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ISSN 1977-088X |
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Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226 |
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Ausgabe in deutscher Sprache |
Mitteilungen und Bekanntmachungen |
57. Jahrgang |
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Informationsnummer |
Inhalt |
Seite |
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I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen |
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STELLUNGNAHMEN |
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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss |
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497. Plenartagung des EWSA vom 25./26. März 2014 |
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2014/C 226/01 |
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2014/C 226/02 |
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2014/C 226/03 |
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2014/C 226/04 |
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III Vorbereitende Rechtsakte |
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EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS |
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497. Plenartagung des EWSA vom 25./26. März 2014 |
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2014/C 226/05 |
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2014/C 226/06 |
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2014/C 226/07 |
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2014/C 226/08 |
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2014/C 226/09 |
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2014/C 226/10 |
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2014/C 226/11 |
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2014/C 226/12 |
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2014/C 226/13 |
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2014/C 226/14 |
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2014/C 226/15 |
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DE |
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I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen
STELLUNGNAHMEN
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
497. Plenartagung des EWSA vom 25./26. März 2014
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/1 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Marktwirtschaftliche Instrumente zur Förderung einer ressourceneffizienten und kohlenstoffarmen Wirtschaft in der EU“ (Initiativstellungnahme)
2014/C 226/01
Berichterstatter: Martin SIECKER
Mitberichterstatter: Lutz RIBBE
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 18. September 2013, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
Marktwirtschaftliche Instrumente zur Förderung einer ressourceneffizienten und kohlenstoffarmen Wirtschaft in der EU
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 3. März 2014 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 297. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 123 gegen 2 Stimmen bei 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
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1.1 |
Die Umstellung auf eine ressourceneffiziente und kohlenstoffarme Wirtschaft geht nicht rasch genug vonstatten. Wenn die EU ihre Ziele für 2050 auf kosteneffiziente und sozial vertretbare Weise wie von den Mitgliedstaaten vereinbart und in verschiedenen EWSA-Stellungnahmen befürwortet erreichen soll, sind raschere Fortschritte vonnöten. Das ist möglich, wenn ein klarer, wirksamer, starker und effizienter Rechtsrahmen mit vorhersehbaren marktwirtschaftlichen Instrumenten (market-based instruments — MBI) verknüpft wird. Die von den Mitgliedstaaten vereinbarten Emissionsreduktionsziele heben darauf ab, den Ressourcenverbrauch und die Klimaaufheizung zu verlangsamen und dadurch eine künftige Umweltkrise abzuwenden. Mittelfristig müssen dazu die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut und die Kohleverstromung erheblich zurückgefahren werden, es sei denn, Kohlenstoffabscheidungstechnologien erweisen sich als wirtschaftlich und gesellschaftlich tragfähig. |
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1.2 |
Infolge der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise stehen die Energiepreise aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Energiekosten der Haushalte im Kontext der Sparprogramme und auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie immer mehr in der Diskussion. Energie wird als Hindernis bei der Krisenbewältigung und nicht als Teil der Lösung angesehen. Dies sind echte Anliegen, die wahrgenommen werden müssen; gleichzeitig aber muss eine langfristige Umstellung des Energiesektors programmiert werden, die durch zielorientierte und auf Stabilität ausgerichtete politische Maßnahmen und Fördermechanismen unterstützt wird. Es ist wichtig, dass marktwirtschaftliche Instrumente (MBI) sowohl den Übergang zu einer ressourcenschonenden und kohlenstoffarmen Wirtschaft als auch die wirtschaftliche Erholung voranbringen. |
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1.3 |
Eine ökologische Finanzreform hebt darauf ab, über Marktmechanismen negative Auswirkungen der Nutzung natürlicher Ressourcen haushaltsneutral durch eine Senkung der Besteuerung des Faktors Arbeit auszugleichen. Damit einher geht eine systematischere Anwendung des Verursacherprinzips, indem umweltschädlich wirkende Subventionen schrittweise abgeschafft werden und die Steuerlast vom Faktor Arbeit auf den Faktor Ressourcenverbrauch verlagert wird. Dadurch kann sie Marktversagen korrigieren, die wirtschaftliche Effizienz verbessern, helfen, neue Branchen mit zukunftsfähigen Arbeitsplätzen vor Ort zu erschließen, klare berechenbare Rahmenbedingungen für Investitionen in Öko-Innovationen schaffen und dazu beitragen, durch zusätzliche Staatseinnahmen die Haushaltsstabilität nach der Krise wieder herzustellen. |
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1.4 |
Die Energiepreise sind in allen Bereichen gestiegen. Dagegen wehren sich Privathaushalte und Industrie in vielen Mitgliedstaaten. Es muss eingehend untersucht werden, woher diese Preisanstiege rühren (Erzeugung, Verteilung, Steuern) und wo erneuerbare Energien zu steigenden Preisen, Preisstabilität oder sinkenden Preisen beigetragen haben. Der Ausschuss ermutigt die Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine letztlich grundlegendere Reform ihrer Steuersysteme zu vorsichtigen ökologischen Finanzreformen, ganz besonders in Krisenzeiten. Wesentliches Element einer solchen Reform muss die Gewährleistung angemessener CO2-Preise in der EU sein, die auch auf internationaler Ebene entsprechend vereinbart werden. Der Ausschuss fordert die Kommission nachdrücklich auf, eine ökologische Finanzreform mit Schwerpunkt auf der Förderung von Energieeffizienz zu einem festen und dauerhaften Bestandteil des Europäischen Semesters zu machen. |
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1.5 |
MBI werden in der EU bislang nicht ausreichend konsequent und kohärent eingesetzt. Die EU-Mitgliedstaaten nutzen die Möglichkeiten des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft für die Erneuerung und Modernisierung der Industrie und die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht umfassend. Die Automobilbranche kann als Beispiel dafür dienen, wie der Verbrauch kohlenwasserstoffhaltiger Kraftstoffe durch eine geeignete Kombination aus Rechtsinstrumenten und MBI erfolgreich gesenkt werden kann. Die MBI müssen gestärkt und ausgebaut werden, um ein deutliches Signal an die Märkte zu senden. Der Ausschuss appelliert an die Mitgliedstaaten, sich die Grundsätze für vorbildliche Praktiken zu eigen zu machen, die die Kommission in ihrer jüngsten Mitteilung zum Energiebinnenmarkt und damit einhergehenden Leitlinien (1) formuliert hat. Die Vollendung des Energiebinnenmarkts würde zweifelsohne große Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten ausräumen. Zudem könnten durch die Fertigstellung staatenübergreifender Energieverbundnetze und dadurch einen leichteren Zugriff auf Standby-Kraftwerkskapazitäten die Kosten der Umstellung auf erneuerbare Energieträger verringert werden. |
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1.6 |
Neben energiepolitischen Maßnahmen können MBI auch in Verbindung mit anderen Strategien zur Förderung von Ressourceneffizienz und Emissionssenkungen wie Recycling, nachhaltigere Abfallwirtschaft oder nachhaltigere Landwirtschaft eingesetzt werden. |
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1.7 |
Eine Ökologische Steuerreform (ÖSR) begünstigt eine Verlagerung der Steuerlast von der Arbeit auf den Ressourcenverbrauch und fördert die Erhaltung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze in vielen Bereichen der Wirtschaft. Oder aber innerhalb eines Sektors wie Energie können durch eine solche Reform die durch fossile Brennstoffe verursachten schädlichen CO2-Emissionen besteuert und die so generierten Einnahmen für die Subventionierung der Einführung saubererer Technologien, wie bspw. Erneuerbare Energien- und Energieeffizienz-Technologien, verwendet werden, um einen wesentlich nachhaltigeren Energiemix zu erreichen und gleichzeitig für erschwinglichere Energiepreise bzw. -rechnungen zu sorgen. Sie kann zur Haushaltskonsolidierung beitragen und sich dabei weniger negativ auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung auswirken als andere direkte oder indirekte Steuern. Die Europäische Kommission sollte bei der Förderung einer ÖSR als Koordinator und Impulsgeber wirken. |
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1.8 |
Nach Meinung des Ausschusses darf es nicht hingenommen werden, dass Tätigkeiten, die auf nicht zu rechtfertigende Weise umweltschädlich sind, in der EU immer noch subventioniert werden — sowohl direkt mit öffentlichen Mitteln als auch indirekt über die aufgrund einer unzureichenden Umsetzung des Verursacherprinzips nicht internalisierten externen Kosten. Diese Art Subventionen bewirken eine Verzerrung der Marktsignale und behindern den Übergang zu einer ressourceneffizienten und kohlenstoffarmen Wirtschaft. Die EU hat sich schon seit Jahren auf den Abbau umweltschädlicher Subventionen und die Internalisierung der externen Kosten festgelegt. Die EU hat dazu 2020 als Zeithorizont angesetzt, doch der Ausschuss befürchtet, dass die bisherigen Tätigkeiten dafür nicht ausreichen. Der Ausschuss drängt die Mitgliedstaaten, Bestandsaufnahmen zu machen und Aktionspläne aufzustellen, um umweltschädliche Subventionen wie vorgesehen abzuschaffen. Die Kommission sollte auch hier als Koordinator und Impulsgeber agieren und bspw. für eine Einbeziehung in das Europäische Semester sorgen. |
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1.9 |
Solar- und Windenergie hat wesentlich geringere Umweltauswirkungen als aus fossilen Brennstoffen erzeugte Energie. Die Erzeugung sauberer Energie wird im Optimalfall sozialen und ökologischen Interessen sowie den Bedürfnissen künftiger Generationen gerecht, nutzt einheimische Quellen und verringert die Importabhängigkeit und schafft Arbeitsplätze. Dennoch hat saubere Energie auf dem Markt schlechtere Ausgangsbedingungen im Wettbewerb, da fossile Energieträger und Nuklearenergie in höherem Umfang (direkt und indirekt) subventioniert werden als erneuerbare Energieträger. Saubere Energieträger verdienen faire Entwicklungschancen. Das macht es unerlässlich, gleiche Ausgangsbedingungen bei der Energieerzeugung zu schaffen. |
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1.10 |
Das allgemeine Ziel einer Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft ist zwar weithin akzeptiert, doch sind das Tempo und die Art und Weise des Übergangs nach wie vor Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen. Mit Sorge wird das mangelnde Bewusstsein für die Auswirkungen der Rezession und der Schuldenkrise auf die Tragfähigkeit der europäischen Wirtschaft gesehen. Auch gibt es Bedenken, dass eine Beschleunigung des Übergangs kurz- und mittelfristig die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen wird. Schließlich gehen die Meinungen über die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen von Umstellungsmaßnahmen nach wie vor auseinander, und es wird der Vorwurf erhoben, dass negative Auswirkungen ignoriert werden. In dem Wissen, dass die Debatte noch lange nicht abgeschlossen ist, werden diese Bedenken in dieser Stellungnahme zur Kenntnis genommen. Nichtsdestotrotz appelliert der Ausschuss an die EU und ihre Mitgliedstaaten, sich die Dringlichkeit erfolgreicher Maßnahmen zur Verwirklichung einer kohlenstoffarmen Zukunft deutlicher vor Augen zu führen. |
2. Einleitung
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2.1 |
Die EU-Mitgliedstaaten haben ihre Wirtschaft nicht konsequent genug an den Klimawandel angepasst. In der EU hat eine umfassende Grundsatzdebatte über die Frage stattgefunden, ob sich die Gesellschaft mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung und den Klimawandel anpassen muss. Dabei hat sich Einvernehmen über das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung und in Verbindung damit der Ökologisierung der Wirtschaft ergeben. Diese politische Ausrichtung wurde in mehreren Dokumenten bekräftigt: in der 2001 beschlossenen und 2006 überarbeiteten EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung, im 7. Umweltaktionsprogramm, in der Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ der Europa-2020-Strategie, im Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa sowie im Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050. Der Ausschuss hat dieses Ziel in diversen Stellungnahmen unterstützt. |
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2.2 |
In den vergangenen fünf Jahren sind alle Mitgliedstaaten mehr oder weniger durch die Bankenkrise und die Staatsschuldenkrise erschüttert worden, die durch eine erhebliche Konjunkturabschwächung weiter verschlimmert wurden. Die Entwicklung der Energiepreise für Haushalte und Unternehmen im Kontext der Sparmaßnahmen und angesichts des Preisdrucks im globalen Wettbewerb haben Fragen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Umwelt- und Energiepolitik der EU und ihren potenziellen negativen Nebenwirkungen aufgeworfen. Die Lage ist kritisch und erfordert geeignete Maßnahmen. MBI müssen so eingesetzt werden, dass sie sowohl die Ökologisierung als auch die Erholung der Wirtschaft fördern. |
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2.3 |
Obwohl der Klimawandel ein Auslöser der Debatte war, ging es dabei auch um die Wirtschaft und gesellschaftlichen Fortschritt. Es wäre gewinnbringend für Europa, beim Übergang zu einer inklusiven grünen Wirtschaft die Führung zu übernehmen. Aus einer aktuellen Studie der Kommission geht hervor, dass die europäische Industrie bislang ihre globale Marktposition dank einer vergleichsweise niedrigen Energieintensität und einer hohen Marktdurchdringung erneuerbarer Energieträger behaupten konnte (2). Der Ausschuss hat bereits auf die Chancen hingewiesen, die eine kohlenstoffarme Wirtschaft für neue Geschäftsmodelle für nachhaltiges Wachstum und den industriellen Wandel eröffnet (3). Diesen Wandel rasch und erfolgreich zu bewerkstelligen ist zwar eine Herausforderung, jedoch bietet das grüne Wirtschaftsmodell auch die beste Möglichkeit für die EU, ihre Stellung als globale Wirtschaftsmacht aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig muss der Besorgnis Rechnung getragen werden, dass die Energiepreisentwicklung kurzfristig einer Deindustrialisierung Vorschub leistet. Insbesondere für die energieintensiven Industrien sind die niedrigen Gaspreise in den USA und Russland problematisch. Für die Mehrheit der Branchen jedoch sind Produktivität und Arbeitskosten wichtigere Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit als die Energiekosten. Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung zu einer stärkeren europäischen Industrie einen Schwerpunkt auf den Wandel hin zu einer ressourceneffizienten und kohlenstoffarmen Wirtschaft gelegt (4), weist jedoch auch darauf hin, dass dabei den wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten Rechnung getragen werden muss (5). |
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2.4 |
Der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft würde die Energiesicherheit Europas erhöhen. Europa importiert derzeit Erdöl und Erdgas im Wert von 500 Mrd. EUR jährlich, und zwar z. T. aus politisch instabilen Regionen. Die Ersetzung von Brennstoffeinfuhren durch in der EU erzeugte emissionsarme Energie würde die Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken und Wertschöpfungsketten in Europa erhalten. Wenn dieser Wandel rechtzeitig und in einem intelligent gesteuerten Tempo vollzogen wird und den wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Interessen ausgewogen Rechnung trägt, kann er wesentlich zur Überwindung der Krise beitragen. |
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2.5 |
Der Wandel darf nicht auf Kosten der europäischen Wettbewerbsfähigkeit gehen, und grundlegende Voraussetzung dafür ist die Belebung der Wirtschaftstätigkeit und die Schaffung von Arbeitsplätzen in vielen Unternehmen in vielen Bereichen. In diesem Zusammenhang kann nicht ignoriert werden, wie billige, vor allem durch die Förderung von Schiefergas gewonnene Energie zu einem Aufschwung der US-amerikanischen Industrie geführt hat. Die EU-Wirtschaft benötigt dringend eine vergleichbare Re-Industrialisierung, damit wieder Arbeitsplätze entstehen und die Steuereinnahmen steigen. Als Voraussetzung für einen solchen Aufschwung muss die EU-Energiepolitik mehr Gewissheit vermitteln und globalen Zwängen besser gerecht werden, während sie gleichzeitig weiterhin auf den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft ausgerichtet ist. |
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2.6 |
Die EU hat sich das Ziel einer 80-95 %igen Verringerung ihrer CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 bis zum Jahr 2050 gesetzt. Laut Schätzungen der Europäischen Kommission müssen etwa 1,5 % des BIP der EU pro Jahr zusätzlich in den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft investiert werden, wenn das Ziel erreicht werden soll. Ein Weitermachen wie bisher würde ihr zufolge Kosten von 50 Mrd. EUR jährlich verursachen. Allerdings sind diese potenziellen künftigen Kosten für die zig Millionen EU-Bürger, die derzeit arbeitslos sind oder eine Verschlechterung ihrer Lebensstandards hinnehmen müssen, weitaus weniger real als ihre gegenwärtigen Probleme. Wenn dieses Spannungsfeld nicht aufgelöst werden kann, wird die Verwirklichung des Ziels womöglich noch viel zeit- und kostenaufwändiger sein. |
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2.7 |
Ziele und Regelungen bestehen vor allem aus Worten; praktische Politik beruht auf Taten. Es ist nicht genug unternommen worden, um die Zielsetzungen zu erreichen. Dafür gibt es viele Gründe: die Finanzkrise, Untätigkeit der Mitgliedstaaten, politische Kehrtwende der Mitgliedstaaten und Widerstand seitens der Öl- und Gasindustrie. Hinzu kommen noch reale Unwägbarkeiten und Anpassungen aufgrund unvorhersehbarer Entwicklungen oder Ereignisse, wie der Schiefergas-Boom in den USA und die Atomkatastrophe von Fukushima. Die daraus resultierende Stop-and-go-Politik bietet nicht den notwendigen stabilen und berechenbaren Rahmen. Damit der Umstellungsprozess ohne Verzögerungen weitergehen kann, muss für ausreichende Flexibilität der Maßnahmen und gleichzeitig die erforderliche langfristige Investitionssicherheit sowie Unterstützung durch geeignete MBI gesorgt werden. Dazu ist ein eingehender Dialog zwischen allen Interessenträgern der Energieversorgungskette, den europäischen Institutionen, den Mitgliedstaaten, der Industrie und der Öffentlichkeit erforderlich. |
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2.8 |
Wie alle Märkte reagiert auch der Energiemarkt innerhalb des geltenden Regulierungsrahmens auf Preissignale. Wenn der Energiemarkt nicht den Energiemix liefert, der im Zuge der Umstellung erreicht werden soll, dann stimmen die Preissignale nicht. Die Preissignale können verändert werden, doch ist sicherzustellen, dass die wirtschaftlichen und sozialen Interessenträger nicht schwer benachteiligt werden. |
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2.9 |
Bei der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft müssen die sozialen Auswirkungen, insbesondere auf Beschäftigung, berücksichtigt werden. Der Kommission zufolge ist das Beschäftigungswachstum in der grünen Wirtschaft während der Rezession gestiegen und soll weiterhin ziemlich stabil bleiben. Allein in den Branchen Energieeffizienz und erneuerbare Energien könnten bis 2020 rund 5 Millionen Arbeitsplätze entstehen (6). Ein gerechter Wandel muss durch aktive Beschäftigungspolitiken flankiert werden, um menschenwürdige Arbeitsplätze zu gewährleisten. Wesentliche Voraussetzung dafür ist ein wirtschaftlicher Aufschwung, der wiederum die entsprechenden Weichenstellungen in den Bereichen Energiepolitik, Energieinfrastruktur und Energiemärkte erfordert. Die Auswirkungen auf einkommensschwache Haushalte und Energiepreise müssen sorgfältig geprüft werden. Zudem geben die Energiemarktpreise die echten Energieerzeugungskosten bei verschiedenen Technologien nicht korrekt wider. Anders als bei Strom aus erneuerbaren Energieträgern wird ein Großteil der bei der konventionellen Stromerzeugung anfallenden Kosten nicht separat im Strompreis ausgewiesen und über die Stromrechnung bezahlt, sondern über die öffentlichen Haushalte subventioniert und über negative Auswirkungen als externe Kosten in den Gesundheits- und Umweltbereich verlagert. |
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2.10 |
Mit der komplexen Thematik der Energiepreise und Auswirkungen der Kosten auf die Privathaushalte und die Industrie setzt sich die Kommission in ihrer Mitteilung über Energiepreise und -kosten in Europa (7) auseinander. U.a. gelangt sie darin zu der Schlussfolgerung, dass die Maßnahmen, die durch die in den letzten Jahren am stärksten gestiegene „Preiskomponente der energiepolitisch motivierten Abgaben und Steuern“ finanziert werden, so kosteneffektiv wie möglich durchgeführt werden müssen. |
3. Marktwirtschaftliche Instrumente
3.1 Allgemeine Bemerkungen
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3.1.1 |
Viele EU-Rechtsvorschriften heben auf Emissionsminderung ab. Ein Regelungsrahmen reicht allein nicht aus; der Wandel muss durch finanzielle und wirtschaftliche Anreize („Zuckerbrot und Peitsche“) unterstützt werden. Dabei kommt marktwirtschaftlichen Instrumenten (market-based instruments — MBI) wie Umweltsteuern, handelbaren Emissionsrechten und Subventionsreformen eine wesentliche Funktion zu (8). |
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3.1.2 |
Diese Instrumente können das Marktgeschehen beeinflussen, denn sie verbessern das System der Preissignale durch die Internalisierung externer Kosten, bieten den Unternehmen mehr Flexibilität sowie Unterstützung beim Hinarbeiten auf Ziele und fördern Effizienz und Innovation. |
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3.1.3 |
Die EU und die Mitgliedstaaten haben bestimmte Instrumente wie Umweltsteuerreformen, Abschaffung umweltschädlicher Subventionen, Emissionshandel, Förderung erneuerbarer Energien und ein umweltorientiertes Beschaffungswesen eingeführt. Die verfügbaren Instrumente sind grundsätzlich geeignet. Das Problem liegt eher in der Umsetzung in Rechtsvorschriften, der angemessenen Anwendung, Überwachung und Durchsetzung, und dabei muss öffentliche Akzeptanz sichergestellt werden. Gibt es dabei Lücken, dann besteht ernstlich die Gefahr, dass die Instrumente nicht richtig funktionieren und die Ergebnisse zu wünschen übrig lassen, während den Privathaushalten und der Industrie überhöhte Kosten aufgelastet werden. Die uneinheitliche Lage kommt in den drastischen Energiekostenunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten zum Ausdruck. |
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3.1.4 |
Wenn die EU ihre Emissionssenkungsziele erreichen will, muss sie mehr Dynamik entfalten und öffentliche Überzeugungsarbeit leisten. Es muss mehr Energie gespart und aus fossilen Energieträgern erzeugte Energie durch erneuerbare Energie ersetzt werden — beides Grundvoraussetzungen für den Übergang zu einer grünen Wirtschaft. Bei der Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energieträger muss berücksichtigt werden, dass für Back-up-Kapazitäten gesorgt werden muss und in Übergangsphasen beispielsweise auf Gas- oder Kernkraftwerke zurückgegriffen wird. Von der Nutzung der vorhandenen Instrumente durch die Mitgliedstaaten gehen keine ausreichenden Impulse auf den Markt aus. Wichtige Instrumente wie Umweltsteuern werden nicht angemessen eingesetzt. Das liegt vor allem daran, dass der mögliche Energiemix der einzelnen Mitgliedstaaten je nach den geografischen und klimatischen Gegebenheiten, den verfügbaren natürlichen Ressourcen und der Geschichte sehr unterschiedlich ausfällt. Deshalb unterscheiden sich die Aktionspläne der Mitgliedstaaten für Emissionsreduktionen wie auch ihr Einsatz von MBI erheblich voneinander. |
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3.1.5 |
Nach Ansicht des Ausschusses sollten erneuerbare Energieträger Teil des Energiemixes sein, wobei im Rahmen ihrer vorrangigen Förderung sichergestellt werden muss, dass die energiepolitischen Maßnahmen sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch die Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft fördern. Indes drängt der Ausschuss ungeachtet der unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten auf eine möglichst rasche Fertigstellung der transeuropäischen Energienetze. Durch eine Anbindung an diese Netze können im Rahmen der einzelstaatlichen Strategien wertvolle zusätzliche Ressourcen erschlossen werden. |
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3.1.6 |
Die Umweltpolitik sollte eng mit anderen Politikbereichen verknüpft werden. Durch eine dezentrale Stromerzeugung in ländlichen Gebieten können viele zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Wenn Umwelt- und Regionalpolitik auch in finanzieller Hinsicht ineinander greifen, kann die Lebensqualität in ländlichen Gebieten deutlich verbessert werden. |
3.2 Umweltsteuern
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3.2.1 |
Der Gedanke hinter Umweltsteuern ist die Bepreisung umweltschädlicher wirtschaftlicher Tätigkeiten im Einklang mit dem Verursacherprinzip, um in den Marktpreisen die echten Kosten zu berücksichtigen, die durch Produktion und Verbrauch entstehen. In Polen bspw. müssen Verursacher von Umweltverschmutzung in den Nationalen Fonds für Umweltschutz und Wasserwirtschaft einzahlen, über den Anreize für Nachhaltigkeitsprogramme finanziert werden. Das Recht, direkte und indirekte Steuern zu erheben, liegt in der EU bei den Mitgliedstaaten. Nur wenige Mitgliedstaaten haben spezifische Umweltsteuern eingeführt; einige gute Beispiele gibt es (z. B. in Finnland, Schweden, Dänemark, den Niederlanden, Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Slowenien, Estland). Die Größenordnung der Steuerverlagerungen fällt je nach Mitgliedstaat unterschiedlich aus; insgesamt jedoch belaufen sie sich schätzungsweise auf mehr als 25 Mrd. EUR jährlich (9). |
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3.2.2 |
Obwohl sich Umweltsteuern in einigen Mitgliedstaaten bewährt haben, haben ÖSR nicht ihr volles Potenzial entfaltet und tiefgreifende finanzpolitische Veränderungen bewirkt. Es wäre zu betonen, dass ÖSR enorme Möglichkeiten bieten, vor allem in Kombination mit Beschäftigungsförderungsmaßnahmen. Wenn die Devise von EU-Kommissarin Connie Hedegaard „Tax what you burn, not what you earn“ (sinngemäß: Brennstoff- statt Einkommensteuer) in die Praxis umgesetzt und die Steuerlast von der Arbeit auf den Ressourcenverbrauch verlagert wird, sinkt der Arbeitgeberanteil an den Arbeitskosten und wird die Schaffung neuer Arbeitsplätze erleichtert, und zwar nicht nur in Öko-Nischen, sondern in vielen Bereichen der Wirtschaft. ÖSR sollten der Eckstein bei der notwendigen allgemeinen Sanierung der Staatsfinanzen mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung sein. Eine solche Reform sollte nicht die Gesamtsteuerlast erhöhen und daher kosten- und ökoeffizient sein. Es sollte vermieden werden, dass die Energiekostensteigerungen die durch Energieeffizienz ermöglichten Energiekosteneinsparungen überschreiten. |
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3.2.3 |
ÖSR können auch dazu beitragen, Haushaltsdefizite zurückzufahren. Umweltsteuern können zur Haushaltskonsolidierung beitragen und dabei weniger negative Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung haben als andere direkte oder indirekte Steuern wie Einkommensteuer oder Mehrwertsteuer (10). Die Kommission sollte ihren Ansatz, die Vorteile von ÖSR im Jahreswachstumsbericht zu berücksichtigen, im Rahmen des Europäischen Semesters konsequent vorantreiben. |
3.3 Auslaufen schädlicher Subventionen
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3.3.1 |
Die EU will bis 2020 umweltschädliche Subventionen abschaffen (11). Die Kommission hat dies 2006 und 2009 versprochen, und 2009 wurde im Rahmen der G20-Beschlüsse vereinbart, Subventionen für fossile Energieträger, die den verschwenderischen Verbrauch fördern, auslaufen zu lassen. Die Verpflichtung wurde auch von der APEC (Asia-Pacific Economic Cooperation) sowie in den Ergebnissen der Rio+20-Konferenz aufgegriffen. Indes ist trotz all dieser Versprechungen bisher nicht genug getan worden. |
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3.3.2 |
Auf internationaler Ebene hat die OECD Daten über umweltschädliche Subventionen in OECD-Ländern vorgelegt: Demzufolge belaufen sich unmittelbar budgetwirksame Finanzhilfen und Steuervergünstigungen für fossile Brennstoffe in den OECD-Ländern auf einen Gesamtwert von 55 bis 90 Mrd. USD pro Jahr (12). Laut Berechnungen der IEA belaufen sich die Subventionen für fossile Brennstoffe, ihr zufolge „Volksfeind Nummer eins“, weltweit auf 523 Mrd. USD (13). Die Weltbank veranschlagt die jährlichen Subventionen für fossile Brennstoffe auf bis zu 775 Mrd. USD. Ohne eine Änderung der Politik werden die Subventionen für fossile Brennstoffe innerhalb weniger Jahre ins Unermessliche steigen und viele zusätzliche Probleme verursachen. Eine schrittweise Abschaffung der Subventionen für fossile Energieträger bis 2020 würde die Energienachfrage erheblich dämpfen, den Ausstoß von 1,7 Gt CO2 vermeiden und zusätzliche staatliche Einnahmen generieren. |
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3.3.3 |
Bislang gibt es keine umfassenden Daten über die Subventionierung fossiler Brennstoffe in der EU; unterschiedliche Quellen nennen unterschiedliche Zahlen. Allgemein lässt sich sagen, dass sie stark subventioniert werden. In der EU wird die Energieerzeugung aus fossilen Energieträgern mit jährlich 68,8 Mrd. EUR subventioniert; dies beinhaltet 26 Mrd. EUR Direktsubventionen und bis zu 42,8 Mrd. EUR, die den Mitgliedstaaten und Bürgern an Kosten durch gesundheitliche Schäden und soziale Folgen entstehen (14). Mit den umweltschädlichen Subventionen sollten ursprünglich nicht die Gesundheit oder Umwelt gefährdet werden, vielmehr dienten sie anderen und positiven Zielen, wie der preiswerten Energieerzeugung vor Ort oder der Schaffung von Arbeitsplätzen. Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten dringend auf, zu prüfen, ob die Subventionierung dieser Ziele noch angesagt ist und wie dies erforderlichenfalls auf umweltverträgliche Weise getan werden kann. Ein erster Schritt wäre ein EU-Verzeichnis dieser Beihilfen. |
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3.3.4 |
Neben den öffentlichen Direktsubventionen und externen Gesundheitskosten müssen weitere, durch negative Umweltfolgen der Verstromung fossiler Brennstoffe verursachte Kosten eingerechnet werden, wie die Folgekosten von Umweltzerstörung sowie von klimawandelbedingten schweren Stürmen und Überschwemmungen. Diese sog. externen Kosten sind die Folge einer unzulänglichen Umsetzung des Verursacherprinzips. Das deutsche Umweltbundesamt schätzt die externen Umweltkosten von CO2-Emissionen auf 80 EUR/t CO2 (15); zusätzliche Kosten in Höhe von 290 Mrd. EUR entstehen dadurch, dass durch die Verbrennung von Brennstoffen 3,652 Mrd. t CO2-Emissionen verursacht werden (16). Kernkraftwerke werden in der EU mit insgesamt 35 Mrd. EUR subventioniert; hinzukommen die Kosten für die Deckung von Unfallrisiken und die Abfallentsorgung. Erneuerbare Energieträger werden mit 30 Mrd. EUR jährlich direkt subventioniert. |
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3.3.5 |
Trotz dieser ungleichen Ausgangslage schreitet die Entwicklung der Erneuerbare-Energien-Technologien rasch voran; die Kosten erneuerbarer Energie sind in den letzten Jahren stark gesunken (der Preis von Solarpaneelen ist um 85 % zurückgegangen) und im EE-Sektor sind viele Arbeitsplätze entstanden, während der Preis für fossile Energie unverändert hoch bleibt. Im Oktober 2013 forderten Interessengruppen aus der Energiewirtschaft, die Subventionen für erneuerbare Energieträger zu beenden und die Unterstützung der Atomenergie zu erhöhen. Wenn diesen Forderungen nachgegeben wird, dann haben erneuerbare Energieträger aufgrund fehlender gleicher Ausgangsbedingungen keine Chance, im Wettbewerb mit anderen Energieversorgungssystemen zu bestehen. |
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3.3.6 |
Nicht alle Subventionen sind schädlich. Wenn neue Technologien entwickelt werden müssen, um die nachhaltigere Wirtschaft der Zukunft zu fördern, kann es sinnvoll sein, die Vorlaufforschung, Entwicklung und Infrastrukturen durch Subventionen zu unterstützen, bis sich die neuen Technologien auf dem Markt behaupten können. Diese Art Unterstützung war in der Anfangsphase der Erneuerbaren unerlässlich und wird weiterhin so lange erforderlich sein, bis sie sich als wettbewerbsfähige Energieträger für die Zukunft durchgesetzt haben. |
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3.3.7 |
Laut dem Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa sollten die Mitgliedstaaten bis 2012 mithilfe etablierter Methoden die wichtigsten umweltschädlichen Subventionen identifiziert sowie Pläne und Fristen für die Abschaffung dieser Subventionen festgelegt und darüber in ihren nationalen Reformprogrammen Bericht erstattet haben. Dabei sind keine ausreichenden Fortschritte zu verzeichnen. In einer Studie der GD ENV aus dem Jahr 2012 wird ein Überblick über die unterschiedlichen umweltschädlichen Subventionen in der EU gegeben (17) und ein Fahrplan für eine Reform dieser Subventionen aufgestellt. Die Kommission sollte dieses Instrument im Rahmen des laufenden Europäischen Semesters überprüfen. |
3.4 Emissionshandelssystem
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3.4.1 |
Das auf dem sog. „Cap and Trade“-Prinzip gründende EU-Emissionsrechtehandelssystem (EU-ETS) ist das wichtigste wirtschaftliche Instrument in Europa zur Senkung des Klimagasausstoßes. Das System soll Unternehmen einen starken Anreiz bieten, in die Vermeidung von Treibhausgasen zu investieren und dabei genügend Flexibilität zu bewahren, um eine möglichst effiziente Lösung zu finden. |
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3.4.2 |
Im ETS gibt es derzeit ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, sodass die preisliche Anreizwirkung für die erforderlichen Investitionen in kohlenstoffarme Technologien nicht ausreicht. Das Überangebot an Emissionszertifikaten ist vor allem auf die unerwartet schwere Wirtschaftskrise und die verbreitete Nutzung internationaler Gutschriften zurückzuführen. Das EU-ETS muss dringend reformiert werden, damit der Emissionshandel eine starke Anreizwirkung für Investitionen in kohlenstoffarme Technologien entfaltet. Die überschüssigen Zertifikate müssen vom Markt genommen und die verbleibenden Zertifikate müssen mit den künftigen Emissionsreduktionszielen der EU, die die Verwirklichung des EU-Ziels einer kohlenstoffarmen Wirtschaft bis 2050 ermöglichen, in Einklang gebracht werden. Eine entsprechende Reform sollte ebenfalls berücksichtigen, was für die Industrie technisch machbar und wirtschaftlich tragfähig ist und welche unbeabsichtigten Folgen daraus erwachsen könnten. |
3.5 Border carbon adjustment
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3.5.1 |
Es sind weitere Maßnahmen zur Vermeidung von Emissionsverlagerungen erforderlich, beispielsweise der preisliche Grenzausgleich auf den Kohlenstoffgehalt von exportierten und importierten Gütern (Border Carbon Adjustments, BCA), um gleiche Ausgangsbedingungen zu gewährleisten. Bei BCA wird der Preis importierter Güter an der Grenze auf der Grundlage ihres Klimagasgehalts erhöht. Modellen einer neueren Studie (18) zufolge können BCA Emissionsverlagerungen in betroffenen Branchen erheblich mindern. |
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3.5.2 |
BCA in ihrer derzeit geplanten Form werden von einigen der wichtigsten Handelspartner der EU nicht gutgeheißen. Darüber muss im Rahmen der WTO verhandelt werden. Das WTO-Abkommen ermöglicht die Prüfung solcher „nicht handelsbezogenen Anliegen“. Allerdings sollte nicht unterschätzt werden, wie schwierig sich dies ohne eine internationale Vereinbarung über eine Bepreisung der CO2-Emissionen gestalten würde. Dem kann durch konzeptionelle Verbesserungen von BCA begegnet werden. Schlussendlich sind angemessen konzipierte BCA keine Anti-Dumping-Maßnahme, sondern dienen der Förderung eines weltweiten nachhaltigen Klimaschutzes. |
3.6 Förderung nachhaltiger Energie
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3.6.1 |
Die Förderung der erneuerbaren Energien (EE) ist eine grundlegende Voraussetzung für die Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft; MBI können in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion erfüllen. Die Einführung dieser Instrumente fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, die zum Teil auf unterschiedliche Instrumente zurückgegriffen haben, um Strom aus erneuerbaren Energieträgern zu fördern: Investitionsförderung und operative Unterstützung einschließlich Einspeisevergütungen. Erfahrungen verschiedener Mitgliedstaaten zeigen, dass Einspeisevergütungen — häufig über die Garantie einer großzügigen Rendite — die größte Steigerungsrate bei der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern erzielt haben. |
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3.6.2 |
Einspeisevergütungen zur Förderung der Errichtung von Erneuerbare-Energien-Anlagen sollten jedoch keinesfalls nur über eine Erhöhung der Energiepreise im Allgemeinen finanziert werden, da sonst womöglich die Öffentlichkeit gegen die Energiepreise und die Erneuerbaren als solche rebelliert. Jedoch ist vielerorts genau das passiert, und das Aufbegehren ist Realität. Es sind dringend Korrekturmaßnahmen erforderlich, um die öffentliche Unterstützung für die grüne Wende zu festigen. |
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3.6.3 |
Die unterschiedlichen Förderregelungen der Mitgliedstaaten tragen zur Fragmentierung des europäischen Energiemarkts bei. Der Ausschuss befürwortet MBI, die die Integration nationaler Förderregelungen in einem europäischen Energiemarkt begünstigen. Die Einsetzung von „Mechanismen der Zusammenarbeit“, wie sie in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie aus dem Jahr 2009 definiert werden, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Nutzung von EU-Synergien über den Elektrizitätsbinnenmarkt (19). |
3.7 MBI im Automobilsektor
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3.7.1 |
Die Automobilbranche kann generell als Vorbild für eine erfolgreiche Anwendung von MBI dienen. Das Umstellungsziel lautet, den Verbrauch von kohlenwasserstoffhaltigen Kraftstoffen zu senken und letztendlich ganz darauf zu verzichten. Die Strategie umfasst vier Elemente: Vorschriften, Technologie, Infrastruktur und MBI. Vorschriften sorgen dafür, dass bei neuen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren die Kraftstoffeffizienz verbessert und die Emissionen verringert werden. Die Technologie ermöglicht es, die Kohlenwasserstoffvorschriften einzuhalten und Elektrofahrzeuge zu entwickeln. Die zunehmende Nutzung von Elektrofahrzeugen erfordert eine Infrastruktur mit Ladestationen einschl. Verbrauchserfassungssystemen, Austausch von Batterien usw., die zunächst parallel zur vorhandenen herkömmlichen Kraftstoffinfrastruktur aufgebaut wird und diese letztendlich ersetzen soll. Neben der Weiterentwicklung der Vorschriften, Technologie und Infrastruktur können auch MBI maßgeblich zur Umstellung beitragen. |
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3.7.2 |
Als augenfälligstes Ergebnis haben MBI zur Eskalation der Steuern auf kohlenwasserstoffhaltige Kraftstoffe geführt. Dies hat Besitzer von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren dazu bewegt, kleinere Fahrzeuge mit höherer Kraftstoffeffizienz anzuschaffen und auf öffentliche Verkehrsmittel und Fahrräder umzusteigen. Auch die Besteuerung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren wurde angepasst, um über eine Kaufpreissteuer oder eine jährlich zu entrichtende Nutzungssteuer die Anschaffung und Nutzung kraftstoffsparender Fahrzeuge zu fördern. Durch eine entsprechende unterschiedliche Besteuerung werden auch Elektrofahrzeuge gefördert, wobei deren Marktdurchdringung noch zahlreiche andere Hindernisse im Wege stehen. |
3.8 Umweltorientiertes Beschaffungswesen
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3.8.1 |
Mit einem öffentlichen Auftragsvolumen von 16 % des BIP der EU ist der öffentliche Sektor ein wichtiger Marktakteur. Das umweltorientierte öffentliche Beschaffungswesen ist daher ein wichtiges Instrument zur Förderung grüner Produkte und Dienstleistungen. Mit ihrem Aktionsplan 2008 für Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch und einer Mitteilung über umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen hat die Kommission in den letzten Jahren auf ein umfangreiches Beratungs- und Unterstützungssystem hingearbeitet. Anhand einer Bewertung der Leistung der Mitgliedstaaten gab die Kommission als Orientierungsziel vor, dass die Mittelverwendung bis 2010 zu 50 % umweltorientiert sein sollte. Dieses Ziel liegt noch in weiter Ferne und sollte in den Aktionsplänen der Mitgliedstaaten eine höhere Priorität erhalten. |
3.9 Privatwirtschaftliche Investitionen
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3.9.1 |
Die Umstellung auf ein nachhaltiges Produktions- und Verbrauchsmuster im Energiebereich und anderen Sektoren setzt eine grundlegende Umstrukturierung der Wirtschaft voraus. Staaten und regierungspolitische Maßnahmen können das nicht allein bewältigen. Erforderlich ist eine gesellschaftsweite Auseinandersetzung mit den Fragestellungen und ein umfassender gemeinschaftlicher Dialog unter Beteiligung aller Interessenträger, um einen Konsens zu erreichen und den Willen für die Durchführung der erforderlichen Veränderungen hervorzubringen. Gemäß dem Fahrplan für eine kohlenstoffarme Wirtschaft müssen der öffentliche Sektor und die Privatwirtschaft in den kommenden 40 Jahren zusätzliche Investitionen von 270 Mrd. EUR jährlich tätigen. Aus öffentlichen Mitteln kann ein Drittel der erforderlichen Investitionen finanziert werden, der Rest muss von der Privatwirtschaft aufgebracht werden. Es handelt sich hierbei um langfristige Investitionen; die Kommission betrachtet diese Investitionen als zentrale Herausforderung, um die EU wieder auf den Weg zu einer intelligenten, nachhaltigen und inklusiven Wirtschaft zurückzuführen, beispielsweise durch die Schaffung eines neuen Europäischen langfristigen Investitionsfonds (ELTIF) und die Fazilität Connecting Europe (CEF). |
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3.9.2 |
Um Investitionen in kohlenstoffarme und klimaresistente Infrastrukturen und grünes Wachstum zu ermöglichen, sollten die Regierungen einem Umwelt-Arbeitspapier der OECD aus dem Jahr 2012 zufolge umfassende strategische, eng mit nationalen Klimaschutzzielen verknüpfte Infrastrukturpläne aufstellen. Die Kommission sollte nach Möglichkeiten suchen, ein solches Investitionsumfeld auch für Europäische langfristige Investitionsfonds zur Verwirklichung einer nachhaltigen Zukunft zu schaffen. Diesbezüglich sollten die Investitionsprioritäten der CEF und des ELTIF auf die Ziele des EU-Fahrplans für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050, des Energiefahrplans 2050, der EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel und des derzeit anvisierten Klima- und Energiepakets für 2030 abgestimmt werden. |
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3.9.3 |
Solche Fonds könnten diese Art Investitionen erleichtern. Da die Fälligkeiten der zu finanzierenden langfristigen Vermögenswerte den Verpflichtungen institutioneller Investoren gerecht werden, können diese Art Investitionsfonds auch für den Kapitalmarkt interessant sein. Allerdings müssen diese Investitionen dadurch attraktiv gemacht werden, dass es nur geringe — vor allem regulatorische — Risiken gibt, Aussicht auf ausreichende Investitionserträge besteht und die Projekte, in die investiert wird, finanziell und technisch solide sind. |
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3.9.4 |
Innovative Fonds und Finanzinstrumente, die für die Kapitalmärkte attraktiv sind, sind zu begrüßen. Die klassische Bankenfinanzierung wird jedoch weiterhin eine wesentliche Rolle in der europäischen Wirtschaft spielen. Die Ökologisierung von Bankenstandards ist deshalb eine wesentliche Voraussetzung für die Verlagerung von klassischen Anlageformen auf Investitionen in kohlenstoffarme und klimaresistente Vorhaben. Damit die Klima- und Energieziele erreicht werden können, müssen innovative Finanzinstrumente durch privatwirtschaftliche Finanzmittel Investitionen katalysieren, die sonst gar nicht stattfinden würden. |
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) SWD(2013) 439 final.
(2) Europäische Kommission, Energy Economic Developments in Europe, European Economy 1/2014.
(3) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Geschäftsmodelle für nachhaltiges Wachstum, kohlenstoffarme Wirtschaft, industrieller Wandel“, ABl. C 133 vom 9.5.2013, S. 8.
(4) Mitteilung der Kommission „Eine stärkere europäische Industrie bringt Wachstum und wirtschaftliche Erholung“, COM(2012) 582.
(5) Mitteilung „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020-2030“ [COM(2014) 15].
(6) Mitteilung der Kommission „Einen arbeitsplatzintensiven Aufschwung gestalten“ (COM(2012) 173 final).
(7) Mitteilung der Kommission „Energiepreise und -kosten in Europa“ (COM (2014) 21 final).
(8) Grünbuch „Marktwirtschaftliche Instrumente für umweltpolitische und damit verbundene politische Ziele“ (COM(2007) 140 final).
(9) Institute for European Environmental Policy (IEEP), Reforming environmental taxes and harmful subsidies: challenges and opportunities, S. 6.
(10) Vivid Economics, CO2-Besteuerung und Haushaltskonsolidierung: Die Möglichkeit mit CO2-Preisen Haushaltsdefizite in Europa zu reduzieren, Bericht erstellt für die European Climate Foundation und Green Budget Europe, Mai 2012.
(11) Beschluss Nr. 1386/2013/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 über ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der Union für die Zeit bis 2020.
(12) OECD, Fossil fuel subsidies: billions up in smoke?, 2013.
(13) Europäischer Windenergieverband (EWEA), Pressemitteilung vom 4.2.2013.
(14) Quellen für die Zahlenangaben zu Direktsubventionen: OECD (2013), Inventory of Estimated Budgetary Support and Tax Expenditures for Fossil Fuels 2013; OECD and IVM Institute for Environmental Studies (2013), „Budgetary support and tax expenditures for fossil fuels: an inventory for six non-OECD EU countries“. Quellen für die Zahlenangaben zu Gesundheitsfolgen: Bericht der Health and Environment Alliance (HEAL), The unpaid health bill — how coal power plants make us sick, 2013. S. auch „Oettinger schönt Subventionsbericht“, Süddeutsche Zeitung, 14.10.2013, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/foerderung-der-energiebranche-oettinger-schoent-subventionsbericht-1.1793957.
(15) Bundesumweltamt, Schätzung der Umweltkosten in den Bereichen Energie und Verkehr, 2012.
(16) Quelle: EU energy in figures — statistical pocketbook 2013.
(17) Institute for European Environmental Policy (IEEP): Study supporting the phasing-out of environmental harmful subsidies, Oktober 2012.
(18) Vivid Economics, CO2-Besteuerung und Haushaltskonsolidierung: Die Möglichkeit mit CO2-Preisen Haushaltsdefizite in Europa zu reduzieren, Bericht erstellt für die European Climate Foundation und Green Budget Europe, Mai 2012.
(19) SWD(2012) 164 final.
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/10 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Rolle und Zukunft der Freien Berufe in der europäischen Zivilgesellschaft 2020 (Initiativstellungnahme)
2014/C 226/02
Berichterstatter: Arno METZLER
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Februar 2013, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
Rolle und Zukunft der Freien Berufe in der europäischen Zivilgesellschaft 2020
(Initiativstellungnahme) (1).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 10. Februar 2014 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 210 gegen 8 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
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1.1. |
Die Systematik der Freien Berufe ist, gesellschaftliche Anpassungen vorausgesetzt, zukunftsgeeignet, einen wesentlichen Beitrag zur qualitativ hochwertigen Aufgabenwahrnehmung im Bereich soziale Güter wie Gesundheit, zur Aufgabenwahrnehmung im Bereich staatlicher Vorsorge, zum Schutz von Bürgerrechten als auch zur wirtschaftlichen Prosperität zu leisten. Freie Berufe sind Element jeder demokratischen Gesellschaft und stellen erhebliches Wachstumspotenzial für Beschäftigung und BIP dar. |
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1.2. |
Der Begriff des „Freien Berufs“ wird in einigen EU Mitgliedstaaten nicht verwendet. Die Systematik sowie die mit ihr verknüpften gesellschaftlichen Probleme und Lösungen existieren EU-weit. Dabei werden verschiedentlich Mängel in der Durchführung von Aufsicht und Qualitätssicherung beklagt, die regelmäßig Vollzugsdefizite als Ursache haben und keine Systemfehler darstellen. |
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1.3. |
Sowohl „rules-based regulation“ als auch „principles-based regulation“ sind geeignet, eine optimale Regulierung der Freien Berufe zu erreichen. |
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1.4. |
Die Erbringung freiberuflicher Dienstleistungen ist durch eine Informationsasymmetrie zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger bestimmt. Die Dienstleistungen berühren existenzielle Fragen von Leben, Gesundheit, Recht oder wesentliche wirtschaftliche Fragen. Der Leistungserbringer muss daher besonders hohen fachlichen und ethischen Anforderungen genügen. |
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1.5. |
Für bestimmte Berufe existiert in nicht wenigen Ländern eine Preisregulierung. Diese kann dem Verbraucherschutz dienen. Preisregulierungen sind besonders rechtfertigungsbedürftig und so auszugestalten, dass sie Gemeinwohlinteressen und nicht einer bestimmten Interessengruppe dienen. |
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1.6. |
In allen Mitgliedstaaten vertreten Berufsverbände oder Berufskammern, die Interessen ihres Berufs, wirken beratend und zum Teil gestaltend an und in der staatlichen Regulierung mit und garantieren durch eine ständige und konkrete Zusammenarbeit mit den Institutionen auch den Schutz der allgemeinen Interessen der Bürger und des Staats. Die Verwaltungsvereinfachung ist eine Priorität der Freiberufler, aufgrund derer sie immense Investitionen in Human- und Finanzressourcen tätigen, für die sie vom Staat keinerlei finanzielle Entschädigung erhalten. |
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1.7. |
Die EU-Mitglieder gestalten und überwachen die Selbstverwaltung in den jeweiligen Staaten. Dabei müssen sie Konflikte zwischen Regulierungsberechtigung und Interessenvertretung ausschließen und die Einhaltung der Verbrauchererwartung in Bezug auf Kenntnis, Ethik und Gepräge der Leistungserbringer sichern. |
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1.8. |
Der Beitrag der Freien Berufe zum reibungslosen Funktionieren der Verwaltung, Politik und Wirtschaft eines Mitgliedstaats ist auf nationaler und europäischer Ebene anerkannt, weil sie zur Modernisierung und Effizienz der öffentlichen Verwaltung und der Dienstleistungen für die Bürger und Verbraucher beitragen. |
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1.9. |
Die Freien Berufe sind entscheidend für die Beschäftigungsmöglichkeiten junger Menschen, die sich für eine Zukunft im Bereich des freien Unternehmertums und für Investitionen in ihre eigenen Kenntnisse entscheiden. Freiberufler müssen die gesetzlichen Bestimmungen und/oder tarifrechtlichen Normen in Bezug auf ihre Angestellten und in Bezug auf die Jugendlichen einhalten, die bei ihnen eine Ausbildung, ein Praktikum, eine Lehre oder Weiterbildung absolvieren. |
2. Von den artes liberales zum wissensgestützten Dienstleister
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2.1. |
Der Begriff des „Freien Berufs“ greift zurück auf den Begriff der „artes liberales“, mit dem in der Antike Tätigkeiten wie die des Lehrers, des Rechtsanwaltes, des Baumeisters, des Architekten oder des Ingenieurs sowie des Arztes bezeichnet wurden. Dabei war die Ausübung der „artes liberales“ Privileg der freien Bürger- und Adelsschicht. |
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2.2. |
Seit dem 19. Jahrhundert definierte sich der „Freie Beruf“ nicht mehr über das personale Medium der „Freien Geburt“, sondern über die ausgeübte Tätigkeit. |
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2.3. |
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hatten bestimmte Freie Berufe eine besondere Staatsnähe entwickelt. Dies hinderte sie an einer unabhängigen Aufgabenwahrnehmung, was zugleich eine gesellschaftliche Geringschätzung zur Folge hatte. Besonders Rechtsanwälte, über deren Ernennung und Versetzung z. T. die Gerichte entschieden, waren hiervon betroffen. Auch die Dienstaufsicht und Disziplinargewalt lag zum Teil bei den Gerichten. |
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2.4. |
Unter dem Einfluss des Liberalismus bildeten sich im 19. Jahrhundert in verschiedenen EU-Ländern ein Standesbewusstsein der Freien Berufe und eigene, staatsunabhängige Standesorganisationen. So löste sich die Anwaltschaft aus der staatlichen Einwirkung. Die akademische Ärzteschaft konnte ebenso eine begrenzte Freiheit von staatlicher Regelung und Kontrolle ihres Berufs erreichen. |
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2.5. |
Die Aufgaben der Berufszulassung, der Ordnung des Berufs und der Berufsaufsicht übernahmen häufig Standesorganisationen. Später wurde die Rechtsetzung den Selbstverwaltungsorganisationen/Berufskammern übertragen. |
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2.6. |
Der heutige Begriff des Freien Berufs ist eine soziologische Beschreibung. |
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2.7. |
Merkmale eines Freien Berufs sind die Erbringung einer hochwertigen ideellen Dienstleistung mit ausgesprochen intellektuellem Charakter auf der Grundlage einer höherwertigen (akademischen) Ausbildung, eine Gemeinwohlbindung der Dienstleistung, eine fachlich und wirtschaftlich unabhängige Aufgabenwahrnehmung, die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Leistungserbringung, das Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, die Zurückstellung des Interesses maximaler Gewinnerzielung gegenüber dem Interesse des Auftragnehmers an einer optimalen Betreuung sowie die Bindung an genaue und strenge berufsrechtliche, berufsethische Regelungen. |
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2.8. |
Eine Tätigkeit kann auch dann als freiberuflich eingeordnet werden, wenn bestimmte Merkmale nicht vorliegen, aber die Kerneigenschaften erfüllt werden. So steht der Einordnung als freiberufliche Tätigkeit in vielen Staaten nicht entgegen, dass sie in einem Anstellungsverhältnis erbracht werden, die fachliche Unabhängigkeit aber gewahrt bleibt. Der EWSA stellt fest, dass es eine Diversifizierung der Freien Berufe sowie der Kammern oder Organisationen gegeben hat, in denen ihre Aktivitäten innerhalb des Systems der Freien Berufe in Europa geregelt werden. Die neuen Freien Berufe, z. B. Psychologe, Sozialarbeiter, Steuerberater, Schuldnerberater, Landvermesser und Vermittler, die nicht in allen Ländern als Freie Berufe angesehen werden, müssen dementsprechend Teil des Konzepts sein. |
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2.9. |
In den Mitgliedstaaten wird der Begriff des Freien Berufs unterschiedlich weit verstanden, in einigen fehlt er. In manchen Staaten zählt nur ein Kernbereich von Berufen zu den Freien Berufen: Heilberufe, Beratungsberufe wie Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Arbeitsberater, Ingenieure- und Architekten. In anderen Mitgliedstaaten werden darüber hinaus auch künstlerische Tätigkeiten zu den Freien Berufen gezählt. |
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2.10. |
Allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist es zu verhindern, dass das maßgebliche Kennzeichen der Freien Berufe, die Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Dienstleistungsempfänger, ausgenutzt wird. Die von Freiberuflern angebotenen Dienstleistungen sind komplex und erfordern ein hohes Maß an Expertenwissen. Dem Dienstleistungsempfänger fehlt es daher an hinreichenden Informationen, Fachkenntnis und Erfahrungswissen, um bei der Auswahl des Anbieters und nach Empfang der Dienstleistung die Qualität der angebotenen Dienstleistung zu beurteilen. |
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2.11. |
Freie Berufe sind daher Vertrauensberufe. Bedingt durch die Informationsasymmetrie muss der Dienstleistungsempfänger darauf vertrauen, dass der Anbieter dieses Informationsdefizit nicht zu seinen Gunsten ausnutzt, sondern ihm die auf seine Bedürfnisse abgestimmte, bestmögliche Dienstleistung zukommen lässt. Der Dienstleistungsempfänger gibt damit bei der Beauftragung einen Vertrauensvorschuss. Fachliche Mindeststandards und die Einhaltung berufsethischer Richtlinien sind die geeigneten Instrumente, um das Vertrauen des Dienstleistungsempfängers zu schützen. |
3. Regulierungen und ihre Zwecksetzung
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3.1. |
Die Mitgliedstaaten verfolgen bei der Regulierung der Freien Berufe im Grundsatz zwei unterschiedliche Regulierungstechniken, den sogenannten prinzipienbasierten Regelungsansatz („principles-based regulation“) und einen proskriptiv und präskriptiv geprägten Regelungsansatz („rules-based regulation“). |
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3.2. |
Die Regulierung der Freien Berufe fasst die moralischen Bedingungen der Berufsausübung sowie die standesethischen Normen zusammen. In ihnen kommt die soziale Verantwortung der Freien Berufe zum Ausdruck. Die Summe aller berufsethischen Normen wird als Deontologie bezeichnet. |
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3.3. |
Die „principles-based regulation“ ist gekennzeichnet durch die Formulierung abstrakter berufsrechtlicher Grundsätze, welche im Einzelfall konkretisiert werden müssen („outcomes-based regulation“). Auf welchem Weg der Normunterworfene im Einzelfall die gesetzten Ziele erreicht, liegt hingegen in seinem Ermessen. Die „rules-based regulation“ ist demgegenüber kasuistisch angelegt. |
|
3.4. |
Beide Regulierungsansätze haben Vor- und Nachteile. Sie erfüllen aber das Grundprinzip des gesellschaftlichen Anliegens, unabhängigen Rat und Unterstützung zu erhalten. Dabei können sich Problemstellung und Lösung im Zeitablauf verändern, was eine Anpassung von Regeln oder die Schaffung neuer erfordert. |
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3.5. |
Die turnusgemäße Überprüfung von Regeln durch die EU ist hierbei hilfreich und sollte auch national eingerichtet werden. So können alte Freie Berufe „befreit“ (z. B. beim Bau) und erforderlichenfalls neue Regeln eingeführt werden, die sich auf die neuen Freien Berufe beziehen (z. B. Informationsgewinnung oder Kreditwirtschaft). |
4. Wirtschaftliche Aspekte
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4.1. |
Die Freien Berufe leisten einen bedeutenden Beitrag zur Schaffung und dem Erhalt wichtiger gesellschaftlicher Infrastruktur. Rund jeder sechste Selbstständige ist in einem freiberuflich geprägten Wirtschaftszweig tätig; Tendenz steigend. Gleiches gilt für jeden sechsten Arbeitnehmer. |
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4.2. |
Die Anzahl und der Anteil der selbstständigen Frauen in freiberuflich geprägten Wirtschaftszweigen sind im Beobachtungszeitraum 2008-2012 gestiegen. Der Anteil liegt mit rund 45 % deutlich über dem Anteil selbstständiger Frauen in der Gesamtwirtschaft (31,1 %). |
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4.3. |
Die freiberuflich geprägten Wirtschaftszweige tragen mehr als jeden 10. Euro zur Bruttowertschöpfung bei. Der Rückgang der Wertschöpfung fiel im Krisenjahr 2009 in den freiberuflich geprägten Wirtschaftszeigen moderater aus als in der Summe über alle Wirtschaftszweige. EU-Zahlen: „Unternehmensberatungen“ und „Ingenieurbüros“ jeweils 600.000 Unternehmen 550.000 Unternehmen „Rechtsberatung“ und „Wirtschaftsprüfung“, „Architekturbüros“, Werbung und Marktforschung 315.000 bzw. 270.000 Unternehmen. |
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4.4. |
In Anbetracht des Wachstumspotenzials und des Beschäftigungsanteils dieses Berufsstands — es handelt sich zum größten Teil um sichere und hochqualifizierte Arbeitsplätze — sollte die ausgeprägte unternehmerische Komponente der Freien Berufe anerkannt und gefördert werden. Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Kommission freiberuflich tätige Personen als Unternehmer anerkennt und den Berufsstand etwa durch Einbeziehung in die Programme zur Förderung der Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit von KMU unterstützen will. Ein solcher Ansatz setzt voraus, dass die strukturellen Bedingungen für die Ausübung Freier Berufe untersucht und verbessert werden, wie dies auch in der Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt gefordert wird. Die Entwicklung der Freien Berufe darf sich nicht auf Einzelunternehmer oder Alleinselbstständige beschränken. Sie müssen sich gegen das Problem der Scheinselbständigkeit abgrenzen. |
5. Ethik und Gewinnstreben
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5.1. |
Den Freien Berufen ist in allen Mitgliedstaaten ein Gemeinwohlbezug immanent. Die Heilberufe und die psychologischen sowie sozialen Berufe unterhalten eine Infrastruktur zur Sicherstellung der Gesundheit der gesamten Bevölkerung. |
Die rechts- und steuerberatenden Berufe sind im demokratischen Rechtsstaat Teil der Freiheitsrechte. Zusammen mit dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer sichern sie zudem den reibungslosen Ablauf der Wirtschaftsprozesse. Den Berufen kommt damit auch ein unmittelbarer Grundrechtsbezug zu.
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5.2. |
Aus dem Gemeinwohlbezug der Freien Berufe folgt zugleich eine besondere ethische Verantwortung. Rechts- und steuerberatenden Berufe sowie Wirtschaftsprüfer dienen dem Rechtsstaat und schützen darüber hinaus die Vermögensinteressen ihrer Mandanten. Sozialarbeiter und Psychologen sorgen für ein Klima, das von Inklusion und von einer größeren beziehungstechnischen, psychologischen und sozialen Stabilität für die europäischen Bürgerinnen und Bürger geprägt ist. Architektur- und Ingenieurberufe schützen die Gemeinschaft vor Gefahren, die von Bauwerken und technischen Einrichtungen ausgehen und fördern die Innovationskraft der Gesellschaft sowie die Lebensqualität der Menschen durch die Weiterentwicklung von infrastrukturtechnischen Einrichtungen und technischen Neuentwicklungen. Künstlerische Berufe dienen der Pflege und der Gestaltung der Kultur. Dies sowie die beschriebene Informationssymmetrie setzen eine hochwertige Ausbildung voraus sowie besonders hohe ethische Anforderungen. |
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5.3. |
Der besondere Gemeinwohlbezug freiberuflicher Dienstleistungen und die sich daraus ergebenden zwingenden Voraussetzungen für die Leistungserbringung bedürfen einer Absicherung durch zwingende Berufsregelungen und einen Katalog allgemein anerkannter ethischer Verhaltensnormen bezogen auf den jeweiligen Beruf. Ein Mindestmaß an Regulierung findet sich deshalb in allen Mitgliedstaaten. Der EWSA empfiehlt allen Kammern, Organisationen und Verbänden Freier Berufe, Kodizes und ethische Normen festzulegen sowie feste Ethikkommissionen innerhalb der verschiedenen Berufe einzurichten. |
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5.4. |
Soweit noch keine berufsethischen Kodizes bestehen, sollten die Berufsvertretungen solche für ihren Mitgliedstaat als unverbindliche Berufsleitbilder formulieren. Darüber hinaus sollten die jeweiligen Berufskammern und Berufsverbände europäische Ethikkodizes erstellen, um die hohen Anforderungen an freiberufliche Dienstleistungen europaweit herauszustellen und zu sichern. Die Schaffung von Verhaltenskodizes wird durch Art. 37 der Dienstleistungsrichtlinie (2) gefördert. Aus der Bedeutung freiberuflicher Dienstleistungen für den Mandanten und dem besonderen Vertrauen, welches der Leistungsempfänger dem Leistungserbringer entgegenbringen muss, folgt zugleich zwingend die persönliche Leistungserbringung. |
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5.5. |
Die persönliche Vertrauensbeziehung zwischen Leistungsempfänger und Leistungserbringer sowie die betroffenen höchstpersönlichen Rechtsgüter machen einen gesetzlichen Geheimnisschutz, ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht sowie ein Aussageverbot des Leistungserbringers und seiner Mitarbeiter unausweichlich. Diese sind Kennzeichen eines freiheitlichen Rechtsstaates. |
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5.6. |
Freiberufliche Dienstleistungen, welche die Kernbereiche des öffentlichen Interesses berühren, müssen flächendeckend erbracht werden, z. B. ärztliche Versorgung, soziale und psychologische Dienste, Apotheken und Rechtsrat auch in ländlichen Regionen. |
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5.7. |
Die genannten Anforderungen setzen voraus, dass die Freiberufler gemäß ihren ethischen Grundsätzen stets der Qualität ihrer Dienstleistung Vorrang gegenüber der Gewinnmaximierung einräumen. |
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5.8. |
Die Fortentwicklung des Berufsrechts der Freien Berufe darf daher nicht allein auf ökonomischen Überlegungen ausgerichtet sein. Die Sicherung einer flächendeckenden, hochqualifizierten und höchsten Qualitätsanforderungen genügenden Leistungserbringung muss das Ziel einer jeden Regulierung sein. Es ist immer zu prüfen, ob bestehende Regulierungen zur Sicherung der genannten Ziele geeignet sind oder in Wahrheit anderweitigen Interessen dienen. |
6. Anforderungen in Gegenwart und Zukunft an Freie Berufe und deren Profil
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6.1. |
Es sollte eine europaweit einheitliche Definition des Freien Berufs geschaffen werden. Die Definition sollte nur die allgemeinen Merkmale des Freien Berufs enthalten sowie die Kategorien Freier Berufe benennen. Das Entstehen neuer Freier Berufe darf durch eine Definition nicht verhindert werden. Als Vorbild könnte hier der Entwurf einer Charta der Freien Berufe dienen, der von verschiedenen europäischen Berufsorganisationen unter Federführung des Council of European Dentists (CED) erarbeitet worden ist. |
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6.2. |
Zusätzlich zu den berufsübergreifenden nationalen Organisationen und zu den berufsübergreifenden europäischen Vertretungen sollte in jedem Mitgliedstaat für die jeweiligen Freien Berufe eine Berufsorganisation eingerichtet sein — sofern das nicht bereits von den Berufskammern wahrgenommen wird —, welche berufsethische Grundsätze zusammenfasst, veröffentlicht und weiterentwickelt. Diese Organisation sollte auch für die Einhaltung der berufsethischen Grundsätze durch den Berufsstand verantwortlich sein. |
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6.3. |
Die hohen ethischen Anforderungen an die Erbringung freiberuflicher Dienstleistungen bedürfen auch in Zukunft der Sicherung durch konkrete Leitbilder und klar definierte ethische Grundsätze. Hierzu stehen normierte und sanktionierbare Berufsregelungen ebenso zur Verfügung wie berufsethische Verhaltenskodizes. Dies stärkt das Verbrauchervertrauen. |
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6.4. |
Neben der Sicherung fachlicher und ethischer Anforderungen an die Erbringung freiberuflicher Dienstleistungen muss auch die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Freien Berufe erhalten und gestärkt werden. Ihre Herausforderung besteht derzeit darin, die voneinander abweichenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu bewältigen und mit den Kollegen in anderen Mitgliedstaaten im Rahmen eines immer stärker integrierten Binnenmarkts in Wettbewerb treten zu können. |
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6.5. |
Berufsrechtliche Regelungen müssen mit den europäischen Grundfreiheiten, insbesondere mit der Dienstleistungsfreiheit, der Niederlassungsfreiheit und dem Recht auf Freizügigkeit, vereinbar sein. Berufsrechtliche Regelungen müssen daher diskriminierungsfrei wirken, einem zwingenden Grund des Allgemeinwohls dienen und verhältnismäßig sein. Sie müssen zudem mit dem jeweiligen nationalen Recht vereinbar sein. Dieses sollte bestimmte Aufgaben an besondere Qualifikationen binden. |
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6.6. |
Bei der Erbringung freiberuflicher Dienstleistungen werden höchstpersönliche Rechtsgüter der Leistungsempfänger oft einer besonderen Gefährdung ausgesetzt. Dieses Gefahrenpotenzial macht es notwendig, den Berufszugang zu reglementieren und hohe Anforderungen an eine Berufszulassung zu stellen. Dies betrifft neben der Ausbildung auch weitere persönliche Merkmale wie eine gute Reputation, Gesundheitskontrolle oder den Verzicht auf eine gleichzeitige, unvereinbare Tätigkeit. Auf EU-Ebene wird dieses Erfordernis durch die Berufsqualifikationsrichtlinie (3) sowie durch Spezialvorschriften wie die Richtlinien für Ärzte und Zahnärzte sowie die Richtlinie für Rechtsanwälte (4) oder die Abschlussprüferrichtlinie (5) angemessen berücksichtigt. |
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6.7. |
In nahezu allen Mitgliedstaaten sind Freiberufler zur regelmäßigen Fortbildung (Continuing Professional Development, CPD) verpflichtet. Unterschiede bestehen in der Überprüfung der Fortbildungsmaßnahmen und bei den Folgen einer nicht erfolgten ordnungsgemäßen Fortbildung. Vor dem Hintergrund immer komplexerer Sachverhalte, der ständigen Weiterentwicklung technischer Verfahren in Medizin und Technik sowie des ständigen Anwachsens nationaler und internationaler Rechtsnormen ist es Aufgabe der Freien Berufe, eine effektive Weiterbildung aller Berufsangehörigen sicherzustellen. |
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6.8. |
In den meisten Mitgliedstaaten können die Angehörigen Freier Berufe nahezu unbeschränkt berufliche Kooperationen mit Angehörigen anderer Berufe eingehen. In einigen Mitgliedstaaten werden aber der Gesellschafterkreis auf ausgewählte Freie Berufe begrenzt, bestimmte Mehrheitserfordernisse bei Gesellschaftern, Stimmrechten oder Geschäftsführern vorgeschrieben und die Kapitalbeteiligung Dritter ausgeschlossen. Diese Bestimmungen sind ein mögliches Mittel zur Abwehr einseitiger ökonomischer Zielvorgaben bei der Ausübung eines Freien Berufs. |
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6.9. |
Die Beteiligung von Mitgliedern anderer Berufe an einer freiberuflichen Kooperation kann zu Konflikten mit dem Geheimnisschutz sowie mit Zeugnisverweigerungsrechten führen. Hier muss sichergestellt werden, dass durch die Beauftragung einer freiberuflichen Kooperation der Schutz des Mandanten, Klienten oder Patienten nicht herabgesetzt wird. Solche Friktionen können wirksam durch eine Beschränkung des Gesellschafterkreises vermieden werden. |
7. Verbraucherschutz und Selbstverwaltung
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7.1. |
In allen Mitgliedstaaten gibt es eine Verwaltung Freier Berufe durch Staat, Berufskammern oder Berufsverbände. Das Konzept der Selbstverwaltung ist als freiberufliches Organisationsprinzip in vielen Mitgliedstaaten untrennbar mit dem Gedanken der Freiberuflichkeit verbunden. |
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7.2. |
Bei der Selbstverwaltung gibt es in den Mitgliedstaaten zwei unterschiedliche Konzepte. Nach einem Konzept vertreten die Berufsverbände und Kammern als freiwilliger Zusammenschluss die Interessen ihres Berufs. Sie wirken dabei beratend an der (staatlichen) Regulierung des Berufs mit. Zudem geben sie die Berufsauffassung über die Standards einer professionellen Berufsausübung in Ethikkodizes wieder. Nach dem anderen Konzept übernehmen die Berufskammern zudem als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung öffentliche Aufgaben bei der Berufszulassung und der Berufsaufsicht. Die Selbstverwaltung stellt sich nicht gegen eine staatliche Verwaltung, sie erfüllen vielmehr gemeinsame Funktionalitäten. |
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7.3. |
Die freiberufliche Selbstverwaltung vermittelt zwischen dem Freiheitsrecht der Berufsangehörigen vor staatlicher Einwirkung auf die Berufsausübung und dem Regelungsanspruch des Staates. Die eigene Rechtsetzung durch die Berufsangehörigen setzt deren Freiheitsanspruch gegenüber staatlichen Eingriffen durch, gewährleistet aber gleichzeitig eine Sicherung der Gemeinwohlbindung und dient somit Leistungsempfängern und Verbrauchern. |
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7.4. |
Die freiberufliche Selbstverwaltung setzt das Subsidiaritätsprinzip um, nach dem eine Aufgabe immer durch die sachnächste Stelle wahrgenommen werden soll. Die Berufsangehörigen zeichnen sich durch besonderen Sachverstand aus und sind damit die sachnächste Instanz zur Verwaltung und Regulierung Freier Berufe. Sie nutzt das Prinzip der Wettbewerberkontrolle. |
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7.5. |
Die freiberufliche Selbstverwaltung und Selbstregulierung schränkt ihrerseits die Berufsausübung ihrer Mitglieder ein. Sie sind Akte mittelbarer Staatsverwaltung und bedürfen der staatlichen Kompetenzübertragung. Jede freiberufliche Selbstverwaltung und Selbstregulierung ist ihrerseits gebunden an die Grundfreiheiten, das nationale Recht sowie an das europäische und nationale Kartellrecht. |
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7.6. |
Funktionsvoraussetzung für Selbstverwaltung ist in Ländern, in denen dies nach geltendem Recht möglich ist, die Pflichtmitgliedschaft. Dieser Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung ist durch ein überwiegendes Gemeinwohlinteresse gerechtfertigt. |
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7.7. |
Die Vorschriften über die Pflichtmitgliedschaft müssen so ausgestaltet sein, dass die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit nicht beeinträchtigt werden. Geeignete Instrumente sind die Anerkennung von Registrierungen eines anderen Mitgliedstaats oder (kostenlose) Registrierungen, wenn eine Mitgliedschaft in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union vorliegt. |
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7.8. |
Auch 2020 ist von einem Spannungsverhältnis zwischen staatlichen und Individualinteressen sowie vom Bedarf nach unabhängigem Rat und Unterstützung auszugehen. Das Institut des Freien Berufs ist absehbar auch dann noch funktionsfähig, wenn ihm eine zeitgerechte Aktualisierung gewährt wird, mit der Wesenskerne, komparativer Wissensvorsprung, Unabhängigkeit/Transparenz und darauf fußend Vertrauen nicht eingeschränkt werden. |
Brüssel, den 25. März 2014.
Der Vorsitzende des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Im Rahmen der Erarbeitung der vorliegenden Stellungnahme beauftragte der EWSA das Europäische Zentrum für Freie Berufe der Universität zu Köln mit der Durchführung einer Studie zum Thema „The State of Liberal Professions Concerning their Functions and Relevance to European Civil Society“ [„Die Lage der freien Berufe in ihrer Funktion und Bedeutung für die europäische Zivilgesellschaft“] (EESC/COMM/05/2013), die kurz vor der Fertigstellung steht.
(2) Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L 376, S. 36 ff.
(3) Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. L 255, S. 22 ff.
(4) Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte, ABl. L 78, S. 17, und Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ABl. L 77 S. 36.
(5) Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABl. L 157, S. 87 ff.
ANHANG
zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen (Art. 39 Abs. 2 der Geschäftsordnung):
a) Ziffer 1.1
Ändern:
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Begründung
Erfolgt mündlich.
Abstimmungsergebnis
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Ja-Stimmen |
: |
56 |
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Nein-Stimmen |
: |
128 |
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Stimmenthaltungen |
: |
30 |
b) Ziffer 6.9
Ändern:
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Begründung
Erfolgt mündlich.
Abstimmungsergebnis
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Ja-Stimmen |
: |
80 |
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Nein-Stimmen |
: |
116 |
|
Stimmenthaltungen |
: |
27 |
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/17 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgender Vorlage: „Das Statut der Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft: Einschätzungen, Rolle und Beitrag der Zivilgesellschaft“ (Initiativstellungnahme)
2014/C 226/03
Alleinberichterstatter: Mario CAMPLI
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 22. Januar 2014, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
Das Statut der Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft: Einschätzungen, Rolle und Beitrag der Zivilgesellschaft (Initiativstellungnahme)
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. März 2014 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 140 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Schlussfolgerungen
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1.1.1 |
Gegenseitigkeitsgesellschaften sind ebenso wie Genossenschaften, Stiftungen und Vereine Teil des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells. Die Vielfalt der Unternehmensformen, auch in der Sozialwirtschaft, ist — unabhängig von der rechtlichen Definition des Unternehmens nach dem jeweiligem nationalen Recht — ein wesentlicher Bestandteil des EU-Binnenmarkts, auch in puncto Förderung, Investitionen und Entwicklung des unternehmerischen Pluralismus in Europa. |
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1.1.2 |
Die Gegenseitigkeitsgesellschaften haben das Recht auf ein europäisches Statut, um die Risiken von Arbeitnehmern, Unternehmen und Bürgern decken zu können, insbesondere in Bezug auf den Sozial- und Gesundheitsschutz. |
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1.1.3 |
Die Gegenseitigkeitsgesellschaften sind nicht bereit, eine Abkehr vom Gegenseitigkeitsprinzip (Demutualisierung) als unvermeidlich hinzunehmen. Der EWSA möchte die Vielfalt der Unternehmensformen auch im sozialwirtschaftlichen Bereich aufwerten, um die wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften Europas zu erhalten. Eine — gleichwohl nützliche — Informationskampagne kann jedoch nicht den erforderlichen Rechtsrahmen ersetzen. |
|
1.1.4 |
In Europa gibt es eine große Vielfalt an Gegenseitigkeitsgesellschaften (es wurden ca. 40 unterschiedliche Formen ermittelt), aber trotz ihrer Vielfalt verfolgen 95 % von ihnen die gleichen Grundsätze bei der Leitung. |
1.2 Empfehlungen
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1.2.1 |
Der EWSA fordert die Kommission im Einklang mit den auf der Konferenz von Straßburg zum Thema „Soziales Unternehmertum“ übernommenen Verpflichtungen auf, rasch einen Vorschlag für eine Verordnung über das Statut der Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft (EGG) vorzulegen. |
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1.2.2 |
Der EWSA wünscht, dass das Gegenseitigkeitsmodell mit einem kohärenten europäischen Rechtsrahmen anerkannt wird, der seinem wirtschaftlichen Gewicht und seiner sozialen Bedeutung entspricht. |
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1.2.3 |
Der EWSA empfiehlt, dass sich das Statut auf die Strukturmerkmale und nicht auf die wirtschaftlichen Tätigkeiten bezieht, damit die Vielfalt der Gegenseitigkeitsgesellschaften erhalten bleibt. |
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1.2.4 |
Der EWSA empfiehlt, mit dem Statut keine Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften zu verfolgen und es als ein fakultatives Instrument vorzusehen. |
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1.2.5 |
Der EWSA fordert, einen präzisen Zeitplan für die Vorlage und Annahme des Entwurfs eines Statuts für die EGG zu veröffentlichen. |
2. Einleitung
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2.1 |
Mit dieser Stellungnahme soll bewirkt werden, dass die Kommission möglichst zügig einen Vorschlag für eine Verordnung über das Statut der EGG vorlegt. |
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2.2 |
Nach Einschätzung der europäischen Zivilgesellschaft und der Beteiligten wird aufgrund des Fehlens einer angemessenen Rechtsgrundlage de facto ein Tätigwerden der Gegenseitigkeitsgesellschaften auf europäischer Ebene behindert. Dies hätte gravierende Auswirkungen: im sozialen Bereich (wo die öffentlichen Maßnahmen zurückgefahren werden); im Gesundheitswesen (ungleichere Bedingungen beim Zugang der europäischen Bürger zur Gesundheitsversorgung), bei der Beschäftigung (Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten, auch in Fachberufen); sowie bezüglich der Stärkung des sozialen Zusammenhalts in Europa und des europäischen Integrationsprozesses. |
2.3 Seit Langem wird über das Europäische Statut diskutiert, in der Sache gezaudert und keine Entscheidung getroffen.
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2.3.1 |
Das Projekt eines Statuts der EGG hat eine lange Vorgeschichte, die bis in das Jahr 1993 und zu den europäischen Richtlinien für das Versicherungswesen zurückreicht. Vor diesem Hintergrund haben die Gegenseitigkeitsgesellschaften gefordert, dass ihre ursprüngliche Unternehmensform als Personengesellschaften in einem europäischen Statut anerkannt wird. |
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2.3.2 |
Ein erster Verordnungsvorschlag wurde 2006 zurückgezogen. Trotz der Mitteilung von 2003 über das Gesellschaftsrecht, in der sie sich für die Einführung neuer europäischer Rechtsformen einsetzte, insbesondere für Gegenseitigkeitsgesellschaften — diese Zusicherung wurde im Aktionsplan von 2006 zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und zur Verbesserung der Corporate Governance wiederholt –, hat die Kommission den Entwurf für ein Statut der EGG im Jahr 2006 von ihrer Agenda gestrichen. |
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2.3.3 |
Eine neue Initiative, das Projekt wieder aufzugreifen, wurde 2007 von den Vereinigungen europäischer Gegenseitigkeitsgesellschaften gestartet. |
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2.3.4 |
Das Europäische Parlament hat im März 2010 eine schriftliche Erklärung angenommen, in dem es sich für ein Statut der EGG aussprach. Das EP legte im Juli 2011 einen Bericht über die Rolle der EGG vor mit der Schlussfolgerung, dass ein solches Statut notwendig sei. |
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2.3.5 |
Im März 2013 nahm das Europäische Parlament einstimmig einen Initiativbericht von Luigi Berlinguer über die Machbarkeit eines Statuts für die EGG an. |
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2.3.6 |
Gleichzeitig beschloss die Kommission, im Rahmen der Binnenmarktakte eine Studie über die Lage und die Schwierigkeiten der Gegenseitigkeitsgesellschaften im Binnenmarkt zu finanzieren (sog. Panteia-Bericht). Diese wichtige, am 12. Oktober 2012 veröffentlichte und von der Kommission koordinierte Studie bietet erstmals einen erschöpfenden Überblick über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen der Gegenseitigkeitsgesellschaften in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (1). |
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2.3.7 |
Die Kommission veranstaltete anschließend eine öffentliche Konsultation über die Schlussfolgerungen dieser Studie (die Ergebnisse wurden im Oktober 2013 veröffentlicht (2)). Der Erfolg dieser Konsultation (über 300 Antworten, davon zwei Drittel mit positivem Feedback) hat die Kommission dazu veranlasst, eine Folgenabschätzung bezüglich der Machbarkeit des Entwurfs eines Statuts der EGG durchzuführen. |
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2.4 |
Der EWSA unterstrich in seiner Stellungnahme vom Oktober 2009 über „Unterschiedliche Unternehmensformen“ (3), dass „Der Pluralismus und die Vielfalt der einzelnen Unternehmensformen (...) im Vertrag anerkannt und durch ihre jeweiligen Rechtssatzungen, die bereits gebilligt wurden oder der zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch geprüft werden, in der Praxis bestätigt (werden)“. Der Ausschuss zählte die Gegenseitigkeitsgesellschaften zu den Unternehmensformen der Sozialwirtschaft. |
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2.5 |
Im Anhang zur Straßburger Erklärung im Rahmen einer Veranstaltung zum Sozialunternehmertum vom 16./17. Januar 2014, die von der Kommission und dem EWSA gemeinsam organisiert wurde, wird Folgendes ausgeführt: „Nach Meinung vieler Interessenträger sollten sich Maßnahmen für soziales Unternehmertum auf alle sozialwirtschaftlichen Unternehmensformen erstrecken (Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften, Vereine, Stiftungen usw.). Die EU sollte ein europäisches Statut für Gegenseitigkeitsgesellschaften im Hinblick auf grenzübergreifende Tätigkeiten, Zusammenschlüsse und die Bestimmungen der Solvabilität-II-Richtlinie vorschlagen, und ebenso ein europäisches Statut für Vereine.“ Bei dieser Veranstaltung hat der für Unternehmen zuständige EU-Kommissar Antonio Tajani eine Legislativinitiative der Kommission zu diesem Statutsentwurf angekündigt. |
3. Beschreibung der Gegenseitigkeitsgesellschaften
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3.1 |
In den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten besteht eine große Vielfalt unterschiedlicher Rechtsformen von Gegenseitigkeitsgesellschaften. Diese unterschiedlichen Formen der Gegenseitigkeitsgesellschaften und ihre Rolle hängen von der Kultur und dem historischen Hintergrund der Gegenseitigkeitsgesellschaften in den jeweiligen Ländern ab. Historisch gesehen stehen Gegenseitigkeitsgesellschaften für die ersten Formen der sozialen Sicherheit in Europa. Derzeit haben die Gegenseitigkeitsgesellschaften in der EU die Kernaufgabe, im Dienste ihrer Mitglieder zu stehen und — im Rahmen des Gemeinwohls — deren Risikodeckung zu gewährleisten, indem sie Dienstleistungen in den Bereichen Versicherung, Gesundheit und Betreuung anbieten. |
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3.2 |
Insgesamt wurden fast 40 verschiedene Organisationsformen von Gegenseitigkeitsgesellschaften in der EU ermittelt. Annähernd 95 % aller Gegenseitigkeitsgesellschaften teilen folgende fünf Strukturmerkmale:
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3.3 |
Der Marktanteil der Gegenseitigkeitsgesellschaften beträgt in Europa im Durchschnitt 15,8 % (12,8 % bei den Lebensversicherungen und 20,5 % bei den Nichtlebensversicherungen). Überdies erbringen die Gegenseitigkeitsgesellschaften Schätzungen zufolge Gesundheitsdienste und Sozialdienste für fast 230 Millionen Unionsbürger, von denen ca. 100 Millionen über die gesetzliche Krankenversicherung abgesichert sind. Sie zählen europaweit rund 3 50 000 Beschäftigte. Es ist allgemein anerkannt, dass die Wirtschaft von der Vielfalt ihrer Strukturen profitiert, da dadurch die Fähigkeit zur Reaktion auf Marktveränderungen verbessert wird. Außerdem sind die Gegenseitigkeitsgesellschaften in Krisenzeiten dank ihrer langfristigen Perspektive gegenüber den Kapitalgesellschaften im Vorteil. |
4. Allgemeine Bemerkungen zum Entwurf eines Statuts der Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft (EGG): Wozu ein Statut der Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft?
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4.1 |
In der Europäischen Union existiert nur für Aktiengesellschaften und Genossenschaften ein europäisches Statut; für Stiftungen als Form des Sozialunternehmens wird der Entwurf eines europäischen Statuts derzeit geprüft; für Gegenseitigkeitsgesellschaften gibt es kein europäisches Statut (4). |
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4.2 |
Die europäische Integration hat zu einer größeren Mobilität der Arbeitnehmer, Unternehmen und Bürger geführt. Die Abdeckung ihrer gesundheitlichen, sozialen und sonstigen Versicherungsrisiken muss im gesamten Unionsgebiet ohne Unterbrechung des Anspruchs, der Leistungen und des Schutzes gewährleistet werden können. |
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4.3 |
Die Kommission und der Rat beschäftigen sich derzeit mit den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (Basel III, Solvabilität II) sowie der Entsendung und Mobilität von Arbeitnehmern; seit 1. Januar 2014 ist eine neue Richtlinie über die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in den Mitgliedstaaten in Kraft. Die Gegenseitigkeitsgesellschaften der Mitgliedstaaten hätten indessen nur dann eine rechtliche Möglichkeit, an diesem europäischen Integrationsprozess und an der Entwicklung des Binnenmarktes teilzuhaben, wenn sie durch Umwandlung die Rechtsform einer Europäischen Genossenschaft oder einer Europäischen Aktiengesellschaft annehmen. Die Gegenseitigkeitsgesellschaften lehnen dies jedoch ab, und der EWSA fordert, die Vielfalt der Unternehmensformen — u. a. der sozialwirtschaftlichen Akteure — zu nutzen, um die wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften Europas zu erhalten. |
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4.4 |
Darüber hinaus ist der Aufsichtsrahmen für die Versicherungsunternehmen — Solvabilität II — ein weiteres Argument, das für ein Statut der EGG spricht: Ein solches Statut würde den Gegenseitigkeitsgesellschaften so genannte „Diversifizierungsvorteile“ bieten und ihnen die Tätigung von Rückversicherungs- und Vermögensverwaltungsgeschäften ermöglichen, um ihre Kosten zum Nutzen ihrer Mitglieder zu senken. |
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4.5 |
Die Gegenseitigkeitsgesellschaften haben keinen Zugang zu den Kapitalmärkten und brauchen daher gemeinsame Instrumente für die Zusammenarbeit u. a. auch auf europäischer Ebene, damit sie auf einem sehr wettbewerbsintensiven Markt nicht auf der Strecke bleiben. |
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4.6 |
Die Gegenseitigkeitsgesellschaften, die auf europäischer Ebene tätig sind, tun dies nicht allein wegen des Wettbewerbs oder zur Erschließung neuer Märkte, sondern hauptsächlich, um die Leistungen für ihre Mitglieder zu verbessern. |
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4.7 |
Die Gegenseitigkeitsgesellschaften bedürfen generell der offiziellen Anerkennung durch die EU, um ihnen eine rechtliche Grundlage zu geben und sie als Beteiligte des europäischen Integrationsprozesses zu legitimieren. |
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4.8 |
Mit einem Statut für eine EGG würde sowohl die Realität der Gegenseitigkeitsgesellschaften als auch ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung sowie ihre spezielle Rolle bei der Absicherung personenbezogener Risiken insbesondere im Sozialschutz- und Gesundheitsbereich anerkannt werden. |
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4.9 |
Zusammenfassend wünscht der EWSA, dass das Gegenseitigkeitsmodell durch eine kohärente rechtliche Regelung auf europäischer Ebene anerkannt wird, die seinem wirtschaftlichen Gewicht und seiner sozialen Bedeutung entspricht. Dies würde es überdies gestatten, unnötigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, Größenvorteile zu realisieren und das Gegenseitigkeitsmodell in allen EU-Mitgliedstaaten (auch in den vier Mitgliedstaaten, die keine Gegenseitigkeitsgesellschaften kennen) zu entwickeln, wobei dieses neue Statut wie auch die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit voll ausgeschöpft werden sollten. |
5. Besondere Bemerkungen zum Entwurf eines Statuts der EGG: Wie muss ein Statut der Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft aussehen?
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5.1 |
In Europa gibt es eine große Vielfalt an Gegenseitigkeitsgesellschaften (es wurden ca. 40 unterschiedliche Formen ermittelt), aber trotz ihrer Vielfalt verfolgen 95 % von ihnen die gleichen Grundsätze bei der Leitung. Der EWSA empfiehlt daher, dass sich das Statut auf die Verwaltung und nicht auf die Tätigkeiten bezieht. |
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5.2 |
Darüber hinaus würde es die Gruppenform der EGG ermöglichen, die Vielfalt der europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaften in ihrer Ursprünglichkeit zu erhalten: unter Beibehaltung der Strukturen können mithilfe dieses gemeinsamen Instruments Größenvorteile realisiert werden (Einkaufsgemeinschaften, gemeinsame Produkte). Um die nationale Vielfalt der Gestaltungsformen, durch die sich die Rechtsform der Gegenseitigkeitsgesellschaft europaweit auszeichnet, erhalten zu können, empfiehlt der EWSA, als prägendes Element eine größtmögliche Satzungs- und Gestaltungsfreiheit der Mitglieder zu statuieren. |
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5.3 |
Das Statut muss als optionales — fakultatives — Instrument ohne Auswirkungen auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften konzipiert werden. |
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5.4 |
Es muss unbedingt die Möglichkeit des Zusammenschlusses von Gegenseitigkeitsgesellschaften sowie des Ausbaus der grenzüberschreitenden Tätigkeiten vorgesehen werden, um die europäische Dimension des Gegenseitigkeitsmodells zu entwickeln. |
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5.5 |
Der Verordnungsentwurf muss folgende Möglichkeiten vorsehen:
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5.6 |
Die EGG unterliegt ebenso wie die nationalen Gegenseitigkeitsgesellschaften weiterhin den allgemeinen Bestimmungen der Mitgliedstaaten: Vorschriften für die Arbeitnehmerbeteiligung am Entscheidungsprozess, Arbeitsrecht, Steuerrecht, Wettbewerbsrecht, Recht des geistigen oder gewerblichen Eigentums, Insolvenzverfahren und Vorschriften über die Zahlungseinstellung. Besondere nationale Vorschriften zu der Tätigkeit der Gegenseitigkeitsgesellschaften und der Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden sollen auf die Europäische Gegenseitigkeitsgesellschaft uneingeschränkt Anwendung finden. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten und das Unionsrecht gelten somit in den oben genannten sowie in anderen nicht von dieser Verordnung erfassten Bereichen. |
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5.7 |
Die Bestimmungen bezüglich der Arbeitnehmerbeteiligung in der europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft sind in den Richtlinien über die Arbeitnehmerechte festgelegt, die eine untrennbare Ergänzung dieser Verordnung bilden und gleichzeitig anzuwenden sind. |
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5.8 |
Es sollte möglich sein, im Statut der EGG vorzusehen, dass die Generalversammlung aus Mitgliedern oder aus Stellvertretern der Mitglieder besteht. Hinsichtlich der Stimmrechte sollte neben der Gewährung eines gleichen Stimmrechts für jedes Mitglied („one man one vote“) auch eine unterschiedliche Stimmgewichtung vorzusehen möglich sein. |
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Study on the current situation and propects of mutuals in Europe (Studie über die gegenwärtige Lage und die Zukunft von Gegenseitigkeitsgesellschaften in Europa, nur auf EN) http://ec.europa.eu/enterprise/policies/sme/files/mutuals/prospects_mutuals_fin_en.pdf.
(2) http://ec.europa.eu/enterprise/policies/sme/promoting-entrepreneurship/social-economy/mutuals/index_en.htm.
(3) ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 22.
(4) EWSA-Stellungnahmen:
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— |
zum Statut der Europäischen Stiftung, ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 57; |
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— |
zum Thema Genossenschaften, ABl. C 234 vom 22.9.2005, S. 1; |
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— |
zum Statut der Europäischen Aktiengesellschaft, ABl. C 129 vom 27.4.1998, S. 1. |
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/21 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auswirkungen von Sozialinvestitionen auf die Beschäftigung und die öffentlichen Haushalte“ (Initiativstellungnahme)
2014/C 226/04
Berichterstatter: Wolfgang GREIF
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. September 2013 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
Auswirkungen von Sozialinvestitionen auf die Beschäftigung und die öffentlichen Haushalte
(Initiativstellungnahme).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 12. März 2014 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 26. März) mit 205 gegen 6 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Zusammenfassung
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1.1 |
Der EWSA begrüßt das Sozialinvestitionspaket der Kommission, vor allem den deklarierten Paradigmenwechsel, soziale Investitionen nicht einseitig als Kostenfaktor, sondern als Investitionen in die Zukunft zu sehen. |
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1.2 |
Darauf aufbauend beleuchtet der EWSA die mehrfachen positiven Effekte sozialer Investitionen, insbesondere für den Arbeitsmarkt und die öffentlichen Haushalte in folgenden Bereichen:
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1.3 |
Dabei werden positive Wirkungsketten dargelegt und aufgezeigt,
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1.4 |
Der soziale, ökonomische, fiskalische und gesellschaftliche Nutzen, d. h. die Mehrfachdividende sozialer Investitionen wird umso höher ausfallen, je besser sie in einen glaubwürdigen makroökonomischen und institutionellen Kontext eingebettet sind. |
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1.5 |
Mit einer konsequenten und erfolgreichen Implementierung eines breit angelegten Sozialinvestitionspaketes sind aus Sicht des EWSA folgende zentralen Forderungen verbunden:
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2. Einleitung
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2.1 |
Der EWSA vertritt die Position, dass es gerade in der Krise einen enormen, sozialen Investitionsbedarf gibt, um der zunehmenden Armutsgefährdung entgegenzuwirken, das auch ein hohes europaweites Beschäftigungspotenzial in sich birgt, das durch private und öffentliche Investitionen mobilisiert werden muss (1). |
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2.2 |
Der EWSA hat daher das Sozialinvestitionspaket der Kommission (2) begrüßt, mit dem die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, eine stärkere Fokussierung auf soziale Investitionen zu legen, vor allem den deklarierten Paradigmenwechsel, soziale Investitionen nicht einseitig als Kostenfaktor, sondern als Investitionen in die Zukunft zu sehen (3). |
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2.3 |
Hier wurde auch festgehalten, dass wirkungs- bzw. ergebnisorientierte und in der Praxis konsistent umgesetzte Sozialinvestitionen die Beschäftigungschancen der Menschen nachhaltig erhöhen und einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der beschäftigungspolitischen Europa-2020-Ziele leisten. |
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2.4 |
Daher forderte der EWSA die Kommission auch auf, einen konkreten Umsetzungsplan zum Sozialinvestitionspaket vorzulegen. |
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2.5 |
Als Schwachstelle der Kommissionsinitiative wurden offene Fragen zur Finanzierung festgehalten und angemerkt, dass ohne eine Änderung der vorherrschenden Politik der einseitigen Ausgabenkürzungen eine erfolgreiche Umsetzung der Vorschläge zu vermehrten Sozialinvestitionen nicht realistisch ist. |
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2.6 |
Hierauf baut diese Stellungnahme auf, wenn sie die mehrfachen positiven Effekte sozialer Investitionen, vor allem für den Arbeitsmarkt und die öffentlichen Haushalte, in den Blick nimmt und konkrete Forderungen und Empfehlungen zur Umsetzung des Sozialinvestitionspaketes aufzeigt. |
3. Allgemeine Bemerkungen zur „Mehrfachdividende“ sozialer Investitionen — sozialer, ökonomischer, fiskalischer und gesellschaftlicher Nutzen
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3.1 |
Die Kommission schreibt der Sozialpolitik drei zentrale Funktionen (4) zu: Unterstützung für Menschen in verschiedenen Risikolagen, Stabilisierung der Wirtschaft und Sozialinvestitionen. Diese Unterscheidung ist nicht als gegenseitige Abgrenzung zu sehen, sie zeigt vielmehr die Möglichkeiten einer aktiven Politikgestaltung auf. Dabei ist auf die Komplementarität sowohl der Politikfelder als auch auf die (institutionellen) Rahmenbedingungen zu achten, womit letztendlich auch die soziale Kohäsion ermöglicht wird. |
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3.2 |
Nicht nur im EWSA, zunehmend auch in der Forschung (5) und der EU-Politik hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Investitionen in den Wohlfahrtsstaat nicht nur sozialen Fortschritt bringen, sondern sich auch ökonomisch und fiskalisch rechnen (6). Gleichzeitig fehlen vergleichbare Standards, die helfen, sämtliche positiven externen Effekte von Sozialinvestitionen zu erfassen und zu bewerten. |
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3.3 |
Unbestritten ist aber, dass gut geplante, effektive und effiziente soziale Investitionen — in Abhängigkeit vom länderspezifischen Design und Umfang der gesetzten Maßnahmen — mehrfache positive Effekte bringen: bestehender sozialer Bedarf wird gedeckt und Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen, Chancengleichheit — auch zwischen den Geschlechtern — gefördert, zugleich kompensieren steigende Beschäftigung und sinkende Arbeitslosigkeit die anfallenden Kosten in erheblichem Ausmaß. Der investive Charakter von Sozialinvestitionen drückt sich darin aus, dass dabei zumeist nicht von unmittelbaren „Erträgen“ ausgegangen werden muss, aber im Zeitverlauf positive Wirkungen entfaltet werden (z. B. Bildungsinvestitionen, Kinderbetreuung, Gesundheitsförderung, lebensphasenorientierte Arbeitsbedingungen). |
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3.4 |
Die „Mehrfachdividende“ sozialer Investitionen wird umso höher ausfallen, je besser diese in einen komplementären, institutionellen und ganzheitlichen politischen Kontext eingebettet sind. Notwendig sind eine strategische Planung und ein strukturiertes Monitoring im Sinne der Europa-2020-Ziele. |
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3.5 |
Mit Blick auf die derzeit dramatische und in naher Zukunft kaum sinkende Arbeitslosigkeit kann eine Offensive bei sozialen Investitionen einen wichtigen Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung leisten. Die Ausschöpfung vorhandener Beschäftigungspotenziale erfordert die konsequente Verfolgung einer Politik, die Teilhabechancen in Wirtschaft und Gesellschaft eröffnet. Wirkungs- bzw. ergebnisorientierten sozialen Zukunftsinvestitionen, besonders dem Ausbau sozialer Dienstleistungen, dem allgemein weit höhere Beschäftigungseffekte zugeschrieben werden als jeder anderen Form des öffentlichen Mitteleinsatzes, kommt hier zentrale Bedeutung zu. |
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3.6 |
Neben den positiven Effekten am Arbeitsmarkt können Sozialinvestitionen die öffentlichen Haushalte entlasten, womit sie nicht in Konkurrenz zur Haushaltskonsolidierung stehen. Der EWSA hat bereits festgehalten, dass der Versuch, im Konjunkturabschwung die Haushaltkonsolidierung einseitig durch Kürzungen der Ausgaben zu erreichen, allgemein als gescheitert erachtet wird (7). Ein mittel- und langfristiger Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben gelingt eher dadurch, dass strukturelle Probleme mit Investitionen adressiert werden und so langfristig der Handlungsspielraum der öffentlichen Hand wieder größer wird. Aktuelle Analysen zeigen, dass die Förderung eines inklusiven Wachstums und eine Erhöhung der Beschäftigungsquoten entsprechend der Europa-2020-Ziele einen zusätzlichen Spielraum der Staatshaushalte EU-weit von bis zu 1 000 Milliarden EUR bringen würden (8). |
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3.7 |
Ferner ist zu beachten, dass „Nicht-Handeln“ besonders im Sozialbereich ebenfalls seinen „Preis“ hat und die Folgekosten unterlassener sozialer Investitionen oft vielfach höher sind. Dieser Gedanke, wonach Reparieren teurer ist als Prävention, findet sich auch in mehreren Kommissionsmitteilungen (9). Mit Sozialinvestitionen sind zwar kurzfristig Kosten, mittel- bis längerfristig aber Wohlfahrtsgewinne für die Gesellschaft und höhere Einnahmen für die Staatshaushalte verbunden, die zudem in der Zukunft liegende Kosten deutlich verringern (10). |
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3.8 |
Nicht alle Sozialausgaben sind per se auch Sozialinvestitionen. Manche Sozialleistungen haben grundsätzlich konsumtive Wirkung (z. B. Pensionen, Arbeitslosenunterstützung). Der EWSA hat jedoch stets die konsum- und konjunkturstützende Bedeutung von Investitionen in robuste soziale Sicherungssysteme (vor allem in Krisenzeiten) hervorgehoben, indem sie als automatische Stabilisatoren die Einkommen und die Nachfrage stützten und somit die Bewältigung der Krisen in Europa begünstigen (11). |
4. Beispiele zur Wirkung sozialer Investitionen
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4.1 |
Investitionen in soziale Dienste: Verstärkte Investitionen in die Bereitstellung und Förderung sozialer Infrastruktur (u. a. Pflege, Altenbetreuung, Gesundheit, Leistungen für Menschen mit Behinderungen, betreutes Wohnen, Beratungsstellen etc.) schaffen Arbeitsplätze, liefern zugleich einen wichtigen Beitrag zu höherer Erwerbsbeteiligung (12) und tragen mittel- bis langfristig zur Entlastung öffentlicher Haushalte (13) sowie zur Belebung der Regionalwirtschaft bei. Laut Kommissionsberechnungen ist bei einer jährlichen Wachstumsrate der Beschäftigung im Gesundheitsbereich von 0,5 % ein sektorales Beschäftigungswachstum von mindestens 1 Million Arbeitsplätze bis 2020 zu erwarten (14). Der EWSA hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es sich dabei im öffentlichen wie privaten Sektor um Arbeitsplätze mit hochwertigen Beschäftigungsverhältnissen und fairer Bezahlung handeln muss (15). |
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4.2 |
Investitionen in Kinderbetreuung: Zahlreiche Studien zeigen am Beispiel der Kinderbetreuung, dass durch zielgerichtete Investitionen sozialer Fortschritt mit einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit verbunden werden kann (16). Neue Berechnungen weisen aus, dass öffentliche Investitionen zur Erreichung der Barcelona-Ziele im Bereich der Kinderbetreuung neben beträchtlichen Beschäftigungseffekten auch deutliche Mehreinnahmen für die öffentliche Hand bringen. Beispielsweise zeigt eine Studie (17) für Österreich, dass die Investitionskosten selbst unter Berücksichtigung schwacher Konjunkturaussichten nach vier Jahren niedriger ausfallen als die erzielten Erträge. Die öffentlichen Haushalte profitieren dabei von komplementären Effekten: konjunktureller und regionalpolitischer Impulse, steigender direkter Beschäftigung, sinkender Kosten für Arbeitslosenunterstützung u. a.m. Der EWSA würde verstärkte Forschungsaktivitäten und einen intensivieren Best-Practice-Austausch auch auf diesem Gebiet begrüßen. |
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4.3 |
Investitionen in Kinder: Die Kommission fordert vorbeugende Maßnahmen durch frühzeitige Investitionen, um die Entwicklungsmöglichkeiten und Teilhabechancen von Kindern (nicht nur mit benachteiligtem sozio-ökonomischen Hintergrund) zu verbessern (18). In ihrer Empfehlung „Investitionen in Kinder“ zeigt die Kommission, dass vorbeugende Investitionen gegen Kinderarmut durch eine Palette von Maßnahmen zu erreichen sind. Dabei werden die positiven Effekte des Ausbaus qualitativ hochwertiger Betreuungseinrichtungen verdeutlicht: Förderung der Begabungen, reduziertes Risiko eines frühen Schulabbruchs, bessere Erwerbschancen besonders für Frauen sowie Wachstumsimpulse auf regionaler Ebene (19). |
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4.4 |
Investitionen in Bildung und Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit: Ein zukunftsfähiges Europa kann nur mit einem höheren Bildungsniveau und dem Abbau von Defiziten im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung gelingen. Bildungsinvestitionen, die den Bedürfnissen der Menschen und der Wirtschaft gerecht werden, führen zu höherer Produktivität und höheren Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen. OECD-Berechnungen zur Verzinsung öffentlicher Bildungsausgaben weisen einen Ertragswert im Schnitt von 7,8 % aus (20). Die Förderung der Jugendbeschäftigung muss ein zentraler Bestandteil nationaler Strategien für soziale Investitionen sein. Zu Recht werden die Mitgliedstaaten angehalten, schlagkräftige Maßnahmen für junge Menschen zu entwickeln, vor allem für jene, die sich nicht in Beschäftigung oder Ausbildung befinden (NEETs). Die wirtschaftlichen Verluste aufgrund der Trennung junger Menschen vom Arbeitsmarkt bzw. vom Bildungssystem werden von Eurofound auf jährlich über 150 Milliarden EUR oder 1,2 % des europäischen BIP geschätzt (21). |
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4.5 |
Investitionen in die Förderung von Beschäftigung: Hohe Arbeitslosigkeit — vor allem Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit — stellen nicht nur für die Betroffenen und deren Angehörige eine hohe Belastung dar. Auch für die öffentlichen Haushalte ist eine Verfestigung der Arbeitslosigkeit eine große Herausforderung, der durch Qualifizierungsmaßnahmen und Beschäftigungsförderung begegnet werden muss (22). Je länger Arbeitslosigkeit dauert, umso schwerer wird es, eine geeignete Abstimmung zwischen Arbeitsangebot- und -nachfrage zu erreichen. Gerade in einer wissens- und technologiebasierten Wirtschaft sind Qualifikationsdefizite und fehlende Arbeitspraxis ein entscheidendes Hemmnis, um dauerhaft am Arbeitsmarkt zu reüssieren. |
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4.6 |
Investitionen in die Bewältigung des demografischen Wandels und die Verbesserung der Erwerbschancen Älterer: Der EWSA hat mehrfach festgehalten, dass der Arbeitsmarkt der zentrale Schlüssel zur Bewältigung des demografischen Wandels ist. Wird das vorhandene Beschäftigungspotenzial besser genutzt, kann das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern trotz des Anstiegs der Zahl der Älteren weitgehend stabil gehalten werden (23). Trotz absehbarer Verschiebung der Altersstruktur wurde bisher jedoch in vielen EU-Ländern unzureichend in die Bedingungen für eine alternsgerechte Arbeitswelt (Schaffung lebensphasenorientierter Arbeitsbedingungen) und die Verbesserung der Erwerbsbeteiligung investiert. |
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4.7 |
Investitionen in gesundheitliche Prävention und Rehabilitation: Positive Effekte lassen sich auch für die betriebliche und überbetriebliche Gesundheitsförderung beschreiben, da die Beschäftigungsfähigkeit und das Risiko, arbeitslos zu werden, eng mit der physischen und psychischen Gesundheit verbunden sind. Wird versäumt, rechtzeitig Gefährdungslagen zu erkennen und zu intervenieren, entstehen nicht nur individuelles Leid, sondern auch hohe gesellschaftliche Kosten. Zur Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte muss verstärkt in Prävention investiert werden. |
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4.8 |
Investitionen in den sozialen Wohnungsbau: Wie das Europäische Parlament und der Ausschuss der Regionen sieht auch der EWSA im sozialen Wohnungsbau einen Schlüssel für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und fordert hier einen europäischen Rahmen (24). Dabei muss das Prinzip der Subsidiarität dahin gehend gewährt bleiben, dass die Mitgliedstaaten weiterhin selbst die Kriterien für den sozialen Wohnungsbau definieren können. Mit solchen Investitionen wird einem drängenden sozialen Bedarf (vor allem im Bereich Armutsbekämpfung und soziale Eingliederung) entsprochen, zugleich werden Arbeitsplätze in den Regionen geschaffen, wodurch die Wirtschaft stabilisiert und z. B. über Investitionen in die thermische Sanierung ein Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels und der Energiearmut geleistet wird (25). |
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4.9 |
Investitionen in eine barrierefreie Gesellschaft: Der EWSA hat bereits mehrfach die Notwendigkeit der Förderung einer barrierefreien Gesellschaft hervorgehoben (26). Ein Schwerpunkt sozialer Investitionen sollte in diesem Sinn u. a. auf Investitionen in die Schaffung alterns- und behindertengerechter öffentlicher Räume und Wohnungen, entsprechender Infrastrukturen zur Förderung der Mobilität sowie der Schaffung leicht zugänglicher, bezahlbarer und qualitativ hochwertiger sozialer Dienste für benachteiligte gesellschaftliche Gruppen gelegt werden. |
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4.10 |
Investitionen in soziales Unternehmertum: Der EWSA begrüßt, dass die Kommission die wichtige Rolle der Sozialwirtschaft bei der Umsetzung des Sozialinvestitionspakets anerkennt. Oft ist sie direkt an der Umsetzung beteiligt. Um diese Aufgaben zu unterstützen, müssen öffentliche Mittel und privates Kapital einfacher — und auch auf für sozialwirtschaftliche Geschäftsmodelle geeignete Art und Weise — zugänglich gemacht werden. Innovative Finanzierungsmöglichkeiten, etwa durch die Beteiligung des privaten Sektors, sollen von den Mitgliedstaaten stärker genutzt werden, was auch zu Haushaltseinsparungen führen könnte (27). Der EWSA betont aber erneut, dass dies keinesfalls zu einer Kommerzialisierung der Sozialpolitik — oder einem fragmentierten sozialpolitischen Ansatz — führen darf. Der Staat darf sich nicht aus seiner sozialpolitischen Verantwortung stehlen (28). |
5. Politikempfehlungen
5.1 Kurswechsel zu präventiven sozialen Investitionen bedarf Abkehr von einseitiger, strikter Sparpolitik.
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5.1.1 |
Aus Sicht des EWSA trägt die Ausweitung sozialer Dienste mehr zur Beschäftigung bei als jede andere Form öffentlicher Ausgaben. Er drängt daher darauf, den Wohlfahrtsstaat in Europa fortschrittlich und nachhaltig weiterzuentwickeln, um sein Potenzial als zusätzliche Produktivkraft der europäischen Wirtschaft entfalten zu können. |
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5.1.2 |
Eine erfolgreiche Implementierung und Umsetzung eines breit angelegten Sozialinvestitionspaketes bedarf einer glaubwürdigen makroökonomischen und institutionellen Einbettung. Ohne eine Änderung der Politik einseitiger Ausgabenkürzungen ist vor allem eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration sowie eine faire gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe möglichst breiter Teile der Gesellschaft nicht erreichbar. |
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5.1.3 |
Im Licht des Sozialinvestitionspakets und der damit verbundenen Herausforderungen unterstreicht der EWSA daher die Forderung zur Verwirklichung eines europäischen Konjunktur- und Investitionsprogramms in Höhe von 2 % des BIP (29). |
5.2 Ohne finanzielle Sicherstellung sind die sozialen und wirtschaftlichen Potenziale sozialer Investitionen nicht auszuschöpfen.
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5.2.1 |
Ein glaubwürdiger Paradigmenwechsel in Richtung investiver und präventiver Strategien in zentralen Handlungsfeldern (u. a. Bildungs-, Sozial-, Arbeitsmarkt-, Gesundheitspolitik) ist erst dann gegeben, wenn die Finanzierung sichergestellt ist — sowohl im EU-Haushalt als auch in den Haushalten der Mitgliedstaaten. |
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5.2.2 |
Der EWSA wiederholt seine Überzeugung, dass im Rahmen anstehender Haushaltskonsolidierungen daher nicht nur auf die Ausgabenseite geachtet werden darf, sondern im Verbund mit einer Steigerung der Effizienz und Effektivität öffentlicher Ausgaben auch die Erschließung neuer Einnahmequellen unumgänglich ist (30). Der EWSA ist in diesem Zusammenhang der Ansicht, dass es einer Stärkung der Steueraufkommensbasis der Mitgliedstaaten bedarf, u. a. durch Erhebung von Finanztransaktionssteuern, mittels Schließung von Steueroasen, der Beendigung des Steuersenkungswettlaufs sowie durch Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung. Darüber hinaus ist wohl ein generelles Überdenken der Steuersysteme angebracht, wobei Fragen hinsichtlich der Beiträge unterschiedlicher Arten von Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen sein werden (31). |
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5.2.3 |
Zwar unterstützt der EWSA die Ansichten der Kommission, dass der Europäische Sozialfonds (ESF) als Hauptinstrument zur Förderung sozialer Investitionen dienen soll und 20 % des ESF in jedem Mitgliedstaat für soziale Eingliederung und Bekämpfung von Armut vorgemerkt werden müssen. Der Ausschuss sieht aber auch andere EU-Fonds gefordert. So sollen sowohl aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds (ELER) als auch aus dem Europäischen Regionalfonds (EFRE) substanzielle Mittel für soziale Dienste wie Kinderbetreuung, Pflege oder Mobilität im ländlichen Raum eingesetzt und in den nationalen Vereinbarungen verankert werden. |
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5.2.4 |
Äußerst kritisch sieht der EWSA Konditionalitäten im Rahmen der Economic Governance, die Kürzungen der Kohäsionsmittel als Strafzahlung bei Nichteinhaltung von EU-Vorgaben im makroökonomischen Bereich vorsehen. Das wirkt sich nicht nur prozyklisch und restriktiv auf die wirtschaftliche Entwicklung aus, sondern erschwert gerade in den Programmländern zusätzlich notwendige Investitionen. Demgegenüber müssen Wachstumsimpulse gesetzt und Unterstützung geliefert werden, den europäischen Ko-Finanzierungsanteil vor allem in Ländern, die besonders von der Wirtschaftskrise betroffen sind, weiter zu erhöhen. |
5.3 Sozialinvestitionen müssen Fixpunkte in der Europa-2020-Strategie und im Europäischen Semester werden.
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5.3.1 |
Der EWSA fordert eine stärkere Fokussierung auf soziale Investitionen im Koordinierungsprozess des Europäischen Semesters. Diese neue Schwerpunktsetzung muss in den Jahreswachstumsberichten und den länderspezifischen Empfehlungen explizit berücksichtigt werden. Dabei ist klarzustellen, dass verstärkte Sozialinvestitionen mit einer wachstumsfreundlichen Haushaltskonsolidierung in Einklang stehen. |
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5.3.2 |
Zur Erreichung dieses Ziels unterstützt der EWSA die angelaufene Diskussion innerhalb der EU-Kommission zur Anwendung der sogenannten goldenen Finanzierungsregel („golden rule“), im Kontext des fiskalischen Regelwerks der WWU Zukunftsinvestitionen der öffentlichen Hand aus der Berechnung der staatlichen Nettodefizite auszunehmen. Damit wird vermieden, dass Investitionen mit langfristigen Nettogewinnen unterbleiben. Der EWSA regt an, eine Diskussion darüber zu führen, ob die goldene Finanzierungsregel auch auf mit EU-Strukturfondsmitteln geförderte Sozialinvestitionen Anwendung finden könnte. |
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5.3.3 |
Die Förderung von Sozialinvestitionen muss auch ein zentrales Element bei der Überarbeitung der Integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung im Zuge der Halbzeitüberprüfung der Europa-2020-Strategie im Jahr 2014 sein. |
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5.3.4 |
Für den EWSA ist es unumgänglich, alle Akteure, in deren Kompetenz die Umsetzung sozialer Investitionen fällt, auf allen Ebenen stärker zu konsultieren, zu informieren sowie an der Beschlussfassung und am Monitoring zu beteiligen. |
5.4 Bessere Methodik und effizientere Instrumente zur Erfolgsmessung der Strategie vermehrter Sozialinvestitionen.
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5.4.1 |
Die Entscheidungsgrundlagen für die künftige Politikausrichtung müssen qualitativ besser und ganzheitlicher werden. Generell ist ein zeitlich dynamischer, lebenszyklusorientierter und präventiver Zugang im Kontext der Sozialinvestitionen anzustreben, der ein höheres Maß an Kostenwahrheit bietet als bloße statische Kosten-Nutzen-Analysen (32). |
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5.4.2 |
Angesichts komplexer Zusammenhänge zwischen verschiedenen Politikfeldern werden eine bessere Methodik zur Erfolgsmessung und eine höhere Transparenz, z. B. in Form von Kosten-Nutzen-Relationen mit einem gesamtgesellschaftlichen Nutzen-Begriff oder Szenarienbeschreibungen verschiedener Politik-Maßnahmen im Zeitverlauf unter Berücksichtigung mittel- und langfristiger Perspektiven, benötigt. |
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5.4.3 |
Ein möglicher erster Schritt wäre eine methodische Weiterentwicklung bestehender standardisierter Langfristprojektionen in einzelnen, auch demografiebezogenen Ausgabenbereichen (z. B. Bildung, Pflege, Gesundheit, Pensionen). Der Ageing-Report 2015 wäre ein geeigneter Anlass, die „Erträge“ der nach nationalen Gegebenheiten erforderlichen und budgetierten Sozialinvestitionen abzubilden. Dies wurde bisher vernachlässigt und hat stets zu verzerrten und überhöhten Kostendarstellungen geführt. |
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5.4.4 |
Offen ist auch, welche Bedeutung den Sozialindikatoren im bestehenden institutionellen Rahmen der WWU zukommen soll. Soll ihnen in der politischen Ausrichtung eine reale Bedeutung zukommen, ist jedenfalls eine Verfeinerung der Indikatoren anzustreben. |
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5.4.5 |
Von Interesse findet der EWSA auch die Forderung des Europäischen Parlaments (33) an die Kommission, einen Anzeiger gängiger Indikatoren für soziale Investitionen zu entwickeln, der einen Alarmmechanismus zur Überwachung des Fortschritts in den Mitgliedstaaten umfasst, sowie seine Aufforderung an diese, die Unterzeichnung eines „Pakts für soziale Investitionen“ zu prüfen, mit dem Investitionsziele festgelegt werden und ein Kontrollmechanismus geschaffen wird. |
5.5 Überarbeitung und Konkretisierung der Policy-Roadmap zur Umsetzung des Sozialinvestitionspaketes
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5.5.1 |
Der EWSA befindet die von der Kommission vorgelegte Policy-Roadmap zur Umsetzung des Sozialinvestitionspaketes für zu defensiv und fordert sie deshalb auf, einen konkreteren und längerfristig angelegten Fahrplan (zumindest bis 2020) vorzulegen. |
Brüssel, den 26. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 11, vom 15.1.2013, S. 8.
(2) COM(2013) 83 final.
(3) ABl. C 271, vom 19.9.2013.
(4) COM(2013) 83 final, S. 3.
(5) Social and employment policies for a fair and competitive Europe — Background paper, Foundation Forum 2013, Eurofound, Dublin, S. 16.
(6) s. Fußnote 4.
(7) s. Fußnote 3.
(8) EPC Issue Paper No. 72, Nov. 2012.
(9) MEMO/03/58 v. 19.3.2003 bzw. COM(2013) — IP/13/125.
(10) u. a. COM(2013) 83 final, S. 2.
(11) ABl. C 133, vom 9.5.2013, S. 44, Ziffer 4.4.2.
(12) Drivers of Female Labour Force Participation in the OECD, OECD Social, Employment and Migration Working Papers 145, OECD Publishing, Thévenon Olivier (2013).
(13) „Ergebnis der Studie: jeder 2010 in die Mobilen Dienste investierte Euro schafft einen Gegenwert von 3,70 EUR“, S.9, Studie zum gesellschaftlichen und ökonomischen Nutzen der mobilen Pflege- und Betreuungsdienste in Wien mittels einer SROI-Analyse, Schober, C. et al, Wien (2012).
(14) SWD (2012) 95 final.
(15) ABl. C 11, vom 15.1.2013, Ziffer 4.7.5.
(16) Zur ökonomischen Notwendigkeit eines investiven Sozialstaates, WIFO, Famira-Mühlberger, U (2014), Wien.
(17) Investiver Sozialstaat Wachstum, Beschäftigung und finanzielle Nachhaltigkeit Volkswirtschaftliche und fiskalische Effekte des Ausbaus der Kinderbetreuung in Österreich, AK Europa (2013), Brüssel bzw. Eurofound (Ref.: EF1344)).
(18) Vgl. The rate of return to the HighScope Perry Preschool Program, Journal of Public Economics , Heckman, J.J., et al. (2010), Vol. 94 (1-2), S. 114-128.
(19) COM(2013) 778 final.
(20) s. Fußnote 18.
(21) Junge Menschen und NEETs in Europa: Erste Ergebnisse, Eurofound (EF1172EN).
(22) Why invest in employment? A study on the cost of unemployment, Brüssel, Idea Consult (2012).
(23) ABl. C 376, vom 22.12.2011, S. 74.
(24) EP-Entschließung vom 11.6.2013 (2012/2293(INI)), ABl. C 9 vom 11.1.2012, S. 4.
(25) EP-Entschließung zur Kommissionsmitteilung zu den Sozialinvestitionen (PE508.296v01-00).
(26) s. u. a. TEN/515 „Accessibility as a human right“ (noch nicht publiziert) und ABl. C 44 vom 15.02.2013, S. 28.
(27) s. Fußnote 3.
(28) ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 91.
(29) Vgl. ABl. C 133 vom 9.5.2013, S.77, Ziffer 3.2.4.
(30) Vgl. ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 94, Ziffer 4.3.
(31) Vgl. ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 23, Ziffer 6.1.3.1.
(32) Vgl. Europäische Kommission, Social Agenda, Mai 2013, S. 15.
(33) s. Fußnote 27.
III Vorbereitende Rechtsakte
EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS
497. Plenartagung des EWSA vom 25./26. März 2014
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/28 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission „Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes und optimale Nutzung staatlicher Interventionen“
(C(2013) 7243 final)
2014/C 226/05
Berichterstatter: Pierre-Jean COULON
Mitberichterstatter: Sorin IONIŢĂ
Die Europäische Kommission beschloss am 5. August 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission: Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes und optimale Nutzung staatlicher Interventionen
C(2013) 7243 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. März 2014 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 135 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
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1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die neue Mitteilung, die den Mitgliedstaaten Orientierungshilfen für die optimale Nutzung staatlicher Interventionen an die Hand geben soll. Dies bietet die Gelegenheit, die Maßnahmen im Lichte der Erfahrungen der Mitgliedstaaten neu auszurichten und die Integration des europäischen Elektrizitätsmarktes voranzubringen, indem der Schwerpunkt deutlicher auf die Vorteile für die Bürger (insbesondere die schutzbedürftigsten) und die Bekämpfung von Energiearmut in der EU gelegt wird. |
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1.2 |
Der Ausschuss empfiehlt eine Klarstellung der Begriffe „staatliche Intervention“ und „staatliche Beihilfe“. Für die bestmögliche Nutzung staatlicher Interventionen sollten diese Interventionen oder Beihilfen nicht systematisch verringert oder aufgestockt, sondern vielmehr optimal eingesetzt werden. |
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1.3 |
Der Ausschuss fordert ein kohärenteres europäisches Konzept für staatliche Interventionen auf nationaler und lokaler Ebene, um etwaigen kontraproduktiven Auswirkungen vorzubeugen. |
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1.4 |
Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, darauf zu achten, dass die in dieser Mitteilung enthaltenen Ziele nicht die Verwirklichung der für 2020 gesetzten Ziele beeinträchtigen. |
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1.5 |
Ein stärker integrierter, vernetzter und flexibler Strommarkt sollte Vorteile für Erzeuger und Verbraucher bringen (u. a. KMU, Handwerker und sonstige Kleinerzeuger). An den nationalen Grenzen erheben sich jedoch nach wie vor gewaltige Hürden durch Vorschriften, Übertragungskapazitäten, Preisstruktur usw. |
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1.6 |
Der Ausschuss betont, dass die Transportinfrastrukturen und die Stromverbindungen dringend ausgebaut werden müssen. |
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1.7 |
Der Ausschuss unterstützt die Idee, die Beihilferegelungen für erneuerbare Energien zu europäisieren, und fordert die Europäische Kommission auf, verstärkt Mechanismen für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu entwickeln, um die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Förderung voranzubringen. |
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1.8 |
Der Ausschuss betont, dass die Förderregelungen für neue Technologien mit zunehmendem Reifegrad überprüft werden sollten. Die Europäische Kommission sollte eine klare Bestimmung des Begriffs „ausgereifte Energiequelle“ bieten, die den Entwicklungen angepasst werden kann. |
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1.9 |
Der Ausschuss stimmt der Aussage zu, dass der Elektrizitätsbinnenmarkt kein Selbstzweck ist. Er muss zum Vorteil aller Verbraucher, insbesondere der schutzbedürftigsten, konzipiert sein. Der Ausschuss befürwortet die Idee, EU-Maßnahmen auszuarbeiten, damit die Verbraucher als wichtige Akteure auf dem europäischen Elektrizitätsmarkt selbstbestimmt handeln und als „Verbraucher-Akteure“ auftreten können. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, ihre diesbezüglichen Bemühungen zu intensivieren und Maßnahmen und Initiativen zur bestmöglichen Nutzung staatlicher Interventionen zur Bekämpfung von Energiearmut auszuarbeiten. |
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1.10 |
Der Ausschuss betont, dass Strom ein grundlegendes Gemeingut ist und als solches bewirtschaftet werden muss. Im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse kann ein Mitgliedstaat bestimmte gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen daran knüpfen. Der universelle Zugang zu Energie sollte im Mittelpunkt der europäischen Energiepolitik stehen und im Vertrag verankert werden. Im Interesse des Wettbewerbs sollte die bestmögliche Nutzung staatlicher Interventionen nicht zu einer Verringerung oder Beschränkung der von den Mitgliedstaaten festgelegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen führen. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, in diesem Punkt besonders wachsam zu sein und Maßnahmen zu ergreifen, um die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen trotz der aktuellen Sparzwänge besser zu gewährleisten und zu verstärken. |
2. Einleitung
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2.1 |
Die Europäische Union hat sich 2008 ehrgeizige Energie- und Klimaziele gesetzt (die so genannten „20-20-20-Ziele“). Der neue, am 22. Januar 2014 vorgestellte Rahmen für die Energie- und Klimapolitik bis 2030 wird demnächst in einer eigenen Stellungnahme behandelt. Die Mitgliedstaaten haben Fortschritte bei der Verwirklichung der Ziele für erneuerbare Energien (EE) gemacht, im Wesentlichen aufgrund staatlicher Interventionen. |
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2.2 |
Außerdem nannten die EU-Staats- und Regierungschefs im Februar 2011 die Vollendung des Energiebinnenmarkts bis 2014 als Ziel. Die Europäische Kommission hat seither eine Reihe dahingehender Dokumente vorgelegt. So veröffentlichte sie am 15. November 2012 eine Mitteilung „Ein funktionierender Energiebinnenmarkt“ mit einer Anfangsbewertung des Energiebinnenmarkts und einem Aktionsplan für seine Vollendung. Im Anschluss daran fand eine öffentliche Anhörung zu Energiebinnenmarkt, Angemessenheit der Energieerzeugungskapazitäten und Kapazitätsmechanismen statt. |
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2.3 |
Am 5. November 2013 veröffentlichte die Europäische Kommission eine weitere Mitteilung „Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes und optimale Nutzung staatlicher Interventionen“, flankiert von fünf Arbeitspapieren der Kommissionsdienststellen, die Leitlinien für Kapazitätsmechanismen, für Erneuerbare-Energien-Förderregelungen, für Kooperationsmechanismen zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich erneuerbarer Energien und für Demand Response-Lösungen enthalten. |
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2.4 |
Die Europäische Kommission stellt fest, dass die Errichtung des Binnenmarkts und die Bemühungen zur Verwirklichung der Energie- und Klimaziele neue Herausforderungen mit sich gebracht haben, die neue Formen staatlicher Interventionen, in erster Linie auf nationaler Ebene, erforderlich machen — daher das Bestreben, erneuerbare Energien zu entwickeln und zu fördern, angemessene Erzeugungskapazitäten sicherzustellen usw. |
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2.5 |
Die Europäische Kommission will den Mitgliedstaaten mit dieser Mitteilung Leitlinien an die Hand geben, wie sie das Mittel der staatlichen Intervention am besten nutzen, bestehende Interventionsmaßnahmen anpassen und neue Maßnahmen konzipieren können. Wenn staatliche Interventionen nicht wohldurchdacht sind, besteht die Gefahr, dass sie erhebliche Marktstörungen verursachen und die Energiepreise für Haushalte und Unternehmen gleichermaßen in die Höhe treiben. Sie hat daher eine Liste von Maßnahmen erstellt, die vor jedweder staatlicher Intervention ergriffen werden müssen: Feststellung eines spezifischen Problems und seiner Ursache sowie Nachweis, dass der Markt dieses Problem nicht lösen kann; Bewertung potenzieller Wechselwirkungen mit anderen Zielen der Energiepolitik und Koordinierung der verschiedenen staatlichen Instrumente; Prüfung alternativer Optionen; Minimierung der Auswirkungen auf die Stromnetze; Interventionskosten niedrig halten; Berücksichtigung der Kosten für Erzeuger und Privathaushalte; Monitoring, Evaluierung und schrittweise Rücknahme dieser Maßnahmen, sobald das Ziel erreicht wurde. |
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2.6 |
Die Europäische Kommission will damit stufenweise einen europäischen Energiemarkt schaffen, in dem Angebot und Nachfrage korrekt funktionieren, Preissignale im Einklang mit den politischen Zielen stehen, die Akteure gleiche Wettbewerbsbedingungen vorfinden und die Energieerzeugung effizient ist. Mit zunehmendem Reifegrad sollten Technologien allmählich den Marktpreisen ausgesetzt und Fördermaßnahmen mit der Zeit eingestellt werden. In der Praxis wird dies das Auslaufen von Einspeisetarifen und den Übergang zu Einspeiseprämien und weiteren Förderinstrumenten bedeuten, die einen Anreiz für die Erzeuger bieten, um auf Markttendenzen zu reagieren. Die Europäische Kommission fordert die Mitgliedstaaten außerdem auf, ihre EE-Strategien besser zu koordinieren, um die Kosten für die Verbraucher — Energiepreise und Steuern — zu senken. Förderregelungen sollten enger aufeinander abgestimmt sein. |
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2.7 |
Auch wenn die Mitteilung nicht rechtlich bindend ist, werden darin die Grundsätze festgelegt, die die Europäische Kommission bei der Bewertung staatlicher Interventionen in Verbindung mit EE-Förderregelungen, Kapazitätsmechanismen und Maßnahmen zur Anpassung der Verbrauchernachfrage anwenden wird. Diese Grundsätze werden sich daher auf die Anwendung der EU-Regeln für staatliche Beihilfen und die Umsetzung der EU-Energierechtsvorschriften auswirken. Die Europäische Kommission will außerdem Rechtsinstrumente vorschlagen, um die umfassende Anwendung dieser Grundsätze zu gewährleisten. |
3. Bemerkungen
3.1 Der Ausschuss hat konsequent betont, dass der Energiebinnenmarkt eine Chance ist und jedwede Maßnahme ergriffen werden muss, um sicherzustellen, dass er den Unternehmen und Haushalten Nutzen bringt, wobei die Zivilgesellschaft eng eingebunden werden muss, um Energiearmut zu verhindern bzw. zu bekämpfen (1).
Auf dem Weg zu einem Binnenmarkt: Abbau der Grenzen
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3.2 |
Der Ausschuss hat die Initiativen der Europäischen Kommission zur Vollendung des Energiebinnenmarkts stets befürwortet. Hierfür unterstützt er auch den Grundsatz der Errichtung einer europäischen Energiegemeinschaft, mit der die gemeinsame Governance von Energiefragen am besten gestärkt werden kann, indem Solidarität, Zusammenarbeit und Integration insbesondere in Markt- und Infrastrukturfragen gefördert werden. |
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3.3 |
Es kann erst dann einen Binnenmarkt geben, wenn die „nationalen Grenzen“ für den Energiehandel gefallen sind; grenzüberschreitende Kapazitäten sollten wie innerstaatliche Leitungen oder Trassen gehandhabt werden. In der Mitteilung sollte außerdem betont werden, dass nicht nur unterschiedliche nationale Vorschriften nach wie vor ein erheblicher Hemmschuh für die tatsächliche Abschaffung nationaler Grenzen im Energiebinnenmarkt sind, sondern auch der Zugang zu grenzüberschreitenden Kapazitäten. So könnte beispielsweise die allgemeine Anwendung eines „Entry-Exit-Modells“ für die Bepreisung und Allokation von Übertragungskapazitäten in sämtlichen Mitgliedstaaten den grenzüberschreitenden Handel ankurbeln; dies wäre einem Transportpfadmodell vorzuziehen, da damit Anreize für Übertragungsnetzbetreiber geschaffen werden, in den Abbau von Stromengpässen zwischen Versorgungsgebieten zu investieren. Dies würde allen Marktakteuren zugute kommen, auch auf den Märkten für intermittierende erneuerbare Energien. Die Europäische Kommission und die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) müssen ebenso wie das europäischen Net der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO) Allokationsmechanismen überarbeiten und den Übertragungsnetzbetreibern Verpflichtungen in Bezug auf Ein- und Ausspeisekapazitäten auferlegen. Mittels einer Überprüfung muss sichergestellt werden, dass die Energieströme zwischen den Mitgliedstaaten nicht durch potenzielle „künstliche Engpässe“ an nationalen Grenzen beeinträchtigt werden. Derartige „künstliche Engpässe“ können infolge protektionistischer Maßnahmen von Mitgliedstaaten mit dem Ziel einheitlicher Inlandstarife oder potenziellen gewerblichen Missbrauchs durch nationale Übertragungsnetzbetreiber entstehen, die inländische Stromengpässe an die Grenzen ihrer Versorgungsgebiete verschieben. Derartige Vorschriften wären ein Anreiz für Übertragungsnetzbetreiber, in einen besseren grenzüberschreitenden Verbund der Übertragungsnetzleitungen zu investieren. |
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3.4 |
Der Ausschuss fordert eine Verbesserung der Stromverbindungsleitungen zur Vollendung des Energiebinnenmarkts. Er unterstützt Initiativen für eine flexiblere Nutzung und erhöhte Effizienz der Stromnetze mit Blick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und befürwortet daher Kooperationsprojekte wie Coreso, der Vorläufer einer europäischen Stromnetzleitstelle. |
Erneuerbare Energien und angemessene Stromerzeugung
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3.5 |
Der Ausschuss hat außerdem konsequent die zunehmende Nutzung erneuerbaren Energien gefordert (2). Er unterstützt auch die Vorschläge des „Energiefahrplans 2050“. |
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3.6 |
Die EE-Förderregelungen wurden zu einem Zeitpunkt festgelegt, als der Anteil der erneuerbaren Energien gering war und die Technologie noch in den Kinderschuhen steckte. Heute hat der EE-Anteil am Energiemix beträchtlich zugenommen und wird auch langfristig weiter steigen. Der Ausschuss stimmt mit der Europäischen Kommission überein, dass staatliche Interventionen unter gebührender Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und unter Berücksichtigung des Reifegrads der Energiequellen und -technologien bewertet werden müssen. Er ist jedoch der Meinung, dass die Europäische Kommission eine klare Definition des Begriffs „ausgereifte Energiequelle“ vorgeben sollte, die dann auf der Grundlage der technischen Fortschritte zu überarbeiten ist. Er hält ferner fest, dass bei der Bewertung und Anpassung von EE-Förderregelungen sichergestellt werden muss, dass die Bürger, insbesondere die schutzbedürftigsten, umfassend vom europäischen Strommarkt profitieren können. Dabei muss dafür Sorge getragen werden, dass diese Anpassung der Förderregelungen die Verwirklichung der Europa-2020-Ziele nicht beeinträchtigt. Der Ausschuss empfiehlt, dass die Europäische Kommission diesem Aspekt bei der Ausarbeitung der neuen EU-Leitlinien für staatliche Beihilfen im Umwelt- und Energiebereich Rechnung trägt. |
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3.7 |
Außerdem sollten Förderregelungen für ausgereifte Technologien schrittweise eingestellt werden, gleichzeitig aber auch wirksam mit der Entwicklung eines funktionierenden Emissionsmarkts koordiniert werden. Der Ausschuss pflichtet der Europäischen Kommission darin bei, dass die EE-Förderung flexibel, verhältnismäßig, rückläufig und wettbewerbsfähig sein sollte, damit erneuerbare Energien zunehmend auf Marktsignale reagieren und mit konventionellen Brennstoffen konkurrieren können. Die direkte EE-Förderung sollte schrittweise durch einen gut funktionierenden Emissionshandel ersetzt werden und dementsprechend auslaufen. |
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3.8 |
Der Ausschuss begrüßt die Kommissionsinitiativen zur „Europäisierung“ der EE-Förderung. Die Europäische Kommission sollte verstärkt Mechanismen für die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten entwickeln, um die bislang kaum genutzte Möglichkeit der grenzüberschreitenden Förderung voranzubringen. Die Europäisierung der Förderung wird kaum gelingen, solange die Mitgliedstaaten eine eigene Politik verfolgen, als Trittbrettfahrer auftreten oder negative Externalitäten für Nachbarländer verursachen können (so hat beispielsweise die Förderung für den schnellen EE-Ausbau in Deutschland Ringflüsse in Polen und der Tschechischen Republik zur Folge, was für diese Länder wiederum zusätzliche Stromkosten für Regelenergie und Versorgungssicherheit bedeutet). Derartige Probleme können jetzt, wo das System noch relativ neu ist, besser angegangen werden als später, wenn sich die Pfadabhängigkeit verfestigt. |
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3.9 |
Bei der Netzintegration von erneuerbaren Energien muss insbesondere berücksichtigt werden, dass ihre Erzeugung intermittierend ist, d. h. es sind Ausgleichs-, Backup- und Reservekapazitäten notwendig. In der Mitteilung wird auf das Risiko hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten durch die Förderung von Backup-Kapazitäten in der Praxis ineffiziente Anlagen unterstützen oder fossile Brennstoffe finanzieren könnten. Dieses Problem sollte zunächst durch die Entwicklung wirksamer Intraday-Märkte, Märkte für Ausgleichsleistungen und Märkte für Hilfsdienste abgefedert werden. Sind ihre Wirksamkeit und ihr grenzüberschreitendes Funktionieren gewährleistet und werden die richtigen Preissignale gesetzt, könnten sie letztlich den Markt ausreichend regulieren und einen zusätzlichen Kapazitätsmechanismus überflüssig machen. Fördermechanismen für die Vergütung von Reserve- und Erzeugungskapazitäten müssen marktorientiert, technologieneutral, nichtdiskriminierend und für grenzübergreifende Teilnahme offen sein (3). |
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3.10 |
Die Normen und Mechanismen zur Gewährleistung einer angemessenen Stromerzeugung in den einzelnen Mitgliedstaaten sind ebenso unterschiedlich wie die Probleme in Bezug auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Staatliche Interventionen sind zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit und zum Aufbau nationaler Reserven notwendig. Da jedoch die Märkte immer stärker vernetzt und voneinander abhängig sind und es gilt, ein Nebeneinander verschiedener fragmentierter Systeme zu vermeiden, sollten Konsultation und Zusammenarbeit zwischen den Ländern, insbesondere in der Koordinierungsgruppe „Strom“, gefördert werden; außerdem sollte die Europäische Kommission die Machbarkeit eines Marktes für europäische Erzeugungskapazitäten ausgehend von bestehenden positiven Erfahrungen ausloten. |
Staatliche Interventionen
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3.11 |
Der Ausschuss stimmt der Europäischen Kommission darin zu, dass staatliche Interventionen eine wichtige Rolle für die Verwirklichung der Ziele der Energie- und Klimapolitik spielen. Eine bestmögliche Nutzung staatlicher Interventionen bedeutet seiner Meinung nach nicht unbedingt weniger oder mehr, sondern vielmehr effizientere öffentliche Maßnahmen. Staatliche Interventionen sollten eine noch größere Rolle in den Bemühungen zur Bekämpfung von Energiearmut spielen und zielgerichteter eingesetzt werden. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, diesbezüglich Vorschläge und Initiativen zu unterbreiten. |
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3.12 |
Der Ausschuss betont jedoch, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Kohärenz staatlicher Interventionen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene in ganz Europa sicherzustellen; unter bestimmten Umständen können derartige Interventionen auf europäischer Ebene nämlich kontraproduktiv sein. |
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3.13 |
Gleichzeitig weist der Ausschuss darauf hin, dass die Entscheidung über den Energiemix in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, solange dies nicht zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führt und im Einklang mit Vorschriften über staatliche Beihilfen steht. Da staatliche Interventionen Auswirkungen auf andere europäische Länder haben, sollten die Mitgliedstaaten nach Ansicht des Ausschusses enger zusammenarbeiten, insbesondere in der Koordinierungsgruppe „Strom“, um ein kohärenteres Vorgehen auf europäischer Ebene zu erreichen. |
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3.14 |
In diesem Kontext sollte die Europäische Kommission eine klare Unterscheidung zwischen staatlichen Interventionen und staatlichen Beihilfen machen. |
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3.15 |
Staatliche Interventionen beeinflussen Stromkosten und -preise. Die Europäische Kommission räumt ein, dass es schwierig ist, die Kosten für jede Energietechnologie auf einer vergleichbaren Grundlage festzustellen und das tatsächlich notwendige Maß an öffentlicher Förderung zu bewerten. Der Ausschuss wird den Bericht und die Mitteilung der Europäischen Kommission zu Energiepreisen und -kosten in Europa, die am 22. Januar 2014 veröffentlicht wurden, demnächst in einer separaten Stellungnahme eingehend beleuchten. Der Ausschuss bekräftigt seine Empfehlung, dass die Europäische Kommission in diesem Bericht eine Analyse der Energiearmut in Europa vornehmen und eine Strategie und einen Fahrplan auf EU-Ebene für die Bekämpfung von Energiearmut aufstellen soll. |
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3.16 |
Je größer, vernetzter und flexibler der Strommarkt wird, desto stabiler wird er auch werden. Gleichzeitig wird dann die Notwendigkeit für verschiedene Formen von „ad hoc“ oder zeitweiligen staatlichen Interventionen abnehmen, die derzeit Koordinierungsprobleme verursachen. |
Wettbewerbsfähigkeit
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3.17 |
Die Europäische Kommission weist ganz richtig auf Problemstellungen wie Versorgungssicherheit und Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft hin, die nicht immer mit den „20-20-20“- bzw. den 2050-Zielen vereinbar sind. Durch die Verwirklichung der Ziele des Klimapakets werden die Energiekosten für Haushalte und Unternehmen steigen und somit die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Gleichzeitig könnte die Förderung von erneuerbaren Energien zu außergewöhnlich niedrigen Großhandelspreisen führen und die Signale für Investitionen in Reservekapazitäten verfälschen. Die Instrumente zur Verwirklichung der „20-20-20“-Ziele müssen korrekt überwacht werden, damit die Verzerrungen die Vorteile nicht zunichte machen. |
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3.18 |
Darüber hinaus ist auch der Kommissionsvorschlag für die Förderung von langfristigen Verträgen zwischen Erzeugern und künftigen Verbrauchern für den Bau neuer Kraftwerke zur Gewährleistung der Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien bedenklich. Die Europäische Kommission ist sich der Risiken einer Abschottung der Märkte bewusst; derartige Verträge sollten dahingehend überprüft werden, ob der Nutzen wirklich die Kosten überwiegt oder ob sie nicht vielmehr den Wettbewerb verzerren. Außerdem sind energieintensive Verbraucher mehr an konventionellen Kraftwerken mit zuverlässiger Energieversorgung interessiert. Eine derartige Förderung könnte andere EU-Maßnahmen von der EE-Förderung bis hin zur Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie über Industrieemissionen untergraben. In Extremsituationen ist es für die politischen Entscheidungsträger besonders peinlich, wenn sich der Industrieverbraucher am Ende für eine Standortverlagerung entscheidet, aus welchen Gründen auch immer. |
Stärkung der Position der Verbraucher/Bekämpfung von Energiearmut
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3.19 |
Der Ausschuss stimmt generell der Aussage zu, dass der Elektrizitätsbinnenmarkt kein Selbstzweck ist. Er muss allen Bürgern Nutzen bringen, insbesondere den schutzbedürftigsten. Es sind weitere Anstrengungen zu seiner Vollendung vonnöten, da er derzeit zu sehr fragmentiert ist. Dies hat negative Auswirkungen auf die Möglichkeit der europäischen Verbraucher, ihren Anbieter frei zu wählen, ihre finanzielle Lage (die Preise sind viel zu hoch), die Energieversorgungssicherheit und die Bemühungen in Sachen Klimaschutz und Energiewende. Die europäische Energiepolitik sollte stärker auf die Beseitigung von Energiearmut ausgerichtet sein. |
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3.20 |
Demand Response-Lösungen und Energieeffizienz bieten ein beträchtliches Potenzial, um Verbrauchsspitzen zu verringern, sie werden trotz des technischen Fortschritts jedoch nach wie vor nicht genug genutzt. Der Ausschuss plädiert nachdrücklich dafür, die Handlungskompetenz der Bürger in Sachen Energie zu stärken und sie zu ermutigen, als „Verbraucher-Akteure“ aufzutreten. Technologien wie intelligente Zähler müssen für alle Verbraucher, auch die schutzbedürftigsten, ausgelegt sowie effizient und nützlich sein, indem sie ohne Zusatzkosten leicht verständliche, transparente Daten liefern und so die intelligente Anpassung des Energiebedarfs erleichtern (und dabei Datenschutz und Vertraulichkeit gewährleisten). Der Ausschuss unterstützt die Förderung von Forschung und Entwicklung im Energiebereich (insbesondere in intelligente Geräte und Energiespeicherung). |
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3.21 |
Staatliche Interventionen sind auch deshalb wichtig, weil Demand Side Response (DSR) und Demand Side Management (DSM) die schutzbedürftigen Verbraucher tendenziell übermäßig belasten. Die Unterstützung der schutzbedürftigen Verbraucher muss daher an ihre jeweilige Lage angepasst sein, und die Förderkriterien sollten gerecht und vorhersehbar sein. |
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3.22 |
Nach Meinung des Ausschusses reichen DSM/DSR-Techniken allein für die Anpassung und Senkung der Nachfrage nicht aus. Er hat sich dafür ausgesprochen, die Sensibilisierung und Eigenverantwortlichkeit der Bürger auf europäischer Ebene durch verschiedene Initiativen im Rahmen eines Energie-Solidaritätsfonds zu fördern (4). Er befürwortet die Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden (mit professioneller Energiezertifizierung), um „Energiefresser“ in den Griff zu bekommen und schrittweise den Verkauf oder die Vermietung energieintensiver Gebäude zu verbieten. |
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3.23 |
U.a. die europäischen Verbraucher sind mit dem Markt am unzufriedensten. Aus der Verbraucherperspektive müssen u. a. folgende Aspekte angegangen werden, um die Entwicklung eines gut funktionierenden Energiemarktes zu fördern: Zugang zu Energie; objektive und zuverlässige Informationen über Angebote sowie unabhängige Vergleiche; transparente Verträge; Schutz gegen irreführende und aggressive Marketingstrategien; zentrale Kontaktstelle für Informationen; verständliche Verbraucherinformationen; wirksame Umsetzung der Energieeffizienz-Richtlinie; einfacher Anbieterwechsel; effektive Rechtsbehelfe bei gerechtfertigten Klagen (5); Maßnahmen zur Bekämpfung von Energiearmut. Die unabhängige Überwachung der Energiemärkte ist für die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs unerlässlich und auch im Interesse der Verbraucher. Durch Fortschritte in diesen Fragen könnte die EU-Energiepolitik größere gesellschaftliche und politische Unterstützung gewinnen. |
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3.24 |
Der Ausschuss unterstützt die lokale Erzeugung erneuerbarer Energie durch die Verbraucher („Prosumer“/„Prosument“ (6)). In vielen Ländern, insbesondere in Deutschland und im Vereinigten Königreich, verbreitet sich diese Idee schnell. Dies ist von grundlegender Bedeutung für die Energiebilanz in Europa, eine günstigere Energieversorgung und die Verringerung der CO2-Emissionen. Die Rolle der Prosumenten im Energiemarkt steht in Verbindung mit der Bekämpfung von Energiearmut. Dank intelligenter Netze und Messsysteme können Prosumenten Energiedienstleistungen austauschen, die in Kleinanlagen erzeugt werden. Bis Ende 2020 werden im Vereinigten Königreich ca. 8 Millionen Anlagen dieser Art rund 40 GW Strom liefern, die Arbeitsplätze für über 1 00 000 Menschen bieten. Prosumenten sollten öffentliche Unterstützung für den Abbau legislativer Hürden sowie finanzielle und operationelle Unterstützung in Form von Montage- und Wartungsdiensten erhalten, insbesondere für Investitionen. Es müssen jedoch auch wirksame Regeln festgelegt werden, damit Prosumenten für etwaige bei der Energieeinspeisung verursachte Ungleichgewichte einer angemessenen Rechenschaftspflicht unterliegen und sie über geeignete marktwirtschaftliche Instrumente und Preismechanismen zur Verringerung derartiger Ungleichgewichte angehalten werden. |
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3.25 |
Strom ist kein herkömmliches Gut. Strom ist ein grundlegendes Gemeingut und muss auch als solches bewirtschaftet werden. Im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse kann ein Mitgliedstaat bestimmte gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen daran knüpfen. Der Ausschuss hat wiederholt gefordert, dass der universelle Zugang zu Energie als Ziel in die EU-Energiepolitik aufgenommen und im Vertrag verankert wird. Er betont daher, dass dafür Sorge getragen werden muss, dass die von den Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie 2009/72/EG festgelegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen im allgemeinen Interesse (insbesondere Sicherheit, Zugang zu Energie und zu erschwinglicher Energie, Regelmäßigkeit, Qualität und Preis der Versorgung sowie Umweltschutz, einschl. Energieeffizienz und Klimaschutz, gemäß Artikel 3 Absatz 2 und 3 dieser Richtlinie), im Zuge der Verringerung der staatlichen Interventionen im Einklang mit dem Grundsatz des Wettbewerbs nicht verwässert werden. Er fordert die Europäische Kommission auf, diesen wesentlichen Aspekt rigoros zu überwachen und jährlich darüber Bericht zu erstatten; sie sollte nicht nur in ihrem Jahresbericht zum Binnenmarkt eine spezifischere detaillierte Bewertung der Einhaltung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen durch die Mitgliedstaaten vornehmen, sondern diese Verpflichtungen auf europäischer Ebene auch durch spezifische Initiativen besser gewährleisten und sogar verstärken. |
Governance
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3.26 |
Transparenz und Integrität im Energiegroßhandel sind letztlich von grundlegender Bedeutung für den Schutz der Interessen aller Bürger, um überhöhten Kosten für die Endverbraucher vorzubeugen und eine gute Unternehmensführung in öffentlichen und privaten Energieunternehmen zu fördern. Die Europäische Kommission sollte die Umsetzung der REMIT-Verordnung bewerten und ggf. Änderungen vorschlagen. Durch einen transparenten Großhandel können Probleme wie Marktmissbrauch oder wettbewerbsfeindliches Verhalten rasch erkannt und ein Eingreifen der Wettbewerbsbehörden erleichtert werden. |
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 133 vom 9.5.2013, S. 27; ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 15; ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 21.
(2) ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 43; ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 133; ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 126.
(3) Eurelectric, 17. Januar 2014.
(4) ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 21.
(5) Positionspapier des Europäischen Verbraucherverbands (BEUC): „Consumer rights in electricity and gas markets“, Dezember 2013.
(6) Prosumer/Prosumenten sind unabhängige Kleinerzeuger, die Strom meistens in Kleinanlagen erzeugen (z. B. kleine Windturbinen, Solarpaneele und Wärmerückgewinnung durch Wärmepumpen usw.). Das bestimmende Merkmal von Prosumenten ist, dass sie Strom für den Eigengebrauch oder für die Einspeisung in ein größeres Netz erzeugen.
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/35 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2008/94/EG, 2009/38/EG, 2002/14/EG, 98/59/EG und 2001/23/EG in Bezug auf Seeleute
(COM(2013) 798 final — 2013/0390 (COD))
2014/C 226/06
Berichterstatter: Christos POLYZOGOPOULOS
Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Rat beschlossen jeweils am 19., 21. und 29. November 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 153 Absatz 2 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2008/94/EG, 2009/38/EG, 2002/14/EG, 98/59/EG und 2001/23/EG in Bezug auf Seeleute
COM(2013) 798 final — 2013/0390 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. März 2014 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 136 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
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1.1 |
Der EWSA begrüßt den Vorschlag für eine Richtlinie, der dazu dient, den Schutz der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Rechte zu verbessern und EU-weit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. |
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1.2 |
Der EWSA äußert seine Zufriedenheit über die vorgeschlagene Regelung für Ausnahmen, die die Möglichkeiten der Seeleute auf Wahrnehmung gleicher Rechte, wie sie Beschäftigte an Land auf der Grundlage des europäischen Arbeitsrechts genießen, einschränken können. |
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1.3 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass der Vorschlag für eine Richtlinie in die richtige Richtung zielt, nämlich Tätigkeiten in Seefahrt und Fischerei für junge Menschen in der EU attraktiver zu machen und eine nachhaltige Laufbahn im Seeverkehr zu gewährleisten, indem die Attraktivität dieser Branchen verbessert und außerdem dafür gesorgt wird, dass dort die gleichen Rechte am Arbeitsplatz gelten, wie bei einer Beschäftigung an Land. |
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1.4 |
Der EWSA stellt fest, dass die Kommission mit ihrem flexiblen Ansatz die Besonderheiten und Bedürfnisse einer entscheidend wichtigen Branche berücksichtigt, indem vier verschiedene politische Optionen geprüft werden und dabei jeweils bewertet wird, ob eine unterschiedliche Behandlung durch die Merkmale der Branche objektiv gerechtfertigt ist. Auf diese Weise werden Einheitslösungen (one size fits all) vermieden. |
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1.5 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass der Vorschlag für eine Richtlinie zur Förderung der Beschäftigung sowie zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, des sozialen Schutzes und des sozialen Dialogs in der Seefahrt und in der Fischerei beitragen kann, die als allgemeine politische Ziele in Artikel 151 AEUV niedergelegt sind. |
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1.6 |
Der EWSA verweist darauf, dass laut einer vorbereitenden Studie der Taskforce für Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit im Seeverkehr die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage in den OECD-Ländern möglicherweise auf 70 000 Offiziere und 2 21 000 Schiffsleute steigen wird. (1) Damit der Anteil europäischer Offiziere an der Welterwerbsbevölkerung auf dem Niveau von 2010 gehalten werden kann, muss ihre Zahl in den kommenden zehn Jahren in den westlichen Mitgliedstaaten um 10 % und in den östlichen Mitgliedstaaten um 20 % steigen (2). |
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1.7 |
Der EWSA ist ebenfalls der Auffassung, dass der Vorschlag für eine Richtlinie gleiche Wettbewerbsbedingungen auf dem europäischen Markt fördern kann, indem dafür gesorgt wird, dass einige Unternehmen nicht länger von Verpflichtungen wie Unterrichtung und Anhörung ausgenommen sind, die für Konkurrenzunternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gesetzlich vorgeschrieben sind. Angesichts des weltumspannenden Charakters der maritimen Tätigkeiten und des internationalen Wettbewerbs sowie der Bedeutung einer effizienten Verhinderung von Sozialdumping und unlauterem Wettbewerb müssen sowohl innerhalb der Union als auch international gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden. Für viele landseitige Tätigkeiten besteht allerdings ein internationaler Wettbewerb; die Tatsache, dass er auch in der maritimen Wirtschaft besteht, ist kein Grund, um Seeleute von wichtigen Arbeits- und Sozialrechten auszuschließen. |
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1.8 |
Der EWSA betont jedoch, dass der Vorschlag für eine Richtlinie für sich genommen die Attraktivität der Berufe im Seeverkehr nicht zu erhöhen vermag und deshalb mit Maßnahmen und Initiativen verknüpft werden muss, wie sie bereits vom EWSA vorgeschlagen wurden, und zwar in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung, Forschung, Stärkung des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit sowie Förderung des Unternehmertums und der Innovation durch Erbringung sicherer, effizienter und wettbewerbsfähiger Dienstleistungen von hoher Qualität. |
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1.9 |
Da mehrere Jahre vor der Vorlage des Richtlinienvorschlags umfassende Konsultationen stattgefunden haben und bewertet wurde, welche Auswirkungen die Aufhebung der Ausnahmeregelungen haben werden, empfiehlt der EWSA nachdrücklich, den Übergangszeitraum für die Einhaltung der Richtlinie von fünf auf drei Jahre (Artikel 8 des Richtlinienvorschlags) zu verkürzen. |
2. Einleitung
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2.1 |
Die europäische Schifffahrt ist weltweit führend und beschäftigt 3 45 455 Seeleute. (3) Etwa 30 % der Handelsschiffe sind in einem EU-Mitgliedstaat registriert, und in Bezug auf die Bruttoraumzahl machen EU-Schiffe 19,2 % der weltweiten Flotte aus. (4) |
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2.2 |
In der Fischerei und der Verarbeitung von Fischereierzeugnissen sind mehr als 3 50 000 Menschen beschäftigt, wobei auf fünf Mitgliedstaaten (Dänemark, Spanien, Frankreich, Niederlande und Vereinigtes Königreich) 60 % der Gemeinschaftsproduktion entfällt. Die Fischereiwirtschaft der EU liefert jährlich ca. 6,4 Millionen Tonnen Fisch. (5) |
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2.3 |
Die Globalisierung bringt jedoch, insbesondere in der gegenwärtigen Krise, erhebliche Probleme für die Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit des Seeverkehrs mit sich, die verschiedene Aspekte der Beschäftigung zwangsläufig qualitativ und quantitativ beeinflusst haben. |
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2.4 |
Die allgemeine Deregulierung des Arbeitsmarkts für Seeleute, die seit Anfang der 1980er Jahre (6) schrittweise stattgefunden hat, ging einher mit einer sinkenden Zahl europäischer Seeleute, dem Mangel an ausreichend qualifiziertem Personal sowie der Anheuerung von Seeleuten aus Drittstaaten, was unter anderem (7) auf die schlechten Berufsaussichten, Einsamkeit und große Entfernung von der Familie, sinkende berufliche Wertschätzung sowie auf den Eindruck zurückzuführen ist, die Arbeit sei unsicher und müsse unter inakzeptablen Bedingungen verrichtet werden. |
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2.5 |
Die Ursachen für diese Verschlechterung der Bedingungen sind auch im Verhältnis von Angebot und Nachfrage zu suchen sowie im Wettbewerbsdruck im Seeverkehr, die die Löhne unter schwierigen Rahmenbedingungen wie etwa der Globalisierung und der strukturellen Konjunkturkrise sinken lassen. |
3. Der Richtlinienvorschlag
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3.1 |
Der vorliegende Vorschlag enthält Änderungen geltender Richtlinien (8), die entweder von vornherein vorsehen, dass Seeleute und/oder Fischer von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, oder den Mitgliedstaaten einen solchen Ausschluss ohne ausdrückliche Begründung gestatten. Von diesen Ausschlussregelungen haben die Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße Gebrauch gemacht. |
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3.2 |
Insbesondere wird in dem Vorschlag für eine Richtlinie das uneingeschränkte Recht der Seeleute auf Unterrichtung und Anhörung in allen Richtlinien anerkannt, die zuvor Ausnahmeregelungen für dieses Recht zuließen. |
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3.3 |
In der Erwägung, dass ein optimales Vorgehen bei den einzelnen Richtlinien unterschiedlich aussehen kann, und in Bewertung der Folgen, Anwendungsbereiche und Gründe für Ausschlussregelungen wird eine Kombination folgender vier Optionen gewählt:
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4. Politischer Hintergrund
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4.1 |
Im Grünbuch „Die künftige Meerespolitik der EU“ (9) wird die Frage aufgeworfen, ob die maritime Wirtschaft weiterhin von bestimmten Bereichen des europäischen Arbeits- und Sozialrechts ausgenommen sein sollte. Ferner heißt es, diese Fragen müssten in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern näher geprüft werden, und es wird vor dem Hintergrund, dass immer weniger Europäer maritime Berufe ergreifen, die Bedeutung der maritimen Qualifikationen und der nachhaltigen Beschäftigung in der Seefahrt für die Wettbewerbsfähigkeit betont. |
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4.2 |
In ihrer Mitteilung vom 10. Oktober 2007 (10) verpflichtete sich die Kommission, den Rechtsrahmen für die Arbeitnehmer in den Seefahrtsberufen zu verbessern, und wies darauf hin, dass der Ausschluss von Arbeitnehmern aus dem Geltungsbereich einiger Richtlinien möglicherweise nicht gänzlich gerechtfertigt ist. |
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4.3 |
In dem Blaubuch „Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union“ verpflichtete sich die Kommission erneut, in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern die für die maritime Wirtschaft geltenden Ausnahmeregelungen in der EU-Arbeitsgesetzgebung zu überprüfen. (11) Ein weiteres Ziel der integrierten Meerespolitik ist es, mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen und die Qualifikationen angesichts des besorgniserregenden Rückgangs der Zahl der Arbeitsplätze in der Seefahrt zu verbessern. |
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4.4 |
Das Europäische Parlament forderte in einer Entschließung (12), dass alle Arbeitnehmer in den Genuss desselben Schutzniveaus kommen und dass bestimmte Gruppen nicht von vornherein von dem geltenden Schutz ausgenommen werden, so wie es derzeit häufig bei Seeleuten, Schiffsarbeitern und/oder auf Offshore-Anlagen Beschäftigten der Fall ist, und dass wirksame Rechtsvorschriften auf alle Personen unabhängig von ihrem Arbeitsplatz angewandt werden. |
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4.5 |
In der Mitteilung zum „Blauen Wachstum“ (13) sowie in der Erklärung von Limassol, die von den für die integrierte Meerespolitik zuständigen europäischen Ministern verabschiedet wurde (14), hat die Kommission kürzlich ihr Ziel bekräftigt, mehr und bessere Arbeitsplätze im maritimen Sektor zu schaffen. |
5. Bemerkungen
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5.1 |
Der EWSA weist darauf hin, dass sich der Vorschlag für eine Richtlinie, der nach umfangreichen Konsultationen zu speziellen und allgemeinen Fragen ausgearbeitet wurde, unmittelbar aus dem genannten politischen Handlungsrahmen ergibt, logische Folge der erklärten Ziele, Verpflichtungen und Anliegen im Zusammenhang mit der Zukunft der seemännischen Berufe bildet und das Ziel verfolgt, einen effizienten Regelungsrahmen zu schaffen, der der Tatsache gerecht wird, dass die Seefahrt in einem globalen Umfeld operiert. |
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5.2 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass der Vorschlag für eine Richtlinie mit anderen politischen Querschnittszielen wie der Strategie Europa 2020, insbesondere in Bezug auf die Beschäftigung, sowie der Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten (15) im Einklang steht, bei der es vor allem um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und besonders um die Überprüfung der geltenden Rechtsvorschriften geht und mit der das Ziel verfolgt wird, einen intelligenteren Rechtsrahmen für Beschäftigung sowie Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz zu schaffen. |
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5.3 |
Der EWSA hat bereits darauf hingewiesen, dass Seeleute und Fischer von den europäischen Sozialrechtsvorschriften ausgenommen sind und dass einer solchen Diskriminierung unabhängig von ihren Gründen abgeholfen werden muss, soweit dies sinnvoll erscheint. Der EWSA hat die Kommission auch aufgefordert, die Ausnahmeregelungen in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern zu prüfen. (16) |
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5.4 |
In früheren Stellungnahmen (17) hat der EWSA auch wertvolle Hinweise und Empfehlungen zu einigen Fragenkomplexen aus dem Bereich der europäischen Meerespolitik vorgebracht und sich detailliert zu allgemeinen Themen der Arbeits- und Sozialpolitik geäußert, die seemännische Berufe betreffen, aber auch konkret zu Fragen der Aus- und Weiterbildung, Zulassung, Einstellung sowie Sicherheit auf See. Dabei hat der EWSA betont, dass es wichtig ist, eine Laufbahn auf See — auch auf lange Sicht — für junge Menschen attraktiv zu machen sowie ein hohes Niveau an Know-how und Spezialisierung in europäischen maritimen Clustern zu gewährleisten. |
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5.5 |
Besonders aktuell sind nach wie vor unter anderem die Empfehlungen des EWSA zu Humanressourcen, seemännischer Praxis und maritimem Fachwissen in seiner Stellungnahme „Strategische Ziele und Empfehlungen für die Seeverkehrspolitik der EU bis 2018“ sowie die Empfehlungen zur Bekämpfung der Piraterie auf See (18), die ebenso wie die Kriminalisierung von Seeleuten von der Ergreifung seemännischer Berufe abschreckt. |
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5.6 |
Der EWSA stellt fest, dass in den umfassenden Konsultationen zu allgemeinen und speziellen Themen unterschiedliche Positionen darüber vertreten wurden, ob und welche Ausnahmen gerechtfertigt sind. Einvernehmen bestand jedoch in Bezug auf die Notwendigkeit gleicher Wettbewerbsbedingungen und die Rolle, die die EU-Gesetzgebung in diesem Zusammenhang spielen kann. Der EWSA bedauert jedoch, dass dieses Thema trotz der schriftlichen Konsultationen nicht auf die Tagesordnung des Ausschusses für den sozialen Dialog gesetzt wurde. |
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5.7 |
Der EWSA unterstreicht die Feststellung der Taskforce für Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit im Seeverkehr (19), dass angesichts der Entwicklung der Kommunikationstechnologien Ausnahmen nicht mehr zu rechtfertigen sind, die vordem damit begründet werden konnten, dass Schiffe sich gewöhnlich in Bewegung befinden und die Kommunikation auf hoher See Probleme bereitet, was besonders für die Unterrichtung und Anhörung eine Rolle spiele. |
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5.8 |
Der EWSA weist darauf hin, dass auf Schiffen schrittweise Informations- und Kommunikationstechnologien eingeführt werden, was allerdings auf Grund technischer Schwierigkeiten insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen bis zur vollständigen Anwendung unter bestimmten Umständen einige Zeit dauern wird. Der EWSA fordert die Kommission auf, in diesem Bereich Maßnahmen zur Förderung von Investitionen und Schulungsmaßnahmen zu ergreifen, damit der Vorschlag für eine Richtlinie effizient umgesetzt werden kann. |
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5.9 |
Der EWSA verweist darauf, dass die Kommission eine Vorreiterrolle in Fragen der Arbeitnehmerrechte spielt, und fordert die Kommission auf, bei den Bemühungen um die Anhebung der internationalen Standards das Heft in die Hand zu nehmen und darauf hinzuarbeiten, dass alle Mitgliedstaaten das IAO-Übereinkommen über Mindestarbeitsnormen auf See von 2006 ratifizieren, eine breite internationale Zusammenarbeit mit Blick auf ein wirksameres Verfahren der Umsetzung zustande kommt, die IAO-Mindestnormen durch alle Unterzeichnerländer des Übereinkommens eingehalten werden und weitere Länder das Übereinkommen ratifizieren. Der EWSA unterstützt zwar dieses Übereinkommen, betont jedoch, dass es nicht die gleichen Rechte umfasst wie die einschlägigen Richtlinien. |
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5.10 |
Voraussetzung dafür, dass die Zahl der Seeleute wieder ansteigt, sind Maßnahmen zur Abrundung der vorgeschlagenen institutionellen Veränderungen in Richtung auf eine vernünftig geplante seemännische Aus- und Weiterbildung zur Vermittlung von Fähigkeiten mit hohem Qualitätsniveau, die vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten bieten, sowie die Förderung der beruflichen Mobilität zwischen den verschiedenen Branchen. |
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5.11 |
Von ausschlaggebender Bedeutung sind nach wie vor auch die Stärkung von KMU, die das Rückgrat der europäischen Schifffahrt bilden und die sehr unter der Krise zu leiden hatten, die Förderung von Partnerschaften, mit denen die Innovation gestärkt und neue unternehmerische Konzepte entwickelt werden können, sowie generell die kohärente Unterstützung des privaten Unternehmertums und der Einrichtungen des maritimen Sektors in der EU. |
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5.12 |
Die weitere Ausgestaltung und Nutzung von maritimen Clustern, die wirtschaftlich und sozial von entscheidender Bedeutung für die EU sind, kann unter anderem dazu beitragen, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für Fischer und ihre Frauen zu sichern. |
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5.13 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die systematische Erfassung von Daten und die Vereinheitlichung der Quellen in Bezug auf die Beschäftigung im maritimen Sektor erforderlich sind, da sich die Zahlenangaben je nach Quelle derzeit erheblich unterscheiden. So ließe sich die Glaubwürdigkeit künftiger Studien erhöhen. |
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5.14 |
Der EWSA begrüßt, dass die Möglichkeit beseitigt wurde, Fischer, die in Form eines Erlösanteils entlohnt werden, vom Anwendungsbereich der Insolvenzrichtlinie auszuschließen (Artikel 1 des Richtlinienvorschlags). |
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5.15 |
Der EWSA weist unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2001/23 (Richtlinie über den Übergang von Unternehmen) auf die Besonderheiten des Übergangs von Schiffen mit Umflaggung hin und betont, dass die Seeleute in einem solchen Fall auf Grund der unterschiedlichen Tarifverträge möglicherweise zu anderen bzw. schlechteren Bedingungen beschäftigt werden. Der EWSA unterstreicht deshalb, dass die Kommission neue Regelungen erarbeiten muss, die gewährleisten, dass die Anwendung der Richtlinie auf den Übergang von Schiffen mit Umflaggung nicht das genaue Gegenteil bewirkt, nämlich eine Beeinträchtigung der Rechte der Seeleute. Er fordert die Kommission auf, diesen Bemerkungen Rechnung zu tragen. |
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5.16 |
Der EWSA verweist darauf, dass die Kommission sich bemüht, die Besonderheiten des Seeverkehrs und der Berufe im Seeverkehr zu berücksichtigen, insbesondere mit Blick auf die Richtlinie 1998/59 (Massenentlassungen), und betont, dass Rechtssicherheit in Bezug auf Arbeitsverträge und Investitionen herrschen muss und dass Sozialdumping und unlauterer Wettbewerb verhindert werden müssen. |
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5.17 |
Der EWSA schlägt vor, Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 2008/94/EG in Bezug auf den Schutz von Arbeitnehmern bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers wie folgt zu ändern: Vorbehaltlich des nachfolgenden Satzes können die Mitgliedstaaten die Ansprüche bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern wegen des Bestehens anderer Garantieformen ausnahmsweise vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschließen, wenn diese den Betroffenen nachweislich einen Schutz gewährleisten, der dem sich aus dieser Richtlinie ergebenden Schutz gleichwertig ist. Diese Bestimmung darf unter keinen Umständen so ausgelegt werden, dass eine Ausschlussregelung für Seeleute oder Fischer zulässig ist. |
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5.18 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Überprüfungsklausel (Artikel 7 des Richtlinienvorschlags) mit dem Ziel der Überwachung der Umsetzung und Anwendung der Artikel 4 und 5 der Richtlinie in den Mitgliedstaaten, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen zweier wichtiger Fragen, der Ausflaggung und des Beschäftigungsgrades von EU-Seeleuten, gewährleistet, dass die vorgeschlagenen Regelungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Sektors angewandt werden. |
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5.19 |
Der EWSA betont, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei arbeitsrechtlichen Fragen ein entscheidendes Wort mitzureden haben. Der EWSA ist überzeugt, dass die Sozialpartner wesentlich zur Verbreitung und Weitergabe bewährter Verfahrensweisen beitragen werden, um die Attraktivität einer Laufbahn in der Seefahrt für junge Menschen in der EU zu steigern und die Beschäftigungsmöglichkeiten im maritimen Sektor in der EU zu verbessern, und dass sie den sozialen Dialog zur vernünftigen und produktiven Anwendung der vorliegenden legislativen Initiative umfassend nutzen werden. |
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) G. Sulpice, 2011: „Study on Seafarers Employment: Final Report“, Europäische Kommission, GD Mobilität und Verkehr, Direktion C — Seeverkehr (MOVE/C1/2010/148/SI2.588190), S. 34.
(2) Ebd., S. 35.
(3) SWD(2013) 461 final.
(4) ECSA, Jahresbericht 2011/2012.
(5) Eurostat, Fischereistatistik, September 2012.
(6) J. M. Silos, F. Piniella, J. Monedero & J. Walliser (2012): „Trends in the global market for crews: A case study“, Marine Policy, 36 (4), S. 845-858.
(7) COM(2006) 275 final, Teil II — ANHANG, Abschnitt 2.
(8) Richtlinien 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, 2009/38/EG über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats, 2002/14/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, 98/59/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, 2001/23/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen.
(9) COM(2006) 275 final vom 7.6.2006, Abschnitt 2.5.
(10) COM(2007) 591 final vom 10.10.2007.
(11) COM(2007) 575 final vom 10.10.2007.
(12) 2007/2023(INI) vom 11.7.2007.
(13) COM(2012) 494 final vom 13.9.2012.
(14) Erklärung von Limassol vom 7.10.2012.
(15) COM(2010) 682 final 23.11.2010.
(16) ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 55.
(17) ABl. C 158 vom 26.5.1997, S. 11; ABl. C 14 vom 16.1.2001, S. 41; ABl. C 80 vom 3.4.2002, S. 9; ABl. C 133 vom 6.6.2003, S. 23; ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 41; ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 52; ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 195; ABl. C 97 vom 28.4.2007, S. 33; ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 50; ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 31; ABl. C 151 vom 19.8.2008, S. 35; ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 103; ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 64; ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 22; ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 146; ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 15; ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 87; ABl. C 43 vom 15.2.2012, S. 69; ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 153 und TEN/533 vom 16.6.2013 (COM(2013) 510 final).
(18) ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 103 und ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 15.
(19) http://ec.europa.eu/transport/modes/maritime/seafarers/doc/2011-06-09-tfmec.pdf.
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/40 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten
(COM(2013) 814 final — 2013/0400 (CNS))
2014/C 226/07
Berichterstatter: Petru Sorin DANDEA
Der Rat der Europäischen Union beschloss am 16. Dezember 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 115 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten
COM(2013) 814 final — 2013/0400 (CNS).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 13. März 2014 an (Berichterstatter: Petru Sorin DANDEA).
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 145 gegen 3 Stimmen bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
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1.1 |
Der EWSA begrüßt den Vorschlag für eine Richtlinie (1) des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (auch „Mutter-Tochter-Richtlinie“ genannt) und sieht ihn als wichtigen Fortschritt für die Umsetzung des Aktionsplans zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung (2). |
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1.2 |
Den Mitgliedstaaten entstehen jedes Jahr Verluste in Milliardenhöhe durch Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, aber auch aufgrund einer aggressiven Steuerplanung, die meistens darin besteht, die Lücken der nationalen Gesetzgebungen oder das Steuergefälle zwischen den Staaten auszunutzen; der EWSA hält daher den Vorschlag der Kommission für gerechtfertigt, eine allgemeine Vorschrift zur Verhinderung von Missbrauch entsprechend ihrer Empfehlung umzusetzen (3). |
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1.3 |
Der EWSA billigt die Vereinheitlichung der Behandlung grenzübergreifend tätiger Unternehmensgruppen hinsichtlich der Unternehmensbesteuerung, da die Bestimmungen der derzeitigen Richtlinie es diesen Gruppen in bestimmten Fällen erlauben, auf hybride Finanzgestaltungen zurückzugreifen, die ihnen steuerliche Vorteile verschaffen, wodurch es zu einer Wettbewerbsverzerrung im Binnenmarkt kommt. |
|
1.4 |
Angesichts der allgemeinen Art der Vorschrift zur Verhinderung von Missbrauch empfiehlt der EWSA den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinie die Empfehlung der Kommission hinsichtlich aggressiver Steuerplanung und die Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu berücksichtigen, in der das Prinzip festgelegt wurde, dass die Mitgliedstaaten nicht über den allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts hinausgehen dürfen, um missbräuchlichen Handelspraktiken entgegenzuwirken. Der EWSA rät der Kommission, eine Empfehlung zu erarbeiten, die den Mitgliedstaaten hilft, die Richtlinie in rechtlicher Hinsicht mit größtmöglicher Genauigkeit umzusetzen. |
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1.5 |
Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, im Rahmen des Umsetzungsverfahrens eine möglichst klare rechtliche Definition der in Artikel 1a Absatz 2 genannten Begriffe anzustreben, um zu gewährleisten, dass die Richtlinie so korrekt wie möglich umgesetzt wird, ohne zu komplizierten Situationen für die Geschäftswelt oder die Steuerbehörden zu führen. Außerdem müssen Formulierungen wie „künstliche Transaktionen“, „als vernünftig anzusehende Geschäftsgebaren“ oder „zirkuläre Transaktionen“ in möglichst eindeutige rechtliche Termini umgesetzt werden, sodass bei der Anwendung auf die Gesellschaften, die Steuerbehörden oder das Justizsystem keine Schwierigkeiten auftreten. |
2. Kommissionsvorschlag
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2.1 |
Der Vorschlag der Kommission zielt auf eine Beseitigung der Unstimmigkeiten ab, die zwischen den nationalen Rechtsvorschriften bezüglich hybrider Finanzgestaltungen im Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie bestehen, und sieht eine allgemeine Regel zur Verhinderung von Missbrauch vor, um die Wirksamkeit der Richtlinie zu erhalten. |
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2.2 |
Der Richtlinienvorschlag stützt sich auf Artikel 115 AEUV, laut dem der Rat Richtlinien für die Annäherung der Rechts-und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten erlassen kann, die sich unmittelbar auf den Binnenmarkt auswirken; die Kommission ist der Ansicht, dass die allgemeine Regel zur Verhinderung von Missbrauch nur auf diesem Wege umgesetzt werden kann. |
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2.3 |
Dieser Vorschlag ist insofern notwendig, als unilaterales Handeln der Mitgliedstaaten zur Beseitigung der unterschiedlichen Besteuerung hybrider Finanzgestaltungen das Problem nicht lösen würde, da sich dieses zu einem großen Teil aus der Wechselwirkung zwischen den nationalen Rechtsvorschriften ergibt. |
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2.4 |
Die Mutter-Tochter-Richtlinie enthält zwar eine Missbrauchsbekämpfungsklausel, die jedoch nicht klar genug ist und für Verwirrung sorgen könnte. Die Einführung einer allgemeinen Regel zur Verhinderung von Missbrauch gemäß der Empfehlung der Kommission ermöglicht es, die Unwägbarkeiten zu beseitigen und den Mitgliedstaaten ein wirksameres Instrument zur Verfügung zu stellen. |
3. Allgemeine und besondere Bemerkungen
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3.1 |
Der EWSA hat sich für die vorliegende Änderung der Mutter-Tochter-Richtlinie ausgesprochen (4) und den Mitgliedstaaten empfohlen, für die Umsetzung binnen einer angemessenen Frist zu sorgen. |
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3.2 |
Der EWSA hat gefordert, multinationale Unternehmen im Rahmen dieser Überprüfung dazu zu verpflichten, für jedes Land, in dem sie eine Geschäftstätigkeit ausüben, getrennt Buch zu führen und den Produktionsumfang und die Gewinne genau anzugeben. Wenn die Bücher in dieser Form geführt werden, ist es leichter, festzustellen, welche Unternehmen Verrechnungspreise missbräuchlich festsetzen oder aggressive Steuerplanung betreiben. Gleichfalls hat der EWSA empfohlen, eine Regelung bezüglich der Besteuerung der Unternehmensgewinne auf der Grundlage eines Pakets gemeinsamer Vorschriften einzuführen. Der EWSA bedauert, dass diese Aspekte bei der Erarbeitung des Richtlinienentwurfs nicht ausreichend berücksichtigt wurden. |
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3.3 |
Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie zu unterstützen. Hierfür sollte die Kommission eine Empfehlung vorlegen, in der die Aspekte im Zusammenhang mit der Umsetzung der in der allgemeinen Regel zur Verhinderung von Missbrauch genannten Begriffe in rechtliche Termini verdeutlicht werden. |
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3.4 |
Der EWSA lenkt die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass eine Umsetzung der Richtlinie auf der Grundlage sehr allgemeiner Definitionen dazu führen kann, dass extrem schwierige Situationen sowohl für die Unternehmen als auch für die Steuerverwaltungen entstehen. |
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3.5 |
Im Rahmen der Anwendung von Artikel 1a Absatz 2 muss der Begriff „künstliche Transaktion“ klar definiert werden. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten dementsprechend, auf die Bestimmungen des Leitfadens der OECD (5) zurückzugreifen, insbesondere diejenigen zur Umstrukturierung von Unternehmen. Zudem empfiehlt der EWSA, die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu „rein künstlichen Konstruktionen“ zu berücksichtigen. Die Tatsache, dass sich eine Transaktion auf die steuerlich gesehen günstigste Weise vollzieht, bedeutet an sich nicht, dass es sich hierbei um eine künstliche Transaktion handelt. |
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3.6 |
Im Rahmen der Anwendung von Artikel 1a Absatz 2 Buchstabe b hält der EWSA eine klare Definition des Begriffs „als vernünftig anzusehendes Geschäftsgebaren“ für notwendig. Die Einführung dieser Art der Formulierung in den nationalen Rechtsvorschriften ohne klare Definition birgt die Gefahr, dass im Falle von Streitsachen bezüglich Geschäftsgebaren rechtlich komplexe Situationen entstehen. |
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3.7 |
Im Rahmen der Umsetzung hält es der EWSA für notwendig, die Fragen im Zusammenhang mit den „zirkulären“ Transaktionen zu klären. In der Geschäftswelt gibt es zirkuläre Transaktionen, die wirtschaftlichen Gehalt haben und unter Achtung der rechtlichen Bestimmungen vollzogen werden. Diese dürfen nicht unter Steuerbestimmungen fallen, die sich aus der Umsetzung dieser Richtlinie ergeben. |
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3.8 |
Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, die Umsetzung der Richtlinie zur Vereinfachung ihrer nationalen Rechtsvorschriften im Bereich der Gewinnbesteuerung zu nutzen. Dieser Ansatz könnte ein erster Schritt zur Harmonisierung der Regelung in diesem Bereich auf europäischer Ebene sein. |
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) COM(2013) 814 final.
(2) COM(2012) 722 final.
(3) C(2012) 8806 final.
(4) ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 68.
(5) OECD-Musterabkommen zur Besteuerung, Kapitel C5, Artikel 9181 und 9182.
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/43 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens
(COM(2013) 794 final — 2013/0403 (COD))
2014/C 226/08
Berichterstatterin: Reine-Claude MADER
Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 9. Dezember 2013 bzw. am 16. Dezember 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens
COM(2013) 794 final — 2013/0403 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. März 2014 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 128 gegen 2 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
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1.1 |
Der Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt den Vorschlag für eine Verordnung, die den Zugang zur Justiz bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten erleichtern und so zur Zunahme des grenzüberschreitenden Handels beitragen soll, aufmerksam zur Kenntnis. |
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1.2 |
Er befürwortet die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Verfahrens durch Anhebung der Streitwertgrenze auf 10 000 EUR und die Ausweitung der Begriffsbestimmung für grenzüberschreitende Rechtssachen, was den Verbrauchern und KMU mehr Spielraum gibt, das Verfahren in Anspruch zu nehmen. |
|
1.3 |
Der EWSA unterstützt die in der Verordnung festgelegte Begrenzung der Gerichtsgebühren, da diese Kosten für Verbraucher und kleine Unternehmen ein wirkliches Hindernis sind, das sie davon abhält, ein Verfahren anzustrengen. Er empfiehlt jedoch im Hinblick auf die Wirksamkeit der Maßnahmen eine klare Definition dessen, was unter Gerichtsgebühren zu verstehen ist. |
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1.4 |
Der Ausschuss stellt mit Befriedigung fest, dass die Verordnung auch weiterhin die Vollstreckbarkeit von ergangenen Urteilen ohne Zwischenverfahren (Exequatur) vorsieht. |
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1.5 |
Ebenso sehr wie von der Anhebung der Streitwertgrenze ist der Erfolg des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen nach Auffassung des EWSA auch von der Vereinfachung und Erleichterung des damit verbundenen Aufwands abhängig. |
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1.6 |
Der EWSA nimmt die Absicht der Kommission zur Kenntnis, hierbei den Einsatz der neuen Technologien zu fördern, wobei dies allerdings ein Ansatz ist, der mit fest etablierten Praktiken bricht und sich auf die Arbeitsweise der Gerichte auswirken wird. Auch dürfte es derzeit noch schwierig sein, ihn bei den Gerichten der lokalen Ebene durchgehend umzusetzen. |
|
1.7 |
Er vertritt jedoch die Ansicht, dass alle Mittel und Wege unterstützt werden müssen, die den Verwaltungsaufwand für die Parteien verringern, soweit hierdurch nicht die Wirksamkeit der Verteidigungsrechte der Parteien und die Anwendung der von allen Mitgliedstaaten anerkannten Grundprinzipien des Zivilprozessrechts beeinträchtigt werden. Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis und begrüßt, dass diese technischen Möglichkeiten gegenüber den Parteien nur mit deren Zustimmung eingesetzt werden. |
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1.8 |
In Bezug auf dieses Ziel wirft der EWSA die Frage nach den für die Beitreibung geringfügiger Forderungen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen auf. |
|
1.9 |
Nach Ansicht des EWSA ist überdies Wachsamkeit in Bezug auf die Sicherheit und Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation in streitigen Gerichtsverfahren angezeigt. |
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1.10 |
Der Ausschuss weist nachdrücklich darauf hin, dass für das gesamte Verfahren eine Unterstützung für die Verbraucher und kleinen und mittleren Unternehmen vorgesehen werden muss, zumal der Beistand eines Rechtsanwalts nicht vorgeschrieben ist. Dafür sind entsprechende Mittel und vor allem Gelder erforderlich. |
|
1.11 |
Der Ausschuss ist der Ansicht, dass den Verbraucherverbänden, europäischen Verbraucherzentren und Berufsverbänden mit einschlägiger Erfahrung eine Rolle bei der Bereitstellung dieser Unterstützung und bei der Information über dieses Verfahren zukommt. |
|
1.12 |
Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass das erklärte Ziel, die Beitreibung geringfügiger Forderungen zu erleichtern, nur dann erreicht werden kann, wenn bei den verschiedenen Zielgruppen, Gerichten und in juristischen Ausbildungseinrichtungen (1) angemessen über dieses Verfahren informiert wird. |
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1.13 |
Der EWSA ist zudem der Ansicht, dass im Hinblick auf die Wirksamkeit des Verfahrens klare und für alle verständliche Formulare zur Verfügung gestellt werden müssen. Zu den wesentlichen Voraussetzungen gehört, dass die Parteien die Amtssprache ihres Landes verwenden können, und zwar auch für die Durchführung des Verfahrens und insbesondere in der mündlichen Verhandlung. Diese Forderung beschränkt sich nicht nur auf die bloße Übersetzung der Formulare, da sonst Artikel 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union über das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und die Verteidigungsrechte nicht gewahrt würden. |
|
1.14 |
Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass die im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorgebrachten Argumente positive Beiträge zur Debatte über die Einführung einer europäischen Sammelklage sind. |
2. Einleitung
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2.1 |
Mit dem Vorschlag der Kommission soll unter dem Gesichtspunkt der Nähe zu den Bürgern, Verbrauchern und KMU der Zugang dieser Akteure zur Justiz erleichtert und ihnen damit mehr Vertrauen eingeflößt werden, damit sie die sich durch den Binnenmarkt bietenden Chancen nutzen. |
|
2.2 |
Die Initiative ist Teil der 12 konkreten Maßnahmen, die im zweiten Bericht über die Unionsbürgerschaft vorgeschlagen werden, um die Unionsbürger bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen, so zum Beispiel bei der Beilegung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Kaufverträgen. |
|
2.3 |
Damit wird auch der in der Europäischen Verbraucheragenda und im Small Business Act vorgebrachten Forderung nach einer besseren Beachtung der Rechte der Verbraucher und der KMU entsprochen. |
|
2.4 |
Auf der Grundlage der seit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 (2) gemachten Erfahrungen und als Ergänzung zu den herkömmlichen Verfahren der Mitgliedstaaten zur Beitreibung von Forderungen schlägt die Kommission im Anschluss an mehrere Konsultationen vor, das Verfahren weiter zu vereinfachen, weniger aufwändig und kostspielig zu gestalten und besser an die Bedürfnisse der Verbraucher wie auch der kleinen und mittleren Unternehmen anzupassen. |
|
2.5 |
Das mit der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 eingeführte europäische Verfahren für geringfügige Forderungen beinhaltet im Wesentlichen Folgendes:
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|
2.6 |
Das ergangene Urteil ist vollstreckbar und wird in den Mitgliedstaaten voll anerkannt. Das betreffende Gericht muss auf Antrag einer der Parteien eine Bestätigung des entsprechenden Urteils ausstellen, ohne dafür zusätzliche Gebühren zu erheben. |
|
2.6.1 |
Die Kommission hat, wie in der Verordnung von 2007 vorgesehen, bis zum 1. Januar 2014 eine Bewertung vorgenommen, deren erste Ergebnisse sie als ermutigend einschätzt, da dieses Verfahren ihren Angaben zufolge die Kosten um 40 % senkt und die Dauer des Rechtsstreits von durchschnittlich zwei Jahren auf fünf Monate verkürzt (3). |
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2.7 |
Die Kommission war jedoch der Ansicht, dass das Verfahren noch größere Wirkung entfalten könnte, wenn die Streitwertobergrenze angehoben wird, damit auch KMU das Verfahren in Anspruch nehmen können. |
3. Kommissionsvorschlag
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3.1 |
Der Vorschlag sieht zweierlei Maßnahmenpakete vor: rein rechtliche Maßnahmen und Maßnahmen praktischer Art, die zusammengenommen auf eine Verringerung der Verfahrenskosten abzielen. |
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3.2 |
Rechtliche Maßnahmen |
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3.2.1 |
Das erste Maßnahmenpaket beinhaltet die Anhebung der Streitwertgrenze von 2 000 auf 10 000 EUR, damit KMU dieses optionale Verfahren in Anspruch nehmen können. |
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3.2.2 |
Das zweite betrifft die Erweiterung der Begriffsbestimmung für grenzüberschreitende Rechtssachen, wobei der Anwendungsbereich der Verordnung auf alle Rechtsstreitigkeiten mit Auslandsbezug ausgeweitet wird, u. a. wenn Drittstaatsangehörige beteiligt sind. |
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3.3 |
Maßnahmen praktischer Art |
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3.3.1 |
Zur Senkung der Kosten schlägt die Kommission vor, die Übermittlung von Unterlagen auf elektronischem Wege sowie Telefon- und Videokonferenzen für gegebenenfalls erforderliche mündliche Verhandlungen zur Regel zu machen. |
|
3.3.2 |
Außerdem sollen die Gerichtskosten auf 10 % des Streitwerts begrenzt werden, wobei eine Mindestgebühr von 35 EUR zulässig ist und die Gebühren per Banküberweisung und Online-Zahlungen mit Kredit- oder Debitkarten beglichen werden können. |
4. Allgemeine Bemerkungen zum Vorschlag
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4.1 |
Der EWSA hält den Vorschlag für zweckmäßig, weist allerdings darauf hin, dass das Verfahren im Hinblick auf seine Wirksamkeit klar und transparent sein muss. Das setzt voraus, dass die Standardformulare für alle potenziellen Zielgruppen geeignet sind. |
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4.1.1 |
Zudem müssen die Bürger und Gerichte über das geplante Verfahren entsprechend informiert werden. Der Ausschuss weist diesbezüglich darauf hin, dass die Gerichte über das europäische Mahnverfahren und das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen erst verspätet informiert wurden, und zwar durch eine Broschüre des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen (4). |
|
4.1.2 |
Es wird ein Ansatz verfolgt, der mit fest etablierten Praktiken bricht: die Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel, u. a. auch für die Zustellung von Schriftstücken, wird empfohlen, und die Gerichte werden verpflichtet, für mündliche Verhandlungen Videokonferenzen zu nutzen, soweit nicht eine der Parteien etwas anderes beantragt (5). Dieser Ansatz wird sich auf die Arbeitsweise der Gerichte auswirken. Er setzt überdies Vorkehrungen für die technische Unterstützung der Beteiligten voraus, zumal das Verfahren auch ohne Beistand eines Anwalts durchgeführt werden kann. |
|
4.2 |
Die substanziell wichtigste Maßnahme besteht in einer Anhebung der Streitwertgrenze von 2 000 auf 10 000 EUR. |
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4.2.1 |
Die Hauptnutznießer dieser Änderung werden die KMU sein, die derzeit nur 20 % der Klagen einreichen, so die Angaben der Kommission aus der Folgenabschätzung, die allerdings auf der Grundlage der Antworten eines nach Ansicht des EWSA sehr eingeschränkten Spektrums von Befragten erstellt wurde. |
|
4.2.2 |
Der Ausschuss befürwortet die Anhebung der Streitwertgrenze auf 10 000 EUR, hält sie aber angesichts des durchschnittlichen Streitwerts bei Verbraucherstreitigkeiten für eine möglicherweise überhöhte Schwelle. |
|
4.3 |
Das erklärte Ziel des Vorschlags ist die Wiederherstellung des Vertrauens und die Förderung des Handels im Binnenmarkt bei gleichzeitiger Verbesserung der Wirksamkeit der Justiz. In Bezug auf dieses Ziel wirft der EWSA die Frage nach den für die Beitreibung geringfügiger Forderungen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen auf. |
|
4.4 |
Nach Ansicht des EWSA handelt es sich um ein löbliches Ziel, aber es muss auch auf die zahlreichen Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Regelungen hingewiesen werden. So stellt der Ausschuss fest, dass mit dem Vorschlag zwar die Höhe der Gerichtsgebühren begrenzt werden soll, doch wird unter diesem Begriff je nach Mitgliedstaat etwas anderes verstanden, wie die Angaben von 26 Mitgliedstaaten auf dem e-justice-Internetportal sowie eine im Auftrag der Kommission erstellte Studie über die Transparenz der Gerichtsgebühren in Zivilverfahren in der Europäischen Union zeigen (6). |
|
4.5 |
Der EWSA hält die auf 10 % festgesetzte Obergrenze für die Verfahrenskosten für sehr hoch. Sie kann in den Mitgliedstaaten, in denen die Kosten diesen Prozentsatz nicht erreichen, negative Auswirkungen haben. |
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4.6 |
Durch Anhebung der Streitwertgrenze und Ausweitung der Begriffsbestimmung für grenzüberschreitende Rechtssachen wird den Bürgern und den KMU signalisiert, dass sich die EU um ihre Belange kümmert und auf ihre tatsächlichen Anliegen reagiert. |
|
4.7 |
Der Vorschlag ist auch eine Antwort auf die Ergebnisse der im April 2013 veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage, wonach 45 % der befragten Unternehmen nicht vor Gericht gehen, weil die Verfahrenskosten im Vergleich zum Streitwert unverhältnismäßig hoch sind. |
|
4.8 |
Die vorgeschlagene Änderung bedingt zwangsläufig auch eine Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (7). Letztere sieht vor, dass bei einem Einspruch des Beklagten das Verfahren automatisch in einen ordentlichen Zivilprozess übergeleitet wird. Mit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 hat diese Einschränkung für geringfügige Streitwerte keine Berechtigung mehr. |
|
4.9 |
In der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006, die bereits hätte überarbeitet werden müssen, sollte klargestellt werden, dass wenn eine Rechtsstreitigkeit in den Anwendungsbereich des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen fällt, dieses Verfahren auch Einzelnen oder Unternehmen zur Verfügung stehen sollte, die im Rahmen des Europäischen Mahnverfahrens Einspruch gegen einen Europäischen Zahlungsbefehl eingelegt haben. |
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4.10 |
Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass die im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorgebrachten Argumente positive Beiträge im Hinblick auf die Einführung einer europäischen Sammelklage sind. |
5. Besondere Bemerkungen zum Vorschlag
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5.1 |
Der Vorschlag, Videokonferenzen zur Regel zu machen, ist interessant, ihn bei den Gerichten der lokalen Ebene durchgehend umzusetzen, scheint jedoch derzeit noch nicht machbar. |
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5.2 |
Viele dieser Gerichte haben nämlich noch keine Internetseite und kommunizieren nicht mit elektronischen Mitteln. Die Betroffenen müssen noch häufig persönlich das Gericht aufsuchen, um die erforderlichen Formulare für die Einleitung eines Verfahrens zu erhalten, und die Verfahren werden noch in Papierform abgewickelt. Nach Ansicht des EWSA ist überdies Wachsamkeit in Bezug auf die Sicherheit und Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation in streitigen Gerichtsverfahren angezeigt. |
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5.3 |
Diesbezüglich betont der EWSA auch, dass die Formulare klar und verständlich sein müssen. Daher muss die in dem Vorschlag vorgesehene Unterstützung fachlich qualifiziert sein, was nicht unerhebliche Investitionen der Mitgliedstaaten voraussetzt, und die Zeiten sind dafür nicht gerade günstig. |
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5.4 |
Die Information der Bürger ist das größte Problem, wenn es darum geht, eine wirksame Justiz sicherzustellen. Die Bürger, konkret die Verbraucher und die KMU, benötigen zuverlässige und unabhängige Informationen, um eine fundierte Entscheidung über den einzuschlagenden Weg bzw. das einzuleitende Verfahren treffen zu können. |
|
5.5 |
Den Verbraucherverbänden, europäischen Verbraucherzentralen und Berufsverbänden mit einschlägiger Erfahrung kommt eine entscheidende Rolle dabei zu, eine hochwertige Information sicherzustellen. |
|
5.6 |
So gibt es z. B. im Rahmen des Projekts „European Judicial Enforcement“ (Zwangsvollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Europa) sehr praktische thematische Dossiers und Merkblätter für Gerichtsvollzieher, die aber nicht nur für diese von Interesse sind, denn sie betreffen den Zugang zum Recht und die Geltendmachung der Rechte. Diese Informationsquellen sind aber nicht bekannt. |
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5.7 |
Der Ausschuss weist nachdrücklich darauf hin, dass die Parteien die Möglichkeit haben müssen, das gesamte Verfahren in ihrer Landessprache durchzuführen. Diese Forderung ergibt sich aus Artikel 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in denen es um das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und um die Verteidigungsrechte geht, und beschränkt sich nicht nur auf die bloße Übersetzung der Formulare. |
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Hochschulen, Bildungseinrichtungen für Rechtsanwälte, Richterschulen usw.
(2) Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (ABl. L 199 vom 31.7.2007, S. 1).
(3) Ziffer 3.2 der Folgenabschätzung.
(4) Benutzerleitfaden für Bürger: Grenzüberschreitende zivilrechtliche Streitigkeiten in der Europäischen Union.
(5) Artikel 8 des Verordnungsvorschlags.
(6) https://e-justice.europa.eu/; Studie über die Transparenz der Gerichtsgebühren in Zivilverfahren in der EU (Demoulin, Brulard, Barthélémy, Hoche).
(7) ABl. L 399 vom 30.12.2006, S. 1.
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/48 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung
(COM(2013) 813 final — 2013/0402 (COD))
2014/C 226/09
Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 9. Dezember 2013 bzw. am 13. Dezember 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung
COM(2013) 813 final — 2013/0402 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. März 2014 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 138 gegen 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
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1.1 |
Unter Geschäftsgeheimnisse fallen faktisch alle Informationen (Technologien, Formeln, Marketingdaten usw.) von wirtschaftlichem Wert, deren Vertraulichkeit geschützt werden sollte. Sie sind somit Teil der immateriellen Vermögenswerte der Unternehmen. |
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1.2 |
Der Schutz dieser immateriellen Vermögenswerte ist sowohl für die Unternehmen — insbesondere KMU — als auch für nicht kommerzielle Forschungseinrichtungen von entscheidender Bedeutung und für die Wettbewerbsfähigkeit der Union notwendig, schon allein, um die Innovation und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle wie auch die kooperative Forschung und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu fördern. |
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1.3 |
Geschäftsgeheimnisse sind in der EU weder einheitlich definiert, noch ist ihr rechtlicher Schutz harmonisiert. |
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1.4 |
Der Ausschuss unterstützt das Ziel der Kommission, den rechtlichen Schutz von Know-how und Geschäftsgeheimnissen zu harmonisieren, da diese für die Förderung der Innovationsleistung und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Allgemeinen und der KMU im Besonderen strategisch wichtig sind. |
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1.5 |
Der Ausschuss unterstreicht, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb bzw. rechtswidriger Nutzung gemäß dem Richtlinienvorschlag dem mit der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum eingeführten Schutz für beispielsweise Urheberrechte, Marken, Muster und Patente sehr ähnlich ist, insbesondere insofern, als die Mitgliedstaaten für den rechtmäßigen Inhaber des Geschäftsgeheimnisses wirksame zivilrechtliche Rechtsbehelfe vorzusehen haben. |
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1.6 |
Der Ausschuss begrüßt die Ausgewogenheit des Richtlinienvorschlags: Es soll mehr Rechtssicherheit geschaffen werden, und der Wert der als Geschäftsgeheimnisse geschützten Innovationen soll durch eine verstärkte Konvergenz der Rechtsvorschriften erhöht werden, die mit dem internationalen Recht, insbesondere dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen), vereinbar ist. |
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1.7 |
Die Definition des Geschäftsgeheimnisses entspricht zwar dem TRIPS-Abkommen, ist aber nicht detailliert genug, um alle Kategorien von Informationen zu erfassen, die in diesem Rahmen geschützt werden sollten. |
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1.8 |
Nach Ansicht des Ausschusses könnte die Kommission in einem Erwägungsgrund präzisieren, dass auch Informationen von potenziellem kommerziellem Wert als Geschäftsgeheimnisse geschützt werden können. |
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1.9 |
Der EWSA fordert die Kommission auf, unverzüglich in dieser Sache tätig zu werden. |
2. Einleitung
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2.1 |
Der Schutz von Know-how und Geschäftsgeheimnissen (vertraulichen Geschäftsinformationen) ist für die Förderung der Innovationsleistung und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen von entscheidender Bedeutung. |
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2.2 |
Als Geschäftsgeheimnisse gelten faktisch alle Informationen (Technologien, Formeln, Marketingdaten usw.) von wirtschaftlichem Wert, deren Vertraulichkeit geschützt werden sollte. |
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2.3 |
Zwar sind dies keine ausschließlichen Rechte am geistigen Eigentum, aber oft die Grundlage für solche Rechte. So bildet häufig ein aus Forschung und Entwicklung unter Einsatz erheblicher finanzieller und personeller Ressourcen hervorgegangenes Know-how oder Geschäftsgeheimnis die Grundlage für ein Patent. |
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2.4 |
Bereits der Begriff des Geschäftsgeheimnisses ist in der Europäischen Union nicht einheitlich definiert. Die einzige harmonisierte Definition des Geschäftsgeheimnisses findet sich im TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation, wonach drei kumulative Bedingungen erfüllt sein müssen:
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2.5 |
Mangels einer einheitlichen Besetzung des Begriffs des Geschäftsgeheimnisses in der Union ist der rechtliche Schutz in den verschiedenen Rechtssystemen der Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt. |
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2.6 |
Dabei ist ein einheitlicher EU-weiter rechtlicher Schutz von Geschäftsgeheimnissen gerade in Zeiten wie diesen besonders sinnvoll, in denen die Wirtschaftsspionage und die Gefahren von Hackerangriffen besorgniserregende Ausmaße annehmen; dies gilt insbesondere für denjenigen Branchen, in denen Forschung und Entwicklung sowie finanzielle Investitionen eine große Rolle spielen (Kraftfahrzeuge, Telekommunikation, Arzneimittel usw.). |
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2.7 |
Der Ausschuss hatte im Übrigen die Maßnahmen der Kommission gegen die Produktpiraterie unterstützt und seine diesbezüglichen Überlegungen dargelegt (1). |
3. Der Vorschlag der Kommission
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3.1 |
Der Kommissionsvorschlag ist das Ergebnis einer Konsultation, bei der die Kommission feststellen konnte, dass die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten weit auseinandergehen, insbesondere was die Definition von Geschäftsgeheimnissen sowie die dem Inhaber von Geschäftsgeheimnissen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe angeht. |
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3.2 |
Der Vorschlag beruht auf den beiden Annahmen, dass die Unterschiede in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ein Hemmnis für die grenzüberschreitende Forschungszusammenarbeit und außerdem schädlich für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen seien, deren Geschäftsgeheimnisse in den Mitgliedstaaten mit dem niedrigsten Schutzniveau gestohlen werden könnten. |
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3.3 |
Mit dem Vorschlag soll daher der Schutz dieser nicht als Rechte des geistigen Eigentums eingestuften immateriellen Vermögenswerte harmonisiert werden. |
3.4 Definition des Geschäftsgeheimnisses
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3.4.1 |
Die Kommission orientiert sich an der in den TRIPS-Abkommen enthaltenen Definition des Geschäftsgeheimnisses und schlägt vor, dass drei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Information als „schutzfähiges“ Geschäftsgeheimnis einzustufen ist:
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3.5 Begriff der rechtswidrigen Aneignung
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3.5.1 |
Neben dem unbefugten Zugang zu einem Datenträger, der das Geschäftsgeheimnis enthält, sowie Diebstahl, Bestechung, Betrug und Verletzung einer Vertraulichkeitsvereinbarung umfasst Artikel 3 des Vorschlags zusätzlich den Passus „jedes sonstige Verhalten, das [...] als mit einer seriösen Geschäftspraxis nicht vereinbar gilt“. |
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3.5.2 |
Außerdem ist laut Vorschlag die anschließende Nutzung oder Offenlegung auch dann als rechtwidrig anzusehen, wenn eine Person zum Zeitpunkt der Nutzung oder Offenlegung wissen musste, dass ihre Informationsquelle auf rechtswidrige Weise in den Besitz des Geschäftsgeheimnisses gelangt ist. |
3.6 Rechtmäßiger Erwerb, rechtmäßige Nutzung und rechtmäßige Offenlegung
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3.6.1 |
In Artikel 4 des Richtlinienvorschlags wird eine Reihe von Fällen ausgenommen, nämlich:
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3.6.2 |
Dieser Artikel sichert die Innovation, da ausdrücklich klargestellt wird, dass die unabhängige Entdeckung und „Reverse Engineering“ legitime Mittel der Informationsbeschaffung sind. |
3.7 Dem Inhaber von Geschäftsgeheimnissen zur Verfügung stehende Rechtsbehelfe
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3.7.1 |
Es obliegt den Mitgliedstaaten, wirksame zivilrechtliche Rechtsbehelfe gegen den rechtswidrigen Erwerb von Geschäftsgeheimnissen vorzusehen. |
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3.7.2 |
Vor dem Hintergrund der immer wiederkehrenden Debatten über den Missbrauch des Verfahrens der Beschlagnahme von Nachahmungen und Fälschungen zur Beweissicherung („saisie-contrefaçon“) sollen die Mitgliedstaaten gemäß dem Richtlinienvorschlag außerdem die missbräuchliche Inanspruchnahme dieses Rechtsbehelfs unter Strafe stellen, wenn damit der Marktzugang des Beklagten in unbilliger Weise verzögert oder beschränkt oder der Beklagte auf andere Weise eingeschüchtert oder unter Druck gesetzt werden soll. |
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3.7.3 |
Artikel 8 des Richtlinienvorschlags orientiert sich auch am Wettbewerbsrecht, indem eine Reihe von Schutzmaßnahmen aufgeführt wird, mit denen die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Verlauf von Gerichtsverfahren verhindert werden soll: vollständige oder teilweise Beschränkung des Zugangs zu Geschäftsgeheimnisse enthaltenden Dokumenten, Beschränkung des Zugangs zu Anhörungen, Löschung der die Geschäftsgeheimnisse enthaltenden Passagen in der nicht vertraulichen Fassung gerichtlicher Entscheidungen. |
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3.7.4 |
Im Rahmen der vorläufigen Maßnahmen muss der geschädigte Inhaber des Geschäftsgeheimnisses die Möglichkeit haben, das Verbot der Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses, das Verbot des Herstellens, Vermarktens oder der Nutzung rechtsverletzender Produkte sowie die Beschlagnahme oder Herausgabe der besagten Produkte zu erwirken. |
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3.7.5 |
Der Vorschlag sieht zahlreiche weitere Verfahrensgarantien vor; so muss das Gericht ergänzend die Hinterlegung von Sicherheiten durch den Beklagten anordnen können, um die Entschädigung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses zu ermöglichen. |
4. Allgemeine Bemerkungen zu dem Richtlinienvorschlag
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4.1 |
Die Definition des Geschäftsgeheimnisses ist im Richtlinienvorschlag weit genug gefasst, um insbesondere Formeln, Forschungen und Studien zu erfassen, die noch nicht durch ein Recht des geistigen Eigentums geschützt sind. |
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4.2 |
Mit dem Vorschlag soll die Wettbewerbsfähigkeit derjenigen europäischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen gestärkt werden, die auf Know-how und Geschäftsgeheimnissen gründen, die nicht durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt werden können, da der Inhaber kein ausschließliches Recht an den betreffenden Informationen erwirken kann. |
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4.3 |
Bei den traditionellen gewerblichen Schutzrechten wie Patenten, Marken, Mustern und Modellen bleibt ein großer Teil der Kenntnisse und Informationen unberücksichtigt, die trotzdem für das wirtschaftliche Wachstum der Unternehmen notwendig sind. |
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4.4 |
Die KMU nutzen überdies häufig das Geschäftsgeheimnis, um solche wichtigen Informationen zu schützen, da es ihnen an Fachleuten und finanziellen Möglichkeiten fehlt, um gewerbliche Schutzrechte anzumelden, zu verwalten, verteidigen und durchzusetzen. |
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4.5 |
Um dem Abhilfe zu schaffen, sehen die Unternehmen in den Verträgen mit ihren Angestellten und Subunternehmern häufig Geheimhaltungsvereinbarungen vor. Die Vorschriften zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen dürfen nicht dazu führen, dass die Meinungsfreiheit und die Möglichkeit des Whistleblowing bei Missständen eingeschränkt werden oder dass die Möglichkeit der Arbeitnehmer beschränkt wird, den Arbeitsplatz zu wechseln und aus den erworbenen allgemeinen Kenntnissen und Erfahrungen Nutzen zu ziehen. |
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4.6 |
Der Vorschlag ist daher sehr sinnvoll, zumal im heutigen Wirtschaftsleben der Trend immer häufiger zur Vergabe von Unteraufträgen geht, was bedeutet, dass die Dienstleistungserbringer vorübergehend Zugang zu allen Arten von sensiblen Informationen haben können. |
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4.7 |
Außerdem werden Hacking wie auch die Entwendung und Verbreitung von Geschäftsgeheimnissen durch immer perfektere Computer- und Kommunikationssysteme erleichtert; dadurch steigt das Risiko, dass gestohlene Geschäftsgeheimnisse in Drittländern für die Herstellung von Produkten genutzt werden, die dann auf dem europäischen Markt mit den Produkten des bestohlenen Unternehmens konkurrieren. |
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4.8 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die zunehmende Verschärfung der Berichterstattungsanforderungen insbesondere für börsennotierte Unternehmen das Geschäftsgeheimnis gefährdet. Die in den entsprechenden Berichten enthaltenen Informationen werden de facto allgemein bekannt und für jeden Investoren zugänglich, der sich als Konkurrent erweisen bzw. ein solcher werden könnte. |
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4.9 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass in Artikel 4 des Richtlinienvorschlags auch die Gefahr der Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Berichtspflichten der Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats börsennotierter Gesellschaften berücksichtigt werden müsste. |
5. Besondere Bemerkungen zum Richtlinienvorschlag
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5.1 |
Der Vorschlag sieht zahlreiche Verfahrensgarantien vor, und zwar insbesondere vorläufige und vorbeugende Maßnahmen, aber auch Abhilfe- und Entschädigungsmaßnahmen im Anschluss an eine Gerichtsentscheidung, in der eine Verletzung des Geschäftsgeheimnisses gerichtlich festgestellt wird, z. B. die Vernichtung der im Besitz des Rechtsverletzers befindlichen Informationen, der Rückruf und die Vernichtung der betreffenden Produkte, die Bemessung des Schadenersatzes unter Berücksichtigung eventuell entstandener immaterieller Schäden sowie die Veröffentlichung der Gerichtsentscheidung. |
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5.2 |
Die auf Antrag des Geschädigten zugesprochene Entschädigung muss dem tatsächlich erlittenen Schaden unter Berücksichtigung der materiellen und immateriellen Aspekte entsprechen. |
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5.3 |
Der Richter kann „in geeigneten Fällen“ den Schadenersatz jedoch auch als Pauschalbetrag festsetzen, beispielsweise auf der Grundlage des Betrags der Vergütungen oder Gebühren, die im Falle einer genehmigten Nutzung hätten entrichtet werden müssen. |
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5.4 |
Der Ausschuss betont, dass strafrechtlichen Begriffe „Diebstahl“, „Bestechung“ und „Betrug“ in Artikel 3 des Richtlinienvorschlags der Verdeutlichung des Begriffs „Rechtswidriger Erwerb, rechtwidrige Nutzung und rechtswidrige Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen“ dienen. |
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5.5 |
Die Kommission strebt nämlich eine Harmonisierung der zivilrechtlichen Rechtsbehelfe an, damit innovative Unternehmen ihre Geschäftsgeheimnisse EU-weit wirksamer schützen können. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang Artikel 5 „Allgemeine Verpflichtung“, wonach die Mitgliedstaaten die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vorsehen müssen, die erforderlich sind, um einen zivilrechtlichen Schutz zu gewährleisten (wobei der Ausschuss die Betonung auf „zivilrechtlich“ legt). |
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5.6 |
Im Übrigen scheint das Geschäftsgeheimnis im Vorschlag einer Form des geistigen Eigentums gleichgestellt zu werden, allerdings nicht als ausschließliches Recht. Der vorgesehene Schutz entspricht tatsächlich weitgehend den Verfahren gemäß der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum wie beispielsweise Urheberrechte und verwandte Schutzrechte, Marken, Muster und Patente vom April 2004, deren Überarbeitung derzeit geprüft wird. Bezüglich Artikel 4 hält es der EWSA für sehr wichtig, dass Arbeitnehmer bei der Aufdeckung eines Missstandes oder eines anderen Vorkommnisses am Arbeitsplatz eine Vertrauensperson einer Gewerkschaft konsultieren können, ohne sich damit eines diesbezüglichen Verstoßes schuldig zu machen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Richtlinie eine Bestimmung enthalten sollte zum Schutz von Arbeitnehmern, die auf die in Artikel 4 genannten Möglichkeiten zurückgreifen. |
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5.7 |
Angesichts der immer wiederkehrenden Debatten über den Missbrauch des Verfahrens der Beschlagnahme von Nachahmungen und Fälschungen zur Beweissicherung („saisie-contrefaçon“, ein Verfahren ohne Anhörung der Gegenpartei) (2) begrüßt der Ausschuss, dass der Vorschlag insofern von der Richtlinie 2004/48/EG abweicht, als in Artikel 10 Absatz 2 die Justizbehörden der Mitgliedstaaten ausdrücklich zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der vorläufigen und vorbeugenden Maßnahmen verpflichtet werden. |
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5.8 |
Diese Gleichstellung des Geschäftsgeheimnisses mit einer Form des geistigen Eigentums geht so weit, dass der Begriff der „seriösen Geschäftspraxis“ in den Richtlinienvorschlag aufgenommen wird. Dieser Begriff wird bereits im TRIPS-Übereinkommen verwendet. |
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5.9 |
Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte seinerseits Gelegenheit zur Auslegung des Begriffs der „anständigen Gepflogenheiten“ (3) aus der Richtlinie 89/104/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken. |
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5.10 |
Obwohl im Vorschlag deutliche Fortschritte zu verzeichnen sind, wird die Verabschiedung der Richtlinie die Unternehmen nicht davon entbinden, alle erforderlichen Vorbeugemaßnahmen technischer, organisatorischer und vertraglicher Art zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse zu treffen. |
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5.11 |
Die Informationen, die als Geschäftsgeheimnisse einzustufen sind, auf die Informationen von unmittelbarem kommerziellem Wert zu beschränken, greift zu kurz, da bestimmte Informationen wirtschaftlicher, industrieller, technischer oder wissenschaftlicher Art möglicherweise keinen direkten, aber einen potenziellen kommerziellen Wert haben, insbesondere wenn sich diese Informationen auf Daten aus der technischen oder wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung beziehen. |
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5.12 |
Der EWSA schlägt vor, die Aufzählung in Artikel 4 Absatz 1 dahingehend zu ergänzen, dass der Erwerb eines Geschäftsgeheimnisses als rechtmäßig gilt, wenn er auf eine der folgenden Weisen erfolgt:
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5.13 |
Desgleichen schlägt der EWSA die Ergänzung der Aufzählung in Artikel 4 Absatz 2 dahingehend vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass kein Anspruch auf Inanspruchnahme der in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe besteht, wenn der angebliche Erwerb bzw. die angebliche Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses in einer der folgenden Situationen erfolgt ist:
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Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 7; ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 105.
(2) Cour de cassation civile, Chambre commerciale, 12. Februar 2013, 11-26.361 „Société Vetrotech Saint-Gobain international“; Dritte Kammer des Tribunal de Grande Instance von Paris, 15. November 2011, „Sociétés JCB“, kommentiert von Laurent Labatte, Marks & Clerk France, Patentanwälte.
(3) Siehe insbesondere die Richtlinie 89/104/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken und das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung des Begriffs der „anständigen Gepflogenheiten“ vom 15. März 2005 in der Rechtssache C 228/03, Gillette Company/Gillette Group Finland Oy gegen LA-Laboratories Ltd Oy.
ANHANG
zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Die folgende Ziffer der Stellungnahme der Fachgruppe wurde gemäß dem vom Plenum angenommenen Änderungsantrag geändert, obwohl ihre Beibehaltung in der ursprünglichen Fassung mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):
Ziffer 4.5:
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Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag:
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Ja-Stimmen |
: |
80 |
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Nein-Stimmen |
: |
46 |
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Enthaltungen |
: |
10 |
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/54 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung des Gemeinsamen Unternehmens „Shift2Rail“
(COM(2013) 922 final — 2013/0445 (NLE))
2014/C 226/10
Hauptberichterstatter: Juan MENDOZA CASTRO
Der Rat beschloss am 11. Februar 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 187 und 188 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung des Gemeinsamen Unternehmens „Shift2Rail“
COM(2013) 922 final — 2013/0445 (NLE).
Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) Juan MENDOZA CASTRO zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 177 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
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1.1 |
Der EWSA befürwortet die S2R-Initiative, die für die europäische Eisenbahnindustrie einen erheblichen Beitrag bedeutet. |
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1.2 |
Der EWSA betont die potenzielle Bedeutung, die S2R für die Beschäftigung haben kann, da im Schienenverkehr insgesamt ca. 3 Mio. Arbeitnehmer beschäftigt sind. |
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1.3 |
Um langfristig die Ziele der Union zu erreichen, muss die Eisenbahnindustrie nicht nur einen technischen, sondern auch einen kulturellen Wandel vollziehen. |
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1.4 |
Die für S2R vorgesehenen Gesamthaushaltsmittel belaufen sich auf 920 Mio. EUR, einen Betrag, der unter dem auf 1,4 Mrd. EUR geschätzten Investitionsbedarf liegt, weshalb bei den Forschungslinien zwangsläufig eine Prioritätensetzung notwendig sein wird. |
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1.5 |
Der EWSA unterstreicht die Bedeutung von S2R damit die europäische Eisenbahnindustrie auf einem Weltmarkt mit einem Volumen von 146 Mrd. EUR pro Jahr bestehen kann. |
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1.6 |
Die europäischen Unternehmen verlieren gegenüber ihren asiatischen Konkurrenten, die massiv in FuE investieren, an Boden. Der Weltmarkt wird zu einer immer größeren Herausforderung, da bei allen Erzeugnissen und in allen Segmenten die Zahl der Marktteilnehmer steigt. |
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1.7 |
Das Signalgebungssystem ERTMS ist ein Beispiel dafür, dass Bereitschaft zur Zusammenarbeit die nationalen Interessen überwinden muss. |
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1.8 |
Nach Ansicht des EWSA muss bei den Forschungslinien Tätigkeiten mit Bezug zur Sicherheit von Personen, zur Wirtschaftlichkeit und zur Bereitstellung von Informationen für die Eisenbahnpassagiere Vorrang gegeben werden. |
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1.9 |
Die fünf Forschungsprogramme (IP) im Rahmen von S2R betreffen die wichtigsten Bereiche und ehrgeizige Ziele. |
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1.10 |
Nach Ansicht des EWSA sollten die Eigentumsrechte an den Forschungsergebnissen definiert werden. Die Frage des geistigen Eigentums und der Patente ist von zentraler Bedeutung, im Vorschlag der Kommission werden diese Aspekte jedoch außer Acht gelassen. |
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1.11 |
Die Industrialisierung der Ergebnisse der durch die Union finanzierten Forschungstätigkeiten sollte auf europäischem Boden erfolgen. |
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1.12 |
Entgegen dem Kommissionsvorschlag muss allein die Europäische Eisenbahnagentur für die technischen Definitionen im Hinblick auf die Interoperabilität zuständig sein. |
2. Hintergrund und Inhalt des Verordnungsvorschlags
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2.1 |
Das Weißbuch über die Verkehrspolitik (1) und das vierte Eisenbahnpaket (2) geben den Rahmen für einen großen Binnenmarkt für den Schienenverkehr vor (3). |
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2.2 |
Eines der wichtigsten Ziele von Horizont 2020 ist die Stärkung der europäischen Industrie durch Maßnahmen zur Förderung von Forschung und Innovation in Schlüsselsektoren. |
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2.3 |
Das Gemeinsame Unternehmen „Shift2Rail“ wird den Status einer „Einrichtung der Union“ haben (Art. 187 AEUV, Art. 209 Haushaltsordnung). |
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2.4 |
Darüber hinaus ist S2R erforderlich, um ernste aktuelle Probleme zu bekämpfen: Eine zu breite Streuung der Bemühungen aufgrund unterschiedlicher nationaler Normen und Standards schafft Erschwernisse, die die Verwendung gemeinsamer Industrieprodukte im Schienenverkehr verhindern und die Erteilung gegenseitiger Genehmigungen für Schienenprodukte unmöglich machen, die erzwungene Verringerung der Forschungsbemühungen in führenden Eisenbahnunternehmen nach sich ziehen, und geringen öffentlichen und privaten Investitionen und erhöhte finanzielle Risiken bewirken. |
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2.5 |
S2R dient folgenden Zielen:
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2.5.1 |
Zur quantitativen Überprüfung, inwiefern die künftigen Ergebnisse von S2R genau zu diesen ehrgeizigen Zielen beitragen, ist ein Validierungsprozess einzurichten. Hochwertige Technik und ein Anforderungsmanagement sind moderne Ansätze, um ein Mindestmaß an Überwachung der bei den Zielen erreichten Fortschritte sicherzustellen, weshalb sie im Rahmen von S2R auf einer professionellen Grundlage eingeführt werden sollten. |
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2.6 |
Das Unternehmen S2R wird seine Tätigkeit auf vier Schienenverkehrsarten konzentrieren, als da sind:
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2.7 |
Die Finanzierung wird von der Union übernommen, die einen Beitrag von maximal 450 Mio. EUR leisten wird, sowie von den übrigen Mitgliedern, die mindestens 470 Mio. EUR werden beisteuern müssen. |
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2.8 |
Das Unternehmen soll für einen Zeitraum gegründet werden, der am 31. Dezember 2024 endet. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 Bedeutung von S2R
Der EWSA befürwortet nachdrücklich die Initiative S2R, die er für einen wichtigen Beitrag für die europäische Industrie in einem so strategischen Sektor wie dem Schienenverkehr hält. Darüber hinaus begrüßt der EWSA die starke Einbeziehung der Eisenbahnunternehmen in das Projekt.
3.2 Beschäftigung
Der EWSA hebt besonders die Bedeutung hervor, die S2R im Bereich der Beschäftigung zukommt. In Europa sind schätzungsweise 4 00 000 Arbeitnehmer direkt oder indirekt in der Zulieferindustrie beschäftigt. Darüber hinaus sind mehr als 1 3 50 000 weitere Arbeitnehmer für europäische Infrastrukturbetreiber und Bahnbetreibergesellschaften tätig. Bei den Stadtbahnen sind wahrscheinlich ebenso viele Arbeitnehmer beschäftigt, was die Gesamtbeschäftigtenzahl des Sektors auf ca. 3 Millionen steigen lässt.
3.3 Große Herausforderung für die europäische Eisenbahnindustrie
Der EWSA weist darauf hin, dass zur Erreichung der von der Union gesteckten langfristigen Ziele ein tiefgreifender Wandel erforderlich ist, nicht nur auf technischer, sondern auch auf kultureller Ebene. Über die Festlegung von Normen und Harmonisierungsmaßnahmen hinaus muss die EU einen transnationalen Rahmen für die Zusammenarbeit fördern.
3.4 Finanzierung
Der EWSA würdigt den finanziellen Aufwand, den S2R voraussetzt. Dennoch sollte der vorgesehene Gesamthaushalt in Höhe von 920 Mio. EUR mit zusätzlichen Mitteln aufgestockt werden, da für S2R Investitionen von insgesamt schätzungsweise 1,4 Mrd. EUR erforderlich sein werden. Anderenfalls muss unter den verschiedenen Tätigkeiten im Rahmen von S2R eine Rangfolge aufgestellt werden.
3.5 Zusätzliche Tätigkeiten
Im Gesamthaushalt sind 120 Mio. EUR für Beiträge für „zusätzliche Tätigkeiten“ veranschlagt. Hierbei handelt es sich um Tätigkeiten, die die Mitglieder des Gemeinsamen Unternehmens zu ihren durch EU-Mittel geförderten FuE-Investitionen hinzufügen werden. Dieser Betrag wird daher nicht von der Europäischen Union finanziert.
3.6 Der Weltmarkt der Eisenbahnindustrie
Der EWSA unterstreicht die Bedeutung, die S2R dabei zukommt, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie aufrechtzuerhalten, die nach wie vor mehr als die Hälfte der weltweit produzierten Ausrüstungen und Dienstleistungen für den Schienenverkehr herstellt bzw. bereitstellt (in Europa 80 %). Das Gesamtmarktvolumen wird auf 146 Mrd. EUR jährlich geschätzt, wenngleich der „zugängliche“ Teil dieses Marktes 106 Mrd. EUR ausmacht (4).
3.7 Europa verliert an Boden
Bekanntermaßen investieren asiatische Länder für ihre nationale Eisenbahnindustrie massiv in Forschung und Entwicklung. Die europäischen Unternehmen stehen unter starkem Druck seitens der asiatischen Konkurrenten. Der Weltmarkt wird zu einer immer größeren Herausforderung für die europäische Eisenbahnindustrie, da es bei allen Produkten und in allen Segmenten immer mehr Marktteilnehmer gibt. Auch wenn die europäische Eisenbahnindustrie nur sehr schwer preislich mit asiatischen Unternehmen konkurrieren kann, spielt sie im Hinblick auf Forschung und Innovation noch immer eine große Rolle.
3.8 Rolle der KMU
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3.8.1 |
Die Produkte müssen industrialisiert werden, wenn im Schienenverkehrsmarkt Neuerungen eingeführt werden sollen: daher die Notwendigkeit der Weltmarktführer/Industriegiganten, die die mit S2R entwickelte innovative Lösung vermarkten werden. |
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3.8.2 |
Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass die KMU auch bei S2R auf dreierlei denkbare Art eine Schlüsselrolle spielen:
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3.9 Das Beispiel von ERTMS
Das auf Initiative der Europäischen Kommission geschaffene Signalgebungssystem ERTMS stellt unter Beweis, dass die Bereitschaft zur Zusammenarbeit die nationalen Interessen überwinden muss. Bei ERTMS handelt es sich vermutlich um die größte Herausforderung für den Erfolg der Eisenbahnindustrie, denn es hat sich zu dem nicht nur in Europa, sondern auch in vielen Ländern der Welt meistverwendeten Schienenverkehrssystem entwickelt, das das Potenzial für eine vollständige Interoperabilität besitzt. Daher müssen große Forschungsanstrengungen unternommen werden, um die Ziele der vollständigen Interoperabilität und der Kapazitätssteigerung sowie der Senkung der Umsetzungskosten zu erreichen.
3.10 Kurzum, S2R ist ein Schritt in die richtige Richtung
Erstmals haben (miteinander konkurrierende) Großunternehmen des europäischen Schienenverkehrssektors beschlossen, zusammenzuarbeiten und eine gemeinsame Forschungsagenda auszuarbeiten.
4. Besondere Bemerkungen
4.1 Forschung und Entwicklung (FuE)
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4.1.1 |
In Anlehnung an den Aufbau der Richtlinie über Interoperabilität (5) umfasst das vorgeschlagene FuE-Programm Folgendes: rollendes Güter- und Personenzugmaterial, die Infrastruktur und ein Zugsteuerungs-/Zugsicherungs- und Signalgebungssystem. |
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4.1.2 |
Der EWSA hält es für sinnvoll, in den Programmen Maßnahmen zur Erhöhung der Personensicherheit und Wirtschaftlichkeit des Schienenverkehrs Vorrang zu geben. Die neuen Technologien müssen auch einer verbesserten Bereitstellung von Informationen für die Bahnbenutzer dienen. |
4.2 Innovationsprogramme
Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass sich S2R aus fünf Innovationsprogrammen (IP) zusammensetzt, die von den durch die UNIFE koordinierten Sachverständigen ermittelt wurden. Bei diesen Programmen handelt es sich um folgende:
4.2.1 (IP1) Energy & Mass Efficient Technologies for High Capacity Trains (Energie- und masseneffiziente Technologien für Hochleistungszüge)
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4.2.1.1 |
Es wird vorgeschlagen, eine künftige Generation leichterer, energieeffizienterer und umweltfreundlicherer Züge zu schaffen, die weniger Schäden an den Gleisen verursachen. Zu den neuen Technologien gehören: Antriebe, Kontroll- und Lenksysteme (TCMS), Wagenuntergestelle aus leichteren Werkstoffen, Fahrwerke, Bremssysteme und Türen. |
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4.2.1.2 |
Übergeordnete Ziele von IP1 sind:
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4.2.2 (IP2) Advanced Traffic Management & Control Systems (Erweiterte Verkehrsmanagement- und Leitsysteme)
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4.2.2.1 |
Traditionell gibt es auf dem Schienenverkehrsmarkt unterschiedliche nationale Lösungen für die Signalgebung auf den Hauptstrecken. Der Markt für Signalgebungssysteme bietet unterschiedliche Lösungen für die Bedürfnisse des Stadtverkehrs (CBTC-Lösungen) und S2R wird die Möglichkeit und Fähigkeit prüfen, eine größere Interoperabilität/Standardisierung/Integration in ERTMS zur Erfüllung dieser Bedürfnisse zu bieten. |
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4.2.2.2 |
Die übergeordneten Ziele von IP2 sind:
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4.2.3 (IP3) Cost Efficient-High Capacity Infrastructure (Kosteneffiziente und leistungsstarke Infrastruktur)
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4.2.3.1 |
Es gibt vier Forschungsbereiche:
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4.2.4 (IP4) IT Solutions for a Seamless Attractive Railway (IT-Lösungen für ein nahtloses und attraktives Schienenverkehrssystem)
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4.2.4.1 |
Es soll keine gemeinsame Plattform, sondern ein Interoperabilitätsrahmen geschaffen werden, innerhalb dessen jeder, der es wünscht, seine Entwicklungen einfach auf der Grundlage offener Schnittstellen „anschließen“ kann, wodurch eine Abhängigkeit von jeglichem GDS (Global Distribution System) vermieden wird. Auf diese Weise wird die Bahnfahrt zu einem Produkt. Die aktuellen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten des Schienenverkehrssektors müssen in das Projekt einbezogen werden. |
4.2.5 (IP5) Technologies for Sustainable & Attractive European Freight (Technologien für einen nachhaltigen und attraktiven europäischen Güterverkehr)
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4.2.5.1 |
Größte Herausforderung von IP5: Definition sämtlicher technologischer und Verfahrensfortschritte, die erforderlich sind, um zur Verwirklichung eines der wichtigsten Ziele des Weißbuchs beizutragen: Verlagerung des Straßenverkehrs auf die Schiene und die Binnenwasserstraßen zu 30 % bis 2030 und zu 50 % bis 2050. Der EWSA empfiehlt — aus Gründen der Akzeptanz, vor allem des Schienengüterverkehrs –, in das Programm IP5 die Forschung im Bereich Lärmschutz einzuschließen. |
4.3 Demonstrationsplattformsysteme (SPD)
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4.3.1 |
Der EWSA stellt fest, dass das Ziel von S2R nicht lediglich darin besteht, Prototypen, sondern voll einsatzfähige Produkte für den Einsatz in Eisenbahnsystemen zu schaffen. Die neuen Technologien und die Innovationen, die im Rahmen des Innovationsprogramms von S2R entwickelt werden, werden mittels integrierter Technologiedemonstrationssysteme (DTI) unter realen oder simulierten Betriebsbedingungen dargestellt. Die Demonstrationsplattformsysteme von S2R sind darauf angelegt, diese Technologien zu entwickeln und zu demonstrieren, sodass sie eine ausreichende technologische Reife für eine neue Generation von Eisenbahnsystemen erlangen. |
|
4.3.2 |
Der Ort, an dem die Technologiedemonstrationssysteme installiert werden, steht noch nicht fest, da dies gegen Ende der Tätigkeit von S2R geschehen wird. Darüber hinaus werden die künftigen Mitglieder des Gemeinsamen Unternehmens (Gründungsmitglieder und assoziierte Mitglieder) und die Europäische Kommission hierüber entscheiden. Die virtuelle oder physische Entwicklung der Demonstrationsplattformsysteme wird vorwiegend von der Definition und den Ergebnissen der Technologiedemonstrationssysteme abhängen. |
4.4 Patente
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4.4.1 |
Angesichts der vielfältigen und vielschichtigen Finanzierungssysteme und der beträchtlichen gemeinschaftlichen Geldmittel, die im Spiel sind, wäre es nach Auffassung des Ausschusses angebracht, die Verwendung und Zuordnung der Forschungsergebnisse, die von Shift2Rail initiiert werden, genau festzulegen. In diesem Zusammenhang ist die Frage des geistigen Eigentums und der Patente von zentraler Bedeutung. Deren Inhalt und Funktionsweise müssen in einen Artikel im Hauptteil der Verordnung aufgenommen werden. Auf diese Schwachstelle und die möglicherweise daraus resultierenden Risiken hat der EWSA bereits in seinen Stellungnahmen zu den gemeinsamen Unternehmen „Initiative Innovative Arzneimittel“, „Clean Sky“, „ENIAC“ und „Brennstoffzellen und Wasserstoff“ hingewiesen. Bei der vorliegenden gemeinsamen Technologieinitiative könnte dies insofern zu einem noch heikleren Problem werden, als die Forschungsergebnisse für Unternehmen von Interesse sein werden, die in direktem Wettbewerb zueinander stehen (siehe Ziffer 3.10 der vorliegenden Stellungnahme). |
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4.4.2 |
Auf jeden Fall hält es der Ausschuss für sinnvoll, dafür zu sorgen, dass die mit öffentlichen Geldern finanzierten Erfindungen dem öffentlichen Interesse dienen. Zu diesem Zweck wäre es angebracht, über Mechanismen nachzudenken, die eine Amortisierung der gemeinschaftlichen Investitionen begünstigen, und sicherzustellen, dass die Industrialisierung der Forschungsergebnisse des gemeinsamen Unternehmens auf dem Gebiet der Europäischen Gemeinschaft erfolgt. |
4.5 Festlegung von Interoperabilitätsnormen
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4.5.1 |
Die Statuten des gemeinsamen Unternehmens Shift2Rail (Anhang 1, Punkt 2 h) sehen die „Bündelung der Nutzeranforderungen und Festlegung von Interoperabilitätsnormen, damit Investitionen in Forschung und Innovation auf operative und vermarktungsfähige Lösungen ausgerichtet werden“ vor. Die Erläuterungen zum Verordnungsvorschlag bestätigen dies (siehe Erläuterungen 3.3. S. 9). |
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4.5.2 |
Dies ist abzulehnen, da
|
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4.5.3 |
Konsequenz: Die Schaffung von Technischen Spezifikationen zur Interoperabilität kann nur bei der Europäischen Eisenbahnagentur liegen. |
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum — Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“, COM(2011) 144 final.
(2) „Das vierte Eisenbahnpaket — Vollendung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums zur Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in der EU“, COM(2013) 25 final.
(3) ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 122.
(4) Roland Berger „World Rail Market Study, forecast 2012-2017“ (Studie zum weltweiten Eisenbahnmarkt, Prognosen für den Zeitraum 2012-2017).
(5) ABl. L 191 vom 18.7.2008, S. 1.
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/61 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Europäischen Union an der Aufstockung des Kapitals des Europäischen Investitionsfonds
(COM(2014) 66 final — 2014/0034 (COD))
2014/C 226/11
Hauptberichterstatter: Michael SMYTH
Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 18. Februar bzw. am 24. Februar 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 173 Absatz 3 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Europäischen Union an der Aufstockung des Kapitals des Europäischen Investitionsfonds
COM(2014) 66 final — 2014/0034 (COD).
Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 25. Februar 2014 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.
Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März), Michael SMYTH zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 133 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Einleitung
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1.1 |
Der EWSA befürwortet die Initiative, den Europäischen Investitionsfonds zu rekapitalisieren, damit er seine Aufgabe, Risikokapital für wachstumsstarke und innovative kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bereitzustellen, ausweiten kann. |
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1.2 |
Durch den Beschluss, das gezeichnete Kapital des EIF um bis zu 1,5 Mrd. EUR zu erhöhen, wird die Investitionskapazität des EIF vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise und einer stagnierenden europäischen Wirtschaft deutlich gestärkt. In diesem Zusammenhang stellt sich die berechtigte Frage, ob selbst diese Kapitalerhöhung nicht möglicherweise unzureichend ist. |
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1.3 |
Die jüngsten Erhebungen und Daten zur KMU-Finanzierung und zur Kreditvergabe durch die Banken zeigen, dass der Zugang zu Finanzierungen (sowohl für Investitionen als auch Betriebskapital) das dringlichste Problem der KMU ist. Die Zunahme der Kreditvergabe der Banken an die Wirtschaft ist in den letzten drei Monaten immer weiter zurückgegangen. Die Aufgabe des EIF ist zwar speziell auf innovative und wachstumsstarke Unternehmen abgestellt, es stellt sich jedoch die Frage, ob nicht eine Rekapitalisierung in noch größerem Umfang angebracht wäre, damit der Fonds seine Tätigkeit noch stärker ausweiten kann. |
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1.4 |
Der EWSA wiederholt seine Forderung nach einer kräftigen Rekapitalisierung des EIF, damit dieser seine ursprünglich vorgesehene Rolle erfüllen kann — nämlich die eines Europäischen Risikokapitalfonds mit der besonderen Aufgabe, Unternehmensgründungen im Hochtechnologie-Bereich zu finanzieren. |
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1.5 |
Der EWSA schlägt vor, 20 % des Nettogewinns als Dividende auszuschütten und für die Deckung eines Teils der Kosten der Kapitalerhöhung zu verwenden. Der EWSA unterstützt die Bemühungen um ein Gleichgewicht der finanziellen und politischen Ergebnisse des EIF und die Gewinnung geeigneter Finanzinstitute für die Erhöhung des Grundkapitals des EIF. |
2. Der Vorschlag
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2.1 |
Der Europäische Investitionsfonds (EIF) erfüllt zwei wesentliche Aufgaben:
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2.2 |
Der Fonds setzt Eigenmittel ein und verwaltet außerdem während der kommenden Jahre eine Reihe von EU-Programmen wie z. B. Horizont 2020 und COSME. Da sich das Gesamtrisiko des EIF aus Garantien und Wagniskapital voraussichtlich verdoppeln wird, muss das dem Fonds zur Verfügung stehende Kapital erhöht werden. Hauptanteilseigner des EIF ist derzeit die Europäischen Investitionsbank (EIB) (62,1 %). Die anderen Anteilseigner sind die Europäische Union (30 %) sowie 24 öffentliche und private Finanzinstitute (7,9 %). |
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2.3 |
Dem Vorschlag zufolge soll das gezeichnete Kapital des Fonds von 3 Mrd. EUR auf 4,5 Mrd. EUR aufgestockt werden, von denen 20 % eingezahlt werden. Durch die Kapitalerhöhung wird die Kapazität des EIF für Bonitätsverbesserungstransaktionen gesteigert und die Vergabe von Darlehen an KMU in Höhe von jeweils 11 bis 20 Mrd. EUR in den Jahren 2014 und 2015 ermöglicht. |
3. Bemerkungen zu dem Vorschlag
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3.1 |
Auf den ersten Blick ist die Rekapitalisierung des EIF eindeutig eine positive Entwicklung. Nach den Daten der EZB ist die Gesamtkreditvergabe an die Wirtschaft in den letzten drei Monaten bis Januar 2014 immer weiter zurückgegangen. Laut der jüngsten Erhebung zur Kreditvergabe durch die Banken war der Zugang zu Finanzierungen das dringlichste Problem für die KMU des Euroraums insgesamt, allerdings mit geografischen Unterschieden. Die Hauptfaktoren, die den Bedarf der KMU an externer Finanzierung beeinflusst haben, waren der Betriebskapitalbedarf und der Finanzierungsbedarf für Anlageinvestitionen. Durch die Rekapitalisierung des EIF wird dieses Problem teilweise gelöst, aber der Bedarf ist sehr hoch. |
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3.2 |
Der EWSA begrüßt die Rekapitalisierung des EIF. Er weist darauf hin, dass der Europäische Rat vom Dezember die Kommission und die EIB ersucht hat, das Kapital des EIF weiter zu erhöhen, und sieht dem Ergebnis dieses Vorschlags erwartungsvoll entgegen. Der Ausschuss hat in früheren Stellungnahmen Bedenken hinsichtlich der Rolle des EIF geäußert, die er an dieser Stelle nochmals bekräftigt (1). |
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3.3 |
Die Erhöhung des gezeichneten Kapitals des EIF trägt dazu bei, dass das Ziel der Schaffung zusätzlicher Kapazität für Kapitalinvestitionen zur Förderung von Innovation, Forschung und technologische Entwicklung aller Unternehmen in den Mitgliedstaaten erreicht wird. Um dieses Ziel mit möglichst wenig Ausgaben aus dem Haushalt zu erreichen, empfiehlt der EWSA, dass auf der Generalversammlung des EIF im Jahr 2014 eine Ausschüttung von 20 % des Nettogewinns als Dividende beschlossen wird. Nach Ansicht des EWSA wäre es vorteilhaft, dass die jährlichen Dividenden, die die Union in den Jahren 2014-2017 für ihre Beteiligung am Fonds erhält, als externe zweckgebundene Einnahmen betrachtet und dazu verwendet werden, einen Teil der Kosten der Kapitalerhöhung zu decken. Der EWSA unterstützt die Bemühungen um ein Gleichgewicht der finanziellen und politischen Ergebnisse des EIF wie auch die Bemühungen, die dreiteilige Struktur des EIF beizubehalten. In diesem Zusammenhang regt er an, mehr gleichgesinnte Finanzinstitute als neue EIF Anteilseigner zu gewinnen. |
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3.4 |
Im Zuge der ursprünglichen Konzipierung des EIF im Jahr 1993 wurde empfohlen, dass dieser Unternehmen nicht nur mit Kapitalbürgschaften und Krediten unterstützen sollte, sondern auch durch die Schaffung eines mit bis zu 60 Mrd. EUR ausgestatteten Europäischen Risikokapitalfonds. Ziel war es, den in Europa im Unterschied zu den USA bestehenden Mangel an privatem Risikokapital wettzumachen und die Abhängigkeit der KMU von festverzinslichen Krediten, bei denen Neugründungen und Markteinführungen benachteiligt sind, zu verringern. Bei der Errichtung des EIF im Jahr 1994 trat der Aufgabenbereich Risikokapitalbereitstellung gegenüber dem der Kreditbürgschaften in den Hintergrund. |
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3.5 |
Nach Auffassung des EWSA sollten die Aufgaben des EIF stärker im Bereich Risikokapital liegen, wie dies ursprünglich vorgesehen war. |
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 143, vom 22.5.2012, S. 10.
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/63 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren
(COM(2013) 821 final — 2013/0407 (COD))
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für verdächtige oder beschuldigte Kinder
(COM(2013) 822 final — 2013/0408 (COD))
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über vorläufige Prozesskostenhilfe für Verdächtige oder Beschuldigte, denen die Freiheit entzogen ist, sowie über Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls
(COM(2013) 824 final — 2013/0409 (COD))
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Fortschritte bei der Umsetzung der EU-Agenda zu den Verfahrensrechten für Verdächtige oder Beschuldigte — Stärkung der Grundlagen des europäischen Strafjustizraums
(COM(2013) 820 final)
2014/C 226/12
Berichterstatter: Xavier VERBOVEN
Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 13. bzw. am 22. Januar 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren
COM(2013) 821 final — 2013/0407 (COD)
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für verdächtige oder beschuldigte Kinder
COM(2013) 822 final — 2013/0408 (COD)
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über vorläufige Prozesskostenhilfe für Verdächtige oder Beschuldigte, denen die Freiheit entzogen ist, sowie über Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls
COM(2013) 824 final — 2013/0409 (COD).
Die Europäische Kommission beschloss am 27. November 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Fortschritte bei der Umsetzung der EU-Agenda zu den Verfahrensrechten für Verdächtige oder Beschuldigte — Stärkung der Grundlagen des europäischen Strafjustizraums
COM(2013) 820 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 12. März 2014 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 139 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt und unterstützt die Vorschläge für Richtlinien und die Empfehlungen der Kommission bezüglich der Unschuldsvermutung, der Verfahrensgarantien für Kinder und schutzbedürftige Gruppen sowie der vorläufigen Prozesskostenhilfe.
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1.1 |
Der EWSA möchte allerdings einige kritische Anmerkungen vortragen, um die Ausgangspunkte und Ziele dieser Vorschläge zu vervollkommnen. |
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1.2 |
In Bezug auf die Unschuldsvermutung möchte der EWSA nachdrücklich darauf hinweisen, dass niemand schuldig ist, solange kein entsprechendes abschließendes Urteil gefällt wurde, und dieses Recht unantastbar ist. Der EWSA unterstreicht, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Justiz voraussetzt, dass die Richter für Druck bzw. Einflussnahme jedweder Art — auch von Seiten der Medien — unempfänglich sind. In diesem Zusammenhang müssen die Medien unbeschadet des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Pressefreiheit sich davor hüten, an die Stelle der rechtsprechenden Instanzen zu treten. |
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1.3 |
Hinsichtlich des Schutzes der Kinder in Strafverfahren möchte der EWSA betonen, dass sich Kinder angesichts der inhärenten Gefahren eines Freiheitsentzugs für ihre psychische und physische Integrität in einer besonders prekären Lage befinden, wenn ihnen die Freiheit entzogen wird. Diesbezüglich unterstreicht der EWSA ferner, dass Initiativen Vorrang eingeräumt werden muss, die Kinder, die sich in einem Strafverfahren befinden, so schnell wie möglich in das soziale und gesellschaftliche Leben integrieren. |
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1.4 |
Bezüglich der vorläufigen Prozesskostenhilfe begrüßt der EWSA, dass die Prinzipien des Richtlinienvorschlags auch auf Personen angewandt werden, gegen die ein Europäischer Haftbefehl erlassen wurde. Der EWSA stimmt zugleich der Empfehlung zu, eine weitere Harmonisierung der Kriterien für Entscheidungen bezüglich des Rechts auf Prozesskostenhilfe in Strafverfahren anzustreben. Der EWSA merkt jedoch an, dass die Prozesskostenhilfe bei Strafverfahren nicht wegen Haushaltsproblemen einiger Mitgliedsstaaten gefährdet werden darf, und fragt sich, in wieweit hierfür Mittel auf europäischer Ebene bereitgestellt werden können, etwa in Form eines europäischen Fonds. |
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1.5 |
Der EWSA stellt fest, dass die Vorschläge für Richtlinien für die Unschuldsvermutung und für den Schutz der Kinder in Strafverfahren nur im Rahmen eines Strafverfahren gelten. Der EWSA vertritt die Ansicht, dass der Begriff des Strafverfahrens analog zu der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im europäischen Recht eigenständig interpretiert werden können muss, unabhängig von der Kategorisierung der Verfahren in den Mitgliedstaaten. Um diese Möglichkeit zur eigenständigen Interpretation bestmöglich zu gewährleisten, empfiehlt der EWSA, in den Erwägungsgründen zu diesen Richtlinienvorschlägen die Aussage zu streichen, dass diese Garantien nicht für Verwaltungsverfahren gelten, in denen Sanktionen verhängt werden. |
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1.6 |
Hinsichtlich des Versäumnisverfahrens nach Artikel 8 des Richtlinienvorschlags zur Unschuldsvermutung stellt der EWSA fest, dass gemäß dieser Bestimmung ein Strafverfahren lediglich dann in Abwesenheit des Beschuldigten stattfinden kann, wenn eindeutig feststeht, dass dieser Kenntnis von dem geplanten Verfahren hatte. Da dies zu praktischen Problemen führen kann, wenn der Beschuldigte keinen bekannten Wohnsitz hat, empfiehlt der EWSA, es den Mitgliedsstaaten ausdrücklich zu erlauben, eine besondere Vorladungsart für Personen ohne bekannten Wohnsitz vorzusehen (z. B. Zustellung an die Polizeidienststelle). |
2. Zusammenfassung der Kommissionsvorschläge
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2.1 |
Am 27. November 2013 veröffentlichte die Europäische Kommission ein Paket neuer Maßnahmen zu Verfahrensgarantien in Strafverfahren. |
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2.2 |
Dieses Paket ist die Fortsetzung eines Legislativprogramms zu Verfahrensgarantien in Strafverfahren, zu dem insbesondere Richtlinie 2010/64/EU über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen, Richtlinie 2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung und Richtlinie 2013/48/EU über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug gehören. |
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2.3 |
Mit der Einführung grundlegender Verfahrensgarantien in Strafverfahren soll einerseits allen Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union überall in der Union das Recht auf ein faires Verfahren garantiert und anderseits das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Rechtsordnungen gestärkt werden, um die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zu erleichtern. |
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2.4 |
Das vorliegende Paket umfasst drei Richtlinienvorschläge, und zwar zur Unschuldsvermutung, zu Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder sowie zum Recht auf vorläufige Prozesskostenhilfe in Strafverfahren. |
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2.4.1 |
Bezüglich des Vorschlags für eine Richtlinie über die Unschuldsvermutung |
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2.4.1.1 |
Dass Verdächtigte oder Beschuldigte in einem Strafverfahren bis zum Beweis ihrer Schuld durch ein rechtskräftiges Urteil als unschuldig gelten, ist einer der wichtigsten Grundsätze des Strafrechts und bildet den Kern des Rechts auf ein faires Verfahren. Der Inhalt des Grundsatzes der Unschuldsvermutung wurde im Zuge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vertieft. |
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2.4.1.2 |
Der Richtlinienvorschlag sieht vor, bestimmte Aspekte des bereits bestehenden Grundsatzes der Unschuldsvermutung in eine Richtlinie aufzunehmen, um dadurch die wirksame Anwendung der Unschuldsvermutung in der Europäischen Union bestmöglich zu gewährleisten. |
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2.4.1.3 |
Die in der Richtlinie behandelten Aspekte der Unschuldsvermutung sind (1) das Verbot für Behörden, in öffentlichen Erklärungen und amtlichen Beschlüssen auf noch nicht verurteilte Verdächtige oder Beschuldigte Bezug zu nehmen, als ob diese bereits verurteilt wären; (2) die Regel, dass die Beweislast bei der Strafverfolgungsbehörde liegt und dass der Beschuldigte im Zweifelsfalle freigesprochen werden muss; (3) das Recht, sich nicht selbst zu belasten und nicht mitzuwirken; (4) das Recht auf Aussageverweigerung sowie (5) das Recht der Beschuldigten, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein. |
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2.4.2 |
Bezüglich des Vorschlags für eine Richtlinie über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder |
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2.4.2.1 |
Um das Recht auf ein faires Verfahren für Personen zu gewährleisten, die die Sprache des Verfahrens nicht sprechen oder verstehen, wurde die Richtlinie 2010/64/EU erlassen. Allerdings kann es für den Umstand, dass der Beschuldigte dem Verfahren nicht angemessen folgen und an ihm teilnehmen kann, auch andere Gründe als eine Sprachbarriere geben, etwa das niedrige Lebensalter oder die geistige Behinderung eines Beschuldigten. |
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2.4.2.2 |
Hinsichtlich der Wahrung des Rechts auf ein faires Strafverfahren für Kinder hat die Kommission einen Richtlinienvorschlag ausgearbeitet. Mit der Richtlinie soll ein faires Verfahren durch folgende Elemente gewährleistet werden: (1) Das Recht des Kindes und des Trägers der elterlichen Verantwortung, über zusätzliche Rechte in Kenntnis gesetzt zu werden, die Kindern aufgrund dieser Richtlinie oder ihrer Umsetzung in nationales Recht zustehen; (2) ein weitergehender Zugang zu einem Rechtsbeistand; (3) das Recht auf individuelle Begutachtung; (4) das Recht auf medizinische Untersuchung bei Freiheitsentzug; (5) die obligatorische audiovisuelle Aufzeichnung der Befragung von Kindern; (6) die Tatsache, dass Freiheitsentzug nur als letztes Mittel angewandt wird; (7) eine besondere Behandlung bei Freiheitsentzug; (8) das Recht auf zügige und sorgfältige Bearbeitung der Fälle; (9) die Verhandlung der Fälle unter Ausschluss der Öffentlichkeit; (10) das Recht des Kindes und des Trägers der elterlichen Verantwortung auf Anwesenheit bei den Gerichtsverhandlungen sowie (11) das Recht auf Prozesskostenhilfe. |
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2.4.2.3 |
Ähnliche Garantien sind auch für schutzbedürftige Erwachsene vorgesehen; angesichts der schwierigen Abgrenzung des Begriffs „schutzbedürftiger Erwachsener“ entschied sich die Kommission dafür, diese Garantien nicht in eine Richtlinie, sondern in eine Empfehlung aufzunehmen. |
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2.4.3 |
Bezüglich des Vorschlags für eine Richtlinie über vorläufige Prozesskostenhilfe |
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2.4.3.1 |
In Richtlinie 2013/48/EU wird das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand festgelegt. Damit dieses Recht auch für jeden wirksam wird, muss der Rechtsbeistand jeder Person gewährt werden, die nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, um selbst einen Rechtsanwalt zu bezahlen. |
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2.4.3.2 |
In Bezug auf die Kriterien für den Zugang zum Rechtsbeistand und die Sicherstellung der Qualität und Wirksamkeit desselben schlägt die Kommission lediglich eine Empfehlung vor, da die entsprechende Maßnahme erhebliche Kosten für die Mitgliedstaaten mit sich bringen kann und das Handeln der Union dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss. |
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2.4.3.3 |
Damit die Anwesenheit eines Rechtsbeistands in den Fällen gewährleistet ist, in denen dies am meisten erforderlich ist, schlägt die Kommission sehr wohl eine Richtlinie über vorläufige Prozesskostenhilfe vor. So ist in diesem Richtlinienvorschlag zumal vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten in zwei Fällen unmittelbar — d. h. also bevor eine endgültige Entscheidung der entsprechenden Instanzen in dem jeweiligen Mitgliedsstaat bezüglich der Gewährung (oder Verweigerung) von Prozesskostenhilfe getroffen wurde — zur Gewährung von Prozesskostenhilfe verpflichtet sind, nämlich (1) bei Personen, denen die Freiheit entzogen ist, und (2) bei Personen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vorliegt und denen in dem vollstreckendem Mitgliedstaat die Freiheit entzogen wurde. |
3. Bemerkungen
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3.1 |
Die Vorschläge der Kommission werden vom EWSA begrüßt und unterstützt und als sehr sinnvoll angesehen. |
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3.2 |
Gleichwohl sollen nachstehend einige kritische Anmerkungen zu den Kommissionsvorlagen vorgetragen werden, die zum einen allgemeiner, anderseits eher technisch-rechtlicher Natur sind. Diese Bemerkungen sind nicht als Einschränkung der positiven Sichtweise des EWSA bezüglich der Ausgangspunkte und Ziele der Vorschläge der Kommission zu verstehen, sondern dienen ihrer Vervollkommnung. |
3.3 Allgemeine Bemerkungen
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3.3.1 |
Bezüglich der Unschuldsvermutung |
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3.3.1.1 |
Der EWSA unterstützt ausdrücklich die Stärkung der Unschuldsvermutung, wie sie in dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung vorgenommen wird. |
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3.3.1.2 |
Der EWSA möchte in diesem Zusammenhang nachdrücklich darauf hinweisen, dass niemand schuldig ist, solange kein entsprechendes abschließendes Urteil gefällt wurde, und dieses Recht unantastbar ist. Der EWSA unterstreicht, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Justiz voraussetzt, dass die Richter für Druck bzw. Einflussnahme jedweder Art — auch von Seiten der Medien — unempfänglich sind. In diesem Zusammenhang müssen die Medien unbeschadet des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Pressefreiheit sich davor hüten, an die Stelle der rechtsprechenden Instanzen zu treten. |
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3.3.2 |
Bezüglich der Verfahrensgarantien für Kinder und schutzbedürftige Personen |
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3.3.2.1 |
Der EWSA unterstützt ebenfalls ausdrücklich die Stärkung der Rechte schutzbedürftiger Personen und insbesondere von Kindern in Strafverfahren, wie sie im Vorschlag für eine Richtlinie über wesentliche Verfahrensgarantien für Kinder und in der Empfehlung zur Gewährleistung, dass schutzbedürftige Personen als solche anerkannt werden und dass ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden, niedergelegt sind. |
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3.3.2.2 |
Kinder, die oftmals aufgrund der sozialen Umstände bzw. ihres Umfelds straffällig werden, befinden sich im Falle eines Freiheitsentzugs aufgrund der hiermit verbundenen Gefahren für ihre physische, psychische und soziale Entwicklung in einer besonders prekären Lage. |
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3.3.2.3 |
Außerdem unterstreicht der EWSA, dass Initiativen Vorrang eingeräumt werden muss, die Kinder, die sich in einem Strafverfahren befinden, so schnell wie möglich in das soziale und gesellschaftliche Leben integrieren. |
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3.3.2.4 |
Bezüglich der Anwendung der Bestimmung, nach der das zwingend vorgeschriebene Recht der Kinder auf Zugang zu einem Rechtsbeistand auch für Strafverfahren gilt, die vom Staatsanwalt endgültig eingestellt werden können, hält der EWSA die Klarstellung für nützlich, dass dieses Recht auch im Rahmen von Maßnahmen gilt, die anstelle einer Strafverfolgung ergriffen werden. |
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3.3.3 |
Bezüglich der vorläufigen Prozesskostenhilfe |
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3.3.3.1 |
Der EWSA stimmt den im Richtlinienvorschlag niedergelegten Grundsätzen zu, dass Prozesskostenhilfe in den Fällen gewährleistet wird, wenn die Anwesenheit eines Rechtsbeistands am meisten benötigt wird, und zwar in Form einer „vorläufigen Prozesskostenhilfe“. |
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3.3.3.2 |
Der EWSA wertet es positiv, dass dieses Prinzip auch auf Personen Anwendung findet, gegen die ein Europäischer Haftbefehl erlassen wurde. Der EWSA stimmt schließlich der Empfehlung zu, eine weitere Harmonisierung der Kriterien für Entscheidungen bezüglich des Rechts auf Prozesskostenhilfe in Strafverfahren anzustreben. |
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3.3.3.3 |
Der EWSA merkt jedoch an, dass die Prozesskostenhilfe bei Strafverfahren nicht wegen Haushaltsproblemen einiger Mitgliedsstaaten gefährdet werden darf, und fragt sich, in wieweit hierfür Mittel auf europäischer Ebene bereitgestellt werden können, etwa in Form eines europäischen Fonds. |
3.4 Rechtlich-technische Bedenken
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3.4.1 |
Bezüglich des Anwendungsgebiets der Vorschläge für Richtlinien für die Unschuldsvermutung und für den Schutz der Kinder in Strafverfahren |
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3.4.2 |
Sowohl in dem Vorschlag für eine Richtlinie über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung als auch in dem Vorschlag für eine Richtlinie über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder wird in der Beschreibung des Anwendungsbereichs festgelegt, dass dieser Schutz selbstverständlich nur im Rahmen eines Strafverfahrens besteht. |
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3.4.3 |
Im Wortlaut des Vorschlags wird nicht näher ausgeführt, was unter einem Strafverfahren zu verstehen ist. Hieraus ergibt sich die Frage, ob lediglich die Verfahren gemeint sind, die in den einzelnen Mitgliedstaaten als „Strafverfahren“ eingestuft werden, oder ob der Begriff des Strafverfahrens in den Richtlinienvorschlägen umfassender zu verstehen ist, so dass er sich z. B. auch auf Verwaltungsverfahren erstreckt, in denen Sanktionen verhängt werden. |
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3.4.4 |
Gemäß ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird die Frage, ob es sich bei einem Verfahren um ein Strafverfahren handelt oder nicht, anhand der sogenannten Engel-Kriterien beantwortet, als da sind (1) die Einstufung im nationalen Recht, (2) die Natur des Tatvorwurfs und (3) die Art und Schwere der Sanktion. Dementsprechend werden für die Anwendung des Rechts auf ein faires Verfahren im EMRK eine Reihe von Verwaltungsverfahren als Strafverfahren angesehen. Mit dieser Rechtsprechung soll vermieden werden, dass sich einzelne Staaten ihren Verpflichtungen bezüglich der wesentlichen im Vertrag festgelegten Garantien entledigen, indem sie ein Verfahren einfach anders einstufen. |
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3.4.5 |
Daher sollte es zumindest dem Gerichtshof anheim gestellt werden, festzulegen wie der Begriff „Strafverfahren“ unabhängig von der Einstufung im einzelstaatlichen Recht auszulegen ist. Anderenfalls besteht die ernste Gefahr, dass die in den Richtlinien festgelegten Garantien ihr Ziel nicht erreichen. |
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3.4.6 |
Im sechsten Erwägungsgrund des Richtlinienvorschlags zur Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung wird allerdings ausdrücklich festgelegt, dass die Richtlinie ausschließlich auf Strafverfahren anwendbar ist und dass Verwaltungsverfahren, in denen Sanktionen verhängt werden, nicht unter diese Richtlinie fallen. |
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3.4.7 |
Dieser Erwägungsgrund erschwert eine breitere Auslegung des Begriffs „Strafverfahren“, wie sie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte empfohlen und für die Verwirklichung der Rechte und Grundsätze, um die es in diesen Richtlinien geht, empfohlen und als erforderlich erachtet wird. Der EWSA ist daher der Meinung, dass dieser Erwägungsgrund besser gestrichen wird. |
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3.4.8 |
Bezüglich des Versäumnisverfahrens nach Artikel 8 der Richtlinie zur Unschuldsvermutung |
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3.4.9 |
In Artikel 8 ist festgelegt, dass die Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit vorsehen können, dass der Strafrichter in Abwesenheit des Beschuldigten, sofern dieser rechtzeitig und persönlich geladen wurde und dabei von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde oder auf anderem Wege tatsächlich amtlich von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, und zwar so, dass zweifelsfrei nachgewiesen ist , dass er Kenntnis von der anberaumten Verhandlung hatte. |
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3.4.10 |
In diesem Artikel ist keine Möglichkeit vorgesehen, das Verfahren auch dann (in Abwesenheit) durchzuführen, wenn der Betroffene über keinen bekannten Wohnsitz verfügt und somit nicht vorgeladen werden kann. Für diesen Fall kann eine Zustellung der Vorladung an die Polizeidienststelle erwogen werden. |
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/68 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungs- und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation
(COM(2013) 943 final — 2013/0451 NLE)
2014/C 226/13
Der Rat beschloss am 12. Februar 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 31 und 32 des EURATOM-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungs- und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation
COM(2013) 943 final — 2013/0451 NLE.
Da der Ausschuss sich bereits in seiner Stellungnahme vom 16. Oktober 2013 (1) zu dem Inhalt des Vorschlags geäußert hat, beschloss er auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 127 Stimmen bei 7 Gegenstimmen und 13 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) EWSA-Stellungnahme im Dossier NAT/621 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungs- und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation, ABl. 2014/C 67/39, Seite 183, 6. März 2014.
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/69 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 89/608/EWG, 90/425/EWG und 91/496/EWG hinsichtlich der Bezugnahmen auf tierzuchtrechtliche Vorschriften
(COM(2014) 4 final — 2014/0033 COD)
2014/C 226/14
Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 25. Februar 2014 bzw. am 19. März 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 42 und Artikel 43 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 89/608/EWG, 90/425/EWG und 91/496/EWG hinsichtlich der Bezugnahmen auf tierzuchtrechtliche Vorschriften
COM(2014) 4 final — 2014/0033 COD.
Da der Ausschuss sich bereits in seinen Stellungnahmen CES4013-2013_00_00_TRA_AC vom 16. Oktober 2013 (1) und CES 1331/88 vom 14. Dezember 1988 (2) zu dem Inhalt dieses Vorschlags geäußert hat, beschloss er auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 139 gegen 3 Stimmen bei 17 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Stellungnahmen vertreten hat.
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Stellungnahme des EWSA im Dossier NAT/611 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit, Pflanzenvermehrungsmaterial und Pflanzenschutzmittel sowie zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 999/2001, (EG) Nr. 1829/2003, (EG) Nr. 1831/2003, (EG) Nr. 1/2005, (EG) Nr. 396/2005, (EG) Nr. 834/2007, (EG) Nr. 1069/2009, (EG) Nr. 1099/2009 und (EG) Nr. 1107/2009, der Verordnungen (EU) Nr. 1151/2012 und (EU) Nr. […]/2013 und der Richtlinien 98/58/EG, 1999/74/EG, 2007/43/EG, 2008/119/EG, 2008/120/EG und 2009/128/EG (Verordnung über amtliche Kontrollen) und zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit Bestimmungen für die Verwaltung der Ausgaben in den Bereichen Lebensmittelkette, Tiergesundheit und Tierschutz sowie Pflanzengesundheit und Pflanzenvermehrungsmaterial, zur Änderung der Richtlinien des Rates 98/56/EG, 2000/29/EG und 2008/90/EG, der Verordnungen (EG) Nr. 178/2002, (EG) Nr. 882/2004 und (EG) Nr. 396/2005, der Richtlinie 2009/128/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 und zur Aufhebung der Entscheidungen des Rates 66/399/EWG, 76/894/EWG und 2009/470/EG, ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 166.
(2) Stellungnahme des EWSA im Dossier AGR/326 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Regelung der viehseuchenrechtlichen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt, dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Verstärkung der Kontrollen hinsichtlich der Anwendung der veterinärrechtlichen Vorschriften, und dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1468/81 betreffend die gegenseitige Unterstützung der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission, um die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung zu gewährleisten, ABl. C 56 vom 6.3.1989, S. 20.
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16.7.2014 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 226/70 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Tierzucht- und Abstammungsbestimmungen für den Handel mit Zuchttieren und deren Zuchtmaterial in der Union sowie für die Einfuhr derselben in die Union
(COM(2014) 5 final — 2014/0032 COD)
2014/C 226/15
Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 25. Februar 2014 bzw. am 19. März 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 42 und Artikel 43 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Tierzucht- und Abstammungsbestimmungen für den Handel mit Zuchttieren und deren Zuchtmaterial in der Union sowie für die Einfuhr derselben in die Union
COM(2014) 5 final — 2014/0032 COD.
Da der Ausschuss sich bereits in seinen Stellungnahmen CES 4014-2013_00_00 vom 16. Oktober 2013 (1) und CES 1334/88 vom 14. Dezember 1988 (2) zu dem Inhalt dieses Vorschlags geäußert hat, beschloss er auf seiner 497. Plenartagung am 25./26. März 2014 (Sitzung vom 25. März) mit 135 gegen 3 Stimmen bei 17 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Stellungnahmen vertreten hat.
Brüssel, den 25. März 2014
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Stellungnahme des EWSA im Dossier NAT/611 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit, Pflanzenvermehrungsmaterial und Pflanzenschutzmittel sowie zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 999/2001, (EG) Nr. 1829/2003, (EG) Nr. 1831/2003, (EG) Nr. 1/2005, (EG) Nr. 396/2005, (EG) Nr. 834/2007, (EG) Nr. 1069/2009, (EG) Nr. 1099/2009 und (EG) Nr. 1107/2009, der Verordnungen (EU) Nr. 1151/2012 und (EU) Nr. […]/2013 und der Richtlinien 98/58/EG, 1999/74/EG, 2007/43/EG, 2008/119/EG, 2008/120/EG und 2009/128/EG (Verordnung über amtliche Kontrollen) und zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit Bestimmungen für die Verwaltung der Ausgaben in den Bereichen Lebensmittelkette, Tiergesundheit und Tierschutz sowie Pflanzengesundheit und Pflanzenvermehrungsmaterial, zur Änderung der Richtlinien des Rates 98/56/EG, 2000/29/EG und 2008/90/EG, der Verordnungen (EG) Nr. 178/2002, (EG) Nr. 882/2004 und (EG) Nr. 396/2005, der Richtlinie 2009/128/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 und zur Aufhebung der Entscheidungen des Rates 66/399/EWG, 76/894/EWG und 2009/470/EG, ABl. 2014/C 67/34 vom 6. März 2014, S. 166.
(2) Stellungnahme des EWSA im Dossier AGR/337 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über züchterische und genealogische Bedingungen für die Vermarktung reinrassiger Tiere, ABl. 1989/C56/10 vom 6. März 1989, S. 25.