ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 170

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

57. Jahrgang
5. Juni 2014


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

494. Plenartagung des EWSA vom 10./11. Dezember 2013

2014/C 170/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Entwicklung einer makroregionalen Strategie der EU zur Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts im Mittelmeerraum (Initiativstellungnahme)

1

2014/C 170/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Statistische Erfassung von Freiwilligentätigkeit (Initiativstellungnahme)

11

2014/C 170/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Social Impact Measurement — Messung der sozialen Wirkung (Initiativstellungnahme)

18

2014/C 170/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Europäisches Mindesteinkommen und Armutsindikatoren (Initiativstellungnahme)

23

2014/C 170/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Herausforderungen für die europäische Maschinenbau-, Metallverarbeitungs-, Elektrotechnik- und Elektronikindustrie in einer globalen Wirtschaft im Wandel (Initiativstellungnahme)

32

2014/C 170/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau in Europa: eine krisenfeste, weltweit wettbewerbsfähige und der EU-Politik für Nachhaltigkeit verpflichtete Branche (Initiativstellungnahme)

38

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

494. Plenartagung des EWSA vom 10./11. Dezember 2013

2014/C 170/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union (COM(2013) 522 final — 2013/0248 (COD))

45

2014/C 170/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Geldmarktfonds (COM(2013) 615 final — 2013/0306 (COD))

50

2014/C 170/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Schattenbankwesen — Eindämmung neuer Risikoquellen im Finanzsektor (COM(2013) 614 final)

55

2014/C 170/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Investitionspakt für Innovationen COM(2013) 494 final COM(2013) 493 final — 2013/0232 (COD) COM(2013) 495 final — 2013/0240 (NLE) COM(2013) 496 final — 2013/0241 (NLE) COM(2013) 497 final — 2013/0242 (COD) COM(2013) 498 final — 2013/0243 (COD) COM(2013) 500 final — 2013/0233 (COD) COM(2013) 501 final — 2013/0234 (NLE) COM(2013) 503 final — 2013/0237 (NLE) COM(2013) 505 final — 2013/0244 (NLE) COM(2013) 506 final — 2013/0245 (NLE)

61

2014/C 170/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz(COM(2013) 401 final)

68

2014/C 170/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (COM(2013) 512 final — 2013/0246 (COD))

73

2014/C 170/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge (COM(2013) 550 final — 2013/0265 (COD)) und Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2013/36/EU und 2009/110/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (COM(2013) 547 final — 2013/0264 (COD))

78

2014/C 170/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (COM(2013) 534 final)

85

2014/C 170/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie (COM(2013) 407 final)

91

2014/C 170/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Europäisches Jahr der Entwicklung (2015)

98

2014/C 170/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Tiergesundheit (COM(2013) 260 final — 2013/0136 (COD)), dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt (Rechtsvorschriften für Pflanzenvermehrungsmaterial) (COM(2013) 262 final — 2013/0137 (COD)) sowie dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung über Maßnahmen zum Schutz vor Pflanzenschädlingen (COM(2013) 267 final — 2013/0141 (COD))

104

2014/C 170/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) (COM(2013) 521 final — 2013/0247 (COD))

110

2014/C 170/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen (COM(2013) 516 final — 2013/0239 (COD))

113

2014/C 170/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 in Bezug auf Flugplätze, Flugverkehrsmanagement und Flugsicherungsdienste, dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums (Neufassung) und der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Beschleunigte Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums (COM(2013) 408 final, COM(2013) 409 final — 2013/0187 (COD) und COM(2013) 410 final — 2013/0186 (COD))

116

DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

494. Plenartagung des EWSA vom 10./11. Dezember 2013

5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Entwicklung einer makroregionalen Strategie der EU zur Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts im Mittelmeerraum“ (Initiativstellungnahme)

2014/C 170/01

Berichterstatter: Stefano MALLIA

Mitberichterstatter: Stefano PALMIERI

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Februar 2013, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Entwicklung einer makroregionalen Strategie der EU zur Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts im Mittelmeerraum.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 14. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 121 Stimmen gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

Glossar

Abkürzung

 

MRM

Makroregion Mittelmeerraum

MRSM

Makroregionale Strategie für den Mittelmeerraum

MKR

Mittelmeerküstenregion

MRMF

Makroregionales Forum Europa-Mittelmeerraum

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Mittelmeerraum eine makroregionale Strategie benötigt, mit deren Hilfe die Regionen jene Probleme angehen können, die mit den gewöhnlich zur Verfügung stehenden Mitteln von Regionen oder Ländern allein nicht zufriedenstellend gelöst werden können. Eine solche Strategie würde den betreffenden Regionen helfen, die Ursachen der im Mittelmeerraum herrschenden Unsicherheit zu beseitigen, indem die Wirkung der positiven Errungenschaften der bereits eingeleiteten Initiativen sowie der Europa-2020-Ziele verstärkt wird. Ein Erfolg der makroregionalen Strategie für den Mittelmeerraum wird sich auch auf die EU als Ganzes vorteilhaft auswirken.

1.2

Die EU-Küstenregionen des Mittelmeers bieten auf Grund ihrer Lage ideale Voraussetzungen für die Schaffung einer Kooperationsplattform, die für die Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Beziehungen untereinander und mit Regionen von am Mittelmeer gelegenen Drittstaaten im Hinblick auf konkrete Themen (Migration, Seeverkehr, Sicherheit auf See, Umweltschutz usw.) von strategischer Bedeutung sein könnte. Zudem können die Küstenregionen des Mittelmeers das Wirtschaftswachstum und den Transformationsprozess in völlig neuer Weise fördern.

1.3

Mit Blick auf die Größe des Gebiets schlägt der EWSA zudem vor, dass die makroregionale Strategie der EU für den Mittelmeerraum nach geografischen Kriterien (regionale Nähe) in drei Teilmakroregionen aufgeteilt wird und in Form von Aktionsplänen auf der Grundlage eines funktionalen Ansatzes zur Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen konkretisiert werden sollte.

1.4

Der EWSA spricht sich für eine makroregionale Strategie der EU für den Mittelmeerraum auf der Grundlage der „Dreimal-Ja-Regel“ aus (mehr komplementäre Finanzierung, mehr institutionelle Koordinierung und mehr neue Projekte), was Synergien zwischen verschiedenen EU-Politikbereichen stärkt und der Koordinierung der Bemühungen vielfältigster Interessenträger der Mittelmeerküstenregionen der EU zugutekommt.

1.5

Der EWSA unterstützt die Ausarbeitung einer makroregionalen Strategie der EU für den Mittelmeerraum, die alle Ziele der Strategie Europa 2020 einschließt, insbesondere die Prioritäten im Bereich intelligentes Wachstum (Förderung einer wissensbasierten Gesellschaft, die Innovation und neue Technologien unterstützt), nachhaltiges Wachstum (Förderung einer nachhaltigen, umweltfreundlicheren und wettbewerbsfähigeren Wirtschaft) und integratives Wachstum (Förderung einer Wirtschaft mit wesentlichem Schwerpunkt auf der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Verringerung der Armut zur Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts).

1.6

Der EWSA zeigt fünf Katalysatoren für Veränderungen auf, die zur erfolgreichen Umsetzung der europäischen Kohäsionspolitik 2014-2020 im Mittelmeerraum beitragen können:

Förderung einer polyzentrischen, ausgewogenen und integrierten Entwicklung,

Unterstützung der territorialen Zusammenarbeit in den Mittelmeerküstenregionen der EU,

Sicherung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der Mittelmeerküstenregionen auf der Grundlage starker lokaler Wirtschaften,

Verbesserung der territorialen Anbindung für Einzelne, Gemeinschaften und Unternehmen,

Nutzung und Verknüpfung ökologischer, landschaftlicher und kultureller Werte.

1.7

Der EWSA weist darauf hin, dass besonders die Strategie des „blauen Wachstums“ unterstützt werden muss, mit deren Hilfe die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelmeerraums, die Umsetzung umweltverträglicherer Maßnahmen sowie der Umstieg auf eine emissionsarme Wirtschaft in allen Bereichen gefördert werden kann. Der EWSA unterstützt auch den Grundsatz, dass die Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen  (1) und die Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern  (2) im Rahmen der makroregionalen Strategie der EU für den Mittelmeerraum berücksichtigt werden. Diese drei Strategien sollten sich im Verlauf ihrer Umsetzung gegenseitig verstärken.

1.8

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für den Mittelmeerraum im Rahmen der integrierten Meerespolitik. Er möchte jedoch ein ambitionierteres Konzept vorschlagen: eine makroregionale Strategie, die auch territoriale und maritime Aspekte umfasst, und zwar unter Berücksichtigung der Erfahrungen im Ostseeraum und im Donaugebiet sowie des Berichts des Europäischen Parlaments über die Entwicklung makroregionaler Strategien der EU im Mittelmeerraum und den Bericht der Europäischen Kommission über den Nutzen makroregionaler Strategien.

1.9

Der EWSA weist darauf hin, dass die Verwaltungsstruktur der makroregionalen Strategie der EU für den Mittelmeerraum auf einem Mehrebenenkonzept basieren sollte, das regionale, nationale und europäische Institutionen umfasst und nicht als zusätzliche Tätigkeit oder Belastung für diese Institutionen betrachtet werden sollte.

1.10

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Grundprinzip der Umsetzung der makroregionalen Strategie der EU für den Mittelmeerraum in einem integrierten Konzept besteht, das zunächst im Rahmen von Diskussionsforen festgelegt und dann durch die Schaffung eines makroregionalen Europa-Mittelmeer-Forums gestärkt wird, um die umfassende Einbindung aller institutionellen Akteure und der Zivilgesellschaft (Interessenträger) zu fördern und bereits existierende Maßnahmen mit funktionellen Zielen zu verknüpfen, so dass eine gemeinsame Politik gestaltet werden kann. Das vorgeschlagene Forum wird die Erfahrungen bei der Planung, Überwachung und Bewertung territorialer und maritimer Fragen im Mittelmeerraum nutzen und zu dem makroregionalen Instrument weiterentwickelt werden, das gemeinsame strategische Handlungsleitlinien festlegt und eine aktive Rolle bei der Bestimmung vorrangiger Projekte für den territorialen Zusammenhalt der Regionen des Mittelmeerraums spielt.

1.11

Mit Blick auf die Unterstützung des EWSA und des Ausschusses der Regionen für eine Strategie zur Entwicklung des Zusammenhalts im Mittelmeerraum hält es der EWSA für strategisch angemessen, dass beide Einrichtungen dem makroregionalen Mittelmeerforum Raum bieten und eine Führungsrolle übernehmen. Dazu wird eine Lenkungsgruppe aus Vertretern des Europäischen Parlaments, der Kommission, des EWSA und des AdR eingerichtet, die während der Ausgestaltung der Strategie und der künftigen Koordinierung systematische Unterstützung leisten wird.

1.12

Der EWSA unterstützt die Auffassung, dass die Strategie nicht nur auf dem Papier bestehen darf, sondern in erster Linie als Prozess begriffen werden muss. Das heißt, dass die Strategie im Verlaufe der Zeit auch umgesetzt werden muss. Der EWSA hofft, dass die positiven Lehren aus der Umsetzung makroregionaler Strategien im Ostsee- und im Donauraum auf den Mittelmeerraum angewandt werden und zu einer wirksamen und zeitgerechten Umsetzung der neuen makroregionalen Strategie für den Mittelmeerraum beitragen werden, die den Bürgern der betroffenen Regionen innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens konkrete Vorteile bringt.

2.   Eine makroregionale Strategie der EU für den Mittelmeerraum

2.1

Wichtig ist zunächst eine einheitliche Definition des Begriffs Makroregion. Unter einer Makroregion versteht man gewöhnlich ein Gebiet, das sich über Territorien mehrerer verschiedener Länder oder Regionen erstreckt, denen eines oder mehrere Merkmale oder Probleme geografischer, kultureller, wirtschaftlicher oder anderer Art gemein sind (3).

2.1.1

Die Kommission hat einen Rahmen für makroregionale Strategien erarbeitet, der folgende drei Elemente umfasst:

1)

einen integrierten Rahmen für Mitgliedstaaten und Drittstaaten, die in ein und demselben geografischen Gebiet liegen,

2)

die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen,

3)

den Nutzen einer engeren Zusammenarbeit für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt.

2.2

Bislang hat die EU zwei makroregionale Strategien verabschiedet, eine für den Ostseeraum (2009) und eine für den Donauraum (2011). Eine Strategie für die Makroregion Adria-Ionisches Meer, die 2011 vom Ausschuss der Regionen erstmals vorgeschlagen wurde (4), wird derzeit verabschiedet, die Strategie für den Atlantik auf der Grundlage eines meeresraumbezogenen Ansatzes wurde bereits beschlossen.

2.2.1

Die Diskussionen über makroregionale Strategien sollten vor dem Hintergrund der Entwicklungen im politischen Rahmen der EU gesehen werden: Mit dem Vertrag von Lissabon ist der territoriale Zusammenhalt zu einem zentralen Ziel der EU-Politik geworden, und mit der Strategie Europa 2020 wurde die territoriale Governance zum Schlüsselfaktor für die Unterstützung der Verwirklichung der kohäsionspolitischen Ziele der EU im nächsten Programmplanungszeitraum (Mehrjähriger Finanzrahmen 2014-2020).

2.2.2

2012 legte die Kommission eine Mitteilung vor, in der sie den Bedarf an meeresbezogenen Tätigkeiten im Adriatischen und Ionischen Meer sowie deren Potenzial bewertet und einen „Rahmen für eine kohärente Meeresstrategie sowie einen entsprechenden Aktionsplan bis 2013“ absteckt. Weiter heißt es: „Sollten die EU-Mitgliedstaaten beschließen, die Kommission zur Ausarbeitung einer EU-Strategie für den Bereich der Adria und des Ionischen Meeres aufzufordern, könnte die vorliegende Meeresstrategie der erste Pfeiler einer solchen makroregionalen, weitere Bereiche umfassenden Strategie der EU werden“ (5).

2.3

Da der makroregionale Ansatz in der EU-Politik immer mehr an Gewicht gewinnt, sollte der Begriff Makroregion nach Auffassung des EWSA klarer definiert werden. Der EWSA unterstützt zudem, wie bereits in früheren Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht (6), diese wichtige politische Strategie sowie die Entschließung des Europäischen Parlaments zu den makroregionalen Zukunftsperspektiven im Mittelmeerraum (7).

2.3.1

Makroregionale Strategien sind hauptsächlich auf zwei Ziele ausgerichtet: erstens auf Probleme, die von den Regionen oder Ländern allein nicht zufriedenstellend bewältigt werden können (z. B. Umweltprobleme), und zweitens auf Formen der Zusammenarbeit, die für die beteiligten Regionen und Länder von Vorteil sind. Diese Klassifizierung spiegelt die Unterscheidung zwischen länderübergreifenden Themen und gemeinsamen Themen wider, die in den Diskussionen über Transnationalität und Subsidiarität der EU-Finanzierung herangezogen wird. Anhand der geografischen, sozio-ökonomischen und administrativen Merkmale des Mittelmeerraums wird in hohem Maße deutlich, dass die erstgenannten Ziele für die makroregionale Strategie am wichtigsten sind.

2.4

Der Mittelmeerraum ist gekennzeichnet durch ähnliche ökologische, historische und kulturelle Merkmale und könnte deshalb als eine einzige Makroregion betrachtet werden (8). Der EWSA ist der Auffassung, dass in den 149 EU-Mittelmeerküstenregionen (einschließlich der 7 in Kroatien), die in Spanien, Frankreich, Kroatien Italien, Malta, Slowenien, Griechenland und Zypern auf NUTS-3-Ebene definiert wurden (9), eine einzige makroregionale Strategie im Mittelmeerraum umgesetzt werden sollte.

2.5

2009 umfasste die Erwerbsbevölkerung in den EU-Mittelmeerküstenregionen 32,4 Millionen Menschen, davon etwa 41% Frauen. Diese Menschen sind in der Regel stärker von Arbeitslosigkeit bedroht, die durchschnittliche Arbeitslosenrate lag in den EU-Mittelmeerküstenregionen 2009 bei etwa 12,9% (8,9% in der EU). 2007 betrug das BIP der EU-Mittelmeerküstenregionen 1 715 Mrd. KKS (Kaufkraftstandard) bzw. 13,9% des BIP der EU. Das durchschnittliche BIP pro Kopf lag in diesen Regionen mit 23 000 KKS pro Kopf unter dem EU-Wert (24 000 KKS pro Kopf) (10).

2.5.1

Angesichts der Ausdehnung des Gebiets ist der EWSA deshalb der Auffassung, dass die EU-Makroregion Mittelmeerraum in mindestens drei Teilmakroregionen unterteilt werden sollte. Konsultationen, die das Europäische Parlament kürzlich zur Entwicklung von Makroregionen durchgeführt hat, zeigen, dass die Tendenz dahin geht, den Mittelmeerraum in drei Teilmakroregionen aufzugliedern: i) den westlichen Mittelmeerraum, ii) den zentralen Mittelmeerraum, d. h. die Makroregion Adria-Ionisches Meer, und iii) den östlichen Mittelmeerraum, wobei spezielle, aufeinander abgestimmte Aktionspläne erstellt werden sollten.

2.5.2

Der EWSA ist im Einklang mit der Position des Europäischen Parlaments und der geografischen Verteilung, wie sie von Eurostat vorgenommen wurde, der Auffassung, dass die Teilmakroregion zentraler Mittelmeerraum auch Sizilien und Malta im Rahmen der Makroregion Adria-Ionisches Meer umfassen sollte. Noch wichtiger ist jedoch, dass Länder und Regionen, die an der gedachten Grenzlinie von Teilmakroregionen liegen, die Möglichkeit haben, in mehr als einer Teilmakroregion mitzuarbeiten, damit eine bessere Koordinierung gewährleistet wird und unwirtschaftliche Doppelarbeit und Konflikte vermieden werden.

3.   Voraussetzungen

3.1

Der Mittelmeerraum insgesamt leidet darunter, dass die Europäische Union ihm bis jetzt kein kontinuierliches Interesse entgegengebracht, sondern im Verlaufe der Jahre verschiedene Initiativen und Instrumente gestartet hat. Diese Initiativen haben einige positive Ergebnisse gezeitigt, jedoch die ursprünglich angestrebten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungsziele nicht erreicht. Jetzt ist es an der Zeit, das zu vervollständigen, was die EU als Teil der auswärtigen Politik in Form der Union für den Mittelmeerraum und ihrer Nachbarschaftspolitik unternimmt, indem ein umfassenderes Konzept für ihre eigenen Mittelmeerregionen ins Leben gerufen wird.

3.1.1

Klare gemeinsame Strategien für die Region als Ganzes sowie für die Teilregionen, flankiert von einem angemessenen Aktionsplan, könnten dazu beitragen, einige der regionalpolitischen Ungewissheiten zu beseitigen, die mit dem Scheitern einiger außenpolitischer Maßnahmen der EU in der Region im Zusammenhang mit der Union für den Mittelmeerraum und der EU-Nachbarschaftspolitik entstanden sind. Solche klaren Strategien können auch dazu beitragen, einige der positiven Ergebnisse und laufenden Projekte der EU-Außenpolitik zu berücksichtigen und zu bewahren.

3.2

Der EWSA bevorzugt ein makroregionales Konzept, mit dessen Hilfe die Synergien zwischen den verschiedenen EU-Politikbereichen gestärkt und die Bemühungen eines breiten Spektrums an Interessenträgern in den EU-Mittelmeerküstenregionen koordiniert werden. Eine makroregionale Strategie sollte generell darauf abzielen, Maßnahmen noch wirkungsvoller zu gestalten, die in einer Makroregion bereits ergriffen werden, d. h. europäische, nationale und regionale Mittel zur Umsetzung gemeinsamer Ziele zu koordinieren, bei den Beteiligten einen Sinn für gemeinsame Erfolge zu schaffen und Organisationen und Behörden aller Ebenen zur Nutzung wichtiger Chancen und Bewältigung von Problemen zusammenzubringen. Ganz konkret bedeutet dies, dass es unter den gegenwärtigen besonderen Bedingungen starker haushaltspolitischer Zwänge, die die Möglichkeiten des Privatsektors zur Ankurbelung der Wirtschaft erheblich einschränken, dringend erforderlich ist, das höchstmögliche Maß an Pareto-Effizienz beim Einsatz der verfügbaren Ressourcen zu erzielen.

3.3

Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation, wie sie sich infolge der weltweiten Finanzkrise 2008 entwickelt hat, sind kontinuierliche Anstrengungen zur Förderung neuer Wachstumsbereiche erforderlich, die dazu beitragen können, Länder aus der Wirtschaftskrise zu führen und in die Lage zu versetzen, dringend benötigte Arbeitsplätze zu schaffen. Die Küstengebiete der EU in Südeuropa haben das Potenzial, innovative Zentren eines dynamischen Wachstums zu werden, wenn sie ihre einzigartigen Besonderheiten nutzen.

3.3.1

Dies erfordert jedoch beispiellose Anstrengungen zur Koordinierung der gesamten Arbeit, die von den wichtigsten Interessenträgern in der Region geleistet wird, um eine stärkere Integration zwischen den jeweiligen Gebieten zu erzielen, wobei die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielen.

3.3.2

Unserer Auffassung nach gibt es bereits zahlreiche Instrumente und Maßnahmen, die erheblich zur Umsetzung einer makroregionalen Strategie beitragen könnten. Dazu gehören Projekte, die aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF), den sogenannten Strukturfonds, finanziert werden, aus Mitteln im Rahmen des Konvergenzziels, des Ziels Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, des Ziels Europäische territoriale Zusammenarbeit sowie aus Programmen zur Verwirklichung verkehrspolitischer Ziele und zur Vertiefung des territorialen Zusammenhalts (vorgesehen für Europa 2020), insbesondere solchen mit meerespolitischer Ausrichtung wie dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds, oder aus Mitteln der Fazilität „Connecting Europe“, der Europäischen Investitionsbank und nationalen Mitteln.

3.3.2.1

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass alle EU-Mitgliedstaaten (konkret die 163 Regionen im Mittelmeerraum) gegenwärtig individuelle Partnerschaftsvereinbarungen ausarbeiten, in denen festgelegt wird, wie jeder Mitgliedstaat die GSR-Fonds zu nutzen gedenkt. Zwar gibt es ein Element der territorialen Zusammenarbeit in diesen Vereinbarungen, doch wird nach Auffassung des EWSA hier eine Chance zu mehr Koordinierung zwischen den Ländern und Regionen im Mittelmeerraum vergeben.

3.3.2.2

Allerdings fordert der EWSA Übergangsregelungen zur Umsetzung einer makroregionalen Strategie, und bis zur Halbzeitbewertung der Partnerschaftsvereinbarungen, die mit den EU-Mitgliedstaaten abgeschlossen werden, sollten derartige Maßnahmen auch wirklich ergriffen sein.

3.3.3

Um sicherzustellen, dass diese Instrumente im Zentrum stehen und optimal ausgestaltet sind, müssen die beteiligten Institutionen zur Steuerung des Verfahrens auf mehreren Ebenen koordiniert werden, damit die Mittel optimal eingesetzt und Überschneidungen vermieden werden. Die interregionale Koordinierung ist mittlerweile ausschlaggebend und dringend erforderlich, vor allem da mit derselben Menge (oder weniger) an Mitteln mehr erreicht werden muss. Deshalb müssen geeignete und wirksame Instrumente geschaffen werden, die für Koordinierung und Effizienz sorgen.

3.3.3.1

In einer wettbewerbsorientierten globalisierten Welt müssen die 163 Regionen in der Lage sein, mit Konkurrenten im näheren oder weiteren Umfeld mitzuhalten, weshalb Führungskraft und rechtzeitige Entscheidungen dringend gefragt sind.

3.3.4

Die abgelegenen und Küstenregionen, die Mitglied der Konferenz der peripheren Küstenregionen Europas (KPKR) sind, sowie der AdR haben die Europäische Kommission bereits mehrfach aufgefordert, einen Territorialpakt einzuführen, damit die Strategie Europa 2020 von allen wirtschaftlichen Gruppen in den Regionen Europas besser aufgegriffen werden kann (11).

3.4

Erforderlich ist eine Kombination aus prägenden Maßnahmen und dezentralisierter Entscheidungsfindung, die dazu beiträgt, die Ressourcen so zu koordinieren, dass sie dort eingesetzt werden, wo sie in Bezug auf Wachstum und Arbeitsplätze voraussichtlich die größte Wirkung zeitigen werden.

3.4.1

Nur eine gut durchdachte Strategie, die einfach gehalten ist und auf einem breitestmöglichen Konsens beruht, kann dazu beitragen, die Wege und Möglichkeiten der Regionen, Städte und Häfen der EU-Mittelmeerküstenregionen zu erhellen.

3.4.2

Außerdem ist es wichtig, eine Methode zur Messung der Wirksamkeit der Politik in der Makroregion Mittelmeerraum zu entwickeln, damit rechtzeitig Korrekturmaßnahmen ergriffen werden können. In der Vergangenheit hat das Fehlen eines Maßstabs, an dem der Erfolg oder Misserfolg einer Maßnahme präzise gemessen werden kann, im Verein mit mangelnder Koordinierung, Doppelarbeit und Verschwendung sowie fehlender Rechenschaftspflicht verhindert, dass rechtzeitig Korrekturmaßnahmen ergriffen werden, was die politischen Versäumnisse letztlich noch vergrößert hat.

3.4.3

Die Strategie muss mit einem Aktionsplan einhergehen, in dem die Projekte, die hauptsächlich wegen ihrer regionenübergreifenden Auswirkungen und ihrer Bedeutung für das Wirtschaftswachstum ausgewählt werden, sowie die Finanzierungsquellen für ihre Umsetzung klar benannt werden. Dies ist von ausschlaggebender Bedeutung und sollte vorzugsweise innerhalb der ersten zwei Jahre nach dem Start des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 abgeschlossen sein.

3.4.4

Von besonderer Bedeutung ist die Reduzierung des Verwaltungsaufwands im Hinblick auf die Berichterstattung und die von den Beteiligten und Trägern auszufüllenden Formulare. Nichtstaatliche Organisationen, KMU und regionale Gebietskörperschaften, insbesondere aus kleineren Regionen, schrecken oft vor der Teilnahme zurück, weil ihnen die Kapazitäten fehlen und sie den Verwaltungsaufwand scheuen. Zwar sind natürlich Kontrollen erforderlich, doch müssen die Begünstigten der Projekte auch die Möglichkeit haben, ihre Zeit und Ressourcen dafür einzusetzen, etwas für die Gesellschaft und die Wirtschaft insgesamt wirklich Nützliches zu tun.

3.4.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass den Regionen eine Chance auf Wachstum entgeht, wenn der Aktionsplan nicht umgesetzt wird. Die Opportunitätskosten eines Scheiterns werden, insbesondere in der aktuellen Krise, außerordentlich hoch sein. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass bei der Nutzung von Ressourcen für mehr Wachstum durch eine innovative Zusammenarbeit erhebliche Effizienzsteigerungen möglich sind. Ein Scheitern wäre auch für die regionalen politischen Entscheidungsträger und ihre Bürger bedenklich. Die Wachstumsaussichten der kommenden beiden Jahre sind für die meisten beteiligten Regionen nicht sehr gut, und dieses Problem wird sich verschärfen, wenn die Regionen die Chancen einer makroregionalen Strategie nicht ergreifen und ihre personellen und natürlichen Ressourcen nicht effizient und nachhaltig nutzen (12).

3.4.6

Ausgangspunkt dieser Strategie sollte die Ermittlung der wichtigsten Ziele und die Erfassung der existierenden europäischen, nationalen und regionalen Programme sowie der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft sein, die die erforderliche Koordinierung leisten können. In der makroregionalen Strategie der EU gibt es verschiedene EU-finanzierte Projekte, die bei richtiger Koordinierung noch weitaus mehr Nutzen bringen könnten. Solche Projekte, die zumindest auf dem Papier bereits existieren, und neue Vorhaben, die zweifellos künftig in Angriff genommen werden, können sich für die Verwirklichung einiger Ziele der makroregionalen Strategie der EU als nützlich erweisen.

4.   Worum geht es?

4.1

Wichtigstes Ziel ist die Definition einer auf mehreren Ebenen angelegten Makroregion Mittelmeerraum, flankiert von einer makroregionalen Strategie, bei der die Maßnahmen auf der Grundlage der Regel „mehr komplementäre Finanzierung, mehr institutionelle Koordinierung und mehr neue Projekte“ durch konkrete Aktionspläne umgesetzt werden.

4.2

Die Regionen des Mittelmeerraums benötigen gemeinsame Anstrengungen zur Zusammenarbeit mittels der Strategie auf allen Ebenen, wodurch es möglich sein sollte, die Ziele der Strategie Europa 2020 zu nutzen und so die Integration zwischen den Maßnahmen und Fonds der EU voranzubringen (territoriale Zusammenarbeit). Die makroregionale Strategie sollte umgesetzt werden, um den Regionen und Gebieten bei der Bewältigung von Problemen zu helfen, die im nationalen Rahmen allein nicht gelöst werden können.

4.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Entwicklung einer makroregionalen Strategie für den Mittelmeerraum auf drei Wachstumspfeilern beruhen sollte:

Intelligentes Wachstum (mit besonderem Gewicht auf dem „blauen Wachstum“)

Förderung einer wissensbasierten Wirtschaft, die Innovation und neue Technologien unterstützt

Nachhaltiges Wachstum

Förderung einer nachhaltigen, umweltfreundlicheren und wettbewerbsfähigeren Wirtschaft

Integratives Wachstum

Förderung einer Wirtschaft mit wesentlichem Schwerpunkt auf der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Verringerung der Armut zur Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts

4.3.1

Das intelligente Wachstum wird unterstützt, indem das Konzept des „blauen Wachstums“ berücksichtigt wird. Am 13. September 2012 legte die Europäische Kommission eine Mitteilung zum „blauen Wachstum“ vor, in der sie fünf Wertschöpfungsketten nennt, die nachhaltig Wachstum und Beschäftigung in der blauen Wirtschaft schaffen können. Dabei handelt es sich um blaue Energie, Aquakultur, Meeres-, Küsten- und Kreuzfahrttourismus, Meeresbodenschätze und blaue Biotechnologie (13).

4.3.1.1

Das „blaue Wachstum“ spiegelt die — insbesondere meeresbezogenen — Maßnahmen wider, die Küstenregionen unter Ausnutzung ihrer geografischen Lage und Besonderheiten zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und ihres Wirtschaftswachstums ergriffen haben, also bezüglich der Bereiche, in denen sie am besten aufgestellt sind.

4.3.1.2

Die Aufgabe des intelligenten Wachstums für die Küstenregionen der EU-Makroregion Mittelmeerraum umfasst zwei Aspekte:

die Schaffung einer ausreichend umfassenden Wirtschaftstätigkeit, die letztlich dazu beiträgt, Europa aus der aktuellen Wirtschafts- und Sozialkrise zu führen, und

die erforderlichen Investitionen in wesentliche Infrastrukturen, insbesondere Häfen, Flughäfen, Eisenbahn, Verkehrsdrehkreuze und sonstige Infrastruktur, die die EU-Makroregion Mittelmeerraum zu einer umfassenden Teilhabe am Wiederaufschwung befähigen, sobald dieser greift.

4.3.1.3

Die nachhaltige Nutzung der Ressourcen des Mittelmeerraums bietet die Chance, Wohlstand und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Forschung im Bereich moderner Umweltsysteme und -technologien sollte ausgebaut werden, um die traditionellen Wirtschaftstätigkeiten des Mittelmeerraums, die im Rückgang begriffen sind, zu unterstützen und damit neue Chancen zu eröffnen.

4.3.1.4

Diese Aufgaben erfordern die Einbeziehung der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Kreise sowie der Sozialpartner. Es sollte darauf geachtet werden, Maßnahmen in Bereichen wie Infrastruktur, Industrie, Ausbildung, F&E-Investitionen, Zusammenarbeit zwischen Universitäten und die Schaffung von Clustern zu unterstützen.

4.3.1.5

Der nautische Sektor zeigt eine große Dynamik und trägt zur Entwicklung bei. Der Wassertourismus sorgt für wirtschaftliche Tätigkeit und Arbeitsplätze und fördert darüber hinaus die Herausbildung einer europäischen Mittelmeeridentität.

4.3.2

Die Hauptzüge des Konzepts nachhaltiges Wachstum sowie die beteiligten Branchen sind in vielerlei Hinsicht miteinander verflochten. Nachhaltigkeit und die Umsetzung stärker umweltgerechter Maßnahmen sowie der Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft in allen Sektoren tragen zur Verwirklichung der Klimaschutzziele und zur Anpassung an den Klimawandel bei. Die Ressourcen müssen effizient eingesetzt, Synergien gestärkt, und nutzlose Maßnahmen sowie Doppelarbeit müssen ermittelt und abgestellt werden. Die wichtigsten Infrastrukturen, auch für den Land- und Seeverkehr, die Energieübertragung und die IT-Netze müssen kontinuierlich ausgebaut werden, damit keine Engpässe entstehen.

4.3.2.1

Die Nachhaltigkeit von Küsten- und Meeresgebieten steht in engem Zusammenhang, und beide können durch die Tätigkeit des Menschen belastet werden, einschließlich der Verschmutzung der Böden, die letztlich auch das Mittelmeer erreicht, sowie der CO2-Emissionen von Schiffen (14). Ein integriertes Management der Küstengebiete sollte sich nicht auf die Wirtschaftstätigkeit und die Verschmutzung der Küsten beschränken. Es müssen alle denkbaren Anreize genutzt werden, damit der maritime Sektor und die Schiffe, die das Mittelmeer befahren, auf die modernsten Formen umweltfreundlicher Technologien umgerüstet werden.

4.3.2.2

Die Europäische Union und acht ihrer Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien des Übereinkommens zum Schutz des Mittelmeers vor Verschmutzung (Übereinkommen von Barcelona) von 1975 und der dazugehörigen Protokolle, die im Rahmen des UNEP geschlossen wurden. Durch einen Rechtsakt des Rates von Ende des Jahres 2012 wurde die EU Vertragspartei des Offshore-Protokolls dieses Übereinkommens, das dem Schutz der Küstengebiete des Mittelmeers vor Verschmutzung durch Aktivitäten im Bereich des Festlandsockels dient. Die EU-Mittelmeerregionen können erheblichen Nutzen aus diesem Übereinkommen ziehen und sollten ihm auch im Rahmen ihres Ziels im Bereich des „blauen Wachstums“ beträchtliche Aufmerksamkeit schenken.

4.3.2.3

Das Potenzial regenerativer Energieträger im Mittelmeerraum bietet eine beträchtliche Quelle für saubere Energie, die noch zu wenig erschlossen ist. Gemäß den Zielen der Strategie Europa 2020 sollten Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel bzw. zu dessen Prävention in die makroregionale Strategie der EU aufgenommen werden.

4.3.2.4

Die makroregionale Strategie der EU muss Maßnahmen im Bereich des nachhaltigen Verkehrs zur Reduzierung der Kohlendioxidemissionen umfassen. Der Verkehr sollte von der Straße auf die See verlagert werden (15). Im Seeverkehr wiederum muss der Einsatz sauberer Treibstoffe weiter forciert werden. Auch die Sicherheit des Seeverkehrs und die Zusammenarbeit bei Katastrophenvorbeugung und -abwehr müssen mitberücksichtigt werden (siehe Abbildung 5 des Anhangs).

4.3.3

Die makroregionale Strategie der EU sollte eine ausgeprägte soziale Dimension umfassen und so den Aspekt integratives Wachstum in den EU-Mittelmeerküstenregionen fördern. Durch die wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze sollten bessere Lebensbedingungen für die in den Regionen lebende Bevölkerung ermöglicht werden. Die regionalen Gebietskörperschaften sollten den sozialen Dialog und die Einbeziehung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft fördern. Mit einem integrierten Konzept für den territorialen Zusammenhalt sollte der „integrativen“ Situation der Städte und Ballungsräume, der ländlichen Gemeinden, der kleinen Küstenstädte und Inseln Rechnung getragen werden. Grundlegende Voraussetzung für integratives Wachstum ist, dass der Zugang zu Infrastruktur, Technologien und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen mit der nachhaltigen Entwicklung verknüpft wird.

4.3.3.1

Die Informationstechnologien müssen ausgebaut werden, insbesondere in den abgelegenen Gebieten, und zwar durch bessere Anbindung, um den territorialen und sozialen Zusammenhalt des Mittelmeerraums insgesamt durch einen themenübergreifenden Ansatz zu fördern. Die Entwicklung von IKT sollte gefördert werden.

4.3.3.2

Ferner muss darauf hingewiesen werden, dass in der Makroregion Mittelmeerraum zusätzliche Flughäfen und Flugdienste ausgebaut werden müssen, um die regionale wirtschaftliche Integration zu stärken. Luftverkehrsdienste und -infrastruktur verfügen noch über erhebliches ungenutztes Potenzial und benötigen weitere Investitionen.

4.3.3.3

Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Bildung sind von entscheidender Bedeutung für die Förderung des integrativen Wachstums im Mittelmeerraum. Es müssen gemeinsame Bildungsziele der EU-Makroregion Mittelmeerraum bestimmt werden.

4.3.3.4

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Dialog zwischen den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft sowie den Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Bildung gestärkt werden muss. Eine Priorität ist die Bildung im maritimen und nautischen Bereich sowie die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Ausbildungsstätten.

4.3.3.5

Auch die Arbeitslosen in den EU-Mittelmeerküstenregionen müssen bei der Ausarbeitung der künftigen Strategie angehört werden, die ihnen Chancen auf einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt bieten soll. Ferner ist wichtig, dass ernstgemeinte und konkrete Anstrengungen unternommen werden, um führende Vertreter „ausgegrenzter“ sozialer Gruppen wie Migranten, Menschen mit Behinderungen und Frauenorganisationen zu beteiligen. Der EWSA unterstützt voll und ganz die EU-Maßnahmen zur Verhinderung von Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Orientierung oder des Geschlechts.

4.3.3.6

Mit Blick auf die Tendenz einer zunehmenden demografischen Alterung der EU-Bevölkerung sollte auch eine Maßnahme zur Unterstützung des gesunden und aktiven Alterns in den EU-Mittelmeerküstenregionen einbezogen werden. Die Mittelmeerregionen müssen zudem einen nachhaltigen langfristigen Plan für eine gesteuerte Einwanderung erarbeiten und Saisonarbeitnehmer zulassen, die die durch eine alternde Bevölkerung entstehenden Lücken schließen, und der steigenden demografischen Abhängigkeitsquote entgegenwirken. Der EWSA befürwortet entschlossenere Anstrengungen der EU zur Unterstützung der Mittelmeerregionen bei der Bewältigung der Herausforderungen der Einwanderung und der Integration der Migranten in die Gesellschaft.

4.3.3.7

Nach Auffassung des EWSA ist es wichtig, eine makroregionale Strategie der EU für den Mittelmeerraum zu entwickeln, die die europäischen Prioritäten zur Verbesserung der sozialen Inklusion, der Lebensqualität und der umfassenden Wahrung der Rechte Behinderter berücksichtigt und die Gleichstellung der Geschlechter im Mittelmeerraum fördert. Es ist deshalb von ausschlaggebender Bedeutung, die individuelle Autonomie, Würde und Freiheit Behinderter zu schützen und Frauen auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft und in Entscheidungspositionen im Mittelmeerraum zu stärken.

5.   Welcher Nutzen ist zu erwarten?

5.1

Die Umsetzung einer makroregionalen Strategie für den Mittelmeerraum bietet zahlreiche Chancen, vor allem da ein sinnvoller Bezugsrahmen für die Kohäsionspolitik geschaffen wird und die Zusammenarbeit verschiedener Bereiche bei gemeinsamen Themen wie Dienstleistungen und Arbeit gefördert wird. Durch diesen Rahmen können Investitionen so gelenkt werden, dass sie mehr Komplementarität bewirken, und es können die jeweiligen Prioritäten der einzelnen regionalen Entwicklungspläne für eine europäische Makroregion beeinflusst werden, was eine Zusammenschau sowie echte Synergien im Rahmen eines integrierten Ansatzes gewährleistet.

5.2

Eine makroregionale Strategie der EU würde über die Mittel für die Kohäsionspolitik hinaus eine bessere Einbindung und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Instrumenten der EU ermöglichen und die Ressourcen der Regionen und Mitgliedstaaten mithilfe des Mehrebenenregierens bündeln. Diese Strategie wäre für ausnahmslos alle Beteiligten vor Ort von Nutzen.

5.3

Die Vorteile einer makroregionalen Strategie für den Mittelmeerraum ergeben sich zum großen Teil aus ihrem sehr umfassenden und viele Ebenen erfassenden integrativen Ansatz, mit dessen Hilfe Synergien zwischen EU-Maßnahmen und -Programmen sowie eine gegenseitige Ergänzung von Finanzierungsmöglichkeiten gefördert werden können.

5.4

Die Umsetzung der makroregionalen Strategie für den Mittelmeerraum wird die Durchführung strategischer Maßnahmen in den Küsten- und Inselgebieten fördern und die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen, Regionen, Städten, Häfen und gegebenenfalls den nationalen Behörden im Mittelmeerraum begünstigen.

5.5

Es werden Maßnahmen im Rahmen der Integrierten Meerespolitik und des „blauen Wachstums“ durchgeführt, bei denen die gegenseitige Abhängigkeit und die Synergien zwischen diesen Tätigkeiten, die auf den ersten Blick nichts mit dem maritimen Sektor zu tun haben, hervorgehoben werden.

5.6

Die vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen die bereits genannten drei Wachstumspfeiler. Die auszuwählenden Maßnahmen müssen folgenden Kriterien genügen:

Sie müssen Auswirkungen auf die Makroregion haben und innerhalb eines angemessenen Zeitraums konkreten Nutzen für die Bürger der EU-Makroregion Mittelmeerraum bringen.

Sie müssen dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung entsprechen und deshalb auf die Schaffung von Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Minimierung der Umweltfolgen abzielen.

Sie müssen kurz- bis mittelfristig (maximal innerhalb von sieben Jahren) umsetzbar sein.

Sie müssen das Potenzial haben, Mittel des privaten Sektors zu mobilisieren, die öffentliche Mittel (von EU und Regierungen) ergänzen.

6.   Katalysatoren für Veränderungen

6.1   Der EWSA ist der Auffassung, dass die Herausforderungen für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung im Mittelmeerraum gemeinsame und gemeinschaftliche Anstrengungen erfordern, um das Potenzial der Gebiete zu nutzen und auszuschöpfen. Der EWSA zeigt fünf Katalysatoren für Veränderungen auf, die zur erfolgreichen Umsetzung der europäischen Kohäsionspolitik 2014-2020 in den EU-Mittelmeerküstenregionen beitragen können:

6.1.1   Förderung einer polyzentrischen, ausgewogenen und integrierten Entwicklung

Eine ausgewogene territoriale Entwicklung ist von entscheidender Bedeutung, um den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt in den EU-Mittelmeerküstenregionen zu fördern. Die EU-Mittelmeerküstenregionen müssen zusammenarbeiten, um innovative Netze zu schaffen, mit deren Hilfe sie die territoriale Polarisierung der Wirtschaftsleistung und regionale Unterschiede reduzieren und wirtschaftlichen Wohlstand auf eine nachhaltige Entwicklung im Mittelmeerraum ausrichten können.

6.1.2   Unterstützung der territorialen Zusammenarbeit in den Mittelmeerküstenregionen der EU

Die territoriale Zusammenarbeit ist ein wichtiger Faktor für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Mittelmeerraums und gleichzeitig für den Abbau der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fragmentierung. Es ist wichtig, die Koordinierung zwischen den für die Verwaltung grenzübergreifender und transnationaler Programme zuständigen Behörden zu stärken, und zwar durch Einbeziehung der ermittelten Prioritäten in die Strategien auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zur Unterstützung von Maßnahmen, die im Einklang mit der Strategie Europa 2020 und der Kohäsionspolitik 2014-2020 stehen.

6.1.3   Sicherung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der EU-Mittelmeerküstenregionen auf der Grundlage starker lokaler Wirtschaften

Die globale Wettbewerbsfähigkeit und der Zusammenhalt der EU-Mittelmeerküstenregionen kann erreicht werden, indem die Menschen angeregt werden, zu lernen, sich Wissen anzueignen und ihre Fähigkeiten auszubauen, indem marktorientierte Innovation zur Entwicklung neuer Produkte/Dienstleistungen genutzt wird, die Wachstum und Arbeitsplätze schaffen, und indem gleichzeitig die lokalen Gemeinschaften bei der Bewältigung sozialer Herausforderungen unterstützt werden. Die verstärkte Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien und die Schaffung eines digitalen Binnenmarkts auf der Grundlage schneller/superschneller Internetverbindungen und interoperabler Anwendungen ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung starker lokaler Wirtschaften.

6.1.4   Verbesserung der territorialen Anbindung für Einzelne, Gemeinschaften und Unternehmen

Ein erschwinglicher Zugang zu Diensten von allgemeinem Interesse wie Information, Wissen und Mobilität sowie effektive intermodale Verkehrslösungen und umweltfreundliche Produktionssysteme sind wichtige Prioritäten für den Zusammenhalt im Mittelmeerraum. Die Stärkung der Verbindungen zwischen den wichtigsten Zentren der EU-Mittelmeerküstenregionen mit interkontinentalen Verkehrsknoten durch den Ausbau von Hochgeschwindigkeits-Seewegen, die Stärkung der transeuropäischen Netze (TEN-V) und den Ausbau sekundärer Netze auf regionaler und lokaler Ebene zur Überwindung territorialer Barrieren wie im Falle der Mittelmeerinseln sind von entscheidender Bedeutung für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und des Zusammenhalts im Mittelmeerraum.

6.1.5   Nutzung und Verknüpfung ökologischer, landschaftlicher und kultureller Werte

Der Schutz und die Bewahrung des Kultur- und Naturerbes ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der EU-Mittelmeerküstenregionen. Es ist wichtig, die umfassende Einbeziehung der geschützten Gebiete in die lokalen Gemeinschaften und Wirtschaften zu fördern. Der hohe Wert der Landschaften des Mittelmeerraums sollte qualitativ entwickelt werden, und der Wert von Gebieten mit reichen natürlichen und kulturellen Ressourcen muss anerkannt werden, damit sie diese Schätze optimal nutzen können. Es ist deshalb wichtig, die regionale und lokale Identität zu entwickeln und gleichzeitig die Sensibilität und das Verantwortungsbewusstsein dieser Mittelmeergemeinschaften im Verhältnis zu ihrer Umwelt, ihrer Landschaft, ihrer Kultur und anderen einzigartigen Werten zu stärken.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010-2020: Erneuertes Engagement für ein barrierefreies Europa, COM(2010) 636 final.

(2)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern, COM(2010) 491 final.

(3)  Makroregionale Strategien in der EU, Diskussionspapier, vorgelegt von Kommissionsmitglied Pawel Samecki in Stockholm (16. 9. 2009): http://ec.europa.eu/regional_policy/archive/cooperation/baltic/pdf/macroregional_strategies_2009.pdf.

(4)  Initiativstellungnahme des Ausschusses der Regionen „Territoriale Zusammenarbeit im Mittelmeerraum über die Makroregion Adria-Ionisches Meer“, ABl. C 9 vom 11.1.2012, S. 8.

(5)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine Meeresstrategie für das Adriatische und das Ionische Meer, COM(2012) 713 final, Brüssel, 30.11.2012.

(6)  Sondierungsstellungnahme des EWSA auf Ersuchen des zyprischen Ratsvorsitzes zur Entwicklung einer makroregionalen Strategie im Mittelmeerraum, ABl. C 44 vom 15.2.2013, S.1, Stellungnahme des EWSA zur Entwicklung einer Meeresstrategie für den atlantischen Raum, ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 24.

(7)  Entschließung des Europäischen Parlaments zur Entwicklung makroregionaler Strategien der EU: derzeitige Praxis und Zukunftsperspektiven, insbesondere im Mittelmeerraum. 2011/2179(INI), 27.6.2012.

(8)  „Der Mittelmeerraum umfasst alle Gewässer westlich der Straße von Gibraltar und östlich des Marmara-Meers, das selbst nicht dazugehört. 142 EU-Küstenregionen grenzen an das Mittelmeer (NUTS 3)“. EUROSTAT, 2011, Statistics in focus, The Mediterranean and Black Sea basin.

(9)  Eine EU-Küstenregion ist eine auf NUTS-3-Ebene definierte statistische Region, die folgende Kriterien erfüllt:

Die Region verfügt über eine Seegrenze (372 Regionen erfüllen dieses Kriterium).

Mehr als 50% ihrer Bevölkerung lebt nicht weiter als 50 km vom Meer entfernt (73 Regionen erfüllen dieses Kriterium).

Hamburg entspricht nicht diesem Kriterium, wurde jedoch der Liste der EU-Küstenregionen hinzugefügt, da es in hohem Maße vom nahegelegenen Meer beeinflusst ist.

Quelle: EUROSTAT, 2001, ebenda.

(10)  Die Zahl der Erwerbstätigen in den sieben kroatischen Mittelmeerküstenregionen beträgt 527 700 (davon 44,7% Frauen), die Arbeitslosenrate liegt bei 17,8% und das durchschnittliche BIP bei 20 785 KKS (Eurostat 2013). Für die anderen Länder: siehe Eurostat, 2011, ebd.

(11)  Marseille, 27. November 2009, Seminar der KPKR „Europa aus der Krise führen: erste Vorschläge aus den Regionen zur Zukunft des EU-Haushalts und der EU-Politik“. In der ersten Entschließung (CdR 199/2010) schlägt der Ausschuss der Regionen vor, „nachdrücklich den im Europäischen Parlament lancierten Vorschlag zu unterstützen, einen Territorialpakt der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zur Europa-2020-Strategie zu schließen“.

(12)  Scenarios for the Mediterranean — World Economic Forum 2011.

(13)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Blaues Wachstum. Chancen für nachhaltiges marines und maritimes Wachstum COM(2012) 494 final, Brüssel, 13. September 2012.

(14)  COM(2013) 480 final — 2013/0224 (COD).

(15)  Ebenda.


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/11


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Statistische Erfassung von Freiwilligentätigkeit“ (Initiativstellungnahme)

2014/C 170/02

Berichterstatter: Krzysztof PATER

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Februar 2013, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Statistische Erfassung von Freiwilligentätigkeit

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 14. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 109 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

In der Erwägung, dass Freiwilligenarbeit

1.1.1

ein bedeutsamer Motor für integratives Wachstum ist, der sowohl zum sozialen als auch zum Humankapital beiträgt, die Solidarität zwischen den Generationen fördert und gleichzeitig von beträchtlichem wirtschaftlichen Wert ist,

1.1.2

ein wichtiger Faktor für viele Bereiche der Sozialpolitik und ein Indikator der öffentlichen Wirkung politischer Maßnahmen ist, der wirksam erfasst und überwacht werden sollte, um Entscheidungsträgern eine gute Wissensgrundlage zu bieten,

1.1.3

ein Forschungsgegenstand ist, der gegenwärtig aufgrund unzusammenhängender Umfragen mit allzu engem Blickwinkel unzureichend erfasst wird, in denen manche Aspekte ausgeblendet werden, wie die freiwillige Hilfe, die für Menschen außerhalb jeglicher Organisationsstruktur erbracht wird, und in denen der wirtschaftliche Wert der Freiwilligenarbeit unbeachtet bleibt,

1.2

ersucht der Ausschuss die Europäische Kommission,

1.2.1

die Bedingungen für die Einleitung methodischer Arbeiten und Pilotstudien zu schaffen, durch die Grundsätze für die Durchführung von Untersuchungen über die Freiwilligentätigkeit durch die Statistikämter der EU-Staaten aufgestellt werden sollen, und für diese Arbeiten das von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) herausgegebene Handbuch zur Erfassung von Freiwilligenarbeit (Manual on the Measurement of Volunteer Work) sowie die bisherigen Erfahrungen der Länder zu nutzen, die gestützt auf die in diesem Handbuch empfohlenen Lösungen bereits entsprechende Untersuchungen durchgeführt haben;

1.2.2

in den nächsten Jahren eine einheitliche Methodik für die Erfassung von Freiwilligenarbeit auszuarbeiten und für ihre Verankerung in einer entsprechenden Verordnung der Europäischen Kommission als von den Mitgliedstaaten regelmäßig durchzuführende Untersuchung zu sorgen;

1.2.3

Schritte zu unternehmen, um die Statistikämter der Mitgliedstaaten zu veranlassen, an Untersuchungen der Freiwilligenarbeit mitzuwirken — bereits vor der Einführung der Verordnung;

1.2.4

kohärente Informationen, die das Resultat von Untersuchungen der Freiwilligenarbeit in den einzelnen Ländern und auf EU-Ebene sind, zu sammeln und verfügbar zu machen;

1.2.5

auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten verbindliche rechtliche Maßnahmen zu ergreifen, die es dem gemeinnützigen Sektor ermöglichen, öffentliche Beihilfen mit dem wirtschaftlichen Wert der Freiwilligentätigkeit zu ko-finanzieren, der auf der Grundlage solider statistischer Daten ermittelt wird, die mit den im Einklang mit dieser Stellungnahme konzipierten Statistikinstrumenten erfasst werden.

1.3

Zudem weist der EWSA bei dieser Gelegenheit erneut auf die Notwendigkeit eines für Freiwilligentätigkeiten günstigen Umfelds und ihrer Unterstützung hin. Konkrete Vorschläge für ein günstiges Umfeld für Freiwilligentätigkeit wurden im Rahmen des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit 2011 ausgearbeitet, dazu gehört auch eine dauerhafte Unterstützung von Freiwilligentätigkeiten, die einen bedeutsamen Beitrag zum Gemeinwohl leisten (1).

2.   Hintergrund

2.1

Laut der (in den EU-Institutionen) allgemein gebräuchlichen Definition ist unter „Freiwilligentätigkeit“ jede Art freiwilligen formellen bzw. informellen Engagements zu verstehen, zu der sich jemand aus freien Stücken, aufgrund einer eigenen Entscheidung und aus persönlicher Motivation sowie ohne finanzielle Gewinnabsicht entschließt.

2.2

Die Definition von Freiwilligenarbeit (volunteer work), die die Internationale Arbeitsorganisation in ihrem Handbuch zur Erfassung von Freiwilligenarbeit (Manual on the Measurement of Volunteer Work) als begrifflichen Rahmen zur Erfassung formeller und informeller Freiwilligentätigkeit in unterschiedlichen kulturellen und rechtlichen Kontexten verwendet, steht im Einklang mit diesem Verständnis von Freiwilligentätigkeit, ist aber präziser. Freiwilligenarbeit wird in diesem Handbuch als unbezahlte, nicht-verpflichtende Arbeit (unpaid non-compulsory work) definiert, also als Zeit, die Personen für Leistungen aufwenden, die sie im Rahmen einer Organisation bzw. direkt für andere, nicht in demselben Haushalt lebende Personen erbringen und für die sie kein Entgelt erhalten (2). Für internationale vergleichende Studien ist diese Definition, die die Eigenschaften der Freiwilligentätigkeit genau festlegt, unverzichtbar. In den in den einzelnen Ländern gebräuchlichen Inhaltsdefinitionen müssen alle wichtigen Eigenschaften von Freiwilligenarbeit berücksichtigt werden, damit der Untersuchungsgegenstand unabhängig von den örtlichen Gegebenheiten stets identisch ist.

2.3

In den letzten Jahren und insbesondere im Rahmen des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit 2011 wurde in vielen Dokumenten der Europäischen Kommission, des EP und des Rates sowie des EWSA, des AdR und europäischer Organisationen der Zivilgesellschaft darauf hingewiesen, dass die Freiwilligentätigkeit mit den Grundwerten der EU, wie bürgerschaftliches Engagement und Solidarität mit Bedürftigen, zusammenhängt. Es wurde betont, dass die Freiwilligentätigkeit einen wichtigen Beitrag zu dem nicht im BIP erfassten Teil des gesellschaftlichen Wohlstands leistet und erhebliche Bedeutung für die Lebensqualität des Einzelnen hat. Aus systemischer Sicht trägt die Freiwilligenarbeit zur Schaffung von Sozialkapital bei, indem sie die Basis für Vertrauen und Zusammenarbeit bildet und stärkt und allgemein akzeptierte gesellschaftliche Normen und Werte befördert. Die informelle Freiwilligentätigkeit, wie die informelle Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen, ist ein wichtiges Instrument für Investitionen in das Humankapital, während der formellen Freiwilligentätigkeit eine bedeutende Rolle in Bereichen wie der Entwicklung von Querschnittskompetenzen und dem Erwerb neuer beruflicher Qualifikationen zukommt. Die ehrenamtliche Betreuung älterer Menschen und durch ältere Menschen ist in den alternden europäischen Gesellschaften ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Aufgrund all der Eigenschaften, die für die Rolle der Freiwilligentätigkeit bei der Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Beschäftigung sprechen, wird diese als wichtiges Element des integrativen Wachstums angesehen, das eine der drei Säulen der Europa-2020-Strategie bildet.

2.4

Ein weiterer wichtiger Aspekt des oben beschriebenen Diskurses waren die Empfehlungen zur Sammlung vergleichbarer Daten, die sowohl die gesellschaftliche als auch die wirtschaftliche Bedeutung der Freiwilligentätigkeit verdeutlichen. In diesem Zusammenhang wird die im ILO-Handbuch beschriebene methodische Vorgehensweise als geeignetes Modell für die Durchführung statistischer Untersuchungen in diesem Bereich genannt (3).

2.5

Diese Empfehlungen sind natürlich im Zusammenhang mit der unzureichenden Datenlage zum Thema Freiwilligentätigkeit zu betrachten. Hier wurde noch nicht Abhilfe geschaffen.

2.6

In den einzelnen Ländern werden einige Untersuchungen zur Freiwilligentätigkeit durchgeführt, die zahlreiche wesentliche Aspekte der Freiwilligentätigkeit abdecken (nicht nur den Bereich der Beteiligung an Freiwilligentätigkeiten sowie das demografische Profil der Mitwirkenden, sondern z. B. auch ihre Motivation). Ein Hindernis für die Nutzung dieser Untersuchungen für Analysen in der gesamten EU sind die mangelnde Übereinstimmung zwischen dem Umfang und der Vorgehensweise bei der Definierung des Begriffs „Freiwilligentätigkeit“ sowie weitere methodologische Unterschiede (Länge des Untersuchungszeitraums, uneinheitliche Altersgrenzen für die Befragten, Unterschiede bei der Durchführung der Studien, Genauigkeit der Ergebnisse) sowie die Zeitversetztheit der Untersuchungen. Aus dem im Auftrag der Europäischen Kommission von der Firma GHK erstellten Bericht geht hervor, dass sich dies in Unterschieden in der Größenordnung von bis zu 30-40 Prozentpunkten niederschlagen kann (4).

2.7

Regelmäßig erfasste und international vergleichbare Daten zur Freiwilligentätigkeit sind relativ beschränkt und umfassen überwiegend das Ausmaß der Beteiligung an — unterschiedlich definierter — Freiwilligenarbeit, die im Rahmen von Organisationen erbracht wird (formelle Freiwilligentätigkeit), sowie das demografische Profil der daran Beteiligten. Manchmal werden diese Untersuchungen durch Zusatzfragen ergänzt, etwa zur Häufigkeit der Freiwilligentätigkeit (5). Teilweise beschränken sich diese Studien nicht auf eine allgemeine Fragestellung zu einer jeweils spezifisch definierten Freiwilligentätigkeit, sondern führen eine Zusammenstellung mehrerer Arten von Organisationen und Aktivitäten an, denen sich Menschen in ihrer Freizeit widmen (6). Mit der vergleichsweise geringsten Häufigkeit wird die Frage untersucht, wie viele Stunden ehrenamtliche Helfer für ihre Freiwilligentätigkeit aufbringen (7).

2.8

Trotz der signifikanten Unterschiede zwischen den Ergebnissen der einzelnen internationalen Studien sowie zwischen jenen der nationalen und der internationalen Studien lässt sich sagen, dass die Freiwilligentätigkeit, selbst wenn man nur ihre formelle Ausprägung berücksichtigt, überaus weit verbreitet ist. Die Zahl der ehrenamtlich Tätigen unter den Über-15-Jährigen in der EU wird auf 92 bis 150 Millionen geschätzt, d. h. zwischen 22% und 36% der Erwachsenen aus allen EU-Staaten engagieren sich freiwillig und ohne Erwerbsabsicht in verschiedenen Arten von Organisationen (8). In den Stellungnahmen der wichtigsten EU-Institutionen zur Freiwilligentätigkeit wird die Zahl der ehrenamtlich Tätigen relativ konservativ auf höchstens 100 Millionen Personen geschätzt (9).

2.9

Die derzeitige Datenlage zum Thema Freiwilligentätigkeit erlaubt es nicht, die in den Dokumenten der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rats und des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses geforderten Analysen durchzuführen. Derzeit kann weder eine seriöse Bewertung der wirtschaftlichen Bedeutung der Freiwilligentätigkeit noch ihres Beitrags zur Umsetzung der EU-Politik vorgenommen werden. So ist es nicht möglich, die Gesamtzeit der Freiwilligenarbeit oder ihren monetären Gegenwert zu bestimmen, und dadurch ist auch ihr Umfang gemessen an universellen wirtschaftlichen Indikatoren wie der nationalen Beschäftigung (Zahl der Erwerbstätigen in einer Volkswirtschaft) und am BIP nicht einschätzbar. Die einzigen derzeit zugänglichen Daten, die jedoch auf in gemeinnützigen (non-profit) Organisationen geleistete formelle Freiwilligentätigkeiten beschränkt sind und nach einer nicht ganz kohärenten Methodik ermittelt wurden, stammen von dem Projekt zur internationalen vergleichenden Untersuchung des Non-Profit-Sektors, koordiniert von der Johns-Hopkins-Universität. Diese Daten zeigten den Anteil der in gemeinnützigen Einrichtungen geleisteten Freiwilligenarbeit gemessen am BIP und am Arbeitspotenzial der aktiven Erwerbsbevölkerung, bezogen sich allerdings nur auf drei EU-Länder: Tschechien (0,2% des BIP, 0,5% der aktiv Berufstätigen), Frankreich (1,4 bzw. 3,2%) und Belgien (0,7% und k.A.) (10).

2.10

Auf der Grundlage der im ILO-Handbuch dargelegten methodischen Vorgehensweise haben die statistischen Zentralämter dreier EU-Staaten (Polen, Ungarn und Italien) bereits Erhebungen zum Umfang und zur Bedeutung der Freiwilligenarbeit durchgeführt, in anderen Ländern laufen entsprechende Vorbereitungen (11). Derzeit verfügbar sind die Daten für Polen aus dem Jahr 2011. Aus ihnen geht hervor, dass die formelle und informelle Freiwilligentätigkeit insgesamt einem Arbeitsäquivalent von 9,6% der Erwerbsbevölkerung in der erweiterten Volkswirtschaft (einschl. Freiwilligenarbeit) und 2,8% des erweiterten BIP gleichkommt. In Polen, wo der Familienzusammenhalt besonders stark ausgeprägt ist, machte die informelle Freiwilligentätigkeit mit einem Anteil von 8% an der Erwerbsbevölkerung in der Volkswirtschaft und 2,2% am erweiterten BIP den Löwenanteil der Freiwilligenarbeit aus. Der Anteil der formellen Freiwilligentätigkeit an den oben genannten Aggregaten betrug 1,6% bzw. 0,6% (12).

3.   Das ILO-Handbuch: ein ganzheitlicher und universeller Ansatz für die Erfassung der Freiwilligentätigkeit

3.1

Wie bereits erwähnt, wird das unter der Federführung der ILO herausgegebene Handbuch zur Freiwilligenarbeit in fast allen EU-Dokumenten zur Freiwilligentätigkeit als positives Beispiel für die Durchführung statistischer Untersuchungen in diesem Bereich genannt. Auch die Internationale Konferenz der Arbeitsstatistiker bezeichnet die in dem Handbuch vorgeschlagenen methodischen Lösungen als die richtige Grundlage für Untersuchungen im Bereich der Freiwilligenarbeit, die in die offizielle Arbeitsstatistik aufgenommen werden soll (13). Die Nützlichkeit der darin vorgeschlagenen Lösungsansätze wird auch von den Mitarbeitern des gemeinnützigen Sektors anerkannt — hierfür sprechen die zahlreichen Empfehlungen nichtstaatlicher Stellen, die im Handbuch dargelegte methodische Vorgehensweise zur Durchführung von Studien zur Freiwilligentätigkeit zu nutzen (14).

3.2

Die im ILO-Handbuch dargelegte methodische Vorgehensweise liefert darüber hinaus eine Lösung für das Problem des Fehlens bzw. der Uneinheitlichkeit der Daten zur Freiwilligentätigkeit im gemeinnützigen Sektor, auf das im Projekt der Johns-Hopkins-Universität hingewiesen wurde und das in der Folge als große Hürde für die Erstellung staatlicher Statistiken im Bereich der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und des Satellitenkontos des gemeinnützigen Sektors bezeichnet wurde (15).

3.3

Die Grundlage für die gewählte methodische Vorgehensweise bildet die Arbeitsdefinition des untersuchten Phänomens, das im Handbuch als volunteer work (Freiwilligenarbeit) bezeichnet wird. Die Bezeichnung Freiwilligenarbeit stützt sich im Kontext einer konkreten Studie nicht auf die einheitliche Verwendung eines bzw. mehrerer Begriffe im untersuchten Land, sondern auf eine Inhaltsdefinition, in der drei Hauptmerkmale des untersuchten Phänomens beschrieben werden. Unter Freiwilligenarbeit fallen demnach Tätigkeiten, die

a)

die Eigenschaften produktiver Arbeit aufweisen,

b)

nicht auf Erwerb ausgerichtet sind,

c)

freiwillig geleistet werden und

d)

dem eigenen Haushalt keinen Nutzen bringen.

Das Handbuch enthält eine Vielzahl weiterer Erläuterungen zur Überwindung eventueller Interpretationsschwierigkeiten bezüglich der vorgenannten Kriterien (16).

3.4

Aufgrund des im Handbuch weit gefassten Untersuchungsgegenstands konnten die Informationsbedürfnisse zahlreicher Interessenträger berücksichtigt werden. Der für das Handbuch zentrale Begriff der Freiwilligenarbeit gibt ein breites Untersuchungsfeld vor, das sowohl die formelle Freiwilligentätigkeit (von der ILO als indirect volunteer work bezeichnet) als auch die informelle Freiwilligentätigkeit (von der ILO als direct volunteer work bezeichnet) umfasst. Zudem wird der Untersuchungsgegenstand nicht auf einen Bereich eingeschränkt, sondern umfasst sowohl Freiwilligentätigkeiten im gemeinnützigen Sektor als auch in Institutionen des öffentlichen Sektors. Darüber hinaus wird empfohlen, die Daten beispielsweise nach Bereich und institutionellem Sektor zu trennen. Die gesammelten Daten sind sowohl klar definiert als auch für den Nutzer flexibel.

3.5

Die im ILO-Handbuch vorgeschlagene Vorgehensweise für Untersuchungen stützt sich auf eine Reihe allgemeiner Grundsätze, die die Einheitlichkeit unabhängig von der Art der Umfrage gewährleisten sollen, auf deren Grundlage die jeweilige Untersuchung durchgeführt wird:

a)

Abdeckung einer möglichst großen Bevölkerungsmenge, um alle relevanten Teile der Bevölkerung zu berücksichtigen;

b)

Nutzung der Inhaltsdefinition des Begriffs Freiwilligenarbeit sowie der Terminologie aus dem ILO-Handbuch;

c)

Abdeckung aller Formen der Freiwilligentätigkeit (Freiwilligenarbeit, die für bzw. über Organisationen geleistet wird, sowie Freiwilligenarbeit, die direkt für Einzelpersonen, den Umweltschutz oder die Gemeinschaft geleistet wird);

d)

Erfassung der im Abschnitt zur Untersuchung der Freiwilligenarbeit im Handbuch genannten Variabeln: Zeitaufwand für eine bestimmte Tätigkeit (geleistete Arbeitsstunden), Art der geleisteten Arbeit (Angabe des entsprechenden Berufsfelds), Art der Organisation, in deren Rahmen die Freiwilligenarbeit geleistet wird (institutioneller Sektor sowie Wirtschaftszweig);

e)

Möglichkeit, Freiwilligentätigkeiten mittels der genormten Systematiken für Berufe (ISCO) und Wirtschaftszweige (der Standardklassifikation NACE oder der speziell für Tätigkeiten im gemeinnützigen Sektor gedachten Klassifikation ICNPO) zu beschreiben, um die Bedeutung der Freiwilligenarbeit für den Arbeitsmarkt sowie ihren monetären Gegenwert zu erfassen (17).

3.6

Dank der vorgeschlagenen methodischen Vorgehensweise kann der Untersuchungsschwerpunkt vor allem auf die Erfassung jener Daten gelegt werden, die zur Beschreibung des Volumens und des Werts von Freiwilligenarbeit in genormten ökonomischen Maßeinheiten erforderlich sind, was Vergleiche mit der inländischen Beschäftigung bzw. mit dem BIP ermöglicht. Anhand der zusammengetragenen Daten können das Ausmaß und der Wert der einzelnen Arten der Freiwilligenarbeit geordnet nach institutionellen Sektoren, Wirtschaftszweigen, Arten der Tätigkeit, Regionen, Urbanisierungsgrad usw. erfasst werden.

3.7

Zudem lassen sich auf der Grundlage der Daten, die mittels des im ILO-Handbuch beschriebenen Verfahrens gesammelt wurden, zahlreiche soziologische Analysen vornehmen. Analysiert werden kann die Verbreitung und Intensität der Freiwilligentätigkeit, ihre Form (aufgeschlüsselt nach Person oder Organisation — im Fall formeller Strukturen kann das Tätigkeitsfeld und die Branche bestimmt werden). In den Analysen können unterschiedliche Merkmale der Freiwilligentätigkeit berücksichtigt werden: demografische Faktoren (z. B. Alter, Geschlecht, Familienstand), Lokalisierung (z. B. Region, Größe des Ortes), berufliche und finanzielle Lage, Bildungsstand. Wird das Modul für Freiwilligenarbeit durch Zusatzfragen ergänzt, können auch die Motivation der Freiwilligen, die Gründe für die Aufnahme einer Freiwilligentätigkeit usw. erfasst werden.

3.8

Da die Umfrageteilnehmer in der Regel detaillierte und glaubwürdige Angaben nur zur jüngsten Vergangenheit zu machen in der Lage sind, wurde im ILO-Handbuch für die Fragen zur Freiwilligenarbeit ein vierwöchiger Referenzzeitraum gewählt. Grund ist die Notwendigkeit einer relativ genauen Feststellung der Zahl der für die Freiwilligentätigkeit aufgewendeten Stunden. Andererseits ist aber ein Zeitraum von vier Wochen deutlich kürzer als die zwölf Monate, die den meisten Untersuchungen der Freiwilligenarbeit zugrunde gelegt werden. Ein kürzerer Referenzzeitraum schlägt sich in geringeren Werten für die Verbreitung der Freiwilligentätigkeit (Zahl der Freiwilligen) nieder und birgt auch die Gefahr einer Verzerrung der Ergebnisse durch saisonbedingte Schwankungen. Deshalb wird empfohlen, sich aus Gründen der Vergleichbarkeit an den Vierwochenzeitraum zu halten, während auch Methoden zur Aufrechnung der saisonbedingten Freiwilligentätigkeit und zur Gewährleistung einer geeigneten Größe der Teilnehmergruppe aufgezeigt werden, um in weiteren Untersuchungen die Anzahl der aufgewendeten Stunden in den verschiedenen Konstellationen zu ermitteln.

3.9

Im Handbuch wird empfohlen, die Studien zur Freiwilligenarbeit in Form eines Moduls zur Erforschung der Wirtschaftstätigkeit der Bevölkerung (BAEL) oder eines anderen Haushaltsumfragemoduls durchzuführen. Die Verwendung des BAEL hat eine Reihe von Vorteilen:

a)

volle Vergleichbarkeit und Glaubwürdigkeit der Ergebnisse, die auf der Grundlage einer sehr repräsentativen Stichprobe und universellen Methodik (BAEL) ermittelt wurden;

b)

geringstmögliche Belastung des staatlichen Statistiksystems und der Befragten;

c)

Möglichkeit der Analyse von Daten über die Freiwilligenarbeit in Verbindung mit Daten zur Einschätzung der demografischen, sozialen und beruflichen Situation, die im Rahmen von BAEL gewonnen wurden;

d)

geringe Kosten des Zugangs zu Befragungsteilnehmern;

e)

Möglichkeit des Einsatzes von Befragern, die Erfahrung mit der Kodierung unterschiedlicher Arten von Arbeit mithilfe einer von der staatlichen Statistik benutzten Systematik haben, insbesondere der Berufssystematik (ISCO);

f)

passender Erkenntniskontext der Untersuchung (Fragen zur nicht erwerbsmäßigen Arbeit bilden eine natürliche Ergänzung zu Fragen über die Erwerbsarbeit).

3.10

Die Erfassung der Freiwilligentätigkeit mithilfe des BAEL-Moduls ist mit gewissen Einschränkungen und Problemen verbunden, die entsprechend den örtlichen Bedingungen oder ganzheitlich zu lösen sind:

a)

die in BAEL immer häufiger angewandte Methode der telefonischen Befragung anstelle eines Direktinterviews erhöht den Druck, die Befragung zeitlich kurz zu halten, und kann infolgedessen zu einem geringeren Prozentanteil von Freiwilligen (volunteering rate) führen — insbesondere in Ländern, in denen die Erkennbarkeit der Freiwilligentätigkeit und ihre Verwurzelung in der Umgangssprache wenig ausgeprägt sind und die Befragungen daher Zeit für zusätzliche Erläuterungen und Beispiele erfordern (18).

b)

Das obige Problem kann durch die Aufnahme von Fragen aus dem Modul zur Messung der Freiwilligentätigkeit in Mehrzweckumfragen gelöst werden, die im direkten Kontakt zwischen Befrager und Befragtem (face-to-face method) durchgeführt werden (19).

c)

Für manche der oben ermittelten Probleme bei der Durchführung des Moduls zur Erfassung der Freiwilligenarbeit bieten die Autoren des ILO-Handbuchs universelle Lösungen an, z. B. empfehlen sie gegenüber der Feststellung einer geringeren Qualität der Angaben von stellvertretend Befragten (proxy respondents), nur die direkt von der Umfrage Betroffenen zu befragen, anstatt Informationen über die Freiwilligenarbeit des Betreffenden von dessen Ehepartner oder anderen Mitbewohnern einzuholen, und im Fall von Schwierigkeiten mit komplexen Universalklassifikationen wie NACE besteht die Möglichkeit, einfachere Systematiken nach Art von ICNPO zu verwenden (20).

3.11

Der im Manual on the Measurement of Volunteer Work gewählte ganzheitliche Ansatz findet auch darin seinen Niederschlag, dass darin nicht nur Richtlinien für die Organisation und Durchführung von Studien berücksichtigt wurden, sondern auch Empfehlungen für die Erarbeitung und Darstellung der Ergebnisse. Zur Feststellung des Werts von Freiwilligenarbeit werden die Ersatzbeschaffungskosten (full replacement cost) herangezogen, wobei die Entlohnung mit einem volkswirtschaftlichen Durchschnittswert für die jeweilige Tätigkeit (den entsprechenden Beruf), die Branche und den institutionellen Sektor angesetzt wird, dem die Organisation zuzurechnen ist, in deren Rahmen die Freiwilligenarbeit geleistet wird.

3.12

Trotz des ganzheitlichen Ansatzes und der nachvollziehbaren Begründungen für die vorgeschlagenen Lösungen bietet das ILO-Handbuch in vielen Fragen, die die einzelnen Länder je nach den örtlichen Gegebenheiten regeln können, viel Flexibilität. Dies betrifft Bereiche wie die Anpassung der Formulierungen an die lokalen Gegebenheiten und die mehr oder weniger detaillierte Methode zur Berechnung des Werts der Freiwilligenarbeit (weitere Beispiele siehe Ziffer 3.10). Auf der anderen Seite sollten zur Gewährleistung der internationalen Vergleichbarkeit der Daten die Schlüsselelemente der Definitionen der Freiwilligenarbeit angewandt werden.

3.13

Die Flexibilität, die das Handbuch bietet, ergibt sich aus dem Bestreben nach Universalität und breiter Anwendbarkeit unabhängig von den weltweit enormen kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieden. In der EU sind die Unterschiede relativ gering, sodass eine einheitlichere methodische Vorgehensweise gewählt werden kann, mit der vergleichbarere Ergebnisse erzielt werden.

4.   Was ist zu tun?

4.1

Angesichts des großen Bedarfs an Daten zur Freiwilligentätigkeit, der sich aus ihrer großen Bedeutung für die Schaffung integrativen Wachstums, die Stärkung des sozialen Zusammenhalts, des sozialen Kapitals, des Humankapitals, der informellen Bildung, der beruflichen Eingliederung und der Solidarität zwischen den Generationen ergibt, müssen auf EU-Ebene Bedingungen geschaffen werden, die die Durchführung systematischer vergleichbarer Untersuchungen zur Freiwilligentätigkeit in den Mitgliedstaaten ermöglichen. Dem EWSA ist bewusst, dass für alle neuen Maßnahmen der EU-Institutionen und der Mitgliedstaaten eine angemessene Finanzierungsstabilität gewährleistet sein muss, und bekundet deshalb seine Absicht, alle Möglichkeiten für eine Unterstützung und Finanzierung von Forschungsarbeiten zur Erfassung der Freiwilligentätigkeit zu erwägen, darunter auch den in Ziffer 4.2 unterbreiteten Vorschlag.

4.2

Im Einklang mit den Aufforderungen der EU-Institutionen an die Mitgliedstaaten, Studien zur Freiwilligentätigkeit auf der Grundlage des ILO-Handbuchs zu erstellen, fordert der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Europäische Kommission auf, Maßnahmen zu ergreifen, um in den kommenden Jahren eine einheitliche Methodik für Untersuchungen zur Freiwilligentätigkeit zu erarbeiten und die Mitgliedstaaten in einer entsprechenden Verordnung zu verpflichten, regelmäßige Untersuchungen auf deren Basis durchzuführen.

4.3

Bis zur Annahme einer solchen Verordnung sollte die Europäische Kommission methodologische Arbeit und Pilotstudien zur Festlegung einheitlicher Grundlagen für die Durchführung von Untersuchungen zur Freiwilligenarbeit durch die nationalen Statistikämter unterstützen, wobei die wichtigsten Grundsätze des ILO-Handbuchs sowie die Erfahrungen der Länder zu berücksichtigen sind, die bereits Untersuchungen nach der darin beschriebenen Methodik durchgeführt haben. Bei der Ausarbeitung der Einzelheiten dieser Verordnung sollte darauf geachtet werden, Kosten und Verwaltungsaufwand möglichst gering zu halten. In dieser Hinsicht wäre es zweckmäßig, Untersuchungen der Freiwilligenarbeit mit einem der Bereiche zu verknüpfen, die die nationalen Statistikämter der Mitgliedstaaten bereits untersuchen.

4.4

Angesichts des großen Bedarfs an Daten über das Ausmaß der formellen und informellen Freiwilligentätigkeit und auch ihres Einflusses auf das allgemeine Wohlstandsniveau sowie ihrer Folgen für bestimmte Bereiche der Gesellschaft in einzelnen Ländern und auf Ebene der EU insgesamt gilt es, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Europäische Kommission entsprechend harmonisierte Daten aus einzelstaatlich und EU-weit durchgeführten Untersuchungen zusammenstellen und verfügbar machen kann. Ein Beispiel für die mögliche Durchführung von Untersuchungen über die Wirkung der Freiwilligentätigkeit wäre die Erhebung über Erwachsenenbildung (Adult Education Survey), in deren Rahmen Daten über den Einfluss der Freiwilligenarbeit auf den Erwerb von für die gewünschte Beschäftigungsstelle nützlichen Qualifikationen gesammelt und analysiert werden könnten.

4.5

Der wirtschaftliche Wert der Freiwilligenarbeit muss von staatlichen Stellen wahrgenommen und gewürdigt werden. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten sollten Vorschriften erlassen, die es ermöglichen, dass der wirtschaftliche Wert der Freiwilligenarbeit als eine der Möglichkeiten zur Kofinanzierung öffentlich geförderter Projekte zugelassen wird. Die bei der Untersuchung des wirtschaftlichen Werts der Freiwilligenarbeit nach einer EU-weit einheitlichen Methodik gesammelten Erfahrungen und Daten werden bei der Erarbeitung praktischer Lösungen sehr nützlich sein.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 150.

(2)  Manual on the Measurement of Volunteer Work (Handbuch zur Erfassung von Freiwilligenarbeit), Internationale Arbeitsorganisation, Genf, 2011.

(3)  (1) Mitteilung zu EU-Politik und Freiwilligentätigkeit: Anerkennung und Förderung grenzüberschreitender Freiwilligenaktivitäten in der EU, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen (COM(2011) 568 final); (2) Schlussfolgerungen des Rates vom 3. Oktober 2011 zur Rolle der Freiwilligentätigkeit in der Sozialpolitik — Rat der Europäischen Union; (3) ABl. C 181, vom 21.6.2012, S. 150.

(4)  Bericht der Firma GHK Volunteering in the European Union, GHK 2010.

(5)  Im Rahmen der alle zwei Jahre durchgeführten Europäischen Sozialstudie (ESS 2002-2010) werden z. B. Daten zum Ausmaß der Mitwirkung an der Arbeit politischer Parteien oder anderer Organisationen erfasst, die sich auf den Wunsch stützt, etwas Gutes für das Land zu tun bzw. etwas Schlechtes abzuwenden. In den Erhebungen von 2006 und 2012 wurden die Teilnehmer zudem gefragt, wie oft sie sich in den letzten zwölf Monaten in gemeinnützigen bzw. Wohltätigkeitsorganisationen engagiert haben.

(6)  Europäische Wertestudie (EVS) sowie einige von der GD Kommunikation koordinierte Eurobarometer-Umfragen: (Eurobarometer 66.3/2006, 73.4/2010, 75.2/2011).

(7)  Europäische Erhebung zur Lebensqualität (EQLS) 2003, 2007, Eurobarometer 60.3 (2003/2004). Die komplexesten Daten zu der Zeit, die für nichterwerbsorientierte Arbeit im Rahmen einer Organisation, für informelle Hilfe für fremde Haushalte sowie für die Teilnahme an Treffen von Organisationen, Gruppen oder Gemeinschaften genutzt wird, werden im Rahmen der Studie zur Verwendung der verfügbaren Zeit (Time Use Survey) erfasst, bei der auch jahreszeitliche Unterschiede berücksichtigt werden.

(8)  Die genannten Schätzungen stammen aus dem Bericht der Firma GHK „Volunteering in the European Union“ aus dem Jahr 2010.

(9)  Die Zahl von 100 Mio. Freiwilligen stammt aus dem Bericht über Freiwilligentätigkeit als Beitrag zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, Europäisches Parlament, Ausschuss für regionale Entwicklung (2008) (2007/2149 (INI) Dokument A6-0070/2008.

(10)  Diese Ergebnisse beruhen auf Untersuchungen gemeinnütziger Organisationen. Dabei wurde die Gesamtzahl der für die Freiwilligenarbeit im gemeinnützigen Sektor aufgewendeten Zeit berechnet, die in Vollzeitarbeitsstellen umgerechnet wurde, um sie anschließend mit der Erwerbstätigenzahl im jeweiligen Land vergleichen zu können. Der Wert der Freiwilligentätigkeit wurde hingegen bestimmt, indem die Zahl der umgerechneten Stellen mit der durchschnittlichen Vergütung im gemeinnützigen Sektor multipliziert wurde. Bei dieser Berechnungsweise können das Ausmaß und der Wert der Freiwilligentätigkeit geringer ausfallen als bei der im ILO-Handbuch beschriebenen Methode, da die Organisationen die für die Freiwilligenarbeit aufgewendete Zeit in der Regel nicht fest erfassen und dazu neigen, Personen, die nur gelegentlich Freiwilligenarbeit leisten, außer Acht zu lassen. Darüber hinaus beziehen sich die Ergebnisse ausschließlich auf den gemeinnützigen Sektor, während die ILO-Methode eine Messung der gesamten formellen Freiwilligentätigkeit in allen institutionellen Sektoren ermöglicht. Die in diesem Absatz aufgeführten Ergebnisse stammen aus: Salamon, L. M., Sokolowski, S. W., Haddock, M. A., Tice, H.S: The State of Global Civil Society and Volunteering. Latest findings from the implementation of the UN Nonprofit Handbook, Center for Civil Society Studies — Johns-Hopkins-Universität, 2013.

(11)  Das portugiesische Statistikamt hat bereits ein Pilotmodul zur Arbeitskräfteerhebung entsprechend dem ILO-Handbuch durchgeführt. Die Statistikämter in Irland und Spanien haben ebenfalls ihr Interesse an der Durchführung ähnlicher Erhebungen bekundet.

(12)  Nałęcz, S., Goś-Wójcicka, K., (Hrsg.). Wolonatariat w organizacjach i inne formy pracy niezarobkowej poza gospodarstwem domowym — 2011 (Freiwilligentätigkeit in Organisationen und andere Formen der Freiwilligenarbeit außerhalb des eigenen Haushalts — 2011), Polnisches Statistisches Zentralamt, Warschau, 2012.

(13)  Im Einklang mit der am 11. Oktober 2013 angenommenen Entschließung der 19. Konferenz der Arbeitsstatistiker schließt die statistische Definition von Arbeit auch die Freiwilligentätigkeit als eine Form der Arbeit ein, weshalb vorgeschlagen wird, sie im Rahmen der statistischen Untersuchungen regelmäßig zu berücksichtigen.

(14)  Zum Beispiel EYV 2011 Alliance, European Volunteer Centre (CEV), Johns Hopkins Center for Civil Society Studies (CCSS), und Associazione Promozione e Solidarietà (SPES).

(15)  Handbook on non-profit institutions in the System of National Accounts, Abteilung Statistik der Vereinten Nationen, New York, 2003.

(16)  Offizielle Übersetzungen des Handbuchs sind in den Sprachen Französisch, Spanisch, Italienisch und Montenegrinisch verfügbar und können auf www.ilo.org und www.evmp.eu heruntergeladen werden.

(17)  Gekürzte und geänderte Fassung der Angaben aus dem ILO-Handbuch Manual on the Measurement of Volunteer Work (S. 10). ISCO: International Standard Classification of Occupation, Internationale Berufssystematik; NACE: Nomenclature statistique des activités économiques dans la Communauté européenne, Statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft; ICNPO: International Classification of Nonprofit Organizations, Internationale Klassifikation von Nonprofit-Organisationen.

(18)  Nałęcz, S., Sharing the Experience of Volunteer Work Measurement. Lessons from pioneer implementation of the ILO methodology by the Central Statistical Office of Poland, http://evmp.eu/wp-content/uploads/Lessons-Podgorica-GUSISP.pdf.

(19)  Cappadozzi, T., Sharing the Italian experience on the project of measurement of unpaid volunteer work. http://evmp.eu/wp-content/uploads/Cappadozzi_Presentation_EVMP-Conference_Madrid_3.28.2012.pdf.

(20)  Vereinfachte Systematiken wurden in allen drei Ländern verwendet, die bislang eine Erfassung der Freiwilligenarbeit im Einklang mit dem ILO-Handbuch durchgeführt haben.


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/18


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Social Impact Measurement — Messung der sozialen Wirkung“ (Initiativstellungnahme)

2014/C 170/03

Berichterstatterin: Ariane RODERT

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. September 2013 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Social Impact Measurement — Messung der sozialen Wirkung

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 146 gegen 5 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Debatte über das Social Impact Measurement — die Messung der sozialen Wirkung — von Sozialunternehmen, unterstreicht jedoch, dass für diese komplexe Thematik mehr Zeit erforderlich ist. Zunächst sollte die Kommission eine Datenerhebung durchführen, um die Messung der sozialen Wirkung in den Mitgliedstaaten vergleichend analysieren zu können, gleichzeitig sollte dieses Thema im Zusammenhang mit der sozialen Dimension Europas näher untersucht werden.

1.2

Nach Auffassung des EWSA könnte ein ungeeignetes oder übereiltes Vorgehen dem Ziel der EU-Institutionen zuwiderlaufen, die Entwicklung und das Wachstum der Sozialwirtschaft zu fördern. Da dieser Wirtschaftsbereich in vielen Mitgliedstaaten ein Schattendasein führt, fordert der EWSA die Kommission auf, weiterer Sensibilisierung und der vollständigen Umsetzung der Agenda der Initiative für soziales Unternehmertum Vorrang zu geben.

1.3

Über das Social Impact Measurement sollen die sozialen Ergebnisse und die soziale Wirkung bestimmter Tätigkeiten eines Sozialunternehmens gemessen werden — nicht die Unternehmen selbst sind Gegenstand dieser Messung, auch wenn die Strukturen sozialwirtschaftlicher Unternehmen selbst zur sozialen Wertschöpfung beitragen. Dies ist ein laufender Prozess und integraler Bestandteil der Tätigkeit des Unternehmens sowie ein wichtiges strategisches Planungsinstrument.

1.4

Man kann hier kaum für eine einzige Methodik plädieren, weswegen der EWSA empfiehlt, dass die Kommission eher die gebräuchlichsten Grundsätze bekannt machen sollte, als eine neue Methodik zu entwickeln. Gemeinsam ist ihnen, dass es sich um Initiativen handelt, die von der Basis ausgehen, um den sozialen Wandel auf der Grundlage des realen Bedarfs und realer Tätigkeiten zu erfassen.

1.5

Jede Messmethode muss ausgehend von den Kernergebnissen des Sozialunternehmens entwickelt werden, dessen Tätigkeiten unterstützen, verhältnismäßig sein und darf soziale Innovation nicht ersticken. Bei der Methodik sollte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen qualitativen und quantitativen Daten angestrebt und berücksichtigt werden, dass „die Geschichte“ entscheidend für die Messung des Erfolgs ist. Ferner müssen die Schwierigkeiten bei der Übertragung der Ergebnisse der Messung der sozialen Wirkung von der Mikro- auf die Makroebene (von der lokalen Ebene auf die EU-Ebene) näher untersucht werden.

1.6

Der EWSA sieht die Notwendigkeit spezifischer Verfahren für das Social Impact Measurement bei der EuFSU-Verordnung (1) und dem EaSI-Programm (2), weswegen er empfiehlt, die hierfür entwickelten Methoden als Vorreiter zu nutzen, genau zu verfolgen und erforderlichenfalls zu überarbeiten. Dadurch ist sicherzustellen, dass der Zugang von Sozialunternehmen zur Finanzierung mittels dieser Instrumente nicht behindert wird. Die Kommission könnte so gemeinsame Leitlinien und Grundsätze für das, was gemessen werden soll, aufstellen und nicht für die Art, wie gemessen werden soll.

1.7

Der EWSA wird sich weiter mit dieser Thematik befassen und die Arbeit der Kommission an der Umsetzung einer Methodik intensiv verfolgen, um sicherzustellen, dass die Entwicklung der Sozialunternehmen in Europa hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Daneben wird er sich auch weiterhin an der Debatte darüber beteiligen, wie die soziale Wirkung anschließend auch in anderen Bereichen gemessen werden kann.

2.   Einleitung

2.1

In der Mitteilung der Kommission zur Binnenmarktakte II — Gemeinsam für neues Wachstum (3) wird die Notwendigkeit unterstrichen, eine Methodik zu entwickeln, mit der der wirtschaftliche und soziale Nutzen von Sozialunternehmen bei der Umsetzung der EuFSU und des EaSI gemessen werden kann.

2.2

Daher wurde eine Untergruppe (4) der aus Vertretern aller beteiligten Akteure bestehenden Beratergruppe für das soziale Unternehmertum der Kommission (GECES) damit beauftragt, die Kommission dahingehend zu beraten, wie ein Sozialunternehmen seine soziale Wirkung messen kann.

2.3

In dieser Stellungnahme wird die Sicht der Sozialunternehmen in Bezug auf die Entwicklung einer Methodik für das Social Impact Measurement vor allem im Kontext von EuFSU und EaSI beschrieben. Aufgrund der Bedeutung dieser Thematik unterstreicht der EWSA jedoch, dass anschließend am besten auch die soziale Wirkung für andere Bereiche berücksichtigt werden sollte, um ein bruchstückhaftes Vorgehen zu vermeiden.

2.4

Das soziale Unternehmertum wird in verschiedenen jüngeren EU-Initiativen hervorgehoben. Daneben hat sich der EWSA eingehend mit dieser Thematik beschäftigt (5), so etwa mit den Herausforderungen im Zusammenhang mit EuFSU und Sozialunternehmen (6). Ein zentrales Element ist hier die Einleitung der Initiative für soziales Unternehmertum (7) (SBI) der Kommission, mit der Entwicklung und Wachstum von sozialem Unternehmertum und Sozialunternehmen in der EU gefördert werden sollen.

2.5

Sozialunternehmen werden für einen bestimmten sozialen Zweck gegründet und sind in der Sozialwirtschaft tätig. Damit dieses Modell erhalten bleibt, muss nach Auffassung des EWSA die in der Initiative für soziales Unternehmertum enthaltene Beschreibung von Sozialunternehmen als Grundlage für abgeleitete Verordnungen, Standards oder Programme genommen werden, da durch sie Sozialunternehmen in einem weiter gefassten Kontext erfasst werden, der den unterschiedlichen Modellen in den Mitgliedstaaten Rechnung trägt.

2.6

Diese Stellungnahme ist allerdings keineswegs als Plädoyer für die Messung der sozialen Wirkung aller Unternehmen gedacht. Auch darf es keine Verwechslung mit Initiativen im Zusammenhang mit der sozialen Verantwortung der Unternehmen (CSR) oder der für alle Arbeitgeber geltenden Verpflichtung geben, dass sie angemessene Arbeitsbedingungen bieten und ggf. vorhandene Tarifverträge einhalten müssen. Außerdem ist es natürlich weiterhin Sache der Mitgliedstaaten, für eine gute soziale Performance und eine leistungsfähige soziale Infrastruktur zu sorgen.

2.7

Zwar wird in dieser Stellungnahme nur die soziale Wirkung der Ergebnisse der Tätigkeiten von Sozialunternehmen und nicht die Sozialunternehmen an sich betrachtet, ihre Struktur und ihre Betriebsmodelle sind jedoch wesentliche Bestandteile für die Erzeugung von sozialer Wirkung durch die Internalisierung sozialer Kosten und die Erzeugung positiver externer Effekte.

3.   Soziale Wirkung im gesellschaftlichen Kontext

3.1

Lange Zeit wurde die Entwicklung von Organisationen und Staaten vornehmlich anhand des Indikators der Wirtschaftsleistung gemessen, unabhängig davon, ob der wirtschaftliche oder der gesellschaftliche Fortschritt der wesentliche Beweggrund war. Um Nachhaltigkeit zu erreichen, muss ein stärker ganzheitlich orientierter Ansatz verfolgt werden, bei dem die sozialen, umweltbezogenen und wirtschaftlichen Folgen berücksichtigt werden.

3.2

Das Bewusstsein hierfür ist in den letzten Jahren gewachsen. Der EWSA verabschiedete 2008 eine Initiativstellungnahme „Jenseits des BIP — Messgrößen für nachhaltige Entwicklung“  (8), in der der Bedarf an neuen Methoden für die Messung von Nachhaltigkeit und Wohlfahrt betont wurde, die den gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden. Die Kommission zog 2009 mit einem Bericht „Das BIP und mehr — Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel“  (9) nach, in dem die Notwendigkeit neuer Instrumente zur Überwachung und Messung der sozialen Entwicklung betont wurde. Unter den Initiativen anderer Akteure für neue Instrumente ist z. B. der „Better Life Index“  (10) der OECD zu nennen.

3.3

Im heutigen Europa, das sich inmitten einer Krise befindet und durch veränderte Wohlfahrtsmodelle gekennzeichnet ist, ist es umso wichtiger, die reale Wertschöpfung in den Fokus zu rücken. Dies wurde in jüngster Zeit in den Initiativen zur Förderung einer sozialen Dimension der WWU (11) hervorgehoben, in denen soziale Indikatoren und Maßnahmen als Ergänzung zur wirtschaftlichen Berichterstattung vorgeschlagen wurden. Diese Argumentation wurde nun in vielen EU-Papieren aufgegriffen, da die Messung und das Monitoring des sozialen Mehrwerts, sozialer Veränderungen und der sozialen Wirkung Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung von Richtlinien, Programmen und Tätigkeiten sind.

3.4

Das Social Impact Measurement ist ein wichtiges Thema und von großer Bedeutung für den Wiederaufbau der sozialen Dimension in Europa. Insofern hält der EWSA das Vorgehen der Kommission in diesem Bereich für sehr übereilt. Eine eingehende Erörterung der weiter gefassten Thematik erfordert mehr Zeit, um die am besten geeigneten Methoden zu finden. Da das übergeordnete Ziel darin besteht, Sozialunternehmen bei der Erfüllung ihres Auftrags zu unterstützen, sollte die Kommission daher bei der Entwicklung von Instrumenten, die eine gegenteilige Wirkung entfalten könnten, sehr umsichtig vorgehen.

3.5

Hinzu kommt, dass Sozialunternehmen und die Sozialwirtschaft in vielen Mitgliedstaaten nur äußerst wenig bekannt bzw. anerkannt sind. Wenn die Debatte vom Blickwinkel der sozialen Wirkung ausgeht, statt die Entwicklung eines für Sozialunternehmen günstigen Umfelds zum Ausgangspunkt zu nehmen, kann dies der Entwicklung dieses Sektors schaden. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, der vollständigen Umsetzung der Initiative für soziales Unternehmertum Vorrang zu geben, um faire und transparente Voraussetzungen für Sozialunternehmen in allen Mitgliedstaaten zu schaffen, bevor sie eine Initiative für Social Impact Measurement anstößt.

4.   Beschreibung der sozialen Wirkung

4.1

Von der Messung der sozialen Wirkung profitieren alle Bereiche der Gesellschaft. Für ein Sozialunternehmen ist die Erzielung einer positiven sozialen Wirkung der Hauptzweck und oft ein ständiger und integraler Bestandteil der Unternehmenstätigkeit. Soziale Ergebnisse müssen vom Unternehmensergebnis getrennt werden, denn schließlich soll die soziale Wirkung und nicht die Organisation gemessen werden.

4.2

Bei der Beschreibung der sozialen Wirkung durch die Stakeholder gibt es Ähnlichkeiten, aber auch einige Unterschiede. Der EWSA unterstreicht die Bedeutung einer gemeinsamen Auffassung und schlägt vor, dass sie als die sozialen Ergebnisse und die soziale Wirkung beschrieben wird, die durch bestimmte Tätigkeiten eines Sozialunternehmens geschaffen werden.

4.3

Ferner ist wichtig, dass es bei der Wirkungsmessung nicht nur darum geht zu messen, ob die angestrebten Ergebnisse erzielt werden, sondern auch darum, welche (angestrebten und nicht angestrebten) Ergebnisse und welche Wirkung sich insgesamt ergeben.

4.4

Die Bewertung der sozialen Wirkung ist keine einfache Aufgabe, denn die Verbindung zwischen Tätigkeit und Ergebnis kann schwierig nachzuweisen sein. Positive Folgen sind häufig qualitativer Art und manchmal nur auf längere Sicht erkennbar. Der Versuch, eine Tätigkeit in Zahlen darzustellen, ist mit der großen Gefahr verbunden, dass mit den Informationen, die man erhält, nicht das gemessen wird, was gemessen werden sollte, bzw. es nicht auf die richtige Art gemessen wird. Sozialunternehmen dürfen daher nicht dazu gedrängt werden, Messung mit Quantifizierung gleichzusetzen, indem nur Tätigkeiten, die leicht messbar, quantifizierbar oder extern anerkannt sind, in den Blick genommen werden.

4.5

Die Quantifizierung sollte eher als eine Messmethode unter mehreren anderen angesehen werden, neben qualitativen Ansätzen wie etwa narrativen Methoden. Dieser alternative oder ergänzende Ansatz für die Sammlung informationsreicher Geschichten aus der Sicht des Begünstigten ist von entscheidender Bedeutung für die Bewertung des „Mehrwerts“, der durch die Tätigkeiten des Sozialunternehmens erzeugt wird. Zudem sollte deutlich gemacht werden, dass die Messung der Wertschöpfung nicht unbedingt eine endgültige Ziffer hervorbringen muss, sondern durchaus auch eine Kombination aus Zahlen und Text sein kann.

4.6

Für eine eingehendere Untersuchung dieser komplexen Thematik empfiehlt der EWSA der Kommission, eine Sammlung von Daten zu vorhandenen Methoden als Ausgangspunkt für eine vergleichende Analyse zwischen den Mitgliedstaaten anzustoßen.

5.   Hauptbeteiligte und Begriffe

5.1

Eine Voraussetzung für eine EU-Methode für die Messung der sozialen Wirkung im aktuellen EU-Kontext (EuFSU und EaSI) ist die Einbeziehung der Stakeholder, zu denen hauptsächlich Sozialunternehmen, Nutzer, politische Entscheidungsträger, Geldgeber und Anbieter sozialer Dienstleistungen, Behörden und ggf. die Sozialpartner zählen. Durch diesen Stakeholder-Ansatz wird das für eine gemeinsame Sichtweise der gewünschten Wirkung nötige Vertrauen aufgebaut.

5.2

Eine grundlegende Voraussetzung für diesen auf der Mitwirkung der Beteiligten basierenden Ansatz ist ein gemeinsames Verständnis der grundlegenden Begriffe des Social Impact Measurement. Begriffe wie Input , Output , Ergebnis und Wirkung werden in unterschiedlichen Zusammenhängen oft unterschiedlich definiert. Es ist wichtig, dass die Beteiligten die Begriffe in gleicher Weise verwenden.

5.3

Wenn einzig auf den Output gesehen wird (z. B. die Zahl der Teilnehmer einer Bildungsmaßnahme), wird die tatsächliche Wirkung der Tätigkeit nicht gemessen. Daher muss man sich darüber im Klaren sein, dass das Social Impact Measurement eine Abkehr von der Messung von Outputs hin zur Messung der Wirkung bedeutet. Auf diese Art kann der reale Mehrwert erfasst werden, wobei gleichzeitig der Komplexität und dem fach- und ebenenübergreifenden Aspekt der Messung der sozialen Wirkung Rechnung getragen wird.

5.4

Zu beachten ist, dass insbesondere die Schwierigkeiten näher untersucht werden müssen, die bei der Übertragung der Ergebnisse der Messung der sozialen Wirkung von der Mikro- auf die Makroebene (von der lokalen Ebene auf die EU-Ebene) entstehen. Auch muss darauf geachtet werden, inwieweit die Messmethoden den Rechten und Bedürfnissen des Einzelnen und der Unternehmen gerecht werden.

6.   Methoden und Instrumente

6.1

Die soziale Wirkung wird auf viele unterschiedliche Weisen gemessen, was es schwer macht, eine Methodik zu empfehlen oder unterschiedliche Verfahren zu vergleichen (12). Eine Vielzahl an Verfahren wurde entwickelt, viele von ihnen angeregt durch die verschiedenen EQUAL-Projekte (13). Gemeinsam ist ihnen, dass es sich um „Bottom-up“-Initiativen handelt, die ausgehend von den angestrebten sozialen Veränderungen, dem tatsächlichen Bedarf und einer existierenden Tätigkeit entwickelt wurden.

6.2

Die bekanntesten Methoden sind Social Return On Investment (SROI), eine wirkungsorientierte Methode, um die soziale, umweltbezogene und wirtschaftliche Wertschöpfung zu begreifen, und das Sozialaudit, eine Methode für die Planung, Messung und Bewertung der sozialen Ziele einer Organisation (14). Ein Beispiel für Methoden, die allgemeiner angewandt werden, um den sozialen Mehrwert zu erklären, ist z. B. der Global Reporting Index (GRI) als ein System für die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten, das einen Rahmen für die soziale, umweltbezogene und wirtschaftliche Berichterstattung schafft. Es gibt jedoch noch eine Vielzahl weiterer Methoden (15).

6.3

Gemeinsam ist diesen Methoden, dass sie von der Perspektive des Zwecks der Tätigkeiten des Sozialunternehmens ausgehen und nicht von den Modellen anderer Sektoren. Statt nur den Output zwischen zwei Zeitpunkten zu messen, wird bei diesen Ansätzen häufig von einem umfassenderen nichtlinearen Prozess ausgegangen, wie z. B. die „Theory of Change“ (Theorie des Wandels) (16), bei der es, vereinfacht ausgedrückt, darum geht, zu definieren, zu quantifizieren und zu verfolgen. Wenn mit solchen Ansätzen gearbeitet wird, ist die eigentliche Messung in die Unternehmensplanung integriert und wird zu einem wichtigen Instrument für interne Verbesserungen.

6.4

Bei der Festlegung von Methoden für die Messung der sozialen Wirkung muss darauf geachtet werden, dass sie verhältnismäßig bleiben und so gestaltet sind, dass sie das Sozialunternehmen unterstützen. Viele Sozialunternehmen sind klein und jung und verfügen nur begrenzt über die Mittel für die Anwendung komplizierter Verfahren. Der EWSA empfiehlt daher mit Blick auf einen überschaubaren und verhältnismäßigen bürokratischen Aufwand, dass andere Stakeholder (EU, Fondsmanager) anstelle der Sozialunternehmen die Kosten für das Social Impact Measurement tragen sollten.

6.5

Die Indikatoren sollten nach Ansicht des EWSA von den Sozialunternehmen in Gesprächen mit Nutzern und Interessenträgern ausgewählt werden. Als Indikator könnte z. B. ausgewählt werden: „hat der Gesellschaft Kosten abgenommen“ oder „hat Wirkung [durch das Sozialunternehmen] erzeugt“, aber auch die meinungsbildende Arbeit des Unternehmens, seine Struktur und Betriebsmodelle könnten berücksichtigt werden.

6.6

Die Kommission sollte die Entwicklung eines EU-Rahmens im Sinne der Empfehlungen des EWSA auf der Grundlage vorhandener Methoden erwägen, wobei zu beachten wäre, dass den in einigen Mitgliedstaaten vorhandenen spezifischen Regelungen und ihren Modellen von Wohlfahrtseinrichtungen und Sozialunternehmen Rechnung zu tragen ist.

7.   Sonstige Bemerkungen

7.1

Da es kaum möglich ist, nur eine einzige Methode oder Standardindikatoren für die Messung der sozialen Wirkung zu empfehlen, sollte der erste Schritt der Kommission darin bestehen, die gebräuchlichsten vorhandenen Grundsätze und Methoden bekannt zu machen und die Unternehmen zu ihrer Nutzung anzuregen. Aus diesen Erfahrungen kann die Kommission gemeinsame Leitlinien für die Messung sozialer Ergebnisse statt des Outputs entwickeln, um einen Rahmen mit Grundsätzen dafür festzulegen, was gemessen werden soll, anstatt zu definieren, wie die soziale Wirkung zu messen ist.

7.2

Angesichts der Komplexität der Thematik empfiehlt der EWSA, die für die EuFSU und das EaSI entwickelten Methoden als Vorreiter zu nehmen. Auf diese Weise könnte die Kommission die Auswirkungen der Anwendung dieser Methoden genau verfolgen und ggf. eine Überarbeitung vornehmen. Bei der Datenerhebung sollte geschlechterdifferenziert vorgegangen werden, um die Rolle der Frauen für das soziale Unternehmertum würdigen zu können und um Transparenz bei der Mittelzuteilung sicherzustellen. Auf diese Weise kann dafür gesorgt werden, dass die verwendeten Methoden den Zugang zur Finanzierung der angestrebten Ziele nicht behindern.

7.3

Bei der Gestaltung dieser Pilotprojekte muss die Kommission auch Aspekte wie die Kompetenz und das Ziel der „Audit“-Funktion/Interessenträger berücksichtigen. Dies steht in engem Zusammenhang mit den zusätzlichen Kosten und den Motiven dieser Akteure. Der EWSA fordert die Kommission auf, sich darum zu bemühen, diese Kosten möglichst gering zu halten, auch bei der Festlegung der Messanforderungen, um unnötigen bürokratischen Aufwand oder eine Verzerrung der sozialen Entwicklung zu vermeiden.

7.4

Allerdings besteht die Gefahr, dass die speziell für die EuFSU und das EaSI entwickelte Messmethode bei der Umsetzung anderer Instrumente und Regelwerke bezüglich des sozialen Unternehmertums auf der nationalen, regionalen und lokalen Ebene Vorrang erhält. Eine mangelhafte bzw. falsche Anwendung des Social Impact Measurement kann soziale Innovationen und Experimente eventuell beeinträchtigen. Um diese Gefahr möglichst gering zu halten, sollte die Kommission Sensibilisierungsmaßnahmen und Schulungen in den Mitgliedstaaten anbieten.

7.5

Diese Stellungnahme ist ein erster Schritt in der Arbeit des EWSA am Social Impact Measurement. Sie ist eine Reaktion auf die laufende Arbeit der Kommission an diesem Thema. Der EWSA hält es jedoch für dringend erforderlich, diese Debatte weiterzuführen und zu erweitern, weswegen er die Arbeit der Kommission verfolgen und im Rahmen anderer Bereiche seiner politischen Tätigkeit weiterhin an diesem Thema arbeiten wird.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Europäischer Fonds für soziales Unternehmertum (EuFSU), COM(2011) 862 final.

(2)  Programm für Beschäftigung und soziale Innovation (EaSI), COM(2011) 609 final.

(3)  COM(2012) 573 final.

(4)  http://ec.europa.eu/internal_market/social_business/expert-group/social_impact/index_de.htm.

(5)  ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 22; ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 1; ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 44.

(6)  ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 55.

(7)  COM(2011) 682 final.

(8)  ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 53.

(9)  COM(2009) 433 final.

(10)  www.betterlifeindex.org.

(11)  http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/president/news/archives/2013/10/pdf/20131002_1-emu_en.pdf.

(12)  Bouchard, M. (Hrsg.) (2009): The Worth of the Social Economy, Peter Lang, Brüssel.

(13)  http://ec.europa.eu/employment_social/equal_consolidated.

(14)  http://www.thesroinetwork.org/what-is-sroi, http://www.socialauditnetwork.org.uk/getting-started/what-is-social-accounting-and-audit.

(15)  Z. B. PQASSO — Practical Quality Assurance Systems for Small Organisations, SIMPLE — Simple Impact Measurement for Local Economies, Volunteering Impact Assessment Toolkit, The Big Picture, Impact Framework, Logic Model Builder, Measuring Impact Framework, Outcome Mapping, Outcome-Based Evaluation, Social Impact Assessment (SIA), The Shujog Impact Framework and Assessment.

(16)  http://www.theoryofchange.org.


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/23


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Europäisches Mindesteinkommen und Armutsindikatoren“ (Initiativstellungnahme)

2014/C 170/04

Berichterstatter: Georgios DASSIS

Mitberichterstatter: Seamus BOLAND

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Februar 2013 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Europäisches Mindesteinkommen und Armutsindikatoren

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 155 gegen 93 Stimmen bei 12 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die negativen sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Krise und ein Mangel an Strukturreformen, die im Kontext der Bevölkerungsalterung, der anschwellenden Migrationsströme und der zunehmenden Europaverdrossenheit Armut und Ausgrenzung Vorschub leisten, machen es erforderlich, ein politisches Paradigma zu entwerfen, das die Solidarität und die grundlegenden Werte des europäischen Besitzstands zu verstärken vermag.

In diesem Zusammenhang

1.2

meint der EWSA, dass in einer so kritischen Phase die Festlegung eines europäischen Mindesteinkommens zum wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalt, zum Schutz der grundlegenden Menschenrechte, zu einem Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen und sozialen Zielen und zu einer gerechten Verteilung von Ressourcen und Einkommen beitragen wird;

1.3

weist der EWSA darauf hin, dass auf Ebene seiner Arbeitsorgane eine wichtige Diskussion geführt wurde, und betont die drängende Notwendigkeit, ein angemessenes Mindesteinkommen in der Europäischen Union mithilfe einer Rahmenrichtlinie zur wirksamen Bekämpfung der Armut und zur leichteren Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten, wie dies der Ausschuss der Regionen (1) und verschiedene Organisationen zur Armutsbekämpfung (2) gefordert haben, und ruft die Europäische Kommission zu einem koordinierten Vorgehen gemäß der Entschließung des Europäischen Parlaments von 2011 auf (3);

1.4

fordert der EWSA die Kommission auf, Finanzierungsmöglichkeiten für ein europäisches Mindesteinkommen zu prüfen und dabei den Schwerpunkt insbesondere auf die Perspektive der Schaffung eines geeigneten europäischen Fonds zu legen;

1.5

verlangt der EWSA, mehr Maßnahmen zu ergreifen, damit die Ziele der Europa-2020-Strategie in Bezug auf Beschäftigung, Armut und soziale Ausgrenzung tatsächlich erreicht werden. Diese Maßnahmen sollten Folgendes umfassen: 1) die weitere Verfolgung horizontaler Beschäftigungsziele, 2) die Festlegung von Zielen hinsichtlich der Herabsetzung der drei Indikatoren, die den zusammengesetzten Indikator Armut und soziale Ausgrenzung bilden, 3) die Festlegung von Zwischenzielen auf europäischer und nationaler Ebene für Gruppen wie Kinder oder Alleinerziehende, die ein höheres Armutsrisiko als die Gesamtbevölkerung haben, sowie für arme Erwerbstätige, 4) eine Prüfung der Methode zur Berechnung des Armutsniveaus durch die Mitgliedstaaten und zur Festlegung ihrer nationalen Ziele und 5) die erneuerte Zusage der Mitgliedstaaten, damit durch die Bündelung der einzelstaatlichen Anstrengungen das Gesamtziel der Europäischen Union erreicht werden kann;

1.6

fordert der EWSA die wirksame Abschätzung der sozialen Folgen der in den Nationalen Reformprogrammen (NRP) und den Nationalen Sozialberichten (NSB) enthaltenen Maßnahmen sowie des Maßnahmenpakets zur Sanierung der Finanzen, damit sie Armut und soziale Ausgrenzung nicht verschlimmern, sowie eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung der NRP und NSB;

1.7

verlangt der EWSA eine bessere Überwachung der sich verschärfenden Armut und sozialen Ausgrenzung und fordert die Kommission auf, bei ihrer Bewertung der NRP und NSB im Bedarfsfall länderspezifische Empfehlungen zur sozialen Eingliederung vorzuschlagen. Diese sollten auch für die Länder gelten, die im Rahmen eines speziellen Programmes Beihilfen der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds erhalten;

1.8

betont der EWSA, dass eine menschenwürdige Arbeit der beste Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung ist und fordert die Kommission mit Nachdruck auf, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten Maßnahmen des Pakts für Wachstum und Beschäftigung umzusetzen, um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung von Arbeitsplätzen anzukurbeln; begrüßt die Absicht von Kommissionsmitglied Tajani, einen Industriepakt zur Stärkung der Industrie in der EU und ihres Potenzials zur Schaffung von Arbeitsplätzen abzuschließen;

1.9

betont der Ausschuss insbesondere die Bedeutung einer verstärkten Beteiligung am lebenslangen Lernen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Arbeitslosen und allen benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen sowie die Bedeutung der Anhebung des beruflichen Qualifikationsniveaus und des Erwerbs neuer Kompetenzen, die zu einer rascheren Integration in den Arbeitsmarkt führen, die Produktivität steigern und den Menschen dabei helfen können, einen besseren Arbeitsplatz zu finden.

2.   Hintergrund

2.1

Das garantierte Mindesteinkommen (GME) ist eine beitragsunabhängige Einkommensstützung, die ein Sicherheitsnetz für alle diejenigen bietet, die keinen Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen haben (4). Als letzte Bastion gegen die Armut ist es für Menschen, die kein anderes Mittel der Einkommensstützung haben, und die von ihnen abhängigen Familienmitglieder untrennbar mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Leben verbunden (5). Das „garantierte Mindesteinkommen“ ist nicht zu verwechseln mit dem „Mindestlohn“, der durch Tarifverträge oder vom Gesetzgeber festgelegt wird.

2.2

In Artikel 10 Absatz 2 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (1989) (6) wird das Recht auf „ausreichende Mittel und Sozialleistungen“ für Menschen festgelegt, die außerhalb des Arbeitsmarkts stehen und nicht über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügen.

2.3

In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000), die als Teil des neuen Reformvertrags rechtlich bindend ist, heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen“ (Artikel 1), und weiter: „Um die soziale Ausgrenzung und die Armut zu bekämpfen, anerkennt und achtet die Union das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen“ (Artikel 34 Absatz 3).

2.4

Nach Maßgabe des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Artikel 152 Absatz 1 Buchstabe h) darf die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen unterstützen und ergänzen. Zu den Erfordernissen, die die Union bei der Festlegung und Umsetzung ihrer Politiken und Maßnahmen berücksichtigen muss, werden in der horizontalen Sozialklausel (Artikel 9) insbesondere hohe Beschäftigungsniveaus, ein angemessener sozialer Schutz und die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung festgeschrieben.

2.5

In der Empfehlung des Rates 92/441/EWG (7) wurden die Mitgliedstaaten aufgefordert, das Grundrecht auf ausreichende und zuverlässige Zuwendungen und Leistungen anzuerkennen, ihr System der sozialen Sicherung entsprechend anzupassen und gemeinsame Umsetzungskriterien festzulegen, ohne dass jedoch auf EU-Ebene eine Mindestgrenze festgelegt wurde.

2.6

In der Empfehlung der Kommission von 2008 (8) wird die angemessene Einkommensstützung als eine der drei Säulen der aktiven Eingliederung anerkannt, wobei betont wird, dass die Zuschussempfänger die Bereitschaft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt und zur Teilnahme an Ausbildungs- und anderen Maßnahmen zur sozialen Eingliederung haben müssen.

2.7

Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ist eines der fünf Kernziele der Europa-2020-Strategie, für das die Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung (9) eingerichtet wurde. In ihr wird erstmals das Ziel der Verringerung von Armut und sozialer Ausgrenzung bis 2020 um mindestens 20 Millionen Menschen anhand einer Kombination dreier Indikatoren festgelegt, nämlich: Armutsgefährdung (definiert als der Anteil der Bevölkerung, dessen Einkommen unter 60% des nationalen Medianeinkommens liegt), schwere materielle Entbehrung (im Sinne eines Mangels an Ressourcen, der unter Zugrundelegung eines konkreten Verzeichnisses von Gütern bestimmt wird) und sehr geringe Erwerbsintensität (d. h. in einem Erwerbslosenhaushalt lebende Personen) (10). Der EWSA hat diese Verpflichtung befürwortet und darauf hingewiesen, dass EU-Maßnahmen nicht das Armutsrisiko erhöhen dürfen (11).

2.8

Das in der Europa-2020-Strategie festgelegte Kernziel der Verringerung von Armut und sozialer Ausgrenzung beruht auf einer Verringerung um eine präzise Personenzahl (20 Millionen). Es unterscheidet sich damit von dem für die anderen in Prozentzahlen ausgedrückten Kernzielen (12) verfolgten Ansatz, was es den Mitgliedstaaten ermöglicht, jeweils auf dieselben Prozentziele hinzuarbeiten.

2.9

Die Mitgliedstaaten entscheiden selbst, wie sie ihre nationalen Ziele definieren und welche Ansätze sie zu ihrer Erreichung wählen. Die Summe der nationalen Ziele der Mitgliedstaaten liegt jedoch weiter unter dem Europa-2020-Ziel von 20 Millionen Menschen: Schätzungen zufolge besteht zwischen dem Kernziel der Europa-2020-Strategie und der Summe der nationalen Ziele eine Differenz von fünf bis acht Millionen (13). Darüber hinaus mangelt es vielen NRP an Klarheit darüber, wie das Armutsziel erreicht werden soll, sowie an angemessenen Maßnahmen zur sozialen Eingliederung (14). Länder, die besondere Unterstützung seitens der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank oder des Internationalen Währungsfonds erhalten, sind nicht verpflichtet, spezielle NRP einzureichen (15): Sie müssen nur gemäß den Bestimmungen der jeweiligen Vereinbarungen Rechenschaft ablegen; diese sehen jedoch keine Maßnahmen zur Verringerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung vor.

2.10

In der Entschließung des Europäischen Parlaments von 2010 (16) werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, angemessene gesetzliche Mindesteinkommensregelungen in Höhe von 60% des nationalen Medianeinkommens einzuführen, und es wird um deutlichere Empfehlungen seitens der EU ersucht. In der Entschließung von 2011 (17) wird die Kommission nachdrücklich aufgefordert, eine Konsultation über die Möglichkeit einer Gesetzesinitiative für ein vernünftiges Mindesteinkommen einzuleiten.

3.   Armut, soziale Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit in der EU

3.1

Der EWSA sieht in der Armut eine Verletzung der Menschenrechte, die zusätzliche Anstrengungen zur Erreichung der in Artikel 3 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Ziele umso notwendiger macht, und erachtet die Überwindung der Armut als eine europaweite Herausforderung.

3.2

Die Krise und das Fehlen von Strukturreformen haben seit 2008 in vielen Ländern zu einem erhöhten Risiko für Armut, soziale Ausgrenzung und Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt geführt (18). Neueste Zahlen (19) von Eurostat bestätigen, dass 24,2% der Bevölkerung der Europäischen Union, d. h. 119,7 Millionen Menschen, von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind (20). 2011 ist dieser Prozentsatz in 19 Mitgliedstaaten angestiegen, und zwischen 2008 und 2011 hat die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen um 4 Millionen zugenommen. Die drei Indikatoren, aus denen sich die „Gefährdung durch Armut und soziale Ausgrenzung“ zusammensetzt, haben sich seit 2008 ebenfalls verschlechtert und liegen für die Armutsgefährdung bei 17%, für schwere materielle Entbehrung bei 9% und für Haushalte mit sehr geringer Erwerbsintensivität bei 10%. In vielen Ländern werden die Armen immer ärmer (21).

3.3

Kinder (unter 18) gehören zu den Gruppen, die stärker von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind als die Gesamtbevölkerung, und zwar zu 27,1% (22). Die Armutsgefährdungsquote ist für Menschen über 65 in einigen Ländern relativ hoch (23).

3.4

Einkommensunterschiede und soziale Ungleichheiten nehmen innerhalb jedes Mitgliedstaats sowie zwischen den Staaten und Regionen zu und haben sich durch die Krise gravierend verschlimmert (24). Überdies werden die bereits vor der Krise benachteiligten Bevölkerungsgruppen nun noch stärker benachteiligt (25).

3.5

Die Krise bringt neue Armutsformen ans Licht, wie Wohnraumunterversorgung, Energiearmut, finanzielle Ausgrenzung (mangelnder Zugang zu grundlegenden Bankdienstleistungen und Krediten) und die Überschuldung von Privathaushalten, wobei Frauen stärker von den sozialen Risiken bedroht sind als Männer. Gleichzeitig sind die gefährdetsten Gruppen wie ältere Menschen (insbesondere hochbetagte Menschen und alte Frauen), Behinderte, schwer chronisch Kranke, Alleinerziehende, einkommensschwache Familien sowie Migranten und bestimmte nationale Minderheiten wie die Roma unverhältnismäßig stark von unterschiedlichen Formen der Entbehrung betroffen.

3.6

Die Beschäftigungssituation und soziale Lage in der Europäischen Union sind im kritischen Bereich. Die Arbeitslosigkeit steigt ständig: Im Januar 2013 waren 26,2 Millionen Menschen oder 10,8% der Erwerbsbevölkerung der Union (sowie 19 Millionen bzw. 11,9% im Euroraum) betroffen, und die wirtschaftliche Situation der Haushalte ist besorgniserregend (26). Die Jugendarbeitslosigkeit hat in der gesamten Europäischen Union neue Rekordwerte erreicht: 23,6% der jungen Menschen im erwerbsfähigen Alter sind ohne Arbeit und verbleiben in dieser Situation tendenziell immer länger.

3.7

Der EWSA zeigt sich zutiefst besorgt angesichts der steigenden Zahl von trotz Erwerbstätigkeit in Armut lebender Menschen, die u. a. auf die Verbreitung unsicherer Arbeitsverhältnisse und niedriger Löhne zurückzuführen ist. 2011 lebten 8,9% aller Erwerbstätigen unter der Armutsgrenze und machten ein Drittel aller armutsgefährdeten Erwachsenen im Erwerbsalter aus (27).

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA hat in mehreren Stellungnahmen (28) zu Fragen Position bezogen, die direkt oder indirekt das garantierte Mindesteinkommen betreffen, und entsprechende Empfehlungen formuliert. Seine Bemerkungen und Empfehlungen von 1989 (29) sind heute unter dem Eindruck der düsteren Krise von akuter Dringlichkeit. So unterstützt er u. a. die Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung und ist der Ansicht, dass die Methode der offenen Koordinierung in Verbindung mit der horizontalen Sozialklausel zu den Bemühungen um eine Garantie von Mindesteinkommen und zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung beitragen kann.

4.2

Die vordringliche Notwendigkeit eines Mindesteinkommens wurde auf der öffentlichen Anhörung (30) betont, die der EWSA zum Zeitpunkt der Ausarbeitung seiner Stellungnahme organisierte und in deren Rahmen Experten und Persönlichkeiten Überlegungen darüber anstellten, wie die Messung von Armut verbessert werden kann und welche Herausforderungen im Hinblick auf die Einführung eines europäischen Mindesteinkommens zu bewältigen sind.

4.3

Die Vielschichtigkeit der Armut (31) und der sozialen Ausgrenzung erfordert einen stärkeren sozialen Bezug des europäischen Regierens: Eine sozial nachhaltige makroökonomische Politik ist die Voraussetzung für einen Ausweg aus der Krise und für den sozialen Zusammenhalt. Fortbestehende Armut und Ausgrenzung schaden der Wirtschaft, da sie das verfügbare Einkommen und die Nachfrage aufzehren, die Wettbewerbsfähigkeit untergraben und die einzelstaatlichen Haushalte belasten.

4.4

Vor diesem Hintergrund hält der EWSA eine Überprüfung der Prioritäten und Maßnahmen für erforderlich, insbesondere der Geldpolitik — einschließlich des Stabilitäts- und Wachstumspakts –, der Wettbewerbs- und Außenhandelspolitik sowie der Finanz- und Steuerpolitik.

4.5

Der EWSA begrüßt das aktualisierte Maßnahmenpaket zu Sozialinvestitionen vom 20. Februar 2013 (32). Darin werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, eine effiziente, geeignete Einkommenssicherung auszugestalten, die den auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene ermittelten sozialen Bedürfnissen Rechnung trägt, und Referenzbudgets festzulegen, die eine Liste von Gütern und Leistungen umfassen, die eine Familie einer bestimmten Größe und Zusammensetzung unter Wahrung eines vorgegebenen Lebensstandards zum Leben benötigt, sowie eine Schätzung der hierfür monatlich oder jährlich anfallenden Kosten.

4.6

Der EWSA ersucht die Kommission nachdrücklich um eine beschleunigte Umsetzung ihrer Zusage (33), die Maßnahmen der Mitgliedstaaten durch ein Monitoring der Reformen mit Blick auf eine aktive Inklusion, die Entwicklung einer Methodik für Referenzbudgets und die Überwachung der Angemessenheit der Einkommenssicherung mittels der genannten Referenzbudgets, sobald diese in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten festgelegt worden sind, zu unterstützen.

4.7

Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass der beste Weg zur Verringerung von Armut und der Vermeidung von sozialer Ausgrenzung darin besteht, das Wachstum wieder in Gang zu bringen, die Wettbewerbsfähigkeit anzukurbeln und günstige Rahmenbedingungen für europäische Unternehmen zu schaffen (darunter u. a. die Vermeidung überzogener Verwaltungslasten und die Gewährleistung des Zugangs zu Finanzierung), damit sie expandieren und für Menschen mit angemessenen Qualifikationen Arbeitsplätze schaffen können.

4.8

Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit, den Programmen für lebenslanges Lernen als grundlegenden Instrumenten für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, für die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit und den Zugang zu Wissen und zum Arbeitsmarkt besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist wichtig, die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Arbeitslosen und allen benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen am lebenslangen Lernen zu verstärken, das berufliche Qualifikationsniveau anzuheben und den Erwerb neuer Kompetenzen zu fördern, da dies zu einer rascheren Integration in den Arbeitsmarkt führen, die Produktivität steigern und den Menschen dabei helfen kann, einen besseren Arbeitsplatz zu finden.

4.9

Der EWSA befürwortet ein umfassendes Konzept des sozialen Unternehmertums mit mehr Mitteln für den Fonds für soziales Unternehmertum und einem verbesserten Rechts/-Verwaltungsumfeld, um sozialwirtschaftliche Unternehmen zu fördern, die als Antriebsfeder für Wachstum, Innovation und Beschäftigung die Armut bekämpfen können.

4.10

Der EWSA begrüßt die jüngste Empfehlung zur Kinderarmut (34), bedauert jedoch, dass die ständige Bedrohung so vieler Kinder durch Armut über die Generationen hinweg die Mängel der derzeitigen Politik offenbart.

4.11

Der EWSA stellt voller Besorgnis fest, dass das in der Europa-2020-Strategie festgelegte Ziel für Armut und soziale Ausgrenzung (Verringerung der Zahl der Armen um 20 Millionen in der Union bis 2020) höchstwahrscheinlich nicht erreicht werden wird.

4.12

Der EWSA hat bereits darauf aufmerksam gemacht, dass sich der Grad der Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung der NRP von Land zu Land erheblich unterscheidet, wobei in einigen Mitgliedstaaten kaum Vorkehrungen für ihre Einbeziehung getroffen werden (35).

4.13

Das Fehlen aktueller Daten über Einkommen und Lebensbedingungen steht der Umsetzung der Europa-2020-Strategie im Wege.

5.   Die Rolle des Mindesteinkommens bei der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung

5.1

Der EWSA ist sich bewusst, dass es ein außergewöhnlich komplexes politisches Unterfangen wäre, der Europäischen Union beim Schutz durch das Mindesteinkommen eine spezifische zentrale Rolle zuzuerkennen, und zwar aufgrund der wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, der Vielfalt der Mindesteinkommensregelungen (36) und Sozialschutzsysteme, der Subsidiarität, des Geflechts von Rechten und Pflichten im Zusammenhang mit dem Schutz des Mindesteinkommens sowie des komplizierten Wechselspiels zwischen den ergriffenen politischen Maßnahmen und ihren Ergebnissen einerseits und der Bedeutung von „Solidarität“ in der Union andererseits.

5.2

Der EWSA hält es dennoch für notwendig, Mindesteinkommenssysteme einzuführen und die bestehenden zu stärken, denn zweiundzwanzig Jahre nach der Empfehlung 92/441/ΕWG haben immer noch nicht alle Mitgliedstaaten solche Systeme, ist die Zugänglichkeit zu diesen Systemen und ihre angemessene Funktionsweise nicht überall garantiert und liegen die kumulierten Ziele der Mitgliedstaaten zur Verringerung von Armut und sozialer Ausgrenzung weit unter dem Europa-2020-Ziel (37).

5.3

Angesichts des Wechselspiels zwischen Armut und Wirtschaft unterstreicht der EWSA das stabilisierende Potenzial des Mindesteinkommens, das die sozialen Folgen der Krise abschwächen und eine antizyklische Wirkung haben kann, indem es zusätzliche Mittel bereitstellt, um die Nachfrage im Binnenmarkt anzukurbeln.

5.4

Der EWSA hegt die starke Befürchtung, dass die Mindesteinkommen, die sich in den meisten Mitgliedstaaten hinsichtlich Geltungsbereich, Universalität und Wirksamkeit stark unterscheiden, die Armut nicht hinreichend zu lindern vermögen, und hat Bedenken, dass diese Wirksamkeit durch ihre Nichtinanspruchnahme noch weiter auf die Probe gestellt wird (38).

5.5

Der EWSA begrüßt die positiven Ergebnisse der Methode der offenen Koordinierung im sozialen Bereich, bedauert jedoch, dass die bestehenden Instrumente und Strukturen nicht vollständig ausgelotet und nur begrenzte Fortschritte im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung erzielt wurden.

5.6

Der EWSA spricht sich dafür aus, als Ergänzung der Methode der offenen Koordinierung im Bereich der Sozialpolitik eine europäische Richtlinie einzuführen, mit der die Mindesteinkommensregelungen auf alle Mitgliedstaaten ausgeweitet und die bestehenden Regelungen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten verbessert würden und mit der somit eine starke Botschaft über den europäischen sozialen Pfeiler ausgesandt würde.

5.7

In der vorgeschlagenen Richtlinie sollten gemeinsame Ziele und Indikatoren festgelegt, Methoden zur Überwachung ihrer Umsetzung bereitgestellt und die Beteiligung der Sozialpartner, Berechtigten und sonstiger Interessenträger an der Festlegung oder Überprüfung der nationalen Mindesteinkommen ermöglicht werden.

5.8

Der EWSA ist der Ansicht, dass eine unabdingbare Voraussetzung für die Stärkung der Solidarität und des sozialen Zusammenhalts sowohl in den Mitgliedstaaten als auch zwischen ihnen darin besteht, dass haushalts- und makroökonomische Maßnahmen auch zu den Sozialinvestitionszielen von Europa 2020 beitragen, indem sie die bereits bestehenden Strategien umsetzen und vorhandene Instrumente und Strukturen nutzen.

5.9

Der EWSA ist überzeugt, dass die Anstrengungen der Europäischen Union zur Verbesserung des Schutzes durch das Mindesteinkommen darin bestehen müssen, den Mitgliedstaaten — insbesondere denen, wo dies vordringlich ist — dabei zu helfen, ihre Märkte zu öffnen und wirksame makroökonomische Maßnahmen durchzuführen und die verfügbaren Mittel effizienter und zielführender einzusetzen: Sie müssen auch eine sofortige Prüfung der Möglichkeiten zur Aufstockung der notwendigen Mittel umfassen.

5.10

Der EWSA erinnert daran, dass Mindesteinkommensregelungen zwar direkt mit den Sozialschutz- und Sozialleistungssystemen verbunden sind, sie jedoch nicht zu einer Abhängigkeit von diesen führen dürfen, und wiederholt die Bedingungen, die er bereits 1989 festgelegt hatte (39). Zu diesem Zweck sollten die Mindesteinkommen mit allgemeinen politischen Maßnahmen und gezielten Bestimmungen einhergehen — u. a. eine aktive Arbeitsmarktpolitik, um Arbeitslose wieder in Arbeit zu bringen, Vermittlungsstellen, eine Verwaltung der Beihilfen sowie arbeitsmarktspezifische Programme wie die durch angemessene Aktvierungsstrategien unterstützte Schaffung von Arbeitsplätzen –, damit Arbeitssuchende mehr Chancen haben, eine Arbeit zu finden. Wesentlich sind ferner wirkungsvolle Arbeitsmarkteinrichtungen, Gesundheitsfürsorge und Wohnungspolitik sowie erschwingliche, zugängliche öffentliche Dienstleistungen von hoher Qualität.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Stellungnahme des Ausschusses der Regionen „Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung“, ABl. C 166 vom 7.6.2011, S. 18. Siehe S. 19, Ziffer 7.

(2)  ATD Vierte Welt, Europäisches Netz der Vereinigungen zur Bekämpfung der Armut (EAPN), Europäischer Verband der nationalen Vereinigungen im Bereich der Obdachlosenhilfe (FEANTSA), europäische Sektion von Emmaus u. a.

(3)  Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Europäischen Plattform zur Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung (2011/2052(INI)), ABl. C 153E vom 31.5.2013, S. 57-78.

(4)  Hierzu gehören ferner: a) universelle Grundsicherung oder Bürgergeld, eine ständige Leistung in einheitlich festgelegter Höhe, die in regelmäßigen Abständen erwachsenen Bürgern unabhängig von ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Lage oder ihrer Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt ausgezahlt wird, und b) negative Einkommensteuer auf der Grundlage des Konzepts eines Grenzsteuersatzes.

(5)  Hugh FRAZER und Eric MARLIER, Minimum Income Schemes Across EU Member States, Synthesebericht des EU-Netzes nationaler unabhängiger Experten für soziale Eingliederung, Europäische Kommission, GD Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit, 2009.

(6)  Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Gemeinschaftscharta der Grundrechte der Arbeitnehmer, Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 1990.

(7)  Empfehlung 92/441/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 über gemeinsame Kriterien für ausreichende Zuwendungen und Leistungen im Rahmen der Systeme der sozialen Sicherung, ABl. L 245 vom 26.8.1992, S. 46-48.

(8)  Empfehlung der Kommission zur aktiven Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen (C(2008) 5737), ABl. L 307 vom 18.11.2008, S. 11-14.

(9)  „Europa 2020 — Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ — COM(2010) 2020 final, Brüssel, 3.3.2010.

(10)  In Kombination definieren diese drei Indikatoren eine von „Armut oder Ausgrenzung“ gefährdete Gesamtzielgruppe, wobei jede Person, auf die eines dieser Kriterien zutrifft, unter diese Kategorie fällt und darin nur ein Mal aufgeführt wird.

(11)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung: Ein europäischer Rahmen für den sozialen und territorialen Zusammenhalt“, COM(2010) 758 final, ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 130-134.

(12)  In den Bereichen Beschäftigung, Bildung, Klimawandel und FuE sind die Ziele in Prozent festgelegt; dies ermöglicht es den Mitgliedstaaten, entsprechende, in Prozentzahlen ausgedrückte Ziele zu setzen.

(13)  Europäische Kommission, Employment and Social Developments in Europe 2012.

(14)  Hugh FRAZER und Eric MARLIER, 2011, Assessment of Progress towards the Europe 2020 social inclusion objectives: Main Findings and Suggestions on the Way Forward, EU-Netz nationaler unabhängiger Experten für soziale Eingliederung, Brüssel, Europäische Kommission.

(15)  Europäische Kommission, Guidance for the National Reform Programmes, 18. Januar 2012.

(16)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20. Oktober 2010 zu der Bedeutung des Mindesteinkommens für die Bekämpfung der Armut und die Förderung einer integrativen Gesellschaft in Europa (2010/2039(INI)), ABl. C 70E vom 8.3.2012, S. 8-18.

(17)  Siehe Fußnote 3.

(18)  Commission staff working document, Evidence on Demographic and Social Trends. Social Policies' Contribution to Inclusion, Employment and the Economy, SWD(2013) 38 final, Teil 1.

(19)  Eurostat, 2013, Leitindikatoren t2020_50, t2020_51, t2020_52, t2020_53, aktualisiert am 3. Oktober 2013.

(20)  Die höchsten Raten sind in Bulgarien (49%), Rumänien und Lettland (beide 40%), Litauen (33%) sowie Griechenland und Ungarn (beide 31%) sowie Italien (28,2%) zu verzeichnen.

(21)  Europäische Kommission — Ausschuss für Sozialschutz, Social Europe: Current Challenges and the Way Forward, Annual Report of the Social Protection Committee (2012).

(22)  Siehe Fußnote 18.

(23)  Ebda.

(24)  Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB), Europäisches Gewerkschaftsinstitut (EGI), Benchmarking Working Europe, 2013.

(25)  Eurofound, Quality of Life in Europe: Impacts of the Crisis, 3rd European Quality of Life Survey, Luxemburg, 2012.

(26)  Europäische Kommission, Quartalsbericht über soziale Lage und Beschäftigungssituation in der EU – März 2013.

(27)  Siehe Fußnote 21.

(28)  Siehe ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 23-27; ABl. C 166 vom 7.6.2011, S. 18-22; ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 35-39; ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 52-56; ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 57-64; ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 90-98; ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 34-39; ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 43-49; ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 26-38; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 10-17.

(29)  ABl. C 221 vom 28.8.1989, S. 10-15.

(30)  28. Mai 2013, http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.events-and-activities-european-minimum-income.

(31)  Der Indikator der Gefährdung durch Armut und soziale Ausgrenzung setzt sich aus drei Indikatoren zusammen: Armutsgefährdung, schwere materielle Entbehrung und sehr geringe Erwerbsintensität.

(32)  Mitteilung COM(2013) 83 der Kommission vom 20. Februar 2013„Sozialinvestitionen für Wachstum und sozialen Zusammenhalt — einschließlich Durchführung des Europäischen Sozialfonds 2014-2020“, für die deutsche Fassung ersetzt durch das Korrigendum COM(2013) 83 final/2 vom 2. Juli 2013. Das „Paket zu Sozialinvestitionen“ umfasst ebenfalls eine Empfehlung „Investitionen in Kinder“ (C(2013) 778 final), die Arbeitspapiere Long-term care in ageing societies — Challenges and policy options, Investing in Health und Follow-up on the implementation by the Member States of the 2008 European Commission recommendation on active inclusion of people excluded from the labour market sowie den Bericht 3rd Biennial Report on Social Services of General Interest.

(33)  Mitteilung der Kommission COM(2013) 83 final/2, Ziffer 2.2.

(34)  Empfehlung der Kommission vom 20. Februar 2013„Investitionen in Kinder: Den Kreislauf der Benachteiligung durchbrechen“, ABl. L 59 vom 2.3.2013, S. 5-16.

(35)  EWSA, Civil Society Involvement in the National Reform Programmes, Synthesebericht, Brüssel, 28. Februar 2011.

(36)  Für eine vollständige Übersicht siehe FRAZER und MARLIER, a.a.O., 2009.

(37)  Ausschuss für Sozialschutz, a.a.O.

(38)  SWD(2013) 39 final.

(39)  Siehe die in Fußnote 29 genannte Stellungnahme.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:

Ziffer 1.4

Ändern:

fordert der EWSA die Kommission auf, vorhandene bewährte Verfahren Finanzierungsmöglichkeiten für ein europäisches Mindesteinkommen zu prüfen, um die Mitgliedstaaten bei der Aufstellung von Strategien für die aktive Eingliederung zu unterstützen, die eine ausreichende und angemessene Einkommensstützung, Aktivierungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Armutsbekämpfung umfassen und dabei ihrer Hauptzuständigkeit im Lichte der Subsidiarität und jeweiligen nationalen Praxis Rechnung tragen, und gleichzeitig auch Finanzierungsmöglichkeiten sowie deren effiziente und zielgerichtete Nutzung zu prüfen den Schwerpunkt insbesondere auf die Perspektive der Schaffung eines geeigneten europäischen Fonds zu legen;

Abstimmung

Ja-Stimmen:

:

112

Nein-Stimmen:

:

134

Enthaltungen:

:

10

Ziffer 4.2

Ändern:

Die vordringliche Notwendigkeit der Beschäftigung mit der Frage eines Mindesteinkommens wurde auf der öffentlichen Anhörung30 betont, die der EWSA zum Zeitpunkt der Ausarbeitung seiner Stellungnahme organisierte und in deren Rahmen Experten und Persönlichkeiten Überlegungen darüber anstellten, wie die Messung von Armut verbessert werden kann und welche Herausforderungen im Hinblick auf die Einführung eines europäischen Mindesteinkommens auf der nationalen Ebene zu bewältigen sind.

Abstimmung

Ja-Stimmen:

:

110

Nein-Stimmen:

:

132

Enthaltungen:

:

13

Ziffer 5.3

Ändern:

Angesichts des Wechselspiels zwischen Armut und Wirtschaft unterstreicht nimmt der EWSA das stabilisierende Potenzial des Mindesteinkommens zur Kenntnis, das die sozialen Folgen der Krise abschwächen und eine antizyklische Wirkung haben kann könnte , indem es zusätzliche Mittel bereitstellt, um die Nachfrage im Binnenmarkt anzukurbeln.

Abstimmung

Ja-Stimmen:

:

110

Nein-Stimmen:

:

139

Enthaltungen:

:

8

Ziffer 5.6

Ändern:

Der EWSA ruft zum Austausch bewährter Verfahren bei Mindesteinkommen und Leitlinien auf der nationalen Ebene auf, um die Mitgliedstaaten bei der Einführung von Mindesteinkommensregelungen zu unterstützen und diese hinreichend zielführend und effizient zu machen. spricht sich dafür aus, als Ergänzung der Methode der offenen Koordinierung im Bereich der Sozialpolitik eine europäische Richtlinie einzuführen, mit der die Mindesteinkommensregelungen auf alle Mitgliedstaaten ausgeweitet und die bestehenden Regelungen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten verbessert würden und mit der somit eine starke Botschaft über den europäischen sozialen Pfeiler ausgesandt würde. Außerdem kann das neu eingeführte Scoreboard dazu beitragen, dass mögliche Ungleichheiten gar nicht erst entstehen.

Abstimmung

Ja-Stimmen:

:

115

Nein-Stimmen:

:

138

Enthaltungen:

:

9

Ziffer 5.7

Ändern:

In der Mit den vorgeschlagenen Richtlinie Maßnahmen sollten gemeinsame Leitz Ziele und -i Indikatoren festgelegt, Methoden zur Überwachung ihrer Umsetzung bereitgestellt und die Beteiligung der Sozialpartner, Berechtigten und sonstiger Interessenträger an der Festlegung oder Überprüfung der nationalen Mindesteinkommen ermöglicht werden.

Abstimmung

Ja-Stimmen:

:

115

Nein-Stimmen:

:

139

Enthaltungen:

:

5


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/32


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Herausforderungen für die europäische Maschinenbau-, Metallverarbeitungs-, Elektrotechnik- und Elektronikindustrie in einer globalen Wirtschaft im Wandel“ (Initiativstellungnahme)

2014/C 170/05

Berichterstatterin: Lucie STUDNIČNÁ

Ko-Berichterstatter: Rumen ATANASOV

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Februar 2013 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Herausforderungen für die europäische Maschinenbau-, Metallverarbeitungs-, Elektrotechnik- und Elektronikindustrie in einer globalen Wirtschaft im Wandel

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 21. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 11. Dezember) mit 167 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die europäische Maschinenbau-, Metallverarbeitungs-, Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (1) (MMEE-Industrie) spielt eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Erholung Europas und das ehrgeizige Vorhaben, die Industrieproduktion bis zum Jahr 2020 auf mehr als 20 % des BIP zu steigern. Allerdings müssen die Unternehmen stärker investieren, damit ein solches Wachstum stattfinden und der derzeitige Trend umgekehrt werden kann und wieder mehr Menschen in Lohn und Brot kommen können.

1.2.

Um dorthin zu gelangen, muss Europa klare Konzepte und Zielvorstellungen für seine Industrie entwickeln. Diese müssen zu einer koordinierten Politik führen, die einen klaren Schwerpunkt auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie legt, mit den übrigen Politikbereichen verzahnt ist und Europa attraktiver für Unternehmensansiedlungen macht.

1.3.

Europa muss den industriellen Wandel positiver sehen, gerade auch angesichts des erfolgreichen Wandels in den Ländern Mittel- und Osteuropas.

1.4.

Europa sollte sich seiner Stärken bewusst werden und sie weiterentwickeln: qualifizierte und motivierte Arbeitnehmer, eine vielfältige Bildungslandschaft, eine gewaltige wissenschaftliche Kompetenz, viele global führende regionale Cluster, gut integrierte Zulieferer- und Dienstleistungsketten, eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur, ein riesiger Binnenmarkt mit mehr als 500 Mio. Verbrauchern und die eingespielte Zusammenarbeit der Sozialpartner.

1.5.

Um für neue Investitionen attraktiv zu sein, muss Europa eine Strategie verfolgen, die es der europäischen Industrie gestattet, ihre Spitzenstellung in der technischen Innovation zu behaupten und zugleich — um das notwendige Produktionsvolumen und die Beschäftigung als Hauptwerkzeug der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen — attraktiver für Unternehmen zu sein, die Massengüter sowohl mit hohem als auch mit geringem und mittlerem Technologiegehalt produzieren. Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, eine Strategie vorzulegen, wie Europa mehr Investitionen in Hochtechnologieunternehmen anziehen kann, einschließlich moderner Produktionsstätten der vierten industriellen Revolution und hochqualifizierten Kompetenzträgern, um so für Innovationen in der Wertschöpfungskette zu sorgen.

1.6.

Europäische Forschungsmittel müssen stärker an den Bedarf der Industrie geknüpft werden, die Unternehmen müssen gleich zu Beginn des Innovationsprozesses mit eingebunden werden. Es gilt, das kreative Ingenieurwesen in den KMU zu unterstützen, damit neue Ideen leichter und schneller zu neuen Produkten werden. Cluster, die Produktionsunternehmen und Forschungsstrukturen miteinander verbinden, sollten gefördert und unterstützt werden.

1.7.

Die Europäische Kommission sollte ihre Bemühungen um ein besseres Handlungsumfeld für europäische Unternehmen, und hier vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), verstärken. Neue technische Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften sollten erst dann erwogen werden, wenn die Ziele nicht anders erreicht werden können. Die Europäische Kommission sollte stärker auf eine kohärente Anwendung geltender Bestimmungen in allen Mitgliedstaaten sowie eine einheitliche und stärkere Marktüberwachung achten. Sie sollte die ausgewogene Anwendung eines solchen Ansatzes auch weltweit mit Blick auf andere Weltwirtschaftsräume fördern.

1.8.

Nachteile, wie der schwierige Zugang zur Finanzierung, hohe Energiekosten oder Kosten aufgrund von Verwaltungslasten und Rechtsvorschriften sollten abgebaut werden, indem für eine schlüssigere und berechenbarere Rechtsetzung gesorgt wird.

1.9.

Ein hoher Beschäftigungsgrad in Europa kann nur erhalten werden, wenn die Arbeitnehmer besser gebildet und geschult sind als in konkurrierenden Volkswirtschaften. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Jugend — Männer ebenso wie Frauen — für technische Berufe zu gewinnen, bei denen es um immer ausgefeiltere Maschinen und technische Dienstleistungen geht. Die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Universitäten und Schulen, Berufsbildung und lebenslanges Lernen sollten angeregt werden.

2.   Einleitung

2.1.

Die Maschinenbau-, Metallverarbeitungs-, Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (MMEE-Industrie) Europas ist eine sehr verzweigte und vielschichtige Branche. Zu ihr gehören die Ziffern 25, 26, 27, 28, 29.3, 32.11 und 33 der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (NACE), mit Ausnahme der Ziffern 33.15 bis 33.17. Üblicherweise rechnet man zur MMEE-Industrie: Maschinen- und Anlagenbau, Elektrotechnik, Elektronik, Metallwaren und -bearbeitung.

2.2.

Die gesamte MMEE-Industrie in Europa besteht aus circa 130 000 Unternehmen, die mehr als 10,3 Mio. hochqualifizierte Arbeitnehmer beschäftigen und im Jahr einen Umsatz von circa 1 840 Mrd. EUR erwirtschaften. Die MMEE-Industrie liefert rund ein Drittel aller Exporte der EU.

2.3.

Die Branche produziert eine Vielzahl von Endprodukten und beliefert andere Branchen mit Baugruppen, Teilen, Werkzeugen, Maschinen, Anlagen, Systemen, Technologien usw. Dieser Industriezweig ist maßgeblich für die technische Leistungsfähigkeit vieler anderer Branchen und ausschlaggebend für die Entwicklung der Gesellschaft hinsichtlich Energieeffizienz, Gesundheit, Mobilität, Kommunikation und Sicherheit.

2.4.

Aufgrund ihres enormen Umfangs, ihrer großen Beschäftigungsrelevanz und ihrer starken Exportorientierung spielt die europäische MMEE-Industrie eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Erholung Europas und das ehrgeizige Vorhaben, das die Europäische Kommission in der Mitteilung „Eine stärkere europäische Industrie bringt Wachstum und wirtschaftliche Erholung“ formuliert hat: Die gegenwärtige Tendenz soll umgekehrt und die Industrieproduktion bis zum Jahr 2020 auf mehr als 20 % des BIP gesteigert werden.

2.5.

Die europäische MMEE-Industrie muss im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung der EU betrachtet und analysiert werden; diese Branchen sind integrale und unabdingbare Glieder der jeweiligen Wertschöpfungskette. Von dieser Warte aus gesehen, leiden sie im Wesentlichen unter denselben Problemen wie die anderen Glieder ihrer Wertschöpfungskette (Stahlindustrie, Energiesektor usw.).

3.   Herausforderungen für die europäische MMEE-Industrie

3.1.   Internationaler Wettbewerb

3.1.1.

Die europäische MMEE-Industrie exportiert einen bedeutenden Teil ihrer Produktion. In den letzten Jahren wurde allerdings nicht so viel investiert wie in anderen Weltregionen. Dies führt zu einer gefährlichen Verlagerung der Wertschöpfungsketten weg aus Europa, und europäische Unternehmen der MMEE-Industrie geraten zunehmend unter einen globalen Wettbewerbsdruck.

3.1.2.

Nordamerika verfolgt eine Strategie der Reindustrialisierung, bei der insbesondere auf niedrige Energie- und Arbeitskosten in der NAFTA gesetzt wird. China und einige Länder Südostasiens haben in erheblichem Umfang Investitionen angezogen, insbesondere in der elektrotechnischen und elektronischen Industrie, in letzter Zeit aber auch im Maschinenbau. Dank staatlicher Entwicklungsprogramme sind diese Wirtschaftsräume nicht nur mit geringeren Löhnen konkurrenzfähig, sondern werden bald auch Güter mit hohem Mehrwert produzieren können. Japan gewinnt aufgrund der jüngsten 30 %igen Abwertung des Yen an Wettbewerbsfähigkeit. Schließlich konnten auch Afrika und der Nahe und Mittlere Osten in den letzten Jahren Investitionen in der weiterverarbeitenden Industrie für sich verbuchen.

3.1.3.

Um das Ziel eines Anteils von 20 % der Industrie am BIP zu erreichen, müssten jährlich mindestens 400 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Nur wenn es Europa gelingt, mehr Investitionen anzuziehen, werden ausreichend Arbeitsplätze und Wohlstand generiert werden können, um die hohen sozialen Standards in Europa zu bewahren und die Ziele der Europa-2020-Strategie zu erreichen. Investitionen werden aber nur dann in Europa getätigt werden, wenn Europa wettbewerbsfähig ist.

3.1.4.

Es ist offensichtlich, dass eine solche Zahl vornehmlich gut bezahlter Arbeitsplätze (mehr als 10 Mio.) nicht erhalten werden kann, wenn sich Europa damit begnügt, nur im oberen Marktsegment der Ingenieurtechnik Flagge zu zeigen. Sicherlich spielen Hochtechnologieunternehmen eine entscheidende Rolle für die Technologieführerschaft und die Innovationsfähigkeit in der gesamten Wertschöpfungskette. Dennoch ist es wichtig, dass Europa der Produktionsort aller Arten von technischen Produkten und Gütern bleibt, auch solcher mit niedrigem und mittlerem Technologiegehalt. Neben dem Aspekt der Beschäftigungsschaffung ist dies auch entscheidend für das integrierte Geflecht der Zulieferer, das eines der größten Trumpfkarten der europäischen Hersteller ist und den schnellen Austausch von Wissen, schnelle Produktionsumstellungen und den Rückgriff auf regionale Cluster erlaubt.

3.2.   Technische Herausforderungen

3.2.1.

Gerade die MMEE-Industrie hat eine Vorreiterrolle im Übergang zu einer grünen und kohlendioxidarmen Wirtschaft, weil ihre Unternehmen die dafür nötigen Produkte, Systeme und Technologien bereitstellen. Die Industrie steuert mit großer Geschwindigkeit auf die vierte industrielle Revolution (2) zu. Diese wird durch eine kundenindividuelle Massenfertigung gekennzeichnet sein, mit deren Hilfe die Branche den Ansprüchen der Gesellschaft mit maßgeschneiderten Lösungen begegnen kann.

3.2.2.

Europa verfügt zwar über das erforderliche wissenschaftliche Know-how und die Forschungskompetenz für die Transformation zu einer grüneren Wirtschaft, doch der Weg zu innovativen Produkten erfordert mehr als das. Europa hat in vielen Technologiebereichen einen klaren Vorsprung in der Forschung, aber die Unternehmen, die davon profitieren, siedeln sich im Ausland an, oder anders ausgedrückt: Europa ist als Produktionsstandort nicht attraktiv genug, um solche Innovationen auf den Markt zu bringen. So wird der Wissensexodus in konkurrierende Wirtschaftsräume zu einer echten Bedrohung.

4.   Was kann Europa tun?

4.1.   Strategische Aspekte

4.1.1.

Bei der Einschätzung der Möglichkeiten der EU zur Durchführung einer Industriepolitik, wie sie eigentlich nötig wäre, stößt man auf gravierende hausgemachte Probleme, die den erforderlichen Übergang beeinträchtigen. Erstens mangelt es der EU leider an Vision und Führung, was zu einer Vielzahl unzusammenhängender Initiativen und akuter Inkohärenz des Rechtsrahmens führt. Zweitens sollte das Konzept der Nachhaltigkeit, das eine solche Integrationsstrategie sein könnte, allen drei Aspekten (Umwelt, Soziales und Wirtschaft) gleichermaßen gerecht werden.

4.1.2.

Der derzeit zu beobachtende Vertrauensverlust der Investoren (3) in die Wirtschaft der EU ist alarmierend und muss umgekehrt werden. Die tatsächliche Umsetzung der Europa-2020-Strategie und Anreize für ein stimulierendes und motiviertes Wirtschaftsumfeld könnten Wege aus dem derzeitigen Niedergang sein.

4.1.3.

Um den anhaltenden Niedergang der Industrie in Europa umzukehren, sind viel mehr Investitionen und Wachstum erforderlich. Das 20 %-Ziel und die Schaffung neuer Arbeitsplätze werden ohne die Erarbeitung klarer industriepolitischer Vorstellungen und Konzepte verfehlt werden. Dies sollte zu einer koordinierten Politik führen, die einen klaren Schwerpunkt auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie legt, mit den übrigen Politikbereichen verzahnt ist und Europa attraktiv für Unternehmensansiedlungen macht.

4.1.4.

Unternehmen der MMEE-Industrie tun sich schwer mit der oft überzogenen Regulierung und müssen viele nationale Bestimmungen berücksichtigen, die sich mit dem EU-Recht überlappen. Insbesondere die KMU sind damit überfordert. Die Unternehmen der MMEE-Industrie sollten sich ihrer Hauptaufgabe, der Suche nach technischen Lösungen, widmen können, anstatt einen bedeutenden Teil ihrer Ressourcen für die Beachtung der neuesten Verordnungen aufwenden zu müssen. Die direkte Lösung dieses Problems wäre es, weniger neue Rechtsvorschriften zu erlassen.

4.1.5.

Als Beispiel für überflüssige neue Rechtsvorschriften sei die mittlerweile gängige Praxis genannt, auf Überprüfungen von geltenden Verordnungen und Richtlinien beinahe automatisch Änderungen folgen zu lassen. Oft könnten Probleme durch die bessere Anwendung der geltenden Vorschriften statt durch neue Bestimmungen gelöst werden. Neue Rechtsvorschriften sollten nur das letzte Mittel der Wahl sein.

4.1.6.

Der europäische Gesetzgeber ist in bestimmten Bereichen oft zu detailfixiert. Dies mag in Bezug auf manche technische Verordnungen sinnvoll sein, in anderen Bereichen jedoch verfehlt dies den Kern der Sache. So sind etwa Bestimmungen über elektromagnetische Felder für KMU zu schwierig einzuhalten. Die EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz 2013-2020 sollte für einen angemessenen Arbeitsschutz sorgen, zugleich aber auch schlüssig, bündig und einfach anzuwenden sein.

4.1.7.

Die europäische Rechtsetzung muss berechenbarer werden. Hinsichtlich der Investitionszyklen der Unternehmen heißt dies, dass einmal festgelegte Verfahren nicht geändert werden sollten; eine Erhöhung von Zielvorgaben muss vorhersehbar und über einen langen Zeitraum erfolgen. Ein Beispiel dafür, wie die ursprünglich ganzheitliche Herangehensweise der Kommission abhandenkommen kann, ist die Richtlinie zur umweltgerechten Gestaltung. Anfänglich stand hier der Aspekt Energie im Vordergrund, und die bewährte Vorgehensweise (der Richtlinie über die umweltgerechte Gestaltung von energieverbrauchsrelevanten Produkten) sollte beibehalten werden. Besonders problematisch sind die häufigen Überarbeitungen geltender Rechtsvorschriften. Bei einigen Produkten ändert sich der Rechtsrahmen ungefähr alle fünf Jahre. Das ist für die MMEE-Industrie, die in Investitionshorizonten von 10 bis 30 Jahren denkt, besonders verheerend.

4.1.8.

Leider wird in den Folgeabschätzungen der Europäischen Kommission zu wenig untersucht, welche Kosten den Unternehmen und vor allem den KMU durch neue Rechtsbestimmungen aufgebürdet werden. Die größten Kosten zusätzlicher Rechtsakte werden dabei aber nicht einmal berücksichtigt: es sind Investitionen und Unternehmensgründungen, bei denen Europa das Nachsehen hat, weil sie außerhalb der EU stattfinden.

4.1.9.

In gleicher Weise sollten auch die Regeln für öffentliche Ausschreibungen leicht verständlich sein. Ansonsten können die KMU nicht mehr mitbieten und es wird weniger Wettbewerb geben, Ausschreibungsbeschlüsse werden schwieriger nachvollziehbar sein und öffentliche Ausschreibungen werden betrugsanfälliger. Daher sollten vordringlich Vereinfachungen und Transparenz angestrebt werden.

4.1.10.

In Europa sind die Kosten für Energie viel höher als in konkurrierenden Weltwirtschaftsräumen. Die wichtigste Maßnahme zur Bereitstellung kostengünstigerer Energie wäre die Schaffung eines echten europäischen Energiebinnenmarkts. Außerdem sollte von Rechtsetzungsvorhaben abgesehen werden, welche die Energie noch weiter verteuern könnten. Die Dekarbonisierung muss finanzierbar, technologieneutral und im Einklang mit den Gesetzen des Marktes vollzogen werden.

4.2.   Binnenmarkt und Marktüberwachung

4.2.1.

Der Schutz vor nicht normgerechten und gefährlichen Produkten und Produktpiraterie ist eine Voraussetzung für fairen Wettbewerb. Gegenwärtig werden nicht einmal 1 % aller über die großen europäischen Häfen eingeführten Fertigerzeugnisse beim Anlanden auf Konformität mit den EU-Bestimmungen überprüft. So gelangen viele gefährliche Produkte oder Piratenprodukte auf den Binnenmarkt, darunter gerade auch elektrische Produkte.

4.2.2.

Kontrolle und Marktüberwachung unterscheiden sich in den einzelnen Mitgliedstaaten bisweilen gravierend voneinander. In einigen Mitgliedstaaten gibt es Mechanismen für den notwendigen Schutz der Unternehmen, in anderen Mitgliedstaaten gibt es entweder nur wenige einschlägige Stellen, oder sie sind unvollkommen und unzureichend, oder aber die Rechtssetzung wird unterschiedlich angewendet. Die EU sollte darauf hinarbeiten, die Koordinierung zwischen diesen Stellen zu verbessern und zu verstärken, um ein geeignetes und einheitliches europäisches System aufzubauen.

4.3.   Normen

4.3.1.

Die europäische Normung hat entscheidend zum Erfolg des Binnenmarktes beigetragen. Normen helfen, die Produkte austauschbar und dadurch zu weltweit handelbaren Gütern in langen Wertschöpfungsketten zu machen. Seit einigen Jahren klagen viele KMU jedoch über eine Flut von Normungsvorhaben der Europäischen Kommission und darüber, dass die Normung über das technisch Erforderliche hinausgehe. Die Teilnahme der KMU an Normungsprozessen sollte ermutigt und unterstützt werden.

4.3.2.

Die KMU operieren zunehmend in Wertschöpfungsketten und sollten demzufolge auch auf angemessene Weise zu Normungsinitiativen beitragen können. Es müssen praktische Maßnahmen ergriffen werden, um zwischen den Beteiligten für Gleichheit zu sorgen, beispielsweise durch eine bessere nationale Unterstützung für die Teilnahme finanzschwächerer KMU.

4.4.   Technologie und Forschung

4.4.1.

Die Unternehmen der MMEE-Industrie sind Schrittmacher der Innovation bei der Herstellung von Erzeugnissen, die für die grüne Revolution notwendig sind. Energieeffizienz, Kohlendioxidreduzierung und Klimafreundlichkeit geben positive Impulse für die nachhaltige Entwicklung der Branche. Außer zu neuen Produkten führen die Innovationen der MMEE-Unternehmen oft auch zu neuen Produktionsverfahren, durch die umweltfreundlichere Güter und Systeme bereitgestellt werden können, die den Kunden zugleich Produktivitäts- und Kostenvorteile verschaffen.

4.4.2.

Europa hat ein hohes Niveau in der Forschung erreicht, und das gilt auch für die daraus gewonnenen Forschungserkenntnisse. 2012 gab es mehr als 250 000 Patentanträge in Europa. Damit aus den Forschungsbemühungen innovative Produkte werden, braucht es allerdings mehr als Wissen und Forschungskompetenz. Europa hatte lange Zeit bei vielen Technologien wissenschaftlich die Nase vorn, aber letztendlich siedelten sich die Industrieunternehmen, die von der Forschung profitieren, oftmals außerhalb Europas an. Eine solch schwache industrielle Verwertung vorhandenen Wissens kann nur dadurch verbessert werden, dass die Industrie früh an Forschungsprogrammen mitwirkt und ein geeigneter Rahmen geschaffen wird, der ihr die rasche Nutzung des gewonnenen Wissens ermöglicht. Neue Strukturen, die Industrie und Forschung miteinander verbinden — Cluster, Technologieparks, Zentren für den Technologieaustausch — sollten mit öffentlichen Mitteln gefördert werden.

4.4.3.

Zur Förderung der Verwertung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, Forschungen und Innovationen durch die Industrie sollten die Mittel besser auf deren Bedürfnisse zugeschnitten und über öffentlich-private Partnerschaften vergeben werden, wie etwa im Programm „Fabriken der Zukunft“. Um die Teilnahme der Unternehmen, vor allem der KMU, anzukurbeln, sollten die Leitlinien und Bestimmungen für die Teilnahme und die Genehmigung von Projekten einfacher sein. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um den Aufbau moderner Fabriken im Sinne der vierten industriellen Revolution zu fördern.

4.5.   Arbeitsmarktinstrumente

4.5.1.

Allein die Zahl der Beschäftigten in dieser Branche lässt ihre Schlüsselrolle für die Überwindung der gegenwärtigen hohen Arbeitslosigkeit in der EU und ihr großes beschäftigungspolitisches Potenzial erahnen, sollte es Europa gelingen, dass die Investitionen für den nächsten Wirtschaftsaufschwung hier getätigt werden. Durch die Schaffung solcher Arbeitsplätze könnte die unakzeptabel hohe Jugendarbeitslosigkeit überwunden werden. Die aktuelle Initiative der EU — die „Jugendgarantie“ — scheint eine sinnvolle Maßnahme in der derzeitigen Krise zu sein. Langfristig können aber nur gesunde Unternehmen, die in Europa investieren, für dauerhafte Beschäftigung sorgen.

4.5.2.

Viele Bereiche des verarbeitenden Gewerbes haben Nachwuchssorgen. Bildungs- und Berufsbildungssysteme sollten stärker auf den derzeitigen und den künftigen Bedarf der Unternehmen zugeschnitten werden. Sowohl die Behörden als auch die Industrie müssen Maßnahmen ergreifen, um die Jugend für technische Berufe zu gewinnen und zugleich das Image der Branche zu verbessern. Insbesondere muss der in einigen Regionen Europas herrschende Arbeitskräftemangel in Wissenschaft und Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik behoben werden, etwa indem die Mobilität dieser Fachkräfte europaweit verbessert wird.

4.5.3.

Noch immer gibt es zu wenige Frauen, die sich für technische Berufe begeistern. In zahlreichen europäischen Ländern hat die MMEE-Industrie bereits Kampagnen gestartet, um junge Frauen für Lehrlingsausbildungen zu gewinnen, und der Europäische Sozialfonds hat Projekte unterstützt, um ihnen die Berührungsängste vor technischen Berufen zu nehmen. Es muss allerdings noch mehr unternommen werden. In den Schulen sollten technische Lehrstoffe interessanter vermittelt werden.

4.5.4.

Eine entscheidende Stärke, die vielen europäischen Unternehmen durch die aktuelle Krise geholfen hat, sind ihre ausgezeichneten Mitarbeiter. Das System der Lehrlingsausbildung sorgt dafür, dass ihre Arbeitnehmer umfassend mit den theoretischen Grundlagen und zugleich mit dem Produktionsprozess in der Praxis vertraut sind. Sie sind fähig, Innovationen schnell auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette zu integrieren. Die europäische Beschäftigungspolitik sollte Länder ermutigen, derartige Systeme der Lehrlingsausbildung auf betrieblicher Ebene einzuführen. Die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Schulen und Universitäten, Einstiegsstellenbörsen und Praktika sollten angeregt werden.

4.5.5.

Industrieverbände und Gewerkschaften können mit staatlicher Unterstützung Initiativen ergreifen, um die Berufsbildung für die jeweilige Branche zu evaluieren und Wege aufzuzeigen, wie Lücken in der beruflichen Qualifizierung geschlossen werden können, geht es doch um eine Industriebranche, die immer ausgefeiltere Maschinen und technische Dienstleistungen anbietet, für die neue Kompetenzen gefragt sind.

4.5.6.

Lebenslanges Lernen sollte zur gemeinsamen Pflicht der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer werden. Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren, müssen ausreichenden Zugang zu einer schnellen Aktualisierung ihrer Qualifikationen haben. Die aktive Arbeitsmarktpolitik sollte intensiviert werden, und der Austausch bewährter Praktiken wie etwa solche, die durch den ESF und EFRE kofinanziert werden, sollte beschleunigt werden.

4.5.7.

Die Industrie befindet sich in einem permanenten Umbruch. Unablässig entstehen neue Arbeitsplätze und Produkte, während andere verschwinden. Die unumgänglichen Umstrukturierungen müssen vorausschauend organisiert werden. Alle Sozialpartner — Gewerkschaften und Arbeitgeber —, aber auch Regierungen und EU-Institutionen müssen in einen Dialog eingebunden werden, um dem Wandel in der Industrie flexibler und positiver begegnen zu können. Wenn irgend möglich, sollte die Entlassung von Arbeitnehmern vermieden werden, damit den Unternehmen keine Fachkräfte verloren gehen. Unvermeidliche Arbeitsplatzverluste sollten sozialverträglich gestaltet werden. Einige Länder Mittel- und Osteuropas liefern Beispiele für die Modernisierung von Volkswirtschaften, die nun produktiver und umweltschonender sind und neue, gut bezahlte Arbeitsplätze bieten.

4.5.8.

Staat, Industrieverbände und Gewerkschaften müssen Lösungen finden, um die zyklischen Schwankungen der Konjunktur besser zu bewältigen. Ein schneller und effizienter Einsatz qualifizierter Arbeitnehmer ist ganz wichtig, wenn die Unternehmen der europäischen Verarbeitungsindustrie in der Lage sein sollen, auf den zunehmenden Druck durch den internationalen Wettbewerb zu reagieren. Das Arbeitsrecht muss Beschäftigungsregelungen betriebsintern und extern zulassen, die den Erfordernissen eines effizienten Produktionsprozessen, aber auch den Aspekten Gesundheit und Sicherheit und Vereinbarkeit von Arbeit und Familie entsprechen. Die Instrumente der erforderlichen Flexibilisierung dürfen nicht dazu benutzt werden, die bestehenden Sozialstandards in Europa zu untergraben.

4.5.9.

Die nationalen Sozialpartner haben eine große Verantwortung in den Tarifverhandlungen. Das erfolgreiche Bestehen im Wettbewerb ist bei den derzeitigen Arbeitskosten nicht einfach. Gleichwohl muss die Kaufkraft der Arbeitnehmer bewahrt werden. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Europa darf nicht auf Kosten der Löhne und Gehälter gehen. Um die Beschäftigungslage zu stabilisieren und zu verbessern, müssen sich die Anstrengungen auf die nichtpreisliche Wettbewerbsfähigkeit ebenso wie auf die Zügelung der Produktionskosten konzentrieren. Gelingen Produktivitätssteigerungen, müssen sich diese gleichermaßen in Lohn- und Gehaltszuwächsen, Investitionen und in der Vergütung der Aktionäre niederschlagen.

4.6.   Internationalisierung der KMU

4.6.1.

In den letzten Jahren hat die Europäische Kommission anerkannt, dass Hilfen für die KMU beim Export zu einer robusteren Wirtschaft beitragen können. Für viele KMU bedeutet Export zunächst einmal die Ausfuhr in ein anderes EU-Land. Deshalb spielt der Wettbewerb auf dem Binnenmarkt eine so große Rolle, weil die hier gesammelten Erfahrungen ein Unternehmen dazu ermutigen können, auch den Export in Drittländer zu wagen. Da dieser für die KMU schwierig ist, kommt es sehr darauf an, sie auf diesen Märkten nicht allein zu lassen. Außerdem sollten KMU einen leichteren Zugang zu Exportfinanzierungsinstrumenten erhalten.

4.7.   Energiepolitik und künftige Investitionen

4.7.1.

Trotz weiterhin knapper öffentlicher Kassen dürfen die erforderlichen Investitionen in die Energieinfrastruktur nicht aufgeschoben werden, da dies die Wettbewerbsfähigkeit Europas beeinträchtigen würde.

4.7.2.

Viele Investitionen im Bereich Energie und Ressourceneffizienz werden heute nur getätigt, wenn sie in höchstens drei Jahren die Rentabilitätsschwelle erreichen. Dadurch werden viele Chancen verpasst. Viele private Investitionen wären zwar sinnvoll, unterbleiben aber, weil sie sich normalerweise erst in drei bis fünf Jahren bezahlt machen würden. Dieses Dilemma könnte gelöst werden, wenn künftige Gewinne aus solchen Investitionen bereits zum Zeitpunkt der Investition einen Cashflow generieren würden. Zu diesem Zweck könnten durch die EIB oder durch nationale Förderbanken Mittel für Darlehen an Unternehmen und Privatleute für solche Investitionen verfügbar gemacht werden, die mit den aus den resultierenden Einsparungen erzielten Gewinnen verrechnet werden, bis das Darlehen zurückgezahlt ist. Durch dieses Finanzierungsmodell könnten Investitionen ohne Beihilfen der öffentlichen Hand getätigt werden.

4.8.   Zugang zu Rohstoffen

4.8.1.

In den heutigen Zeiten hoher Rohstoffpreise kommen den europäischen Herstellern frühere Anstrengungen für ein wirkungsvolleres Abfallrecycling zugute. Metalle, die Ausgangsstoff für die meisten Güter sind, werden heute zum großen Teil recycelt. Aber nach wie vor ist der Zugang zu Rohstoffen, die eingeführt werden müssen, für die Wettbewerbsfähigkeit der MMEE-Industrie maßgeblich. Aus diesem Grund muss die EU darauf drängen, dass der Handel mit Rohstoffen nicht durch Restriktionen, die nicht mit der WTO vereinbar sind, behindert wird, was vor allem für die seltenen Erden gilt. Dabei ist darauf zu achten, dass ethische, soziale und ökologische Standards eingehalten werden.

4.9.   Das Potenzial der neuen/beitretenden Mitgliedstaaten der EU

4.9.1.

Die europäischen Unternehmen sollten das Potenzial der neuen EU-Mitgliedstaaten erkunden und viel besser nutzen. Dies könnte helfen, die Probleme mit dem krassen wirtschaftlichen Gefälle zwischen den europäischen Regionen zu einem Vorteil Europas zu machen.

4.9.2.

Der EWSA ersucht die Europäische Kommission, die Situation des Welthandels mit kritischen Rohstoffen zu beobachten. Der EWSA empfiehlt, mehrere wahrscheinliche Szenarien — darunter den schlimmsten denkbaren Fall — zu erarbeiten, um die Risiken und möglichen Lösungen zu beschreiben. Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern, die in einer vergleichbaren Situation sind (USA, Japan, Südkorea), sollte ausgebaut werden.

Brüssel, den 11. Dezember 2013.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Siehe Ziffer 2. Einleitung.

(2)  In der ersten industriellen Revolution (Ende des 18. Jh.) kam die mechanische Fertigung auf. Die zweite industrielle Revolution (Anfang des 20. Jh.) brachte die Massenproduktion und die Arbeitsteilung, die dritte (seit Mitte der 1970er Jahre) die Automatisierung, Elektronik und Computer. Bei der vierten industriellen Revolution wird das Internet Einzug in die Produktion halten und deren Prozesse vernetzen.

(3)  Siehe beigefügtes Eurostat-Dokument.


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/38


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau in Europa: eine krisenfeste, weltweit wettbewerbsfähige und der EU-Politik für Nachhaltigkeit verpflichtete Branche (Initiativstellungnahme)

2014/C 170/06

Berichterstatter: Marian KRZAKLEWSKI

Ko-Berichterstatter: Enrique CALVET CHAMBON

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Februar 2013 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau in Europa: eine krisenfeste, weltweit wettbewerbsfähige und der EU-Politik für Nachhaltigkeit verpflichtete Branche.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 21. November 2013 an. Berichterstatter war Marian KRZAKLEWSKI, Ko-Berichterstatter Enrique CALVET CHAMBÓN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 163 gegen 3 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die europäische Branche für die Instandhaltung, die Reparatur und den Umbau von Schiffen (engl. ship maintenance, repair and conversion — SMRC) spielt in Bereichen wie Umweltschutz, Verkehr, Sicherheit und Energieeffizienz eine wichtige Rolle und ist daher für Europa und dessen nachhaltige Entwicklung von strategischer Bedeutung.

1.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Auffassung, dass das derzeit in der EU bestehende Netz aus Werften für die Instandhaltung, Reparatur und Umrüstung von Schiffen mit ihrem technisch fortschrittlichen Know-how gut darauf vorbereitet und in der Lage ist, den zunehmenden Ansprüchen an Nachhaltigkeit, Technologie, Innovation, Qualifikation der Arbeitskräfte und Anlagenausstattung gerecht zu werden.

1.3

Nach Ansicht des Ausschusses bieten sich trotz des schwierigen Wirtschaftsklimas für diese Branche neue Chancen. Diese ergeben sich aus der Vergrößerung der Weltflotte und dem wachsenden Anteil an älteren Schiffen sowie insbesondere aus der zunehmenden Nachfrage nach Umbau- und Modernisierungsarbeiten aufgrund umwelt-, energie- und klimapolitischer Anforderungen. In nächster Zeit wird sich dies niederschlagen in einem zunehmenden Bedarf an energieeffizienten Schiffen, der Inbetriebnahme und Entwicklung von Offshore-Windenergieanlagen sowie der Förderung natürlicher Rohstoffe aus dem Meer.

1.4

Mittel- und langfristig bieten sich der Branche weitere Chancen durch die Öffnung neuer Schifffahrtswege in der Arktis und den Tiefseebergbau.

1.5

Der Ausschuss weist darauf hin, dass trotz dieser vielversprechenden Möglichkeiten Reedereien und Werften bedingt durch die fortdauernde Krise noch immer mit finanziellen Engpässen zu kämpfen haben; so sind etwa Kredite schwer erhältlich und damit die Geschäftsbedingungen für Unternehmen insgesamt problematisch. Eine weitere Herausforderung besteht darin, eine kritische Masse in der Branche zu erhalten.

1.6

Zur Bewältigung dieser Probleme sollte die Teilbranche Instandhaltung, Reparatur und Umbau von Schiffen eng mit der Wertschöpfungskette der maritimen Wirtschaft zusammenarbeiten, um ihren Stellenwert hervorzuheben und angesichts der wachsenden Konkurrenz aus Drittländern Unterstützung von der EU, den Mitgliedstaaten und Regionen zu erhalten.

1.6.1

Der Ausschuss hält folgende Maßnahmen zugunsten der Branche für zweckmäßig und notwendig:

eine umfassendere und aktivere Rolle der Europäischen Investitionsbank in der Branche; diese könnte im Rahmen der Ziele der EIB zur Unterstützung der europäischen Industriepolitik umgesetzt werden; dies betrifft auch KMU in der Schiffsinstandhalttungs-, -reparatur- und -umbaubranche, in deren Fall die EIB und der Europäische Investitionsfonds indirekt über große Handlungsmöglichkeiten verfügen;

die Organisation von Workshops unter Teilnahme der EIB, der Europäischen Kommission und der Interessenträger der Branche (Workshops dieser Art werden im Rahmen der Initiative LeaderSHIP 2020 vorgeschlagen) sowie die Prüfung der Finanzierungsmöglichkeiten durch die EIB;

die mögliche Nutzung der Europa-2020-Projektanleiheninitiative in den Bereichen Verkehr und Energie; die Zuweisung von Mitteln aus den Regionalfonds (einschließlich der Mittel zur „intelligenten Spezialisierung“) für die maritime Wirtschaft; die Beschlussfassung der Kommission — unbedingt noch vor Ende 2013 — bezüglich der Verlängerung der Geltungsdauer der Rahmenbestimmungen (über zulässige staatliche Hilfen für den Schiffbau) bis zur Vorlage und dem Inkrafttreten der neuen Vorschriften zu dem „Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation“ (FEI) sowie zu den Regionalbeihilfen, die in Zukunft zusammen die derzeitigen Rahmenbestimmungen ersetzen sollen; Maßnahmen zur Vermeidung neuer finanzieller Engpässe zum Zeitpunkt des Auslaufens der Rahmenbestimmungen und ihrer Ersetzung durch neue Vorschriften; Bemühungen um Entschädigung der Instandhaltungs-, Reparatur- und Umrüstungsbranche für die hierdurch möglicherweise entstehenden wirtschaftlichen Schäden;

die vorrangige Behandlung gezielter meeresbezogener Projekte mit Demonstrationselementen und Innovationspotenzial durch die im Rahmen von Horizont 2020 (als Fortsetzung der Technologieplattform Waterborne) für FEI vorgesehenen EU-Mittel (zusammen mit öffentlich-privaten Partnerschaften im Bereich Forschung).

1.7

Der EWSA weist darauf hin, dass die in der europäischen Industrie für Instandhaltung, Reparatur und Umbau von Schiffen tätigen Arbeitnehmer zwar über angemessene Qualifikationen verfügen, dass diese aber fortlaufend überprüft und auf den neuesten Stand gebracht werden sollten. Die Förderung solcher Maßnahmen sollte etwa im Rahmen der LeaderSHIP-2020-Initiative vorrangig behandelt werden. In Anbetracht des Alters der erfahrenen Arbeitskräfte besteht in dieser Branche die Gefahr, dass die kritische Masse verlorengeht.

1.8

Nach Ansicht des EWSA sollte die Anwerbung neuer und jüngerer Arbeitnehmer für die Branche eine Schwerpunktaufgabe sein und mit Maßnahmen zur Verbesserung des Ansehens der Branche verknüpft werden. Zudem sollten Schulen und Hochschulen mit einem auf die Instandhaltungs-, Reparatur- und Umrüstungsbranche ausgerichteten Profil finanziell unterstützt werden.

1.9

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Kommission zusammen mit den Sozialpartnern und anderen Interessenträgern (zum Beispiel im Rahmen eines Branchenrates für Qualifikation) einen Plan für die fortlaufende Anpassung der Qualifikationen an die neuen Aufgaben der Branche erstellen sollte. Dabei sollten unter anderem Offshore-Einrichtungen (Plattformen, Windenergieanlagen usw.), Kaianlagen, neue technische Schiffseinheiten sowie Anlagen und Schiffe für das Bunkern von Flüssigerdgas u.ä. berücksichtigt werden. Hierzu erforderlich ist eine Überprüfung der Qualifikationen, die fortlaufende Entwicklung der Schulungen und die Förderung der Mobilität innerhalb Europas.

1.10

Eine Fülle von Grundsätzen und Normen (in Bezug auf Umweltschutz, Sicherheit, Häfen, Bestimmungen über Beförderung, Montage, Recycling) hat erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsweise der Branche und die Nachfrage nach ihren Dienstleistungen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der EWSA der Meinung, dass sich die Branchen für Instandhaltung, Reparatur und Umrüstung und für den Neubau von Schiffen im Hinblick auf eine größere Umweltverträglichkeit und Sicherheit der Schiffe sowie deren wirkungsvolle Kontrolle regelmäßig mit der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) abstimmen sollten.

1.11

Der EWSA ist der Auffassung, dass die neuen Regeln und Anforderungen für moderne Technologien nicht als nachteilig oder problematisch für die Branche, sondern eher als Chance betrachtet werden sollten. Unter diesem Aspekt sollten die Instandhaltungs-, Reparatur- und Umbauwerften, die Schiffbauwerften sowie die Stahlproduktionsbranche zur Erzielung besserer Ergebnisse enger zusammenarbeiten. Der Ausschuss fordert die GD MOVE auf, die Branche für Instandhaltung, Reparatur und Umbau von Schiffen bei der Entwicklung strategischer Maßnahmen (u. a. zum Kurzstreckenseeverkehr) zu berücksichtigen.

Der EWSA glaubt, dass die Instandhaltungs-, Reparatur- und Umbauwerften gut für die Durchführung von Projekten gerüstet sind, die sich nach mittelfristigen Voraussagen (drei Jahre) aus einer starken Nachfrage nach einem in Europa durchgeführten Schiffsrecycling ergeben. Sie verfügt zudem über Beschäftigte, die in der Lage sind, die Anforderungen an ein für Mensch und Umwelt verträgliches Schiffsrecycling zu erfüllen. Gleichzeitig ist der Branche klar, dass es sich hierbei um eine neue, andersartige Tätigkeit handelt, mit der sensible Fragen verbunden sind und die eine behutsame Vorgehensweise erfordert. Nach Auffassung des Ausschusses wird das Schiffsrecycling für die europäische Industrie in immer stärkerem Maße strategisch an Bedeutung gewinnen.

1.12

Nach Auffassung des EWSA sind die folgenden kurzfristigen Ziele von zentraler Bedeutung und erfordern eine finanzielle Unterstützung von Umstrukturierungen im europäischen Werftensektor für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau durch öffentliche Mittel: die Installation von Reinigungsanlagen und Systemen für die Behandlung von Ballastwasser (hiervon könnten nach Angaben von Lloyd’s Register weltweit bis zu 65 000 Schiffe betroffen sein), Umrüstungen zur Verbesserung der Energieeffizienz (unter anderem durch LNG-Antrieb und Einrichtungen zur Bebunkerung von Schiffen mit Flüssiggas auf See sowie Systeme zur Wärmerückgewinnung und Modernisierungspakete für Langsamfahrt („slow steaming“)).

1.13

Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass die Instandhaltungs-, Reparatur- und Umbauwerften für die Militärflotten einzelner europäischer Länder von enormer Bedeutung sind und dass diese Frage in anderen EWSA-Stellungnahmen zum Rüstungssektor thematisiert werden sollte.

1.14

Der EWSA ist der Meinung, dass die tatsächliche Anwendung der Regeln der Seeschifffahrts-Organisation IMO, insbesondere des Ballastwasser-Übereinkommens, für die Branche von großer Bedeutung ist. Dieses Übereinkommen sollte daher ordnungsgemäß und effizient umgesetzt und die entsprechenden Erwartungen eindeutig formuliert werden.

2.   Einleitung

Die europäischen Werften für Instandhaltung, Reparatur und Umbau von Schiffen

2.1

Die Schiffbauindustrie umfasst alle Unternehmen, die mit dem Bau, der Instandhaltung, dem Umbau und der Reparatur aller Arten von Schiffen und anderer maritimer Strukturen befasst sind. Werften für die Instandhaltung, die Reparatur und den Umbau von Schiffen werden im Englischen als ship maintenance, repair and conversion sector, kurz SMRC bezeichnet. Auch Klassifikationsbesichtigungen gehören zu dem Tätigkeitsbereich. Werften dieser Art gibt es in 16 EU-Mitgliedstaaten, sie bieten etwa 50-55 000 Menschen Arbeit (Durchschnitt der Jahre 2007-2011).

2.2

Die Instandhaltungs-, Reparatur- und Umbauwerften bilden eine spezielle Teilbranche der Schiffbauindustrie. Mit der wachsenden weltweiten Flotte und der Zunahme des Seeverkehrs (auch der Binnenschifffahrt) sowie mit der Entwicklung der Schiffstechnik und steigenden Anforderungen an den Seeverkehr hinsichtlich Nachhaltigkeit gewinnt diese Branche zunehmend an Bedeutung.

2.3

Die EU verfügt derzeit über eine starke Position in dieser Branche. Ihr Anteil am Weltmarkt von derzeit rund 35% zeigt, dass die Branche für Europa von strategischer Bedeutung ist. Diese Position muss beibehalten und im Hinblick auf ein hohes Sicherheitsniveau im Seeverkehr sowie die Einhaltung strenger Umwelt- und Energieeffizienznormen noch weiter ausgebaut werden.

Besondere Merkmale der Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau

2.4

Diese Branche unterscheidet sich in vieler Hinsicht vom Schiffsneubau. Sie umfasst die Teilbranchen Reparatur, Instandhaltung und Modernisierung sowie Umbau von Schiffen.

2.5

Instandhaltung und Reparatur sind in der Regel Arbeiten von kurzer Dauer. Das Schiff befindet sich dabei zumeist etwa 10-12 Tage lang in einem Trockendock.

2.6

Die Planung von Instandsetzungsarbeiten ist relativ unkompliziert, und die Betriebe können die Wahl der Werft durch den Reeder beeinflussen. Ungeplante Reparaturarbeiten, die auf Schäden im System, in der Mechanik oder der Struktur zurückgehen, müssen in der nächstliegenden Werft durchgeführt werden. In solchen Fällen ist eine Einflussnahme auf die Zuschlagserteilung der Reederei kaum möglich.

2.7

Nach einem Bericht der OECD von 2008 (1) ist die Wahl der richtigen Reparaturwerft inzwischen sehr wichtig für die Reedereien, die sich häufig zwischen einer finanziell attraktiven kostengünstigen Option und der Gewährleistung von Verlässlichkeit und Spitzentechnologie entscheiden müssen. Die wichtigsten Faktoren bei der Wahl einer Reparaturwerft sind in der Regel: Kosten, Dauer der Arbeiten (einschließlich Deviationskosten) sowie, in geringerem Maße, auch die Art der verwendeten Technologie.

2.8

Zur Erzielung von Größenvorteilen werden Schiffbau und Schiffsreparatur an verschiedenen Orten der Welt miteinander verknüpft. Länder mit einer starken Werftindustrie trennen in der Regel den Schiffbau vom Sektor für Instandhaltung, Reparatur und Umbau, um die Arbeitskräfte konzentrierter einsetzen und eine höhere Produktivität erreichen zu können.

In manchen EU-Staaten (z. B. Polen, Deutschland, Niederlande) und in Indien sind Schiffbauwerften und Instandhaltungs-, Reparatur- und Umbauwerften funktionell und körperschaftlich miteinander verflochten. Dieses Modell scheint in diesen Ländern gut zu funktionieren, da es auf der Nutzung von Abteilungen und Anlagen (sowie anderer organisatorischer Einheiten (2)) beruht, die beiden Werftarten gemein sind, und zugleich durch eine Vielfalt an Produkten und Aufträgen das mit einem Konjunkturrückgang verbundene Risiko möglichst gering hält.

2.9

Die Marktsituation der Branche

2.10

In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau als ein Industriezweig beschrieben, der „ewig jung“ ist. Mit dem starken Anwachsen der Weltflotte von 660 Mio. DWT im Jahr 1990 auf 1 468 Mio. DWT im Jahr 2011 haben sich auch die Wachstumsaussichten der Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau verbessert. Der weltweite Jahresumsatz der Branche wurde Ende 2010 auf etwa 12 Mrd. US-Dollar geschätzt (3).

2.11

Der Umsatz in der europäischen Schiffsreparaturbranche betrug 2010 3,16 Mrd. EUR (2008 erzielte sie mit etwa 4 Mrd. EUR einen Rekordumsatz). Anhang 1 enthält Angaben über den Umsatz von Schiffsreparaturwerften in verschiedenen europäischen Ländern zwischen 2006 und 2010.

2.12

Vor der Krise prosperierte die europäische Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau. Seit 2010 versuchen die Reedereien, Kosten zu senken, indem sie die Ausgaben kürzen oder Aufträge aufschieben. In der zweiten Jahreshälfte 2010 kam die Branche wieder aus der Verlustzone, was sich u. a. in einer nochmaligen Verlängerung der Wartezeiten für Reparaturarbeiten (von einer Woche auf drei Wochen) äußerte.

2.13

Werften für die Instandhaltung, die Reparatur und den Umbau von Schiffen gibt es überall in der Welt. Obwohl asiatische Werften (aufgrund geringerer Lohnkosten) Schiffsreparaturen zu niedrigeren Preisen durchführen, entscheiden sich doch zahlreiche Reeder für teurere Werften, da diese kürzere Wartezeiten (nebst Vermeidung größerer Abweichungen von der Route) und ein sehr ausgeklügeltes Know-how bieten können.

Umbau und Modernisierung in Werften der Reparatur- und Umbaubranche

2.14

In mancher Hinsicht liegen Umrüstung und Modernisierung näher am Schiffsneubau als an Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten. Die Umrüstung von Schiffen erfordert in der Regel mehr Zeit als gewöhnliche Reparaturen. Die Arbeiten im Zusammenhang mit der Umrüstung von Schiffen lassen sich als Produktionsprozess charakterisieren.

2.15

Nach Angaben von Sea Europe (4) hat die Umrüstung von Schiffen hinsichtlich des Zeitrahmens mehr mit der Arbeit von Schiffbauwerften zu tun, erfordert jedoch eine völlig andere, flexible Vorgehensweise, die sicherstellt, dass der Arbeitsplan entsprechend den Kundenwünschen und den Besonderheiten des umzurüstenden Schiffs angepasst wird.

2.16

Kurz vor der Krise war der Markt für auf Umbauten spezialisierte Werften sehr gut. 2009 wurde Zahl der Aufträge jedoch rückläufig und sank besonders deutlich im ersten Halbjahr 2010. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Auftragsbücher für Umbauten leer. In der zweiten Jahreshälfte 2010 verbesserte sich die Lage leicht. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten hält sich die Mehrzahl der Reedereien derzeit jedoch mit Umbauaufträgen zurück.

2.17

Eine immer größere Rolle spielen in jüngster Zeit die Reparatur, der Umbau und die Modernisierung von Offshore-Hilfsschiffen und schwimmenden Anlagen (einschließlich Bohrinseln). In Anbetracht der hohen Kosten für den Neubau von Schiffen dieser Art (und schwimmender Offshore-Anlagen) sowie der langen Lieferzeiten (bis zu vier Jahre) entscheiden sich die Reedereien für den Umbau der bereits vorhandenen Offshore-Einheiten und schwimmenden Anlagen. Allerdings herrscht in Europa eine starke Tendenz, Umbauarbeiten auf billigeren Werften im Ausland durchführen zu lassen.

3.   Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau

3.1

Studien und Analysen der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau wurden in jüngster Zeit im Rahmen des Forschungsprojektes ECO-REFITEC (5) innerhalb des 7. Forschungsrahmenprogramms durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in Anhang 2 aufgeführt.

4.    EU-Recht und internationales Recht betreffend Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau (Quellenmaterial  (6), (7), (8))

4.1

Auf internationaler Ebene fanden (etwa im Rahmen der WTO) keine Gespräche über multilaterale Wettbewerbsabkommen statt, die Auswirkungen auf die Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau haben könnten. Die Chancen, dass ein solches Abkommen in naher Zukunft zustande kommt, sind recht gering.

4.2

Auf bilateraler Ebene bestehen zwischen der EU und den USA, Kanada, Japan und Südkorea Handelsabkommen mit mittelbaren Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit. Deren Folgen für die Schiffsreparatur- und -umbaubranche sind jedoch eher gering.

Auf europäischer Ebene bestehen im EU-Recht Rahmenbestimmungen über staatliche Beihilfen für den Schiffbau. Im Rahmen dieser Bestimmungen kann die Europäische Kommission die Gewährung von Innovations- und Regionalbeihilfen für Werften und eine Unterstützung von Reedereien durch Ausfuhrkredite genehmigen. Betreffend die hier relevante Branche regeln diese Rahmenbestimmungen eine Unterstützung von Schiffsreparatur und Schiffsumbau durch Regional- und Innovationsbeihilfen, im Fall der Ausfuhrkredite hingegen nur für den Schiffsumbau.

4.2.1

Die aktuellen Rahmenbestimmungen gelten seit dem 1. Januar 2012 für zwei Jahre. Die Kommission kündigt an, dass nach Ablauf dieser Zeitspanne die Rahmenbestimmungen für Werften in die künftigen EU-Leitlinien für staatliche Beihilfen für Forschung und Innovation bzw. in die Leitlinien für Regionalbeihilfen integriert werden können. Gegenwärtig werden sowohl die allgemeinen Bestimmungen über staatliche Beihilfen als auch die schiffbauspezifischen Beihilferegelungen einer Prüfung unterzogen.

4.3

Bestehende, von den IMO-Mitgliedstaaten ratifizierte Übereinkommen, die der Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau neue Chancen eröffnen

4.4   Das Ballastwasser-Übereinkommen

4.4.1

Das Ballastwasser-Übereinkommen soll dem Problem begegnen, das sich aus der Verschleppung invasiver Meeresorganismen von einem Meeresgebiet in andere durch die Ableitung des von den Schiffen mitgeführten Ballastwassers ergibt. Das Übereinkommen soll Anfang 2014 in Kraft treten.

4.4.2

Dieses Übereinkommen wird erhebliche Auswirkungen auf die Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau haben, da zahlreiche Schiffe modernisiert und/oder umgebaut werden müssen. Nach Angaben von Lloyd’s Register könnte dies weltweit bis zu 65 000 Schiffe betreffen.

4.4.3

Weitere mögliche Folgen dieses Übereinkommens für Reparatur- und Umbauwerften sind hauptsächlich in den Risiken im Zusammenhang mit dem Einsatz neuer Chemikalien und ihrer Lagerung sowie in den strengeren Rechtsvorschriften für ihre Anwendung zu sehen.

4.5   Das MARPOL-Übereinkommen (Anhang VI) — Vermeidung von Luftverschmutzung durch Schiffe

4.5.1

Dieses Übereinkommen trat 2013 in Kraft und hat zum Ziel, die Luftverschmutzung durch Emissionen von Schiffen, v.a. Schwefeloxide und Stickoxide, zu verringern.

4.5.2

Zur Vermeidung unnötiger Auflagen für die maritime Wirtschaft ist in Anhang VI festgelegt, dass die Verringerung von Emissionen durch die Verwendung alternativer Brennstoffe oder durch den Einsatz von Gasreinigungtechnik erzielt werden kann.

4.5.3

Dieses Übereinkommen eröffnet den Reparatur- und Umbauwerften insofern neue Chancen, als die Technologien zur Emissionsdrosselung an Bord der Schiffe angebracht werden müssen, die zur bestehenden Flotte gehören. Für die Werften, die diese umweltfreundlichen Anlagen installieren, kann dies auch negative Folgen haben: zum einen werden sie zunehmend von den Zulieferbetrieben dieser Anlagen abhängig und zum anderen werden in den Werften bestimmte Investitionen notwendig.

4.6   Das Übereinkommen über das Recycling von Schiffen

4.6.1

Mit diesem Übereinkommen soll dafür gesorgt werden, dass bei der Abwrackung von Schiffen die Gefahren für Umwelt, Gesundheit und Sicherheit auf einem erträglichen Niveau gehalten werden.

4.6.2

Nach den Vorschriften des Übereinkommens müssen Reedereien in vollem Umfang über alle bei der Instandhaltung, Reparatur und Umrüstung verwendeten Materialien informiert sein und sich vergewissern, dass zu keinem Zeitpunkt schädliche Stoffe in den Werften zum Einsatz kommen. Hierdurch können sich zusätzlich Chancen auf eine neue Nachfrage nach den speziellen Dienstleistungen von EU-Werten mit ihrem hohen Maß an Know-how ergeben.

4.7

Das Schiffsrecycling wird strategisch immer mehr an Bedeutung gewinnen. Um sowohl die unmittelbaren als auch die mittelbaren Folgen für die Umwelt möglichst gering zu halten und unannehmbare Arbeits- und Sozialbedingungen zu vermeiden, sollen dabei Schrott und andere Rohstoffe (Stahl, Aluminium, Kupfer) zurückgewonnen und der produzierenden Industrie in der EU zugeführt werden.

5.   Vorschläge für Maßnahmen und Leitlinien für die Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau im Rahmen der Initiative LeaderSHIP 2020 sowie im Rahmen der Arbeit des Ausschusses für den Branchendialog in der Schiffbauindustrie

5.1

Die Reparatur- und Umbaubranche und mit ihr verbundene Unternehmen sollten prüfen, welche Chancen und Finanzierungsmöglichkeiten sich durch eine Ausweitung der Kredittätigkeit der EIB ergeben können. Die Tätigkeit der EIB sollte hauptsächlich mit Blick auf Projekte angeregt und geprüft werden, die im Zusammenhang mit „grüner“ Schifffahrt, erneuerbarer Offshore-Energie und der Umrüstung von Schiffen stehen. Als dringende Maßnahme wird empfohlen, dass die GD Unternehmen Workshops einrichtet, um konkrete Formen einer Unterstützung durch die EIB zu finden.

5.2

Die Mitgliedstaaten und Küstenregionen sollten prüfen, ob für die Technologie-Diversifizierung der maritimen Wirtschaft im Hinblick auf neue Marktsegmente eine Zuweisung von Strukturfondsmitteln möglich ist. Insbesondere geht es hierbei um regionale Strategien für eine intelligente Spezialisierung.

5.3

Im Zusammenhang mit möglichen Maßnahmen der EU zur langfristigen Finanzierung sollte die Europäische Kommission entsprechende Möglichkeiten zur Finanzierung von Schiffbau und Schiffsmodernisierung prüfen. Die Mitgliedstaaten, die Finanzakteure und die meerestechnische Industrie sowie weitere Interessenträger sollten eine Übersicht über die Zugänglichkeit von Marktgarantien erstellen.

5.4

Die Schiffbauindustrie (und somit die Teilbranche für Instandhaltung, Reparatur und Umbau) sollte in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, den Mitgliedstaaten oder Regionen Forschungstätigkeiten durchführen und zu diesem Zweck unter anderem öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) einsetzen. Dabei ist der Struktur der maritimen Wirtschaft ebenso Rechnung zu tragen wie den Bestimmungen über staatliche Beihilfen.

5.4.1

Der EWSA stimmt mit der These der LeaderSHIP2020-Strategie überein, dass die allgemeinen Ziele von ÖPP für die Schiffbauindustrie nur durch eine wirksame Förderung von Forschungsprogrammen erreicht werden können. Im Hinblick auf kurzfristige Ziele sollte eine dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit der Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau zweifellos auf einem Anstoß zu Innovationen auf Unternehmensebene beruhen.

5.5

Der EWSA unterstützt die Mitwirkung des Ausschusses für den Branchendialog in der Schiffbauindustrie an der Festlegung und Umsetzung der Politik im Rahmen der Initiative LeaderSHIP 2020. Derzeit sollte eine besondere Aufgabe dieses Ausschusses in der Umsetzung desjenigen Teils der Initiative bestehen, die sich mit der besseren Bestimmung und Vergleichbarkeit der Kompetenzen und Qualifikationen im Interesse einer langfristig guten Weiterentwicklung der Branche befasst.

5.6

Der EWSA begrüßt den Fortschritt in der Arbeit des Ausschusses für den Branchendialog bezüglich der sozialen Normen in der europäischen Schiffbaubranche und der Branche für Schiffsinstandhaltung, -reparatur und -umbau.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  The interaction between the ship repair, ship conversion and shipbuilding industries report, C/WP6(2008)6c.

(2)  Siehe Fußnote 1.

(3)  CESA Jahresbericht 2010–2011.

(4)  2012 wurde durch den Zusammenschluss der Vereinigung der europäischen Werftenverbände (CESA) und des Europäischen Verbandes der Schiffbauzulieferer (EMEC) der Europäische Verband der Reedereien und Schiffszulieferunternehmen (European Ships and Maritime Equipment Association, kurz: SEA Europe) gegründet.

(5)  Eco innovative refitting technologies and processes for shipbuilding industry promoted by European Repair Shipyards - ein von der Europäischen Kommission im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms (2007-2013) kofinanziertes Projekt.

(6)  Siehe Fußnote 5.

(7)  Siehe Fußnote 3.

(8)  Siehe Fußnote 1.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

494. Plenartagung des EWSA vom 10./11. Dezember 2013

5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union

(COM(2013) 522 final — 2013/0248 (COD))

2014/C 170/07

Berichterstatter: Dimitris DIMITRIADIS

Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament beschlossen am 5. September 2013 bzw. am 10. September 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union

COM(2013) 522 final — 2013/0248 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 14. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 153 gegen 3 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erachtet die bisherige Funktionsweise des Solidaritätsfonds der Europäischen Union (EUSF) (1), dessen Errichtung er von Anfang an unterstützt hat, grundsätzlich als positiv (2).

1.2

Nach Ansicht des EWSA muss die Verordnung 2012/2002 zur Funktionsweise des Solidaritätsfonds der Europäischen Union unverzüglich einer längst überfälligen Änderung unterzogen werden (3). Er unterstützt die diesbezüglichen Anstrengungen der Kommission, auch wenn der neue Vorschlag besonders konservativ ist, wie dies auch das Europäische Parlament feststellte (4).

1.3

Der EWSA ist der Meinung, dass der Rat mit seiner Ablehnung des Kommissionsvorschlags (5) von 2005 die Gelegenheit verpasste, die Funktionsweise des Fonds auf neue Grundlagen zu stellen.

1.4

Nach Ansicht des EWSA müssen alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um den Verwaltungsaufwand bei der Funktionsweise des EUSF zu reduzieren und die Verfahren zu beschleunigen (6).

1.5

Der EWSA ist mit den im neuen Vorschlag für eine Verordnung (7) vorgeschlagenen Änderungen einverstanden, als da sind die Einführung von Vorschusszahlungen, die Spezifizierung der Begriffe „Katastrophen größeren Ausmaßes“ und „außergewöhnliche regionale Katastrophen“ sowie die Ergreifung von Maßnahmen gegenüber den Mitgliedstaaten, die bei der Prävention von Katastrophen nicht die gebotene Sorgfalt walten lassen.

1.6

Der EWSA ist der Meinung, dass die EU trotz der finanziell besonders schwierigen Phase, die sie gegenwärtig durchläuft, höhere Beträge für die Funktionsweise des EUSF veranschlagen muss für den bedauerlichen Fall, dass eine Katastrophe besonders großen Ausmaßes eintritt.

1.7

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die Bedingungen für die Funktionsweise des EUSF vollkommen transparent sein sollten, damit der Fonds keine überzogenen Erwartungen weckt oder zum Spielball der Politik wird, aber auch, um die leidgeprüfte Bevölkerung nicht zu enttäuschen.

1.8

Nach Einschätzung des EWSA sind Instrumente wie der Fonds eine ausgezeichnete Gelegenheit für die EU, ihre Einheit und Solidarität unter Beweis zu stellen — vorausgesetzt, sie werden in angemessener Weise verwendet und die unternommenen Anstrengungen und Hilfsleistungen werden den Bürgerinnen und Bürgern Europas vermittelt.

1.9

Der EWSA meint, dass im Rahmen der vorgesehenen Tätigkeiten des Fonds auch Katastrophen berücksichtigt werden müssen, die plötzlich infolge des „Treibhauseffekts“ und des Klimawandels allgemein auftreten, aber auch solche, die auf Terrorakte zurückzuführen sind.

1.10

Der EWSA stellt sich die Frage, weshalb die Schwellenwerte für die Einstufung einer Katastrophe als Katastrophe „größeren Ausmaßes“ auf einem so hohen Niveau gehalten werden müssen, dass der Fonds gezwungen ist, seine Mittel nur in Ausnahmefällen und unter Anwendung seiner Ausnahmebestimmungen einzusetzen. Er ist der Ansicht, dass die Mindestschwellen der entsprechenden Beträge, die in Bezug auf den Umfang der festgestellten Schäden genannt werden, besonders hoch sind und gesenkt werden müssen.

1.11

Die Subsidiaritätsklausel, die der Rat strikt anwendet, ist ein Hemmschuh und erschwert die Anstrengungen der Kommission beträchtlich. Der EWSA fordert eine flexiblere Anwendung der Bestimmung.

1.12

Der EWSA ist der Ansicht, dass es in einigen Fällen möglich gewesen bzw. nach wie vor möglich wäre, Katastrophen größeren Ausmaßes zu verhindern, wenn vorhandene europäische Mechanismen und Mittel sowie bestehende technologische Kenntnisse eingesetzt worden wären bzw. würden.

1.13

Er unterschreibt die Anwendung des Verursacherprinzips.

1.14

Er stellt fest, dass Katastrophen größeren Ausmaßes in den letzten Jahren in Europa leider stark zugenommen haben.

1.15

Er ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, ihre internen Verfahren und Funktionsweisen zu verbessern, um der Kommission die Arbeit dadurch zu erleichtern, dass ihr rechtzeitig die notwendigen Informationen bereitgestellt werden, die zuverlässig, belastbar und stichhaltig sein müssen.

1.16

Er ist der Meinung, dass die Frist von neun bis zwölf Monaten für die Auszahlung der Beiträge äußerst lang und dem Ziel der sofortigen Nothilfe nicht dienlich ist.

1.17

Der EWSA hält es für notwendig, Regeln für die Publikmachung und Förderung der Arbeit des EUSF festzulegen, um sie den Bürgerinnen und Bürgern näherzubringen.

2.   Einleitung

2.1

Der EUSF wurde 2002 nach den Flutkatastrophen in Mittel- und Nordeuropa mit dem Ziel errichtet, den Mitgliedstaaten und den Beitrittsländern bei Naturkatastrophen größeren Ausmaßes subsidiäre Hilfe für die Wiederherstellung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens in den betroffenen Gebieten zu leisten.

2.2

Der EUSF wurde im Wege von Eilverfahren geschaffen, als die EU erkannte, dass sie zwar über beträchtliche Mittel für die Bewältigung von Naturkatastrophen auf der ganzen Welt, nicht jedoch über die geeigneten Instrumente verfügte, um ähnlichen Katastrophen auf ihrem Gebiet oder in den Beitrittsländern zu begegnen.

2.3

Seit seiner Gründung ist der EUSF in vielen Fällen zur Zufriedenheit tätig geworden. Es sind allerdings auch einige organisatorische und bürokratische Funktionsstörungen aufgetreten, die die Kommission mit dem Verordnungsvorschlag von 2005, der trotz der positiven Meinung des Europäischen Parlaments auf die Ablehnung des Rates stieß, beheben wollte.

2.4

Die jährliche Haushaltsobergrenze des Fonds beträgt 1 Mrd. EUR, wobei sich dieser Betrag bisher als ausreichend erwiesen hat.

3.   Die geltende Verordnung zur Funktionsweise des Fonds

3.1

Die geltende Verordnung zur Errichtung des EUSF umfasst die folgenden wichtigsten Bestimmungen:

3.1.1

Der Fonds wurde geschaffen, um die Mitgliedstaaten und die Beitrittsländer bei Katastrophen größeren Ausmaßes zu unterstützen und es der EU zu ermöglichen, rasch und effizient zu handeln.

3.1.2

Er erstreckt sich auf die Mitgliedstaaten sowie die Länder, die Beitrittsverhandlungen aufgenommen haben.

3.1.3

Der EUSF ist ein ergänzendes Instrument und stellt subsidiäre Hilfe für die Refinanzierung dringend notwendiger Tätigkeiten bereit.

3.1.4

Es wird ausdrücklich festgelegt, dass die Hauptaspekte der von ihm abgedeckten Katastrophen größeren Ausmaßes die Lebensbedingungen, die natürliche Umwelt und die Wirtschaft betreffen.

3.1.5

Als „Katastrophe größeren Ausmaßes“ gilt eine Katastrophe, die erheblichen Schaden in finanzieller Höhe oder ausgedrückt in einem Prozentsatz des Bruttonationaleinkommens (BNE) verursacht (8).

3.1.6

Es wird festgelegt, dass der EUSF nach besonders zügigen Verfahren funktionieren und unmittelbar Entscheidungen treffen muss.

3.1.7

Die Verantwortung für die Abwicklung der Hilfe liegt stets beim Empfängerstaat.

3.2

Die Verordnung sieht vor, dass auf größtmögliche Transparenz und ein umsichtiges Finanzmanagement Wert zu legen ist.

3.3

Überdies werden wegen der hohen Beträge, die für „Naturkatastrophen“ größeren Ausmaßes vorgesehen wurden, Ausnahmebestimmungen für „außergewöhnliche regionale Katastrophen“ und Katastrophen „in einem Nachbarland“ festgelegt, die allerdings mit ausnehmend strengen Kriterien einhergehen und auf 75 Mio. EUR beschränkt sind. Aufgrund der besonders hohen Beträge, die anfangs für Katastrophen größeren Ausmaßes angesetzt worden waren, sind die Ausnahmebestimmungen letztlich zur Regel für Interventionen des EUSF geworden.

3.4

Laut Verordnung hat der Fonds bei einer Katastrophe größeren Ausmaßes folgende grundlegende Prioritäten:

3.4.1

kurzfristiger Wiederaufbau zerstörter Infrastrukturen und Ausrüstungen in den Bereichen Energieversorgung, Wasser/Abwasser, Telekommunikation, Verkehr und Bildung;

3.4.2

Bereitstellung von Notunterkünften und Finanzierung von Rettungsdiensten;

3.4.3

Ergreifung von Maßnahmen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes;

3.4.4

sofortige Säuberung der von der Katastrophe betroffenen Gebiete.

3.5

Der betroffene Staat hat umgehend, spätestens jedoch innerhalb von zehn Wochen nach Beginn der Katastrophe, einen Beihilfeantrag bei der Kommission zu stellen, die auch dessen Höhe bestimmt.

4.   Der Vorschlag zur Änderung der Verordnung

4.1

Der Vorschlag zur Änderung der Verordnung 2012/2002, die die Funktionsweise des EUSF regelt, sieht Folgendes vor:

4.1.1

Die Funktionsweise des EUSF wird in den neuen mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 aufgenommen.

4.1.2

Der Interventionsbereich des Fonds wird klar definiert und auf Naturkatastrophen begrenzt, darin eingeschlossen auch die von Menschen verursachten Katastrophen.

4.1.3

Für „regionale Katastrophen“ wird als Schwellenwert der Satz von 1,5% des regionalen BIP auf NUTS-2-Ebene (mit einer Bevölkerung von 800 000 bis 3 000 000 Menschen) festgelegt.

4.1.4

Es wird die Möglichkeit schneller Vorschusszahlungen auf Antrag des betroffenen Mitgliedstaats in Höhe von höchstens 10% der zu erwartenden Finanzhilfen, gedeckelt auf 30 Mio. EUR, gegeben.

4.1.5

Erstmals werden sich langsam entwickelnde Katastrophen, z. B. Dürren, berücksichtigt.

4.1.6

Es werden Bestimmungen eingeführt, die zu einer effizienteren Katastrophenprävention und zur Verwendung der EU-Rechtsvorschriften zu Präventionszwecken anhalten. Gleichzeitig wird der Kommission die Möglichkeit eingeräumt, einen Antrag abzulehnen, wenn ein Mitgliedstaat grob fahrlässig handelt oder wenn sich eine Katastrophe in ähnlicher Form wiederholt.

4.1.7

Der Vorschlag sieht neue Bestimmungen zur Förderfähigkeit der Mehrwertsteuer vor und schließt technische Hilfe vom Förderumfang aus.

4.1.8

Er ermöglicht in Ausnahmefällen, von einigen Bestimmungen der Haushaltsordnung abzuweichen.

4.1.9

Die Schwelle für die Einstufung einer Katastrophe als „Katastrophe größeren Ausmaßes“ wird auf 3 Mrd. EUR oder 0,6% des BNE festgesetzt.

5.   Der Standpunkt des EWSA

5.1

Der EWSA hat sich mit der Notwendigkeit einverstanden erklärt, die Verordnung 2012/2002 in Bezug auf die Funktionsweise des EUSF dahingehend zu ändern, dass der Fonds

5.1.1

im Falle von Naturkatastrophen als ein effizienterer Hilfsmechanismus der Mitgliedstaaten, Beitrittsländer und Nachbarländer eingesetzt wird;

5.1.2

auch Zuständigkeiten für die Intervention bei Katastrophen infolge von Industrie- oder Technologieunfällen erlangt.

5.2

Der EWSA ist der Ansicht, dass für Katastrophen größeren Ausmaßes, die Auswirkungen auf weite Teile der EU haben können (wie z. B. ein Atomunfall, Epidemien usw.), nur geringe Mittel veranschlagt sind, und fordert die Kommission auf, dem besonderes Augenmerk zu widmen.

5.3

Er stimmt völlig mit dem Anliegen der Kommission überein, die operativen Verfahren des EUSF, die stets über zuverlässige Mechanismen mit klaren und einfachen Regeln abgewickelt werden müssen, zu beschleunigen.

5.4

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, die Instrumente des Fonds umsichtig zu verwenden, damit nicht zu Unrecht ein Negativbild der EU entsteht.

5.5

Er ist mit dem Verfahren der Vorschusszahlungen wie auch mit der Anwendung der Kategorie der „länger andauernden“ Schäden wie z. B. Dürre einverstanden. Er vertritt zudem den Standpunkt, dass zu den nach einer Naturkatastrophe vorgesehenen Arbeiten zur Schadensbehebung auch die Aufforstung zählen muss.

5.6

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Kommission besondere Strenge bei Mitgliedstaaten walten lassen muss, die trotz EU-Rechtsvorschriften und spezieller europäischer Finanzmittel eine Fahrlässigkeit an den Tag legen, durch die Katastrophen größeren Ausmaßes entstehen.

5.7

Er vertritt die Auffassung, dass der Klimawandel künftig noch mehr Naturkatastrophen verursachen wird, und fordert die Kommission daher auf, derartige Katastrophen denn auch in der überarbeiteten Verordnung zu berücksichtigen.

5.8

Er ist der Meinung, dass der Zivilgesellschaft bei Katastrophen größeren Ausmaßes stets eine besondere Rolle zukommt, und fordert die Kommission auf, in die geänderte Verordnung die Möglichkeit der Finanzierung solcher spezialisierten und zertifizierten Organisationen aufzunehmen, die über die entsprechenden Strukturen und Kenntnisse verfügen, um ihre Dienstleistungen einzubringen.

5.9

Der EWSA vertritt den Standpunkt, dass das effiziente Funktionieren von Instrumenten wie dem EUSF der EU die Möglichkeit gibt, auf konkrete und wirksame Weise ihre Solidarität unter Beweis zu stellen, und fordert die Kommission auf, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit die europäischen Bürgerinnen und Bürger über die Rolle der Union informiert werden.

5.10

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Bereitstellung von Finanzmitteln aus dem Fonds im normalen Haushaltsplan der EU enthalten sein muss, um die Verzögerungen zu verringern, die sich aus den langwierigen und bürokratischen Verfahren ergeben, an denen Rat, Parlament und Kommission beteiligt sind. Daneben muss es auch ein Instrument geben, um bei Katastrophen außergewöhnlich großen Ausmaßes, für die erhöhte Beihilfen vonnöten sind, die Mittelbereitstellung aufzustocken.

5.11

Der EWSA ist mit dem Europäischen Parlament einer Meinung, dass der Schwellenwert von 1,5% des regionalen BIP auf NUTS-2-Ebene besonders hoch ist und zur großen Enttäuschung der Bürgerinnen und Bürger viele schwere Katastrophen vom Interventionsbereich des Fonds ausschließt. Er schlägt mithin vor, diesen Wert auf 1% zu senken, damit der Fonds in erster Linie die Länder mit niedrigen demografischen Parametern abdeckt.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 des Rates vom 11. November 2002, ABl. L 311 vom 14.11.2002.

(2)  Stellungnahme des EWSA zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union, ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 187-188.

(3)  Stellungnahme des EWSA zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union, ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 69.

(4)  Bericht des Europäischen Parlaments über den Solidaritätsfonds der Europäischen Union, seine Umsetzung und seine Anwendung, C2012/2075, A7-0398/2012, 20.12.2012.

(5)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union, COM(2005) 108 final, 6.4.2005.

(6)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Die Zukunft des Solidaritätsfonds der Europäischen Union“, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 52.

(7)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union, COM(2013) 522 final, 25.7.2013.

(8)  Um als Katastrophe „größeren Ausmaßes“ eingestuft zu werden, muss eine Katastrophe Schäden in Höhe von mindestens 3 Mrd. EUR zu Preisen von 2002 oder von mehr als 0,6% des BNE des betreffenden Landes verursacht haben.


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/50


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Geldmarktfonds

(COM(2013) 615 final — 2013/0306 (COD))

2014/C 170/08

Berichterstatter: Edgardo Maria IOZIA

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 12. September bzw. am 19. September 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Geldmarktfonds

COM(2013) 615 final — 2013/0306 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 149 gegen 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt, dass der erwartete und mehrmals angekündigte Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Geldmarktfonds endlich von der Europäischen Kommission vorgelegt worden ist.

1.2

Der Schattenbankmarkt ist von enormer Bedeutung, Schätzungen des Rats für Finanzstabilität (Financial Stability Board — FSB) zufolge beträgt er weltweit 51 Billionen EUR, das entspricht 25-30% des gesamten Finanzsystems. In Europa fällt die Mehrheit der Geldmarktfonds (Money Market Funds — MMF) (ca. 60% der Fonds, die rund 80% der Werte verwalten) unter die Richtlinie 2009/65/EG (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren — OGAW). Die restlichen MMF operieren seit Juli 2013 nach den Vorschriften der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM).

1.3

Die Aktivitäten der sogenannten Schattenbanken müssen aus zwei maßgeblichen Gründen reguliert werden: zum einen wegen der Möglichkeit, dass das Schattenbankensystem zur Umgehung der bestehenden Vorschriften missbraucht wird, insbesondere bezüglich der Eigenkapitalanforderungen, d. h. um Aktivitäten auszuüben, die auch im Rahmen des traditionellen regulierten Sektors durchgeführt werden können. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit systemrelevanter Ereignisse. Der andere maßgebliche Grund besteht darin, dass bei den Finanzaktivitäten der Schattenbanken enorme Hebel eingesetzt und der Finanzsektor — ebenso wie die traditionellen Banken — der Gefahr von Panik und systemrelevanten Ereignissen ausgesetzt werden.

1.4

Der EWSA befürwortet die Entscheidung der Kommission für die Regulierung dieses Bereichs mithilfe einer Verordnung anstatt mit einer Richtlinie. Angesichts der Eigenschaften der MMF, die weltweit operieren, aber vorwiegend in drei Ländern, Frankreich, Irland und Luxemburg ansässig sind, sind einheitliche und sofort anwendbare Bestimmungen von zentraler Bedeutung. Diese Entscheidung entspricht voll und ganz den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität.

1.5

Die International Organisation of Securities Commissions (IOSCO) hat im Auftrag des FSB im Oktober 2012 eine Reihe von Empfehlungen erarbeitet, um die Gesetzgeber zur Regulierung der MMF-Märkte anzuhalten. Im November 2012 legte die FSB ein Grundsatzpapier für eine Regulierung vor, um die Gefahr von Anlegerfluchten bei MMF zu senken; das EP verabschiedete am 20. November 2012 eine entsprechende Entschließung. Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) legte schließlich im Dezember 2012 seine Empfehlungen (1) vor.

1.6

Die Securities and Exchange Commission (SEC) der USA hat die Vorschrift 2-a7 erlassen, die diesen Bereich seit 2010 reguliert, und am 19. November 2012 (2) hat der Financial Stability Oversight Council (FSOC), die entsprechende Regulierungsbehörde der USA, eine Überarbeitung der bestehenden Vorschriften eingeleitet. Die vorgeschlagenen Lösungen sind den Vorschlägen der Kommission sehr ähnlich. Sie enthalten die Verpflichtung, einen Kapitalpuffer vorzuhalten, die Vorschrift der Umstellung auf einen schwankenden Nettoinventarwert sowie die Vorschriften bezüglich der äußerst kurzfristigen Anlagen und die häufigere Information des Marktes über die Portfoliozusammensetzung der Anlagen. Angesichts des hohen Integrationsgrades der Märkte empfiehlt der EWSA, mit den US-amerikanischen Behörden einheitliche und wirksame Vorschriften zu vereinbaren.

1.7

Der EWSA teilt die im Dokument des ERSB enthaltene Analyse: „Obwohl Geldmarktfonds die Finanzkrise von 2007 bis 2008 nicht verursachten, zeigte ihre Performance während der Turbulenzen auf den Finanzmärkten ihr Potential, eine Krise auszuweiten oder sogar zu verstärken. Die Erfahrungen aus der Krise 2007 bis 2008 haben gezeigt, dass Geldmarktfonds für Anleger-Runs anfällig sein können und auf die Unterstützung von Sponsor-Gesellschaften angewiesen sein können, insbesondere um ihren konstanten Nettoinventarwert zu erhalten“.

1.8

Der EWSA bekräftigt: „Das Finanzsystem braucht zwar unbestritten Liquidität und hängt bereits seit der Zeit vor der Finanzkrise diesbezüglich weitgehend vom Schattenbanksystem ab, die Erfahrungen der Krise lassen es aber ratsam erscheinen, den Regulierungsprozess vorrangig auf die unverzichtbare Stabilität des Finanzsystems auszurichten“. Und weiter: „Daher sollte es keine Geschäftstätigkeiten ‚im Schatten‘ geben: für das Schattenbanksystem müssen die gleichen Regulierungs- und Aufsichtsanforderungen gelten wie für das gesamte Finanzsystem“. „Ziel der neuen Vorschriften muss auch ein hohes Maß an Schutz der europäischen Verbraucher sein“.

1.9

Der Ausschuss hat bereits — im Einklang mit den Empfehlungen des FSB — gefordert (3), die Verordnung zügig zu erlassen. Das Parlament und der Rat müssen sich unbedingt möglichst bald ins Benehmen setzten, um die betreffende Verordnung — unter Berücksichtigung der Änderungsvorschläge des EWSA — anzunehmen. Es besteht die reale Gefahr, dass die Annahme der Regelung in Anbetracht des anstehenden Mandatswechsels in Parlament und Kommission um viele Monate verzögert wird.

1.10

Der EWSA hält die Empfehlung des FSB und des ERSB (4) bezüglich des Risikos von MMF mit konstantem Nettoinventarwert (Constant Net Asset Value — CNAV) für besser und zweckmäßiger, die auf MMF mit schwankendem (oder variablem) Nettoinventarwert (VNAV) umgestellt werden sollten. Der Kapitalpuffer von 3% erscheint ungenügend angesichts der Tatsache, dass das größtmögliche, bereits aufgetretene Risiko 6% beträgt, um die Liquiditätsanforderungen zu einem Zeitpunkt zu befriedigen, wenn alle Akteure starke Marktturbulenzen befürchten und eine Anlegerflucht eintritt.

2.   Die wesentlichen Merkmale des Verordnungsvorschlags

2.1

Der Verordnungsvorschlag der Kommission folgt auf das Grünbuch über das Schattenbankwesen von 2012 (siehe IP/12/253 und MEMO/12/191). Darin werden die bisherigen Arbeiten zusammengefasst und der Fahrplan für künftige Regulierungsmaßnahmen in diesem wichtigen Bereich erläutert.

2.2

Während der Finanzkrise hat sich gezeigt, dass viele Charakteristika von MMF deren Anfälligkeit bei Schwierigkeiten auf den Finanzmärkten erhöhen und deshalb Risiken über das Finanzsystem verbreiten oder verstärken können.

2.3

Die vom ERSB ausgegebenen Leitlinien für eine Mindestangleichung wurden nach einem Jahr von nur zwölf Mitgliedstaaten übernommen, was zeigt, dass die Unterschiede zwischen den nationalen Vorschriften fortbestehen. Deshalb ist ein rasches und entschlossenes Eingreifen erforderlich.

2.4

MMF können Derivate einzig und allein zur normalen Absicherung von Währungs- und Zinsrisiken nutzen.

2.5

MMF müssen auch durch Diversifizierung des Portfolios das Kontrahentenrisiko verringern: es wird untersagt, dass mehr als 20% des Vermögens für ein umgekehrtes Pensionsgeschäft mit ein und derselben Gegenpartei eingesetzt werden.

2.6

Die Verwalter von MMF müssen davon absehen, Ratings von externen Ratingagenturen einzuholen; MMF müssen ebenfalls regelmäßigen Stresstests zur Überprüfung ihrer Belastbarkeit unterzogen werden.

2.7

Mit folgenden Maßnahmen des Verordnungsvorschlags soll die Transparenz verbessert werden:

Sammlung detaillierter Daten;

eine Regelung für Finanzinstrumente und Risiken im Zusammenhang mit Wertpapierfinanzierungsgeschäften;

die Festlegung eines Rechtsrahmens für die Interaktionen mit den Banken.

2.8

Der Verordnungsvorschlag reguliert die MMF auch mittels stringenterer Liquiditätsanforderungen. Nach Auffassung der Kommission würde damit im Falle eines Kapitalabzugs der Anleger sichergestellt, dass die Fonds ohne systemrelevante Auswirkungen den Rücknahmeforderungen ihrer Anleger nachkommen können.

2.9

Insbesondere müssen die Geldmarktfonds in ihrem Portfolio mindestens 10% ihrer täglich fälligen Vermögenswerte und außerdem mindestens 20% ihrer wöchentlich fälligen Werte vorhalten. Gleichzeitig darf das Engagement eines Fonds gegenüber ein und demselben Emittenten nicht 5% seiner Vermögenswerte übersteigen. Ferner muss sichergestellt sein, dass Fonds mit konstantem Nettoinventarwert (CNAV-MMF) einen Kapitalpuffer von 3% vorgehalten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Das Schattenbankwesen spielt eine wichtige Rolle für die Finanzierung der Realwirtschaft. Das Schattenbankwesen hat zur Finanzialisierung der Wirtschaft und zur Immobilienblase beigetragen, die 2007 verschiedene Industrieländer betroffen und ihre Wirtschaftssysteme an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat; dem Schattenbankwesen kommt folglich eine grundlegende, wenn nicht ausschließliche Verantwortung für die große Rezession zu, die die Vereinigten Staaten und zahlreiche EU-Mitgliedstaaten getroffen hat. „Das Finanzsystem in seiner Gesamtheit muss im Dienste der Realwirtschaft stehen“ (5). Vor allem KMU haben aufgrund der von ihnen erlittenen Kreditklemme große Probleme. Das Bankenwesen scheint nicht in der Lage, seiner grundlegenden Aufgaben der Geldversorgung der Realwirtschaft nachzukommen.

3.2

MMF sorgen für einen kurzfristigen Ausgleich zwischen Nachfrage nach und Angebot an liquiden Mitteln.

3.3

Wie auch vom FSB und anderen wichtigen Einrichtungen wie IOSCO und ESRB festgestellt, wurden die MMF trotz ihrer anerkannten systemischen Relevanz noch nicht einer angemessenen Regulierung unterworfen. Der EWSA teilt diese Auffassung.

3.4

Diametral entgegengesetzt hierzu hegt die Europäische Bankenvereinigung (FBE) Sorgen bezüglich der Auswirkungen der Vorschläge zu den Geldmarktfonds, die sie für restriktiv und schwer durchführbar für die MMF hält, „deren Ressourcen von den Banken zur Finanzierung der Kredite für die Realwirtschaft“ verwendet werden können.

3.5

Inzwischen befasst sich auch die G20 mit dem Thema. Der Fokus liegt dabei auf den Aktivitäten, nicht den Akteuren des Sektors. Die verschiedenen Kommentare seitens der G20-Länder laufen auf einen „weichen Ansatz“ zur Regulierung des Sektors hinaus, um — angesichts der wichtigen Rolle des Schattenbankwesens für die Liquidität des Banksektors — übermäßige Rückwirkungen auf die globalen Finanzströme zu vermeiden.

3.6

Was die Institutionen und diesbezügliche Aktivitäten betrifft, beträgt der Umfang des Schattenbankwesens nach Schätzungen des FSB von 2011 weltweit ca. 51 Billionen EUR, was 25-30% des gesamten Finanzsystems und ca. der Hälfte der Bankenaktivitäten entspricht (Euroraum fast 17 Billionen, Vereinigtes Königreich fast 7 Billionen, USA 17,5 Billionen (6)).

3.7

Von den verschiedenen Intermediären dieses Systems kommt den MMF systemische Bedeutung zu, und sie stellen für die Finanzinstitute, Unternehmen und Regierungen eine wichtige Quelle für kurzfristige Finanzierungen dar. Aus diesem Grund steht die Funktionsweise der MMF im Zentrum der angesprochenen internationalen Regulierungsaktivitäten.

3.8

In Europa werden ca. 22% der von den Regierungen und Unternehmen begebenen kurzfristigen Schuldtitel und 38% der kurzfristigen Bankenschuldtitel von MMF gehalten. Dies entspricht einem Volumen von 1 Billion EUR.

3.9

In Bezug auf die geographische Verteilung sind MMF vorwiegend in Frankreich, Irland und Luxemburg ansässig und werden — was CNAV-MMF betrifft — insbesondere von den Unternehmen in Deutschland und dem Vereinigten Königreich stark genutzt.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Bereich der MMF ist mit den Banken eng verknüpft, die häufig die Fonds verwalten oder sogar auf diese Fonds zurückgreifen, um sich zu finanzieren. Der Kommission zufolge wird die Mehrheit der MMF von Banken unterstützt: neun von zehn der wichtigsten Verwalter von MMF werden von Handelsbanken finanziert. Diese Schätzung verdeutlicht das hohe Maß wechselseitiger Verknüpfung — nicht nur zwischen den beiden betreffenden Sektoren, sondern auch zwischen den MMF und der Unternehmensfinanzen bzw. den Regierungen.

4.2

Für die Unternehmen sind MMF eine alternative Möglichkeit für die kurzfristige Verwendung ihrer Kassenbestände. Die Unternehmen können mithilfe dieser Instrumente ihre Reserven profitabler einsetzen, anstatt sie bei einer Bank einzulegen. Der EWSA anerkennt zwar den potenziellen Nutzen solcher Einsatzmöglichkeiten von Barbeständen, beklagt indes ihre Gefährlichkeit. Bei eventuell auftretenden Schwierigkeiten kommen die Fonds — im Unterschied zu den Banken — nicht in den Genuss der Unterstützung durch die Zentralbanken.

4.3

Die Welt der MMF kennt keinerlei Einlagensicherungssysteme. Die Intermediäre des Schattenbankwesens (Hedge-Fonds, MMF oder strukturierte Anlageinstrumente) stellen Kredite bereit.

4.4

Dem gegenwärtigen Funktionsmechanismus zufolge kann ein MMF sämtliche von Einzelnen oder Unternehmen zugeführten Mittel verleihen. Der EWSA weist darauf hin, dass ein MMF ausfallen kann, wenn ein oder zwei Akteure, die Geld geliehen haben, die Schulden nicht zurückzahlen können, denn wenn zum gleichen Zeitpunkt einige Ein-/Anleger ihr Geld zurückfordern, ist der Fonds nicht mehr in der Lage, sie zurückzugeben. Wenn keine aufsichtsrechtlichen Vorschriften erlassen werden, kann dieser Mechanismus eine neue Krise auslösen.

4.5

Angesichts dieser Bemerkungen und in der Erwägung, dass — wie bereits ausgeführt — die größten Geldgeber/Sponsoren der MMF eben die Banken sind, ist der EWSA fest davon überzeugt, dass der Bereich der MMF Vorschriften und Kontrollen hätte unterworfen werden müssen, die den bereits für den Banksektor getroffenen Vorschriften entsprechen.

4.6

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Vorschlag der Kommission, diesem Risiko mit der Anforderung eines Liquiditätspuffers von 3% zu begegnen, nicht ausreicht, um die von CNAV-MMF ausgehenden Risiken einzudämmen, zumal sich bereits Risiken manifestiert haben, die über 6% hinausgegangen sind.

4.7

Die Unzulänglichkeit der von der Kommission vorgesehenen Bestimmungen wird auch aus den Empfehlungen des FSB und des ERSB ersichtlich. Sowohl der FSB als auch der ESRB haben der Kommission in einer aufsichtsrechtlichen Perspektive zum Schutz des Systems nahegelegt, ein Verfahren zur Bewertung der Fonds auf der Grundlage eines variablen Nettoanlagewerts (VNAV) zu wählen, damit der Wert des Fonds an die Preisschwankungen angepasst werden kann. Bei der Verordnung wurde indes das ursprünglich vorgesehene Verfahren des konstanten Nettoinventarwerts (CNAV) beibehalten; es wurde lediglich ein Liquiditätspuffer aufgenommen, um eventuelle negative Wertschwankungen ausgleichen zu können. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Empfehlungen der beiden Marktregulierer dem Grundsatz der Gewährleistung der Stabilität des Finanzsystems eher entsprechen, wie aus der beigefügten Tabelle hervorgeht.

Geldmarktfonds mit konstantem Nettoinventarwert (CNAV-MMF) (Art. 25)

Kommissionsvorschlag (4. September 2013)

ESRB-Empfehlungen

FSB-Empfehlungen

Artikel 30:

Jeder CNAV-Geldmarktfonds bildet einen NAV-Puffer und hält diesen stets bei mindestens 3% des Gesamtwerts der vom CNAV-Geldmarktfonds gehaltenen Vermögenswerte.

Geldmarktfonds verpflichten, einen schwankenden Nettoinventarwert aufzuweisen und Geldmarktfonds verpflichten, ihr Vermögen grundsätzlich zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten (Empfehlung A, Ziffer 2, Seite 3).

Die CNAV-MMF sollten, wenn möglich, zum Übergang zu VNAV aufgefordert werden (Empfehlung Ziffer 2.2 S. 3).

Artikel 31:

Der NAV-Puffer kommt nur bei Zeichnungen und Rücknahmen zum Einsatz, um die Differenz zwischen dem konstanten Nettoinventarwert pro Anteil und dem Nettoinventarwert pro Anteil auszugleichen.

Die Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten sollte auf bestimmte, vorab definierte Umstände beschränkt werden.

(Empfehlung A, Ziffer 2, S. 3).

 

Vergleichstabelle (7)

Bezüglich der angebotenen Produkte fordert der EWSA auf zu bedenken, dass in diesem parallelen Bankensystem — um die strengeren Kontrollen der Bankenaufsicht zu umgehen — die Produkte gelangt sind, die bereits im traditionellen Bankensystem zirkulierten und deshalb reguliert wurden.

4.8

Der EWSA befürchtet, dass diese Risiken — um der Aufsicht zu entgehen — nun wieder im Schattenbankwesen auftauchen. Der Ausschuss hält es für sinnvoll, sich vom Grundsatz „gleiche Aktivitäten — gleiche Regeln“ leiten zu lassen.

4.9

Der EWSA bekräftigt ein probates Prinzip, demzufolge ein angemessenes Maß an Transparenz und Aufsicht sicherstellt, dass das Finanzsystem im Dienste der Wirtschaft steht und an Vertrauen, Wirksamkeit und folglich Effizienz gewinnt.

In dem Legislativvorschlag werden außerdem externe Ratings für MMF untersagt. Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, dass eventuelle Herabstufungen Panik auf den Märkten auslösen. Wenngleich diese Bestimmung gegen den Grundsatz der Transparenz und Wirksamkeit verstößt und zu Informationsasymmetrien führen kann, ist der EWSA der Auffassung, dass der MMF-Markt von professionellen Akteuren frequentiert wird, und dass die Ratingagenturen durch einen einfachen Meinungswechsel Panik unter den Anlegern auslösen können. Interne Ratings, verstärkte Verfahren und Schutzmechanismen des Risikomanagements und eine rigorosere und striktere Überwachung können auf wirksame Art und Weise zum Qualitätsschutz der Referenzvermögenswerte und der Sicherheiten der Fonds beitragen.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 146 vom 25.5.2013, S. 1.

(2)  Federal Register, Vol. 77, Nr. 223, 19. November 2012, Notices 69455.

(3)  ABl. C 146 vom 25.5.2013, S. 39.

(4)  Empfehlung A — ABl. C 146 vom 25.5.2013, S.1.

(5)  ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 42.

(6)  Im Vergleich dazu werden vom gesamten Bankensystem des Euroraums Aktiva von ca. 27 Billionen EUR verwaltet.

(7)  Erarbeitet von MdEP Sven Giegold.


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/55


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Schattenbankwesen — Eindämmung neuer Risikoquellen im Finanzsektor

(COM(2013) 614 final)

2014/C 170/09

Berichterstatter: Christos POLYZOGOPOULOS

Die Europäische Kommission beschloss am 18. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Schattenbankwesen — Eindämmung neuer Risikoquellen im Finanzsektor

COM(2013) 614 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember 2013) mit 153 gegen 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) würdigt die Mitteilung als konsistenten Beitrag zu den wichtigen Bemühungen um die Reform der Finanzdienstleistungen, die auf die Wiederherstellung des reibungslosen Funktionierens und der Stabilität in dieser entscheidenden Branche sowie auf die Begrenzung der Systemrisiken ausgerichtet sind.

1.2

Der EWSA hofft, dass die neuen Regelungen für die Finanzmärkte einen positiven Beitrag zur Stärkung der Wirtschaft leisten werden, und betont seine feste Überzeugung, dass die Stabilität des Finanzsektors und der Erfolg der Reformen Voraussetzung für die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, die Beschäftigung und die Vollendung des EU-Binnenmarkts sind.

1.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Fahrplan mit den bereits ergriffenen sowie den künftigen Maßnahmen in die richtige Richtung weist, und würdigt die erzielten Fortschritte. Dabei macht er jedoch darauf aufmerksam, dass zahlreiche Arbeiten dringend beschleunigt und noch ausstehende Rechtsetzungsinitiativen zum Abschluss gebracht werden müssen.

Mit Blick auf die fünf Schwerpunktbereiche für künftige Maßnahmen (1):

1.4

begrüßt der EWSA angesichts der entscheidenden Bedeutung der Lösung des Problems der Arbitrage für die Reform der Finanzdienstleistungen (2) das detaillierte Maßnahmenpaket (3) und insbesondere die Stärkung des Rahmens für die Bankenaufsicht zur Begrenzung von Ansteckungs- und Arbitragerisiken;

1.5

würdigt der EWSA die Bemühungen um mehr Transparenz und insbesondere die konkreten Maßnahmen zur Entwicklung eines EU-Überwachungsrahmens für das Schattenbankwesen, die Einrichtung zentraler Datenregister für Derivate im Rahmen der Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen (EMIR) (4), die Überarbeitung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) (5), die Umsetzung der Kennung für juristische Personen (Legal Entity Identifier) und die verstärkte Transparenz bei Wertpapierfinanzierungsgeschäften;

1.6

begrüßt der EWSA, dass Fortschritte in Richtung auf die Schaffung eines verstärkten Regelungsrahmens für bestimmte Investmentfonds, vor allem zur Verbesserung der Liquidität und Stabilität, erzielt wurden, insbesondere für Geldmarktfonds, die ihren Sitz in Europa haben oder hier gehandelt werden;

1.7

ist der EWSA der Auffassung, dass sich die Mitteilung im Bereich der Verringerung der Risiken im Zusammenhang mit Wertpapierfinanzierungsgeschäften auf allgemeine Aussagen beschränkt, die zwar durchaus richtig sind, jedoch der Problematik der Lage nicht gerecht werden. Der EWSA empfiehlt, die Maßnahmen zu beschleunigen und konkreter zu gestalten, insbesondere die Vorschriften zu Wertpapieren, da Wertpapierfinanzierungsgeschäfte, vor allem Pensions- und Wertpapierleihgeschäfte, bei der Verschuldung im Finanzsektor eine zentrale Rolle gespielt haben.

1.8

Auch in der wichtigen Frage der Stärkung der Aufsicht über das Schattenbankwesen besteht Nachholbedarf. Angesichts der Tatsache, dass lediglich einige Themen genannt werden und als künftige Maßnahme nur die Überarbeitung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (ESFS) durch die Kommission 2013 erwähnt wird, sollten die Aufsicht über das Schattenbankwesen verstärkt und rasch Klärung herbeigeführt werden.

1.9

Hauptopfer der Finanz- und Wirtschaftskrise sind unverschuldeterweise die Bürger in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler, Beschäftigte, Anleger und Verbraucher. Der EWSA empfiehlt deshalb, die Rechtsetzungsinitiativen, die den Schutz der Bürger betreffen, durch Transparenz, korrekte Information, soziale Verantwortung der Finanzbranche sowie Schutz von Verbrauchern und Kleininvestoren zu stärken. Er verweist zudem auf seine wichtigen Bemerkungen zur Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Regulierung der Finanzmärkte (6).

1.10

Wichtig für den EWSA ist die Einlassung der Kommission in ihrer Mitteilung, dass der Schattenbanksektor nicht nur im Hinblick auf seine Risiken betrachtet werden sollte. Er ist auch ein zusätzlicher alternativer Finanzierungskanal, der für die Realwirtschaft von Nutzen sein kann.

2.   Definition, Anwendungsbereich und Hintergrund

2.1

Das Schattenbankwesen wird definiert als „System der Kreditvermittlung unter Beteiligung von Unternehmen und Tätigkeiten außerhalb des regulären Bankensystems“ (7) und besteht aus zwei miteinander zusammenhängenden Säulen. Die entsprechenden Unternehmen sind hauptsächlich damit beschäftigt, Gelder in einlagenähnlicher Form entgegenzunehmen, Fristen- und/oder Liquiditätstransformationen durchzuführen, Kreditrisikotransfers zu ermöglichen oder direkte oder indirekte finanzielle Hebeleffekte zu nutzen. Diese Tätigkeiten (die potenziell eine wichtige Finanzierungsquelle für Nichtbanken darstellen) umfassen Verbriefungen sowie Wertpapierleih- und Pensionsgeschäfte (Repos).

2.2

Zweckgesellschaften sind: Verbriefungsgesellschaften, z. B. ABCP Conduits, Special Investment Vehicles (SIV) und andere Zweckgesellschaften (SPV), Geldmarktfonds sowie andere Arten von Investmentfonds/-produkten mit einlageähnlichen Merkmalen, die für „Runs“ (d. h. den massiven Abzug von Anlagen) anfällig sind, Investmentfonds, einschließlich börsengehandelter Fonds, die Kredite zur Verfügung stellen oder mit Fremdmitteln arbeiten, Finanzierungsgesellschaften und Wertpapierhäuser, die Kredite oder nicht regulierte Kreditgarantien bereitstellen oder Liquiditäts- und/oder Fristentransformationen durchführen wie eine Bank, und Versicherer und Rückversicherer, die Kreditprodukte ausgeben oder garantieren.

2.3

Ausgangspunkt der Schattenbankaktivitäten war die Deregulierung des Finanzsystems in den 1980er Jahren in Großbritannien, die im darauffolgenden Jahrzehnt (8) in den USA und anderen Ländern fortgesetzt wurde. Eine wesentliche Rolle spielten die Vereinbarungen von Basel I, mit denen spekulative Geschäfte außerhalb der Bilanz angesiedelt und die Bilanzen der Banken streng reguliert wurden (9).

2.4

Die Abschaffung bzw. Lockerung der Regeln und Vorschriften (10) ermöglichte es den Finanzinstituten, ihre Tätigkeiten auf neue Bereiche und komplizierte Modelle auszudehnen, während die Aussicht auf hohe Gewinne Millionen Menschen in der ganzen Welt anlockte, die allerdings kein ausreichendes Wissen über die Produkte und Funktionsweise des Schattenbankwesens hatten.

2.5

2007 beschlossen die G20 eine Reihe von Regulierungsmaßnahmen zur Sicherheit und Nachhaltigkeit des Finanzsystems, und anhand der erheblichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise 2008 wurden die Gefahren der Schattenbanktätigkeiten und die Schwächen der Gesetzeslücken, unzureichender Aufsicht, Intransparenz der Märkte und übermäßig komplizierter Produkte deutlich. Dies stärkte das Gewicht des Rates für Finanzmarktstabilität.

2.6

Die Europäische Union spielt eine führende Rolle bei den internationalen Anstrengungen im Rahmen der Gruppe der G20 und des Rats für Finanzmarktstabilität und hat erhebliche Fortschritte bei der Umsetzung der Verpflichtungen gemäß dem Finanzreform-Fahrplan und der Entwicklung neuer Aufsichtsstrukturen erzielt. Viele Reformen sind bereits Gegenstand von Rechtsvorschriften, so z. B. der Vorschriften über OTC-Derivate.

2.7

Der im Oktober 2011 vorgelegte Bericht des Rates für Finanzmarktstabilität stellt den ersten umfassenden Versuch zur Stärkung der Aufsicht über das Schattenbankwesen auf internationaler Ebene dar. Im Mittelpunkt standen dabei a) die Festlegung von Grundsätzen für die Beaufsichtigung und Regulierung, b) die Erfassung und Bewertung der Risiken und c) die Ermittlung des Geltungsbereichs etwaiger Regulierungsmaßnahmen zu fünf Themenkomplexen (11). Die Kommission ihrerseits hat ein Grünbuch vorgelegt, in dem es vor allem um die potenziellen Gefahren des Schattenbankwesens in der EU und um mögliche Formen der Bewältigung dieser Probleme durch Rechtsvorschriften geht.

3.   Hauptpunkte der Mitteilung

3.1

In der Mitteilung werden die bereits ergriffenen Maßnahmen in zwei Themenbereichen untersucht. Die Maßnahmen für Finanzunternehmen konzentrieren sich auf die Verschärfung der Anforderungen an Banken und an Versicherungsunternehmen bei ihren Geschäften mit Schattenbanken und die Schaffung eines harmonisierten Rahmens für die Verwalter alternativer Investmentfonds. Die Maßnahmen zugunsten der Marktintegrität sind vor allem auf Risikotransferinstrumente, die Stärkung von Verbriefungsvereinbarungen und einen verbesserten Rahmen für Ratingagenturen ausgerichtet.

3.2

Es werden zudem folgende fünf Schwerpunktbereiche abgesteckt, in denen die Kommission zusätzliche Maßnahmen ergreifen will:

1)

Erhöhung der Transparenz des Schattenbankwesens,

2)

Schaffung eines verbesserten Rahmens für Fonds, insbesondere Geldmarktfonds,

3)

Weiterentwicklung des Wertpapierrechts zur Begrenzung der Risiken im Zusammenhang mit Wertpapierfinanzierungsgeschäften,

4)

Verschärfung der Aufsichtsregeln im Bankensektor,

5)

Verbesserung der Aufsicht über Schattenbanken.

Insbesondere

3.2.1

werden im Interesse der Transparenz des Schattenbankwesens die Bemühungen um Erfassung und Austausch zuverlässiger und lückenloser Daten ergänzt um Initiativen zur Entwicklung eines Überwachungsrahmens im Hinblick auf die Gefahren des Schattenbankwesens und zentraler Datenregister für Derivate im Rahmen der EMIR-Verordnung (12), zur Überarbeitung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) (13), zur Umsetzung der Kennung für juristische Personen (Legal Entity Identifier) und zur verstärkten Transparenz bei Wertpapierfinanzierungsgeschäften.

3.2.2

Es werden neue Regeln für bestimmte Investmentfonds, insbesondere Geldmarktfonds, die in Europa ansässig sind oder hier gehandelt werden, zur Verbesserung der Liquidität und Stabilität sowie eine Reform der Regeln für Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) vorgeschlagen.

3.2.3

Zur Verringerung der Risiken bei Wertpapierfinanzierungsgeschäften wurden laut Mitteilung der Kommission umfassende Arbeiten durchgeführt, um solche Ereignisse besser zu verstehen und Lehren aus ihnen zu ziehen. Damit diese Probleme gelöst werden können, prüft die Kommission derzeit einen Legislativvorschlag zum Wertpapierrecht.

3.2.4

Zur Begrenzung von Ansteckungs- und Arbitragerisiken wird die Bankenaufsicht in Form strengerer Regeln verschärft, d. h. zusätzliche Eigenkapitalanforderungen für Banken bei deren Geschäftstätigkeit mit nicht regulierten Finanzunternehmen, schärfere Solvenzregeln und neue Liquiditätsregeln, insbesondere durch Inkrafttreten der Eigenkapitalverordnung (CRR) (14) und der Eigenkapitalrichtlinie (CRD IV) (15) am 1. Januar 2014. Vorgesehen ist auch die mögliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der Aufsichtsvorschriften zur Verringerung der Arbitragerisiken.

3.2.5

Im Zusammenhang mit der Stärkung der Aufsicht wird betont, wie diffus, vielfältig und dynamisch das Schattenbankwesen ist. Zudem wird auf die Probleme in diesem Bereich hingewiesen, z. B. die grenzüberschreitende Umgehung von Aufsichtsvorschriften. Auf europäischer Ebene werden Vorarbeiten im Rahmen des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) und der europäischen Aufsichtsbehörden durchgeführt. Diese Aspekte, die Notwendigkeit einer Lösung des Arbitrage-Problems sowie die „eventuelle Notwendigkeit“ einer Klärung der institutionellen Rolle jeder Behörde werden im Rahmen der Überarbeitung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (ESFS) aufgegriffen, die 2013 erfolgt.

4.   Bemerkungen

4.1

Der EWSA hat seit dem Beginn der Finanzkrise in mehreren Stellungnahmen (16) die Positionen der Zivilgesellschaft zu einem breiten Spektrum an Themen im Zusammenhang mit der Funktion des Finanzsystems formuliert und aktuelle Bemerkungen und Empfehlungen zu allgemeinen Fragen und insbesondere zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (17) abgegeben.

4.1.1

Der EWSA hat das Grünbuch über das Schattenbankwesen (18) als wichtigen Schritt in die richtige Richtung zur Lösung der bestehenden Probleme gewürdigt. Dabei wies er unter anderem darauf hin, dass es Geschäftstätigkeiten „im Schatten“, die denselben Regulierungs- und Aufsichtsanforderungen unterliegen müssen wie das gesamte Finanzsystem, zu beseitigen gilt.

4.2

Der EWSA würdigt die Herangehensweise an die Aufsicht auf internationaler Ebene mit dem Ziel, die Regulierung und Aufsicht auf alle systemrelevanten Finanzinstitute, Instrumente und Märkte auszudehnen (19). Er zeigt sich zufrieden darüber, dass die Empfehlungen des Rates für Finanzmarktstabilität, mit denen die Mitteilung völlig übereinstimmt, auf dem jüngsten Gipfel der G20 (20) angenommen wurden.

4.3

Er fordert die Kommission auf, den Aktionsrahmen für eine verstärkte Aufsicht über den Schattenbanksektor durch Einführung eines kohärenten Aufsichtsmechanismus zu konkretisieren und mit einem Zeitplan zu versehen und dabei die Klärung der institutionellen Rolle der Aufsichtsbehörden im Rahmen der Überarbeitung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (ESFS) zu beschleunigen.

4.4

Da bestimmte Schattentätigkeiten und -Unternehmen je nach Land einer Regulierung unterliegen oder nicht, ist die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen zwischen den Ländern sowie zwischen dem Bankensektor und den Unternehmen des Schattenbankwesens mithilfe angemessener Regelungen zur Vermeidung von Regulierungsarbitrage, die zur Verzerrung der ordnungspolitischen Anreize führen könnte, besonders wichtig.

4.5

Der EWSA weist insbesondere darauf hin, dass ein gemeinsames internationales Konzept der Regulierungsinstanzen bei der Analyse der Daten mit gemeinsamen Referenzrahmen und offenen Branchennormen erforderlich ist, damit der rasche Datenaustausch und effizientes Handeln ermöglicht werden, um systemischen Risiken rechtzeitig vorzubeugen und die Finanzstabilität zu schützen.

4.6

Der EWSA betrachtet Umfang und Tempo der Ausbreitung des Schattenbankwesens als weiteren wesentlichen Faktor für systemische Gefahren, da der Umsatz des Schattenbankwesens 2011 nach Angaben des Rates für Finanzmarktstabilität (2012) (21) 67 Bio. US-Dollar betrug (gegenüber 26 Bio. US-Dollar 2002) und 111% des kumulierten BIP der Länder, die der Rat für Finanzmarktstabilität prüft, entspricht.

4.7

Der EWSA hält es überdies für zweckmäßig, die analytische Betrachtung des Themas unter dem Gesichtspunkt der Tätigkeiten anstatt der Unternehmen des Schattensektors zu betrachten, da die Aufsicht und Kontrolle dieser Aktivitäten für den Erfolg der Maßnahmen eine zentrale Herausforderung darstellt.

4.8

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Problem des Umfangs und der unlauteren Praktiken nicht nur das Schattenbankwesen betrifft. Das überdimensionierte Bankenmodell in Verbindung mit dem Mangel an Transparenz birgt nachgewiesenermaßen die Gefahr der Destabilisierung der Wirtschaft, mit dem Ergebnis, dass die Kosten für die Rettung von Unternehmen, die „zum Scheitern zu groß oder zu sehr verflochten sind“, auf die Gesellschaft abgewälzt werden.

4.9

Der EWSA weist darauf hin, dass zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Stabilität des europäischen Finanzsektors parallel zur Reform des Schattenbankwesens grundsätzlich die Frage beantwortet werden muss, was mit Banken geschieht, die „too big to fail“ sind. Dazu sind Stärkung der Transparenz, Rationalisierung der Geschäftsbereiche von Riesenkonzernen und Reduzierung der Abhängigkeiten innerhalb der Konzerne nötig.

4.10

Parallel zu den Aufsichtsmaßnahmen ist es deshalb nach Auffassung des EWSA erforderlich, jede Verzerrung des Finanzsektors insgesamt mithilfe von Strukturreformen wirksam zu beseitigen. Der EWSA fordert die Kommission auf, die Verfahren zur Schaffung eines einheitlichen Abwicklungssystems zu beschleunigen und dabei die Empfehlungen des Berichts Liikanen sowie den jüngsten Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Parlaments über eine Strukturreform des EU-Bankensektors (22) zu berücksichtigen.

4.11

Da eine wirksame Aufsicht über das Schattenbankwesen angesichts seiner diffusen, vielfältigen und anpassungsfähigen Natur schwierig und kompliziert ist, fordert der EWSA die Kommission auf, rechtzeitig Fragen der Angemessenheit und Verfügbarkeit von Mitteln, Kontrollinstrumenten und Befugnissen der zuständigen nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden zu klären, einschließlich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (EAM).

4.12

Der EWSA ist der Auffassung, dass eine erfolgreiche Aufsicht von effizienten, abschreckenden und verhältnismäßigen Verfahren zur Verhängung von Sanktionen flankiert werden muss und dass die unterschiedlichen Sanktionen und Informationen für jene, die die Vorschriften nicht einhalten, bekannt gemacht werden müssen. Er weist darauf hin, dass natürliche und juristische Personen aus Drittstaaten EU-Vorschriften bisweilen nicht einhalten.

4.13

Der EWSA betont, dass Käufer von Finanzprodukten vor unlauteren Praktiken, irreführenden und unsoliden Produkten und Dienstleistungen sowie vor möglicherweise missbräuchlichen Klauseln in Verträgen geschützt werden müssen, und verweist auf seinen Vorschlag zur Einrichtung einer europäischen Agentur für den Schutz der Verbraucher von Finanzdienstleistungen zur Stärkung des Verbraucherschutzes, der Transparenz und der wirksameren Beilegung von Beschwerden.

4.14

Nutzerfreundliche Websites und andere moderne Informationsmedien können den Verbrauchern die Möglichkeit bieten, zu vergleichen und eine Auswahl unter Produkten und Dienstleistungen zu treffen, was dem Wettbewerb und der Selbstregulierung des Finanzmarktes zugutekommen würde.

4.15

Der EWSA fordert die Kommission auf, den Abschluss der Folgenabschätzungen zu beschleunigen, damit die neuen Liquiditätsregeln beschlossen werden können, und eine Kosten-Nutzen-Analyse über die Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit der zahlreichen Rechtsakte seit Beginn der Finanzkrise vorzunehmen, um die Auswirkungen der gesetzlichen Vorschriften auf den Finanzmarkt der EU insgesamt zu bewerten.

4.16

Der EWSA stellt zudem fest, dass die gesetzgeberischen Bemühungen gestärkt werden müssen, und zwar durch fortgeschrittene Fachkenntnis und wissenschaftliche Forschung zu Fragen der Erfassung und des Austauschs von Daten und generell zur umfassenderen Überwachung der dynamischen Entwicklung der Schattenunternehmen und zur Bestimmung der Aspekte, die für die Realwirtschaft von Nutzen sind, aber auch jener, die Quelle von Anfälligkeit und Systemrisiken des Finanzsektors sein können.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Siehe Ziffer 3.2 dieser Stellungnahme.

(2)  ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 39.

(3)  COM(2013) 614 final, Abschnitt 3.4.

(4)  OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister.

(5)  Siehe http://ec.europa.eu/internal_market/securities/isd/mifid_de.htm.

(6)  ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 3.

(7)  COM(2013) 614 final, S. 3.

(8)  Nicholas Gregory Mankiw und Mark Taylor, Economics: Special Edition with Global Economic Watch (UK: Cengage Learning EMEA, 2010).

(9)  ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 39 — Grünbuch Schattenbankwesen.

(10)  In den USA wurde mit dem Gramm-Leach-Bliley-Gesetz (1999) die Trennung zwischen Handels- und Hypothekenbanken sowie zwischen Versicherungs- und Wertpapierfirmen abgeschafft.

(11)  Wechselwirkung zwischen Banken und Unternehmen des Schattenbankwesens (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS)), Systemrisiken von Geldmarktfonds (Internationale Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO)), Verbriefungsbestimmungen (IOSCO und BCBS), andere Unternehmen des Schattenbanksektors (Rat für Finanzmarktstabilität) und Wertpapierleih- und Pensionsgeschäfte (Rat für Finanzmarktstabilität).

(12)  OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister.

(13)  Siehe http://ec.europa.eu/internal_market/securities/isd/mifid_de.htm.

(14)  Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 1).

(15)  Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 338).

(16)  Unter anderem ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 59; ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 76; ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 80; ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 64; ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 68. Die Stellungnahmen können auf der Website des EWSA abgerufen werden: http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.financial-markets-opinions.

(17)  ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 68.

(18)  ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 39.

(19)  Kommuniqué des Gipfeltreffens der G20 vom 2. April 2009, London.

(20)  5./6. September 2013, St. Petersburg.

(21)  Financial Stability Board, Global Shadow Banking Monitoring Report 2012 (FSB, 2012).

(22)  2013/2021(ΙΝΙ).


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/61


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Investitionspakt für Innovationen

COM(2013) 494 final

COM(2013) 493 final — 2013/0232 (COD)

COM(2013) 495 final — 2013/0240 (NLE)

COM(2013) 496 final — 2013/0241 (NLE)

COM(2013) 497 final — 2013/0242 (COD)

COM(2013) 498 final — 2013/0243 (COD)

COM(2013) 500 final — 2013/0233 (COD)

COM(2013) 501 final — 2013/0234 (NLE)

COM(2013) 503 final — 2013/0237 (NLE)

COM(2013) 505 final — 2013/0244 (NLE)

COM(2013) 506 final — 2013/0245 (NLE)

2014/C 170/10

Berichterstatter: Antonello PEZZINI

Mitberichterstatterin: Laure BATUT

Die Europäische Kommission beschloss am 29. Juli 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 (Ziffer 1) AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Öffentlich-private Partnerschaften im Rahmen von „Horizont 2020“: ein leistungsstarkes Instrument für Innovation und Wachstum in Europa

COM(2013) 494 final.

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 10. September 2013 bzw. am 3. September 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 185 und 188 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Union an einem von mehreren Mitgliedstaaten gemeinsam durchgeführten Forschungs- und Entwicklungsprogramm zur Unterstützung Forschung betreibender kleiner und mittlerer Unternehmen

COM(2013) 493 final — 2013/0232 (COD).

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Union an einem von mehreren Mitgliedstaaten gemeinsam durchgeführten europäischen Metrologie-Programm für Innovation und Forschung

COM(2013) 497 final — 2013/0242 (COD)

Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Europäischen Union an einem zweiten von mehreren Mitgliedstaaten durchgeführten Partnerschaftsprogramm Europas und der Entwicklungsländer im Bereich klinischer Studien

COM(2013) 498 final — 2013/0243 (COD)

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Union an dem von mehreren Mitgliedstaaten gemeinsam durchgeführten Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Aktives und unterstütztes Leben“

COM(2013) 500 final — 2013/0233 (COD).

Der Rat beschloss am 2. September 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 187 und 188 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinsame Unternehmen „Initiative Innovative Arzneimittel 2“

COM(2013) 495 final — 2013/0240 (NLE)

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinsame Unternehmen „Biobasierte Industriezweige“

COM(2013) 496 final — 2013/0241 (NLE)

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinsame Unternehmen ECSEL

COM(2013) 501 final — 2013/0234 (NLE)

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinsame Unternehmen „Clean Sky 2“

COM(2013) 505 final — 2013/0244 (NLE)

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinsame Unternehmen „Brennstoffzellen und Wasserstoff 2“

COM(2013) 506 final — 2013/0245 (NLE).

Der Rat beschloss am 2. September 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 187 und 188 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 219/2007 des Rates vom 27. Februar 2007 zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens zur Entwicklung des europäischen Flugverkehrsmanagementsystems der neuen Generation (SESAR) im Hinblick auf die Verlängerung der Bestandsdauer des gemeinsamen Unternehmens bis 2024

COM(2013) 503 final — 2013/0237 (NLE).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 105 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) teilt die Auffassung, dass Partnerschaften zahlreiche Vorteile für die Entwicklung der Innovation und hinsichtlich der Möglichkeiten für die bessere Nutzung ihrer Potenziale bieten.

1.2

Der EWSA hält es für wesentlich, die vorgeschlagenen zehn Initiativen — mit finanzieller Unterstützung durch das Programm Horizont 2020 (H2020) — genauer auszugestalten und Synergien zu gewährleisten, zumal sie sich in puncto Instrumente, Form und Inhalt von den anderen Partnerschaftsarten unterscheiden.

1.3

Der EWSA fordert einen langfristig sicheren Finanzrahmen und einen stabilen Regelungsrahmen für diese Initiativen, um die hochriskanten Aspekte, die sie auszeichnen, zu verringern und zur Verwirklichung der allgemeinen Ziele der EU in puncto nachhaltiger Entwicklung, Beschäftigung und Ausbildung neuer qualifizierter Berufsprofile beizutragen.

1.4

Nach Ansicht des EWSA sind diese Instrumente wichtig, um mehr Gelder für Investitionen in Forschung und Innovation bereitzustellen, sofern sie flexibel, einfach und unbürokratisch, offen und transparent sind sowie einen Hebel für zusätzliche Finanzmittel darstellen und eine zunehmende Beteiligung kleiner Unternehmen, insbesondere in weniger begünstigten Regionen, bewirken.

1.5

Nach Auffassung des EWSA müssen die Ziele messbar sein und auf die Innovation und ihre Umwandlung in industrielle Ziele und in neue Arbeitsplätze ausgerichtet sein, und — im Rahmen ausgewogener und transparenter Verwaltungsstrukturen mit klaren technisch-wissenschaftlichen und sozio-ökonomischen Leistungsindikatoren — einer gemeinsamen mittel- bis langfristigen Vision entsprechen.

1.6

Bezüglich der institutionellen öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) empfiehlt der EWSA, die Verfahren gegen Insider-Handel zu stärken, die Hebelwirkung aufzuwerten und sämtlichen Formen von Kleinunternehmen — einschließlich der Sozialwirtschaft — in den Programmen und Projekten mehr Raum zu geben sowie eine effektive Kommunikationspolitik zu verfolgen, in der Stakeholder-Foren in allen gemeinsamen Unternehmen eine proaktive Rolle spielt.

1.7

Hinsichtlich der öffentlich-öffentlichen Partnerschaften (P2P) plädiert der Ausschuss dafür, dass die europäischen Haushaltsmittel für Forschung und Innovation (F&I) zu einer ausgewogeneren Verteilung der EU-Mittel beiträgt, wobei KMU mit hoher Technologieintensität sowie klinische, medizinische und technologische Innovationen zugunsten des Wohlbefindens sämtlicher Bürger und insbesondere für ein aktives Altern und die Unterstützung älterer Menschen stärker im Blickfeld stehen müssen.

1.8

Der EWSA fordert eine proaktive Kommunikationspolitik über die Entwicklung der zehn durchzuführenden Initiativen und empfiehlt, jährliche Konferenzen mit sämtlichen Interessenträgern der organisierten Zivilgesellschaft zu veranstalten, auf denen die jährlichen Berichte über die erzielten Ergebnisse und künftigen Strategien sowie mehrsprachige praktische Leitfäden für eine intelligente Teilhabe an den verschiedenen Partnerschaftsformen, die auf EU-Ebene bestehen, vorgestellt werden.

1.9

Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Entwicklung einer solchen proaktiven Politik — auch über die Auslobung von EWSA-Preisen für wirtschaftliche und soziale Innovation — auf drei Hauptbereiche auszurichten: interessierte Bereiche von Wissenschaft und Unternehmen, Nutzer innovativer Marktergebnisse, alle EU-Bürger, um den Belangen der Gesellschaft — vor allem in puncto Beschäftigung und Ausbildung — gerecht zu werden. Der Ausschuss schlägt die Auslobung eines „Europäischen Innovationspreises“ vor, der innovative Anwendungen in den Bereichen Industrie, Wirtschaft und Soziales auszeichnet und den europäischen Mehrwert stark verdeutlicht.

2.   Der Hintergrund der Partnerschaften

2.1

Horizont 2020 sieht die Schaffung öffentlich-privater Partnerschaften in Schlüsselsektoren vor, in denen Forschung und Innovation zu Folgendem beitragen könnten:

Verwirklichung der europäischen Wettbewerbsziele;

Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen;

bessere Harmonisierung der EU-Förderung für F&I;

stärkere Mobilisierung industrieller Investitionen in F&I.

2.2

Es muss präzisiert werden, dass es verschiedene Partnerschaftsformen für Forschung und Innovation gibt:

Institutionelle ÖPP gemäß Artikel 187 (ex-Artikel 171 EGV) — eigenständige gemeinsame Unternehmen: Innovative Arzneimittel, Brennstoffzellen und Wasserstoff, Clean Sky, Bioindustrie, Elektronikkomponenten und -systeme, Luftverkehrsmanagement;

Vertragliche ÖPP auf der Grundlage einer Vereinbarung (Memorandum of Understanding) mit strategischen Zielen, vorläufigen Haushaltsplänen und beratenden Gremien: Fabriken der Zukunft, Energieeffizienz der Gebäude, umweltgerechte Fahrzeuge, Internet der Zukunft, nachhaltige industrielle Prozesse, Robotik, Fotonik, Hochleistungscomputer;

Europäische Technologieplattformen, die zur Definition europäischer Innovationspartnerschaften, europäischer Technologieinitiativen, öffentlich-privater und öffentlich-öffentlicher Partnerschaften, ERA-NETs sowie Wissens- und Innovationsgemeinschaften beitragen;

Öffentlich-öffentliche Partnerschaften P2P gemäß Artikel 185, basierend auf der Teilnahme an gemeinsamen Programmen der Mitgliedstaaten und der EU, die ihren Beitrag über Horizont 2020 finanzieren: Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitswesen, Metrologie, KMU, Unterstützung für ein aktives Leben;

Europäische Innovationspartnerschaft EIP, eingeführt durch die Leitinitiative „Innovationsunion“ der Europa-2020-Strategie: gemeinsame Kooperationsplattform, geleitet von einem Lenkungsausschuss unter dem Vorsitz des zuständigen Kommissionsmitglieds bzw. der zuständigen Kommissionsmitglieder. Es gibt drei Europäische Innovationspartnerschaften: eine im Bereich der Rohstoffe, eine für Nachhaltigkeit und Produktivität in der Landwirtschaft und eine dritte für ein aktives Altern bei guter Gesundheit;

Wissens- und Innovationsgemeinschaft — WIG, eingerichtet im Rahmen des Europäischen Technologieinstituts (ETI), Exzellenznetze und im Rahmen integrierter Partnerschaften zwischen verschiedenen Bereichen: Hochschulen, Technologie, Forschung, Industrie und Unternehmertum. Es wurden drei WIG geschaffen: Climate-KIC, KIC InnoEnergy, EIT ICT Labs. Ermittelte Themenbereiche: verarbeitende Industrie, Ernährung der Zukunft, Innovation für ein gesundes Leben und aktives Altern, Rohstoffe, sichere und intelligente Gesellschaften, urbane Mobilität.

Smart Specialisation Partnerschaften ( RIS3 ) im Rahmen der EU-Regionalpolitik und der Strukturfonds und insbesondere der regionalen Innovationsstrategie im F&I-Bereich — einschließlich der sozialen und technologischen Innovation — Technologietransfer und Entwicklung der Informationstechnologien im Einklang mit den neuen Kohäsionsleitlinien für den Zeitraum 2014-2020.

2.3

Die Erfahrung mit als EU-Einrichtungen gemäß Artikel 185 der Verordnung (EG, Euratom, Nr. 1605/2002) anerkannten institutionalisierten ÖPP hat gezeigt, dass weitere Kategorien hinzugefügt werden sollten, um die Palette der für die — im Vergleich zu den für die EU-Institutionen vorhandenen Instrumenten — privaten Partner flexibleren und leichter zugänglichen Instrumente zu erweitern.

2.4

Die in dem Programm Horizont 2020 vorgesehenen ÖPP lassen sich als innovative Finanzinstrumente verstehen, die auf der Grundlage einer Bewertung durch unabhängige Fachleute offen und transparent definiert und umgesetzt werden. Sie haben folgende Merkmale:

der inhärente, europäische Mehrwert;

die Auswirkungen auf die industrielle Wettbewerbsfähigkeit und das nachhaltige Wachstum;

die Qualität der angestrebten sozio-ökonomischen Ziele, namentlich in den Bereichen Schaffung von Arbeitsplätzen und Ausbildung;

der ausgewogene Beitrag sämtlicher Partner auf der Grundlage einer gemeinsamen Vision;

eine klare Definition der Aufgaben jedes Partners,

wesentliche Leistungsindikatoren;

Übereinstimmung mit der strategischen Agenda der EU im Bereich F&I;

eine System der soliden Finanzverwaltung;

die Fähigkeit zur Hebelwirkung für neue Investitionen;

ein offener, transparenter und partizipativer Steuerungsrahmen — auch für kleine Unternehmen.

2.5

Die gemeinsamen Technologieinitiativen (GTI) sind eine bewährte Form der öffentlich-privaten Zusammenarbeit im Bereich der F&E.

2.6

Die GTI haben sich hauptsächlich aus den europäischen Technologieplattformen (ETP) entwickelt, zu denen sich der Ausschuss bereits geäußert hat (1), und insbesondere aus denjenigen ETP, für die die üblichen Instrumente zur Unterstützung von F&E-Aktivitäten zur Verwirklichung der in den strategischen Programmen vorgesehenen Ziele nicht ausreichen.

2.7

Der EWSA teilt die Ansicht, dass die Partnerschaften zahlreiche Vorteile bieten und dass ihr Potenzial stärker genutzt werden könnte. Er hat daher die Kommissionsinitiative begrüßt, „im Rahmen der Leitinitiative ‚Innovationsunion‘ Europäische Innovationspartnerschaften (EIP) zu begründen und zu fördern“.

2.8

Der EWSA hat ferner „die entscheidende Bedeutung von Innovation für die Europa-2020-Strategie“ betont und wiederholt, "dass Innovationen nicht notwendig das Ergebnis einer linearen Folge sind […], sondern in einem komplexen Prozess entstehen […] (2).

2.9

Selbst wenn es eine hohe Interdependenz zwischen Forschung und Innovation gibt, darf weder „Innovation unter Forschung noch darf Forschung unter Innovation subsumiert werden. Dies wäre eine kulturelle Verarmung europäischer Grundwerte […]“ (3).

2.10

Der EWSA bekräftigt, dass er die Förderung der sozialen Innovation unterstützt, besonders im Rahmen der EU-Finanzierungsprogramme wie die Strukturfonds oder das Programm für sozialen Wandel und Innovation, um eine weitere Unterstützung die Entwicklung der Finanzierungskapazitäten der sozialen Unternehmen zu gewährleisten (4).

2.11

Der EWSA hat die Bedeutung der Partnerschaften zur Steigerung der Attraktivität Europas als globaler Akteur im Bereich der F&I unterstrichen.

2.12

Der EWSA hat seine Unterstützung für das Partnerschaftsprinzip bekräftigt, das es ermöglicht, europäische und einzelstaatliche Akteure aus der Privatwirtschaft in P2P und in ÖPP (5) zusammenzubringen, um die großen sozialen Herausforderungen zu bewältigen und die Wettbewerbsstellung der EU zu stärken. Die Analyse

der im Rahmen des Siebten Rahmenprogramms erprobten Partnerschaftsmodelle,

des Wettbewerbs- und Innovationsprogramms — WIP,

des Europäischen Forschungsraums — EFR,

des politischen Rahmens der Innovationsunion,

der Pilotpartnerschaft für aktives Altern bei guter Gesundheit (AHA),

hat in diesem Zusammenhang äußerst positive Aspekte hervorgebracht (6).

2.13

Der EWSA stimmt der Methode zu, mit der diese zehn Vorschläge des Investitionspakets für Innovationen auf der Grundlage der Ergebnisse öffentlicher Konsultationen, Folgeabschätzungen und verschiedener Fahrpläne von der Kommission entwickelt wurden.

2.14

Der EWSA hat seinerseits am 31. Oktober 2013 eine Anhörung zum Paket für die vorgeschlagenen Initiativen durchgeführt, an der zahlreiche einschlägige Vertreter der Zivilgesellschaft, der Leitungen der bestehenden gemeinsamen Unternehmen und der Kommission teilgenommen haben.

3.   Allgemeine Überlegungen

3.1

Der EWSA befürwortet nachdrücklich das Initiativpaket der Kommission und ist der Ansicht, dass die Vorschläge für ÖPP gemäß Artikel 187 AEUV sowie die Vorschläge für P2P gemäß Artikel 185 AEUV leistungsfähige Instrumente zur Bewältigung der großen Herausforderungen darstellen, die sich auf Europas Wettbewerbsfähigkeit sowie seine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung auswirken.

3.2

Der EWSA hält es für wichtig, die zehn Initiativen, die finanzielle Unterstützung aus dem H2020 erhalten, festzulegen, sofern sie sich in puncto Instrumente, Form und Inhalt von den anderen Partnerschaftsformen unterscheiden, auch wenn ihre Ziele bisweilen entgegengesetzt sind, wobei Verdopplungen, Überschneidungen und potenzielle Konflikte zu vermeiden, jedoch Synergien und Ergänzungen mit anderen Initiativen hervorzuheben sind. Die Mitgliedstaaten sind keinesfalls von ihren Verpflichtungen in den Bereichen dieser Partnerschaftsinitiativen entbunden.

3.3

Der Ausschuss betont, wie wichtig es ist, dass die EU einen sicheren Finanzrahmen für F&I und einen vereinfachten und stabilen Regelungsrahmen gewährleistet, und dass die Unternehmen Initiativen zur Begrenzung ihrer typischen hochriskanten Aspekte garantieren. Der EWSA ist im Übrigen der Ansicht, dass die Verteilung der finanziellen Unterstützung ausgewogener zwischen den Initiativen erfolgen und dabei der Fernbetreuung zur Erleichterung eines aktiven Lebens und dem Programm zugunsten von High-Tech-KMU mehr Aufmerksamkeit geschenkt müsste.

3.4

Die Instrumente selbst sind wichtige Elemente, um mehr Finanzmittel für Investitionen in F&I bereitzustellen, vorausgesetzt, sie sind flexibel, einfach und unbürokratisch, offen und transparent, und dass die Probleme hinsichtlich des Gleichgewichts und/oder des potenziellen Konflikts zwischen Wettbewerbsregeln und der Förderung der Innovation, Schutz des geistigen Eigentums, Verbreitung der Ergebnisse und ihre Zugänglichkeit mit dem Ziel gelöst werden, letztendlich den Bürgern/Steuerzahlern einen besseren Dienst zu bieten.

3.5

Der EWSA weist insbesondere darauf hin, dass „Urheberschaft und geistiges Eigentum der Forscher und ihrer Organisationen weiterhin sicherzustellen und die Freiheit von Wissenschaft und Forschung nicht anzutasten [sind]."und dass der freie Zugang zu einer sinnvollen Auswahl jener Daten, die den frei zugänglichen Veröffentlichungen zu Grunde liegen, nützlich sein [könnte], sofern sich der damit verbundene Zusatzaufwand als akzeptabel und gerechtfertigt erweist […]“ (7).

3.6

Nach Ansicht des EWSA müssen die Ergebnisse messbar und miteinander verknüpft sein, und zwar nicht nur mit der industriellen Strategie des Sektors, sondern insbesondere mit der Lösung der Probleme, die die Gesellschaft und eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung besonders hinsichtlich der Beschäftigung betreffen, und die — im Rahmen ausgewogener und transparenter Verwaltungsstrukturen mit klaren technisch-wissenschaftlichen und sozio-ökonomischen Leistungsindikatoren — einer gemeinsamen mittel- und langfristigen Vision entsprechen.

3.7

Bei seiner positiven Bewertung der Erfahrungen mit ÖPP als Instrument zur Kombination verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten plädiert der EWSA für radikal vereinfachte Finanzierungsmodelle, um die Verlässlichkeit des Modells zu verbessern, die Gefahr von Unregelmäßigkeiten in den Ausgabenerklärungen der Empfänger zu verringern, die Projektbuchhaltung zu vereinfachen und für die Überprüfung nicht zwingend notwendige Etappen abzuschaffen und so den Antragsprozess zu vereinfachen und beschleunigen.

3.8

Der EWSA hält es folglich im Sinne der Gewährleistung fairer Bedingungen für sämtliche im Binnenmarkt tätigen Unternehmen für notwendig, die Finanzierung aus dem Programm Horizont 2020 für ÖPP und PPP so zu gestalten, dass zum einen die Bestimmungen über staatliche Beihilfen eingehalten werden, um effiziente öffentliche Ausgaben zu gewährleisten und Marktverzerrungen zu vermeiden, und zum anderen sämtliche Ethikregeln beachtet werden.

3.9

Der EWSA ist insbesondere der Ansicht, dass die Schaffung von ÖPP Bedingungen unterworfen werden sollte, die die Wahrung eines effektiven Wettbewerbsumfelds gewährleisten und neuen Akteuren jederzeit Zugang wie auch die systematische Aufnahme der Gruppen von Endnutzern in die Programme und Projekte ermöglichen.

3.10

Nach Auffassung des EWSA muss die Bedeutung der geistigen Eigentumsrechte anerkannt werden. Insbesondere sollte der Abschluss von Vereinbarungen zur gemeinsamen Patentnutzung gefördert werden, um die gemeinsame Nutzung wissenschaftlicher Daten zu ermöglichen sowie Kooperations- und Forschungsanstrengungen in spezifischen Technologiebereichen zu entwickeln und so „Patentdickichte“ zu vermeiden (8).

3.11

Der EWSA empfiehlt die Erstellung einer „Gebrauchsanweisung“ für die Endnutzer zahlreicher Gemeinschaftsinstrumente für die Innovation, und der verschiedenen Partnerschaftsformen, gemeinsamen Initiativen, Leitinitiativen, Wissensgemeinschaften, Plattformen und anderen vergleichbaren Gemeinschaftsmaßnahmen in den Bereichen F&I. Die Einführung des Querschnittscharakters könnte unter anderem die Investitionen steigern (siehe: Nanotechnologien und Unterstützung für ältere Menschen) und würde eine stärkere Einbeziehung aller unterschiedlichen Unternehmensformen ermöglichen.

3.12

Der Ausschuss hält es für unverzichtbar, das gesamte System der einschlägigen gemeinschaftlichen Maßnahmen, Synergien und Politiken — von der F&I-Politik über die Regional- und Kohäsions- bis hin zur Industriepolitik, insbesondere für die KMU und kleinen Organisationen, nutzerfreundlicher und transparenter zu gestalten.

3.13

Desgleichen hält es der EWSA für wichtig, die Sichtbarkeit, Publizität — auch sprachlicher Art — und Transparenz des gesamten Pakets und der Initiativen und Instrumente, die damit verbunden sind bzw. verbunden werden könnten, sicherzustellen — mit einer dynamischen Kommunikationspolitik und jährlichen Konferenzen mit sämtlichen Akteuren der organisierten Zivilgesellschaft, auf denen die regelmäßigen Berichte über die erzielten Ergebnisse und künftigen Strategien vorgestellt werden.

3.14

Unter Berücksichtigung des Umfangs der zugewiesenen Mittel und der verschiedenen Situationen und realen Belange in den Mitgliedstaaten empfiehlt der EWSA, eine auf vier Empfängerformen ausgerichtete Kommunikationspolitik zu konzipieren:

Wissenschaft, Unternehmen, in verschiedenen Formen und Ausprägungen,

kleine und mittlere Unternehmen sowie die Sozialwirtschaft,

Endnutzer, über einen strukturierten Dialog mit ihren Vertretern, in den verschiedenen Sektoren, in den der EWSA sinnvoll eingebunden werden könnte,

alle Bürger/Steuerzahler, um sie über die Ergebnisse und möglichen innovativen Anwendungen der F&I der Union zu informieren.

3.15

Nach Ansicht des EWSA könnte ein EWSA-Preis für wirtschaftliche und soziale Innovation ausgelobt werden, um die Ergebnisse der in den verschiedenen Bereichen der 28 Mitgliedstaaten zehn vorgeschlagenen Partnerschaften zu bewerten und darin vollständig die in dem Statut der gemeinsamen Unternehmen vorgesehenen Stakeholder-Foren einzubeziehen. Der EWSA fordert die Kommission auf, ihrerseits eine umfassende Sensibilisierungs- und Bildungsmaßnahme hinsichtlich der öffentlich-privaten Partnerschaft zu entwickeln.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt die deutliche Tendenz zu einer stärkeren Nutzung von ÖPP in den Bereichen Gesundheitswesen und Clean Sky, Luftraummanagement, Elektronik und Informatik, Brennstoffzellen und Wasserstoff. Er weist jedoch auf die Notwendigkeit von Synergien mit anderen, in verschiedener Form vorhandenen Partnerschaften und Initiativen sowie im Rahmen anderer EU-Politiken hin.

4.2

Hinsichtlich innovativer medizinischer Initiativen empfiehlt der EWSA, der Entwicklung von erschwinglichen Arzneimitteln mit längerer Verabreichungsdauer für die ärmsten Bevölkerungsschichten und von Arzneimitteln für seltene Krankheiten mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Des Weiteren empfiehlt der EWSA, in der EU die Vermarktung von Produkten der europäischen Forschung und der Festlegung von Regeln für den Preis pro Gramm aktiver Substanz — die den Schwierigkeiten der öffentlichen Haushalte und der Sozialsysteme der Mitgliedstaaten Rechnung tragen — vorrangig zu behandeln.

4.3

Hinsichtlich der FCH 2-Initiative — Brennstoffzellen und Wasserstoff — hält der EWSA es für wichtig, unter die Ziele insbesondere die Entwicklung CO2-freier Technologien für die Wasserstoff-Erzeugung aufzunehmen.

4.4

In der Initiative Clean Sky muss der Ergebniswirkung, insbesondere im Rahmen der Programmplanung, den beschriebenen Demonstrationsvorhaben sowie dem Risikomanagement für die Sicherheit und Umwelt im Rahmen der ÖPP Einheitlicher Luftraum mehr Bedeutung beigemessen werden.

4.5

Bei der Initiative für die Entwicklung der Bio-Industrie mit biologischem Material, Material der biologischen Landwirtschaft und Biomaterialien ist Achtsamkeit geboten, damit diese Technologien vollständig der (natürlichen) Umwelt und einer nachhaltigen Agrar- und Nahrungsmittelkette gemäß dem Vorsorgeprinzip gerecht werden. Der EWSA erwartet von dieser Initiative positive, konkrete und sichtbare Ergebnisse.

4.6

Das starke Engagement — auch finanzieller Natur — zugunsten der ECSEL-Initiative für digitale Technologien und die Nanoelektronik, die bereits in den Themengebieten von H2020 vorgesehen sind, sollten auch für die Bürger/Steuerzahler konkreten Nutzen erbringen — in Form eines besseren, nutzerfreundlichen und kostenlosen Zugangs zu diesen Technologien (9).

4.7

Der EWSA befürwortet ebenfalls nachdrücklich die vier P2P-Initiativen, unterstreicht jedoch dabei die Bedeutung zweier dieser Initiativen, deren Ausbau er auch hinsichtlich der ihnen zugewiesenen Mittel fordert:

Die Eurostar-Initiative angesichts ihrer positiven Ergebnisse in puncto Zugang der KMU zu FTE&I im Rahmen des Europäischen Forschungsraums — EFR;

das europäische Programm für Umgebungsunterstützung für ein aktives betreutes Leben (Ambient Assisted Living — AAL), das hohen Anforderungen an eine gesunde Entwicklung des Einzelnen und der gesamten europäischen Gesellschaft entspricht.

4.8

Für das AAL empfiehlt der Ausschuss, der unterschiedlichen Lage in den einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, auch hinsichtlich der absehbaren Verschärfung dieser Problematiken gegenüber der demographischen Entwicklung bis 2024 und darüber hinaus: Der von der EU vorgeschlagene Finanzierungsumfang sollte gegenüber dem Umfang des 7. RP stark aufgestockt werden, wobei die künftigen Ansichten der unterschiedlichen repräsentativen Kategorien in einem zu schaffenden Ad-hoc-Ausschuss der Stakeholder berücksichtigt werden müssen.

4.9

Der EWSA empfiehlt, dass diese institutionellen Partnerschaften — zum Zweck einer beschleunigten Entwicklung und einer Ausweitung der Beschäftigungsmöglichkeiten und qualifizierterer Berufsprofile — in enger Synergie und Koordinierung mit anderen vergleichbaren, im Rahmen industriepolitischer Leitinitiativen und Smart Specialization (intelligente Spezialisierung) in der Kohäsionspolitik und den regionalen Innovationsstrategien existierender Maßnahmen entwickelt werden.

4.10

Hinsichtlich der Teilnahme an dem Metrologieprogramm verweist der EWSA auf seine einschlägige Stellungnahme (10) und empfiehlt eine Aufstockung auch der finanziellen Unterstützung für die Teilnahme von Kleinunternehmen und Nutzergruppen; bezüglich der Partnerschaft Europa-Entwicklungsländer verweist er auf die Stellungnahme EU/Afrika (11) und die spezifische Empfehlung, die in Europa wieder anzutreffenden Symptome gegenwärtig erforschter Krankheiten nicht zu vernachlässigen und auf die vollständige Einhaltung der ethischen Grundsätze in den Protokollen zu achten.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 299 vom 4.10.2012, S.12.

(2)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 121.

(3)  Siehe Fußnote 2.

(4)  ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 17.

(5)  Beispiele für P2P-Partnerschaften unter anderem: ERA-NET und ERA-NET Plus, die Initiativen gemäß ex-Artikel 185 und die gemeinsame Programmplanung (GP). Beispiele für ÖPP im Bereich der F&I sind hingegen IKT und das Internet der Zukunft.

(6)  ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 39.

(7)  ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 48.

(8)  ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 28.

(9)  Vgl. Stellungnahme CESE 4345/2013 vom 24.10.2013.

(10)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 69.

(11)  ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 148.


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/68


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz“

(COM(2013) 401 final)

2014/C 170/11

Berichterstatter: Jörg FRANK VON FÜRSTENWERTH

Die Europäische Kommission beschloss am 11. Juni 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz“

COM(2013) 401 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember (Sitzung vom 10. Dezember) mit 161 gegen 2 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss fordert seit mehr als zwei Jahrzehnten kollektive Rechtsschutzinstrumente auf Gemeinschaftsebene, die bei Verletzung kollektiver Rechte einen effektiven Rechtsschutz ermöglichen. Kollektive Rechtsschutzmaßnahmen sollten alle Bereiche abdecken, die für die Bürger durch EU-Recht geschützt sind und zugleich die unterschiedlichen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten beachten.

1.2

Der EWSA begrüßt, dass die EU-Kommission endlich die Initiative ergriffen hat und von den Mitgliedstaaten die Einführung einzelstaatlicher Systeme für den kollektiven Rechtsschutz auf der Grundlage gemeinsamer europäischer Prinzipien fordert. Diese Initiative war längst überfällig. Kollektive Rechtsschutzinstrumente sind sowohl im Interesse der Unionsbürger als auch der fair und gesetzeskonform tätigen Unternehmen. Sie schützen die Wirtschaft vor unfairem Wettbewerb und stärken das Vertrauen der Unionsbürger in die Wirtschaft.

1.3

Der EWSA bedauert, dass die EU-Kommission keinen Richtlinienvorschlag vorgelegt hat. Eine einfache Mitteilung und Empfehlung sind nicht geeignet, die notwendige einheitliche Umsetzung in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Der EWSA fordert die EU-Kommission daher auf, einen Richtlinienvorschlag vorzulegen. Die Sammelklage ist das einzige Verfahren, das einen umfassend wirksamen Rechtsbehelf in der Europäischen Union sicherstellen kann.

1.4

Der EWSA erkennt das Bemühen der EU-Kommission nach einem ausgewogenen Ansatz an, der die grundlegenden Verfahrensrechte der Parteien sichern und Missbrauch verhindern soll. Der EWSA unterstützt auch, dass die EU-Kommission sowohl kollektive Unterlassungs- als auch Schadenersatzklagen vorsehen will. Eine Ausweitung der Klagearten sollte geprüft werden.

1.5

Der EWSA begrüßt es, dass die EU-Kommission „class action“ nach amerikanischem Muster ablehnt. Eine Sammelklage nach europäischem Recht darf gerade keine „class action“ amerikanischer Art sein. Die hierzu von der EU-Kommission vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen sind adäquat und angemessen. Erfolgshonorare für Rechtsanwälte, die einen Anreiz für Streitverfahren schaffen und Strafschadenersatz werden zu Recht abgelehnt. Die Regeln über die Zulassung der Kläger und die Kostentragung müssen unter dem Aspekt des Zugangs zum Recht überarbeitet werden.

1.6

Der EWSA folgt dem Standpunkt der EU-Kommission, dass Einzelpersonen das Recht eingeräumt werden sollte, sich durch Opt-in-Verfahren kollektiven Streitsachen anzuschließen. Der EWSA sieht aber auch Fälle, in denen ein Opt-out-Verfahren Vorteile hat. Insbesondere bei vielen Geschädigten mit sehr geringen Schäden kann es angezeigt sein, die Streitsache auf alle etwaigen Geschädigten auszudehnen. Ob die EU-Kommission in diesen Fällen ein Opt-out-Verfahren für rechtlich zulässig ansieht, wird nicht deutlich. Der EWSA fordert die EU-Kommission daher auf, ihren Vorschlag zu präzisieren. Der EWSA empfiehlt zudem ein zentrales europäisches Klageregister zur Information potenzieller Kläger.

1.7

Der EWSA hat stets das Potenzial außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren betont. Der EWSA begrüßt daher den gewählten Ansatz der EU-Kommission, diese Verfahren als ergänzendes und für die Parteien freiwilliges Instrument zusätzlich vorzusehen und dem Richter die Aufgabe zuzuweisen, eine außergerichtliche Streitbeilegung zu fördern.

1.8

Der EWSA empfiehlt, gesonderte Kollisionsregelungen für die kollektiven Rechtsschutzklagen vorzusehen. Die Vorschriften über die Finanzierung des kollektiven Rechtsschutzes sind zu ergänzen. Das finanzielle Risiko für gemeinnützige Organisationen muss überschaubar sein. Hierzu gibt es Regelungen in den Mitgliedstaaten.

2.   Zusammenfassung der Mitteilung und Empfehlung der EU-Kommission

2.1

In der Mitteilung fasst die EU-Kommission die Ergebnisse der 2011 durchgeführten Konsultation „Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz“ zusammen (1). Außerdem gibt sie ihre Position zu zentralen Fragen des kollektiven Rechtsschutzes wieder. In der parallel hierzu veröffentlichten Empfehlung (2) legt sie den Mitgliedstaaten die Einführung einzelstaatlicher Systeme für den kollektiven Rechtsschutz auf der Grundlage gemeinsamer europäischer Prinzipien nahe. Die Mitgliedstaaten sollen die Grundsätze innerhalb von zwei Jahren in ihre innerstaatlichen Systeme integrieren. Nach vier Jahren wird die EU-Kommission prüfen, ob weitere Legislativmaßnahmen vorgeschlagen werden sollten.

2.2

Einzelstaatliche Rechtsschutzverfahren sollten in den Bereichen zur Verfügung stehen, in denen das EU-Recht Bürgern und Unternehmen Rechte garantiert. Die EU-Kommission will den Zugang zum Recht verbessern, gleichzeitig jedoch durch geeignete Maßnahmen gewährleisten, dass ein Klagemissbrauch verhindert wird.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA spricht sich — bei auch durchaus kontroverser Diskussion in der Meinungsfindung — seit über zwanzig Jahren für kollektive Rechtsschutzinstrumente auf Gemeinschaftsebene aus, die allein im Fall der Verletzung kollektiver Rechte einen effektiven Rechtsschutz ermöglichen (3). Der effektive Zugang zur Justiz ist als Grundrecht, als Bürgerrecht in der Europäischen Grundrechtscharta verankert. Verfahren zur kollektiven Rechtsdurchsetzung sind für die Unionsbürger, aber auch für kleinere und mittlere Unternehmen bei Massen- und Streuschäden notwendig, bei denen das Kostenrisiko möglicherweise nicht im Verhältnis zu den erlittenen Schäden steht. Sie decken weite Bereiche ab: etwa Verbraucherschutz, Wettbewerb, Umweltschutz, Datenschutz. Nur so kann dem Recht aus Artikel 47 Absatz 1 der Grundrechtscharta Geltung verschafft werden.

3.2

Vor diesem Hintergrund begrüßt der EWSA die nun von der EU-Kommission ergriffene Initiative, auch wenn er sich ein deutlich schnelleres, früheres und was die Wahl der Rechtsinstrumente betrifft, zielgerichteteres Tätigwerden gewünscht hätte. Die Frage der gerichtlichen Durchsetzung kollektiver Rechtsansprüche wird seit 1985 auf europäischer Ebene diskutiert, Entscheidungen waren daher überfällig (4).

3.3

Der EWSA nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass die EU-Kommission ausschließlich für den Bereich des Wettbewerbsrechtes (5) das Instrument der Richtlinie gewählt hat. Der EWSA hat stets betont, dass eine Empfehlung nicht geeignet ist, die notwendige wirksame und einheitliche Umsetzung in den Mitgliedstaaten zu garantieren (6). Vor dem Hintergrund, dass die Verfahren in den Mitgliedstaaten sehr uneinheitlich sind, würde allein eine Richtlinie ein Grundmaß an Harmonisierung gewährleisten, den Mitgliedstaaten aber gleichzeitig genügend Spielraum zur Berücksichtigung der Besonderheiten ihrer nationalen Rechtsordnungen geben. Der EWSA fordert die EU-Kommission auf, schnellstmöglich eine Richtlinie vorzulegen.

3.4

Es ist positiv, dass die EU-Kommission einen horizontalen Ansatz verfolgt. Der EWSA hat bereits früher festgestellt, dass Politikbereiche wie Verbraucherschutz, Binnenmarkt und die Wettbewerbspolitik eng zusammenhängen (7). Die Initiativen zur leichteren Inanspruchnahme von Rechtsbehelfen müssen umfassend koordiniert werden, um unnötige Mehrfachregelungen zu vermeiden. Daher begrüßt der EWSA, dass die EU-Kommission die Empfehlung und den Richtlinienvorschlag im Wettbewerbsrecht als ein Paket ansieht (8).

3.5

Der EWSA erkennt den ausgewogenen Ansatz der EU-Kommission an, der unter Anerkennung der unterschiedlichen Rechtstraditionen die grundlegenden Verfahrensrechte der Parteien sichern und gleichzeitig einen Klagemissbrauch verhindern soll.

3.6

Der EWSA hat stets einen effektiven Schutz gegen missbräuchliche Praktiken angemahnt. Der EWSA begrüßt daher nachdrücklich, dass die EU-Kommission „class action“ nach amerikanischem Muster ablehnt. Der Ausschuss hat stets betont, dass eine Sammelklage nach europäischem Recht keine „class action“ amerikanischer Art sein darf (9). Der EWSA hat deswegen auch stets darauf gedrungen, Erfolgshonorare und Regelungen, die wirtschaftliche Anreize für Dritte beinhalten, zu verhindern (10). Diese Forderungen sind in den Empfehlungen umgesetzt.

3.7

Die EU-Kommission weist zudem zutreffend daraufhin, dass kollektive Schadenersatzklagen auf den Ersatz des Schadens gerichtet sein sollten, der nachweislich durch einen Verstoß gegen Unionsrecht entstanden ist. Strafe und Abschreckung sollten der öffentlichen Rechtsverfolgung vorbehalten sein.

3.8

Der EWSA bedauert es aber, dass die EU-Kommission keine gesonderten Vorschläge zum Gerichtsstand und zum anwendbaren Recht gemacht hat. Denn so kann es vorkommen, dass in grenzüberschreitenden Streitsachen unterschiedliche Entschädigungsregelungen vom Gericht anzuwenden sind. Auch Mehrfachzuständigkeiten und damit die Gefahr des forum-shopping sind nicht ausgeschlossen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Unterlassungs- und Schadenersatzklagen

4.1.1

Der EWSA begrüßt, dass die Vorschläge sowohl Unterlassungs- als auch Schadenersatzklagen bei Massenschadenereignissen umfassen. Positiv ist in diesem Zusammenhang zudem hervorzuheben, dass die Überlegungen der EU-Kommission offensichtlich sowohl für geringe als auch für hohe Streitwerte gelten sollen.

4.1.2

Unabhängig hiervon könnte es aus Verbraucherschutzsicht angezeigt sein, die Beschränkung auf Unterlassungs- und Schadenersatzklagen zu hinterfragen. Es könnte möglicherweise sinnhaft sein, weitere kollektive Rechtsschutzelemente für Sachverhalte vorzusehen, bei denen zwei oder mehr Personen durch ein und denselben rechtswidrigen Verstoß gegen EU-Recht betroffen sind. In Betracht könnte dies z. B. für Feststellungsklagen, Irrtumsanfechtungen oder Gewährleistungsansprüche gezogen werden. Dies sollte von der EU-Kommission berücksichtigt werden.

4.2   Rolle des Gerichtes

4.2.1

Der EWSA hat bereits in seinen früheren Stellungnahmen die zentrale Rolle der Richter in Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes betont (11). Diese Anforderungen werden erfreulicherweise von der EU-Kommission aufgegriffen. Eine frühzeitige Prüfung des Richters, ob eine Klage offensichtlich unbegründet ist, ist ein wichtiges Schutzelement gegen den Missbrauch kollektiver Schadenersatzklagen.

4.2.2

Soweit Behörden ermächtigt sind, die Verletzung von Unionsrecht festzustellen, sollte die Erhebung der Privatklage nicht erst nach Abschluss dieses Verfahrens zulässig sein. Eine lange Verfahrensdauer kann zur Rechtsschutzverweigerung führen. Hier kann die Rolle des Richters — etwa durch eine zeitweise Aussetzung des Verfahrens — gestärkt werden.

4.3

Klagebefugnis. Um einen Klagemissbrauch zu vermeiden, sollten eindeutige und klare Kriterien für die Klagebefugnis von Vertreterorganisationen aufgestellt werden. Der EWSA begrüßt daher auch, dass die EU-Kommission Mindestanforderungen für die Organisationen vorsieht, die Geschädigte vertreten sollen. Es ist richtig, dass diese Organisationen gemeinnützig sein sollen und keine Interessenkonflikte bestehen dürfen. Überzogen und nicht akzeptabel ist, dass zu den Mindestanforderungen auch ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen sowie juristischer Sachverstand gehören sollen. Es stellt sich die Frage, nach welchen Maßstäben dies im Einzelfall tatsächlich entschieden werden soll. Hier sind vertiefte Überlegungen erforderlich. Neuere Gesetzgebungsverfahren in den Mitgliedstaaten können hier gute Anstöße geben.

4.4

Wirksamer Schadenersatz. Es ist von überragender Bedeutung, dass den Geschädigten der reale Wert der erlittenen Verluste in vollem Umfang ersetzt wird (12). Die Empfehlungen der EU-Kommission tragen diesem Grundsatz Rechnung. In diesem Zusammenhang ist auch zu begrüßen, dass Erfolgshonorare für Anwälte, die zulasten der Entschädigung des Klägers gehen, nicht zugelassen werden sollen (13).

4.5   Opt-in-Verfahren oder Opt-out-Verfahren

4.5.1

Der EWSA hat in seiner Stellungnahme vom 14. Februar 2008 ausführlich die Vor- und Nachteile der Opt-in- und Opt-out-Sammelklagen beschrieben (14). Er hat sich in dieser und den nachfolgenden Stellungnahmen für ein gemischtes System ausgesprochen, das die Vorteile beider Regelungen miteinander kombiniert (15).

4.5.2

Einzelpersonen sollte das Recht eingeräumt werden, sich durch Opt-in-Verfahren kollektiven Streitsachen anzuschließen, anstatt einfach davon auszugehen, dass sie ohne gegenteilige Erklärung Klagepartei sind (opt-out) (16). Der EWSA sieht aber auch Fälle, in denen ein Opt-out-Verfahren Vorteile hat. Insbesondere bei vielen Geschädigten mit sehr geringen Schäden kann es angezeigt sein, die Streitsache auf alle etwaigen Geschädigten auszudehnen (17).

4.5.3

Kläger sollte dann eine qualifizierte Vertreterorganisation im Sinne der Empfehlung der EU-Kommission sein.

4.5.4

Ob die EU-Kommission in diesen Fällen ein Opt-out Verfahren für rechtlich zulässig ansieht, wird nicht deutlich. Vielmehr beschränkt sie sich auf den allgemeinen Hinweis, dass vom Opt-in-Prinzip (nur) aus Gründen der ordnungsgemäßen Rechtspflege abgewichen werden könne. Wann solche Gründe vorliegen, erläutert sie jedoch leider nicht. Der EWSA fordert die EU-Kommission daher auf, ihren Vorschlag zu präzisieren (18).

4.6

Information über kollektive Rechtsschutzverfahren. Der EWSA bedauert, dass die Empfehlung kein elektronisches Klageregister auf europäischer Ebene zur Benachrichtigung und Erfassung potenzieller Kläger vorsieht. Ein solches Register, das von Geschädigten in der gesamten Europäischen Union eingesehen werden kann, könnte effizient und kostengünstig geführt werden (19) und wäre eine Hilfe für die Unionsbürger und die Unternehmen, ihre Rechte wahrzunehmen.

4.7

Alternative kollektive Streitbeilegungsverfahren. Außergerichtliche kollektive Streitbeilegungsmechanismen können eine nützliche Ergänzung für die Beilegung von Streitigkeiten sein (20). Der EWSA hat stets das Potenzial entsprechender Verfahren betont (21). Der EWSA begrüßt daher den gewählten Ansatz, diese Verfahren als ergänzendes und für die Parteien freiwilliges Instrument zusätzlich vorzusehen. Im Übrigen ist es zwingend, dass Verjährungs- oder Ausschlussfristen während außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren nicht ablaufen dürfen. Wie bei kollektiven Folgeklagen sollte dies von der EU-Kommission klargestellt werden.

4.8

Kollektive Folgeklagen. In Bereichen mit öffentlicher Rechtsdurchsetzung wie z. B. dem Wettbewerbsrecht muss eine wirksame behördliche Durchsetzung gewährleistet sein und gleichzeitig den Opfern von Rechtsverstößen gegen Unionsrecht die Durchsetzung ihrer Schadenersatzansprüche erleichtert werden (22). Der Vorschlag der EU-Kommission hierzu ist ausgewogen, weil bis zum Abschluss der behördlichen Verfahren Verjährungs- oder Ausschlussfristen zulasten der Opfer nicht ablaufen sollen.

4.9   Finanzierung des kollektiven Rechtsschutzes

4.9.1

Begründete Schadenersatzklagen müssen ermöglicht werden, ohne dass hohe Verfahrenskosten diese Möglichkeit einschränken. Der EWSA begrüßt daher die Forderung der EU-Kommission an die Mitgliedsstaaten, dass die Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes nicht übermäßig teuer sein sollen.

4.9.2

Die EU-Kommission sollte ihre Überlegungen hierzu allerdings noch weiter präzisieren. Für gemeinnützige Vertreterorganisationen können die Verfahrens- und Rechtsanwaltskosten eine unüberwindbare Hürde darstellen. Dies insbesondere dann, wenn sie im Falle des Unterliegens etwa mit existenzbedrohenden Gutachterkosten belastet werden könnten. Für solche gemeinnützigen Organisationen sollte daher — analog zu arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen in einzelnen Mitgliedstaaten — eine Begrenzung der Verfahrenskosten in Erwägung gezogen werden. Es sprechen gewichtige Gründe dafür, im Falle der Bereicherung ein System der Gewinnabschöpfung zugunsten gemeinnütziger Organisationen zu prüfen.

4.9.3

Die Entscheidung, Drittfinanzierungen unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen, unterstützt der EWSA ebenfalls. Die von der EU-Kommission genannten Bedingungen wie u. a. Transparenz über die Herkunft der Finanzierungsmittel sind angemessen und adäquat, um einen Klagemissbrauch zu verhindern.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2010) 135 final vom 31.3.2010.

(2)  Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. L 201 vom 26.7.2013, S. 60.

(3)  Vgl. hierzu: ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 97; ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 89, Ziffer 3.30.

(4)  Siehe hierzu ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1, Ziff. 3.6 ff., Ziff. 7 ff.; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 97.

(5)  COM(2013) 404 final vom 11.6.2013.

(6)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1, Ziffer 8.1.

(7)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 40, Ziffer 4.2.1.

(8)  Vgl. hierzu COM(2013) 401 final, Fußnote 10.

(9)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1, Ziffer 7.1.2; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 97, Ziffer 5.2.3.

(10)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1, Ziffer 7.1.2; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 97, Ziffer 5.2.3.

(11)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1, Ziffer 7.3 ff.; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 97, Ziffer 5.2.3.

(12)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 97, Ziffer 5.2.3.

(13)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 40, Ziffer 4.8.4.

(14)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1, Ziffer 7.2 ff.

(15)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1, Ziffer 7.2.3.1; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 97, Ziffer 5.2.3; ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 40, Ziffer 4.4.1 und 4.4.2.

(16)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 97, Ziffer 5.2.3.

(17)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1, Ziffer 7.2.3.1; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 97, Ziffer 5.2.3; ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 40, Ziffer 4.4.1 und 4.4.2.

(18)  Die EU-Kommission sollte in diesem Rahmen auch nochmals klarstellen, wann und unter welchen Voraussetzungen Opt-out Verfahren mit dem Gebot auf rechtliches Gehör, das in Art. 41 Abs. 2, 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union seinen Niederschlag gefunden hat, vereinbar sind. Dies ist insbesondere auch für die Mitgliedsstaaten wichtig, in denen das Recht auf Gehör, wie z. B. in Deutschland, durch die Verfassung geschützt ist.

(19)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 40, Ziffer 4.8.5.

(20)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 97, Ziffer 5.3.5.

(21)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 93.

(22)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 40, Ziffer 3.6.1.


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/73


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates

(COM(2013) 512 final — 2013/0246 (COD))

2014/C 170/12

Hauptberichterstatterin: Anna Maria DARMANIN

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 6. September 2013 bzw. 10. September 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates

COM(2013) 512 final — 2013/0246 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 12. November 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 11. Dezember), Anna Maria DARMANIN zur Hauptberichterstatterin zu bestellen, und verabschiedete mit 96 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag für eine Richtlinie über Pauschal- und Bausteinreisen. Angesichts der Tatsache, dass der Anwendungsbereich und die Begriffsbestimmungen wesentliche Elemente des Richtlinienvorschlags sind, unterbreitet er folgende Empfehlungen:

Geschäftsreisen oder Kombinationen aus Geschäfts- und Privatreisen, die nicht auf der Grundlage eines Rahmenvertrags in Form von Pauschal- oder Bausteinreisen erworben wurden, sollten eindeutig in den Anwendungsbereich des Vorschlags fallen.

Veranstalter gelegentlicher Reisen sollten auch in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, um gleiche Wettbewerbsbedingungen sowie einen angemessenen Verbraucherschutz zu gewährleisten. Deshalb sollte der Begriff „gelegentlich veranstaltete Reisen“ in Erwägungsgrund 19 des Vorschlags gestrichen werden.

Pauschal- und Bausteinreisen, die weniger als 24 Stunden dauern, sollten in den Anwendungsbereich des Vorschlags aufgenommen werden. Aufgrund der begrenzten Dauer ist das Risiko für die Unternehmen geringer, während die Verbraucher möglicherweise mit ebenso vielen Problemen konfrontiert sind wie bei allen anderen Arten von Pauschalreisen. Darüber hinaus existiert diese Begrenzung in einigen Ländern nicht.

Buchungsangaben, wie in der Definition der „Pauschalreise“ in Artikel 3 (2) (b) v) erwähnt, sollten sämtliche übermittelten kundenbezogenen Angaben umfassen — und nicht nur die in Erwägungsgrund 18 des Vorschlags genannten Kreditkartendaten.

Im letzten Satz von Artikel 3 (2) (b) v) sollte der Wortlaut „spätestens bei Bestätigung der Buchung der ersten Leistung“ gestrichen werden, da der Hinweis auf einen konkreten Zeitpunkt problematisch und verwirrend ist.

Die Hinweise auf „denselben“ Buchungsvorgang und „getrennte“ Buchungsvorgänge in Artikel 3 (2) (b) i) bzw. 3 (5) (a) sollten gestrichen werden.

1.2

Der EWSA begrüßt die Schritte hin zu größerer Transparenz. Die Methoden für eine solche Transparenz sollten im Interesse eines einfacheren Bezugs eindeutig und praktikabel sein und nicht allein im Ermessen des Reisebüros liegen.

1.3

Zwar unterstützt der EWSA die digitale Verbreitung von Informationen, unterstreicht aber, dass einige europäische Verbraucher nicht über entsprechende Möglichkeiten — entweder aus eigener Entscheidung oder aufgrund eines begrenzten Zugangs — verfügen und dass sie hinsichtlich des Zugangs zu Informationen über Pauschalreisen oder der Aktualisierung dieser Informationen nicht diskriminiert werden sollten.

1.4

Der EWSA hält eine klarere Definition „angemessener“ Annullierungsgebühren für erforderlich, und betont, dass eine Entschädigung von 100 EUR unzureichend ist und die derzeitigen Verbraucherrechte schmälert.

1.5

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Richtlinie 90/314/EWG geändert und im Hinblick auf neue Technologien angepasst werden kann, ohne das Verbraucherschutzniveau abzusenken.

2.   Hintergrund

2.1

Die Richtlinie über Pauschal- und Bausteinreisen ist die seit langem erwartete Aktualisierung der Pauschalreisen-Richtlinie von 1990. Diese aktualisierte Richtlinie berücksichtigt die neuen digitalen Medien als Instrumente der Verbraucher zur Buchung von Reisen und tilgt einige veraltete Aspekte.

2.2

Die Kommission hat 2007 damit begonnen, die Richtlinie mithilfe von Folgenabschätzungen, Konsultationen und einschlägigen Treffen von Interessenträgern zu überarbeiten.

3.   Definition

3.1

Kernelemente der aktualisierten Richtlinie sind ihr Anwendungsbereich und ihre Begriffsbestimmungen. Der Anwendungsbereich deckt ein breiteres Spektrum von Reisen ab, z. B.:

im Voraus festgelegte Pauschalreisen, die über ein stationäres Reisebüro oder ein Online-Reisebüro gebucht wurden;

die neue Kategorie der maßgeschneiderten Pauschalreisen, die bei einem Online- oder stationären Reisebüro gebucht wurden;

andere maßgeschneiderte Reisearrangements (Bausteinreisen), bei denen ein stationäres oder Online-Reisebüro als Mittler auftritt.

3.2

In den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen nicht die unabhängigen Reisearrangements oder Geschäftsreisearrangements. Auch werden andere Bereiche definiert, die in Artikel 2 ausgeschlossen sind. In dieser Hinsicht ist der EWSA der Auffassung, dass der Ausschluss in Artikel 2 (2) (c) in keiner Weise einen Unternehmer oder einen seiner Angestellten betreffen darf, der eine Baustein- oder Pauschalreise aus beruflichen Gründen bzw. eine kombinierte Dienst- und Privatreise antritt, die nicht in den Anwendungsbereich eines Rahmenvertrags fällt. Im Grunde würden damit solche Reisen unter die Definition der Pauschal- und/oder Bausteinreisen fallen.

3.3

Die neue Definition gewährleistet einen größeren, über traditionelle Pauschalurlaube hinausgehenden Anwendungsbereich der Pauschalreisen und erstreckt sich auch auf modernere Formen des Verreisens, wodurch weitere 23% der Urlauber erfasst werden. Es wird erwartet, dass fast die Hälfte der Urlauber (46%) von dieser neuen Richtlinie betroffen sein werden (1). Sieben von 10 traditionellen Pauschalreisen werden in einem stationären Reisebüro erworben. Allerdings buchen einige Verbraucher solche Reisen über das Internet, das auch zunehmend für maßgeschneiderte Pauschalreisen genutzt wird (2).

3.4

Der EWSA begrüßt diese neue umfassendere Definition der Pauschalreisen, in der es eindeutig um Fragen im Zusammenhang mit maßgeschneiderten Pauschalreisen geht, die nicht Gegenstand der Richtlinie von 1990 waren, auch wenn die Verbraucher generell von einem bestehenden Schutz ausgingen. Aus der Sicht der EWSA werden bei Pauschalreisen nicht notwendigerweise Transport und Unterbringung kombiniert; vielmehr handelt es sich um eine Kombination mindestens zweier unterschiedlicher Komponenten, z. B. Automiete oder Ausflüge, Transport, Unterbringung, Sport oder andere Aspekte eines individuellen Urlaubs.

3.5

In Artikel 3 (2) werden Pauschalreisen unter mehreren Aspekten definiert. Der EWSA ist mit der Definition zufrieden, unterstreicht aber, dass die „Angaben“ gemäß Artikel 3 (2) (b) v) sämtliche übermittelten kundenbezogenen Buchungsangaben umfassen sollten — und nicht nur die Kreditkartendaten, wie in Erwägungsgrund 18 der Richtlinie genannt. Der EWSA empfiehlt deshalb die Streichung der letzten beiden Sätze in Erwägungsgrund 18. Darüber hinaus betont der EWSA, dass eine solche Datenübermittlung nicht an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden werden sollte, und empfiehlt deshalb die Streichung des Wortlauts „spätestens bei Bestätigung der Buchung der ersten Leistung“ in Erwägungsgrund 18 und in Artikel 3 (2) (b) v).

3.6

Der EWSA weist darauf hin, dass die Richtlinie auch auf Veranstalter angewandt werden sollte, die gelegentlich Pauschalreisen veranstalten und deren Aufgaben und Pflichten ebenfalls Rechnung zu tragen ist. Damit würden ein Schutz für die Verbraucher unabhängig vom Reiseveranstalter sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Pauschalreiseveranstalter gewährleistet. Deshalb empfiehlt der EWSA die Streichung des Begriffs „gelegentlich veranstaltete Pauschalreisen“ in Erwägungsgrund 19 des Vorschlags.

3.7

Pauschal- und Bausteinreisen, die weniger als 24 Stunden dauern, sollten in den Anwendungsbereich des Vorschlags aufgenommen werden. Aufgrund der begrenzten Dauer ist das Risiko für die Unternehmen geringer, während die Verbraucher möglicherweise mit ebenso vielen Problemen konfrontiert sind wie bei allen anderen Arten von Pauschalreisen. Darüber hinaus existiert in einigen Ländern eine solche Begrenzung nicht (3).

4.   Transparenz

4.1

Der Vorschlag zielt auf eine größere Transparenz für die Verbraucher ab und gewährleistet, dass die Verbraucher über die Art des Vertrags, den sie eingehen, und über ihre jeweiligen Rechte informiert werden. Es geht darum, frühere Fälle zu vermeiden, in denen Verbraucher irrtümlich in dem Glauben gelassen worden, sie seien geschützt.

4.2

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass Verbraucher klarer und umfassender über das informiert werden, wozu sie zustimmen. In der Praxis ist diese Transparenz jedoch nicht so unproblematisch wie man denken könnte, denn die Entscheidung über die Umsetzungsmethoden wird dem Reisebüro überlassen.

4.3

Die Verantwortung sollte nicht nur beim Veranstalter, sondern sowohl beim Veranstalter als auch beim Reisebüro liegen. Die Verbraucher sind sich häufig nicht darüber im Klaren, wer welche Rolle in der Vertragskette spielt; so halten sie das Reisebüro oftmals für den Vertragspartner. Darüber hinaus sollten die Verbraucher nicht vom guten Willen der Reisebüros hinsichtlich der Übermittlung von Beschwerden abhängen. Deshalb ist die ordnungsgemäße Umsetzung von Artikel 13 von entscheidender Bedeutung.

5.   Spezifische Veröffentlichungsvorschriften

5.1

Der in der Richtlinie von 1990 geforderte Nachdruck von Broschüren ist mit dem Internet hinfällig geworden, das eine neue Ära der Verbraucherinformation eingeläutet hat. Durch die Streichung dieser Forderung wird die Branche 390 Mio. EUR einsparen (4). Allerdings sieht der neue Vorschlag noch immer vor, dass die Verbraucher in der Vertragsphase sämtliche Informationen erhalten und schriftlich über jegliche Änderung in Kenntnis gesetzt werden müssen.

5.2

Der EWSA begrüßt die Einsparungen für die Branche, fordert aber nachdrücklich, die eingesparten Mittel in Innovation, Beschäftigung und Wachstum zu investieren. Er ist aber der Ansicht, dass Verbraucher, die aus eigener Entscheidung oder wegen mangelnder Möglichkeiten nicht auf das Internet zurückgreifen, beim Zugang zu korrekten Informationen nicht benachteiligt werden sollten.

6.   Vorvertragliche Informationen und Vertragsänderungen

6.1

Der EWSA betont, dass vorvertragliche Informationen durch ein beständiges Medium bereitgestellt werden sollten, damit die Verbraucher jederzeit darauf zurückgreifen können.

6.2

Der EWSA akzeptiert, dass — vorvertragliche oder vertragliche — Informationen, die den Reisenden zur Verfügung gestellt werden, geändert werden können; allerdings sind Name und Anschrift des Anbieters zu wichtig, als dass sie geändert werden könnten: sie sollten deshalb nicht Gegenstand von Änderungen sein.

6.3

Erhebliche Vertragsänderungen sollten nur möglich sein, wenn sie keine Nachteile für den Reisenden mit sich bringen. Darüber hinaus sollte die Billigung der Änderung durch den Verbraucher ausdrücklich und nicht, wie in Artikel 9 2. (b) vorgeschlagen, stillschweigend sein.

6.4

Das Recht des Veranstalters, die Pauschalreise zu annullieren, wenn die Mindestteilnehmerzahl nicht erreicht ist, sollte gestrichen werden. Auch wenn diese Möglichkeit bereits in der derzeitigen Richtlinie besteht, ist sie nicht länger gerechtfertigt, da die Vermittler dank technischer Mittel die Risiken im Zusammenhang mit ihren Angeboten und Geschäftstätigkeiten leicht abschätzen und bewältigen können.

6.5

Die Verträge sollten in der Sprache der betroffenen Verbraucher verfasst sein.

7.   Rücktrittsrechte

7.1

Gemäß den neuen Bestimmungen hat der Verbraucher nicht nur weiterhin das Recht, einen Vertrag auf einen Dritten zu übertragen, sondern jetzt auch, von einem Vertrag zurückzutreten. Im Falle des Rücktritts ist er verpflichtet, dem Veranstalter eine Entschädigung zu zahlen, um die angefallenen Kosten zu decken.

7.2

Der EWSA unterstützt die Ausweitung des Rechts der Verbraucher auf Rücktritt vor Reisebeginn. Er bezweifelt jedoch den eigentlichen Wert „angemessener“ Gebühren im Falle der Annullierung durch den Verbraucher. In der Richtlinie sollten allgemeine Grundsätze oder Vorschriften über die Methode für die Berechnung der Entschädigungszahlung durch den Verbraucher festgelegt werden. Die Gebühren sollten nicht unverhältnismäßig oder übermäßig hoch sein.

7.3

Der Verbraucher sollte aber vom Vertrag aus Gründen zurücktreten können, die unvorhergesehen sind und außerhalb seiner Kontrolle liegen, z. B. Krankheit oder Todesfall in der Familie, und zwar ohne Entschädigung, was dem vorgeschlagenen Recht des Veranstalters entspricht, eine Reise im Falle höherer Gewalt ohne Entschädigung zu annullieren.

8.   Haftung bei Nichterfüllung

8.1

Eine Entschädigung bis 100 EUR und drei Nächte pro Reisender ist für den EWSA vollkommen inakzeptabel. Dies steht im Widerspruch zur allgemeinen Verpflichtung des Veranstalters, die Pauschalreise so durchzuführen, wie sie mit dem Verbraucher vereinbart wurde. Darüber hinaus widerspricht dies dem Grundsatz der Totalrestitution, einem allgemeinen Rechtsgrundsatz in allen EU-Mitgliedstaaten. Die Preisgrenze sollte nie für Personen mit eingeschränkter Mobilität gelten.

8.2

Der EWSA begrüßt, dass im Richtlinienvorschlag ausdrücklich auf die Rechte behinderter Menschen hingewiesen wird, z. B. in Kapitel 4.

8.3

Der EWSA empfiehlt der Kommission, in den Erwägungsgründen des Richtlinienvorschlags auf die Zertifizierung der Zugänglichkeit und ihre Standardisierung hinzuweisen, weil es sich dabei um außerordentlich nützliche Informationen für den Reiseveranstalter handelt.

8.4

Der EWSA ist damit einverstanden, dass der Grundsatz, dem zufolge die Reisenden dazu verpflichtet sind, den Veranstalter „mindestens 48 Stunden vor Beginn der Reise von ihren besonderen Bedürfnissen in Kenntnis“ zu setzen, auch auf Menschen mit Behinderungen angewandt wird. Er unterstreicht jedoch, dass häufig ein Reisender dem Veranstalter diese Informationen zwar übermitteln möchte, aber nicht die erforderlichen Kommunikationswege findet. Es ist deshalb wichtig, dass der Reisende über die Methoden zur Übermittlung dieser Informationen (z. B. ein spezielles Eingabefeld im Online-Antragsformular) aufgeklärt wird.

9.   Verbessertes Regresssystem

9.1

Regress ist ein Kernstück des Verbraucherschutzes. Bisher waren Verbraucher mitunter mit einer für sie ärgerlichen Situation konfrontiert, in der die Verantwortung von einem Dienstleistungserbringer auf den anderen abgewälzt wurde. Im Vorschlag wird auf die Notwendigkeit einer zentralen Kontaktstelle für Problemfälle hingewiesen.

9.2

Der EWSA befürwortet die Vereinfachung des Regresses für Verbraucher durch eine zentrale Kontaktstelle für das Auftreten von Schwierigkeiten im Rahmen von Pauschalreisen. Bereits bei Beginn der Gespräche über einen Pauschalreisevertrag sollte die zentrale Kontaktstelle klar benannt werden.

9.3

Verbraucher sollten nicht gezwungen sein, umgehend Beschwerde einzureichen, sondern dafür ausreichend Zeit haben. Auf diese Weise bleibt ihnen nicht das Recht auf Regress nach der Reise vorenthalten.

10.   Auswirkungen des Vorschlags

10.1

Der EWSA erkennt die erheblichen Auswirkungen dieses neuen Vorschlags sowohl für die Verbraucher als auch für die Unternehmen an. Es gibt eine Reihe von Vorteilen für beide Seiten, so wie sie in der Pressemitteilung der Kommission zu diesem Thema dargestellt werden.

10.2

Der überarbeitete Vorschlag wird zu einer Stärkung des Verbraucherschutzes in Teilbereichen und zu Einsparungen für die Branche führen. Dennoch hat der EWSA weiterhin Bedenken im Hinblick auf die ordnungsgemäße Information der Verbraucher und die klaren Zuständigkeiten seitens der Branche.

10.3

Darüber hinaus sollten individuelle Reisearrangements, obwohl sie nicht durch diese Richtlinie abgedeckt sind, nicht mit einem geringeren Verbraucherschutz verbunden sein.

11.   Konsolidierung der Rechtsvorschriften

11.1

Der EWSA erkennt ein Problem in der Fragmentierung der Rechtsvorschriften über Reise- und Urlaubsrechte und hält einen stärker harmonisierten Ansatz für erforderlich. Reisen und Urlaube sind nicht Gegenstand der allgemeinen Verbraucherrechtsbestimmungen im Sinne der Verbraucherrechtsrichtlinie 2011/83. Dieser Ausschluss leistet der Fragmentierung Vorschub und höhlt den Schutz europäischer Verbraucher bei Reisen aus. Außerdem werden Individualreisen auf unterschiedliche Weise in anderen Richtlinien abgedeckt, wobei sie eine Sonderbehandlung erhalten. Die Fülle und Bandbreite der Rechte in den einzelnen Richtlinien führen dabei zu einer noch größeren Verwirrung der Verbraucher.

12.   Insolvenz

12.1

Der im Vorschlag vorgesehene Schutz der Verbraucher vor Insolvenz ist positiv: Damit wird vermieden, dass Verbraucher, die eigentlich ihren Urlaub genießen möchten, im Falle einer Insolvenz hilflos dastehen. Allerdings sollte die Verwaltungszusammenarbeit gewährleistet sein, und die angegebenen Kontaktstellen sollten rasch tätig werden.

13.   Überprüfung

13.1

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission beabsichtigt, dem Rat und dem Parlament binnen fünf Jahren einen Bericht über die Anwendung dieses Vorschlags vorzulegen und auch Legislativvorschläge zu unterbreiten. Der EWSA betont, dass eine solche Überprüfung umgehend nach Inkrafttreten der Richtlinie beginnen sollte; damit wird gewährleistet, dass in den Frühphasen ein klares Bild von der Umsetzung besteht und dass die Annahme der Legislativvorschläge nicht übermäßig viel Zeit erfordert.

14.   Harmonisierung und Verhältnis zum allgemeinen Vertragsrecht

14.1

Die von der Kommission vorgeschlagene umfassende Harmonisierung sollte nicht zur Absenkung des gegenwärtigen Verbraucherschutzniveaus führen. Es sollte den Mitgliedstaaten freistehen, die Bestimmungen der Richtlinie zu ergänzen und bestehende nationale Rechtsvorschriften beizubehalten.

14.2

Der EWSA betont, dass das System spezifischer Rechtsbehelfe für den Fall, dass ein Unternehmen eine Leistung nicht und nur unzureichend erbringt, Auswirkungen auf das allgemeine Vertragsrecht in den Mitgliedstaaten hat und deshalb das Verhältnis zwischen dem Vorschlag und dem allgemeinen Vertragsrecht geklärt werden muss.

15.   Weitere Aspekte

15.1

Bestimmte Begriffe im Kommissionsvorschlag sollten klarer definiert werden, z. B. „erheblicher Teil“ (Artikel 2 (2) (d)), „bestimmte angemessene Frist“ (Artikel 9 (2) (b)), und „unverhältnismäßig“ (Artikel 11 (2)).

15.2

Artikel 3 (2) (b) (i) und (5) (a) sind widersprüchlich und müssen geklärt werden.

15.3

Die Kommission sollte neben den Gebühren und Fristen gemäß Artikel 10 (1) und den außergewöhnlichen Umständen gemäß Artikel 12 (3) iii) eine nicht erschöpfende vorläufige Liste aller anderen touristischen Dienstleistungen (Artikel 3 (1) (d)) erstellen.

Brüssel, den 11. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Daten basierend auf der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission SEC(2013) 263 final.

(2)  Umfrage des Europäischen Verbraucherbunds (BEUC) und seiner Mitglieder zum Thema „Urlaub und Reise“.

(3)  In Ungarn und Österreich sind z. B. Reisen unter 24 Stunden abgedeckt. Bereits in einer Reihe von Ländern (z. B. Spanien) werden immer häufiger Kombinationen von Transport + Abendessen + Eintrittskarten angeboten, um eine Show oder eine Sportveranstaltung zu besuchen, wobei die gesamte Dienstleistung innerhalb von 24 Stunden ohne Unterkunft erbracht wird.

(4)  Daten basierend auf der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission SEC(2013) 263 final.


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/78


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge

(COM(2013) 550 final — 2013/0265 (COD)) und

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2013/36/EU und 2009/110/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG

(COM(2013) 547 final — 2013/0264 (COD))

2014/C 170/13

Berichterstatter: Vincent FARRUGIA

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 8. Oktober 2013 bzw. am 31. Oktober 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge

COM(2013) 550 final — 2013/0265 (COD)

und

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2013/36/EU und 2009/110/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG

COM(2013) 547 final — 2013/0264 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 11. Dezember) mit 176 gegen 22 Stimmen bei 12 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die beiden Legislativvorschläge im Rahmen des am 24. Juli 2013 veröffentlichten Pakets für Zahlungsdienste, das aus dem Vorschlag für eine überarbeitete Zahlungsdiensterichtlinie (PSD II) und den Vorschlag für eine Verordnung über Interbankenentgelte besteht.

1.2

Der EWSA betont, dass diese Vorschläge rasch durch den Rechtsetzungsprozess gebracht werden müssen, damit für Transparenz bezüglich der echten Kosten von Kartenzahlungen gesorgt und die Schranken für die Teilnahme am Zahlungsverkehrsmarkt — einschließlich der multilateralen Interbankenentgelte — beseitigt werden können. Der EWSA stellt fest, dass es immer noch keinen, auf empirischen Daten basierenden Rechtsrahmen für den Zahlungsverkehrsmarkt gibt, der zu einer vollständigen Harmonisierung des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (SEPA) führen würde. Außerdem muss der Rechtsrahmen einen freien und offenen Wettbewerb im Interesse des Verbraucherwohls und des reibungslosen Funktionierens des freien Markts ermöglichen. Der europäische Zahlungsverkehrsmarkt muss sich weiterentwickeln und auf neue Zahlungsmodelle und technologische Entwicklungen einstellen.

1.3

Der EWSA unterstützt die von der Kommission in der Verordnung über Interbankenentgelte vorgeschlagenen Obergrenzen im Großen und Ganzen; er empfiehlt indes, dass die Obergrenzen für elektronische Kredit- und Debitkartenzahlungen unter den derzeit vorgeschlagenen Werten liegen sollten. Ein Debitsystem, das ohne ein Interbankensystem auskäme, würde Europa eine wirklich preiswerte, einfache und wirksame elektronische Alternative für Barzahlungen bieten und größere Chancen für den elektronischen Geschäftsverkehr — sowohl auf nationaler als auch grenzüberschreitender Ebene — eröffnen. Parallel dazu würden geringere Kosten für Kreditkartenzahlungen Verbrauchern und Wirtschaft größeren Nutzen erbringen.

1.4

Der EWSA hält diese Maßnahmen für so wichtig, dass sie möglichst zeitnah umgesetzt werden sollten. Die Obergrenzen sollten auf nationaler Ebene möglichst binnen sechs Monaten, spätestens aber ein Jahr nach Annahme der Verordnung eingeführt werden.

1.5

Der EWSA schlägt vor, eine Möglichkeit zu finden, um auch die unter dem Drei-Parteien-System erhobenen Gebühren zu begrenzen. Die Kommission stellt in der zusammen mit den Vorschlägen veröffentlichten Folgenabschätzung fest, dass das Drei-Parteien-System aufgrund seiner begrenzten Marktanteile und seiner im Allgemeinen auf Unternehmen beschränkten Nutzung von den vorgeschlagenen Obergrenzen ausgenommen werden kann. Angesichts der raschen Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und „Cloud-basierter“ Systeme teilt der EWSA jedoch nicht restlos die Zuversicht der Kommission, dass dies auch in Zukunft zutrifft.

1.6

Der EWSA ist der Auffassung, dass für Firmenkarten die gleichen Obergrenzen wie für Verbraucherkarten gelten sollten. Es gilt, jedwedem Anreiz für eine verstärkte Verwendung von Firmenkarten zuvorzukommen.

1.7

Der Ausschuss empfiehlt, in der PSD II für mehr Klarheit über mögliche, von den Banken gegenüber Drittanbietern erhobene Gebühren für den Zugang zu Informationen über Zahlungskonten von Verbrauchern zu sorgen. Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Banken keine solchen Gebühren erheben sollten und empfiehlt, dies im Text der Richtlinie zu verdeutlichen.

1.8

Darüber hinaus betont der EWSA, dass es uneingeschränkt interoperable Standards für alle Zahlungen auf allen europäischen Märkten geben muss. Bezüglich der Integration neuer Technologien und der Gewährleistung von Rechtssicherheit bleibt noch viel zu tun. Ebenso ist es von grundlegender Bedeutung, dass alle einschlägigen Akteure konsultiert werden und dieselben Standards anwenden. Dies macht eine zentrale europäische Führungsrolle und eine solide Governance-Struktur erforderlich.

2.   Kommentare und Bemerkungen

2.1

Die Europäische Kommission veröffentlichte 2011 das Grünbuch „Ein integrierter europäischer Markt für Karten-, Internet- und mobile Zahlungen“ (1), und das Legislativpaket zu den Zahlungsdiensten ist aus der diesbezüglichen Konsultation hervorgegangen. Der EWSA verweist auf seine entsprechende Stellungnahme (2), in der er Klarheit und Sicherheit bezüglich der Bestimmungen über die multilateralen Interbankenentgelte (MIF) sowie bei den Geschäftsregeln für Kartenzahlungen einforderte. Dieses Anliegen kam auch in vielen Antworten im Zuge der Konsultation zum Ausdruck. Der EWSA begrüßt den Vorschlag für eine Verordnung über Interbankenentgelte, der genau diese Fragen angeht. Die Verordnung würde sich nicht nur auf Transaktionen mithilfe gegenwärtiger Plastikkarten beziehen, sondern auch auf sämtliche elektronische oder Smartphone-Zahlungen, die das gleiche Geschäftsmodell nutzen.

2.2

Der EWSA stellt fest, dass sich die gesamten gesellschaftlichen Kosten des Massenzahlungsverkehrs auf 130 Mrd. EUR bzw. 1% des BIP belaufen und dass die Kosten der Interbankenentgelte 10 Mrd. EUR (3) betragen. Der Privatkundenmarkt, seine Entwicklung und die Marktreife von elektronischen Zahlungen und Kartenzahlungen weisen unter den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede auf. In großen Teilen Europas und insbesondere in bestimmten Mitgliedstaaten ist er durch mangelnden Wettbewerb gekennzeichnet, wodurch die Preise hoch und die Innovationen gering bleiben.

2.3

Der EWSA stellt fest, dass der Legislativvorschlag nicht auf Barabhebungen an Geldautomaten eingeht. Weniger Barzahlungen können zu einer Zunahme elektronischer Zahlungen führen, zum Vorteil für alle Händler und Verbraucher. Die EZB und die Kommission stellen fest, dass Bargeld mit hohen privaten Kosten einhergeht und der Schattenwirtschaft und Steuerflucht zuträglich sein können, da Bargeldzahlungen kaum rückverfolgbar und wenig transparent sind.

2.4

Die Nutzung elektronischer Zahlungen — sowohl über das Internet als auch über Mobiltelefone — nimmt rasch zu. Es ist von zentraler Bedeutung, dass diese Veränderungen im Regelungsumfeld der EU berücksichtigt werden. Der EWSA stimmt der Kommission zu, dass darauf zu achten ist, dass sich die Nachteile des Interbankensystems und anderer Kostenarten nicht negativ auf die neuen mobilen Technologien auswirken.

2.5

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über den Zugang zu einem Konto mit grundlegenden Zahlungsfunktionen (4), die einen wesentlichen Beitrag zur Förderung des Wettbewerbs in diesem Bereich leisten dürfte. Es ist auch wünschenswert, dass diese Richtlinie für die notwendige Transparenz und Informationen bezüglich aller anderen — bislang nicht bezifferten — Kosten zu Lasten der Verbraucher sorgt und vorsieht, dass Verbraucher einfacher die Bank wechseln können, um die kosteneffizienteste Lösung zu finden. Jeder Unionsbürger soll das Recht auf Eröffnung eines kostenlosen bzw. erschwinglichen Bankkontos mit bestimmten Basisfunktionen bekommen. Das Paket für Zahlungsdienste sollte zusammen mit diesem Vorschlag das übergreifende Ziel verfolgen, es allen Unionsbürgern zu ermöglichen, grundlegende elektronische Zahlungen über das Internet sowohl innerhalb der Mitgliedstaaten als auch unionsweit preiswert und einfach durchzuführen.

2.6

Der EWSA stellt außerdem fest, dass es an Daten über die wirklichen Kosten elektronischer Zahlungen und diesbezüglicher Transparenz mangelt. Weitere Daten sind erforderlich, um diese Probleme umfassend zu untersuchen und um bestimmen zu können, welche Kosten die beteiligten Parteien tragen. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass jedwede ungewollten Folgen vermieden werden — z. B. kann eine Senkung der Kosten in einem Marktbereich zu steigenden Kosten in anderen Bereichen des Systems führen.

2.7

Der EWSA stellt fest, dass die Kommission eine Untersuchung in Auftrag gegeben hat, um mittels des Grundsatzes der Zahlungsmittelneutralität auf Händlerebene (5) die Auswirkungen der Interbankenentgelte im Vergleich zu Barzahlungen festzustellen. Der EWSA ist der Auffassung, dass eine ähnliche Untersuchung der Perzeptionen und Haltungen der Verbraucher in Bezug auf die Kosten unterschiedlicher Zahlungsmittel erstellt werden muss, da darüber derzeit wenige empirische Daten vorliegen. Die von London Economics erarbeitete Untersuchung der Auswirkungen der Zahlungsdiensterichtlinie (PSD I) und der Verordnung über grenzüberschreitende Zahlungen bietet hierfür Anhaltspunkte (6). Auch in einer unlängst erstellten Untersuchung (7) wurde gezeigt, dass die Erhebung von Aufschlägen die größten Auswirkungen auf das Verhalten der Verbraucher bei der Wahl der Zahlungsmittel hatten. Der EWSA stellt gleichwohl fest, dass weitere Untersuchungen erforderlich sind, um die Auswirkungen auf das Verbraucherverhalten festzustellen, wenn die echten Kosten der verschiedenen Zahlungsmodelle bekannt sind.

2.8

Das auf MIF basierende Kartenzahlungssystem wurde ursprünglich konzipiert, um die Verwendung von Karten zu fördern und hatte über viele Jahre gut funktioniert. In dem heutigen gesättigten Markt ist es aber überholt und behindert Innovation und Wettbewerb zum Nachteil für die europäische Wirtschaft insgesamt.

2.9

MIF werden der Bank des Händlers (akquirierende Bank) für jeden Verkaufsvorgang mit einer Zahlungskarte von der Bank des Kartenhalters (ausgebende Bank) berechnet. Das Entgelt wird von der akquirierenden Bank an den Händler weitergegeben mittels Einbehalt eines Teils des Transaktionspreises. Interbankenentgelte sind eine wesentliche Einnahmequelle für kartenausgebende Banken (neben den Jahresgebühren, den Zinsen für die Nutzung der Kreditfazilität, Verzugszinsen, Wechselkursgebühren usw.).

2.10

Der gegenwärtige Markt für elektronische Zahlungen in Europa wird von Karten dominiert, die lediglich zwei großen Anbietern zuzuordnen sind, und nach dem MIF-Modell betrieben. Dieses Geschäftsmodell verzerrt den Wettbewerb auf mehrfache Art und Weise. Der Wettbewerb zwischen den Kartensystemen um Kunden ausgebender Banken führt zu einem Anstieg der Gebühren, wobei der Wettbewerb um Karteninhaber immer neue Produkte mit mehr „Gratisvorteilen“ hervorbringt. Deshalb muss der Wettbewerb zwischen den Zahlungsverkehrsdienstleistern gestärkt werden.

2.11

Die Kommission fällte 2007 eine Entscheidung, derzufolge das MIF-Modell von MasterCard eine wettbewerbswidrige Vereinbarung ist, die gegen Artikel 101 AEUV verstößt. MasterCard legte gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein, aber der Gerichtshof bestätigte im Mai 2012 die Entscheidung der Kommission vollinhaltlich und bekräftigte, dass die von MasterCard erhobenen MIF wettbewerbswidrig und für das reibungslose Funktionieren des Kartensystems nicht unerlässlich sind. MasterCard hat gegen das Urteil Rechtsbehelf eingelegt.

2.12

In der Verordnung über Interbankenentgelte wird vorgeschlagen, dieses Problem dadurch zu lösen, indem auf bestimmten Ebenen und für bestimmte Kartentypen nach spezifischen Übergangsfristen Obergrenzen für Interbankenentgelte eingeführt werden. Ebenso sollen einige Vertragsbestimmungen ausgemacht und untersagt werden, die die Nutzer von Kartensystemen binden und den Wettbewerb beeinträchtigen.

2.13

In der Verordnung werden lediglich für Kartentransaktionen im Rahmen des Vier-Parteien-Systems, die vorwiegend von Verbrauchern genutzt werden, Obergrenzen vorgeschlagen. Für Firmenkarten oder für Drei-Parteien-Systeme (z. B. Amex, Diners) sind keine Obergrenzen geplant. Wenn jedoch Drei-Parteien-Systeme Kartentransaktionen über eine zugelassene Bank ausgeben oder anwerben — wie dies von AMEX in einigen Mitgliedstaaten gehandhabt wird — gelten sie als Vier-Parteien-Systeme.

2.14

Die vorgeschlagenen Obergrenzen sollen nur bei Kartentransaktionen von Verbrauchern greifen und bei Debitkarten höchstens 0,2%, bei Kreditkarten höchstens 0,3% betragen. Dem EWSA sind keinerlei gesicherte Daten bekannt, auf denen diese Obergrenzen beruhen. Sie entsprechen den Werten, die von MasterCard in einer Verpflichtungszusage von 2009 infolge einer Wettbewerbssache angeboten wurden. Im Jahr 2010 gab Visa Europe ebenfalls eine Verpflichtungszusage für 0,2% für Debitkarten. Anschließend gab Visa Europa auch eine Verpflichtungszusage für 0,3% für Kreditkarten.

2.15

Das Niveau der Obergrenzen entspricht folglich den von der Kommission angenommenen Wettbewerbsverpflichtungen gemäß dem Grundsatz der Zahlungsmittelneutralität auf Händlerebene. Der EWSA stellt jedoch fest, dass die in Ziffer 2.7 erwähnte Untersuchung der Kommission noch aussteht. Die Zahlen stammen ursprünglich von den Kartensystemen selbst, wofür sie die Daten einer Reihe von Zentralbanken verwendet haben (8). Der EWSA hebt hervor, dass in dem Legislativvorschlag alle erforderlichen Vorkehrungen zu treffen sind um sicherzustellen, dass die den Verbrauchern von den Banken berechneten unmittelbaren Kosten (wie z. B. Provisionen, Karten- und Kontoführungsgebühren) nicht erhöht werden, um die Senkung der MIF auszugleichen.

2.16

In der Begründung der Verordnung selbst wird jedoch festgestellt, dass derzeit in acht EU-Mitgliedstaaten auf Debitkartentransaktionen keine oder nur geringe Interbankenentgelte erhoben werden, ohne dass dies negative Folgen für Kartenausgabe und Kartennutzung hätte. Die Folgenabschätzung der Kommission unterstützt maßgeblich den Standpunkt, dass bei Debitkarten den Verbrauchern keine Interbankenentgelte berechnet werden sollten (9). Der EWSA ist der Auffassung, dass eine detailliertere Analyse durchgeführt werden sollte, um die tatsächlichen Kosten der Interbankenentgelte für die Verbraucher zu ermitteln — sowohl in Bezug auf die Aufschläge als auch bezüglicher unmittelbarer Preiserhöhungen.

2.17

Nach Auffassung des EWSA müssen die in der Verordnung über Interbankenentgelte vorgeschlagenen Obergrenzen eingehender untersucht werden. Der Markt für Debitkarten ist in fast allen EU-Mitgliedstaaten hoch entwickelt und es besteht keine Notwendigkeit, die Nutzung dieser Karten mittels eines — durch Interbankenentgelte finanzierten — Marketing zu fördern. Außerdem würden niedrigere Interbankenentgelte die Akzeptanz von Karten fördern, was ihre Nutzung verstärken würde. Die Banken würden insgesamt nur geringe oder gar keine Einnahmeverluste erleiden.

2.18

Der EWSA schlägt vor, den aktuellen Vorschlag nachzubessern und für Debitkarten keine Interbankenentgelte vorzusehen, wobei das derzeit effizienteste nationale System als Richtschnur dienen sollte. Parallel dazu sollte die entsprechende Obergrenze bei Kreditkartenzahlungen von 0,3% mit Blick auf ein niedrigeres Niveau, das im Verhältnis zur Senkung bei den Debitkarten steht, überprüft werden. Die Maßnahmen sollten überprüft und ihre Auswirkungen auf Unternehmen und Verbraucher bewertet werden.

2.19

Es ist geplant, dass die Obergrenzen der Interbankenentgelte-Verordnung in zwei Stufen in Kraft treten: die Obergrenze für grenzüberschreitende Aktionen greift zwei Monate und die Obergrenze für inländische Transaktionen zwei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung. Der EWSA fragt sich, ob ein so langer Übergangszeitraum für inländische Interbankenentgelte notwendig ist. Die meisten Zahlungen werden lokal getätigt, und das Volumen grenzüberschreitender Zahlungen ist vergleichsweise sehr gering. Gerade auf dem inländischen Markt stellt die Höhe der Interbankenentgelte die größte Belastung für die Händler und folglich für die Verbraucher dar. Ein so langer Übergangszeitraum für den inländischen Markt kann den Zeitpunkt erheblich verzögern, ab dem aus der Verordnung tatsächlich Nutzen gezogen wird.

2.20

Der EWSA begrüßt auch die Änderungen der Bestimmungen über das grenzüberschreitende Acquiring, betont aber, dass dies nicht zu neuen Unterschieden zwischen großen und kleinen Händlern führen darf. Der Vorschlag würde grenzüberschreitendes Acquiring für Verbraucherkarten ab dem Inkrafttreten der entsprechenden Obergrenze gestatten. Wenn die Umsetzung auf nationaler Ebene nicht möglichst zeitnah erfolgt (wie in Ziffer 1.4 oben empfohlen), könnte es sein, dass nur große Einzelhändler sofort von den Obergrenzen profitieren könnten, indem sie ihre Acquiring-Aktivitäten grenzüberschreitend tätigen, wohingegen KMU, die diese Möglichkeit nicht haben, weiterhin hohe inländische Entgelte zu entrichten hätten. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass inländische Banken ihre Gebühren freiwillig senken werden, um die Verlagerung der Geschäfte auf grenzüberschreitende akquirierende Banken auszugleichen. Der Ausschuss ist auch der Auffassung, dass Firmenkarten bei den Vorschriften über grenzüberschreitendes Acquiring einbezogen werden sollten, indem bestimmt wird, dass die Interbankenentgelte desjenigen Landes anzuwenden sind, in dem die akquirierende Bank ihre Aktivitäten ausübt.

2.21

Der EWSA begrüßt, dass die Regel der obligatorischen Annahme aller Karten (HACR) abgeschafft wird. Gelten die Obergrenzen nicht für Firmenkarten, könnten sie von Einzelhändlern abgelehnt werden. Nach Maßgabe von PSD II könnten sie auch Aufschläge für Firmenkarten berechnen. Dies ermöglicht es den Händlern, die Verbraucher von Karten, die mit höheren Entgelten belegt sind, wegzulenken.

2.22

Der EWSA hält es indes für keine gute Lösung, das Drei-Parteien-System vom Anwendungsbereich der Verordnung auszunehmen. Er ist nicht von der Argumentation der Kommission überzeugt, der zufolge solche Karten auch weiterhin auf wohlhabende Verbraucher abzielen (10). Es besteht die Gefahr, dass Banken ihre Kunden zu Drei-Parteien-Systeme hinlenken, — oder aber zur Nutzung von Firmenkarten, die von der Verordnung ausgenommen sind.

2.23

Der EWSA stellt auch fest, dass die Vorschriften bezüglich des empfohlenen oder obligatorischen Einsatzes von Firmenkarten unklar sind. In zahlreichen Mitgliedstaaten erhalten Ein-Personen-Betriebe automatisch eine Firmenkarte, wenn ein Geschäftskonto eröffnet wird. Der EWSA fragt sich, wie solche Vorschriften festgelegt werden und ob ein Kleinunternehmen auch eine Verbraucherkarte beantragen kann. Außerdem geben viele Unternehmen für ihre Angestellten Firmenkarten aus, die auch für private Zwecke genutzt werden können.

2.24

Der EWSA begrüßt die Bestimmungen bezüglich der Wahl der Zahlungsanwendung am Zahlungsterminal. In der Verordnung wird spezifiziert, dass die Banken bei Karten oder Geräten, die mit zwei oder mehr Zahlungsinstrumentemarken ausgestattet sind, keinen automatischen Mechanismus für die Kartennutzung vorrüsten dürfen: Die Wahl muss der Verbraucher an der Verkaufsstelle treffen. Dadurch bekommt der Verbraucher zusätzliche Wahlfreiheit bezüglich des für sein finanzielles Profil am besten geeigneten Zahlungsmittels. Die Verordnung beseitigt auch das Diskriminierungsverbot, und die Händler haben somit mehr Spielraum bezüglich der Weitergabe von Informationen über die von ihnen entrichteten MIF.

2.25

Mit der Verordnung soll das Erheben von Systementgelten zur Kompensation von verringerten MIF verhindert werden. Nach Maßgabe von Artikel 5 wird jede Nettovergütung, die eine emittierende Bank von einem Kartenzahlungssystem in Bezug auf Zahlungsvorgänge oder damit verbundene Tätigkeiten erhält, als Interbankenentgelt behandelt. Andererseits ist fraglich, ob der Frage der Entgelte, die den Händlern von ihren eigenen akquirierenden Banken auferlegt werden, in der Verordnung genug Beachtung geschenkt wird. Denn diese Entgelte können sehr hoch sein, insbesondere für Kleinunternehmen mit schwacher Verhandlungsposition.

2.26

Der EWSA begrüßt die Bestimmung, der zufolge die Kartenzahlungssysteme von den Unternehmen, die die Transaktionen abwickeln (Prozessoren), getrennt werden. Dadurch wird die Bündelung von Kartensystemen und die Zahlungen abwickelnden Dienstleistungen in einem Vertragsangebot verhindert. Die Händler werden mithin mehr Freiheit bei der Wahl der Prozessoren haben. Dies fördert den Wettbewerb und ermöglicht den Markteintritt neuer Akteure, was zu Preissenkungen führen wird.

2.27

Bezüglich der geänderten Zahlungsdiensterichtlinie (PSD II) begrüßt der EWSA die damit ermöglichte Marktöffnung. Dadurch werden die Rechtsvorschriften harmonisiert und nationale Unterschiede beseitigt, die aus dem fakultativen Charakter einiger Bestimmungen der derzeitigen Zahlungsdiensterichtlinie resultieren. Das schafft Rechtsklarheit bezüglich des Status neuer Zahlungsmodelle, da für alle die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen gelten werden. Folglich werden der Wettbewerb unter den Anbietern und der Markteintritt neuer Akteure gefördert, wodurch sich die Effizienz erhöhen und die Kosten senken lassen. Die Entwicklung neuer Zahlungsmodelle für den elektronischen Geschäftsverkehr wird somit gefördert, außerdem wird für Sicherheit, Transparenz und angemessene Unterrichtung der Zahlungsdienstnutzer gesorgt.

2.28

Der Anwendungsbereich der PSD II wird auch dritte Zahlungsdienstleister umfassen, und die Definition von Zahlungsdiensten wird technisch neutral gestaltet, was der Entwicklung neuer Technologien zugute kommt. Ferner wird der Weg geebnet für neue Zahlungsmodelle, indem dritten Zahlungsdienstleistern der Zugang zu Kundeninformationen gestattet wird. Solche dritte Zahlungsdienstleister werden in der Lage sein, nachzuprüfen, ob ein Kunde, der eine Online-Zahlung vornehmen möchte, auch über ausreichendes Guthaben auf seinem Konto verfügt, und sie übermitteln eine Zahlungsgenehmigung dieses Verbrauchers an seine Bank. Die Verbraucher erhalten Garantien, dass sie den dritten Zahlungsdienstleistern ihre Zustimmung hierfür nur nach vorheriger Aufklärung geben.

2.29

In der PSD II wird indes nicht darauf eingegangen, ob eine Bank einem dritten Zahlungsdienstleister (und letztlich dem Verbraucher) eine Gebühr für die Erbringung dieser Dienstleistung berechnen darf. Sollten solche Gebühren weitverbreitet und hoch sein, könnte jedweder Nutzen des Geschäftsmodells des dritten Zahlungsdienstleisters konterkariert werden. Der Ausschuss fordert daher die Gesetzgeber auf, festzusetzen, dass diese Dienstleistung zu den vertragsüblichen Diensten für den Kontoinhaber gehört und hierfür keine gesonderten Gebühren in Rechnung gestellt werden dürfen.

2.30

Bezüglich Clearing und Abrechnung sind in der PSD II einige Veränderungen vorgesehen. Nach Maßgabe der Richtlinie über die Wirksamkeit von Abrechnungen können Zahlungsinstitute nicht direkt an den Clearing- und Abrechnungsmechanismen teilnehmen. Sie können sich daran nur indirekt über die Großbanken beteiligen. Durch PSD II würde dies nicht grundlegend geändert: Es ist kein allgemeiner und direkter Zugang für Zahlungsinstitute an den Clearing- und Abrechnungssystemen vorgesehen. Gemäß PSD II müssen für alle Arten von Zahlungsinstituten die gleichen Bestimmungen für den indirekten Zugang gelten (im Rahmen des erforderlichen Schutzes vor dem Abwicklungsrisiko).

2.31

Des Weiteren sollte über das Erfordernis von Clearing und Abrechnung in Europa in Echtzeit oder echtzeitnah nachgedacht werden. In einigen Rechtsordnungen bestehen bereits solche Systeme, in anderen wird eine Einführung erwogen. Die US-Notenbank hat dazu im September d.J. ein Papier veröffentlicht. Die Gesetzgeber sollten erwägen, mittels eines künftigen Legislativvorschlags einen Übergang zu Clearing- und Abrechnungsverfahren in Echtzeit durchzusetzen.

2.32

Der EWSA hofft, dass PSD II zu neuen Akteuren auf dem Zahlungsdienstemarkt führt, der mit den SEPA-Überweisungen und dem SEPA-Lastschriftverfahren neue Zahlungslösungen bietet wird. Solche innovative Zahlungsmöglichkeiten würden die Kosten des elektronischen Geschäftsverkehrs erheblich senken und dessen Marktanteile ausweiten. Dieser Markt könnte vermutlich auch sicherer sein, da weitaus weniger sensible Informationen ausgetauscht werden. Online-Kartenzahlungen machen die Eingabe hochsensibler Daten erforderlich und sind deshalb in hohem Maße betrugsanfällig. Derzeitige Sicherheitstechniken (wie z. B. „3-D-secure“) versuchen dies zu überwinden, aber sie sind aufwändig und unangemessen.

Brüssel, den 11. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2011) 941 final.

(2)  ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 52.

(3)  EZB-Bericht, „The Social and Private Costs of Retail Payments Instruments“, Occasional Paper 137, September 2012.

(4)  COM(2013) 266 final, Stellungnahme des EWSA ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 40.

(5)  Die Kommission hat Deloitte mit der Erarbeitung einer Untersuchung über die Akzeptanzkosten von Zahlungsmitteln beauftragt.

(6)  Siehe die Studie über die Auswirkungen der Richtlinie 2000/36/EG und über die Anwendung der Verordnung Nr. 924/2009 unter

http://ec.europa.eu/internal_market/payments/docs/framework/130724_study-impact-psd_en.pdf.

(7)  Elke Himmelsbach und Nico Siegel, TNS Infratest Deutschland, „(Hidden) fees for card payments: Will transparency change consumer behaviour?“.

(8)  Siehe Europäische Kommission, MEMO/13/719 vom 24.7.2013 (nur auf EN).

(9)  So heißt es auf Seite 193, dass die Möglichkeit, Interbankenentgelte für Debitkarten zu untersagen, die potenziell für die Händler und Verbraucher größere Vorteile bieten würde, eingehender untersucht werden sollte. Damit soll sichergestellt werden, dass aufgrund der Reife der Märkte im EWR — insbesondere im Hinblick auf die Ausgabe und Nutzung von Debitkarten — Interbankenentgelte als diesbezüglicher Anreiz überflüssig sind. Eine diesbezügliche Überarbeitung könnte kurz nach dem Inkrafttreten der Verordnung über Interbankenentgelte durchgeführt werden (Folgenabschätzung liegt nur auf EN vor).

(10)  Siehe Europäische Kommission, MEMO/13/719 vom 24.7.2013 (nur auf EN).


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Die folgenden Änderungsanträge, auf die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfielen, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt (Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

Ziffer 2.18

Ändern:

Der EWSA schlägt vor, den aktuellen Vorschlag nachzubessern und für Debitkarten keine Interbankenentgelte ein System vorzusehen, wobei dem das derzeit effizienteste nationale System als Richtschnur dienen sollte dient. Parallel dazu sollte die entsprechende Obergrenze bei Kreditkartenzahlungen von 0,3% mit Blick auf ein niedrigeres angemessenes Niveau, das im Verhältnis zur Senkung bei den Debitkarten steht, überprüft werden. Die Maßnahmen sollten überprüft und ihre Auswirkungen auf Unternehmen und Verbraucher bewertet werden.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

:

49

Nein-Stimmen:

:

108

Stimmenthaltungen:

:

20

Ziffer 2.19

Ändern:

Es ist geplant, dass die Obergrenzen der Interbankenentgelte-Verordnung in zwei Stufen in Kraft treten: die Obergrenze für grenzüberschreitende Aktionen greift zwei Monate und die Obergrenze für inländische Transaktionen zwei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung. Der EWSA fordert die Kommission auf, die Folgen dieser ersten Maßnahme für die Beteiligten (in dieses Zahlungssystem implizierte Verbraucher, Händler, Arbeitgeber und Arbeitnehmer usw.) vor Durchführung der zweiten Phase genau zu untersuchen fragt sich, ob ein so langer Übergangszeitraum für inländische Interbankenentgelte notwendig ist . Die meisten Zahlungen werden lokal getätigt, und das Volumen grenzüberschreitender Zahlungen ist vergleichsweise sehr gering. Gerade auf dem inländischen Markt stellt die Höhe der Interbankenentgelte die größte Belastung für die Händler und folglich für die Verbraucher dar. Ein so langer Übergangszeitraum für den inländischen Markt kann den Zeitpunkt erheblich verzögern, ab dem aus der Verordnung tatsächlich Nutzen gezogen wird.

Ergebnis der Abstimmung:

Ja-Stimmen:

:

48

Nein-Stimmen:

:

121

Stimmenthaltungen:

:

22


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/85


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft

(COM(2013) 534 final)

2014/C 170/14

Berichterstatter: Eugen LUCAN

Die Europäische Kommission beschloss am 17. Juli 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft

COM(2013) 534 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 11. Dezember) mit 176 gegen 7 Stimmen bei 13 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hält die Initiative der Kommission für sinnvoll. Die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Schaffung neuer Rechtsinstrumente, die die finanziellen Interessen der Union und zugleich die finanziellen Beiträge der Unionsbürger zum EU-Haushalt schützen.

1.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass die finanziellen Interessen der Union zwar geschützt werden müssen, dass jedoch die Kohärenz des EU-Strafrechts besser gewährleistet wäre, wenn in der Verordnung nicht nur die verwendeten Begriffe exakt und präzise bestimmt (1) würden, sondern auch und vor allem die Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, die dann in den Mitgliedstaaten verfolgt werden müssen. Diese Begriffsbestimmungen sollten in die Verordnung aufgenommen werden bzw. könnten nach dem Vorbild der Eurojust-Verordnung (2) in einem Anhang zu der Verordnung enthalten sein, die möglicherweise durch eine Richtlinie ergänzt wird. Dies könnte den Rahmen für eine spätere Regelung im Hinblick auf Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union liefern und so den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafverfolgung („nullum crimen sine lege“) gewährleisten.

1.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass die der neuen Europäischen Staatsanwaltschaft eingeräumten Befugnisse nicht über die Bestimmungen des Artikels 86 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinausgehen sollten. Da keine Folgenabschätzung in Bezug auf die grenzübergreifende Kriminalität vorliegt, ist es zu früh, die Zuständigkeiten der Staatsanwaltschaft auf der Grundlage von Artikel 86 Absatz 4 auszuweiten.

1.4

In Bezug auf Verfahren und Streitigkeiten, in denen die Europäische Staatsanwaltschaft ermittelt, empfiehlt der EWSA die Einhaltung der Verfahrensgarantien für Verdächtige gemäß den für die Verordnung geltenden Normen, etwa der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und insbesondere des Rechts auf ein faires Verfahren und der Verteidigungsrechte, die ein höheres Schutzniveau als die nationalen Rechtsvorschriften bieten. Im Rahmen der Verteidigungsrechte ist nach Auffassung des EWSA auch auf die Gewährleistung des Grundsatzes der Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung zu achten.

1.5

Der EWSA schlägt vor, die Befugnisse des Begleitausschusses für das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) dahingehend auszuweiten, dass ihm neue Zuständigkeiten zugewiesen werden hinsichtlich der Überwachung der Gewährleistung der Rechte und Grundfreiheiten der Menschen — insbesondere vor dem Hintergrund der Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft — sowie der Wahrung der Rechte des Einzelnen in Strafverfahren. Dieser Begleitausschuss sollte mit allen Fachgruppen des EWSA sowie mit den anderen europäischen und nationalen Institutionen zusammenarbeiten, die diesbezüglich zuständig sind. Der EIDHR-Begleitausschuss (3) wird die Wahrung der Rechte der Menschen im Rahmen der Beziehungen der EU zu ihren Mitgliedstaaten sowie zu Drittländern überwachen und bewerten.

1.6

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Sachverständigengruppe, die die Kommission im Rahmen des Verfahrens für die Vorauswahl des Europäischen Staatsanwalts beraten soll, je einen Vertreter der folgenden Einrichtungen umfassen muss: EWSA, Ausschuss der Regionen, EU-Grundrechteagentur, Rechnungshof und Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE). Dieser Sachverständigenbeirat sollte mindestens elf Mitglieder haben.

1.7

Der EWSA ist der Auffassung, dass zu den Grundsätzen der Tätigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafverfolgung und der Grundsatz der dienstrechtlichen Unterordnung gehören sollten, die in der Verordnung nicht ausdrücklich genannt werden.

1.8

Nach Ansicht des EWSA sollten in der Verordnung auch zusätzliche Garantien im Hinblick auf die Wahrnehmung der Rechte und Pflichten der Europäischen Staatsanwälte und deren Haftung bei Missbrauch oder schwerem beruflichen Fehlverhalten eingeführt werden.

1.9

Der EWSA weist darauf hin, dass die Bestimmungen zur Zulässigkeit von Beweismitteln, die die Europäische Staatsanwaltschaft erhoben und vor dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beigebracht hat, bei Zulassung ohne Validierung möglicherweise zu ungleichen Ausgangsbedingungen und Verstößen gegen den Grundsatz der Waffengleichheit führen können. Da in Artikel 32 Absatz 5 der Verordnung festgelegt ist, dass die beteiligten Personen „alle Verfahrensrechte, die ihnen das geltende einzelstaatliche Recht zuerkennt“ haben, wozu natürlich auch die Verfahren zur Zulässigkeit von Beweisen gehören, muss festgestellt werden, dass die Bestimmungen der Verordnung widersprüchlich sind und dass die Verordnung zu einem Verstoß gegen die Rechte der in einem Strafverfahren angeklagten Personen führen kann.

1.10

Die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten sollte nur die Personen betreffen, für die schlüssige Hinweise auf Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union vorliegen, andernfalls könnte es zu einer schwerwiegenden und unangemessenen Verletzung ihrer Privatsphäre kommen.

1.11

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft eine Möglichkeit bietet, den Schutz der finanziellen Beiträge der Unionsbürger zum Haushalt der EU zu gewährleisten. Die Begriffsbestimmungen im Hinblick auf die Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union müssen im Verordnungsvorschlag wie in dem Vorschlag für eine Richtlinie einheitlich gefasst und harmonisiert werden.

2.   Kontext und allgemeine Bemerkungen

2.1

Bereits seit mehr als zehn Jahren wird über die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft diskutiert (4). Im Mai 2011 verabschiedete die Kommission eine Mitteilung über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union durch strafrechtliche Vorschriften und verwaltungsrechtliche Untersuchungen (5), die Vorschläge für einen wirksameren Schutz der finanziellen Interessen der EU enthält.

2.2

In den letzten drei Jahren beliefen sich die Fälle, bei denen Anlass für einen Verdacht auf Betrug gegeben war, durchschnittlich auf etwa 500 Mio. EUR pro Jahr, Schätzungen zufolge ist der tatsächliche Gesamtumfang der Betrugsfälle jedoch weitaus höher. Nur ein sehr geringer Anteil des Gesamtbetrags in Betrugsfällen wird jemals von den Straftätern wieder eingefordert, und zwar unter 10% (6). Es wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2010 46% der im Rahmen von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union eingezogenen Beträge (auf Ebene der Mitgliedstaaten) aus dem öffentlichen Sektor stammen, 52% aus dem privaten Sektor. Den vorliegenden Informationen zufolge verteilen sich die Betrugsfälle wie folgt auf die einzelnen Bereiche: 17% Landwirtschaft, 1% Zigaretten, 6% Zoll, 11% Direktausgaben oder -ankäufe, 27% EU-Institutionen, 19% Außenhilfe und 19% Strukturfonds. Aus den Berichten von OLAF geht im Wesentlichen hervor, dass diese Angaben auch für die Jahre 2011 und 2012 zutreffend sind. Dies erfordert konkrete Lösungen und Maßnahmen im Bereich des EU-Strafrechts.

2.3

Im Juli 2012 nahm die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über die strafrechtliche Bekämpfung von Betrug zulasten des EU-Haushalts an. Der Vorschlag enthält insbesondere gemeinsame Begriffsbestimmungen von Straftaten zum Nachteil des EU-Haushalts, harmonisierte Mindestsanktionen (einschließlich einer Freiheitsstrafe in schweren Fällen) und gemeinsame Verjährungsvorschriften.

2.4

Im Verlaufe des gesamten Jahres 2012 und Anfang 2013 fanden Diskussionen und Sitzungen zum Thema der Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft auf EU-Ebene statt (7). In seiner Rede zur Lage der Union im September 2012 bekräftigte Kommissionspräsident Barroso die Zusage der Kommission zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft.

2.5

Am 17. Juli 2013 legte die Kommission eine Reihe von Legislativprojekten vor: mehrere Verordnungen zur Reform von Eurojust, zur Verbesserung der Verwaltung von OLAF und zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft.

2.6

Hauptaufgabe der Europäischen Staatsanwaltschaft wird die Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union sein. Sie wird befugt sein, Ermittlungen einzuleiten und Straftaten zu verfolgen sowie gegebenenfalls vor den zuständigen Gerichten der Mitgliedstaaten Anklage gegen Personen zu erheben, die solcher Straftaten verdächtig sind.

3.   Wesentlicher Inhalt der Verordnung über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft

3.1

Die Einsetzung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ist nicht zwingend vorgeschrieben, sondern lediglich eine Möglichkeit. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union heißt es, dass der Rat die Staatsanwaltschaft einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einsetzen „kann“. Die Rechtsgrundlage und die Regeln für die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft sind in Artikel 86 des AEUV niedergelegt: „Zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union kann der Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen ausgehend von Eurojust eine Europäische Staatsanwaltschaft einsetzen.“

3.2

Nach Artikel 86 Absatz 4 AEUV kann der Europäische Rat die Befugnisse der Europäischen Staatsanwaltschaft auf die Bekämpfung der schweren Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension ausdehnen.

3.3

Die Verordnung über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft enthält folgende Elemente: Gegenstand und Begriffsbestimmungen, allgemeine Vorschriften (Status und Organisation der Staatsanwaltschaft, Ernennung und Entlassung der Mitglieder, Grundsätze), Zuständigkeit, Vorschriften für Ermittlungs-, Strafverfolgungs- und Gerichtsverfahren, Verfahrensgarantien, gerichtliche Kontrolle, Datenschutz, Beziehungen der Europäischen Staatsanwaltschaft zu den EU-Institutionen, Auswirkungen auf den Haushalt.

3.4

Die gerichtliche Kontrolle der Prozesshandlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft erfolgt durch nationale Instanzen.

3.5

Im Einklang mit den EU-Verträgen (8) wird sich Dänemark nicht an der Europäischen Staatsanwaltschaft beteiligen.

3.6

Für das Vereinigte Königreich und Irland gilt im Bereich der Justiz- und Innenpolitik eine Ausstiegsklausel, nach der sich diese beiden Mitgliedstaaten nicht an dieser Politik beteiligen müssen — es sei denn, sie entscheiden sich freiwillig und ausdrücklich für eine Beteiligung.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Gegenstand, Begriffsbestimmungen, Zuständigkeit

4.1.1

Die Arbeitsweise und die Kapazitäten der Europäischen Staatsanwaltschaft, die nach Artikel 1 der Verordnung errichtet wird, hängen ausschließlich davon ab, wie die Richtlinie über die Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug (9) auf Dauer umgesetzt wird, in der die Straftaten und rechtswidrigen Handlungen zulasten der finanziellen Interessen der Union definiert sind. Die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft dient dem Schutz der finanziellen Beiträge der Unionsbürger zum EU-Haushalt.

4.1.2

Dabei handelt es sich gemäß der Richtlinie über die Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug (10) um folgende Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft:

i.

Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union (Artikel 3);

ii.

gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete betrugsähnliche Straftaten (Artikel 4): Übermittlung oder unterlassene Übermittlung von Informationen, Geldwäsche, Versprechen oder Gewähren von Vorteilen gegenüber einem EU-Beamten;

iii.

Anstiftung, Beihilfe und Versuch (in Artikel 5 der Richtlinie ist festgelegt, dass diese Straftaten geahndet werden sollen, allerdings werden sie nicht definiert).

4.1.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass diese Straftaten juristisch ausdrücklich und explizit zu bestimmen sind, und zwar durch Hinzufügen eines Absatzes, in dem jene Straftaten, zu denen die Europäische Staatsanwaltschaft Ermittlungen einleitet, eindeutig benannt werden. Außerdem sollen Bagatelldelikte (unterhalb einer bestimmten Schadenshöhe, z. B. 10 000 EUR) von der Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft ausgeschlossen sein. Der EWSA vertritt die Ansicht, dass alle Begriffsbestimmungen, die in der Richtlinie aufgeführt sind, präzisiert werden und auch in der Verordnung enthalten sein sollten, einschließlich der des „öffentlichen Bediensteten“ (11), die vom öffentlichen auf den privaten Sektor ausgedehnt wird. Alle Definitionen des Verordnungs- sowie des Richtlinienvorschlags müssen eindeutig präzisiert, detailliert gefasst, harmonisiert und vereinheitlicht werden.

4.1.4

Eine andere Lösung im Hinblick auf die eindeutige Festlegung des Gegenstands, der Begriffsbestimmungen und der Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft könnte nach Auffassung des EWSA darin bestehen, einige Artikel über deren Tätigkeitsbereich (12) zu ändern, und zwar durch Verweis auf einen Anhang nach dem Vorbild der Eurojust-Verordnung (13), der durch den Richtlinienvorschlag ergänzt und harmonisiert wird.

4.1.5

Die Zuständigkeiten der Europäischen Staatsanwaltschaft müssen klar und unmissverständlich festgelegt werden. Auch wenn die Straftaten, die in den sachlichen Zuständigkeitsbereich der Europäischen Staatsanwaltschaft fallen, mit Verweis auf nationale Rechtsvorschriften bestimmt werden, die zur Umsetzung von EU-Recht erlassen werden (Richtlinie 2013/xx/EU), so ließe sich dennoch mit bestimmten in der Verordnung aufgestellten Kriterien für die Einordnung dieser Straftaten, beispielsweise dass sie eine grenzüberschreitende Dimension haben, die finanziellen Interessen der Union betreffen oder dass EU-Beamte involviert sind, Einheitlichkeit in Bezug auf das Strafrecht gewährleisten, so dass alle Arten von Straftaten, die zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU verübt werden, in der gleichen Weise verfolgt werden.

4.1.6

Allerdings darf die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft mit der Verordnung nicht auch auf Straftaten ausgedehnt werden, bei denen die nationalen Staatsanwälte die Ermittlungen führen. Auch müssen die Kriterien angegeben werden, nach denen im Falle, dass die Europäische Staatsanwaltschaft Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs hat, bestimmt werden kann, wer Vorrang hat, da es andernfalls zu unterschiedlichen Auslegungen und Rechtspraktiken in den einzelnen Mitgliedstaaten kommen kann.

4.1.7

Bei grenzübergreifenden Ermittlungen besteht die Möglichkeit, dass bestimmte Mitgliedstaaten nicht mit der Europäischen Staatsanwaltschaft kooperieren. Die Beziehungen zwischen der Europäischen Staatsanwaltschaft und den Abgeordneten Europäischen Staatsanwälten sind so ausgestaltet, dass nicht in mehreren Mitgliedstaaten strafrechtliche Ermittlungen im selben Fall aufgenommen werden. Es kann die einfache Regel aufgestellt werden, dass Strafverfahren in dem Mitgliedstaat eingeleitet werden, dessen Justizbehörden als erste in dem konkreten Fall die Ermittlungen aufgenommen haben.

4.2   Vorschriften für die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft

4.2.1

Zwar wird der Europäische Staatsanwalt vom Rat mit Zustimmung des Europäischen Parlaments ernannt, doch spielt auch die Kommission eine wichtige Rolle bei der Vorauswahl der Kandidaten: Sie erstellt nämlich eine „Auswahlliste“ und holt „die Stellungnahme eines von ihr eingesetzten Gremiums ein“ (14). In Bezug auf das Verfahren für die Auswahl des Europäischen Staatsanwalts empfiehlt der EWSA, dass die Kommission die Größe der zu konsultierenden Sachverständigengruppe von sieben auf elf Mitglieder ausdehnt, die Zahl der jeweils Auszuwählenden aus den Mitgliedern des Gerichtshofes, der höchsten einzelstaatlichen Gerichte und einzelstaatlichen Strafverfolgungsbehörden oder andere hochqualifizierte und erfahrene Juristen festlegt und beschließt, dass dem beratenden Ausschuss je ein Vertreter folgender Institutionen anzugehören hat: EWSA, Ausschuss der Regionen, EU-Grundrechteagentur, Rechnungshof und Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE).

4.2.2

Eine geeignete rechtliche Möglichkeit wäre es nach Auffassung des EWSA auch, konkrete Garantien für die Staatsanwälte zu schaffen, um deren Unabhängigkeit, Fairness und Unparteilichkeit zu gewährleisten und ihnen zugleich Schutz und Sicherheit zu gewähren. Der EWSA weist darauf hin, dass die Unabsetzbarkeit der Staatsanwälte unabdingbar ist, vor allem wenn Beschwerden gegen sie eingehen.

4.2.3

Die Entlassung des Europäischen Staatsanwalts oder seiner Stellvertreter erfolgt auf Antrag des Europäischen Parlaments, des Rates oder der Europäischen Kommission durch den Gerichtshof der Europäischen Union. In die Zuständigkeit des Gerichtshofes fallen auch Schäden, die Bürger auf Grund der Tätigkeit der Abgeordneten Europäischen Staatsanwälte, des Europäischen Staatsanwalts oder seiner Stellvertreter entstanden sind. Der Gerichtshof prüft und behandelt die Beschwerden wegen der genannten Schäden. Der EWSA hält es für notwendig, dass der Gerichtshof der Europäischen Union seine Entscheidungen bei Streitfällen in Bezug auf Entschädigungen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission mitteilt.

4.2.4

Die Tätigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft muss nach den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit der Strafverfolgung und der dienstrechtlichen Unterordnung erfolgen, die in der Verordnung nicht ausdrücklich genannt werden. Die Europäische Staatsanwaltschaft muss auch von Amts wegen tätig werden können. Das europäische System der strafrechtlichen Ermittlungen wäre kohärenter und homogener, wenn die Europäische Staatsanwaltschaft befugt wäre, Leitlinien und verbindliche Anweisungen an OLAF zu richten.

4.2.5

Mittels Entscheidungen über die interne Arbeitsweise sollten wirksame Kommunikationsverfahren geschaffen werden, die gewährleisten, dass die Staatsanwaltschaft und der Staatsanwalt, seine Stellvertreter und Mitarbeiter frei von jedem äußeren Einfluss tätig sein können.

4.2.6

In der Vorlage wird zwischen zwei Gruppen von Straftaten unterschieden. Bei der einen Gruppe ist die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft von Amts wegen gegeben (Artikel 12), während die Zuständigkeit bei der zweiten Gruppe (Artikel 13) erst durch eine bestimmte Verbindung zu Straftaten der ersten Kategorie begründet wird. Nach Auffassung des EWSA sollte die Europäische Staatsanwaltschaft nicht auch für Straftaten zuständig sein, zu denen die nationalen Staatsanwälte strafrechtlich ermitteln (Straftaten, die eng mit Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union verbunden sind), solange keine eindeutigen Begriffsbestimmungen für Straftaten im eigentlichen Sinne und Straftaten, die auf demselben Sachverhalt beruhen, existierten. Die einzigen Kriterien in der Verordnung, die eine Einordnung in diese Kategorie begründen, sind das des „Schwerpunkts“ (15) und das der Straftaten, die auf demselben Sachverhalt beruhen, die jedoch mangels eindeutiger Definitionen der Straftaten eine gewisse Unvorhersehbarkeit der Verordnung mit sich bringen: Worauf bezieht sich der „Schwerpunkt“ der Straftaten — etwa auf die beteiligten Personen, die Artikel, gegen die verstoßen wird, die finanziellen Auswirkungen?

4.3   Vorschriften für Ermittlungs-, Strafverfolgungs- und Gerichtsverfahren

4.3.1

Die Ermittlungsmaßnahmen, die in der Verordnung vorgesehen sind, in der festgelegt ist, welche Arten von Ermittlungsmaßnahmen die Europäische Staatsanwaltschaft im Einzelnen ergreifen kann und unter welchen Bedingungen, dürfen nur bei den Straftaten angewandt werden, die in ihren sachlichen Zuständigkeitsbereich fallen. Die verschiedenen Arten von Entscheidungen, die die Europäische Staatsanwaltschaft am Ende der Ermittlungen fällen kann, müssen auf EU-Ebene harmonisiert werden, insbesondere bestimmte konkrete Schritte, darunter die Anklageerhebung oder die Einstellung des Verfahrens.

4.3.2

Dass die Beweise, die die Europäische Staatsanwaltschaft erhebt und vor dem in der Sache zuständigen Gericht beibringt, ohne Validierung zugelassen werden, kann zu Ungleichheit und Verstößen gegen den Grundsatz der Waffengleichheit von Anklage und Verteidigung führen. Kann die Staatsanwaltschaft auf die institutionelle Zusammenarbeit aller Strukturen, Organisationen, Einrichtungen und Agenturen der Union sowie der Behörden der Mitgliedstaaten zurückgreifen, so können weder der Beschuldigte noch die Verteidigung ähnliche Mittel hinzuziehen, um die Unschuld zu beweisen, und der Grundsatz der Waffengleichheit ist verletzt.

4.3.3

Die Möglichkeit, einen Vergleich im Interesse einer geordneten Rechtspflege zu schließen, ist möglicherweise nicht mit einigen nationalen Systemen vereinbar und sollte der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen werden. Der EWSA empfiehlt der Kommission, in der Verordnung den begrifflichen Inhalt des Ausdrucks „Vergleich“ zu definieren und die Bedingungen für dessen Anwendung zu präzisieren, insbesondere in den Fällen, in denen die Europäische Staatsanwaltschaft eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs hat.

4.3.4

Die Verfahrensgarantien, die dem Verdächtigen und anderen beteiligten Personen im Rahmen der Verfahren der Europäischen Staatsanwaltschaft kraft der einschlägigen Normen, insbesondere der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, zuerkannt werden, können selbst bestimmte Rechte begründen (Recht auf Aussageverweigerung, Recht auf Rechtsbeistand), zu denen die Union noch keine Rechtsvorschriften erlassen hat. Diese Rechte sollten nicht nur für die Verdächtigen, sondern auch für Zeugen gelten.

4.4   Gerichtliche Kontrolle

4.4.1

Bei der Annahme verfahrensrechtlicher Maßnahmen in Wahrnehmung ihrer Aufgaben gilt die Europäische Staatsanwaltschaft zum Zwecke der gerichtlichen Kontrolle als einzelstaatliche Behörde. Nach Auffassung des EWSA sollte eine gerichtliche Kontrolle der internen Handlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft auf EU-Ebene ermöglicht werden.

4.4.2

Die internen Verfahrensregeln der Europäischen Staatsanwaltschaft dürfen nicht nur die Zuweisung der Rechtssachen regeln, sondern müssen auch andere Aspekte umfassen, die von großer Bedeutung sind, wie die Hierarchie, die Struktur, das Verhalten, besondere Aufgaben usw. Auch wenn diese internen Regeln keine Vollstreckungswirkung haben und nur interinstitutionell von Bedeutung sind, so lässt sich doch aus Gründen der Rechtssicherheit die Auffassung vertreten, dass aus ihnen bestimmte Rechte erwachsen und die Unionsbürger, die Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen sind, deshalb die Möglichkeit haben müssen, sich auf sie zu berufen. Dies entspricht auch Artikel 86 Absatz 3 AEUV, in dem der Unionsgesetzgeber mit der Festlegung der Regeln für die gerichtliche Kontrolle der von der Europäischen Staatsanwaltschaft bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorgenommenen Prozesshandlungen beauftragt wird.

4.5   Schutz personenbezogener Daten

4.5.1

Die Datenschutzregelung präzisiert und ergänzt die EU-Rechtsvorschriften für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die EU-Organe (16) in Bezug auf die Europäische Staatsanwaltschaft. Personenbezogene Daten dürfen nur dann an Drittstaaten übermittelt werden, wenn eine diesbezügliche Vereinbarung existiert. Diese Übermittlung darf nur erfolgen, wenn dies zur konkreten Strafverfolgung unbedingt notwendig ist und der Drittstaat dasselbe Datenschutzniveau wie die EU durch ein Übereinkommen zusichert und einhält. Die Überwachung der Verarbeitung all dieser Daten im Rahmen der Tätigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft muss sowohl dem Europäischen Datenschutzbeauftragten als auch den zuständigen nationalen Behörden obliegen.

4.5.2

Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte nur die Personen betreffen, für die gewichtige Verdachtsmomente für Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union vorliegen, andernfalls könnte es zu einer schwerwiegenden und unangemessenen Verletzung ihrer Privatsphäre und zu Verstößen gegen die Grundrechtecharta kommen.

4.5.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass bestimmte Daten, wie sie in Artikel 37 Absatz 4 genannt werden, nur dann erfasst werden dürfen, wenn dies unbedingt erforderlich ist und ein solider ursächlicher und wesentlicher Zusammenhang zum Ermittlungsgegenstand besteht. Die Erfassung zusätzlicher personenbezogener Angaben gemäß Artikel 37 Absatz 4 ist mit dringenden Ermittlungserfordernissen zu begründen und darf nur unter Wahrung der EU-Charta der Grundrechte, der Europäischen Menschenrechtskonvention und aller besseren Datenschutzvorschriften der Mitgliedstaaten erfolgen.

4.5.4

Der EWSA ist der Auffassung, dass diese personenbezogenen Daten aus den Unterlagen und Archiven gelöscht werden müssen, wenn sie nicht unbedingt erforderlich sind. Dies gilt auch für alle Vorgänge, bei denen keine Anklage gegen die betroffenen Personen erhoben wird.

Brüssel, den 11. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Siehe Artikel 2 Buchstabe b, Artikel 4 Absatz 1 und Artikel 12 des Dokuments COM(2013) 534 final sowie die Erläuterungen in Abschnitt 4.1 dieser Stellungnahme „Gegenstand, Begriffsbestimmungen, Zuständigkeit“.

(2)  COM(2013) 535 final, Artikel 3 Absatz 1: „Die Zuständigkeit von Eurojust erstreckt sich auf die in Anhang 1 aufgezählten Straftaten.“

(3)  Die Tätigkeiten dieses Ausschusses finden im Rahmen der Fachgruppe REX statt. Zu den Themenbereichen der Fachgruppe SOC zählen u. a. auch die aktive Bürgerschaft und der Schutz der Grundrechte der Menschen.

(4)  Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, COM(2001) 715 final, 11.12.2001.

(5)  http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0293:FIN:DE:PDF.

(6)  Zusammenfassung der Folgenabschätzung SWD(2013) 275 final, S. 2, Abschnitt 1.2.

(7)  COM(2013) 534 final, S. 3 und 4.

(8)  Artikel 1 und 2 des Protokolls (Nr. 22) zum AEUV.

(9)  In Artikel 2 Buchstabe b der Verordnung wird in diesem Zusammenhang auf die „Richtlinie 2013/xx/EU“ verwiesen.

(10)  In dem Verordnungsentwurf COM(2013) 534 final wird klargestellt, dass es sich ebenfalls um die „Richtlinie 2013/xx/EU“ handelt.

(11)  COM(2012) 363 final, Artikel 4 Absatz 5.

(12)  Siehe Artikel 1 Buchstabe b, Artikel 4 Absatz 1 und Artikel 12 des Dokuments COM(2013) 534 final.

(13)  COM(2013) 535 final, Artikel 3 Absatz 1: „Die Zuständigkeit von Eurojust erstreckt sich auf die in Anhang 1 aufgezählten Straftaten“.

(14)  COM(2013) 534 final, Artikel 8 Absatz 3.

(15)  COM(2013) 534 final, Artikel 13 „Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs“, Absatz 1.

(16)  Insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr.


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/91


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie

(COM(2013) 407 final)

2014/C 170/15

Berichterstatter: Claude ROLIN

Ko-Berichterstatter: Zbigniew KOTOWSKI

Die Europäische Kommission beschloss am 3. Juli 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie

COM(2013) 407 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 21. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 11. Dezember) mit 156 gegen 5 Stimmen bei 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den von der Europäischen Kommission am 11. Juni vorgelegten Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie. Der EWSA hält den Stahl-Aktionsplan für einen ersten Schritt in die richtige Richtung, weil damit die strategische Bedeutung der Branche für Europa und ihre Rolle als Wachstumsmotor anerkannt werden. Der Erfolg des Plans wird aber davon abhängen, wie diese Ideen in die Praxis umgesetzt werden.

1.2

Der Aktionsplan ist zwar ein sehr konkreter Vorschlag, seine Umsetzung wird jedoch mehrere Monate oder gar Jahre in Anspruch nehmen. Angesichts des raschen Produktions- und Einnahmerückgangs in diesem Jahr sind „Just-in-time“-Maßnahmen erforderlich, um von der Krise betroffenen Arbeitnehmern zu helfen und wieder ein positives Investitionsklima in der Branche und den ihr nachgelagerten Sparten zu schaffen. Bleiben solche Maßnahmen aus, wird es zu weiteren Schließungen und Arbeitsplatzverlusten kommen. In diesem Zusammenhang fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, so bald wie möglich einen Fahrplan mit genauen Fristen für die Umsetzung des Aktionsplans vorzulegen. Der Fahrplan sollte von den Sozialpartnern in der nächsten Sitzung der Hochrangigen Gruppe erörtert werden.

1.3

Der Aktionsplan bleibt hinsichtlich der konkret zu ergreifenden Maßnahmen vage und trägt den konjunkturellen Aspekten der Krise nicht gebührend Rechnung. Damit die Branche ihre strategische Bedeutung für das verarbeitende Gewerbe in Europa und die Beschäftigung behält und sie nicht weiter schrumpft, fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, dringend folgende Maßnahmen zu ergreifen:

genaue Bewertung der bestehenden Kapazitäten unter Beteiligung der Sozialpartner;

Durchführung von Maßnahmen zur Erleichterung der Verwendung und des Transports von Altmetall und zur Vermeidung illegaler Ausfuhren;

massiver Einsatz der EU-Strukturfondsmittel und Gewährleistung eines ausreichend branchenspezifischen Ansatzes bei der Zuweisung dieser Mittel;

Entwicklung befristeter Maßnahmen (wie etwa der Kurzarbeit in Deutschland) mit öffentlicher Förderung und/oder Ausbau bestehender Maßnahmen, um Arbeitnehmer in der Stahlindustrie zu halten;

Ankurbelung der Nachfrage in dem Stahlsektor nachgelagerten Branchen, u. a. durch die sofortige Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen für die Automobil- und Bauindustrie. Erforderlich ist grundsätzlich das richtige Gleichgewicht zwischen Haushaltskonsolidierung (Sparmaßnahmen) und aktiven industriepolitischen Maßnahmen, die Investitionen anziehen und Arbeitsplätze schaffen (1). Zur Belebung der Stahlnachfrage wird es nicht ausreichen, nur auf die Automobil- und Baubranche zu setzen.

Es bedarf einer viel größeren (u. a. öffentlichen) Unterstützung von Investitionen in die Entwicklung neuer Technologien und Verfahren, um eine weitere Modernisierung von Anlagen und Werken in Gang zu setzen.

Die Einführung eines nachhaltigen Stahlproduktionsmodells wird die europäische Stahlindustrie stärken. Europäische Nachhaltigkeitsstandards wie „SustSteel“ (Kennzeichen für Stahlkonstruktionsprodukte) sollten dringend entwickelt und gefördert werden.

Der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung sollte keine Ex-post-Maßnahmen vorsehen, sondern auf die Antizipierung von Veränderungen ausgerichtet werden, z. B. durch die Erleichterung der Einführung neuer Technologien und die Unterstützung der Arbeitnehmer bei der Anpassung an diese Technologien.

1.4

Das Augenmerk ist umgehend auch auf eine nachhaltige europäische Klima-, Energie- und Handelspolitik zu legen, die den Übergang der Branche zu einer kohlenstoffarmen/energie- und ressourceneffizienten Wirtschaft ohne einseitige Kostenbelastung der EU-Stahlindustrie ermöglicht. Das wird auch erreicht durch die Förderung ehrgeiziger FuEuI-Maßnahmen, z. B. im Rahmen von Horizont 2020, und durch die aktive Unterstützung des Einsatzes neuer saubererer, ressourcen- und energieeffizienter Technologien.

1.5

Der EWSA unterstützt das allgemeine Ziel der Bekämpfung des Klimawandels und befürwortet die einschlägigen Maßnahmen der EU. Allerdings müssen die Eigenheiten der Branche gebührend berücksichtigt werden, vor allem in Bezug auf technische Beschränkungen und die bereits unternommenen Anstrengungen. Die Ziele für die Stahlindustrie müssen technisch und wirtschaftlich erreichbar sein. Sie müssen so festgelegt werden, dass wenigstens auf die am besten abschneidenden Unternehmen in der EU keine weiteren Kosten zukommen, die aus der EU-Klimapolitik — namentlich dem EU-Emissionshandelssystem (EHS) — resultieren, zumindest bis ein umfassendes internationales Klimaübereinkommen mit einheitlichen Zielen und Maßnahmen für die Stahlindustrie vorliegt.

1.6

Zeitlich befristete Maßnahmen zum Ausgleich der durch das EHS bedingten höheren Stromtarife in der EU sollten während der dritten Handelsperiode und auch danach in ganz Europa maximiert werden. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, diesen Sachverhalt näher zu untersuchen und rasch angemessene Maßnahmen zu ergreifen.

1.7

Der EWSA befürwortet den Vorschlag zur Schaffung eines europäischen Systems zur Finanzierung des Einsatzes neuer und neuartiger Technologien in energieintensiven Industriezweigen mit Mitteln aus zweckgebundenen Einnahmen aus dem Verkauf von EHS-Zertifikaten.

1.8

Die Einführung bahnbrechender Technologien wie ULCOS sollte weiterhin gefördert werden. Der EWSA hält es für sehr wichtig, Daten über CO2-Emissionen und die Energieeffizienz von Stahlwerken genau zu überwachen.

1.9

Die Wechselseitigkeit und die Schaffung weltweit gleicher Wettbewerbsbedingungen müssen Prioritäten der Europäischen Kommission sein. Wegen der ungleichen Bedingungen und der starken Zunahme des Protektionismus in den Schwellenländern sollte die Kommission gezielt und umgehend schlagkräftigere Maßnahmen zum Schutz der europäischen Stahlindustrie einschließlich wirksamer handelspolitischer Schutzinstrumente ergreifen.

1.10

Der EWSA begrüßt die Annahme eines Qualitätsrahmens zur Antizipierung von Veränderungen und Umstrukturierungen, unter Darlegung der bewährten Vorgehensweisen in diesem Bereich. Er ist der Ansicht, dass dieser Rahmen von den verschiedenen Interessenträgern als europäischer Mindeststandard genutzt werden sollte, um Veränderungen zu antizipieren und sozialverträglich zu bewältigen, indem die Aus- und Fortbildung und ggf. die Umschulung gefördert werden. Ferner sollte er als Möglichkeit dienen, die europäische Stahlbranche für junge und hochqualifizierte Menschen attraktiver zu machen. Darüber hinaus sollten langfristige Lösungen entwickelt werden, um auf den Generationenwechsel zu reagieren. Auf allen Ebenen können die Sozialpartner in dieser Hinsicht eine proaktive Rolle spielen.

1.11

Im Interesse eines sozialverträglichen Übergangs zu einer wettbewerbsfähigeren EU-Stahlindustrie sollte die Stahlbranche nach Auffassung des EWSA den gleichen Zugang zu den verfügbaren europäischen, nationalen und regionalen Finanzmitteln haben wie andere Branchen.

2.   Einleitung

2.1

Wie die Europäische Kommission in ihrem Aktionsplan für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Stahlindustrie in Europa feststellt, liegt „die EU (...) bei der Stahlerzeugung mit einem jährlichen Volumen von mehr als 177 Mio. t Stahl und einem Anteil von 11% an der globalen Produktion weltweit auf Platz zwei.“ Diese Branche ist mit mindestens 500 Produktionsstandorten in 24 Mitgliedstaaten über ganz Europa verteilt.

2.2

Der EWSA bekräftigt, dass die europäische Stahlindustrie die tragende Säule des Wohlstands in Europa und ein unerlässliches Glied in der europäischen Lieferkette ist. Sie entwickelt und erzeugt Tausende unterschiedlicher, innovativer Stahllösungen in Europa und bietet damit direkte und indirekte Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten für Millionen Bürgerinnen und Bürger der EU.

2.3

Leider zeigt sich jetzt deutlich, dass diese Branche von der Wirtschaftskrise, die derzeit alle europäischen Länder erfasst hat, äußerst hart getroffen wird. Die Stahlindustrie hängt von Branchen wie der Automobil- und Bauindustrie ab, deren Produktionstätigkeit seit 2008 stark zurückgegangen ist. Dies wiederum hat zu einem Nachgeben der Stahlnachfrage in Europa geführt.

2.4

Der Rückgang der Stahlnachfrage in Europa äußert sich in einer vorübergehenden oder dauerhaften Schließung von Produktionsanlagen und einem Verlust von über 60 000 Arbeitsplätzen in diesem Wirtschaftszweig.

2.5

Europa muss unbedingt schnell handeln, um die gegenwärtige Krise, die die Stahlindustrie erfasst hat, in den Griff zu bekommen. Daher begrüßt der EWSA die jüngste Initiative der Europäischen Kommission für Maßnahmen zugunsten der europäischen Stahlindustrie.

2.6

Elf Jahre nach Auslaufen des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 2002 ist es das erste Mal, dass die Kommission einen umfassenden Stahl-Aktionsplan vorgeschlagen hat. Er ist das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen der Kommission und der Sozialpartner um größere Aufmerksamkeit für die Industriepolitik sowohl im Allgemeinen als auch im Hinblick auf die wichtigsten verarbeitenden Industriezweige. Es ist auch ein erster Schritt hin zu einer echten Industriepolitik, die Bereiche wie Handel, FuE, Umwelt, Klima und Energie einschließt.

2.7

Der Plan umfasst eine Reihe von Maßnahmen und Empfehlungen in den Bereichen Nachfrage, Energie und Energieeffizienz, Klimapolitik, Wettbewerb, Handel, Rohstoffe, Forschung und Innovation und soziale Aspekte wie Zugang zu den europäischen Strukturfonds zur Abfederung der sozialen Kosten der Antizipierung und Bewältigung des Wandels sowie Förderung von Jugendbeschäftigung im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Branche.

2.8

Die Sozialpartner in der Stahlbranche haben im Rahmen des EU-Ausschusses für den sozialen Dialog durch die Entwicklung eines Gesamtbilds der Herausforderungen für die europäische Stahlindustrie ihren Beitrag zu dieser langfristigen Strategie geleistet. Diese gemeinsame Analyse diente als Grundlage für das hochrangige Diskussionsforum, das von der Europäischen Kommission initiiert wurde, um den Aktionsplan für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Stahlindustrie in Europa zu entwickeln.

2.9

Stahl ist die strategische Stütze des verarbeitenden Gewerbes in Europa und nach wie vor Motor der technischen Innovation, die für die Wertschöpfung in nachgelagerten Sektoren entscheidend ist, z. B. Automobilbau, Baugewerbe, Luftfahrtindustrie und Energiewirtschaft. Eine robuste Stahlindustrie ist für Europa von zentraler Bedeutung, wenn es sein Ziel eines Anteils der Industrie von 20% am BIP (im Vergleich zu derzeit 15,2%) erreichen möchte (2).

2.10

Die europäische Stahlindustrie hat viele Pluspunkte: moderne Anlagen, fortschrittliche Produkte, anspruchsvolle und eine ständige Produktinnovation forcierende Kunden, einen großen heimischen Markt und qualifizierte Arbeitnehmer. Heute steht sie jedoch vor großen Herausforderungen: geringe Nachfrage, steigende Energiekosten, Abhängigkeit von importierten Rohstoffen und oft unfairer Wettbewerb.

2.11

Der Aktionsplan berührt die wichtigsten Aspekte der Stahlbranche und umfasst insbesondere eine Liste möglicher Maßnahmen, die von den verschiedenen institutionellen Ebenen und den wesentlichen Interessenträgern umzusetzen sind.

2.12

Der Vorschlag der Europäischen Kommission sieht vor, dass eine offizielle „Hochrangige Gruppe“ über die Umsetzung des Plans und seine Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Beschäftigung in der Stahlindustrie wacht.

3.   Bemerkungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

3.1

Der EWSA begrüßt es, dass die Europäische Kommission die alarmierende Situation der europäischen Stahlbranche auf ihre Agenda gesetzt hat. Im Wege von Konsultationen hatten die Sozialpartner und die Mitgliedstaaten Gelegenheit, ihre Sichtweise der Branche und ihrer Schwachstellen vorzutragen sowie denkbare Lösungen zur Erhaltung einer soliden Stahlindustrie in Europa vorzuschlagen. Diese Konsultationen gipfelten in der Konzipierung eines Aktionsplans für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Stahlindustrie in Europa.

3.2

Der Plan ist ein erster Schritt mit dem Ziel, die Stahlbranche bei der Bewältigung der derzeit wichtigsten Herausforderungen in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umweltschutz zu unterstützen, dergestalt dass ein „neuer“ industriepolitischer Rahmen geschaffen wird, um die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie zu bewahren und Arbeitsplätze in Europa zu sichern. Der Aktionsplan ist vom Tenor her optimistisch. Sein Erfolg wird aber letztlich davon abhängen, wie diese Ideen in die Praxis umgesetzt werden. Der Plan kann seine potenzielle Wirkung nur entfalten, wenn er auf einer klaren kurz-, mittel- und langfristigen Strategie basiert und mit den notwendigen rechtlichen, finanziellen und logistischen Instrumenten ausgestattet ist.

3.3

Aus Sicht des EWSA sollte die Umsetzung des Plans Folgendes ermöglichen:

Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen zur kurz- und langfristigen Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und einer nachhaltigen Entwicklung der europäischen Stahlindustrie. Die Fähigkeit der Industrie zur Reaktion auf die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen wird durch politische Maßnahmen in den Bereichen Forschung und Innovation, Umwelt, Energie, Handel, Wettbewerb und Verbraucherbedürfnisse beeinflusst. Der Plan sollte darauf abzielen, diese Politikbereiche so zu gestalten, dass sie den Herausforderungen, vor denen die Stahlindustrie steht, gebührend Rechnung tragen.

Unterstützung der Stahlindustrie (die von der Wirtschaftskrise weiterhin schwer betroffen ist) zur Umkehr des Wirtschaftsabschwungs. Seit Ausbruch der Krise hat die Stahlindustrie auf die rückläufige Stahlnachfrage energisch reagiert, indem sie Produktionskapazitäten dauerhaft oder zeitweilig abgebaut hat. Seit 2008 sind 15,5% der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie verlorengegangen (Quelle: EUROFER).

Abwehr von Bedrohungen für die Zukunft der Stahlindustrie in Europa. Abgeschaltete Produktionsanlagen und stillgelegte Hochöfen können sehr wahrscheinlich nicht ersetzt oder erneut in Betrieb genommen werden. Nach Ansicht des EWSA läuft die Wirtschaft der EU ernsthaft Gefahr, bei wieder anziehender Nachfrage zu einem strukturellen Stahlimporteur zu werden.

Verbesserung des Unternehmensumfelds und des Rechtsrahmens für die Stahlbranche in Europa. Im weltweiten Vergleich sind die Kosten für Rohstoffe und Energie sowie die Kosten aufgrund von Rechtsvorschriften in Europa am höchsten. Gaspreise in der EU sind drei- bis viermal und die Strompreise doppelt so hoch wie in den USA. Prognosen zufolge wird diese Kluft noch größer, wenn keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden.

Unterstützung der Arbeitnehmer und Regionen, die ebenfalls von der Krise stark betroffen sind, auch bei der planerischen Gestaltung und Vollziehung des Wandels durch die Förderung von Aus- und Fortbildung und ggf. Umschulung. Tausende Arbeitsplätze sind verlorengegangen, und viele weitere sind bedroht. Außerdem hat die Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse allgemein zugenommen, was einen Transfer wesentlicher fachlicher Fertigkeiten und Kenntnisse erschwert. In einigen Fällen beeinträchtigt dies die Produktionsqualität oder gefährdet die Sicherheit der Arbeitnehmer.

Allgemeines

3.4

Eines der Hauptziele der Kommissionsmitteilung zur Industriepolitik ist es, bis 2020 einen Anteil des Industriesektors am EU-BIP von 20% zu gewährleisten. Der EWSA befürwortet dieses Ziel, da es auch im Interesse der Stahlbranche ist. Ohne leichteren Zugang zu Finanzinstituten wie der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung dürfte dieses Ziel allerdings nur sehr schwer zu erreichen sein.

3.5

Die Marktsituation wird Stahlproduzenten zu schwierigen Umstrukturierungen zwingen (Fusionen, Übernahmen und Konkurse sind nicht auszuschließen). Teure Investitionen in Innovation, innovative Stahlsorten, die Verbesserung der Bandbreite angebotener Fertigerzeugnisse, weitere produktartbezogene Kostenreduzierungen und die Einführung von Dienstleistungen, die Stahl aus eigener Produktion nutzen, sind grundlegend, aber für viele Stahlerzeuger gegenwärtig schwer oder unmöglich zu finanzieren.

Der richtige Rechtsrahmen

3.6

Aus einer aktuellen Studie im Auftrag der Kommission über die Bewertung der kumulativen Kosten für die EU-Stahlindustrie geht hervor, dass die Regulierungskosten nicht der Hauptgrund für die Kluft im Bereich der Kostenwettbewerbsfähigkeit sind. In Krisenzeiten können die Kosten aufgrund von EU-Rechtsvorschriften jedoch einen erheblichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie haben (3). Der Rechtsrahmen sollte hinsichtlich der Kosten wie auch der Nutzeffekte bewertet werden.

3.7

Die Sozialpartner in der Stahlbranche müssen an der Bewertung des Rechtsrahmens eng beteiligt werden.

Ankurbelung der Stahlnachfrage

3.8

In der Kommissionsmitteilung heißt es: „In der EU hängt die Stahlnachfrage von der wirtschaftlichen und finanziellen Lage in einigen wenigen wichtigen stahlverbrauchenden Industriezweigen ab (...) (z. B. dem) Bau- und Automobilsektor (...)“ (4). Leider belastet die aktuelle Krise ernsthaft die Nachfrage aus diesen Industriezweigen, was zu einem Einbruch bei der Gesamtnachfrage nach Stahl führt.

3.9

Die Kommission setzt auf ihren Plan „CARS 2020 (5)“ und ihre Initiative zur Förderung des nachhaltigen Bauens (6), um die Stahlnachfrage in Europa zu beleben. Angesichts des Ernstes der derzeitigen Lage in der Stahlindustrie sind diese Pläne nicht konkret genug und werden nicht ausreichen, um dem Stahlsektor auf kurze Sicht Impulse zu geben.

3.10

Die Stahlnachfrage kann auch angekurbelt werden, indem die Schaffung großer zukunftsorientierter Infrastrukturen erleichtert und die Kaufkraft der EU-Bürger verbessert wird, um so einen Wiederaufschwung auf den heimischen Märkten in Gang zu setzen.

Gleiche Ausgangsbedingungen auf internationaler Ebene

3.11

In den letzten zehn Jahren hatte die EU-Stahlbranche unter unlauteren Handelspraktiken, Protektionismus von Drittstaaten und einer Überkonzentration von Rohstoffproduzenten zunehmend zu leiden. Es muss daher dringlichst geprüft werden, inwieweit alle unlauteren Praktiken, denen die europäische Stahlindustrie ausgesetzt ist, gezielt und zügig angegangen werden können. Dies ist angesichts der weltweiten Überkapazität des Sektors umso vordringlicher, die einige Drittstaaten zu unfairen Handelsmethoden verleitet hat, um ihre Überschüsse zu exportieren.

Wettbewerbsfähigkeitsfördernde Maßnahmen in den Bereichen Energie, Klima, Ressourcen- und Energieeffizienz

3.12

Die europäische Stahlindustrie wird nur dann eine Zukunft haben, wenn die Unternehmen Vorreiter bei weltweiten technischen Entwicklungen sind, insbesondere dem Einsatz der neuesten Produktionstechniken zur Senkung der CO2-Emissionen und größere Energieeffizienz, falls dies wirtschaftlich tragbar ist.

3.13

Die Stahlindustrie ist eine energieintensive Industrie, die derzeit mit höheren Energiepreisen konfrontiert ist als die meisten ihrer internationalen Mitbewerber. Für die langfristige Entwicklung dieser äußerst kapitalintensiven Branche sind Stabilität, Vorhersagbarkeit und globale Wettbewerbsfähigkeit der Energiepreise von entscheidender Bedeutung.

3.14

Im Mittelpunkt des Aktionsplans steht zu Recht der Beitrag von Stahlerzeugnissen/-werkstoffen zur CO2-Reduzierung. Die Industrie gelangt mit ihren Produktionsprozessen und den derzeitigen Technologien allmählich an ihre Grenzen und kann deshalb nicht die von der Kommission bis 2050 festgelegten Etappenziele verwirklichen. Signifikante Verbesserungen können einzig mit bahnbrechenden Technologien erreicht werden. Deshalb spielen FuEuI und Ressourcen zur Finanzierung der FuE eine entscheidende Rolle. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA den Vorschlag der Kommission, im Rahmen von Horizont 2020 FuE-, Demonstrations- und Pilotprojekte betreffend neue sauberere, ressourcen- und energieeffizientere Technologien zu unterstützen.

3.15

Beim derzeitigen Stand der Technik ist die Stahlindustrie zwar ihren Grenzen nahe, aber noch haben nicht alle Werke ihre Möglichkeiten für Energie- oder Ressourceneffizienzsteigerungen unter Verwendung bestehender Technologien ausgereizt. Die Unternehmen sollten dazu angehalten werden, in die besten verfügbaren Technologien zu investieren.

3.16

Die Preise für Ressourcen und Energie treiben gegenwärtig die Innovation an. Die Industrie muss zwar in erster Linie selbst für Investitionen in Forschung, Entwicklung und Innovation sorgen, gleichwohl müssen FuE-, Pilot- und Demonstrationsprojekte sowie der Einsatz neuer Technologien stärker gefördert werden. Da Rohstoffe und Energie die wichtigsten Kostenfaktoren sind, geht es darum, das Kostengefälle zwischen der EU und ihren Hauptkonkurrenten zu verringern.

3.17

Die Krise und erhebliche Haushaltszwänge haben die Möglichkeit von Ausgleichszahlungen an Stahlerzeuger in einigen Mitgliedsländern stark eingeengt, was zu einer ungerechten Situation in Europa führen dürfte.

Innovation

3.18

In den letzten Jahrzehnten hat sich die europäische Stahlindustrie dank Effizienzverbesserungen, Produktinnovationen und substanzieller Arbeitsproduktivitätssteigerungen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Mitbewerbern bewahrt. In der derzeitigen Situation sind weitere Steigerungen in diesem Bereich nur schwer möglich, solange sich die Marktlage und die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen nicht bessern.

3.19

Die Entwicklung neuer wirtschaftlich tragfähiger Technologien muss mit einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlunternehmen gegenüber ihren globalen Konkurrenten Hand in Hand gehen. Eine weniger energie- und rohstoffintensive Produktion wird eine Kostensenkung zeitigen und dadurch die europäische Stahlindustrie wettbewerbsfähiger machen.

Die soziale Dimension: Umstrukturierung und Qualifikationsbedarf

3.20

Im Plan wird das Problem künftiger Qualifikationsdefizite hauptsächlich als Folge der Alterspyramide betrachtet, aber dem „Verlust“ von Fachkenntnissen und -kompetenzen infolge von Umstrukturierungen nicht gebührend Rechnung getragen. Außerdem wird der Generationenwechsel systematische Lösungen erforderlich machen, insbesondere angesichts der starken Zunahme der Jugendarbeitslosigkeit.

3.21

Die Förderung befristeter Maßnahmen zur Unterstützung von Arbeitnehmern ist wichtig, um den Wirtschaftsabschwung zu bewältigen sowie die für die Zukunft der Stahlindustrie entscheidenden personellen und fachlichen Ressourcen zu bewahren.

Die Hochrangige Gruppe Stahl

3.22

Angesichts der sehr schwierigen Situation der europäischen Stahlindustrie ist es enttäuschend, dass die Kommission lediglich eine Sitzung der Hochrangigen Gruppe pro Jahr plant. Wegen der gegenwärtigen Instabilität der Branche werden kontinuierliche Bestandsaufnahmen erforderlich sein, um fundierte Entscheidungen treffen zu können.

3.23

Schließlich sollte innerhalb von zwölf Monaten nach Annahme des Aktionsplans eine Bewertung seiner Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlindustrie vorgenommen werden. Für eine möglichst genaue und objektive Bewertung müssen die Sozialpartner in die Diskussionen einbezogen werden. Es bedarf einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern auf europäischer, nationaler, lokaler und Unternehmensebene, um die Umsetzung des Plans in Angriff zu nehmen.

Brüssel, den 11. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  CESE 1094/2013, CCMI/108.

(2)  COM(2012) 582 final.

(3)  Centre for European Policy Studies, Assessment of Cumulative Cost Impact for the Steel Industry, 2013.

(4)  COM(2013) 407 final.

(5)  COM(2012) 636 final.

(6)  COM(2012) 433 final.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Der folgende Änderungsantrag, der mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen erhielt, wurde auf der Plenartagung abgelehnt (Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

Ziffer 1.11

Die weiteren Angaben zu Finanzierungsquellen wie folgt streichen:

Im Interesse eines sozialverträglichen Übergangs zu einer wettbewerbsfähigeren EU-Stahlindustrie sollte die Stahlbranche nach Auffassung des EWSA den gleichen Zugang zu den verfügbaren europäischen, nationalen und regionalen Finanzmitteln haben wie andere Branchen.

Begründung

Durch den gekürzten Wortlaut wird eine ausdrückliche Benennung der Finanzmittel vermieden. Das ermöglicht ausreichend Flexibilität für die Marktteilnehmer, ohne Marktverzerrungen in der Branche hervorzurufen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

:

70

Nein-Stimmen:

:

77

Enthaltungen:

:

12


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/98


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Europäisches Jahr der Entwicklung (2015)“

2014/C 170/16

Alleinberichterstatter: Andris GOBIŅŠ

Das Europäische Parlament beschloss am 18. September 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Europäisches Jahr der Entwicklung (2015).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 5. November an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 144 gegen 2 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt, dass sich die Europäische Kommission der gemeinsamen Initiative der Zivilgesellschaft und des EWSA angeschlossen hat, 2015 zum Europäischen Jahr der Entwicklung auszurufen.

1.2

Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Änderungen am Vorschlag für einen Beschluss der Europäischen Kommission (1) über das Europäische Jahr der Entwicklung, die der Dachverband für Katastrophen- und Entwicklungshilfe (CONCORD) (2) vorgeschlagen hat, ebenso wie die Abänderungsentwürfe des Europäischen Parlaments (3). Der EWSA weist darauf hin, dass diese Ideen größtenteils in der informellen Arbeitsgruppe für dieses Themenjahr erörtert worden sind und zum Teil bereits in anderen Stellungnahmen des EWSA und auf der Diskussionsseite des EWSA für dieses Themenjahr vorgestellt wurden.

1.3

Das Europäische Jahr der Entwicklung wird das erste europäische Themenjahr sein, das global und auf rechtliche Fragen ausgerichtet ist. Der EWSA fordert die EU-Institutionen auf, große Anstrengungen zu unternehmen, um die Ziele zu erreichen, die CONCORD sinngemäß so formuliert: Dieses Themenjahr bietet eine einzigartige Chance für umfassende öffentliche Debatten und ein sinnvolles staatsbürgerliches Engagement für eine Vision dessen, wie die europäische Entwicklungspolitik für die Welt innerhalb Europas, aber auch auf anderen Kontinenten gestaltet werden könnte, wobei die Aspekte Menschenrechte, nachhaltiger Umgang mit der Umwelt und sozialer Zusammenhang mit eingebracht werden sollten (4).

1.4

Der EWSA ruft seine Partner in den anderen Regionen der Welt auf, sich für ein globales Jahr der Entwicklung 2015 in ihren Regionen einzusetzen, sofern dafür noch genug Vorbereitungszeit bleibt.

1.5

Das Hauptaugenmerk sollte auf den nachhaltigsten und wichtigsten Aspekten der Entwicklungszusammenarbeit liegen, darunter etwa die globale Solidarität und Gerechtigkeit, die Stimmigkeit der Entwicklungspolitik, nachhaltige Entwicklungsziele, globale öffentliche Güter und Herausforderungen und die Rolle der europäischen Bürger als Verbraucher und handelnde Subjekte in der Weltwirtschaft. Enge Fachthemen und der Geber-Nehmer-Fragenkomplex sollten nicht im Vordergrund stehen.

1.6

Ein Schwerpunkt sollte außerdem auf der Rolle des Privatsektors für die Entwicklung liegen, da Entwicklungsländer üblicherweise nicht über Entwicklungsstrategien für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) verfügen, die Genossenschaften einschließen (5). Solche Entwicklungsstrategien können zur Beseitigung von Armut und zur Förderung eines integrativen Wachstums beitragen. Die europäische Erfahrung mit Maßnahmen zur Förderung von KMU in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und interessierten Nichtregierungsorganisationen sollte gezielt an Entwicklungsländer übermittelt werden, um in allen drei Bereichen — Wirtschaft, Soziales und Umwelt — nachhaltiges Wachstum herbeizuführen.

1.7

Der EWSA macht erneut darauf aufmerksam, dass der Erfolg der vergangenen Themenjahre der engen Zusammenarbeit der europäischen Institutionen und Organe mit der Zivilgesellschaft auf sowohl nationaler als auch europäischer Ebene zu verdanken ist. Daher fordert der EWSA unverzügliches Handeln, etwa indem eine Projektgruppe mit den diversen Interessenträgern gebildet wird, damit eine fristgerechte und gut strukturierte Zusammenarbeit eingeleitet werden kann. Aus diesem Grund spricht sich der EWSA ausdrücklich für die Schaffung eines Aktionsbündnisses zivilgesellschaftlicher Organisationen aus.

1.8

Die Tätigkeiten der zivilgesellschaftlichen Organisationen (auf nationaler, europäischer und partnerstaatlicher Ebene) sind der Schlüssel für die Gestaltung des politischen Prozesses. Demnach sollten diese Organisationen und ihre Tätigkeiten in diesem Themenjahr absolute Priorität und die meisten Mittel erhalten. Damit eine bessere kurz- und langfristige Wirkung des Europäischen Jahres sichergestellt ist, muss unbedingt vermieden werden, dass Mittel für teure Kampagnen von Werbeagenturen ausgegeben werden. Derartige Dienste sollten nur im absolut notwendigen Umfang genutzt werden (s. Ziffer 3.6).

1.9

Der EWSA appelliert an die EU-Institutionen, bei den Gesprächen im Rahmen des Trialogs nicht Kampagnen und Aktivitäten im Kommunikationsbereich, sondern dauerhafte Ergebnisse und den Beteiligungsaspekt in den Mittelpunkt zu stellen. Zu diesem Zweck müssen einige Artikel des Vorschlags der Europäischen Kommission geändert werden, worauf im dritten und vierten Teil dieser Stellungnahme eingegangen wird. Auf die erforderlichen Änderungen der Erwägungsgründe und Anhänge kann in dieser Stellungnahme aus Platzgründen allerdings nicht Bezug genommen werden.

1.10

Ein dezentraler Ansatz, wie er in Ziffer 3.5 dieser Stellungnahme beschrieben wird, könnte die besten Resultate liefern, da es in der Entwicklungszusammenarbeit sehr unterschiedliche Traditionen und geschichtliche Hintergründe gibt, aufgrund derer die Konzepte und Aktivitäten nicht auf eine einheitliche Formel gebracht werden können. Mehrere Vorschläge für ein basisnahes Themenjahr werden in Teil drei und vier dieser Stellungnahme unterbreitet und sollten bei der Vorbereitung dieses Jahres berücksichtigt werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Das Europäische Jahr hat einen besonderen Stellenwert bezüglich der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie ihrer Beteiligung, und es bietet einen Anlass für Veranstaltungen auf europäischer, nationaler und regionaler bzw. lokaler Ebene, die gemeinsam von den Institutionen und einer wachsenden Zahl zivilgesellschaftlicher Organisationen durchgeführt werden.

2.2

2015 ist das Jahr, in dem die Millenniumsentwicklungsziele erreicht sein sollen. Es sollte mit der Bewertung der Resultate und der Verabschiedung einer neuen Strategie oder eines neuen Konzepts für das anstehende Jahrzehnt abgeschlossen werden. Die EU war an den Überlegungen zu Entwicklungsfragen und an der Formulierung der Millenniumentwicklungsziele maßgeblich beteiligt. Obwohl es bei der Entwicklungszusammenarbeit um weitaus mehr als die Entwicklungshilfe geht, bleibt doch festzuhalten, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten der größte offizielle Geber für Entwicklungshilfe (60%) sind. Die EU und ihre Bürger sollten gemeinsam mit ihren Partnern in den Entwicklungsländern eine führende Rolle in der Debatte um die Gestaltung der Zeit nach 2015 einnehmen.

2.3

Einer Eurobarometer-Erhebung (6) zufolge beteiligen sich schätzungsweise 20 Mio. Europäer persönlich an den Entwicklungsprojekten der NRO (einschließlich Freiwilligenarbeit). Schätzungsweise 130 Mio. EU-Bürger spenden an Organisationen, die in den Entwicklungsländern helfen, und insgesamt 72% der EU-Bürger befürworten persönlich, Ländern mit niedrigen Entwicklungsindikatoren zu helfen.

2.4

Immer mehr Menschen begreifen, dass Entwicklung im eigenen Land und bei uns selbst beginnt, etwa durch fairen Handel, Umweltschutz und politische Beteiligung.

2.5

Ein rasch wachsendes, breites und offenes Bündnis von Unterstützern — nachdrücklich gefördert durch EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs und dessen Mitarbeiter — hat unter der Führung zivilgesellschaftlicher Organisationen der nationalen und europäischen Ebene (European Movement — Latvia, Lettische Plattform für Entwicklungszusammenarbeit [LAPAS], Dachverband für Katastrophen- und Entwicklungshilfe [CONCORD] und EWSA (7)) Schlüsselakteure zusammengebracht, und wird dabei von einem breiten Spektrum zivilgesellschaftlicher Organisationen, dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Parlament unterstützt. Den Partnern ging es dabei von Anfang an um eine erfolgreiche und anspruchsvolle Gestaltung des Themenjahrs mit konkreten Ergebnissen.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der EWSA ruft die EU-Institutionen auf, die Trialog-Gespräche zu nutzen, um dem Themenjahr mehr Substanz zu verleihen und für bessere und dauerhaftere Ergebnisse zu sorgen (zum Beispiel über politische Prozesse, Verpflichtungen, Verbesserung des horizontalen und strukturellen Dialogs usw.).

3.2

Der EWSA erinnert an seinen ursprünglichen Vorschlag in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung des Themenjahres:„Der EWSA fordert dazu auf, das Thema Entwicklungszusammenarbeit, die weltweite Solidarität und die Debatte über die Millenniumsentwicklungsziele stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Er schlägt vor, das Jahr 2015 zum ‚Jahr der Entwicklung und Zusammenarbeit‘ (Arbeitstitel) auszurufen. Da sich auch die EU und ihre Mitgliedstaaten verpflichtet haben, diese Ziele bis 2015 zu erreichen, sollte das Europäische Jahr nach Ansicht des Ausschusses dazu genutzt werden, um bei jedem Einzelnen, in der Zivilgesellschaft sowie auf einzelstaatlicher und europäischer Ebene das Verständnis und die Mitverantwortung sowohl für das Erreichen der gesteckten Ziele als auch für die neuen Zielsetzungen nach 2015 zu erhöhen“ (8).

3.3

Das Engagement für und die Einbindung der europäischen Bürger und zivilgesellschaftlichen Organisationen und ihrer Partner in der Welt in die Entwicklung und in den politischen Dialog über die globale Entwicklung und globale Gerechtigkeit sind der Schlüssel zum Erfolg dieses Themenjahres und der Entwicklungspolitik. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind nicht nur für die Einwerbung von Spenden und die Umsetzung der Entwicklungsmaßnahmen ausschlaggebend, sondern auch für den politischen Prozess. Dies gilt insbesondere für die jüngere Generation, die durch die sozialen und andere Medien tendenziell stärker in der Welt vernetzt und sich der drängenden Fragen stärker bewusst ist, auf die sie — als unsere künftigen Leiter — Antworten finden müssen. Daher ist die sinnvolle und direkte Einbindung von Kindern und Jugendlichen und insbesondere der Mädchen in die Debatten des Europäischen Jahres von wesentlicher Bedeutung. Es muss eine sinnvolle und direkte Einbeziehung der Bürger mit ihren verschiedenen Interessen und sozialen Hintergründen geben. Diese Aspekte müssen bei der Vorbereitung und Durchführung des Themenjahres, seinen Inhalten und seiner Finanzierung berücksichtigt werden.

3.4

Der EWSA befürwortet einen dezentralen Ansatz für das europäische Themenjahr. Projektgruppen auf nationaler Ebene sollten ein nationales Motto, einen Slogan oder eine Forderung in Bezug auf das Themenjahr wählen, der die Situation in dem jeweiligen Mitgliedstaat am besten entspricht. Nationale und europäische Projektgruppen sollten spätestens zwei Monate nach der Annahme des Vorschlags eingerichtet werden und für das Themenjahr bereitgestellte Mittel abrufen können. Die Arbeit der Projektgruppen und die Unterstützung für ihre Arbeit sollten auch über das Themenjahr hinaus fortgeführt werden. Die organisierte Zivilgesellschaft sollte in diesen Projektgruppen eine Schlüsselrolle spielen.

3.5

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission beabsichtigt, durch eine bedeutende Mittelausstattung für den Erfolg dieses Themenjahres zu sorgen. Zugleich bemängelt der EWSA, dass in dieser Phase nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Mittel für das Engagement und die Tätigkeiten der Zivilgesellschaft eingeplant sind, obwohl letztgenannte doch gerade für optimale Langzeiteffekte und Resultate des Themenjahres sorgen würden. Der Einsatz von Mitteln für bestehende oder neue Verträge bzw. Ausschreibungen für Öffentlichkeitsarbeit sollte vermieden oder auf ein absolutes Minimum beschränkt werden, da sich dies im Hinblick auf die Ziele des Themenjahres u.U. als kontraproduktiv erweisen könnte.

3.6

Ausgehend von den bewährten Praktiken vergangener europäischer Themenjahre, bekundet der EWSA seine Unterstützung für die Schaffung eines breiten und offenen Bündnisses zivilgesellschaftlicher Organisationen, die wie schon in den vergangenen Jahren eine führende Rolle bei der Planung und Umsetzung europäischer Themenjahre spielen sollten. Der EWSA regt an, einer engen Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern und Arbeitsorganen des EWSA, anderen Interessenträgern sowie den Mitgliedern des Bündnisses auf europäischer und nationaler Ebene besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

3.7

Die bewährte Praxis der Ernennung von „Botschaftern für das Themenjahr“ sollte auch 2015 fortgeführt werden, da dies eine hervorragende Möglichkeit zur Schärfung der öffentlichen Wahrnehmung und Unterstützung der Ziele des Themenjahrs bietet.

3.8

Der EWSA setzt sich für die Entwicklung von Kooperationsmechanismen auf allen relevanten Ebenen ein, um die Zusammenarbeit und die Synergien zwischen den Institutionen und Arbeitsorganen der EU zu maximieren. Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen während des Themenjahrs sollten erste Schritte unternommen werden.

3.9

Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Vorschläge für dieses Themenjahr, die in der informellen Projektgruppe für dieses Themenjahr und in dem Diskussionsforum auf den Internetseiten des EWSA eingebracht wurden. Die Ideen der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Partner wurden von CONCORD (9) vorgetragen. Die EU-Institutionen sollten alles daransetzen, um in Bezug auf das Themenjahr Folgendes sicherzustellen:

Inspiration: Es sollte ein Prozess sein, in dem alle Akteure mitreden und zusammen einen neuen Denkansatz und neue Verfahren für die Entwicklungspolitik erarbeiten. Bezüglich der Frage „Was bedeutet globale Gerechtigkeit für Europa und seine Bürger?“ sollte ein Konsens gefunden werden.

Partizipation: Die Bürger sollen die Hauptakteure in der Debatte sein und ihre Meinungen zu globaler Gerechtigkeit sollen im Mittelpunkt stehen. Dazu müssen sie ihre Ideen gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit den Organisationen einbringen können. Anders ausgedrückt sollen hier ganz neue Akzente gesetzt werden: Es geht nicht mehr nur darum, die Bürger zu informieren und bei ihnen ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen, sondern ihre Sicht soll in einer gemeinsamen Diskussion über eine gerechte globale Entwicklung einfließen.

Kohärenz: Entwicklungspolitik sollte kohärent sein, und im Themenjahr sollten Politikbereiche der Europäischen Kommission jenseits der Entwicklungspolitik (Handel, Finanzen, Landwirtschaft usw.) aus der Entwicklungsperspektive heraus erörtert werden.

Entwicklungspolitische Bildung und Sensibilisierung: Das Themenjahr sollte eine partizipative entwicklungspolitische Bildungsmaßnahme sein und als ein Prozess der Sensibilisierung wahrgenommenen werden, der von den pädagogischen Prinzipien und den Werten des „Europäischen Konsens über die entwicklungspolitische Bildungspolitik“ getragen wird.

Globale Ausrichtung: Alle Diskussionen müssen auf Augenhöhe mit den außereuropäischen Partnern geführt werden.

3.10

Der Ausschuss unterstützt außerdem folgende Vorschläge des Berichterstatters des Europäischen Parlaments (10):

Titeländerung — Europäisches Jahr für der Entwicklung;

die EU-Bürger, insbesondere die Bürger der Mitgliedstaaten, in denen es keine langjährige Tradition der Entwicklungszusammenarbeit gibt, über die Entwicklungszusammenarbeit zu informieren (11), wobei der EWSA anregt, besondere Lösungen für diese Staaten zu finden, um den zahlreichen Problemen im Zusammenhang mit der Kofinanzierung aus dem Weg zu gehen;

das Bewusstsein der EU-Bürger für ihre Beteiligung an und ihren Beitrag zu der weltweiten Entwicklung und für die Möglichkeiten, zu einer gerechteren globalen Entwicklung beizutragen, zu schärfen und die Entwicklung zu einem wesentlichen Teil der nationalen Bildungsprogramme zu machen  (12);

die Einbeziehung von Partnern in den Entwicklungsländern sicherzustellen (13);

das Bewusstsein für die Auswirkungen individueller, lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Beschlüsse und Entscheidungen auf die globale Entwicklung und die Menschen in Entwicklungsländern zu schärfen und die Debatte über dieses Thema zu fördern, um ein breiteres Verständnis der Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung zu erreichen (14).

Die Kommission lädt Vertreter der Zivilgesellschaft und Vertreter des Europäischen Parlaments als Beobachter zu diesen Sitzungen ein (15).

4.   Zusätzliche Änderungsvorschläge zum Vorschlag der Europäischen Kommission  (16)

4.1

Artikel 1 (Satz hinzufügen) — Ein auf nationaler Ebene eingeführter Untertitel könnte helfen, die unterschiedlichen Traditionen, Herausforderungen und Potenziale der jeweiligen Mitgliedstaaten besser wiederzugeben:

Das Jahr 2015 wird zum „Europäischen Jahr für Entwicklung“ [...] ausgerufen. […] In jedem Mitgliedstaat sollte ein Untertitel, Motto, Slogan oder eine Forderung zu diesem Themenjahr gewählt werden.

4.2

Artikel 2 (erster Spiegelstrich) — Der Schwerpunkt sollte deutlicher auf dem Engagement liegen, und alle Interessenträger sind als gleichberechtigte Akteure zu nennen:

die EU-Bürger über die Entwicklungszusammenarbeit der EU zu informieren und sie in die Debatten über die Frage einzubinden, wobei besonders hervorgehoben wird, was die Europäische Union als weltweit größter Geber als ein globaler Entwicklungspartner bereits erreichen kann, und eine Einigung darüber zu erzielen, wie sie durch größere Kohärenz und bessere Koordinierung die Bündelung der Kräfte ihrer Mitgliedstaaten, und ihrer Institutionen und sonstiger Akteure noch mehr erreichen könnte;

4.3

Artikel 2 (zweiter Spiegelstrich) — Im Sinne der EWSA-Stellungnahme zum Thema „Handel, Wachstum und Weltgeschehen — Handelspolitik als Kernbestandteil der EU-Strategie Europa 2020“:

das aktive Interesse der EU-Bürger an der Entwicklungszusammenarbeit zu wecken und ihnen ein ausreichendes und sinngebendes Gefühl der Verantwortungsgefühl und der Teilhabe und die Möglichkeit zur Mitwirkung an der Politikgestaltung und -umsetzung in Bezug auf individuelle Entscheidungen sowie das nationale und internationale Engagement (einschl. des Vorgehens nach 2015) zu vermitteln, sowie

4.4

Artikel 2 (dritter Spiegelstrich) — Der Text ist zu sehr aus der Geber-Nehmer-Perspektive heraus formuliert und greift zu kurz:

das Bewusstsein für die Bedeutung der EU-Entwicklungszusammenarbeit zu stärken, die nicht nur sämtlichen Beteiligten in der EU und ihren Partnerländern den Hilfeempfängern sondern auch den EU-Bürgern in einer von Wandel und immer engeren Verflechtungen geprägten Welt umfassende Vorteile bietet.

4.5

Artikel 2 (neuer Spiegelstrich) — Obwohl dauerhafte Ergebnisse der politischen Prozesse auf europäischer und nationaler Ebene von entscheidender Wichtigkeit sind, werden sie im derzeitigen Vorschlag nicht genannt:

dauerhafte Ergebnisse und Verbesserungen zu erzielen, wo dies erforderlich ist (z. B. in der internen und auswärtigen politischen Tagesordnung und in der Entwicklungspolitik, Kohärenz, Effizienz, rechtebasierter Ansatz, Stärkung der Stellung der Frauen, nachhaltige Entwicklung, Widerstandsfähigkeit/menschliche Sicherheit, Teilnahme und Austausch, Instrumente und Strukturen für die Zivilgesellschaft einschließlich der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften usw.).

4.6

Artikel 3 (Absatz 1, erster Spiegelstrich) — Kommunikation darf keine Einbahnstraße sein. Die jüngsten Kampagnen für europäische Themenjahre wurden von verschiedenen Seiten heftig kritisiert:

an die Allgemeinheit und an spezifische Zielgruppen gerichtete Informationskampagnen Kommunikation, um zentrale Botschaften zu vermitteln Anliegen zu erörtern und zu gemeinsamen Standpunkten zu finden, auch über soziale Medien;

4.7

Artikel 3 (Absatz 1, zweiter Spiegelstrich) — Erfolgreiche Projektgruppen auf nationaler und europäischer Ebene haben sich als ein Schlüssel zum Erfolg europäischer Themenjahre herauskristallisiert. Im Sinne der Transparenz müssen Diskussionen zu konkreten und messbaren Ergebnissen führen:

offene und integrative politische Prozesse, die von einer Projektgruppe mit den diversen Interessenträgern gesteuert werden, dazu Konferenzen, Veranstaltungen und Initiativen unter Einbeziehung aller einschlägigen Interessengruppen, um eine aktive Teilnahme und Diskussionen zu fördern und die Sensibilisierung auf europäischer Ebene zu stärken sowie Resultate und Verbesserungen, so erforderlich, abzusichern;

4.8

Artikel 3 (Absatz 1, neuer Spiegelstrich) — Ein Jahr im Zeichen der Entwicklung ohne eine unmittelbare Einbindung der Interessenträger in und aus Entwicklungsländern ist unvorstellbar:

Tätigkeiten innerhalb und außerhalb der Grenzen der Europäischen Union mit Anknüpfung an die Partnerstaaten, deren Bürger und Organisationen;

4.9

Artikel 3 (Absatz 1, neuer Spiegelstrich) — Der EWSA und die Europäische Kommission machen in ihrem Dokument klar, dass eine fristgerechte Vorbereitung und eine Weiterverfolgung der Tätigkeiten zu einem besseren Ergebnis für das Themenjahr führen kann. Gleiches gilt für die Verbindungen zwischen den Themenjahren:

Tätigkeiten zur Vorbereitung und Weiterverfolgung des Themenjahres auf europäischer und nationaler Ebene;

4.10

Artikel 4 (zweiter Absatz) — Siehe Erklärung in Ziffer 4.7:

Die nationalen Koordinatoren setzen konsultieren in enger Abstimmung mit der Kommission eine nationale Projektgruppe ein, der ein breites Spektrum einschlägiger Akteure, darunter Organisationen der Zivilgesellschaft, nationale Parlamente, Sozialpartner und gegebenenfalls die nationalen Gremien oder Kontaktstellen einschlägiger Programme der Union angehören und arbeiten eng mit diesen zusammen. […]

4.11

Anhang: Einzelheiten der Maßnahmen gemäß Artikel 3, Teil A. „Direkte Initiativen der Union“ (erster Absatz) — Um den Gegebenheiten in den jeweiligen Mitgliedstaaten gerecht zu werden, sollte ein dezentralisierter Ansatz unterstützt werden. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten von der Umsetzung der Vorschläge nicht ausgeschlossen werden:

Die Finanzierung erfolgt in der Regel über den direkten Erwerb von Gütern und Dienstleistungen nach Maßgabe bestehender Rahmenverträge Ausschreibungen, an denen sich zivilgesellschaftliche Organisationen, der private Sektor und sonstige Akteure beteiligen können. […]

4.12

Anhang: Einzelheiten der Maßnahmen gemäß Artikel 3, Teil A. „Direkte Initiativen der Union“ (neuer Absatz) — Ausgehend von den bewährten Verfahren der vergangenen Themenjahre: 2013 haben mehr als 60 EU-weit operierende Netze zivilgesellschaftlicher Organisationen an der Koordination und Umsetzung des Themenjahres mit Aktivitäten auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene teilgenommen. Die angemessene Unterstützung dieses Bündnisses ist ausschlaggebend:

Unterstützung der Koordinierung zivilgesellschaftlicher Organisationen nach dem Modell der „Allianz für das Europäische Jahr“.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr der Entwicklung (2015) (COM(2013) 509 final).

(2)  Reaktion von CONCORD auf den Vorschlag der Europäischen Kommission bezüglich des Europäischen Jahres der Entwicklung (2015).

(3)  Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr der Entwicklung (2015), Berichterstatter: Charles GOERENS, 2013/0238 (COD).

(4)  Reaktion von CONCORD auf den Vorschlag der Europäischen Kommission bezüglich des Europäischen Jahres der Entwicklung (2015).

(5)  Stellungnahme des EWSA "Einbeziehung des Privatsektors in den Entwicklungsrahmen für die Zeit nach 2015, ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 1.

(6)  Sonderumfrage Nr. 352 von Eurobarometer, Juni 2010: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_352_en.pdf.

(7)  Diese Initiative wurde erstmalig auf der Generalversammlung der CONCORD am 22. Juni 2011 von Andris Gobiņš (European Movement — Latvia und EWSA) und Māra Sīmane (Lettische Plattform für Entwicklungszusammenarbeit (LAPAS)) vorgelegt und erörtert). Eine informelle Projektgruppe wurde eingerichtet. Am 7. Dezember 2011 wurde im Plenum offiziell über die Stellungnahme „Handel, Wachstum und Weltgeschehen — Handelspolitik als Kernbestandteil der Strategie Europa 2020“ und die Initiative für ein europäisches Jahr für Entwicklung und Zusammenarbeit abgestimmt.

(8)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Handel, Wachstum und Weltgeschehen — Handelspolitik als Kernbestandteil der Strategie Europa 2020“, ABl. C 43 vom 15.2.2012, S. 73-78.

(9)  Vgl. Reaktion von CONCORD auf den Vorschlag der Europäischen Kommission zum Europäischen Jahr der Entwicklung 2015 vom September 2013.

(10)  Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr der Entwicklung (2015), Berichterstatter: Charles GOERENS, 2013/0238 (COD).

(11)  Ebd., Änderungsvorschläge 14 und 31.

(12)  Ebd., angepasster Änderungsantrag 17.

(13)  Ebd., Änderungsanträge: 18, 19, 21, 28 und 30.

(14)  Ebd., Änderungsantrag 20.

(15)  Ebd., Änderungsantrag 27.

(16)  Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger (2015) (COM(2013) 509 final).


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/104


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Tiergesundheit

(COM(2013) 260 final — 2013/0136 (COD)),

dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt (Rechtsvorschriften für Pflanzenvermehrungsmaterial)

(COM(2013) 262 final — 2013/0137 (COD))

sowie dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung über Maßnahmen zum Schutz vor Pflanzenschädlingen

(COM(2013) 267 final — 2013/0141 (COD))

2014/C 170/17

Berichterstatter: Armands KRAUZE

Das Europäische Parlament beschloss am 23. Mai 2013 und der Rat am 31. Mai und 7. Juni 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2, Artikel 114 Absatz 3, Artikel 168 Absatz 4 Buchstabe b und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Tiergesundheit

COM(2013) 260 final — 2013/0136 COD

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt (Rechtsvorschriften für Pflanzenvermehrungsmaterial)

COM(2013) 262 final — 2013/0137 (COD)

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zum Schutz vor Pflanzenschädlingen

COM(2013) 267 final — 2013/0141 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 146 gegen 1 Stimme bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission für Verordnungen des Parlaments und des Rates über Tiergesundheit, über Pflanzengesundheit und über die Qualität von Pflanzenvermehrungsmaterial und unterstützt ihn im Wesentlichen. Er betrachtet harmonisierte und transparente Regeln bei entsprechender Umsetzung in allen EU-Mitgliedstaaten als Voraussetzung für die Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer in Europa.

1.2

Allerdings empfiehlt der EWSA im Vorschlag über die Tiergesundheit eine genauere Formulierung, um die Verordnung verständlicher zu machen.

1.3

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, in der Rechtsetzung alle erforderlichen Schutzvorkehrungen festzuschreiben und eine entsprechende Finanzierung durch die Union vorzusehen, um Risiken infolge von Wildtieren vorzubeugen, die aus Drittstaaten einwandern und über die Landaußengrenze auf das Gebiet der EU gelangen, denn diese Tiere können hier gefährliche ansteckende Tierkrankheiten verbreiten.

1.4

Der EWSA merkt an, dass Rechtsakte der EU gerade im Bereich der Pflanzengesundheit mit den bereits vertretenen Standpunkten der EU auf internationaler Ebene im Einklang stehen müssen, und weist darauf hin, dass der Vorschlag der Kommission zur Erarbeitung internationaler Pflanzenschutzstandards derzeit nicht mit der zuvor vertretenen Haltung der EU bezüglich der Aufnahme invasiver Arten in die pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen übereinstimmt.

1.5

Der EWSA begrüßt die neue Möglichkeit einer Entschädigung der betroffenen Unternehmer für den Wert von Pflanzen, Pflanzenerzeugnissen oder sonstigen Gegenständen, die aufgrund von Tilgungs- oder Eindämmungsmaßnahmen nach dem neuen Pflanzengesundheitsrecht vernichtet wurden.

1.6

Der EWSA ist besorgt, dass die EU angesichts der in dem Kommissionsvorschlag vorgesehenen pflanzenschutzrechtlichen Veränderungen ihren guten Status in Bezug auf die Pflanzengesundheit einbüßen könnte; darüber hinaus werden die Exportmöglichkeiten der Mitgliedstaaten in Mitleidenschaft gezogen, während die Erzeuger mit höheren Ausgaben für die Krankheits- und Schädlingsbekämpfung zu rechnen haben.

1.7

Der EWSA betrachtet die Einbeziehung des forstlichen Vermehrungsguts in den Entwurf der Verordnung mit Zurückhaltung, da die Kommission keine überzeugenden Argumente dafür anführt, dass dies für die Forstwirtschaft von Vorteil sein kann.

2.   Allgemeine Information über die Rechtsetzungsvorschläge

2.1

In allen drei Bereichen — der Tiergesundheit, der Pflanzengesundheit und dem Kreislauf des Pflanzenvermehrungsmaterials — ist auf EU-Ebene eine Reihe von Problemen zu beobachten, die zu Schwierigkeiten für die Marktteilnehmer geführt haben. Daher ist es besonders wichtig, die Rechtsakte zu verbessern, um den bürokratischen Aufwand für Erzeuger und Dienstleister sowie für Verbraucher und Empfänger von Dienstleistungen zu verringern und das Unternehmensumfeld zu verbessern.

2.2

Bei der Tiergesundheit sind die geltenden Rechtsakte in mehrerlei Hinsicht problematisch. Die Tiergesundheitspolitik ist kompliziert, es fehlt an einer allgemeinen Strategie, und der Verhütung von Krankheiten wird nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt, insbesondere angesichts der Notwendigkeit, höhere Anforderungen an den Schutz vor biologischen Gefahren in Gebäuden und sonstigen Anlagen, in denen Tiere gehalten werden, zu formulieren und umzusetzen.

2.3

Im Kommissionsvorschlag zur Tiergesundheit liegt der Schwerpunkt auf vorbeugenden Maßnahmen, der Überwachung von Tierseuchen, Kontrollen und Forschung mit dem Ziel, die Häufigkeit von Tiererkrankungen zu senken und die Folgen von Seuchenausbrüchen zu minimieren; darüber hinaus sind Veterinärmaßnahmen für Land- und Wassertiere vorgesehen.

2.4

Der Pflanzenschutz spielt auch beim Schutz der biologischen Vielfalt und den Ökosystemdienstleistungen eine wichtige Rolle. Eine besondere Gefahr geht von Schädlingen aus anderen Kontinenten aus. Werden gebietsfremde Schädlinge nach Europa eingeschleppt, können sie großen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Die Ansiedlung neuer Schädlinge kann dazu führen, dass Drittländer Handelsverbote erlassen, was die Ausfuhren aus der Union beeinträchtigen würde.

2.5

In Bezug auf die Pflanzengesundheit sieht der Vorschlag der Kommission vor, das Konzept von Quarantäneorganismen zu definieren, diese in Kategorien einzuteilen und Kriterien festzulegen, nach denen ein Schädling als Quarantäneschädling einzuordnen ist. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, im Wege von Durchführungsrechtsakten Listen zu erstellen, auf denen konkrete Pflanzen, Pflanzenerzeugnisse und sonstige Gegenstände aufgeführt sind, die mit Verboten und besonderen Anforderungen hinsichtlich ihrer Einfuhr in die EU und ihres Transports innerhalb der EU belegt sind, und die außerdem Bestimmungen über die Verbringung von Pflanzen, Pflanzenerzeugnissen und sonstigen Gegenständen in Schutzgebiete und deren Transport innerhalb dieser Gebiete enthalten.

2.6

Beim Pflanzenvermehrungsmaterial schlägt die Kommission vor, die Rechtsetzung für die Vermarktung von Saat- und Pflanzgut zu vervollkommnen, um dem technischen Fortschritt in der Pflanzenzucht, der dynamischen Entwicklung des internationalen Marktes sowie der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, die Artenvielfalt der Pflanzen zu stärken sowie die Kosten und den Verwaltungsaufwand sowohl für die zuständigen Behörden als auch für die Akteure zu senken.

3.   Vorgeschichte und wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1

Die Europäische Kommission hat am 6. Mai 2013 mehrere überarbeitete Rechtsakte verabschiedet und der Öffentlichkeit zur Begutachtung vorgelegt, die die Tiergesundheit, die Pflanzengesundheit und die Qualität des Pflanzenvermehrungsmaterials zum Thema haben.

Tiergesundheit

3.2

Das derzeit in der Europäischen Union geltende Regelwerk zur Tiergesundheit besteht aus etwa 50 Richtlinien und Verordnungen und 400 sekundärrechtlichen Bestimmungen. Die Kommission hat 2004 eine Neubewertung der normativen Rechtsakte zur Tiergesundheit eingeleitet. Nach Abschluss der Neubewertung wurde 2007 eine neue Tiergesundheitsstrategie erarbeitet. In dem Vorschlag der Kommission vom 6. Mai 2013 wurde ein auf der 2007 veröffentlichten EU-Tiergesundheitsstrategie basierender Rechtsrahmen vorgelegt.

3.3

Die Kommission schlägt einen vereinfachten Rechtsrahmen vor, der auf den Grundsätzen einer verantwortungsvollen Regierungsführung beruht und den internationalen Normen entspricht und dessen Schwerpunkt auf langfristigen Präventionsmaßnahmen und einer Zusammenarbeit aller interessierten Kreise liegt.

3.4

In dem Vorschlag der Kommission sind wirksame Mechanismen für schnelle Reaktionen auf Seuchenfälle, einschließlich neuer Herausforderungen wie neu auftretender Seuchen, vorgesehen, darüber hinaus eine klare und ausgewogene Aufgabenverteilung unter den zuständigen Behörden, den EU-Organen, dem Agrarsektor und den Tiereigentümern sowie eine klare Festlegung der Zuständigkeiten aller Akteure (wie Unternehmer, Tierärzte, Heimtierhalter und Angehörige der mit Tieren befassten Berufe) — denn all diese Maßnahmen spielen eine Schlüsselrolle beim Schutz der Tiergesundheit.

3.5

Wichtig ist, dass die Kommission darauf abzielt, Handelsverzerrungen zu verringern, den speziellen Belangen der Kleinlandwirte und Kleinstunternehmen Rechnung zu tragen und vereinfachte Verfahren einzuführen, um ungerechtfertigte Lasten und Kosten abzuschaffen und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass hohe Tiergesundheitsstandards strikt eingehalten werden.

3.6

Angestrebt wird die weitestmögliche Verringerung der Auswirkungen von Tierseuchen auf die Gesundheit von Mensch und Tier, Tierwohl, Wirtschaft und Gesellschaft, indem das Bewusstsein für Seuchen, die Handlungsbereitschaft, die Überwachung und die Notfallpläne auf nationaler und europäischer Ebene verbessert werden.

3.7

Eines der vorrangigen Ziele der Kommission ist die Gewährleistung eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts in Bezug auf Tiere und tierische Erzeugnisse bei gleichzeitigem hohen Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie zur Unterstützung der Ziele von Europa 2020.

Pflanzengesundheit

3.8

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zum Schutz vor Pflanzenschädlingen, darunter Maßnahmen zur Feststellung der von diesen Schädlingen ausgehenden Pflanzengesundheitsrisiken sowie zur Reduzierung dieser Risiken auf ein hinnehmbares Maß, entstand auf der Grundlage des Kommissionsvorschlags aus dem Jahre 2008 zur Überprüfung der Richtlinie zur Pflanzengesundheit 2000/29/EG des Rates. Mit dem Vorschlag werden mehrere Richtlinien zur Bekämpfung bestimmter in der EU nachgewiesener Quarantäneschädlinge aufgehoben.

3.9

Beim Import von Pflanzen sieht der Vorschlag der Kommission eine neue Regelung vor, mit der der Kommission die Befugnis übertragen wird, Durchführungsrechtsakte anzunehmen, um Gefahren entgegenzuwirken, die von gewissen zum Anpflanzen bestimmten Pflanzen aus Drittländern ausgehen und die Vorsorgemaßnahmen erfordern. Darüber hinaus enthält der Vorschlag neue Vorschriften für Quarantänestationen und die Aufhebung der Ausnahmeregelung für unter die Regelung fallende Pflanzen im Gepäck von Reisenden in die Union, was bedeutet, dass zur Einfuhr von unter die Regelung fallenden Pflanzen im Gepäck von Reisenden ein Pflanzengesundheitszeugnis vorliegen muss.

3.10

Für die Verbringung von Pflanzenerzeugnissen in die EU sieht der Vorschlag der Kommission eine Aufteilung aller Akteure in Unternehmer und nichtprofessionelle Akteure sowie die Festlegung der Verantwortung und Pflichten der Unternehmer im Zusammenhang mit der Verbringung von Pflanzen, Pflanzenerzeugnissen und anderen Gegenständen vor. Die Unternehmer, die Pflichten aus dieser Verordnung zu erfüllen haben, sollten in ein Register eingetragen werden, in dem auch diejenigen Unternehmer geführt werden, die gemäß der vorgeschlagenen Verordnung über das Pflanzenvermehrungsmaterial registriert sein müssen; hierdurch würde der Verwaltungsaufwand verringert.

3.11

Vorgesehen ist die Einrichtung eines elektronischen Meldesystems, mit dessen Hilfe die Mitgliedstaaten in einheitlicher Form und frühzeitig das Auftreten von Schädlingen auf ihrem Hoheitsgebiet melden können, sowie eine bessere Unterrichtung der Öffentlichkeit und eine höhere Zahl von Überprüfungen, Berichten, Programmen und Krisensimulationsübungen.

Pflanzenvermehrungsmaterial

3.12

Durch den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt (Rechtsvorschriften für Pflanzenvermehrungsmaterial) werden die Rechtsetzung über den Handel mit Pflanzenvermehrungsmaterial kodifiziert und 12 Richtlinien des Rates ersetzt oder aufgehoben.

3.13

Die Überprüfung der Rechtsetzung zum Pflanzenvermehrungsmaterial ist notwendig, weil die genannten Richtlinien veraltet sind, mehrfach geändert wurden und sich in der Begründung und in ihrem Ansatz unterscheiden; sie sind kompliziert und werden durch die Mitgliedstaaten immer wieder widersprüchlich interpretiert, was zu uneinheitlichen Bedingungen für die Marktteilnehmer führt, da sie deren Arbeitsbedingungen beeinflussen. Gemessen an der großen Zahl der Richtlinien für diesen Bereich ist die bereichsübergreifende Koordinierung mit anderen Rechtsakten (zu Pflanzengesundheit und Marktkontrolle) nur schwach ausgeprägt.

3.14

Der Entwurf der Verordnung zum Pflanzenvermehrungsmaterial umfasst Saatgut landwirtschaftlicher Arten, landwirtschaftliches Vermehrungsmaterial (für Gemüse und Obst einschließlich Beerenobst sowie Zierpflanzen) und forstliches Vermehrungsmaterial. Gleichzeitig wird für sowohl Saaten als auch Vermehrungsmaterial der Sammelbegriff Pflanzenvermehrungsmaterial eingeführt.

3.15

Von dem Entwurf der Verordnung wird nur die Verbringung von Pflanzenvermehrungsmaterial ausgenommen, das für Versuche und wissenschaftliche Zwecke, Züchtung bzw. Züchtungsvorhaben oder die Lagerung in Genbanken bestimmt ist oder das von Personen ohne unternehmerische Absicht ausgetauscht wird.

3.16

Der Entwurf der Verordnung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich des Zugangs der Endverbraucher zu konkretem forstlichem Vermehrungsmaterial strengere Bestimmungen festlegen können. Beim forstlichen Vermehrungsmaterial werden den zuständigen Behörden gemäß dem Verordnungsentwurf zusätzliche Verwaltungsprozeduren auferlegt, was auch zu höherem Verwaltungsaufwand für die Unternehmer führen kann.

4.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

Tiergesundheit

4.1

Der EWSA nimmt mit Zurückhaltung zur Kenntnis, dass die Kommission gemäß dem Vertrag von Lissabon zum Erlass delegierter Rechtsakte und Umsetzungsakte befugt ist. Er ist insbesondere besorgt um bestimmte für die Mitgliedstaaten heikle Fragen, da diese bei delegierten Akten nicht gewährleisten können, dass spezifische nationale und regionale Besonderheiten berücksichtigt werden.

4.2

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass in der Nähe der EU-Landaußengrenze ein erhöhtes Risiko der Ausbreitung verschiedener durch Wildtiere übertragener Tier-Infektionskrankheiten besteht. Allerdings ist der Vorschlag darauf ausgelegt, den potenziellen Umfang der Kontrollmaßnahmen zur Seuchenbekämpfung so auszuweiten, dass sie in einheitlicherer Weise auch auf Wildtiere angewandt werden können; ferner ist eine Reihe von Maßnahmen zum Schutz vor biologischen und anderen Gefahren vorgesehen, die an den Grenzen der EU durchgeführt werden können. In diesem Zusammenhang fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, alle erforderlichen Schutzvorkehrungen zu treffen und eine entsprechende Finanzierung durch die Union zur Vorbeugung dieser Risiken vorzusehen.

4.3

Darüber hinaus sollte der Kreis der Personen, die zur Meldung von Verdachtsfällen von Tierseuchen verpflichtet sind, genauer umrissen werden. Tiereigentümer müssen verpflichtet werden, den Gesundheitszustand ihrer Tiere aufmerksam zu beobachten.

4.4

Der EWSA beobachtet einen widersprüchlichen Gebrauch der Begriffe „Unternehmer“ und „Angehörige der mit Tieren befassten Berufe“ und empfiehlt, die Begriffe dahingehend genauer zu klären, dass die Eigentumsrechte beim „Unternehmer“ liegen. Er macht darauf aufmerksam, dass dem Text des Vorschlags nicht genau zu entnehmen ist, worin die Rolle der „Angehörigen der mit Tieren befassten Berufe“ im Sinne des vorliegenden Vorschlags besteht.

4.5

Der EWSA fordert die Kommission auf, so bald wie möglich eine strukturierte Liste von Tierkrankheiten vorzulegen, um die Maßnahmen zu deren Prävention und Kontrolle beurteilen zu können. Nur mit einem flexiblen Ansatz wird es möglich sein, diese Liste erforderlichenfalls entsprechend zu aktualisieren. Bei ihrer Erarbeitung muss die enge Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und den übrigen interessierten Kreisen gewährleistet sein.

4.6

Der EWSA verweist auf den uneinheitlichen Gebrauch der Fachbegriffe in der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken (im weiteren: Verbringungsverordnung) und im vorliegenden Vorschlag; die Terminologie sollte jedoch übereinstimmen. Unverständlich sind die rechtlichen Verpflichtungen der natürlichen Person (Halter) gegenüber dem Tiereigentümer, obwohl laut Verbringungsverordnung jede natürliche Person, die schriftlich vom Halter ermächtigt wird, in seinem Auftrag die Verbringung des Heimtieres zu anderen als Handelszwecken durchzuführen, eine „ermächtigte Person“ ist.

4.7

Um bei der Durchführung keinen Interpretationsspielraum zu lassen, empfiehlt der EWSA der Kommission, einen delegierten Rechtsakt über den Erwerb von Grundkenntnissen durch Unternehmer und Angehörige der mit Tieren befassten Berufe auszuarbeiten.

4.8

Für Tiergesundheitskontrollen in bestimmten Bereichen wie Aquakulturen und Bienenzucht empfiehlt der EWSA, dass die tierärztlichen Aufgaben von entsprechend geschulten und zertifizierten Spezialisten wahrgenommen werden.

4.9

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, in der Rechtsetzung klar und verständlich darzulegen, welche Ausgleichsmechanismen für die Eigentümer von Nutztieren im Falle besonders gefährlicher ansteckender Tierkrankheiten greifen sollen.

4.10

Der EWSA empfiehlt, Bereiche wie die Geflügelhaltung in die Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums aufzunehmen, um die zur Erfüllung der neuen Vorschriften zur Tiergesundheit notwendigen Investitionen zu ermöglichen.

Pflanzengesundheit

4.11

In dem Entwurf zur Pflanzengesundheit sind mildere Quarantänemaßmahmen und -verfahren vorgesehen; so gilt zum Beispiel eine weniger strenge Pflanzenschutzregelung für den Handel in geringem Umfang, obwohl sich auch kleine Mengen infizierter oder befallener Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse erheblich auf den Zustand der Pflanzengesundheit in der EU auswirken können.

4.12

Der Vorschlag enthält Kriterien zur Definition von Schädlingen, die im Widerspruch zu den Grundsätzen des Internationalen Pflanzenschutzübereinkommens (IPPC) stehen, und auch die in dem Vorschlag gebrauchten Fachbegriffe und Definitionen weichen wesentlich von denen des IPPC und der internationalen Standards für Pflanzenschutzmaßnahmen ab, was bei Drittstaaten Verwirrung stiften und so zu Störungen des Exports von Pflanzen und Pflanzenerzeugnissen führen kann.

4.13

Der EWSA begrüßt die neue Möglichkeit einer Entschädigung der betroffenen Unternehmer für den Wert von Pflanzen, Pflanzenerzeugnissen oder sonstigen Gegenständen, die aufgrund von Tilgungs- oder Eindämmungsmaßnahmen nach dem neuen Pflanzengesundheitsrecht vernichtet wurden. Ein ähnlicher Ansatz wird im Bereich der Tiergesundheit bereits heute mit dem EU-Veterinärfonds verfolgt. Die Entschädigung für den Wert vernichteter Pflanzen usw. wird nach der Verabschiedung des Pflanzengesundheitsrechts rechtlich verankert. Es wäre wünschenswert, dies bereits ab dem Beginn des mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 ohne weitere Verzögerung gewährleisten zu können.

4.14

Da sowohl die EU als auch die einzelnen Mitgliedstaaten das IPPC und das WHO-Abkommen über Hygiene und Pflanzenschutz unterzeichnet haben, kann infolge der terminologischen Unterschiede der Eindruck entstehen, die EU missachte die Grundsätze des IPPC und das internationale Abkommen.

4.15

Mit Zurückhaltung betrachtet der EWSA die Änderung der Anforderungen bezüglich der Verwendung des Pflanzenpasses bei Pflanzen und Pflanzenerzeugnissen, die zur Verbreitung in Schutzgebieten vorgesehen sind, denn der Verordnungsentwurf sieht vor, dass Pflanzenpässe für den Endnutzer nicht mehr notwendig sind, wodurch sich das Risiko der Verbreitung von Quarantäneschädlingen junger Pflanzen erhöht.

4.16

Der EWSA spricht sich gegen die vorgeschlagene Pflicht für Unternehmer — darunter auch Landwirte — aus, sobald ihnen das Auftreten eines Quarantäneschädlings bekannt wird, unverzüglich die erforderlichen Pflanzenschutzmaßnahmen zu ergreifen, um diesen Schädling zu beseitigen, denn für die Pflanzengesundheit als langfristige Maßnahme und als Beitrag zur Volkswirtschaft sind die entsprechenden Behörden zuständig, und zusätzliche Kosten für die Unternehmen schwächen deren Wettbewerbsfähigkeit.

4.17

Der EWSA begrüßt zwar den Ansatz der Kommission, bei Exporten in Drittländer die Möglichkeit von Bescheinigungen vor der Ausfuhr vorzusehen, äußert jedoch die Befürchtung, dass auch mit dieser neuen Regelung das gegenwärtige Problem der Ausstellung von Exportbescheinigungen nicht gelöst wird, wenn das Ursprungsland nicht das Land ist, das die Bescheinigung ausstellt. Darüber hinaus ist der EWSA nach wie vor besorgt, dass die Kosten für die doppelten Überprüfungen und Kontrollen von den europäischen Unternehmern selbst getragen werden müssen.

Pflanzenvermehrungsmaterial

4.18

Im Rahmen dieser Verordnung erstreckt sich der Begriff „Wirtschaftsbeteiligter“ nicht auf Privatpersonen. Ein „Unternehmer“ dagegen ist eine natürliche oder juristische Person, die in Bezug auf Pflanzenvermehrungsmaterial berufsmäßig zumindest eine der folgenden Tätigkeiten ausführt: Erzeugung, Züchtung, Erhaltung, Angebot von Dienstleistungen, Lagerung, Vertrieb. Im Hinblick auf eine Vereinfachung der Kontrollen müssen sich alle Unternehmer registrieren lassen.

4.19

Der EWSA erachtet eine klare Neuformulierung der neuen Verordnung hinsichtlich des Begriffs des Unternehmers als notwendig, um den Geltungsbereich der Verordnung verständlicher zu machen: Erstreckt dieser sich nur auf Unternehmer oder auch auf nichtprofessionelle Akteure?

4.20

Der von der Kommission vorgelegte Verordnungsvorschlag enthält nach wie vor zahlreiche Unklarheiten, zum Beispiel in der Frage, wie sich die in der Verordnung enthaltene Regelung auf die Herstellung und die Kontrolle des Vertriebs von forstlichem Vermehrungsgut auswirken wird, da hier ein anderes Klassifizierungssystem, andere Begriffsbestimmungen und andere Grundlagen der Kontrolle und Beaufsichtigung gelten als für Vermehrungsgut landwirtschaftlicher Kulturen, während diese doch unveränderlich sein sollten. Darüber hinaus steht das bisherige Verfahren der Herstellung und Zertifizierung von forstlichem Vermehrungsgut im Einklang mit dem entsprechenden System der OECD.

4.21

Der EWSA kann den Vorschlag nicht unterstützen, alle Kosten im Zusammenhang mit dem zugelassenen Ausgangsmaterial für die Erzeugung von forstlichem Vermehrungsgut den Lieferanten aufzubürden, denn dies kann zu einem Rückgang des Interesses an der Registrierung neuen, genetisch hochwertigen Materials führen, was sich negativ auf die jungen Forstbestände in der Europäischen Union auswirken würde. Die Erzeugung solchen genetisch hochwertigen Ausgangsmaterials für die Erzeugung forstlichen Vermehrungsguts ist zeitaufwendig und amortisiert sich erst nach Jahrzehnten.

4.22

Der EWSA begrüßt, dass Pflanzenvermehrungsmaterial, das von zwei Personen ausgetauscht wird, die keine Unternehmer sind, vom Geltungsbereich der Verordnung ausgeschlossen ist. Der Entwurf der Verordnung sollte es ermöglichen, dass Sammler oder Nachbarn beim Tausch einiger weniger Samen nicht befürchten müssen, gegen geltendes Recht zu verstoßen.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/110


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)

(COM(2013) 521 final — 2013/0247 (COD))

2014/C 170/18

Berichterstatter: Seamus BOLAND

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 10. bzw. am 17. September 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 und Artikel 207 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)

COM(2013) 0521 final — 2013/0247 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. November an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember) mit 142 gegen 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt nachdrücklich den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung von Artikel 70 Absatz 4c der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005; vorgesehen ist die Verlängerung einer abweichenden Regelung zur Anwendung höherer Kofinanzierungssätze durch diejenigen Mitgliedstaaten, die von ernsthaften Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Finanzstabilität bedroht sind, damit Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums vollumfänglich durchgeführt werden können.

1.2

Der EWSA befürwortet den Vorschlag, sofern er für das Ende des laufenden Programmplanungszeitraums 2007-2013 sowie den nächsten Programmplanungszeitraum gilt.

1.3

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass Mitgliedstaaten, die im Programmplanungszeitraum 2013-2020 noch finanzielle Unterstützung aus Stabilitätsprogrammen erhalten, diese Kofinanzierungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen können.

1.4

Der EWSA stellt fest, dass das Gesamtmittelvolumen unverändert bleibt, begrüßt gleichwohl den Verweis darauf, dass der Mittelbedarf für Zahlungen im Haushalt 2014 um 90 Mio. EUR steigen kann, wenn die Mitgliedstaaten weiterhin die höheren Kofinanzierungssätze anwenden.

1.5

Im Einklang mit seinen früheren Stellungnahmen bezüglich der Unterstützung finanziell instabiler Mitgliedstaaten spricht sich der EWSA dafür aus, diese Staaten weiterhin fair zu behandeln.

2.   Erläuterung und Hintergrund

2.1

Die Europäische Kommission will gewährleisten, dass das unter die Gemeinsame Agrarpolitik fallende Programm zur Entwicklung des ländlichen Raums voll umgesetzt wird und allen ländlichen Gebieten in allen Mitgliedstaaten größtmöglichen Nutzen bringt, insbesondere den von der Finanzkrise betroffenen Staaten.

2.2

Aufgrund der Finanzkrise und der einschneidenden Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen, die in vielen Ländern umgesetzt werden müssen, sind Schwierigkeiten bei der Kofinanzierung der Programme klar abzusehen.

2.3

In einigen Fällen könnten diese Schwierigkeiten zu einer Verringerung der Gesamthöhe der Unterstützung für die Begünstigten führen, was für die Menschen auf dem Land negative Folgen haben wird.

2.4

Davon sind sieben Länder unmittelbar betroffen. Es handelt es sich um die als „Programmländer“ bezeichneten Länder Griechenland, Irland, Lettland, Portugal, Rumänien, Ungarn und Zypern. Für Lettland, Rumänien und Ungarn gilt das Anpassungsprogramm nicht mehr.

2.5

Mit dem Vorschlag soll sichergestellt werden, dass diese und andere Mitgliedstaaten das Programm zur Entwicklung des ländlichen Raums in vollem Umfang durchführen können, so dass die Projekte ohne Abstriche bei der Unterstützung weitergeführt werden können.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1

Der vorliegende Vorschlag enthält Bestimmungen, die diesen Mitgliedstaaten die Anwendung erhöhter Kofinanzierungssätze ermöglichen sollen, ohne dass die Gesamthöhe der ihnen für die Entwicklung des ländlichen Raums im Zeitraum 2007-2013 bereitgestellten Mittel geändert wird. So verfügen die Mitgliedstaaten in einem kritischen Moment über zusätzliche Finanzmittel, die die weitere Durchführung der Programme vor Ort erleichtern.

3.2

Da der Vorschlag keine Änderung der in den operationellen Programmen für den Programmplanungszeitraum 2007-2013 festgelegten Höchstbeträge für die Unterstützung aus dem ELER vorsieht, hat er keine Auswirkungen auf die Mittel für Verpflichtungen. Der Bedarf an Mitteln für Zahlungen im Haushalt 2014 kann jedoch um 90 Mio. EUR steigen, wenn die Mitgliedstaaten weiterhin die höheren Kofinanzierungssätze anwenden.

3.3

Je nachdem, inwieweit die Mitgliedstaaten diese Maßnahme in Anspruch nehmen wollen, und unter Berücksichtigung der Entwicklung bei der Beantragung von Zwischenzahlungen wird die Kommission die Lage prüfen und gegebenenfalls die erforderlichen Maßnahmen in Erwägung ziehen.

3.4

Der EWSA hat sich bereits in einschlägigen Stellungnahmen mit den Kofinanzierungsschwierigkeiten auseinandergesetzt, mit denen die im Rahmen von Finanzstabilitätsprogrammen unterstützten Mitgliedstaaten konfrontiert sind. Es handelt sich u. a. um die Stellungnahmen NAT/613, „Haushaltskonsolidierung/Europäischer Fischereifonds“, und ECO/352, „Finanzielle Abwicklung und Vorschriften für die Aufhebung der Mittelbindung bei von gravierenden Schwierigkeiten bedrohten Mitgliedstaaten“.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der soziale und wirtschaftliche Nutzen des Programms zur Entwicklung des ländlichen Raums für alle Mitgliedstaaten ist hinlänglich dokumentiert. Das Programm hilft ländlichen Regionen, die Landflucht aufzuhalten, indem in wirtschaftlicher Hinsicht die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber zentraler gelegenen Unternehmen gewährleistet wird. In sozialer Hinsicht trägt es dazu bei, die Lebensqualität der Menschen in entlegenen ländlichen Gebieten zu verbessern.

4.2

Durch die derzeitige Finanzkrise wurden das Wirtschaftswachstum und die Finanzstabilität einiger Mitgliedstaaten stark beeinträchtigt, aber auch das Wachstum in der Europäischen Union insgesamt gedämpft.

4.3

Mitgliedstaaten, in denen eine harte Finanzdisziplin eingeführt und strenge Ausgabenbeschränkungen von externen Gremien — wie beispielsweise dem Internationalen Währungsfonds oder der Europäischen Zentralbank — auferlegt wurden, können offensichtlich keine Garantien bezüglich ihrer Verpflichtungen zur Kofinanzierung der Programme für die ländliche Entwicklung abgeben, wie es seitens der EU vorgeschrieben ist.

4.4

Der EWSA muss anerkennen, dass die Finanzkrise Auswirkungen auf die Kofinanzierung des laufenden Programms 2007-2013 hatte. Dies wird gravierende Folgen für auslaufende Projekte bzw. für die bis Ende 2015 laufenden Vorhaben haben.

4.5

Um diesem Problem mit seinen möglichen negativen Folgen für bestimmte ländliche Gebiete zu begegnen, kann die maximale Nutzung der verfügbaren ELER-Mittel gemäß Artikel 70 Absatz 4c der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates gewährleistet werden, indem dessen Geltungsdauer bis zu dem für den Programmplanungszeitraum 2007-2013 geltenden Schlusstermin für die Zuschussfähigkeit der Ausgaben am 31. Dezember 2015 verlängert wird.

4.6

Es gibt Fristen für Zwischenzahlungen und die Zahlung des Restbetrags, die sich nach dem Zeitraum richten, in dem der Mitgliedstaat finanzielle Unterstützung gemäß der Verordnung (EU) Nr. 407/2010, der Verordnung (EG) Nr. 332/2002 oder dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus erhält. Unglücklicherweise dürften die Mitgliedstaaten auch nach Ablauf dieses Zeitraumes mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben und weiterhin Einschränkungen in Bezug auf ihre Möglichkeiten zur Kofinanzierung der Programme unterworfen sein.

4.7

Im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 7./8. Februar 2013 und gemäß Artikel 22 der Verordnung [mit gemeinsamen Bestimmungen] gilt der um 10 Prozentpunkte angehobene Kofinanzierungssatz. Dies wird in Bezug auf den Programmplanungszeitraum 2014-2020 bis zum 30. Juni 2016 gelten, wenn die Möglichkeit der Anhebung überprüft wird. Da sich die Programmplanungszeiträume 2007-2013 und 2014-2020 überschneiden, muss eine kohärente und einheitliche Behandlung der Mitgliedstaaten sichergestellt werden, die in beiden Zeiträumen finanzielle Unterstützung erhalten. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten, die finanzielle Unterstützung erhalten, in der Lage sein, die Anhebung des Kofinanzierungssatzes bis zum Ende des Zeitraums für die Zuschussfähigkeit der Ausgaben in Anspruch zu nehmen und sie in ihren Anträgen auf Zahlung des Restbetrags zu beantragen, auch wenn die finanzielle Unterstützung nicht mehr geleistet wird.

4.8

Die Möglichkeit, Zwischenzahlungen und die Zahlung des Restbetrags über den normalen Kofinanzierungssatz anzuheben, sollte nicht auf den Zeitraum begrenzt sein, in dem der Mitgliedstaat finanzielle Unterstützung gemäß der Verordnung (EU) Nr. 407/2010, der Verordnung (EG) Nr. 332/2002 oder dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus erhält, da es für den Mitgliedstaat selbst nach Beendigung der finanziellen Unterstützung weiterhin sehr schwierig ist, die Kofinanzierung aus dem nationalen Haushalt sicherzustellen.

4.9

Es ist vorgesehen, dass die Änderung der geltenden Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 keine finanziellen Auswirkungen haben wird, weil sich das Gesamtmittelvolumen für die Entwicklung des ländlichen Raums nicht ändert. Allerdings könnte die Kommission die Zahlungen an die Mitgliedstaaten gegen Ende des gesamten Programms überprüfen.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/113


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen

(COM(2013) 516 final — 2013/0239 (COD))

2014/C 170/19

Hauptberichterstatter: Stéphane BUFFETAUT

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 27. September bzw. 8. Oktober 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 192 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen

COM(2013) 516 final — 2013/0239 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz am 17. September 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 10. Dezember), Stéphane BUFFETAUT zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 121 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Vorschlag für eine Änderung der Verordnung ist grundsätzlich vollkommen gerechtfertigt und sollte bewirken, dass, die Praxis der illegalen Verbringung von Abfällen und ihrer nicht normgerechten Behandlung besser bekämpft werden kann. Durch die Schaffung eines klaren und einheitlichen Rahmens für die Durchführung von Kontrollen bietet der neue Rechtsakt den Mitgliedstaaten methodische Unterstützung; darüber hinaus sollte er ihnen Anreize bieten, wirksamere Kontrollen durchzuführen, zumal die Pläne jährlich überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

1.2

Bezüglich der Ausfuhr von Abfällen sollte die Tatsache, dass die zuständigen Behörden nunmehr befugt sind, einen Nachweis über die Rechtmäßigkeit der Verbringung mit Blick auf die von der Verwertungseinrichtung im Bestimmungsland angewendeten Abfallbehandlungsverfahren, -technologien und -normen zu verlangen, eine wirksamere Bekämpfung der illegalen Ausfuhren zur Folge haben, für die mittlerweile leider kriminelle Vereinigungen verantwortlich zeichnen.

1.3

Die Durchführung wirksamer und einheitlicher Kontrollen sollte auch zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs beitragen, der zur Folge hat, dass die Unternehmen, die die Vorschriften einhalten sowie redlich und transparent handeln, letztendlich gegenüber denjenigen benachteiligt werden, die sich über die rechtlichen Bestimmungen hinwegsetzen, sie umgehen oder absichtlich verletzen.

1.4

Eine bessere Organisation der Kontrollpläne erscheint wünschenswert, um die Gesundheit der Bevölkerung und die Umwelt zu schützen, einen gesunden Wettbewerb zu gewährleisten und mafiöse Praktiken auf diesem Gebiet zu bekämpfen. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass die Durchführung zusätzlicher Maßnahmen zwangsläufig auch höhere Kosten mit sich bringt und die Mitgliedstaaten dazu zwingen wird, bei ihren öffentlichen Ausgaben Prioritäten zu setzen.

2.   Hintergrund

2.1

Nach acht Jahren der Durchführung der Verordnung Nr. 1013/2006 wünscht die Kommission, die Schlussfolgerungen aus den gewonnenen Erfahrungen zu ziehen, um den verfügenden Teil dieser Verordnung durch Änderungen zu verbessern, mit denen zum einen die Verfahren vereinfacht und zum anderen die Kontrollen wirksamer gestaltet werden sollen, um so illegale Verbringungen vor allem der gefährlichen Abfälle zu verhindern.

2.2

Es sei daran erinnert, dass das Ziel dieser Verordnung war, die Bestimmungen der OECD und des Basler Übereinkommens über die Verbringungen von Abfällen in das Gemeinschaftsrecht umzusetzen, die Schwierigkeiten bei der Anwendung der Verordnung aus dem Jahr 1993 zu beseitigen, die Vorschriften über grenzüberschreitende Verbringungen von Abfällen auf internationaler Ebene anzugleichen und den Wortlaut der Verordnung zu vereinfachen und klarer zu gestalten.

2.3

Die Frage der Übereinstimmung des EU-Rechts mit internationalen Übereinkommen wurde zwar geregelt, aber es besteht Verbesserungsbedarf bei den Kontrollen, wobei besondere Aufmerksamkeit den gefährlichen Abfällen und den illegal verbrachten Abfällen gelten muss, die deponiert oder nicht normgerecht behandelt werden sollen. In der Praxis geht es darum, die Kontrollen verstärkt auf die problematischsten Abfälle zu richten.

2.4

Hier ist darauf hinzuweisen, dass in der EU für alle Verbringungen von zur Verwertung bestimmten Abfällen der Grundsatz des freien Verkehrs gilt. Verbringungen nicht gefährlicher Abfälle bedürfen keiner vorherigen Notifizierung, und es müssen lediglich allgemeine Informationspflichten erfüllt werden. Die Verbringungen von zur Verwertung bestimmten gefährlichen Abfällen und Verbringungen von Abfällen zur Entsorgung unterliegen beide einer vorherigen schriftlichen Notifizierung und Zustimmung.

2.5

Voraussetzung für die Durchführung dieser Rechtsvorschriften ist, dass die Anwendung kontrolliert wird. Somit ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten gemäß der Abfallrahmenrichtlinie die Kontrolle der Unternehmen wie auch die Kontrolle der Verbringungen organisieren müssen, ganz gleich, ob es sich dabei um Transporte auf Straßen, über Häfen oder mit Hilfe anderer Verkehrsträger handelt. Die Kontrollen können auch am Ende der Kette in den Verwertungs- oder Entsorgungseinrichtungen erfolgen.

2.6

Die Mitgliedstaaten führen diese Kontrollen in der ihnen zweckmäßig erscheinenden Art und Weise durch. So ist in der Abfallverbringungsverordnung keinerlei besondere Modalität für die Durchführung dieser Kontrollen festgelegt. In der Praxis hat dieser Spielraum zu großen Unterschieden zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten geführt. Bestimmte Staaten haben wirksame Systeme geschaffen, andere weit weniger wirksame, vor allem weil sie nicht über die dafür erforderlichen Mittel verfügen. In dieser Situation können sich die Ausführer illegaler Abfälle dafür entscheiden, die Abfälle über Mitgliedstaaten zu versenden, deren Kontrollsysteme mangelhaft sind.

2.7

Natürlich betreffen die problematischsten illegalen Abfallverbringungen die gefährlichen Abfälle sowie jene Abfälle, die illegal zur Deponierung oder zu einer unangemessenen, nicht normgerechten Behandlung verbracht werden. Das kann ernsthafte Folgen für die menschliche Gesundheit wie auch für die Umwelt haben.

2.8

Wegen des Umfangs der illegalen Verbringungen kommt es zu unerwünschten Folgen, unter anderem zu Wettbewerbsverzerrungen wegen der ganz unterschiedlichen Durchführung der Kontrolle von einem Mitgliedstaat zum anderen. So werden die Unternehmen, die sich an die Vorschriften halten, benachteiligt gegenüber jenen, die in Ländern agieren, wo die Einhaltung der Vorschriften wenig oder schlecht kontrolliert wird.

2.9

Um solchen rechtswidrigen und gefährlichen Machenschaften Einhalt zu gebieten, schlägt die Kommission eine Überarbeitung der Verordnung vor. Dabei geht es ihr um eine Unterstützung und Orientierung für die Kontrollen der Mitgliedstaaten, damit diese sich besser auf die mit hohem Risiko behafteten Abfallströme konzentrieren.

3.   Inhalt des Vorschlags

3.1

Die Kommission fügt eine Begriffsbestimmung für die Wiederverwendung von Erzeugnissen hinzu, die keine Abfälle sind, und möchte ermächtigt werden, delegierte Rechtsakte zu erlassen, die technische und organisatorische Anforderungen für den Datenaustausch zur Übermittlung von Unterlagen und Informationen betreffen. Der wesentliche Inhalt des Vorschlags ist jedoch die Änderung des Artikels 50 der Verordnung.

3.2

Der Zweck dieser Änderungen ist:

3.2.1

die Mitgliedstaaten zu veranlassen, die Kontrolle der Unternehmen zu organisieren und stichprobenartige Kontrollen der Verbringungen von Abfällen sowie der Abfallverwertung und -entsorgung einzuführen;

3.2.2

von den Mitgliedstaaten die Aufstellung von Plänen für die Kontrolle der Verbringungen zu verlangen, einschließlich der Kontrollen von Anlagen und Unternehmen und der Verbringungen (Straße, Schiene, Häfen).

3.3

Die Beschreibung der Elemente, die in diesen Plänen enthalten sein müssen, wird von der Kommission vorgegeben, die sieben Punkte aufzählt, an die sich die Staaten halten und über die sie Rechenschaft ablegen müssen.

3.4

Dies sind: die verfolgte Strategie und die für sie eingesetzten Ressourcen; die Risikobewertung bei den illegalen Abfallströmen; die Festlegung der Prioritäten; die Angaben zur Zahl und Art der geplanten Kontrollen von Abfalleinrichtungen und Verbringungen; die Aufgabenzuweisung an die einzelnen beteiligten Behörden; die Mittel der Zusammenarbeit zwischen diesen verschiedenen Behörden und die Bewertung des Bedarfs an Schulungen für die Kontrolleure. Eine jährliche Überprüfung dieser Pläne ist vorgesehen.

3.5

Die Kommission fügt Bestimmungen über einen angemessenen Schutz der Verbringungen und die Durchsetzung einer Verwertung im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen hinzu.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Die von der Kommission beschriebene Situation, der Umfang der illegalen Verbringungen und die großen Unterschiede bei den Kontrollen und der Durchführung der Rechtsvorschriften legitimieren den Willen einzuschreiten, um den illegalen Verbringungen Einhalt zu gebieten und die durch solche Verbringungen entstehenden Risiken für die Gesundheit und die Umwelt einzudämmen und die Benachteiligung derjenigen Unternehmen zu beenden, die die Vorschriften korrekt anwenden.

4.2

Dennoch muss darauf geachtet werden, dass sich die Durchführung der neuen Rechtsvorschriften nicht in formellen Verwaltungsmaßnahmen zur Anpassung an die neu erlassenen Regelungen erschöpft und gleichzeitig die konkrete Umsetzung ausbleibt. Diese Umsetzung indes erfordert die Mobilisierung neuer Finanzmittel, was für die Mitgliedstaaten, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügen und die öffentlichen Ausgaben zurückfahren müssen, nur schwer zu bewerkstelligen ist.

4.3

Die geplanten Maßnahmen müssen demnach einfach sein, um die Mitgliedstaaten, die die notwendigen Kontrollen noch nicht korrekt durchführen, dazu anzuhalten, ihre Kontrolltätigkeit zu verbessern bzw. diese überhaupt erst aufzunehmen. Die Angst, vor dem Gerichtshof wegen der Nichteinhaltung der sich aus den Verträgen ergebenden Verpflichtungen verklagt zu werden, könnte möglicherweise den Eifer der säumigen Mitgliedstaaten beflügeln. Gleiches könnten die Maßnahmen einfacher Bürger bewirken, die ein berechtigtes Interesse daran haben, sich auf diesem Gebiet zu engagieren.

Brüssel, den 10. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/116


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 in Bezug auf Flugplätze, Flugverkehrsmanagement und Flugsicherungsdienste, dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums (Neufassung) und der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Beschleunigte Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums

(COM(2013) 408 final, COM(2013) 409 final — 2013/0187 (COD) und COM(2013) 410 final — 2013/0186 (COD))

2014/C 170/20

Berichterstatter: Thomas McDONOGH

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 1. Juli 2013 bzw. am 17. Juli 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 100 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 in Bezug auf Flugplätze, Flugverkehrsmanagement und Flugsicherungsdienste, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums (Neufassung) und Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Beschleunigte Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums

COM(2013) 408 final, COM(2013) 409 final — 2013/0187 (COD) und COM(2013) 410 final — 2013/0186 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 19. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 11. Dezember) mit 180 Stimmen gegen 1 Stimme bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums (Single European Sky — SES) bleibt angesichts des noch ungenutzten Potenzials für Einsparungen und Verbesserungen in den Bereichen Qualität, Sicherheit, Umweltverträglichkeit und Kapazität im Luftfahrtsektor und in der europäischen Wirtschaft insgesamt eine der wichtigsten Prioritäten der europäischen Luftverkehrspolitik. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat in den letzten Jahren kontinuierlich die Standpunkte der Zivilgesellschaft in der Debatte über den einheitlichen europäischen Luftraum vorgebracht und mehrere thematische Stellungnahmen (1) verabschiedet, zu denen eine breite Palette an Akteuren der Luftfahrt erheblich beigetragen haben. In all diesen Stellungnahmen hat der Ausschuss die SES-Initiative ausdrücklich unterstützt.

1.2

Die Legislativvorschläge bedeuten Evolution, nicht Revolution. Sie bauen auf früheren Reformen auf, ersetzen sie aber nicht. Sie dürften jedoch wesentlich dazu beitragen, das europäische ATM-System — ausgehend von den seit 2004 bereits erzielten Ergebnissen — in den kommenden Jahren zu einem effizienteren integriert betriebenen Luftraum weiterzuentwickeln.

1.3

Der Ausschuss fordert zum einen die Mitgliedstaaten auf, entscheidungsfreudig mit dem erforderlichen politischen Willen auf die zügige Verwirklichung des europäischen Luftraums hinzuwirken, und appelliert zum anderen an die Europäische Kommission, bei diesem Unterfangen die Führungsrolle zu übernehmen.

1.4

Schlüssel für die Umsetzung der grundlegenden und lang überfälligen Reform des europäischen Luftraums ist ein umfassendes Leistungssystem. Aufgrund der geringen Erfolgsrate beim Erreichen der Kosteneffizienzziele im ersten Bezugszeitraum ist es umso wichtiger, dass die Zielsetzungen für den zweiten Bezugszeitraum entsprechend realistisch angelegt sind, um die Einrichtung echter, betriebstauglicher funktionaler Luftraumblöcke und die Schaffung von Synergien zu fördern und den bestehenden Überschneidungen zwischen den 37 individuellen Flugsicherungsorganisationen abzuhelfen.

1.5

Die Schaffung eines wirklich einheitlichen europäischen Luftraums wird trotz anfänglicher Schwierigkeiten ein kontinuierliches Wachstum des europäischen Luftverkehrs anstoßen und daher beträchtliche Beschäftigungsmöglichkeiten und die Möglichkeit einer europäischen Berufslaufbahn für Fluglotsen schaffen.

1.6

Es gilt, unverzüglich einen umfassenden sozialen Dialog einzuleiten. Das notwendige einheitliche Engagement auf allen Seiten und ein harmonisiertes Konzept für die Schaffung eines echten einheitlichen europäischen Luftraums können nur mittels einer umfassenden Partnerschaft in der europäischen Luftfahrt in Sachen Humanressourcen gewährleistet werden; dies kommt der Beschäftigung in allen Teilen der Luftverkehr-Wertschöpfungskette, der Umwelt und letztlich auch dem europäischen Verbraucher zugute.

1.7

Die funktionalen Luftraumblöcke sollten so schnell wie möglich zusammengeführt und konsolidiert und zahlenmäßig verringert werden. Das „Virtual Centre“-Konzept ist eine technische SESAR-kompatible Innovation und erlaubt gleichzeitig einen kontinuierlichen und sozial verträglichen Übergang. Das ATM-System muss dazu für die Einführung von SESAR einer Reform unterzogen werden. Die Anstrengungen zur Normung von ATM-Ausrüstungen in der gesamten EU sollten fortgeführt werden.

1.8

Ihre Grenzen sollten ebenfalls überprüft werden, um sicherzustellen, dass Umfang und Struktur der funktionalen Luftraumblöcke dem Zweck ihrer Einrichtung entsprechen. Für ihre Zusammensetzung sollten die Verkehrsströme, Synergien bei der Diensteerbringung und mögliche Leistungsverbesserungen und nicht die reine geografische oder politische/kulturelle Nähe ausschlaggebend sein.

1.9

Die vorgeschlagene Stärkung der Netzmanagerfunktion, mit der den Vorteilen für das europäische Netz Vorrang gegenüber enger gefassten nationalen Interessen eingeräumt wird, wird vom Ausschuss ausdrücklich befürwortet.

1.10

Der Ausschuss nimmt die Initiative zur Entflechtung von ATM-Nebendiensten und ihre damit verbundene Öffnung für einen stärkeren Wettbewerb zur Kenntnis. Er bekräftigt, dass die Europäische Kommission vor Durchführung derartiger Maßnahmen unverzüglich die Ausarbeitung einer unabhängigen Studie über ihre Auswirkungen, insbesondere in den Bereichen Soziales und Beschäftigung, in Angriff nehmen muss (2).

1.11

Ebenso wichtig ist die Festlegung von Zielen zur Verbesserung der Effizienz unter gleichzeitiger Beibehaltung der Qualität der Arbeitsbedingungen und Verbesserung der Sicherheit in der Luftfahrt.

1.12

Die Luftraumnutzer müssen umfassender in die Politikgestaltung eingebunden werden.

2.   Einleitung

2.1

Die europäische Luftfahrtbranche spielt im Hinblick auf die Förderung von Handel und Tourismus und die Schaffung von Arbeitsplätzen eine wichtige Rolle in der europäischen Wirtschaft. Die Flugsicherung ist ein Schlüsselfaktor in der Wertschöpfungskette der Luftfahrtbranche. Sie sollte den sicheren, raschen und kostengünstigen Ablauf des Flugverkehrs gewährleisten und dadurch Treibstoffverbrauch, CO2-Emissionen und Flugzeiten verringern.

2.2

Allerdings wurden die europäischen Flugsicherungsdienste in der Vergangenheit vorwiegend innerhalb nationaler Grenzen weiterentwickelt, wobei jeder Staat sein eigenes System für das Flugverkehrsmanagement (ATM) aufbaute, was zur kostspieligen und ineffizienten strukturellen Fragmentierung des europäischen Luftraums sowie dazu führte, dass auf den Bedarf ihrer Kunden — der Fluggesellschaften und letztlich der zahlenden Kunden — nicht in ausreichendem Maße eingegangen wurde.

2.3

Die Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums und der damit verbundenen Reform des europäischen ATM-Systems muss beschleunigt werden, um unsere Luftraumnutzer in einem schwierigen globalen Wettbewerbsumfeld zu unterstützen (zu dem neu aufkommende „Luftfahrtmächte“ wie die Ukraine und die Türkei in unmittelbarer Nachbarschaft der EU zählen (3)) und künftiges Wirtschaftswachstum zu erleichtern. Die Maßnahmenpakete SES I und SES II haben bislang nur enttäuschende Ergebnisse gebracht; daher unterbreitet die Europäische Kommission einen sehr zielgerichteten weiteren Legislativvorschlag, um die frühzeitige Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums zu erleichtern (4). Dieses neue Maßnahmenpaket SES II+ setzt sich zusammen aus der Neufassung der vier Verordnungen zur Schaffung des einheitlichen europäischen Luftraums (5) sowie der Änderung der Verordnung zur Errichtung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) (6).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Mit der SES-Initiative soll die Gesamteffizienz des europäischen Luftraums in Bezug auf Organisation und Management verbessert werden.

3.2

Auf der Grundlage der Analyse in ihrer Mitteilung (7) und der zugehörigen Folgenabschätzung (8) schlägt die Europäische Kommission ein Legislativpaket (SES II+) (9) vor, um den Prozess der Reform des Flugverkehrsmanagements (ATM) in Europa zu konsolidieren und, soweit möglich, zu beschleunigen, indem die Qualität, Effizienz, Sicherheit und Umweltverträglichkeit bei der Erbringung von Flugsicherungsdiensten verbessert und Anstrengungen zur Konsolidierung des europäischen ATM-Systems fortgesetzt werden. Laut Berichten des Referats „Performance Review“ von Eurocontrol verursachten Ineffizienz und Fragmentierung des ATM-Systems allein für das Jahr 2010 vermeidbare Kosten von mehr als 4 Mrd. EUR.

3.3

Der erste Problembereich, auf den in der Folgenabschätzung zum Maßnahmenpaket „SES II+“ eingegangen wird, sind die mangelnde Wirksamkeit und Kosteneffizienz bei der Erbringung von Flugsicherungsdiensten in Europa. In Bezug auf die Kosten, die Anzahl der Flüge und die Kapazitäten sind die Flugsicherungsdienste nach wie vor äußerst ineffizient. Das Ausmaß dieses Problems ist bei einem Vergleich mit den USA klar zu erkennen, die einen ähnlich großen Luftraum abdecken. In den USA wird der gesamte Luftraum von nur einer Flugsicherungsorganisation kontrolliert, während es in Europa 38 solcher Organisationen gibt. Die US-Flugsicherung kontrolliert annähernd 70% mehr Flüge mit einem um 38% geringeren Personalbestand. Hauptgründe für dieses Effizienz- und Produktivitätsgefälle sind der Widerstand der Mitgliedstaaten, genug für die Verwirklichung der Kosteneffizienzziele im ersten Bezugszeitraum des Leistungssystems zu tun, die geringen Erfolge bei der Umsetzung selbst dieser geringfügigen Ziele, ineffiziente Übersicht und Durchsetzung seitens der Aufsichtsbehörden und ein übermäßig hoher Anteil von Verwaltungspersonal in den Flugsicherungsorganisationen.

3.4

60% aller Streckennavigationsgebühren werden von 5 Flugsicherungsorganisationen erhoben (10). Hier stellt sich die grundsätzliche Frage: Warum sind diese großen Flugsicherungsorganisationen trotz Größenvorteilen doppelt oder manchmal sogar viermal so teuer wie ihre kleineren Konkurrenten. Denn dies ist entgegen aller Wirtschaftstheorien der Fall. Laut dem Referat „Performance Review“ von Eurocontrol werden sich die direkten und indirekten Kosten für den Bezugszeitraum 2015-2019 insgesamt auf mehr als 70 Mrd. EUR belaufen.

Angesichts des SES-Leistungssystems, in dem EU-weite Zielsetzungen für den zweiten Bezugszeitraum festgelegt werden, zu denen die Pläne der Mitgliedstaaten entsprechend beitragen müssen, ist klar, dass die Verwirklichung der Kosteneffizienzziele in der EU insgesamt stark davon abhängt, dass die Länder, die die meisten Gebühren erheben, ihren entsprechenden Beitrag zu dieser erforderlichen Verbesserung leisten. Dies war im ersten Bezugszeitraum allerdings nicht der Fall.

3.5

Das zweite anzugehende Kernproblem ist das fragmentierte Flugverkehrsmanagement (ATM). Das ATM-System in Europa umfasst 28 nationale Behörden, die mehr als hundert Flugsicherungsorganisationen beaufsichtigen, die wiederum von einer eigenen nationalen Regulierungsbehörde beaufsichtigt werden, mit ihren jeweils unterschiedlichen Systemen, Vorschriften und Verfahren. In Europa sind viele Zusatzkosten auf die große Anzahl der Flugsicherungsorganisationen zurückzuführen, die ihr eigenes Kapitalinvestitionsprogramm verfolgen sowie ihre Systeme individuell aufbauen und unterhalten (diese sind oftmals nicht mit den Systemen anderer Flugsicherungsdienste kompatibel) (11). Die Probleme werden durch eine getrennte Ausbildung des Personals, die Festlegung eigener Betriebsverfahren und die Begrenzung der Diensterbringung auf einen kleinen Luftraum noch verstärkt. Insgesamt geben die 38 großen nationalen Flugsicherungsorganisationen ca. 1 Mrd. EUR jährlich für Kapitalgüter aus — und zwar ohne Koordinierung oder Überprüfung der Zweckdienlichkeit für das Gesamtnetz.

3.6

Mit der Initiative „SES II+“ sollen die Koordinierung dieser bislang individuellen Beschlussfassung verbessert, der Nutzen für das Gesamtnetz erhöht und die Zusammenarbeit gefördert werden.

4.   Entwicklung der Leistung der Flugsicherungsdienste

4.1

Ende der 90er Jahre verzeichnete Europa große Verzögerungen und Ineffizienzen bei der Erbringung von Flugverkehrskontrolldiensten. Mehr als ein Jahrzehnt später ist der europäische Luftraum weiterhin sehr fragmentiert.

4.2

Im Jahr 2011 lagen die direkten und indirekten Kosten der Flugsicherung in Europa insgesamt bei rund 14 Mrd. EUR. Allein die direkten Kosten (in Form von Nutzergebühren) machen bei den effizientesten Luftverkehrsunternehmen mehr als 20% der gesamten Betriebskosten (ohne Treibstoff) aus. Im Gegensatz zu anderen Verkehrsträgern werden diese Kosten an die Nutzer und somit die Verbraucher weitergegeben.

4.3

Die Produktivität (gemessen in Flugsicherungsstunden) nahm im vergangenen Jahrzehnt um fast 18% zu, doch die Beschäftigungskosten für Fluglotsen insgesamt sind noch schneller gestiegen (um fast 40%). Dabei handelt es sich jedoch weiterhin nur um ein Drittel der insgesamt bei den Flugsicherungsorganisationen Beschäftigten, was auf eine sehr hohe Zahl von Unterstützungspersonal (rund 30 000 im Jahr 2011) hindeutet.

5.   Steigerung der Effizienz des einheitlichen europäischen Luftraums

5.1

Die Erfahrung zeigt, dass die Mitgliedstaaten, die alleinige oder mehrheitliche Eigentümer von Flugsicherungsorganisationen sind, stark dazu tendieren, den Schwerpunkt auf gesunde Einnahmenströme des nutzerfinanzierten Systems von Flugverkehrskontrolldiensten zu legen und daher einen grundlegenden Wandel in Richtung eines stärker integriert betriebenen Luftraums nur zögerlich unterstützen, in dem aktuelle Streckenvorgaben im nationalen Luftraum eingeschränkt werden könnten, die von Staaten bzw. Flugsicherungsorganisationen — mit Blick auf eine mögliche Einnahmequelle — bevorzugt werden.

5.2

Durch ein stärker abgestimmtes Konzept für die Streckenplanung im Gesamtnetz könnte die durchschnittliche Flugdauer im europäischen Luftraum um ca. 10 Minuten verkürzt werden — mit dem Ergebnis einer Verringerung des Treibstoffverbrauchs und der damit verbundenen CO2-Emissionen. Die derzeitige Ineffizienz bringt keine echten Nachteile für die Flugsicherungsorganisationen oder die Mitgliedstaaten, die Kosten werden von den Luftfahrtunternehmen getragen und somit unweigerlich an die Verbraucher weitergegeben.

5.3

Im derzeitigen System haben die Mitgliedstaaten im Ausschuss für den einheitlichen Luftraum das letzte Wort in Bezug auf Ziele, die Annahme von Leistungsplänen und die Akzeptanz von Abhilfemaßnahmen für den Fall, dass Ziele nicht erreicht werden. Wie der Ausschuss bereits in einer früheren Stellungnahme betont hat (12), sollten Nutzer und Flugsicherungsorganisationen an den Sitzungen dieses Ausschusses, gegebenenfalls als Beobachter, teilnehmen dürfen. Der Ausschuss ist sich bewusst, dass die Europäische Kommission Anstrengungen zur stärkeren Konsultation nichtstaatlicher SES-Interessenträger unternommen hat, vor allem mit der Einrichtung eines eigenen Branchenkonsultationsgremiums (13), ist jedoch der Meinung, dass für eine effiziente Umsetzung des einheitlichen europäischen Luftraums ein inhalteorientierter Dialog zwischen allen Interessenträgern und Ländern sowie deren umfassende Teilnahme erforderlich sind.

5.4

In ihrem neuen Legislativpaket schlägt die Europäische Kommission eine Stärkung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen vor. Sie hat die Aufsicht für das Leistungssystem inne und ist somit dafür letztverantwortlich. Der Ausschuss unterstützt daher ausdrücklich den Kommissionsvorschlag, dass die Mitglieder des Leistungsüberprüfungsgremiums direkt von der Europäischen Kommission benannt werden sollten, um Unabhängigkeit zu gewährleisten.

6.   Besondere Bemerkungen

6.1

Der beste Garant für Regulierung ist Wettbewerb, aber dieser bleibt bei der Erbringung grundlegender ATM-Dienste völlig außen vor. Realistisch gesehen wäre die Öffnung aller ATM-Dienste für den Wettbewerb kurz- und mittelfristig nicht machbar. Die Analyse der Europäischen Kommission zeigt, dass es sich bei den wesentlichen Flugverkehrskontrolldiensten um natürliche Monopole handelt, zumindest beim derzeitigen Stand der Technik. Aufgrund des fehlenden Wettbewerbs ist es umso wichtiger, dass es eine strikte und effiziente wirtschaftliche Regulierung für derartige Monopole gibt, um den Wettbewerb zu ersetzen. Der Ausschuss befürwortet daher den im Maßnahmenpaket „SES II+“ enthaltenen Vorschlag, dass die Europäische Kommission als europäische wirtschaftliche Regulierungsstelle für das ATM-Systems fungiert.

6.2

Ziel des ersten Maßnahmenpakets von 2004 war die Einführung von Marktmechanismen für die Erbringung von Unterstützungsleistungen, um ihre Effizienz zu verbessern. In der Praxis wurde wenig erreicht, obwohl in den beiden Fällen, in denen solche Maßnahmen ergriffen wurden — in Schweden und im Vereinigten Königreich — positive Ergebnisse verzeichnet wurden (eine Flugsicherungsorganisation schätzte die Einsparungen auf rund 50% gegenüber der internalisierten Erbringung von Unterstützungsleistungen).

6.3

Eher in Betracht kommen Unterstützungsleistungen wie Meteorologie, Flugberatungsinformationen, Kommunikations-, Navigations- oder Überwachungsdienste. Viele Unternehmen innerhalb und außerhalb des Flugverkehrsmanagements könnten solche Dienste anbieten. Die Dienste könnten zur Wettbewerbsmaximierung auf mehrere Anbieter aufgeteilt werden oder — wie unlängst von Eurocontrol in seiner Analyse des Begriffs „zentralisierte Leistungen“ angeregt — einem einzigen Anbieter oder einer Gemeinschaft von Dienstleistern zugewiesen werden, der/die mehrere wichtige Anbieter unterstützen könnte(n).

6.4

Die Europäische Kommission ist der Auffassung, dass im Hinblick auf eine effizientere Erbringung von Unterstützungsleistungen Marktmechanismen eingeführt werden sollten. In diesem Legislativpaket schlägt sie vor, die Trennung und Marktöffnung bestimmter vorstehend genannter Unterstützungsleistungen fortzusetzen. Die meisten der in der ursprünglichen von Eurocontrol vorgeschlagenen Liste enthaltenen möglichen zentralisierten Dienste, die zumeist das Datenmanagement betreffen, könnten von Dienstleistern außerhalb des Flugverkehrsmanagements erbracht werden. Daher sollten in Erwägung gezogen werden, weitere Anbieter als nur die bestehenden Flugsicherungsorganisationen zur Abgabe von Angeboten aufzufordern, um eine Art Wettbewerbselement einzuführen, insbesondere in Form mehr für den Wettbewerb geöffneter Ausschreibungen.

6.5

Einige der Schwierigkeiten bei der Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums lassen sich auf Probleme der nationalen Aufsichtsbehörden zurückführen, d. h. einen Mangel an Ressourcen, an Erfahrung und an Unabhängigkeit sowohl von Regierungen als auch von Flugsicherungsorganisationen. Werden diese Mängel nicht behoben, so wird dies die Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums ernsthaft gefährden. Die Vielzahl an nationalen Aufsichtsbehörden in der EU steht in krassem Gegensatz zu der Situation in den USA, wo es nur eine einzige Regulierungsbehörde gibt. Die Einführung einer EU-Regulierung für das ATM-System, möglicherweise auf Grundlage der funktionalen Luftraumblöcke, würde bewirken, dass Kohärenz und Durchsetzung der Maßnahmen zur Schaffung des einheitlichen europäischen Luftraums verbessert und die Aufsichtskosten gesenkt werden, die von den Nutzern, d. h. letztlich den Verbrauchern getragen werden.

7.   Beseitigung der Fragmentierung des europäischen ATM-Systems

7.1

Funktionale Luftraumblöcke sollen dazu dienen, die Fragmentierung des Luftraums zu überwinden, indem Flugsicherungsorganisationen zusammenarbeiten, die Organisation und Nutzung des Luftraums und von Strecken über größere Gebiete hinweg optimiert und damit insgesamt Synergien durch Größenvorteile geschaffen werden.

7.2

Obgleich die Mitgliedstaaten und ihre Flugsicherungsorganisationen viel Arbeit für die Einrichtung der funktionalen Luftraumblöcke geleistet haben, waren die konkreten Fortschritte enttäuschend. Keiner der angekündigten neun funktionalen Luftraumblöcke ist voll funktionsfähig, und die meisten scheinen mehr der Erfüllung formaler Voraussetzungen als der Entwicklung von Synergien und Größenvorteilen zu dienen.

7.3

Reale — im Vergleich zu rein institutionellen — Entwicklungen der funktionalen Luftraumblöcke wurden oft blockiert aus Angst, der Einnahmenstrom aus Flugsicherungsgebühren könnte zurückgehen (in einigen Fällen um über 30%), wenn diese FAB-Entwicklungen umgesetzt und Dienste rationalisiert, d. h. Strecken verkürzt würden. Zudem trafen die Staaten in diesem Zusammenhang auf heftigen Widerstand des Personals, das für die Beibehaltung der bisherigen Personalausstattung kämpft. Diese Angst ist zwar verständlich, aber unbegründet. Ein effizienteres Flugverkehrsmanagement durch die Verwirklichung eines echten einheitlichen europäischen Luftraums, flankiert durch schnelle Technologiefortschritte, wird zur Gewährleistung eines kontinuierlichen Wachstums des Luftverkehrs in Europa, zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zur Übertragung von mehr Verantwortung auf die Fluglotsen beitragen, die eine stärker managementorientierte Aufsichtsrolle übernehmen.

7.4

Darüber hinaus wurden Fragen der nationalen Souveränität mit dem Argument des Schutzes militärischer Infrastrukturen, Ziele und Operationen im europäischen Luftraum für den Schutz bestehender Monopole bemüht. Während echter militärischer Bedarf im Rahmen des einheitlichen europäischen Luftraums unter begründetem Schutz steht, verschwamm oftmals die Abgrenzung zwischen diesem echten Bedarf und dem ungerechtfertigten Schutz nationaler Interessen. Beispiele für delegierten Luftraum gibt es sehr wohl; diese haben keinerlei Anlass zu ernsthaften Souveränitätsbedenken gegeben.

Im Luftverkehr sind wichtige nationale Flughäfen erfolgreich privatisiert worden, u. a. mit grenzübergreifender Eigentümerschaft. Flugverkehrsmanagement ist im Wesentlichen ein Infrastrukturdienst. Es gibt viele Beispiele für bestehende oder geplante grenzübergreifende Privatisierungsvorhaben von grundlegenden Infrastrukturdiensten in den Bereichen Energie, selbst im sensiblen Kernkraftsektor, Telekommunikation und Wasserwirtschaft. Eine teilprivatisierte europäische Flugsicherungsorganisation wird in der Praxis zum Teil von nicht nationalen Interessen geleitet.

7.5

Der Ausschuss nimmt die Absicht der Europäischen Kommission zur Kenntnis, in Bezug auf die funktionalen Luftraumblöcke weiterhin Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten durchzuführen, insbesondere gegen jene, die in den kommenden Monaten keine deutlichen Fortschritte bei den Reformen verzeichnen. Zwar ist die koordinierte Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums seitens aller Mitgliedstaaten unter Federführung der Europäischen Kommission bei weitem die bevorzugte Option, doch muss bei Nichteinhaltung der Vorschriften strikt auf Vertragsverletzungsverfahren als letztes Mittel zurückgegriffen werden. Die Europäische Kommission wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass funktionale Luftraumblöcke Organisationsstrukturen erhalten, die besser für einen stärker integriert betriebenen Luftraum geeignet sind.

7.6

Der Ausschuss unterstützt den in diesem Legislativpaket enthaltenen Vorschlag zur Weiterentwicklung des Konzepts der funktionalen Luftraumblöcke, um es zu einem stärker leistungsbezogenen und flexibleren Instrument für Flugsicherungsorganisationen auf der Grundlage von Branchenpartnerschaften zu machen, damit die Zielvorgaben des Leistungssystems des einheitlichen europäischen Luftraums erreicht werden können.

8.   Die Rolle von Eurocontrol

8.1

Eurocontrol spielt weiterhin eine wichtige Rolle bei der Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums. Ursprünglich eingerichtet, um ein gemeinsames Flugsicherungssystem in sechs europäischen Ländern zu betreiben, übernahm die Organisation im Laufe der Jahre ein breites Spektrum an Aufgaben. Mit der Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums sollte Eurocontrol sich wieder auf seine Hauptaufgabe konzentrieren, sprich die Koordinierung der Diensteerbringung.

8.2

Im Bestreben, ihre Tätigkeiten besser miteinander abzustimmen, haben EU und Eurocontrol 2012 eine Vereinbarung auf hoher Ebene (14) unterzeichnet, in der der Beitrag zum Aufbau eines effizienten europäischen ATM-Systems anerkannt wird, den Eurocontrol dadurch leistet, dass es die Europäische Kommission bei der Wahrnehmung ihrer Rolle als einzige europäische Regulierungsbehörde unterstützt. In diesem Zusammenhang wird Eurocontrol die Kommission und die EASA beim Entwurf einschlägiger Vorschriften und Regelungen weiterhin unterstützen und beraten.

8.3

Beträchtliche Fortschritte sind bereits erzielt worden, und der letzte Teil des Eurocontrol-Reformprozesses hat 2013 begonnen. Eurocontrol bleibt eine zwischenstaatliche Organisation, und ihre Zusammensetzung und Entscheidungsgremien (wie etwa der vorläufige Rat) spiegeln noch nicht die Ergebnisse der jüngsten Änderungen im Rahmen der Reform wider. Die Europäische Kommission unterstützt die laufende Reform von Eurocontrol, in deren Mittelpunkt Verwaltung und Betrieb des europäischen ATM-Netzes stehen werden. Die besondere Bedeutung dieser Rolle wurde bereits von der EU anerkannt, die Eurocontrol das Mandat zur Ausübung der Netzmanagementfunktionen im Rahmen der Rechtsvorschriften über den einheitlichen europäischen Luftraum erteilte. Diese Entwicklung sollte in voller Übereinstimmung mit dem Rechtsrahmen für den einheitlichen europäischen Luftraum und der Errichtung von SESAR gefördert werden. Außerdem kann sie nicht verwirklicht werden, ohne die Branche stärker in die Leitung der Organisation einzubeziehen.

8.4

Angesichts der grundlegenden Bedeutung des Leistungssystems für die Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums sollte die Verantwortung für die Überprüfung der Verkehrs- und Streckengebührenprognosen der Mitgliedstaaten vom erweiterten Eurocontrol-Ausschuss auf das Leistungsüberprüfungsgremium übertragen werden, das diese Prognosen im Namen der Europäischen Kommission prüfen sollte. Da der erweiterte Ausschuss dem provisorischen Eurocontrol-Rat, d. h. den Mitgliedstaaten, Bericht erstattet, wäre diese vorgeschlagene Übertragung der Überprüfung der Verkehrs- und Streckengebührenprognosen der Mitgliedstaaten auf das Leistungsüberprüfungsgremium im Rahmen des Leistungssystems logischer und stünde außerdem im Einklang mit der vorgeschlagenen Rolle der Europäischen Kommission als europäische wirtschaftliche Regulierungsstelle für das ATM-System. Die Überprüfung der Prognosen der Verkehrs- und Streckengebührenprognosen der in Eurocontrol vertretenen Nicht-EU-Länder, die ebenfalls anhand des Leistungssystems des einheitlichen europäischen Luftraums erfolgt, sollte weiterhin vom erweiterten Eurocontrol-Ausschuss vorgenommen werden.

8.5

Eurocontrol wurde von der Europäischen Kommission mit der Netzmanagementfunktion betraut, unter Aufsicht des Netzmanagerrats (Network Manager Board). Die Netzmanagementfunktion hat ihre Zweckdienlichkeit bereits unter Beweis gestellt.

8.6

Ziel sollte das Konzept einer Branchenpartnerschaft für eine verbesserte Diensteerbringung sein, was auch gut mit der weiteren Reform von Eurocontrol vereinbar wäre. Flugsicherungsorganisationen und Luftraumnutzer würden sich dabei am Netzmanager als einer Art gemeinsamem Unternehmen beteiligen. Dieses Modell gewährleistet die Trennung von den Regulierungsstellen, da es die Rolle des Netzmanagers von einer zwischenstaatlichen Organisation, die die Aufsicht über einen Flickenteppich an nationalen funktionalen Luftraumblöcken ausübt, hin zu einer rationaleren Flugsicherungsorganisation verlagert, die auf die Schaffung eines wirksameren und kosteneffizienteren europäischen Luftraumnetzes ausgerichtet ist, das die Bezeichnung einheitlicher europäischer Luftraum auch wirklich verdient.

8.7

Der Ausschuss begrüßt den in diesem Legislativpaket enthaltenen Vorschlag der Europäischen Kommission, die Rolle des Netzmanagers auf der Grundlage einer gestrafften Führung zu stärken, die der Branche (Flugsicherungsorganisationen, Luftraumnutzer und Flughäfen) eine wichtigere Rolle einräumt.

9.   Die Rolle der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) im Bereich des Flugverkehrsmanagements

9.1

Die EASA hat seit 2002 mit ihrem Ziel, zum einen ein hohes und einheitliches Sicherheitsniveau zu erreichen und zum anderen die traditionellen Ziele der EU — gleiche Ausgangsbedingungen, Freizügigkeit, Umweltschutz, Vermeidung von Doppelarbeit bei der Regulierung, Förderung der ICAO-Vorschriften (15) usw. — weiter zu fördern, entscheidenden Anteil an der EU-Luftverkehrssicherheitspolitik.

9.2

In den Rechtsvorschriften wird die Europäische Kommission jedoch aufgefordert, Vorschläge für Änderungen vorzulegen, sobald die entsprechenden Durchführungsbestimmungen der EASA festgelegt wurden, um Überschneidungen abzuhelfen.

9.3

Beim Flugverkehrsmanagement wurde allerdings angesichts der wichtigen Rolle, die Eurocontrol in Bezug auf nicht-sicherheitsbezogene Aspekte weiterhin spielt, zwischen „sicherheitsbezogenen“ und „nicht-sicherheitsbezogenen“ Vorschriften unterschieden.

9.4

Da das SESAR-Projekt nun bald eingeführt wird, verschärft sich das Problem der Angleichung unterschiedlicher technischer Vorschriften, da alle einschlägigen Technologien und Konzepte durch das Regulierungssystem erleichtert oder in Auftrag gegeben werden müssen. Wir müssen im Rahmen der EASA auf eine einheitliche Regulierungsstrategie und Struktur der Vorschriften sowie Konsultationsmechanismen umstellen.

9.5

Die Europäische Kommission schlägt in diesem Legislativpaket vor, die Überschneidungen zwischen den Verordnungen über den einheitlichen europäischen Luftraum und der EASA-Verordnung zu beseitigen und die Arbeit zwischen den verschiedenen Einrichtungen aufzuteilen. Sie sollte daher den Schwerpunkt auf die zentralen Fragen der wirtschaftlichen Regulierung legen, während die EASA gewährleistet, dass sämtliche technischen Vorschriften koordiniert ausgearbeitet und überwacht werden, wobei sie auf den Sachverstand von Eurocontrol zurückgreift.

10.   Sozialer Dialog

10.1

Wie in der vor Kurzem verabschiedeten Sondierungsstellungnahme des Ausschusses zum Thema „Einheitlicher europäischer Luftraum II+“ (16) betont, muss der soziale Dialog unverzüglich thematisiert und mit allen Interessenträger in der Luftfahrt-Wertschöpfungskette geführt werden, da er für die Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums von entscheidender Bedeutung ist.

10.2

In diesem Zusammenhang sollte auf EU-weite Standards hingewirkt werden, um die Beschäftigung und Qualität in der Luftfahrt zu sichern. Diesbezüglich ist der 5. Pfeiler des einheitlichen europäischen Luftraums für die angemessene Berücksichtigung der Herausforderungen in den Bereichen Beschäftigung, Mobilität der Arbeitnehmer, Änderungen im Personalmanagement und Weiterbildung entscheidend. Der soziale Dialog sollte daher gestärkt werden und nicht nur den reinen Luftverkehrsmanagement-Sektor betreffen, sondern für weitere Sozialpartner über die Flugsicherungsdienste hinaus und für Diskussionen über die sozialen Auswirkungen für die Arbeitnehmer von Flugsicherungsdiensten, Luftfahrtunternehmen und Flughäfen sowie zu der Frage, wie Arbeitsplätze in der Luftfahrt insgesamt gesichert werden können, geöffnet werden.

Brüssel, den 11. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 50; ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 38; ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 9.

(2)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 9 (Ziffer 4.7).

(3)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 51.

(4)  Ebenda.

(5)  COM(2013) 410 final.

(6)  COM(2013) 409 final.

(7)  COM(2013) 408 final.

(8)  SWD(2013) 206 final.

(9)  COM(2013) 409 final und COM(2013) 410 final.

(10)  Siehe Übersichtstabelle „Calculation of 2014 Unit Rates — Adjustments and revenues“ im Informationsdokument „Initial Estimates of the Route Charges Cost-Bases and Unit Rates“, Herausgeber: Enlarged Committee for Route Charges, Eurocontrol, 16. Juli 2013 (S. 6): http://www.eurocontrol.int/sites/default/files/content/documents/route-charges/operation-reports/cer-99-2013-3452-fin_item_2-en.pdf.

(11)  Siehe Eurocontrol-Bericht über die Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa betreffend die operationellen ATM-Leistung („U.S./Europe Comparison of ATM-Related Operational Performance“), 2010.

(12)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 9.

(13)  Das Branchenkonsultationsgremium trat erstmals 2004 zusammen. Laut Website der Europäischen Kommission bietet es Gelegenheit für alle Teile der Industrie, der Europäischen Kommission ihre Erwartungen an den einheitlichen europäischen Luftraum und ihre Standpunkte zu den Optionen und Zeitplänen kundzutun. Die Europäische Kommission beabsichtigt, den Rat des Branchenkonsultationsgremiums nicht nur für ihre Legislativinitiativen, sondern auf für ihre Investitionen in Normung, Forschung und Infrastruktur zu nutzen. (http://ec.europa.eu/transport/modes/air/single_european_sky/consultation_body_en.htm).

(14)  http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/12/st13/st13792.de12.pdf.

(15)  Internationale Zivilluftfahrt-Organisation.

(16)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 9.