung der Wertschöpfungskette durch sektorspezifische und Querschnittsmaßnahmen;

g)

Ausbau der territorialen Zusammenarbeit;

h)

Stärkung der Steuerung durch Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft;

i)

Anerkennung des Potenzials des EWSA bei der Koordinierung der mehrstufigen Zusammenarbeit zwischen der Realwirtschaft, der organisierten Sozial- und der institutionellen Partner.

9.

Die Voraussetzungen für eine „gute“ entwicklungsorientierte Steuerung lauten wie folgt:

a)

eine festgelegte strategische Planungskapazität;

b)

eine Exekutivkapazität für eine bessere Koordinierung und Zusammenarbeit;

c)

ein umfassendes System zur Überwachung der Planung und Durchführung;

d)

eine verlässliche zielgerichtete Datenbank mit der erforderlichen analytischen Kapazität;

e)

angemessene Kommunikationsmittel;

f)

die erforderliche Anpassungsfähigkeit und

g)

Transparenz bei ihren Aktivitäten zur Gewährleistung der Rechenschaftspflicht.

Brüssel, den 19. Februar 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Die „Digitale Agenda für Europa“ ist auf der Website der Europäischen Kommission abrufbar: http://ec.europa.eu/digital-agenda/

(2)  EWSA-Stellungnahme „Bestandsaufnahme der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ — ABl. C 12 vom 15.1.2015, S. 105-114.

(3)  Das Arbeitsprogramm „Ein neuer Start“ ist über die Website der Europäischen Kommission abrufbar: http://ec.europa.eu/priorities/docs/pg_de.pdf

(4)  Die „Investitionsoffensive“ ist über die Website der Europäischen Kommission abrufbar: http://ec.europa.eu/priorities/jobs-growth-investment/plan/index_de.htm

(5)  EWSA-Stellungnahme „Eine Investitionsoffensive für Europa“, ECO/374 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(6)  Das „Paket für den digitalen Binnenmarkt“ ist über die Website der Europäischen Kommission auf Englisch abrufbar: http://ec.europa.eu/priorities/digital-single-market

(7)  In den Verhandlungen über den MFR wurde die Breitband-Komponente der Infrastrukturfazilität „Connecting Europe“ um 8,2 Mrd) EUR auf gerade noch 1 Mrd) EUR gekürzt.

(8)  Der „Jahreswachstumsbericht 2015“ ist über die Website der Europäischen Kommission abrufbar: http://ec.europa.eu/europe2020/making-it-happen/annual-growth-surveys/index_de.htm

(9)  Der „Europäische Fonds für strategische Investitionen“ ist über die Website der Europäischen Kommission abrufbar: http://ec.europa.eu/priorities/jobs-growth-investment/plan/index_de.htm

(10)  EWSA-Stellungnahme „Investitionen mit sozialen Auswirkungen“, ABl. C 226 vom 16.7. 2014, S. 21-27.

(11)  Zum „transeuropäischen Verkehrsnetz“ siehe die Website der Europäischen Kommission (auf Englisch): http://ec.europa.eu/transport/infrastructure/tentec/tentec-portal/site/index_en.htm

(12)  Zur Fazilität „Connecting Europe“ siehe die Website der Europäischen Kommission (auf Englisch): http://ec.europa.eu/digital-agenda/en/connecting-europe-facility

(13)  EWSA-Stellungnahme „Das BIP und mehr — die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Auswahl zusätzlicher Indikatoren“, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 14-20.

(14)  EWSA-Stellungnahme „Arbeitsplatzintensiver Aufschwung“, ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 65-70.

(15)  Siehe Vertrag von Lissabon, Artikel 191-192.

(16)  EWSA-Stellungnahme „Auswirkungen von Unternehmensdienstleistungen in der Industrie“ ABl. C 12 vom 15.1.2015, S. 23-32.

(17)  EWSA-Stellungnahme „Der digitale Markt als Wachstumsmotor“, ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 1-6.

(18)  http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf

(19)  EWSA-Stellungnahme „Auswirkungen der Digitalisierung auf die auf die Beschäftigung in der Dienstleistungsbranche“ CCMI/136 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

505. Plenartagung des EWSA vom 18./19. Februar 2015

31.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 251/25


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Strategie und den Aktionsplan der EU für das Zollrisikomanagement: Umgang mit Risiken, Erhöhung der Sicherheit der Lieferkette und Vereinfachung des Handels

(COM(2014) 527 final)

(2015/C 251/05)

Berichterstatter:

Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER

Mitberichterstatter:

Jan SIMONS

Die Europäische Kommission beschloss am 1. Oktober 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Strategie und den Aktionsplan der EU für das Zollrisikomanagement: Umgang mit Risiken, Erhöhung der Sicherheit der Lieferkette und Vereinfachung des Handels“

COM(2014) 527 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 2. Februar 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 505. Plenartagung am 18./19. Februar 2015 (Sitzung vom 18. Februar 2015) mit 141 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung der Kommission über die Strategie und den Aktionsplan zum Zollrisikomanagement. Um eine ordnungsgemäße Anwendung der Strategie zu gewährleisten, müssen die Zollbehörden untereinander, aber auch mit anderen staatlichen Stellen zusammenarbeiten (wie mit Gesundheitsämtern und Verbraucherbehörden sowie mit den Strafverfolgungsbehörden im Wege der justiziellen Zusammenarbeit).

Der EWSA hält es für wichtig, eine wirksame Anwendung der Zollvorschriften der Europäischen Union und ein ordnungsgemäßes Funktionieren der im Unionsrecht vorgesehenen Mechanismen der Zusammenarbeit zu gewährleisten.

1.2.

Im Hinblick auf ein integriertes Zollrisikomanagement bedarf es zudem einer Harmonisierung weiterer Politikbereiche und einer Abstimmung bei ihrer Umsetzung. Da die Mitgliedstaaten bereits über amtliche Daten in diesen Bereichen verfügen, ist es angezeigt, diese Informationen gemeinsam zu nutzen und auszutauschen, insbesondere durch die Interoperabilität amtlicher Daten in Verbindung mit schwerwiegenden Gefahren.

1.3.

Bei der Annahme eigener Vorschriften und der Ergänzung ihres Rechtsrahmens sollte sich die EU auf die Vorgaben des Kompendiums zum Risikomanagement und andere Standards der Weltzollorganisation (WZO) stützen, damit die EU-Zollbestimmungen mit den meisten bestehenden Vorschriften zur Regulierung dieses Bereichs in Einklang stehen.

1.4.

Entsprechend Ziel 3 des Aktionsplans und in Übereinstimmung mit der Aufstellung der Risiken und Risikoabstufungen, die von der Kommission als Durchsetzungsmaßnahme angenommen werden sollte, muss künftig klar festgelegt werden, durch wen, wann und wo Kontrollen vorgenommen werden. Im Hinblick darauf sollte diese Maßnahme angesichts ihrer Bedeutung vorrangig umgesetzt werden.

1.5.

Da die Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung der EU-Zollvorschriften vorrangige Bedeutung hat, ist auch Ziel 5 des Aktionsplans sehr wichtig, zumal es in der gesamten Strategie um die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden bei allen Verfahren zur Umsetzung der Vorschriften und zur Aufdeckung von Vergehen sowie um den Informationsaustausch zwischen einzelstaatlichen und EU-Behörden geht.

1.6.

Der EWSA betont, dass die besonderen Merkmale der Zollpraxis in den Mitgliedstaaten — wie z. B. Ausmaß der jeweiligen Handelsströme, Umfang und praktisches Vorgehen — bei der Ausarbeitung der Strategie berücksichtigt werden müssen. Die Vereinbarkeit muss jedoch gewährleistet sein und die Grundsätze und das Recht der Union müssen gewahrt werden.

1.7.

Der EWSA hält die in der Kommissionsmitteilung hervorgehobene Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten ebenfalls für wichtig, möchte jedoch auch die Bedeutung und die Rolle unterstreichen, die anderen an der Strategie beteiligten sozialen Akteuren zukommen kann.

1.8.

Obwohl dies in der Mitteilung zwar angedeutet, aber nicht explizit ausgesprochen wird, fordert der Ausschuss eine bessere Sichtbarkeit für Pilotprojekte vor Ort. Dadurch würden die beteiligten Akteure in ihrer Rolle gestärkt und somit zusätzliche private Investitionen begünstigt, sodass die Strategie der Kommission durch einen Innovationsimpuls weiter vorangebracht würde.

2.   Einleitung

2.1.

Das Risikomanagement ist ein Grundprinzip moderner Verfahren der Zollkontrolle. Die Zollbehörden richten Analyse- und Prüfmechanismen ein, um die Wirksamkeit der Kontrollverfahren im gesamten Zollgebiet zu gewährleisten. Die Verfahren müssen ständig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, um neuen Anforderungen zu genügen.

2.2.

Mithilfe des Risikomanagements streben die Zollbehörden ein vernünftiges und angemessenes Gleichgewicht zwischen der Betrugsbekämpfung einerseits und andererseits einer möglichst geringen Beeinträchtigung des legalen Waren- und Personenverkehrs sowie möglichst geringen Kosten an.

2.3.

Da es physisch unmöglich ist, einen zuweilen erheblichen Teil der Waren zu kontrollieren, werden mit dem Programm SAFE die Grundlagen für das Konzept des „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“ (Authorised Economic Operator — AEO) gelegt, bei dem ein Unternehmen im Voraus anhand eines Prüfberichts als vertrauenswürdiger Partner in Zollsachen akkreditiert wird. Hierzu müssen die Behörden umfassend über die Tätigkeiten des betreffenden Akteurs informiert sein, sich ein klares Bild von den Unternehmensverfahren und dem Umfeld, in dem das Unternehmen agiert, verschaffen und ständigen Zugang zu seinen Buchführungsunterlagen haben. In der EU ist der Status des „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“ und dessen Gewährung in Artikel 5 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 648/2005 (1) geregelt. Für die Wirtschaftsbeteiligten gilt die Erlangung dieses Statuts als unerlässlich, um angemessen auf dem Markt operieren zu können.

2.4.

In der Europäischen Union ist die „Zollunion“ im AEUV als ausschließliche Zuständigkeit festgeschrieben, ebenso wie Zollverfahren und Ein- und Ausfuhrabgaben. Dieser Politikbereich ist als überstaatliches Recht unter dem Titel „Der freie Warenverkehr“ in den Artikeln 28 ff. bis Artikel 37 im Primärrecht verankert. Heute übernehmen die Zollbehörden jedoch zunehmend auch andere Aufgaben. In der Praxis gibt es drei zentrale Bereiche: Steuern, Sicherheit und Überwachung der nicht die Zölle betreffenden Vorschriften. So ist ein Teil z. B. in Artikel 87 AEUV über die polizeiliche Zusammenarbeit geregelt, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt.

2.5.

In einer Kommissionsmitteilung von Januar 2013 (2) wird ein gemeinsames Konzept für das integrierte Risikomanagement eingeführt, mit dem an den Eingangs- und Ausgangszollstellen der Zollunion folgende Ziele erreicht werden sollen:

bessere Zuweisung der Human- und Finanzressourcen, ggf. durch eine angemessene Bündelung;

vollständige und einheitliche Anwendung der EU-Zollvorschriften;

integriertes System der Zusammenarbeit zwischen Behörden, Wirtschaftsbeteiligten und Transportunternehmen sowie

Vereinfachung der Formalitäten und Verringerung des Zeit- und Kostenaufwands für die Transaktionen.

2.6.

Der EWSA gab eine befürwortende Stellungnahme (3) zu dieser Mitteilung von 2013 ab, da er einen gemeinsamen Ansatz für das Zollrisikomanagement und die Sicherheit der Lieferkette für unverzichtbar hält, um eine einheitliche und diskriminierungsfreie Anwendung der EU-Vorschriften durch alle beteiligten Behörden im gesamten Gebiet der Zollunion zu gewährleisten.

2.7.

Auf der Ratstagung vom 18. Juni 2013 wurden Schlussfolgerungen zur Verstärkung der Sicherheit der Lieferkette und des Zollrisikomanagements angenommen. Die Kommission wurde aufgefordert, eine kohärente Strategie vorzulegen. Die EU teilt die gemeinsamen strategischen Ziele, die Sicherheit und Integrität der Lieferkette sowie die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und die finanziellen Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu schützen ebenso wie die Ziele der Vereinfachung und Beschleunigung des rechtmäßigen Handels zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit.

2.8.

In der derzeit geltenden und mit der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 (4) angenommenen Neufassung des Zollkodexes wird nicht nur das Risikomanagement als besondere Aufgabe der Zollbehörden aufgenommen, sondern als Grundlage des Systems zur Regelung des Gemeinsamen Zolltarifs auch die Aufgabe der „Überwachung“ vorgesehen. Durch die Aufnahme des Risikomanagements in den Zollkodex werden die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen den nationalen Zollbehörden bzw. anderen einzelstaatlichen Behörden und der Kommission verstärkt. Zuweilen werden der Kommission zu diesem Zweck sogar Durchführungsbefugnisse übertragen.

3.   Die Mitteilung der Kommission

3.1.

Die Kommission legt eine neue Strategie zur Verbesserung des Zollrisikomanagements in der Europäischen Union vor, die von einem ausführlichen Aktionsplan begleitet wird. Dieser soll dazu dienen, das steigende Handelsvolumen, das mit einer immer komplexeren internationalen Lieferkette einhergeht, effizienter zu bewältigen.

3.1.1.

In dem Aktionsplan wird für jedes Ziel eine Reihe von Maßnahmen aufgeführt. Diese sind darauf ausgerichtet, erkannte Lücken zu schließen, um die Kapazitäten der Zollbehörden in der EU schrittweise zu stärken und eine systematischere Zusammenarbeit mit anderen Stellen, Wirtschaftsbeteiligten und internationalen Handelspartnern zu festigen, was in bestimmten Fällen auch die Förderung und Entwicklung internationaler Normen und Standards einschließt.

3.1.2.

Die Kommission ist um Kohärenz und Komplementarität mit anderen EU-Initiativen sowohl im Zollwesen als auch in anderen Politikbereichen — wie z. B. Initiativen in den Bereichen Sicherheit, Verkehrspolitik und Schutz der Rechte des geistigen Eigentums — bemüht.

3.2.

Die Zollbehörden nutzen das Risikomanagement, um wirksame und effiziente Kontrollen durchführen zu können, ungerechtfertigte Störungen des rechtmäßigen Handelsverkehrs zu vermeiden und Ressourcen sinnvoll einzusetzen, sodass sie vorrangig in Bereiche gelenkt werden, in denen das Risiko am größten ist.

3.3.

Die Strategie betrifft das Risikomanagement und die Kontrolle von Waren, die in die Union eingeführt werden, sie verlassen oder im Transitverkehr befördert werden. Dabei wird den besonderen Merkmalen der Waren, dem Risikoumfang und den Kosten Rechnung getragen. Dies setzt voraus, dass sämtliche Gefahren und Risiken im Zusammenhang mit Waren und ihrer Beförderung festgestellt, bewertet und analysiert werden können.

3.3.1.

In der Mitteilung werden folgende Grundsätze des EU-Zollrisikomanagements entlang der Lieferkette genannt:

Bewertung im Vorfeld — Kontrolle, wenn erforderlich;

Zusammenarbeit verschiedener Stellen;

vielschichtiges, koordiniertes Vorgehen sowie

effiziente Nutzung von Ressourcen.

3.3.2.

Um die Wirksamkeit und Effizienz des EU-weiten Rahmens für das Risikomanagement zu verbessern, müssen die Kommission und die Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um ein auf verschiedenen Ebenen der EU betriebenes Zollrisikomanagement anzustoßen und so auf die Ergreifung folgender erforderlicher Maßnahmen hinzuwirken:

Verbesserung von Datenqualität und Datenerfassung;

Verfügbarkeit von die Lieferkette betreffenden Daten und Austausch risikorelevanter Informationen zwischen Zollbehörden;

erforderlichenfalls Umsetzung von Kontroll- und Risikominderungsmaßnahmen;

Kapazitätsausbau;

Förderung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen und der gemeinsamen Nutzung von Informationen zwischen Zollbehörden und anderen Behörden auf Ebene der Mitgliedstaaten und der EU;

Ausbau der Zusammenarbeit mit dem Handel sowie

Nutzung des Potenzials, das die internationale Zusammenarbeit im Zollwesen bietet.

3.3.3.

In der Mitteilung werden die Mittel zur Erreichung der Ziele der Strategie einzeln aufgeführt, damit diese Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten zur Annahme der erforderlichen Maßnahmen führen kann.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA unterstützt und befürwortet die Mitteilung der Kommission, da er einen stärker gemeinschaftlich ausgerichteten Ansatz für das Zollrisikomanagement und die Sicherheit der Lieferkette für unverzichtbar hält, um die Rechtssicherheit und eine einheitliche Anwendung der EU-Zollvorschriften zu gewährleisten, was den freien Warenverkehr erleichtern wird.

4.1.1.

Es wird vorgeschlagen, bestimmte fest verankerte Zollinstrumente zu stärken und für ihre Anwendung bei den einzelstaatlichen Behörden, der Kommission und den Wirtschaftsbeteiligten zu sorgen. Zusätzlich zu den bereits bestehenden Aufgaben wie Anwendung der Zolltarife, Handelsmaßnahmen und Erfassung statistischer Daten sollte dabei die Aufgabe des Risikomanagements aufgenommen werden.

4.2.

In dem Aktionsplan der Kommission werden einige Ziele und Mittel zu ihrer Verwirklichung formuliert, mit denen die Kapazitäten der Zollbehörden in der Union gestärkt und eine systematischere Zusammenarbeit mit anderen Akteuren — Wirtschaftsbeteiligten oder sogar internationalen Handelspartnern — erreicht werden soll.

4.2.1.

Das Konzept der Komplementarität mit anderen zuständigen Behörden, die Einfluss auf die Bewegungen der Lieferkette nehmen, sollte ausdrücklich hervorgehoben werden. Eine angemessene Umsetzung der Strategie erfordert eine engere und effizientere Zusammenarbeit zwischen den Zollbehörden auf internationaler Ebene sowie zwischen den Zollbehörden und anderen staatlichen Stellen wie z. B. Gesundheitsämtern und Verbraucherbehörden.

4.2.2.

Sogenannte „amtliche Daten“ bestehen zwar bereits auf einzelstaatlicher Ebene in Verbindung mit den verschiedenen Grenzkontrollen, werden aber über Informationssysteme verwaltet (externe Gesundheitskontrollen für Mensch, Tier und Pflanzen, pharmazeutische und kosmetische Produkte usw.). Diese Daten werden jedoch weder zentralisiert noch gemeinsam genutzt, weshalb die Funktionsweise des Systems verbessert und die Arbeit der Zollbehörden erleichtert werden soll, denn anhand dieses Instruments werden die Risikodaten wiedergegeben, mit denen die Ware in der gesamten Lieferkette identifiziert werden kann.

4.2.3.

Angesichts der grenzübergreifenden Dimension der Bedrohungen und somit auch der entsprechenden Lösungen ist es umso dringender erforderlich, die auf einzelstaatlicher Ebene bereits erstellten „amtlichen Daten“ gemeinsam zu nutzen. Daher wird vorgeschlagen, dass die auf Unionsebene festgelegten Kriterien von gemeinsamen internationalen Standards ausgehen und diese für die Anwendung in der Union ergänzen sollten. Deshalb betont der EWSA nachdrücklich, dass die Daten interoperabel gemacht werden müssen, damit die in der Strategie vorgesehenen Maßnahmen wirksam umgesetzt und verwirklicht werden können, zumal die grenzübergreifende Dimension eine Zusammenlegung der auf einzelstaatlicher Ebene bereits erstellten „amtlichen Daten“ umso dringender erforderlich macht.

4.2.4.

Im Hinblick auf eine verstärkte Verwaltungszusammenarbeit bei der Nutzung eines Systems der Risikoermittlung sollte das angewandte System nach Auffassung des EWSA vor allem auf folgenden Grundsätzen beruhen:

Zur genauen Bestimmung der mit Risiken verbundenen Produkte sollten die Risikomaßnahmen, -kriterien und -standards sowie deren Änderungen unter das gemeinsame System für das Risikomanagement bei Zollkontrollen (CRMS) fallen, das mit der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 eingerichtet wurde; hierbei sollten Frühwarnsysteme und die Datenschutzvorschriften berücksichtigt werden;

Verbindungen zu allen sonstigen relevanten Systemen (wie den im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 515/1997 des Rates (5) entwickelten) sind zu begrüßen;

Nutzung der wichtigsten Grundsätze des Binnenmarkt-Informationssystems (IMI), da dieses System bereits bewertete Instrumente umfasst, und entsprechende Anpassung an den Zollkontext;

Maßnahmen, Kriterien und Standards für die Risikoabstufung im Zusammenhang mit Waren, Materialien, Beförderungswegen, Ursprung und anderen Faktoren zur Feststellung des Risikos unter Nutzung des TARIC-Systems, um soweit möglich und machbar die größten Risiken sichtbar zu machen;

Darüber hinaus bekräftigt der EWSA, dass ein Informationsaustausch zwischen den Verwaltungsbehörden stattfinden muss.

4.2.5.

Um die in der Strategie vorgesehene gegenseitige Ergänzung bei der Zusammenarbeit zu erreichen, sollten auch relevante politische Maßnahmen in den Bereichen Produktsicherheit, Tiergesundheit, Lebens- und Futtermittelsicherheit, Umweltschutz sowie einschlägige Initiativen auf dem Gebiet der Rechte des geistigen Eigentums (IPR) Berücksichtigung finden. Der EWSA hält den Austausch von Informationen über schwerwiegende Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt sowie für die Sicherheit und den Schutz der Bürgerinnen und Bürger für sehr wichtig.

4.3.

Die auf Ebene der Union festgelegten Kriterien sollten sich an den gemeinsamen Standards des Kompendiums zum Risikomanagement und weiteren Normen der Weltzollorganisation (WZO) orientieren und sie hinsichtlich einer Anwendung in der EU ergänzen.

4.4.

Es ist positiv zu werten, dass in den Programmen für zugelassene Wirtschaftsbeteiligte (AEO) eine Verbindung zwischen diesem Status und dem Risikomanagement hergestellt wird, zumal die Wirtschaftsbeteiligten und dessen Umfeld sich im Hinblick auf die Erlangung eines AEO-Zertifikats einem eingehenden Bewertungsverfahren unterziehen müssen. Dies ist angesichts der Vereinfachungen in den Zollverfahren, von denen sie als Inhaber eines solchen Zertifikats profitieren, auch angemessen.

4.5.

Bei der Anwendung ggf. notwendiger Maßnahmen zur Risikokontrolle und -minderung sollte die in dem von der Weltzollorganisation ausgearbeiteten Kompendium vorgeschlagene Methodik berücksichtigt werden.

4.6.

Im Rahmen der Aufstellung der Risikoabstufungen, die nach angemessener und transparenter Konsultation der Fachkreise in den Mitgliedstaaten und nach Anhörung der Wirtschaftsbeteiligten auf Grundlage von Artikel 50 Absatz 1 und Artikel 284 des Kodexes von der Kommission angenommen werden soll, sollte das dritte Ziel des Aktionsplans weiter konkretisiert werden, um genau klarzustellen, auf wen, wann, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Sachverhalte der Grundsatz „Bewertung im Vorfeld falls erforderlich“ anzuwenden ist. Dies sollte in der Praxis die erste Maßnahme sein, die ergriffen wird, denn auf diese Weise würde für mehr Klarheit bei der Durchführung der anderen Aktionspläne und bei der Risikobewertung sowie für mehr Rechtssicherheit gesorgt.

4.7.

Das fünfte Ziel des Aktionsplans ist ebenfalls von größter Bedeutung, da ein Grundpfeiler der Strategie die Förderung der Zusammenarbeit und die gemeinsame Nutzung von Informationen zwischen den einzelstaatlichen Behörden und der Union ist, was dem EWSA schon immer ein sehr wichtiges Anliegen war. Der Kürze halber verweist der EWSA auf seine Empfehlungen, die er diesbezüglich in den Ziffern 1.9 und 1.10 sowie in Ziffer 4 zum „Risikomanagement der Lieferkette“ seiner Stellungnahme von 2013 formuliert hat. Darin geht es um eine strukturiertere und systematischere Zusammenarbeit zwischen den Zollbehörden und weiteren auf dem Binnenmarkt agierenden Stellen sowie um eine kohärente und koordinierte Anwendung der Maßnahmen aus dem Aktionsplan.

4.8.

Der EWSA weist erneut darauf hin, dass die Strategie zum Risikomanagement die Mitgliedstaaten nicht an der Anwendung der Zollvorschriften hindern darf, damit sie auch weiterhin den Umfang der jeweiligen Handelsströme berücksichtigen können, dabei jedoch stets eine kohärente Anwendung der Rechtsvorschriften der EU gewährleisten.

4.9.

In diesem Sinne ist der EWSA der Auffassung, dass es möglich ist, ein hohes Schutzniveau aufrechtzuerhalten und gleichzeitig seitens der Mitgliedstaaten die Maßnahmen zur Erleichterung des Handels zu intensivieren, indem die Verwaltungslast durch die Förderung papierloser Formalitäten verringert wird und indem die Verfahren und die Anwendung des Status des zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten vereinfacht werden.

4.10.

Es sollte eine enge Zusammenarbeit mit anderen Ministerien und Behörden gefördert werden, die in diesem Bereich für die Umsetzung auf einzelstaatlicher Ebene zuständig sind — u. a., um Belastungen für die Wirtschaftsbeteiligten, einschließlich Verwaltungslasten, so weit wie möglich abzubauen. In diesem Sinne empfiehlt der EWSA die Berücksichtigung der wichtigsten Grundsätze des Binnenmarkt-Informationssystems (IMI). Unabhängig davon, ob man sich schließlich für eine Harmonisierung, für eine Zusammenarbeit der Zollbehörden oder für eine Mischung aus beiden Ansätzen entscheidet, sollten die Vorschläge auf „bewährten Verfahren“ und nicht auf einem europäischen Durchschnitt beruhen.

4.11.

Der EWSA dringt darauf, bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Strategie künftige Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 515/1997 über die gegenseitige Amtshilfe im Zollbereich (Vorlage COM(2013) 796) zu berücksichtigen, da es darin um sehr eng verwandte Themen geht.

4.12.

Der EWSA betont, dass Pilotprojekte stärker ins Blickfeld gerückt werden sollten, indem ihre praktische Umsetzung gefördert wird, um die interessierten Akteure zu ermutigen, eine wichtigere Rolle einzunehmen. So könnten private Investitionen gefördert werden, wodurch die in der Mitteilung beschriebene Strategie weiter vorangebracht und die Innovation angekurbelt würde.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Im Rahmen der Tätigkeiten, die von der Kommission zur Förderung und Entwicklung internationaler Normen und Standards vorgesehen sind und auf die in Ziffer 3.1.1 eingegangen wird, sollte es möglich sein, Regelungen für die Einführung eines Zollstempels zu fördern, mit dem die Kontrollen anhand automatischer Systeme durchgeführt werden können, um diese Vorschriften in das Regelwerk der Weltzollorganisation zur Sicherung und Erleichterung des Welthandels (SAFE) zu integrieren.

5.2.

In der Strategie wird weder auf die Gefahr von Informationsbetrug noch auf die potenzielle „Ausnutzung“ eines guten Rufes (sog. identity tag) eingegangen. Das Risikomanagement soll es den Zollbehörden ermöglichen, Fälle von Informationsbetrug und Missbrauch eines guten Rufes aufzudecken, damit die Einfuhr gefälschter und gefährlicher Waren verhindert wird.

5.2.1.

Auch wenn die Kommission dies bereits unter Ziel 6 erwähnt, fordert der Ausschuss eine eindeutigere Genehmigung von Pilotprojekten, mit denen — natürlich unter bestimmten Bedingungen — Neuerungen in den Kontrollsystemen eingeführt werden. Im Falle positiver Ergebnisse sollte auch die spätere Umsetzung solcher Pilotprojekte genehmigt werden.

5.3.

Der Europäischen Kommission zufolge wird die neue Strategie dazu beitragen, das steigende Handelsvolumen, das mit einer immer komplexeren internationalen Lieferkette einhergeht (Ziffer 3.1), effizienter zu bewältigen. Dies muss auch mehr Verwaltungseffizienz beinhalten, was sich in einer Verbesserung der Lieferkette niederschlagen wird.

5.4.

Der EWSA stellt mit Bedauern fest, dass die Kommission in der vorgelegten Strategie nur auf die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission eingeht und somit die Empfehlungen aus früheren Stellungnahmen unberücksichtigt lässt, denen zufolge auch eine Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsbeteiligten erwogen werden muss.

Brüssel, den 18. Februar 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Verordnung (EG) Nr. 648/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 117 vom 4.5.2005, S. 13) sowie weitere Rechtsvorschriften, z. B. die Verordnung (EWG) Nr. 2454/1993 der Kommission (ABl. L 253 vom 11.10.1993, S. 1).

(2)  COM(2012) 793 final.

(3)  ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 15.

(4)  Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. L 269 vom 10.10.2013, S. 1).

(5)  ABl. L 82 vom 22.3.1997, S. 1.


31.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 251/31


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anforderungen in Bezug auf die Emissionsgrenzwerte und die Typgenehmigung für Verbrennungsmotoren für nicht für den Straßenverkehr bestimmte mobile Maschinen und Geräte

(COM(2014) 581 final — 2014/0268 (COD))

(2015/C 251/06)

Alleinberichterstatter:

Brendan BURNS

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 12. November 2014 bzw. am 19. Februar 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anforderungen in Bezug auf die Emissionsgrenzwerte und die Typgenehmigung für Verbrennungsmotoren für nicht für den Straßenverkehr bestimmte mobile Maschinen und Geräte“

COM(2014) 581 final — 2014/0268 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 2. Februar 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 505. Plenartagung am 18./19. Februar 2015 (Sitzung vom 18. Februar 2015) mit 164 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1.

Da die Einführung von Prüfanlagen und die Entwicklung von Prüfverfahren für die Emissionsleistung von Motoren im Betrieb eine neues Konzept für nicht für den Straßenverkehr bestimmte mobile Maschinen und Geräte (NSBMMG) ist, empfiehlt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, eingehende Pilotprogramme für alle Arten von Motoren und Maschinen durchzuführen, um festzustellen, ob die erforderlichen Instrumente installiert werden können. Dabei sollte auch der Frage nachgegangen werden, ob der verwendete Motor auf einem Prüfstand zu testen ist, wenn eine Messung in eingebautem Zustand sich als übermäßig schwierig erweist.

1.2.

In Anbetracht der starken Gesundheitsbedenken bezüglich bei Verbrennungsprozessen entstehenden Nanopartikeln und des hohen Schutzniveaus, das durch die Umsetzung der vorgeschlagenen Stufe V für Motoren mobiler Maschinen und Geräte erreicht werden kann, sowie angesichts des Konsenses vieler Interessenträger, einschließlich der Motoren- und Maschinenhersteller, in Bezug auf den Kommissionsvorschlag empfiehlt der EWSA, die neue Verordnung zügig zu erlassen. Dank des intensiven Austauschs mit allen Beteiligten (u. a. der Unternehmen und der NGO) im Zuge der Ausarbeitung trägt der Kommissionsvorschlag den verschiedenen je nach Motorgröße und Verbrennungszyklus verfügbaren Emissionsminderungstechniken Rechnung.

2.   Grundlegendes Konzept

2.1.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass die Reduzierung der schädlichen Kohlenmonoxid-, Stickstoffoxid-, Kohlenwasserstoff- und Partikelemissionen aus Motoren in land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschinen als Beitrag zur Erreichung der von der EU festgelegten Luftqualitätsziele unerlässlich ist.

2.2.

Nach Meinung des Ausschusses müssen Rechtsvorschriften, die die Verbesserung der Gesundheit und der Umwelt zum Ziel haben, auf soliden technischen, wirtschaftlichen und praktischen Vorschlägen fußen.

3.   Hintergrund

3.1.

Die Begriffsbestimmung für NSBMMG umfasst eine breite Palette an Maschinen und Verbrennungsmotoren, die in hand-, rad- bzw. schienengeführte Maschinen eingebaut werden. Sie kommen in der Bauwirtschaft, in der Landwirtschaft, im Bergbau, im Schienenverkehr, in der Binnenschifffahrt und vielen weiteren Sektoren zum Einsatz. Die Emissionsgrenzwerte für diese Motoren sind gegenwärtig in der Richtlinie 97/68/EG festgelegt. Neue Stufen für Emissionsgrenzwerte wurden zuletzt bei der Änderung der Richtlinie im Jahr 2004 eingeführt. Die Europäische Kommission kommt daher zu dem Schluss, dass diese nicht mehr dem gegenwärtigen Stand der Technik entsprechen und die Emissionsgrenzwerte für NSBMMG somit denjenigen für Straßenfahrzeuge (z. B. Busse und LKW) angeglichen werden können.

3.2.

Zur Anpassung der für Straßenverkehrsfahrzeuge entwickelten Technologien für die Nutzung in NSBMMG sind jedoch erhebliche Entwicklungsarbeiten und Ressourcen erforderlich. Aus diesem Grund werden in dem Kommissionsvorschlag Euro-VI-Grenzwerte für Fälle festgelegt, für die die Technik bereits ausgereift ist; ansonsten wird die Anwendung der EPA-Grenzwerte vorgeschlagen, die bereits in den in diesem Bereich sehr weit gediehenen US-amerikanischen Rechtsvorschriften verwendet werden.

3.3.

Im Gegensatz zu den Emissionsvorschriften für den Straßenverkehr, in denen klar nach Fahrzeuggröße unterschieden wird und es spezifische Vorschriften für Motorräder sowie leichte und schwere Nutzfahrzeuge gibt, sind die vorgeschlagenen Vorschriften für nicht für den Straßenverkehr bestimmte mobile Maschinen und Geräte allgemeingültig und umfassen eine Vielzahl an Maschinen und Geräten mit einer Motorleistung von unter 8 kW bis zu rund 3  500 kW. Sie gelten für alle Hubräume vom Bruchteil eines Liters bis mehr als 100 Liter pro Zylinder.

3.4.

Motoren für nicht für den Straßenverkehr bestimmte mobile Maschinen und Geräte werden unter anderen Gegebenheiten als für den Straßenverkehr bestimmte Motoren betrieben. Die meisten derartigen Motoren sind nicht mit einem LKW-Motor zu vergleichen, der nicht unmittelbar von einem vollständigen Motorenstopp seine Höchstleistung erreichen muss. Sie werden vielmehr meistens angelassen, müssen sofort ihre Höchstleistung erreichen, werden kurz abgedreht, wieder auf Höchstleistung hochgefahren und wieder abgedreht. Dieser Zyklus wird dann immer wieder wiederholt. Dabei handelt es sich um die normalen Betriebsbedingungen für die meisten Motoren für nicht für den Straßenverkehr bestimmte mobile Maschinen und Geräte. Dies unterscheidet sich von der beinahe konstanten Drehzahl und Motorleistung von Straßenverkehrsfahrzeugen.

3.5.

Folgende Aspekte sind bei der Anpassung für NSBMMG zu berücksichtigen:

Konstruktionsänderungen, um den entsprechenden Non-road-Verhältnissen standzuhalten, u. a. Langzeitexposition gegenüber harschen Umgebungsbedingungen, hohe Stoßbelastungen und schwere Erschütterungen im Vergleich zu Straßenverkehrsfahrzeugen, die für gerade und ebene Straßen gebaut werden;

Neukonfiguration in Bezug auf Formgebung und Größe, damit sie in die verschiedenen nicht für den Straßenverkehr bestimmten mobilen Maschinen und Geräte eingepasst werden können; Notwendigkeit der Verringerung der Gesamtgröße der Abgasnachbehandlungssysteme;

breites Spektrum an Betriebs-/Belastungszyklen, in denen Abgasnachbehandlungssysteme effizient funktionieren müssen, u. a. schnelles Ansprechen auf Laständerungen;

Sicherstellung eines angemessenen thermischen und chemischen Ausgleichs in der Auspuffanlage für den wirksamen Betrieb von Abgasnachbehandlungssystemen, u. a. Regeneration von Partikelfiltersystemen unter unterschiedlichsten Gegebenheiten;

Neu-Optimierung von Motoren und Abgasnachbehandlungssystemen zur Gewährleistung eines akzeptablen transienten Ladedruckaufbaus und zur Minimierung von Kraftstoff- und Reagensverbrauch.

4.   Probleme

4.1.

In ihren Empfehlungen hält die Europäische Kommission fest: „Für die Überwachung der Emissionsleistung von Motoren im Betrieb werden Pilotprogramme vorgeschlagen, um geeignete Prüfverfahren zu entwickeln.“ Es muss unbedingt geprüft werden, ob der Einbau transportabler Emissionsmesseinrichtungen (PEMS) in eine Reihe von Maschinen, die Motorenhersteller als repräsentativ für die Verwendung ihrer Produkte auswählen werden, praktikabel ist. Die dauerhafte Anbringung in sämtlichen Maschinen wird in diesem Regelwerk nicht ins Auge gefasst.

4.2.

Der im Kommissionsvorschlag dargelegte Zeitplan für die Einführung der Emissionsgrenzwertstufe V wird nur dann machbar sein, wenn die Rechtsvorschriften rechtzeitig angenommen werden. Sollte es zu größeren Verzögerungen in der Beschlussfassung kommen, dann wird die Zeit für die vollständige Produktentwicklung und die Vornahme sämtlicher Bauartgenehmigungen zu knapp werden.

Brüssel, den 18. Februar 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


31.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 251/33


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Tätigkeit der Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) und das Europäische System der Finanzaufsicht (ESFS)

COM(2014) 509 final

und dem Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Aufgaben und die Organisation des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB)

COM(2014) 508 final

(2015/C 251/07)

Berichterstatter:

Carmelo CEDRONE

Die Europäische Kommission beschloss am 8. August 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Tätigkeit der Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) und das Europäische System der Finanzaufsicht (ESFS)

COM(2014) 509 final

und

Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Aufgaben und Organisation des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB)

COM(2014) 508 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. Februar 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 505. Plenartagung am 18./19. Februar 2015 (Sitzung vom 18. Februar 2015) mit 166 gegen 5 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Ausschuss begrüßt die Ausführungen der Kommission (1) und stimmt zu, dass Korrekturmaßnahmen zur Verbesserung der Funktionsweise des Europäischen Systems der Finanzaufsicht (ESFS) ergriffen werden müssen. Außerdem ist er der Auffassung, dass mittel- bis langfristig ein systemischer Ansatz für die rasche Entwicklung struktureller Lösungen gefördert werden muss, um die Tätigkeit der Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) optimal zu straffen. Nach Ansicht des Ausschusses ist es von größter Bedeutung, dass der neue Aufsichts- und Regulierungsrahmen die Stabilität des Finanzsystems und das Wachstum — nach antizyklischen Regeln — sicherstellen und eine asymmetrische Entwicklung des Schattenbankwesens verhindern kann.

1.2.

Nach Auffassung des Ausschusses muss die Tätigkeit des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) und der ESA effektiver werden; dies erfordert eine Überprüfung der Regulierungsfunktion der ESA sowie die konkrete Anwendung der Kosten-Nutzen-Analysen der Strukturen, der Leitung und der Beschlussfassungsverfahren des ESRB und der ESA, eine Feinabstimmung der ihnen zu Gebote stehenden operativen Instrumente und eine Straffung der Gesamtarchitektur des ESFS.

1.3.

Der Ausschuss vertritt den Standpunkt, dass diese Korrekturmaßnahmen vorrangig darauf ausgerichtet werden müssen, die prozyklischen Auswirkungen der Aufsichtsvorschriften und die Interessenkonflikte zwischen EU-Interessen und nationalen Interessen zu minimieren, das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Aufsichtsarchitektur zu optimieren und die Verbraucher vor eventuellen unlauteren Praktiken der Intermediäre zu schützen. Nach Auffassung des Ausschusses bleiben in der derzeitigen Phase jedoch noch zwei Fragen offen, und zwar

a)

ob der neue Aufsichtsmechanismus zu einer Überregulierung mit negativen Auswirkungen auf den reibungslosen Betrieb und die Verwaltungskosten der Banken führen könnte und

b)

ob es darüber hinaus mit seiner Hilfe gelingen wird, die Gefahren einer neuerlichen Krise zu vermeiden oder zumindest zu verringern und das Finanzsystem zum Schutz der Kunden/Verbraucher effizienter, sicherer und transparenter zu gestalten.

1.4.

Bezüglich des ESRB und seiner Leitung begrüßt der Ausschuss den Vorschlag der Kommission, dem Präsidenten der EZB den Vorsitz zu übertragen und die neue Funktion eines geschäftsführenden Direktors zu schaffen, der für die laufende Arbeit zuständig ist und als Verbindungsstelle zwischen dem Vorsitzenden und dem Verwaltungsrat fungiert, wobei auch potenzielle Interessenkonflikte berücksichtigt werden müssen. Was die quantitative und qualitative Umgestaltung der Arbeitsorgane des ESRB angeht, stimmt der Ausschuss zwar deren Zweckmäßigkeit zu, hält es aber für notwendig, über die Wahrung der ausgewogenen Vertretung der Mitgliedstaaten im Verwaltungsrat nachzudenken und die Unabhängigkeit der Mitglieder des Wissenschaftlichen Ausschusses zu fördern.

1.5.

In Bezug auf die Aufgaben und Verfahren des ESRB hält der Ausschuss Maßnahmen zur Koordinierung zwischen dem ESRB, der EZB und dem SSM für unverzichtbar, wobei die besonderen Merkmale des Ausschusses für Systemrisiken geltend zu machen sind, sowohl was seine Fähigkeit zur Vertretung auch der nicht dem Euroraum angehörenden Länder als auch seine auf das Finanzsystem als Ganzes ausgeweitete Zuständigkeit angeht. Der Ausschuss spricht sich für eine stärkere Einbeziehung des ESRB in das Rechtsetzungsverfahren in den betreffenden Bereichen sowie für eine stärkere Koordinierung mit den ESA aus.

1.6.

Hinsichtlich der ESA hält es der Ausschuss für sinnvoll, entsprechende Korrekturen vorzunehmen, damit im Interesse der EU liegende Maßnahmen ergriffen werden; daher sollten die ESA eine Leitung erhalten, die eine wirksame Nutzung der „Peer Reviews“ und der bindenden Schlichtung ermöglicht, um die Konvergenz der Systeme und die Herausbildung einer gemeinsamen Aufsichtskultur zu gewährleisten.

1.7.

Die Regulierungsfunktion der ESA muss nach Auffassung des Ausschusses mit transparenteren Verfahren — auch für die von den Behörden durchgeführten öffentlichen Konsultationen — zwecks stärkerer Einbindung der Vertretungen der Verbraucher und der Arbeitnehmer der Branche einhergehen; außerdem wird eine stärkere Beteiligung der ESA an der Festlegung des Primärrechts für notwendig erachtet. Eine verstärkte Koordinierung zwischen den ESA wie auch zwischen diesen und dem ESRB muss mittels einer weiteren Stärkung der Rolle des Gemeinsamen Ausschusses erreicht werden.

1.8.

Der Ausschuss hält auch eine Rationalisierung der strukturellen und organisatorischen Kosten der ESA für notwendig; eine solche Rationalisierung muss durch ein transparentes, auf eine logistische und funktionale Straffung ausgelegtes Verfahren für die Rechenschaftspflicht flankiert werden.

1.9.

Zur Verbesserung der Prognosemöglichkeiten bezüglich wirtschaftlicher und finanzieller Risiken hält es der Ausschuss für sinnvoll, im Rahmen des ESFS ein funktionierendes Zusammenspiel mit den anderen internationalen Institutionen zwecks gemeinsamer Bewältigung der systemischen Risiken aufzubauen.

1.10.   Zusammenfassung der Vorschläge des Ausschusses

1.10.1.

Binnenmarkt: Förderung von Maßnahmen zur besseren Koordinierung des ESFS mit dem neuen Instrument des SSM und des einheitlichen Abwicklungsmechanismus, um die Entwicklung eines effizienten und wirksamen europäischen Aufsichtssystems zu unterstützen.

1.10.2.

Vereinfachung, Transparenz und Effizienz: Rationalisierung der Regulierungsfunktionen der ESFS-Einrichtungen zwecks Vereinfachung des Regelwerks sowie Steigerung der Transparenz und Effizienz der Verfahren.

1.10.3.

Leitung: Förderung einer mittelfristigen Strategie zur organisatorischen und funktionalen Konsolidierung der Aufsichtsbehörden, um so Größen- und Verbundvorteile zu realisieren, wobei die Möglichkeit eines gemeinsames Sitzes und des Modells einer Doppelspitze (twin peaks) geprüft werden sollte.

1.10.4.

WWU: Förderung von Verfahren zur Unterstützung der Prioritäten der Länder des Euroraums insbesondere mit Blick auf den Bankenmarkt und den einheitlichen Aufsichtsmechanismus, der besondere Modalitäten für die Beteiligung der Nicht-Euro-Länder vorsieht.

1.10.5.

Aufgrund der Ausführungen in dieser Stellungnahme ist der Ausschuss der Meinung, dass:

a)

der Wissenschaftliche Ausschuss des ESRB und die entsprechenden Fachausschüsse bzw. Sachverständigengruppen der ESA — nach Stellungnahme der Interessengruppen — umgehend gezielte Verbesserungsvorschläge vorlegen sollten;

b)

parallel dazu die Europäische Kommission die Machbarkeit von Lösungen eher struktureller Art hinsichtlich der Organisation der ESFS und der Finanzierungsmodalitäten für die Behörden prüfen sollte.

2.   Hintergrund

2.1.

In Europa hat die Wirtschafts- und Finanzkrise deutlich gemacht, dass der Regulierungs- und Aufsichtsrahmen für die Banken und Finanzintermediäre überdacht werden muss; die Funktionsfähigkeit des ESFS und die Wirksamkeit der flankierenden Maßnahmen der Institutionen sind stark in den Vordergrund gerückt.

2.2.

Auf der Grundlage der Empfehlungen des De-Larosière-Berichts aus dem Jahr 2009 (2) hat die Kommission ein Maßnahmenpaket zur Stärkung der Wechselbeziehungen und der Koordinierung zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und zur Aufwertung der Aufsicht auf Makroebene erstellt.

2.3.

Im Januar 2010 hat der EWSA eine Stellungnahme zu den Verordnungen, die dem ESRB und den ESA zugrunde liegen, abgegeben (3). In jener Stellungnahme hat der EWSA die Bedeutung eines einheitlichen Aufsichtssystems für das Finanzsystem der Europäischen Union bekräftigt und genaue Angaben zur Änderung besagter Verordnungen gemacht.

2.4.

Mit den betreffenden Verordnungen wurden 2010 vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) und die drei Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) — die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA), die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) — eingerichtet, die zusammen mit dem gemeinsamen Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden und des ESRB das Europäische System der Finanzaufsicht (ESFS) bilden.

2.5.

Das ESFS hat im Januar 2011 seine Tätigkeit aufgenommen; gemäß der Verordnungen für die Einrichtungen des ESFS (4) ist die Kommission verpflichtet, einen Bericht über die Aktivitäten des ESRB und der ESA während der drei ersten Jahre ihrer im Januar 2011 aufgenommenen Tätigkeit zu veröffentlichen.

2.6.

Um dieser Aufgabe nachzukommen, hat die Kommission eine öffentliche Anhörung (Mai 2013) und eine öffentliche Konsultation (April-Juli 2013) zur Überprüfung des ESFS durchgeführt.

2.7.

Auf der Grundlage der Ergebnisse aus der Einbeziehung der Interessenträger, der Selbstbewertungen der ESA (5), der Entschließung des Europäischen Parlaments vom März 2014 zur Überprüfung des ESFS (6) sowie der Studien des IWF (7) und des Europäischen Parlaments (8) hat die Kommission zwei getrennte Berichte vorgelegt — über den ESRB und die ESA und über das ESFS.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die vorliegende Stellungnahme zu den Berichten der Kommission über die Tätigkeit des ESRB und der ESA stützt sich auf die Bewertung der Aktivitäten des ESRB und der ESA sowie der Beschleunigung des Verfahrens des einheitlichen Aufsichtsmechanismus im letzten Jahr.

3.2.

Der EWSA hat sich wiederholt für das ESFS ausgesprochen und bringt erneut seine Anerkennung für die Tätigkeit des ESRB und der ESA in den ersten drei Jahren ihres Bestehens zum Ausdruck.

3.3.

Möglichkeiten zur Verbesserung der Funktionsweise des Europäischen Systems der Finanzaufsicht wurden sowohl bei der Organisation und Leitung als auch bei den operativen Verfahren und Instrumenten festgestellt; der EWSA ist mit den von der Kommission in ihren Berichten aufgezeigten potenziellen Interventionsbereichen einverstanden; darüber hinaus unterstreicht er die Notwendigkeit, eine mittel- bis langfristige systemische Vision zu entwickeln und den Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz in den angeführten Vorschlägen zu stärken.

3.4.

Nach Ansicht des EWSA hat die Funktionsweise des ESRB gezeigt, dass eine andere quantitative und qualitative Zusammensetzung seiner Arbeitsorgane — Verwaltungsrat, Lenkungsausschuss, Beratender Fachausschuss und Wissenschaftlicher Ausschuss — geprüft und mit Blick auf den Ablauf der ersten Amtszeit eine Lösung für die für Dezember 2015 vorgesehene Ernennung des zweiten Vorsitzenden des Ausschusses gefunden werden muss. Was die Verfahren angeht, wurden Verbesserungsmöglichkeiten sowohl bei den Modalitäten für die Mitwirkung des Ausschusses am Legislativverfahren als auch bei den Zeitrahmen für die internen Beschlussfassungsverfahren festgestellt.

3.5.

Die Funktionsweise der ESA hat nach Auffassung des EWSA deutlich gemacht, dass die Regulierungs- und Aufsichtsfunktion überdacht, der Verbraucherschutz gestärkt und die Zusammensetzung der Arbeitsorgane überprüft werden sollte, um für mehr Ausgewogenheit zwischen den Interessen der Union mit denen der einzelnen Länder zu sorgen. Die Gesamtstruktur der Aufsicht sollte eventuell überdacht werden, sowohl was die Finanzierungsmechanismen für die verschiedenen Behörden als auch die Logistikarchitektur und das Aufsichtsmodell selbst angeht. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage der räumlichen Rationalisierung in Form eines gemeinsamen Sitzes der Gremien sowie der organisatorischen Rationalisierung nach Funktionen und Zuständigkeiten.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (ESRB)

4.1.1.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der ESRB auch nach der Einführung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) aus mindestens drei Arten von Gründen eine wichtige Rolle bei der Verhütung von Systemrisiken spielen kann: a) die Einführung einer gemeinsamen Aufsicht erfordert eine starke Koordinierung auch im Finanzwesen außerhalb des Bankensektors; b) durch die Aufsicht über große Bankengruppen von systemischer Bedeutung wird die Rolle des ESRB auch im Hinblick auf die Interaktion mit der EZB gestärkt; c) die Beteiligung von Vertretern der Staaten des Euroraums und von Staaten, die nicht dem Euro beigetreten sind, ermöglicht dem Ausschuss, eine stabilisierende Funktion auch in Bezug auf Variablen außerhalb der Währungsunion auszuüben. Bei diesem Szenario ist davon auszugehen, dass Änderungen bezüglich der Leitung und der internen Verfahren die Funktionsweise des ESRB und seine Interaktion mit den europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) und der EZB verbessern können.

4.1.2.

Der Ausschuss tritt für eine geänderte quantitative und qualitative Zusammensetzung der Gremien des ESRB ein. Er hält es gleichwohl für sinnvoll, die möglichen Folgen einer Reduzierung der Zahl der Verwaltungsratsmitglieder für die Vertretung der einzelnen Mitgliedstaaten zu untersuchen. Die eventuelle Verringerung der Zahl der Mitglieder des Verwaltungsrates sollte durch die Einrichtung von thematischen Ausschüssen und Arbeitsgruppen flankiert werden. Der Ausschuss hält es ebenfalls für notwendig, eine ausgewogene Vertretung der verschiedenen Interessenträger — auch mittels Stärkung der Rolle des Wissenschaftlichen Ausschusses — sicherzustellen. Diesbezüglich erachtet er die ventilierte Möglichkeit einer Zusammenlegung mit dem Beratenden Fachausschuss für nicht sinnvoll.

4.1.3.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass durch die von der Kommission vorgeschlagene Lösung, den EZB-Präsidenten als Vorsitzenden des ESRB zu bestätigen und das neue Amt eines geschäftsführenden Direktors mit operativen Aufgaben und als Verbindungsstelle zwischen dem Vorsitzenden und dem Verwaltungsrat vorzusehen, die Rolle des ESRB gestärkt werden kann.

4.1.4.

Nach Ansicht des Ausschusses muss die Mitwirkung des ESRB am Rechtsetzungsprozess gestärkt werden, indem explizit Verfahren zu seiner Konsultation vor der Annahme einschlägiger Legislativvorschläge vorgesehen werden. In diesem Zusammenhang unterstützt der Ausschuss den Vorschlag einer offiziellen Teilnahme eines ESRB-Vertreters an den Sitzungen des Rates (Wirtschaft und Finanzen) und des Wirtschafts- und Finanzausschusses (WFA) gemäß noch festzulegenden Modalitäten und Bedingungen.

4.1.5.

Da die Wirksamkeit der Maßnahmen des ESRB durch einen schlankeren und schnelleren Entscheidungsprozess gesteigert werden muss, hält es der Ausschuss für zweckmäßig, den ESRB dazu aufzufordern, den wissenschaftlichen Ausschuss mit der Selbstbewertung seiner internen Verfahren zu betrauen, um ein alternatives Verfahren vorzuschlagen, das den Dynamiken des Finanzsystems eher gerecht wird. Der Ausschuss hält es zudem für notwendig, dass der ESRB Maßnahmen zur Stärkung des Follow-up der Warnungen und Empfehlungen ergreift.

4.1.6.

Die Aktivitäten des ESRB müssen auf einer engen Interaktion mit den verschiedenen anderen europäischen Institutionen — insbesondere den Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) beruhen. Der Ausschuss erachtet es für notwendig, vom ESRB die rasche Vorlage eines Vorschlags zu verlangen, mit dem Verfahren für die Kommunikation und den Datenaustausch zwischen den verschiedenen Einrichtungen des Europäischen Systems der Finanzaufsicht (ESFS) ausgemacht werden. Der Ausschuss hält es ebenfalls für dringend erforderlich, Formen der Koordinierung zwischen dem ESRB und den neu zu gründenden nationalen Behörden für die makroprudenzielle Aufsicht einzuführen, auch um Doppelvertretungen im ESRB zu vermeiden. Der Ausschuss hält es angesichts der neuen Zuständigkeiten der Europäischen Zentralbank im Bereich der makroprudenziellen Aufsicht für notwendig, die Grundlagen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem ESRB und der EZB zu legen.

4.2.   Europäische Aufsichtsbehörden (ESA) und Europäisches System der Finanzaufsicht (ESFS)

4.2.1.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass sich ein besseres Funktionieren der ESA nur durch Änderungen des derzeitigen institutionellen Gefüges und des Handlungsrahmens erzielen lässt. Insbesondere werden Maßnahmen für erforderlich erachtet, mit denen die Effizienz der Regulierungsfunktion, des Verbraucherschutzes, der Leitung und der Verfahren gesteigert wird. Auch die Finanzierungsmechanismen und das organisatorische Gefüge der Behörden müssen verbessert werden.

4.2.2.

Die Verfahren der Regulierungsfunktion müssen transparenter werden, und es sind angemessenere Fristen für die Phasen der öffentlichen Konsultation und der Folgenabschätzung sicherzustellen. Der statistisch-buchhalterische Ansatz ist dabei mit einem qualitativen Ansatz zu verbinden. Nach Ansicht des Ausschusses müssen die ESA wirksame Verfahren für die Interaktion mit den Verbraucherschutzverbänden und den Arbeitnehmervertretungen der Branche festlegen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die ESA an der Gestaltung der Rechtsvorschriften auf der Ebene 1 stärker beteiligt werden müssen; er erachtet es für notwendig, ein transparentes Verfahren für die Konsultation der ESA vor der Annahme von einschlägigen Legislativvorschlägen vorzusehen, durch das die Folgenabschätzung bezüglich der Vorschriften sowie die Annahme von Leitlinien durch das Europäische Parlament und die Kommission bezüglich der Fristen für eine sorgfältige und wirksame Umsetzung erleichtert werden kann. Der Ausschuss befürwortet ferner die Möglichkeit, eine formelle Beteiligung der Vorsitzenden der ESA im Rat (Wirtschaft und Finanzen) vorzusehen.

4.2.3.

Der Ausschuss unterstützt die von der Kommission an die ESA gerichtete Aufforderung, im Rahmen der aktuellen Leitungsstruktur diejenigen Funktionen und Verfahren zu stärken, mit denen rechtzeitig im Interesse der gesamten EU liegende Vorkehrungen getroffen werden können. Zuerst muss das Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen nationalen Aufsichtsbehörden gestärkt und die derzeitige Arbeitsweise geklärt werden. Dabei sind eventuell Korrekturen zu erwägen.

4.2.4.

Auf mittlere Sicht sollten nach Ansicht des Ausschusses Verbesserungen der derzeitigen Leitungsstruktur der ESA erwogen werden, um unabhängige Vertretungen auf den verschiedenen Entscheidungsebenen zu stärken.

4.2.5.

Die Aktivitäten jeder einzelnen Aufsichtsbehörde müssen stärker mit den Aktionen der anderen ESA koordiniert werden können. Der Ausschuss erachtet es daher für sinnvoll, dass die ESA einen Ausschuss oder eine Expertengruppe einsetzen, der/die rasch eine Selbstbewertung durchführt, um das Verfahren der Peer Reviews auszubauen, die Rolle des Gemeinsamen Ausschusses zu stärken und konkrete Verfahren für die Koordinierung und den Datenaustausch zu erarbeiten. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die ESA dazu verpflichtet werden sollten, rasch ihre Aktivitäten zu rationalisieren und Empfehlungen für eine eventuelle Neuausrichtung der Befugnisse der einzelnen Aufsichtsbehörden und des Gemeinsamen Ausschusses vorzulegen.

4.2.6.

Die Koordinierung zwischen den ESA muss auf einem gleichwertigen System von Aufgaben und Befugnissen basieren. Der Ausschuss hält es für zweckmäßig, dass alle ESA Stresstests nach dem Modell der EBA durchführen können. Bei der Koordinierung zwischen den ESA ist dem unterschiedlichen Grad der Integration und Harmonisierung der verschiedenen zu überwachenden Branchen auf EU-Ebene gebührend Rechnung zu tragen.

4.2.7.

Der Ausschuss begrüßt, dass die Kommission die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen den ESA im Bereich des Verbraucherschutzes betont, mit besonderem Augenmerk auf der Art der angebotenen Produkte und ihrer Vereinbarkeit mit dem Kundenprofil. Gleichzeitig sollten auch die Maßnahmen zur Vermittlung von Finanzwissen verstärkt werden. Er hält es überdies für notwendig, die Aufgaben der ESA explizit auch auf den Schutz der Arbeitnehmer der Branche auszudehnen, vor allem was die Auswirkungen der Verkaufsmodelle und Vergütungsstrukturen der Finanzintermediäre betrifft. Diesbezüglich wird vorgeschlagen, dass die Aufsichtsbehörden einen Verhaltenskodex bezüglich ihrer Aktivitäten und die Veröffentlichung eines jährlichen gemeinsamen Berichts der ESA über den Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz vorsehen. Nach Dafürhalten des Ausschusses muss der Gemeinsame Ausschuss in diesen Bereichen eine vorrangige Rolle spielen, um die Standards des Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzes branchenübergreifend im Zuständigkeitsbereich der verschiedenen Aufsichtsbehörden zu vereinheitlichen.

4.2.8.

Angesichts der den ESA zugewiesenen Aufgaben und der aktuellsten Leitlinien für die Finanzmärkte ist es notwendig,

a)

die Befugnisse und die Koordinierung der ESA im Bereich inklusiver Finanzdienstleistungen zu stärken, insbesondere bezüglich Mikrokredite und sozialwirkungsorientierte Investitionen, auch mittels einer stärkeren Beteiligung von Sachverständigen und Branchenvertretern im Wissenschaftlichen Ausschuss des ESRB und in den Interessengruppen der ESA;

b)

die Rolle des Gemeinsamen Ausschusses zu stärken, die Annahme rascher und wirksamer Verfahren vorzusehen und die Vertretung von Mitarbeitern der ESA in den vorbereitenden Gremien auszuweiten.

4.2.9.

Was die Finanzierungsmodalitäten der ESA betrifft, gibt der Ausschuss zu bedenken, dass der Übergang zu einem auf privaten Mitteln basierenden Modell auf einer vertieften Untersuchung der damit verbundenen Vorteile und eventuellen Probleme beruhen muss. Der Ausschuss schlägt vor, die Option einer Erhöhung der Budgets der ESA mittels Gebühren und Abgaben als Übergangslösung für einen fünfjährigen Zeitraum zu betrachten, wobei die größeren Aufwendungen nur an den ESA eventuell zugewiesenen zusätzlichen Mittel ausgerichtet werden. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, im fünfjährigen Übergangszeitraum eine Folgenabschätzung vorzunehmen, mit der auch alternative Finanzierungsmöglichkeiten bewerten werden sollen, um die Gefahr einer Verdoppelung der Aufsichtskosten zu begrenzen. Ferner soll eine Rationalisierung bezüglich der eingesetzten öffentlichen Mittel erreicht sowie eine Abwälzung der Kosten auf die Endverbraucher verhindert werden.

4.2.10.

Eine logistische Umstellung und eine sich daraus ergebende Rationalisierung der Kosten könnten zur Tragfähigkeit der ESA beitragen. Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag der Kommission bezüglich eines einzigen Sitzes der ESA, auch im Hinblick auf mehr Effizienz des Dialogs und der Koordinierung zwischen den Aufsichtsbehörden.

4.2.11.

Nach Ansicht des Ausschusses ist die logistisch-operative Rationalisierung eng mit dem zugrunde liegenden Aufsichtsmodell verbunden; in diesem Zusammenhang fordert er die Kommission auf, mittelfristig zu überlegen, ob die europäische Aufsichtsarchitektur überdacht und in Abhängigkeit der drei Variablen Funktionen-Märkte-Intermediäre optimiert und eventuell die Einführung eines Doppelspitzenmodells erwogen werden soll.

4.2.12.

Der EWSA hält es schließlich für notwendig, die demokratische Kontrolle und die Überwachung der Tätigkeiten des ESRB und der ESA zu stärken.

Brüssel, den 18. Februar 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2014) 508 final und COM(2014) 509 final vom 8. September 2014.

(2)  Bericht der hochrangigen Gruppe zur Finanzaufsicht vom 25. Februar 2009: http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/de_larosiere_report_de.pdf

(3)  ABl. C 339 vom 14.12.2010, S. 34-40.

(4)  Verordnungen (EU) Nr. 1092/2010, 1093/2010, 1094/2010, 1095/2010 vom 24. November 2010, ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 12.

(5)  Gemeinsamer Ausschuss (JC 2012 100), Self-Assessment Report of the European Supervisory Authorities, 21. Dezember 2012 (vertraulich).

(6)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. März 2014 mit Empfehlungen an die Kommission zur Überprüfung des ESFS.

(7)  Internationaler Währungsfonds, Financial Sector Assessment Program at EU level, März 2013.

(8)  PE 507.490 (über den ESRB) und PE 507.446 (über die ESA), Oktober 2013.


31.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 251/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch — Bestmögliche Nutzung des traditionellen Wissens Europas: Mögliche Ausdehnung des Schutzes der geografischen Angaben der Europäischen Union auf nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse

(COM(2014) 469 final)

(2015/C 251/08)

Berichterstatterin:

Kathleen WALKER SHAW

Die Europäische Kommission beschloss am 1. Oktober 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Grünbuch — Bestmögliche Nutzung des traditionellen Wissens Europas: Mögliche Ausdehnung des Schutzes der geografischen Angaben der Europäischen Union auf nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse

COM(2014) 469 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 2. Februar 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 505. Plenartagung am 18./19. Februar 2015 (Sitzung vom 18. Februar 2015) mit 155 gegen 3 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet die Ausweitung des Schutzes durch geografische Angaben (g. A.) auf nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse mittels einer einheitlichen EU-Regelung, welche seiner Auffassung nach Unternehmen, die erwiesenermaßen das Wirtschaftswachstum und die Innovation fördern sowie hoch qualifizierte und besser bezahlte Arbeitsplätze schaffen, einen wertvollen und notwendigen Schutz bieten würde.

1.2

Der EWSA empfiehlt, unter Berücksichtigung der Ergebnisse der bereits durchgeführten Studien sowohl das freiwillige System der geografischen Angaben als auch eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung auf der Schutzverpackung von Konsumgütern zu unterstützen, um mehr Nachverfolgbarkeit, Transparenz und Information für die Verbraucher zu schaffen und für die Hersteller in der ganzen EU dafür zu sorgen, dass die Herkunft ihrer Produkte ersichtlich ist.

1.3

Dieses System sollte so weit wie möglich an den bestehenden Rahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel angelehnt werden, um die Einheitlichkeit der Systeme für die Registrierung, den Schutz, die Überwachung und die Durchsetzung zu gewährleisten und bei den Behörden und den Verbrauchern keine Verwirrung zu stiften. Außerdem sollte es dasselbe Schutz- und Garantieniveau für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel sicherstellen, wie im TRIPS-Abkommen vorgesehen.

1.4

Unternehmen, die in hohem Maße auf g. A. bzw. geistigem Eigentum basieren, investieren üblicherweise viel in spezifische Schulungsmaßnahmen und sollten beim Schutz ihrer Produkte und ihres Know-hows unterstützt werden, damit sie Investitionen in nützliche Fortbildungsmaßnahmen und in die Entwicklung des sozialen Kapitals tätigen können, anstatt Gerichtsverfahren zur Wahrung ihrer Rechte anstrengen zu müssen.

1.5

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass es eines formellen Registrierungsverfahrens bedarf. Die Registrierung sollte unbefristet gültig sein, um den Verwaltungsaufwand und die Kosten so gering wie möglich zu halten, wobei es jedoch einer laufenden Beobachtung und Durchsetzung bedarf, um sicherzustellen, dass die Produkte auf Dauer den Kriterien entsprechen. Außerdem sollte es für entsprechende Fälle ein Verfahren zur Streichung aus dem Register geben.

1.6

Das Registrierungsverfahren muss transparent und unabhängig sein, sollte bevorzugt aus öffentlichen Geldern finanziert und verwaltet werden und kostenfrei sein. Sollte die Erhebung einer Gebühr beschlossen werden, muss diese sehr niedrig gehalten werden, damit sie Unternehmen nicht von der Registrierung abschreckt und die Gefahr einer Kostenweitergabe an die Verbraucher vermieden wird. Die Registrierung muss innerhalb eines bestimmten Zeitraums abgeschlossen sein, um bürokratischen Aufwand und Unsicherheit sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch der Verbraucher zu verhindern — 18 Monate dürften realistisch sein. Der EWSA empfiehlt, die Vorschläge von KMU zur Vermeidung von Zusatzkosten in die Ausgestaltung des Systems einfließen zu lassen.

1.7

Der Schutz der Herkunft ist wichtig, denn daran knüpfen sich Gedanken an Erbe, Tradition, Qualität, Produktart, Handwerkskunst und Know-how. Es bedarf einer engen Verknüpfung zwischen Produkt und Herkunftsort. Der EWSA meint, dass der für landwirtschaftliche Erzeugnisse gewählte Doppelansatz mit einerseits geschützten Ursprungsbezeichnungen (g. U.) und andererseits flexibleren geschützten geografischen Angaben (g. g. A.) eine gute Erfassung schutzbedürftiger Produkte gewährleisten könnte.

1.8

Der EWSA ist zudem der Ansicht, dass das Verhältnis zwischen dem System der geschützten Angaben für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse und dem Markenrecht nach dem Vorbild des derzeitigen Systems für landwirtschaftliche Produkte gestaltet werden sollte, sodass eine produktübergreifende Kontinuität gewährleistet wäre und keine Verwirrung gestiftet würde.

2.   Hintergrund und Einführung

2.1

Mit ihrem Grünbuch Bestmögliche Nutzung des traditionellen Wissens Europas: Mögliche Ausdehnung des Schutzes der geografischen Angaben der Europäischen Union auf nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse knüpft die Europäische Kommission an die von ihr im März 2013 (1) veröffentlichte Studie an, der zufolge die auf der nationalen und der EU-Ebene bestehenden Rechtsinstrumente für Erzeuger unzureichend sind. Die Kommission veranstaltete am 22. April 2013 eine öffentliche Anhörung zur Erörterung der Ergebnisse der Studie und richtete eine Plattform für eine weitergehende Debatte über die Notwendigkeit eines effizienteren Schutzes mittels geografischer Angaben für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse auf der EU-Ebene ein. Im Lichte der Ergebnisse der Studie und der öffentlichen Anhörung beschloss die Kommission, die Analyse durch die Konsultation zu dem Grünbuch weiter zu vertiefen.

2.2

Im September 2013 verfassten das Europäische Patentamt und das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) in Zusammenarbeit mit der Kommission eine gemeinsame Studie mit dem Titel Intellectual property rights (IPR) intensive industries: contribution to economic performance and employment in the EU  (2).

In dieser Studie wird aufgezeigt, wie wichtig jene Wirtschaftszweige, die in hohem Maße auf geistigem Eigentum basieren (einschließlich der stark auf g. A. basierenden Branchen), für die Wirtschaftsleistung, die Beschäftigung, die Löhne und den Handel sind und welchen Beitrag sie zur Umsetzung der in der Europa-2020-Strategie formulierten Wachstums- und Beschäftigungsziele leisten. So ergibt sich aus der Studie etwa, dass die vorgenannten Wirtschaftszweige für über 26 % der Beschäftigung in der EU und 39 % der EU-weiten Wirtschaftsleistung sorgen. Außerdem zahlen diese Unternehmen in der Regel um über 40 % höhere Gehälter.

2.3

Auf dem EU-Gipfel im März 2014 legte Kommissionspräsident Barroso die Mitteilung Für ein Wiedererstarken der europäischen Industrie  (3) vor, in der die Bedeutung von Wirtschaftszweigen, die in hohem Maße auf geistigem Eigentum bzw. g. A. basieren, für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in der EU herausgestrichen und die Notwendigkeit einer Unterstützung dieser Wirtschaftszweige durch die EU bekräftigt wird. Betont wird darin, dass viele dieser Unternehmen in der Krise ein stärkeres Wachstum und ein besseres Ergebnis verzeichnet haben als andere Branchen.

2.4

Derzeit genießen nur landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel (Weine, Spirituosen) einen einheitlichen Schutz, der ausschließlich auf EU-Ebene gewährt wird. Nichtlandwirtschaftliche g. A. bieten dagegen über den jeweiligen nationalen Rechtsrahmen nur einen Schutz auf der nationalen bzw. regionalen Ebene. Diese Rechtsrahmen wurden in den Mitgliedstaaten nicht harmonisiert, und es bestehen erhebliche Unterschiede bei den Definitionen, den Verfahren, dem Schutzniveau und der Durchsetzung, was weder für die Unternehmen noch für die Verbraucher nützlich ist. Nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse fallen jedoch unter den Schutz der Bestimmungen zur Verhinderung von unlauterem Wettbewerb bzw. Verbrauchertäuschung, die sich aber ebenfalls hinsichtlich Geltungsbereich und Ansatz unterscheiden.

2.5

Viele Unternehmen, die nichtlandwirtschaftliche Produkte herstellen, welche in hohem Maße auf der traditionellen Handwerkskunst und dem tradierten Wissen einer bestimmten Region beruhen, sind in einem internationalen Umfeld tätig und finden es zunehmend schwieriger, die Qualität, Authentizität und Integrität ihrer Produkte vor bösgläubiger Kennzeichnung, Betrug, Fälschung und missbräuchlicher Verwendung von Warenzeichen zu schützen. Ohne einheitlichen Schutz können sich Unternehmen und Verbraucher nur auf die in der EU bestehende verwirrende Vielzahl von Ansätzen und Schutzniveaus stützen. Viele Unternehmen finden dies teuer und ineffizient und geben erhebliche Geldsummen dafür aus, ihre Rechte von Fall zu Fall durchzusetzen. Dies stellt sowohl finanziell als auch im Hinblick auf den Personalaufwand eine Belastung dar. Die Unternehmen fordern von der Kommission eine Ausweitung des Schutzes durch g. A. auf nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse.

2.6

Obzwar die bestehenden nationalen Regelungen für g. A. im Zusammenspiel mit den in allen Mitgliedstaaten existierenden Rechtsbestimmungen zur Verhinderung von unlauterem Wettbewerb und Verbrauchertäuschung ein gewisses Schutzniveau für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse gewährleisten, unterliegen diese Gesetze in der Praxis Beschränkungen, und viele Unternehmen beklagen, dass sie keinen wirksamen Schutz gegen den Missbrauch von Warenzeichen nichtlandwirtschaftlicher Erzeugnisse sicherstellen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Die Ausweitung des Schutzes durch g. A. in der EU auf nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse käme sowohl den Produzenten als auch den Verbrauchern zugute. Dabei handelt es sich nicht um eine protektionistische Maßnahme. Vielmehr würde dies einen fairen Wettbewerb für die Produzenten gewährleisten, zum Schutz der Qualität und Integrität ihrer traditionellen Erzeugnisse, Handwerke und Verfahren beitragen (für die es oftmals hoher Qualifikation bedarf) und gleichzeitig den Verbrauchern verlässliche Informationen über den Herstellungsort bzw. das Herstellungsverfahren sowie eine Garantie für die Echtheit und Qualität des Produkts liefern.

3.2

Der EWSA glaubt, dass die Ausweitung des Systems der g. A. auf nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse der EU eindeutige wirtschaftliche Vorteile bringen würde. Es ist dies eine Gelegenheit, traditionelle Erzeugnisse sowie tradiertes Wissen und hoch spezialisierte Fertigkeiten — oftmals im Rahmen von Fachlehrgängen und durch Kollegen vermittelt — zu fördern und zu schützen, die bewiesenermaßen zur dauerhaften Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze beitragen. Eine Herkunfts- und Qualitätsgarantie würde die Attraktivität der Produkte steigern, ihre Marktposition stärken und die Verkaufszahlen fördern. Ein umfassender anerkannter Status könnte auch den Tourismus und andere Einkommen im Zusammenhang mit den Produkten fördern, was ein weiterer wirtschaftlicher Nutzen wäre. Zudem wäre ein einheitlicherer und wirksamer EU-weiter Schutz gegen Verluste aufgrund von Fälschungen und Nachahmungen gewährleistet.

3.3

Zahlreiche nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse, die stark an eine g. A. gekoppelt und EU-weit anerkannt sind, werden regelmäßig missbraucht und nachgeahmt. Manche dieser Unternehmen haben die Krise zwar besser als andere überstanden; der durch die Krise entstandene Druck wurde durch die Fälle von Missbrauch eines Warenzeichens, Fälschung und Nachahmung jedoch zusätzlich verstärkt. Skrupellose Unternehmen versuchen auf Kosten namhafter und für ihre Qualität bekannter Produkte mit g. A. schnelles Geld zu machen, ohne dass eine Verbindung zum Ursprung, zur Herkunft, zur Qualität oder zur Handwerkskunst und zum Know-how besteht, die mit dem Produkt assoziiert werden. Dies führt zu einem Verlust an Einnahmen und Marktanteilen berechtigter Gewerbetreibender sowie zu einem potenziellen Reputationsschaden und damit in Zusammenhang stehenden Gerichtskosten. Erzeuger von Produkten wie Böhmisches Kristall, Savile Row Bespoke, Marmor aus Carrara, Harris Tweed, Spitze von der Insel Pag, Schwarzwälder Kuckucksuhr, Keramik aus Vietri sul Mare, Töpfereien aus Stoke on Trent, Stein und Skulpturen von der Insel Brač, Keramik aus Deruta sowie Murano-Glas sehen sich permanent der Notwendigkeit gegenüber, sich durch die Lancierung von Kampagnen, die Eintragung von Warenzeichen und rechtliche Schritte zu schützen. Eine Ausweitung der g. A. auf derartige Produkte könnte dazu beitragen, dass die Unternehmen nicht ständig derart kostenintensive rechtliche Schritte zur Wahrung ihrer Rechte anstrengen müssen.

3.4

Ein vereinheitlichter Rechtsschutz nach dem Vorbild jenes für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel, der mit den bestehenden europäischen und internationalen Rechtsrahmen vereinbar ist, trägt zur Bewahrung des kulturellen und künstlerischen Erbes bei, das sich in vielen schutzwürdigen Produkten widerspiegelt. Außerdem könnte so Missbrauch eingedämmt werden. Sinken die Kosten, die KMU für den Schutz ihrer Produkte mittels gerichtlicher Schritte erwachsen, können diese mehr in Innovation, Produktentwicklung und Erschließung neuer Absatzmärkte investieren und müssen die Verbraucherpreise für ihre Produkte nicht anheben.

3.5

Viele Käufer von Produkten mit g. A. sind kritische Verbraucher, die sich ganz bewusst für hochwertige Handwerkskunst und authentische Produkte entscheiden. Sie erwarten zu Recht, dass die Integrität der Produkte, für die sie oftmals einen höheren Preis bezahlen, geschützt wird. Ein solcher Schutz führt nicht zu einer Einschränkung der Wahlmöglichkeiten oder des Wettbewerbs, da die Zertifizierung mit einer g. A. jedem Unternehmen gewährt werden kann, das die dafür erforderlichen Kriterien bezüglich Produktspezifikationen, Herkunft, Qualität, Eigenschaften, Handwerkskunst und Know-how erfüllt.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass es einer einheitlichen EU-Regelung zur Harmonisierung des Schutzes nichtlandwirtschaftlicher Erzeugnisse durch geografische Angaben (g. A.) bedarf. Die derzeit bestehenden Alternativen sind zu fragmentiert, verwirrend, teuer und unwirksam, um das Überleben vieler schutzwürdiger Unternehmen zu sichern, da es diesen an Ressourcen mangelt, um mit so unterschiedlichen Strukturen und Rechtsvorschriften zurechtzukommen, wie sie in der EU auf regionaler bzw. nationaler Ebene bestehen. Eine stärkere Vereinheitlichung würde den Unternehmen bei der Sicherung ihres Fortbestands helfen, ihnen Wachstum ermöglichen und ihre Produkte weniger anfällig für Missbrauch machen.

4.2

Der EWSA fordert die Kommission auf, das Verfahren zur Ausweitung des Schutzes zu vereinfachen, indem dieses stark an den bestehenden harmonisierten Rechtsrahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel angelehnt wird, und dabei ggf. auf bewährte Vorgehensweisen zurückzugreifen und die bei der Einführung des Schutzes für diesen Bereich gesammelten Erfahrungen für die Gestaltung des Systems zum Schutz nichtlandwirtschaftlicher Erzeugnisse zu nutzen. Auch wenn einige sektorspezifische Besonderheiten einen unterschiedlichen Ansatz erfordern mögen, wie dies für Weine und Spirituosen notwendig war, sollte insgesamt auf Kontinuität und eine inklusive Herangehensweise für die zu schützenden Produkte aus den verschiedenen Wirtschaftszweigen gesetzt werden. Für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse sollte dasselbe Schutz- und Garantieniveau sichergestellt werden wie für g. A.-geschützte landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel im Zusammenhang mit dem TRIPS-Abkommen. Der EWSA fordert die Kommission nichtsdestoweniger auf, im Lichte der bisherigen Erfahrungen mit der Umsetzung des TRIPS-Abkommens und insbesondere im Hinblick auf klare, einheitliche und strukturierte Melde- und Registrierungssysteme sowie eine einheitliche Behandlung zu prüfen, welche Verbesserungsmöglichkeiten bestehen.

4.3

Dem EWSA ist bewusst, dass das System der g. A. im Unterschied zu den vorliegenden Vorschlägen für eine verpflichtende Kennzeichnung des Ursprungs von in der EU hergestellten bzw. in die EU importierten Konsumgütern auf deren Schutzverpackung eine freiwillige Bestimmung ist, er empfiehlt jedoch, beide Vorschläge anzunehmen, um mehr Nachverfolgbarkeit, Transparenz und Information für Verbraucher sicherzustellen und für die Hersteller in der ganzen EU dafür zu sorgen, dass die Herkunft ihrer Produkte ersichtlich ist.

4.4

Der EWSA geht davon aus, dass die Harmonisierung des Schutzes nichtlandwirtschaftlicher Erzeugnisse durch g. A. der EU auch Vorteile in ihren Handelsbeziehungen mit Drittstaaten bringen wird, da diese zu einer Vereinfachung der Verfahren sowie zu Klarheit in Bezug auf Produkte führt, die automatisch geschützt sind. Dies ermöglicht einen zielgerichteteren Ansatz in Handelsverhandlungen und trägt zum Schutz wertvoller EU-Produkte bei, die oftmals wichtige Exportgüter sind. Dieser verstärkte Schutz wird auch auf jene abschreckend wirken, die die geschützten Produkte fälschen oder ihren geschützten Status missbrauchen wollen.

4.5

Die Herstellung vieler Produkte mit g. A. erfordert besonders hohe Qualifikationen. Die Unternehmen haben über Generationen hinweg erhebliche Investitionen in Qualifizierung und Wissensvermittlung getätigt. Viele davon haben seit Langem erfolgreiche Lehrlingsausbildungs- und Weiterbildungsprogramme, in deren Rahmen sie hoch qualifizierte Fachkräfte mit auf dem Markt sehr gefragten Qualifikationen heranbilden. Der EWSA ist der Ansicht, dass solche Unternehmen bei der Entwicklung dieses wertvollen sozialen Kapitals durch Hilfe beim Schutz ihrer Produkte und ihres Know-hows unterstützt werden sollten, damit sie ihre Mittel in nützliche Fortbildungsmaßnahmen anstatt in rechtliche Schritte zur Wahrung ihrer Rechte stecken können. Unternehmen, die Produkte mit g. A. herstellen, schaffen wertvolle Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten für Menschen, deren Talente in der Handwerkerausbildung zur Entfaltung kommen. Außerdem weist der EWSA auf die wechselseitige Abhängigkeit zwischen vielen Ausbildern für hochspezialisierte Tätigkeiten und den Erzeugern von g. A.-geschützten Produkten in manchen Ländern und Regionen hin, so z. B. im Fall der auf der Insel Brač in der Ausbildung tätigen Steinmetze. Einige dieser Unternehmen haben ihren Sitz in abgelegenen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit, wodurch sie eine noch wichtigere Rolle auf dem Arbeitsmarkt spielen.

4.6

Bei der Bestimmung der mit einem bestimmten Ort verbundenen Assoziationen muss der Schwerpunkt auf dem Schutz der Herkunft und der damit einhergehenden Assoziationen mit Erbe, Tradition, Qualität, Produktart, Handwerkskunst und Know-how liegen. Es bedarf einer engen Verknüpfung zwischen Produkt und Herkunftsort. Der EWSA meint, dass die beiden für landwirtschaftliche Erzeugnisse gewählten Ansätze mit einerseits geschützten Ursprungsbezeichnungen (g. U.) und andererseits flexibleren geschützten geografischen Angaben (g. g. A.) eine gute Erfassung schutzbedürftiger Produkte gewährleisten könnte. Die für die g. A.-Regelung gewählten Symbole müssten eine eindeutige Verbindung und eine klare Wiedererkennung gewährleisten, die Kriterien der g. A. erfüllen und europaweit einheitlich sein, um die Verbraucher nicht zu verwirren und einen Wiedererkennungseffekt zu schaffen.

4.7

Der EWSA räumt ein, dass Qualität und Ursprung nicht automatisch zusammengehen, vertritt jedoch die Auffassung, dass sich Produkte mit g. A. aufgrund ihrer Hochwertigkeit einen Ruf bei den Verbrauchern erworben haben und dass Qualität oftmals ein inhärentes Merkmal von Produkten mit g. A. ist und eine wichtige Rolle bei der Festlegung und dem Schutz hochwertiger Handwerkskunst und herausragenden Know-hows und bei der Überwachung und Durchsetzung der Anforderungen in allen Unternehmen spielen kann. Viele Produzenten bzw. Verbände von Herstellern von Produkten mit g. A. haben ihre eigenen Spezifikationen entwickelt und überwachen die Einhaltung dieser Standards in Eigenregie, um die Integrität ihrer Produkte zu schützen. Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass solche freiwilligen Überwachungssysteme und Verhaltenskodizes nicht in allen Mitgliedstaaten wirken und durch formelle Überwachungs- und Durchsetzungsverfahren auf der nationalen und europäischen Ebene ergänzt werden müssten. Zudem weist der EWSA darauf hin, dass vielen Überwachungs- und Durchsetzungsinstanzen aufgrund der Krise und der Sparmaßnahmen die Mittel gekürzt wurden und Maßnahmen zur Sicherstellung einer wirksamen Überwachung und Durchsetzung in Betracht gezogen werden müssen.

4.8

Wie im Fall landwirtschaftlicher Erzeugnisse bedarf es nach dem Dafürhalten des EWSA eines formellen Registrierungsverfahrens. Diese Registrierung sollte unbefristet gültig sein, um den Verwaltungsaufwand und die Kosten so gering wie möglich zu halten, wobei es jedoch einer laufenden Beobachtung und Durchsetzung bedarf, um sicherzustellen, dass die Produkte auf Dauer den Kriterien entsprechen. Außerdem sollten für Produkte, die den Anforderungen nicht mehr entsprechen bzw. nicht mehr hergestellt werden, Bestimmungen für die Streichung aus dem Register vorgesehen werden. Darüber hinaus sollte es auch ein Einspruchsverfahren mit einem Einspruchsrecht geben, um ungerechtfertigte Ablehnungen zu vermeiden.

4.9

Ein Zwei-Phasen-Verfahren unter Einbindung der nationalen Behörden in Kombination mit einem Schutz durch EU-Bestimmungen und einer Aufsicht wäre eine sinnvolle Lösung. Das Registrierungsverfahren muss transparent und unabhängig sein und sollte bevorzugt aus öffentlichen Geldern finanziert und verwaltet werden. Der EWSA weist darauf hin, dass derzeit für die Registrierung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln keine Gebühren eingehoben werden und dasselbe für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse gelten sollte. Sollte die Erhebung einer Gebühr beschlossen werden, muss diese sehr niedrig gehalten werden, damit sie Unternehmen nicht von der Registrierung abschreckt und die Gefahr einer Kostenweitergabe an die Verbraucher vermieden wird. Die Registrierung muss innerhalb eines bestimmten Zeitraums abgeschlossen sein, um bürokratischen Aufwand und Unsicherheit sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch der Verbraucher zu verhindern — 18 Monate dürften realistisch sein.

4.10

Der EWSA ist zudem der Ansicht, dass das Verhältnis zwischen einem System zum Schutz nichtlandwirtschaftlicher Erzeugnisse durch g. A. und dem Markenrecht nach dem Vorbild des derzeitigen Systems für landwirtschaftliche Produkte gestaltet werden sollte, wodurch eine produktübergreifende Kontinuität gewährleistet wäre, keine Verwirrung gestiftet würde und gleichzeitig aus der praktischen Umsetzung des Schutzes für diesen Bereich Lehren gezogen werden könnten, um das Verfahren zu optimieren und weniger Raum für Rechtsstreitigkeiten zu lassen. Der EWSA weist darauf hin, dass die Beantragung einer geschützten Ursprungsbezeichnung in einer bestimmten Region allen in der betreffenden Region tätigen Unternehmen offenstehen sollte.

Brüssel, den 18. Februar 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  http://ec.europa.eu/internal_market/indprop/docs/geo-indications/130322_geo-indications-non-agri-study_en.pdf

(2)  http://ec.europa.eu/internal_market/intellectual-property/docs/joint-report-epo-ohim-final-version_en.pdf

(3)  COM(2014) 14 final.


31.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 251/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Jahreswachstumsbericht 2015

(COM(2014) 902 final)

(2015/C 251/09)

Hauptberichterstatter:

Gonçalo LOBO XAVIER

Die Europäische Kommission beschloss am 19. Dezember 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Jahreswachstumsbericht 2015“

COM(2014) 902 final.

Das Präsidium beauftragte den Lenkungsausschuss Europa 2020 am 9. Dezember 2014 mit den Vorarbeiten zu diesem Thema.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der EWSA auf seiner 505. Plenartagung am 18./19. Februar 2015 (Sitzung vom 19. Februar 2015) Herrn LOBO XAVIER zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 174 gegen 8 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt den Jahreswachstumsbericht 2015 (1) der Kommission und das konzeptionelle Ziel, angemessene Wachstumsraten zu fördern, um den Wiederaufschwung in Europa zu unterstützen. Der auf drei Säulen beruhende Ansatz — Investitionsförderung, Strukturreformen sowie verantwortungsvolle Fiskalpolitik und Haushaltskonsolidierung — scheint eine gute Antwort auf die Bedürfnisse in Europa zu sein, und der EWSA befürwortet den auf ein wirkungsvolleres Europäisches Semester abgestimmten Umsetzungsplan. Der EWSA hebt jedoch auch hervor, dass der Prozess immer noch einige Schwachpunkte aufweist im Hinblick darauf, dass der Jahreswachstumsbericht beispielsweise keine sozialen und ökologischen Aspekte umfasst. Insbesondere sollte die Bekämpfung der nach wie vor exorbitant hohen Arbeitslosigkeit und die Bewältigung der sozialen Krise explizit als politische Priorität hervorgehoben werden. Der Jahreswachstumsbericht ist der Ausgangspunkt für ein wirksames Europäisches Semester. Deshalb ist der EWSA der Ansicht, dass das Engagement zur Einhaltung von Fristen größer sein sollte, um eine bessere Teilhabe und bessere Ergebnisse zu erreichen.

1.2.

Nach Ansicht des EWSA hängt das für Investitionen nötige Vertrauen auch von der Klarheit und Einfachheit des vorgeschlagenen Zeitplans sowie der Einbindung der wichtigsten Interessenträger ab. Damit der Prozess glaubwürdig wird, müssen die Sozialpartner und weitere Organisationen der Zivilgesellschaft im Allgemeinen eingebunden werden. Für den EWSA ist es von grundlegender Bedeutung, dass sich die Kommission vor der Vorlage des Jahreswachstumsberichts mit dem Europäischen Parlament und den Sozialpartnern sowie weiteren Organisationen der Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene verständigt. Der EWSA anerkennt die Bemühungen der Kommission, die Beteiligung der Zivilgesellschaft — auch in Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten — zu fördern. Er gibt aber zu bedenken, dass ein neuer „Zeitplan für die Zivilgesellschaft“ (2) angewandt werden muss, um für Effizienz und echte Einbindung mit tatsächlichen Ergebnissen zu sorgen. Alle Partner und Institutionen müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, damit die guten Absichten auch konkrete Folgen haben, und der EWSA plädiert für eine proaktive Rolle der Sozialpartner.

1.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Umsetzung eines Wachstumsplans zur Schaffung von Arbeitsplätzen ohne Investitionen nicht möglich ist. Deshalb ist es für Europa von entscheidender Bedeutung, geeignete Bedingungen für Investitionen auf der Grundlage von Partnerschaften einzuführen, die den privaten und den öffentlichen Sektor einbinden. Eine wirksame Kombination der vorgeschlagenen Maßnahmen wäre das richtige Signal zur Stärkung des Vertrauens — das für Investitionen wesentlich ist. Der EWSA sieht es als großes Defizit an, dass die Kommission bei ihrer an sich begrüßenswerten Investitionsoffensive vorwiegend auf private Investitionen abzielt und die Notwendigkeit öffentlicher Investitionen weitgehend ausblendet. Der EWSA unterstützt die angelaufene Diskussion innerhalb der Europäischen Kommission über die Anwendung der sogenannten goldenen Finanzierungsregel („golden rule“), im Kontext des fiskalischen Regelwerks der WWU Zukunftsinvestitionen der öffentlichen Hand aus der Berechnung der staatlichen Nettodefizite auszunehmen (3).

Zudem unterstreicht der EWSA, dass unabhängig davon, wer die Investitionen durchführt, der Schlüssel zum Erfolg in einer klaren Definition der Art der Investitionen und ihrer künftigen Tragfähigkeit liegt. Vor diesem Hintergrund werden höhere langfristige Investitionen in Bildungs- und Ausbildungssysteme dem Arbeitsmarkt wirklich zugutekommen und es den Unionsbürgern ermöglichen, die soziale Dimension der Herausforderung zu begreifen.

Ein geeigneter Ansatz ist für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit — einer traurigen Wirklichkeit in Europa — ausschlaggebend. Die Mitgliedstaaten müssen ihre nationalen Maßnahmen kombinieren, um Ausgrenzung zu vermeiden und die Integration benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen in den Arbeitsmarkt zu fördern.

1.4.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Industrie für die Entwicklung Europas eine entscheidende Rolle spielt. Es gibt eine breite Palette guter Beispiele für Innovation in Industriesektoren. Dieses Umfeld muss gestärkt werden, um die Schaffung von Arbeitsplätzen und hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu fördern. Die Investitionsoffensive muss den Mehrwert „europäischer Industriechampions“ anerkennen und Beispiele für Innovation und vorbildliche Verfahrensweisen propagieren.

1.5.

Der EWSA legt nahe, auf die Förderung sozialer Investitionen in diesem Prozess zu achten. Nach Ansicht des EWSA können soziale Investitionen bei der Förderung von Wohlstand sowie der Beseitigung von Armut und Ausgrenzung eine entscheidende Rolle spielen. Deshalb hat der Ausschuss bereits eine explizite Schwerpunktsetzung in den Jahreswachstumsberichten und den länderspezifischen Empfehlungen gefordert (4) und dringt der Ausschuss auf die Förderung von Maßnahmen, mit denen die einschlägigen Akteure der Zivilgesellschaft in die Lage versetzt werden, das volle Potenzial der sozialwirtschaftlichen Unternehmen zu erschließen sowie die Rolle der lokalen Gemeinschaften zu stärken (5).

1.6.

Der EWSA begrüßt das Engagement, das Potenzial Europas mithilfe des digitalen Markts zu fördern. Wenn einige Schlüsselmaßnahmen ergriffen werden, kann der digitale Markt für Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum sorgen. Nur wenn gemeinsame europäische Datenschutzbestimmungen gelten, die hohen Standards entsprechen, und das Vertrauen der Verbraucher wiederhergestellt wird, werden Unternehmen in der Lage sein, das volle Potenzial der digitalen Agenda auszuschöpfen. Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, die Vollendung des Binnenmarkts zu beschleunigen, damit diese Agenda bestmöglich genutzt werden kann.

1.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass alle Mitgliedstaaten eine verantwortungsvolle Fiskalpolitik betreiben müssen, die direkt mit Beschäftigungsförderung und sozialer Rechenschaftspflicht verknüpft sein sollte. Für die Wachstumsförderung ist es von grundlegender Bedeutung, die mit Blick auf eine ausgewogene und verantwortungsvolle Steuerung eingegangenen Kompromisse zu respektieren. Der EWSA befürwortet eine wachstumsfreundliche Haushaltskonsolidierung und fordert die Mitgliedstaaten auf — wo möglich — die durch die Sparpolitik auferlegte Steuerlast für die Bürger zu verringern, und fordert weitere Maßnahmen, um private Investitionen wieder anzukurbeln, ohne dabei intelligente öffentliche Investitionen zu vernachlässigen.

1.8.

Das Steuerungssystem, das auf eine verantwortungsvolle Fiskalpolitik mittels einer bewussteren und stärker integrierten Haushaltsüberwachung abzielt, ist ein interessanter Ansatz. Dieser könnte dafür sorgen, dass die im Rahmen der EU-Politik abgegebenen Empfehlungen bei der Vorbereitung der nationalen Haushalte angemessen berücksichtigt werden. Der EWSA begrüßt die Vereinfachung des Europäischen Semesters, die bereits in der Stellungnahme zum Jahreswachstumsbericht 2014 empfohlen wurde (6), und hofft, dass diese Änderungen wirksam sein werden.

1.9.

Der EWSA plädiert für mehr Einheitlichkeit bei der Darstellung der Haushaltslage der einzelnen Mitgliedstaaten. Dadurch werden die Vergleichbarkeit und die Suche nach Lösungen auf europäischer Ebene verbessert. Interessant im Sinne realistischerer und ausgewogenerer Informationen wäre auch, die Berechnung der Inlandsschulden zu überprüfen.

2.   Einleitung

2.1.

Der EWSA begrüßt den Jahreswachstumsbericht als Leitlinie für die Aktualisierung der europäischen Politik zur Förderung der Wirtschaft und des nachhaltigen Wachstums für alle.

Das Europäische Semester hat sich als Benchmark für die Einführung bzw. Stärkung fiskalpolitischer Maßnahmen oder der zur Sicherung des Wachstums erforderlichen Strukturreformen erwiesen und greifbare Ergebnisse gezeitigt; als Kritikpunkte ließen sich jedoch die langwierigen Verfahren und die mangelnde Entschlussfreudigkeit im Hinblick auf die besten Möglichkeiten zur Bewältigung der schweren Krise nennen, die Europa erschüttert hat und die in allen Mitgliedstaaten immer noch mehr oder weniger stark zu spüren ist.

2.2.

Der Wert der Initiative steht deshalb außer Frage, insbesondere angesichts der Zwänge, denen die einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen der Wachstumspolitik ausgesetzt waren, ihrer besonderen Lage und angesichts des Tempos, mit dem sie wirkungsvolle und ergebnisreiche Maßnahmen und Reformen umgesetzt haben.

2.3.

In ihrem Jahreswachstumsbericht 2015 empfiehlt die Kommission eindeutig eine auf drei integrierten Hauptsäulen beruhende Wirtschaftspolitik: mehr Investitionen, raschere Strukturreformen und verantwortungsvolle wachstumsfreundliche Haushaltskonsolidierung.

Nach Auffassung der Kommission liegt der Schlüssel zum Erfolg und zur Erzielung von Ergebnissen, die die Senkung der Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen, ermöglichen, in der Art und Weise, in der diese drei wirtschaftspolitischen Säulen integriert werden. Dies erfordert Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt, weitere Reformen des Rentensystems, Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme, Flexibilisierung der Waren- und Dienstleistungsmärkte, Verbesserung des Investitionsklimas und des Unternehmensumfelds, Erhöhung der Qualität von Investitionen in Forschung, Innovation, Aus- und Weiterbildung sowie verstärktes Streben nach Effizienz in der öffentlichen Verwaltung.

2.4.

Interessanterweise ruft die Kommission auch dazu auf, die Zivilgesellschaft in den gesamten Wachstums- und Wandlungsprozess einzubeziehen, und hebt dabei besonders die Sozialpartner hervor (7). Zudem fordert sie die Mitgliedstaaten auf, die nationalen Parlamente aktiver einzubinden und Kontakt zur Öffentlichkeit aufzunehmen, um sie aktiv teilhaben und die zur Umsetzung anstehende Politik mitbewerten zu lassen.

Diese Bemühungen zur Verbesserung der öffentlichen Teilhabe sind besonders bemerkenswert in einer Zeit, in der die Sorge besteht, dass die Menschen sich dem Projekt Europa kaum verbunden fühlen.

3.   Ein integrierter Ansatz

3.1.   Investitionsförderung

3.1.1.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass das Anziehen des Investitionsvolumens zusammen mit dem Vertrauen der Investoren (sowohl seitens der Institutionen als auch der Einzelpersonen) eine Schlüsselkomponente des Wachstums ist. Deshalb begrüßt er die Investitionsoffensive für Europa (8), in der das Erfordernis angegangen wird, entscheidende strukturelle Investitionen zu fördern, die die für Wettbewerbsfähigkeit notwendigen Bedingungen für Wachstum und Nachhaltigkeit schaffen. Der EWSA sieht es allerdings als großes Defizit an, dass die Kommission bei ihrer an sich begrüßenswerten Investitionsoffensive vorwiegend auf private Investitionen abzielt und die Notwendigkeit öffentlicher Investitionen weitgehend ausblendet. Der EWSA unterstützt die angelaufene Diskussion innerhalb der Europäischen Kommission über die Anwendung der sogenannten goldenen Finanzierungsregel („golden rule“), im Kontext des fiskalischen Regelwerks der WWU Zukunftsinvestitionen der öffentlichen Hand aus der Berechnung der staatlichen Nettodefizite herauszunehmen (9).

3.1.2.

Eine Analyse der derzeitigen Lage zeigt, dass Europa inzwischen weniger wettbewerbsfähig ist als andere Volkswirtschaften in der Welt, was gerade auf den Rückgang von Investitionen in entscheidenden Bereichen wie der Modernisierung von Anlagen, dem Zugang zu Technologien und der Verbesserung des Bildungswesens zurückzuführen ist, um nur einige Beispiele zu nennen. Der EWSA unterstützt zwar folglich diese Investitionsoffensive, aber eine Reihe von Variablen sind nach wie vor unklar und könnten ihren Nutzen untergraben. Die konzeptionelle Basis wirkt solide, aber der EWSA fragt sich, wie sich die Offensive in vollem Umfang und großem Maßstab durchführen lässt.

3.1.3.

Die Vorbehalte des EWSA zu den Empfehlungen des Jahreswachstumsberichts betreffen weitgehend die Beschränkungen, denen sich einige Mitgliedstaaten mit Blick auf das erforderliche Investitionsvolumen immer noch gegenübersehen. Es bestehen nach wie vor erhebliche Ungleichheiten beim Zugang zu Finanzmitteln, insbesondere für KMU, die dem Nutzen der Initiative schaden könnten, selbst wenn die nationalen Regierungen den entsprechenden politischen Willen zeigen. In diesem Stadium ist nach wie vor unklar, wie diese Ungleichheiten angegangen und verringert werden sollen, um inklusive Investitionen in Europa zu fördern — trotz der überaus willkommenen Empfehlungen der Kommission zum Zugang von KMU zu Finanzmitteln, einschließlich eines neuen Ansatzes im Umgang mit Insolvenz und unternehmerischem Scheitern sowie Verbesserungen des Regelungsrahmens, die darauf abzielen, die langfristigen Investitionen von KMU zu erhöhen.

3.1.4.

Zudem misst der EWSA den bestehenden und verfügbaren Investitionsprogrammen für das Erreichen von Wachstumszielen entscheidende Bedeutung bei und unterschreibt die Notwendigkeit, die Mitgliedstaaten — einschließlich Öffentlichkeit, Unternehmen und staatlicher Einrichtungen — zu ermutigen, sich aktiv an den auf sie ausgerichteten inklusiven und Exzellenz fördernden Programmen zu beteiligen, wie Horizont 2020 (10) (für Innovation und Forschung), die Fazilität „Connecting Europe“ (11) (für Infrastruktur und Investitionen) und COSME (12) (für die Finanzierung von KMU). Allerdings fordert der EWSA auch, die Strukturen zur Programmüberwachung inklusiver und „nutzerfreundlicher“ zu gestalten, um Exzellenz und gerechteren Zugang für alle Institutionen und Mitgliedstaaten zu fördern, ohne dass dabei die für die Programme erforderliche Stringenz und Exzellenz verloren geht.

3.1.5.

Der EWSA ist fest von der Wirksamkeit sozialer Investitionen und ihres direkten Einflusses auf das Wohlergehen der Bevölkerung überzeugt. Staatliche Politik darf die Stärke sozialwirtschaftlicher Unternehmen nicht verkennen. Denn diese sind nicht nur mit der Zivilgesellschaft eng verbunden, sondern sie stellen auch gute Beispiele dar, die in ähnlichen Situationen als Vorbild dienen könnten. Europa muss bewährte Verfahrensweisen aus den Mitgliedstaaten in der gesamten Union fördern (13).

3.2.   Strukturreformen

3.2.1.

Der Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen steht seit jeher im Zentrum der europäischen Integration. Unter enormen Anstrengungen wurde schon viel erreicht, aber in einigen wachstumsrelevanten Bereichen hat sich immer noch nichts geändert. Deshalb begrüßt der EWSA die Bemühungen der Mitgliedstaaten, Hindernisse für die Schaffung eines wirksamen, effizienten und fairen Binnenmarkts abzubauen. Der EWSA zweifelt auch nicht an den Vorteilen, die ein effizienter Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen den europäischen Verbrauchern böte. Ein solcher Binnenmarkt würde Europa zu einem attraktiveren Investitionsstandort machen und sich so direkt auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und das soziale Wohlergehen auswirken. Der EWSA hält es indes für wichtig, zusätzliche Anstrengungen und praktische Schritte zur Erreichung dieses Ziels zu unternehmen.

3.2.2.

Die Führungsposition, die sich durch die Schaffung eines digitalen Binnenmarkts erreichen ließe, ist deshalb von grundlegender Bedeutung und ein vom EWSA mit Nachdruck vertretenes Ziel. Der EWSA ist von den Vorteilen eines effizienten digitalen Binnenmarkts fest überzeugt und der Auffassung, dass die Finanzierungsbedingungen für Investitionen in Infrastrukturen und Wissen auf dieses Ziel ausgerichtet werden sollten; allerdings weist er erneut auf die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten hin, die eine effiziente Integration behindern könnten.

3.2.3.

Europa muss ebenso im digitalen Binnenmarkt Exzellenz und Effizienz fördern (14) und gleichzeitig von seinen Konkurrenten fordern, die europäischen Bestimmungen und Normen einzuhalten. Alles andere wäre mit Blick auf den Binnenmarkt unlauter. Der EWSA möchte nicht dem Protektionismus oder sonstigen derartigen Maßnahmen das Wort reden, sondern er fordert schlicht Klarheit während des gesamten Prozesses sowie die korrekte Umsetzung der Maßnahmen und sonstigen diesbezüglichen Vorschriften, die für eine Führungsrolle in den verschiedenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen erforderlich sind.

3.2.4.

Nach Ansicht des EWSA müssen die Pläne für Wachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen auf die nationalen Reformen abgestimmt werden, die hochwertige Erwerbsbeteiligung fördern, die Produktivität steigern und Bildungs- und Ausbildungssysteme optimal nutzen.

3.3.   Das Streben nach einer verantwortungsvollen Fiskalpolitik

3.3.1.

Trotz der verbesserten Ergebnisse der Mitgliedstaaten mit Blick auf die inländische Staatsverschuldung — die Zahl der Länder mit einem übermäßigen Defizit fiel von 24 im Jahr 2011 auf 11 im Jahr 2014 (15), was eine positive Entwicklung ist — bleibt hier noch viel zu tun, insbesondere was das mittel- bis langfristige Wachstum betrifft.

3.3.2.

Die Anpassungsprozesse der Mitgliedstaaten wurden auf Kosten des sozialen Wohlergehens der Bevölkerung durchgeführt mit Konsequenzen für alle, sowohl für Einzelpersonen als auch für Unternehmen. Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass die Bekämpfung der nach wie vor exorbitant hohen Arbeitslosigkeit sowie die Bewältigung der sozialen Krise im Jahreswachstumsbericht explizit als politische Priorität gelten sollte.

3.3.3.

Der EWSA begrüßt eine Politik, die verantwortungsvolle Fiskalpolitik mit Maßnahmen für Wirtschaftswachstum kombiniert; er weist jedoch auf die Notwendigkeit hin, eine Politik zu betreiben, die die tatsächliche Lage in den einzelnen Mitgliedstaaten widerspiegelt. Die Anwendung allgemeiner Maßnahmen auf unterschiedliche Situationen hat sich als schlechtes Rezept erwiesen. Die Kommission wird kürzlich gemachte Fehler nicht wiederholen wollen.

3.3.4.

Der EWSA fordert die Kommission dringend auf, die Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zu verstärken. Vorbildliche Verfahrensweisen zu ihrer Bekämpfung sollten mit Blick auf eine größere Wirksamkeit und mehr Gerechtigkeit gefördert und geteilt werden.

4.   Verbessertes, effektiveres Steuerungssystem

4.1.

Der EWSA hat sich intensiv mit der Bewertung und Überprüfung der Umsetzung der Strategie Europa 2020 beschäftigt (16). Deshalb sieht es der EWSA aus einem Gefühl der Mitverantwortung als eine Schlüsselmaßnahme an, den Zeitplan für die Überprüfung der Strategie auf das Europäische Semester und mit dem Europäischen Rat abzustimmen, um die vorgeschlagenen Ziele zu erreichen und die vorgeschlagenen Maßnahmen effizienter zu machen sowie auch die Ziele selbst zu überdenken.

4.2.

Der Lenkungsausschuss Europa 2020 hat wiederholt betont, dass eine solche Abstimmung entscheidend dafür ist, die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen zu bewerten, die gesteckten Ziele zu evaluieren und alle angewandten Maßnahmen anzupassen, um sie im Licht der tatsächlichen Situation in Europa im Allgemeinen und in den Mitgliedstaaten im Besonderen effizienter zu gestalten.

4.3.

Der EWSA begrüßt die Straffung des Europäischen Semesters, insbesondere den Vorschlag, eine umfassende und einheitliche wirtschaftliche Bewertung für jeden Mitgliedstaat vorzulegen und ihre Veröffentlichung auf März vorzuziehen. Nach Auffassung des EWSA ist es wichtig, auch die länderspezifischen Empfehlungen zu einem früheren Zeitpunkt vorzulegen.

4.4.

Der EWSA stimmt mit der Kommission darin überein, dass die nationalen Reformprogramme neu ausgerichtet werden sollten. Er hält es für wesentlich, dass die Sozialpartner und andere Organisationen der Zivilgesellschaft in einer früheren Phase in ihre Konzipierung eingebunden werden. Dadurch wird die Identifikation mit dem Europäischen Semester steigen und letztlich durch die Stärkung seiner demokratischen Legitimität eine bessere Umsetzung erreicht werden.

4.5.

Der EWSA betont, dass die Halbzeitüberprüfung der Strategie Europa 2020 frühzeitig veröffentlicht werden sollte, damit die Interessenträger ausreichend Zeit für die Vorbereitung ihres Standpunkts haben.

4.6.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Politik für soziale Innovation und Sozialinvestitionen in die Überprüfung der Strategie Europa 2020 einbezogen und in Form einer eigenen Leitinitiative unterstützt werden. Der EWSA fordert, bezüglich der sozialpolitischen Fortschritte eine Messung der sozialen Wirkung einzuführen, die soziale Indikatoren in den nationalen Fortschrittsberichten einschließt.

4.7.

Europa muss entschlossen handeln und dabei folgende Qualitäten an den Tag legen: Solidarität und Wahrung der Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten, Reaktionsfähigkeit und vor allem eine intelligente Führung bei der Suche nach inklusiven und ausgewogenen Lösungen, um so einen Konsens zu bilden, der die Öffentlichkeit für ein wirklich europäisches Projekt mobilisieren kann.

4.8.

Der EWSA ist sich der anstehenden Herausforderungen bewusst und deshalb in Sorge angesichts der Tatsache, dass der Jahreswachstumsbericht überhaupt nicht auf Umweltfragen eingeht. Es ist zu hoffen, dass diesen Fragen in der Investitionsoffensive Rechnung getragen wird, aber ein spezifischer Abschnitt zu den ökologischen Herausforderungen, Möglichkeiten und Maßnahmen wird Europas Führungsrolle in diesem Bereich stärken. Zudem wird sich dies positiv auf das Vertrauen in die Zukunft der Industrie in der EU, auf das Wohlergehen der Unionsbürger sowie auf die Nachhaltigkeit auswirken.

Brüssel, den 19. Februar 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Für den „Jahreswachstumsbericht 2015“ siehe Website der Europäischen Kommission: http://ec.europa.eu/europe2020/making-it-happen/annual-growth-surveys/index_de.htm

(2)  Siehe Anhang.

(3)  EWSA-Stellungnahme Investitionen mit sozialen Auswirkungen, ABl. C 226 vom 16.7. 2014, S. 21-27.

(4)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Sozialinvestitionen für Wachstum und sozialen Zusammenhalt — einschließlich Durchführung des Europäischen Sozialfonds 2014-2020, ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 91-96. und Stellungnahme des EWSA zu den Auswirkungen von Sozialinvestitionen, ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 21-27.

(5)  Siehe Mailänder Erklärung, der EWSA fordert eine Innovation der Sozialsysteme in der EU zur Anpassung an die neuen Herausforderungen: Milan Declaration.

(6)  EWSA-Stellungnahme zum Jahreswachstumsbericht 2014, ABl. C 214 vom 3.5.2011, S. 46-54.

(7)  Siehe die Empfehlungen in der Stellungnahme des EWSA zum Jahreswachstumsbericht 2014 und dem Bericht des EWSA über die Halbzeitüberprüfung der Strategie Europa 2020: http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.europe-2020-meetings.34402

(8)  Für die „Investitionsoffensive“ siehe Website der Europäischen Kommission: http://ec.europa.eu/priorities/jobs-growth-investment/plan/index_de.htm

(9)  EWSA-Stellungnahme Investitionen mit sozialen Auswirkungen, ABl. C 226 vom 16.7. 2014, S. 21-27.

(10)  Für „Horizont 2020“ siehe Website der Europäischen Kommission: http://ec.europa.eu/programmes/horizon2020

(11)  Für die Fazilität „Connecting Europe“ siehe Website der Europäischen Kommission: http://ec.europa.eu/digital-agenda/en/connecting-europe-facility

(12)  Für „COSME“ siehe Website der Europäischen Kommission: http://ec.europa.eu/enterprise/initiatives/cosme/index_en.htm

(13)  EWSA-Stellungnahme zum Thema Investitionen mit sozialen Auswirkungen, ABl. C 458 vom 19.12. 2014, S. 14-18.

(14)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Fortschritte bei der Umsetzung der Strategie Europa 2020, EUR/007 — EESC-2015-00034-00-AC-TRA.

(15)  Zum „übermäßigen Defizit“ siehe Website der Europäischen Kommission: http://ec.europa.eu/europe2020/making-it-happen/annual-growth-surveys/index_de.htm, Punkt 4. VERANTWORTUNGSVOLLE FISKALPOLITIK.

(16)  Siehe den Bericht des EWSA über die Halbzeitüberprüfung der Strategie Europa 2020: http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.europe-2020-meetings.34402


ANHANG

Zeitplan für das Europäische Semester — unter folgendem Link abrufbar:

http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.europe-2020-opinions.34757