ISSN 1977-088X

doi:10.3000/1977088X.C_2012.181.deu

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 181

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

55. Jahrgang
21. Juni 2012


Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

ENTSCHLIESSUNGEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

479. Plenartagung am 28. und 29. März 2012

2012/C 181/01

Entschließung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses gegen Diskriminierung aufgrund von Rasse oder ethnischer Herkunft, verabschiedet auf der 479. Plenartagung

1

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

479. Plenartagung am 28. und 29. März 2012

2012/C 181/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Junge Menschen mit Behinderung: Beschäftigung, Eingliederung und gesellschaftliche Teilhabe (Sondierungsstellungnahme)

2

2012/C 181/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Besondere Probleme der Inselgebiete(Initiativstellungnahme)

7

2012/C 181/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Das BIP und mehr — die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Auswahl zusätzlicher Indikatoren (Initiativstellungnahme)

14

2012/C 181/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Rolle der Zivilgesellschaft in den Beziehungen zwischen der EU und dem Kosovo(Sondierungsstellungnahme)

21

2012/C 181/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union (Sondierungsstellungnahme)

28


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

479. Plenartagung am 28. und 29. März 2012

2012/C 181/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives EuropaCOM(2011) 785 final — 2011/0370 (COD)

35

2012/C 181/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Doppelbesteuerung im BinnenmarktCOM(2011) 712 final

40

2012/C 181/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Geänderten Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen UnionCOM(2011) 739 final — 2011/0183 (CNS) und dem Geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen für das Eigenmittelsystem der Europäischen UnionCOM(2011) 740 final — 2011/0184 (APP)

45

2012/C 181/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Die Zukunft des Solidaritätsfonds der Europäischen UnionCOM(2011) 613 final

52

2012/C 181/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EGCOM(2011) 594 final

55

2012/C 181/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäft und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)COM(2011) 651 final — 2011/0295 (COD) und zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Sanktionen für Insider-Geschäfte und MarktmanipulationCOM(2011) 654 final — 2011/0297 (COD)

64

2012/C 181/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über RatingagenturenCOM(2011) 747 final — 2011/0361 (COD)

68

2012/C 181/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches KaufrechtCOM(2011) 635 final — 2011/0284 (COD) und der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht zur Erleichterung grenzübergreifender Geschäfte im BinnenmarktCOM(2011) 636 final

75

2012/C 181/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter RechtsformenCOM(2011) 684 final — 2011/0308 (COD)

84

2012/C 181/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Verbraucherprogramm 2014-2020COM(2011) 707 final — 2011/0340 (COD)

89

2012/C 181/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung)COM(2011) 793 final — 2011/0373 (COD)

93

2012/C 181/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (Verordnung über Online-Streitbeilegung)COM(2011) 794 final — 2011/0374 (COD)

99

2012/C 181/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Neuen Rechtsrahmen — Angleichungspaket (Umsetzung des Binnenmarktpakets für Waren)COM(2011) 764 final — 2011/0358 (COD); COM(2011) 765 final — 2011/0351 (COD); COM(2011) 766 final — 2011/0352 (COD); COM(2011) 768 final — 2011/0350 (COD); COM(2011) 769 final — 2011/0353 (COD); COM(2011) 770 final — 2011/0354 (COD); COM(2011) 771 final — 2011/0349 (COD); COM(2011) 772 final — 2011/0356 (COD); COM(2011) 773 final — 2011/0357 (COD)

105

2012/C 181/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizont 2020 (2014-2020)COM(2011) 809 final — 2011/0401 (COD), dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Regeln für die Beteiligung am Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizont 2020 (2014-2020) sowie für die Verbreitung der ErgebnisseCOM(2011) 810 final — 2011/0399 (COD), dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das spezifische Programm zur Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020 (2014-2020)COM(2011) 811 final — 2011/0402 (CNS) und dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschung und Ausbildung (2014-2018) in Ergänzung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020COM(2011) 812 final — 2011/0400 (NLE)

111

2012/C 181/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 294/2008 zur Errichtung des Europäischen Innovations- und TechnologieinstitutsCOM(2011) 817 final — 2011/0384 (COD) und dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Strategische Innovationsagenda des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT): der Beitrag des EIT zu einem innovativeren EuropaCOM(2011) 822 final — 2011/0387 (COD)

122

2012/C 181/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Programm für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für kleine und mittlere Unternehmen (2014-2020)COM(2011) 834 final — 2011/0394 (COD)

125

2012/C 181/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Europäische Agenda für die Integration von DrittstaatsangehörigenCOM(2011) 455 final

131

2012/C 181/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger (2013)COM(2011) 489 final — 2011/0217 (COD)

137

2012/C 181/25

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Wachstum und Beschäftigung unterstützen — eine Agenda für die Modernisierung von Europas HochschulsystemenCOM(2011) 567 final

143

2012/C 181/26

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Mitteilung zu EU-Politik und Freiwilligentätigkeit: Anerkennung und Förderung grenzüberschreitender Freiwilligenaktivitäten in der EUCOM(2011) 568 final

150

2012/C 181/27

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des EU-Programms Erasmus für alle für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und SportCOM(2011) 788 final — 2011/0371 (COD)

154

2012/C 181/28

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden GesundheitsbedrohungenCOM(2011) 866 final — 2011/0421 (COD)

160

2012/C 181/29

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Fahrplan für ein ressourceneffizientes EuropaCOM(2011) 571 final

163

2012/C 181/30

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für die Überwachung von Treibhausgasemissionen sowie für die Berichterstattung über diese Emissionen und über andere klimaschutzrelevante Informationen auf Ebene der Mitgliedstaaten und der EUCOM(2011) 789 final — 2011/0372 (COD)

169

2012/C 181/31

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Flughafenpaket, bestehend aus der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Flughafenpolitik in der Europäischen Union — Kapazität und Qualität zur Förderung des Wachstums, guter Verkehrsverbindungen und einer nachhaltigen MobilitätCOM(2011) 823 final, demVorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 96/67/EGCOM(2011) 824 final — 2011/0397 (COD), demVorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Europäischen Union (Neufassung)COM(2011) 827 final — 2011/0391 (COD) und demVorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des RatesCOM(2011) 828 final — 2011/0398 (COD)

173

2012/C 181/32

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen SatellitennavigationssystemeCOM(2011) 814 final — 2011/0392 (COD)

179

2012/C 181/33

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der AquakulturCOM(2011) 416 final, der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Reform der Gemeinsamen FischereipolitikCOM(2011) 417 final, der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die externe Dimension der Gemeinsamen FischereipolitikCOM(2011) 424 final und dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gemeinsame FischereipolitikCOM(2011) 425 final

183

2012/C 181/34

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1185/2003 über das Abtrennen von Haifischflossen an Bord von SchiffenCOM(2011) 798 final — 2011/0364 (COD)

195

2012/C 181/35

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG in Bezug auf die Information der breiten Öffentlichkeit über verschreibungspflichtige ArzneimittelCOM(2012) 48 final — 2008/0256 (COD)

199

2012/C 181/36

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 in Bezug auf die Information der breiten Öffentlichkeit über verschreibungspflichtige HumanarzneimittelCOM(2012) 49 final — 2008/0255 (COD)

200

2012/C 181/37

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der PharmakovigilanzCOM(2012) 52 final — 2012/0025 (COD)

201

2012/C 181/38

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 hinsichtlich der PharmakovigilanzCOM(2012) 51 final — 2012/0023 (COD)

202

2012/C 181/39

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher ZubereitungenCOM(2012) 8 final — 2012/007 (COD)

203

2012/C 181/40

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1342/2008 des Rates vom 18. Dezember 2008 zur Festlegung eines langfristigen Plans für die Kabeljaubestände und die Fischereien, die diese Bestände befischenCOM(2012) 21 final — 2012/0013 (COD)

204


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

ENTSCHLIESSUNGEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

479. Plenartagung am 28. und 29. März 2012

21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/1


Entschließung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses gegen Diskriminierung aufgrund von Rasse oder ethnischer Herkunft, verabschiedet auf der 479. Plenartagung

(2012/C 181/01)

Auf seiner Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) verabschiedete der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss mit 148 Stimmen bei 3 Enthaltungen die vorliegende Entschließung.

„Am 8. Februar 2012 richtete die niederländische Partei für die Freiheit (Partij voor de Vrijheid – PVV) eine Website ein, auf der sie die Bürger dazu aufrief, sich über Arbeitnehmer aus Ost- und Mitteleuropa in den Niederlanden zu beschweren.

In seiner Entschließung vom 15. März 2012 verurteilte das Europäische Parlament diese Denunzierungs-Website nachdrücklich. Als der Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft in Europa missbilligt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) diese Initiative und ihren fremdenfeindlichen und rassistischen Charakter aufs Schärfste. Er fordert die niederländische Bevölkerung und die niederländische Regierung auf, entschlossen gegen diese Initiative vorzugehen, die nicht länger toleriert werden kann.

Der EWSA und seine Mitglieder betonen ausdrücklich, dass:

die Verträge und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung beruhen. Die durch diese Website vermittelte Botschaft verletzt diesen Grundsatz und diskriminiert die europäischen Bürger aufgrund ihrer Nationalität;

alle Tätigkeiten, die gegen die Grundwerte der Europäischen Union, darunter Freiheit, Gleichheit und Achtung der Menschenrechte, verstoßen, zu verurteilen sind;

der Ausschuss sich der Forderung des Europäischen Parlaments an die Kommission und den Rat anschließt, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um der Verbreitung fremdenfeindlicher Ansichten in der EU Einhalt zu gebieten.“

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

479. Plenartagung am 28. und 29. März 2012

21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/2


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Junge Menschen mit Behinderung: Beschäftigung, Eingliederung und gesellschaftliche Teilhabe“ (Sondierungsstellungnahme)

(2012/C 181/02)

Berichterstatter: Ioannis VARDAKASTANIS

Mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 ersuchte die dänische Ministerin für Soziales und Integration Karen HÆKKERUP den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des dänischen EU-Ratsvorsitzes gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu:

Junge Menschen mit Behinderung: Beschäftigung, Eingliederung und gesellschaftliche Teilhabe“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 29. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 148 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der EWSA

1.1.1

empfiehlt, die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umzusetzen, damit Menschen mit Behinderungen, darunter auch junge Frauen und Männer, ihre Grundrechte uneingeschränkt wahrnehmen können;

1.1.2

fordert die Mitgliedstaaten dazu auf, sich im Rahmen der Nationalen Reformprogramme (NRP) der Europa-2020-Strategie aktiv für die umfassende gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einzusetzen und zu diesem Zweck Antidiskriminierungsmaßnahmen zu ergreifen;

1.1.3

fordert in Übereinstimmung mit Artikel 24 der vorgenannten UN-Konvention barrierefreie und integrative Bildungsmaßnahmen für Menschen mit Behinderungen. Nach Auffassung des Ausschusses sollten junge Menschen mit Behinderungen gleichermaßen Zugang zu primärer, sekundärer und tertiärer Bildung haben wie Menschen ohne Behinderungen, und betont, dass die informelle Bildung wichtig ist und anerkennt werden muss;

1.1.4

fordert zudem, für eine angemessene Verbreitung von Informationen über Hochschulen bzw. andere Bildungsmöglichkeiten in alternativen Formaten wie Braille-Schrift, Audio, Video, lesefreundlichen Formaten oder mittels Schriftverdolmetschung zu sorgen. Bibliotheken sollten in ihre Sammlungen neben den gedruckten Ausgaben auch Hörbücher aufnehmen;

1.1.5

ist der Auffassung, dass Kunst, Sport und Freizeit eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Fertigkeiten junger Menschen mit Behinderungen und ihrer Integration spielen und daher für alle leicht zugänglich sein sollten;

1.1.6

ruft die Mitgliedstaaten und EU-Institutionen dazu auf, vorbildliche Verfahren sowie Maßnahmen zu fördern, die die Integration von Menschen mit Behinderungen im Bildungs- und Beschäftigungsbereich stärken. Diese sollten auch Investitionen in soziales Unternehmertum und KMU sowie finanzielle Anreize für Arbeitgeber zur Einstellung von Menschen mit einer Behinderung umfassen;

1.1.7

empfiehlt den Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission und dem Parlament zudem, die Diskriminierung junger Menschen mit Behinderungen zu bekämpfen;

1.1.8

fordert Barrierefreiheit und angemessene Infrastrukturen für junge Menschen mit Behinderungen, damit diese einen Arbeitsplatz finden;

1.1.9

ist davon überzeugt, dass die Sozialpartner bei der Förderung der Beschäftigung junger Menschen mit Behinderungen eine Schlüsselrolle spielen können, indem sie die Themen Barrierefreiheit und angemessene Infrastrukturen in ihre Verhandlungen aufnehmen;

1.1.10

empfiehlt die Nutzung der Strukturfonds zur Förderung der Integration junger Menschen mit Behinderungen. Der Ausschuss fordert, die geltende Verordnung ordnungsgemäß umzusetzen und die Barrierefreiheit – im Einklang mit dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen – als Querschnittsgrundsatz neben Antidiskriminierung und Integration in Artikel 7 der künftigen Verordnung zu verankern;

1.1.11

ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, die Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (1) umzusetzen, und fordert nachdrücklich, dass die Richtlinie entsprechend dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ausgelegt wird;

1.1.12

empfiehlt der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat, Vertretungsorganisationen von jungen Menschen mit Behinderungen zu unterstützen und sie bei den einschlägigen politischen Prozessen zu konsultieren;

1.1.13

weist darauf hin, dass die Wirtschaftskrise und die Sparmaßnahmen die Rechte junger Menschen mit Behinderungen nicht beeinträchtigen dürfen, und ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, positive Maßnahmen zum Schutz dieser Menschen zu ergreifen;

1.1.14

empfiehlt, das Recht junger Menschen mit Behinderungen auf ein selbstbestimmtes Leben zu fördern, und ruft die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission dazu auf, die Strukturfonds zur Unterstützung einer Deinstitutionalisierung und wohnortnahen Betreuung zu nutzen.

1.1.15

begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, einen „EU-Rechtsakt über Barrierefreiheit“ zu erarbeiten, und empfiehlt, dass mit einer entsprechend starken Gesetzesinitiative die vollständige Barrierefreiheit beim Zugang zu Waren, Dienstleistungen und baulichen Einrichtungen in der EU gewährleistet wird;

1.1.16

fordert ein integratives europäisches Normungssystem und begrüßt die Annahme des Mandats 473 als positive Maßnahme zur Förderung der Barrierefreiheit;

1.1.17

begrüßt die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (2) und ruft dazu auf, sie entsprechend umsetzen (3);

1.1.18

fordert die wirksame Umsetzung der Verordnung über Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr in der Europäischen Union (4). Der Ausschuss ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, die Anwendung der Verordnung durchzusetzen und zusätzliche Maßnahmen zur Sicherstellung der Freizügigkeit junger Menschen mit Behinderungen (5) zu treffen;

1.1.19

begrüßt die Zusage der Europäischen Kommission, Internetportale öffentlicher Stellen und Internetseiten mit wichtigen Behördendiensten im Rahmen der Digitalen Agenda bis 2015 vollständig barrierefrei zu gestalten;

1.1.20

ist der Auffassung, dass den Bedürfnissen junger Menschen mit Behinderungen in allen Maßnahmen und Programmen der EU-Jugendpolitik Rechnung getragen werden muss, und fordert positive Maßnahmen zur stärkeren Sensibilisierung der Öffentlichkeit für ihre Bedürfnisse.

2.   Einleitung

2.1   Der EWSA

2.1.1

weist darauf hin, dass Menschen mit Behinderungen Opfer unterschiedlicher Formen von Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Ausrichtung oder aus einem sonstigen Grund werden;

2.1.2

ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, die Verhandlungen über die Antidiskriminierungsrichtlinie (6) voranzutreiben, um rechtlichen Schutz gegen jegliche Form der Diskriminierung in der EU zu gewährleisten;

2.1.3

weist darauf hin, dass das Risiko junger Menschen mit Behinderungen, Opfer von Gewalt zu werden, zwei bis fünf Mal höher ist als bei Gleichaltrigen ohne Behinderungen;

2.1.4

bedauert, dass die Gesellschaft jungen Menschen mit Behinderungen mit Vorurteilen und negativen Einstellungen gegenübertritt, was ihre Teilhabe, Selbstbestimmung und Integration erschwert;

2.1.5

weist darauf hin, dass junge Frauen mit Behinderungen, Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf sowie Menschen mit psychosozialen Behinderungen mit zahlreichen Diskriminierungsformen konfrontiert werden;

2.1.6

fordert, dass die politischen Rechte junger Menschen mit Behinderungen anerkannt werden und diese Menschen in der Lage sein müssen diese Rechte gleichberechtigt auszuüben, weshalb Wahlverfahren, -einrichtungen und -unterlagen barrierefrei zu gestalten sind;

2.1.7

schlägt vor, Maßnahmen zugunsten junger Menschen mit Behinderungen in allen einschlägigen Haushaltslinien des Mehrjährigen Finanzrahmens durchgehend zu berücksichtigen, damit ausreichend Finanzmittel zur Förderung von Barrierefreiheit und Integration zur Verfügung stehen;

2.1.8

schlägt vor, die Wirkung der einschlägigen politischen Instrumente für junge Menschen mit Behinderungen zu dokumentieren und einschlägige EU-Projekte, Studien und die Forschung zu finanzieren;

2.1.9

erinnert an die Empfehlungen in früheren Stellungnahmen des EWSA unter anderem zu den Themen Beschäftigung und Barrierefreiheit, die Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen sowie die Folgen des demografischen Wandels.

3.   Beschäftigung und Bildung

3.1   Der EWSA

3.1.1

weist darauf hin, wie wichtig es ist, Bildung für alle integrativ zu gestalten, und fordert, in der Primarschule Gebärdensprache zu unterrichten, Schriftdolmetschen mit Spracherkennung und Induktionsschleifenanlagen einzuführen und Lehrkräfte zu beschäftigen, die Braille-Schrift und jegliche geeignete Methode zur Unterstützung behinderter Lernender wie z.B. die unterstützte Kommunikation beherrschen;

3.1.2

begrüßt die von der Europäischen Kommission als Teil der Europa-2020-Strategie angenommenen Programme „Jugend in Bewegung“ und „Jugend in Aktion“ und ruft die Mitgliedstaaten dazu auf sicherzustellen, dass junge Menschen mit Behinderungen in den vollen Genuss dieser Programme kommen;

3.1.3

begrüßt die Nutzung von ERASMUS für sämtliche EU-Programme in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, und empfiehlt den Einsatz von ERASMUS zur Förderung der persönlichen Entwicklung und der Beschäftigungsaussichten von jungen Menschen mit Behinderungen;

3.1.4

fordert wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des frühzeitigen Schulabbruchs, denn die Wahrscheinlichkeit, eine tertiäre Bildung zu absolvieren, ist bei Menschen mit Behinderungen nur halb so hoch wie bei Menschen ohne Behinderungen. Nach Ansicht des Ausschusses sollten Hochschulen integrativer werden und positive Maßnahmen wie etwa Stipendien für Studierende mit Behinderungen und Quotensysteme ergreifen;

3.1.5

spricht sich für wirksame Maßnahmen zur Erleichterung des Übergangs junger Menschen mit Behinderungen von der Ausbildung in die Beschäftigung aus;

3.1.6

begrüßt die Entschließung des Europäischen Parlaments über Mobilität und Integration von Menschen mit Behinderungen (7) und ihren Schwerpunkt auf integrativer Bildung;

3.1.7

weist nachdrücklich auf die Bedeutung informeller Bildung (8) für junge Menschen mit Behinderungen hin und fordert den Ausbau des europäischen Rahmens für hochwertige Praktika, der auch Kriterien der Barrierefreiheit umfassen sollte;

3.1.8

weist darauf hin, dass junge Menschen mit Behinderungen ein Recht darauf haben, von den EU-Austauschprogrammen und den Möglichkeiten, im Ausland zu studieren und zu lernen, und von den EU-Instrumenten zur Konsolidierung ihrer Kompetenzen und Anerkennung ihrer Befähigungsnachweise zu profitieren;

3.1.9

fordert als Grundvoraussetzung für die Ausübung des Rechts auf Bildung die Barrierefreiheit von Bildungsinhalten, IKT und baulichen Einrichtungen. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten sollten Schulen, Hochschulen und Jugendberatungsstellen dazu auffordern, Barrierefreiheit bei ihren Maßnahmen zu berücksichtigen;

3.1.10

fordert zudem, für eine angemessene Verbreitung von Informationen über Hochschulen bzw. andere Bildungsmöglichkeiten in alternativen Formaten wie Braille-Schrift, Audio, Video, lesefreundlichen Formaten oder mittels Schriftverdolmetschung zu sorgen. Bibliotheken sollten in ihre Sammlungen neben den gedruckten Ausgaben auch Hörbücher aufnehmen;

3.1.11

erwägt die Nutzung von EU-Mitteln, darunter von Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF), und des EU-Bildungsprogramms für lebenslanges Lernen, zur Unterstützung des Einsatzes von Beratern für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen sowie für Lehrkräfte;

Beschäftigung

3.2   Der EWSA

3.2.1

weist nachdrücklich darauf hin, dass Menschen mit Behinderungen zwei bis drei Mal häufiger arbeitslos sind als Menschen ohne Behinderungen;

3.2.2

unterstützt den Einsatz der Strukturfonds zur Gewährleistung einer angemessenen Mittelausstattung der Europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen. Insbesondere sollten die Strukturfonds wirksamer eingesetzt werden, um die Beschäftigung junger Menschen mit Behinderungen zu fördern und den EFRE dazu zu nutzen, größere Barrierefreiheit in Europa herbeizuführen;

3.2.3

ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, die Beschäftigung junger Menschen mit Behinderungen – durch finanzielle Unterstützung der Arbeitgeber sowie durch Investitionen in KMU, soziales Unternehmertum und selbstständige Erwerbstätigkeit – zu fördern;

3.2.4

regt angemessene Infrastrukturen, flexible Arbeitszeiten, Telearbeit und Zugang zu IKT an, um die Beschäftigung junger Menschen mit Behinderungen zu fördern, und weist darauf hin, dass die Verweigerung angemessener Infrastrukturen einen Akt der Diskriminierung darstellt (9);

3.2.5

empfiehlt der Europäischen Kommission, jungen Arbeitnehmern und Praktikanten mit Behinderungen Barrierefreiheit zu gewährleisten, gleichzeitig das Angebot an grenzübergreifenden Maßnahmen der allgemeinen und beruflichen Bildung zu fördern und auszubauen sowie die der Freizügigkeit der Arbeitnehmer entgegenstehenden Hindernisse in der EU zu beseitigen;

3.2.6

ist fest davon überzeugt, dass die Sozialpartner eine Schlüsselrolle bei der Förderung und dem Schutz der Beschäftigung junger Menschen mit Behinderungen spielen sollten, indem sie diese Thematik in ihre Kollektivverhandlungen aufnehmen;

3.2.7

ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, in junge Menschen mit Behinderungen zu „investieren“, um diese bei der Bewältigung der Folgen der Wirtschaftskrise zu unterstützen, da es für sie schwieriger ist, einen Arbeitsplatz zu finden und diesen auch zu behalten.

4.   Teilhabe und Integration

4.1   Der EWSA

4.1.1

bekräftigt das Recht junger Menschen mit Behinderungen und insbesondere mit geistigen Behinderungen, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden;

4.1.2

fordert, die Öffentlichkeit anhand aussagekräftiger Daten gemäß Artikel 31 des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen stärker für die Lage von Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren, und betont hier die Pflicht der Medien zur Bekämpfung von Stereotypen;

4.1.3

empfiehlt den Mitgliedstaaten, die Geschäftsfähigkeit junger Frauen und Männer mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit allen anderen anzuerkennen;

4.1.4

weist auf die Notwendigkeit hin sicherzustellen, dass junge Menschen mit Behinderungen das Recht auf Freizügigkeit uneingeschränkt wahrnehmen und wünscht daher konkrete Vorschläge zur Beseitigung der Hindernisse bei der Übertragbarkeit von Sozialleistungen für Menschen mit Behinderungen;

4.1.5

fordert die Mitgliedstaaten dazu auf, sich im Rahmen der Nationalen Reformprogramme (NRP) der Europa-2020-Strategie aktiv für die umfassende gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einzusetzen und zu diesem Zweck Antidiskriminierungsmaßnahmen zu ergreifen;

4.1.6

fordert einen Europäischer Ausschuss für Behindertenpolitik (10), der durch die Behandlung der Themen Integration und Barrierefreiheit für junge Menschen mit Behinderungen zur Politikgestaltung und zu den Rechtsvorschriften der EU beitragen sollte;

4.1.7

betont die Schlüsselrolle des Sports bei der Förderung der Teilhabe junger Menschen mit Behinderungen und fordert finanzielle und politische Unterstützung für positive Initiativen wie die Paralympischen Spiele;

4.1.8

regt an, dass der Ausschuss für Sozialschutz, der Beschäftigungsausschuss und der Ausschuss für Wirtschaftspolitik Sachverständigenprüfungen durchführen, um – im Rahmen der offenen Koordinierungsmethode, der Beschäftigungsstrategie und der wirtschaftspolitischen Maßnahmen der NRP – bewährte Verfahren zugunsten der Chancengleichheit junger Menschen mit Behinderungen auszutauschen;

4.1.9

plädiert dafür, Vertretungsorganisationen von jungen Menschen mit Behinderungen sowohl finanziell als auch politisch zu unterstützen, um die Teilhabe zu fördern und mit Hilfe von Sensibilisierungsmaßnahmen Vorurteile abzubauen;

4.1.10

fordert zudem die Schulung von Beamten, Lehrkräften, Arbeitgebern und Dienstleistern damit sie die europäischen und nationalen Rechtsvorschriften im Bereich der Barrierefreiheit und der Chancengleichheit einhalten;

4.1.11

empfiehlt, das Recht junger Menschen mit Behinderungen auf ein selbstbestimmtes Leben zu fördern und die Strukturfonds zur Unterstützung der Deinstitutionalisierung und zur Förderung des gemeinschaftlichen Wohnens zu nutzen.

5.   Barrierefreiheit

5.1   Der EWSA

5.1.1

fordert das Europäische Parlament und den Rat auf, Barrierefreiheit als Querschnittsgrundsatz in Artikel 7 des Entwurf der allgemeinen Strukturfondsverordnung 2012-2020 zu verankern;

5.1.2

begrüßt die Maßnahmen der Europäischen Kommission zur Weiterentwicklung des EU-Rechtsakts für Barrierefreiheit, und bekräftigt, dass ein starker und bindender Rechtsakt zur Sicherstellung des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zu Waren, Dienstleistungen und baulichen Einrichtungen dringend erforderlich ist. Außerdem fordert der Ausschuss, sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene wirksame Instrumente zur Durchsetzung und Überwachung vorzusehen;

5.1.3

fordert die wirksame Umsetzung der Verordnung über Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr in der Europäischen Union (11) und ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, diese Verordnung umzusetzen und wirksame Maßnahmen zur Wahrung des Rechts auf Freizügigkeit junger Menschen mit Behinderungen zu ergreifen;

5.1.4

ist der Auffassung, dass ein spezieller Plan zur Sicherstellung des barrierefreien Zugangs zu allen EU-Institutionen bezüglich Infrastruktur, Einstellungsverfahren, Sitzungen, Internetportale und Information in Erwägung gezogen werden sollte;

5.1.5

begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, Internetportale öffentlicher Stellen (und Internetseiten mit wichtigen Behördendiensten) im Rahmen der Digitalen Agenda bis 2015 vollständig barrierefrei zu gestalten;

5.1.6

befürwortet den gemeinsamen EU-Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und –dienste und vertritt die Auffassung, dass elektronische Kommunikationswerkzeuge und –dienste eine entscheidende Rolle spielen, wenn es gilt, die laufende Information und Kommunikation der mobilen Generation der Zukunft zu gewährleisten;

5.1.7

weist darauf hin, wie wichtig der Zugang zur Informationsgesellschaft sowie zu Informations- und Telekommunikationstechnologien einschließlich des Zugangs zu Inhalten als grundlegendes Recht für Menschen mit Behinderungen ist;

5.1.8

erkennt den Mehrwert der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (12) an und ruft dazu auf, sie um- und durchzusetzen und insbesondere Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen zu ergreifen;

5.1.9

begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung zur europäischen Normung (13) sowie die Mitteilung über eine strategische Vision der europäischen Normung (14);

5.1.10

fordert ein integratives europäisches Normungssystem und begrüßt die Annahme des Mandats 473 als positive Maßnahme zur Förderung der Barrierefreiheit.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. L 303, 2.12.2000, S. 16–22.

(2)  ABl. L 95, 15.4.2010, S. 1–24. ABl. L 303, 2.12.2000; S. 16–22.

(3)  Visuelle Inhalte von Online-Medien sollten gemäß der Richtlinie zugänglich sein.

(4)  ABl. L 55, 28.2.2011, S. 1–12.

(5)  So sollte etwa die Barrierefreiheit von Bussen in ländlichen Gebieten obligatorisch sein.

(6)  COM(2008) 426 final.

(7)  2010/ 2272 (INI).

(8)  Informelle Bildung wird nicht an einer Einrichtung der allgemeinen oder beruflichen Bildung angeboten und führt in der Regel nicht zur Zertifizierung.

(9)  ABl. C 376, 22.12.2011, S. 81-86.

(10)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 81–86.

(11)  ABl. L 55, 28.2.2011, S. 1–12.

(12)  ABl. L 95, 15.4.2010, S. 1–24.

(13)  COM(2011) 315 final.

(14)  COM(2011) 311 final.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Besondere Probleme der Inselgebiete“(Initiativstellungnahme)

(2012/C 181/03)

Berichterstatter: José María ESPUNY MOYANO

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 20. Januar 2011 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Besondere Probleme der Inselgebiete“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 129 gegen 4 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Inselgebiete weisen gemeinsame Eigenschaften und Besonderheiten auf, die dauerhaft bestehen und sie deutlich von den Festlandgebieten unterscheiden. In Artikel 174 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wird anerkannt, dass Inseln mit konkreten Nachteilen konfrontiert sind, die besondere Aufmerksamkeit erfordern. Dennoch sind nach Ansicht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) weitere Anstrengungen erforderlich, um die Annahme einer angemessenen Strategie zu erwirken, die den besonderen Erfordernissen dieser Inselgebiete Rechnung trägt.

1.2   Der EWSA ist der Auffassung, dass die von der EU verwendete Definition des Inselbegriffs unangemessen ist und daher unter Berücksichtigung der neuen Gegebenheiten einer erweiterten EU, die neue Mitgliedstaaten mit Inselgebieten umfasst, überarbeitet und aktualisiert werden sollte. Bereits in früheren Stellungnahmen (1) hatte sich der EWSA für eine Änderung dieser Definition ausgesprochen und bekräftigt diese Empfehlung erneut.

1.3   Migration und Probleme im Zusammenhang mit der Überalterung bzw. dem Rückgang der Bevölkerung sind Fragen, die Inselgebiete in besonderem Maße betreffen. Diese Faktoren können zu einem Verlust an Kulturerbe, zur Schwächung der Ökosysteme und zu schwerwiegenden Folgen für die Wirtschaft (Beschäftigung, Jugend usw.) führen.

1.4   Einige Inseln sind mit einer Abwanderung von Teilen ihrer Bevölkerung in wohlhabendere Regionen konfrontiert, während andere Inseln Einwanderer aufnehmen, die zur lokalen Wirtschaftsentwicklung beitragen. Wieder andere Inseln hingegen stehen aufgrund ihrer geografischen Lage einer Flut an Einwanderern gegenüber, die ihre Aufnahmekapazitäten überschreitet.

1.5   Der EWSA hält es für unbedingt erforderlich, die Zugänglichkeit zu den Inseln und die Verbindungen zwischen ihnen zu verbessern. Da die Zugänglichkeit ein zentraler Aspekt für die Steigerung der Attraktivität der Inselgebiete ist, müssen die Kosten für den Güter- und Personenverkehr verringert werden, indem der Grundsatz der Gebietskontinuität zur Anwendung kommt und die EU-Verordnung Nr. 3577/92 optimiert wird.

1.6   Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei als wichtige Bestandteile der örtlichen Wirtschaft und Versorgungsquelle für einen Großteil der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie sind aufgrund der Abgeschiedenheit, der geringen Größe der Betriebe, dem geringen Differenzierungsgrad der Erzeugnisse sowie der klimatischen Bedingungen geschwächt.

1.7   Dies führt zu einer Schwächung der landwirtschaftlichen Verarbeitungs- und Nahrungsmittelindustrie in Inselgebieten, deren Erzeugnisse nur schwer mit Produkten vom Festland oder aus Drittländern konkurrieren können, wodurch wiederum der Primärsektor stark geschwächt wird.

1.8   Der EWSA empfiehlt, die Inseln im Rahmen der GAP ebenso wie die Bergregionen als benachteiligte Gebiete anzusehen und die Insellage beim Zugang zu Finanzmitteln besonders zu berücksichtigen.

1.9   Viele europäische Inselgebiete haben im Tourismus einen wesentlichen Faktor für das Überleben der lokalen Bevölkerung, ihrer Identität, ihrer kulturellen Traditionen und Werte sowie für die Bewahrung ihrer Landschaft gefunden. Diese Tätigkeit hat über die mit dem Tourismus verbundenen Dienstleistungen zu Wirtschaftswachstum, einer Zunahme der Beschäftigung und einer erheblichen Diversifizierung der Wirtschaftsgrundlage geführt. Die Volkswirtschaft der Inseln hängt jedoch zu stark von touristischen Aktivitäten ab; deshalb wäre eine Diversifizierung in Richtung tourismusergänzender Aktivitäten notwendig, mit denen die wirtschaftliche Entwicklung der Inselgebiete gefördert wird, um sie für Zeiten der Krise, wie wir sie momentan durchleben und von denen der Tourismus in hohem Maße betroffen ist, zu wappnen.

1.10   Der EWSA schließt sich dem Europäischen Parlament an, das in seiner Entschließung vom 27. September 2011 (2) fordert, im Rahmen der Initiative der Kommission zur Entwicklung einer Strategie für einen nachhaltigen Küsten- und Meerestourismus ähnliche spezifische Strategien für die Inseln, die Berggebiete und andere anfällige Bereiche auszuarbeiten.

1.11   Nach Auffassung des EWSA stoßen die Inselgebiete aufgrund der geringen Größe ihres Binnenmarkts und der begrenzten Leistungsfähigkeit der nutzbaren Forschungs- und Entwicklungsstrukturen bei der Beteiligung an den FEI-Programmen der EU auf Schwierigkeiten. Der EWSA hält es ferner für sehr wichtig, dass die EU den Inseln weiterhin bei der Entwicklung von IKT unter die Arme greift, die Schaffung von Forschungs- und Entwicklungsstrukturen unterstützt und die Beteiligung der KMU aus Inselgebieten an den FEI-Programmen fördert, erforderlichenfalls auch mit Fördermitteln aus den Strukturfonds.

1.12   Die europäische Energiepolitik sollte in Bezug auf die Inselgebiete folgende vorrangige Anliegen verfolgen: die Versorgungssicherheit auf den Inseln, die Entwicklungsfinanzierung und die Umsetzung von Projekten zur Energieerzeugung unter Nutzung neuer Technologien und erneuerbarer Energiequellen sowie die Förderung einer effizienten Energienutzung, bei der gleichzeitig Umwelt und Natur geschützt werden.

1.13   Die Wasserknappheit, die Entsalzung von Meereswasser und andere technische Möglichkeiten zur Wassergewinnung und -versorgung sollten von der EU im Rahmen der Regionalpolitik berücksichtigt werden, um so der Besonderheit der Inselregionen Rechnung zu tragen.

1.14   Der EWSA hält es für besonders wichtig, spezifische Fortbildungsprogramme für die in den verschiedenen Branchen tätigen Arbeitnehmer auf den Inseln zu entwickeln; dies gilt vor allem für die Tourismusbranche, die in Inselgebieten wirtschaftlich stark ins Gewicht fällt. Solche Programme sollten mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds und dem Kohäsionsfonds gefördert und von den Mitgliedstaaten, den Institutionen und den wirtschaftlichen und sozialen Akteure mitgetragen werden.

1.15   Allgemeine und berufliche Bildung sowie lebensbegleitendes Lernen spielen eine zentrale Rolle in der wirtschafts- und sozialpolitischen Strategie der Europäischen Union im Rahmen des Lissabon-Prozesses und der Europa-2020-Strategie. Der EWSA fordert, dass die Besonderheiten der Inselgebiete berücksichtigt werden, um zu gewährleisten, dass Bildung und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens in allen Regionen und für die gesamte Bevölkerung im Rahmen der nationalen Strategien vorgesehen werden.

1.16   Der EWSA fordert zur Umsetzung der Maßnahmen aus der Mitteilung von Brügge auf, in der es um die Koordinierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Europa geht und die von den Bildungsministern aller Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern auf EU-Ebene angenommen wurde.

1.17   Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, eine dienststellenübergreifende Arbeitsgruppe für die Inseln einzusetzen bzw. die Inselgebiete ggf. in andere bereits bestehende dienststellenübergreifende Arbeitsgruppen einzubinden.

1.18   Die Kommission sollte sicherstellen, dass den Inselgebieten im neuen mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 mit besonderen Bestimmungen Rechnung getragen wird und dass diese Gebiete in spezifischen regionalen Entwicklungsprogrammen, die besser auf ihre Besonderheiten abgestimmt sind, berücksichtigt werden. Es sollte die Möglichkeit einer Anhebung der EU-Kofinanzierungssätze in Bereichen von vorrangigem Interesse für die Entwicklung der Inselgebiete erwogen werden.

1.19   Da die Europa-2020-Strategie das künftige Handeln der EU maßgeblich beeinflussen wird, hält der EWSA es für sinnvoll zu prüfen, welche Auswirkungen diese Strategie auf die Inselgebiete hat und inwiefern sie einen Beitrag dazu leistet, die mit der Insellage verbundenen Nachteile abzufedern.

Angesichts der Saisonabhängigkeit des Tourismus auf den Inseln fordert der EWSA die Kommission und das Europäische Parlament auf, das Programm CALYPSO für sozialen Tourismus voranzutreiben – wie bereits in der Stellungnahme zum Thema „Innovation im Tourismus: eine Strategie für eine nachhaltige Entwicklung auf Inseln“ (3) angeregt wurde – und dabei die Sozialpartner einzubeziehen, denn dieses Programm kann sich auch auf den Tourismus auswirken und einen Multiplikatoreffekt auf andere Wirtschaftszweige haben.

2.   Einleitung

2.1   Inselgebiete

2.1.1   EUROSTAT verwendet fünf Kriterien zur Definition einer Insel:

Sie muss mindestens 1 km2 groß sein;

sie mussvom Festland mindestens 1 km entfernt liegen;

sie muss mindestens 50 ständige Einwohner haben;

sie darf keine dauerhafte Verbindung zum Festland haben, und

auf der Insel darf keine Hauptstadt eines EU-Mitgliedstaats liegen.

2.1.2   Bei der Definition des Begriffs „Insel“ sollte auch die 33. Erklärung zum AEUV berücksichtigt werden, in der es heißt: „Die [Regierungs-]Konferenz vertritt die Auffassung, dass die Bezugnahme auf Inselregionen in Artikel 174 auch für Inselstaaten insgesamt gelten kann, sofern die notwendigen Kriterien erfüllt sind.“

2.1.3   Wie der EWSA bereits in einer früheren Stellungnahme (4) anführte, werden bei dieser Definition die neuen Gegebenheiten einer erweiterten Europäischen Union, die nun neue Mitgliedstaaten mit Inselgebieten umfasst, nicht berücksichtigt.

2.1.4   Gemäß dieser Definition verfügen 14 (5) der 27 EU-Mitgliedstaaten auf ihrem Staatsgebiet über Inseln. Ihre Bedeutung muss aufgrund der großen Zahl von Menschen, die auf den verschiedenen Inseln der EU leben und insgesamt rund 21 Mio. ausmachen, anerkannt werden. Dies entspricht ungefähr 4 % der Gesamtbevölkerung in der EU-27.

2.1.5   Inselgebiete weisen gemeinsame Eigenschaften und Besonderheiten auf, die dauerhaft bestehen und sie deutlich von den Festlandgebieten unterscheiden.

2.1.6   Alle Inseln der EU unterscheiden sich durch bestimmte Merkmale voneinander; die Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Inselgebieten wiegen jedoch schwerer als die individuellen Unterschiede zwischen ihnen und sind besonders ausgeprägt in Bereichen wie Verkehr, Umwelt, Fremdenverkehr oder Zugang zu den wichtigsten öffentlichen Dienstleistungen.

2.1.7   Der AEUV enthält in Artikel 174 einen neuen Absatz, wonach „(…) den Gebieten mit schweren und dauerhaften natürlichen oder demografischen Nachteilen, wie den nördlichsten Regionen mit sehr geringer Bevölkerungsdichte sowie den Insel-, Grenz- und Bergregionen“ besondere Aufmerksamkeit gilt.

2.1.8   Durch diesen Artikel wird anerkannt, dass Inseln allgemein mit konkreten Nachteilen konfrontiert sind, die besondere Aufmerksamkeit erfordern.

3.   Demografische Situation der Inselgebiete

3.1   Migration und Probleme im Zusammenhang mit der Überalterung bzw. dem Rückgang der Bevölkerung sind Fragen, die Inselgebiete in besonderem Maße betreffen.

3.2   Einige Inseln oder Regionen bestimmter Inselgebiete stehen derzeit vor großen Problemen aufgrund des Bevölkerungsrückgangs, der durch die Abwanderung von Teilen der – vor allem jüngeren – Erwerbsbevölkerung, die Überalterung der dort ansässigen Bevölkerung oder schwierige klimatische Gegebenheiten bedingt ist. Diese Situation kann zu einem Verlust an Kulturerbe und zur Schwächung der Ökosysteme führen.

3.3   Andere Inseln sind aufgrund ihrer geografischen Lage an den Außengrenzen der Union mit Bevölkerungsströmen in die entgegengesetzte Richtung konfrontiert und sehen sich einer illegalen Einwanderung aus Drittländern gegenüber, deren Größenordnung häufig in keinem Verhältnis zu ihrer Aufnahmefähigkeit steht.

3.3.1   Auf einigen Inseln kommt es zu humanitären Notsituationen, die über die Solidarität der Europäischen Union angegangen werden müssen; dies bedeutet unter anderem, dass die entstandenen operativen Kosten auch weiterhin durch eine Bündelung einzelstaatlicher und europäischer Mittel geteilt werden müssen.

3.3.2   Der EWSA hat bereits in früheren Stellungnahmen angeregt, dass die Dublin-Verordnung im Rahmen einer gemeinsamen Asylpolitik geändert werden sollte, um die Mobilität der Asylbewerber innerhalb der EU zu erleichtern.

3.4   Auf der anderen Seite gibt es Inseln mit einer starken Präsenz ausländischer Einwohner mit starker Kaufkraft, die zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung auf lokaler Ebene beitragen, jedoch die Preise für Wohnraum in die Höhe treiben können, wenn der Wohnungsmarkt gesättigt ist. Dies erschwert der örtlichen Bevölkerung mit geringeren wirtschaftlichen Ressourcen den Zugang zu Wohnraum.

4.   Zugänglichkeit und Insellage

4.1   Einige der Zwänge, denen Inselgebiete unterliegen, ergeben sich aus ihrer fehlenden räumlichen Anbindung und ihrer Abgeschiedenheit. Diese Nachteile führen zu höheren Transport-, Vertriebs- und Produktionskosten, größeren Lieferunsicherheiten und der Notwendigkeit, größere Vorräte anzulegen und mehr Lagerkapazitäten vorzusehen.

4.2   Dies schlägt sich in einer absoluten Abhängigkeit vom See- und Luftverkehr nieder. Somit sind die Inselgebiete gegenüber den sonstigen Regionen benachteiligt, wenn es darum geht, die Vorteile des europäischen Binnenmarkts als homogenen Raum wettbewerbsfähiger Wirtschaftsbeziehungen zu nutzen und so die Unternehmen in eine neue Dimension zu stellen, um Innovationen zu ermöglichen sowie Skaleneffekte und externe Vorteile erzielen zu können.

4.3   Daher sollte darauf hingewiesen werden, dass im Rahmen der EU-Initiative des Gemeinsamen Europäischen Luftraums untersucht werden könnte, wie Mechanismen zum Flugverkehrsmanagement insbesondere dafür genutzt werden könnten, eine jederzeitige Zugänglichkeit der Inselgebiete zu gewährleisten.

4.4   In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, welche Situation durch die Bildung der Aschewolke aus dem isländischen Vulkan Eyjafjallajökull entstand und dass davon weite Teile des europäischen Luftraums im April und Mai 2010 beeinträchtigt wurden, so dass zahlreiche Flughäfen in Mittel- und Nordeuropa und sogar im Süden Europas geschlossen werden mussten.

4.5   Das größte Problem war dabei nicht das Ausbleiben von Touristen, sondern die Tatsache, dass diejenigen, die sich bereits auf den Inseln befanden, nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten und nicht genau wussten, wie lange dieser Zustand noch anhalten würde.

4.6   Dieses eine Beispiel verdeutlicht die besondere Schwäche der Inselgebiete unter solchen Umständen, denn obschon die Schließung des gemeinsamen europäischen Luftraums fast ganz Europa beeinträchtigte, waren die (negativen) Auswirkungen für die betroffenen Inselgebiete verheerender.

4.6.1   Ein anderes zu berücksichtigendes Thema ist die Besteuerung von CO2-Emissionen im Luftverkehr, die nach Planung der Kommission ab 2012 in Kraft treten soll. Sollte diese Steuer schließlich tatsächlich in Kraft treten, müsste die Kommission eine besondere Regelung für die Inselgebiete finden, da diese in viel höherem Maße vom Luftverkehr abhängig sind. Somit würden ihre naturbedingten Nachteile dadurch noch verstärkt.

4.7   Die Zugänglichkeit ist ein zentraler Aspekt für die Steigerung der Attraktivität der Inselgebiete. Im Rahmen der transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-T) muss eine echte multimodale Politik verfolgt werden, die auch auf die Inseln anzuwenden ist. Die Schaffung von See- und Luftverkehrskorridoren zwischen dem europäischen Festland und den Inseln durch die Bereitstellung von Mitteln für feste und mobile Infrastrukturen kann ein Schritt in diese Richtung sein.

5.   Landwirtschaft und Fischerei

5.1   Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei sind wichtige Bestandteile der örtlichen Wirtschaft, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigung, und eine wichtige Stütze der lokalen Lebensmittelindustrie als wichtigstem Industriezweig der Inseln.

5.2   Dennoch ist die land- und fischereiwirtschaftliche Erzeugung in Inselgebieten stark geschwächt, hauptsächlich bedingt durch die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Abgeschiedenheit, der geringen Größe der Betriebe, dem geringen Differenzierungsgrad ihrer Erzeugnisse, der Abhängigkeit von den örtlichen Märkten, deren Fragmentierung und den klimatischen Bedingungen. All diese Faktoren wirken sich auf die landwirtschaftliche Verarbeitungs- und Nahrungsmittelindustrie der Inseln aus, die von den lokalen Erzeugnissen abhängt. Die schwache landwirtschaftliche und tierische Erzeugung führt zu einer ebenfalls geschwächten landwirtschaftlichen Verarbeitungs- und Nahrungsmittelindustrie.

5.2.1   All diese Faktoren tragen dazu bei, dass die Erzeugnisse aus Inselgebieten gegenüber denen vom Festland und aus Drittländern wesentlich weniger wettbewerbsfähig sind.

5.3   Darüber hinaus ist die örtliche Landwirtschaft stark vom Ausland abhängig. Dies gilt sowohl für die Lieferung von Rohstoffen und Betriebsmitteln als auch für die Vermarktung der Erzeugnisse in einem geografischen Umfeld, das sich in sehr weiter Ferne von den Bezugsquellen und Märkten befindet.

5.4   Daher konkurrieren die Landwirte aus den Inselgebieten unter ungleichen Voraussetzungen mit den Erzeugern aus anderen Gebieten. Die Erzeuger vor Ort müssen die notwendige Unterstützung erhalten, um eine Gleichstellung der Landwirtschaft in Inselgebieten zu erreichen, beispielsweise mithilfe spezifischer GAP-Instrumente für die Inseln und durch eine stärkere Förderung und bessere Anerkennung lokaler Erzeugnisse.

5.5   In Bezug auf die Annahme besonderer Ausgleichsmaßnahmen für die Nachteile der Insellage in diesem Bereich wäre die beste Lösung ein gezieltes Legislativprogramm. Dies gilt für den Primärsektor, der für die Inseln besonders wichtig ist. Im Rahmen des Europäischen Fischereifonds sind keine besonderen Maßnahmen vorgesehen, es sei denn zugunsten der Regionen in äußerster Randlage und der kleineren Inseln des Ägäischen Meeres.

5.6   Dasselbe gilt für die Direktbeihilfen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Bei den jüngsten Reformen der Direktbeihilferegelungen der GAP, der ländlichen Entwicklung und des ELER ist die Insellage nicht berücksichtigt worden.

6.   Binnenmarkt und Tourismus

6.1   Die geringe Größe der Inselgebiete im Vergleich zu den Festlandregionen hat erhebliche Auswirkungen auf die Produktion und die Struktur der Märkte. Das lokale Produktionsgefüge setzt sich in diesen Gebieten zum größten Teil aus Klein- und Kleinstunternehmen zusammen, die wesentlich anfälliger sind als große Unternehmen.

6.2   Der Tourismus war und ist eine grundlegende Wirtschaftsquelle vieler Inselgebiete. Trotz der vielen zwischen ihnen bestehenden Unterschiede haben zahlreiche europäische Inseln in dieser Branche einen wesentlichen Faktor für das Überleben der lokalen Bevölkerung, ihrer Identität, Traditionen und kulturellen Werte sowie für die Bewahrung ihrer Landschaft gefunden.

6.3   Die Ausbreitung des Tourismus in den europäischen Inselgebieten hat dort zu einem Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum sowie zu einer erheblichen Diversifizierung der Wirtschaftsgrundlage durch die mit dem Tourismus verbundenen Dienstleistungen geführt. Zudem hat er die Neubelebung und den Schutz der lokalen Traditionen und Kultur sowie der Naturgebiete und des architektonischen Erbes ermöglicht.

6.4   Auch wenn sich der Tourismus allgemein deutlich positiv ausgewirkt hat, müssen auch seine negativen Folgen für einige Inselgebiete angeführt werden, wie unsichere Arbeitsverhältnisse, Saisonabhängigkeit, gering qualifizierte Arbeitnehmer, eine ausgeprägte Immobilienspekulation und ein Anstieg der Lebenshaltungskosten für die ortsansässige Bevölkerung. Auch hat er zu schweren Wasserversorgungsproblemen und Schwierigkeiten bei der Erbringung grundlegender Dienstleistungen für die Bevölkerung (Abfallbewirtschaftung, Gesundheitsversorgung usw.) geführt und eine erhebliche Umweltbelastung verursacht. Die Inselwirtschaft hängt derzeit stark von touristischen Aktivitäten ab; deshalb wäre eine Diversifizierung in Richtung sonstiger Aktivitäten notwendig, die nicht nur eine Ergänzung zum Tourismus sind und mit denen die wirtschaftliche Entwicklung der Inselgebiete gefördert werden könnte, um sie für Zeiten der Krise, wie wir sie momentan durchleben und von denen der Tourismus in hohem Maße betroffen ist, zu wappnen.

6.5   Mit der Annahme des AEUV ist die Bedeutung des Tourismus in der EU ausdrücklich anerkannt worden. Im Juni 2010 legte die Kommission eine Mitteilung vor, mit der ein neuer Rahmen für ein koordiniertes Vorgehen in der Europäischen Union gefördert werden soll, um die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Tourismus und sein Potenzial zur nachhaltigen Entwicklung zu steigern (6). Diese Anerkennung bietet eine Chance, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Tourismusbranche zu stärken und somit einen Beitrag zur neuen Europa-2020-Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu leisten.

6.6   Das Europäische Parlament begrüßt in Ziffer 55 seiner Entschließung vom 27. September 2011„die Initiative der Kommission, eine Strategie für einen nachhaltigen Küsten- und Meerestourismus zu entwickeln, und fordert sie auf, ähnliche spezifische Strategien für die Inseln, die Berggebiete und andere anfällige Bereiche auszuarbeiten“ (7).

7.   Forschung, Entwicklung und Innovation (F+E+I)

7.1   Innovation ist ein zentrales Ziel der Wirtschaftspolitik, sowohl auf EU-Ebene – im Zuge der Lissabon- und der Europa-2020-Strategie – als auch auf regionaler Ebene mit einem zunehmenden Anteil öffentlicher Investitionen in Forschung, Bildung, Aus- und Weiterbildung sowie Unterstützung der „innovativsten Wirtschaftszweige“ (z.B. Verkehr, Energie, „grüne“ Wirtschaft usw.). Dies gilt auch für Dienstleistungen – insbesondere für solche, die einen Wissensstand bzw. Qualifikationen erfordern, die bei den meisten Tourismusaktivitäten (z.B. Unterbringung, Verpflegung, Immobiliendienste usw.) üblicherweise vorausgesetzt werden.

7.2   Die Informationsgesellschaft und die neuen Technologien müssen als Wege zur Diversifizierung der Wirtschaftstätigkeit und zur Wissenserweiterung und -verbreitung in Inselgebieten gefördert und gestärkt werden. Durch die Nutzung von IKT wird die Abgeschiedenheit relativiert, indem die Verfahren und Systeme der Unternehmensführung sowie die Beziehungen zur Außenwelt verbessert werden, was eine Steigerung der lokalen Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität begünstigt.

7.3   Ursächlich für die grundlegende Schwierigkeit der Inselgebiete, ihre Innovationsfähigkeit auszubauen, sind die schwachen Unternehmensstrukturen, das Ausbildungsniveau, der Zugang zum europäischen Markt, die geringen Investitionen in Forschungsinfrastrukturen usw. Die Innovation in Inselgebieten muss ausgehend von einem weitgefassten Ansatz betrachtet werden, bei dem beispielsweise die Verarbeitung, Marketingverfahren sowie innovative Techniken der Unternehmensführung und -organisation berücksichtigt werden. Als Ziel müssen die Unternehmen in Inselgebieten verfolgen, ihre Produktionskapazität und die Qualität ihrer Erzeugnisse zu verbessern, und darauf hinwirken, dass ihnen der Zugang zum europäischen Markt ermöglicht wird und sie dort unter ähnlichen Bedingungen mit den Festlandregionen der Europäischen Union konkurrieren können.

7.4   Weiterhin müssen die Schwierigkeiten hervorgehoben werden, auf die Inselgebiete bei der Beteiligung an den FEI-Programmen der EU stoßen. Aufgrund der geringen Größe ihres Binnenmarkts und der begrenzten Leistungsfähigkeit der nutzbaren Forschungs- und Entwicklungsstrukturen ist es für diese Regionen erheblich schwieriger, an diesen Programmen mitzuwirken.

8.   Energie und Wasser

8.1   Aufgrund der hohen Abhängigkeit der Inseln von Brennstoffeinfuhren wirken sich Schwankungen der Energiepreise in größerem Maße auf sie aus.

8.2   Die europäische Energiepolitik sollte in Bezug auf die Inselgebiete folgende vorrangige Anliegen verfolgen: die Versorgungssicherheit auf den Inseln, die Entwicklungsfinanzierung und die Umsetzung von Projekten zur Energieerzeugung unter Nutzung neuer Technologien und erneuerbarer Energiequellen sowie die Förderung einer effizienten Energienutzung, bei der gleichzeitig Umwelt und Natur geschützt werden.

8.3   Die Elektrizitätserzeugung, -speicherung und -versorgung ist nicht nur zur Deckung des primären Energiebedarfs von Bedeutung, sondern auch für die Entsalzung von Meerwasser, die auf vielen Inseln das Problem der Trinkwasserversorgung lösen könnte.

8.4   Aufgrund der geringen Fläche der Inseln und vor allem ihrer felsigen Beschaffenheit herrscht auf den meisten Inseln Süßwasserknappheit. Dies ist ein Hemmfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung (insbesondere des Tourismus), ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf Gesundheit, Landwirtschaft und Viehzucht.

9.   Ausbildung und Beschäftigung

9.1   Nach der aktuellen EUROISLANDS-Studie (8) ist das Humankapital ein wichtiger Aspekt für die europäischen Inselgebiete, insbesondere für die Mittelmeerinseln. Das Bildungsniveau ist ausnehmend niedrig – auch auf den Inseln, die über ein höheres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und eine Universität verfügen. Auf den nordischen Inseln sind die Menschen besser darauf vorbereitet, sich neuen Herausforderungen zu stellen, doch auch dort bleibt die Umwandlung traditioneller Beschäftigungen eine schwierige Aufgabe.

9.2   Allgemeine und berufliche Bildung, lebensbegleitendes Lernen und Fremdsprachenkenntnisse spielen eine zentrale Rolle in der wirtschafts- und sozialpolitischen Strategie der Europäischen Union im Rahmen des Lissabon-Prozesses und der Europa-2020-Strategie. Die Gewährleistung von Bildung und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens in allen Regionen und für alle Einwohner muss der Eckpfeiler der nationalen Strategien sein. Die Personalknappheit und die Notwendigkeit eines breitgefächerten Dienstleistungsangebots erfordern von der Inselbevölkerung eine berufliche Vielseitigkeit, die durch gezielte, von der EU finanzierte Berufsbildungsprogramme erreicht werden kann.

10.   Regionalpolitik

10.1   Die Regionalpolitik ist das wichtigste Gemeinschaftsinstrument zugunsten der Inselgebiete, um ihre Strukturschwächen zu überwinden und ihr Entwicklungs- und Wachstumspotenzial zu nutzen. Allerdings muss diese Politik optimiert werden, damit die Inseln als feste Bestandteile des europäischen Binnenmarkts sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht bestmöglich davon profitieren können.

10.2   Allgemein sind die Inselgebiete gegenüber den Festlandregionen benachteiligt. Die Insellage gehört nicht zu den vordringlichsten Themen auf der regional- und kohäsionspolitischen Agenda der EU. Außerdem haben sich die Prioritäten der europäischen Agenda in diesen Politikbereichen mit der Erweiterung drastisch verschoben, was den EU-Maßnahmen betreffend die Insellage nicht gut getan hat.

10.3   Es muss ein integrierter Rahmen geschaffen werden, mit dem die Einschränkungen, mit denen die europäischen Inseln zu kämpfen haben, wirksam angegangen werden können. Daher müssen bei Maßnahmen und politischen Initiativen mit potenziellen Auswirkungen auf die Inselgebiete stets im Vorfeld entsprechende Folgenabschätzungen durchgeführt werden, ebenso wie dies bei Regionen in äußerster Randlage der Fall ist; auf diese Weise könnten negative Auswirkungen oder Widersprüche verhindert und der territoriale Zusammenhalt gestärkt werden. Solche Folgenabschätzungen sind besonders für Maßnahmen in den Bereichen Verkehr, Umwelt und Energie erforderlich.

10.4   Im Programmplanungszeitraum 2007-2013 wurde das Pro-Kopf-BIP als einziger Richtwert für die Förderfähigkeit der Regionen im Rahmen der erklärten Ziele der Regionalpolitik herangezogen. Bei diesem Kriterium wird jedoch außer Acht gelassen, dass Zusammenhalt eine viel breiteres Spektrum umfasst, in das u.a. soziale, umweltbezogene, territoriale und andere Faktoren im Zusammenhang mit Innovation und Bildung hineinspielen. Neue Indikatoren, die auf relevanteren statistischen Daten beruhen, dürften ein eindeutiges Bild vom Entwicklungsstand der Inseln liefern und ein befriedigendes Verständnis für die Lage der Regionen mit dauerhaften geografischen Nachteilen ermöglichen.

10.4.1   In diesem Sinne sollten die Referenzindikatoren der Europa-2020-Strategie in Anknüpfung an den allgemeinen politischen Rahmen der Union als Bezugsgrößen einbezogen werden.

10.5   Im Programmplanungszeitraum 2007-2013 wurde zwar anerkannt, dass die Inseln der EU zur Teilnahme an der grenzübergreifenden Zusammenarbeit berechtigt sind, doch hat die Festlegung des Kriteriums einer Höchstentfernung von 150 km zwischen den Grenzen der Regionen dazu geführt, dass derzeit drei Inselgruppen (die Kykladen, die Hebriden und die Balearen) ausgeschlossen bleiben.

10.6   Der EWSA fordert die Abschaffung des entfernungsbezogenen Kriteriums (150 km), wenn es darum geht, Inseln als Grenzregionen einzustufen, die aus Programmen für grenzübergreifende Zusammenarbeit im Rahmen der territorialen Zusammenarbeit in der Kohäsionspolitik oder der Europäischen Nachbarschaftspolitik förderfähig sind.

10.7   Besondere Aufmerksamkeit muss den Inseln gelten, die nicht nur von einem, sondern von mehreren der in Artikel 174 genannten Nachteile betroffen sind, wie z.B. bergige Inseln oder sehr spärlich besiedelte Inseln. Dasselbe gilt für Inselgruppen, bei denen eine doppelte oder mehrfache Insellage vorliegt. Diese Gebiete sind aufgrund ihrer Fragmentierung und ihres begrenzten räumlichen Umfangs zusätzlich benachteiligt. Ferner sei auf die Lage vieler Gestadeinseln hingewiesen, die mit schweren Nachteilen aufgrund ihrer Mikroinsularität konfrontiert sind. Dadurch werden die durch die Insellage bedingten Zwänge noch verschärft und kann die Bevölkerung häufig nicht mit bestimmten Dienstleistungen versorgt werden.

10.8   Daher erfordern die Inseln einen integrierten Ansatz der verschiedenen Politikbereiche und -ebenen, sowohl horizontal (durch ein sektorübergreifendes Konzept in den wichtigsten Politikbereichen mit Auswirkungen auf die Gebietskörperschaften wie GAP, GFP, staatliche Beihilfen usw.) als auch vertikal (unter Einbeziehung der regionalen, nationalen und gemeinschaftlichen Dimension). Dieser Ansatz sollte auch die neuen politischen Orientierungen des EU-Vertrags sowie die Bedeutung widerspiegeln, die bestimmten Bereichen (wie z.B. Energie und Klima, Außenbeziehungen, Justiz und Inneres) zuerkannt wird (9).

11.   Stärken und Attraktivität der Inselregionen

11.1   Wie auch in der Euroislands-Studie im Rahmen von ESPON festgestellt wird (10), können als Pluspunkte und komparative Vorteile der Inseln die dortige Lebensqualität und ihre Natur- und Kulturgüter angeführt werden. Die Inseln verfügen über ein reiches Natur- und Kulturerbe und eine starke kulturelle Identität. Dabei gilt jedoch eine wichtige Einschränkung, denn das natürliche und kulturelle Erbe sind Ressourcen, die nicht substituiert oder erneuert werden können.

11.2   Nach den Empfehlungen dieser Studie mindern die neuen Kommunikations- und Informationstechnologien auf den Inseln die negativen Auswirkungen der Insellage (geringe Größe und Abgeschiedenheit). Auch für die kleinen und mittleren Unternehmen sowie für Dienstleistungen in den Bereichen Bildung und Forschung, Gesundheitsversorgung, Information, Kultur und für andere kreative Aktivitäten können die neuen Technologien nützlich sein. Weitere technische Veränderungen (Entwicklung neuer Formen erneuerbarer Energien, Technologien zur Teilsubstitution natürlicher Ressourcen, Fortschritte im Verkehrsbereich usw.) können die Folgen der Insellage abfedern.

11.3   In den Inselgebieten gibt es zahllose Beispiele für bewährte Verfahren:

Initiativen im Bereich der Wirtschaft: Verschiedene Agrar- und Industrieprodukte von den Inseln (Nahrungsmittel und Getränke) haben dem Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union und auf dem Weltmarkt trotz ihrer relativ hohen Preise standgehalten, was auf ihre Qualität (lokale Produktionsmittel und traditionelle Herstellungsverfahren) und/oder ihre Originalität bzw. die Schaffung eigener Markenzeichen zurückzuführen ist.

Initiativen zur Bewältigung allgemeiner Umweltprobleme, wie z.B. Klimawandel oder spezielle Probleme im Zusammenhang mit der Insellage: Besonders hervorzuheben sind die konkreten Anstrengungen zur Erzeugung erneuerbarer Energien u.a. auf den Inseln Kythnos (Kykladen), Samsø, Eigg (Schottland), Gotland, Bornholm und auf den Kanarischen Inseln.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  „Eine bessere Integration in den Binnenmarkt als Schlüsselfaktor für Kohäsion und Wachstum auf den Inseln“, ABl. C 27 vom 30.2.2009, S. 123, und „Innovation im Tourismus: eine Strategie für eine nachhaltige Entwicklung auf Inseln“, ABl. C 44 vom 11.02.11, S. 75.

(2)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu der “Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europa - wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus, ABl. C 376/08 vom 22.12.2011, S. 44), sowie die Entschließung des Europäischen Parlaments zu Europa – wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus (2010/2206(INI)).

(3)  ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 75.

(4)  „Eine bessere Integration in den Binnenmarkt als Schlüsselfaktor für Kohäsion und Wachstum auf den Inseln“, ABl. C 27 vom 30.2.2009, S. 123, Ziffer 2.2.

(5)  Spanien, Irland, Frankreich, Dänemark, Italien, Finnland, Schweden, Vereinigtes Königreich, Griechenland, Niederlande, Malta, Zypern, Estland und Portugal.

(6)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europa – wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus, COM(2010) 352 final.

(7)  Entschließung des Europäischen Parlaments zu Europa – wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus (2010/2206(INI)).

(8)  Studie „EUROISLANDS – Die Entwicklung der Inseln – europäische Inseln und Kohäsionspolitik“ (EU-Programm ESPON 2013).

(9)  Diese Bereiche werden in der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die nationalen Parlamente „Überprüfung des EU-Haushalts“, COM(2011) 700 final, aufgeführt.

(10)  Studie „EUROISLANDS – Die Entwicklung der Inseln – europäische Inseln und Kohäsionspolitik“ (EU-Programm ESPON 2013).


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/14


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Das BIP und mehr — die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Auswahl zusätzlicher Indikatoren“ (Initiativstellungnahme)

(2012/C 181/04)

Berichterstatter: Stefano PALMIERI

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 20. Januar 2011 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Das BIP und mehr – die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Auswahl zusätzlicher Indikatoren“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) mit 172 gegen 5 Stimmen bei 12 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bekräftigt die inhaltliche Aussage der Schlussbotschaft zur EWSA-Konferenz „Nachhaltigkeit fördern, Verantwortung zeigen! Die europäische Zivilgesellschaft auf dem Weg zu Rio+20“ am 7./8. Februar 2012, in der es in Ziffer 8 heißt: „begrüßen, dass in dem Nullentwurf die Grenzen des BIP als Indikator für Wohlergehen erkannt werden, und fordern die Einbindung der Zivilgesellschaft in die schleunige Entwicklung ergänzender Indikatoren“;

1.2   Der EWSA würdigt die in den letzten Jahren bei der Erarbeitung zusätzlicher Indikatoren zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf weltweiter und europäischer Ebene erzielten Fortschritte; dies gilt insbesondere für die Untersuchung von repräsentativen Indikatoren für die Lebensqualität und die gesellschaftlichen Bedingungen des Individuums in Bezug zur Nachhaltigkeit der Wirtschaftssysteme.

1.2.1   Der EWSA erachtet es auch weiterhin für unverzichtbar, diesen Erarbeitungsprozess weiterzuführen, insbesondere im Zuge einer globalen Herangehensweise, mit der sich die Europäische Union (EU) an die Spitze der Initiative stellt; auch im Hinblick auf die nächsten internationalen Termine (Rio+20) und vor allem vor dem Hintergrund der möglichen Fortschritte bei den neuen EU-Strategien für Stabilität und Wirtschaftswachstum, für Entwicklung und sozialen Zusammenhalt und für ökologische Nachhaltigkeit. Die erste Agenda, an denen die Festlegung der ergänzenden Indikatoren zum BIP gemessen werden kann, ist die Europa-2020-Strategie.

1.3   Der EWSA ist der Ansicht, dass die vielschichtige Entwicklung, die zu einer Neudefinition von Wohlstand und gesellschaftlichem Fortschritt – über das reine Wirtschaftswachstum hinaus – führt, nicht durch die kurzatmigen EU-Soforthilfemaßnahmen zur Bekämpfung der anhaltenden Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise überschattet werden darf.

1.3.1   Für den wirtschaftlichen Aufschwung und die Überwindung der Krise ist ein Paradigmenwechsel vonnöten, bei dem Wohlstand und sozialer Fortschritt die Grundlagen für weitere Entwicklung sind. Nur auf diese Weise kann den Ursachen der Krise und des durch sie unlängst ausgelösten Konjunkturabschwungs in Europa größeres Augenmerk gewidmet werden, um sie zu analysieren und kurz-, mittel- und langfristig angemessenere politische Maßnahmen zu erarbeiten. In diesem Sinne stellen die EU-Politiken eine besonders interessante Herausforderung dar.

1.4   Der EWSA bekräftigt daher, dass die reduktionistischen Tendenzen und die Widerstände gegen die Aufnahme und institutionelle Überwachung von Indikatoren für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit, welche die traditionellen, rein wirtschaftlichen und finanziellen Indikatoren ergänzen sollten, überwunden werden müssen, damit die aktuelle Krise nicht ausufert und besser gesteuert werden kann.

1.5   Die Kluft, die sich zwischen den Wirtschaftspolitiken auf nationaler und europäischer Ebene und den Politiken zur Förderung von Wohlstand und sozialem Fortschritt aufgetan hat, ist mittlerweile beachtlich. Und obwohl die nationalen Statistikämter mittlerweile überwiegend zusätzliche Indikatoren zum BIP heranziehen, hängt eine mögliche Verringerung dieser Kluft von der Fähigkeit ab, die zahlreichen verfügbaren Informationen in Wissen und kollektives Bewusstsein der Unionsbürger zu verwandeln.

1.5.1   In diesem Sinne sollte eine Debatte über die inhaltliche Bedeutung von Fortschritt angestoßen werden, bei der neben einer Neudefinition des Entwicklungsbegriffs auch Elemente politischer Verantwortung Eingang finden. Dieser neue Ansatz setzt voraus, dass die verschiedenen Dimensionen ermittelt werden, die den Fortschritt bilden durch

i)

Ausdehnung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf soziale und ökologische Phänomene,

ii)

Verwendung zusammengesetzter Indikatoren und

iii)

Schaffung von Schlüsselindikatoren.

1.6   Nach Ansicht des EWSA kommt somit der Statistik eine zentrale Bedeutung für die Schließung der Wissenslücke zu, die besteht

zwischen den wirtschaftlichen und sozialen Prozessen im Zuge der politischen Entscheidungen und den Fortschritten in Bezug auf Wohlstand und sozialen Fortschritt, und

zwischen den politischen Institutionen und den Bürgergremien; und dies gilt heute angesichts der Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien umso mehr.

1.7   Der EWSA ist davon überzeugt, dass die Transparenz der demokratischen Entscheidungsprozesse eine unabhängige statistische „Governance“ erfordert, deren wesentliche Aufgabe darin besteht, die Messungen und ihre Methodik in Richtung der von den neuen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erfordernissen erzwungenen Phänomene zu lenken. In diesem Zusammenhang soll Eurostat eine zentrale Rolle bei der Integration und Harmonisierung der nationalen und regionalen Statistiken übernehmen.

1.8   Der EWSA ist ferner der Auffassung, dass die Zivilgesellschaft gemeinsam mit den anderen gesellschaftlichen und institutionellen Akteuren die Handlungsbereiche ermitteln muss, in denen sich der Fortschritt einer Gesellschaft bestimmt lässt, indem sie die spezifischen Bereiche und die wichtigsten Phänomene (in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht) umreißt. Dies kann mit Hilfe spezifischer Informations-, Konsultations- und Partizipationsinstrumente erfolgen.

1.8.1   Nach Ansicht des EWSA darf die Legitimität der öffentlichen Entscheidungen nicht ausschließlich durch die Garantien und formellen Ordnungen – institutioneller, rechtlicher, verfassungsrechtlicher Art – des Staates geliefert und gewährleistet werden, sondern muss notwendigerweise auf dem Beitrag der Zivilgesellschaft basieren.

1.8.2   Der spezifische Beitrag der Zivilgesellschaft zur Festlegung der Perspektiven für Entwicklung und Wohlstand ist politisch notwendig, um die partizipative Dimension mit der kognitiven verknüpfen und überhaupt die künftigen Ziele verfolgen zu können.

1.9   Was gleichwohl fehlt, ist die Entwicklung von Instrumenten für die Durchsetzung und die Rechenschaftspflicht, die für die Kopplung der politischen, insbesondere der wirtschafts- und haushaltspolitischen Entscheidungen an die Leistung der Indikatoren selbst notwendig sind.

1.10   Der EWSA ist vor dem Hintergrund der zahlreichen Konsultations- und Partizipationserfahrungen in verschiedenen Ländern der Ansicht, dass das „Beschlussfassungsparadigma“, (der Prozess des Austauschs von Informationen und Meinungen in Bezug auf eine gemeinsame Entscheidung in Gestalt eines Diskurses, in dessen Verlauf sich die kollektiven Präferenzen herauskristallisieren und zur Sprache kommen), anhand dessen die Indikatoren für Wohlstand und Fortschritt zu erarbeiten wären, basieren sollte auf:

einem gleichberechtigten Meinungsaustausch zwischen institutionellen Akteuren und Vertretern der Zivilgesellschaft;

der Einbeziehung aller in Bezug auf die Entscheidung über eine künftige Messung und Beobachtung des Wohlstands und sozialen Fortschritt betroffenen Akteure in den Beschlussfassungsprozess;

einer Ausrichtung auf das Gemeinwohl, insbesondere in der im Anschluss an die diskursive Dialektik erfolgende Synthese.

1.11   Der EWSA verpflichtet sich, die Überwachung der Tätigkeiten fortzusetzen, die auf nationaler und europäischer Ebene die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Erarbeitung der zusätzlichen Indikatoren zum BIP beinhalten.

1.12   Der EWSA bekräftigt erneut seine Bereitschaft, als Ort der Begegnung zwischen der organisierten Zivilgesellschaft und den EU-Institutionen im Rahmen eines Mitwirkungs- und Beschlussfassungsprozesses zur Ermittlung und Erarbeitung der Fortschrittsindikatoren für die Europäische Union zu fungieren.

2.   Einleitung

2.1   Mit dieser Stellungnahme möchte der EWSA seinen eigenen Beitrag zu den Überlegungen über die Modalitäten der Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Erarbeitung von Indikatoren für Wohlstand oder Fortschritt einer Gesellschaft leisten, und zwar sowohl im Hinblick auf die Konferenz der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung, Earth Summit 2012 – Rio+20 vom 20. bis 22. Juni 2012 in Rio de Janeiro (1), als auch im Hinblick auf das Vierte Weltforum der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vom 16. bis 19. Oktober 2012 in Neu Delhi (Indien) „Statistics, Knowledge and Policies Measuring Well-Being and Fostering the Progress of Societies“.

2.2   Der EWSA möchte die mit seinen beiden früheren Stellungnahmen skizzierte Richtung fortsetzen und die Überwachung der Fortschritte weiterführen, die auf europäischer Ebene bei der Entwicklung zusätzlicher Indikatoren neben dem BIP erreicht wurden: Indikatoren, mit denen der wirtschaftliche und soziale Fortschritt unter Beachtung der ökologischen Nachhaltigkeit gemessen werden kann (2).

2.3   Der EWSA hatte bereits mit der Stellungnahme „Jenseits des BIP – Messgrößen für nachhaltige Entwicklung“ (3) Überlegungen hinsichtlich der Grenzen des BIP, möglicher Korrekturen und Ergänzungen und folglich zur notwendigen Erarbeitung neuer Kriterien angestellt, mit denen zusätzliche Indikatoren für Wohlergehen und (wirtschaftliche, soziale und ökologische) Nachhaltigkeit im Interesse von „mehr Ausgewogenheit in der Politik“ ermittelt werden können.

2.4   Zwei Jahre später hatte der EWSA im Anschluss an die auf europäischer Ebene erfolgten Diskussionen und Arbeiten in seiner Stellungnahme „Das BIP und mehr – Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel“ (4) die Mitteilung der Europäischen Kommission (5) begrüßt. Er hob darin die Bedeutung einer langfristigen Perspektive bei der Auswahl von Referenzparametern und statistischen Instrumenten hervor, die sich zur Erweiterung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auf soziale und ökologische Kriterien eignen, und natürlich in Abhängigkeit von den politischen Entscheidungen der politisch-institutionellen Akteure.

2.4.1   In der genannten Stellungnahme hob der EWSA die Notwendigkeit hervor, eingehender nach repräsentativen Indikatoren für die Lebensqualität und Lebensbedingungen der Bürger zu suchen. Dabei sollte ein globaler Ansatz verfolgt werden, mit dem sich die Europäische Union an die Spitze der Initiative stellt.

3.   Von wirtschaftlichem Wachstum zu gesellschaftlichem Fortschritt: eine vielschichtige Entwicklung

3.1   Seit mehr als 50 Jahren wird an der Entwicklung neuer Indikatoren gearbeitet, die eine Alternative oder genauer gesagt eine Ergänzung zum BIP, dem traditionellen Indikator für das Wirtschaftswachstum, darstellen. Das BIP ist ein Messinstrument, das auf die Wirtschaftsaktivität einer Gesellschaft „spezialisiert“ ist: ein Indikator, der nur aufgrund einer „bequemen“ Auslegung vom „Produktionsindikator“ zum „Indikator für das Wohlergehen einer Gesellschaft“ (6) werden konnte.

3.1.1   Zwischen 1960 und 1990 wurden soziale Indikatoren als Ergänzung oder Alternative zum BIP entwickelt, um Bereiche zu erfassen, die den traditionell dominierenden Wirtschaftsbereich ergänzen konnten: eine Phase, die als „soziale Phase“ der Fortschrittsindikatoren einer Gesellschaft definiert werden kann.

3.1.2   Ende der 80er Jahre wurde im „Brundtland-Bericht“ von 1987 die Frage der Nachhaltigkeit von Entwicklung ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt (7). Auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung von 1992 (Rio Earth Summit) gelangte der Umweltschutz auf die internationale politische Agenda und markierte den Übergang zu einer „globalen Phase“ bei der Suche nach und der Erarbeitung von Indikatoren, mit denen der Fortschritt der Gesellschaft erfasst werden konnte (8).

3.2   Im Verlauf der letzten zehn Jahre hat sich verstärkt die Notwendigkeit gezeigt, den von einer Gesellschaft erreichten Wohlstand und die (wirtschaftliche, soziale und ökologische) Nachhaltigkeit zu bewerten.

3.3   In den letzten Jahren hat die OECD mit dem 2003 gestarteten „Global Project on measuring the progress of societies“ eine zentrale Rolle eingenommen (9). Das Global Project war und ist auch heute noch ein Moment der „partizipativen“ Reflexion auf globaler Ebene. Es hat deutlich gemacht, dass das Fortschrittsparadigma der Gesellschaft einer Veränderung bedarf und ein dementsprechendes globales Entwicklungsmodell benötigt wird.

3.3.1   Durch das Global Project ist ein Netzwerk von Fachleuten aus dem öffentlichen und privaten Sektor entstanden, die daran interessiert sind, sich intensiv a) mit Studien und Analysen von Statistiken zum sozialen Wohlergehen, zur ökologischen Nachhaltigkeit und zum Wirtschaftswachstum und b) mit Instrumenten der Informations- und Kommunikationstechnologien zu befassen, die es ermöglichen, die statistische Information in Wissen umzuwandeln (10).

3.4   Am 20. August 2009 legte die Europäische Kommission die Mitteilung „Das BIP und mehr – Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel“ (11) vor, in der die Notwendigkeit anerkannt wurde, das BIP durch umweltbezogene und soziale Indikatoren zu ergänzen und bis 2012 ein Arbeitsprogramm aufzustellen.

3.5   Knapp einen Monat später (12) wurde der Bericht der „Kommission zur Messung der wirtschaftlichen Leistung und des sozialen Fortschritts“ (der sogenannten Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission) (13) veröffentlicht, der folgenden Zielen diente:

a)

Feststellung der Grenzen für die Anwendung des BIP als Indikator für die wirtschaftliche Leistung und den sozialen Fortschritt;

b)

Bewertung der Möglichkeit, alternative Instrumente zur Messung des sozialen Fortschritts anzuwenden;

c)

Überlegungen darüber anzustoßen, wie die statistischen Informationen angemessen präsentiert werden.

3.5.1   Zu diesem Zweck wurden im Bericht zwölf Empfehlungen formuliert, mit denen Messinstrumente entwickelt werden können, anhand deren das soziale Wohlergehen – die materielle und nichtmaterielle Lebensqualität – in all seinen Dimensionen herausgearbeitet werden kann (14).

3.6   Am 25. September 2009 gewann die Diskussion über das BIP und die Notwendigkeit zusätzlicher sozialer und umweltbezogener Indikatoren im Verlauf des G20-Gipfels in Pittsburgh weiteres Gewicht. Die Abschlusserklärung enthielt die Verpflichtung: „Parallel zu unserer Zusage, ein neues, nachhaltiges Wachstumsmodell zu etablieren, sollten wir die Arbeiten an Erfassungsmethoden fördern, die die soziale und umweltspezifische Dimension der wirtschaftlichen Entwicklung besser berücksichtigen“.

3.7   Im Dezember 2010 legte die Europäische Kommission den „Fünften Zwischenbericht über den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt“ (15) vor, der in dem Abschnitt „Das Wohlergehen verbessern und die Ausgrenzung reduzieren“ (Kapitel 1 „Wirtschaftliche, soziale und territoriale Situation und Entwicklungstendenzen“, S. 73-117) eine Reihe von Wohlstandsindikatoren aufzeigt.

3.8   Trotz der Beachtung, die heute der gesellschaftlichen Entwicklung geschenkt wird, scheint es auf Ebene der europäischen Institutionen weiterhin eher starke Widerstände zu geben, wenn es darum geht, die auf die soziale Entwicklung und die Umwelt bezogenen Indikatoren anzuwenden.

3.8.1   Von Frühjahr bis Herbst 2010 erarbeitete die Europäische Kommission ein Projekt zur Konsolidierung der Wirtschaftssteuerung in Europa, das sich auf einen Ausgleich der steuerlichen und makroökonomischen Ungleichgewichte innerhalb der Mitgliedstaaten der EU richtet (16). Dieses Projekt müsste von einem System der Indikatoren (dem sog. Scoreboard) ausgehen, das es ermöglicht, Alarmsignale zu diesen Ungleichgewichten auszugeben und in den betroffenen Mitgliedstaaten entsprechende Korrekturmaßnahmen zu ergreifen (17). Bedauerlicherweise entbehrten die Überlegungen zum anzuwendenden System der Indikatoren jedweder Transparenz. Die Kommission hat die wirtschaftlichen Indikatoren, die für das Verständnis der finanziellen, sozialen und ökologischen Ungleichgewichte relevant sind, völlig außer Acht gelassen.

3.8.2   Ähnlich ist sie im Euro-Plus-Pakt oder im jüngsten fiskalpolitischen Pakt verfahren, mit denen auf die Finanzspekulation reagiert und die Wettbewerbsfähigkeit des Euroraums gewahrt werden soll.

3.8.3   Wie bereits in den Stellungnahmen zur Konsolidierung und Koordinierung der EU-Politiken (18) sowie zu den makroökonomischen Ungleichgewichten (19) ausgeführt, ist der EWSA der Auffassung, dass wenn makroökonomische Ungleichgewichte als anhaltende Unterschiede zwischen Gesamtangebot und Gesamtnachfrage in einem Mitgliedstaat verstanden werden, (die zu systembedingten Überschüssen oder Defiziten beim Gesamtverbrauch und der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis einer Volkswirtschaft führen) es dann zumindest angebracht wäre, auch die sozialen Indikatoren aufzunehmen, wie z.B. Index zur Ungleichheit zwischen Einkommen und Reichtum; Einfluss der Vergütungen der untersten Ebene, Komponente der sog. Working Poor; Anteil der Vergütungen und Gewinne am BIP (20). Dies alles sind Indikatoren, die auf makroökonomische Ungleichgewichte verweisen, welche auf Sparüberschüsse bei den höheren und auf eine Überschuldung bei den mittleren und niedrigen Einkommen zurückzuführen sind. Dies sind unzweifelhafte Erkenntnisse aus der 2008 weltweit aufgetretenen Wirtschafts- und Finanzkrise (21).

3.8.4   Anders gesagt: Knapp zwei Jahre nach der oben erwähnten Mitteilung der Europäischen Kommission (22) verfolgt die Kommission zwar neue Wege bei der Untersuchung von Entwicklung und sozialem Fortschritt, bringt aber im Rahmen der ihr auferlegten Leitung, Koordination und vor allem Kontrolle der Mitgliedstaaten weiterhin die üblichen Mittel und konventionellen Strategien zur Anwendung und erteilt lediglich einigen Dimensionen des wirtschaftlichen Aspekts Vorrang, wobei ein Großteil der gesellschaftlichen oder ökologischen außen vor bleiben.

3.8.5   Vor diesem Hintergrund sind der EWSA, das Europäische Parlament und der Ausschuss der Regionen der Auffassung, dass Überlegungen über das Konzept des sozialen Fortschrittes nicht auf einen engen Personenkreis beschränkt sein dürfen, sondern notwendigerweise die Allgemeinheit einbeziehen müssen.

3.9   In allen nationalen und internationalen Untersuchungen zum Thema der komplementären Indikatoren zum BIP taucht die Annahme auf, dass die aktuelle Krise rechtzeitig erkannt und somit sicherlich besser hätte bewältigt werden können, wenn man auch Indikatoren für die wirtschaftliche, soziale, ökologische, intergenerationelle und finanzielle Nachhaltigkeit im öffentlichen und privaten Bereich mehr Beachtung geschenkt hätte.

3.9.1   Die Bemessung von Wohlstand und Fortschritt ist jedoch keine rein technische Frage, da es bei Wohlstand auch um die Präferenzen und grundlegenden Werte einer Gesellschaft und ihrer einzelnen Mitglieder geht.

3.9.2   Zu den wichtigsten Aspekten in den Untersuchungen und Überlegungen zu den Ursachen der Krise und den Möglichkeiten ihrer „Bemessung“ mittels umfassenderer Indikatoren gehört die höhere Beachtung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (und nicht ausschließlich des Angebots). Was den materiellen Wohlstand angeht, so wird in der internationalen Diskussion auf die Notwendigkeit einer stärkeren Beachtung der Faktoren Einkommen und Verbrauch anstelle der Produktion hingewiesen und gefordert, auch die Indikatoren zur Verteilung des Reichtums zu berücksichtigen. Außerdem wird betont, dass auch die Qualität der Güter Einfluss auf den Wohlstand hat, und es wird besonderer Wert auf die Berücksichtigung der sozialen Unterschiede und ihrer Bemessung gelegt, bei der man sich nicht allein auf die Betrachtung der „mittleren“ Werte beschränken dürfe.

3.9.3   Es steht außer Zweifel, dass die aus den Jahren 2008/2009 mitgeschleppte Wirtschafts- und Finanzkrise bis hin zum aktuellen „Double Dip“ diese Diskussion so zweckmäßig wie nie erscheinen lässt, vor allem was die Ursprünge der Krise und die Neudefinition von Wachstum, Entwicklung und Fortschritt betrifft, welche die verschiedenen nationalen Systeme und im Allgemeinen die Gesellschaft (erneut) generieren wollen.

4.   Das neue Bezugsparadigma: Der Fortschritt einer Gesellschaft

4.1   Die Debatte über die Notwendigkeit, neue Indikatoren heranzuziehen, die den wirtschaftlichen Bereich ausdehnen, und die sozialen und ökologischen Probleme zu berücksichtigen, lebt heute mit neuer Kraft auf, weil sich das gesellschaftliche Bezugsparadigma gewandelt hat. Mittlerweile reicht das Wirtschaftswachstum – ein für jedes Land nach wie vor äußerst wichtiger Faktor – allein nicht mehr aus, um einen realen Fortschritt für die Allgemeinheit zu gewährleisten, wenn es nicht inklusiv und nicht nachhaltig ist.

4.1.1   Neben das Konzept des wirtschaftlichen Wachstums muss folglich das des Fortschritts treten. Ein wesentlich weiter abgesteckter und ungleich komplexerer Kontext mit einer Multidimensionalität, die zahlreiche Aspekte und Aufgaben beinhaltet, wie: i) die Definition der zu erreichenden Zielsetzungen, ii) die Definition der anzusetzenden Strategien und Maßnahmen und iii) die Definition der Indikatoren zur Beobachtung des auf das Erreichen dieser Ziele bezogenen Ergebnisse. Das gleiche Verständnis des Fortschritts kann, auf unterschiedlichen Breitengraden, Auslegungen und Bedeutungen beinhalten, die je nach Bevölkerung, Kultur und Religion unterschiedlich sein können.

4.2   Der Paradigmenwechsel vom wirtschaftlichen Wachstum zum Fortschritt ist weit davon entfernt, die Dinge zu vereinfachen, sondern dürfte sie eher komplizierter machen. So wird es heute so notwendig wie nie zuvor, eine Debatte zur Bedeutung des Fortschritts zu fördern, welche neben einer Neudefinition des Fortschrittsbegriffs über die Ermittlung der zu erreichenden Zielsetzungen und der dazu erforderlichen Mittel Elemente der politischen Verantwortung einführen muss. Anders ausgedrückt: Eine Debatte, die ermöglicht, dass die Gesellschaft und all ihre Mitglieder sich auf die Elemente konzentrieren können, welche sie für ihre eigene Existenz als grundlegend erachtet.

4.3   Diese vollkommen neue Haltung macht eine Ermittlung der unterschiedlichen Dimensionen des Fortschritts erforderlich, um darauf aufbauend die entsprechenden Indikatoren definieren zu können. Die drei vorrangigen Methoden, die bei der Bemessung dieses Fortschritts angesetzt werden müssen, sehen vor:

1)

Ausdehnung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auf soziale und umweltbezogene Phänomene;

2)

Nutzung der zusammengesetzten Indikatoren;

3)

Bildung von Schlüsselindikatoren.

4.4   Wie sich aus der jüngsten und vollständigen Untersuchung zum Fortschritt einer Gesellschaft ergibt, scheint dieser Fortschritt im Wesentlichen auf zwei Systemen zu fußen, und zwar dem „menschlichen“ System und dem Ökosystem (23). Beide Systeme stehen über zwei unterschiedliche Kanäle in enger Wechselbeziehung: der erste Kanal besteht in der „Verwaltung der auf die Umgebung bezogenen Ressourcen“, der zweite aus den „Leistungen des Ökosystems“ (24).

4.4.1   In diesem Kontext nimmt der „persönliche Wohlstand“ (bezogen auf die Einzelperson wie auch auf die Gesellschaft) eine dominierende Funktion an, da er zum grundlegenden Ziel des gesellschaftlichen Fortschritts wird. Dieser Wohlstand setzt sich aus den drei Aktivitätsbereichen Ökonomie, Kultur und Governance zusammen (welche als „Zwischenziele“ angesehen werden können). Das Ökosystem dagegen besteht aus dem Aktivitätsbereich „Voraussetzungen des Ökosystems“ (Abbildung 1).

4.4.2   In diesem Zusammenhang kann der „Wohlstand einer Gesellschaft“ als die Summe des persönlichen Wohlstands und der Voraussetzungen des Ökosystems definiert werden, während der „gesellschaftliche Fortschritt“ als Verbesserung des persönlichen Wohlstands und der Voraussetzungen des Ökosystems angesehen werden kann. Ein Modell, das jedoch korrigiert werden muss, indem die Folgen der im Bereich des persönlichen Wohlstands und der in den Voraussetzungen des Ökosystems bestehenden Ungleichheiten einbezogen werden. Dabei sind die Ungleichheiten zwischen Gesellschaft und den geografischen Umfeldern, die innerhalb dieser geografischen Umfelder bestehenden Ungleichheiten sowie die zwischen den verschiedenen Generationen bestehenden Unterschiede in Betracht zu ziehen. Dies ist die Methode, die uns zur Definition eines für alle geltenden und vertretbaren Fortschritts einer Gesellschaft führt.

4.5   In den Rahmen dieser Überlegungen gehört die Debatte über die komplementären Indikatoren zum BIP. Und wenn diese Debatte heute neu auflebt und die Bemessung anderer Phänomenen (nicht nur des reinen Wirtschaftswachstums) gefordert wird, dann ist dies auf ein neues Bewusstsein für die Bedeutung dieser Phänomene und die entsprechende Forderung zurückzuführen, dass diese Phänomene endlich in die politische Agenda aufgenommen werden. Und die Bemessung dieser Phänomene ist die Voraussetzung ihrer Kenntnis und ermöglicht folglich ihrer Bewältigung.

4.5.1   Diese Phänomene stehen für politische Entscheidungen, sodass es zweckmäßig ist, sie zu beobachten, um den Bürgern über diese Beobachtung zu ermöglichen, auf angemessene Weise informiert zu sein. Und eben dies ist der Grund, warum der unabhängigen und hochwertigen offiziellen Statistik eine grundlegende Rolle zukommt.

5.   Information, Konsultation und Partizipation in den Prozessen zur Entwicklung der Fortschrittsindikatoren

5.1   Dass die Diskussion über die Ermittlung komplementärer Indikatoren zum BIP erneut entfacht wurde, hängt im Wesentlichen mit der Tatsache zusammen, dass im Laufe der letzen zehn Jahre eine regelrechte Kluft entstanden ist zwischen:

den in der offiziellen Statistik (bestehend aus den nationalen und den supranationalen Statistikinstituten) zur Ermittlung bestimmter Phänomene verwendeten Messgrößen,

und den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Tendenzen, die die Allgemeinheit betreffen und mit denen sich die Unionsbürger täglich auseinandersetzen müssen.

Eine Kluft, die sich auch infolge der in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht brisanten Auswirkungen der globalen Krise verschärft hat.

5.1.1   Anders ausgedrückt: Die Diskrepanz zwischen der von der offiziellen Statistik (mit Hilfe ihrer konventionellen Indikatoren, darunter das BIP als wichtigste Messgröße) ermittelten und gespiegelten Realität und der von den Bürgern gefühlten Realität macht zwangsläufig Überlegungen zur Rolle der offiziellen Statistik im 21. Jahrhundert erforderlich.

5.2   All dies ereignet sich zu einem Zeitpunkt, zu dem infolge der Fortschritte bei den Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) eine wahre Kommunikationsrevolution ausbricht, die eine wachsende Verfügbarkeit von Informationsflüssen ermöglicht. Inwieweit sich diese Entwicklung wirklich in einem effektiven Wissen für die Allgemeinheit niederschlägt, ist eigentlich die zentrale Frage – und hier muss die offizielle Statistik eine zentrale Rolle übernehmen. Ziel muss es sein, den Übergang von der Informations- zur Wissensgesellschaft zu ermöglichen.

5.2.1   Die zunehmende Verfügbarkeit von Informationen fördert die Transparenz der demokratischen Entscheidungsprozesse (die statistischen Indikatoren fördern z.B. das Verständnis der Entwicklungen bestimmter Phänome wie Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Inflation). Doch kann der gewaltige Informationsfluss die Konzentration der Nutzer untergraben, egal ob es sich um Bürger oder Politiker handelt (denn ein erhöhter Informationsfluss bedingt nicht notwendigerweise eine bessere Kenntnis).

5.3   Und genau dieses Dilemma zeigt, wie unabdingbar eine unabhängige und qualitativ hochwertige statistische Governance ist. Eine Statistik, deren grundlegende Aufgabe wieder darin bestehen muss, als Leitfaden für die Messungen und ihre Methoden in Bezug auf die Phänomene zu fungieren, die durch die neuen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Anforderungen bedingt werden (25).

5.3.1   Vor diesem Hintergrund sollte die Mitteilung der Europäischen Kommission „Ein robustes Qualitätsmanagement für die europäischen Statistiken“ (26) gesehen werden, in welcher bekräftigt wird, dass die Statistik heute nicht nur die Kenntnis dieser Phänomene, sondern auch ihre gegenwärtige und künftige Bewältigung ermöglichen muss. In diesem Bereich müssen die Bürger gut informiert, rational und demokratisch ihre Entscheidungen treffen können.

5.3.2   Eurostat sollte dementsprechend eine zentrale Rolle bei der Integration und Harmonisierung der nationalen und regionalen Statistiken der 27 EU-Mitgliedstaaten übernehmen, vor allem in Bezug auf die mit Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Einkommens- und Kapitalverteilung verbundenen Aspekte, um Veränderungen des Wohlstands im Anschluss an öffentliche Maßnahmen zu messen.

5.3.3   Eurostat sollte methodische Unterstützung gewährleisten, die sowohl den institutionellen und sozialen Akteuren als auch den europäischen Bürgern Instrumente an die Hand gibt, mit deren Hilfe sie sich informieren und beraten lassen und erfolgreich an der öffentlichen Diskussion teilhaben können (27).

5.4   Während die Zivilgesellschaft, gemeinsam mit gesellschaftlichen und institutionellen Akteuren, im Rahmen von einschlägigen Rundtischgesprächen und Diskussionsforen die Handlungsbereiche ermitteln müsste, in denen sich der Fortschritt einer Gesellschaft bestimmen lässt, indem sie die spezifischen Bereiche und die wichtigsten Phänomene (die verschiedenen Eigentümer in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht) umreißt, kommt der Statistik vor diesem Hintergrund eine unterstützende Funktion zu, indem sie geeignete Methoden anbietet und die zur Beobachtung dieser Phänomene geeignetsten Indikatoren ermittelt.

5.5   Die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht die Bildung von „Formen kollektiver Intelligenz“, die im Zuge der Durchsetzung aktiver Bürgerschaftspraktiken zur Neuformulierung von Demokratie beitragen:

zunächst die „partizipative Demokratie“ mit verstärkter Interaktion und Räumen für die Formulierung der Prioritäten im Zuge eines schrittweisen Verständnisses und Abwägens der verschiedenen Gesichtspunkte mit Blick auf das Gemeinwohl (28);

anschließend die „erarbeitende Demokratie“, um die Kriterien zu präzisieren, welche den Begriff „Wohlstand“ als gemeinsames Ziel sozialen Fortschritts abstecken sollen, indem die Variablen ermittelt werden, die sich für die Erarbeitung von Indikatoren eignen, die der Messung von Wohlstand und der Definition von Entwicklungspfaden einer Gesellschaft dienen sollen, die für die Interessenträger nachvollziehbar und somit in der Lage sind, ihre Einbindung in die Suche nach flächendeckendem Wohlstand zu fördern (29).

5.5.1   Auf diese Weise wird jener Begriff „soziales Kapital“ entwickelt (30), der den europäischen Zielen der Wissensökonomie und des sozialen Zusammenhalts zugrunde liegt, d.h. die Fähigkeit, den Begriff des Wohlstands aller durch ein Mehr an Vertrauen, Verständnis und Zusammenarbeit zwischen der Zivilgesellschaft und der öffentlichen Verwaltung nachzubessern. Dies kann ausschließlich im Zuge einer umfassenden bürgerschaftlichen, politischen und sozialen Mitwirkung erfolgen, welche die öffentlichen Behörden mittels entsprechender Konsultationsverfahren fördern müssen (31).

5.5.2   Eine stattliche Gruppe von Ländern hat unlängst fein strukturierte Beschlussfassungsprozesse in die Wege geleitet, bei denen die Mitwirkung der Zivilgesellschaft vorgesehen ist (Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Irland, Italien, Luxemburg, Mexiko, Niederlande, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten, Schweiz).

5.5.3   Die einzelnen Prozesse zur Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Akteure sind in Bezug auf Aufbau und Ausmaß recht unterschiedlich. Diese Unterschiede treten eher in der Phase der diskursiven oder dialektischen Interaktion auf (öffentliche Debatte und Ermittlung der Werte und Prioritäten) als in der ersten Anhörungsphase.

5.5.4   In der Anhörungssphase kommen hingegen häufig eigens eingerichtete Webseiten zum Einsatz, Arbeitsgruppen zu spezifischen Themenbereichen werden eingesetzt und Konsultationsprogramme kommen zur Anwendung, die eine intensive Nutzung von sozialen Netzwerken, Blogs und Umfragen (vor allem online) vorsehen. Gleichwohl wurde bislang in keinem Land ein sowohl formeller als auch substanzieller Bezug zwischen der im Wege der Beschlussfassung erfolgten Festlegung der Indikatoren und den wirtschaftlichen und finanziellen Planungsprozessen hergestellt.

5.5.5   Nach Ansicht des EWSA kann die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Ermittlung der Indikatoren für Wohlstand oder Fortschritt im Zuge ihrer aktiven Mitwirkung an der Auswahl der politischen Prioritäten ebenso wie an der Auswahl der zu überwachenden Informationen erfolgen.

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  http://www.earthsummit2012.org/.

(2)  Siehe Initiativstellungnahme des EWSA zum Thema „Jenseits des BIP: Messgrößen für nachhaltige Entwicklung“, ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 53, und Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament: Das BIP und mehr – Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel“, ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 64.

(3)  ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 53.

(4)  ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 64.

(5)  COM(2009) 433 final.

(6)  Simon Kuznets selbst – auf den die Verbreitung des BIP in den USA zurückgeht – hatte vor möglichem Missbrauch oder Missverständnissen gewarnt, zu denen die nicht korrekte Nutzung dieses Instrumentes führen könnte, und versucht, die Grenzen seiner Anwendung aufzuzeigen. Costanza, Rl, Hart, Ml, Psoner, S., Talberth, J., Beyond GDP: The Need for New Measures of Progress. Boston University.

(7)  Vereinte Nationen, 1987, Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung.

(8)  Die Studien konzentrieren sich hauptsächlich auf vier verschiedene methodische Ansätze: i) Indikatoren zur Korrektur des BIP, ii) alternative Indikatoren; iii) synthetische Indikatoren, iv) Indikatorensystem.

(9)  Das Projekt wurde 2004 in Palermo im Verlauf des ersten World Forums der OECD zum Thema „Statistics, knowledge and policy“ gestartet, drei Jahre später fand das zweite Forum (2007) in Istanbul zum Thema „Measuring and fostering the progress of society“ statt, wo die „Erklärung von Istanbul“ von Vertretern der EU, der OECD, der UNO, des UNDP, der Weltbank und der Organisation der islamischen Konferenz unterzeichnet wurde. 2009 fand in Busan (Südkorea) das dritte Forum der OECD zum Thema „Charting progress, building vision, improving life“ statt.

(10)  Auf ihrem jährlichen Forum (24./25. Mai 2011) präsentierte die OECD den „Better life index“, mit dem Reichtum, Wohlergehen und Lebensqualität mit Hilfe von elf Parametern (Wohnung, Einkommen, Arbeit, gemeinschaftliches Leben, Bildung, Umwelt, Governance, Gesundheitswesen, persönliche Zufriedenheit, Sicherheit, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben) gemessen werden: OECD, 2011, How's life? Measuring Well-Being, OECD Beller Life Initiative. http://www.oecdbetterlifeindex.org/.

(11)  COM(2009) 433 final.

(12)  14. September 2009.

(13)  http://www.stiglitz-sen-fitoussi.fr/en/index.htm.

(14)  Am 12. Oktober 2011 fand in Paris eine von der OECD, dem Nationalen Institut für Statistik und Wirtschaftsforschung (INSEE) und vom französischen Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Industrie veranstaltete Konferenz zum Thema „Two Years after the release of the Stiglitz-Sen-Fitoussi Report“ statt.

INSEE, 2011, Two years after the Stiglitz-Sen-Fitoussi report: What well-being and sustainability measures? INSEE' e contributions, Paris.

(15)  http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docoffic/official/reports/cohesion5/index_de.cfm.

(16)  „Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung - Instrumente für bessere wirtschaftspolitische Steuerung der EU“, COM(2010) 367 final.

Verstärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung“, COM(2010) 250 final.

(17)  „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euroraum“, COM(2010) 525 final - 2010/0279 (COD).

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“, COM(2010) 527 final - 2010/0281 (COD).

(18)  Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung - Instrumente für bessere wirtschaftspolitische Steuerung der EU“, ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 7.

(19)  Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euroraum“, COM(2010) 525 final - 2010/0279 (COD) sowie zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“, COM(2010) 527 final - 2010/0281 (COD) – ABl. C 218 vom 23. Juli 2011, S. 53.

(20)  Wie u.a. vorgeschlagen im Bericht des Europaparlaments zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“ seitens der Berichtserstatterin Elisa Ferreira (2010/0281 (COD)) vom 16.12.2010.

(21)  OIL-FMI, The Challenges of Growth, Employment and Social Cohesion („Die Herausforderungen auf dem Gebiet des Wachstums, der Beschäftigung und der sozialen Kohäsion“), Gesprächsunterlage für die gemeinschaftliche Konferenz OIL-FMI, Oslo, 13. September 2010 (S. 67-73).

(22)  „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Das BIP und mehr - Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel“, COM(2009) 433 final.

(23)  Hall J., Giovannini E., Morrone A., Ranuzzi G., 2010, A Framework to Measure the Progress of Societies. Statistics Directorate. Working Paper Nr. 34. OECD, STD/DOC (2010)5, Paris.

(24)  Während die Verwaltung der Ressourcen das Ergebnis der Folgen der Maßnahmen und Handlungen ist, die der Mensch in Bezug auf das Ökosystem angesetzt hat (Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, Umweltbelastung), gewährleisten die Leistungen des Ökosystems eine Verknüpfung der beiden Systeme (menschliches System und Ökosystem) in beiden Richtungen (Versorgung von Nahrung, Wasser, Luft, Auswirkungen von Naturkatastrophen etc.), Hall J., Giovannini E., Morrone A., Ranuzzi G., 2010.

(25)  Giovannini, E., 2007, Statistics and Politics in a Knowledge Society, OECD, STD/DOC(2007)2, 29 may 2007, am 28.1.2010 einer Veröffentlichung im Internet entnommen, Seite: http://www.oecd.org/dataoecd/39/53/41330877.pdf.

Giovannini, E. 2009, Measuring Societys Progress: A key issue for policy making and democratic governance, am 28.1.2010 einer Veröffentlichung im Internet entnommen, Seite: http://www.oecd.org/dataoecd/6/34/41684236.pdf.

(26)  COM(2011) 211 final.

(27)  Unter diesem Gesichtspunkt wurde innerhalb des europäischen Statistiksystems die Sponsorship-Gruppe zur Messung von Fortschritt, Zufriedenheit und nachhaltiger Entwicklung eingerichtet. Sie hat die Aufgabe, die diesbezüglichen Maßnahmen zu koordinieren und die Empfehlungen der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission unter angemessener Berücksichtigung der Ziele der Europa-2020-Strategie umzusetzen.

(28)  Zur Vertiefung des Themas wird auf die EWSA-Konferenz zur partizipativen Demokratie „Mittels der partizipativen Demokratie die Vertrauenskrise in der EU überwinden“ verwiesen. Erwähenswert sind ferner: The Citizen's Handbook (http://www.vcn.bc.ca/citizens-handbook) e European Citizens' Initiative (http://www.citizens-initiative.eu/) – Kampagne zur Förderung der partizipativen Rechte der Unionsbürger.

(29)  Bei der Analyse der Dynamik der partizipativen Demokratie wird häufig zwischen „Top-Down“-Prozessen und „Bottom-Up“-Prozessen unterschieden. Die Tatsache, dass in beiden Fällen auf Interaktionen zwischen zwei verschiedenen Organisations- und Entscheidungsebenen verwiesen wird (die hingegen in Formen direkter Demokratie unbekannt sind) stellt die partizipative Demokratie als ein Objekt des Dialogs und des Prozesses dar, das bei der Konfliktlösung am besten zur Anwendung kommt. Hier wird das Zusammentreffen beider Prozesse angestrebt.

(30)  OECD, 2001, The well-being of nations: the role of human and social capital, OECD, Paris.

(31)  OECD, 2001, Citizens als partners, Information, consultation and public participation in policy-making, PUMA, OECD, Paris.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/21


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle der Zivilgesellschaft in den Beziehungen zwischen der EU und dem Kosovo“(Sondierungsstellungnahme)

(2012/C 181/05)

Berichterstatter: Ionuț SIBIAN

Mit Schreiben vom 22. September 2011 ersuchten die Mitglieder der Europäischen Kommission Maroš ŠEFČOVIČ und Štefan FÜLE den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema

Die Rolle der Zivilgesellschaft in den Beziehungen zwischen der EU und dem Kosovo“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 6. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 145 gegen 5 Stimmen bei 13 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

In der Sondierungsstellungnahme des EWSA über die Rolle der Zivilgesellschaft in den Beziehungen zwischen der EU und dem Kosovo wird der Begriff Kosovo gemäß der Resolution 1244 (1999) des UN-Sicherheitsrates verwendet.

Die Stellungnahme umfasst eine Reihe von Empfehlungen, die sich sowohl an die Europäische Kommission als auch an die kosovarischen Behörden richten. Der EWSA ist bereit, die Maßnahmen der Europäischen Kommission zu unterstützen, die der Stärkung der Rolle der Zivilgesellschaft im Kosovo sowie der Vertiefung der Beziehungen zwischen der EU und der kosovarischen Zivilgesellschaft dienen.

1.1   Der EWSA fordert die kosovarische Regierung auf, als Vorbedingung für die Versöhnung und das gegenseitige Vertrauen geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit sich die ethnischen Minderheiten sicher und ungehindert im gesamten Gebiet bewegen können.

1.2   Die Europäische Kommission sollte mit der kosovarischen Regierung und Medienorganisationen vor Ort zusammenarbeiten, um die Freiheit der Medien und die Professionalisierung des Journalismus zu fördern.

1.3   Der EWSA fordert die kosovarische Regierung auf, die Zivilgesellschaft und die Sozialpartner bei der Ausarbeitung einer nationalen Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung zu konsultieren. Die kosovarische Regierung und die Europäische Kommission sollten der Integration von Jugendlichen und Frauen in den Arbeitsmarkt höchste Priorität beimessen. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Unterstützung der ländlichen Entwicklung, der nachhaltigen Landwirtschaft und der Verbände der Landwirte gewidmet werden.

1.4   Der EWSA sollte zur Stärkung des kosovarischen Wirtschafts- und Sozialrats beitragen, indem er Beziehungen zu den wichtigsten sozialen Akteuren pflegt und sein Know-how und seine Fachkenntnis weitergibt. Auch die Europäische Kommission sollte dem Wirtschafts- und Sozialrat des Kosovo kräftig unter die Arme greifen. Auch sollte die Regierung des Kosovo eine eigene Haushaltslinie für die Tätigkeit des kosovarischen Wirtschafts- und Sozialrates genehmigen.

1.5   Der EWSA empfiehlt dem kosovarischen Arbeitsministerium, einen transparenten und fairen Fördermechanismus für sozialpartnerschaftliche Initiativen einzurichten.

1.6   Das Kosovo kann auf Grund seines Status zwar nicht Vertragspartei von ILO-Übereinkommen werden, doch sollte die kosovarische Regierung ihre Rechtsvorschriften und rechtlichen Praktiken an diesen Übereinkommen ausrichten.

1.7   Nach Ansicht des EWSA müssen die Vertreter der Sozialpartner an der Einrichtung des Nationalen Rats für europäische Integration beteiligt werden.

1.8   Die kosovarische Regierung sollte die Durchsetzung der Vorschriften über den sicheren und ungehinderten Zugang zu öffentlichen Dokumenten stärken.

1.9   Im Zusammenhang mit der Einsetzung des kosovarischen Nationalrates zur Bekämpfung der Korruption im Februar 2012 bringt der EWSA seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Zivilgesellschaft wirksame Möglichkeiten erhält, um einen erfolgreichen Beitrag zur Bekämpfung der Korruption zu leisten.

1.10   Die kosovarische Regierung sollte den von der Zivilgesellschaft ausgearbeiteten strategischen Rahmen berücksichtigen und die notwendigen rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen für einen strukturierten Dialog und die Beteiligung der Zivilgesellschaft am Beschlussfassungsprozess schaffen. Das kosovarische Parlament sollte eine institutionelle Plattform für den regelmäßigen Dialog mit zivilgesellschaftlichen Organisationen entwickeln.

1.11   Die Europäische Kommission sollte die Schaffung von Netzen der Zivilgesellschaft im Kosovo weiter unterstützen, um den Dialog mit den Behörden zu erleichtern und eine Vernetzung mit den bestehenden zivilgesellschaftlichen Plattformen in Europa zu ermöglichen.

1.12   Die Europäische Kommission sollte die kosovarische Regierung dabei unterstützen, die rechtlichen und steuerpolitischen Rahmenbedingungen für die langfristige Nachhaltigkeit der Zivilgesellschaft im Kosovo zu schaffen. Die kosovarische Regierung sollte transparente Verfahren für die öffentliche Förderung von Organisationen der Zivilgesellschaft einführen. Außerdem empfiehlt der EWSA der kosovarischen Regierung, einen staatlichen Fonds für die Zivilgesellschaft einzurichten.

1.13   Der EWSA empfiehlt der Kommission, bei der Unterstützung der Zivilgesellschaft durch das IPA die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einerseits und die Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung andererseits gleichermaßen zu bedenken. Die IPA-Ausschreibungen sind so zu planen, dass Finanzierungslücken vermieden werden.

1.14   Die Europäische Kommission sollte gegebenenfalls Möglichkeiten prüfen, wie der Zugang kleinerer Organisationen der Zivilgesellschaft zu ihren Programmen erleichtert werden kann und längerfristige Initiativen unterstützt werden können.

1.15   Die Europäische Kommission sollte Lösungen finden, um den Sozialpartnern den Zugang zu den IPA-Mitteln für die Zivilgesellschaft zu erleichtern. Im Rahmen der Fazilität zur Förderung der Zivilgesellschaft sollten besondere Programme für die Sozialpartner aufgelegt werden. Auch die Gewerkschaften benötigen auf sie zugeschnittene IPA-Programme für die Stärkung ihrer Kapazitäten.

1.16   Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Sozialpartner in die Festlegung der nationalen Prioritäten für die IPA-Förderung.

1.17   Der EWSA bekräftigt sein Interesse und seine Bereitschaft, bei den jährlichen Vollversammlungen der Zivilgesellschaft im Zusammenhang mit dem Dialog im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses (SAP) gemeinsam mit der Europäischen Kommission den Vorsitz zu führen.

2.   Hintergrund der Stellungnahme

2.1   Externe Akteure im Kosovo

2.1.1   Am 17. Februar 2008 erklärte das kosovarische Parlament das Kosovo für unabhängig. Die Behörden des Kosovo verpflichteten sich zur vollständigen Umsetzung des von Martti Ahtisaari unterbreiteten umfassenden Vorschlags zum Status des Kosovo und nahmen hierzu eine neue Verfassung an. Das Parlament ersuchte die Europäische Union um Entsendung einer Rechtsstaatlichkeitsmission (EULEX). Es forderte außerdem eine Gruppe von Staaten (1) auf, ein internationales ziviles Büro (ICO) für die Überwachung der Umsetzung des Ahtisaari-Plans einzurichten. Der Internationale Zivilbeauftragte (ICR) ist befugt, Gesetze und Beschlüsse aufzuheben, die nach seiner Auffassung im Widerspruch zu dem Vorschlag von Ahtisaari stehen.

2.1.2   Bei schrittweiser Verringerung ihrer Präsenz gewährleistet die Schutzgruppe KFOR unter Führung der NATO nach wie vor die Sicherheit im gesamten Kosovo, während die kosovarische Polizei die Verantwortung für den Schutz der meisten kulturellen und religiösen Stätten und des größten Teils der Grenzen übernommen hat.

2.1.3   Der Internationale Gerichtshof stellte im Juli 2010 in seinem Gutachten zur Unabhängigkeit des Kosovo fest, dass dessen Unabhängigkeitserklärung nicht gegen internationales Recht verstößt.

2.2   Das EU-Konzept für das Kosovo

2.2.1   22 der 27 EU-Mitgliedstaaten haben das Kosovo anerkannt, aber der fehlende europäische Konsens über dessen Status hält die EU nicht davon ab, sich im Kosovo zu engagieren. Die fünf Mitgliedstaaten, die das Kosovo nicht anerkannt haben – Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien und Zypern – unterhalten in unterschiedlichem Maße Beziehungen zu den kosovarischen Behörden.

2.2.2   Das Kosovo ist zwar Teil des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses (SAP), aber als das einzige Land in dieser Region ohne vertragliche Beziehungen zur EU kann es kein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) unterzeichnen. Im Rahmen des SAP-Dialogs fanden 2010/2011 acht Sitzungen (sieben sektorspezifische Sitzungen, gefolgt von einer Vollversammlung) über die wichtigsten Kapitel des EU-Besitzstands statt, in denen auch zivilgesellschaftliche Organisationen konsultiert wurden.

2.2.3   Gemäß der UN-Resolution vom September 2010 zum Kosovo wurde zwischen Belgrad und Pristina im März 2011 ein Dialog unter EU-Vermittlung aufgenommen. Ziel dieses Dialogs ist die Suche nach praktischen Lösungen für regionale Zusammenarbeit, Handel, Freizügigkeit und Rechtsstaatlichkeit (siehe 3.3).

2.2.4   Im Juli 2010 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung zum Kosovo an, in der es die EU-Mitgliedstaaten aufforderte, ihren gemeinsamen Ansatz gegenüber dem Kosovo zu stärken. Das Europäische Parlament betonte, dass die Aussicht auf einen Beitritt zur EU einen starken Anreiz für die notwendigen Reformen im Kosovo darstellt, und forderte praktische Maßnahmen, um diese Aussicht für die Regierung und für die Bürger greifbarer zu machen.

Im Januar 2012 nahm die Europäische Kommission mit dem Kosovo Gespräche über die Liberalisierung der Visabestimmungen auf.

2.2.5   Das Kosovo erhält Mittel aus dem Instrument für Heranführungshilfe (IPA), dem Stabilitätsinstrument (IfS), dem Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) und anderen Finanzierungsquellen. Es beteiligt sich an den Mehrempfängerprogrammen im Rahmen von IPA. Das indikative Mehrjahresplanungsdokument für den Zeitraum 2011-2013 wurde am 27. Juni 2011 angenommen. 2011 wurden in enger Abstimmung mit dem Ministerium für europäische Integration und mit Regierungsinstitutionen Mittel in Höhe von insgesamt 68,7 Mio. EUR aus dem IPA-Jahresprogramm zugewiesen. Die EU-Heranführungshilfe konzentriert sich auf die Bereiche Rechtsstaatlichkeit, Wirtschaft, Handel und Industrie sowie die Reform der öffentlichen Verwaltung.

2.3   Auf die kosovarische Zivilgesellschaft ausgerichtete Tätigkeiten des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

2.3.1   Die EU-Erweiterung und die Fortschritte der Westbalkanländer auf dem Weg zum EU-Beitritt sind für den EWSA in seinen Außenbeziehungen von vorrangiger Bedeutung. Die Fachgruppe Außenbeziehungen hat effiziente Instrumente entwickelt, um ihre wesentlichen Ziele zu erreichen, nämlich die Unterstützung der Zivilgesellschaft in den Westbalkanländern und die Verbesserung ihrer Möglichkeiten, auf dem Weg zum EU-Beitritt als Partner der Regierungen aufzutreten.

2.3.2   Die Kontaktgruppe „Westbalkan“, ein ständiges, vom EWSA 2004 eingerichtetes internes Gremium, ist das wichtigste Instrument zur Koordinierung der Aktivitäten des Ausschusses in diesem Bereich. Zu den Aufgaben der Kontaktgruppe gehört es auch, den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel in den Westbalkanländern sowie die Veränderungen in den Beziehungen zwischen der EU und diesen Ländern zu verfolgen. Darüber hinaus fördert die Kontaktgruppe die Zusammenarbeit zwischen dem EWSA und den zivilgesellschaftlichen Organisation der Westbalkanstaaten.

3.   Politische Entwicklungen im Kosovo

3.1   Das Kosovo in Kürze: Fakten und Zahlen

3.1.1   Bis Ende 2011 hatten 86 UN-Mitgliedstaaten, darunter 22 EU-Mitgliedstaaten, das Kosovo anerkannt.

3.1.2   Das Kosovo hat rund 2 Millionen Einwohner und ist eines der ärmsten Länder Europas. Nach Schätzungen der Weltbank beträgt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf 1 760 EUR. Schätzungsweise 45 % der Bevölkerung leben unterhalb der nationalen Armutsgrenze, und nach den letzten verfügbaren Daten von 2006 leben 17 % in extremer Armut. Das Land hat eine große Diaspora und eine der jüngsten Bevölkerungen Europas.

3.1.3   Die Bevölkerung besteht zu 90 % aus Albanern und zu 6 % aus Serben, die restlichen 4 % setzen sich aus Bosniaken, Türken, Roma, Aschkali und Ägyptern zusammen. Die albanische Mehrheit und die nicht-serbische Minderheit erkennen das Kosovo als rechtmäßigen Staat an. Die serbische Gemeinschaft ist mehrheitlich gegen die Eigenstaatlichkeit des Kosovo. Die soziale Distanz zwischen Kosovo-Albanern und Kosovo-Serben ist nach wie vor sehr groß. Die Kosovo-Serben sind im nördlichen Landesteil de facto in hohem Maße autonom. In den anderen Teilen des Kosovo leben sie nun vor allem in ländlichen Enklaven. Neben politischen Gründen ist auch die Sprache in starkem Maße für die Isolierung der serbischen Gemeinschaft verantwortlich. Die Kosovo-Serben in den Enklaven werden im Alltag diskriminiert und ihnen stehen nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung. In der Praxis haben sie kaum den gleichen Zugang zur kosovarischen Verwaltung und zu verschiedenen Sozialdiensten wie beispielsweise zu Krankenhäusern wie die Kosovo-Albaner. Ihre Bewegungsfreiheit im Kosovo ist in der Praxis beeinträchtigt. Viele Serben verlassen weiterhin das Kosovo.

3.1.4   Im Nordkosovo und in den meisten von Serben bewohnten Gebieten existieren seit 1999 parallele Einrichtungen im Gesundheitswesen, in Bildung und Justiz und bei den sozialen Diensten. Sie werden von Serbien unterstützt und auch weitgehend kontrolliert. Die Wahlen zur Nationalversammlung und die Zusammenarbeit mit den kosovarischen Behörden werden von den meisten Kosovo-Serben nach wie vor boykottiert, vor allem im Norden. Im Rest des Landes beteiligen sich die Kosovo-Serben zunehmend an den Wahlen; sie sind in lokalen und nationalen Institutionen vertreten (einschließlich der Regierung und des Parlaments). Ein Dezentralisierungsprozess, im Zuge dessen die Schaffung neuer Kommunalverwaltungen mit gestärkten kommunalen Befugnissen vorgesehen war, in denen ethnische Minderheiten eine Mehrheit bilden, wurde in den Kommunalverwaltungen mit serbischer Mehrheit boykottiert.

3.2   Beziehungen zu den Nachbarländern

3.2.1   Unter allen Nachbarländern unterhält das Kosovo die besten Beziehungen zu Albanien. Albanien war und ist sehr intensiv bemüht, für die Anerkennung des Kosovo und dessen Einbeziehung in regionale Initiativen zu werben.

3.2.2   Das Kosovo unterhält gute Beziehungen zur ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Der Grenzverlauf ist geklärt, und es wurden solide diplomatische Kontakte geknüpft.

3.2.3   Das Kosovo und Montenegro sind übereingekommen, den Grenzverlauf endgültig festzulegen. Montenegro hatte gefordert, dass die montenegrinische Minderheit im Kosovo in der Verfassung anerkannt wird, bevor die beiden Länder Botschafter austauschen und der endgültige Grenzverlauf festgelegt wird. Die montenegrinische Gemeinschaft ist mittlerweile durch das Gesetz über die Gemeinschaften anerkannt, und die beiden Länder werden demnächst voraussichtlich diplomatische Beziehungen aufnehmen.

3.2.4   Bosnien und Herzegowina und Serbien sind die einzigen Nachbarländer, zu denen das Kosovo keine offiziellen politischen Beziehungen unterhält. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind weiterhin asymmetrisch, da Serbien der wichtigste Exporteur ins Kosovo ist, während das Kosovo bis vor Kurzem keine Waren nach Serbien exportieren konnte. Die EU vermittelt bei den technischen Verhandlungen zwischen Pristina und Belgrad. Auf der Tagesordnung für die Verhandlungen mit Serbien stehen die Aufhebung der Handelsblockade gegen das Kosovo, die Nutzung des serbischen Luftraums, der Transit von Passagieren mit kosovarischem Pass oder Fahrzeugen mit kosovarischem Nummernschild sowie die Mitgliedschaft des Kosovo in regionalen Foren. Ende Februar 2012 haben das Kosovo und Serbien eine Einigung über die regionale Zusammenarbeit und die Kontrolle der Grenzübergänge erzielt.

3.3   Anstehende Probleme

3.3.1   Die weiterhin bestehenden Spannungen in den Beziehungen zwischen den Volksgruppen sind auf die instabile Lage im Nordkosovo zurückzuführen sowie auf die Weigerung der kosovo-serbischen Minderheit und Serbiens, die Unabhängigkeit des Kosovo und seine neuen Institutionen anzuerkennen. Außerdem gibt es kosovo-albanische Gruppen, die mit der internationalen Überwachung der Unabhängigkeit des Kosovo nicht einverstanden sind.

3.3.2   Ende Juli 2011 eskalierte die Situation im Nordkosovo, als das Kosovo als Reaktion auf die serbische Warenblockade seit 2008 aufgrund der Nichtanerkennung des kosovarischen Zollstempels seinerseits ein Embargo für serbische Waren beschloss. Die einseitige Verlegung kosovarischer Polizeikräfte an zwei nördliche Grenzübergänge zu Serbien führte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen ein kosovarischer Polizist zu Tode kam. Nach dem Eingreifen der von der NATO geführten KFOR-Schutztruppe beruhigte sich die Situation.

3.3.3   Im September 2011 wurde der Zollstreit im Rahmen des von der EU vermittelten Dialogs zwischen Belgrad und Pristina beigelegt. Die Umsetzung der Vereinbarung führte zu zahlreichen Blockaden im Norden. Es kam auch zu gewaltsamen Zwischenfällen. Angesichts der Lage im Nordkosovo brach Serbien Ende September seine Teilnahme am dem oben erwähnten und von der EU vermittelten Dialog ab und kehrte im November 2011 an den Verhandlungstisch zurück.

4.   Wirtschaftslage im Kosovo

4.1   Stand nach dem Konflikt

4.1.1   Mit offiziell mehr als 40 % hat das Kosovo die höchste Arbeitslosenquote in der Region und liegt weit über dem EU-Durchschnitt. Vor dem Hintergrund der ausgedehnten Schattenwirtschaft im Kosovo sind diese Angaben mit Vorsicht zu genießen und dürften in Wirklichkeit höher liegen. Frauen und insbesondere junge Menschen sind stärker von der Arbeitslosigkeit betroffen. Jedes Jahr drängen rund 30 000 junge Menschen auf den Arbeitsmarkt, eine Zahl, die mit dem gegenwärtigen Wirtschaftswachstum nicht aufgefangen werden kann. Auch Armut stellt ein Problem dar; ungefähr 20 % der Bevölkerung leben von weniger als einem Euro pro Tag.

4.1.2   Die Wirtschaft ist nach wie vor in hohem Maße auf Heimatüberweisungen und die Hilfe von Gebern angewiesen. Die kosovarische Wirtschaft leidet unter Instabilität als Folge des Krieges, abgebrochenen Handelsbeziehungen und unzureichenden Infrastrukturinvestitionen. Ein mit der Unterstützung internationaler Geber angestoßenes umfangreiches Soforthilfe- und Wiederaufbauprogramm führte in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts zu einem zweistelligen Wirtschaftswachstum. Aufgrund des extrem hohen Handelsdefizits und fehlender ausländischer Direktinvestitionen hielt das Wachstum jedoch nicht an. Der Nettobetrag der ausländischen Investitionen im Kosovo ist seit 2007 kontinuierlich von 19 % auf 7,1 % des BIP zurückgegangen. Der informelle Sektor ist groß, die Steuereinnahmen sind gering.

4.1.3   Obwohl die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise aufgrund der begrenzten internationalen Integration des Kosovo nur relativ wenig Auswirkungen auf die Wirtschaft hatte, machten sich ihre negativen Folgen vor allem durch einen Rückgang der Heimatüberweisungen, Exporte und ausländischen Direktinvestitionen bemerkbar.

4.1.4   Die Wirtschaft des Kosovo stützt sich überwiegend auf den Dienstleistungssektor (68 %), während andere Bereiche einen relativ geringen Teil ausmachen: Industrie (20 %) und Landwirtschaft (12 %). Der größte Teil der kosovarischen Bevölkerung lebt in ländlichen Gebieten. Landwirtschaftliche Tätigkeiten werden auf kleinen Flächen betrieben, was dazu führt, dass die Betriebe zumeist nicht effizient arbeiten und gerade ihren Eigenbedarf decken können. Dies verhindert auch die Entwicklung einer starken und repräsentativen Zivilgesellschaft, die sich mit der Landwirtschaft und Fragen der Entwicklung des ländlichen Raums befasst.

4.1.5   Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und hat großen Einfluss auf die wirtschaftlichen Wachstumsaussichten des Landes. Das Kosovo, das auf dem Korruptionsindex von Transparency International auf Platz 110 rangiert, gilt als eines der korruptesten Länder Europas.

4.1.6   Der Regierung fehlt eine nationale Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung. Eine solche Strategie sollte unter Einbeziehung der Sozialpartner und anderer zivilgesellschaftlicher Akteure erstellt werden.

5.   Gegenwärtige Lage und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft

5.1   Der soziale Dialog

5.1.1   Die Gesamtzahl der Gewerkschaftsmitglieder wird auf rund 60 000 geschätzt. Der Grad der gewerkschaftlichen Organisierung ist im öffentlichen Sektor sehr hoch, schätzungsweise 90 % der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gehören einer Gewerkschaft an (2). Mittlerweile ist die Gründung von Gewerkschaften in der Privatwirtschaft gesetzlich zulässig. Ihre Einrichtung auf Betriebsebene stellt daher für die nächste Zeit die Hauptaufgabe der Gewerkschaften dar. Erhebungen zufolge erklären 5,09 % der Bevölkerung, Mitglied in einer Gewerkschaft zu sein (3).

5.1.2   Das im Dezember 2010 in Kraft getretene Arbeitsrecht wurde im Kosovo als eine der wichtigsten je verabschiedeten Regelungen betrachtet (4). Zu der Gesetzesvorlage fanden verschiedene Konsultationen statt, hauptsächlich zwischen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, aber auch unter Beteiligung des Fachausschusses des Parlaments und zivilgesellschaftlicher Organisationen. Das Gesetz wurde auf der letzten Plenartagung der dritten Legislaturperiode einstimmig verabschiedet, am gleichen Tag, an dem das Parlament trotz wiederholter Proteste der Regierung wegen der hohen damit verbundenen Belastung für den Haushalt aufgelöst wurde. Für den Fall der Nichtverabschiedung des Gesetzes hatten die Gewerkschaften mit Wahlboykott gedroht.

5.1.3   Der kosovarische Wirtschafts- und Sozialrat wurde 2009 errichtet. Seine Arbeit wurde von Anfang an durch den Widerstand der kosovarischen Handelskammer und des Verbands der Unabhängigen Gewerkschaften Kosovos (BSPK) gegen die Beteiligung anderer Arbeitgeberorganisationen (Kosovo Business Alliance) und Gewerkschaften (Konföderation der freien Gewerkschaften des Kosovo – KSLK) behindert. Trotz internen Zwists hielt der Wirtschafts- und Sozialrat regelmäßige Sitzungen ab.

5.1.4   Für eine wirksame Kooperation mangelt es dem Wirtschafts- und Sozialrat an den erforderlichen Kapazitäten und Ressourcen.

5.1.5   Die Sozialpartner haben keinen wesentlichen Einfluss auf die europäische Integration des Landes und seine wirtschaftliche Entwicklung. Die kosovarische Regierung sollte eine geeignete Rechtsgrundlage schaffen, um die Rolle und die Vertretung der Sozialpartner im Rahmen dieser beiden Prozesse zu stärken.

5.1.6   Das Arbeitsministerium fördert gegenwärtig Projekte von Sozialpartnern, ohne dass dafür transparente Kriterien oder Verfahren gelten würden.

5.2   Ziviler Dialog

5.2.1   Die Ursprünge der Zivilgesellschaft im Kosovo reichen in die Zeit der späten 1980er und frühen 1990er Jahre nach dem Fall des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa zurück. Aufgrund der damaligen sehr speziellen Lage im Kosovo entwickelte sich die Zivilgesellschaft als wichtiger Teil eines gänzlich parallelen Systems und des zivilen Widerstands gegen die serbische Herrschaft. Humanitäre Hilfe und Schutz der Menschenrechte sowie Bürgerbewegungen mit breitem Rückhalt in der Gesellschaft waren ihre wichtigsten Betätigungsfelder. Nach dem Boykott der serbischen Institutionen durch die gesamte albanische Bevölkerung im Kosovo und angesichts fehlender Sozial- und Gesundheitsdienste positionierte sich die Zivilgesellschaft als wichtigster Diensteanbieter (5).

5.2.2   Nach dem Krieg stellte sich die Zivilgesellschaft rasch auf die neuen Erfordernisse wie z.B. Soforthilfe- und Wiederaufbauprogramme oder Aussöhnung zwischen den Volksgruppen ein. Vor dem Hintergrund umfangreicher finanzieller und technischer Hilfe von internationalen Gebern nahm die Zahl der zivilgesellschaftlichen Organisationen erheblich zu. Von mehr als 6 000 im Jahr 2010 registrierten NGO sind jedoch gegenwärtig nur noch schätzungsweise 10 % aktiv oder teilweise aktiv (6).

5.2.3   Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehen sich die zivilgesellschaftlichen Organisationen im Kosovo mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie in anderen Ländern der Region (7), da die meisten von ihnen nach wie vor stark auf internationale Finanzierung angewiesen sind (schätzungsweise mehr als 70 % ihrer Mittel stammen von ausländischen Gebern). Folglich orientieren sich die zivilgesellschaftlichen Organisationen stärker an den Gebern und weniger an den Erfordernissen der Gemeinschaft, wodurch ihre Zukunftsfähigkeit vor dem Hintergrund abnehmender internationaler Mittel für die Zivilgesellschaft fraglich wird. Da ihnen der Kontakt zur Basis abhanden gekommen ist, haben sie jetzt ein Legitimationsproblem.

5.2.4   Viele Geber haben begonnen, sich aus dem Kosovo zurückzuziehen, und die für die Zivilgesellschaft zur Verfügung stehenden Gesamtbeträge nehmen ab. Die Dominanz kurzfristiger Projektunterstützung gegenüber langfristiger institutioneller Unterstützung macht die dauerhafte Bereitstellung finanzieller und personeller Ressourcen für zivilgesellschaftliche Organisationen zu einer sehr schwierigen Aufgabe (8).

5.2.5   Im Dezember 2011 verpflichtete sich die Europäische Kommission, vorbehaltlich der Positionen der Mitgliedstaaten zum Status des Kosovo, eine Lösung für die Teilnahme des Kosovo an EU-Programmen zu finden. In diesem Zusammenhang sollten sowohl die Kommission als auch die kosovarische Regierung sicherstellen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen an der Entwicklung und Umsetzung konkreter Projekte beteiligt sind.

5.2.6   Die Probleme bei der internationalen Anerkennung des Kosovo haben direkte Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen der kosovarischen Zivilgesellschaft. Eine Reihe internationaler und EU-Netze akzeptieren keine Mitglieder aus dem Kosovo. Trotz dieser Hindernisse ist die kosovarische Zivilgesellschaft in verschiedenen regionalen und europäischen Plattformen und Foren vertreten und international präsenter als jeder andere Sektor des Landes. Den Organisationen der kosovarischen Zivilgesellschaft sollte es erleichtert werden, an Regionalprogrammen teilzunehmen.

5.2.7   In der Verfassung von 2008 sind die Meinungs- und Pressefreiheit geschützt, mit Ausnahme von Äußerungen, die die Feindschaft zwischen den Volksgruppen schüren. Die Zivilgesellschaft kann die Regierung nach eigener Aussage grundsätzlich frei kritisieren, und nur wenige zivilgesellschaftliche Organisationen berichten von rechtswidrigen Einschränkungen oder Eingriffen seitens der lokalen Ebene oder der Zentralregierung. Es gibt allerdings Berichte, dass regierungsnahe Medien gegen zivilgesellschaftliche Initiativen oder regierungskritische Stimmen mobilisiert werden. Trotz einer breiten Vielfalt von Printmedien und elektronischen Medien ist investigativer Journalismus im Kosovo aus Furcht vor Repressalien selten. Die finanzielle Abhängigkeit der Medien von Werbeanzeigen der Regierung stellt ihre herausgeberische Unabhängigkeit in Frage.

5.2.8   Das grundlegende NGO-Gesetz erlaubt eine zügige und problemlose Registrierung von NGO und regelt die wichtigsten Grundsätze für ihre Gründung, Tätigkeit und Auflösung. Der ergänzende Rechtsrahmen für die Zivilgesellschaft wird jedoch als unzureichend betrachtet: gemeinnützige Organisationen genießen nur sehr begrenzte Vorteile, es gibt nur wenige Steuerbefreiungen für potenzielle Geber, und der zivile Dialog ist noch nicht formalisiert. In entsprechenden Mehrwertsteuer-, Zoll-, Körperschaftssteuer- und Einkommenssteuergesetzen müssen die steuerlichen Vorteile für diejenigen NGO festgelegt werden, die als gemeinnützig anerkannt sind. Philanthropisches Engagement steckt noch in den Kinderschuhen. Die Unternehmenskultur muss sich ändern, damit mit Spenden wirklich etwas bewegt werden kann. Es müssen dringend förderliche Rahmenbedingungen für die finanzielle Nachhaltigkeit von NGO geschaffen werden, damit sie durch Sponsoring-, Körperschaftssteuer- und Einkommenssteuergesetze Zugang zu öffentlichen Mitteln erhalten.

5.2.9   Die Mitwirkung der zivilgesellschaftlichen Organisationen beschränkt sich eher auf das Eintreten für Gesetzesinitiativen, während ihre Versuche, mehr Transparenz zu schaffen und Korruption zu bekämpfen, weniger erfolgreich sind. Der Zugang zu Informationen ist nach wie vor eine Hürde für die Zusammenarbeit zwischen NGO und der Regierung, was hauptsächlich auf die unzulängliche Durchsetzung des Gesetzes über den Zugang zu öffentlichen Dokumenten zurückzuführen ist.

5.2.10   Ein formeller Dialog zwischen der Zivilgesellschaft und der Regierung findet nicht statt. Die Europäische Kommission sollte die kosovarische Regierung bei der Einrichtung formeller Strukturen für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft unterstützen. Die öffentliche Verwaltung sollte Verfahren und Organe zur regelmäßigen Konsultation der Zivilgesellschaft einrichten und Beamte sollten damit betraut und dafür ausgebildet werden, als Kontaktpersonen für zivilgesellschaftliche Organisationen zu fungieren.

5.2.11   Auf entsprechende Bemühungen der Organisationen der Zivilgesellschaft hin hat die Regierung mit der Ausarbeitung einer Strategie für die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft begonnen. Dieser Prozess hat gerade erst angefangen und wird vom Zivilgesellschaftsnetz CiviKos koordiniert.

5.2.12   Es gibt keine speziellen Verfahren für den Abschluss von Verträgen der Regierung mit der Zivilgesellschaft und keine rechtlich geregelten Auswahlkriterien für die wenigen staatlichen Zuschüsse für NGO, die nach eher persönlichen Präferenzen gewährt werden. Die Europäische Kommission sollte der kosovarischen Regierung fachliche Hilfe bei der Einrichtung solcher Verfahren leisten.

5.2.13   Ohne klare rechtliche Bestimmungen, durch die entsprechende Anreize gesetzt werden, ist es für NGO extrem schwierig, einzelne Personen oder ganze Gruppen für die Freiwilligentätigkeit zu gewinnen. Der kosovarischen Regierung könnten deshalb europäische Gesetzesmodelle für die Freiwilligentätigkeit empfohlen werden.

5.2.14   Im Umweltbereich sollte die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft ausgebaut werden, und die zivilgesellschaftlichen Organisationen sollten konsultiert und in strukturierter Form an der politischen Entscheidungsfindung und den öffentlichen Debatten beteiligt werden.

6.   Die zivilgesellschaftlichen Organisationen im Kosovo und das Instrument für Heranführungshilfe IPA

6.1   Zugang zu IPA-Mitteln

6.1.1   Zwischen 1998 und 2009 belief sich die Hilfe der Europäischen Kommission für das Kosovo auf mehr als 2,3 Mrd. EUR, einschließlich der Finanzmittel für die EULEX-Mission und den EU-Sonderbeauftragten sowie das internationale zivile Büro. Die wichtigsten bilateralen Kooperationspartner der Europäischen Kommission waren Deutschland, die Schweiz, Norwegen, Schweden (SIDA), die Niederlande, das Vereinigte Königreich (DFID) und USAID.

6.1.2   Die Europäische Kommission legte im 2009 angenommenen indikativen Mehrjahresplanungsdokument für 2009-2011 vier Querschnittsaufgaben für das Kosovo fest: Zivilgesellschaft, Umweltschutz, Chancengleichheit und gute Staatsführung. Die IPA-Finanzierung ist in drei große Bereiche gegliedert: Unterstützung bei der Erfüllung politischer Kriterien, wirtschaftlicher Kriterien und europäischer Normen.

6.1.3   Als einflussreichster Geber, was die Höhe und die Bereiche der Förderung betrifft, kann die EU bei den Programmen zur Demokratieförderung Schwerpunkte festlegen. Dies bedeutet auch, dass die Wirksamkeit der Maßnahmen der Kommission das Bild und die Legitimierung internationaler Hilfe im Kosovo entscheidend prägt.

6.1.4   Die IPA-Mittel für die Unterstützung bei der Erfüllung der politischen Kriterien werden eingesetzt für die Verbesserung der Verwaltungskapazitäten und den Aufbau von Institutionen im Kosovo, für Rechtsstaatlichkeit und für die Bekämpfung von Korruption und organisiertem Verbrechen, für die Förderung der Menschenrechte, den Schutz der serbischen Minderheit und anderer Minderheiten sowie für die Unterstützung der Konsolidierung der Zivilgesellschaft und der öffentlichen Medien mithilfe der durchgängigen Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Fragen in sämtliche Programme. Für den Zeitraum 2009-2011 sind 2-5 % der Gesamthilfe für das Kosovo für die Unterstützung der Zivilgesellschaft vorgesehen.

6.1.5   Obwohl die EU-Finanzhilfe für das Kosovo stetig zugenommen hat, werden die meisten Organisationen durch komplizierte bürokratische Antragsverfahren und relativ hohe Mindestzuschüsse von der Nutzung dieser Mittel abgehalten. Aus diesem Grund ist die Kluft zwischen großen und kleinen zivilgesellschaftlichen Organisationen tiefer geworden. Die Sprache und die Komplexität der Antragsverfahren behindern nach wie vor den Zugang von in den Gemeinschaften und Kommunen verankerten Organisationen der Zivilgesellschaft zu EU-Mitteln.

6.1.6   Die Mittel der Europäischen Kommission für die Zivilgesellschaft werden vor allem für Maßnahmen zur Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und in geringerem Maße für Maßnahmen zur Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung bereitgestellt.

6.1.7   Im Rahmen der IPA-Förderung werden weder Initiativen der Sozialpartner noch gezielte Programme zum Ausbau ihrer Kapazitäten gefördert.

6.1.8   Bedenken bereiten weiterhin die begrenzten Kapazitäten der kosovarischen Behörden zur Aufnahme der IPA-Mittel. Die Regierung sollte zivilgesellschaftliche Organisationen an der Festlegung der Prioritäten für die IPA-Förderung beteiligen.

6.1.9   Angesichts des im Kosovo fehlenden strukturierten Dialogs zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Regierung begrüßt der EWSA das Vorhaben der Europäischen Kommission, 2012 Projekte zur Einrichtung von Zivilgesellschaftsnetzen zu fördern, um den Dialog mit der Verwaltung zu erleichtern.

6.1.10   Der EWSA empfiehlt, die IPA-Ausschreibungen so zu planen, dass Finanzierungslücken vermieden werden.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz, Slowenien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Vereinigte Staaten von Amerika.

(2)  Kushtrim, Shaipi (2011) „Annual Review 2010 on Labour Relations and Social Dialogue in South East Europe: Kosovo“, Länderbericht 2010 des FES-Regionalprojekts „Arbeitsbeziehungen und Sozialdialog in Südosteuropa“, Friedrich-Ebert-Stiftung, Januar 2011.

(3)  Better Governance for a Better Impact. A Call for Citizens, CIVICUS Civil Society Index, Länderbericht für das Kosovo der zivilgesellschaftlichen Stiftung Kosovar Civil Society Foundation (KCSF), März 2011.

(4)  Labour Law: its implementation in the first six months, GAP Policy Brief, The Institute for Advanced Studies GAP, September 2011.

(5)  Better Governance for a Better Impact. A Call for Citizens, CIVICUS Civil Society Index, Länderbericht für das Kosovo der zivilgesellschaftlichen Stiftung Kosovar Civil Society Foundation (KCSF), März 2011.

(6)  Better Governance for a Better Impact. A Call for Citizens, CIVICUS Civil Society Index, Länderbericht für das Kosovo der zivilgesellschaftlichen Stiftung Kosovar Civil Society Foundation (KCSF), März 2011.

(7)  Gemäß dem NGO Sustainability Index for Central and Eastern Europe and Eurasia, United States Agency for International Development (USAID).

(8)  Better Governance for a Better Impact. A Call for Citizens, CIVICUS Civil Society Index, Länderbericht für das Kosovo der zivilgesellschaftlichen Stiftung Kosovar Civil Society Foundation (KCSF), März 2011.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union“ (Sondierungsstellungnahme)

(2012/C 181/06)

Berichterstatter: José María ZUFIAUR NARVAIZA

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2011 ersuchte die Europäische Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um die Erarbeitung einer Sondierungs–stellungnahme zum Thema:

Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Entwicklungspolitik und Entwicklungs–zusammenarbeit der Europäischen Union“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 6. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 167 gegen 15 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   In einer Situation, in der wirtschaftliche, ökologische und soziale Krisen die Zukunft der Menschheit prägen, hält es der EWSA für vorrangig, dass sich die verschiedenen Interessenträger der Entwicklungszusammenarbeit darauf einigen, welche Art von Entwicklung sie fördern wollen (1).

1.2   Für eine wirksame Zusammenarbeit ist die Kohärenz aller Politikfelder der EU mit der Entwicklungspolitik ganz wesentlich. Auch sollten die Organisationen der Zivilgesellschaft (nachfolgend: OZG) zu verstärkter und verbesserter Koordinierung und Kohärenz mit diesen Politiken angehalten werden.

1.3   Die OZG sind eigenständige und maßgebliche Akteure der Entwicklungs- und damit zwangsläufig auch der Kooperationspolitik. Sie müssen in die Festlegung, Anwendung und Begleitung der Kooperationsmaßnahmen und -programme eingebunden werden und zu den Instanzen gehören, die bei der Lenkung der verfügbaren Finanzmittel eine strategische Rolle spielen.

1.4   Der EWSA plädiert für eine stärker strategisch ausgerichtete Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen und den OZG im Zuge eines politischen Dialogs sowie von Rahmenabkommen und effizienteren Mechanismen zur Weiterleitung der Fördermittel.

1.5   Die Europäische Kommission und alle Regierungen müssen die „Istanbul-Prinzipien“ für die Entwicklungseffizienz der OZG unterstützen.

1.6   Die OZG sollten in den neuen Modalitäten der Zusammenarbeit – wie etwa der Süd-Süd- oder der dreiseitigen Zusammenarbeit – stärker anerkannt werden.

1.7   Die Entwicklungs- und Kooperationspolitik – insbesondere die europäische – muss der Eigenheit und Unterschiedlichkeit der OZG sowie deren Erfahrungen im Zusammenhang mit den Partnerländern Rechnung tragen.

1.8   In einer globalisierten Welt ist es notwendig, die Internationalität der OZG anzuerkennen und ihre Möglichkeiten als global agierende Akteure auszuschöpfen.

1.9   Es bedarf Änderungen am System zur Gewährung von Mitteln aus den europäischen Entwicklungsfonds über die OZG. Es müssen u.a. dringend Modalitäten wie „Rahmenabkommen“, Betriebskostenzuschüsse, Finanzhilfen nach dem Kaskadenprinzip, Vereinbarungen mit mehrjähriger Laufzeit, Nothilfen oder die Umsetzung des im strukturierten Dialog festgelegten Instrumentariums eingeführt werden. Netze, Bündnisse und Vereinigungen der OZG sollten nach Auffassung des EWSA die Hauptzielgruppe dieser Finanzierungsmodalitäten sein.

1.10   Es muss ein günstiges Umfeld für die OZG gewährleistet werden, damit sie ihre Arbeit in allen Ländern ausüben können. Dies setzt die Achtung grundlegender Standards wie der Vereinigungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Handlungsfreiheit voraus. Dieses Ziel sollte in die staatliche Politik für die Zusammenarbeit aufgenommen werden.

1.11   Die Beteiligung der Zivilgesellschaft muss eine reale Komponente der Regierungsführung sein und deshalb von der EU als ein Handlungskriterium in ihren Beziehungen zu den Partnerländern berücksichtigt werden.

1.12   Der EWSA begrüßt zwar die Einbeziehung der lokalen Gebietskörperschaften in die EU-Entwicklungspolitik (2), ist aber der Ansicht, dass die Vermischung von OZG und lokalen Gebietskörperschaften im Rahmen der Entwicklungs- und Kooperationspolitik – unbeschadet ihrer notwendigen Komplementarität und Zusammenarbeit – zu begrifflichen Unklarheiten und funktionellen Nachteilen führen kann.

1.13   Die Einbindung des Privatsektors in die Entwicklungsmaßnahmen ist eine Voraussetzung für die Steigerung ihrer Wirkung. Es gilt jedoch zu vermeiden, dass dies als Alibi für die Reduzierung des öffentlichen Beitrags dient oder dass ihre Beteiligung oder die jeden anderen Sektors zur Festlegung neuer „Bedingungen“ für die Kooperationsvorhaben führt. Außerdem bedarf es eines auf bereits definierten internationalen Normen beruhenden Rahmens für ein wirksames Engagement eines jeden Sektors im Einklang mit den Zielen der Entwicklungszusammenarbeit.

1.14   Die Mechanismen für die Transparenz und Rechenschaftspflicht im Bereich der Zusammenarbeit sowie für die Korruptionsbekämpfung sollten ausgebaut werden, einschließlich jener, welche die OZG betreffen.

1.15   Die OZG sollten auch das im Lissabon-Vertrag genannte „Europäische Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe“ in die Entwicklungspolitik mit einbeziehen.

1.16   Über einen langen Zeitraum hinweg haben die internationalen Tätigkeiten des EWSA, wie im Falle des Mandats des EWSA gemäß dem Abkommen von Cotonou zur Anerkennung der institutionellen Dimension der OZG beigetragen. Dies zählt zu den wichtigsten Wesensmerkmalen des Abkommens von Cotonou, das im Juni 2000 zwischen der EU und den AKP-Staaten geschlossen wurde. Damit wurde erstmalig in einem von der EU unterzeichneten Abkommen die wesentliche Rolle „nichtstaatlicher Akteure“ als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit ausdrücklich anerkannt (3). Insbesondere ist im Abkommen festgelegt, dass nichtstaatliche Akteure Finanzmittel für den Kapazitätenaufbau erhalten sollten, damit sie wirksame Partner im Rahmen des Abkommens werden. Dieses Mandat hat zur Einsetzung des Begleitausschusses AKP/EU, des ersten partitätischen Arbeitsorgans der OZG, geführt. Diesem durch den EEF finanzierten Ausschuss gehören Vertreter der AKP-Staaten und Mitglieder des EWSA an. Die Aufgabe des Begleitausschusses besteht, wie sein Name bereits andeutet, in der Begleitung der Umsetzung des Abkommens von Cotonou und der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Darüber hinaus hat er eine entscheidende Rolle bei der Festlegung der Klausel über nachhaltige Entwicklung gespielt. Diese Arbeitsstruktur, die seither ein wichtige Bezugsgröße für die Aufgaben des EWSA in anderen Weltregionen ist, war sehr produktiv und hat z.B. zur Stärkung der Organisationskapazitäten der OZG, zur Einrichtung von Plattformen und zur Festlegung von Kontaktstellen mit den OZG in den Delegationen der EU sowie zur Erleichterung des Zugangs zur EU-Finanzierung und zur Beteiligung an den Verhandlungen über Handelsabkommen beigetragen.

1.17   Der EWSA ist der Ansicht, dass solche Erfahrungen durch die Unterstützung der Kooperationsmaßnahmen verstärkt und ausgeweitet werden sollten. Vor allem aber fordert er unter Berücksichtigung der Standpunkte vieler großer OZG den Europäischen Auswärtigen Dienst dazu auf sicherzustellen, dass sich die EU-Delegationen effektiv um ihre Unterstützung bemühen, mit ihnen Kontakt aufnehmen, sich mit ihren Aktivitäten vertraut machen und diese fördern, gleich ob sie auf europäische Länder oder auf Partnerländer beziehen. Im Zuge der Stärkung der Delegationen des Auswärtigen Diensts der EU darf mehr als jemals zuvor gefordert werden, dass sie diese Anstrengungen als eine eigene und verbindliche Aufgabe betrachten – und nicht als eine fakultative oder freiwillige Aktion.

1.18   Im Zusammenhang mit der Dezentralisierung der europäischen Entwicklungszusammenarbeit ist der EWSA der Auffassung, dass er im Rahmen des Dialogs zwischen den Delegationen und den lokalen OZG mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst höchst effizient kooperieren kann. Ein Grund dafür ist, dass der EWSA die EU-Seite in den unterschiedlichen Beratungsgremien vertritt, die derzeit u.a. im Einklang mit den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Cariforum), Handelsabkommen (Südkorea) und Assoziierungsabkommen (Mittelamerika, Chile) eingerichtet werden. Ein weiterer Grund ist, dass er bereits seit langem stabile Beziehungen zu zivilgesellschaftlichen Organisationen und ihren Vertretungseinrichtungen auf allen Kontinenten unterhält, insbesondere in den AKP-, lateinamerikanischen und Mittel–meerländern (4).

1.19   Der EWSA unterstreicht erneut, wie wichtig es ist, dass die OZG in diesen Krisenzeiten, in denen entwicklungspolitische Verpflichtungen in Vergessenheit geraten können, die Sensibilisierung und Aufklärung der Unionsbürger bezüglich der Zusammenarbeit fördern. Zu diesem Zweck sollte eine spezifische, mit ausreichenden Mitteln ausgestattete Finanzierungslinie geschaffen werden, vorbehaltlich ausreichender Garantien in Bezug auf Transparenz und Rechenschaftspflicht.

2.   Grundsätze und allgemeine Ziele

2.1   Die EU hat im letzten Jahrzehnt dem Dialog mit den OZG zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt. Der Europäische Konsens über die Entwicklungspolitik, das Instrument für die Entwicklungszusammenarbeit, der Bericht des Europäischen Rechnungshofs und schließlich der strukturierte Dialog haben den Teilnehmerkreis und die Reichweite des Dialogs so ausgedehnt, dass er jetzt die Europäische Kommission und das Europäische Parlament, den Ausschuss der Regionen und den EWSA, die Mitgliedstaaten und die zivilgesellschaftlichen Organisationen umfasst: u.a. Gewerkschaften, Genossenschaften, sozialwirtschaftliche Unternehmen, Verbände von Landwirten und Verbrauchern, Unternehmerverbände, die NRO-Plattformen und die Mitgliederorganisationen der Partnerländer.

2.2   Trotz dieser positiven Entwicklungen und der internationalen Übereinkommen (5) besteht der allgemeine Eindruck, dass es sich dabei immer noch um Lippenbekenntnisse handelt und dass die praktischen Fortschritte deutlich in der Minderzahl sind. In vielen Ländern – sowohl Geber- als auch Entwicklungsländern – treffen die OZG weiterhin auf große Schwierigkeiten, und auch ihre Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert. Dies ist etwa der Fall bei den Gewerkschaftsorganisationen, die beim Zugang zur offiziellen Entwicklungshilfe in den Geberländern Probleme haben, während diese Möglichkeit in den Partnerländern, sowohl was die Mittel als auch den politischen Dialog betrifft, eingeschränkt ist oder überhaupt nicht besteht. Gemeinhin ist die Unterstützung für die OZG und ihre Rolle als Entwicklungsakteure bedroht (wie z.B. die Maßnahmen zeigen, die die Regierung von Simbabwe vor kurzem ergriffen hat).

2.3   Der EWSA ist der Auffassung, dass eine größere und bessere Anerkennung der OZG die Akzeptanz eines Bündels von Kriterien, Prinzipien und Werten im Bereich der Entwicklungs- und Kooperationspolitik impliziert.

2.4   Als erstes ist es von grundlegender Bedeutung, dass die OZG untereinander und mit den EU-Institutionen erörtern, was „Entwicklung“ bedeutet. Dies ist äußert wichtig und dringend in einer Zeit, in der drei Krisen aufeinander treffen: Umweltkrise (Klimawandel, Verlust an biologischer Vielfalt usw.), Sozialkrise (Zunahme von Ungleichheiten usw.) und Wirtschaftskrise (Arbeitslosigkeit, Prekarisierung der Arbeit, Dominanz der Finanzen über der Realwirtschaft usw.). Diese drei Krisen haben eine vierte hervorgerufen: die Lebensmittelkrise. Die Daten über das Ausmaß dieser (sich gegenseitig verstärkenden) Krisen lassen erkennen, dass die Zukunft aller Menschen in Gefahr ist. Und die einzige Möglichkeit, die Schäden weitgehend zu begrenzen, ist ein qualitativer Sprung in den Bereichen Gleichheit, Zusammenarbeit und Vorsorge. Deshalb kann „Entwicklung“ nicht mit „Wirtschaftswachstum“ gleichgesetzt werden, und „Wohlstand“ und „Fortschritt“ können nicht mit BIP-Indikatoren gemessen werden.

2.5   Der EWSA ist weiterhin der Auffassung, dass die Entwicklungszusammenarbeit – unbeschadet der Notwendigkeit einer Reform ihrer Umsetzungskriterien, eines der wichtigsten Instrumente zur Förderung der Entwicklung – vor allem in den ärmsten Ländern – ist.

2.5.1   Vor diesem Hintergrund bekräftigt der EWSA die Notwendigkeit, die internationalen Verpflichtungen zur Entwicklungsfinanzierung einzuhalten, die für die Geberländer und insbesondere die EU unveräußerlich bleiben müssen. Die Entwicklungszusammenarbeit ist ein öffentlicher Politikbereich in den Geberländern, der auf bewährten Methoden beruht und mit den für seine Verwirklichung erforderlichen Mitteln ausgestattet werden sollte.

2.5.2   Der EWSA betont erneut, dass, wie im Lissabon-Vertrag vorgesehen, auf die Kohärenz zwischen der Entwicklungs- und Kooperationspolitik und den übrigen Politikbereichen (Handel, Investitionen, Finanzen usw.) geachtet werden sollte. Die OZG sollten auch zu einer verstärkten und verbesserten Koordinierung und Kohärenz mit diesen Politiken angehalten werden.

2.6   In den letzten zehn Jahren haben wichtige Veränderungen auf dem Gebiet der Zusammenarbeit stattgefunden, namentlich die Süd-Süd-Zusammenarbeit und die dreiseitige Zusammenarbeit. Die Rolle der OZG und ihrer Netze sollte im Rahmen dieser neuen Kooperationsmodalitäten stärker anerkannt werden.

2.7   Außerdem haben bestimmte Finanzierungskanäle wie die Haushaltsunterstützung, die auf eine stärkere Eigenverantwortung abzielen, zur Marginalisierung der Zivilgesellschaft in den Partnerländern geführt. Der EWSA unterstreicht, dass die einheimischen OZG hinsichtlich der demokratischen Eigenverantwortung und der thematische Programme – einschließlich der finanziellen Komponente - eine angemessene Rolle erhalten sollten.

2.8   Wegen der Einbeziehung des EWSA in verschiedene strategische Partnerschaften der EU (z.B. mit Brasilien und China), der stärkeren Anerkennung seiner Rolle in den internationalen Abkommen (z.B. Cotonou) und seiner Beteiligung an weltweiten Programmen (z.B. Rio+20) sollte der EWSA auch in die thematischen Entwicklungs- und Kooperationsprogramme der EU involviert werden.

2.9   Die international erreichten und in der Erklärung von Paris formulierten Vereinbarungen, der Aktionsplan von Accra und das Hochrangige Forum von Busan sind wichtige Schritte hin zu einer effizienteren Entwicklungshilfe. Dennoch sind die OZG der Ansicht, dass einige Kriterien und Konzepte in diesen Dokumenten weiter gefasst werden sollten: So sollte geklärt werden, was unter Eigenverantwortung, Harmonisierung, Angleichung, Leistungsmanagement, gegenseitiger Verantwortung und Effizienz der Hilfe zu verstehen ist. OZG und europäische Institutionen sollten im Dialog miteinander eine Definition festlegen, die diesen Kriterien besser entspricht.

2.10   Es geht darum, die Effizienz der Hilfe von einem auf den verschiedenen Aspekten des Konzepts der Menschenrechte beruhenden Ansatz aus zu bewerten und sie an ihrem Beitrag zur Verringerung von Armut und Ungleichheit, einschließlich der Beseitigung der Abhängigkeit von der Hilfe, zu messen.

2.11   Die Ansätze verschiedener Organisationen und die internationale Erklärung bestätigen, dass die OZG eingeständige Entwicklungsakteure sind (6). Der EWSA fordert die Europäische Kommission und alle Regierungen auf, die „Istanbul-Prinzipien“ für die Entwicklungseffizienz der OZG zu unterstützen.

2.12   Die Entwicklungs- und Kooperationspolitik muss der Eigenheit und Unterschiedlichkeit der OZG Rechnung tragen. Einige Beispiele für die verschiedenartigen Beiträge, die die OZG, gestützt auf angemessene Kooperationsmaßnahmen, zur Entwicklung leisten können, sind der Mehrwert, den eine Umweltschutz- oder Menschenrechts-NRO zur Entwicklung beisteuern kann; eine Gewerkschaftsorganisation, die die Achtung der Arbeitsrechte, die primäre Verteilung des Reichtums durch Tarifverhandlungen und den Sozialschutz der Arbeitnehmer gewährleistet; eine Agrargenossenschaft, die unmittelbaren Einfluss auf die Lebensmittelversorgung und –souveränität ausübt; ein Migrantenverband und sein Beitrag zur gemeinsamen Entwicklung; oder eine Arbeitgeber- oder Selbstständigenorganisation und ihr entscheidender Beitrag zur Schaffung von Produktionsstrukturen und Arbeitsplätzen. Der EWSA hält es für wesentlich, dass die Entwicklungs- und Kooperationsmaßnahmen der öffentlichen Institutionen miteinander verknüpft werden, indem die Möglichkeiten, die diese Vielfalt eröffnet, genutzt werden.

2.13   Der EWSA fordert für die OZG in allen Ländern einen Rahmen, der hinsichtlich der Normen, Institutionen, Kapazitäten und Handlungsmöglichkeiten ihre Existenz, Entwicklung und Intervention begünstigt. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft sollte zu einem Kernelement der demokratischen Regierungsführung werden (7).

2.14   Die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor ist eine Voraussetzung für eine größere Wirkung der Politik der Entwicklungszusammenarbeit. Es ist auf die große Vielfalt des Privatsektors (darunter sozialwirtschaftliche Organisationen und gemeinnützige Vereinigungen) und die aus sozial verantwortlichen Initiativen (soziale Verantwortung der Unternehmen, CSR) erwachsenden erheblichen Zugewinne hinzuweisen. Die Herausforderung besteht darin, deren Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und zur menschlichen Sicherheit in einer globalisierten Welt zu optimieren. Dennoch sorgt das Konzept der öffentlich-privaten Partnerschaft oder der rein privaten Unterstützung durch Großunternehmen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zunehmend für eine Diskussion über die Frage, inwieweit diese Partnerschaften die Entwicklungsziele beeinträchtigen könnten. Die öffentlich-private Partnerschaft könnte als Instrument zur Bündelung der Entwicklungsprogramme und der wirksamen Instrumente zum Austausch von Kenntnissen und Ressourcen zwischen den einzelnen Partnern dienen. Vor diesem Hintergrund wäre es notwendig, einen Rahmen für den wirksamen und verantwortlichen Beitrag des Privatsektors festzulegen, in Einklang mit bereits vereinbarten internationalen Normen, z.B. den Arbeitsnormen der ILO, den Leitlinien der OECD für multinationale Unternehmen und den Leitlinien der Vereinten Nationen für Unternehmen und Menschenrechte. Auch sollte auf internationale Transparenzinitiativen wie die Prinzipien der „EITT“ (Initiative für Transparenz in der Rohstoffindustrie) oder den internationale Geschäfte und Investitionen betreffenden „Kimberley-Prozess“ Bezug genommen werden.

2.14.1   Die Beteiligung des Privatsektors darf auch nicht zu einem geringerem finanziellen Engagement der Staaten im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit führen und nicht die Hilfe z.B. von der Privatisierung der für die Gemeinschaft strategisch wichtigen Sektoren oder wesentlichen Dienstleistungen abhängig machen.

2.14.2   Darüber hinaus ist es in Einklang mit Ziffer 1.13 von grundlegender Bedeutung, die Beteiligung der OZG an öffentlich-privaten Partnerschaften wie auch die Rolle der Sozialpartner und des sozialen Dialogs zu fördern.

2.15   Die Mechanismen für Transparenz und Rechenschaftspflicht für alle im Bereich der Zusammenarbeit Beteiligten sollten in Zukunft noch stärker unterstützt werden. Ebenso sollte das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption angewandt werden, denn Korruption lässt die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für die Kooperationspolitik schwinden. Die OZG sind in dieser Hinsicht gut aufgestellt, da sie einerseits über ihre eigenen Tätigkeiten Rechenschaft ablegen müssen und andererseits eine soziale Kontrolle über die Zusammenarbeit im Allgemeinen ausüben. Die gesteckten Entwicklungsziele können nur erreicht werden, wenn eine Verbindung und eine konkrete Interaktion mit den Bürgern aufrechterhalten werden.

2.16   In einer globalisierten Welt ist es notwendig, den internationalen Charakter der OZG anzuerkennen und ihre Möglichkeiten als verantwortungsvolle, global agierende Akteure auszuschöpfen. Im Übrigen verliert die Unterscheidung zwischen OZG des Nordens und des Südens in einer multipolaren Welt an Bedeutung. Die Unterstützung der Netze der OZG, ihrer Koordinierungsplattformen, ihrer föderativen Mechanismen, ihrer Mitgliedsstrukturen usw. sollte deshalb Teil der Entwicklungsmaßnahmen sein, welche von den Gebern und ganz besonders im Rahmen der Zusammenarbeit seitens der EU finanziert werden.

3.   Stärkung der Rolle der Organisationen der Zivilgesellschaft

3.1   Die im Schlussdokument der Konferenz von Budapest (8) zusammengefassten Ergebnisse des strukturierten Dialogs bestehen in sehr zweckdienlichen Anmerkungen und Vorschlägen, die sich an alle Interessenträger richten. Der EWSA hält es für notwendig, diesen Dialog zu festigen und einen Koordinierungsmechanismus einzurichten bzw. eine Kontaktgruppe einzusetzen, die regelmäßig zusammenkommen und für die Komponenten des EEF repräsentativ sein sollte, um die Einhaltung und Anwendung der Empfehlungen zu gewährleisten (9). Dieses Forum sollte ein ständiges politisches Gremium (Diskussion über die Kooperationspolitik mit von der Europäischen Kommission zur Verfügung gestellten Mitteln und Instrumenten) und repräsentativ sein (OZG, Kommission, EP, Mitgliedstaaten usw.). Der EWSA ist der Ansicht, dass er in diesem Dialogforum aufgrund seines institutionellen Auftrags und seiner Erfahrung eine besondere Rolle spielen sollte.

3.2   Es sollte sichergestellt werden, dass die OZG an der Konzipierung, Umsetzung und Überwachung der Entwicklungspolitik beteiligt werden und ihren Beitrag leisten können. Um die Stärkung der weltweit tätigen OZG zu erleichtern und die Zusammenarbeit der europäischen Organisationen auszubauen, sollte die EU prüfen, inwiefern die Einführung eines Rechtsstatus für die europäischen OZG auf der Grundlage genauer Kriterien, die von allen Teilnehmern des strukturierten Dialogs geteilt werden, zweckmäßig ist.

3.3   Seit dem Inkrafttreten des Abkommens von Cotonou spielt der EWSA eine zentrale Rolle bei der Stärkung der Beteiligung nichtstaatlicher Akteure, im Wesentlichen infolge des ihm darin erteilten Auftrags (10). Konkret hat dies u.a. zur Einsetzung des ständigen Begleitausschusses AKP/EU, regelmäßigen Regionalseminaren und den AKP-Konferenzen und weiteren Veranstaltungen dieser Art geführt, die über die Jahre zur Umsetzung der für das Abkommen von Cotonou kennzeichnenden Grundsätze der Eigenverantwortung, Transparenz, verantwortungsvollen Regierungsführung und Partnerschaft unmittelbar beigetragen haben (11).

3.4   Darüber hinaus sollte bei der Schaffung eines ständigen politischen Dialogs auf Ebene des Empfängerlands der Eigenheiten der einzelnen Akteure und zivilgesellschaftlichen Organisationen Rechnung getragen werden.

3.5   Der strukturierte Dialog sollte eine stärker strategisch ausgerichtete Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen und den OZG zur Folge haben. In dieser Hinsicht hält es der EWSA für notwendig, Rahmenbedingungen für die Beziehungen und die Teilhabe über die Finanzierung von Projekten hinaus festzulegen. So sollte z.B. ein im strukturierten Dialog definiertes Instrumentarium (tool box) eingeführt werden, und zwar nicht nur auf lokaler Ebene (EU-Delegationen), sondern auch auf zentraler Ebene. Ergebnis wäre eine flexiblere und wirksamere Partnerschaft zwischen der EU und den OZG auf globaler Ebene.

3.6   Die OZG spielen ihrerseits eine entscheidende Rolle, indem sie mit ihrem Anregungen und Forderungen Fortschritte bei der Kohärenz der Entwicklungsmaßnahmen bewirken und zur Förderung eines neues weltweiten Pakts für die Zeit nach 2015 beitragen, um damit die Reduzierung der Ungleichheiten, den Sozialschutz für alle, die gerechte Verteilung des Reichtums und die Erhaltung der natürlichen Ressourcen auf die Entwicklungsagenda zu setzen.

3.7   Die OZG sind sehr vielfältiger und heterogener Natur, weshalb sie möglicherweise genauer definiert werden sollten. Darüber hinaus müssen diese Vielfalt, die Erfahrungen und Beziehungen mit den Partnerländern im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit anerkannt und genutzt werden, indem auf die Möglichkeiten und Besonderheiten der einzelnen Akteure zurückgegriffen wird.

4.   Beteiligung der Zivilgesellschaft an den verschiedenen Instrumenten und Programmen für die EU-Außenhilfe

4.1   Der EWSA hat sich bereits zum Engagement der OZG im Zusammenhang mit dem Instrument für die Entwicklungszusammenarbeit (DCI) geäußert (12). Im Übrigen ist der EWSA der Auffassung, dass die Zivilgesellschaft bezüglich aller Kooperationsinstrumente im Sinne der Feststellungen im Rahmen des strukturierten Dialogs und der Bestimmungen der kürzlich gebilligten Agenda für den Wandel tätig werden sollte.

4.2   Im Einklang mit den Vorschlägen im Rahmen des strukturierten Dialogs vertritt der EWSA die Auffassung, dass Änderungen am System zur Gewährung von Mitteln aus den europäischen Entwicklungsfonds über die OZG vorgenommen werden müssen. Für die in der Finanziellen Vorausschau 2014-2020 vorgesehenen Instrumente sollten neue Modalitäten erwogen werden, die über die traditionellen Mechanismen für projektabhängige Beihilfen hinausgehen. Es müssen u.a. dringend Modalitäten wie „Rahmenabkommen“, Betriebskostenzuschüsse, Subventionen nach dem Kaskadenprinzip oder Vereinbarungen mit mehrjähriger Laufzeit eingeführt werden, bei denen es sich um Instrumente handelt, die mittel- und langfristig eine größere Wirkung im Bereich der Entwicklung gewährleisten würden.

4.3   Darüber hinaus sollten Sonderfonds für Notfälle eingerichtet werden, z.B. für die demokratischen Prozesse im Mittelmeerraum, bei denen nicht gewartet werden kann, bis die Aufforderungen zur Abgabe von Vorschlägen für Beihilfen genehmigt sind, und die nur von den Netzen der verschiedenen OZG – z.B. Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Verbände von Genossenschaften, KMU und Frauenorganisationen – erfolgreich umgesetzt werden können.

4.3.1   In diesem Sinne sollten die Netze, Bündnisse und Vereinigungen der OZG die Hauptzielgruppe dieser Finanzierungsmodalitäten sein. Diesbezüglich wären Mechanismen wie Betriebskostenzuschüsse und Subventionen nach dem Kaskadenprinzip gut geeignet, um den Mehrwert der Netze der im Bereich der Entwicklung tätigen OZG zu steigern.

4.3.2   Im Rahmen der Agenda für den Wandel müssen auf Ebene der europäischen Zusammenarbeit die einschlägigen Mechanismen für die Planung und Verwaltung des Projektzyklus ange–gangen und überdacht werden, und zwar mit besonderem Augenmerk auf Aspekten wie einer angemesseneren Bereitstellung der Mittel und einer situationsabhängigen Flexibilität. Ebenso sollte der Unterstützung in den Phasen der Analyse und der Untersuchung der Machbarkeit von Entwicklungsmaßnahmen mehr Bedeutung beigemessen werden, um ihren Erfolg besser zu gewährleisten.

4.3.3   Die Finanzierungsmodelle sollten drei Arten von Anreizen umfassen: 1) solche, die die Rechenschaft über die Entwicklungsergebnisse fördern; 2) solche, die die Verzahnung und Verschmelzung von Organisationen sowie die Einrichtung globaler OZG fördern; 3) solche, die neue Typen von Netzen und Bündnisse verschiedener Akteure fördern.

4.3.4   Der Lissabon-Vertrag sieht ein europäisches Freiwilligenkorps im Bereich der humanitären Hilfe (EVHAC) vor, das sich in einer Pilotphase unter Leitung der GD ECHO befindet, und die Ergebnisse dieser Pilotphase sollten vor Einsetzung des EVHAC sorgfältig bewertet werden. Der EWSA ist davon überzeugt, dass die OZG konkret in der Lage sind, die Anstrengungen der europäischen Freiwilligentätigkeit in allen Bereichen und ganz besonders im Bereich der Entwicklung zu kanalisieren. Er ist der Ansicht, dass die Freiwilligentätigkeit auf der Grundlage wohldurchdachter Kriterien im Falle von Vorhaben, die der Kofinanzierung unterliegen, als Sachleistung angesehen werden könnte (13).

5.   Stärkung der Zivilgesellschaft und der OZG in den Partnerländern des Südens und Osteuropas

5.1   Die OZG sind vielfach und verschiedenen Ländern mit großen politischen, institutionellen oder wirtschaftlichen Risiken, die ihre Arbeit erschweren, oder auch mit Anfeindungen, Einschüchterungen und Kriminalisierungen konfrontiert. Häufig ist dies Ergebnis restriktiver Praktiken aufseiten der Regierungen. Der EWSA wiederholt die Notwendigkeit, den Aspekt der Überwachung der Rechtsrahmen, Grundfreiheiten und Maßnahmen zur Unterstützung der OZG in der Politik der Entwicklungszusammenarbeit sowie der Rechtsvorschriften über Entwicklungs- und Kooperationsmaßnahmen zu berücksichtigen.

5.2   Der EWSA ist sich bewusst, dass die Rechtsrahmen für OZG in der EU wie auch in den Partnerländern große Unterschiede aufweisen. Dieser Umstand darf Fortschritte bei der Einhaltung internationaler Standards wie der Vereinigungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht verhindern – damit die Möglichkeit besteht, völlig frei zu operieren, kommunizieren und kooperieren, Wege der Finanzierung zu suchen und staatlichen Schutz zu erhalten, und das unter allen Umständen und auf allen Ebenen. Die Präsenz und Beteiligung der Zivilgesellschaft und der OZG höhlen die Legitimität der repräsentativen Demokratie keineswegs aus – vielmehr stärken sie diese, wenn entsprechende Handlungsmöglichkeiten bestehen (14). Die Beteiligung der Zivilgesellschaft muss eine reale Komponente der Regierungsführung sein und deshalb von der EU als ein Kriterium in ihren Beziehungen zu den Partnerländern berücksichtigt werden.

5.3   Die institutionelle Dimension und der Ausbau der Organisationskapazitäten der Partnerorganisationen in den Drittstaaten müssen im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit stärker anerkannt werden. Neben der Möglichkeit zur Projektverwaltung trägt die Stärkung der OZG als solchen zur umfassenden Entwicklung der betreffenden Gesellschaften bei. Deshalb sollte der Auf- und Ausbau der Kapazitäten dieser OZG in den Partnerländern sowohl im Allgemeinen als auch hinsichtlich der Verfahren für den Zugang zur EU-Finanzierung, auch für kleinere lokale Projekte, oder zur Beteiligung an den Verhandlungen über Handelsabkommen usw. gefördert werden.

5.4   Gleichzeitig empfiehlt der EWSA, dass im Bereich der Politik der EU für Entwicklungszusammenarbeit jene Organisationen ausgegrenzt werden, die sich zwar als zur Zivilgesellschaft zugehörig bezeichnen, aber undemokratisch oder unmittelbar vom Staat abhängig sind.

5.5   Die Zusammenlegung der OZG und ihre rechtliche Anerkennung als Beteiligungsgremien in den Partnerländern sowie ihre Zusammenarbeit untereinander und mit Institutionen sollte gefördert werden. Wie beispielsweise im Cotonou-Abkommen oder für Lateinamerika vorgeschlagen wurde, sollten weiterhin Plattformen und Netze geschaffen werden, die die verschiedenen Ebenen vertreten, um Synergieeffekte zwischen ihnen zu erzeugen und die Beziehungen zwischen den öffentlichen Stellen in geeignetere Bahnen zu lenken.

5.6   In mehreren Fällen haben sich die Kontaktstellen bzw. die für die Beziehungen zur Zivil–gesellschaft zuständigen Vertreter der EU-Delegationen in den Partnerländern als nützlich erwiesen. Ihre Rolle und ihre Fähigkeit, die Situation in den jeweiligen Ländern zu analysieren, sollten ebenso wie ihre Kontakte mit den OZG verstärkt werden. Auch bedarf es einer engeren Koordinierung zwischen diesen Kontaktstellen und dem EWSA, um einschlägige Lehren und bewährte Methoden zu ermitteln.

5.7   Die Einführung des Konzepts der demokratischen Eigenverantwortung sollte ihrerseits mit erweiterten Möglichkeiten des Zugangs der OZG in den Partnerländern zur EU-Kooperationsfinanzierung einhergehen, besonders im Falle der Vereinigungen, Netze und repräsentativsten Organisationen.

5.8   Gleichzeitig bedarf es Fortschritten hin zu neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen OZG durch die Eröffnung von Möglichkeiten für die dreiseitige Zusammenarbeit und die Süd-Süd-Zusammenarbeit oder durch den Austausch von Fachkenntnissen, technische Unterstützung seitens europäischer OZG und Verwaltungstechnik usw. Diese neuen Kooperationsformen können für die OZG in Ländern mit mittlerem Einkommen sehr wichtig sein, die mit einer Verringerung der traditionellen Zusammenarbeit der EU konfrontiert sein werden. Dabei spielen die OZG eine Schlüsselrolle bei der Festigung der Demokratie und der Förderung der Anerkennung der Bürgerrechte, der Verminderung von Ungleichheiten, der Teilhabe der Bürger, der Gleichstellung von Mann und Frau, der Steuerumverteilung, der Transparenz und der Sicherung von Umweltrechten.

6.   Sensibilisierung der Öffentlichkeit und Bildung für Entwicklung

6.1   Die EU hat auch in Zeiten der Wirtschaftskrise an ihrer Geberrolle im Bereich der Entwicklung festgehalten. Die Fortschreibung dieses Engagements ist für sämtliche Staaten und Institutionen der EU eine Herausforderung. Dieses Engagement wird in hohem Maße von der Unterstützung durch die Bevölkerung und deren Information und Sensibilisierung in Bezug auf Entwicklungsfragen und weltweite, alle Länder betreffende Probleme abhängen.

6.2   Die OZG sind geeignete Träger im Bereich der Bildung für Entwicklung und der Sensibilisierung der Bevölkerung. Der EWSA bekräftigt, dass diesem Thema, insbesondere in Krisenzeiten, Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Die Bildung für Entwicklung erfordert innovative Herangehensweisen, die ihre Fähigkeit widerspiegeln, Einstellungsänderungen hervorzurufen und Botschaften an größere Zielgruppen als Kinder und Jugendliche zu ver–mitteln. Darüber hinaus erfordert die Innovation in diesem Bereich die Schaffung von Bündnissen mit verschiedenen Interessenträgern. Dies ist insbesondere in den Ländern relevant, die vor kurzem der EU beigetreten sind und die über eine geringere Tradition der Entwicklungszusammenarbeit und weniger entwickelte OZG verfügen.

6.3   Die europäischen OZG und der EWSA sind aufgrund ihrer Verbindungen zur europäischen Zivilgesellschaft in der Lage, diese Aufgabe der Sensibilisierung der Öffentlichkeit zu erfüllen. Sie können zudem die Glaubwürdigkeit beisteuern, die aus ihrer Arbeit in unterschiedlichen sozialen Bereichen – einschließlich der besonders risikoanfälligen Bereiche – in der EU resultiert. In diesem Zusammenhang ist es wesentlich, die Sichtbarkeit der von den OZG durchgeführten Projekte in den Partnerländern oder im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik in die Sensibilisierungsziele aufzunehmen.

6.4   In dieser Hinsicht ist die Beibehaltung der spezifischen Finanzierungslinien für Maßnahmen der Sensibilisierung und der Bildung für Entwicklung sowie für europäische Aufklärungskampagnen über Themen der Entwicklung und Zusammenarbeit von grundlegender Bedeutung.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 102/109; siehe Ziffer 1.5, Berichterstatter: Hans-Joachim Wilms.

(2)  „Für eine EU-Entwicklungspolitik mit größerer Wirkung: Agenda für den Wandel“ABl. C 113 vom 18.4.2012, S. 52-55.

(3)  So ist in Kapitel 2 Artikel 4 des Abkommens von Cotonou vorgesehen, dass nichtstaatliche Akteure bezüglich der Kooperationsmaßnahmen und -strategien von der EU und den AKP-Behörden unterrichtet und angehört sowie in die Umsetzung dieser Strategien einbezogen werden sollten.

(4)  http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.external-relations-other-continents.

(5)  Pariser Erklärung zur Wirksamkeit der Entwicklungshilfe (März 2005); Hochrangiges Forum von Accra (2008); Istanbul-Prinzipien für die Entwicklungspolitik (http://www.cso-ffectiveness.org/IMG/pdf/final_istanbul_cso_development_effectiveness_principles_footnote_december_2010-2.pdf); Internationaler Rahmen für die Entwicklungseffizienz der OZG (http://www.cso-effectiveness.org/IMG/pdf/final_framework_for_cso_dev_eff_07_2011-3.pdf); Erklärung des Hochrangigen Forums von Busan (2011).

(6)  Artikel 20 des Aktionsprogramms von Accra; Schlussfolgerungen von Busan vom 1. Dezember 2011; Istanbul-Prinzipien.

(7)  Schlusserklärung des 10. regionalen Seminars der wirtschaftlichen und sozialen Organisationen AKP/EU vom 28. bis 30. Juni 2009: http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.acp-eu-tenth-regional-seminar-reports&itemCode=5706.

(8)  https://webgate.ec.europa.eu/fpfis/mwikis/aidco/images/f/fb/Joint_Final_Statement_May_2011.pdf.

(9)  So wie dies in verschiedenen, für andere Themen zuständigen Direktionen der Europäischen Kommission der Fall ist.

(10)  Das Protokoll Nr. 1 zum Cotonou-Abkommen sieht vor, dass der EWSA Konsultationstreffen und Sitzungen der wirtschaftlichen und sozialen Akteure der EU und der AKP-Staaten veranstaltet. Dieser Auftrag wurde durch das Ersuchen des ehemaligen EU-Handelskommissars Pascal Lamy um die Beobachtung der Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) ergänzt. In diesem Zusammenhang plädierte der EWSA für die Aufnahme von Sozial- und Umweltkapiteln in das WPA CARIFORUM-EG sowie die Einsetzung eines beratenden Ausschusses der Zivilgesellschaft zur Überwachung der Umsetzung dieses WPA; all dies wurde im endgültigen Handelsabkommen mit der Region festgeschrieben. Es zeigt sich also, dass durch die institutionellen Bestimmungen des Abkommens von Cotonou wie auch des WPA mit den Karibikstaaten nicht nur dem EWSA Aufträge erteilt wurden, sondern auch die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit gestärkt wurde.

(11)  Eine umfassende Einschätzung der Rolle nichtstaatlicher Akteure bei der Umsetzung des Abkommens von Cotonou enthält die Schlusserklärung des 11. Regionalseminars der wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen 2010 in Äthiopien: http://www.eesc.europa.eu/resources/docs/f_ces6152-2010_decl_en.doc.

(12)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Finanzierungsinstrument für die Entwicklungszusammenarbeit der EU: die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft und der Sozialpartner“ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 123/128,

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Für eine EU-Entwicklungspolitik mit größerer Wirkung: Agenda für den Wandel“ COM(2011) 637 final (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(13)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung zu EU-Politik und Freiwilligentätigkeit: Anerkennung und Förderung grenzüberschreitender Freiwilligenaktivitäten in der EU“ (Siehe Seite 150 dieses Amtsblatts).

(14)  Die Feststellungen des Aktionsprogramms von Accra und des Forums von Busan bedeuten eine Verpflichtung für alle Länder.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

479. Plenartagung am 28. und 29. März 2012

21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives Europa“

COM(2011) 785 final — 2011/0370 (COD)

(2012/C 181/07)

Hauptberichterstatter: Dumitru FORNEA

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 30. November bzw. am 15. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 173 Absatz 3 und Artikel 166 Absatz 4 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives Europa

COM(2011) 785 final — 2011/0370 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Beratende Kommission für den industriellen Wandel am 6. Dezember 2011 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März), Dumitru FORNEA zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 168 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Die Kreativindustrien sollten im Zusammenhang mit dem neuen Zyklus industrieller Entwicklung behandelt und nicht isoliert betrachtet werden, sondern vielmehr bereichsübergreifend und in enger Verbindung mit anderen Dienstleistungen und Produktionsverfahren. Vor diesem Hintergrund sollten sie als treibende Kraft innovativer Entwicklungen in der Industrie und im Dienstleistungssektor wahrgenommen werden.

1.2   Die Kultur- und Kreativbranche muss einen wichtigen Platz in der Europa-2020-Strategie einnehmen, da sie zu einer neuen Art des Wachstums in der EU beiträgt; hierbei muss unterstrichen werden, dass die aktuellen Entwicklungen der Kreativindustrien in ganz Europa erwünscht sind und sich nicht auf einige Länder oder Regionen beschränken sollten.

1.3   Der Ausschuss unterstreicht die Bedeutung der wirtschaftlichen Aspekte des Programms Kreatives Europa und ist überzeugt, dass dies alle Akteure der Kultur- und Kreativbranche ermutigen muss, wirtschaftliche Unabhängigkeit anzustreben. Das Programm scheint jedoch zu sehr auf das allgemeine Ziel der Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet zu sein; die Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt Europas kommt hierbei offensichtlich zu kurz.

1.4   Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich den Vorschlag, die entsprechenden Mittel aufzustocken, und plädiert dafür, die Gesamtmittel in Höhe von 1,8 Mrd. EUR für das Programm Kreatives Europa beizubehalten. Diese Mittel wurden zwar erheblich aufgestockt; sie stellen jedoch einen relativ kleinen Betrag im Vergleich zum Haushalt der EU oder den Mitteln dar, die in einigen Mitgliedstaaten für die Förderung kultureller Aktivitäten bereitgestellt werden.

1.5   Die Zusammenlegung der Programme Kultur und MEDIA kann hingenommen werden, solange die vorgeschlagenen Aktionsbereiche klar umrissen sind und deren Status gesichert ist. Dies kann erreicht werden, indem die Prozentsätze der Gesamtmittel nach der Rechtsgrundlage aufgeschlüsselt werden, die dem jeweiligen Aktionsbereich entspricht, und indem die ihnen zugewiesenen Mindestanteile festgelegt werden. Ebenfalls ist es im Sinne einer größeren Transparenz und einer besseren Verständlichkeit zu wünschen, dass jährliche Arbeitsprogramme festgelegt werden.

1.6   Der EWSA ist der Ansicht, dass der Erfolg des Rahmenprogramms „Kreatives Europa“ in hohem Maße von der Zusammenarbeit zwischen den Bereichen MEDIA und Kultur abhängt, die mit der Ausarbeitung eines bereichsübergreifenden Ansatzes einhergehen sollte, der zur Herausbildung gemeinsamer Aktionsbereiche zwischen den verschiedenen, von der EU finanzierten Programme (1) beitragen könnte.

1.7   Der Ausschuss nimmt den Mangel an klaren Angaben bezüglich der Art und Weise zur Kenntnis, wie die Kommission die Vertreter der Interessenträger an den Verfahren zur Umsetzung beteiligen will. Artikel 7 ist nicht ausreichend deutlich (2). Der Zugang zu Finanzmitteln muss für alle privatrechtlichen Organisationen erleichtert werden, die kulturelle und kreative Aktivitäten durchführen, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Die in diesen Bereichen tätigen Organisationen der Sozialwirtschaft und die sonstigen einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft sollten ebenfalls Zugang zu diesen Förderinstrumenten erhalten.

1.8   Die Verwaltungsverfahren müssen vereinfacht werden, indem elektronische – und damit schnellere – Anwendungen und Verfahren zur Begleitung und Verwaltung der Programme entwickelt werden (3). Außerdem ist es notwendig, die Kommunikationsverfahren und die technischen Kapazitäten sowie die Bereitstellung der Zwischen- und Abschlussberichte zu verbessern; ebenso müssen die Dossiers der Empfänger von Fördermitteln effizienter bearbeitet werden.

1.9   Angesichts des sehr offenen und flexiblen Formats der Verordnung wird durch die vorgeschlagenen Ausschussverfahren nicht sichergestellt, dass die Mitgliedstaaten ausreichend Kontrolle über die Umsetzung des Programms haben werden. Das Ausschussverfahren muss dahingehend geändert werden, dass den Sachverständigen der Mitgliedstaaten die Möglichkeit gegeben wird, regelmäßig zusammenzutreten, um die ausgewählten Projekte zu besprechen. Des Weiteren muss ein vereinfachtes Verfahren für die Anpassung der spezifischen Parameter der Aktionsbereiche infolge einer regelmäßigen Bewertung vorgesehen werden.

1.10   Darüber hinaus bewirkt dieses offene und flexible Format, dass dem Handbuch dieses Programms besondere Bedeutung zukommen wird, weil dort deutlich sichtbar wird, was unternommen werden muss, welche Voraussetzungen für eine Bewerbung erfüllt sein müssen und wie hoch die Förderung ausfällt usw. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, die Erarbeitung des Handbuchs offen und transparent zu halten, und weist darauf hin, dass er an einer Teilnahme an diesem Prozess interessiert ist.

1.11   Der Ausschuss hält es für notwendig, bei der Bewertung des Vorschlags der Kommission zur Zusammenlegung der Kontaktstellen der Programme Kultur und MEDIA innerhalb der „Kreatives Europa“-Desks flexibler vorzugehen und die besonderen regionalen Gegebenheiten der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Er unterstreicht, dass die räumliche Nähe zu den Akteuren beider Sektoren gewahrt bleiben muss, ebenso wie eine gesonderte Sachkenntnis für den Bereich Kultur und für den Bereich MEDIA, da sich diese beiden Bereiche in ihrer Gestalt und in der Art, wie ihre Aktivitäten in ihrem jeweiligen Rahmen durchgeführt werden, erheblich unterscheiden. Die Einrichtung der neuen „Kreatives Europa“-Desks sollte auf den Erfahrungen aufbauen, die bisher mit den Kulturkontaktstellen und den Media-Desks gesammelt wurden.

1.12   Das vorgeschlagene Finanzierungsinstrument ist ein Schritt in die richtige Richtung, weshalb sein Bekanntheitsgrad gesteigert werden sollte, um die Perspektive zu verändern, aus der die Finanzinstitute die Unternehmer der Kultur- und Kreativbranche betrachten und bewerten. Mit dem Instrument muss eine ausgewogene geografische Abdeckung gewährleistet werden; seine Funktionsweise darf keine negativen Folgen für die Hilfsangebote in Form von Zuschüssen haben.

1.13   Die Rechte des geistigen Eigentums sind ein Schlüsselfaktor für die Ankurbelung der Schaffensprozesse und für Investitionen in kulturelle und kreative Produktionen, wie auch für die Vergütung der Urheber und für die Erweiterung der entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang unterstreicht der EWSA die Bedeutung einer wirksamen Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sowohl auf der Ebene der EU als auch weltweit.

1.14   Die Auswahl und die Umsetzung der Projekte, die über das Programm „Kreatives Europa“ finanziert werden, müssen unter umfassender Wahrung der Grundsätze und Werte der EU bezüglich Demokratie, Menschen- und Arbeitnehmerrechte sowie sozialer Verantwortung erfolgen. Gleichfalls muss ein Verfahren vorgesehen werden, mit dem vermieden wird, dass bei der Realisierung von entsprechend finanzierten Projekten Gewalt und Diskriminierung entstehen.

2.   Der Verordnungsvorschlag der Kommission

2.1   Mit dieser Verordnung wird für den Zeitraum 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2020 das Förderprogramm Kreatives Europa für die Unterstützung der Kultur- und Kreativbranche eingerichtet. Das Programm unterstützt ausschließlich Aktionen und Aktivitäten mit einem potenziellen europäischen Mehrwert, die zur Erreichung der Europa-2020-Ziele und zu den Leitinitiativen dieser Strategie beitragen.

2.2   Die allgemeinen Ziele des Programms sind die Wahrung und Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt Europas und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Kultur- und Kreativbranche im Sinne der Förderung eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums.

2.3   Zu den spezifischen Zielen gehören

die Förderung der Fähigkeit der europäischen Kultur- und Kreativbranche, transnational zu arbeiten;

die Förderung der transnationalen Zirkulation kultureller und kreativer Werke und Akteure sowie der Erschließung neuer Publikumsschichten in Europa und darüber hinaus;

die Stärkung der Finanzkraft der Kultur- und Kreativbranche, vor allem kleiner und mittlerer Unternehmen und Organisationen;

die Unterstützung für die transnationale politische Zusammenarbeit, um die Politikgestaltung, Innovation, den Auf- und Ausbau von Publikumsschichten und neue Geschäftsmodelle zu fördern.

2.4   Der Aufbau des Programms umfasst

einen branchenübergreifenden Aktionsbereich für die gesamte Kultur- und Kreativbranche (15 % der Gesamtmittel);

einen Aktionsbereich Kultur für die Kultur- und Kreativbranche (30 % der Gesamtmittel);

einen Aktionsbereich MEDIA für die AV-Branche (50 % der Gesamtmittel).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   2008 waren in Europa 3,8 % der Arbeitskräfte in der Kultur- und Kreativbranche beschäftigt, deren Anteil am BIP der EU bei 4,5 % lag. Der EWSA ist überzeugt, dass das Rahmenprogramm Kreatives Europa bei der Umsetzung der Europa-2020-Strategie behilflich sein wird, und pflichtet der Kommission in ihrer Einschätzung bei, dass Innovation, Kreativität und Kultur eine wesentliche Rolle in der modernen Bildung der europäischen Bürger einnehmen müssen und hierdurch zur Herausbildung von Unternehmergeist, intelligentem und nachhaltigem Wachstum und dem Erreichen der Ziele für soziale Integration in der EU beitragen.

3.2   Die vielschichtige Beziehung zwischen Kultur und Wirtschaft und der Beitrag der Kultur- und Kreativbranche zur Entwicklung der Mitgliedstaaten, zur Verbesserung des sozialen Zusammenhalts und zur Vertiefung des Gefühls, zu Europa zu gehören, müssen als politische Faktoren die Neubewertung der Rolle der Kultur in der nationalen und europäischen Politik bestimmen. Folglich ist es notwendig, dass das neue Förderprogramm die Bedürfnisse der Kultur- und Kreativbranche im digitalen Zeitalter durch einen pragmatischeren und umfassenderen Ansatz widerspiegelt.

3.3   Die Kulturbranche ist nicht homogen und weist verschiedene spezifische Funktionsweisen auf. So folgen z.B. die Aktivitäten im Bereich der Musik- und Tonträgerindustrie einem eigenen Wirtschaftsmodell und entfalten sich in einer Umgebung, die sich radikal von der der darstellenden Kunst unterscheidet. Daher sollte das Programm Kreatives Europa durch seine Aktionsbereiche flexible Herangehensweisen ermöglichen, was zu einem leichteren Zugang und einer effizienteren Nutzung des Programms durch die potenziellen Empfänger führt, auf die dieser Verordnungsvorschlag ausgerichtet ist.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat seine Standpunkte zu den Kultur- und Kreativindustrien bereits in einer gleichnamigen Stellungnahme (Berichterstatter: Claudio Cappellini, Ko-Berichterstatter Jörg Lennardt) dargelegt, die er auf der Plenartagung im Oktober 2010 verabschiedet hat. Jene Stellungnahme wurde im Rahmen der Konsultationen zum Grünbuch „Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien“ erarbeitet.

4.2   Die vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives Europa. Die bereits in der Stellungnahme zum Grünbuch behandelten Fragen werden hier nicht nochmals aufgegriffen, vielmehr will der Ausschuss der Kommission unmittelbar seine Bemerkungen zu dem Text unterbreiten, den sie in dem Dokument COM(2011) 785 final vom 23. November 2011 vorgeschlagen hat.

4.3   Die Mittelaufstockung auf 1,8 Mrd. EUR für den Zeitraum 2014-2020 wurde von den in dieser Branche tätigen Akteuren begrüßt, auch wenn bei dieser Zunahme zu berücksichtigen ist, dass sich die Zahl der potenziellen Empfängerländer vergrößert hat und dass mehr kreative Wirtschaftszweige abgedeckt werden. Der Begriff „Kreativindustrien“ wird in der Verordnung nicht klar definiert; im Text hätte mehr Deutlichkeit hinsichtlich der abgedeckten Handlungsbereiche sowie der betroffenen Akteure geschaffen werden müssen.

4.4   Die Akteure des Kultur- und des audiovisuellen Sektors sehen die Zusammenlegung der derzeitigen Programme Kultur 2007, MEDIA und MEDIA Mundus in einem einzigen Rahmenprogramm mit der Bezeichnung „Kreatives Europa“ als positive und konstruktive Initiative der Europäischen Kommission. Allerdings muss stärker darauf geachtet werden, wie Maßnahmen oder allgemeine Prozesse in jeden der beiden Bereiche im Rahmen des Programms transferiert werden, da die jeweiligen branchenspezifischen Eigenschaften zu berücksichtigen sind, die sich hinsichtlich der Schlüsselakteure und der Finanzierungs-, Produktions- und Vertriebssysteme voneinander unterscheiden.

4.5   Kulturschaffende werden in erster Linie auf die verfügbaren Arten öffentlicher Mittel sowie auf die in dem Programm festgelegten Zugangsbedingungen und die Kriterien für die Förderfähigkeit achten. Von diesen Parametern wird abhängen, in welchem Maße sie sich für die in dem neuen Rahmenprogramm vorgeschlagenen Maßnahmen einsetzen und diese unterstützen.

4.6   Aus professioneller Sicht scheint im audiovisuellen Sektor allgemeine Zufriedenheit in Bezug auf die Wirksamkeit des derzeitigen Programms MEDIA sowie auf die im Rahmenprogramm Kreatives Europa vorgesehenen neuen Maßnahmen zu herrschen. Das Programm MEDIA wird von den in diesem Wirtschaftszweig Tätigen aufgrund seiner Hilfe und seiner Bedeutung für den audiovisuellen Markt geschätzt. Der im neuen Rahmenprogramm vorgesehene Aktionsbereich MEDIA unterscheidet sich kaum vom derzeitigen Programm. Der Wortlaut der neuen Verordnung könnte jedoch mehr in die Tiefe gehen, etwa in Form von Anhängen, in denen jede Maßnahme im Einzelnen erläutert und die für ihre Umsetzung vorgesehenen Mittel beziffert werden.

4.7   Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren für die Programme Kultur und MEDIA dank der breiteren Anwendung der Pauschalsätze, dem Einsatz von Partnerschaftsrahmenvereinbarungen und von elektronischen Verfahren sowie der Reform der Arbeitsinstrumente der Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur.

4.8   Die Maßnahmen müssen so zugeschnitten sein, dass vergleichbarere „Ausgangsbedingungen in der europäischen Kultur- und Kreativbranche [dadurch gewährleistet werden], dass Länder mit niedriger Produktionskapazität und/oder Länder oder Regionen, die einen geografisch und sprachlich eingeschränkten Raum umfassen, berücksichtigt werden“ (4).

4.9   Der EWSA hält es für notwendig, bei den Prioritäten Maßnahmen zur Förderung der Mobilität der Künstler, des interkulturellen Dialogs und der künstlerischen Bildung wiedereinzuführen sowie die Bestimmungen der vorliegenden Verordnung auf andere, für diese Branchen relevante Texten abzustimmen und Strukturen zu entwickeln, denen Instrumente zur Förderung der Kunstschaffenden zugrunde liegen, die an kulturellen Aktivitäten oder Tourneen außerhalb ihres Herkunftslandes teilnehmen.

4.10   Im Verordnungsvorschlag wird KMU und individuellen Kunst- und Kulturschaffenden besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht. Die Gewerkschaften bedauern jedoch, dass die Kulturschaffenden und die kreativen Einzelpersonen und Unternehmen lediglich als gewöhnliche Erbringer von Dienstleistungen angesehen werden; sie sehen ein spürbares Bedürfnis danach, dass die Gewährung finanzieller Förderung nicht höher als die Frage der Sozialschutzstandards geachtet wird. Letztere sollten so gestaltet sein, dass die prekären Verhältnisse beseitigt werden, die mit den für diese Branche so charakteristischen Verträgen mit kurzen Laufzeiten verbunden sind.

Herausforderungen und Schwachpunkte des neuen Verordnungsvorschlags

Allgemein

4.11

Die Aufstockung der Mittel ist eine gute Nachricht; allerdings müssen folgende Aspekte berücksichtigt werden:

die höhere Zahl der Empfängerländer,

die Erweiterung der Förderbereiche,

die neuen Bedürfnisse für den Übergang zur digitalen Gesellschaft,

der Wertverlust des Geldes,

der Sinn für das Verhältnis der in der Verordnung vorgeschlagenen Mittel – 1,8 Mrd. EUR für den Zeitraum 2014-2020 – zu den Beträgen, die jährlich etwa von Frankreich (7,5 Mrd. EUR) oder von Deutschland (1,1 Mrd. EUR) zur Verfügung gestellt werden, sowie zu dem Gesamthaushalt der EU.

4.12

Die erheblichen Unterschiede bei den Maßnahmen der Mitgliedstaaten führen zu Verzerrungen zwischen den Akteuren von einem Land zum anderen, wenn es um den Zugang zu öffentlichen Förderprogrammen für den audiovisuellen Sektor und die Kulturbranche geht.

4.13

Bezüglich der Kreativindustrien gibt es nur wenig oder gar keine Synergien zwischen den Programmen für Innovation und für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der KMU einerseits und dem Programm Kreatives Europa andererseits. Die Möglichkeiten, die die Entwicklung der digitalen Technologien bietet, sollten Schritte zu einer engeren Verbindung zwischen diesen Programmen erleichtern.

Praktisch

4.14

Die Verwaltung und die Begleitung der Umsetzung des Programms durch die betroffenen Akteure bringt eine große administrative Komplexität mit sich, die sich in erhöhten Verwaltungskosten niederschlägt, was wiederum die Mittel für die Verwirklichung der Projekte und ihren Vertrieb schmälert.

4.15

Eines der systematisch wiederkehrenden Probleme, das von den Akteuren genannt wird und das insbesondere die kleinen Unternehmen betrifft, besteht in der Länge der Wartezeit für die Genehmigung von Fördermitteln.

4.16

In Bezug auf die neue Finanzfazilität, die eingerichtet wurde, damit KMU und andere Akteure eine leichteren Zugang zu Krediten erhalten, ist darauf hinzuweisen, dass diese Art von Finanzinstrument im Kulturbereich üblicherweise kaum genutzt wird. Es besteht die Gefahr, dass die Finanzinstitute nicht an einer Mitwirkung interessiert sind, da die betreffenden Summen bescheiden sind und sie sich mit den spezifischen Problemen der Kulturbranche zu wenig auskennen; auch ist die Rentabilität bestimmter Projektarten gering, die ohne öffentliche Fördermittel nicht bestehen könnten.

4.17

Die operative Begleitung und die Verwaltung der im Rahmen der Fazilität gewährten Bürgschaften erfolgt durch den Europäischen Investitionsfonds, der nicht fachspezifisch auf den Kulturbereich ausgerichtet ist.

4.18

Der 2010 geschaffene und für seinen einschlägigen Sachverstand bekannte MEDIA-Produktion-Garantiefonds zeugt von der Notwendigkeit einer höheren Synergie zwischen dem neuen Finanzinstrument und den bereits bestehenden Instrumenten (5).

4.19

Die Zusammenlegung der Kontaktstellen der Programme Kultur und MEDIA innerhalb eines einzigen „Kreatives Europa“-Desks ist in der Theorie eine gute Idee, da das Ziel dieser Neuordnung darin besteht, eine Zentralisierung der Informationen über die vorhandenen Programme zu gewährleisten und Skaleneffekte dank einer gemeinsamen Nutzung der Ressourcen zu erzielen.

4.20

In der Praxis kann es in der Tat zu Synergien insbesondere bei der gemeinsamen Verwaltung und der Kommunikation kommen; beachtet werden muss jedoch, dass bestimmte Länder wie Frankreich oder Deutschland ein System regionaler Kontaktstellen entwickelt haben, in denen sich die kulturelle Vielfalt widerspiegelt und die die Aufgabe haben, enge Beziehungen zu den Akteuren vor Ort zu unterhalten. Außerdem zeichnen sich die Kulturbranche und der audiovisuelle Sektor durch recht verschiedene Kerntätigkeiten aus: sie nutzen unterschiedliche Produktions- und Vertriebsnetze und ihre Hauptakteure brauchen jeweils andere Fachkenntnisse.

4.21

Aus diesem Blickwinkel könnte eine solche Zentralisierung den unerwünschten Effekt einer Kompetenznivellierung haben. Die so erzielten Einsparungen sind wahrscheinlich unbedeutend und würden die vorgeschlagene strukturelle Änderung nicht rechtfertigen. Recht kritisch gesehen wird außerdem die Ausweitung der Zuständigkeiten der „Desks“ auf die Erhebung statistischer Daten und die Unterstützung der Kommission bei der Sicherstellung einer angemessenen Kommunikation und der Verbreitung der Ergebnisse und der Wirkung des Programms, ohne dass die für die Wahrnehmung dieser Aufgaben notwendigen Mittel vorgesehen werden.

4.22

Die vorgeschlagenen Änderungen bezüglich der Komitologie könnten gewisse Empfindlichkeiten berühren, da die Kommission Änderungen der Verfahren in den Ausschüssen für alle Programme vorschlägt. Die Vertreter der Mitgliedstaaten würden ihre Mitentscheidungs- und Mitverwaltungsbefugnis an die Europäische Kommission verlieren; ihre Rolle würde sich fortan auf die Bestätigung der in die engere Wahl kommenden Projekte beschränken.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Es handelt sich hierbei um die Programme, die in Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe b des Verordnungsvorschlags einzeln aufgeführt werden.

(2)  Der Wortlaut von Artikel 7 des Verordnungsvorschlags bezieht sich auf die Fazilität, durch die der Zugang „zu Finanzierungen für kleine und mittlere Unternehmen und Organisationen der europäischen Kultur- und Kreativbranche“ erleichtert wird.

(3)  Das derzeitige Verfahren erweist sich als kompliziert, da die gesamte Dokumentation per Post übermittelt werden muss und die Antworten manchmal erst drei oder vier Monate später kommen.

(4)  Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe d des Verordnungsvorschlags.

(5)  Dies wären z.B. das französische IFCIC (Institut für die Finanzierung der Film- und Kulturbranche) und die spanische Beteiligungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit „Audiovisual SGR“ (Ende 2005 auf Betreiben des spanischen Kultusministeriums gegründet unter Beteiligung des spanischen Instituts für Film und audiovisuelle Künste (ICAA) und einer Reihe von Organen, die die Rechte audiovisueller Produzenten in Spanien verwalten).


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/40


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Doppelbesteuerung im Binnenmarkt“

COM(2011) 712 final

(2012/C 181/08)

Berichterstatter: Vincent FARRUGIA

Die Europäische Kommission beschloss am 11. November 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Doppelbesteuerung im Binnenmarkt

COM(2011) 712 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 135 Stimmen gegen 1 Stimme bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Doppelbesteuerung ist ein beträchtliches Hemmnis für die grenzübergreifende Tätigkeit und behindert das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts, was sich in wirtschaftlicher Hinsicht wiederum negativ auf Investitionen und Beschäftigung auswirkt. Doppelbesteuerung hat eine abschreckende Wirkung für Investitionen, ist eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit und deshalb dem Wirtschaftswachstum und der Umsetzung der Europa-2020-Ziele abträglich.

1.2   Der EWSA hat in zahlreichen Stellungnahmen betont, wie wichtig die Beseitigung der Doppelbesteuerung ist. Er hat Vorschläge unterstützt, die darauf abzielen, Maßnahmen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung zu beschleunigen, und sich für eine stärkere Vereinfachung der Verwaltungsverfahren in grenzübergreifenden Fällen sowie für die Förderung eines Binnenmarkts ausgesprochen, auf dem ein fairer Wettbewerb herrscht.

1.3   Deshalb befürwortet der EWSA Initiativen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung, wie sie in der Mitteilung der Kommission (1) dargelegt werden, indem die verschiedenen Steuerregelungen effizient miteinander verknüpft werden.

1.4   Der EWSA ist auch der Auffassung, dass die Beseitigung der Doppelbesteuerung auf eine den angestrebten Zielen angemessene Weise und unter Wahrung der steuerlichen Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten erfolgen muss.

1.5   Der EWSA ist zudem der Auffassung, dass die Doppelbesteuerung unverhältnismäßig stärkere Auswirkungen auf Einzelpersonen und kleine und mittlere Unternehmen hat, die in der Regel nicht für den Umgang mit solchen Problemen gerüstet sind. Der EWSA begrüßt zwar die Mitteilung, betont angesichts dessen jedoch, dass Vorschläge zur Bewältigung der Doppelbesteuerung im Einklang mit den Maßnahmen im Bereich der Doppelbesteuerung von Bürgern stehen und auch Lösungen für Einzelpersonen und für KMU umfassen müssen.

1.6   Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Einrichtung eines EU-Forums zur Doppelbesteuerung auf denselben Grundsätzen beruhen sollte wie das durchaus effiziente Gemeinsame EU-Verrechnungspreisforum. Er schlägt jedoch vor, das Forum als ersten Schritt hin zur Schaffung einer Beobachtungsstelle der Europäischen Kommission zu betrachten, die der EWSA bereits als Beitrag zur Beseitigung grenzübergreifender Hindernisse für Bürger empfohlen hat (2). Zu diesem Zweck könnten die Aufgaben der Beobachtungsstelle ausgedehnt werden und dann auch die Prüfung der Wirksamkeit der Anstrengungen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung für Bürger, KMU und große Unternehmen umfassen.

1.7   Der EWSA empfiehlt, dass auch die organisierte Zivilgesellschaft im EU-Forum zur Doppelbesteuerung vertreten ist.

1.8   Der EWSA unterstützt ferner die Erarbeitung eines Verhaltenskodexes, der eine gemeinsame Auslegung und Anwendung steuerlicher Konzepte in den verschiedenen Mitgliedstaaten gewährleisten könnte, so dass Doppelbesteuerung vermieden wird und es nicht zu Fällen kommt, in denen Doppelbesteuerungsabkommen nicht greifen. Dies würde wiederum dazu führen, dass weniger Schiedsverfahren eingeleitet werden müssten.

1.9   Der EWSA ist durchaus der Auffassung, dass die Schaffung eines wirksamen Streitbeilegungsmechanismus erwogen werden sollte, betont jedoch, dass es vor allem darum gehen sollte, dass der Bedarf an solch einem Mechanismus möglichst gar nicht erst entsteht.

1.10   Der EWSA spricht sich dafür aus, das ganze Ausmaß der doppelten Nichtbesteuerung sowie deren wirtschaftliche und soziale Auswirkungen zu untersuchen und auch zu prüfen, welche Folgen die Maßnahmen zur Beseitigung dieses Phänomens haben können.

1.11   Schließlich betont der EWSA, dass alle Vorschläge einer gründlichen Prüfung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen für jeden einzelnen Mitgliedstaat unterzogen werden sollten.

2.   Inhalt und Hintergrund des Vorschlags

2.1   Doppelbesteuerung führt zu Rechtsunsicherheit und behindert damit die wirtschaftliche Tätigkeit von Bürgern und Unternehmen. Sie erhöht die Gesamtsteuerbelastung, bewirkt unwiederbringliche Wohlfahrtsverluste und unnötigen Verwaltungsaufwand und wirkt sich negativ auf Investitionen und das Funktionieren des Binnenmarkts aus, was wiederum der Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung schadet. Bei den Anhörungen der Kommission wurde das Ausmaß des Problems der Doppelbesteuerung deutlich: So ging es bei mehr als 20 % der gemeldeten Fälle der Körperschaftssteuerpflichtigen um über 1 Mio. EUR und bei mehr als 35 % der Einzelpersonen um über 100 000 EUR.

2.2   In der Mitteilung der Kommission (3) wird betont, wie wichtig die Beseitigung der Doppelbesteuerung (4) als Mittel zur Sicherstellung der Effizienz des Binnenmarkts und zur Umsetzung der Ziele der Strategie Europa 2020 ist.

2.3   In der Mitteilung wird mehr Abstimmung bei der Besteuerung gefordert, um bessere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen im Euroraum zu gewährleisten. In der Binnenmarktakte (5) wird hervorgehoben, wie wichtig die Beseitigung grenzübergreifender Hindernisse für Unionsbürger sowie steuerlicher Verwaltungslasten für Unternehmen ist. Zu letzterem Problem hat die Kommission kürzlich einen Vorschlag für eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) (6) vorgelegt. In der Mitteilung wird auch auf die Notwendigkeit eines wirksamen Netzes von Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten sowie der Lösung von Fragen der Doppelbesteuerung von Erbschaften verwiesen.

2.4   In der Mitteilung geht es vor allem um die Behebung von Problemen im Zusammenhang mit der Doppelbesteuerung, die in wirtschaftlichen Krisenzeiten dringender denn je ist. Es wird festgestellt, dass die Beseitigung der Doppelbesteuerung und Maßnahmen gegen die doppelte Nichtbesteuerung perspektivisch eine Quelle von Steuereinnahmen für die Regierungen sein können.

2.5   Es wird eingeräumt, dass etliche Mitgliedstaaten das Problem der Doppelbesteuerung zwar bereits durch den Abschluss unilateraler, bilateraler und multilateraler Abkommen angegangen haben, sie nach dem EU-Vertrag jedoch nicht verpflichtet sind, Doppelbesteuerung zu beseitigen.

2.6   In der Mitteilung wird eine Reihe von Bereichen genannt, die die Kommission bereits mit Blick auf die Problematik der Doppelbesteuerung geprüft hat, darunter die Richtlinie über Mutter- und Tochtergesellschaften, die Richtlinie über Zinserträge und Lizenzgebühren, das Schiedsübereinkommen, das Gemeinsame EU-Verrechnungspreisforum, die Empfehlung über Verfahren zur Quellensteuererleichterung und der Vorschlag einer Richtlinie zu einer Gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer–Bemessungsgrundlage.

2.7   In der Mitteilung wird auch darauf verwiesen, dass diese durchaus wichtigen Bemühungen nicht immer ausreichend Wirkung gezeigt haben. Deshalb werden folgende Lösungsmöglichkeiten genannt, jedoch nicht im Detail ausgeführt:

Stärkung vorhandener Instrumente, insbesondere mit Blick auf die Richtlinie über Zinsen und Lizenzgebühren. Die Kommission hat gleichzeitig mit der Vorlage von KOM(2011) 712 eine Neufassung dieser Richtlinie vorgeschlagen, in der Bestimmungen zur Reduzierung der Doppelbesteuerung bei der Quellensteuer vorgesehen sind. Der EWSA hat eine Stellungnahme (7) zu dieser Mitteilung verabschiedet,

Ausdehnung des Geltungsbereichs und der Reichweite von Doppelbesteuerungsabkommen, dabei Prüfung, wie mit Dreieckssachverhalten umzugehen ist und wie Unternehmen und Steuern zu behandeln sind, die innerhalb der EU nicht unter Doppelbesteuerungsabkommen fallen, Vorschlag für einen verstärkten Dialog zwischen den Mitgliedstaaten bei Streitfällen,

geplante Schritte für eine einheitlichere Auslegung und Anwendung der Bestimmungen von Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Dies bezieht sich auf die mögliche Einrichtung eines EU-Forums zur Doppelbesteuerung, das einen Verhaltenskodex zur Besteuerung erarbeitet, um das Problem der unterschiedlichen Auslegung von Begriffen in den Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten anzugehen,

angesichts des Fehlens eines allgemein verbindlichen Streitbeilegungsverfahrens schlägt die Kommission eine Lösung vor, die sich an der neuesten Fassung von Artikel 25 des OECD-Musterabkommens (2008) orientiert, die ein Verständigungsverfahren mit einem bindenden Streitbeilegungsverfahren für alle ungelösten Doppelbesteuerungsfälle vorsieht.

2.8   Schließlich werden in der Mitteilung weitere Schritte vorgeschlagen, u.a.:

Arbeit an der Entwicklung der in der Mitteilung umrissenen Optionen, insbesondere Einrichtung eines Forums, Erarbeitung eines Verhaltenskodexes und Prüfung der Durchführbarkeit eines effizienten Streitbeilegungsmechanismus,

Vorlage von Möglichkeiten zur Beseitigung von Hemmnissen bei der grenzübergreifenden Besteuerung von Erbschaften innerhalb der EU, wie kürzlich von der Kommission in die Wege geleitet (8),

weitere Heranziehung des unlängst neugestalteten Verrechnungspreisforums, um Fragen der Doppelbesteuerung bei Verrechnungspreisen zu behandeln,

Vorstellung von Lösungen für die grenzübergreifende Doppelbesteuerung von Dividendenzahlungen an Aktionäre in diesem Jahr,

Einleitung einer Konsultation, um den vollen Umfang der Doppelbesteuerung auszuloten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der EWSA spricht sich für die Beseitigung der Doppelbesteuerung aus, die als Hindernis für Investitionen und damit für die Entstehung von Arbeitsplätzen und für die wirtschaftliche Tätigkeit betrachtet wird. Der EWSA hat bereits in zahlreichen Stellungnahmen betont, wie wichtig die Beseitigung der Doppelbesteuerung ist. Er hat Vorschläge unterstützt, die darauf abzielen, Maßnahmen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung zu beschleunigen, und sich für eine stärkere Vereinfachung der Verwaltungsverfahren in grenzübergreifenden Fällen (9) sowie für die Einführung gemeinsamer Grundsätze zur Förderung eines Binnenmarkts ausgesprochen, auf dem ein fairer Wettbewerb herrscht (10).

3.2   Der EWSA hat auch die Bemühungen der Kommission zur Beseitigung oder zumindest Reduzierung der juristischen und wirtschaftlichen Doppel- oder Mehrfachbesteuerung der von einem Tochterunternehmen im Niederlassungsstaat des Mutterunternehmens ausgeschütteten Gewinne unterstützt (11). Durch seine Unterstützung für den Vorschlag für eine GKKB als Mittel zur Angleichung der Grundsätze für die Körperschaftssteuer hat der EWSA dies weiter untermauert, dabei jedoch festgestellt, dass der Vorschlag für eine Richtlinie in einigen Details weiterer Klarstellungen bedarf (12).

3.3   Der EWSA betont auch, wie wichtig ein aufkommensneutraler Ansatz bei der Anwendung der GKKB für jedes einzelne Land ist, und unterstreicht, dass die Einführung der GKKB nicht dazu führen darf, dass Europa weniger flexibel und weniger attraktiv für ausländische Direktinvestitionen wird. Diese Fragen sind gegebenenfalls durch Folgenabschätzungen zu untermauern.

3.4   Der EWSA empfiehlt, dass diese Ziele vor allem durch eine engere Zusammenarbeit und eine wirksamere Verknüpfung der verschiedenen nationalen Steuergebiete umgesetzt werden, einschließlich einer besseren Kommunikation zwischen den einzelnen Steuerbehörden sowie zwischen den Steuerbehörden und den Steuerzahlern. Die Fortschritte in diesen Bereichen sind im Verhältnis zu den Zielen angemessen und beeinträchtigen die Souveränität der unterschiedlichen nationalen Steuergebiete nicht. Diese Überlegungen stehen im Einklang mit der Mitteilung der EU zur Koordinierung der Regelungen der Mitgliedstaaten zu den direkten Steuern im Binnenmarkt (13).

3.5   Der EWSA unterstützt deshalb die Bemühungen zur Stärkung der bestehenden Instrumente sowie die weiteren in der Mitteilung dargelegten Schritte zur Beseitigung der Doppelbesteuerung, um zu gewährleisten, dass die verschiedenen Steuerregelungen wirksam verknüpft werden und dass die Wirtschaftsakteure nur einmal und in der von ihnen erwarteten Weise besteuert werden.

3.6   Der EWSA betont ferner, dass die Beseitigung der Doppelbesteuerung zwar eine unabdingbare Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt ist, dass sich die Vorschläge jedoch darauf konzentrieren müssen, die wirksame Beseitigung steuerlicher Hemmnisse und die Gewährleistung der Effizienz der Doppelbesteuerungsabkommen innerhalb der durch die Rechtsgrundlage - den Vertrag über die Arbeitsweise der EU – abgesteckten Grenzen zu bewirken. Bei den Maßnahmen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung ist die steuerliche Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten zu wahren.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Der EWSA betont, dass Probleme der Doppelbesteuerung erhebliche Auswirkungen auf Einzelpersonen und kleine und mittlere Unternehmen haben. Große Unternehmen verfügen in der Regel über die finanziellen und personellen Ressourcen, um Fragen der Doppelbesteuerung und entsprechende Schiedsverfahren zu bewältigen. Einzelpersonen und KMU haben diese Ressourcen jedoch nicht, insbesondere was Informationen und Kenntnisse im Bereich der juristischen und administrativen Verfahren betrifft (14). Besondere Probleme in Bezug auf die Doppelbesteuerung ergeben sich für die Bürger bei der Erbschaftssteuer. Zwar geht es in der Mitteilung der Kommission vor allem um die Beseitigung der Doppelbesteuerung von Unternehmen, insbesondere von Großunternehmen, doch sollten darüber hinaus auch konkrete Probleme von Bürgern und KMU angegangen werden.

4.2   Der EWSA verweist auf die Effizienz des Gemeinsamen EU-Verrechnungspreisforums, das sich mit Fragen der Doppelbesteuerung bei Verrechnungspreisen befasst, und geht davon aus, dass das EU-Forum zur Doppelbesteuerung ähnlich vorgehen wird. Das Gemeinsame EU-Verrechnungspreisforum, das sich in seiner Arbeit nach den OECD-Verrechnungspreisleitlinien richtet, konsensorientiert arbeitet und bemüht ist, der Kommission für praktische Probleme bei der Verrechnungspreisgestaltung in der EU pragmatische, nicht legislative Lösungen vorzuschlagen, hat eine Reihe von Ergebnissen vorzuweisen, darunter einen Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der EU, Leitlinien für Verrechnungspreiszusagen in der EU sowie Leitlinien für konzerninterne Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung. Dass das Forum so effizient arbeitet, ist auch darauf zurückzuführen, dass die Mitgliedstaaten sowie die Unternehmen umfassend darin vertreten sind.

4.3   Der EWSA spricht sich deshalb dafür aus, dass die Einrichtung des EU-Forums zur Doppelbesteuerung auf demselben Grundsatz beruht und eine wirksame Vertretung aller Beteiligten, einschließlich der organisierten Zivilgesellschaft, gewährleistet.

4.4   Der EWSA unterstützt die Einrichtung des EU-Forums zur Doppelbesteuerung, stellt jedoch fest, dass in der Mitteilung keine detaillierten Aussagen zu seiner Arbeitsweise gemacht werden. Der EWSA schlägt vor, das EU-Forum zur Doppelbesteuerung als ersten Schritt und Vorläufer einer Beobachtungsstelle zu betrachten. Die Umwandlung des Forums in eine Beobachtungsstelle entspricht den Empfehlungen des EWSA zur Beseitigung grenzübergreifender Hemmnisse, in denen er auf die Einrichtung einer EU-Beobachtungsstelle verwies, die bestehende Steuerhemmnisse, einschließlich Doppelbesteuerung, und deren Entwicklung kontinuierlich und eingehend untersuchen soll (15).

4.5   Die Aufgaben der Beobachtungsstelle für Besteuerung unter der Aufsicht der EU-Kommission könnten auf die Prüfung von steuerlichen Hemmnissen für Unternehmen, d.h. sowohl KMU als auch Großunternehmen, sowie die Prüfung der praktischen Wirksamkeit der Maßnahmen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung ausgedehnt werden. Zu diesem Zweck könnte die Beobachtungsstelle einen erheblichen Beitrag dazu leisten, den Geltungsbereich und die Reichweite von Doppelbesteuerungsabkommen auszudehnen, Möglichkeiten des Umgangs mit Dreieckssachverhalten zu prüfen und die Regierungen zu ermutigen, Lösungen für die Vermeidung von Doppelbesteuerung zu entwickeln, die ihre Steuerhoheit nicht beeinträchtigen.

4.6   Der EWSA unterstützt auch die Erarbeitung eines Verhaltenskodexes mit Grundsätzen, auf die sich die Regierungen vorab einigen können. Der Verhaltenskodex wird eine gemeinsame Auslegung der in den Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Mitgliedstaaten verwendeten Begriffe, die oft Anlass zu Fehlinterpretationen und Streitigkeiten geben, ermöglichen.

4.7   Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass der Verhaltenskodex praktisch als wirksam angesehen werden kann, wenn er einen gewissen Gruppenzwang bewirkt, so dass sich die Mitgliedstaaten bewusst sind, dass sie an den Pranger gestellt werden können.

4.8   Der EWSA spricht sich auch dafür aus zu prüfen, ob ein wirksames Streitbeilegungsverfahren praktikabel ist, um so die effizientesten Mittel und Wege für die Beseitigung der Doppelbesteuerung zu bestimmen. Er räumt ein, dass bis zum Abschluss der Verfahren der gegenseitigen Amtshilfe, in deren Rahmen Länder Probleme gemeinsam lösen können, sehr viel Zeit vergeht, und dass Verbesserungen an der Schiedsvereinbarung vorgenommen werden könnten, da auch das Schiedsverfahren längere Zeit beansprucht. Diese Verfahrensdauer wiederum führt zu übermäßigen Kosten und Unsicherheit für die Unternehmen.

4.9   Der EWSA betont jedoch, dass die Anstrengungen darauf gerichtet sein sollten, ein Schiedsverfahren von vornherein möglichst unnötig zu machen, und dass das Gewicht, wie in der Mitteilung ausgeführt, auf die Erarbeitung eines Verhaltenskodexes sowie auf die Festlegung klarer und transparenter Leitlinien gelegt werden sollte, die als erstes und wirksames Mittel zur Lösung von Streitfällen herangezogen werden sollten.

4.10   Das EU-Forum zur Doppelbesteuerung sollte einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Steuerabkommen leisten, die ein Verständigungsverfahren mit einem bindenden Streitbeilegungsverfahren für alle ungelösten Doppelbesteuerungsfälle vorsehen.

4.11   Der EWSA befürwortet den Vorschlag der Kommission, das ganze Ausmaß der doppelten Nichtbesteuerung auszuloten. Der EWSA empfiehlt ferner, deren wirtschaftliche und soziale Auswirkungen zu untersuchen und auch zu prüfen, welche Folgen die Maßnahmen zur Beseitigung dieses Phänomens haben können.

4.12   Der EWSA bekräftigt, wie wichtig eine gründliche Bewertung der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen ist, um zu bestimmen, inwieweit die Annahme der Vorschläge der Mitteilung zu nachteiligen wirtschaftlichen und sozialen Folgen führen kann (16). Eine solche Bewertung muss erschöpfend sein und alle Mitgliedstaaten, die von den Vorschlägen betroffen sind, einschließen.

4.13   Der EWSA erwartet weitere Vorschläge zur Doppelbesteuerung, die die Kommission prüfen und vorlegen sollte, darunter

Empfehlungen zur grenzübergreifenden Besteuerung von Erbschaften, die die Kommission kürzlich veröffentlicht hat,

Vorstellung von Lösungen für die grenzübergreifende Doppelbesteuerung von Dividendenzahlungen an Aktionäre,

weitere Informationen zur Einrichtung des Forums, zum Verhaltenskodex und zur Möglichkeit eines verbindlichen Beilegungsverfahrens,

eine Bewertung des Ausmaßes und der Auswirkungen der doppelten Nichtbesteuerung.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  COM(2011) 712 final.

(2)  Siehe Stellungnahme des EWSA „Beseitigung grenzübergreifender steuerlicher Hindernisse für die Bürgerinnen und Bürger der EU“, ABl. C 318 vom 29. 10. 2011, S. 95.

(3)  COM(2011) 712 final.

(4)  Doppelbesteuerung wird definiert als Erhebung vergleichbarer Steuern auf dasselbe steuerbare Einkommen oder Kapital durch zwei oder mehr Steuergebiete.

(5)  COM(2011) 206 final.

(6)  COM(2011) 121 final.

(7)  Siehe Stellungnahme des EWSA (ABl. C 143 vom 22.05.2012, S. 46) zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (Neufassung), COM(2011)714 final.

(8)  Empfehlung der Kommission vom 15. Dezember 2011 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Erbschaften (2011/856/EU).

(9)  Vgl. Fußnote 2.

(10)  Vgl. die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Direktbesteuerung von Unternehmen“, ABl. C 241 vom 7.10.2002, S. 75.

(11)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/435/EWG über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten“, ABl. C 32 vom 5.2.2004, S. 118.

(12)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB)“, ABl. C 24 vom 28.01.2012, S. 63.

(13)  COM(2006) 823 final.

(14)  Nach dem von der Kommission vorgelegten zusammenfassenden Bericht der Konsultation zu Doppelbesteuerungsabkommen und Binnenmarkt haben 85 % der Unternehmen, jedoch nur 69 % der Einzelpersonen, die Probleme in Bezug auf Doppelbesteuerung hatten, Maßnahmen zu deren Bewältigung eingeleitet.

(15)  Vgl. Fußnote 2.

(16)  Vgl. Fußnote 12.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Geänderten Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union“

COM(2011) 739 final — 2011/0183 (CNS)

und dem „Geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen für das Eigenmittelsystem der Europäischen Union“

COM(2011) 740 final — 2011/0184 (APP)

(2012/C 181/09)

Berichterstatter: Gérard DANTIN

Der Rat beschloss am 19. Oktober 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 311 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union

COM(2011) 510 final — 2011/0183 (CNS)

und

Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen für das Eigenmittelsystem der Europäischen Union

COM(2011) 511 final.

Angesichts der von der Kommission am 9. November 2011 angenommenen geänderten Vorschläge beschloss der Rat am 15. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 311 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Geänderter Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union

COM(2011) 739 final — 2011/0183 (CNS)

und

Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen für das Eigenmittelsystem der Europäischen Union

COM(2011) 740 final — 2011/0184 (APP),

die die vorgenannten Vorschläge ersetzen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme zu den geänderten Vorschlägen am 7. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) mit 165 gegen 21 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Ein System, bei dem etwa 75 % der Finanzmittel der EU unmittelbar aus den nationalen Haushalten der Mitgliedstaaten fließen, steht dem Buchstaben wie dem Geiste nach im Widerspruch zu den Römischen Verträgen (1).

1.2   Das derzeitige System, das im Wesentlichen auf einem „BNE-Beitrag“ beruht, hat die Debatten über den Haushalt weiter angeheizt und zu dem Konzept der „angemessenen Rückflüsse“ sowie zu Ausgleichsmechanismen geführt, wobei die Vorzüge der Union in den Bereichen Frieden, Freiheit, Wohlstand, Wachstum und Sicherheit unberücksichtigt bleiben.

1.3   Vor diesem Hintergrund begrüßt der Ausschuss die Legislativvorschläge der Kommission für einen Beschluss des Rates. Er ist der Auffassung, dass diese in die richtige Richtung weisen, da der Beitrag auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens um die Hälfte reduziert und im Gegenzug zwei neue Formen der Eigenmittel eingeführt werden, von denen eine auf der Mehrwertsteuer und die andere auf der Finanztransaktionssteuer basiert. Diese relative Aufstockung der tatsächlichen Eigenmittel wird zur größeren finanziellen Unabhängigkeit der EU beitragen, die von den Mitgliedstaaten vereinbarten umfangreichen Haushaltsanstrengungen unterstützen und zugleich die Funktionsweise der EU in Haushaltsfragen wieder an den Geist und die Bestimmungen der Römischen Verträge annähern.

1.4   Der Ausschuss begrüßt ferner, dass in dem Vorschlag neben der Einführung neuer Eigenmittel auch ein neues System von Pauschalbeträgen als Ersatz für alle bestehenden Korrekturmechanismen vorgeschlagen wird, wenngleich er die Vorgehensweise für unzureichend hält.

1.5   Ungeachtet seiner generellen Zustimmung zu dem Inhalt der Vorschläge möchte der EWSA jedoch auf folgende Punkte hinweisen:

1.5.1   In mehreren Stellungnahmen hat der Ausschuss darauf hingewiesen, dass die innergemeinschaftliche Mehrwertsteuer Ursache für Steuerhinterziehungen in erheblichem Ausmaße ist. Er sieht es daher als notwendig an, dass die Einführung dieser neuen Form von Eigenmitteln mit gezielten Maßnahmen einhergeht, um Betrug einzudämmen und möglichst völlig zu beseitigen. Folglich wird er die Legislativvorschläge, die anknüpfend an die Überlegungen im „Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer“ vorgelegt werden sollen, aufmerksam verfolgen.

1.5.2   In ihrer Mitteilung „Überprüfung des EU-Haushalts“ listet die Kommission mehrere sinnvolle Finanzierungsquellen auf, die ihrer Meinung nach als neue Formen der Eigenmittel geeignet wären. Mit Ausnahme der neuen Mehrwertsteuer und der Finanztransaktionssteuer wurden diese jedoch nicht in Betracht gezogen, wobei über die Vor- und Nachteile der einzelnen Quellen hinaus die politischen Gründe dieser Entscheidung unbekannt sind. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass er im Vorfeld dieser Entscheidungen vor der Kommission hätte um Stellungnahme ersucht werden müssen.

1.5.3   Wie der EWSA bereits in seiner Stellungnahme zur „Überprüfung des EU-Haushalts“ dargelegt hat, hält er eine Aufstockung des EU-Haushalts nicht nur an sich für wünschenswert, sondern angesichts der umfangreichen neuen Probleme, auf die gemeinsam reagiert werden muss, auch für erforderlich. Der EWSA bedauert, dass in der Vorlage lediglich auf die Struktur und den internen qualitativen Inhalt des Haushalts eingegangen wird, für die zentrale Frage des Haushaltsumfangs jedoch nicht auf neue Formen der Eigenmittel Bezug genommen wird. Ohne die in den Dokumenten behandelten Aspekte geringschätzen zu wollen, ist der Ausschuss der Auffassung, dass es im Zusammenhang mit dem Haushalt nicht nur um Zahlen oder um die innere Gliederung gehen kann. Der Haushalt ist in erster Linie ein Instrument, das einem politischen Projekt, den Plänen der Europäischen Union dient. Vor diesem Hintergrund muss es zwischen den politischen Entscheidungen der EU und den Mitteln, die sie sich zu deren Umsetzung an die Hand gibt, Kohärenz und Übereinstimmung herrschen. Der Ausschuss bedauert, dass die Kommission nicht die sich bietende Gelegenheit ergriffen hat, für die Umsetzung der Verpflichtungen, die sich aus dem Vertrag von Lissabon, der Europa-2020-Strategie oder der Notwendigkeit von Maßnahmen zur Wachstumsankurbelung ergeben, mehr Finanzmittel bereitzustellen.

2.   Einleitung: aktuelle Situation

2.1   Der vorliegende Vorschlag für einen Beschluss ist einer von sechs Legislativvorschlägen zur Mitteilung „Ein Haushalt für ‚Europe 2020‘ “ (COM(2011) 500 final) (2). Jeder Vorschlag sollte einer gesonderten Prüfung unterzogen werden (3).

2.2   Die Frage der Eigenmittel ist in struktureller und politischer Hinsicht von Bedeutung. Die Herkunft der Mittel entscheidet nämlich über das Verhältnis zwischen Bürgern, Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsinstitutionen und betrifft auch die Frage der finanziellen Unabhängigkeit der EU. Die Debatte über die Eigenmittel der EU ist verknüpft mit der allgemeinen Diskussion über die Zukunft der europäischen Einigung, für die es zwei Konzepte gibt: den föderalistischen Ansatz und den zwischenstaatlichen Ansatz.

2.2.1   Auf der Grundlage dieser Überlegungen hat der Ausschuss bereits 2008 festgestellt, dass man für die Gestaltung der Haushaltspolitik nicht umhin kommt, die grundlegende Entscheidung zwischen Föderalismus (4) oder Regierungszusammenarbeit zu treffen. Zudem wird natürlich der Fortschritt bei der europäischen Integration auch daran gemessen, wie der EU-Haushalt finanziert wird (5).

2.3   Auch wenn in den Römischen Verträgen vom 25. März 1957 eine Übergangszeit mit einzelstaatlichen Beiträgen vorgesehen ist, wird in Artikel 201 bereits festgelegt, dass der „Haushalt […] unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert“ wird.

2.4   Derzeit setzen sich die finanziellen Mittel der Union zusammen aus den sogenannten traditionellen Eigenmittel, die aus Zöllen, Agrarzöllen und Zuckerabgaben stammen, und den sogenannten neuen Eigenmitteln, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf die harmonisierte Mehrwertsteuer-Bemessungsgrundlage und der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf das Bruttonationaleinkommen (BNE) ergeben. Diese Mittel aus Mehrwertsteuern und Bruttonationaleinkommen sind im Prinzip „falsche echte Eigenmittel“, da sie von den Mitgliedstaaten auf deren Einnahmen erhoben werden. Sie werden nur deshalb als Eigenmittel betrachtet, weil sie für den EU-Haushalt bestimmt sind, der sich 2011 auf 126,5 Mrd. EUR, bzw. 1,13 % des BIP der EU-27 beläuft.

2.4.1   Der von den Dienststellen der Kommission erarbeitete Bericht über die Funktionsweise des Eigenmittelsystems (6) zeigt, dass das derzeitige Finanzierungssystem den meisten Bewertungskriterien kaum Genüge leistet. Das Verständnis dieses gleichermaßen undurchsichtigen und komplexen Systems bleibt einigen wenigen Fachleuten vorbehalten, eine Aneignung durch die Bürger ist nur eingeschränkt, seine demokratische Kontrolle somit nur schwer möglich.

Zum anderen betrachten zahlreiche Mitgliedstaaten aufgrund der Methode der Finanzierung des EU-Haushalts ihren Beitrag als bloße Ausgabe, was unweigerlich bei jeder Haushaltsdebatte zu Spannungen führt.

2.4.2   Diese Situation veranlasste die Kommission, dem Rat einen Vorschlag zur Änderung des Eigenmittelsystems der Europäischen Union vorzulegen. Dieser Vorschlag, der dem neuen rechtlichen Rahmen des Vertrages von Lissabon Rechnung trägt, steht inhaltlich im Einklang mit ihrer vorangehenden Mitteilung „Überprüfung des EU-Haushalts“ (7).

2.5   Vor diesem Hintergrund erfolgt die Erarbeitung der vorliegenden Stellungnahme in enger Anlehnung an die auf der Plenartagung im Juni 2011 verabschiedete Stellungnahme des Ausschusses zu dieser Mitteilung (8).

3.   Ein neuer rechtlicher Rahmen

3.1   Mit dem Vertrag von Lissabon wurde ein neuer rechtlicher Rahmen geschaffen. Mit ihm werden wichtige Neuerungen nicht nur bei dem Haushaltsverfahren der EU, sondern auch bei der Art der Finanzierung des EU-Haushalts eingeführt.

Gemäß Artikel 311 können demnach, „neue Kategorien von Eigenmitteln eingeführt oder bestehende Kategorien abgeschafft werden“. Ferner wird verfügt, „dass der Rat […] durch Verordnungen Durchführungsmaßnahmen zu dem System der Eigenmittel der Union fest[legt]“. Somit besteht also die Möglichkeit, die derzeitige Zahl an Eigenmitteln zu reduzieren und neue Mittel einzuführen sowie entsprechende Durchführungsbedingungen über Verordnungen festzulegen.

4.   Inhalt des Vorschlags für einen Beschluss des Rates

4.1   Der Vorschlag für einen Beschluss über das Eigenmittelsystem umfasst drei Hauptelemente: die Vereinfachung der Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten, die Einführung neuer Eigenmittel und die Reform der Korrekturmechanismen. Die drei Vorschläge sind als eine Einheit zu betrachten, für die ein einziger Beschluss erforderlich ist.

4.1.1   Vereinfachung der Beiträge der Mitgliedstaaten

Die Kommission schlägt vor, die an die Mehrwertsteuer gekoppelten Eigenmittel wegen ihrer Komplexität und ihres geringen Mehrwerts gegenüber den Eigenmitteln auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens abzuschaffen. Es wird vorgeschlagen, diese Form der Eigenmittel ab 31. Dezember 2013 abzuschaffen.

4.1.2   Einführung neuer Eigenmittel

In ihrer Mitteilung „Überprüfung des EU-Haushalts“ zählt die Kommission sechs potenzielle Formen von Eigenmitteln auf. Hiervon sind in den hier zu prüfenden Vorschlägen nur noch zwei übrig geblieben. Die Kommission schlägt vor, ab spätestens 1. Januar 2014 eine Steuer auf Finanztransaktionen und ebenfalls ab spätestens 1. Januar 2014 eine neue Form der Eigenmittel auf der Grundlage der Mehrwertsteuer einzuführen. Mit diesen neuen Eigenmitteln könnten etwa 51,4 % der EU-Ausgaben finanziert werden, die traditionellen Eigenmittel würden knapp 20 % der Gesamtmittel und die Eigenmittel auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens, deren Anteil von 74,2 % auf 29,7 % sinken würde, etwa 30 % ausmachen (9).

4.1.3   Reform der Korrekturmechanismen

4.1.3.1   Derzeit kommen vier Mitgliedstaaten in den Genuss vorübergehender Korrekturmaßnahmen, die im Jahr 2013 auslaufen werden. Die Korrektur zugunsten des Vereinigten Königreichs, die entsprechenden Rabatte für vier Mitgliedstaaten (Deutschland, Niederlande, Österreich und Schweden) und die verborgene Korrektur in Form der Einbehaltung von Erhebungskosten in Höhe von 25 % der von den Mitgliedstaaten vereinnahmten traditionellen Eigenmittel werden bis zum Inkrafttreten eines Eigenmittelbeschlusses angewandt.

4.1.3.2   Angesichts der Tatsache, dass sich die objektive Situation einer Reihe von Mitgliedstaaten erheblich verändert hat und die den derzeitigen Korrekturmaßnahmen zugrunde liegenden Bedingungen sich seit 1984 (Abkommen von Fontainebleau) deutlich gewandelt haben (der Anteil der GAP im EU-Haushalt und die Finanzierung auf Grundlage der Mehrwertsteuer fallen deutlich geringer aus, das Vereinigte Königreich gehört heute zu den reichsten Ländern der Europäischen Union (10)) stellt die Kommission fest, dass die Korrektur zugunsten des Vereinigten Königreichs überprüft werden muss.

4.1.3.3   Daher wird in dem Vorschlag für einen Beschluss die Einführung vorübergehender Korrekturen zugunsten Deutschlands, der Niederlande, des Vereinigten Königreichs und Schwedens angeregt. Ab dem 1. Januar 2014 soll dann ein neues System mit Pauschalbeträgen gelten, das alle bestehenden Korrekturmechanismen ablösen soll. Zudem schlägt die Kommission vor, die verborgene Korrektur von 25 % auf 10 % zu reduzieren.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1   Ein System, bei dem annähernd 75 % der Einnahmen der Europäischen Union nicht aus Eigenmitteln stammen, sondern durch den Beitrag aus dem BNE unmittelbar aus den nationalen Haushalten fließen und bei dem 15 % aus einer Ressource wie dem Mehrwertsteueranteil stammen, die aufgrund ihrer Bestimmung auf keinen Fall als Eigenmittel der Europäischen Union betrachtet werden kann, steht im Widerspruch zu den Bestimmungen und dem Geist der Römischen Verträge.

5.2   Der Ausschuss weist darauf hin, dass es diese „Beiträge“ sind, die zu der kurzsichtigen Diskussion über die Nettozahler geführt hat und die der positiven Wirkung der Union insbesondere in den Bereichen Frieden, Freiheit, Wohlstand, Wachstum und Sicherheit nicht Rechnung trägt.

5.2.1   Der EWSA ist der Auffassung, dass das Konzept der „angemessenen Gegenleistung“, das durch die „Beiträge“ auf der Grundlage des BIP aufkam, heute noch weniger angezeigt als zu Beginn des europäischen Aufbauwerks. Dieses Konzept, das die Europäische Union in ihrer Funktionsweise schon viel zu oft beeinträchtigt und die europäischen Debatten vergiftet hat, ist zum großen Teil Ursache der aufgetretenen Unzulänglichkeiten, Verzögerungen und Misserfolge. Es steht im Widerspruch zu der Idee einer Union der Staaten und Völker und zu jeder rationalen wirtschaftlichen Argumentation. Die Vorteile und der Mehrwert einer Wirtschafts- und Währungsunion und einer politischen Union müssen naturgemäß allen zugute kommen. Die Fortschritte der Europäischen Union beruhen alle auf dem Multiplikatoreffekt eines Zusammenlegens von Ressourcen, das dem Begriff der „angemessenen Gegenleistung“ diametral entgegensteht (11).

5.3   Das derzeitige Eigenmittelsystem, das von den Beiträgen der Mitgliedstaaten abhängt, ist intransparent und komplex, was seine demokratische Kontrolle nur bedingt ermöglicht und nicht dazu beiträgt, die Bemühungen um die europäische Einigung öffentlichkeitswirksam darzustellen. Zudem ist dieses System, da es mitverantwortlich dafür ist, dass der Beitrag zur EU als zusätzliche Belastung für die nationalen Haushalte angesehen wird, nicht geeignet, die Union mit ausreichend Mitteln für alle ihre Politikbereiche auszustatten.

5.3.1   Das derzeitige System, das außerdem mehrere Korrekturmechanismen und Rabatte beinhaltet, (etwa der allgemeine Rabatt zugunsten eines Mitgliedstaates, wie der Briten-Rabatt, oder besondere Rabatte etwa zur Finanzierung anderer Rabatte) ist darüber hinaus äußerst komplex, unzureichend transparent und für die europäischen Bürger vollkommen unverständlich. Ein solches System ist ganz und gar ungeeignet, die notwendige direkte Verbindung zwischen der Union und ihren Bürgern herzustellen.

5.4   In Anbetracht der vorangehenden allgemeinen Überlegungen befürwortet der Ausschuss die von der Kommission vorgelegten Vorschläge für einen Beschluss des Rates. Er ist der Auffassung, dass diese Vorschläge in die richtige Richtung weisen, indem sie die Struktur vereinfachen und insbesondere die derzeitigen nationalen Beiträge zum Haushalt der Europäischen Union von 85,3 % (111,8 Mrd. EUR) auf 29,7 % (48,3 Mrd. EUR) reduzieren (wobei die Beiträge auf der Grundlage des BIP von 74,2 % (97,3 Mrd. EUR) auf 29,7 % (48,3 Mrd. EUR) sinken würden) und somit dem Buchstaben wie dem Geiste nach wieder stärker den Römischen Verträgen entsprechen. Diese Aufstockung des Anteils an tatsächlichen Eigenmitteln wird zur größeren finanziellen Unabhängigkeit der EU beitragen und die beträchtlichen Ausgaben, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben, tragen helfen.

6.   Besondere Bemerkungen

6.1   In ihrer Mitteilung „Überprüfung des EU-Haushalts“ zählt die Kommission eine Reihe angemessener Finanzierungsinstrumente auf, die nach ihrer Auffassung mit Recht als neue Eigenmittel gelten könnten: eine europäische Besteuerung des Finanzsektors, Versteigerungen im Rahmen des Systems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten, eine europäische Luftfahrtgebühr, eine europäische Mehrwertsteuer, eine europäische Energiesteuer, eine europäische Körperschaftssteuer.

6.1.1   Jedes einzelne dieser potenziellen Instrumente wurde von der Kommission einer Prüfung unterzogen (12), und die jeweiligen Vor- und Nachteile wurden aufgelistet, wobei jedoch die politischen Gründe die zum Ausschluss einiger dieser Möglichkeiten und zur Wahl einer neuen Mehrwertsteuer und einer Steuer auf Finanztransaktionen geführt haben, im Dunkeln blieben.

6.1.2   Der Ausschuss ist der Meinung, dass die politischen Gründe, die zum Ausschluss bestimmter Möglichkeiten geführt haben, bekannt sein müssen und dass der Ausschuss vor dieser Entscheidung hätte um Stellungnahme ersucht werden müssen.

6.2   Der Inhalt der Änderungsvorschläge

6.2.1   Die Abschaffung der derzeitigen Form der Mehrwertsteuer-Eigenmittel. Vereinfachung der Beiträge der Mitgliedstaaten

Diese „falschen echten Eigenmittel“, die von den Mitgliedstaaten auf deren Einnahmen erhoben werden, erscheinen heute überholt. Sie beruhen lediglich auf einer mathematischen Formel zur Berechnung der Beiträge der Mitgliedstaaten. Diese Form der Mehrwertsteuer-Eigenmittel ist komplex, erfordert zur Ermittlung einer harmonisierten Bemessungsgrundlage einen großen Verwaltungsaufwand und bringt nur einen geringen Zusatznutzen. Der Ausschuss spricht sich für diese Vereinfachung aus.

6.2.2   Die Einführung einer neuen Form der Mehrwertsteuer-Eigenmittel

Diese Form der Mehrwertsteuer-Eigenmittel wäre Teil eines grundlegend veränderten, in der Union anzuwendenden Mehrwertsteuersystems. Diese Mehrwertsteuer-Eigenmittel würden bis 2020 18,1 % der neuen Eigenmittel ausmachen (siehe Anhang I).

Sie würde teilweise im Einklang stehen mit dem Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer (13). Der Ausschuss begrüßte die von der Kommission in diesem Grünbuch vorgestellten Initiativen.

Dieser Anteil an der Mehrwertsteuer auf Gegenstände und Dienstleistungen für innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen und Einfuhren von Gegenständen, die in allen Mitgliedstaaten einem MwSt.-Normalsatz gemäß der Richtlinie 2006/112/EG (14) des Rates unterliegen, sollte nicht mehr als zwei Prozentpunkte des Normalsatzes betragen, wobei die Durchführungsverordnung einen Prozentpunkt vorsieht.

Der Ausschuss begrüßt die Einführung dieser neuen Form der Mehrwertsteuer-Eigenmittel als Ersatz für die derzeit geltende Form der Mehrwertsteuer-Eigenmittel, die sich als überholt erwiesen hat. Er ist der Ansicht, dass der EU-Haushalt – und die dazugehörigen finanziellen Mittel – als ein Instrument zur Erreichung der gemeinsamen Ziele angesehen werden muss.

Eine eingehende Beurteilung der Inhalt und Form dieses Vorschlages wäre jedoch einfacher gewesen, wenn die entsprechenden Texte genaue Angaben zu den Änderungen in der Struktur der Mehrwertsteuer enthielten und in Form einer Studie Auskunft darüber geben würden, in welcher finanziellen Größenordnung sich die Veränderungen bewegen, die die einzelnen Mitgliedstaaten wegen dieser Änderung zu erwarten haben.

Der Ausschuss hat bereits mehrfach in seinen Stellungnahmen darauf hingewiesen und macht erneut darauf aufmerksam, dass die innergemeinschaftliche Mehrwertsteuer Ursache für Steuerhinterziehungen in erheblichem Ausmaße ist. Er sieht es daher als notwendig an, dass die Einführung dieser neuen Form von Eigenmitteln mit gezielten Maßnahmen einhergeht, um Betrug einzudämmen und möglichst vollständig zu beseitigen. Vor diesem Hintergrund wird der EWSA die Legislativvorschläge, die anknüpfend an die Überlegungen im „Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer“ vorgelegt werden sollen, aufmerksam verfolgen.

6.2.3   Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen

Der Ausschuss hat sich bereits in mehreren Stellungnahmen (15) unter bestimmten Bedingungen für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ausgesprochen. Insbesondere hat er auf Folgendes hingewiesen:

angesichts der Bedenken bezüglich der Gefahr von Unternehmensverlagerungen sollte die Finanztransaktionssteuer auf globaler Ebene eingeführt werden; der Ausschuss würde, sollte dies nicht zu verwirklichen sein, unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission die Einführung einer solchen Steuer auf EU-Ebene begrüßen;

eine Finanztransaktionssteuer durch Eindämmung von Schwankungen kann nicht nur zu einer größeren Stabilität und Effizienz der Finanzmärkte beitragen, sondern die Mitgliedstaaten und die EU brauchen eine solche Steuer auch, um die Mittel zur Reduzierung des Haushaltsungleichgewichts bereitzustellen.

Die Kommission weist in ihrem Vorschlag für einen Beschluss des Rates darauf hin, dass eine solche, auf EU-Ebene erhobene Steuer eine neue Einnahmequelle darstellen könnte. Mit einer solchen Steuer ließen sich die Beiträge der Mitgliedstaaten reduzieren, die nationalen Regierungen hätten zusätzlichen Spielraum und es würde ein Beitrag zur Konsolidierung der Haushalte geleistet werden. Zudem wäre diese Initiative der EU ein erster Schritt hin zur Einführung einer globalen Finanztransaktionssteuer, die derzeit innerhalb der G20 Gegenstand der Diskussion ist.

In Anbetracht dieser Erwägungen und seiner früheren Stellungnahmen begrüßt der Ausschuss die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen als Eigenmittelquelle des Haushalts der Europäischen Union.

Bis 2020 könnten auf diese Weise 33,3 % der Eigenmittel der EU (siehe Anhang I) in Höhe von 54,2 Mrd. EUR in den Haushalt einfließen; nach ersten Schätzungen könnte die Steuer jedes Jahr in Abhängigkeit von der Reaktion der Märkte Einnahmen in Höhe von 57 Mrd. EUR einbringen (16).

Die Steuersätze in Prozent der Besteuerungsgrundlage werden für Finanztransaktionen, die keine Derivatkontrakte betreffen, nicht unter 0,1 % liegen und für Finanztransaktionen, die Derivatkontrakte betreffen, 0,01 % betragen (17).

6.2.4   Die Reform der Korrekturmechanismen

Der Ausschuss zeigt sich erfreut darüber, dass in dem vorliegenden Vorschlag für einen Beschluss angeregt wird, die Korrektur zugunsten des Vereinigten Königreichs zu überprüfen und ab 1. Januar 2014 ein neues Systems mit Pauschalbeträgen einzuführen, das alle bestehenden Korrekturmechanismen ablösen soll. Das Gleiche gilt für die Reduzierung der verborgenen Korrektur von 25 auf 10 % (siehe Ziffer 4.1.3).

Diese Vorschläge weisen in die richtige Richtung, sind jedoch insofern unzureichend, als sie einem Haushalt, der mehrheitlich auf Eigenmitteln beruht, nicht umfassend Rechnung tragen.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass bei einem Haushalt, der zu über 66 % aus Eigenmitteln besteht, das Konzept der „angemessenen Gegenleistung“, das der Solidarität und dem gegenseitigen Nutzen der europäischen Einigung zuwiderläuft, außen vor bleiben muss (siehe Ziffer 5.2.1). Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Europäischen Kommission, einem System Vorrang einzuräumen, das auf Eigenmitteln beruht, weil er sich von dieser Reform eine mögliche Abschaffung der nationalen „Korrekturen“ verspricht, die in einem reformierten EU-Haushalt mit einem größeren Nutzen für alle Mitgliedstaaten nicht mehr zu rechtfertigen sind (18).

Bezüglich der Beurteilung des eigenen Wertes der in den genannten Dokumenten enthaltenen Vorschläge an sich weist der EWSA darauf hin, dass eine Bewertung insofern schwierig ist, als in den Texten keine Angaben zum Umfang der vorgeschlagenen Änderungen gemacht und keine Vergleiche zur jetzigen Situation angestellt werden.

6.3   Wie bereits in der Mitteilung zur „Überprüfung des EU-Haushalts“ (19) festgestellt wurde, geht es bei der Einführung neuer Eigenmittelkategorien „nicht um den Umfang des Haushalts […], sondern um die richtige Zusammenstellung der Einnahmemittel“. Der Ausschuss teilt diese Ansicht nicht. Befasst man sich mit der „Überprüfung des EU-Haushalts“ und seiner Umgestaltung durch Änderung und Einführung neuer Eigenmittel und durch die Reformierung der Korrekturmechanismen, so ist es angezeigt, die Frage nach den Folgen dieser Änderungen für den Umfang des Haushalts zu stellen und diese an den bereits getroffenen oder noch zu treffenden politischen Entscheidungen auszurichten.

6.3.1   Unter diesem Gesichtspunkt ist der Ausschuss der Auffassung, dass es beim EU-Haushalt nicht nur um Zahlen oder Entscheidungen und die interne Gliederung seiner verschiedenen Komponenten geht. Der Haushalt ist in erster Linie ein Instrument zur Verwirklichung eines politischen Projekts: der ehrgeizigen Ziele der Europäischen Union. Deshalb muss der Haushalt kohärent sein und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den politischen Zielen der EU und den für ihre Verwirklichung zur Verfügung stehenden Mitteln hergestellt werden. Die Europäische Union verfügt indes heute weder über ausreichend Mittel, um ihre politische Strategie, die Europa-2020-Strategie, in die Tat umzusetzen, noch um die aus dem Vertrag von Lissabon erwachsenden Verpflichtungen zu finanzieren.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Aufstockung des EU-Haushalts nicht nur an sich wünschenswert, sondern angesichts der neuen Herausforderungen, auf die wir gemeinsam reagieren müssen, auch erforderlich ist (20).

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Artikel 201.

(2)  „Vorschlag für Verordnung des Rates zur Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2014-2020“, COM(2011) 398 final; „Entwurf einer interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Europäischen Kommission über die Zusammenarbeit im Haushaltsbereich und die wirtschaftliche Haushaltsführung“, COM(2011) 403 final; „Geänderter Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union“, COM(2011) 739 final; „Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen für das Eigenmittelsystem der Europäischen Union“, COM(2011) 740 final; „Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung der Methoden und Verfahren für die Bereitstellung der traditionellen und BNE-Eigenmittel sowie der Maßnahmen zur Bereitstellung der erforderlichen Kassenmittel (Neufassung)“, COM(2011) 742 final; „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG“, COM(2011) 594 final.

(3)  Siehe in diesem Zusammenhang insbesondere die Stellungnahme des EWSA zu dem „Gemeinsamen Finanztransaktionssteuersystem“ (Siehe Seite 55 dieses Amtsblatts) und die Stellungnahme des EWSA zu dem „Haushalt 2014-2020“ (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(4)  Dem Föderalismus können in diesem Zusammenhang folgende Grundsätze zugrunde liegen:

der Grundsatz der übergeordneten Entscheidungsebenen (die staatlichen Befugnisse sind auf die föderale Regierung und die Regierungen der föderierten Länder aufgeteilt), der Grundsatz der Autonomie (jede Regierungsebene ist im Rahmen ihrer Gerichtsbarkeit automon bzw. „souverän“) und der Grundsatz der Teilhabe (die föderierten Länder sind auf der Ebene des föderalen Staates vertreten und in die föderale Entscheidungsfindung eingebunden).

Die Modalitäten der Umsetzung dieser Grundsätze können variieren, doch lässt sich anhand eines formell föderalen Systems nicht unbedingt eine Aussage über den Grad an Zentralismus oder an Demokratie treffen.

Quelle: http://fr.wikipedia.org/wiki/F%C3%A9d%C3%A9ralisme.

(5)  Siehe Stellungnahme des EWSA „Der EU-Haushalt und seine künftige Finanzierung“, ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 113.

(6)  Arbeitsdokument der Kommission: „Bericht der Kommission über die Funktionsweise des Eigenmittelsystems“, SEC(2011) 876 final vom 29.6.2011.

(7)  COM(2010) 700 final.

(8)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Überprüfung des EU-Haushalts“, ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 75.

(9)  Siehe Anhang I.

(10)  Siehe Anhang II.

(11)  Siehe Fußnote Seite 5.

(12)  SEC(2011) 876 final – Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission: „Finanzierung des EU-Haushalts: Bericht über die Funktionsweise des Eigenmittelsystems“ – Begleitpapier zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union“.

(13)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zu dem „Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer“, ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 87.

(14)  ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1.

(15)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu dem „De Larosière“-Bericht”, ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 57; Stellungnahme des EWSA zu der „Steuer auf Finanztransaktionen“, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 81 Schlussfolgerungen und Empfehlungen, Ziffer 1.10; Stellungnahme des EWSA zu der „Haushaltspolitik: Wachstum und Haushaltsanpassung“, ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 8, Ziffern 4.4.2, 1.5.3 und 1.5.4, und die Stellungnahme des EWSA zu der „Besteuerung des Finanzsektors“, ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 64.

(16)  Siehe COM(2011) 594 final „Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG“.

(17)  Siehe ebenda, Fußnote Seite 10.

(18)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zur „Überprüfung des EU-Haushalts“, ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 75, Ziffer 4.4.

(19)  COM(2010) 700 final.

(20)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zur „Überprüfung des EU-Haushalts“, ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 75, Ziffer 1.1 und 4.1.


ANHANG I

Geschätzte Entwicklung der Finanzstruktur der EU (2012-2020)

 

Entwurf des Haushaltsplans 2012

2020

Mrd. EUR

Eigenmittel in Prozent

Mrd. EUR

Eigenmittel in Prozent

Traditionelle Eigenmittel

19,3

14,7

30,7

18,9

Derzeitige Beiträge der Mitgliedstaaten

davon

111,8

85,3

48,3

29,7

Mehrwertsteuer-Eigenmittel

14,5

11,1

Eigenmittel auf der Grundlage des BNE

97,3

74,2

48,3

29,7

Neue Eigenmittelquellen

davon

83,6

51,4

Neue Form der Mehrwertsteuer-Eigenmittel

29,4

18,1

EU-Steuer auf Finanztransaktionen

54,2

33,3

Gesamtbetrag Eigenmittel

131,1

100,0

162,7

100,0

Quelle: Berechnung der Kommission auf der Grundlage von COM(211) 510, aktualisiert in COM(2011) 738.


ANHANG II

Entwicklung der wichtigsten Parameter (1984-2011)

 

1984

2005

2011

Prozentualer Anteil an Haushaltsmitteln (insgesamt) für die GAP

69  %

50  %

44  %

Beiträge auf Grundlage der MwSt. (Prozentsatz an den Gesamtbeiträgen)

57  %

16  %

11  %

Wohlstand des Vereinigten Königreichs

Bruttonationaleinkommen pro Einwohner (in EUR-KKS)

93 % der EU-10

117 % des Durchschnitts der EU-25

111 % der EU-27

Quelle: Europäische Kommission, GD Haushalt.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/52


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Die Zukunft des Solidaritätsfonds der Europäischen Union“

COM(2011) 613 final

(2012/C 181/10)

Berichterstatter: Joost VAN IERSEL

Die Europäische Kommission beschloss am 6. Oktober 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Die Zukunft des Solidaritätsfonds der Europäischen Union

COM(2011) 613 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 139 gegen 2 Stimmen bei 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) teilt die Ansicht, dass die gegenwärtige Krise die Mitgliedstaaten und die EU dazu zwingt, sehr vorsichtig mit zu hohen Ausgaben zu sein. Vor diesem Hintergrund ist es für ihn sehr nachvollziehbar, dass der Rat nicht mehr Möglichkeiten im Rahmen des Solidaritätsfonds der Europäischen Union (EUSF) schaffen möchte.

1.2   Gleichwohl möchte der EWSA auf neue Bestimmungen im AEUV hinweisen, insbesondere in den Artikeln 4, 174 und 222, in denen auf eine geteilte Zuständigkeit der Union und der Mitgliedstaaten im Falle von Naturkatastrophen oder „Terroranschlägen“ in der Union hingewiesen wird. Diese Bestimmungen zeigen, dass die EU unter ganz besonderen Umständen nicht nur als eine Gemeinschaft sozioökonomischer Interessen betrachtet wird, sondern auch als eine Schicksalsgemeinschaft. Dies war im Übrigen auch die Triebfeder für die Schaffung des EUSF im Jahr 2002, als mehrere Mitgliedstaaten mit starken Überschwemmungen zu kämpfen hatten.

1.3   Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass ein ganzheitlicher Blick auf die Bereiche des Zusammenhalts erkennen lässt, dass es durchaus ein gemeinsames Schicksal aller Unionsbürgerinnen und -bürger gibt, für das sie sich auch verantwortlich fühlen. Mit Blick auf die Ergebnisse der langatmigen Diskussionen im Rat stellt der EWSA enttäuscht fest, dass dieser Geist derzeit offenbar nicht vorhanden ist. Der stärkere Akzent, den der Rat in diesen Diskussionen auf die „Subsidiarität“ legte, verweist in dieselbe Richtung.

1.4   Der EWSA ist mit allen praktischen Anpassungen einverstanden, welche die Kommission für die EUSF-Verordnung vorschlägt, um die Arbeitsweise des Fonds zu verbessern und den Verwaltungs- und Zeitaufwand für die Empfänger zu reduzieren.

1.5   Der EWSA hält es insbesondere für wünschenswert, die Öffentlichkeitswirksamkeit des Engagements der Union zu steigern, wenn die EU wieder einmal finanzielle Unterstützung bei Katastrophen gewährt. Im Augenblick sind die Verfahren durch und durch verwaltungstechnisch. Die Zahlungen der EU erfolgen oftmals erst Monate nach der Katastrophe, was den technischen, ja wenn nicht sogar anonymen Charakter des Verfahrens einmal mehr unterstreicht. Und das Ergebnis ist derzeit so ziemlich das Gegenteil dessen, was der EWSA als gemeinsame Empathie gerne stärker im Vordergrund sähe.

1.6   Der EWSA schlägt vor in Erwägung zu ziehen, den EUSF direkt über den Haushaltsplan der Europäischen Union zu finanzieren, was ein praktischer Weg wäre, die Zahlungen zu beschleunigen und einen weitaus höheren Grad an Transparenz seiner Tätigkeiten zu gewährleisten.

2.   Einleitung

2.1   Der Solidaritätsfonds der Europäischen Union wurde im Jahr 2002 mit dem Ziel geschaffen, der EU ein Instrument für eine wirksame Reaktion auf Katastrophen größeren Ausmaßes an die Hand zu geben. Damals unterstützte der EWSA die Errichtung dieses Fonds vorbehaltlos (1).

2.2   Eine künftige, bis Ende 2006 zu erfolgende Überarbeitung wurde bereits in der ursprünglichen Verordnung aus dem Jahr 2002 vorgesehen. Zu diesem Zweck nahm die Kommission 2005 eine erste Überprüfung des EUSF vor. Der EWSA nahm bereits zu dem entsprechenden Kommissionsvorschlag 2005 Stellung (2). Er formulierte in diesem Zusammenhang mehrere Vorschläge, um insbesondere den Interventionsbereich des Fonds auf Trockenperioden auszudehnen, die Interventionsschwellenwerte zu senken und der Kommission einen größeren Ermessensspielraum einzuräumen.

2.3   Letztlich hat der Rat die von der Kommission vorgeschlagenen und vom Europäischen Parlament (EP) sehr begrüßten Änderungen abgelehnt. Diese Vorschläge fußten auf praktischen Erfahrungen mit der Verordnung, wie etwa die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Fonds über Naturkatastrophen hinaus, stärkere Aufmerksamkeit für die Anwendungskriterien und eine höhere Transparenz derselben sowie die Nachbesserung der aufwendigen und zeitraubenden Verfahren, die gleichzeitig zu Lasten der Reaktionsfähigkeit und Öffentlichkeitswirksamkeit gehen.

2.4   Die Kommission beschloss 2011, eine Mitteilung über die Zukunft des EUSF zu veröffentlichen und damit die umfassende Diskussion über den Fonds wieder anzustoßen. Diese Mitteilung ist Gegenstand der vorliegenden Stellungnahme des EWSA.

2.5   Im Hinblick auf den zeitraubenden Verwaltungsaufwand der EUSF-Verfahren sollte erwähnt werden, dass die Kommission nicht aus eigener Initiative handelt, sondern nur wenn die Mitgliedstaaten einen förmlichen Antrag stellen, und das braucht Zeit. Jeder Antrag zieht langwierige Verfahren zwischen der Kommission, dem EP und dem Rat zur Genehmigung eines Berichtigungshaushalts nach sich und abschließende Angaben vom ersuchenden Mitgliedstaat zur Begründung des Finanzhilfegesuchs.

2.6   Nach Auffassung der Kommission hat all dies „zur Folge, dass die Finanzhilfen in vielen Fällen erst neun bis zwölf Monate nach der Katastrophe, manchmal auch später, ausgezahlt werden können“ (3).

2.7   Anhaltende Skepsis und Widerstände entsprangen der Furcht vor potenziellen Auswirkungen auf den Haushalt. „Subsidiarität“ ist und bleibt der Leitgrundsatz im Falle einer „Katastrophe“. Der Widerstand der breiten Mehrheit der Mitgliedstaaten gegen jedwede größere Änderung der Rechtsgrundlage und der Funktionsweise des Solidaritätsfonds wurde 2010 erneut bestätigt.

2.8   Die Kommission hat sich in lobenswerter Weise darum bemüht, die Funktionsweise des EUSF auszudehnen, zumal er sich in den Fällen, in denen er zur Anwendung kam, als ein sehr erfolgreiches Instrument bewährt hat. Andererseits haben abgelehnte Anträge zu Enttäuschungen geführt und sind somit dem Ansehen der EU nicht förderlich.

2.9   In der aktuellen politischen Debatte dürften diejenigen, die eine Erweiterung der Unterstützung aus dem EUSF auf neue Kategorien von „Katastrophen“ anstreben, einen ebenso schweren Stand haben wie diejenigen, die für eine Änderung der Schwellenwerte oder die Lockerung der Kriterien für regionale Katastrophen plädieren.

3.   Bemerkungen des EWSA zu den Vorschlägen der Kommission

3.1   Der EWSA teilt die Auffassung, dass unter den gegebenen Umständen jedwede Änderung des EUSF auf Klarstellungen und eine bessere Durchführbarkeit der Verordnung aus dem Jahr 2002 zu beschränken ist. Klarstellungen in Bezug auf die Funktionsweise des Fonds sollten zweifellos auf die Steigerung seiner Öffentlichkeitswirksamkeit abzielen.

3.2   Eine deutlichere Präzision, dass die Unterstützung aus dem Fonds nur in Fällen von Naturkatastrophen möglich ist, kann nach Auffassung der Kommission dazu beitragen, unerwünschte rechtliche Probleme zu vermeiden. Das käme auch der Kritik zahlreicher Mitgliedstaaten entgegen und würde unnötige Enttäuschungen betroffener Mitgliedstaaten verringern.

3.3   Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Beschränkung auf Naturkatastrophen keine „Kettenreaktionen“ derartiger Katastrophen, wie z.B. auf Industrieanlagen oder öffentliche Gesundheits- und Krankenhauseinrichtungen, ausschließen kann. Obwohl in solchen Fällen in der Regel nicht nur die öffentlichen Dienste, sondern auch private Aktivitäten betroffen sind, spricht viel dafür, sie einzubeziehen, wenn sie Teil eines gesellschaftlichen Rahmens einer Region sind, z.B. im Bereich Beschäftigung.

3.4   Die Erfahrung zeigt, dass es grundlegende Probleme bei der Auslegung bestimmter Auswirkungen gibt, die sich aus einer „außergewöhnlichen regionalen Katastrophe“ ergeben. Der EWSA pflichtet dem Vorschlag der Kommission bei, die Kriterien für regionale Katastrophen auf eine einfache und objektive Grundlage zu stellen, vergleichbar mit der Definition von „Katastrophen größeren Ausmaßes“. Die von der Kommission durchgeführte Simulation hat ergeben, dass das Endergebnis mehr oder weniger identisch ist mit dem Ergebnis, das man mit der aktuellen Definition erlangt. Gleichwohl wäre eine Reihe von Anträgen gar nicht erst gestellt worden, da sie ganz eindeutig für eine Unterstützung aus dem EUSF nicht in Frage gekommen wären.

3.5   Die Kommission kritisiert zu Recht die zeitliche Verzögerung bis zur Bereitstellung der Auszahlungen. Der EWSA kann dem nur beipflichten (siehe oben Ziffer 2.6) Der Ausschuss ist der Auffassung, dass alles getan werden muss, um die Verfahren zu beschleunigen und dadurch die Reaktionsfähigkeit und die Öffentlichkeitswirksamkeit des EUSF zu steigern.

3.6   In diesem Sinne begrüßt der EWSA den Vorschlag der Kommission, in der Verordnung künftig die Möglichkeit von Vorschusszahlungen vorzusehen, die nur zurückgezahlt werden müssten, wenn ein Antrag ordnungsgemäß nicht bewilligt würde.

3.7   Der EWSA ist wie die Kommission der Ansicht, dass die Verfahren gekürzt und vereinfacht werden können und sollten. Es besteht großer Spielraum für die Zusammenführung von Entscheidungen, die innerhalb der Kommission (im aktuellen System vier) und unterhalb der Ebene der Mitgliedstaaten (derzeit zwei) getroffen werden. Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass relativ einfache verfahrenstechnische Anpassungen eine große Zeitersparnis bewirken können.

3.8   Recht aufschlussreich und sehr wünschenswert ist der Vorschlag der Kommission, die in der Verordnung relativ allgemein gehaltene Bestimmung zu verschärfen und damit konkreter zu formulieren, derzufolge ein Empfängerstaat dazu aufgefordert wird, in dem Bericht über den Stand der Umsetzung einschlägiger EU-Rechtsvorschriften über Katastrophenbewertung, -management und -prävention Auskunft zu geben sowie auf die im Zuge der Katastrophe gewonnenen Erkenntnisse einzugehen und sich zu Katastrophen- und Klimaschutzmaßnahmen zu verpflichten.

3.9   Die Kommission erwähnt ausdrücklich Artikel 222 AEUV, d.h. die Bestimmung, wonach die Union und ihre Mitgliedstaaten im Falle eines Terroranschlags, einer Naturkatastrophe oder einer von Menschen verursachten Katastrophe gemeinsam im Geiste der Solidarität zu handeln haben. Ergänzenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der AEUV ebenfalls erstmals in Artikel 4 und in Artikel 174 den „territorialen Zusammenhalt“ als Bereich „geteilter Zuständigkeit“ zwischen der EU und den Mitgliedstaaten einführt; die Union ist ferner gehalten, den „territorialen Zusammenhang“ in Gebieten mit dauerhaften natürlichen Nachteilen zu fördern.

3.10   Diese Bestimmungen sind nicht nur Ausdruck von geteilter Zuständigkeit aller Akteure in der Union, sondern weisen auch auf ein gemeinsames Schicksal hin. Angesichts der Reaktionen des Rates auf die sukzessiven Vorschläge der Kommission und der Kommentare anderer konsultierter Parteien ist ganz klar, dass die Mitgliedstaaten kaum willens sind, im Geiste einer Schicksalsgemeinschaft zu handeln. So wird auch verständlich, warum die „Subsidiarität“ einen so großen Stellenwert bekommt.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Stellungnahme des EWSA „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union“, ABl. C 61/30 vom 14.3.2003, S. 187.

(2)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union“, ABl. C 28/14 vom 3.2.2006, S. 69.

(3)  COM(2011) 613 final – Ziffer 2.3 letzter Absatz.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/55


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG“

COM(2011) 594 final

(2012/C 181/11)

Berichterstatter: Stefano PALMIERI

Der Rat beschloss am 19. Oktober 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 113 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG

COM(2011) 594 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) mit 164 gegen 73 Stimmen bei 12 Enthaltungen folgende Stellungnahme.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt im Einklang mit dem Europäischen Parlament (1) den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT), der voll und ganz den in seinen früheren Stellungnahmen vertretenen Standpunkten entspricht (2).

1.2   Der EWSA hatte bereits in einer vorherigen Stellungnahme (3) darauf hingewiesen, dass die finanzielle Eigenständigkeit der Europäischen Union, wie ursprünglich in Artikel 201 des Römischen Vertrags festgelegt, wieder gewährleistet werden muss. In diesem Zusammenhang kann die Finanztransaktionssteuer nach Auffassung des EWSA eine der Säulen des neuen Eigenmittelsystems der Union sein. Sie ist ein Instrument, mit dem die erforderliche finanzielle Eigenständigkeit im Hinblick auf den mehrjährigen Finanzrahmen von 2014 bis 2020 gewährleistet werden kann.

1.3   Der EWSA betont, dass eine weltweite Anwendung der Finanztransaktionssteuer angestrebt werden muss. Wie bereits in seiner Stellungnahme vom 15. Juli 2010 (siehe Fußnote 2) bekräftigt, ist er der Ansicht, dass dies am besten durch die Einführung einer FTT in der Europäischen Union erreicht werden könnte. Der EWSA ist im Einklang mit dem Standpunkt von Kommissionsmitglied Algirdas ŠEMETA und der Position des Europäischen Parlaments der Ansicht, dass die EU diesbezüglich eine maßgebliche Vorreiterrolle ausüben könnte und auch sollte, wie dies bereits hinsichtlich vieler Politiken globalen Ausmaßes geschehen ist (z.B. Klimapolitik) (4). Dennoch ist der EWSA der Ansicht, dass alles getan werden muss, um die FTT weltweit einzuführen.

1.3.1   Der EWSA ist der Ansicht, dass auch das Schreiben der Finanzminister von neun EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Belgien, Finnland, Griechenland, Portugal, Spanien) an den dänischen EU-Ratsvorsitz in diesem Sinne zu sehen ist. In diesem Schreiben wird die Entscheidung des Vorsitzes begrüßt, die Prüfung und die Verhandlungen über die Anwendung der Finanztransaktionssteuer zu beschleunigen.

1.4   Für den EWSA ist die Einführung der Finanztransaktionssteuer Teil eines umfangreicheren, von der Kommission eingeleiteten Prozesses zur Überarbeitung der wichtigsten Richtlinien über die Märkte für Finanzinstrumente (COM(2011) 656 final und COM(2011) 652 final) mit dem Ziel, für mehr Transparenz, Effizienz und Wirksamkeit dieser Märkte zu sorgen. Wie bereits in einer früheren Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, ist der EWSA ferner der Auffassung, dass mittels angemessener Regulierung und Überwachung die Stabilität und das reibungslose Funktionieren der Finanzbranche gewährleistet werden sollte, damit übermäßige Risikobereitschaft begrenzt wird und für die Finanzinstitute die richtigen Anreize gesetzt werden.

1.5   Der EWSA ist der Ansicht, dass es für die Neutralisierung oder zumindest eine möglichst weitgehende Verringerung des Risikos einer Verlagerung von Finanzgeschäften erforderlich ist, das von der Kommission vorgeschlagene Ansässigkeitsprinzip (oder Territorialitätsprinzip) mit dem vom Europäischen Parlament geförderten Herausgabekriterium („issuance principle“) zu verbinden. Nach dem Herausgabekriterium wird die Steuer (ähnlich wie bei den Stempelgebühren, „stamp duties“) bei Transaktionen in Bezug auf alle Finanzinstrumente fällig, die von in der EU eingetragenen juristischen Personen emittiert werden, ansonsten sind die Kauf- und Verkaufsverträge unwirksam (5).

1.6   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Finanztransaktionssteuer zu einem angemesseneren Beitrag des Finanzsektors zum öffentlichen Haushalt der EU und zu den Haushalten der Mitgliedstaaten führen wird.

1.7   Der EWSA begrüßt, dass durch die Einführung der Finanztransaktionssteuer das Vorteilnahmesystem der Finanzakteure geändert und die Zahl der Geschäfte des Hochfrequenzhandels mit niedrigen Latenzzeiten (high frequency and low latency trading) gesenkt werden kann. Diese hochspekulativen Handelsgeschäfte sorgen für Instabilität an den Finanzmärkten und haben nichts mit den normalen Vorgängen in der Realwirtschaft zu tun. Die FTT wird also eine Stabilisierung der Finanzmärkte ermöglichen, indem das Kosten-Nutzen-Verhältnis mittel- und langfristiger Mittelzuweisungen verbessert wird, was den Unternehmen zugute kommt.

1.7.1   Der EWSA ist der Ansicht, dass sich die Verlangsamung der hochspekulativen Transaktionen infolge der Einführung der Finanztransaktionssteuer stabilisierend auf die Wertschwankungen an den Finanzmärkten auswirken würde, sodass Unternehmen der Realwirtschaft stabilere Finanzierungsbedingungen für ihre Investitionen haben können (6).

1.8   Der EWSA hält eine Verbesserung der Situation bei den Staatsschulden für eine der wichtigsten Auswirkungen der Einführung der Finanztransaktionssteuer. Staatsanleihen sind in Zeiten hoher finanzieller Instabilität krisenanfälliger. Die mit der Einführung der FTT einhergehende Erhöhung des Steueraufkommens wird zur finanzpolitischen Stabilität beitragen, da die Notwendigkeit weiterer Neuverschuldung abnimmt. Bemerkbar machen wird sich dies direkt bei den Mitteln, die den Mitgliedstaaten zufließen, und indirekt bei den Mitteln, die dem EU-Haushalt anstelle der entsprechenden Beiträge der Mitgliedstaaten zufließen.

1.9   Der EWSA anerkennt, dass die Einführung der Finanztransaktionssteuer und die damit einhergehende Steuerharmonisierung für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes sorgen würden. Auf diese Weise ließen sich Verzerrungen in einem Bereich vermeiden, für den bereits mindestens zehn EU-Mitgliedstaaten verschiedene Formen der Besteuerung von Finanztransaktionen eingeführt haben.

1.10   Der EWSA betont die Notwendigkeit, die negativen makroökonomischen und mikroökonomischen Folgen der Anwendung der Finanztransaktionssteuer sorgfältig zu bedenken und die daraus resultierenden Risiken und Kosten zu neutralisieren oder zumindest zu reduzieren. Deshalb ist der EWSA der Ansicht, dass geeignete Ausgleichsmechanismen erwogen werden sollten, mit denen die größten negativen Auswirkungen der FTT auf die Realwirtschaft ausgeglichen werden können.

1.10.1   Nach Auffassung des EWSA muss die Überwachung der Umsetzung der Finanztransaktionssteuer und die daraus resultierende Bewertung der mit damit verbundenen Folgen – in Form eines Berichts an das Europäische Parlament und den Rat – jährlich erfolgen und nicht erst drei Jahre nach Einführung der FTT (7).

1.11   Der EWSA ist der Ansicht, dass bei der Bewertung der Auswirkungen der Einführung der Finanztransaktionssteuer die Folgen eines langfristigen BIP-Rückgangs (laut Folgenabschätzung der Kommission) berücksichtigt werden sollten. Außerdem zu berücksichtigen sind die umfassenden Auswirkungen auf: a) ein besseres Funktionieren der Finanzmärkte dank mehr Stabilität, b) die Verlagerung von Investitionen zugunsten der Realwirtschaft, c) Regulierungsmaßnahmen zur Erhöhung der Effizienz, Wirksamkeit und Transparenz der europäischen Finanzmärkte, d) die Haushaltskonsolidierung in den Mitgliedstaaten aufgrund einer höheren Verfügbarkeit von Mitteln und e) die Ersparnisse und Ausgaben der Privathaushalte. Alle diese Auswirkungen würden jüngsten Schätzungen zufolge zu einer langfristigen Erhöhung des BIP um 0,25 % führen (8).

1.12   Der EWSA äußert Vorbehalte bezüglich der Folgenabschätzung für die Finanztransaktionssteuer, die dem Kommissionsvorschlag beigefügt ist. Der EWSA ist der Auffassung, dass dabei eine Reihe von Auswirkungen – von denen einige in dieser Stellungnahme aufgeführt werden – nicht berücksichtigt wird. Dadurch entsteht die Gefahr, dass die Gesamtbewertung des Vorschlags selbst an Gewicht verliert. Der EWSA fordert deshalb die Kommission auf, umgehend eine zusätzliche ausführlichere Bewertung vorzunehmen.

1.13   Der EWSA begrüßt die Entscheidung der Kommission, anstelle einer Finanzaktivitätssteuer (FAS) eine Finanztransaktionssteuer vorzuschlagen. Denn eine FAS birgt – bei geringeren Stabilisierungseffekten für die Finanzmärkte – die größere Gefahr, an die Verbraucher und Unternehmen weitergegeben zu werden, wenngleich mit ihrer Hilfe die Verteilung besser geregelt werden könnte (infolge einer besseren Koppelung an die aus Finanztransaktionen resultierenden Erträgen).

1.14   Der EWSA möchte daran erinnern, dass der Anteil der von Eurobarometer befragten Unionsbürger, die die Einführung einer Finanztransaktionssteuer befürworten, seit Herbst 2010 stetig über der 60 %-Marke liegt. Im Herbst 2010 begrüßten 61 %, im Frühjahr 2011 65 %, und im Herbst 2011 64 % die Einführung einer solchen Steuer (9). Deshalb kann die Einführung der FTT ein erster wichtiger Schritt zur Wiederherstellung des notwendigen Vertrauens der Unionsbürger in den Finanzsektor sein.

1.15   Der EWSA verpflichtet sich, in seiner Funktion als beratende Einrichtung der Kommission, des Europäischen Parlaments und des Rates, den Prozess der legislativen Umsetzung des Vorschlags der Kommission zur Einführung der Finanztransaktionssteuer kontinuierlich zu überwachen.

2.   Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem

2.1   Seit 2009 wies die Europäische Kommission auf den G20-Gipfeltreffen (in Pittsburgh, Toronto und Cannes) darauf hin, dass eine Finanztransaktionssteuer weltweit eingeführt werden muss. In diesem Zusammenhang hat die Kommission am 7. Oktober 2010 eine Mitteilung über die Besteuerung des Finanzsektors veröffentlicht (COM(2010) 549 final).

2.2   Nun setzt die Kommission das Thema Besteuerung von Finanztransaktionen in einem systematischeren Rahmen erneut auf die Tagesordnung. Der Vorschlag fügt sich ein in den von der Kommission vorgelegten neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2014-2020. Mit diesem wird das Ziel verfolgt, dem Mehrjahreshaushalt der Europäischen Union mittels eines fundierteren und qualifizierteren Eigenmittelsystems größere Unabhängigkeit zu verleihen (10).

2.3   Die Steuer soll bei Finanztransaktionen zwischen Finanzinstituten angewandt werden. Ausgenommen davon sind: Finanztransaktionen, an denen Bürger und Unternehmen beteiligt sind (Abschluss von Versicherungsverträgen, Hypothekendarlehen, Verbraucherkredite oder Zahlungsdienste), Transaktionen auf dem Primärmarkt (außer Aktienbegebungen und Kapitalrückzahlungen, Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) und an alternativen Investmentfonds (AIF)) sowie Devisenkassageschäfte (nicht aber Devisenderivate).

2.4   Zur Entrichtung der Finanztransaktionssteuer verpflichtet sind Finanzinstitute, die „entweder für eigene oder fremde Rechnung als Partei einer Finanztransaktion oder im Namen einer Transaktionspartei handeln“. Finanzgeschäfte mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken bleiben hiervon unberührt. Rechtspersonen wie zentrale Gegenparteien (ZG), Zentralverwahrer (CSD) und internationale Zentralverwahrer (ICSD) gelten neben der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) nicht als Finanzinstitute, sofern sie Funktionen erfüllen, die nicht als eigentliche Handelstätigkeit anzusehen sind.

2.5   Um dem offensichtlichen Verlagerungsrisiko entgegenzuwirken wird das Ansässigkeits- bzw. Territorialitätsprinzip angewandt, wonach nicht der Ort, an dem die Transaktion stattfindet, sondern die Mitgliedstaaten, in denen die beteiligten Parteien ansässig sind, entscheidend sind. Die Transaktion unterliegt der Steuerpflicht, wenn mindestens eines der an der Transaktion beteiligten Finanzinstitute in der EU ansässig ist.

2.5.1   Nach Maßgabe von Artikel 3 der Richtlinie sind Finanzinstitute dann in einem Mitgliedstaat ansässig, wenn mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:

das Finanzinstitut hat von den Behörden des betreffenden Mitgliedstaates die Genehmigung zur Beteiligung an diesbezüglichen Transaktionen erhalten;

das Finanzinstitut hat seinen eingetragenen Sitz in diesem Mitgliedstaat;

das Finanzinstitut hat seine ständige Anschrift und seinen gewöhnlichen Sitz in diesem Mitgliedstaat;

das Finanzinstitut hat eine Zweigstelle in diesem Mitgliedstaat;

das Finanzinstitut handelt in eigenem Namen, im Auftrag anderer Rechtspersonen oder im Namen einer Partei, die an einer Finanztransaktion mit einem anderen in diesem Mitgliedstaat ansässigen Finanzinstitut oder mit einer im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen Partei, die kein Finanzinstitut ist, beteiligt ist (11).

2.6   Der Steueranspruch entsteht zu dem Zeitpunkt, zu dem die Finanztransaktion durchgeführt wird. Angesichts der unterschiedlichen Arten von Transaktionen sind zwei unterschiedliche Bemessungsgrundlagen vorgesehen. Die erste betrifft Transaktionen, die in keinem Zusammenhang mit Derivatkontrakten stehen. Deren Bemessungsgrundlage entspricht der Gegenleistung, die ein Akteur einem Dritten zahlt oder schuldet. Ist die Gegenleistung geringer als der Marktpreis oder wurde ein solcher nicht festgelegt, wird die Bemessungsgrundlage nach dem Marktpreis ermittelt. Die zweite Bemessungsgrundlage betrifft die mit Derivatkontrakten verbundenen Finanztransaktionen. Deren Bemessungsgrundlage entspricht dem Nominalbetrag des Derivatkontrakts zum Zeitpunkt der Transaktion.

2.6.1   Es gelten folgende Mindeststeuersätze, die die Mitgliedstaaten auf die Bemessungsgrundlage anzuwenden haben:

i)

0,1 % bei Finanztransaktionen, die nicht mit Derivatkontrakten im Zusammenhang stehen;

ii)

0,01 % bei Finanztransaktionen im Zusammenhang mit Derivatkontrakten.

Für jede Transaktionskategorie können die Mitgliedstaaten nur einen Steuersatz anwenden. Die Mitgliedstaaten können jedoch nach freiem Ermessen höhere Steuersätze als die vorgegebenen Mindeststeuersätze anwenden.

2.7   Für die Entrichtung der Steuer ist jedes Finanzinstitut verantwortlich, das an der Transaktion als Beteiligter, im Auftrag anderer Rechtspersonen oder im Namen einer der an der Transaktion beteiligten Partei beteiligt ist bzw. wenn die Transaktion in seinem Namen durchgeführt wurde. Unter bestimmten Voraussetzungen sind alle an der Transaktion beteiligten Parteien gesamtschuldnerisch haftbar. Es liegt im freien Ermessen der Mitgliedstaaten, eventuell weitere Verantwortliche und weitere Pflichten hinsichtlich der Registrierung, der Buchhaltung, der Rechenschaftspflicht und sonstige Vorschriften, die eine wirksame Entrichtung der Steuer sicherstellen, festzulegen.

2.8   Bei elektronisch durchgeführten Transaktionen ist die Steuer zum Zeitpunkt der Entstehung des Steueranspruchs zu entrichten, für die anderen Fälle ist ein Zeitraum von maximal drei Arbeitstagen vorgesehen.

2.9   Es obliegt den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerumgehung, Steuerhinterziehung und Steuermissbrauch zu ergreifen. Die Kommission kann nach Anhörung des Rats in diesem Bereich delegierte Rechtsakte vorschlagen.

2.10   Die Einführung der Finanztransaktionssteuer hat zur Folge, dass die Mitgliedstaaten keine anderen Steuern auf Finanztransaktionen beibehalten oder einführen dürfen.

2.11   Nach dem Vorschlag der Kommission würde die Einführung einer gemeinsamen Mindeststeuer – deren Inkrafttreten für den 1. Januar 2014 vorgesehen ist – eine Harmonisierung der von den Mitgliedstaaten bereits in diesem Bereich ergriffenen Maßnahmen ermöglichen und so ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts sicherstellen.

2.12   Die Entscheidung für die Einführung der Finanztransaktionssteuer wurde auf der Grundlage einer Folgenabschätzung getroffen. Als Option wurde auch die Einführung einer Finanzaktivitätssteuer (FAT) erwogen, die jedoch zugunsten der FTT verworfen wurde. Auf der Grundlage dieser Folgenabschätzung wird das Jahresaufkommen der FTT auf 57 Mrd. EUR geschätzt (voraussichtlich 37 Mrd. davon würden in den EU-Haushalt und die restlichen 20 Mrd. in die Haushalte der einzelnen Mitgliedstaaten fließen) (12).

2.13   Es ist vorgesehen, dass die Kommission dem Rat regelmäßig – erstmals zum 31. Dezember 2016 und danach alle fünf Jahre – einen Bericht über die Umsetzung der Richtlinie und gegebenenfalls Änderungsvorschläge übermittelt.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Mit dieser Stellungnahme möchte der EWSA den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rats über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem (COM(2011) 594 final (13)) bewerten.

3.2   Diese Stellungnahme fügt sich ein in den Rahmen, der durch die Initiativstellungnahme vom 15. Juli 2010 zum Thema „Steuer auf Finanztransaktionen“ und die Stellungnahme vom 15. Juni 2011 zur Mitteilung „Besteuerung des Finanzsektors“ (COM(2010) 549 final, siehe Fußnote 2) abgesteckt wurde.

3.3   Dem Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer liegt die Einsicht zugrunde, dass die Finanzmärkte in den letzten zwanzig Jahren infolge der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien ein exponentielles Wachstum im Bereich der Finanztransaktionen und eine damit verbundene Volatilität der Preise erfahren haben – mit destabilisierenden Folgen für die Weltwirtschaft (14).

3.3.1   Die Finanzmärkte, ursprünglich ein „Mittel“ zur Erschließung von Finanzquellen für die Realwirtschaft, haben sich immer mehr zum „Selbstzweck“ entwickelt und die Realwirtschaft de facto verdrängt. Angesichts dieser Situation hält es der EWSA für angezeigt, diese Märkte Mechanismen zu unterstellen, die mittels Regulierung die Effizienz und mittels der Transparenz die Effektivität sicherstellen und darüber hinaus gleichzeitig gewährleisten können, dass sie, wie andere Produktionsfaktoren, zum EU-Haushalt und den Haushalten der Mitgliedstaaten auf angemessene Weise beitragen können (15).

3.3.2   Der EWSA erinnert daran, dass die derzeitige Krise durch die Finanzkrise von 2007 ausgelöst wurde, die ab 2008 auf die Realwirtschaft durchschlug (16). Er ist der Ansicht, dass der Finanzsektor, der hauptsächlich für die Finanzkrise verantwortlich ist, aufgefordert werden muss, einen angemessenen Beitrag zur Überwindung der Krise zu leisten. Bis heute hat die Unterstützung für den Finanzsektor (sowohl in Bezug auf Finanzierungen als auch auf Garantien) die EU-Mitgliedstaaten 4,6 Billionen EUR oder 39 % des BIP der EU-27 von 2009 gekostet. Dieser Beitrag hat die öffentlichen Finanzen einiger EU-Mitgliedstaaten dramatisch verschlechtert und dadurch eine gefährliche Euro-Krise ausgelöst (17).

3.4   Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag zur Besteuerung von Finanztransaktionen ein Schritt auf dem von der Kommission eingeschlagenen Weg. Im Zuge der Überprüfung der wichtigsten Richtlinien im Wertpapiersektor soll eine bessere Regulierung und mehr Transparenz der Finanzmärkte (18) gewährleistet werden. Dafür hat sich der EWSA in seinen Arbeiten bereits mehrmals ausgesprochen.

3.5   Der EWSA hat sich bereits bei zwei Gelegenheiten für die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen ausgesprochen: zum einen mit der Initiativstellungnahme vom 15. Juli 2010 (siehe Fußnote 2) und zum anderen mit der Stellungnahme vom 15. Juni 2011 (siehe Fußnote 2).

3.5.1   Nach Ansicht des EWSA wird mit dem Kommissionsvorschlag (COM(2011) 594 final) ein europäisches Finanztransaktionssteuersystem eingeführt, das mit den Grundzügen der in den beiden vorgenannten Stellungnahmen geprüften Vorschlägen im Einklang steht.

3.6   Der EWSA ist von der Stichhaltigkeit der Hauptgründe überzeugt, die die Kommission dazu bewogen haben, eine Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene vorzuschlagen:

höhere Besteuerung der Finanzgeschäfte, um einen angemesseneren Beitrag dieser Tätigkeiten zum EU-Haushalt und zu den Haushalten der Mitgliedstaaten zu erhalten;

Änderung des Verhaltens der Finanzakteure, um das Volumen der Hochfrequenzhandelsgeschäfte mit niedriger Latenz (high frequency and low latency trading) zu verringern;

Harmonisierung der FTT in den einzelnen Mitgliedstaaten durch die Einführung von zwei Mindeststeuersätzen (0,1 % für Schuldtitel und Aktien, 0,01 % für Derivate).

3.6.1   Was den Beitrag zum EU-Haushalt und zu den Haushalten der Mitgliedstaaten betrifft, machen die Wirtschaftskrise und die gegenwärtige Staatsschuldenkrise Maßnahmen zur Konjunkturbelebung in einem durch immer stärkere Haushaltszwänge gekennzeichneten Umfeld erforderlich. Die Einführung der Finanztransaktionssteuer, die Teil des neuen EU-Eigenmittelsystems sein soll, würde eine erhebliche Reduzierung der Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt und dadurch eine Konsolidierung der einzelnen Staatshaushalte ermöglichen. Nach einer Schätzung der Kommission könnten die neuen Eigenmittel 2020 ungefähr die Hälfte des EU-Haushaltes ausmachen, und der Anteil der Beiträge der Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens (BNE-Eigenmittel) würde von derzeit über drei Viertel auf ein Drittel schrumpfen.

3.6.1.1   Wie bereits ausgeführt, würde die Einführung der Finanztransaktionssteuer auch für mehr Gerechtigkeit sorgen. In den letzten Jahren hat die Finanzwelt von einer ermäßigten Besteuerung profitiert. Durch die Steuererleichterung des Finanzdienstleistungssektors bei der Mehrwertsteuer ergab sich ein steuerlicher Vorteil von etwa 18 Mrd. EUR pro Jahr.

3.6.1.2   In diesem Zusammenhang hat sich der EWSA bereits für den Vorschlag der Kommission ausgesprochen, das Besteuerungssystem zu ändern, um den entsprechenden Beitrag des Finanzsektors zu erhöhen. Der EWSA hält deshalb den Vorschlag der Kommission für einen Schritt in die richtige Richtung.

3.6.2   Bezüglich der Möglichkeit, durch die Finanztransaktionssteuer die Zahl der mit hohem Risiko behafteten und hoher Volatilität unterliegenden Finanztransaktionen zu senken, soll die Kategorie von Finanztransaktionen betrachtet werden, die vom Vorschlag am meisten betroffen sein sollte. Dank hochentwickelter Informationstechnologien stützen sich die Hochfrequenzhandelsgeschäfte mit niedriger Latenz auf komplizierte mathematische Algorithmen, die innerhalb von Sekundenbruchteilen Marktdaten analysieren und die entsprechenden Interventionsstrategien für die Finanzmärkte (Menge, Preis, Zeitpunkt und Standort der Händler, Kauf- und Verkaufsanweisungen) umsetzen können. Gleichzeitig kann so die Latenzzeit (gemessen in Mikrosekunden = millionstel Sekunde) verkürzt werden kann. Mithilfe solcher Vorgänge ist der Akteur in der Lage, frühzeitig auf Marktentwicklungen zu reagieren und Kauf- und Verkaufsgeschäfte durchzuführen, die innerhalb eines Zeitfensters von nicht einmal einer Minute möglich sind. Bei dieser Art von Transaktionen wird inzwischen von missbräuchlicher Nutzung des elektronischen Handels gesprochen (19).

3.6.2.1   Geschäfte dieser Art haben auf den diversen Finanzmärkten der EU mittlerweile einen Handelsanteil von 13 bis 40 %. Schätzungen zufolge ist der Anteil an Hochfrequenzhandelsgeschäften in den USA in nur vier Jahren (von 2004 bis 2009) von 30 auf 70 % gestiegen (20).

3.6.2.2   Diese Transaktionen haben mit der Funktionsweise der Realwirtschaft nichts mehr gemein und können u.a. dem gesamten Wirtschaftssystem Liquidität entziehen, was die Systemfestigkeit – verstanden als die Widerstandsfähigkeit eines Systems in Krisenzeiten – schwächen kann (21).

3.6.2.3   Die Anwendung der Finanztransaktionssteuer würde durch eine Erhöhung der Transaktionskosten aufgrund des kumulativen Effekts der Steuer den Hochfrequenzhandel dämpfen. Das geringere Volumen des Hochfrequenzhandels würde Finanzinstituten zugute kommen, die auf traditionelle Finanztransaktionen im Bereich Kreditvermittlung ausgerichtet sind. Dies würde zweifelsfrei diejenigen Akteure, die derzeit große Liquiditätsprobleme haben – wie zum Beispiel kleine und mittlere Unternehmen – begünstigen.

3.6.2.4   Die bereits bestehenden Transaktionsbesteuerungssysteme haben gezeigt, dass die Handelsvolumina und die Volatilität der Wertpapierkurse verringert und so die Risikoprämien gesenkt werden können. Deshalb ist anzunehmen, dass die Einführung der Finanztransaktionssteuer in der EU eine entscheidende Wende auch für diese Art von „unproduktiven“ Transaktionen bedeuten würde.

3.6.3   Bezüglich des Ziels der Steuerharmonisierung ist zu berücksichtigen, dass bis jetzt zehn EU-Mitgliedstaaten verschiedene Arten von Steuern auf Finanzaktivitäten und -transaktionen eingeführt haben (Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Rumänien, Polen, Vereinigtes Königreich und Zypern). Diese Staaten werden dazu aufgefordert, ihre Regelungen an die EU-Rechtsvorschrift anzupassen. D.h. von den Staaten wird u.a. verlangt, den Mindeststeuersatz anzuwenden und die jeweiligen Bemessungsgrundlagen an die Vorgaben der EU anzupassen. Die Einführung einer FTT würde für effizientere Finanzmärkte sorgen, da sich die durch unterschiedliche, von den Mitgliedstaaten einseitig festgelegten Steuervorschriften verursachten Marktverzerrungen vermeiden ließen. Sie würde somit zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beitragen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Die Kommission hat unter Annahme eines besonders strikten Szenarios die langfristigen negativen Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer auf das BIP auf zwischen – 0,17 % (bei einem Satz von 0,01 %) und – 1,76 % (bei einem Satz von 0,1 %) geschätzt. Dabei wurden einige „mildernde“ Effekte wie z.B. der Ausschluss des Primärmarktes, der Ausschluss von Transaktionen, an denen mindestens ein Akteur beteiligt ist, der nicht aus dem Finanzsektor kommt, und die Auswirkungen auf andere makroökonomische Variablen nicht berücksichtigt. Werden auch die „mildernden“ Effekte berücksichtigt, würde die negative Auswirkung auf das BIP laut Kommission von – 1,76 % auf – 0,53 % sinken. Bezüglich der Auswirkungen auf die Beschäftigung wurde geschätzt, dass diese sich zwischen – 0,03 % (bei einem Satz von 0,01 %) und – 0,20 % (bei einem Satz von 0,1 %) bewegen würden.

4.2   Werden jedoch neben den langfristigen negativen Auswirkungen auf das BIP infolge der Einführung der Finanztransaktionssteuer auch die positiven Effekte aufgrund der verbesserten Arbeitsweise der Finanzmärkte dank ihrer höheren Stabilität, der Rückverlagerung von Investitionen auf die Realwirtschaft, der Regulierungsmaßnahmen zur Erhöhung der Wirksamkeit, Effizienz und Transparenz der Märkte, der Steuerkonsolidierung in den Mitgliedstaaten dank mehr verfügbaren Mitteln berücksichtigt, dann ist von einem alles in allem positiven Effekt im Hinblick auf die Veränderung des BIP von ca. 0,25 % auszugehen (22).

4.3   Der EWSA erachtet die mit dem Vorschlag der Kommission vorgelegte Folgenabschätzung für unzureichend und hält es daher für notwendig, dass die Kommission zusätzliche Untersuchungen dazu vorlegt, die eine umfassendere Bewertung der Auswirkungen des Vorschlags ermöglichen.

4.3.1   Der EWSA ist der Ansicht, dass dabei folgende Punkte berücksichtigt werden müssen: einige in der vorliegenden Stellungnahme aufgeführte Effekte, die in der Folgenabschätzung der Kommission nicht berücksichtigt wurden; die Erklärungen einiger Hypothesen, von denen die Kommission in ihrer Folgenabschätzung ausgegangen ist (zum Beispiel die Nachfragelastizität der Finanzprodukte, die der Finanztransaktionssteuer unterliegen); die Effekte einer möglichen Überwälzung der Steuer auf die Verbraucher und Unternehmen und die Auswirkungen der Einführung der FTT auf die Beschäftigung im Finanzsektor der EU-Mitgliedstaaten.

4.4   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Einführung der Finanztransaktionssteuer mit angemessenen Methoden erfolgen muss, die die Risiken und die damit verbundenen Kosten neutralisieren oder zumindest reduzieren. Zu den Risiken, die laut EWSA berücksichtigt werden müssen, gehören: die eventuelle Überwälzung der Steuer auf die Kreditkosten für Unternehmen und Verbraucher; die Senkung der Erträge aus Pensionsfonds; die Verlagerung von Finanzinvestitionen; die Erhöhung der Kosten für Unternehmen aus Kurssicherungsgeschäften (Absicherung gegen Rohstoff- und Währungsschwankungen); die Auswirkungen der Steuer auf die Gewinne im Finanzsektor und auf die Mitgliedstaaten, in denen dieser Sektor ein wesentliches Gewicht hat, sowie die Auswirkungen auf die Wirtschaft, da die Einführung der Steuer in eine rezessiv geprägte Wirtschaftsphase fallen könnte.

4.5   Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass diesen Risiken wesentlich größere Chancen und Vorteile gegenüberstehen. Die Finanztransaktionssteuer, die kurzfristige Investitionen belastet, wird zu einem Anstieg der Nachfrage nach mittel- und langfristigen Anlagen führen, wie sie für die Finanzierung von Unternehmen und Staaten üblich sind. Dies hat eine Zunahme der auf den Märkten zur Verfügung stehenden liquiden Mittel zur Folge und trägt somit dazu bei, die Situation der Unternehmen, privaten Haushalte und überschuldeten Staaten zu verbessern. Von besonderer Bedeutung ist die Stabilisierung an den Märkten für Derivate. Tatsächlich sind die Eigenschaften dieser Produkte von erheblicher Bedeutung für die Zahl der getätigten Transaktionen, wodurch die Verbreitung von Produkten, die wesentlich zur derzeitigen Krise der Finanzmärkte und der Weltwirtschaft beigetragen haben, gebremst wird.

4.6   Der mögliche zusätzliche Abzug von den Pensionsfonds infolge der Einführung der Finanztransaktionssteuer wäre angesichts der Modalitäten und Arten der Anlagen von bescheidenem Ausmaß; außerdem könnte eine eventuelle Aufwertung der typischen Assets von Pensionsfonds (Anlagen mit geringer Volatilität) die eventuellen Ertragseinbußen durch die Steuer kompensieren und noch übersteigen. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass eine Reduzierung der Steuersätze oder einige Formen von Steuerbefreiungen im Bereich der Pensionsfonds geprüft werden könnten, um damit die Auswirkungen auf die Pensionsfonds zu neutralisieren oder zu reduzieren.

4.7   Der Geltungsbereiche und die Sätze der Finanztransaktionssteuer sind so gestaltet, dass die negativen Auswirkungen der Verlagerung von Investitionen und Finanzfonds in Drittstaaten eingeschränkt werden. Darauf hatte der EWSA bereits im Zusammenhang mit der nicht weltweiten Einführung der Steuer hingewiesen.

4.7.1   Im Hinblick auf den Geltungsbereich der Finanztransaktionssteuer hat die Anwendung des Ansässigkeitskriteriums (bzw. des Territorialitätsprinzips) zur Folge, dass auch in der EU ansässige Finanzinstitute aus Drittländern der Steuer unterliegen, womit ein umfassende Anwendung der Steuer gewährleistet wird. Die Definition der Ansässigkeit von Finanzinstituten im Sinne der Bestimmung des Mitgliedstaates, der die Steuer einzieht, ermöglicht es auch, Steuerumgehung und Steuerhinterziehung erfolgreich einzuschränken.

4.7.2   Um die Effekte der Verlagerung von Finanztransaktionen noch weiter zu neutralisieren, unterstützt der EWSA den vom Europäischen Parlament gemachten Vorschlag, das Herausgabekriterium („issuance principle“) einzuführen. Diesem Kriterium zufolge wird die Steuer (in Form einer Stempelsteuer, „stamp duty“) auf alle Transaktionen erhoben, die von in der EU registrierten juristischen Personen emittierte Finanzinstrumente betreffen (23).

4.7.3   Im Hinblick auf die Anwendung der Steuersätze erinnert der EWSA zwar daran, dass er in der Stellungnahme von 2010 (siehe Fußnote 2) die Anwendung eines einheitlichen Steuersatzes von 0,05 % empfohlen hatte, stimmt aber zu, dass die Anwendung der beiden von der Kommission vorgeschlagenen Sätze dazu beiträgt, das Risiko der Verlagerung der Märkte zu senken und angemessene Haushaltsmittel für die Union und die Mitgliedstaaten sicherzustellen.

4.7.4   Der EWSA erinnert außerdem daran, dass dort, wo die Finanztransaktionssteuer mit besonderer Sorgfalt bezüglich ihrer Verwaltung, der Bemessungsgrundlage und der Anwendung des Steuersatzes eingeführt wurde, positive Ergebnisse in puncto Steueraufkommen ohne Beeinträchtigung des Wirtschaftswachstums erzielt wurden. Dies war in folgenden Ländern der Fall: Südkorea, Hongkong, Indien, Brasilien, Taiwan und Südafrika (24).

4.8   Wird der Primärmarkt von der Besteuerung ausgenommen, minimiert dies die Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer auf die Finanzierungskosten von Sachgütern und beschränkt sie auf indirekte Folgen im Zusammenhang mit der geringeren Liquidität, die diese Steuer in Bezug auf die von den Finanzinstituten gehandelten Wertpapiere verursachen kann.

4.9   Da die Steuer auch auf Währungsderivatkontrakte, jedoch nicht auf Devisenkassageschäfte angewendet wird, ermöglicht sie eine Intervention bei einem Großteil der spekulativen Geschäfte auf den Devisenmärkten (25). Eine eventuelle Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Finanztransaktionssteuer auf Devisenkassatransaktionen würde (in Anbetracht der vorgesehenen Steuersätze) weder den freien Kapitalverkehr einschränken, noch gegen die entsprechenden Kapitel des Vertrags von Lissabon verstoßen (Leading Group on Innovating Financing for Development, Paris, Juni 2010).

4.10   Wie bereits vom EWSA angemerkt (Stellungnahme von 2011, siehe Fußnote 2), sind die Finanztransaktionssteuer und die Finanzaktivitätssteuer keine alternativen Besteuerungssysteme. Die FTT fällt im Wesentlichen auf kurzfristige Transaktionen an, während die FAT auf die Gesamtheit der Finanztätigkeiten erhoben wird (damit auch auf Geschäfte am Primärmarkt). Die Einführung der FTT schließt auch die Anwendbarkeit eines europäischen FAT-Systems nicht aus, zumal wenn das vorrangige Ziel „ein gerechter und wesentlicher Beitrag des Finanzsektors zu den öffentlichen Finanzen“ (Stellungnahme von 2010, siehe Fußnote 2) und die Harmonisierung der Steuererhebung auf Finanztätigkeiten zur Stärkung des Binnenmarktes ist. Darüber hinaus bestärkt die Anwendung eines europäischen Systems der Besteuerung von Finanztransaktionen per se die Notwendigkeit einer größeren Übereinstimmung der Besteuerungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten im Hinblick auf Finanztätigkeiten im Allgemeinen.

4.10.1   Die Finanztransaktionssteuer hat einen progressiven Umverteilungseffekt, sowohl aufgrund der stärkeren Nutzung der vom Finanzsektor erbrachten Dienstleistungen durch Personen mit hohem Einkommen, als auch aufgrund der Tatsache, dass sie privaten Haushalten und Unternehmen, die nicht im Finanzbereich tätig sind, keine direkten Kosten verursacht. Denn die Steuer wird nicht auf die – diese beiden Gruppen betreffende – Vergabe und Aufnahme von Darlehen erhoben. Diese Transaktionen wären nur durch eventuelle indirekte Kosten betroffen, die sich aus der geringeren Liquidität der Finanzinstitute ergeben könnten.

4.11   Die Erhebung der Steuer ist einfach und verursacht für auf den Märkten getätigte Transaktionen und im Allgemeinen auch für registrierte Transaktionen nur geringe Kosten. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Registrierungspflichten für Finanztransaktionen auszuweiten und auch auf Over-the-counter-Geschäfte auszudehnen, welche nicht standardisierte Produkte betreffen, die im sogenannten außerbörslichen Handel bilateral zwischen zwei Parteien gehandelt werden.

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Das Europäische Parlament „befürwortet die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die die Funktionsweise des Marktes durch eine Reduzierung der Spekulationsgeschäfte verbessern und dazu beitragen würde, globale Kollektivgüter zu finanzieren und die öffentlichen Defizite zu verringern“.

Entschließung des Europäischen Parlamentes vom 8. März 2011 zur innovativen Finanzierung auf globaler und europäischer Ebene (2010/2105 (INI)).

(2)  Initiativstellungnahme vom 15.7.2010 zum Thema Steuer auf Finanztransaktionen (ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 81).

Stellungnahme zur Mitteilung vom 15.6.2011Besteuerung des Finanzsektors (COM(2010) 549 final) (ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 64).

(3)  Stellungnahme zur Mitteilung „Überprüfung des EU-Haushalts“ (ABl. C 248 vom 25.8.2011 S. 75).

(4)  Algirdas ŠEMETA, „EU tax coordination and the financial sector“ (Steuerkoordination in der EU und der Finanzsektor), Rede des für Steuern und Zollunion, Audit und Betrugsbekämpfung zuständigen Kommissionsmitglieds vom 17.2.2012 in London (Speech/12/109).

Entschließung des Europäischen Parlaments zur innovativen Finanzierung auf globaler und europäischer Ebene (P7_TA-PROV(2011)0080).

(5)  Entwurf eines Berichts des Europäischen Parlaments über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG, Berichterstatterin: ANNI PODIMATA (10.2.2012).

(6)  Schulmeister, S., 2011, Implementation of a General Financial Transaction Tax. Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, in Auftrag gegeben von der Bundesarbeitskammer.

Griffith-Jones, S., Persaud, A., 2012, Financial TransactionTaxes, http://www.europarl.europa.eu/document/activities/cont/201202/20120208ATT37596/20120208ATT37596EN.pdf.

(7)  Siehe Folgenabschätzung der Kommission: SEC(2011) 1103 final.

(8)  Griffith-Jones, S., Persaud, A., 2012, ebenda.

(9)  Europäische Kommission, 2011, Eurobarometer 76 – Public opinion in the European Union - First Results („Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union – Erste Ergebnisse“). Erhebung: November 2011. Veröffentlichung: Dezember 2011.

(10)  Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2014-2020 (COM(2011) 398 final). Damit wird die Mitteilung der Kommission „Ein Haushalt für Europa 2020“ vom 29. Juni 2011 (COM(2011) 500 final) umgesetzt.

(11)  Werden mehrere Bedingungen erfüllt, dient die erste erfüllte Bedingung der genannten Auflistung zur Bestimmung des Mitgliedstaats der Ansässigkeit.

(12)  Europäische Kommission, Brüssel, 28. September 2011, SEC(2011) 1103 final, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen – Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG.

(13)  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG (COM(2011) 594 final).

(14)  Das Volumen der Währungstransaktionen ist im Vergleich zum Waren- und Dienstleistungshandel weltweit mindestens 70-mal größer. Der Handelsumsatz auf den Derivatemärkten war 2006 in Europa 84-mal höher als das BIP, während der Handelsumsatz auf dem Spotmarkt (Käufe oder Verkäufe von Währungen oder Wertpapieren mit unmittelbar abgeschlossenen Verträgen – on the spot), nur 12-mal höher als das nominale BIP der EU war.

Schulmeister, S., Schratzenstaller, M., Picek, O, 2008, A General Financial Transaction Tax – Motives, Revenues, Feasibility and Effects,Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), im Auftrag des Ökosozialen Forums Österreich, mit finanzieller Unterstützung des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, März 2008.

(15)  Haug, J., Lamassoure, A., Verhofstadt, G.,Gros, D., De Grauwe, P., Ricard-Nihoul, G., Rubio, E., 2011, Europe for Growth – For a Radical Change in Financing the EU.

Bericht der de-Larosière-Gruppe (ABl. C 318 vom 23.12.2009).

Europäisches Parlament, 15. Juni 2010, Bericht über die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialkrise: Empfehlungen in Bezug auf die zu ergreifenden Maßnahmen und Initiativen (2010/2242 (INI)); Berichterstatterin: PERVENCHE BERÈS.

Europäisches Parlament, 8. März 2010, Entschließung zu Steuern auf Finanzgeschäfte. (2009/2750 (RSP)).

Europäisches Parlament, 8. März 2011, Entschließung zu einer innovativen Finanzierung auf globaler und europäischer Ebene. (2010/2105(INI)); Berichterstatterin: ANNI PODIMATA.

(16)  Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung – Instrumente für bessere wirtschaftspolitische Steuerung der EU(ABl. C 107 vom 6.4.2011).

(17)  Europäische Kommission, Brüssel, 28. September 2011, SEC(2011) 1103 final, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen - Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitdokument zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG.

(18)  Brüssel, 20. Oktober 2011, COM(2011) 656 final, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rats über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.

Brüssel, 20. Oktober 2011, COM(2011) 652 final, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung [EMIR] über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister.

(19)  Schulmeister, S., (2011), ebenda,

New York Times, 23.7.2011, Stock Traders Find Speed Pays, in Milliseconds. Duhigg, C.

(20)  Europäische Kommission, 8. Dezember 2010, öffentliche Konsultation zum Thema – Review of the Markets in Financial Instrument Directive (MiFID) („Überarbeitung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente – MiFID“), Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen.

Europäische Kommission, 20. Oktober 2010, SEC(2011) 1226 final, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen. Impact Assessment Accompanying the document Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Markets in financial instruments [Recast] and the Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on Markets in financial instruments.

Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, 2011, ebenda.

(21)  Persaud, A., 14. Oktober 2011, La Tobin Tax? Si può fare (Die Tobinsteuer ist machbar) (www.lavoce.info).

(22)  Griffith-Jones, S., Persaud, A., 2012, ebenda.

(23)  Sollten die Vertragspartner die Stempelsteuer nicht entrichten, wird der Kaufvertrag unwirksam. Europäisches Parlament Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG. Berichterstatterin ANNI PODIMATA (10.2.2012).

(24)  Griffith-Jones, S., Persaud, A., 2012, ebenda.

(25)  Devisentransaktionen sind genau die Art von Transaktionen, für die diese Steuer von J. Tobin erfunden wurde; Tobin, J., 1978, A Proposal for International Monetary Reform. Prof Tobin's Presidential Address at 1978 Conference of Eastern Economic Association. Wash. D.C., Cowles Foundation Paper – Reprinted for Eastern Economic Journal, 4(3-4) Juli-Oktober 1978.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:

Ziffer 1.1

Nach Ziffer 1.1. neue Ziffer 1.2 einfügen:

Der Ausschuss bringt jedoch seine große Besorgnis bezüglich der negativen Auswirkungen der Steuer auf Wachstum und Beschäftigung zum Ausdruck, auf die von der Europäischen Kommission in der Folgenabschätzung hingewiesen wird. Auch außerhalb der Finanzbranche sind negative Auswirkungen, insbesondere in Bezug auf den Kapitalzugang kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) und der Landwirte, sowie steigende Kosten für Kreditnehmer und Rentenansparer zu befürchten. Die vorgeschlagene Steuer wird auch voraussichtlich die Kaufkraft von Haushalten mit niedrigem Einkommen schwächen.

Begründung

Erfolgt mündlich.

Der Änderungsantrag wird mit 143 gegen 93 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen abgelehnt.

Ziffer 1.10

Ändern:

Der EWSA betont die Notwendigkeit, die negativen makroökonomischen und mikroökonomischen Folgen der Anwendung der Finanztransaktionssteuer sorgfältig zu bedenken und die daraus resultierenden Risiken und Kosten zu neutralisieren oder zumindest zu reduzieren. Diesbezüglich ist festzustellen, dass aufgrund des in jedem Mitgliedstaat unterschiedlichen Anteils des Finanzsektors an der gesamten Wirtschaft die Belastung durch diese Steuer wohl nicht gleichmäßig auf die Mitgliedstaaten verteilt sein wird. Deshalb ist der EWSA der Ansicht, dass geeignete Ausgleichsmechanismen erwogen werden sollten, mit denen die größten negativen Auswirkungen der FTT auf die Realwirtschaft ausgeglichen werden können.

Begründung

Es ist eine Tatsache, dass der Finanzsektor in jedem Mitgliedstaat ein unterschiedliches relatives wirtschaftliches Gewicht in Bezug auf die Gesamtwirtschaft hat. Deshalb ist es richtig, dass der EWSA diese Tatsache zur Kenntnis nimmt.

Der Änderungsantrag wird mit 137 gegen 86 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen abgelehnt.

Ziffer 3.3.2

Ändern:

Der EWSA erinnert daran, dass die derzeitige Krise durch die Finanzkrise von 2007 ausgelöst wurde, die ab 2008 auf die Realwirtschaft durchschlug (1) . Er ist der Ansicht, dass der Finanzsektor, der (gemeinsam mit den Politikern) hauptsächlich für die Finanzkrise verantwortlich ist, aufgefordert werden muss, einen angemessenen Beitrag zur Überwindung der Krise zu leisten. Bis heute hat die Unterstützung des Finanzsektors (sowohl im Bezug auf Finanzierungen als auch auf Garantien) die EU-Mitgliedstaaten 4,6 Billionen EUR oder 39 % des BIP der EU-27 von 2009 gekostet. Dieser Beitrag hat die öffentlichen Finanzen einiger EU-Mitgliedstaaten dramatisch verschlechtert und dadurch eine gefährliche Euro-Krise ausgelöst (2).“

Begründung

Wenn von den Verantwortlichen für die Krise die Rede ist, dürfen die Politiker nicht unerwähnt bleiben. Es liegt auf der Hand, dass ihr langjähriges unverantwortliches Handeln in vielen Staaten erheblich zur Krise beigetragen hat.

Der Änderungsantrag wird mit 154 gegen 72 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen abgelehnt.

Ziffer 4.6

Ändern:

Der mögliche zusätzliche Abzug von den Pensionsfonds infolge der Einführung der Finanztransaktionssteuer wäre könnte angesichts der Modalitäten und Arten der Anlagen möglicherweise als von bescheidenem Umfang angesehen werden; außerdem könnte und eine eventuelle Aufwertung der typischen Assets der Pensionsfonds (Anlagen mit geringerer Volatilität) kompensiert und übersteigt die eventuellen Ertragseinbußen durch die Steuer kompensieren und noch übersteigen. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass als Folge dieser Steuer die Höhe künftiger Renten sinken wird, was besondere Bedeutung für die Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten hat, in denen Mittel aus kapitalgedeckten Systemen der Altersvorsorge einen sehr großen Teil der Renten ausmachen. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass zur Neutralisierung oder Reduzierung der Auswirkungen auf die Pensionsfonds Transaktionen wie die Leistung von Beiträgen zu diesen Fonds oder deren letztliche Auszahlung vollständig von dieser Steuer zu befreien sind und dass bei den übrigen Transaktionen eine erhebliche Reduzierung der Steuersätze oder einige Formen von Steuerbefreiungen im Bereich der Pensionsfonds geprüft werden könnten sollten, um damit die Auswirkungen auf die Pensionsfonds zu neutralisieren oder zu reduzieren .“

Begründung

In der Studiengruppensitzung wurden Informationen vorgelegt, wonach die Einführung dieser Steuer zu einer Verringerung kapitalgedeckter Renten um bis zu 5 % führen kann. Es lässt sich moralisch nicht rechtfertigen, dass Millionen künftiger europäischer Rentner auf diese Weise gezwungen werden, eine Kürzung ihrer meist geringen Renten hinzunehmen.

Der Änderungsantrag wird mit 142 gegen 82 Stimmen bei 19 Stimmenthaltungen abgelehnt.

Ziffer 4.7.3

Ändern:

Im Hinblick auf die Anwendung der Steuersätze erinnert der EWSA zwar daran, dass er in der Stellungnahme von 2010 (siehe Fußnote 2) die Anwendung eines einheitlichen Steuersatzes von 0,05 % empfohlen hatte, stimmt aber zu, dass die Anwendung der beiden von der Kommission vorgeschlagenen Sätze dazu beiträgt, das Risiko der Verlagerung der Märkte zu senken und angemessene Haushaltsmittel für die Union und die Mitgliedstaaten sicherzustellen. Der EWSA ist allerdings der Auffassung, dass der Steuersatz höchstens 0,05 % betragen sollte, wenn die Steuer nur in den EU-Mitgliedstaaten und nicht weltweit eingeführt wird, und dass eine mögliche Anhebung auf 0,1 % (wie die Kommission sie vorschlägt) nach einigen Jahren und nach sorgfältiger Prüfung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer verbindlichen Regelung erfolgen sollte.

Begründung

Es gibt keinerlei Anlass für den EWSA, seinen früheren Standpunkt in Bezug auf einen maximalen Steuersatz in Höhe von 0,05 % zu ändern, vor allem wenn man die zahlreichen schwer vorherzusehenden Folgen der vorgeschlagenen Regelung bedenkt.

Der Änderungsantrag wird mit 144 gegen 85 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen abgelehnt.


(1)  Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung – Instrumente für bessere wirtschaftspolitische Steuerung der EU (ABl. C 107 vom 6.4.2011).

(2)  Europäische Kommission, Brüssel, 28. September 2011, SEC(2011) 1103 final, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen - Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitdokument zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/64


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäft und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)“

COM(2011) 651 final — 2011/0295 (COD)

und zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Sanktionen für Insider-Geschäfte und Marktmanipulation“

COM(2011) 654 final — 2011/0297 (COD)

(2012/C 181/12)

Berichterstatter: Arno METZLER

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 25. November 2011 bzw. am 15. November 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und 304 des Vertrags über Arbeitsweise der Europäischen Union um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäft und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)

COM(2011) 651 final — 2011/0295 (COD).

Der Rat beschloss am 2. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 des Vertrags über Arbeitsweise der Europäischen Union um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Sanktionen für Insider-Geschäfte und Marktmanipulation

COM(2011) 654 final — 2011/0297 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479 Plenartagung am 28./29. März (Sitzung vom 28. März mit 138 gegen 2 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Inhalte und Schlussfolgerungen

1.1   Der EWSA begrüßt, dass die Kommission mit ihrem Vorschlag den durch die geltende Marktmissbrauchsrichtlinie geschaffenen Rahmen aktualisiert und damit das Vertrauen in die Integrität der Kapitalmärkte schützt.

1.2   Der EWSA stimmt dem von der Kommission unterbreiteten Vorschlag grundsätzlich zu. In Bezug auf die konkrete Ausgestaltung des Vorschlages der Kommission in Gestalt einer Verordnung und einer Richtlinie hat der EWSA jedoch verschiedene Bedenken, die teilweise grundlegender Art sind.

1.3   Insbesondere die unklare Formulierung von vielen Tatbeständen in dem Entwurf für eine Verordnung zum Marktmissbrauch sowie die Überantwortung der weiteren Konkretisierung an ESMA bzw. die Kommission auf Level-2-Ebene sind geeignet, erhebliche Rechtsunsicherheit zu erzeugen. Dies gibt im Hinblick auf den rechtsstaatlichen Grundsatz der Bestimmtheit von Strafnormen Anlass zu Kritik. Der Grundsatz der Bestimmtheit von Strafnormen ist nicht nur in den Verfassungen der Mitgliedstaaten, sondern auch in der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert. Es dürfte weder im Interesse der Kommission, noch im Interesse der Mitgliedstaaten sowie der Rechtsanwender sein, wenn ein europäischer Rechtssetzungsakt derartige grundsätzliche verfassungs- und strafrechtliche Bedenken auslöst. Der EWSA fordert die Kommission daher zu einer weitergehenden Konkretisierung der Tatbestände noch auf Level-1-Ebene auf.

1.4   Anlass zu Kritik gibt auch Art. 11 des Vorschlages für die Verordnung, der jeden, der gewerbsmäßig Geschäfte mit Finanzinstrumenten vermittelt oder ausführt zur Einführung von Mechanismen zur Aufdeckung von Marktmissbrauch verpflichtet. Ein Mehr an bürokratischem Aufwand bedeutet nicht zwangsläufig eine Verbesserung der Regulierung. Der EWSA befürwortet eine effiziente und ausgewogene Regulierung. Die Regelung lässt nicht nur befürchten, dass eine Masse unqualifizierter Meldungen abgegeben wird, was nicht im Sinne der Aufsichtsbehörden sein kann. Er benachteiligt auch gerade kleine Kreditinstitute in unverhältnismäßiger Weise und ist daher geeignet, lokale Wirtschaftskreisläufe und damit insbesondere die Interessen der Bevölkerung sowie kleiner und mittlerer Unternehmen in ländlichen Regionen zu beeinträchtigen. Der EWSA fordert die Kommission auf, diesen Bedenken Rechnung zu tragen und einen differenzierten Regelungsansatz zu wählen, wie die Kommission dies auch etwa in Bezug auf die Entlastung kleiner und mittlerer Emittenten in verschiedenen aktuellen Regelungsvorschlägen tut.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

2.1   Mit dem Erlass der Richtlinie 2003/6/EG zu Insidergeschäften und Marktmanipulation ist auf europäischer Ebene erstmals eine Rechtsvereinheitlichung der Regelungen für Marktmissbrauch angestrebt worden. Am 20. Oktober 2011 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Überarbeitung dieser Richtlinie in Form einer Richtlinie (MAD) und einer Verordnung (MAR) über Marktmissbrauch veröffentlicht.

2.2   Ziel der Kommission ist es, den durch die geltende Marktmissbrauchsrichtlinie geschaffenen Rahmen zu aktualisieren und für eine fortschreitende Vereinheitlichung der europäischen Regelungen für Insidergeschäfte und Marktmanipulation zu sorgen. Dabei reagiert die Kommission auf sich verändernde Marktgegebenheiten.

2.3   Während die Markmissbrauchsrichtlinie nur an geregelten Märkten gehandelte Finanzinstrumente erfasst, dehnt der Vorschlag den Anwendungsbereich auf Finanzinstrumente aus, die auf neuen Handelsplattformen und außerbörslich („over the counter“ – OTC) gehandelt werden. Daneben erweitert der Vorschlag die Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse der Regulierungsbehörden und soll den Verwaltungsaufwand für kleine und mittlere Emittenten verringern.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der EWSA begrüßt, dass die Kommission mit ihrem Vorschlag auf sich verändernde Marktgegebenheiten reagiert und den durch die Marktmissbrauchsrichtlinie geschaffenen Rahmen zu aktualisieren beabsichtigt. Insiderhandel und Marktmissbrauch beeinträchtigen das Vertrauen in die Integrität der Märkte, das eine unverzichtbare Voraussetzung für einen funktionsfähigen Kapitalmarkt ist.

3.2   Die Ausdehnung des Anwendungsbereiches der geltenden Regelungen zum Marktmissbrauch auf nicht an geregelten Märkten gehandelte Finanzinstrumente sowie auf die Nutzung hochentwickelter Technologien zur Umsetzung von Handelsstrategien wie dem Hochfrequenzhandel ist ein sinnvolles Vorgehen. Dies kann aber nur dann die Integrität der Märkte gewährleisten helfen, wenn deutlich ist, welche praktischen Folgen die Ausweitung des Anwendungsbereiches für die neu aufgenommenen, außerbörslich gehandelten Finanzinstrumente und den Hochfrequenzhandel haben soll.

3.3   Eine größere Harmonisierung der Regelungen für Insidergeschäfte und Marktmissbrauch ist begrüßenswert. Die Ausgestaltung des vorliegenden Kommissionsvorschlages durch eine Verordnung und eine Richtlinie zum Marktmissbrauch ist allerdings geeignet, eine Vielzahl rechtlicher Probleme, insbesondere im Hinblick auf durch den Vorschlag jeweils betroffene allgemeine straf- und verfassungsrechtliche Prinzipien, aufzuwerfen und gibt aus diesem Grund Anlass für Kritik.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Der EWSA begrüßt die Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf außerbörslich gehandelte Finanzinstrumente. Unklar bleibt allerdings, in welcher Form diese von dem Vorschlag erfasst werden sollen. Für außerbörslich gehandelte Finanzinstrumente gibt es oftmals gar keinen Markt, da sie lediglich bilateral gehandelt werden. Insoweit dürfte für die Rechtsanwender eine weitere Konkretisierung, etwa durch Ausarbeitung von Beispielsfällen durch die Kommission oder ESMA, hilfreich sein.

4.2   Der EWSA begrüßt grundsätzlich auch die Einbeziehung hochentwickelter Technologien zur Umsetzung von Handelsstrategien in den Anwendungsbereich der Regelungen zum Marktmissbrauch. Zu bedenken ist aber, dass der auf Algorithmen basierende Handel nicht per se negativ ist, sondern von Kreditinstituten auch zur Abwicklung von alltäglichen Ordergeschäften durch Privatkunden genutzt wird. Daher bedarf es für die Rechtsanwender auch hier einer weiteren Konkretisierung dessen, was rechtlich zulässig ist. Hierfür bietet sich ebenfalls eine Ausarbeitung von Beispielfällen durch die Kommission oder ESMA an.

4.3   Die Europäische Union hat bei einer Rechtssetzung auf dem Gebiet des Strafrechts den Subsidiaritätsgrundsatz zu beachten. Das geltende Recht sieht eine Regelung in der Form einer Richtlinie vor, Kritik an diesem Ansatz ist nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, warum die Kommission diesen Ansatz nicht weiterhin verfolgt. Der Vorschlag sieht im Hinblick auf die Sanktionen eine Regelung in der Richtlinie (MAD) vor. Die zu sanktionierenden Tatbestände sind dagegen in der Verordnung (MAR) geregelt und sollen in den Mitgliedstaaten unmittelbare Anwendung finden.

4.4   Die Regelung der Tatbestände in der Form einer Verordnung ist zweifelhaft, da die vorgeschlagenen Regelungen zu einer Vielzahl an Rechtsanwendungsschwierigkeiten führen dürften. Diese können – anders als bei einer Richtlinie – von den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung nicht mehr verhindert werden. Im Sinne der Zielsetzung des Kommissionsvorschlags sollten Schwierigkeiten der Rechtsanwendung jedoch vermieden werden.

4.5   Rechtsanwendungsschwierigkeiten dürften durch die fehlende Präzisierung von Formulierungen sowie durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe verursacht werden. Die durch Sanktionsnormen hervorgerufene Rechtsunsicherheit berührt allgemeine Prinzipien des Verfassungsrechts sowie des Strafrechts. Dazu gehört der Grundsatz der Bestimmtheit von Strafnormen (nulla poena sine lege certa – z.B. Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz, Art. 25 Abs. 2 der italienischen Verfassung). Demnach muss eine Norm klar erkennen lassen, in welchen Fällen ein Verhalten sanktioniert wird. Dieses allgemeine rechtsstaatliche Prinzip ist auch in Art. 7 EMRK verankert. Der EWSA hat im Hinblick auf die Mehrheit der Regelungen in dem Vorschlag für die Verordnung Zweifel, ob dieser Grundsatz hinreichend berücksichtigt worden ist. Bereits das geltende Regelungsregime zum Insiderrecht wird, jedenfalls in der deutschen juristischen Fachliteratur, als zu große Rechtsunsicherheiten erzeugend und aus diesem Grunde kritisch gesehen.

4.6   Rechtsunsicherheit wird zudem erzeugt durch diejenigen Vorschriften, die die Kommission bzw. ESMA ermächtigen, auf Level-2-Ebene Konkretisierungen der Sanktionstatbestände vorzunehmen, wie es in Art. 8 Abs. 5 des Vorschlages zur MAR der Fall ist. Zwar ergibt sich aus Art. 8 selbst keine Rechtsfolge, da die Vorschrift lediglich den Begriff der Marktmanipulation bestimmt. Gleichwohl wäre es rabulistisch auf die unmittelbar fehlende Sanktionswirkung von Art. 8 zu verweisen, da die Vorschrift als maßgeblicher Definitionstatbestand für das Delikt des Marktmissbrauches im Ergebnis zwingend Bestandteil der Sanktionsnorm ist. Zudem enthält der Anhang I zur MAR bereits einen Katalog von Indikatoren in Bezug auf einzelne Tatbestandsmerkmale von Art. 8, so dass es fragwürdig ist, diesen in einem weiteren Schritt auf Level-2-Ebene noch zu konkretisieren. Der EWSA hat Verständnis für das dieser Vorgehensweise wohl zugrunde liegende Anliegen der Kommission, eine laufende Anpassung an aktuelle Marktentwicklungen zu ermöglichen und deshalb die Konkretisierung einzelner Elemente oder Aspekte der Kommission oder ESMA zuzuweisen. Neue Marktentwicklungen können auch die Anforderungen an die Aufsicht verändern. Dieses Vorgehen ist im Hinblick auf die betroffene Regelungsmaterie des Strafrechts jedoch rechtsstaatlich bedenklich. Zudem ist aus dem Zusammenspiel von Art. 8, dem Anhang und ggf. weiteren konkretisierenden Maßnahmen kaum noch in nachvollziehbarer Weise zu entnehmen, welches Verhalten sanktioniert werden soll.

4.7   Auch dürfte ESMA durch die auf Level-2-Ebene – nicht nur aufgrund des Vorschlages zur Regelung von Marktmissbrauch, sondern auch und parallel aufgrund des Vorschlages zur Neufassung der Richtlinie 2004/39/EG (MiFID) – vorzunehmenden Konkretisierungen überlastet werden. Dies lässt wiederum zeitliche Verzögerungen und fortbestehende Unsicherheiten befürchten.

4.8   Zweifelhaft in Bezug auf den Adressatenkreis ist die in Art. 11 Abs. 2 des Entwurfes zur MAR getroffene Regelung, die jeden, der gewerbsmäßig Geschäfte mit Finanzinstrumenten vermittelt oder ausführt, verpflichtet, Mechanismen zur Abwehr und zur Aufdeckung von Marktmissbrauch zu schaffen.

4.9   Personen, die beruflich Geschäfte mit Finanzinstrumenten tätigen, trifft bereits eine Pflicht zur Verdachtsanzeige (vgl. Art. 6 Abs. 9 Marktmissbrauchsrichtlinie). Diese Verdachtsanzeigen liefern, jedenfalls nach Aussage der deutschen Aufsichtsbehörde BaFin (vgl. Bericht BaFin Journal Juli 2011, S. 6 ff) gut verwertbare Hinweise. Ihre Zahl steigt stetig an.

4.10   Die Einführung von systemischen Aufdeckungsmechanismen ist geeignet, zu einer Vervielfachung vermeintlich verdächtiger Meldungen zu führen. Eine Masse an unqualifizierten Meldungen kann jedoch nicht im Sinne der Aufsichtsbehörden sein. Praktisch scheint das Problem in Bezug auf Verstöße gegen das Marktmissbrauchsverbot weniger zu sein, dass die Aufsicht keine Kenntnis von den Delikten erhält, als vielmehr, dass die überwiegende Zahl von Verfahren von den Staatsanwaltschaften nicht verfolgt bzw. gegen Geldzahlung eingestellt wird. Möglicherweise fehlt es insoweit in den Mitgliedstaaten etwa an spezialisierten Abteilungen in den Staatsanwaltschaften.

4.11   Auch ist fraglich, ob jeder, der gewerbsmäßig Geschäfte mit Finanzinstrumenten vermittelt oder ausführt, überhaupt der geeignete Adressat für die Schaffung von Systemen ist, mit denen Marktmissbrauch verhindert und aufgedeckt werden soll.

4.12   Einen umfassenden Überblick über den nationalen Handel dürften jedenfalls die Handelsüberwachungsstellen der Börsen haben. Da Marktmissbrauch grenzüberschreitend erfolgen kann, würde es der EWSA begrüßen, wenn diese zu einem Ausbau ihrer internationalen Zusammenarbeit ermächtigt werden würden.

4.13   Insbesondere ist auch fraglich, ob kleine und mittlere Kreditinstitute zur Schaffung systemischer Mechanismen zur Abwehr und Aufdeckung von Marktmissbrauch verpflichtet werden sollten. Diese dürften von der Schaffung gesonderter Mechanismen vermutlich überfordert werden. Kleine und mittlere Kreditinstitute kommen oftmals in ländlichen Regionen vor und sind für die Versorgung der dort ansässigen Bevölkerung sowie kleiner und mittlerer Unternehmen wichtig. Damit tragen sie zur Stabilisierung lokaler Wirtschaftskreisläufe und zur Förderung lokaler Beschäftigung bei. Beispielhaft zu nennen sind hier etwa die Kreditgenossenschaften wie die Cajas Rurales in Spanien oder die Volks- und Raiffeisenbanken in Deutschland. Kreditinstitute können nicht die Aufgaben der Aufsicht übernehmen. Die Aufdeckung und insbesondere die Bewertung von Fällen von Marktmissbrauch ist Aufgabe der Aufsichtsbehörden.

4.14   Zudem stünde eine – zusätzliche – Belastung kleiner und mittlerer Kreditinstitute im Widerspruch zu dem Ziel der Kommission, mit den Vorschlägen zugleich den Verwaltungsaufwand für kleine und mittlere Emittenten zu verringern. Dieses Ziel hat sich die Kommission, neben weiteren Zielen, nicht nur bei der Unterbreitung ihres Regelungsvorschlages zum Marktmissbrauch, sondern etwa auch bei demjenigen zur Überarbeitung der Transparenzrichtlinie 2004/109/EG gesetzt. Spektakuläre Fälle von Marktmanipulation, die im Zusammenhang mit einzelnen Banken bekannt geworden sind, wurden durch einzelne Händler im Investmentbanking, wie etwa im Jahr 2008 den Franzosen Jérôme Kerviel, ausgelöst. Prominente Fälle von Insiderhandel zeigen, dass Kreditinstitute im Zusammenhang mit diesem Delikt eher keine Rolle spielen. Kleine und mittlere Kreditinstitute sind in Bezug auf die Schaffung systemischer Mechanismen zur Abwehr und Aufdeckung von Marktmissbrauch daher ungeeignete Adressaten, der insoweit nicht differenzierende Ansatz in Art. 11 des Entwurfes zur MAR trägt diesen Unterschieden nicht hinreichend Rechnung.

4.15   Vor diesem Hintergrund sollte erwogen werden, für diejenigen, die gewerbsmäßig Geschäfte mit Finanzinstrumenten vermitteln oder ausführen in Bezug auf Marktmissbrauch eine Aufsichtsstruktur nach dem Vorbild der Selbstverwaltung unter staatlicher Rechtsaufsicht in den Freien Berufen zu schaffen. Eine solche Aufsichtsstruktur würde das notwendige Fach- und Branchenwissen für eine qualitäts- und vertrauenssichernde, effektive Berufsaufsicht integrieren. Gibt man Finanzmarktakteuren eine Selbstverwaltungsaufgabe unter staatlicher Rechtsaufsicht, nutzt dies vor allem den Verbrauchern und eben nicht den Interessen der Marktakteure, die sich gegenseitig in Schach halten. Selbstverwaltung bricht erworbene Privilegien auf und schafft Transparenz.

4.16   Die für das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark vorgesehene Ausstiegsklausel aus dem Entwurf zur MAD (Erwägungsgrund 20-22) läuft der Zielsetzung der Rechtsvereinheitlichung zuwider. Eine Ergänzung bzw. Änderung des Entwurfes an den entsprechenden Stellen wäre daher im Sinne der Zielsetzung. Das Vereinigte Königreich hat bereits erklärt, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen und sich – jedenfalls vorerst – nicht an der Annahme und Anwendung der Richtlinie zu beteiligen. Als Argument wird im Wesentlichen angeführt, dass der Entwurf zur MAD von den Ergebnissen der derzeit diskutierten Vorschläge zur MAR sowie zur MiFID abhänge und die daraus sich ergebenden Auswirkungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar seien. Einerseits bestätigt diese Position aus unserer Sicht die vorstehend geäußerten Bedenken in Bezug auf die Rechtsunsicherheit, die durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und die Ermächtigung zu zeitlich nachfolgenden Konkretisierungen hervorgerufen werden dürfte. Andererseits ist dieses Vorgehen im Hinblick auf die angestrebte Rechtsvereinheitlichung bedenklich, da mit London der größte Finanzplatz in der EU im Vereinigten Königreich liegt.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/68


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen“

COM(2011) 747 final — 2011/0361 (COD)

(2012/C 181/13)

Berichterstatter: Viliam PÁLENÍK

Der Rat beschloss am 13. Dezember 2011 und das Europäische Parlament am 30. November 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen

COM(2011) 747 final — 2011/0361 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) mit 118 gegen 32 Stimmen bei 15 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Diese Stellungnahme wurde im Zuge des Verfahrens zur Verabschiedung des Vorschlags erarbeitet, mit dem die Kommission schwerwiegende Mängel in den Bereichen Transparenz, Unabhängigkeit, Interessenkonflikte, Qualität der Ratings und der Ratingmethoden beseitigen möchte. Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass mit dem Verordnungsvorschlag versucht wird, diese Probleme zu beheben, vertritt jedoch gleichzeitig die Auffassung, dass die Kommission auf die aktuelle Situation zu spät und inkonsequent reagiert.

1.2   Die Ratingagenturen spielen eine wichtige Rolle auf den globalen Finanzmärkten, da die von ihnen abgegebenen Bewertungen (Ratings) von zahlreichen Marktteilnehmern genutzt werden. Auf diese Weise üben sie einen nicht unwesentlichen Einfluss aus, wenn es darum geht, fundierte Anlage- und Finanzentscheidungen zu treffen. Daher ist es unabdingbar, dass bei der Erstellung der Ratings die Grundsätze der Integrität, Transparenz, Verantwortung und guten Unternehmensführung gewahrt werden, wozu die derzeit geltende Verordnung über Ratingagenturen bereits in bedeutendem Maße beigetragen hat.

1.3   Da die Märkte nach Ansicht des EWSA nicht in der Lage sind, sich selbst zu regulieren, ist es notwendig, möglichst eng gefasste Regelungen einzuführen, die dann auf angemessene Weise umzusetzen und zu überwachen sind. Aus dem Vorschlag geht aber nicht ausreichend klar hervor, wie er konkret umgesetzt werden soll. Außerdem bezweifelt der EWSA stark, dass sich die gewünschten Ergebnisse nur durch eine Verschärfung der Vorschriften erzielen lassen. Im Gegenteil könnte dadurch die Verantwortung der verschiedenen Aufsichtsbehörden weiter geschwächt werden, die vielmehr stärker in die Evaluierung der von den Ratingagenturen ausgesprochenen Bewertungen einbezogen werden sollten.

1.4   Der EWSA vertritt die Ansicht, dass der europäische Rahmen des Verordnungsvorschlags soweit möglich durch Verhandlungen unter den G20-Staaten flankiert werden muss mit dem Ziel, vergleichbare Regelungen auch in diesen Staaten umzusetzen und dadurch weltweit die Kohärenz der geltenden Bestimmungen zu gewährleisten.

1.5   Im Verordnungsvorschlag ist ein obligatorischer turnusmäßiger Wechsel der Ratingagenturen vorgesehen, um eine größere Vielfalt an Ratings zu erhalten. Der EWSA jedoch ist skeptisch, ob die Einführung der vorgeschlagenen Regelung wirklich zu den erhofften Ergebnissen führen wird.

1.6   Der EWSA ist der Ansicht, dass eines der grundlegenden Probleme in der Glaubwürdigkeit der durch die Ratingagenturen abgegebenen Ratings besteht. Da diese Agenturen in erster Linie in den USA beheimatet und zahlreichen Interessenkonflikten ausgesetzt sind, fordert der EWSA die Kommission zur Schaffung einer unabhängigen europäischen Ratingagentur auf, die die Staatsverschuldung im Einklang mit dem Gemeinschaftsinteresse bewerten kann. Die Glaubwürdigkeit der Ratingagenturen wurde auch dadurch massiv untergraben, dass sie in der Vergangenheit nicht in der Lage waren, künftige Entwicklungen vorherzusehen. Trotz eindeutiger Signale des Marktes und der wirtschaftlichen Entwicklung waren sie nicht in der Lage – oder es fehlte ihnen an entsprechender Motivation –, die Anlagerisiken rechtzeitig zu erkennen, und in vielen Fällen sind sie so an der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe gescheitert.

1.7   Die unzureichende Transparenz der von den Ratingagenturen bei der Erstellung der Ratings herangezogenen methodischen Ansätze muss eingehender untersucht werden, weil die Agenturen nicht in der Lage sind, in einschlägiger Weise die künftige Entwicklung vorherzusagen, vor allem aber deswegen, weil die Ratings den Charakter einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung tragen.

1.8   Der EWSA hegt grundsätzlichen Zweifel an der Unabhängigkeit der abgegebenen Ratings vor allem aus dem Grund, weil ihnen das Modell des zahlenden Emittenten zugrunde liegt. Er ist natürlich von ihrer teilweisen Abhängigkeit überzeugt. Dabei hat gerade der Auftraggeber ein Interesse daran, eine möglichst hohe Bewertung zu erhalten, und so kommen gewisse Fragen bezüglich der Unabhängigkeit des abgegebenen Ratings auf. Hinter einer solchen Bewertung verbergen sich häufig spekulative Manöver, die zumindest auf einen Ankündigungseffekt abzielen.

1.9   Mit Blick auf den Verordnungsvorschlag muss unbedingt dafür Sorge getragen werden, dass alle Punkte, die in diesem Vorschlag angesprochen werden, nicht nur leere Worthülsen bleiben, sondern sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene tatsächlich eingehalten werden müssen. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA mit den nötigen Kapazitäten ausgestattet werden muss, um die Einhaltung dieser Regulierung gewährleisten zu können.

1.10   In diesem Sinne begrüßt der EWSA die geänderten Haftungsbestimmungen für Ratingagenturen und appelliert an die Europäische Kommission, die Verbraucherinnen und Verbraucher von Finanzprodukten auch in der Praxis besser zu schützen. Hierzu sollten effektive Rechtsmittel geschaffen werden, damit letztere unbeschadet der Sanktionen, mit denen die Aufsichtsbehörde die Agentur belegt, ihre Rechte ausüben und Schadensersatz erhalten können.

1.11   Die Frage des Interessenkonflikts bleibt jedoch ein grundlegendes Problem, das nach dem vorliegenden Verordnungsvorschlag durch verschiedene Maßnahmen gelöst werden soll. Der EWSA weist jedoch zum wiederholten Male darauf hin, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen, um das anvisierte Ziel zu erreichen. Der Grund dafür ist die Anwendung des Modells des zahlenden Emittenten, insbesondere in den Fällen, in denen die Ratings infolge eines Auftrags abgegeben werden, aber auch bei der Einstufung von Staaten. Diese zahlen zwar nicht selbst für das Rating, aber dennoch sind diese Ratings – wenn sie negativ ausfallen – für die Finanzmärkte häufig von Vorteil und werden dann von einigen Finanzinstituten wieder als positiv aufgefasst. Negative Ratings und Ausblicke zu Staatsschulden nutzen den Käufern der ausgegebenen Anleihen wegen der höheren Zinssätze und Risikoaufschläge. In einigen Fällen dürften diese Anleger zugleich die Emittenten sein, die die Ratingagenturen für die Bewertung ihrer Finanzinstrumente bezahlen, was zu einem Interessenkonflikt führen würde.

1.12   Neben dem Bemühen der Kommission, in ihrem Vorschlag einige Probleme zu lösen (Transparenz, Interessenkonflikt, Unabhängigkeit, Konkurrenz) und die Aufsicht über die Arbeitsweise der Ratingagenturen als wichtige Akteure auf den Finanzmärkten zu verschärfen, begrüßt der EWSA die Tatsache, dass in der Verordnung aus dem Jahre 2011 auch weitere wichtige Fragen behandelt werden, insbesondere die Schaffung eines europäischen aufsichtsrechtlichen Rahmens für Ratingagenturen (1).

1.13   Der EWSA ist jedenfalls der Auffassung, dass die Problematik der Ratingagenturen nicht nur eine rechtliche, sondern auch und vor allem eine politische Frage ist. Den besten Schutz vor den mitunter katastrophalen Folgen der Bewertungen durch die Ratingagenturen für die Staatsverschuldung bieten – neben besseren und begrenzten Vorschriften – folgende Schritte:

ein Verbot für das Rating von Staatsschulden;

die Ausweitung des Mandats der EZB, um sie allen anderen Zentralbanken der Welt gleichzustellen und so ihre gegenwärtige Benachteiligung zu beseitigen;

die Verbesserung der Verwaltung der Staatsschulden im Euroraum (Stellungnahme ECO/307 – CESE 474/2012).

2.   Hintergrund

2.1   Die gegenwärtige verschärfte Kreditkrise knüpft an die vorhergegangene Bankenkrise an, die eine Folge der gravierenden Mängel auf dem Gebiet der Regulierung und Beaufsichtigung der Finanzinstitute war und auf die die Europäische Gemeinschaft richtig und unverzüglich mit der Verabschiedung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 reagiert hat. Diese neue Krise macht deutlich, dass mehrere Maßnahmen zur Regulierung und Beaufsichtigung der Finanzinstitute in ausreichendem Maße effektiver gestaltet werden müssen. Die Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 enthält strenge Verhaltensregeln für Ratingagenturen, in erster Linie um mögliche Risiken im Hinblick auf Interessenkonflikte zu verringern sowie hochqualitative und transparente Ratings und Ratingverfahren zu gewährleisten.

2.2   Es sei daran erinnert, dass die Ratingagenturen nicht in der Lage sind, die künftige Entwicklung wirklich vorherzusehen, was bedeutet, dass sie einen ausgesprochen schädlichen Einfluss auf die Wirtschaft der betroffenen Staaten haben. Die Liste der Fehleinschätzungen dieser Agenturen ist lang. An dieser Stelle sei lediglich an folgende Fälle erinnert:

Im Jahr 1975 erhielt die Stadt New York noch am Vorabend der Bekanntgabe ihres Bankrotts (Zahlungseinstellung) ein sehr gutes Rating.

Ein wenig später versicherte die Agentur Standard & Poor's die Anleger, dass Orange County (Kalifornien) wirtschaftlich auf gesunden Füßen stehe und gut regiert werde, obwohl sich dort infolge von Spekulationen mit Derivaten 2 Milliarden Dollar in Rauch aufgelöst hatten. In der Folge musste sich die Agentur mit mehreren Klagen vor Gericht auseinandersetzen (2).

Ähnlich verhielt es sich mit dem Hedgefonds Long-Term Capital Management, mit der Bank of Credit and Commerce International (BCCI), dem Zusammenbruch der amerikanischen Sparkassen und den betrügerischen Insolvenzen von Enron, Worldcom, Tyco etc. sowie schließlich auch der Lehman Brothers (3).

In der Zeit vor der Finanzkrise verliehen die Agenturen auch den verdächtigsten Hypothekenderivaten, den sog. Subprime-Derivaten, das Rating AAA, womit sie die Anleger, unter anderem auch Rentenfonds, davon überzeugten, solche Derivate in großer Zahl zu kaufen (4).

Vor dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 verliehen die Ratingagenturen die besten Einstufungen einmütig jenen Banken und Fonds, in deren Besitz sich wie im Falle der amerikanischen Versicherungsgesellschaft AIG die wertlosesten – von Spekulanten konzipierten – Wertpapiere befanden (5).

Im Dezember 2009 beispielsweise verlieh Standard & Poor's der griechischen Staatsverschuldung die Note A-, die gleiche Note also wie Estland, das damals kurz davor war, der Eurozone beizutreten (6).

2.3   In der jetzigen Situation, da ganz Europa von der Schuldenkrise heimgesucht wird und einige Staaten sich bereits am Rande des Staatsbankrotts befinden, ist es von größter Bedeutung, dass die Europäische Kommission alles in ihrer Macht Stehende unternimmt und der Wirtschaft wieder auf die Beine hilft. Der vorliegende Verordnungsvorschlag ist ein geeignetes Instrument, um dieses Bemühen zu flankieren, müsste jedoch noch ehrgeiziger sein.

2.4   Das Problem in Bezug auf die Ratings der öffentlichen Verschuldung der einzelnen Staaten wird nicht ausreichend behandelt, wobei sich auch die Frage stellt, ob sie überhaupt von Belang sind, solange Staaten mit ähnlichen Ratingnoten unterschiedlich hohe Zinsen zahlen. Daraus ergibt sich auch die bislang unbeantwortete Frage, wie die Beurteilungen der Ratingagenturen politisch zu werten sind.

2.5   In ihrem Konsultationspapier (7), das aus einer im Laufe des Jahres 2010 durchgeführten Konsultation der Öffentlichkeit hervorging, stellte die Europäische Kommission die Möglichkeiten zur Lösung der Probleme im Zusammenhang mit dem übermäßigen Rückgriff der Marktteilnehmer auf bestimmte Ratings vor und wies auf die Notwendigkeit hin, die Kreditrisiken einer unabhängigen Bewertung durch Wertpapierfirmen zu unterziehen, die Verschärfung des Wettbewerbs auf dem Ratingmarkt zu fördern und eine zivilrechtliche Haftung der Ratingagenturen einzuführen; des Weiteren verwies sie auf die Möglichkeiten, potenzielle, aus der Anwendung des Modells des zahlenden Emittenten resultierende Interessenkonflikte zu lösen.

2.6   Viele der Teilnehmer an der öffentlichen Konsultation, die die Europäische Kommission vom 5. November 2010 bis zum 7. Januar 2011 durchführte, zeigten sich beunruhigt über die Tatsache, dass in übertriebener Weise oder ganz mechanisch auf die Ratings zurückgegriffen wird, und sprachen sich zugleich für eine schrittweise Reduzierung der Hinweise auf Ratings auch im Rahmen der Gesetzgebung aus. Gleichzeitig verwiesen sie darauf, dass ein wichtiger Teil der Suche nach einer angemessenen Lösung darin bestehen wird, geeignete Instrumente zu finden, die die Ratings ersetzen könnten.

2.7   Die Notwendigkeit, den Regulierungsrahmen für Ratingagenturen zu verbessern und geeignete Maßnahmen zur Verringerung des übermäßigen Rückgriffs auf die Ratings zu treffen, befürwortet auch das Europäische Parlament, das am 8. Juni 2011 eine nichtlegislative Entschließung zu Ratingagenturen vorlegte (8).

2.8   Der Europäische Rat kam am 23. Oktober 2011 (9) zu dem Schluss, die verstärkte Regulierung des Finanzsektors gehöre zu den vordringlichsten Prioritäten der EU, und zeigte sich erfreut darüber, dass seit dem Jahr 2008 dank der Reform des regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Rahmens bereits viel erreicht worden sei. Um künftige Krisen jedoch zu vermeiden, müssten weitere Anstrengungen zur Ermittlung und Beseitigung von Schwachstellen im Finanzsystem unternommen werden.

2.9   Für die internationale Ebene gab der Rat für Finanzstabilität (Financial Stability Board, FSB) im Oktober 2010 Grundsätze zur Verringerung des Rückgriffs von Behörden und Finanzinstituten auf Ratings aus (10). Laut diesen Grundsätzen sollten Verweise auf derartige Ratings aus Rechtsvorschriften gestrichen oder ersetzt werden, sofern geeignete andere Bonitätsstandards verfügbar sind, und die Anleger aufgefordert werden, ihre eigenen Bewertungen der Kreditwürdigkeit vorzunehmen. Diese Grundsätze wurden im November 2010 auf dem G20-Gipfel in Seoul gebilligt.

2.10   Aus diesen Gründen musste die Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen geändert werden, um in erster Linie die potenziellen Risiken zu mindern, die sich aus der Tatsache, dass sich Finanzmarktteilnehmer in allzu hohem Maße auf Ratings stützen, aus der starken Konzentration auf dem Ratingmarkt, der Einführung einer zivilrechtlichen Haftung der Ratingagenturen gegenüber den Anlegern und aus den Interessenkonflikten ergeben können, die durch das Modell des zahlenden Emittenten und die Eigentümerstruktur von Ratingagenturen bedingt sind.

3.   Die Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 im Überblick

3.1   Ausweitung des Geltungsbereichs der Verordnung auf Rating-Outlooks

3.1.1   Mit dem Vorschlag der Kommission wird der Geltungsbereich der Vorschriften für Ratings gegebenenfalls auch auf „Rating-Outlooks“ ausgeweitet. Die Bedeutung, die solche Ausblicke für Anleger und Emittenten haben, und ihre Auswirkungen auf Märkte sind mit der Bedeutung und den Auswirkungen von Ratings vergleichbar. Daher wird durch die Änderung insbesondere gefordert, dass die Ratingagenturen den Zeitraum offenlegen, in dem eine Änderung des Ratings zu erwarten ist.

3.2   Änderungen in Bezug auf die Verwendung von Ratings

3.2.1   Der Vorschlag für eine Verordnung über Ratingagenturen enthält auch eine Bestimmung, durch die bestimmte Finanzinstitute verpflichtet werden, eigene Kreditrisikobewertungen vorzunehmen, um zu vermeiden, dass bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit von Vermögenswerten ausschließlich oder automatisch auf externe Ratings zurückgegriffen wird.

3.3   Änderungen in Bezug auf die Unabhängigkeit der Ratingagenturen

3.3.1   Bei der Anwendung des derzeitigen Modells des zahlenden Emittenten muss die Unabhängigkeit der Ratingagenturen gestärkt werden, um die Glaubwürdigkeit der abgegebenen Ratings zu erhöhen.

3.3.2   Eine der verschärften Regelungen zur Erhöhung der Unabhängigkeit von Ratingagenturen durch die Eliminierung von Interessenkonflikten besagt, dass ein Mitglied oder Anteilseigner, der eine Beteiligung von mindestens 5 % an einer Ratingagentur hält, nicht 5 % oder mehr an einer anderen Agentur halten kann, es sei denn, die betreffenden Ratingagenturen gehören zur selben Gruppe.

3.3.3   Durch den Verordnungsvorschlag wird eine Rotationsvorschrift für Ratingagenturen eingeführt, die von einem Emittenten beauftragt wurden, ein Rating für ihn selbst oder seine Schuldinstrumente abzugeben. Diese Vorschrift enthält auch die Verpflichtung, dass die scheidende Ratingagentur der übernehmenden Agentur alle Unterlagen mit den maßgeblichen Informationen zur Verfügung stellt.

3.3.4   Gleichzeitig sieht die Regelung eine interne Rotation der Mitarbeiter vor dergestalt, dass kein Analyst mit einem Kundendossier zu einer neuen Agentur wechseln kann.

3.3.5   Eine Ratingagentur sollte im Falle von Interessenkonflikten durch die Beteiligung von Personen, die mehr als 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte der Ratingagentur halten oder eine andere wichtige Position bekleiden, kein Rating abgeben.

3.3.6   Personen, die mehr als 5 % des Kapitals oder der Stimmrechte der Ratingagentur halten oder eine andere wichtige Position bekleiden, sollte nicht gestattet werden, dem bewerteten Unternehmen Beratungsleistungen zu erbringen.

3.4   Änderungen in Bezug auf die Offenlegung von Informationen über Methoden der Ratingagenturen, Ratings und Rating-Outlooks

3.4.1   Die Kommission schlägt Verfahren für die Ausarbeitung neuer oder die Änderung bestehender Ratingmethoden vor. Dabei ist es unerlässlich, auch die Interessenvertreter zu konsultieren und in diesen Prozess einzubeziehen. Die ESMA als zuständiges Organ prüft die Vereinbarkeit der vorgeschlagenen neuen Methoden mit den geltenden Vorschriften, und erst nach Genehmigung durch die ESMA dürfen diese neuen Methoden verwendet werden.

3.4.2   Sollten in diesen Methoden Fehler auftreten, sollten die Ratingagentur dazu verpflichtet werden, diese Fehler zu berichtigen sowie die ESMA, die bewerteten Unternehmen und die Öffentlichkeit davon in Kenntnis zu setzen.

3.4.3   Der Emittent muss mindestens einen vollen Arbeitstag vor Veröffentlichung eines Ratings oder eines Rating-Outlooks über die wichtigsten Gründe, die zu diesem Ratingergebnis geführt haben, informiert werden, um ihm die Möglichkeit zu geben, mögliche Fehler im Rating zu ermitteln.

3.4.4   Ratingagenturen sollten Informationen über alle Unternehmen oder Schuldinstrumente, für die sie eine Erstkontrolle oder Vorabbewertung vornehmen sollen, offenlegen.

3.5   Änderungen in Bezug auf Länderratings

3.5.1   In dem Bemühen um eine Verbesserung der Qualität von Länderratings werden die Vorschriften für diese Ratings gestärkt und darüber hinaus festgelegt, dass sie mindesten alle sechs Monate durchgeführt werden müssen.

3.5.2   Ratingagenturen müssen, wenn sie Länderratings abgeben und anpassen, einen vollständigen Prüfungsbericht vorlegen, um die Transparenz zu verbessern und das Verständnis der Nutzer zu erleichtern.

3.5.3   Ratingagenturen werden außerdem aufgeschlüsselte Informationen über ihre Umsätze zur Verfügung stellen, darunter auch Informationen über die in den verschiedenen Anlageklassen erwirtschafteten Gebühren. Diese Informationen sollten eine Beurteilung des Ausmaßes möglich machen, in dem die Ratingagenturen ihre Ressourcen für die Abgabe von Länderratings einsetzen.

3.6   Änderungen in Bezug auf die Vergleichbarkeit von Ratings und Ratinggebühren

3.6.1   Alle Ratingagenturen werden dazu verpflichtet, ihre Ratings an die ESMA übermitteln, die ihrerseits alle für ein Schuldinstrument verfügbaren Ratings in einem Europäischen Ratingindex (EURIX) veröffentlicht.

3.6.2   Die ESMA erhält die Möglichkeit, für die Kommission einen Entwurf technischer Standards für eine harmonisierte Ratingskala zu entwickeln Alle Ratings werden dieselben Skalenstandards einhalten, um auf diese Weise zu gewährleisten, dass die Ratings leichter miteinander verglichen werden können.

3.6.3   Die Gebühren für die Abgabe von Ratings sollten nicht diskriminierend sein und an keinerlei Bedingungen geknüpft werden, d.h. sie sollten auf den tatsächlichen Kosten und einer transparenten Preisbildung beruhen und nicht vom Ergebnis der durchgeführten Arbeiten abhängen. Ratingagenturen sollten jährlich eine Liste der von den Kunden erhobenen Gebühren für individuelle Dienstleistungen offenlegen.

3.6.4   Die ESMA sollte auch Überwachungstätigkeiten mit Blick auf die Marktkonzentration, die sich aus der Konzentration ergebenden Risiken und die Auswirkungen auf die Stabilität des Finanzsektors insgesamt aufnehmen.

3.7   Änderungen in Bezug auf die zivilrechtliche Haftung von Ratingagenturen gegenüber Anlegern

3.7.1   In den neuen Bestimmungen schlägt die Kommission vor, im Falle eines vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstoßes gegen eine sich aus der Verordnung über Ratingagenturen ergebende Verpflichtung die Möglichkeit vorzusehen, Schadensersatzklage zu erheben, wenn dieser Verstoß sich auf ein Rating ausgewirkt hat, auf das ein Anleger vertraute.

3.8   Sonstige Änderungen

3.8.1   In einigen Abschnitten wird der Anwendungsbereich der Verordnung über Ratingagenturen in angemessener Weise auch auf zertifizierte Ratingagenturen ausgeweitet, die in Drittländern ansässig sind.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Im vorliegenden Kommissionsvorschlag wird die geltende Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen in angemessener Weise geändert und ergänzt. Diese Änderungen beziehen sich insbesondere auf die Tatsache, dass sich Finanzmarktteilnehmer in allzu hohem Maße auf Ratings stützen, die starke Konzentration auf dem Ratingmarkt, die zivilrechtliche Haftung der Ratingagenturen gegenüber den Anlegern und die Interessenkonflikte, die durch das Modell des zahlenden Emittenten und die Eigentümerstruktur von Ratingagenturen bedingt sind. Der EWSA merkt jedoch an, dass es der Verordnung in einigen Teilen an Klarheit mangelt und andere Teile wiederum sehr vage formuliert sind. Er vertraut darauf, dass die endgültige Fassung der Verordnung an den Stellen, wo es möglich und nützlich ist, konkreter, klarer und eindeutiger sein wird.

4.2   Der EWSA zweifelt daran, ob eigene Ratings und der Rückgriff auf sie in Zukunft wirklich glaubwürdig sein werden, denn zur Zeit wird in erster Linie den Ratings der etablierten, außerhalb der EU ansässigen Ratingagenturen eine Bedeutung beigemessen, und wenn sich die Finanzinstitute auch weiterhin auf deren Einschätzungen verlassen, wird die vorgeschlagene Regulierung nicht durch Erfolg gekrönt werden können. Gleichzeitig bleibt die Frage nach der Art und Weise unbeantwortet, wie die Kommission die Einführung vertrauenswürdiger eigener Ratings bewerkstelligen möchte.

4.3   Das Gleiche lässt sich über das vorgeschlagene Rotationsprinzip sagen: Sollte nämlich diese Regelung zum Aufbau einer neuen Agentur führen, deren Aufgabe es wäre, einen Beitrag zur Meinungsvielfalt zu liefern, so dürfte doch davon ausgegangen werden, dass die Ratings dieser neu eingerichteten Agentur von den Ansichten der etablierten Ratingagenturen beeinflusst wären, so dass es nicht zu der erhofften Meinungsvielfalt kommt.

4.4   Der EWSA hegt grundsätzlichen Zweifel an der Unabhängigkeit der abgegebenen Ratings vor allem aus dem Grund, weil ihnen das Modell des zahlenden Emittenten – auch im Falle von Länderratings – zugrundeliegt. Dies wirkt sich auf die Höhe der Zinsen aus, die die souveränen Staaten den Finanzinstituten und anderen Schuldenaufkäufern zahlen. Der EWSA schlägt der Kommission daher vor, sich mit der Funktionsweise der Finanzmärkte im Allgemeinen und ihrer strengeren Regulierung zu befassen.

4.5   Der EWSA spricht sich dafür aus, die Vergütung der einzelnen Analysten zu überwachen und die Unabhängigkeit der Höhe dieser Vergütungen von den Ergebnissen des Ratings zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang bleibt jedoch unklar, durch welche konkreten Schritte die ESMA die Durchführung dieses Vorschlags kontrollieren möchte. Daher spricht sich der EWSA dafür aus, diesen Punkt detaillierter auszuarbeiten.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Der EWSA weist zum wiederholten Male darauf hin, dass es vor allem darauf ankommt, die einschlägigen Rechtsvorschriften einzuhalten. Erreicht werden soll dies in erster Linie durch die Einführung von Sanktionen für die Leiter und Verantwortlichen der europäischen und internationalen Marktaufsichtsbehörden, die ihre Aufsichtspflichten missachten, denn ihre Untätigkeit kann nicht nur den Banken und ordnungsgemäß funktionierenden Finanzinstituten, sondern auch der Wirtschaft, den Unternehmen und den Bürgern beträchtlichen Schaden zufügen.

5.2   Der EWSA begrüßt die verstärkten Bemühungen, durch die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung der Ratingagenturen stärker zum Verbraucherschutz im Zusammenhang mit Finanzprodukten beizutragen. Mit der Einführung dieser Haftung haben das Europäische Parlament und der Rat bereits eine frühere Stellungnahme des EWSA berücksichtigt (11). Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass dieser Teil detaillierter ausgearbeitet und wesentlich klarer formuliert werden sollte. Er sollte gleichzeitig auch deutlich mit den Sanktionen verknüpft werden, die die ESMA verhängen kann.

5.3   Den in dieser Verordnung unternommenen Versuch, den Wettbewerb auf dem Ratingmarkt durch die Einführung einer harmonisierten Ratingskala zu erhöhen, betrachtet der EWSA mit einiger Skepsis. Er unterstützt jedoch diese Regelung, da es hier um die Verbesserung der Vergleichbarkeit von Ratings geht.

5.4   Der EWSA ist der Ansicht, dass es in dem Bemühen um die Verbesserung der Qualität, Transparenz, Unabhängigkeit, Meinungsvielfalt und Konkurrenz bei der Abgabe von Ratings erforderlich ist, dass die Kommission eine unabhängige europäische Ratingagentur einrichtet, die zur Verteidigung des Gemeinschaftsinteresses unabhängige Ratings der Staatsschulden abgibt.

5.5   Der EWSA teilt die Auffassung, dass es nötig ist, die Inhaberschaft der Ratingagenturen dergestalt einzuschränken, dass die einzelnen Agenturen als unabhängig angesehen werden können. Jedoch würde es der EWSA bevorzugen, wenn die vollständige Unabhängigkeit dieser Agenturen gewährleistet werden könnte. Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass kein Anleger mehr als einen gewissen Prozentsatz des Kapitals einer Ratingagentur besitzt, auch nicht indirekt.

5.6   Der EWSA befürchtet, dass nicht einmal die eigene Risikobewertung der Finanzmarktteilnehmer und ein geringerer Rückgriff auf externe Ratings die Objektivität der von den Teilnehmern der Finanzmärkte getroffenen Beschlüsse oder eine größere Meinungsvielfalt garantieren können. Gleichzeitig bezweifelt der EWSA, ob kleinere Finanzinstitute über die Kapazitäten zum Aufbau von Analyseeinheiten verfügen, die mit solchen Bewertungen beauftragt werden könnten.

5.7   Der EWSA äußert seine Zweifel darüber, ob sich die zivilrechtliche Haftung der Ratingagenturen wird durchsetzen lassen, denn diese Agenturen haben in der Vergangenheit oftmals falsche Ratings abgegeben, doch mussten sie in nur sehr wenigen Fällen auch die Verantwortung für ihre Fehler übernehmen. Daher ist der EWSA nicht davon überzeugt, dass die vorgeschlagene Regelung an der jetzigen Situation etwas ändern wird. Gleichzeitig ist der EWSA der Ansicht, dass eine konsequente und möglichst wirkungsvolle Stärkung der zivilrechtlichen Haftung für die Institutionen sinnvoll wäre, die Ratings für die Erbringung von Dienstleistungen nutzen. So müssen beispielsweise Banken die Verantwortung für ihre Investitionsberatungen übernehmen.

5.8   Der EWSA ist der Ansicht, dass das Verfahren zur Beaufsichtigung der Tätigkeit von Ratingagenturen revidiert werden muss. Die Beobachtung der Agenturen ist zurzeit noch sehr lückenhaft, sie sollte jedoch systematisch, konsequent und flächendeckend durchgeführt werden.

5.9   Der EWSA ist der Überzeugung, dass die vorgeschlagenen Regelungen bezüglich des Interessenkonflikts nötig sind, doch ist der Vorschlag an den entsprechenden Stellen nicht konkret genug. Diese Punkte müssen detaillierter ausgearbeitet werden, insbesondere im Hinblick auf die festzulegenden Pflichten der einzelnen Überwachungsinstitutionen.

5.10   Zu einem ähnlichen Schluss kommt der EWSA auch bezüglich der technischen Aspekte des Europäischen Ratingindex (EURIX) und der Art und Weise, wie er definiert wird. In diesem Zusammenhang hegt er auch Zweifel, ob ein derartiger Index überhaupt zusätzliche Informationen liefern kann.

5.11   Im Kommissionsvorschlag wird auf Länderratings Bezug genommen, jedoch wird nicht genau definiert, was mit dem Begriff „Land“ genau gemeint ist. Die finanzielle Situation eines Landes wird auch von seinen Krankenversicherungs- und Sozialversicherungssystemen beeinflusst, die direkt oder indirekt mit dem Staatshaushalt verknüpft sind. Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, ob ihre Gesundheits- oder Sozialversorgung bedroht ist.

5.12   Länderratings müssen sehr genau definiert werden, da sie in vielerlei Hinsicht die Art und Weise beeinflussen, wie Staaten auf den Finanzmärkten agieren. Dazu ist es erforderlich, dass die Kommission der Frage des Ratings von Staatsschulden eine größere Aufmerksamkeit schenkt und sich ausführlich mit ihr beschäftigt.

5.13   Eine der wichtigsten und nach wie vor ungelösten Fragen besteht in der unzureichenden Unabhängigkeit der Ratingagenturen, die in erster Linie durch die Anwendung des Modells des zahlenden Emittenten bedingt ist. Das hat zur Folge, dass die Ratings als günstig für den Emittenten, nicht aber als nutzbringend für die Investoren aufgefasst werden. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Einführung einer Rotationsvorschrift keine ausreichende Regulierung zur Folge haben wird, durch die die Auswirkungen des Modells des zahlenden Emittenten abgeschwächt würden. Er schlägt daher vor, auf andere Weise die Möglichkeit des Emittenten zu beschränken, die für ihn günstigste Ratingagentur zu wählen.

5.14   Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vorschrift eines turnusmäßigen Wechsels in dem vorgeschlagenen Umfang die mit ihrer Einführung verbundenen Erwartungen nicht wird erfüllen können, insbesondere mit Blick auf die Schaffung einer ausreichenden Zahl von Marktchancen. Daher erachtet es der EWSA als zweckmäßig, in der Verordnung kürzere Zeiträume festzulegen, in denen ein Emittent die Dienste derselben Ratingagentur in Anspruch nehmen kann, bzw. längere Fristen, in denen er die Inanspruchnahme aussetzen muss. Eine andere Lösung wäre, die Ratingagentur nach dem Losverfahren auszuwählen. Zugleich schlägt der EWSA vor, in den entsprechenden Artikeln im Verordnungsvorschlag aus der Formulierung „zehn aufeinander folgende bewertete Schuldinstrumente“ die Worte „aufeinander folgende“ zu streichen.

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Ratingagenturen“, ABl. C 54 vom 19. Februar 2011, S. 37.

(2)  Ibrahim Warde: „Ces puissantes officines qui notent les Etats“, Le Monde diplomatique, Februar 1997.

(3)  Marc Roche: „Le capitalisme hors la loi“, Éditions Albin Michel 2011, S. 70.

(4)  Joseph E. Stilgitz: „Le triomphe de la cupidité“, Les lines qui libèrent 2010, S. 166.

(5)  Hervé Kempf, L'oligarchie ça suffit, vive la démocratie, Paris: Éditions du Seuil 2011, S. 72.

(6)  Ebenda.

(7)  http://ec.europa.eu/internal_market/securities/docs/agencies/summary-responses-cra-consultation-20110704_en.pdf.

(8)  http://www.europarl.europa.eu/oeil/FindByProcnum.do?lang=en&procnum=INI/2010/2302.

(9)  http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/ec/125496.pdf.

(10)  http://www.financialstabilityboard.org/publications/r_101027.pdf.

(11)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Ratingagenturen“, ABl. C 54 vom 19. Februar 2011, S. 37.


ANHANG

zu der stellungnahme

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses Folgender Wortlaut in der Stellungnahme der Fachgruppe wurde vom Plenum zugunsten von Änderungsanträgen verworfen, erhielt jedoch mehr als ein Viertel der Stimmen:

Ziffer 5.4

Ändern:

„Der EWSA ist der Ansicht, dass es in dem Bemühen um die Verbesserung der Qualität, Transparenz, Unabhängigkeit, Meinungsvielfalt und Konkurrenz bei der Abgabe von Ratings erforderlich ist, dass die Kommission eine unabhängige europäische Ratingagentur einrichtet, die unabhängige, vom Emittenten zu zahlende Ratings abgibt, jedoch keine Länderratings durchführt, damit sie nicht wegen Interessenkonflikten belangt werden kann.“

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen

:

55

Nein-Stimmen

:

78

Stimmenthaltungen

:

13


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/75


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht“

COM(2011) 635 final — 2011/0284 (COD)

und der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht zur Erleichterung grenzübergreifender Geschäfte im Binnenmarkt“

COM(2011) 636 final

(2012/C 181/14)

Berichterstatterin: Ana BONTEA

Die Europäische Kommission beschloss am 11. Oktober 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein Gemeinsames europäisches Kaufrecht zur Erleichterung grenzübergreifender Geschäfte im Binnenmarkt

COM(2011) 636 final.

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 16. November bzw. 25. Oktober 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht

COM(2011) 635 final — 2011/0284 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 8. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) mit 87 gegen 54 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Ausschuss begrüßt die Absicht der Kommission, den grenzübergreifenden Handel für Unternehmen (insbesondere kleine und mittlere Unternehmen - KMU) zu fördern, Verbraucher in stärkerem Maße zu Auslandseinkäufen zu ermuntern und die Vorteile des Binnenmarktes zu konsolidieren.

1.2   Im Hinblick auf die Form des gemeinsamen europäischen Kaufrechts (Verordnung) und die gewählte Option (fakultatives zweites Vertragsrecht) ist der Ausschuss darüber erfreut, dass seine früheren Vorschläge aufgegriffen wurden. Wie er bereits in seiner früheren Stellungnahme unterstrichen hat, „sollten diese Ziele schrittweise angestrebt werden, wobei mit Kaufverträgen für den grenzüberschreitenden gewerblichen Warenverkehr (Business-to-business oder B2B) in Form von Pilotprojekten begonnen werden könnte, anhand derer die Koexistenz verschiedener rechtlicher Regelungen sowie deren konkrete Anwendung überprüft werden können“ (1).

1.3   Der Ausschuss betont, dass das gemeinsame europäische Kaufrecht voll und ganz mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Subsidiaritätsprinzip in Einklang stehen muss.

1.4   In inhaltlicher Hinsicht ist der EWSA der Ansicht, dass der Verordnungsvorschlag in einigen Punkten erheblich nachgebessert werden muss, um den folgenden Anforderungen gerecht zu werden:

Geschäfte innerhalb der Europäischen Union sollten erleichtert, ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung von Wirtschaftsaktivitäten innerhalb des Binnenmarktes geleistet und dessen Potenzial weiter ausgeschöpft werden;

für Wirtschaftsakteure und Verbraucher sollte hinsichtlich der Kosten und der Vorteile ein echter europäischer Mehrwert entstehen;

im Hinblick auf eine bessere Rechtsetzung und ein vereinfachtes, verständliches und nutzerfreundliches Regelungsumfeld sollten deutliche Vorteile zu erkennen sein;

die Kosten im Zusammenhang mit grenzübergreifenden Geschäften müssen reduziert werden;

Rechtsicherheit und größere Kohärenz zwischen horizontalen und vertikalen Vorschriften müssen gewährleistet sein;

es muss sichergestellt sein, dass die neue Regelung für KMU und Verbraucher in der Praxis von Nutzen ist.

1.5   Die Aufteilung des gemeinsamen europäischen Kaufrechts in zwei getrennte Texte, von denen einer die Regelung für Verträge zwischen Unternehmen (B2B) enthält und der andere die Regelung für Verträge mit Verbrauchern, soll es Unternehmen und Verbrauchern leichter gemacht werden, sich über die neuen Regeln zu informieren und sie anzuwenden.

1.6   Der Ausschuss misst dem fakultativen Charakter der neuen Regelung und der Gewährleistung von Verhandlungsfreiheit im Hinblick auf die Akzeptanz des gemeinsamen europäischen Kaufrechts große Bedeutung zu.

1.7   Der Ausschuss verweist auf die folgenden zentralen Punkte:

die Umsetzung des gemeinsamen europäischen Kaufrechts ist mit größeren Schwierigkeiten verbunden;

die besonderen Charakteristika von KMU müssen stärker berücksichtigt werden;

Europäische Musterverträge für bestimmte Handels- oder Tätigkeitsbereiche, die die üblichen Geschäftsbedingungen enthalten und in allen Amtssprachen der EU verfügbar sind, sollten in Konsultation mit Unternehmer-, KMU- und Verbraucherverbänden erarbeitet werden. Musterverträge dieser Art wären in den Beziehungen zwischen Unternehmen und Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und Verbrauchern von großem Nutzen und sollten gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Verordnung zur Verfügung gestellt werden;

größere Rechtssicherheit muss garantiert und inhaltliche Verbesserung an dem gemeinsamen europäischen Kaufsrecht vorgenommen werden;

gemäß Artikel 12 und 169 des Vertrages muss bei der Konzipierung und Durchführung aller Bereiche der EU-Politik und der entsprechenden Maßnahmen den Erfordernissen des Verbraucherschutzes und des Schutzes für KMU Rechnung getragen werden.

1.8   Der Ausschuss weist darauf hin, dass zur Förderung des grenzübergreifenden Handels für Unternehmen und des Auslandseinkaufs für Verbraucher die Einführung des gemeinsamen europäischen Kaufrechts allein nicht ausreicht. Er fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten dazu auf, sich weiterhin darum zu bemühen, das Potenzial des Binnenmarktes in Bezug auf Wirtschaftswachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen in vollem Umfang auszuschöpfen.

1.9   Der Ausschuss weist auf die Bedeutung flankierender Maßnahmen hin, um die Parteien, die das gemeinsame europäische Kaufrecht, falls es schließlich verabschiedet wird, anwenden könnten, darüber in Kenntnis zu setzen, wie dieses Recht wirksam durchgeführt und einheitlich ausgelegt wird.

1.10   Die Verbraucherorganisationen betonen, dass der vorliegende Vorschlag nicht für Verbrauchergeschäfte gelten sollte. Die KMU- und Arbeitgeberorganisationen heben hervor, dass der vorliegende Vorschlag für Verbrauchergeschäfte gelten kann, sofern eine Reihe von Änderungen vorgenommen und flankierende Maßnahmen getroffen werden. Die Vorschläge der KMU- und Verbraucherorganisationen fallen nach wie vor an zahlreichen Stellen abweichend aus. Die besten Lösungen zu finden, die von allen Seiten akzeptiert werden, ist ein komplexes und schwieriges Unterfangen.

1.11   Der Ausschuss fordert die Kommission, den Rat und das Parlament auf, bei der Konzipierung des gemeinsamen europäischen Kaufrechts bzw. jeglicher anderen Initiative zur Regelung der Verbraucherrechte in der EU diese Gesichtspunkten zu berücksichtigen und den Dialog mit KMU- und Verbraucherorganisationen fortzuführen, damit das gemeinsame europäische Kaufrecht den Bedürfnissen derjenigen, die es anwenden, besser entspricht und damit der Geschäftsverkehr innerhalb der EU spürbar erleichtert wird.

2.   Hintergrund

2.1   Gegenwärtiger rechtlicher Rahmen

2.1.1   Der gegenwärtige rechtliche Rahmen in der EU ist durch Unterschiede zwischen den nationalen Rechtssystemen und dem Vertragsrecht der 27 Mitgliedstaaten gekennzeichnet.

2.1.2   Das EU-Recht enthält eine Reihe gemeinsamer Rechtsvorschriften, insbesondere zu Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern, mit denen das materielle Verbrauchervertragsrecht harmonisiert wird. Mit der kürzlich verabschiedeten Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher (2) wurden zentrale Elemente des Fernabsatzes wie vorvertragliche Unterrichtung, formale Anforderungen, Widerrufsrecht, Risikotransfer und Lieferung vollständig harmonisiert, und nur noch die Bereiche rechtliche Garantien und missbräuchliche Klauseln unterliegen einer Mindestharmonisierung.

2.1.3   Die Artikel 12, 38, 164, 168 und Artikel 169 Absatz 4 des Vertrags stellen den Vorrang nationaler Vorschriften sicher, sofern diese verbraucherfreundlicher sind.

2.2   Probleme für Unternehmer und Verbraucher

2.2.1   Nur jeder zehnte im Warenhandel tätige Unternehmer in der EU exportiert derzeit innerhalb des Binnenmarktes, und in der Regel auch nur in wenige Mitgliedstaaten. Lediglich 8 % der Verbraucher kauft über das Internet Waren und Dienstleistungen aus einem andern Mitgliedstaat. Das Potenzial des Binnenmarkts und des grenzübergreifenden elektronischen Handels ist nur zu einem Teil ausgeschöpft.

2.2.2   Hindernisse bestehen u.a. in Form von Unterschieden bei Steuervorschriften, Verwaltungsanforderungen, Lieferschwierigkeiten, Sprach- und Kulturunterschieden, geringer Verbreitung von Breitbanddiensten, Datenschutzanforderungen, Bestimmungen zu Design, territorialen Beschränkungen bezüglich geistigem Eigentum, Zahlungsmodalitäten und unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen. Aus den von der Kommission aus anderen Forschungsarbeiten bezogenen Zahlen geht hervor, dass bei Geschäften zwischen Unternehmen und Verbrauchern eines der Hauptprobleme, die Verbraucher von grenzübergreifenden Käufen abhalten, das Fehlen wirkungsvoller Rechtsmittel ist. 62 % der Verbraucher sahen von grenzübergreifenden Online-Einkäufen ab, weil sie befürchteten, betrogen zu werden, 59 % wussten nicht, was bei Problemen zu tun wäre, 49 % befürchteten Lieferschwierigkeiten und 44 % waren sich hinsichtlich ihrer Verbraucherrechte unsicher (3).

Unternehmer, insbesondere KMU sind u.a. mit folgenden Problemen konfrontiert:

mangelnde Kenntnis der Bestimmungen des ausländischen Vertragsrechts;

größere rechtliche Komplexität des grenzübergreifenden Handels gegenüber dem Handel im Inland;

hohe zusätzliche Transaktionskosten.

2.2.3   Hindernisse im grenzübergreifenden Handel haben für Unternehmen und Verbraucher erhebliche negative Folgen.

3.   Der Vorschlag der Kommission

3.1   Die Mitteilung der Kommission (4) umfasst die Entscheidung, einen Vorschlag für eine Verordnung (5) zur Einführung eines gemeinsamen europäischen Kaufrechts vorzulegen, mit dem das Funktionieren des Binnenmarktes durch die Förderung des grenzübergreifenden Handels verbessert werden soll.

3.2   In dem Vorschlag der Kommission wird Folgendes festgelegt:

a)

hinsichtlich des gewählten Instruments:

ein alternatives, in allen Mitgliedstaaten gleiches und überall in der EU anwendbares Vertragsrecht, das neben dem bestehenden nationalen Vertragsrecht gelten wird;

es handelt sich um einen fakultativen, von den Parteien vereinbarten Rahmen. Der Verbraucher muss ausdrücklich in die Anwendung des europäischen Kaufsrechts einwilligen, gesondert von seiner Erklärung, mit der er dem Vertragsschluss zustimmt.

b)

hinsichtlich der Form: als Verordnung wird das gemeinsame europäische Kaufrecht allgemein und unmittelbar gelten.

c)

hinsichtlich des Inhalts:

ein umfassendes (183 Artikel), aber dennoch nicht erschöpfendes vertragsrechtliches Regelwerk, das folgende Aspekte enthält:

die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts;

Bestimmungen über das Recht der Parteien auf wesentliche vorvertragliche Informationen, Regeln für das Zustandekommen eines Vertrags, das Widerrufsrecht des Verbrauchers und die Anfechtung von Verträgen;

Bestimmungen über die Auslegung von Vertragsbestimmungen, Bestimmungen zu Inhalt und Wirkungen von Verträgen und darüber, welche Vertragsbestimmungen unfair sein können;

Verpflichtungen und Abhilfen der Parteien eines Kaufvertrags;

zusätzliche gemeinsame Bestimmungen für Schadensersatz bei Verlust und Zinsen wegen verspäteter Zahlung;

Rückabwicklung und Verjährung.

Bestimmte Aspekte werden weiterhin nach der Verordnung 593/2008 (6) (Rom I) über das nationale Recht geregelt.

3.3   Das gemeinsame europäische Kaufrecht ist vor allem auf die im grenzübergreifenden Handel besonders wichtigen Verträge anwendbar (Kaufverträge zwischen Unternehmen und Verbrauchern sowie Verträge zwischen Unternehmen, von denen mindestens eines den Status eines KMU hat, einschließlich Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder die Erbringung damit verbundener Dienstleistungen).

3.4   Das gemeinsame europäische Kaufrecht ist auf grenzübergreifende Verträge beschränkt (wobei es den Mitgliedstaaten jedoch freisteht, dieses Recht auch auf andere Bereiche auszuweiten).

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Der Ausschuss begrüßt die Absicht der Kommission, den grenzübergreifenden Handel für Unternehmen (insbesondere KMU) zu fördern, Verbraucher in stärkerem Maße zu Auslandseinkäufen zu ermuntern und die Vorteile des Binnenmarktes zu konsolidieren.

4.2   Der Ausschuss betont, dass das gemeinsame europäische Kaufrecht voll und ganz mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Subsidiaritätsprinzip in Einklang stehen muss.

4.3   Im Hinblick auf die Form (Verordnung) und die gewählte Option (in allen Mitgliedstaaten geltendes alternatives zweites Vertragsrecht, dessen Anwendung auf freiwilliger Basis erfolgt und der ausdrücklichen Zustimmung beider Vertragsparteien bedarf), „sollten diese Ziele schrittweise angestrebt werden, wobei mit Kaufverträgen für den grenzüberschreitenden gewerblichen Warenverkehr (Business-to-business oder B2B) in Form von Pilotprojekten begonnen werden könnte“, wie der Ausschuss bereits in der zuvor genannten Stellungnahme zum Ausdruck gebracht hat.

4.4   In inhaltlicher Hinsicht ist der EWSA der Ansicht, dass der Verordnungsvorschlag in einigen Punkten erheblich nachgebessert werden muss, um folgenden den Anforderungen gerecht zu werden:

Geschäfte innerhalb der Europäischen Union sollten erleichtert, ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung von Wirtschaftsaktivitäten innerhalb des Binnenmarktes geleistet und dessen Potenzial weiter ausgeschöpft werden;

für Wirtschaftsakteure und Verbraucher sollte hinsichtlich der Kosten und der Vorteile ein echter europäischer Mehrwert entstehen;

im Hinblick auf eine bessere Rechtsetzung und ein vereinfachtes, verständliches und nutzerfreundliches Regelungsumfeld sollten deutliche Vorteile zu erkennen sein;

die Kosten im Zusammenhang mit grenzübergreifenden Geschäften zu reduzieren;

Rechtsicherheit und größere Kohärenz zwischen horizontalen und vertikalen Vorschriften zu gewährleisten, wobei insbesondere auf Transparenz, Klarheit und Einfachheit geachtet werden sollte. Hiervon werden nicht nur Juristen profitieren, sondern auch und gerade kleine Unternehmen und die Verbraucher;

sicherstellen, dass KMU und Verbrauchern die neuen Regeln in der Praxis zugutekommen.

4.5   In früheren Stellungnahme hob der Ausschuss hervor, dass „diese Ziele schrittweise angestrebt werden [sollten], wobei mit Kaufverträgen für den grenzüberschreitenden gewerblichen Warenverkehr (Business-to-Business oder B2B) in Form von Pilotprojekten begonnen werden könnte, anhand derer die Koexistenz verschiedener rechtlicher Regelungen sowie deren konkrete Anwendung überprüft werden können“ (7).

Durch eine Aufteilung des gemeinsamen europäischen Kaufrechts auf zwei getrennte Texte, von denen der eine die Regelung für Verträge zwischen Unternehmen, der andere die Regelung für Verträge mit Verbrauchern umfasst und die beide jeweils klare Zeitvorgaben enthalten, wird es den Gesetzgebern leichter gemacht, zu entscheiden, welches Rechtsetzungsverfahren für jedes Normenwerk angewandt werden sollte. Dabei ist die unterschiedliche Verhandlungsmacht der Parteien zu berücksichtigen.

4.6   Der derzeitige Inhalt des gemeinsamen europäischen Kaufrechts hat auf Seiten der KMU- und Verbraucherorganisationen zu großer Unzufriedenheit geführt. Diese bezweifeln, ob eine fakultative Regelung für die Ankurbelung von Online-Geschäften tatsächlich notwendig ist und stellen das Rechtsetzungsverfahren (fakultative Regelung) im Bereich der Verträge zwischen Unternehmen und Verbrauchern in Frage.

4.7   Der Ausschuss fordert die Kommission, den Rat und das Parlament auf, bei der Konzipierung des gemeinsamen europäischen Kaufrechts diesen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen und den Dialog mit KMU- und Verbraucherorganisationen fortzuführen, damit das gemeinsame europäische Kaufrecht den Bedürfnissen derjenigen, die es anwenden, besser entspricht.

4.8   Der Ausschuss misst dem fakultativen Charakter der neuen Regelung und der Gewährleistung von Verhandlungsfreiheit im Hinblick auf die Akzeptanz des gemeinsamen europäischen Kaufrechts große Bedeutung zu.

4.9   Im Hinblick auf große Unternehmen oder Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung empfiehlt der Ausschuss, flankierende Maßnahmen aufzuzeigen, damit KMU ihr Recht auf Wahl zwischen zwei rechtlichen Regelungen entsprechend dem fakultativen Charakter des gemeinsamen europäischen Kaufrechts besser wahrnehmen können.

4.10   Gemäß Artikel 12 und 169 des Vertrages muss bei der Konzipierung und Anwendung aller EU-Politikbereiche und der entsprechenden Maßnahmen den Erfordernissen des Verbraucherschutzes und des Schutzes für kleine und mittlere Unternehmen Rechnung getragen werden.

4.11   Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Anwendung des gemeinsamen europäischen Kaufrechts mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist:

die Vereinbarkeit des fakultativen Instruments mit dem internationalen Privatrecht der EU, u.a. in Bezug auf Eingriffsnormen der Mitgliedstaaten und auf Vorschriften der nationalen öffentlichen Ordnung (Artikel 9 bzw. 21 der Verordnung Nr. 593/2008) müssen geklärt werden;

die Rolle der Rom-I-Verordnung bei grenzübergreifenden Käufen zwischen Unternehmern und Verbrauchern sollte unter Berücksichtigung der jüngsten Urteile des Gerichtshofes der EU, die diesbezüglich als Leitlinien dienen, ausdrücklich geklärt werden;

Rechtssicherheit muss in stärkerem Maße garantiert und es muss ein komplettes vertragsrechtliches Regelwerk erstellt werden, das sich nicht auf die verschiedenen nationalen Gesetze der 27 Mitgliedstaaten beruft und dessen Anwendung und Auslegung keine Schwierigkeiten bereitet.

4.12   Der Ausschuss weist darauf hin, dass zur Förderung des grenzübergreifenden Handels sowie zur umfassenden Ausschöpfung des Potenzials des Binnenmarktes in Bezug auf Wirtschaftswachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen die Einführung des gemeinsamen europäischen Kaufrechts allein nicht ausreicht.

4.13   Vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise muss alles unternommen werden, um einen Rahmen zu schaffen, mit dem Exporte gefördert und bürokratischer Aufwand verringert werden; das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt muss gestärkt und grenzübergreifendes Einkaufen gefördert werden, indem wirkungsvolle individuelle Rechtsmittel zur Verfügung gestellt werden.

4.14   Der Ausschuss fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sich weiterhin um Beseitigung der verbleibenden Hindernisse im grenzübergreifenden Handel zu bemühen, die Exporttätigkeit von KMU zu fördern und zu unterstützen und sich aktiv an der Festlegung und Anwendung von Maßnahmen zu beteiligen, die den Unternehmen und Verbrauchern eine optimale Nutzung der Chancen des Binnenmarktes ermöglichen. Er hebt die Bedeutung einer Zusammenarbeit und eines echten Dialogs zwischen den Behörden und den Sozialpartnern, einschließlich KMU und Verbraucherorganisationen hervor.

4.15   Der Ausschuss weist auf die Bedeutung flankierender Maßnahmen hin, die notwendig sind, um sicherzustellen, dass die Parteien, die eventuell das gemeinsame europäische Kaufrecht – wenn es schließlich angenommen werden sollte – anwenden, darüber in Kenntnis gesetzt werden, wie das Recht wirksam anzuwenden und einheitlich auszulegen ist. Die Mitgliedstaaten sind gehalten, alle Interessenten über das Binnenmarkt-Informationssystem (IMI) und andere Informationskanäle über den allgemeinen Inhalt des gemeinsamen europäischen Kaufrechts sowie über die Unterschiede zwischen dem jeweiligen nationalen Recht und dem EU-Recht, auch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung und bewährte Verfahren zu informieren.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Stärkere Berücksichtigung der besonderen Charakteristika von KMU

5.1.1   Der EWSA ist der Ansicht, dass der Verordnungsvorschlag einer Nachbesserung bedarf und die besonderen Charakteristika der KMU stärker berücksichtigt werden sollten:

99,8 % aller Unternehmen sind KMU, 92 % hiervon sind Kleinstunternehmen mit durchschnittlich zwei Angestellten (8);

Kleinstunternehmen exportieren nach eingehender Marktanalyse in nur wenige Länder;

das Geschäftsmodell eines typischen Kleinstunternehmen sieht nicht vor, grenzübergreifende Verträge in 27 Mitgliedstaaten abzuschließen;

KMU stoßen bei grenzübergreifenden Transaktionen auf beträchtliche Hindernisse (siehe Ziffer 2.2.2).

5.1.2   Der Vorschlag ist aus Sicht der KMU nicht ausreichend benutzerfreundlich. Die KMU können ein komplexes und abstraktes vertragsrechtliches Instrument, das in manchen Bereichen auf die unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften der 27 Mitgliedstaaten Bezug nimmt, nicht ohne unterstützende Dienstleistungen und Rechtsberatung anwenden. Hier sind Instrumente gefragt, die den KMU die Entscheidung für das gemeinsame europäische Kaufrecht erleichtern könnten.

5.1.3   KMU-Organisationen (9) plädieren bei Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern für eine größere Ausgewogenheit zwischen den Rechten und den Pflichten der Parteien; sie fordern im Einzelnen die Klarstellung und Vereinfachung der folgenden Fragen:

Artikel 23 (Absatz 1 über die Offenlegungspflicht in Bezug auf Waren und verbundene Dienstleistungen ist nicht hinreichend klar formuliert);

Artikel 29 (Sanktionen sind zu umfangreich und unsicher);

Artikel 39 (die Bestimmungen der Partei, die das Angebot macht, sollten maßgeblich sein);

Artikel 42 Absatz 1a (Widerrufsfrist) (die Bestimmungen der Verbraucherschutzrichtlinie sollten übernommen werden);

Artikel 51 („dringende Bedürfnisse“ oder „unvorsichtig, unwissend oder unerfahren“ zu sein, sollten keine Rechtfertigung sein - das Gebot, nach Treu und Glauben zu handeln und einen redlichen Geschäftsverkehr zu betreiben deckt die in diesem Artikel vorgesehenen Tatbestände ab;

Artikel 72 (bei langwierigen Verhandlungsprozessen sollten die Vertragsparteien alle Vereinbarungen in einem Vertrag zusammenfassen können, andernfalls wäre der Verwaltungsaufwand für KMU in finanzieller und zeitlicher Hinsicht zu groß);

Artikel 78 (in Absatz 1 muss klargestellt werden, dass auch das Einverständnis der anderen Partei eingeholt werden sollte, wenn Rechte auf Dritte übertragen werden;)

in Artikel 78 Absatz 4 über die Zurückweisung eines an einen Dritten übertragenen Rechts durch diesen Dritten müssen die Worte „stillschweigende Annahme“ gestrichen werden, da diese Unklarheit hervorrufen;

Artikel 97 (die Verpflichtungen für die Parteien müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen);

Artikel 130 Absatz 3 und Absatz 5 (es fehlt der Hinweis auf die sorgfältige Aufbewahrung durch den Käufer);

Artikel 142 Absatz 4 (einfügen: den „ersten“ Beförderer);

Artikel 159 Absatz 1 (nähere Erläuterungen sind erforderlich);

5.1.4   Mit dem gemeinsamen europäischen Kaufrecht muss in allen Phasen eine umfassende Anwendung des Grundsatzes „Vorfahrt für die KMU“ und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ebenso gewährleistet sein wie die Verringerung von Verwaltungsaufwand und unnötigen Kosten für KMU. Der Ausschuss betont, dass die Rechtsbefolgungskosten für die KMU auf ein Minimum beschränkt bleiben müssen, und fordert die Kommission, den Rat und das Parlament dazu auf, diesen Gesichtspunkt bei der Konzipierung des gemeinsamen europäischen Kaufrechts zu berücksichtigen.

5.2   Verbraucherschutz

5.2.1   Der Ausschuss weist erneut darauf hin, dass „ausgehend von den am weitesten entwickelten Schutzmethoden für Verbraucher und Unternehmen“ Rechtssicherheit sicherzustellen ist, ohne einen „Mitgliedstaat daran zu hindern, striktere Verbraucherschutzmaßnahmen beizubehalten oder einzuführen“ (10) und spricht sich für einen Binnenmarkt als „Instrument“ zum Nutzen des Bürgers als Verbraucher" aus (11).

5.2.2   Der Inhalt des gemeinsamen europäischen Kaufrechts ist bei zahlreichen Verbraucherorganisationen mit Unzufriedenheit und Kritik aufgenommen werden. Im Mittelpunkt steht dabei das hinsichtlich Artikel 169 Absatz 4 niedrige Verbraucherschutzniveau, die Tatsache, dass das gemeinsame europäische Kaufrecht ohne Berücksichtigung der Meinung der Verbraucher umgesetzt wird, die es vorziehen würden, wenn Verträge zwischen Unternehmen und Verbrauchern aus dem Geltungsbereich des gemeinsamen europäischen Kaufrechts ausgeklammert würden u.ä.

5.2.3   Anhand zahlreicher Beispiele lässt sich belegen, dass der Vorschlag nicht auf ein möglichst hohes Maß an Verbraucherschutz abzielt:

Artikel 5 (objektive Bestimmung der „Angemessenheit“);

Artikel 13 Absatz 1 (genaue Bedeutung von „klarer und verständlicher Form“);

Artikel 13 Absatz 3c (Fehlen einer Definition von „dauerhaftem Datenträger“);

Artikel 19 Absatz 5 (Fehlen einer Definition von „angemessener Frist“);

Artikel 20 Absatz 2 (genaue Bedeutung von „Alltagsgeschäft“);

Artikel 28 Absatz 1 (genaue Bedeutung von „vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt“);

Artikel 30 Absatz 1 Buchstabe c) (Fehlen einer Definition von „ausreichenden Inhalt hat und hinreichend bestimmt ist“);

Artikel 42 Absatz 2 (bei Nichtbereitstellung von Informationen sollte der Vertrag für null und nichtig erklärt werden);

Artikel 45 (die Kosten der Rücksendung sollten niemals zu Lasten des Verbrauchers gehen);

Artikel 52 Absatz 2 (die Fristen sollten im Fall (a) ein Jahr und im Fall (b) zwei Jahre betragen);

Artikel 53 (eine Bestätigung sollte niemals stillschweigend sein);

Artikel 71 (Formulierung sollte klarer sein);

Artikel 74 (Bedeutung von „grob unangemessen“);

Artikel 79 Absatz 1 (Fehlen einer Definition der unfairen Vertragsbestimmung, die eine „nicht bindende“ Wirkung hat);

Artikel 79 Absatz 2 (in der Richtlinie wird nicht zwischen wichtigen und unwichtigen Vertragselementen unterschieden);

Artikel 82 (in der Richtlinie nicht erwähnt sind die Vorschriften für die Mitteilung von Klauseln, Regeln zur Informationspflicht und Bestimmungen, die automatisch wegen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben von Verträgen auszuschließen sind, unabhängig davon, ob sie inhaltlich unangemessen sind);

Artikel 84 (Liste von unzulässigen Klauseln ist zu kurz und entspricht nicht den fortschrittlichsten nationalen Gesetzgebungen);

Artikel 85 (das gleiche gilt für die Klauseln, die eine Vermutung von Unfairness erlauben);

Artikel 99 Absatz 3 (vollkommen inakzeptabel);

Artikel 105 Absatz 2 (die Frist sollte mindestens zwei Jahre betragen);

Artikel 142 (die rechtliche Bedeutung und die Art des „Besitzes an den Waren“ ist aufgrund der unterschiedlichen nationalen Rechtsysteme nicht in allen Sprachen und dementsprechend nicht in allen Sprachfassungen gleichbedeutend);

Artikel 142 Absatz 2 (Bedeutung von „Kontrolle über die digitalen Inhalte“);

Artikel 167 Absatz 2 (die Möglichkeit einer Mitteilung bevor die Zahlung fällig wird, sollte ausgeschlossen werden);

Artikel 179 und 180 (Formulierung sollte klarer sein).

5.2.4   Im Hinblick auf eine Stärkung des Verbrauchervertrauens sind besondere Maßnahmen notwendig, um im Falle von Betrug und Täuschung eine entsprechende Haftung und grenzüberschreitende Verfolgung sicherzustellen. 59 % der Verbraucher geben an, dass sie das Fehlen solcher Garantien von grenzübergreifenden Geschäften abhalte.

5.3   Europäische Musterverträge

5.3.1   Der Ausschuss betont, dass europäische Musterverträge erarbeitet werden müssen, die folgenden Anforderungen entsprechen:

sie müssen gleichzeitig mit der Veröffentlichung und dem Inkrafttreten des europäischen Kaufrechts zur Verfügung stehen;

sie werden für bestimmte Handels- oder Tätigkeitsbereiche erarbeitet;

sie enthalten umfassende Standardvertragsbestimmungen, die sich auf den gemeinschaftlichen Besitzstand gründen, einen sehr hohen Verbraucherschutz in Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern sowie Vertragsfreiheit in Verträgen zwischen Unternehmen garantieren und in vollem Umfang dem „Small Business Act“ gerecht werden;

sie sind allen Amtssprachen der EU verfügbar;

sie müssen überwacht und im Hinblick auf ihre inhaltliche Verbesserung unter Bezugnahme auf bewährte Verfahren, die Rechtslehre und Rechtsprechung in bestimmten Zeitabständen überprüft werden.

Diese Instrumente sind von großem Nutzen für KMU, die grenzübergreifende Verträge mit Verbrauchern abschließen möchten.

5.3.2   Sehr wichtig ist auch, dass Unternehmerverbände, KMU-Verbände und Verbraucherverbände bei der Erstellung europäischer Musterverträge miteinbezogen werden.

5.4   Gewährleistung größerer Rechtssicherheit

5.4.1   Der Vorschlag für eine Verordnung wirft Fragen bezüglich der angemessenen Rechtsgrundlage, der Auslegung und der Anwendung auf.

5.4.2   An vielen Stellen wird auf innerstaatliches Recht verwiesen, u.a. in Bezug auf die Frage der Rechtspersönlichkeit, die Ungültigkeit eines Vertrags wegen Geschäftsunfähigkeit, Rechts- oder Sittenwidrigkeit, die Bestimmung der Vertragssprache, das Diskriminierungsverbot, die Stellvertretung, die Schuldner- und Gläubigermehrheit, der Wechsel der Parteien einschließlich Abtretung, die Aufrechnung und Konfusion, das Sachenrecht einschließlich der Eigentumsübertragung, das Recht des geistigen Eigentums sowie das Deliktsrecht. Dadurch sind die Händler gezwungen, den Rechtsrahmen zu untersuchen und für Rechtsberatung zu bezahlen. Dies führt auch zu größerer Rechtsunsicherheit.

5.4.3   Es gibt keinen Mechanismus, um eine in der ganzen EU einheitliche Anwendung der Verordnung sicherzustellen. Eine Datenbank mit richterlichen Entscheidungen wird für nationale Gerichte, die für die Auslegung und Anwendung der Verordnung zuständig sind, nicht die Wirkung eines gültigen juristischen Präzedenzfalls haben; angesichts verschiedener Auslegungsmöglichkeiten wird die Rechtsunsicherheit zunehmen.

5.4.4   Zumindest in den ersten fünf Jahren nach dem Erlass der Verordnung sollten richterliche Entscheidungen beobachtet, bewährte Verfahren gefördert und jährliche Berichte erstellt werden, um so die Ergebnisse fortlaufend zu bewerten, bewährte Verfahren zu fördern und die Maßnahmen zu ergreifen, die für eine einheitliche Auslegung der Verordnung in der ganzen EU notwendig sind.

5.5   Weitere Anmerkungen

In Krisenzeiten ist es wenig wahrscheinlich, dass auf nationaler Ebene größere Summen für Maßnahmen zur Information über die neue Regelung und deren Förderung bereitgestellt werden. Ziffer 4 der Begründung (Auswirkungen auf den Haushalt) sollte Unterstützungsmaßnahmen enthalten, wie etwa Schulungen der Kommission für Vertreter von Unternehmen, KMU und Verbraucherorganisationen, damit diese wiederum ihre Mitglieder über das gemeinsame europäische Kaufrecht informieren. Zudem sollten Maßnahmen enthalten sein, um diese Organisationen bei der kostenlosen Beratung über die Anwendung der Verordnung zu unterstützen.

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 1.

(2)  ABl. L 304 vom 22.11.2011, S. 64.

(3)  Verbraucherbarometer, 5. Ausgabe März 2011.

(4)  COM(2011) 636 final.

(5)  COM(2011) 635 final.

(6)  ABl. L 177 vom 4.7.2008, S. 6.

(7)  ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 1.

(8)  EUROSTAT.

(9)  Positionspapiere des europäischen Dachverbands des Handwerks und der KMU (UEAPME):

 

http://www.ueapme.com/IMG/pdf/120119_pp_General_Remarks_CESL.pdf,

 

http://www.ueapme.com/IMG/pdf/120119_pp_Specific_Remarks_CESL.pdf.

(10)  ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 1.

(11)  ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 3.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

I.   Die folgenden Ziffern der Stellungnahme der Fachgruppe wurden gemäß den vom Plenum angenommenen Änderungsanträgen geändert, obwohl ihre Beibehaltung in der ursprünglichen Fassung mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

a)   Ziffer 1.2

„Im Hinblick auf die Form des gemeinsamen europäischen Kaufrechts (Verordnung) und die gewählte Option (fakultatives zweites Vertragsrecht) ist der Ausschuss darüber erfreut, dass seine früheren Vorschläge aufgegriffen wurden. Wie er bereits in seiner früheren Stellungnahme unterstrichen hat (1), sollte die Kommission im Rahmen ihrer Initiative zunächst eine Toolbox in Form des gemeinsamen Referenzrahmens einrichten, auf den die Vertragsparteien beim Aufsetzen grenzüberschreitender Verträge zurückgreifen können, und könnte dann in einem zweiten Schritt ein fakultatives Instrument für Kaufverträge des grenzüberschreitenden gewerblichen Warenverkehrs (Business-to-Business oder B2B) in Form von Pilotprojekten vorschlagen, anhand derer sich die Koexistenz verschiedener rechtlicher Regelungen sowie deren konkrete Anwendung überprüfen lässt.“

Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag:

Ja-Stimmen

:

93

Nein-Stimmen

:

41

Enthaltungen

:

6

b)   Ziffer 1.7

„Der Ausschuss verweist auf die folgenden zentralen Punkte:

die Umsetzung des gemeinsamen europäischen Kaufrechts ist mit größeren Schwierigkeiten verbunden;

die besonderen Charakteristika von KMU müssen stärker berücksichtigt werden;

Europäische Musterverträge für bestimmte Handels- oder Tätigkeitsbereiche, die die üblichen Geschäftsbedingungen enthalten und in allen Amtssprachen der EU verfügbar sind, sollten in Konsultation mit Unternehmer-, KMU- und Verbraucherverbänden erarbeitet werden. Musterverträge dieser Art wären in den Beziehungen zwischen Unternehmen und Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und Verbrauchern von großem Nutzen und könnten gefördert werden ungeachtet der Tatsache, ob das gemeinsame europäische Kaufrecht zur Verfügung steht oder nicht;

größere Rechtssicherheit muss garantiert und inhaltliche Verbesserung an dem gemeinsamen europäischen Kaufsrecht vorgenommen werden;

gemäß Artikel 12 und 153 des Vertrages muss bei der Konzipierung und Durchführung aller Bereiche der EU-Politik und der entsprechenden Maßnahmen den Erfordernissen des Verbraucherschutzes und des Schutzes für KMU Rechnung getragen werden.“

Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag:

Ja-Stimmen

:

75

Nein-Stimmen

:

68

Enthaltungen

:

7

c)   Ziffer 1.9

„Der Ausschuss weist auf die Bedeutung flankierender Maßnahmen hin, um die Parteien, die das gemeinsame europäische Kaufrecht, falls es schließlich verabschiedet wird, anwenden könnten, darüber in Kenntnis zu setzen, wie dieses Recht wirksam durchgeführt und einheitlich ausgelegt wird. Der Ausschuss betont jedoch, dass der vorliegende Vorschlag nicht für Verbrauchergeschäfte gelten sollte.“

Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag:

Ja-Stimmen

:

85

Nein-Stimmen

:

53

Enthaltungen

:

5

d)   Ziffer 4.3

„Im Hinblick auf die Form (Verordnung) und die gewählte Option (in allen Mitgliedstaaten geltendes alternatives zweites Vertragsrecht, dessen Anwendung auf freiwilliger Basis erfolgt und der ausdrücklichen Zustimmung beider Vertragsparteien bedarf), könnte sich das Rechtsinstrument lediglich auf Handelsverträge beschränken und Verbraucherverträge vorerst außer Acht lassen, wie der Ausschuss bereits in der zuvor genannten Stellungnahme zum Ausdruck gebracht hat.“

Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag:

Ja-Stimmen

:

93

Nein-Stimmen

:

41

Enthaltungen

:

6

e)   Ziffer 4.13

„Vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise muss alles unternommen werden, um einen Rahmen zu schaffen, mit dem Exporte gefördert und bürokratischer Aufwand verringert werden; das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt muss gestärkt und grenzübergreifendes Einkaufen gefördert werden, indem wirkungsvolle individuelle und kollektive Rechtsmittel zur Verfügung gestellt werden.“

Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag:

Ja-Stimmen

:

71

Nein-Stimmen

:

66

Enthaltungen

:

8

f)   Ziffer 5.3.1

„Der Ausschuss betont, dass europäische Musterverträge erarbeitet werden müssen, die folgenden Anforderungen entsprechen:

sie müssen unbeschadet des Inkrafttretens des europäischen Kaufrechts zur Verfügung stehen;

sie werden für bestimmte Handels- oder Tätigkeitsbereiche erarbeitet;

sie enthalten umfassende Standardvertragsbestimmungen, die sich auf den gemeinschaftlichen Besitzstand gründen, einen sehr hohen Verbraucherschutz in Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern sowie Vertragsfreiheit in Verträgen zwischen Unternehmen garantieren und in vollem Umfang dem ‚Small Business Act‘ gerecht werden;

sie sind allen Amtssprachen der EU verfügbar;

sie müssen überwacht und im Hinblick auf ihre inhaltliche Verbesserung unter Bezugnahme auf bewährte Verfahren, die Rechtslehre und Rechtsprechung in bestimmten Zeitabständen überprüft werden.

Diese Instrumente sind von großem Nutzen für KMU, die grenzübergreifende Verträge mit Verbrauchern abschließen möchten.“

Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag:

Ja-Stimmen

:

75

Nein-Stimmen

:

68

Enthaltungen

:

7

II.   Der folgende Absatz wurde aufgrund des im Plenum angenommenen Änderungsantrags gestrichen, obwohl seine Beibehaltung in der ursprünglichen Fassung mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

a)   Ziffer 5.4.1

„Der Ausschuss hebt hervor, dass aus Sicht der Verbraucher eine der Hauptsorgen bei grenzübergreifenden Geschäften das Fehlen wirksamer Rechtsmittel ist. Die jüngsten Vorschläge der Kommission für eine Richtlinie über alternative Streitbeilegung und zu einer Verordnung über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten stellen zwar wichtige Fortschritte dar, aber ein europäischer Mechanismus zur gerichtlichen Durchsetzung kollektiver Rechtsansprüche fehlt noch immer.“

Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag:

Ja-Stimmen

:

71

Nein-Stimmen

:

71

Enthaltungen

:

7

Gemäß Artikel 56Absatz 6 der Geschäftsordnung des EWSA gibt bei Stimmengleichheit in einer Abstimmung die Stimme des Sitzungsvorsitzenden den Ausschlag. Der Vorsitzende beschloss demgemäß, für den Änderungsantrag zu stimmen.


(1)  ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 1 (Ziffer 1.2 und 1.3).


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/84


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen“

COM(2011) 684 final — 2011/0308 (COD)

(2012/C 181/15)

Berichterstatter: Paulo BARROS VALE

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 15. bzw. 29. November 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 50 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen

COM(2011) 684 final — 2011/0308 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 8. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) mit 125 gegen 2 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1   Kleinstunternehmen und kleine und mittlere Unternehmen machen die überwältigende Mehrheit der Unternehmen in der EU aus. Der EWSA begrüßt daher jedwede Initiative, die potenziell zu einem reibungsloseren Funktionieren des Binnenmarktes führt und Investitionen und Handel im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr erleichtert und fördert. Die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) tragen am meisten zu Wirtschaftswachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und Innovation bei, sind zugleich aber auch am stärksten Veränderungen und Entwicklungen unterworfen.

1.2   Die in der Überarbeitung der Richtlinie vorgeschlagenen Vereinfachungen sind eine logische Konsequenz des in der Europa-2020-Strategie umrissenen Ziels eines nachhaltigen und integrativen Wachstums, des in der Mitteilung zur „Binnenmarktakte“ empfohlenen Vereinfachungsgrundsatzes sowie der in der Mitteilung „Vorfahrt für KMU in Europa – Ein ‚Small Business Act‘ für Europa“ bekundeten Anerkennung der zentralen Rolle der KMU bei der wirtschaftlichen Entwicklung.

1.3   Die EU-weite vollständige Harmonisierung der Größenkriterien ist ein begrüßenswerter Vorstoß und sollte nach Auffassung des EWSA auf die sogenannten Kleinstunternehmen ausgeweitet werden. Desgleichen sollte ein einziger Rechtsrahmen für sämtliche Unternehmenskategorien angestrebt werden. Diese generelle Vereinheitlichung wird EU-weit zu gleichen Bedingungen beitragen und dadurch den Wettbewerb fördern.

1.4   Außerdem ist hervorzuheben, dass die Mitgliedstaaten von kleinen Unternehmen keine über die Anforderungen der neuen Richtlinie hinausgehenden zusätzlichen Informationen verlangen dürfen. Nur so kann die mit der Überarbeitung angestrebte Vereinfachung umfassend verwirklicht und zum Nutzen aller eingesetzt werden, und zwar unter Wahrung der Interessen der Nutzer der Rechnungslegungsinformationen, seien es Investoren, Gläubiger, der Staat oder die Allgemeinheit.

1.5   Nach Auffassung des EWSA muss – die Wahrung der vorgenannten Interessen vorausgesetzt – die vorgeschlagene Vereinfachung und Vereinheitlichung auch im steuerlichen Bereich Anwendung finden, um zu vermeiden, dass die Mitgliedstaaten zusätzliche Informationen für die Steuererhebung verlangen. Auch der Bankensektor muss auf die Änderungen und die mögliche Anpassung seiner Analyseverfahren an die neuen Bestimmungen für Abschlüsse aufmerksam gemacht werden, um zusätzliche Informationsanforderungen zu vermeiden.

1.6   Es steht nicht zu erwarten, dass die Vereinfachung des Abschlusses allein als Anreiz für die Gründung von Unternehmen und die Verbesserung des Unternehmensumfeldes ausreicht. Dieses Ziel ist mit Sicherheit nur dann zu verwirklichen, wenn gleichzeitig weitere Maßnahmen zur Förderung des Wirtschaftswachstums ergriffen werden. Des ungeachtet ist diese wie auch jede andere Initiative zu begrüßen, die eine Senkung der administrativen Kosten und sonstige Maßnahmen zur Verringerung des Verwaltungsaufwands (Offenlegungspflichten, Beantragung von Genehmigungen und Zulassungen usw.) erlaubt.

1.7   Was die Verringerung des personellen und finanziellen Aufwands angeht, werden durch die vorgeschlagenen Vereinfachungen zweifellos Mittel freiwerden, die in anderen Unternehmensbereichen eingesetzt werden können.

1.8   Die Befreiung kleiner Unternehmen von der Abschlussprüfung – unabhängig davon, ob es sich um Aktiengesellschaften handelt oder nicht – ist ein wichtiger Schritt und sehr zu begrüßen; der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass dieses Verfahren für Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten zwingend vorgeschrieben bleiben muss. Da diese Berichtspflicht für einige der kleinen Unternehmen ein sehr kostspieliges Verfahren bedeutet, muss die Befreiung nicht börsennotierter kleiner Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform gewährleistet werden. Die Durchführung des Verfahrens muss fakultativ sein und dem Ermessen der Gesellschafter oder Aktionäre überlassen werden.

1.9   Wenn die Rechnungslegungsverfahren auf elektronischem Wege durchgeführt und die Abschlüsse mithilfe der auf dem Markt verfügbaren Buchhaltungssoftware aufgestellt werden, können die Vereinfachungen aufgrund der notwendigen, nicht zu unterschätzenden Aktualisierung dieser Buchhaltungsprogramme anfangs sogar zu höheren Kosten führen.

1.10   Überdies müssen die Kosten berücksichtigt werden, die den Statistik- und Finanzämtern durch die Anpassung der Datenerhebung entstehen werden.

1.11   Für die meisten kleinen Unternehmen sind die Abschlüsse nach wie vor ein rein formelles gesetzliches Erfordernis im Interesse der Finanzverwaltung. Zu dieser Sicht der Dinge kann auch die geringe Unternehmensgröße beitragen, die eine Einstellung interner Rechnungsprüfer unmöglich macht, aber der wichtigste Faktor ist in vielen KMU weiterhin die mangelnde Ausbildung der Unternehmer und Manager. Die Weiterführung und der Ausbau der Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für Unternehmer hinsichtlich der Interpretation der verfügbaren Informationen ist daher zu begrüßen, weil dadurch einige der durch ein „Navigieren auf Sicht“ bedingten Fehler in der Unternehmensführung vermieden werden können. Parallel dazu muss auch an Weiterbildungsmaßnahmen für die Fachleute in den Buchhaltungskanzleien gedacht werden, wo die Abschlüsse kleiner Unternehmen zumeist aufgestellt werden. Auch für sie müssen Schulungsmaßnahmen über die Aktualisierung von Rechtsvorschriften gefördert und unterstützt werden.

1.12   Was die Meldepflicht für Zahlungen der mineralgewinnenden Industrie und der Industrie des Holzeinschlags an staatliche Stellen angeht, begrüßt der EWSA die Einführung dieser Maßnahme, spricht sich jedoch für ihre Ausweitung auf weitere relevante Sektoren aus. Aus Gründen der Transparenz sollte sich diese Pflicht auch auf Konzessionen an privatwirtschaftliche Akteure erstrecken wie z.B. bei Transaktionen im Zusammenhang mit dem Verkehrs-, Wasser-, Energie- und Kommunikationsnetz sowie im Bereich des Glücksspiels, wo es um stattliche Beträge geht und die – mit Ausnahme des Glücksspiels – die elementarsten Gemeinwohlaufgaben betreffen.

1.13   Einige Bestimmungen des hier erörterten Richtlinienvorschlags stehen im Widerspruch zu den Internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS – International Financial Reporting Standards); dies gilt insbesondere für die Ausweisung von ausstehenden Einlagen auf das gezeichnete Kapital in der Bilanz und den Höchstzeitraum für die Abschreibung des Geschäfts- oder Firmenwerts. Der EWSA begrüßt, dass in der vorgeschlagenen Richtlinie nicht die zwingende Übernahme der IFRS-Standards durch KMU vorgesehen ist, da zunächst sämtliche Lehren aus der seit kurzem weltweiten Anwendung dieser Standards gezogen werden sollten.

1.14   In der Diskussion ist außerdem eine gesonderte Rechtsvorschrift für Kleinstunternehmen. Diese muss mit dem hier behandelten Richtlinienvorschlag in Einklang gebracht werden, um eine unübersichtliche Informationslage infolge der Verteilung auf verschiedene Dokumente zu vermeiden.

2.   Hintergrund des Vorschlags

2.1   Der Richtlinienvorschlag sieht vor, die Vierte Richtlinie über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (78/660/EWG) und die Siebente Richtlinie über den konsolidierten Abschluss (83/349/EWG) durch eine einzige Richtlinie über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen zu ersetzen.

2.2   Die gegenwärtige Überprüfung steht im Zusammenhang mit weiteren Initiativen der Kommission zur Vereinfachung der Pflichten für KMU und somit zur Verringerung ihres Verwaltungsaufwands und ergänzt den Richtlinienvorschlag aus dem Jahr 2009 über den Jahresabschluss von Kleinstunternehmen. Die Erstellung von Abschlüssen gilt als eine der aufwändigsten gesetzlichen Pflichten für Unternehmen, insbesondere für kleinere Firmen.

2.3   Die Überprüfung der Rechnungslegungsrichtlinien wird in der Kommissionsmitteilung „Binnenmarktakte – Zwölf Hebel zur Förderung von Wachstum und Vertrauen – ‚Gemeinsam für neues Wachstum‘ “ als einer der Hebel zur Belebung des Wachstums angeführt, wobei die Notwendigkeit unterstrichen wird, die gesetzlichen Pflichten für KMU auf europäischer wie auch nationaler Ebene zu verringern.

2.4   Mit der Überprüfung werden folgende Ziele verfolgt: Verringerung und Vereinfachung des Verwaltungsaufwands, den die Erstellung der Abschlüsse insbesondere für die kleinen Unternehmen bedeutet; mehr Klarheit und bessere Vergleichbarkeit der Abschlüsse, was insbesondere für grenzübergreifend tätige Unternehmen wichtig ist; Schutz der Nutzer von Rechnungslegungsinformationen; Erhöhung der Transparenz hinsichtlich der von der mineralgewinnenden Industrie und der Industrie des Holzeinschlags in Primärwäldern geleisteten Zahlungen an staatliche Stellen.

2.5   Die Konsultation der beteiligten Akteure, die sich auf die Ersteller und Nutzer der Abschlüsse sowie Normungsgremien und Behörden erstreckte, und eine Folgenabschätzung führten zu folgenden Schlüssen:

2.5.1

Was die Aufstellung von Abschlüssen betrifft, die als große Belastung für die Unternehmen und insbesondere für kleinere Unternehmen betrachtet wird, werden die in den Richtlinien vorgesehenen Pflichten geändert: Es wird eine „Mini-Regelung“ speziell für die KMU geschaffen, die die Anforderungen bezüglich der in den Anhang aufzunehmenden Informationen verringert, die Abschlussprüfung lockert und kleine Gruppen von der Pflicht zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses befreit.

2.5.2

Die Schwellenwerte für die Einstufung nach Unternehmensgröße werden vereinheitlicht, um EU-weit die Gleichbehandlung von Unternehmen gleicher Größe sicherzustellen.

2.5.3

Die Wahlmöglichkeiten der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Vorlage zusätzlicher Informationen werden begrenzt, um EU-weit die Verfahren zu vereinheitlichen und die Vergleichbarkeit der Abschlüsse zu verbessern.

2.5.4

Im Einklang mit der von der Kommission bekundeten Unterstützung für die internationale Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft („Extractive Industry Transparency Initiative“, EITI) und der in der Abschlusserklärung des G8-Gipfeltreffens von Deauville enthaltenen Zusage wird nun die Offenlegung der an staatliche Stellen geleisteten Zahlungen auf der Ebene des einzelnen Unternehmens oder auf konsolidierter Ebene verlangt.

2.6   Um die beteiligten Akteure vor einer eventuellen Verringerung des Umfangs der verfügbaren Informationen zu schützen, müssen Garantien und Verpflichtungen sowie Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen nun offengelegt werden. Diese Verpflichtung besteht bereits in einigen Ländern.

2.7   Von der Vereinfachung der Rechnungslegungsanforderungen für die KMU erhofft man sich eine Verbesserung des Unternehmensumfelds und Anreize für die Gründung von Unternehmen mit den damit einhergehenden positiven Auswirkungen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen. Da ein Teil der erzielten Einsparungen aus der Senkung der Honorare für Rechnungsprüfungsfirmen oder externe Rechnungsprüfer resultieren würde, sind parallel dazu leicht negative Auswirkungen auf die Beschäftigung zu erwarten, wodurch diese Maßnahme nach Auffassung der Kommission insgesamt betrachtet beschäftigungsneutral zu Buche schlagen dürfte.

2.8   Die Vereinfachung der Aufstellung der Rechnungslegungsunterlagen dürfte für die kleinsten Unternehmen kein Grund sein, auf Wachstum zu verzichten. Der mit einer Veränderung der Unternehmensgröße entstehende Kostenanstieg wird nicht als maßgeblicher Faktor bei Expansionsentscheidungen angesehen.

3.   Wichtigste Maßnahmen

3.1   Zur Verringerung des Verwaltungsaufwands im Zusammenhang mit der Erstellung der Abschlüsse wird für kleine Unternehmen eine spezielle Regelung eingeführt, mit der die Pflicht zur Offenlegung bestimmter Angaben im Anhang zum Abschluss begrenzt wird. Nur folgende Angaben werden zwingend vorgeschrieben: Rechnungslegungsmethoden; Garantien, Verpflichtungen, Eventualverbindlichkeiten und Vereinbarungen, die nicht Gegenstand der Bilanz sind; nach Erstellung der Bilanz eingetretene Ereignisse, die nicht Gegenstand der Bilanz sind; langfristige und besicherte Verbindlichkeiten; Geschäftsvorfälle mit nahestehenden Unternehmen und Personen. Angaben zu nach Erstellung der Bilanz eingetretenen Ereignissen und zu Geschäftsvorfällen mit nahestehenden Unternehmen und Personen sind zwar in einigen Mitgliedstaaten zwingend vorgeschrieben, aber die meisten Mitgliedstaaten sehen eine Befreiung von der Berichtspflicht für diese Angaben vor, da diese womöglich zusätzliche Verpflichtungen bedeuten. Die Aufnahme dieser Pflicht wird jedoch für notwendig erachtet, um die Verringerung der verfügbaren Angaben auszugleichen und die Nutzer der Informationen zu schützen.

3.2   Die (in Abhängigkeit von Bilanzsumme, Umsatzerlös und Zahl der Beschäftigten berechneten) Schwellenwerte für die Einstufung nach Unternehmensgröße werden vereinheitlicht, um eine EU-weit einheitliche Einstufung zu gewährleisten. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass Unternehmen gleicher Größe in den verschiedenen Mitgliedstaaten gleich behandelt werden und die mit dem Vorschlag angestrebte Verringerung des Verwaltungsaufwands den kleinen Unternehmen in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen zugutekommt.

3.3   Die Abschlussprüfung ist für kleine Unternehmen nicht mehr zwingend vorgeschrieben. In Anbetracht der Größe der betreffenden Unternehmen scheint die geforderte Transparenz bei der Rechnungslegung davon generell unberührt zu bleiben. Die unabhängige Bestätigung des – wenn auch vereinfachten - Abschlusses und die geforderte Transparenz der Rechnungslegung sowie der den beteiligten Akteuren vermittelten Informationen, auch im Hinblick auf den sozialen Dialog, bleiben für kleine Unternehmen unverzichtbar.

3.4   Ein konsolidierter Abschluss ist für kleine Gruppen (d.h. bei denen Mutter- und Tochterunternehmen auf konsolidierter Basis die Grenzen von zwei der vorgesehenen Größenmerkmale nicht überschreiten) nicht länger zwingend vorgeschrieben.

3.5   Verbindlich eingeführt werden die allgemeinen Grundsätze der „Wesentlichkeit“ und der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“, die – in Verbindung mit den verringerten Wahlmöglichkeiten der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Vorlage zusätzlicher Informationen –zur EU-weiten Vereinheitlichung der Verfahren und Verbesserung der Vergleichbarkeit der Abschlüsse beitragen.

3.6   Es soll eine neue Pflicht für große Unternehmen und Unternehmen von öffentlichem Interesse eingeführt werden, die an staatliche Stellen geleisteten Zahlungen im Zusammenhang mit den Tätigkeiten der mineralgewinnenden Industrie und der Industrie des Holzeinschlags offenzulegen.

4.   Bemerkungen

4.1   Angesichts der gegenwärtigen hohen Belastung durch die Aufstellung des Jahresabschlusses unterstützt der EWSA die von der Kommission angestrebte Vereinfachung nach dem Grundsatz „Vorfahrt für KMU“. Da der Verwaltungsaufwand und die Alternativkosten der Aufstellung von Abschlüssen bei den kleinsten, kleinen und mittleren Unternehmen am stärksten zu Buche schlagen, werden die geplanten Vereinfachungen der großen Mehrheit der europäischen Unternehmen zugutekommen.

4.2   Fast 20 Jahre nach der Errichtung des Binnenmarktes will die Kommission nun die Verfahren vereinfachen, die den Unternehmen das Leben schwer machen. Die Bemühungen um Vereinfachung sind unbestreitbar wichtig und die zugrundeliegenden Ziele begrüßenswert. Des ungeachtet ist Vorsicht geboten, damit das Streben nach Vereinfachung nicht über das Ziel hinausschießt und damit das Vertrauen und die Information der beteiligten Akteure und der Nutzer der Rechnungslegungsinformationen gewahrt werden, was in dem hier erörterten Vorschlag der Fall zu sein scheint. Die Vereinfachung darf nicht dazu führen, dass die in den Abschlüssen enthaltenen Angaben durch weitere zusätzliche Elemente ergänzt werden müssen, um die Auflagen für steuerliche Informationen oder die Anforderungen der Banken zu erfüllen. Eine derartige Entwicklung wäre schädlich und würde den Zielen des Vorschlags zuwiderlaufen, da die Kosten für die Unternehmen noch weiter zunehmen würden, weil sie für gesetzliche, für steuerliche und für Finanzierungszwecke drei verschiedene Arten von Angaben bereitstellen müssten.

4.3   Wie bei jeder Umstellung werden auch die jetzt vorgeschlagenen Änderungen Anpassungen erfordern, die möglicherweise anfangs nicht unstrittig sind oder sogar größere wirtschaftliche Auswirkungen haben, aber zwangsläufig EU-weit zur Senkung der Kosten und zu Vereinheitlichung der Kriterien und Berichtspflichten führen werden. Zu Beginn könnten sogar negative Auswirkungen auf die Kosten auftreten, da Softwareaktualisierungen sowie Schulungs- und Anpassungsmaßnahmen für die Erhebung der steuerlichen und statistischen Daten unabdingbar sind. Dieser Aufwand wird mit Sicherheit rasch durch die Vorteile aufgewogen, die die Änderungen bringen werden. Die Vereinfachungsbemühungen müssen daher entsprechend unterstützt werden; sehr hilfreich wäre in diesem Zusammenhang ihre Flankierung durch Maßnahmen z.B. zur Förderung der Schulung und Sensibilisierung der Unternehmer, der Rechnungsprüfer und der Nutzer der in den Abschlüssen bereitgestellten Angaben.

4.4   Von besonderer Bedeutung ist im Rahmen des vorliegenden Änderungsvorschlags die vorgesehene Befreiung kleiner Unternehmen von der Abschlussprüfung, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Aktiengesellschaften handelt oder nicht. Der EWSA spricht sich gegen diese Befreiung für Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten aus, denn die Bestätigung des Jahresabschlusses durch eine unabhängige zugelassene Stelle ist für KMU dieser Größe eine große Hilfe und eine Gewähr. Die Abschlussprüfung erfüllt die gesellschaftliche Funktion, die Richtigkeit des Jahresabschlusses festzustellen – eine unabdingbare Voraussetzung für eine Gesellschaft, die maßgeblich von der Leistungsfähigkeit der Unternehmen in einer Marktwirtschaft abhängig ist. Diese Maßnahme hat sehr erhebliche finanzielle Auswirkungen auf nicht börsennotierte kleine Unternehmen, die nur aufgrund ihrer Rechtsform und nicht wegen ihrer Größe zur Abschlussprüfung verpflichtet sind. Es ergibt keinen Sinn, ein kleines nicht notiertes Unternehmen, das von den Offenlegungs- und Transparenzanforderungen im Zusammenhang mit einer Börsennotierung befreit ist (was auch so bleiben muss), zu einem aufwändigen Verfahren zu zwingen, nur weil es sich bei seiner Gründung für eine Rechtsform entschieden hat, aufgrund derer es gesetzlich zu diesem Verfahren verpflichtet ist. Die gesetzliche Abschlussprüfung muss den Adressaten der Abschlüsse nützen und darf nicht blindlings nur den durch die Rechtsform der Unternehmen bedingten formalrechtlichen Pflichten folgen. Die Entscheidung, ob eine Abschlussprüfung durchgeführt werden soll oder nicht, muss bei kleinen Unternehmen Sache Aktionäre, Geschäftsführer und Manager sein; die Mitgliedstaaten müssen daran gehindert werden, die Abschlussprüfung verbindlich vorzuschreiben, und es darf auch keine Änderung des nationalen Rechts hinsichtlich der rechtlichen Einordnung der Unternehmensformen erforderlich werden.

Für Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten kann die Abschlussprüfung zur Auflage gemacht werden.

4.5   Wie bereits in seiner Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen im Hinblick auf Kleinstunternehmen“ begrüßt der EWSA den Vorschlag zur Vereinfachung als einen Anreiz für unternehmerische Initiative und Wettbewerbsfähigkeit und somit als Beitrag zur Vollendung des Binnenmarktes. Er begrüßt auch das Bemühen, die Vereinheitlichung, wie er dies seinerzeit gefordert hatte, durch eine Vereinfachungspflicht für alle Mitgliedstaaten durchzusetzen.

4.6   Eine weitere erwähnenswerte Neuerung, die sicherlich viel zur Förderung des Binnenmarkts beitragen wird, ist die Festlegung von Kriterien für die Bestimmung der Unternehmensgröße und deren Anwendung in allen Mitgliedstaaten. Nur so kann die Gleichbehandlung von Unternehmen gleicher Größe in allen Mitgliedstaaten gewährleistet werden. In den Unternehmenskategorien gemäß Artikel 3 des Richtlinienvorschlags sind die Kleinstunternehmen jedoch nicht aufgeführt, was den in bestimmten anderen Bereichen wie z.B. bei staatlichen Beihilfen oder bei der Durchführung der Strukturfonds oder der Gemeinschaftsprogramme verwendeten Definition widerspricht. Diese Unternehmenskategorie, die anerkanntermaßen die unternehmerische Dynamik fördert und Arbeitsplätze schafft, wird in der Empfehlung 2003/361/EG genannt. Daher muss die Definition der Kleinstunternehmen auch in die vorgeschlagene Richtlinie aufgenommen werden, damit alle in der EU gemeinhin üblichen Unternehmenskategorien in einem einzigen Dokument erfasst sind.

4.7   Der Richtlinienvorschlag von 2009 über Kleinstunternehmen befindet sich noch in der Verhandlungsphase. Es ergibt keinen Sinn, die gleichen Fragen in zwei verschiedenen Dokumenten zu behandeln. Diese unübersichtliche Informationslage verursacht Kosten und stiftet Verwirrung bei den Nutzern, was vermieden werden muss und in diesem Fall auch vermieden werden kann. Die Rechtsvorschriften für Kleinstunternehmen müssen daher mit dem vorliegenden Richtlinienvorschlag in Einklang gebracht und eventuell sogar zusammengeführt werden, um zu verhindern, dass die Unternehmen und Rechnungsprüfer wegen dieser unübersichtlichen Informationslage verschiedene Dokumente konsultieren müssen.

4.8   Bezüglich der Offenlegung von Zahlungen an staatliche Stellen gibt es möglicherweise Widerstände dagegen, diese Maßnahme über die im Richtlinienvorschlag vorgesehenen Sektoren der Mineralgewinnung und des Holzeinschlags hinaus auf weitere Wirtschaftstätigkeiten von öffentlichem Interesse oder mittels Konzessionen übertragene öffentliche Aufgaben auszuweiten; dennoch muss dieses Ziel nach Ansicht des Ausschusses weiterverfolgt werden, um Aufschluss über die Beziehungen zwischen Unternehmen und öffentlichem Sektor bei Transaktionen im Zusammenhang mit dem Verkehrs-, Wasser-, Energie- und Kommunikationsnetz sowie im Bereich des Glücksspiels zu erhalten. Diese Maßnahme ist innovativ, aber könnte – und sollte – noch darüber hinausgehen.

4.9   Einige Bestimmungen stehen im Widerspruch zu den Internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS). Obwohl die Anwendung der IFRS für KMU in der EU nicht allgemein verbindlich ist, wurden diese Normen bereits von den meisten EU-Mitgliedstaaten übernommen. Für die Aufstellung der Abschlüsse börsennotierter Unternehmen sind die IFRS bereits verbindlich, und dem Trend hin zur Vereinheitlichung der Rechnungslegungsverfahren mittels dieser Normen sollte sich auch die vorgeschlagene Richtlinie nicht entgegenstellen. Die Widersprüche betreffen zwei Bereiche: die Bilanzierung von ausstehenden Einlagen auf das gezeichnete Kapital unter Eigenkapital und die Abschreibung des Geschäfts- oder Firmenwerts über einem Zeitraum von maximal fünf Jahren. Erst wenn sämtliche Lehren aus der seit kurzem weltweiten Anwendung der IFRS in Bezug auf KMU gezogen wurden und die Korrektur dieser Widersprüche mit der Vereinfachung der Verfahren kompatibel erscheint, sollten die in der EU angewandten Vorschriften mit den international anerkannten Normen in Einklang gebracht werden.

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/89


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Verbraucherprogramm 2014-2020“

COM(2011) 707 final — 2011/0340 (COD)

(2012/C 181/16)

Berichterstatterin: Reine-Claude MADER

Das Europäische Parlament beschloss am 30. November 2011 und der Rat am 13. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 169 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Verbraucherprogramm 2014-2020

COM(2011) 707 final — 2011/0340 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 8. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 109 gegen 11 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1   Die Kommission hat ihren Vorschlag für eine Verordnung über ein Verbraucherprogramm für den Zeitraum 2014-2020 vorgelegt. Er knüpft nahtlos an die Mitteilung der Kommission „Europa 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ an und soll den mündigen Verbraucher in den Mittelpunkt des Binnenmarktes stellen.

1.2   Der EWSA begrüßt, dass für ein Verbraucherprogramm und ein Gesundheitsprogramm jeweils ein eigener Vorschlag vorgelegt wird, sodass beide Themen angemessen behandelt werden können.

1.3   Er nimmt die von der Kommission erklärte Absicht zur Kenntnis, die Verbraucher ins Zentrum der EU-Politik zu rücken, was im aktuellen Kontext von entscheidender Bedeutung ist. Er stellt fest, dass die zu diesem Zweck bereitgestellten Mittel recht bescheiden sind, und fragt sich, wie man dieses Ziel damit wirksam umsetzen kann.

1.4   Der EWSA nimmt die Absicht zur Kenntnis, die statistischen Instrumente zu schaffen, um das Marktgeschehen zu erfassen und seine Entwicklung in wirtschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen und umweltbezogenen Fragen in einer äußerst angespannten Lage zu verfolgen.

1.5   Der Ausschuss nimmt die Absicht zur Kenntnis, Indikatoren für die Weiterverfolgung zu entwickeln, die umso wichtiger sind, als das Programm angesichts der derzeitigen Lage einen langen Zeitraum abdeckt.

1.6   Der EWSA betont, dass es unerlässlich ist, die Sicherheitsnormen für vermarktete Produkte und Dienstleistungen in der EU zu erhöhen, was schärfere Kontrollen und eine Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden erfordert, die über wirksame Sanktionsmechanismen verfügen müssen.

1.7   Der Ausschuss unterstützt die Maßnahmen zur Verbesserung der Informations- und Bildungsprogramme für Verbraucher und zur Anwendung bewährter Verfahren, damit sachdienliche Informationen aus unabhängigen Quellen bereitgestellt werden. Er macht darauf aufmerksam, dass für die Erzielung nachhaltiger Verbrauchsmuster überprüfbare, hochwertige und allen zugängliche Informationen verfügbar sein müssen.

1.8   Die Rolle unabhängiger Verbraucherorganisationen ist in diesem Zusammenhang entscheidend. Daher empfiehlt der EWSA, ihre finanziellen Mittel deutlich aufzustocken, vor allem damit sie sich mit den erforderlichen Fachkenntnissen ausstatten können, zumal sie ein sehr breites Tätigkeitsfeld abdecken. Zur Wahrung der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse müssen sie in die Lage versetzt werden, ihre Funktion als Gegengewicht voll und ganz auszuüben.

1.9   Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre jeweiligen nationalen Verbraucherverbände, die maßgeblich zur Vollendung des Binnenmarktes beitragen, anzuerkennen, zu unterstützen und zu finanzieren.

1.10   Der EWSA unterstützt die unterschiedlichen Vorschläge für Initiativen zur Ergänzung alternativer Streitbeilegungssysteme. Er stellt jedoch fest, dass die Frage der Sammelklage nicht angesprochen wird, obwohl sie – wie bereits in mehreren Stellungnahmen hervorgehoben – für die Einhaltung der Rechtsvorschriften unverzichtbar ist.

2.   Zusammenfassung des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung

2.1   Mit dem Vorschlag der Kommission soll ein Verbraucherprogramm für den Zeitraum 2014-2020 als Nachfolgeprogramm zum Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich Verbraucherpolitik 2007-2013 aufgestellt werden. Es legt den Rahmen für die Finanzierung von EU-Maßnahmen fest.

2.2   Die Verordnung knüpft nahtlos an die Mitteilung der Kommission „Europa 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ an, in der verlangt wird, dass Bürger das Recht haben müssen, in vollem Umfang am Binnenmarkt teilzunehmen.

2.3   Sie wurde ausgearbeitet, nachdem eine Halbzeitbewertung des Aktionsprogramms der Gemeinschaft im Bereich Verbraucherpolitik (2007-2013) durch die unterschiedlichen Interessenträger vorgenommen worden war.

2.4   Aus dieser Bewertung ging hervor, dass das Programm trotz seiner geringen Finanzausstattung und der nur teilweisen Berücksichtigung neuer gesellschaftlicher und umweltbezogener Herausforderungen einen Mehrwert erbringt.

2.5   Das Programm für den Zeitraum 2014-2020 trägt den genannten Beobachtungen Rechnung. Damit die vorgeschlagenen Maßnahmen entsprechend finanziert werden, müssen sie Themen im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen, sozialen und technischen Umfeld berücksichtigen, insbesondere Fragen bezüglich der Globalisierung, der Digitalisierung, der notwendigen Umstellung auf ein nachhaltigeres Verbraucherverhalten, der Bevölkerungsalterung, der sozialen Ausgrenzung und der schutzbedürftigen Verbraucher.

2.6   Das neue Programm wird zur Umsetzung des Ziels der künftigen Verbraucherpolitik, nämlich „den mündigen Verbraucher in den Mittelpunkt des Binnenmarktes zu stellen“, beitragen.

2.7   Der Kommission zufolge beinhaltet dieses Ziel auch einen besseren Schutz der gesundheitlichen, sicherheitsrelevanten und wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher, die Förderung ihres Rechts auf Information und auf Bildung sowie einen verbesserten Zugang zu wirksamen Rechtsschutzinstrumenten.

2.8   Die Kommission schlägt zur Erreichung dieses allgemeinen Ziels vier Einzelziele vor:

Konsolidierung und Steigerung der Produktsicherheit durch wirksame Marktüberwachung in der gesamten EU;

Verbesserung der Verbraucherbildung und -information, Aufklärung der Verbraucher über ihre Rechte, Aufbau einer Daten- und Informationsgrundlage für die Verbraucherpolitik und Unterstützung von Verbraucherorganisationen;

Konsolidierung der Verbraucherrechte insbesondere durch Regulierungsmaßnahmen und durch die Verbesserung des Zugangs zu Rechtsschutzinstrumenten;

Unterstützung der Durchsetzung von Verbraucherrechten durch Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Durchsetzungsbehörden und durch eine bessere Beratung der Verbraucher.

3.   Beurteilung des Kommmissionsvorschlags

3.1   Der EWSA befürwortet das im Programm festgelegte Ziel, „den mündigen Verbraucher in den Mittelpunkt des Binnenmarktes zu stellen“. Wie die Kommission zu Recht betont, ist auch der EWSA der Auffassung, dass die Einbeziehung der Verbraucherinteressen in alle Politikbereiche der Europäischen Union hohe Priorität haben sollte, machen doch die Ausgaben der Verbraucher 56 % des BIP aus und tragen somit maßgeblich zur Wiederankurbelung des Wachstums bei.

3.2   Die EU-Organe und die nationalen Regierungen müssen eine Verbraucherpolitik betreiben, die dem 21. Jahrhundert gerecht wird, und anerkennen, dass die Verbraucher der Motor und die Schlüsselakteure eines gut funktionierenden Marktes sind. Ein wirklich wettbewerbsfähiger Markt braucht gut informierte und zuversichtliche Verbraucher. Die Festigung der Stellung des Verbrauchers bzw. seine Emanzipierung ist ein Faktor, der zur Verbesserung der Qualität der Produkte und Dienstleistungen beiträgt und ein wirksameres Funktionieren der Marktwirtschaft ermöglicht.

3.3   Die Verbraucherpolitik sollte weiter gefasst werden und in der EU sollte versucht werden, mehr Wettbewerb und Innovation zugunsten der Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Die Verbraucherpolitik sollte eine Priorität auf der politischen Tagesordnung sein und in alle relevanten Politikbereiche und Arbeitsprogramme aufgenommen werden.

3.4   Der EWSA bedauert in dieser Hinsicht die starke Diskrepanz zwischen den für die Strategie Europa 2020 zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln und dem hier angestrebten Ziel. Wenn man die Summe auf die 500 Mio. Verbraucher in den 27 Ländern der EU herunterrechnet, ergibt sich ein Betrag von 5 Cent pro Verbraucher im Jahr, also noch weniger als im Aktionsprogramm 2007-2013, für das der EWSA in seiner Stellungnahme (1) 7 Cent berechnet hatte.

3.5   Der EWSA begrüßt die Grundzüge, die mit den vier Einzelzielen im Programm festgelegt werden. Dieses Programm knüpft nahtlos an das vorige an und bringt keine Neuerungen, obwohl sich doch die neuen Technologien auf die Marktverhältnisse auswirken. Nach Ansicht des Ausschusses müssen die zur Umsetzung der angestrebten Ziele entwickelten Instrumente gezielter angesetzt und vervollständigt werden.

3.6   Der EWSA schlägt der Kommission vor, eine Liste mit allen EU-Programmen aufzustellen, die sich mit der Förderung und dem Schutz der Interessen der Verbraucher befassen und einen Beitrag dazu leisten, damit die Verbraucherpolitik in alle EU-Programme aufgenommen wird.

3.7   Nach Einschätzung des EWSA ist jedoch die Aufnahme eines fünften Einzelziels über die Vertretung und Einbindung der Verbraucher in den Vorschlag der Kommission notwendig. Der EWSA begrüßt natürlich, dass die Steigerung der Leistungsfähigkeit von Verbraucherorganisationen in das Programm der Kommission aufgenommen, die Unterstützung für Verbraucherverbände darin bekräftigt und deren Sachkenntnis anerkannt wird. Die Verbesserung der Vertretung von Verbrauchern und die Stärkung der Verbraucherkompetenz verdient eigentlich ein gesondertes Ziel. Damit das Versprechen der Kommission, den Verbraucher in den Mittelpunkt der europäischen Entscheidungen zu stellen, gehalten werden kann, müsste das Programm umgeändert und ein fünftes Ziel eingefügt werden.

3.8   Ein Teil der Mittel des Verbraucherprogramms (Beförderungskosten, Vorbereitungsarbeit und Teilnahme an Expertengruppen) sollte für dieses Ziel aufgewandt werden, damit unabhängige Verbraucherorganisationen die Konsumenten besser in den unterschiedlichen Expertengruppen, in denen eine Mitwirkung der Verbraucher notwendig ist, vertreten können. Entsprechend sollten auch andere EU-Programme ggf. Mittel speziell zur besseren Einbindung von Verbraucherverbänden vorsehen.

3.9   Der EWSA weist die Kommission erneut auf die Notwendigkeit hin, eine ehrgeizige „Europäische Verbraucheragenda“ (im Arbeitsprogramm der Kommission 2012 für das zweite Quartal 2012 abgekündigt) vorzulegen und den Grundsatz des „Empowerment“ zu verfolgen, d.h. die Stellung der Verbraucher im Einklang mit den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft und den vom Europäischen Parlament angenommenen Berichten zu stärken.

3.10   Hinter dem Vorschlag für eine „Europäische Verbraucheragenda“ muss das ernsthafte Bemühen stehen, die Stellung der Verbraucher, gestützt auf die Elemente Sicherheit, sachdienliche Verbraucherberatung und -bildung, Rechte, Rechtsschutz und Zugang zum Recht zu stärken und die Durchführungsmaßnahmen zu intensivieren.

3.11   Die Stärkung der Handlungskompetenz der europäischen Verbraucher („consumer empowerment“) darf jedoch nicht einen Übergang der Verantwortung auf die Verbraucher bedeuten, sondern das Verbraucherprogramm muss v.a. die Bedingungen für einen fairen und gerechten Markt schaffen, in den die Verbraucher Vertrauen haben und dadurch frei konsumieren können, wo immer sie sich befinden. Dieses Vertrauen ist dann gegeben, wenn die Verbraucher ausreichend informiert und sachlich über ihre Rechte beraten werden, um bewusste Kaufentscheidungen treffen zu können.

3.12   Der EWSA hebt die Notwendigkeit der zeitlichen Abstimmung zwischen der „Europäischen Verbraucheragenda“ und dem Vorschlag für eine Verordnung über ein Verbraucherprogramm hervor, damit die Kohärenz und die Qualität zwischen dem Programm und den strategischen Zielen gewährleistet werden.

3.13   Der Ausschuss möchte dabei hervorheben, dass bei der Ausarbeitung von Rechtsvorschriften und anderer Regulierungsinitiativen durch die Kommission ein hohes Verbraucherschutzniveau (gemäß Artikel 169 des Vertrags) gewährleistet werden muss. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass die Harmonisierung zweckgerecht sein muss und für die Rechte der europäischen Verbraucher keinesfalls einen Rückschritt bedeuten oder zulassen darf, ganz unabhängig von ihrem Herkunftsland. In Anbetracht dessen lehnt der EWSA mögliche Initiativen wie die optionale Regelung, die den bestehenden Verbraucherschutz in Frage stellen könnten, ab, um die Verbraucher als schwächere Vertragspartei, die nicht immer die Mittel für rechtlichen Beistand haben, zu schützen.

3.14   Nach Ansicht des EWSA sollten darüber hinaus Garantien für die Konsultation der Verbraucher und ihrer Vertreter bei der Ausarbeitung von verbraucherrelevanten Texten oder Maßnahmen geboten und die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel erhöht werden.

3.15   Dem EWSA liegen insbesondere Maßnahmen am Herzen, die die Sicherheit der Produkte auf dem gesamten Markt verbessern. Er spricht sich für gezielte Maßnahmen zur Zusammenarbeit gemäß der Richtlinie 2001/95/EG (2) und für Studien zur Aufstellung neuer Normen oder neuer Sicherheitskriterien aus. Angesichts der Probleme, denen sich die unterschiedlichen Kontrollorgane annehmen müssen, stellt sich aus Sicht des EWSA die Frage, wie viel Mittel sie zur Verfügung haben werden. Seiner Ansicht nach sind hier nationale, von der Kommission koordinierte Informationskampagnen notwendig.

3.16   Der Ausschuss begrüßt die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Information und Bildung der Verbraucher. Die Verbesserung dieser zwei Aspekte des Verbraucherschutzes wird dazu beitragen, dass Verbraucher ihre Rechte besser kennen und wieder mehr Vertrauen gewinnen. In diesem Zusammenhang betont der EWSA, dass die Rechtsakte der EU für die Bürger transparenter und leichter verständlich sein müssen.

3.17   Der EWSA unterstützt die Schaffung von Daten- und Informationsgrundlagen anhand von Studien, Untersuchungen und Statistiken, damit die Ausarbeitung von Maßnahmen in verbraucherrelevanten Bereichen auf eine bessere Kenntnis des Marktes gestützt werden kann.

3.18   Bezüglich des Projekts DOLCETA, das unter dem derzeitigen Verbraucherprogramm läuft, aber nicht in dieser Form und in diesem Umfang aufrechterhalten werden wird, empfiehlt der EWSA der Kommission, einen Weg zur Bewahrung der damit erworbenen Informationen und Kenntnisse zu finden, damit die erheblichen Investitionen in DOLCETA nicht umsonst waren.

3.19   Er hält jegliche Initiativen, die zu mehr Marktransparenz führen, für wesentlich, unabhängig vom betroffenen Bereich, beispielsweise in Bezug auf Finanzprodukte, den Schutz personenbezogener Daten, Energie, digitale Technologien, Telekommunikation und Verkehr.

3.20   Aus verbraucherpolitischer Sicht ist die Verbraucheraufklärung zwar elementar, damit sich diese ihrer Rolle, Rechte und Pflichten auf den Märkten und in der Gesellschaft bewusst werden und ihr Verhalten entsprechend anpassen, doch muss auch betont werden, dass mangelnde Verbraucherbildung gelegentlich als eine Ausrede von Seiten der Politik und von Unternehmen mit unlauteren Absichten gebraucht wird, damit sie sich ihrer Verantwortung entziehen können und sich weniger um die Schaffung eines verbraucherfreundlichen Umfelds bemühen müssen.

3.21   Nach Ansicht des EWSA sollte man sich vorrangig auf die Anwendung und Verbesserung der Verbraucherrechte konzentrieren.

Außerdem teilt der Ausschuss die Auffassung der Kommission, die erneut darauf hingewiesen hat, wie wichtig die Umsetzung des Ziels der Verbraucheraufklärung und einer verbrauchernahen Information ist.

3.22   In jedem Fall kann das Ziel einer besseren Bildung und Information der Verbraucher nicht ohne die unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteure verwirklicht werden. Der EWSA unterstützt den Vorschlag, auf den bestehenden Gegebenheiten aufzubauen, sodass bewährte Verfahren erfasst, ggf. verbessert und so eingesetzt werden können, dass die angewandten Maßnahmen und Instrumente spürbare Auswirkungen auf die Verbraucher haben. Dies setzt voraus, dass ihnen erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.

3.23   Man müsste sich ebenfalls auf die Bildung der Unternehmen konzentrieren, die leider nicht ausreichend über die Verbraucherrechte informiert sind. Andere Programme der EU müssten entsprechende Schulungen über den Verbraucherschutz für Unternehmen anbieten.

3.24   Zweck von Verbraucherorganisationen ist es, Probleme, auf die Verbraucher stoßen, zu erkennen und kohärente Antworten darauf zu finden sowie die Interessen der Verbraucher zu vertreten. Sie setzen sich für die Anwendung der Verbraucherrechte ein und tragen so zu einer Weiterentwicklung der Rechtsnormen bei.

3.25   Aufgrund dieser zentralen Rolle, die den regionalen, nationalen und europäischen Verbraucherorganisationen, welche einen immer breiter gefächerten Sachverstand abdecken müssen, zukommt, ist der EWSA der Meinung, dass ihre Kapazitäten deutlich erhöht werden müssten, indem ihnen mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Er misst der Unterstützung der Vereinigungen auf diesen unterschiedlichen Ebenen große Bedeutung bei, insbesondere in den Ländern, in denen die Verbraucherbewegung nicht ausreichend entwickelt ist.

3.26   Der EWSA stellt fest, dass ein Viertel des Finanzrahmens dieses Programms den europäischen Verbraucherzentren (EVZ) zufließen wird. Diese Investition ist absolut notwendig und stößt im EWSA auf eine breite Zustimmung. Daher fordert der Ausschuss die Kommission auf, weiterhin jährliche, noch detailliertere Berichte über die Arbeitsweise der europäischen Verbraucherzentren vorzulegen. Sehr wichtig ist, diesen Berichten klare und aussagekräftige Kriterien zugrunde zu legen, um hervorzuheben, dass dieses Netzwerk konkrete Ergebnisse für die europäischen Verbraucher erzielt, auch wenn es sein Potenzial bisher noch nicht voll entfalten konnte.

3.27   Ein wesentliches Element hierbei ist, dass in das nächste verbraucherpolitische Programm ein dynamischer und herausragender Finanzierungsmechanismus eingebaut wird, der Verbraucherorganisationen in ihrer weiteren Entwicklung hilft.

3.28   In der Frage des Rechtsschutzes stellt der EWSA fest, dass die Kommission Lösungen auf der Grundlage von Mit- oder Selbstregulierung den Vorzug gibt. Er begrüßt die von Fachleuten ergriffenen Initiativen zur Verbesserung der Verfahren. Er wiederholt jedoch, dass Verfahrenweisen des nichtzwingenden Rechts („soft law“) kein Ersatz für Legislativ- oder Regulierungsvorschriften sein dürfen.

3.29   Der EWSA unterstützt die von der Kommission eingeleiteten Schritte für einen vereinfachten Zugang der Verbraucher zu alternativen Streitbeilegungssystemen und begrüßt den Vorschlag für ein Monitoring der Arbeitsweise und der Wirksamkeit solcher Systeme. Er ist der Auffassung, dass diese Regelungen nur dann wirksam sein können, wenn die den Verbrauchern offenstehenden Systeme unabhängig sind.

3.30   Nach Meinung des EWSA bedarf der Vorschlag jedoch der Ergänzung, da die Stärkung der Verbraucherrechte auch bedeutet, dass sie über die geeigneten Rechtsmittel verfügen müssen, um ihre Rechte geltend zu machen. Wie bereits in seiner Stellungnahme zum Programm 2007-2013 sowie in den Stellungnahmen zu Sammelklagen im Rahmen des EU-Verbraucherrechts (3) und zum Weißbuch über Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts (4) schlägt der EWSA vor, auf die Notwendigkeit eines verstärkten Zugangs zum Recht und insbesondere zu einem kollektiven Rechtsbehelf zu verweisen.

3.31   Er unterstützt die zur Durchsetzung der Rechtsvorschriften vorgeschlagenen Maßnahmen, insbesondere die Mechanismen zur Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden, die für die Anwendung der Rechtsvorschriften im Bereich des Verbraucherschutzes zuständig sind, und die Koordinierung der Überwachung, die die Wirksamkeit der Maßnahmen erhöht.

3.32   Der EWSA ist der Auffassung, dass den Streitbeilegungsverfahren, einschließlich der Online-Verfahren, mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Er weist darauf hin, dass neue Ziele festgelegt wurden, v.a. für die europäischen Verbraucherzentren, die zur Information der Verbraucher und zur Beilegung grenzübergreifender Streitfälle beitragen sollen. Er misst einer laufenden Programmbewertung große Bedeutung bei, damit die hierfür vorgesehenen Finanzmittel entsprechend angepasst werden können.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 1.

(2)  ABl. L 11 vom 15.1.2002, S. 4.

(3)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1.

(4)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 40.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/93


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung)“

COM(2011) 793 final — 2011/0373 (COD)

(2012/C 181/17)

Berichterstatter: Jorge PEGADO LIZ

Das Europäische Parlament beschloss am 13. Dezember 2011 und der Rat am 14. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung)

COM(2011) 793 final — 2011/0373 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 9. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 121 gegen 11 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Kommission nun endlich die Empfehlungen 98/257/EG und 2001/310/EG als verbindliche Rechtsvorschriften festschreibt, wie das die Verbraucherverbände und auch der Ausschuss in mehreren Stellungnahmen unzählige Male gefordert hatten.

1.2   Der EWSA vertritt jedoch die Ansicht, dass sich als Rechtsgrundlage am besten Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe b) und Absatz 4 des Vertrages - statt bloß Artikel 114 - sowie auch die Artikel 38 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eignen würden.

1.3   Der Ausschluss empfiehlt, auf der Grundlage gemeinsamer Strukturprinzipien einen „europäischen Konformitätsrahmen“ für die Zulassung der AS-Stellen, die den im Richtlinienvorschlag geforderten Kriterien entsprechen, aber auch für die einheitliche und kostenfreie Kennzeichnung derjenigen Unternehmer, die sich dem AS-System anschließen, zu schaffen.

1.4   Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass AS-Systeme auch auf kollektive Streitigkeiten Anwendung finden können, als ersten Schritt zur konkreten Ausgestaltung eines Rechtsinstruments für Sammelklagen in der EU, empfiehlt jedoch, diese Möglichkeit in den Artikeln der Richtlinie klar zu erläutern und ihre Funktionsweise entsprechend festzulegen.

1.5   Der Ausschuss bekräftigt in diesem Zusammenhang jedoch, dass die EU dessen ungeachtet dringend ein harmonisiertes Rechtsinstrument für Sammelklagen auf EU-Ebene benötigt, für das die eventuelle Ausdehnung der AS-Systeme auf kollektive Streitigkeiten kein Ersatz sein kann.

1.6   Der Ausschuss stimmt den in den Artikeln 7, 8 und 9 des Vorschlags festgelegten Grundsätzen zu, empfiehlt jedoch, im Sinne der Klarheit und der Rechtssicherheit auch die in den Empfehlungen enthaltenen Definitionen der Grundsätze der kontradiktorischen Verfahrensweise und der Vertretung zu übernehmen und ausdrücklich die Möglichkeit zu gewährleisten, dass sich die Parteien durch Rechtsanwälte oder Dritte - namentlich Verbraucherverbände - vertreten lassen.

1.7   Der EWSA empfiehlt weiterhin, das Prinzip der Unabhängigkeit nicht durch einen vagen Grundsatz der „Unparteilichkeit“ zu ersetzen, der inhaltlich nicht identisch, unschärfer sowie anders geartet ist.

1.8   Der EWSA hat Vorbehalte dagegen, dass diese Systeme auch für Beschwerden von Unternehmern gegen Verbraucher zuständig sein sollen. Unter Berücksichtigung der Bestimmungen des „Small Business Act“ sollten KMU jedoch in ganz bestimmten Fällen und nach noch festzulegenden Bedingungen bei Streitigkeiten mit Verbrauchern die Möglichkeit des Rückgriffs auf alternative Streitbeilegungssysteme haben.

1.9   Der EWSA betont, dass obligatorische AS-Systeme, die gemäß den nationalen Rechtstraditionen in einzelnen Mitgliedstaaten bestehen oder geschaffen werden, durch den Vorschlag keinesfalls in Frage gestellt werden dürfen.

Dass die Entscheidungen der alternativen Streitbeilegung für die Parteien unverbindlich sein sollen, ist für den Ausschuss nur dann akzeptabel, wenn nicht ausgeschlossen ist und sogar ausdrücklich garantiert wird, dass die Parteien bei den zuständigen Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit Rechtsmittel einlegen können.

1.10   Der EWSA empfiehlt, den im Vorschlag für die OS-Verordnung enthaltenen Verweis auf den absoluten Vorrang des Rechts auf Zugang zur Justiz in gleicher Form auch in diesen Vorschlag aufzunehmen, denn die alternative Streitbeilegung kann weder ein Ersatz für noch ein echte Alternative zur ordentlichen Gerichtsbarkeit sein, sondern nur eine wertvolle Ergänzung für die Beilegung von Streitigkeiten.

1.11   Der EWSA empfiehlt, die Frage der Finanzierung dieser Systeme ausdrücklich und mutig anzugehen, da die Verbraucherorganisationen und einige Mitgliedstaaten aufgrund knapper Mittel nicht in der Lage sind, die Mehrkosten für die Umsetzung aufzubringen, dies aber eine für die Gewährleistung der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Systeme entscheidende Frage ist.

1.12   Nach Ansicht des EWSA sollten mehrere Bestimmungen überprüft und ggf. nachgebessert werden, um sie klarer, eindeutiger und wirksamer zu fassen, und empfiehlt der Kommission, diesbezüglich seine besondere Bemerkungen zu berücksichtigen.

2.   Zusammenfassung des Vorschlags

2.1   In Anbetracht der Tatsache, dass ein großer Teil der europäischen Verbraucher beim Kauf von Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt auf Probleme stößt, die sehr oft noch ungelöst sind;

angesichts dessen, dass die Empfehlungen 98/257/EG (1) und 2001/310/EG (2) nicht gegriffen haben und es weiter Lücken, ein mangelndes Bewusstsein bei den Betroffenen und ungleiche Verfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten gibt;

unter Berücksichtigung des Tenors und der Schlussfolgerungen der zahlreichen Studien, die im Laufe der Jahre zu diesem Thema erstellt wurden;

ausgehend von den Ergebnissen der letzten, im Januar 2011 eingeleiteten öffentlichen Konsultation sowie der Folgenabschätzung SEC (2011) 1408 final vom 29.11.2011;

will die Kommission mit diesem Richtlinienvorschlag:

a)

gewährleisten, dass alle den Verkauf von Waren oder die Bereitstellung von Dienstleistungen betreffenden Streitigkeiten zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer in allen Branchen und unabhängig davon, ob der Verbraucher oder der Unternehmer die Beschwerde eingelegt hat, einer Stelle zur alternativen Streitbeilegung (AS-Stelle) vorgelegt werden können;

b)

sicherstellen, dass die Verbraucher in grenzübergreifenden verbraucherrechtlichen Streitigkeiten Unterstützung erhalten;

c)

dafür sorgen, dass AS-Stellen bestimmten Grundsätzen wie „Unparteilichkeit, Transparenz, Effektivität und Fairness“ entsprechen und weitgehend „kostenlos“ arbeiten;

d)

in jedem Mitgliedstaat eine Behörde mit der Überwachung der Arbeit sämtlicher dort tätigen AS-Stellen beauftragen;

e)

dafür Sorge tragen, dass die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen die Informationspflichten gegenüber den Verbrauchern und gegen die Meldepflichten gegenüber den zuständigen Behörden festlegen;

f)

den Mitgliedstaaten nicht das Recht verwehren, AS-Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen mehreren Unternehmern beizubehalten oder einzuführen;

g)

den Mitgliedstaaten nicht das Recht verwehren, AS-Verfahren zur gemeinsamen Beilegung mehrerer ähnlicher Streitigkeiten zwischen einem Unternehmer und mehreren Verbrauchern (Kollektivinteressen) beizubehalten oder einzuführen;

h)

darauf hinwirken, dass die Mitgliedstaaten AS-Stellen einrichten, welche auch für Unternehmer aus anderen Mitgliedstaaten zuständig sind.

2.2   Zu diesem Zweck will die Kommission die genannten Empfehlungen in eine Richtlinie überführen und deren Bestimmungen damit verbindlichen Charakter verleihen, wobei als Rechtsgrundlage ausschließlich Artikel 114 AEUV (Vollendung des Binnenmarktes) herangezogen wird.

2.3   In der Richtlinie werden jedoch die Unternehmer weder zur Teilnahme an AS-Verfahren verpflichtet noch sind die Ergebnisse dieser Verfahren für sie verbindlich.

2.4   Die vorgeschlagene Richtlinie soll Vorrang vor anderen EU-Rechtsvorschriften haben, die Bestimmungen enthalten, die auf die Förderung der Einrichtung von AS-Stellen abzielen, aber nur soweit diese Rechtsvorschriften nicht zumindest ein entsprechendes Verbraucherschutzniveau gewährleisten.

2.5   Die Richtlinie soll für alle Stellen gelten, die auf Dauer eingerichtet sind und die Beilegung einer Streitigkeit in einem AS-Verfahren anbieten. Das gilt auch für institutionalisierte, nicht ad hoc geschaffene Schlichtungsverfahren.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der EWSA hat in den letzten Jahren in zahlreichen Stellungnahmen wiederholt gefordert, die Empfehlungen 98/257/EG und 2001/310/EG als verbindliche Rechtsvorschriften festzuschreiben, und begrüßt daher diese Initiative der Kommission, zu der er neben den nachstehenden Bemerkungen jedoch auch einwendet, dass sie spät kommt. Er wirft zudem die Frage auf, ob statt einer Richtlinie nicht das Rechtsinstrument einer Verordnung hätte gewählt werden können oder sollen, da dieses mehr Sicherheit bietet.

3.2   Auch in Bezug auf die Rechtsgrundlage vertritt der EWSA die Ansicht, dass es hier neben der bloßen Vollendung des Binnenmarktes auch um ein Instrument des Verbraucherschutzes geht, weshalb als Rechtsgrundlage am besten – soweit nicht Artikel 81 herangezogen wird – Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe b) und Absatz 4 des Vertrages (statt bloß Artikel 114) sowie auch die Artikel 38 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eignen würden.

3.3   Er begrüßt, dass Verfahren, die eine gütliche Beilegung von verbraucherrechtlichen Streitigkeiten nur vortäuschen, aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind. Bei diesen Verfahren handelt es sich nämlich lediglich um einen Marketingtrick, da die zuständigen Stellen in diesem Fall unmittelbar vom Unternehmer abhängen und vergütet werden und daher keine Garantien hinsichtlich ihrer Ermessensfreiheit und Unabhängigkeit bieten. Um hier keine Zweifel aufkommen zu lassen, schlägt der Ausschluss die Schaffung eines „europäischen Konformitätsrahmens“ für die Zulassung der AS-Stellen vor, die den im Richtlinienvorschlag geforderten Kriterien entsprechen (in Anlehnung an den in Spanien bestehenden „Vertrauensrahmen“), aber auch für die einheitliche und kostenfreie Kennzeichnung derjenigen Unternehmer, die sich dem AS-System anschließen und so das Vertrauen der Verbraucher gewinnen.

3.4   Der Ausschuss befürwortet, dass die Definition des Begriffs Verbraucher im Einklang mit der neuen Verbraucherrechterichtlinie (3) auf Verträge mit doppelten Zweck ausgedehnt wird, bei denen der gewerbliche Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht überwiegt, und spricht sich dafür aus, dass diese Definition auch ausdrücklich in die Artikel der Richtlinie aufgenommen wird.

3.5   Der Ausschuss begrüßt die Bestrebungen, den Tätigkeitsbereich des AS-Systems auf grenzüberschreitende Streitigkeiten auszudehnen, und hofft, dass die Kommission die Bedingungen dafür schafft, dass diese Fälle auch tatsächlich im Rahmen der alternativen Streitbeilegung behandelt werden können, was vor allem durch Online-Streitbeilegung und Stärkung der Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten geschehen könnte (4). Er empfiehlt jedoch der Kommission, in Anlehnung an die Artikel 4 bis 6 der vorgeschlagenen OS-Verordnung mindestens einmal im Jahr eine Versammlung der in Artikel 15 des Richtlinienvorschlags genannten zuständigen nationalen Behörden einzuberufen, um einen Austausch bewährter Verfahren und eine Erörterung wiederkehrender Probleme in der Funktionsweise der AS-Systeme zu ermöglichen.

3.6   Der EWSA begrüßt die Möglichkeit, dass AS-Systeme auch auf kollektive Streitigkeiten Anwendung finden können, als ersten Schritt zur konkreten Ausgestaltung eines Rechtsinstruments für Sammelklagen in der EU, hätte es aber vorgezogen, wenn diese Möglichkeit in den Artikeln der Richtlinie ausdrücklich erwähnt und ihre Funktionsweise entsprechend festgelegt worden wäre, anstatt dies dem Gutdünken der Mitgliedstaaten zu überlassen. Der Ausschuss bekräftigt in diesem Zusammenhang seinen über Jahre hinweg in diversen Stellungnahmen vorgebrachten Standpunkt, dass die EU dringend ein harmonisiertes Rechtsinstrument für Sammelklagen auf EU-Ebene benötigt, für das die Ausdehnung der AS-Systeme auf kollektive Streitigkeiten kein Ersatz sein kann.

3.7   Nach Ansicht des Ausschusses muss dafür Sorge getragen werden, dass die mit der Verwaltung und Abwicklung der alternativen Streitbeilegung betrauten Personen (Beamte, Mediatoren oder auch Schiedsrichter) über die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten, Erfahrung und Kompetenzen auf persönlicher und fachlicher Ebene verfügen, um ihre Aufgaben sachgerecht und unparteiisch wahrzunehmen. Zudem müssen die Bedingungen dafür garantiert werden, dass diese Personen ihre Aufgaben frei und unabhängig erfüllen können. Der EWSA hätte es daher begrüßt, wenn diese Bedingungen in der vorgeschlagenen Rechtsvorschrift näher dargelegt worden wären, um EU-weit gleiche Kriterien zu gewährleisten.

3.8   Der Ausschuss stimmt den in den Artikeln 7, 8 und 9 des Vorschlags festgelegten Grundsätzen für die Funktionsweise der alternativen Streitbeilegung zu, welche einige der in den weiter oben angeführten Empfehlungen bereits enthaltenen Prinzipien aufgreifen. Er wirft jedoch Frage auf, warum bestimmte in diesen Empfehlungen niedergelegte Prinzipien wie die Grundsätze der Rechtmäßigkeit und der Handlungsfreiheit in dem Vorschlag weggefallen sind.

Im Sinne der Klarheit und der Rechtssicherheit empfiehlt der Ausschuss, die eigenständigen Definitionen der Grundsätze der kontradiktorischen Verfahrensweise und der Vertretung beizubehalten und entsprechend die Möglichkeit zu regeln, dass sich die Parteien durch Rechtsanwälte oder Dritte - namentlich Verbraucherverbände - vertreten lassen (statt darauf nur andeutungsweise in Art. 8 Buchst. (a) und Art. 9 Abs. 1 Buchst. (a) einzugehen).

Auch die Tatsache, dass das Prinzip der Unabhängigkeit durch den vagen Grundsatz der „Unparteilichkeit“ ersetzt wurde, der inhaltlich nicht identisch, unschärfer sowie anders geartet ist, kann vom Ausschuss nicht akzeptiert werden.

3.9   Der EWSA hat Vorbehalte dagegen, dass diese Systeme auch für Beschwerden von Unternehmern gegen Verbraucher zuständig sein sollen, und zwar nicht nur deshalb, weil dies der Tradition der in der Mehrheit der Mitgliedstaaten bestehenden Systeme und auch der kontinuierlichen Grundrichtung der von Kommission und EP in den letzten Jahren diesbezüglich vorgebrachten Standpunkte zuwiderläuft, sondern auch und vor allem deshalb, weil dadurch den Stellen der alternativen Streitbeilegung die Klärung von Fragen wie Nichtzahlung übertragen würde. Damit würde das bestehende Verfahren übergangen, das sich die EU für die Regelung kleinerer Forderungen gegeben hat, und die AS-Stellen würden unter einer Flut von Beschwerden ersticken, für deren Behandlung sie nicht ausreichend gerüstet sind.

Unter Berücksichtigung der Bestimmungen des „Small Business Act“ sollten KMU jedoch unter genau festzulegenden Bedingungen bei ihren Streitigkeiten mit Verbrauchern in Bezug auf die Nichtabholung von Lieferungen, Nichtabholung von Reparaturen oder das Nichterscheinen bei Vorbestellungen die Möglichkeit des Rückgriffs auf ein alternatives Streitbeilegungssystem haben.

3.10   Nach Ansicht des Ausschusses dürfen obligatorische AS-Systeme, die gemäß den nationalen Rechtstraditionen in einzelnen Mitgliedstaaten bestehen oder geschaffen werden, durch den Vorschlag auf keinen Fall in Frage gestellt werden.

3.11   Dass die Entscheidungen der alternativen Streitbeilegung für die Parteien unverbindlich sein sollen, ist für den Ausschuss nur dann akzeptabel, wenn das Grundprinzip, wonach die Verbraucher bzw. die Unternehmer bei den zuständigen Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit Rechtsmittel einlegen können, ausdrücklich garantiert wird. Ansonsten würde nämlich nicht nur die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der alternativen Streitbeilegung völlig untergraben, sondern es ist auch schwer nachvollziehbar, wie Entscheidungen institutionalisierter Schiedsgerichte oder vergleichbarer Stellen, die ja gerichtliche Entscheidungen sind, dann noch in dieses System passen sollen.

3.12   Der EWSA bedauert, dass die Kommission den im Vorschlag für die OS-Verordnung enthaltenen Verweis auf den absoluten Vorrang des Rechts auf Zugang zur Justiz nicht in gleicher Form auch in diesen Vorschlag aufgenommen hat, denn die alternative Streitbeilegung kann weder ein Ersatz für noch ein echte Alternative zur ordentlichen Gerichtsbarkeit sein, sondern nur eine wertvolle Ergänzung für die Beilegung von Streitigkeiten (5).

3.13   Der EWSA stellt mit Verwunderung fest, dass die Frage der Finanzierung dieser Systeme weder in der Begründung des Richtlinienvorschlags noch im Verbraucherprogramm 2014-2020 ausdrücklich und mutig angegangen wurde, obgleich ihr die Verbraucherorganisationen in der durchgeführten Konsultation große Bedeutung beigemessen haben. Einige Mitgliedstaaten sind aufgrund knapper Mittel nicht in der Lage, die Mehrkosten für neue Strukturen, Ausbildung von Mediatoren und anderen Verwaltungsbediensteten zur Unterstützung, Information und Betreuung der Verbraucher, Anfertigung von Gutachten und für neue verwaltungstechnische Aufgaben aufzubringen. Die Finanzierung wurde aber durchweg als für die Gewährleistung von Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Systems entscheidende Frage angesehen (6).

3.14   Der EWSA empfiehlt schließlich der Kommission (soweit sie das nicht getan hat), die wichtigsten in den einzelnen Mitgliedstaaten verfolgten rechtlichen Ansätze zur Umsetzung der Richtlinie 2008/52/EG (7) über die Mediation in Zivil- und Handelssachen (Artikel 12) zu bewerten, wie das vom EP angeregt wurde (8).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Art. 2 Abs. 2 Buchst. (a)

Die Formulierung „ausschließlich vom Unternehmer beschäftigt werden“ ist schwammig und mehrdeutig. Sie sollte durch folgende Formulierung ersetzt werden: „in den letzten drei Jahren zum Unternehmer in einem beruflichen Verhältnis wirtschaftlicher oder sonstiger Abhängigkeit stehen bzw. gestanden haben, das ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte“.

4.2   Art. 4 Buchst. (e)

Die Definition ist zu vage und unbestimmt. Sie sollte durch einen klaren Verweis ergänzt werden, wonach die Grundsätze eingehalten werden müssen, die für die Funktionsweise der AS-Stellen und für die Zulassung als Mitglied des Netzes anerkannter AS-Stellen gelten.

4.3   Art. 5 Abs. 3

Der EWSA versteht die Tragweite dieser Bestimmung nicht ganz, befürchtet aber, dass diese nicht die gewollte Effizienz bringt und, anstatt durch eine gemeinsame Funktionsweise aller AS-Stellen auf europäischer und nationaler Ebene nach dem Prinzip gemeinsamer und gleicher Systeme die angestrebte Harmonisierung zu fördern, mit dazu führen wird, dass die Mitgliedstaaten ihre derzeitigen Strukturen beibehalten und nur rein formal eine ergänzende Stelle schaffen, die die derzeit bestehenden geografischen und sektorspezifischen Probleme in der Praxis nicht lösen wird.

4.4   Artikel 6

Der EWSA würde es begrüßen, wenn die Organisationen zur Vertretung der Unternehmer und der Verbraucher aktiv am Prozess der Festlegung und Überprüfung der Anforderungen bezüglich des Fachwissens und der Unparteilichkeit und insbesondere an der Auswahl und Benennung der einzelnen für die Streitbeilegung zuständigen Personen beteiligt würden und diese Aufgabe nicht den Bürokraten und Beamten der Verwaltungen der Mitgliedstaaten überlassen würde.

4.5   Artikel 7

In dem Vorschlag sollten nicht nur die entsprechenden Mittel festgelegt, sondern auch Ergebnisse vorgegeben werden. D.h. es ist nachzuweisen, dass die Tätigkeit der AS-Stellen zu quantifizierbaren Ergebnissen in Bezug auf die Branchen mit den meisten Beschwerden und auf die Qualität der von den Unternehmern erbrachten Dienstleistungen führt und das Vertrauen in die AS-Verfahren und ihre Inanspruchnahme durch die Stellen selbst aktiv gefördert wird.

Überdies erachtet es der Ausschuss als grundlegend, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die AS-Stellen Informationen über die von ihnen erbrachten Dienste (in den Bereichen Information, Mediation, Schlichtung und Schiedsverfahren), über die eingesetzten Finanzmittel (was die notwendige Transparenz der Stellen selbst gewährleistet und das Verbrauchervertrauen stärkt) und über den Zufriedenheitsgrad der Nutzer dieser Stellen verbreiten.

In Bezug auf Absatz 2 dieses Artikels ist der EWSA jedoch der Ansicht, dass die AS-Stellen nicht nur die jährlichen Tätigkeitsberichte, sondern über ihre eigenen Informationskanäle auch ihren Jahreshaushaltsplan und eine Zusammenfassung ihrer Schiedssprüche veröffentlichen sollten, wobei die einschlägigen nationalen Datenschutzvorschriften (mit denen die Richtlinie 95/46/EG umgesetzt wird) zu beachten sind.

4.6   Artikel 9

Der EWSA anerkennt zwar die Bedeutung der Grundsatzes der Fairness, bemängelt aber, dass der in der Empfehlung der Kommission vom 30. März 1998 enthaltene Grundsatz der Rechtmäßigkeit in diesem Vorschlag nicht mehr auftaucht (9). Das Fehlen dieses Grundsatzes in den Bestimmungen der Richtlinie könnte sich im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr nachteilig auf die Verbraucher auswirken, wenn das Recht des Wohnsitzstaates des Verbrauchers einen stärkeren Schutz vorsieht als das Recht des Staates, in dem die AS-Stelle ihren Sitz hat. Der EWSA bekräftigt, dass der Grundsatz der Rechtmäßigkeit in diese Richtlinie aufgenommen werden sollte, um sicherzustellen, dass die Entscheidungen der AS-Stellen den Verbraucher gegenüber dem Schutzniveau des geltenden Rechts nicht schlechter stellen.

4.7   Artikel 10

Der EWSA befürchtet, dass in diesem Artikel enthaltenen mehrdeutigen Formulierungen den Verbraucher dazu veranlassen könnten zu glauben, dass eine bestimmte Streitigkeit durch eine AS-Stelle beigelegt werden könnte, wobei sich aber der Unternehmer in Wirklichkeit darauf beschränkt, über das Bestehen solcher Stellen zu informieren, obwohl er ihre Zuständigkeit in Bezug auf gegen ihn erhobene Beschwerden möglicherweise gar nicht anerkennt.

Der EWSA fordert die Kommission auf, eine Bestimmung in den Vorschlag aufzunehmen, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass der Unternehmer diese Information unmittelbar vor Vertragsabschluss zur Verfügung stellt, was es dem Verbraucher gestatten würde, eine auf der Grundlage von Informationen gereifte Entscheidung zu treffen und vorab zu wissen, ob der Unternehmer die Entscheidungen der AS-Stellen anerkennt.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Nichteinhaltung oder unzulängliche Erfüllung der unter Absatz 2 genannten Pflichten als unlautere Geschäftspraktik angesehen und als solche in die Liste im Anhang zur Richtlinie 2005/29/EG aufgenommen werden, und zwar unbeschadet der in Artikel 18 des Vorschlags vorgesehenen Sanktionen.

4.8   Artikel 15 bis 17

Der EWSA befürchtet, dass sich diese Bestimmungen als unzureichend herausstellen könnten, wenn es darum geht sicherzustellen, dass die AS-Stellen diese Anforderungen auch vollends erfüllen, da diese Bestimmungen ausnahmslos auf Kriterien basieren, die sich aus der Selbsteinschätzung der Stellen ergeben. Vor diesem Hintergrund ist es unverzichtbar, dass die Kommission die direkte Beteiligung der Zivilgesellschaft durch Einbeziehung der repräsentativen Gremien der jeweiligen Branche in die Beurteilung dieser Stellen fördert (10).

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. L 115 vom 17.4.1998, S. 31.

(2)  ABl. L 109 vom 19.4.2001, S. 56.

(3)  Richtlinie 2011/83/EU (ABl. L 304 vom 22.11.2011, S. 64), Stellungnahme des EWSA: ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 54.

(4)  Insbesondere im Bereich der Verordnung 2006/2004 über die Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden; vgl. Stellungnahme des EWSA, ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 69.

(5)  Im OS-Verordnungsvorschlag heißt es wörtlich: „Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und das Recht auf ein unparteiisches Gericht gehören zu den durch Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechten. Verfahren zur Online-Streitbeilegung dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie gerichtliche Verfahren ersetzen oder Verbrauchern oder Unternehmern das Recht nehmen, den Schutz ihrer Rechte vor Gericht einzufordern. Diese Verordnung sollte daher die Parteien in keiner Weise daran hindern, ihr Recht auf Zugang zum Gerichtssystem wahrzunehmen.“

(6)  Der EWSA erarbeitet derzeit eine Stellungnahme dazu (INT/608).

(7)  ABl. L 136 vom 24.5.2008, S. 3, Stellungnahme des EWSA: ABl. C 286 vom 17.11.2005, S. 1.

(8)  Bericht über die Umsetzung der Richtlinie über Mediation in den Mitgliedstaaten, A7-0275/2011, Berichterstatterin: Arlene McCarthy.

(9)  In dieser Empfehlung heißt es: „[Bei grenzübergreifenden Rechtsstreitigkeiten] darf die Entscheidung der Einrichtung nicht zur Folge haben, daß der Verbraucher in den in Artikel 5 des Übereinkommens von Rom […] genannten Fällen den Schutz verliert, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, gewährt wird.“.

(10)  Wie das zum Beispiel in Italien im Energiesektor der Fall ist. Obgleich es sich in diesem Fall um eine öffentliche AS-Stelle handelt, wird diese von Vertretern der Verbraucher und von den Energieunternehmen verwaltet und betrieben, wobei Erstere aktiv an der Ausbildung der Fachleute dieser Stelle beteiligt sind.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Die folgenden Ziffern der Stellungnahme der Fachgruppe wurden gemäß den vom Plenum angenommenen Änderungsanträgen geändert, obwohl ihre Beibehaltung in der ursprünglichen Fassung mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

a)   Ziffer 1.8:

Der EWSA spricht sich dagegen aus, dass diese Systeme auch für Beschwerden von Unternehmern gegen Verbraucher zuständig sein sollen.

b)   Ziffer 3.9:

Der EWSA spricht sich dagegen aus, dass diese Systeme auch für Beschwerden von Unternehmern gegen Verbraucher zuständig sein sollen, und zwar nicht nur deshalb, weil dies der Tradition der in der Mehrheit der Mitgliedstaaten bestehenden Systeme und auch der kontinuierlichen Grundrichtung der von Kommission und EP in den letzten Jahren diesbezüglich vorgebrachten Standpunkte zuwiderläuft, sondern auch und vor allem deshalb, weil dadurch den Stellen der alternativen Streitbeilegung die Klärung von Fragen wie Nichtzahlung übertragen würde. Damit würde das bestehende Verfahren übergangen, das sich die EU für die Regelung kleinerer Forderungen gegeben hat, und die AS-Stellen würden unter einer Flut von Beschwerden ersticken, für deren Behandlung sie nicht ausreichend gerüstet sind.

Gemäß Artikel 51 Absatz 4 der Geschäftsordnung wurden die Änderungsanträge zusammen behandelt.

Ergebnis der Abstimmung über die Änderungsanträge:

Ja-Stimmen

:

80

Nein-Stimmen

:

52

Enthaltungen

:

19


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/99


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (Verordnung über Online-Streitbeilegung)“

COM(2011) 794 final — 2011/0374 (COD)

(2012/C 181/18)

Berichterstatter: Jorge PEGADO LIZ

Das Europäische Parlament beschloss am 13. Dezember 2011 und der Rat am 14. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (Verordnung über Online-Streitbeilegung)

COM(2011) 794 final — 2011/0374 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 9. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 117 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der EWSA, der seit längerer Zeit eine Initiative dieser Art fordert, begrüßt den Vorschlag der Kommission und befürwortet zugleich, dass dafür das angemessene Rechtsinstrument einer Verordnung gewählt wurde.

1.2   Der Ausschuss vertritt jedoch die Ansicht, dass sich als Rechtsgrundlage am besten Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe b) und Absatz 4 AEUV – statt bloß Artikel 114 – sowie auch die Artikel 38 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eignen würden.

1.3   Er begrüßt die erklärte Absicht der Kommission, mit der Schaffung dieses Systems nicht das Recht auf Anrufung der Gerichte ausschließen oder die normale Gerichtsbarkeit ersetzen zu wollen, soweit die Parteien diese anzurufen beabsichtigen;

1.4   Der Ausschuss vertritt zudem die Ansicht, dass der Vorschlag zu zögerlich ausfällt, hinsichtlich seines Titels irreführend ist und weit hinter dem zurückbleibt, was wünschenswert und möglich wäre, insbesondere im Hinblick auf die Nutzung einer ganzen Reihe bereits bestehender und bewährter technischer Hilfsmittel und elektronischer Informationssysteme, d.h. der so genannten OS-Instrumente der zweiten Generation.

1.5   Der EWSA empfiehlt daher der Kommission, den Vorschlag lediglich als ersten Schritt auf dem Weg zu einer wirksamen Online-Beilegung von Streitigkeiten zu sehen und kurzfristig das ganze Potenzial des Systems dadurch zu erschließen, dass sämtliche technischen Neuerungen, die mit der Rechtssicherheit vereinbar sind, darin integriert werden. Zudem gilt es, für grenzüberschreitende Transaktionen ein eigenständiges gesondertes OS-System auf EU-Ebene neu einzurichten.

1.6   Nach Auffassung des Ausschusses ist es nicht gerechtfertigt, Streitigkeiten, die nicht rein grenzüberschreitender Art sind oder die nicht ausschließlich auf elektronisch abgeschlossene Rechtsgeschäfte zurückgehen (Offline-Streitigkeiten), von dem System auszuschließen.

1.7   Der Ausschuss spricht sich dagegen aus, dass diese Verfahren auch für Beschwerden von Unternehmern gegen Verbraucher gelten sollen.

1.8   Der EWSA empfiehlt, ausdrücklich die Möglichkeit vorzusehen, dass sich die Parteien bei ihren Online-Beschwerden durch Rechtsanwälte oder Dritte - namentlich Verbraucherverbände - vertreten lassen.

1.9   Der EWSA ersucht die Kommission, genauer darzulegen, wie komplexere Fragen im Zusammenhang mit bestimmten Online-Streitigkeiten über die Plattform gelöst werden können, so zum Beispiel Auseinandersetzungen über missbräuchliche Vertragsklauseln oder das anzuwendende Vertragsrecht.

1.10   Der EWSA hegt ernste Zweifel, dass die vorgesehenen Fristen realistisch sind. Er befürchtet, dass das System hinsichtlich eines seiner Hauptziele, nämlich schneller und wirksamer Verfahren, diskreditiert wird, weil strikte Fristen festgelegt werden, die aber praktisch kaum zu erfüllen sind.

1.11   Der EWSA schlägt die Verknüpfung der Online-Plattform mit einem „Online-Beschwerdebuch“ vor, wobei die Online-Händler dazu verpflichtet werden sollten, auf ihren Websites auf dieses Beschwerdebuch hinzuweisen.

1.12   Der Ausschuss empfiehlt, dass die Kommission eine Qualitätsgarantie einführt, und schlägt dafür vor, dass akkreditierte und zugelassene Stellen Vertrauenssiegel an die Unternehmer verleihen können, die auf ihren Websites die Streitbeilegung über die OS-Plattform propagieren und fördern. Er spricht sich dafür aus, in die Verhaltenskodizes einen Verweis auf die Streitbeilegung über diese Online-Plattform aufzunehmen.

1.13   Der EWSA empfiehlt, die Frage der Finanzierung dieses Systems ausdrücklich und mutig anzugehen, da die Verbraucherorganisationen und einige Mitgliedstaaten aufgrund knapper Mittel nicht in der Lage sind, die Mehrkosten für die Umsetzung aufzubringen, dies aber eine für die Gewährleistung der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Systems entscheidende Frage ist.

1.14   Nach Ansicht des Ausschusses wird die Regelung zu vieler entscheidender Fragen des Rechtsinstruments und der Funktionsweise des Systems späteren Durchführungsrechtsakten bzw. delegierten Rechtsakten überlassen, was weit über die in Artikel 290 Absatz 1 des Vertrags vorgesehenen Grenzen hinausgeht und sich auf die Rechtssicherheit der Bestimmungen auswirkt.

1.15   Nach Ansicht des EWSA sollte der Wortlaut mehrerer Bestimmungen überprüft und ggf. nachgebessert werden, um sie klarer, eindeutiger und wirksamer zu fassen. Er empfiehlt der Kommission, diesbezüglich seine besonderen Bemerkungen zu berücksichtigen.

2.   Zusammenfassung des Vorschlags

2.1   In Anbetracht der Tatsache, dass ein großer Teil der Stellen für die außergerichtliche Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten den europäischen Verbrauchern nicht die Möglichkeit bietet, das gesamte Verfahren online abzuwickeln;

angesichts des Fehlens eines wirksamen Rechtsschutzes bei Beschwerden, die sich aus grenzübergreifenden Online-Rechtsgeschäften ergeben, was sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen negative Folgen hat;

unter Berücksichtigung des Tenors und der Schlussfolgerungen der zahlreichen Studien zu diesem Thema, in denen die Entwicklung von Online-Streitbeilegungsinstrumenten (OS-Instrumenten) für Verbraucherstreitigkeiten durch eine EU-Maßnahme generell befürwortet wird;

ausgehend von den Ergebnissen der Folgenabschätzung SEC(2011) 1408 final vom 29.11.2011, wonach nur mit einer Kombination von Instrumenten der alternativen Streitbeilegung (AS) und der Online-Streitbeilegung (OS) der Zugang zu einer unabhängigen, transparenten und wirksamen Möglichkeit der außergerichtlichen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten im Zusammenhang mit grenzübergreifenden elektronischen Rechtsgeschäften garantiert werden kann:

will die Kommission mit diesem Verordnungsvorschlag ein EU-weites OS-System einrichten, das die Online-Beilegung von Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Verbrauchern im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Verträgen über den Verkauf von Waren oder die Bereitstellung von Dienstleistungen erleichtern soll.

2.2   Zu diesem Zweck zieht die Kommission als Rechtsgrundlage ausschließlich Artikel 114 AEUV heran, der sich auf die Vollendung des Binnenmarktes bezieht, um

a)

eine „Europäische Plattform für die Online-Streitbeilegung“ (OS-Plattform) in Form einer interaktiven Website zu errichten, auf die in allen EU-Amtssprachen kostenlos zugegriffen werden kann. Diese Plattform soll eine zentrale Anlaufstelle für Verbraucher und Unternehmer sein, die aus einem ausschließlich grenzübergreifenden elektronischen Rechtsgeschäft erwachsende Streitigkeiten, bei welchen alle beteiligten Parteien in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten wohnen bzw. ansässig sind, außergerichtlich beilegen möchten;

b)

ein „OS-Mittler-Netz“ einzurichten, das aus einer OS-Kontaktstelle in jedem Mitgliedstaat besteht – die zuständige Behörde, die gemäß den Bestimmungen der AS-Richtlinie für die Unterstützung bei der Beilegung von Streitigkeiten, die über die OS-Plattform eingereicht werden, benannt wird.

2.3   Diese Verordnung gilt nur für Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern, die aus dem grenzüberschreitenden Online-Verkauf von Waren oder der Online-Bereitstellung von Dienstleistungen erwachsen.

2.4   Das geplante System soll auf den bereits existierenden AS-Stellen aufbauen und, unbeschadet gemeinsamer Regeln über die Funktionsweise, die rechtlichen Traditionen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der jeweiligen nationalen Verfahrensregeln, vor allem bezüglich der Kosten, wahren, um Effektivität und eine schnelle Bearbeitung zu gewährleisten. Dieses System soll kein Hindernis für die Arbeit der in der EU bereits existierenden OS-Stellen oder dafür sein, dass grenzübergreifende Streitigkeiten, die auf anderem Wege als über die OS-Plattform vorgelegt wurden, von AS-Stellen geschlichtet werden.

2.5   Die Verfahren zur Online-Streitbeilegung dürfen weder gerichtliche Verfahren ersetzen noch Verbrauchern oder Unternehmern das Recht nehmen, den Schutz ihrer Rechte vor Gericht einzufordern. Die vorgeschlagene Verordnung soll für alle Stellen gelten, die auf Dauer eingerichtet sind und die Beilegung einer Streitigkeit in einem AS-Verfahren anbieten. Das gilt auch für institutionalisierte, nicht ad hoc geschaffene Schlichtungsverfahren.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der EWSA hat in einigen seiner Stellungnahmen jüngeren Datums, insbesondere nach Annahme der Digitalen Agenda (1), der 50 Vorschläge (2) und der „Zwölf Hebel“ für den Binnenmarkt (3), die Schaffung eines Systems zur Online-Streitbeilegung gefordert, und kann deshalb diese Initiative der Kommission nur begrüßen, wobei er zugleich das gewählte Rechtsinstrument einer Verordnung befürwortet.

3.2   In Bezug auf die Rechtsgrundlage vertritt der EWSA die Ansicht, dass es hier neben der bloßen Vollendung des Binnenmarktes auch um ein Instrument des Verbraucherschutzes geht, weshalb sich als Rechtsgrundlage am besten – soweit nicht Artikel 81 herangezogen wird – Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe b) und Absatz 4 des Vertrages (statt bloß Artikel 114) sowie auch die Artikel 38 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eignen würden.

3.3   Er begrüßt die erklärte Absicht der Kommission, mit der Schaffung dieses Systems nicht das Recht auf Anrufung der Gerichte ausschließen oder die normale Gerichtsbarkeit ersetzen zu wollen, soweit die Parteien diese anzurufen beabsichtigen.

3.4   Der Ausschuss befürwortet, dass die Definition des Begriffs Verbraucher im Einklang mit der AS-Richtlinie und der neuen Verbraucherrechterichtlinie (4) auf Verträge mit doppelten Zweck ausgedehnt wird, bei denen der gewerbliche Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht überwiegt, und spricht sich dafür aus, diese Definition auch ausdrücklich in die Artikel der Verordnung aufzunehmen.

3.5   Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission sich um die Wahrung der Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten bemüht und die Rolle der existierenden Stellen für alternative Streitbeilegung nicht durch dieses System ersetzen oder schmälern will, bezweifelt jedoch, dass es auf diese Art und Weise möglich sein wird, bei der Entmaterialisierung von Online-Streitigkeiten wesentlich voranzukommen.

3.6   Der Ausschuss stellt fest, dass sich der Vorschlag in der Praxis darauf beschränkt, eine Art „E-Mail-Rahmen“ bzw. Online-Postsammelstelle einzurichten, an die die Beschwerden gerichtet und nach einem rein formalen Sortierverfahren an die verschiedenen AS-Stellen weitergeleitet werden, womit ein schwerfälliges bürokratisches und verwaltungstechnisches Zustellsystem geschaffen wird.

3.7   Er vertritt die Ansicht, dass der Vorschlag zu zögerlich ausfällt und weit hinter dem zurückbleibt, was wünschenswert und möglich wäre, insbesondere im Hinblick auf:

a)

den mehrjährigen Aktionsplan 2009- 2013 für die europäische E-Justiz (5);

b)

das sehr fortschrittliche Dokument der Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht (6) (UNCITRAL), A/CN.9/706, mit dem Titel „Possible future work on online dispute resolution in cross-border electronic commerce transactions“ (Mögliches künftiges Vorgehen für eine Online-Streitbeilegung im grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr);

c)

die Ausklammerung von Streitigkeiten, die nicht ausschließlich grenzüberschreitender Art sind, was die Mitgliedstaaten, die dies anstreben, zwingt, rein nationale Systeme für innerstaatliche Streitigkeiten zu entwickeln, auch wenn die Parteien zwar unterschiedlicher Staatsangehörigkeit sind, jedoch ihren ständigen oder zeitweiligen Wohnsitz bzw. Sitz im gleichen Mitgliedstaat haben;

d)

die Ausklammerung von Streitigkeiten, die nicht ausschließlich auf elektronisch abgeschlossene Rechtsgeschäfte zurückgehen (Offline-Streitigkeiten), da die in der Richtlinie 2000/31/EG enthaltene breitgefasste Definition des elektronischen Geschäftsverkehrs nicht übernommen wird, einschließlich Streitigkeiten, die sich aus kommerzieller Online-Kommunikation ohne konkrete Transaktionergeben; dies gilt auch für die von einigen AS-Stellen heute bereits eingeräumte Möglichkeit, Streitigkeiten aus Geschäften im Fernabsatz, die nicht über elektronische Mittel abgeschlossen wurden (Versandhandel oder Haustürgeschäfte), und sogar Präsenzgeschäfte auf Reisen in andere Mitgliedstaaten, bei denen die Streitigkeit nach Abschluss des Geschäfts erwächst, auf elektronischem Wege zu bearbeiten;

e)

der Verzicht auf das so genannte OS-System der zweiten Generation (Online-Streitbeilegung) (7), bei dem die Technologie (dieser Plattform) eine aktive Rolle übernimmt und bei der Online-Beilegung von verbraucherrechtlichen Streitigkeiten regelrecht als „vierte Partei“ (8) (neben den beiden Parteien und dem Mediator/Schiedsrichter) agiert, was es den Parteien ermöglicht, anstatt in Präsenz der anderen Partei nun über die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zeitgleich oder zeitversetzt auch aus der Ferne miteinander zu kommunizieren;

f)

das Fehlen eines Hinweises auf die in der Norm ISO 10003 – „Leitfaden für Konfliktlösung außerhalb von Organisationen“ vorgesehene Qualitätssicherung für das eingeführte System oder auf das Bestehen einer „watch list“, auf der Beschwerden gegen Unternehmer registriert werden können. Die genannte Norm könnte auch zur Vereinheitlichung des Informationsprospekts über die Funktionsweise des OS-Systems dienen.

3.8   In der Verordnung wird zwar der Online-Plattform die „Befähigung der Parteien und der AS-Stelle zur Online-Abwicklung des gesamten Streitbeilegungsverfahrens“ (Art. 5 Abs. 3 Buchst. (d)) als Aufgabe übertragen, doch der EWSA hatte sich erhofft, dass hier die Grundlagen für ein OS-System gelegt werden, das zur Legitimierung des elektronischen Rechtsverkehrs (E-Justiz) beiträgt. Er hatte erwartet, dass das System in seiner Ausgestaltung auf die bereits bestehenden technologischen Infrastrukturen und Ressourcen der zeitgleichen oder zeitversetzten Kommunikation (Chats, Online-Foren, Mailinglisten, E-Mail, Fernkonferenz, Audio- und Videokonferenz, virtuelle Mediationsräume) zurückgreift und diese reproduziert, die Anwendungen im Rechtsverkehr und den Einsatz von OS-Instrumenten der ersten und zweiten Generation für diesen Prozess (Online-Verhandlung, Mediation und -Schiedsverfahren) stärkt und damit die „E-Mediation“ zwischen den Parteien, einen Anstieg der Produktion und eine bessere Verfolgbarkeit und Vorhersehbarkeit der Verfahren fördert.

3.9   Selbst wenn die Kommission keine Fortschritte hin zu den genannten Modellen der zweiten Generation macht, hätte sie, um den Erwartungen und Ankündigungen dieser Initiative Rechnung zu tragen, zumindest den potentiellen Nutzen erwägen müssen, der sich aus einer funktionellen Einbeziehung einer Plattform von Systemen zur Unterstützung der Entscheidungsfindung der Parteien in einem OS-System ergibt, wie zum Beispiel Einbeziehung von Sachverständigensystemen, Informationssystemen auf der Grundlage früherer Fälle, Zugang zu Datenbanken (in der internationalen Fachliteratur als „case based reasoning“ (CBR) bezeichnet) und Online-Streitbeilegung im Einklang mit den Konfliktlösungsstilen der Parteien. Modelle der zweiten Generation ermöglichen den Einsatz telematischer Mittel und die Unterstützung durch künstliche Intelligenz auf der Grundlage mathematischer Modelle für die Entscheidung über Streitigkeiten durch eine systematische Bewertung der Vorschläge der Parteien, die sich ihrerseits auf gleichermaßen befähigte Computerspezialisten („intelligente Schnittstellen“) innerhalb eines interaktiven Prozesses ohne feste Verhandlungsschemata stützen wie zum Beispiel BATNA (Best Alternative to a Negotiated Agreement) oder WATNA (Worst Alternative to a Negotiated Agreement), um zur ZOPA (Zone of Possible Agreement) zu gelangen.

3.10   Der EWSA wirft zudem die Frage auf, wie sich die Kommission eine Online-Streitbeilegung für Fälle vorstellt, die nicht nur typische marktbedingte Meinungsverschiedenheiten - Herstellungs- oder Funktionsmängel, Lieferverzug oder Nichtlieferung – betreffen, sondern auch Auseinandersetzungen über missbräuchliche Vertragsklauseln oder das anwendbare Vertragsrecht.

3.11   Der EWSA würde es begrüßen, wenn der Vorschlag ausdrücklich die Möglichkeit vorsähe, dass sich die Parteien bei ihren Online-Beschwerden durch Rechtsanwälte oder Dritte –namentlich Verbraucherverbände – vertreten lassen.

3.12   Der Ausschuss stellt mit Verwunderung fest, dass die Frage der für die Umsetzung dieses neuen Instruments nötigen Finanzierung nicht ausdrücklich und mutig angegangen wurde, obgleich ihr die Verbraucherorganisationen in der durchgeführten Konsultation große Bedeutung beigemessen haben. Einige Mitgliedstaaten sind aufgrund ihrer knappen Finanzmittel nicht in der Lage, die Mehrkosten für neue Strukturen, Ausbildung von Mediatoren und anderen Verwaltungsbediensteten zur Unterstützung, Information und Betreuung der Verbraucher und für neue verwaltungstechnische Aufgaben aufzubringen. Die Finanzierung wurde aber durchweg als für die Gewährleistung von Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Systems entscheidende Frage angesehen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Art. 1 - Gegenstand

Der Gegenstand dieser Verordnung sollte gleichfalls den Grundsatz des Zugangs der Parteien zum Recht und zur Justiz beinhalten. Neben der Streitbeilegung könnte die Plattform für die Streitprävention eingesetzt werden, indem einschlägige Informationen über die Möglichkeiten zur Behebung von Streitigkeiten zur Verfügung gestellt werden.

4.2   Art. 2 - Geltungsbereich

Der EWSA würde es - auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit heraus - begrüßen, wenn sich die Verordnung auch auf offline entstandene Streitigkeiten erstreckte, wie das bei verschiedenen AS-Stellen, die über Informationstechnologien zwischen den Parteien vermitteln, bereits üblich ist.

Aus formeller Sicht wird vorgeschlagen, die vom Geltungsbereich ausgeschlossenen Bereiche hier in Artikel 2 zu regeln und nicht in Artikel 4, in dem die Begriffsbestimmungen enthalten sind.

4.3   Art. 3 - Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union

Der EWSA regt an, Verweise auf die einschlägigen Richtlinien zum elektronischen Geschäftsverkehr und zum Fernabsatz von Verbrauchsgütern sowie zu Vertragsabschlüssen im Fernabsatz aufzunehmen (9).

4.4   Kapitel II - Europäische Plattform für die Online-Streitbeilegung

Aus Gründen der Klarheit zöge der EWSA es vor, wenn die Ausgestaltung der Plattform und das Beschwerdeverfahren in unterschiedlichen Kapiteln geregelt würden.

4.5   Art. 5 Abs. 3 Buchst. (b)

Der EWSA hegt Zweifel, inwieweit die Auswahl einer AS-Stelle für die Parteien mangels entsprechender Kenntnisse und Kriterien praktikabel ist. Es wäre zudem zweckmäßig, wenn die Parteien selbst eine AS-Stelle benennen könnten, mit der sie gegebenenfalls schon früher zusammengearbeitet haben.

4.6   Art. 5 Abs. 3 Buchst. (i)

Der EWSA befürchtet, dass diese Informationen nicht ausreichen. Er schlägt vor, dass neben den Statistiken über die Ergebnisse der bearbeiteten Streitigkeiten auch statistische Daten über die bearbeiteten Angelegenheiten und Informationen darüber bereitgestellt werden, welche AS-Methoden am meisten eingesetzt wurden. Darüber hinaus sollte die Plattform auch ein System für die Verfahrensverwaltung mit entsprechenden Verwaltungsindikatoren (eingeleitete, abgeschlossene und anhängige Verfahren, Dauer und Kosten des Verfahrens) beinhalten. Überdies wird die bloße Angabe bzw. der Vorschlag einer oder mehrerer AS-Stellen für die Parteien nicht dem Anspruch gerecht, den Zugang der Parteien zur Justiz zu garantieren. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass es schon ausreicht, wenn eine der Parteien nicht mit der vorgeschlagenen AS-Stelle einverstanden ist, damit das Verfahren eingestellt wird (siehe Art. 7 Abs. 3, Art. 8 Abs. 2 Buchst. (b) und Art. 4), was das System zum Scheitern verurteilen würde.

4.7   Art. 6 - Netz der Online-Streitbeilegungs-Mittler

Nach Ansicht des EWSA ist der Begriff „Online-Streitbeilegung“ irreführend und sollte vermieden werden, da die Beilegung der Streitigkeiten nicht online betrieben wird, sondern über die klassischen AS-Methoden. Auf elektronischem Wege wird lediglich die Beschwerde eingereicht.

Der EWSA hegt ernste Bedenken, dass das im Verordnungsvorschlag angeführte Ziel schneller und wirksamer Verfahren durch dieses System gefährdet bzw. aufs schwerste beeinträchtigt wird, da hier mit der dreistufigen Weiterleitung ein sehr bürokratisches Prozedere eingeführt wird. Er bezweifelt zudem, dass die in Artikel 9 Buchstabe (b) festgelegte Frist von 30 Tagen tatsächlich eingehalten werden kann. Anzumerken ist, dass die Beschwerde elektronisch an die Plattform weitergeleitet, geprüft und den zuständigen AS-Stellen unterbreitet und von den OS-Mittlern wieder an den ausgewählten AS-Stelle rücküberwiesen worden sein muss, bevor die Parteien zur tatsächlichen Beilegung der Streitigkeiten durch die AS-Stellen schreiten können, was unweigerlich zu Verzögerungen für die Parteien mit entsprechenden Verzugs- und Opportunitätskosten führt.

4.8   Art. 7 - Einreichen einer Beschwerde

Der EWSA empfiehlt, gebührende Aufmerksamkeit darauf zu verwenden, die erforderliche Übersetzung der Beschwerden und der damit verbundenen Dokumente in praktikabler Form zu gewährleisten. Dieser für die Funktionsweise des Systems wesentliche Aspekt bleibt in dem Vorschlag völlig ausgespart; auf die bereits existierenden automatischen Übersetzungsprogramme, welche im Übrigen in das System integriert werden sollten, wird noch nicht einmal hingewiesen.

4.9   Art. 7 Abs. 2 und 6

Der EWSA betont, dass der Anhang „Beim Ausfüllen des Beschwerdeformulars anzugebende Informationen“ in Inhalt und Form völlig unzureichend ist, weshalb sich jeder Kommentar dazu erübrigt.

Nach Ansicht des EWSA sollte diese Website nicht nur ein Formular zur Verfügung stellen, sondern auch Online-Erklärungen dazu, wie dieses auszufüllen ist. Erforderlich ist diesbezüglich eine spezifische Einführung (Hinweise, um sich mit dem Programm vertraut zu machen, oder zusätzlich dazu eine gesonderte Hilfe-Seite mit Hinweisen, Hilfestellungen und Antworten auf FAQ). Vorgesehen werden sollte ein interaktives Forum, in dem die Parteien ihre technischen Schwierigkeiten schildern und sofort online Antworten erhalten können. Ermöglicht werden sollte zudem die mündliche Darlegung des Sachverhalts in verschiedenen Sprachen mit sofortiger Übersetzung mittels der dafür bereits existierenden neuen Kommunikationstechnologien. Von Nutzem wäre auch die automatische Erkennung falsch oder unvollständig ausgefüllter Formulare mit entsprechenden Hinweisen zur Berichtigung der Angaben, denn so könnte das sonst erforderliche erneute Einreichen der Beschwerde vermieden werden.

Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass einige unbestimmte rechtliche Formulierungen wie zum Beispiel „ausreichen müssen“ (Abs. 2) oder „Daten […], die genau und zweckdienlich sind und nicht über den Zweck hinausgehen, für den sie erhoben werden“ (Abs. 6) durch konkrete Zusätze näher bestimmt werden müssen.

Nach Auffassung des Ausschusses sollten nicht nur die entsprechenden Mittel (Bereitstellung eines Online-Formulars) festgelegt werden, sondern dieses Formular muss auch auf intuitive, verbraucherfreundliche, einfache und komfortable Weise ausfüllbar sein (10).

Der EWSA schlägt überdies die Verknüpfung der Online-Plattform mit einem „Online-Beschwerdebuch“ vor, wobei die Online-Händler dazu verpflichtet werden sollten, auf ihren Websites auf dieses Beschwerdebuch hinzuweisen. Es sollte erwogen werden, bei Eintrag in das Beschwerdebuch die Möglichkeit einer direkten automatischen Weiterleitung auf elektronischem Wege an die zentrale OS-Plattform zu eröffnen, damit eine Streitbeilegung eingeleitet werden kann.

4.10   Artikel 8 Absatz 1

Der Ausschuss weist darauf hin, dass der Durchschnittsverbraucher im Allgemeinen (abgesehen vom Problem der digitalen Ausgrenzung) nicht unbedingt über die diesbezüglichen Kompetenzen verfügt, und befürchtet daher, dass die in Abs. 1 angedrohte Sanktion die Ziele dieser Initiative völlig konterkariert, da das Verfahren ohne Beilegung der Streitigkeit formal endet.

4.11   Art. 12 - Vertraulichkeit und Sicherheit der Daten

Der Ausschuss weist nachdrücklich darauf hin, dass die Regelung der beruflichen Geheimhaltungspflicht und Vertraulichkeit den nationalen Rechtsvorschriften überlassen wird und es keine Bestimmung zur Beweislast und zu Lösungen bei Verletzung dieser Pflichten gibt, die jedoch notwendig wäre.

4.12   Art. 13 - Information der Verbraucher

Der Ausschuss schlägt vor, dass akkreditierte und zugelassene Stellen Vertrauenssiegel an die Unternehmer verleihen können, die auf ihren Websites die Streitbeilegung über die OS-Plattform propagieren und fördern (Beispiele: TRUSTe, Euro-Label oder Global Trustmark Alliance).

Er spricht sich dafür aus, in die (von Unternehmen, Verbraucherverbänden und Zulieferorganisationen oder auch Regierungsstellen erarbeiteten) Verhaltenskodizes einen Verweis auf die Streitbeilegung über diese Online-Plattform aufzunehmen.

4.13   Art. 15 und 16 - Ermächtigung für Durchführungsrechtsakte

In dem Vorschlag wird in mehreren Artikeln (Art. 6 Abs. 5, Art. 7 Abs. 4 und 5) hinsichtlich der Regelung entscheidender Fragen des Rechtsinstruments und der Funktionsweise des Systems auf spätere Durchführungsrechtsakte bzw. delegierte Rechtsakte verwiesen, was nach Ansicht des Ausschusses weit über die in Artikel 290 Absatz 1 AEUV und in der Mitteilung der Kommission über die Umsetzung von Artikel 290 AEUV (COM(2009) 673 final vom 9.12.2009) vorgesehenen Grenzen für solche Befugnisse hinausgeht und sich auf die Rechtssicherheit der Bestimmungen auswirkt.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  COM(2010) 245 final.

(2)  COM(2010) 608 final.

(3)  COM(2011) 206 final.

(4)  Richtlinie 2011/83/EU (ABl. L 304 vom 22.11.2011, S. 64).

(5)  ABl. C 75 vom 31.3.2009, S. 1.

(6)  http://www.uncitral.org/uncitral/publications/online_resources_ODR.html.

(7)  Vgl. G. Peruginelli und G. Chiti „Artificial Intelligence Dispute Resolution“ in: Proceedings of the Workshop on the Law of electronic agents – LEA 2002.

(8)  Vgl. u.a. folgende Verfahren: CYBERSETTLE (http://www.cybersettle.com), SMARTSETTLE (http://www.smartsettle.com), SQUARETRADE (http://www.squaretrade.com)), über das seit 1999 mehr als 200 000 Streitigkeiten in 120 Ländern beigelegt wurden, und ECODIR (abrufbar auf: http://www.ecodir.org/).

(9)  Richtlinie 2000/31/EG (ABl. L 178 vom 17.7.2000, S. 1), Richtlinie 1999/44/EG (ABl. L 171 vom 7.7.1999, S. 12) und Richtlinie 97/7/EG (ABl. L 144 vom 4.6.1997, S. 19).

(10)  Wichtige Mitteilungen können durch Rechtschreib-, Grammatik- oder Tippfehler stark beeinträchtigt werden. Rechtschreibfehler können zu voreiligen Schlüssen über die Gegenpartei verleiten oder Zweifel hinsichtlich der tatsächlichen Möglichkeit zur Beilegung der Streitigkeit wecken. In diesem Sinne sind Hilfsmittel zur Überprüfung der Rechtschreibung, wie sie zum Beispiel auf http://www.juripax.com/ zum Einsatz kommen, sehr nützlich.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/105


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Neuen Rechtsrahmen — Angleichungspaket (Umsetzung des Binnenmarktpakets für Waren)“

COM(2011) 764 final — 2011/0358 (COD)

COM(2011) 765 final — 2011/0351 (COD)

COM(2011) 766 final — 2011/0352 (COD)

COM(2011) 768 final — 2011/0350 (COD)

COM(2011) 769 final — 2011/0353 (COD)

COM(2011) 770 final — 2011/0354 (COD)

COM(2011) 771 final — 2011/0349 (COD)

COM(2011) 772 final — 2011/0356 (COD)

COM(2011) 773 final — 2011/0357 (COD)

(2012/C 181/19)

Alleinberichterstatter: Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 20. Dezember bzw. 30. November 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Neuer Rechtsrahmen — Angleichungspaket (Umsetzung des Binnenmarktpakets für Waren)

COM(2011) 764 final — 2011/0358 (COD)

COM(2011) 765 final — 2011/0351 (COD)

COM(2011) 766 final — 2011/0352 (COD)

COM(2011) 768 final — 2011/0350 (COD)

COM(2011) 769 final — 2011/0353 (COD)

COM(2011) 770 final — 2011/0354 (COD)

COM(2011) 771 final — 2011/0349 (COD)

COM(2011) 772 final — 2011/0356 (COD)

COM(2011) 773 final — 2011/0357 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 9. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 115 gegen 4 Stimmen bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Annahme der Vorschläge der Kommission zur Änderung von zehn Richtlinien über die technische Harmonisierung in Bezug auf die Umsetzung des „Binnenmarktpakets für Waren“ mittels einer bloßen Anpassung an den Beschluss Nr. 768/2008/EG (1) (ein gemeinsamer Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten).

1.2   Die Art der Sanktionen, die von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten gewährleistet werden sollen, und die Schwelle, ab der diese Sanktionen erfolgen müssen, sollten künftig festgelegt werden, da die nationalen Behörden durch die in diesem Paket enthaltenen Bestimmungen lediglich verpflichtet werden, Regelungen für Sanktionen bei entsprechenden Verstöße festzulegen, ohne dass z.B. die Verstöße in Kategorien eingeteilt oder andere Bestrafungselemente berücksichtigt werden, die auf überstaatlicher Ebene festgelegt sind.

1.3   Die Kommission sollte die Bemerkungen des EWSA berücksichtigen, die er in seiner Stellungnahme vom 13. Dezember 2007 zum bereichsübergreifenden Rechtsrahmen (2) in Bezug auf die Notwendigkeit der Verbesserung der Koordinierung und der Ausweitung der Marktüberwachung formuliert hat.

1.4   Hinsichtlich des Rechtsschutzes der CE-Kennzeichnung sollte ein neues System entwickelt werden, mit dem die Herkunft festgestellt und die Rückverfolgbarkeit der Erzeugnisse sichergestellt wird, damit die Verbraucher besser informiert werden.

2.   Vorbemerkungen

2.1   Der freie Verkehr von Waren gehört zu den vier Grundfreiheiten, die die Grundlage des Binnenmarktes bilden, und wird in den Verträgen (Artikel 28 ff. AEUV) ausdrücklich anerkannt; des Weiteren gibt es diesbezüglich eine umfangreiche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die Teil des gemeinschaftlichen Besitzstands ist.

2.1.1   Mit der Verabschiedung der Rechtsetzungstechnik nach dem neuen Konzept im Jahr 1985 wurden die Rechtsvorschriften auf jene Anforderungen beschränkt, die wesentlich sind; auf detaillierte technische Fragen wird seitdem in harmonisierten europäischen Normen eingegangen, was dazu beigetragen hat, den Harmonisierungsprozess zu beschleunigen, so dass ganze Industriebereiche von den Vorteilen des freien Warenverkehrs profitieren konnten.

2.1.2   In den sekundären Rechtsvorschriften wurde mit dem Beschluss 90/683/EWG (3) des Rates das sogenannte globale Konzept eingeführt, das später durch den Beschluss 93/465/EWG (4) ersetzt wurde; sie enthalten allgemeine Vorgaben und detaillierte Verfahrensweisen für die Konformitätsbewertung, die in den Richtlinien des neuen Konzepts zu verwenden sind.

2.2   Im Juli 2008 verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat mit der Annahme der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 (5) über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung und dem Beschluss Nr. 768/2008/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten einen neuen Rechtsrahmen zur Verbesserung der Funktionsweise der Vermarktung von Waren im Binnenmarkt.

2.2.1   Mit diesem Paket von 2008 soll der freie Verkehr für sichere Waren durch eine verbesserte Wirksamkeit der Rechtsvorschriften der EU für die Produktsicherheit, durch eine Stärkung des Verbraucherschutzes und durch die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaftsakteure gefördert werden. Bezüglich des freien Warenverkehrs muss dieser neue bereichsübergreifende Rechtsrahmen von 2008 durch die Rechtsvorschriften über Produktstandardisierung ergänzt werden.

2.2.2   Diese Rechtsakte gehen weit über eine reine Überprüfung des neuen Konzepts hinaus und schaffen eine neue Rechtslage im harmonisierten Bereich. Es handelt sich um einander ergänzende Rechtsakte, die untrennbar miteinander verknüpft sind und einen engen Bezug zu den sektoralen Rechtsvorschriften aufweisen, die sie unterstützen und ergänzen.

2.3   Mit der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 werden die geltenden Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung verstärkt, damit nicht konforme Produkte rasch erkannt und vom Markt genommen werden können. Hauptziel ist es, den freien Warenverkehr im harmonisierten Sektor zu gewährleisten mittels:

Stärkung der europäischen Kooperation, damit die Akkreditierung bei der ordnungsgemäßen Durchführung gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften wirkungsvoll als letzte Kontrollinstanz fungieren kann;

Errichtung eines Regelungsrahmens für die Anerkennung einer bereits bestehenden Einrichtung, der Europäischen Kooperation für Akkreditierung (EA), so dass das ordnungsgemäße Funktionieren einer strengen Beurteilung unter Gleichrangigen (peer evaluation) seitens der nationalen Akkreditierungsstellen gewährleistet ist;

eines gemeinschaftlichen Rahmens für Marktüberwachung und -kontrolle bei Produkten, die aus Drittländern auf den Binnenmarkt gelangen, der eine engere Zusammenarbeit zwischen den internen Behörden und den Zollbehörden, den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden, falls Produkte in mehr als einem Mitgliedstaat in Verkehr sind, gewährleisten;

Anwendung standardisierter und klarer Vorschriften in allen Sektoren, rechtlicher Stabilität und Kohärenz, Entlastung durch Reduktion der Auflagen bei der Konformitätsbewertung im Vorfeld der Vermarktung.

2.4   Der Beschluss Nr. 768/2008/EG ist ein „sui generis“-Beschluss, mit dem der EU-Gesetzgeber dazu verpflichtet wird, dessen Inhalt so systematisch wie möglich auf alle früher, heute und in Zukunft erlassenen Rechtsvorschriften für Produkte anzuwenden und deren Umsetzung damit allen Beteiligten zu erleichtern.

2.4.1   Mit dem Beschluss wird ein gemeinsamer horizontaler einheitlicher Rechtsrahmen für den freien Verkehr von Waren geschaffen; dieser enthält

harmonisierte Begriffsbestimmungen, einheitliche Verpflichtungen für die Wirtschaftsakteure, Kriterien für die Auswahl der Konformitätsbewertungsstellen und Kriterien für die nationalen notifizierenden Stellen sowie Vorschriften für das Notifizierungsverfahren;

Regeln für die Auswahl der Art der Konformitätsbewertungsverfahren und eine Reihe harmonisierter Verfahren, um belastende Überlappungen zu vermeiden;

eine einheitliche Definition für die CE-Kennzeichnung (mit entsprechenden Zuständigkeiten und Schutzrechten);

ein Informations- und Marktüberwachungsverfahren in Erweiterung des mit der Produktsicherheitsrichtlinie eingeführten Systems;

harmonisierte Bestimmungen für künftige Schutzklauselmechanismen als Ergänzung zu den Marktüberwachungsverfahren.

2.5   Der EWSA bekräftigte in seiner Stellungnahme zu den beiden Vorschlägen,

dass die uneingeschränkte Anwendung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs sichergestellt werden muss, damit die in einem Mitgliedstaat legal auf den Markt gebrachten Produkte auch ohne Probleme im gesamten Unionsgebiet vermarktet werden können;

dass der freie Warenverkehr einer der wichtigsten Motoren für die Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des europäischen Binnenmarkts ist und dass die Konkretisierung und Modernisierung der Bedingungen für die Vermarktung sicherer Qualitätsprodukte für die Verbraucher, die Unternehmen und die Unionsbürger von zentraler Bedeutung sind.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der EWSA die Vorschläge der Kommission befürwortet und eine Reihe von Beobachtungen und Empfehlungen zu den beiden Rechtsakten abgibt.

2.6   Die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 765/2008, die am 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist, haben seitdem unmittelbare Geltung und werden von den nationalen Behörden durchgeführt, wobei die Kommission unterstützend zu einem koordinierten Vorgehen beiträgt.

2.7   Der Beschluss Nr. 768/2008/EG richtet sich an die Institutionen der Union und ist ein für Unternehmen, natürliche Personen und Mitgliedstaaten unverbindlicher Rechtsakt. Er soll als horizontaler Rahmen für die Bestimmungen dienen, die die gemeinsamen Elemente der Gesetzgebung zur technischen Harmonisierung bilden. Diese standardisierten Bestimmungen müssen in alle neuen bzw. überarbeiteten Rechtsakte integriert werden.

3.   Die Hindernisse für den freien Warenverkehr

3.1   Das Ziel beider Rechtsakte besteht darin, diverse Probleme zu lösen, die in den verschiedenen, durch europäische Rechtsvorschriften zur technischen Harmonisierung regulierten Wirtschaftszweigen beobachtet wurden, also durch die Rechtsvorschriften, mit denen die gemeinsamen Anforderungen bezüglich der Vermarktung von Waren festgelegt werden.

3.2   Die größte Sorge gilt der Gewährleistung der Sicherheit der Bürger und der Verringerung der im Handel befindlichen Produkte, die den Anforderungen der gemeinsamen Rechtsvorschriften nicht entsprechen. Ein weiteres Ziel ist die Verbesserung der Qualität der Arbeit, die von den Prüf- und Zertifizierungsstellen geleistet wird. Außerdem sollte dieser neue horizontale Rahmen den gesamten Rechtsrahmen für Waren weiter vereinheitlichen und dessen Anwendung vereinfachen.

3.3   Probleme bei Verstößen gegen die geltenden Anforderungen

3.3.1   Eine erhebliche Zahl von Produkten, die auf dem Markt sind, entsprechen nicht den detaillierten Anforderungen der Richtlinien. Einige Unternehmen bringen die CE-Kennzeichnung auf ihren Produkten an, obwohl diese nicht den entsprechenden Anforderungen genügen.

3.3.2   Nicht alle Importeure und Händler lassen die notwendigen Prüfungen durchführen, um sich zu vergewissern, dass sie ausschließlich Waren vertreiben, die den Normen entsprechen. Die Marktkontrollbehörden haben in der Regel Schwierigkeiten, die Wirtschaftsakteure aufzuspüren, die solche Produkte liefern, insbesondere wenn diese aus Drittländern kommen.

3.4   Die Mitgliedstaaten stellen außerdem unterschiedliche Anforderungen an die Importeure und Händler, damit diese die Konformität der Produkte gewährleisten, und die von den nationalen Behörden ergriffenen Maßnahmen in Bezug auf Produkte, die nicht den Normen entsprechen, variieren teilweise zwischen den Mitgliedstaaten.

3.5   Probleme bezüglich der Tätigkeit bestimmter Zertifizierungsstellen

3.5.1   Einige Richtlinien sehen eine Zertifizierung der Waren durch „Zertifizierungsstellen“ (Organe, die die Produkte prüfen, inspizieren und zertifizieren) vor. Auch wenn die Mehrheit der Zertifizierungsstellen ihrer Arbeit gewissenhaft und verantwortlich nachgeht, gab es Fälle, die an ihrer Qualifizierung und an der Glaubwürdigkeit der von ihnen verliehenen Zertifikate zweifeln lassen.

3.5.2   Die Zertifizierung durch die zugelassenen Stellen wird nicht von allen Mitgliedstaaten auf die gleiche Art und gleich streng bewertet und kontrolliert. So stellt sich insbesondere die Frage der Qualifizierung der Filialen bzw. Subunternehmer in Drittländern.

3.6   Konkrete Probleme der Uneinheitlichkeit geltender Rechtsvorschriften

3.6.1   Die Richtlinien über den freien Warenverkehr verfolgen oft einen risikobasierten Ansatz, und manchmal kann ein einziges Produkt unter mehrere Richtlinien fallen. Für die Produzenten bedeutet dies, dass dieses Produkt allen in den Richtlinien genannten Anforderungen entsprechen muss.

3.6.2   Die gleichzeitige Anwendung mehrerer Richtlinien auf ein Produkt kann zu Schwierigkeiten bei der Konformitätsbewertung führen, insbesondere wenn die Richtlinien dasselbe „Modul“ verwenden, der Wortlaut des Moduls jedoch von einer zur anderen Richtlinie variiert.

4.   Kommissionsvorschlag

4.1   Nach der Annahme des neuen Rechtsrahmens im Juli 2008 haben die Kommissionsdienststellen in den Rechtsvorschriften für Produkte alle Rechtsakte ausfindig gemacht, die in den kommenden Jahren aus sektorspezifischen Gründen überarbeitet werden müssen; hierbei handelt es sich größtenteils um punktuelle Revisionen, die im Arbeitsprogramm der Kommission vorgesehen sind.

4.2   Mit diesem Vorschlag der Europäischen Kommission sollen die auf bestimmte Wirtschaftszweige anzuwendenden Rechtsvorschriften des „neuen Konzepts“ in Bezug auf die neuen Normen aktualisiert werden, die im Beschluss Nr. 768/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates festgelegt wurden. Hierzu sollen folgende zehn Richtlinien mit dem Beschluss in Einklang gebracht werden:

Richtlinie 2006/95/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen;

Richtlinie 2009/105/EG über einfache Druckbehälter;

Richtlinie 2009/23/EG über nichtselbsttätige Waagen;

Richtlinie 93/15/EWG zur Harmonisierung der Bestimmungen über das Inverkehrbringen und die Kontrolle von Explosivstoffen für zivile Zwecke;

Richtlinie 94/9/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen;

Richtlinie 95/16/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Aufzüge;

Richtlinie 97/23/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Druckgeräte;

Richtlinie 2004/22/EG über Messgeräte;

Richtlinie 2004/108/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit und zur Aufhebung der Richtlinie 89/336/EWG;

Richtlinie 2007/23/EG über das Inverkehrbringen pyrotechnischer Gegenstände.

4.2.1   Die wichtigste Gemeinsamkeit dieser Richtlinien besteht darin, dass sie eine ähnliche Struktur aufweisen: Begriffsbestimmungen, wesentliche Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen, Verweise auf harmonisierte Europäische Normen, Anforderungen an die Hersteller, Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit und Konformitätsbewertungsanforderungen sowie Schutzklauselmechanismen.

4.2.2   Bei den betroffenen Sektoren handelt es sich um sehr wichtige Bereiche der Industrie, die einem harten internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind und daher von einer Vereinfachung und der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen in der EU profitieren können.

4.2.3   Dennoch schlägt die Kommission vor, ein Paket von Richtlinien, die nicht zur Überprüfung anstehen, aber für die die Einfügung von Bestimmungen zur Marktüberwachung und zu anderen sektorübergreifenden Fragen von Vorteil wäre, an den Beschluss 2008/768/EG anzugleichen, wobei rein sektorbezogene Elemente nicht in Frage gestellt werden.

4.2.4   Mit diesem Paket wird die Änderung dieser Richtlinien ausschließlich zur Einfügung der horizontalen Bestimmungen des Beschlusses im Zuge eines einmaligen, vereinfachten Verfahrens ohne Änderung sektoraler Fragen bezweckt, damit die unmittelbaren Vorteile des neuen Rechtsrahmens möglichst vielen Branchen zugute kommen können. Angeglichen werden einzig und allein die Begriffsbestimmungen, die Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit, die Verpflichtungen der Wirtschaftsakteure, die Kriterien und Verfahren für die Auswahl von Konformitätsbewertungsstellen und die Konformitätsbewertungsanforderungen.

4.2.5   Um für größtmögliche rechtliche Klarheit zu sorgen, hat sich die Kommission für die Rechtsetzungstechnik der Neufassung entschieden, die „in der Annahme eines neuen Rechtsakts (besteht), der in einem einzigen Text die inhaltlichen Änderungen, die an einem bisherigen Rechtsakt vorgenommen werden, und die unveränderten Bestimmungen dieses Rechtsakts zusammenfasst. Der neue Rechtsakt tritt an die Stelle des bisherigen Rechtsakts und hebt diesen auf“. Auch muss der Text an die Terminologie und die Bestimmungen des Vertrags von Lissabon angepasst werden.

4.3   Laut Kommission lässt sich die Angleichung der zehn Richtlinien wie folgt zusammenfassen:

4.3.1

Maßnahmen gegen das Problem der Nichtübereinstimmung:

Verpflichtung der Einführer und Händler,

Verpflichtung der Hersteller,

Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit,

Neugestaltung des Schutzklauselverfahrens (Marktüberwachung).

4.3.2

Neugestaltung des Schutzklauselverfahrens (Marktüberwachung):

Verschärfung der Anforderungen an die Notifizierung,

überarbeitetes Notifizierungsverfahren,

Anforderungen an die notifizierenden Behörden,

Informationspflichten.

4.3.3

Maßnahmen zur Sicherstellung einer größeren Kohärenz zwischen den Richtlinien:

Angleichung der gemeinsamen Begriffsbestimmungen und Terminologie,

Angleichung der Rechtsvorschriften über die Konformitätsbewertungsverfahren.

4.3.4

In dem Vorschlag nicht behandelt werden hingegen die Fragen bezüglich der Umsetzung der EU-Normungspolitik, die Auswirkungen auf die Anwendung der betroffenen Richtlinien haben könnten und die im Rahmen einer anderen Gesetzgebungsinitiative berücksichtigt werden.

5.   Allgemeine Beobachtungen

5.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Annahme der Vorschläge der Kommission zur Änderung von zehn Richtlinien über die technische Harmonisierung in Bezug auf die Umsetzung des „Binnenmarktpakets für Waren“ mittels einer bloßen Anpassung an den Beschluss Nr. 768/2008/EG (ein gemeinsamer Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten).

5.2   Der Beschluss Nr. 768/2008/EG wurde zusammen mit der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 (über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung) angenommen. In ihnen werden Kriterien festgelegt für die Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarkts durch die Festlegung eines einheitlicheren Konzepts für die technische Harmonisierung der Sicherheit der Produkte sowie eines wirksameren Überwachungssystems für alle auf den Markt gebrachten Waren aus der EU oder Drittländern und durch die Verbesserung des Verbraucherschutzes in der EU.

5.2.1   Da dieser Beschluss an sich gegenüber Dritten rechtlich nicht bindend ist (was eine rechtliche Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof nicht ausschließt) handelt es sich hierbei um einen „sui generis“-Rechtsakt, der eine institutionelle Vereinbarung widerspiegelt. Durch die Anwendung eines Teils der Bestimmungen auf die genannten Richtlinien wird der Mechanismus der Marktüberwachung wirksamer, ohne dass jede einzelne Richtlinie geändert werden muss.

5.2.2   Mittels der Rechtsetzungstechnik der Neufassung bei gleichzeitiger Angleichung des Richtlinienpakets an die Terminologie und an gewisse Bestimmungen des Vertrags von Lissabon können die rechtlichen Folgen der betroffenen Bestimmungen dann auch flexibler und einfacher verdeutlicht werden.

5.3   Der Ausschuss unterstreicht außerdem den Beitrag der genannten Änderungen hinsichtlich der wesentlichen politischen Ziele der EU, etwa die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen, die Stärkung der Strategien der wirtschaftlichen Akteure in den betroffenen Wirtschaftszweigen und eine bessere Gewährleistung des Verbraucherschutzes auf hohem Niveau.

6.   Besondere Bemerkungen

6.1   Angesichts der hier von der Kommission angewandten einzigartigen Rechtsetzungstechnik und der geteilten Zuständigkeit für den entsprechenden Anwendungsbereich (Funktionsweise des Binnenmarkts – Buchstabe a) des zweiten Absatzes von Artikel 4 AEUV und Artikel 114 AEUV) erscheint es angebracht, eine Reihe von Bemerkungen bezüglich der in einigen Bestimmungen des Beschlusses Nr. 768/2008/EG verwendeten Terminologie, der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips sowie der Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der künftigen Umsetzung des Pakets der zehn Richtlinien zu formulieren.

6.2   Der Wortlaut des Beschlusses ist nicht konkret genug, da die Begriffe „allgemeine Grundsätze“ (Art. 1 des Beschlusses und Art. R11 Anhang I) und „gemeinsame Grundsätze“ (Erwägungsgründe 5 und 6 des Beschlusses) beliebig verwendet werden, ohne dass im Wortlaut des Beschlusses noch in einer der geänderten Richtlinien ihre genaue Bedeutung oder die eventuell vorhandenen Unterschiede zwischen beiden angeführt werden. Gleichermaßen wird der Begriff des „öffentlichen Interesses“ verwendet (Erwägungsgrund 8 und Art. 3 des Beschlusses sowie Art R31 und R 33 Anhang I), ohne zu präzisieren, was dies für die Anwendung der genannten Bestimmungen beinhaltet.

Auch wenn die Flexibilität dieser Technik zur Änderung von Richtlinien lobenswert ist, sollte es nicht an einer präzisen und detaillierten Definition der für ihre Umsetzung relevanten Artikel mangeln.

6.3   Einer der Vorteile des Inkrafttretens der Richtlinien wird in der Stärkung der Überwachungs- und Meldungsmechanismen bestehen. So werden auch die Marktakteure selbst Unregelmäßigkeiten oder illegale Praktiken melden können. Nichtsdestotrotz sollten die Art der Sanktionen, die von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten gewährleistet werden sollen, sowie die Schwelle festgelegt werden, ab der diese Sanktionen erfolgen müssen, da aus den betreffenden Bestimmungen lediglich hervorgeht, dass es den nationalen Behörden obliegt, für diese Verstöße “Sanktionen vorzusehen (s. Erwägungsgrund 24 des Vorschlags COM(2011) 773.

6.3.1   Innerhalb eines normativ und administrativ sowohl auf der Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf europäischer Ebene fragmentierten Rechtsrahmens droht die Verfolgung der wesentlichen Ziele ineffizient zu werden, wenn die Verpflichtungen auf supranationaler Ebene nicht konkreter festgelegt werden.

6.3.2   Der EWSA fordert die Kommission auf, dieses Problem zu lösen, durch das die Funktionsweise des Binnenmarktes derzeit beeinträchtigt wird, und entsprechende Vorschläge wie auch in anderen EU-Politikbereichen vorlegt.

6.4   Die Änderungen der Bestimmungen führen nicht zu einer Stärkung noch Aufwertung der Rolle der Verbraucherschutzorganisationen in den Bereichen Überwachung, Information und Anzeige, die paradoxerweise hauptsächlich den Marktakteuren überlassen werden.

6.5   Das im EUV und AEUV erteilte Mandat zur Stärkung der horizontalen Subsidiarität - und damit auch des Prinzips der partizipativen Demokratie und der Rolle der organisierten Zivilgesellschaft in der EU – wird sich kaum verwirklichen lassen, wenn den Verbraucherschutzorganisationen lediglich in einer einzigen Bestimmung des Beschlusses (Erwägungsgrund 35) eine entsprechende Rolle zugewiesen wird (nämlich von der Kommission über die Sensibilisierungskampagnen zur CE-Kennzeichnung informiert zu werden). Verbraucherschutzorganisationen sollten die gleiche Rolle einnehmen können wie die Hersteller.

6.6   Mit dem derzeitigen System zur Kennzeichnung wird nicht sichergestellt, dass das Erzeugnis ein Verfahren zur Qualitäts- und Sicherheitsprüfung durchlaufen hat, weshalb es nicht den Erwartungen der Verbraucher entspricht. Die Kommission, die Hersteller und die Verbraucher sollten die Schaffung eines neuen Systems zur Kennzeichnung erwägen, bei dem die Herkunft der Produkte festgestellt und deren Rückverfolgbarkeit gewährleistet wird, damit die Verbraucher besser informiert werden.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 82; Stellungnahme des EWSA: ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 1.

(2)  ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 1.

(3)  ABl. L 380 vom 31.12.1990, S. 13.

(4)  ABl. L 220 vom 30.8.1993, S. 23.

(5)  ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 30; Stellungnahme des EWSA: ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 1.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/111


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘ (2014-2020)“

COM(2011) 809 final — 2011/0401 (COD),

dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Regeln für die Beteiligung am Rahmenprogramm für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘ (2014-2020) sowie für die Verbreitung der Ergebnisse“

COM(2011) 810 final — 2011/0399 (COD),

dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das spezifische Programm zur Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘ (2014-2020)“

COM(2011) 811 final — 2011/0402 (CNS)

und dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschung und Ausbildung (2014-2018) in Ergänzung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘“

COM(2011) 812 final — 2011/0400 (NLE)

(2012/C 181/20)

Berichterstatter: Gerd WOLF

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 15. Dezember bzw. 13. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 173 Absatz 3 und Artikel 182 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘ (2014-2020)

COM(2011) 809 final — 2011/0401 (COD).

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 19. Dezember bzw. 13. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 173, Artikel 183 und Artikel 188 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Regeln für die Beteiligung am Rahmenprogramm für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘ (2014-2020) sowie für die Verbreitung der Ergebnisse

COM(2011) 810 final — 2011/0399 (COD).

Der Rat beschloss am 15. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 182 Absatz 4 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das spezifische Programm zur Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘ (2014-2020)

COM(2011) 811 final — 2011/0402 (CNS).

Der Rat beschloss am 21. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 7 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschung und Ausbildung (2014-2018) in Ergänzung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘

COM(2011) 812 final — 2011/0400 (NLE).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 8. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 122 gegen 3 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1   Der Ausschuss begrüßt und unterstützt die Vorschläge der Kommission und das damit verbundene Gesamtkonzept als wesentliche Elemente der Strategie Europa 2020. Er begrüßt den Willen der Kommission, dem Thema Forschung und Innovation ein stärkeres Gewicht als bisher einzuräumen. Er erkennt darin deutliche Fortschritte auch im Sinne seiner bisherigen Empfehlungen. In einigen Punkten sieht er jedoch Ergänzungs-, Klärungs- und Korrekturbedarf.

1.2   Die Vorschläge zur Vereinfachung und Flexibilität werden besonders begrüßt. Bei ihrer Ausgestaltung ist auf bestmögliche Kontinuität zu achten und erneute Komplexität zu vermeiden.

1.3   Die Absichtserklärungen zur Governance sollen baldmöglichst und detailliert konkretisiert werden; sie bedürfen dazu der Abstimmung mit allen Beteiligten.

1.4   Über die Erfahrungen mit „Horizont 2020“, dessen Implementierung und Ausgestaltung sollte die Kommission bereits nach einer Laufzeit von etwa 2 Jahren einen Zwischenbericht vorlegen.

1.5   Die Attraktivität des Berufsbildes europäischer Forscher soll im Sinne der Schlussfolgerungen des Wettbewerbs-Rats vom 2. März 2010 (1) verbessert werden, um die derzeitigen sozialen Nachteile zu beseitigen oder zu kompensieren.

1.6   In jenen Vorlagen der Kommission (Rahmenprogramm, Regeln für die Beteiligung, Euratom-Programm), bei denen jetzt die Rechtsform „Verordnung“ neu vorgeschlagen wird, sollte die dort bisher übliche Rechtsform „Beschluss“ beibehalten werden, es sei denn, der Kommission gelingt es, eine überzeugende Begründung vorzulegen.

1.7   Alle Programmteile und Regeln werden begrüßt und unterstützt, insbesondere auch jene, welche der sozialen Innovation, der Pionierforschung, den KMU und den Universitäten zu Gute kommen.

1.8   Hauptinstrument von „Horizont 2020“ sollen überschaubare Verbundprojekte mit einer handhabbaren Teilnehmerzahl bleiben.

1.9   Infrastrukturen sind das Musterbeispiel eines europäischen Mehrwerts im Sinne des Subsidiaritätsprinzips. Dies soll sich in der indikativen Budgetzuordnung deutlicher widerspiegeln.

1.10   Bei den „Gesellschaftlichen Herausforderungen“ soll deutlich mehr Gewicht auf die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für ein CO2-armes nachhaltiges Energiesystem gelegt werden.

1.11   Zudem soll die Liste der „Gesellschaftlichen Herausforderungen“ um das wichtige Thema „Innovationsfähigkeit von Gesellschaft und Unternehmen“ erweitert werden.

1.12   Schlüsseltechnologien dienen sowohl der industriellen Wettbewerbsfähigkeit, als auch der Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen. Der Ausschuss unterstützt ihre Stärkung nachdrücklich.

1.13   Bei Abwägung mehrerer Bewertungskriterien zur Forschungsförderung soll Exzellenz in bewährter Weise weiterhin Vorrang haben. Bei Innovationsförderung spielt die – a priori allerdings sehr schwierige – Markteinschätzung ebenfalls eine wichtige Rolle.

1.14   Die möglichen Widersprüche in den Zielsetzungen einer wissenschaftsorientierten Forschungspolitik und einer innovationsfreundlichen Industrie- und Wettbewerbspolitik sollen identifiziert werden, um jeweils sachgerechte Lösungen zu finden.

1.15   Eine erfolgreiche Integration von Forschungs- und Innovationspolitik erfordert das kooperative Zusammenwirken zahlreicher Generaldirektionen und Dienste der Kommission. Der Ausschuss unterstützt die diesbezüglichen Bemühungen. Zudem werden sachkundige Beamte benötigt, die mit dem jeweiligen Forschungsgebiet auch längerfristig vertraut sind und bleiben. Die Kommission soll ihre wissenschaftlich-technische Fachkompetenz und ihr Urteilsvermögen pflegen und beibehalten.

1.16   Hauptziele des Euratom-Programms sollen, wie vorgeschlagen, nukleare Sicherheit, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle und Fusionsentwicklung mit dem internationalen Projekt ITER als Flaggschiff sein. In seiner Struktur sollte darauf geachtet werden, die Unterstützung und das eigene Engagement der Mitgliedstaaten zu erhalten.

1.17   Eine allgemeinverständliche Übersicht über die in „Horizont 2020“ angesprochenen Instrumente und Fachausdrücke soll erstellt werden, um eine bessere Benutzerfreundlichkeit zu gewährleisten. Besonderes Augenmerk sollte auf ausreichende und kompetente Beratung für KMUs gelegt werden.

2.   Kurzbeschreibung der von der Kommission vorgelegten Vorschläge

In dieser Stellungnahme wird ein Paket folgender, von der Kommission in separaten Dokumenten vorgelegter Vorschläge behandelt:

1)

Vorschlag für das Rahmenprogramm „Horizont 2020“ für den Zeitraum 2014 bis 2020;

2)

Vorschlag für einen einzigen Satz von Beteiligungs- und Verbreitungsregeln;

3)

Vorschlag für ein einziges spezifisches Programm zur Durchführung von „Horizont 2020“ sowie

4)

Vorschlag für die Teile von „Horizont 2020“, die dem Euratom-Vertrag entsprechen.

Diese Dokumente umfassen zusammen rund 380 Seiten. Ihre wesentlichen Aussagen werden in den hier folgenden Abschnitten 2.1 bis 2.4 zusammengefasst, um für die danach in den Kapiteln 3 bis 7 dargelegten Bemerkungen und Empfehlungen des Ausschusses einen verständlichen Bezug zu schaffen.

2.1   Rahmenprogramm Horizont 2020

2.1.1   Abweichend von ihrer bisherigen Gepflogenheit hat die Kommission nicht das ursprünglich erwartete 8. FTD-Rahmenprogramm vorgeschlagen. Vielmehr sollen im Rahmenprogramm „Horizont 2020“ – in Erfüllung der im Grünbuch (2) erläuterten Absichten – jene Tätigkeiten gebündelt werden, die derzeit auf der Grundlage des 7. FTD-Rahmenprogramms, der innovationsrelevanten Teile des Rahmensprogramms Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) sowie durch das Europäische Innovations- und Technologieinstitut (EIT) gefördert werden. Zudem wird hierfür nicht wie bisher ein „Beschluss“ des Europäischen Parlaments und des Rates vorgeschlagen sondern eine „Verordnung“.

2.1.2   Erklärte Hauptziele und Eckpfeiler der Förderpolitik von „Horizont 2020“ sind:

a)

Wissenschaftsexzellenz - vorgeschlagenes Budget: 27 818 Mio. EUR;

b)

führende Rolle der Industrie - vorgeschlagenes Budget: 20 280 Mio. EUR;

c)

gesellschaftliche Herausforderungen - vorgeschlagenes Budget: 35 888 Mio. EUR.

2.1.3   Ein weiteres Ziel ist, den Zugang zum Rahmenprogramm und die Beteiligung daran zu vereinfachen.

2.1.4   Das für „Horizont 2020“ vorgeschlagene Gesamtbudget umfasst rund 88 Mrd. EUR; es soll durch Maßnahmen aus den Strukturfonds und dem Programm Ausbildung ergänzt werden.

2.2   Beteiligungs- und Verbreitungsregeln

2.2.1   Diese betreffen die Modalitäten der Beteiligung am Rahmenprogramm. Sie sollen einen einheitlichen und flexiblen Rechtsrahmen gewährleisten, der Vereinfachung dienen und für alle Bestandteile von „Horizont 2020“ gelten. Zudem wird die Möglichkeit von Abänderungen oder Ausnahmen offen gelassen.

2.2.2   Es wird ein einheitlicher Fördersatz ohne Unterscheidung nach Teilnehmern festgelegt. Zudem soll verstärkt auf Pauschalbeträge, Pauschalsätze und Stückkostensätze zurückgegriffen werden, mit weitreichender Anerkennung der üblichen Rechnungslegungsmethoden der Finanzhilfeempfänger.

2.2.3   Bei Finanzhilfen sind folgende Fördersätze für direkt förderfähige Ausgaben vorgesehen:

a)

Eine Finanzhilfe im Rahmen von „Horizont 2020“ kann, unbeschadet des Kofinanzierungsprinzips, bis zu 100 % der gesamten direkt förderfähigen Ausgaben erreichen.

b)

Eine Finanzhilfe im Rahmen von „Horizont 2020“ ist für folgende Maßnahmen auf höchstens 70 % der gesamten direkt förderfähigen Ausgaben begrenzt:

Maßnahmen, die hauptsächlich der Entwicklung von Prototypen, Tests, Demonstrationsvorhaben, experimenteller Entwicklung, Pilotprojekten oder Marktumsetzung bestehen;

Maßnahmen zur Kofinanzierung von Programmen.

2.2.4   Indirekte förderfähige Ausgaben werden durch Anwendung eines Pauschalsatzes von 20 % der gesamten direkten förderfähigen Ausgaben ermittelt; alternativ kann das Arbeitsprogramm erlauben, auch Pauschalbeträge oder nach Stückkostensätze geltend zu machen.

2.2.5   Dafür gelten folgende Teilnahmebedingungen:

2.2.5.1

An einer Maßnahme nehmen mindestens drei Rechtspersonen teil.

Jede der drei Rechtspersonen hat ihren Sitz in einem Mitgliedstaat oder assoziierten Land.

Alle drei Rechtspersonen haben ihren Sitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten oder assoziierten Ländern.

Alle drei Rechtspersonen sind im Sinne von Artikel 7 voneinander unabhängig.

2.2.5.2

Abweichend davon ist für folgende Fälle die Teilnahme nur einer in einem Mitgliedstaat oder assoziierten Land niedergelassenen Rechtsperson Voraussetzung:

a)

Pionierforschungsmaßnahmen des Europäischen Forschungsrats (ERC),

b)

bei Anwendung des KMU-Instruments,

c)

Maßnahmen zur Kofinanzierung von Programmen,

d)

in im Arbeitsprogramm oder Arbeitsplan vorgesehenen Sonderfällen, sowie

e)

bei Koordinierungs- und Unterstützungsmaßnahmen und bei Mobilitäts- und Ausbildungsmaßnahmen.

2.2.6   Bewertungsverfahren

2.2.6.1   Die eingereichten Vorschläge werden auf der Grundlage der folgenden Kriterien bewertet:

a)

Exzellenz;

b)

Wirkung;

c)

Qualität und Effizienz der Durchführung.

2.2.6.2   Die Vorschläge zur Pionierforschung (ERC) werden ausschließlich nach dem Kriterium Exzellenz bewertet.

2.3   Spezifisches Programm

2.3.1   Während im 7. FTD-Rahmenprogramm mehrere „spezifische Programme“ (z.B. „Zusammenarbeit“ oder „Kapazitäten“) zur Anwendung kamen, schlägt die Kommission nunmehr nur ein einziges „spezifisches Programm“ vor, das die verschiedenen Förderziele und Förderstrukturen im Rahmen von Teilprogrammen umfasst.

2.3.2   Die vier Teilprogramme:

I.

„Wissenschaftsexzellenz“ mit

i.

Pionierforschung (ERC),

ii.

Erforschung künftiger und neu entstehender Technologien (FET),

iii.

„Marie-Curie-Maßnahmen“ und

iv.

Europäische Forschungsinfrastrukturen.

II.

„Führende Rolle der Industrie“ mit

i.

Informations- und Kommunikationstechnologien,

ii.

Nanotechnologie,

iii.

Werkstoffe,

iv.

Biotechnologie,

v.

Fertigung und Verarbeitung und

vi.

Raumfahrt.

Hinzukommen ein verbesserter Zugang zur Risikofinanzierung und eine Steigerung der Innovation in kleinen und mittleren Unternehmen.

III.

„Gesellschaftliche Herausforderungen“ mit

i.

Gesundheit, demografischer Wandel und Wohlergehen,

ii.

Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit, nachhaltige Landwirtschaft, marine und maritime Forschung und Biowirtschaft,

iii.

sichere, saubere und effiziente Energie,

iv.

intelligenter, umweltfreundlicher und integrierter Verkehr,

v.

Klimaschutz, Ressourceneffizienz und Rohstoffe,

vi.

integrative, innovative und sichere europäische Gesellschaften.

IV.

„Maßnahmen der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) außerhalb des Nuklearbereichs“ mit dem Ziel, die wissenschaftlichen Grundlagen der politischen Entscheidungsfindung zu verbessern, über die gesellschaftlichen Veränderungen zugrunde liegenden natürlichen Prozesse aufzuklären und neue Wissenschafts- und Technologiebereiche zu untersuchen.

(Die Maßnahmen der JRC innerhalb des Nuklearbereichs finden sich im Euratom-Teil).

2.4   Euratom-Programm 2014-2018

2.4.1   Dieses umfasst Forschungstätigkeiten im Bereich der Kernenergie (Kernfusion und Kernspaltung) und des Strahlenschutzes. Abweichend von bisheriger Gepflogenheit wird das Programm nicht in Form eines Beschlusses sondern einer Verordnung vorgeschlagen. Es soll zu den strategischen Zielen von „Horizont 2020“ beitragen (Ziffer 2.1.2). Gemäß Euratom-Vertrag ist die Dauer auf fünf Jahre begrenzt, sie endet daher 2018.

2.4.2   Die indirekten Maßnahmen des Euratom-Programms betreffen:

a)

sicherer Betrieb von Nuklearsystemen,

b)

Lösungen für die Entsorgung der nuklearen Restabfälle,

c)

Ausbau und Erhalt der Kompetenzen im Nuklearbereich (Kernspaltung),

d)

Förderung des Strahlenschutzes,

e)

Entwicklungsarbeiten zur Kernfusion mittels bestehender und künftiger Versuchsanlagen,

f)

dazu Entwicklung von Werkstoffen, Technologien und Entwürfen,

g)

Förderung von Innovation und industrieller Wettbewerbsfähigkeit,

h)

Verfügbarkeit und Nutzung von Forschungsinfrastrukturen.

2.4.3   Bei der Durchführung der indirekten Maßnahmen wird die Kommission von beratenden Ausschüssen unterstützt.

2.4.4   Die direkten Maßnahmen betreffen das FuE-Programm der Gemeinsamen Forschungsstelle.

2.4.5   Für den ITER wird ein eigener Beschluss vorgelegt werden, da die Finanzierung dieses Projekts außerhalb des mehrjährigen Finanzrahmens stattfinden soll.

3.   Allgemeine Bemerkungen des Ausschusses

Angesichts des Umfangs der von der Kommission vorgelegten vier Dokumente kann der Ausschuss nur auf eine begrenzte Anzahl ihm grundsätzlich erscheinender Gesichtspunkte eingehen.

3.1   Generelle Zustimmung

Der Ausschuss begrüßt und unterstützt die Vorschläge der Kommission als wesentliche Bestandteile der Strategie Europa 2020. Er sieht darin ein gelungenes Gesamtkonzept. Er stellt fest, dass viele seiner früheren Empfehlungen (z.B. zur Vereinfachung (3), zum Grünbuch (4) und zur Innovationsunion (5)) berücksichtigt worden sind, und er verweist daher auch auf diese Stellungnahmen und deren Empfehlungen. In einigen Punkten sieht er jedoch Ergänzungs-, Klärungs- und Korrekturbedarf.

3.2   Prioritäten, Budget, 3 %-Ziel und Hebelwirkung

3.2.1   Forschung, Entwicklung und Innovation bestimmen den zukünftigen Platz Europas in der Welt; sie benötigen angesichts dieser entscheidenden Bedeutung eine deutlich höhere Prioritätensetzung, nicht nur in der Kommission, sondern insbesondere auch in den Mitgliedstaaten. Der Ausschuss stellt mit Befriedigung fest, dass das für „Horizont 2020“ vorgeschlagene Budget tatsächlich den Willen der Kommission erkennen lässt, dem Thema Forschung und Innovation sowie den dafür nötigen Investitionen ein stärkeres Gewicht als bisher einzuräumen. Dies entspricht den wiederholten Empfehlungen des Ausschusses und wird demgemäß voll unterstützt. Allerdings ist die Höhe des jetzt vorgeschlagenen Budgets angesichts des unten erläuterten 3 %-Ziels sowie der ehrgeizigen thematischen Forschungs- und Innovationsziele objektiv immer noch als unzureichend anzusehen; dennoch wird sie vom Ausschuss als erzielbarer Kompromiss im Rahmen der sonstigen Sachzwänge anerkannt.

3.2.2   Im Jahr 2002 wurde vom Rat von Barcelona in Ausgestaltung der auf das Jahr 2010 zielenden Lissabon-Strategie das primär an die Förderpolitik der Mitgliedstaaten und deren Industrie gerichtete 3 %-Ziel formuliert. Es besagte, dass in den Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2010 3 % des Brutto-Inlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aufgewandt werden sollten; ein Drittel davon durch die öffentliche Hand finanziert, zwei Drittel durch die Industrie. Dieses Ziel ist bisher weder im europäischen Durchschnitt noch in den meisten Mitgliedstaaten erreicht worden. Darum wurde es jetzt erneut in die Strategie Europa 2020 übernommen.

3.2.3   Die im Programm „Horizont 2020“ niedergelegte Förderpolitik soll die entscheidende Hebelwirkung ausüben, um dieses 3 %-Ziel wenigstens diesmal zu erreichen. Leider muss trotz des obengenannten Budget-Zuwachses immer noch bezweifelt werden, dass die Kraft des Hebels dazu ausreicht. Das Gesamtbudget des Gemeinschafts-Haushalts beträgt rund 1 % des Brutto-Inlandsprodukts seiner Mitgliedstaaten. Davon entfällt auf das für „Horizont 2020“ vorgeschlagene Budget ein Anteil von knapp 9 %. Die quantitative Hebelwirkung ist also immer noch kleiner als 1:30! Das vorgeschlagene Budget kann daher nur als notwendiger erster Schritt in Richtung des eigentlich erforderlichen Förderumfangs angesehen werden; es darf also keinesfalls reduziert werden.

3.3   Vereinfachung und Kontinuität

Insbesondere unterstützt der Ausschuss jene Maßnahmen, welche der von ihm seit langem angemahnten Vereinfachung der Verfahren (6) dienen sollen. Dabei handelt es sich um eine schwierige Gratwanderung zwischen Einfachheit, Einzelfallgerechtigkeit und der ebenfalls geforderten Kontinuität, die ggf. noch nachjustiert werden muss. Dies darf jedoch keinesfalls in einen Rückfall in überkomplizierte und langsame Prozeduren führen.

3.4   Spielraum und Flexibilität

Darum begrüßt der Ausschuss, dass neben den wenigen, einfachen Regeln auch ein ausreichendes Maß an Flexibilität und Spielraum in der Programmgestaltung und Budgetaufteilung vorgesehen ist (Spezifisches Programm Titel I, Artikel 6 „Haushalt“). Von besonderer Bedeutung ist daher die Klärung der damit verbundenen zukünftigen Entscheidungsprozesse, insbesondere der Rolle der Programmausschüsse.

3.5   Governance

Der Ausschuss unterstützt die diesbezüglichen (in COM(2011) 809 final unter Ziffer (21) genannten) Erwägungsgründe und Absichten der Kommission, insbesondere auch die Betonung von Bottom-up-Prozessen. Ebenso unterstützt er die Absicht, bei Festlegung der Schwerpunkte des spezifischen Programms eine regelmäßige Rückkopplung mit Endnutzern, Bürgern, Sozialpartnern und Organisationen der Zivilgesellschaft durchzuführen.

3.5.1   Nach Meinung des Ausschusses müssen diese sehr allgemein gehaltenen Äußerungen der Kommission jedoch durch ausführliche und präzise Angaben über die zur Abwicklung des Programms sowie für die dabei zu fällenden Entscheidungen, (auch budgetären) Zuordnungen und Themenspezifizierungen ergänzt werden. Die notwendige „Governance“ muss hinreichend erklären, in welchem Umfang, durch welche Strukturen und auf welchen Entscheidungsebenen (z.B. Programmausschüssen) die betroffenen Stakeholder sowie die Repräsentanten der Zivilgesellschaft in ausgewogener Weise an diesen Prozessen und Arbeitsprogrammen beteiligt werden. Denn nach Absicht der Kommission sollen nicht nur Themen, sondern auch Detailregelungen zu Budget, Förderinstrumenten, Förderumfang und ggf. das Outsourcing an z.B. Europäische Technologieplattformen, „Artikel 185-Initiativen“ etc. in die Arbeitsprogramme verlagert werden.

3.5.2   Angesichts der im Vorschlag der Kommission ebenfalls angedeuteten Absicht, dazu auch auf Exekutiv-Agenturen oder andere externe Strukturen nach Artikel 55 der Haushaltsordnung zurückgreifen zu wollen, erweitert sich der Klärungsbedarf auch auf deren Rolle, Befugnisse und Kontrolle.

3.5.3   Der Ausschuss empfiehlt, diesen Fragenkreis in einem Abstimmungsprozess mit allen Stakeholdern zu klären, in einem Begleitdokument darzulegen und dazu dann auch die Meinung des Ausschusses zu hören. Gleichzeitig warnt er davor, in diesem Ausgestaltungsprozess – insbesondere auf Ebene der Arbeitsprogramme – nicht wieder, quasi durch die Hintertür, in die bisherige (Über-)Regulierung und Komplexität zurückzufallen (siehe auch Ziffer 3.3). Von der Kontinuität bisheriger Verfahren sollte nur in dem Maße abgewichen werden, wie dies im Zuge der Vereinfachung unvermeidbar ist.

3.6   Überschneidung

Einzelne Unterthemen und Fragestellungen der Teilprogramme des „spezifischen Programms“ können sich überschneiden, was einerseits das Maß an Flexibilität weiter erhöht, andererseits aber auch noch zu Schwerpunktsverschiebungen sowie zu einer schwierigen Übersicht und Zuordnung führen kann. So können z.B. aus den Teilprogrammen „Wissenschaftliche Exzellenz“ oder „Führende Rolle der Industrie“ entscheidende Erkenntnisse und Impulse in das Teilprogramm „Gesellschaftliche Herausforderungen“ einfließen.

3.7   Zwischenbericht

Darum empfiehlt der Ausschuss zusätzlich zu der nach 4 Jahren angekündigten „Zwischenbewertung“ (analog zu COM(2011) 52 final), die Kommission möge bereits 2 Jahre nach Beginn des Programms, einen „Zwischenbericht“ vorlegen, der über die bis dahin getätigten Aktionen und die dabei gewonnen Erfahrungen - insbesondere auch mit der hier angemahnten „Governance“ - seitens der Kommission und seitens der Stakeholder berichtet.

3.8   Indikative Budget-Zuordnung

Vorbehaltlich der dargelegten Einschränkungen begrüßt der Ausschuss auch die vorgeschlagene indikative Zuordnung und Aufteilung des Budgets auf die einzelnen Teilprogramme und deren Unterthemen, dies gilt insbesondere auch für die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der gesellschaftlichen Probleme und Fragen – drei Ausnahmen davon werden später behandelt (Ziffern 4.3, 4.2.1 und 4.2.2). Darüber hinaus sollte aber auch transparent werden, welches Gewicht die Koordination nationaler und regionaler Programme (z.B. dem neuen ERA-Net-Schema) im Vergleich zu direkter Forschungsfinanzierung erhalten soll.

3.9   Beruf des Wissenschaftlers

Unter Ziffer (22) der Erwägungsgründe im Vorschlag zum Rahmenprogramm betont die Kommission: „ ‚Horizont 2020‘ sollte dazu beitragen, die Attraktivität des Berufs des Wissenschaftlers in der Europäischen Union zu erhöhen.“ In diesem Zusammenhang vermisst der Ausschuss allerdings konkrete Angaben, welche Maßnahmen inzwischen ergriffen wurden, um den Schlussfolgerungen des Wettbewerbsrates (7) vom 2. März 2010 Folge zu leisten und die unbefriedigende soziale Situation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tatsächlich zu verbessern (ausführliche Darlegung dazu siehe Kapitel 6).

3.10   Verordnung oder Beschluss

Dem Ausschuss ist nicht einsichtig, und er findet auch seitens der Kommission keine aus den bisherigen Erfahrungen dargelegte Begründung, warum es das Subsidiaritätsprinzip erfordert oder zulässt, von der bisherigen Praxis abzuweichen und bei zwei weiteren der von der Kommission vorgelegten Dokumente statt eines Beschlusses nun eine Verordnung vorzuschlagen. Der Ausschuss empfiehlt, die bisherige Gepflogenheit beizubehalten, es sei denn, der Kommission gelingt es, eine nachvollziehbare rechtliche Begründung vorzulegen.

3.11   Abgestimmtes Vorgehen der Kommission

Es gibt zahlreiche Aspekte der europäischen Forschungs- und Innovationspolitik, bei denen ein abgestimmtes, kooperatives und effizientes Vorgehen nicht nur zwischen Kommission und Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen mehreren Kommissaren, Generaldirektionen und Diensten innerhalb der Kommission erforderlich ist. Dies umfasst Bildungspolitik, soziale Situation der Forscher, Strukturfond, Kohäsionspolitik, Industrie- und Wettbewerbspolitik, Energiepolitik, Gesundheitspolitik, Umweltpolitik etc. Der Ausschuss ermuntert die Kommission, ihre diesbezüglichen Bemühungen zu verstärken und die dafür nötigen Verfahren und Instrumente zu entwickeln.

3.12   Sachkundige Beamte

Der Ausschuss wiederholt (8) seine dringende Empfehlung, dass in den Förderorganisationen, insbesondere aber auch in der Kommission (oder den geplanten Exekutiv-Agenturen), wissenschaftlich hervorragend ausgewiesene und sachkundige Beamte mitwirken sollen, die mit dem jeweils betreffenden Fachgebiet, dessen Besonderheiten und seiner speziellen „Community“ bestens und längerfristig vertraut sind und bleiben. Bei Forschung und Entwicklung ist regelmäßige Job-Rotation sehr kontraproduktiv!

3.12.1   Kompetenz und Engagement beibehalten

Der Ausschuss ist zudem besorgt, die Kommission könnte mit der angekündigten Tendenz, bisherige Aufgaben und Tätigkeiten zur Forschungs- und Innovationsförderung aus der Kommission heraus in Agenturen zu verlagern, ihrerseits nicht nur auf eigene Fachkompetenz und Urteilsvermögen verzichten, sondern sich dann auch nicht mehr ausreichend mit dem sachlichen Inhalt selbst identifizieren. Letzteres ist aber unerlässlich, um das wichtige Thema Forschung, Entwicklung und Innovation auf politischer Ebene mit Sachkunde, Erfolg und Leidenschaft zu vertreten. Damit ginge im fragilen System der „Checks and Balances“ ein entscheidendes Gewicht in der Waagschale verloren.

3.13   Weitere Maßnahmen – Strategie Europa 2020

Das Programm „Horizont 2020“ ist nach Meinung des Ausschusses ein notwendiger und entscheidender Baustein im Rahmen der Strategie Europa 2020. Er muss aber durch wichtige weitere Maßnahmen ergänzt werden, sowohl seitens der Kommission, insbesondere aber seitens der Mitgliedstaaten. Dazu verweist er auf seine Initiativen zur Strategie Europa 2020. Insbesondere geht es darum, in allen Mitgliedstaaten leistungsfähige und innovationsfreudige Wirtschafts (9)-, Sozial- und Bildungssysteme zu schaffen oder zu gestalten.

4.   Besondere Bemerkungen des Ausschusses

4.1   Sozial- und Geisteswissenschaften, Bildungspolitik und Innovationen

Der Ausschuss begrüßt, dass die sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung und Innovation in jedes der allgemeinen Ziele von „Horizont 2020“ einbezogen werden soll. Er hält die dabei genannten Themen für relevant und wichtig und begrüßt ihr Gewicht im Programm. Er empfiehlt zudem, den Bemühungen um ein wirksameres Bildungssystem auf allen Ausbildungsstufen größeres Gewicht zu verleihen. Dies ist eine entscheidende Schlüsselaufgabe, um das Begabungspotenzial in der EU optimal und begabungsorientiert zu fördern und zu nutzen. Speziell was die Ziele von Horizont 2020 betrifft, geht es insbesondere darum, an den Universitäten hinreichend viele und qualifizierte Fachleute auszubilden. Dazu müssen die Weichen aber bereits in den Schulen gestellt werden!

4.2   Gesellschaftliche Herausforderungen

Der Ausschuss unterstützt die Liste der „Gesellschaftlichen Herausforderungen“; er empfiehlt jedoch, folgende Bereiche noch stärker zu betonen:

4.2.1   Energie- und Klimaproblem

In der Prioritätensetzung innerhalb des Teilprogramms „Gesellschaftliche Herausforderungen“ empfiehlt der Ausschuss, angesichts des extrem ehrgeizigen Ziels (10), unsere bisherige Energieversorgung bis 2050 vollständig zu revolutionieren und gänzlich auf nachhaltige CO2-arme Techniken umzustellen, diesem Thema auch in der Budgetzuordnung deutlich mehr Gewicht zu geben (11). Insbesondere sind ausreichende und bezahlbare CO2-arme Energiespeicher- und Puffertechnologien für das schwankende Angebot von Wind- und Sonnenenergie ein noch unzureichend gelöstes Problem, ebenso die langfristige Versorgung mit Treibstoffen für Schwerverkehr sowie Luft- und Schifffahrt. Aber auch die Auswirkungen auf Ökonomie und Gesellschaft bedürfen vertiefter Untersuchung.

4.2.2   Innovationsfähigkeit von Gesellschaft und Unternehmen

Zudem empfiehlt der Ausschuss, die Liste der Herausforderungen um das wichtige Thema „Innovationsfähigkeit von Gesellschaft und Unternehmen“ zu erweitern. (Warum sind GOOGLE oder FACEBOOK nicht in Europa entstanden? Warum haben nicht alle Mitgliedstaaten eine gleich leistungsfähige Verwaltungs- und Wirtschafts- und Sozialstruktur?). Dieses Thema ist zwar im Vorschlag der Kommission (siehe Ziffer 2.3.2 – III – vi) unter dem Ziel „Integrative, innovative und sichere Gesellschaften“ subsumiert, allerdings ist es nach Meinung des Ausschusses in seiner großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung dadurch nur unzureichend herausgestellt. Schließlich handelt es sich um das Hauptthema der „Innovationsunion“ (12) (unter Ziffer 2.3.2 – III – vi müsste es dann verkürzt heißen: „Integrative und sichere Gesellschaften“).

4.3   KMU und Mikro-Unternehmen als Akteure der Innovation

Der Ausschuss begrüßt die vorgeschlagenen Verbesserungen zur Förderung von KMU. Er sieht darin ein wichtiges Element des Gesamtkonzepts Europa 2020 und verweist dazu auch auf seine Stellungnahmen zur Innovationsunion (13). Dort betonte er, dass „die Definitionen von KMU allerdings noch weiter überdacht werden sollten, denn gerade angesichts der neuen Vernetzungsmöglichkeiten durch die Instrumentarien der IKT gewinnen auch Mikro-Unternehmen, möglicherweise sogar Ein-Mann-Unternehmen zunehmend an Bedeutung – gegebenenfalls sollte sogar die Grenzziehung zu den freien Berufen überdacht werden.“ Der Ausschuss begrüßt die Information seitens der Kommission, dass danach bereits verfahren wird. Unter Verweis auf Kapitel 7 betont der Ausschuss zudem, dass es für KMU besonders wichtig ist, gut und verständlich über die verschiedenen Förderinstrumentarien von „Horizont 2020“ und den Zugang zu diesen informiert zu werden. Wünschenswert wären zudem Beratungsstellen, bei denen mündlich angefragt werden kann.

4.4   Universitäten

Der Ausschuss begrüßt die in den Beteiligungs- und Verbreitungsregeln enthaltene Möglichkeit einer 100 %igen Förderung der gesamten direkt förderfähigen Ausgaben. Darin sieht er Vorteile für an Universitäten arbeitende Forscher/Forschungsgruppen der Natur-, Ingenieur- und Geisteswissenschaften. Dies begünstigt das vom Ausschuss mehrfach angemahnte Ziel, in der EU Universitäten von Weltrang zu schaffen und zu unterhalten. Auch im Sinne des Matias-Berichts (Europäisches Parlament, A7-0302/2011) benötigen diese Maßnahmen aber zusätzliche Unterstützung aus den Mitteln de Kohäsionspolitik zum notwendigen Kapazitätsaufbau in jenen Mitgliedstaaten, die bisher noch unzureichend am Rahmenprogramm beteiligt sind. Unbeschadet davon sind für dieses Ziel noch weitere wichtige Maßnahmen erforderlich, deren Behandlung den Rahmen dieser Stellungnahme überschreiten würde.

4.5   Forschungsinfrastrukturen

Wie mehrfach betont, sieht der Ausschuss in den großen Infrastrukturen entscheidende Hilfsmittel und Instrumente für technologische und wissenschaftliche Untersuchungen und Spitzenleistungen, die ansonsten überhaupt nicht möglich sind. Daraus ergibt sich auch deren hohe Anziehungs- und Strahlkraft sowohl für innereuropäische Kooperation als auch für die weltweit besten Ingenieure und Wissenschaftler (14). Zudem übersteigt das Nutzungspotential großer Infrastrukturen die Möglichkeiten und den Bedarf eines einzelnen Mitgliedstaats, was dazu führt, dass solche Einrichtungen häufig von einzelnen Mitgliedstaaten in Partnerschaft errichtet und betrieben werden.

4.5.1   Subsidiaritätsprinzip

Solche Infrastrukturen sind damit das Musterbeispiel für eine gemeinschaftliche Förderung nach dem Subsidiaritätsprinzip. Deswegen bedauert der Ausschuss, dass sich diese herausragende formale und inhaltliche Bedeutung nicht in der vorgeschlagenen indikativen Budgetaufteilung widerspiegelt. Er empfiehlt daher, die Ansätze der übrigen indikativen Budgets (Ausnahme KMU!) um jeweils 2 % bis 2,5 % zu reduzieren und den gewonnenen Betrag dem Posten Infrastrukturen zuzuschlagen. Dies ist umso mehr notwendig, als darunter auch die wichtigen und noch an Bedeutung gewinnenden elektronischen Infrastrukturen fallen sollen.

4.5.2   Betriebskosten

Zudem empfiehlt der Ausschuss, die Kommission möge sich im Rahmen einer Projektförderung auch an den Betriebskosten der Infrastrukturen beteiligen; er bittet die Kommission klarzustellen, dass sie dies tatsächlich beabsichtigt.

4.6   Schlüsseltechnologien

Wie vom Ausschuss bereits mehrfach betont wurde (15), ist die Entwicklung, Beherrschung und Vermarktung von Schlüsseltechnologien eine entscheidende Querschnittsaufgabe, um einerseits die industrielle Wettbewerbssituation der EU zu stärken und andererseits die gesellschaftlichen Herausforderungen wie nachhaltige Energieversorgung oder Gesundheit zu bewältigen. Der Ausschuss begrüßt daher, dass diesem Thema entsprechendes Gewicht verliehen wird, zumal es zudem ein wirksamer Motor für die Kooperation zwischen Forschungseinrichtungen und Industrie, also für Public-Private-Partnerships ist. Besonders wichtig in diesem Umfeld ist das Programmelement FET-Open.

4.7   Abrechnungsverfahren I

Der Ausschuss begrüßt, dass die in den jeweiligen Mitgliedstaaten üblichen Abrechnungsverfahren der Forschungsorganisationen und Firmen (z.B. Stundensatzkalkulation in der Industrie) anerkannt werden sollen. Dies muss dann auch jene Unkosten beinhalten, welche durch die Anwendung der Mehrwertsteuer entstehen.

4.8   Abrechnungsverfahren II

Der Ausschuss begrüßt außerdem die deutliche Vereinfachung, welche aus dem 100 %/20 % bzw. 70 %/20 % Ansatz (zur Erklärung dieser Begriffe siehe Ziffer 2.2.3 und 2.2.4) der Beteiligungsregeln folgt. Unbeschadet des großen administrativen Vorteils können sich hieraus für unterschiedliche Teilnehmergruppen gegenüber den derzeitigen Quoten teilweise finanzielle Vorteile, teilweise aber auch finanzielle Nachteile ergeben. Der Ausschuss empfiehlt daher, damit zunächst Erfahrungen zu sammeln und ggf. die Fördersätze für die indirekten Kosten später etwas zu erhöhen.

4.9   Auftragswesen – besonderer Aspekt

Beim Bau von Forschungsinfrastrukturen und von Großgeräten wird die Industrie häufig mit der Entwicklung und dem Bau neuartiger, äußerst schwieriger und anspruchsvoller Einzelkomponenten beauftragt. Dabei muss technologisches Neuland betreten werden, und es können typische Problemfälle entstehen, welche in der Stellungnahme des Ausschusses zum Wissenstransfer (16) beschrieben sind. Dort hatte der Ausschuss daher empfohlen, „die bisherigen Erfahrungen bei Anwendung der bestehenden Beihilfe-, Budget-, Vergabe- und Wettbewerbsregeln der EU und der Mitgliedstaaten dahingehend zu überprüfen, ob sie dem Ziel dienlich sind, die in der Industrie dabei erworbenen Fähigkeiten und Spezialkenntnisse zum Vorteil der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, aber auch für entsprechende spätere Folgeaufträge, bestmöglich zu fördern, zu erhalten und zu nutzen“.

4.10   Neue Ansätze der Industrie- und Wettbewerbspolitik

Darum sollte über neue Ansätze einer diesbezüglichen Industrie- und Wettbewerbspolitik nachgedacht werden. Dabei ist es fraglich, ob die seitens der Kommission bereits geäußerten Vorstellungen zum „Precommercial Procurement“ das geeignete Instrument beschreiben. Der Ausschuss sieht hier einerseits die Gefahr, dass aus Angst vor möglichen Wissensmonopolen lieber ganz auf industrielle Spitzenpositionen und -leistungen verzichtet wird. Dies wäre ein großer Fehler. Er sieht andererseits aber auch die Gefahr, dass man durch zu protektionistische Maßnahmen zum Nachteil der Forschung nicht das beste Produkt erhält, weil dieses nur außereuropäisch verfügbar ist. Darum empfiehlt der Ausschuss, dass die verschieden, teilweise einander widersprechenden Zielsetzungen von oder Anforderungen an Forschungspolitik, Innovationspolitik und Industriepolitik identifiziert sowie mit den diversen Stakeholdern besprochen und geklärt werden – möglicherweise sind für Einzelfälle sogar Ausnahmeregelungen (siehe Ziffer 4.9) erforderlich.

4.11   Effiziente Projektgröße

Die Tendenz zu immer größeren Konstrukten wie z.B. den gemeinsamen Technologie-Initiativen, den KIC und nun auch den FET-Flagship-Initiativen sollte mit Augenmaß verfolgt werden. Denn bei diesen müssen immer mehr Ressourcen und Arbeitsaufwand für Selbstverwaltung und umfangreiche Abstimmungsprozesse aufgewendet werden; aus ihnen sollte sich keinesfalls der „Turmbau zu Babel“ entwickeln.

4.11.1   Verbundprojekte als Hauptinstrument

Integration von Ressourcen kann zwar positiv sein, sie führt ab einem gewissen Umfang aber gleichzeitig zu einer Verdrängung kleinerer Akteure aus dem Rahmenprogramm, da letzteren der dafür benötigte, aufwendige juristische und administrative Support fehlt. Dies betrifft insbesondere KMU und Forschungsgruppen der Universitäten. Überschaubare Verbundprojekte mit einer handhabbaren Teilnehmerzahl sollten daher das Hauptinstrument von „Horizont 2020“ bleiben.

4.12   Das Europäische Innovations- und Technologieinstitut EIT

Da das EIT aus dem Budget von „Horizont 2020“ finanziert wird, sieht der Ausschuss dessen Tätigkeit gleichermaßen als Element der von „Horizont 2020“ verfolgten Strategie; er umfasst darum mit seinen Empfehlungen auch diesen Bereich. Im Einzelnen wird dazu eine eigene Stellungnahme (17) erarbeitet.

4.13   Bewertungskriterien

Unter Ziffer 2.2.6 wurden die von der Kommission vorgeschlagenen Bewertungs- (18) bzw. Auswahlkriterien Exzellenz, Wirkung, sowie Qualität und Effizienz angeführt. Dies hält der Ausschuss für richtig, falls dabei nicht die übergeordnete Bedeutung von Exzellenz unterhöhlt wird, welche auf jeden Fall das wichtigste Kriterium für Spitzenleistungen darstellt. Bei Pionierforschung warnt er vor einer Überbewertung der meistzitierten Veröffentlichungen, da dies zu einem Übergewicht der ohnedies bereits besonders etablierten Forschungsthemen führt. Er wiederholt seine generelle Warnung vor formalisierten Bewertungsverfahren.

4.13.1   Speziell für die Innovationsförderung müssen bei der Bewertung natürlich auch Markt-Aspekte (19) eine wichtige Rolle spielen. Dass diese Aufgabe in einer a priori Situation gerade bei ganz neuartigen Ansätzen allerdings keineswegs einfach ist und auch nicht notwendig zu richtigen Bewertungen führen muss, zeigen die anfänglichen Fehleinschätzungen z.B. bei der Entwicklung des „Persönlichen Computers“ (PC).

4.14   Gemeinsame Forschungsstelle

Der Ausschuss begrüßt die Vorschläge zur direkten Förderung der Gemeinsamen Forschungsstelle. Er verweist zugleich darauf, dass deren Tätigkeit den gleichen Bewertungs- Prozessen unterworfen sein soll wie die der übrigen Akteure. Soweit sich die gemeinsame Forschungsstelle auch um indirekte Förderung aus dem Spezifischen Programm bewirbt, ist auf vollständige Chancengleichheit gegenüber allen den anderen, nicht kommissionseigenen Bewerbern/Stakeholdern zu achten.

5.   Euratom

5.1   Der Ausschuss sieht im vorgelegten Euratom-Programm im Wesentlichen - und richtigerweise! – eine kontinuierliche Fortführung des erst kürzlich seitens der Kommission vorgelegten und vom Ausschuss ausführlich behandelten Euratom-Programms 2012-2013 (20). Der Ausschuss wiederholt und bestätigt seine dortige Hauptaussage, nämlich „dass der Wissensstand über nukleare Techniken, deren Nutzung und deren Folgen erhalten und ausgebaut werden muss. Das Euratom FuE-Rahmenprogramm erbringt hierfür aufgrund seiner koordinierenden Funktion, der Bündelung von Ressourcen und der Integration gemeinsamer Anstrengungen einen signifikanten europäischen Mehrwert.“ Der Ausschuss bestätigt zudem seine dort dazu ausführlich dargelegten Aussagen und Empfehlungen. Unter Bezug darauf konzentriert sich der Ausschuss hier nur auf einige ausgewählte Einzelpunkte. Kernaufgabe sind Reaktorsysteme höchster Sicherheit und geringsten langlebigen hochradioaktiven Abfalls.

5.2   Der Ausschuss stellt mit Befriedigung fest, dass seine dort gegebenen Empfehlungen im vorgeschlagenen Programm der Kommission im Wesentlichen widergespiegelt sind:

verbesserte Reaktorsicherheit, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, Transmutation, um die Langzeit-Radiotoxizität zu entschärfen, Kontrolle spaltbaren Materials sowie Strahlenschutz;

Konsequenzen der „Stresstests“;

Entwicklungsarbeiten zur Energiegewinnung aus Kernfusion plus ITER als internationales Großvorhaben;

Fachleute ausbilden und für Grundwissen in den Schulen sorgen.

5.2.1   Der Ausschuss wiederholt (21) die Notwendigkeit, unbeschadet der Entscheidung der einzelnen Mitgliedstaaten für oder gegen eine Nutzung der Kernenergie „innerhalb der EU unser Wissen über Sicherheitsfragen und die zugrundeliegenden Technologien mit größtem Nachdruck weiterzuentwickeln und verfügbar zu halten. Der Verzicht auf vollständiges Wissen wäre eine gefährliche Vogel-Strauß-Politik“. Der Ausschuss ist besorgt, dass in jenen Mitgliedstaaten, in denen heute oder in Zukunft auf die Nutzung der Kernenergie verzichtet wird oder werden soll, das Studium und die Weiterentwicklung dieser Kompetenzen verloren gehen könnte. Dies sollte unbedingt vermieden werde.

5.3   Europäisches Nuklearenergie Forum (ENEF)

Soweit es sich um Fragen der Spaltreaktortechnologie handelt, unterstützt der Ausschuss insbesondere die Prozeduren und Empfehlungen des Europäischen Kernenergieforums ENEF, an dessen Arbeiten er in Zusammenarbeit mit der Kommission selbst durch Repräsentanten beteiligt ist.

5.4   Stresstests

Die Entscheidung, alle Kernkraftwerke in der EU einem Stresstest zu unterziehen, war eine konsequente Folge des durch den Tsunami ausgelösten Reaktorunfalls in Fukushima. Sobald alle Ergebnisse dieser Stresstests vorliegen, sollen daher nicht nur für die bereits bestehenden Kraftwerke entsprechende Konsequenzen gezogen werden, sondern auch innerhalb des auf Forschung, Entwicklung und Demonstration ausgerichteten Euratom-Programms die dementsprechenden Schwerpunkte gesetzt werden.

5.4.1   Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Betrachtung möglicher auslegungs-überschreitender Störfälle gelegt werden.

5.5   Fusion

In Teilen der Öffentlichkeit ist eine Debatte über das Fusionsprogramm entstanden, einerseits weil daraus bis 2050 (Zeithorizont des Fahrplans) keine nennenswerten Beiträge zur CO2-armen Energieversorgung erwartet werden können, und andererseits, weil die Baukosten für das internationale ITER-Projekt (nach Vorschlag der Kommission sollen diese außerhalb des Rahmenprogramms aufgebracht werden!) gegenüber ursprünglichen Schätzungen erheblich angewachsen sind.

5.5.1   Fahrplan 2050

Zu dem Fahrplan 2050 (22) wird der Ausschuss eine gesonderte Stellungnahme erarbeiten. An dieser Stelle sei nur betont, dass angesichts der globalen demografischen Entwicklung und des weltweit wachsenden Energiehungers die globale Energieproblematik mit den bis 2050 in der EU erreichten Maßnahmen keinesfalls nachhaltig gelöst sein kann. In diesem Sinne ist Fusionsenergie die einzige bisher noch nicht eingesetzte bzw. verfügbare oder bekannte weitere Option in der Palette möglicher Technologien, um diese gewaltige Aufgabe zu bewältigen.

5.5.2   ITER I

Obwohl nur die (europäischen) wissenschaftlich-technischen Vorbereitungsarbeiten für ITER Teil des Euratom-Programms sind – die Baukosten von ITER sollen anderweitig aufgebracht werden (23) – ist es richtig, in ITER das Flaggschiff der weltweiten Fusionsforschung und auch des Europäischen Fusionsprogramms zu sehen. Unbeschadet der Möglichkeit und Notwendigkeit konzeptioneller Verbesserungen und Alternativen ist ITER ein entscheidender und weltweit einzigartiger Entwicklungsschritt für die zukünftige Nutzung der Fusionsenergie. In ITER soll weltweit erstmalig – mit positiver Leistungsbilanz – eine thermische Fusionsleistung von 500 Megawatt erzeugt werden (24).

5.5.3   ITER II

Darüber hinaus ist ITER aber auch das Testfeld für ein bisher einmaliges Maß internationaler Zusammenarbeit maßgeblicher Industriestaaten. Partner sind China, die Europäische Union, Indien, Japan, Korea, Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika. Deren Interesse, an der Entwicklung der entscheidenden neuen Technologie-Elemente beteiligt zu sein, zeigt die große Erwartung an eine weitere vorteilhafte CO2-freie Energiequelle. Die Neuartigkeit und Komplexität dieser Zusammenarbeit ist andererseits aber auch ein Grund, dass die ursprüngliche Idee, die auf den einzelnen Partner entfallenden Gesamtkosten würden mit der Anzahl der Partner sinken, korrigiert werden musste. Der große Wert dieser Partnerschaft liegt nicht primär in Kostenersparnis, sondern im Zugewinn an Expertise, Ideen und exzellenten Fachleuten; zudem leistet sie – ähnlich wie die internationale Raumstation – einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur internationalen Verständigung und Friedensstiftung (ITER war ursprünglich von Gorbatschow, Mitterand und Reagan vorgeschlagen und initiiert worden!). Nach Meinung des Ausschusses darf der Ansatz der Kommission, den europäischen Anteil an den Baukosten von ITER außerhalb des EU-Haushalts aufzubringen, die Weiterführung des Projekts keinesfalls beeinträchtigen.

5.5.4   Engagement der Mitgliedstaaten – Assoziationsverträge

In seiner kürzliche Stellungnahme zum Euratom-Programm (25) hatte der Ausschuss auf die entscheidende Bedeutung der sog. „Assoziationen“ als Basis und Ideenfabrik des Fusionsprogramms und als Anker zum Engagement der Mitgliedstaaten hingewiesen. Der Ausschuss betont seine damaligen Aussagen und warnt erneut davor, diese wichtige Unterstützung zu gefährden oder verdorren zu lassen. Zudem sind die Assoziationen das erprobte Instrument, um die von der Kommission erwünschte „Gemeinsame Planung von Forschungsprogrammen“ (26) zu gewährleisten. Darum müssen auch bei einer möglichen Änderung der Organisationsstruktur des Europäischen Fusionsprogramms wirksame Instrumente der Gemeinsamen Programmplanung verfügbar bleiben, um die Programme der beteiligten Laboratorien der Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene zu koordinieren und sinnvoll einzubinden, damit die bisherige Führungsrolle der EU auf diesem Forschungsgebiet und die notwendige Unterstützung durch die Mitgliedstaaten erhalten bleiben.

6.   Der Europäische Forschungsraum - Gemeinsamer Binnenmarkt für Forscher

6.1   Die Kommission geht davon aus, dass der europäische Forschungsraum bis 2014 vollendet sein wird. Dies hält der Ausschuss für wünschenswert. Aber er hat Zweifel, dass es erreichbar sein wird. Denn dazu müssen die Kriterien des gemeinsamen Binnenmarkts erfüllt sein, wie z.B. ein europäisches Gemeinschaftspatent oder ein gemeinsamer Binnenmarkt für Forscher (27).

6.2   Gestützt auf den Ratsbeschluss (28) vom 2. März 2010 sieht der Ausschuss einen dringenden Handlungsbedarf, um die unbefriedigende soziale Situation der an öffentlichen Forschungseinrichtungen und Universitäten arbeitenden jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu verbessern, die in klarem Gegensatz zu dem Ziel steht, den Beruf des Wissenschaftlers besonders attraktiv zu machen, ihn jedoch keinesfalls schlechter zu stellen als vergleichbare Berufe.

6.3   Der Ausschuss erkennt an, dass die Wissenschaftsorganisationen einiger Mitgliedstaaten hier bereits gewisse Verbesserungen geschaffen und sich um weitere Verbesserung bemüht haben. Er erkennt ebenfalls an, dass sich die Kommission um Verbesserungen bemüht, einschließlich der Marie-Curie- und Erasmus-Programme.

6.4   Der Kern des Problems liegt in den Tarif- und Sozialsystemen des öffentlichen Dienstes der Mitgliedstaaten, nach denen die an öffentlichen Forschungseinrichtungen und Universitäten arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Regel vergütet/besoldet werden. Diese Systeme gehen üblicherweise von einer stetigen Laubahn beim gleichen Arbeitgeber aus, die sie dann auch belohnen. Aber genau deswegen genügen sie nicht den speziellen Bedürfnissen von Wissenschaft und Forschung.

6.5   Denn dabei wird weder der sehr anspruchsvolle und zeitraubende Ausleseprozess einschließlich Promotion (Erwerb des Doktorgrades) berücksichtigt und belohnt, den junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits vorab erfolgreich bewältigt haben müssen, noch die Tatsache, dass es sich bei ihnen zumindest anfänglich eben gerade nicht um eine stetige Laufbahn handelt, sondern um befristete Anstellungen, häufig ohne jede Aussicht auf Verlängerung oder eine spätere Daueranstellung. Zudem beeinträchtigen die sehr berechtigte andauernde Sorge um die weitere berufliche Zukunft und der damit verbundene Aufwand nicht nur die auf Wissenschaft und Forschung zielende Arbeitskraft, sondern auch familiäre Partnerschaften und Familiengründung.

6.6   Dieses deutlich erhöhte soziale Risiko wird aber weder durch ein dementsprechend höheres Einkommen noch durch eine erhöhte soziale Absicherung kompensiert. Ebenso wenig wird berücksichtigt, dass für eine erfolgreiche Karriere im Wissenschaftssystem ein Mindestmaß an Mobilität erforderlich ist – im Gegenteil, Mobilität wird von diesen Systemen meistens sogar benachteiligt.

6.7   Die Tarifsysteme der Mitgliedstaaten sind untereinander wenig kompatibel, und die bei einer Arbeit im Ausland angesammelten „Sozial-Guthaben“ sind kaum übertrag- oder transferierbar, was sich bei Mobilität zwischen Mitgliedstaaten verstärkt nachteilig auswirkt.

6.8   Darum wäre es dringend nötig, die Tarif- und Sozialsysteme der Mitgliedstaaten auf die für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geforderten Sonderbedingungen einzustellen. Da dieses Ziels jedoch nur nach einem sehr langwieriger Prozess erreichbar sein dürfte, betont der Ausschuss den obengenannten Ratsbeschluss und empfiehlt seinerseits, die Kommission möge ihre Bemühungen mit Nachdruck weiterverfolgen, um zusammen mit den Mitgliedstaaten einen speziellen (aus dem Sozialfond gespeisten) Fond einzurichten, der die obengenannten Nachteile für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch entsprechende Ergänzungsleistungen kompensiert. Diese sollen sowohl das höhere soziale Risiko einer Serie befristeter Verträge als auch die bei (vor allem zwischenstaatlicher) Mobilität reduzierten oder verlorengehenden „Sozial-Guthaben“ berücksichtigen.

7.   Nutzerfreundlichkeit und Informationen – ein Kurz-Lehrbuch – Beratungsstellen

7.1   Der Ausschuss wiederholt seinen dringenden Appell an die Kommission, angesichts der Vielfalt von Förderinstrumenten, Prozessen, Netzwerken und Fachausdrücken (wie Projekte, KIC, Technologie-Platformen, Innvations-Partnerschaften, Leitinitiativen, ERA-Nets, gemeinsame Programmplanung, Erasmus, Marie-Curie, COST, EUREKA etc.) eine verständliche Übersicht und Kurzbeschreibung zu erstellen und auch im Internet verfügbar zu machen, anhand derer die wesentlichen Charakteristika der einzelnen Instrumente, deren Voraussetzungen und Zielsetzungen etc. klar ersichtlich sind. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Vereinfachung und Transparenz, der die ansonsten sehr gute Funktion des CORDIS-Portals bestens ergänzen könnte.

7.2   Er empfiehlt dabei, sich auf das Wesentliche zu beschränken und auf Werbung oder Begründung zu verzichten. Selbst bei den hier vorgelegten Dokumenten hätte es der Ausschuss als Erleichterung empfunden, wenn jeweils weniger Philosophie, aber eine Zusammenfassung des wesentlichen Sachinhalts vorgelegen hätte.

7.3   Er empfiehlt, dazu eine besonders auf KMU und deren spezielle Bedürfnisse und Kenntnisstand ausgerichtete Variante dieses Werks zu veröffentlichen. Darüber hinaus sollen kompetente Beratungsstellen eingerichtet werden, z.B. dadurch, dass regionale Organisationen (wie z.B. Industrie- und Handelskammern) mittels geeigneter Seminar-Veranstaltungen geschult werden und als Auskunftsbüros fungieren können.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Schlussfolgerungen zum Thema „Mobilität und Karrieremöglichkeiten von Forschern“, 2 999. Tagung des Rates (Wettbewerbsfähigkeit), Brüssel, 1./2. März 2010.

(2)  COM(2011) 48 final und ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 121.

(3)  Siehe insbesondere ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 129.

(4)  COM(2011) 48 final und ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 121.

(5)  ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 39.

(6)  Siehe Fußnote 3.

(7)  Schlussfolgerungen zum Thema „Mobilität und Karrieremöglichkeiten von Forschern“, 2 999. Tagung des Rates (Wettbewerbsfähigkeit), Brüssel, 1./2. März 2010.

(8)  ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 1.

(9)  Siehe dazu z.B. http://www.worldbank.org.

(10)  COM(2011) 885 final.

(11)  ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 49.

(12)  ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 39.

(13)  ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 39.

(14)  ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 40.

(15)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 112.

(16)  ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 8, Ziffer 1.8 und Kapitel 5.

(17)  COM(2011) 822 final – EWSA Stellungnahme „EIT – Strategische Innovationsagenda“ (Siehe Seite 122 dieses Amtsblatts).

(18)  Siehe dazu insbesondere auch ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 39, Ziffer 4.2.

(19)  Siehe dazu insbesondere auch ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 39, Ziffer 3.7.2.

(20)  COM(2011) 71 final, COM(2011) 72 final, COM(2011) 73 final, COM(2011) 74 final und ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 127.

(21)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 127, dort Ziffer 3.4.

(22)  Siehe Fußnote 10.

(23)  Siehe auch COM(2011) 931 final. Dazu wird der Ausschuss eine gesonderte Stellungnahme abgeben.

(24)  Siehe dazu http://www.iter.org/.

(25)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 127, Ziffer 4.5.1.

(26)  COM(2008) 468 final sowie ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 56.

(27)  Siehe bereits ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 1, Ziffer 1.3.

(28)  Siehe Fußnote 1.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/122


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 294/2008 zur Errichtung des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts“

COM(2011) 817 final — 2011/0384 (COD)

und dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Strategische Innovationsagenda des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT): der Beitrag des EIT zu einem innovativeren Europa“

COM(2011) 822 final — 2011/0387 (COD)

(2012/C 181/21)

Berichterstatter: Jacques LEMERCIER

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 13. Dezember 2011 bzw. am 16. Januar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 173 Absatz 3 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 294/2008 zur Errichtung des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts

COM(2011) 817 final — 2011/0384 (COD)

und

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Strategische Innovationsagenda des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT): der Beitrag des EIT zu einem innovativeren Europa

COM(2011) 822 final — 2011/0387 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 8. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 123 gegen 5 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet allgemein den Ansatz der Europäischen Kommission im Zusammenhang mit dem Europäischen Innovations- und Technologieinstitut (EIT).

1.2   Er schließt sich im Wesentlichen den Empfehlungen der Kommission an, die auf der Anhörung der verschiedenen Interessenträger, den Folgenabschätzungen und den Erfahrungswerten beruhen.

1.3   In Anbetracht des Rückstands der EU bei der Zusammenarbeit, dem Wissensaustausch und der Annäherung zwischen Forschungsinstituten und Hochschuleinrichtungen ist die Initiative der Kommission zu begrüßen.

1.4   Mit Blick auf die Globalisierung der Forschung und den entscheidenen Einfluss von Innovation auf die Produktion muss Exzellenz gefördert werden.

2.   Hintergrund

2.1   Das Europäische Innovations- und Technologieinstitut (EIT) wurde 2008 eingerichtet.

2.2   Das EIT geht auf einen Vorschlag zurück, den die Europäische Kommission dem Rat am 22. Februar 2006 in einer Mitteilung unterbreitete, und wurde im Rahmen der Lissabon-Strategie zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung in der Union eingerichtet.

2.3   Sein Ziel ist vor allem, den europäischen Rückstand in Sachen innovationsbasierter Industriepolitik aufzuholen, indem Synergien zwischen Grundlagenforschung, FuE und innovativen industriellen Anwendungen in Europa, insbesondere für mittelständische Unternehmen und Gewerbebetriebe, gefördert werden.

2.4   Durch die Förderung von Exzellenz will das EIT zum Gütesiegel für Innovation, Forschung und Wachstum in der EU werden. Dazu unterstützt es die funktionelle und geografische Zusammenführung von Hochschuleinrichtungen und Forschungs- und Innovationsstrukturen.

2.5   Vorbild ist dabei das Massachusetts Institute of Technology (MIT), das auf die horizontale Integration des Wissensdreiecks setzt.

2.6   Im Juni 2008 wurde bestimmt, dass das Europäische Innovations- und Technologieinstitut seinen Sitz in Budapest hat.

2.7   Das EIT übernimmt keine Direktfinanzierung von Einzelvorhaben. Es trägt mit einem Anteil von 25 % zur Finanzierung der dezentralen „Wissens- und Innovationsgemeinschaften“ (KIC) (1) bei.

2.8   Diese KIC, in deren Rahmen Hochschulen, Wirtschaftsunternehmen und Forschungsinstitute gemeinsam an innovativen Projekten arbeiten, finanzieren zusammen mit lokalen Partnern aller Art wie Unternehmen, Innovatoren usw. zu 75 % die Projekte vor Ort.

2.9   Die ersten drei Wissens- und Innovationsgemeinschaften wurden 2009 eingerichtet, mit Kolokationszentren in Frankreich, Deutschland, im Vereinigten Königreich, in der Schweiz, in Italien, Spanien, in den Niederlanden, in Schweden, Finnland, Ungarn, Belgien und Polen.

3.   Vorschläge der Europäischen Kommission

3.1   Das EIT soll zu einem Referenz- und Anziehungspol für die Hochschulen, die Forschungsinstitute, die in Forschung und Entwicklung tätigen Unternehmen und vor allem die innovativen kleinen und mittleren Unternehmen werden, die für die Entstehung neuer qualifizierter Arbeitsplätze und neuer Berufsbilder besonders relevant sind.

3.2   Das EIT wird in der Laufzeit des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation 2014 – 2020 die Zahl der KIC schrittweise erhöhen, um seine Wirkungskraft weiter zu verstärken und in neuen Bereichen gesellschaftlicher Herausforderungen Innovationen anzuregen.

3.2.1   Die bereitgestellten Mittel werden überwacht, und schlussendlich entscheiden die konkreten Ergebnisse über die Tragfähigkeit einer bestimmten KIC.

3.2.2   Dadurch, dass das EIT bei der Einrichtung neuer KIC einen graduellen Wachstumsansatz verfolgt, stellt es sicher, dass Erfahrungen vorheriger KIC-Gründungen voll berücksichtigt werden und neue KIC nur in den Bereichen eingerichtet werden, in denen ein klares Innovationspotenzial und Spitzenleistungen von Weltrang gegeben sind, worauf aufgebaut werden kann, um Talente anzuwerben und Finanzierungen zu sichern.

3.3   Im Zeitraum 2014-2020 werden in zwei Runden neue KIC eingerichtet: 2014 und 2018 werden jeweils drei neue KIC gegründet, wodurch sich die Gesamtzahl der KIC (einschl. der drei bereits bestehenden KIC) bis 2020 auf neun erhöhen wird (was der Einrichtung von 40-50 Kolokationszentren in der ganzen EU entspricht).

3.4   Dank ihrer fundierten Voraussetzungen in Wissenschaft und Forschung können sie Akteure aus den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation zusammenführen.

Sie sind allesamt in der Lage, Investitionen und langfristiges Engagement der Unternehmen zu mobilisieren sowie neue technologische Entwicklungen und soziale Innovation zu fördern:

eine KIC für Mehrwert in der Fertigung;

eine KIC für die Lebensmittelversorgungskette;

eine KIC im Bereich Innovation für gesundes Leben und aktives Altern;

eine KIC für die Förderung sicherer Gesellschaften im Kontext einer beschleunigten Digitalisierung der Wirtschaft;

eine KIC zur Entwicklung neuer Verfahren für nachhaltige Erkundung, Gewinnung, Verarbeitung, Verwertung und Substitution;

eine KIC für urbane Mobilität.

3.5   Die Einrichtung von KIC mit einer dezentralen Struktur, die vor Ort und auf regionaler Ebene alle potenziellen Partner integrieren, dürfte den Herausforderungen, denen sich die EU gegenüber sieht, angemessen sein. Angesichts der Tatsache, dass in einem annehmbaren Zeitrahmen, d.h. auf kurze Sicht keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Forschungs-, Bildungs- und Produktionssysteme, die laut Subsidiaritätsprinzip in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallen, absehbar ist, bieten die KIC eine gangbare Lösung zur Überwindung dieser Schwierigkeit und ein neues Entwicklungsmodell für die Industrie und den Dienstleistungsbereich.

3.6   Die den KIC eingeräumte Unabhängigkeit bei der Einstellung, Organisation und Finanzierung ermöglicht es ihnen, sich um die talentiertesten und motiviertesten Forscher zu bemühen, und wird den Erfahrungsrückfluss und die internationale Zusammenarbeit, die die Europäische Kommission anstrebt, begünstigen.

4.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

4.1   Die von der Kommission vorgeschlagene Gesamtstruktur ist eine vielversprechende Neuerung. Der Ausschuss möchte in diesem Zusammenhang seine Stellungnahme (2) zur Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts in Erinnerung rufen, denn seiner Meinung nach treffen seine damaligen allgemeinen Bemerkungen heute immer noch zu.

4.2   Angesichts der Zahl der einzurichtenden KIC und der Programmdauer kommt die von der Kommission vorgesehene Mittelausstattung in der Praxis einer Stagnation beziehungsweise sogar einer relativen Verringerung der bis 2020 verfügbaren Mittel gleich; dabei eröffnet das EIT den europäischen KMU eine Chance für mittel- und langfristig nachhaltiges, von Innovations- und Beschäftigungszuwachs geprägtes Wachstum, das in den vielversprechendsten Bereichen gefördert werden muss.

4.3   Die Finanzierungsstruktur der KIC ist ein offenkundiger Vorteil, denn das EIT kommt lediglich für 25 % des Haushalts auf und die restlichen 75 % müssen von den am jeweiligen KIC beteiligten Partnerunternehmen, KMU, Forschungszentren sowie öffentlichen und privaten Akteuren bereitgestellt werden. Diese flexible Struktur beschleunigt die Abläufe entlang der Innovationskette von der Grundlagen- und angewandten Forschung über Innovation und Anmeldung von Patenten bis zur Gründung oder Weiterentwicklung von Unternehmen zur Vermarktung einer Innovation.

4.4   Zudem können die lokalen Initiativen in den Mitgliedstaaten über einen erheblichen Handlungsspielraum verfügen.

4.5   Die Governancestrukturen der KIC und die regelmäßige Erneuerung ihrer Mitglieder sind ebenfalls unbestreitbare Vorteile. Der Ausschuss befürwortet das Entwicklungskonzept für das EIT und plädiert dafür, die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der KIC im Interesse ihrer Effizienz zu bewahren und ihre Arbeit auf der Grundlage ihrer Ergebnisse zu bewerten.

4.6   Diese zweigleisige Struktur wird die Vermarktung von Patenten und Innovationen der KIC begünstigen.

Angesichts der zunehmenden Globalisierung, die die herkömmlichen Industriestrukturen aufbricht, begrüßt der Ausschuss das Konzept der „Exzellenz“ in Bildung und Produktion als Zukunftswert und wirksames Mittel zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit.

4.7   Mehr denn je zuvor wird in der EU der Mehrwert innovierender Erzeugnisse oder Dienste mit Blick auf die angestrebte nachhaltige Entwicklung ausschlaggebend für die Schaffung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze sein und Betriebsverlagerungen in Billiglohnländer verhindern.

4.8   Der Ausschuss stellt fest, dass eine relative Konzentration der KIC vorliegt. Er plädiert für gezielte Maßnahmen, um in möglichst vielen Mitgliedstaaten Verbindungen zu Laboratorien, Unternehmen und Forschungseinrichtungen herzustellen und so das den KIC zur Verfügung stehende Potenzial an Kreativität, Human- und Technologieressourcen auszuweiten und um den Ungleichgewichten zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf Exzellenz in Forschung und Bildung entgegenzuwirken. Ferner nimmt er zur Kenntnis, dass sich über 200 Partner aus sämtlichen Mitgliedstaaten eingebracht haben.

4.9   Der Ausschuss befürwortet insbesondere die Einrichtung von Studienabschlüssen mit dem EIT-Gütesiegel, die die Mobilität der Forscher und die Entwicklung der Unternehmen und KMU außerhalb ihres jeweiligen Ursprungsgebiets erleichtern.

4.10   Der Ausschuss spricht sich dafür aus, die Institute, Unternehmen und potenziellen Partner durch möglichst umfangreiche Informationen dazu zu bewegen, dass sie die Einrichtung von KIC in den in der Strategischen Innovationsagenda bis 2020 festgelegten prioritären Bereichen unterstützen und daran teilnehmen.

In diesem Sinn muss das EIT baldmöglichst eine groß angelegte Informationskampagne über diese Themenbereiche starten, um den Unternehmen und potenziellen Partnern Gelegenheit zu geben, ihre Partnerschaftsprojekte auszuarbeiten.

4.11   In Anbetracht der möglichen Vorbehalte oder gar Erschwernisse seitens der bestehenden einzelstaatlichen Einrichtungen fordert der Ausschuss die Kommission auf, einen umfassenden Dialog zwischen dem EIT und diesen Einrichtungen zu fördern, um Synergien zu schaffen, die er auf lange Sicht als unerlässlich erachtet.

Insbesondere muss der Sorge der Forschungs- und Bildungseinrichtungen Rechnung getragen werden, dass ihre Haushaltsmittel zu Gunsten der KIC gekürzt werden könnten.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Engl. Knowledge and Innovation Communities (KIC).

(2)  ABl. C 161 vom 13.7.2007, S. 28.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/125


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Programm für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für kleine und mittlere Unternehmen (2014-2020)“

COM(2011) 834 final — 2011/0394 (COD)

(2012/C 181/22)

Berichterstatter: Ronny LANNOO

Mitberichterstatter: Brendan BURNS

Das Europäische Parlament beschloss am 13. Dezember 2011 und der Rat am 24. Januar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Programm für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für kleine und mittlere Unternehmen (2014-2020)

COM(2011) 834 final — 2011/0394 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 8. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) mit 142 Stimmen bei 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der EWSA stimmt den großen Zielen des „Programms für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für KMU“ (COSME) zu, muss jedoch feststellen, dass darin nicht den in der Stellungnahme zum Small Business Act (SBA) (1) aufgeführten Forderungen entsprochen wird, insbesondere nach einer verstärkten Unterstützung und Beratung von KMU, der Übertragung von Unternehmen sowie dem Dialog und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit KMU-Verbänden.

1.2   Er fordert, dass den konkreten Maßnahmen, die es zu ergreifen gilt, mehr Außenwirkung verliehen wird. Dazu stellen sich von vorneherein zwei Probleme:

das Ziel: Ziel der Verordnung ist die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Diese müssen in der Tat in die Lage versetzt werden, mit ihren Konkurrenten auf den Weltmärkten mithalten zu können. Der EWSA stimmt diesem Ziel zu, doch ist es seiner Ansicht nach genauso wichtig, das Überleben der KMU auf den europäischen, den regionalen und den lokalen Märkten zu sichern;

die Mittel: Der EWSA fordert die Kommission auf, dem Legislativvorschlag ein Arbeitsprogramm beizufügen, in dem konkrete Maßnahmen aufgelistet werden, um den Bedürfnissen aller KMU-Kategorien sowie ihren Erwartungen angesichts der derzeitigen Krise gerecht zu werden.

1.3   Jegliche Entscheidung über dieses Programm sollte im Mitentscheidungsverfahren vom Europäischen Parlament und dem Rat getroffen werden. Das Verfahren für delegierte Rechtsakte sollte lediglich bei der Festlegung und Umsetzung der in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten und KMU-Verbänden aufgestellten Jahresarbeitsprogramme angewandt werden.

1.4   Der EWSA fordert, dass das Programm:

sich an alle Unternehmen richtet (2);

die Mittel vor allem für die zentralen Prioritäten einsetzt: Information, Begleitung und Beratung, Zugang zu den Märkten und zu Finanzmitteln, Anpassungen an die Anforderungen und Normen der EU, Förderung der Zusammenarbeit, Berücksichtigung der Prioritäten der Strategie Europa 2020 (Innovation, grüne Wirtschaft und Beschäftigung junger Menschen);

aus diesen Gründen ein fünftes Einzelziel nennt: die Begleitung von KMU und ihr Zugang zu Beratung, mit einem besonderen Fokus auf den Klein- und Kleinstunternehmen.

1.5   Der EWSA empfiehlt, noch eine vierte Maßnahme zur Verbesserung des rechtlichen Rahmens einzufügen, nämlich die Einrichtung eines „Office of Advocacy“ (3), damit der tatsächlichen Situation der Kleinunternehmen in den Rechtstexten besser Rechnung getragen wird. Die Rolle des „Office of Advocacy“ und seine Kohärenz mit anderen in diesem Bereich aktiven Einrichtungen, z.B. dem Netz der KMU-Beauftragten (SME Envoy Network), müssen jedoch noch festgelegt werden. Der EWSA spricht sich erneut gegen eine allgemeine Anwendung von Ausnahmeregelungen aus und fordert die Einbindung von KMU-Verbänden in das Rechtsetzungs- und Entscheidungsverfahren.

1.6   Der EWSA weist auf die mangelhafte partnerschaftliche Steuerung im Vorschlag für eine Verordnung hin. Er ist nicht damit einverstanden, dass sie sich auf eine reine Konsultation beschränkt, und macht das Europäische Parlament und den Rat auf die Notwendigkeit aufmerksam, diese Steuerung zu schaffen und die Partnerschaft mit den KMU-Vertreterverbänden auszubauen, wie das auch in anderen EU-Programmen der Fall ist (4). Der EWSA fordert die Schaffung einer Arbeitsgruppe, sodass die europäischen KMU-Verbände in allen Phasen der Ausarbeitung, der Konzipierung, der Umsetzung und der Nachbereitung des COSME-Programms konsultiert werden.

1.7   Bezüglich der in Artikel 9 genannten Maßnahmen zur Verbesserung des Marktzugangs fordert der EWSA, dass:

unterschieden wird zwischen dem Marktzugang einerseits und der Information, Beratung und Weiterbildung für KMU andererseits;

die bereits bestehenden, von KMU-Verbänden und öffentlichen Einrichtungen eingeleiteten Maßnahmen in den Mitgliedstaaten unterstützt werden;

die Aufgaben und der Aufbau des Europe Enterprise Network (EEN) so angepasst werden, dass das Netzwerk die Maßnahmen der KMU-Verbände ergänzt und letztere in die Tätigkeiten des Netzwerks eingebunden werden. Das Netzwerk muss bekannter werden. Außerdem sollte sein Potenzial voll ausgeschöpft werden.

1.8   Der EWSA stellt Widersprüche zwischen den vorgeschlagenen Finanzinstrumenten, dem Programm Horizont 2020 und den anderen Finanzierungsquellen, z.B. die in den Verordnungsvorschlägen über den territorialen Zusammenhalt, fest. Daraus können sich für KMU Schwierigkeiten ergeben. Er fordert daher, dass das Zusammenspiel dieser verschiedenen Finanzinstrumente geklärt wird. Zwar begrüßt der EWSA, dass 56 % der Mittel für die Finanzinstrumente vorgesehen sind, doch fordert er die Europäische Kommission und das Europäische Parlament auf, eine Aufteilung auf die beiden Instrumente vorzunehmen, sie für alle Unternehmen und alle Investitionsarten zugänglich zu machen und sie auf andere, ähnliche Finanzinstrumente der EU abzustimmen, damit sich die Unternehmen das adäquateste Instrument aussuchen können. Außerdem spricht er sich dafür aus, die Regelungen und Bedingungen der Kreditbürgschafts-Fazilität (LGF) zu ändern.

1.9   Er fordert, dass der Text über die Indikatoren in Anhang I überarbeitet wird und die KMU-Verbände in deren Festlegung mit eingebunden werden. Auch Anhang II und der Finanzbogen für Rechtsakte sollten aufgrund von Widersprüchen zum Vorschlag für eine Verordnung überprüft werden.

1.10   Der EWSA empfiehlt dem Europäischen Parlament und dem Rat, das Programm zu unterstützen und zu fördern, aber gleichzeitig seinen Inhalt, die operativen Maßnahmen und die Finanzierung der Prioritäten öffentlich wirksamer zu gestalten sowie eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den europäischen KMU-Verbänden sicherzustellen. Angesichts der ehrgeizigen Ziele erscheint der Finanzrahmen des Programms von 2,5 Mrd. EUR jedoch äußerst bescheiden. Der EWSA ist gegen jegliche Senkung der für das Programm vorgesehenen Mittel und fordert das Europäische Parlament inständig auf, sie vielmehr aufzustocken. Der EWSA ist davon überzeugt, dass die KMU Europa aus der Krise führen und neue Arbeitsplätze schaffen werden.

1.11   Der EWSA empfindet das Programm jedoch als nicht ehrgeizig genug. Er ist der Auffassung, dass der vorgeschlagene Finanzrahmen in Höhe von 2,5 Mrd. EUR nicht ausreicht, um die erforderlichen Bestimmungen zur Unterstützung der Tätigkeit und der ständigen Entwicklung der KMU umzusetzen. Dabei sind es die KMU, die Europa aus der Krise führen und neue Arbeitsplätze schaffen werden. Aus diesem Grund ist der EWSA gegen die Bestrebungen, den Finanzrahmen zu kürzen. Er fordert das Europäische Parlament auf, diesen auf das Niveau des Finanzrahmens des laufenden Programms für Wettbewerb und Innovation anzuheben, um insbesondere die für die Finanzinstrumente vorgesehenen Haushaltsmittel zu erhöhen.

1.12   Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die Mittelaufteilung des Programms (abgesehen von den Finanzinstrumenten) zu klären und dabei eine detaillierte Aufschlüsselung der für jede Programmaktivität bereitgestellten Mittel vorzulegen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1   In seiner Stellungnahme zu der „Überprüfung des ‚Small Business Act‘ “ (5) hatte der EWSA seine Prioritäten für das Programm „Wettbewerbsfähigkeit der KMU“ für den Zeitraum 2014-2020 dargelegt. Im Vorschlag der Kommission für ein „Programm für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für KMU“ (COSME) werden diese Prioritäten jedoch nicht ausreichend berücksichtigt. Außerdem fehlt es den in der Praxis zu ergreifenden Maßnahmen an Außenwirkung. Die Kommission wird daher aufgefordert, dem EWSA, dem Parlament und dem Rat für die Laufzeit dieses Programms ein Aktionsprogramm an die Hand zu geben.

2.2   Der EWSA ist immer noch erstaunt darüber, wie wenig Bezug auf den SBA genommen wird, obwohl dieser doch die Grundlage des Programms bilden sollte. Es wird nicht auf das „Einmal“-Prinzip („Only once“) verwiesen. Auch das Prinzip „Vorfahrt für KMU“ („Think small First“) wird nur selten erwähnt und es wird nicht ausreichend auf die Besonderheiten der unterschiedlichen Kategorien von KMU eingegangen.

2.3   Die Wettbewerbsfähigkeit folgt den Regeln des Marktes und hängt von anderen Faktoren ab, z.B. von unterschiedlich hohen Arbeitskosten, der Kaufkraft, dem Steuersystem, dem Zugang zu Finanzierungsmitteln oder der Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen. Der EWSA ist der Auffassung, dass im COSME-Programm nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit, sondern vielmehr die nachhaltige Entwicklung der Unternehmen im Mittelpunkt stehen sollte.

2.4   Schließlich sollten im COSME-Programm auch Maßnahmen zur gezielten Unterstützung der Klein- und Kleinstunternehmen vorgesehen werden.

2.5   Anlässlich der Untersuchung der Umsetzung der europäischen Definition von KMU im Jahr 2012 fordert der EWSA, dass der großen Heterogenität der KMU Rechnung getragen wird. Außerdem sollte die Kommission den EWSA über die Ergebnisse dieser Untersuchung informieren und ihn in die Folgemaßnahmen einbeziehen.

3.   Standpunkte zum Vorschlag für eine Verordnung

3.1   Erwägungsgründe

3.1.1   Der EWSA stimmt den in Erwägungsgrund 10 genannten Zielsetzungen zu. Außerdem sollte das „Programm für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für KMU“ Folgendes beinhalten:

Vereinfachung der Tätigkeit von KMU und Abbau des Verwaltungsaufwands;

Förderung der Umsetzung der Europa-2020-Prioritäten, z.B. Innovation, grüne Wirtschaft, Beschäftigung junger Menschen. Der EWSA begrüßt die Aufnahme des Erwägungsgrunds 11 in den Vorschlag für eine Verordnung, mit dem die Aufmerksamkeit besonders auf Kleinstunternehmen, Handwerksbetriebe und Sozialunternehmen gerichtet wird.

Anwendung der Grundsätze des SBA auf die nationalen und territorialen Gemeinschaftspolitiken und -programme;

Berücksichtigung der Bedürfnisse von KMU in den anderen Gemeinschaftsprogrammen sowie Koordinierung und Vereinfachung der Verwaltungsvorschriften.

3.1.2   Neben der Gründung und Weiterentwicklung von Unternehmen sollten dem EWSA zufolge auch die „zweite Chance“, die Übertragung und Übernahme von Unternehmen, die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen, die Ausbildung der Unternehmer und ihrer Angestellten sowie ein Verweis auf die Bedeutung von Selbstständigen und freiberuflichen Tätigkeiten in den Erwägungsgrund 11 aufgenommen werden.

3.1.3   In Erwägungsgrund 12 sollte erwähnt werden, dass eines der Hauptprobleme für die meisten KMU der Zugang zu guter Beratung ist. Der EWSA unterstützt den Grundsatz des Enterprise Europe Network, doch ist er der Auffassung, dass dessen Potenzial voll ausgeschöpft werden sollte. Viele europäische KMU scheinen immer noch kaum über das Netzwerk informiert zu sein. Die Dienste des Enterprise Europe Network sollten weitestgehend auf die tatsächlichen Anforderungen und Bedürfnisse der KMU ausgerichtet sein. Der EWSA unterstützt den Vorschlag, dem Enterprise Europe Network eine neue Führungsstruktur zu geben und alle zuständigen Unternehmensverbände in die Steuerung dieses Netzes einzubinden.

3.1.4   Die in Erwägungsgrund 28 erwähnte Befugnis der Kommission zur Annahme besonderer Regelungen gemäß dem Delegationsverfahren sollte nach einer Anhörung der Interessenvertreter auf die Rechtsakte zur Ausführung der Programme – insbesondere der Jahresprogramme – und auf die Regeln für die Externalisierung beschränkt werden. Das operationelle Programm mit den konkreten Maßnahmen und den besonderen Beteiligungsregeln sollte dann vom Europäischen Parlament und vom Rat angenommen werden.

3.1.5   Der EWSA fordert, dass mit dem „Programm für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für KMU“ ein wahres System der Steuerung mit den europäischen KMU-Verbänden geschaffen wird. Das Programm sollte sich an das Konzept der Partnerschaft – wie es in Artikel 5 der Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen über die Strukturfonds (6) vorgeschlagen wird – anlehnen. Im Einklang mit dem SBA müssen die KMU-Verbände in alle Vorbereitungen zum Programm und in die jährliche Durchführung eingebunden werden.

3.1.6   Der Tourismus bringt der europäischen Wirtschaft einen klaren Mehrwert und die Unterstützungsmaßnahmen aus dem COSME-Programm sollten die Tourismusbranche mit einschließen. Die Kommission wird daher aufgefordert, dem EWSA, dem Parlament und dem Rat ein gemeinsam mit den KMU-Verbänden ausgearbeitetes operationelles Programm für diese Branche an die Hand zu geben. Es gibt jedoch auch viele andere Branchen, die einen klaren Mehrwert bringen.

3.2   Kapitel I: Gegenstand

3.2.1   Der EWSA fordert, dass unter Artikel 1 die Begriffe „Kleinstunternehmen“, „Handwerksbetriebe“, „Selbstständige“ und „freiberufliche Tätigkeiten“ hinzugefügt werden.

3.2.2   Der EWSA stimmt den in Artikel 2 aufgeführten allgemeinen Zielen zu. Er plädiert jedoch dafür, die nachhaltige Entwicklung von KMU und die Förderung der Übertragung von Unternehmen hinzuzufügen.

3.2.3   In Artikel 2 sollte noch ein viertes allgemeines Ziel hinzugefügt werden: die Umsetzung der SBA-Grundsätze und die Anwendung der SBA-Prioritäten in den Gemeinschaftspolitiken und -programmen.

3.3   Kapitel II: Einzelziele und Aktionsbereiche

3.3.1   Die vier in Artikel 3 genannten Einzelziele sind von entscheidender Bedeutung. Der EWSA spricht sich jedoch dafür aus, Folgendes hinzuzufügen:

In Absatz 1 Buchstabe d): Verbesserung des Zugangs zu den lokalen Märkten, insbesondere durch eine Anpassung der europäischen Anforderungen und Normen an die Bedürfnisse und die tatsächliche Situation der Klein- und Kleinstunternehmen,

ein fünftes Einzelziel: Unterstützung der Begleitung von KMU und Vereinfachung des Zugangs zu Beratung.

3.3.2   Der EWSA fordert das Europäische Parlament und den Rat auf, einen neuen Artikel über die Steuerung einzufügen. Für die Ausrichtung, die Umsetzung und die Nachbereitung des Programms sowie seiner jährlichen Ausarbeitungen sollte eine beratende Arbeitsgruppe eingerichtet werden, in der Vertreter europäischer KMU-Verbände aus unterschiedlichen Bereichen mitarbeiten.

3.3.3   Der EWSA weist darauf hin, dass in Artikel 6 gezielte Vorschläge eingefügt werden müssen:

zur Unterstützung der Folgenabschätzungen und der Errichtung eines „Office of Advocacy“-Systems, nachdem die Rolle und Zuständigkeiten dieses Systems klar festgelegt wurden,

zur Anwendung des Grundsatzes „Vorfahrt für KMU“ und des „Einmal“-Prinzips des SBA während des Legislativverfahrens und während der Umsetzung der Strategie Europa 2020,

Gewährleistung der Einbindung von KMU-Verbänden in das Rechtsetzungsverfahren.

3.3.4   Der EWSA spricht sich erneut gegen die allgemeine Anwendung von Ausnahmeregelungen für Kleinstunternehmen (7) aus. Er plädiert für eine Beteiligung der KMU-Verbände, damit die Rechtsvorschriften an die tatsächlichen Gegebenheiten dieser Kleinstunternehmen angepasst werden können.

3.3.5   Der EWSA fordert, dass in Artikel 7 Maßnahmen hinzugefügt werden, mit denen die Übertragung und Übernahme von Unternehmen erleichtert wird, insbesondere in Form von Schulungen künftiger Übernehmer sowie der Information und Schulung von Schülern und Studenten über die Welt der KMU und die damit verbundenen Möglichkeiten.

3.3.6   In Artikel 9 sollte unterschieden werden zwischen den Maßnahmen zur Verbesserung des Marktzugangs einerseits und den Maßnahmen zur Information, Beratung und Begleitung von Unternehmen andererseits. Der EWSA fordert, dass Artikel 9 in zwei unterschiedliche Artikel unterteilt wird, und zwar:

3.3.6.1

Artikel 9: Maßnahmen zur Verbesserung des Marktzugangs

Die Absätze 2, 3 und 4 sollten bestehen bleiben und in Absatz 2 sollte erwähnt werden, dass das COSME-Programm insbesondere Maßnahmen zur Beteiligung von KMU und Kleinstunternehmen an der Ausarbeitung und Anpassung europäischer Normen und Anforderungen fördert sowie deren Umsetzung in den Unternehmen.

3.3.6.2

Artikel 9a: Maßnahmen zur Information, Beratung und Begleitung von Unternehmen

Der EWSA betont, dass eine der Prioritäten die Gewährleistung des Zugangs zu Information, Beratung und Begleitung für alle KMU sein muss. Daher sollte die COSME-Verordnung Folgendes bewirken:

EU-Programme für KMU-Verbände zugänglicher machen und technische Unterstützung bei der Information und Beratung von KMU leisten. KMU-Verbände müssen hier eine wichtigere Rolle einnehmen,

die Rolle von KMU-Verbänden als zentrale Beratungsstelle auf nationaler und regionaler Ebene stärken.

Der EWSA bedauert, dass nicht mehr KMU, insbesondere Klein- und Kleinstunternehmen, zur Zielgruppe des Enterprise Europe Network gehören oder von dessen Vorteilen profitieren können und dass es nicht alle KMU-Verbände einschließt. Er ist der Auffassung, dass das Netzwerk, um den Zugang zu Informationen für alle KMU sicherzustellen, in sämtliche Verbände integriert werden muss. Deren Tätigkeit muss unterstützt werden, ohne jedoch neue Zwischenstrukturen zu schaffen. Auch wenn sich das Modell der regionalen Konsortien in vielen Mitgliedstaaten und Regionen bewährt hat, wäre es wahrscheinlich angebracht, es so anzupassen, dass alle KMU-Verbände darin integriert werden können.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Netzwerk vorrangig repräsentativen KMU-Verbänden dienen sollte, die ihre Fähigkeit zur Erbringung und Strukturierung von Informations-, Beratungs- und Begleitungsdiensten für diese Unternehmen unter Beweis gestellt haben. Er empfiehlt, den Tätigkeitsbereich des Netzwerks gemeinsam mit den Vertreterverbänden europäischer KMU festzulegen und letztere in die Festlegung der Aufgaben des künftigen Netzwerks einzubeziehen.

3.4   Kapitel III: Durchführung des Programms

3.4.1   Artikel 10 legt fest, dass das Jahresarbeitsprogramm in Abstimmung mit einem Ausschuss aus Vertretern der Mitgliedstaaten angenommen wird. Der EWSA ist der Auffassung, dass die europäischen KMU-Verbände vorher im Rahmen der Arbeitsgruppe, deren Schaffung der EWSA unter Ziffer 3.3.2 vorschlägt, konsultiert werden sollten. Die in Artikel 12 vorgesehene Überwachung der Durchführung und Verwaltung des Programms muss in Abstimmung mit dieser Arbeitsgruppe erfolgen.

3.4.2   Artikel 11 sieht „unterstützende Maßnahmen“ vor, die hauptsächlich aus Studien und Untersuchungen bestehen. Auch hier fordert der EWSA die Kommission auf, ein klares Studien- und Untersuchungsprogramm vorzulegen, das gemeinsam mit den europäischen KMU-Verbänden erarbeitet wird, damit es den Erwartungen der Unternehmen gerecht wird.

3.5   Kapitel V: Ausschuss und Schlussbestimmungen

3.5.1   In Artikel 16 sollte ausgeführt werden, dass die Kommission nicht nur von einem Ausschuss aus Vertretern der Mitgliedstaaten unterstützt wird, sondern auch von der vom EWSA in Ziffer 3.3.2 vorgeschlagenen Arbeitsgruppe.

3.5.2   Der EWSA erklärt sich zwar mit dem Grundsatz der delegierten Rechtsakte für Durchführungsmaßnahmen einverstanden, ist jedoch der Auffassung, dass die in Artikel 17 Absatz 2 unterbreiteten Vorschläge Entscheidungsprozesse in der Zuständigkeit des Europäischen Parlamentes und des Rates betreffen, da es sich um die Änderung eines Einzelziels des Programms handelt. Er fordert das Europäische Parlament und den Rat daher auf, Artikel 17 Absatz 2 abzulehnen.

3.5.3   In Artikel 18 sollte ausgeführt werden, dass die delegierten Rechtsakte in Abstimmung mit der in Ziffer 3.3.2 vorgeschlagenen Arbeitsgruppe erfolgen muss. Gleiches gilt für Artikel 19 über das Dringlichkeitsverfahren.

3.6   Anhang I: Indikatoren für allgemeine Ziele und Einzelziele

3.6.1   Der EWSA empfiehlt der Kommission, diese Indikatoren gemeinsam mit den KMU-Verbänden auszuarbeiten und die bereits auf nationaler Ebene bestehenden Indikatoren dabei zu berücksichtigen.

3.6.2   Der EWSA schlägt vor, die Maßstäbe für die Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit zu überdenken. Die Gründung eines Unternehmens (s. Anhang I des Verordnungsentwurfs) ist nur einer von vielen Indikatoren zur Messung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Sogar im COSME-Programm ist ein mittelfristiges Ziel (Ergebnis) von „ca. 7 Vereinfachungsmaßnahmen pro Jahr“ bis 2017 festgelegt. Daher empfiehlt der EWSA, für den Abbau des Verwaltungsaufwands Prioritätsbereiche festzulegen, die für die Wettbewerbsfähigkeit von KMU besonders wichtig sind, z.B. Baugenehmigungen, Kreditvergabe, Besteuerung, Durchsetzung von Verträgen, usw.

3.7   Anhang II: Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zu Finanzmitteln für KMU

3.7.1   Der EWSA unterstützt die Finanzinstrumente und fordert das Europäische Parlament und den Rat auf, diese zu verstärken. Für die meisten KMU ist die Kreditbürgschafts-Fazilität eines der wirksamsten Instrumente.

3.7.2   Zu Absatz 3 stellt der EWSA fest, dass das Verhältnis zwischen dem Programm Horizont 2020, das nur Investitionen in den Bereichen Forschung und Innovation unterstützt, und den Finanzinstrumenten derselben Art, die die Regionen im Rahmen der Strukturfonds einsetzen können, nicht sehr klar ist. Der EWSA fordert die Kommission auf, das Zusammenspiel zwischen diesen scheinbar identischen Instrumenten auszuführen und gleiche Zugangsmöglichkeiten zu schaffen.

3.7.3   Der EWSA fordert die Einfügung eines neuen Absatzes 2a, nach dem „die Kreditbürgschafts-Fazilität (LGF) in allen Phasen des der Existenz eines Unternehmens angewandt werden kann: bei der Gründung, der Weiterentwicklung und der Übertragung, unabhängig vom Marktsegment oder der Marktgröße. Diese Fazilität gilt für sämtliche Investitionsarten, einschließlich der immateriellen Investitionen.“

3.7.4   Im Vorschlag für eine Verordnung heißt es, dass die Kreditbürgschafts-Fazilität Darlehen bis zu einer Höhe von 150 000 EUR umfasst.

3.7.4.1   Der EWSA fordert die Kommission auf, genauer auszuführen, auf Grundlage welcher Kriterien diese Höchstgrenze festgelegt wurde, da im Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) keine Obergrenzen festgesetzt wurden. Der EWSA stellt fest, dass die vorgeschlagene Summe der Höhe des Darlehens entspricht. Doch fallen diese Darlehen sowohl für die Gründung, die Investitionen und die Übertragung eines Unternehmens in den allermeisten Fällen deutlich höher aus. Folglich würden im Rahmen des Programms Horizont 2020 höhere Darlehen gewährt, obwohl dieses Programm eigentlich nur für die Finanzierung von Projekten im Bereich Innovation vorgesehen ist.

3.7.4.2   Der EWSA schlägt demnach vor, auf das frühere CIP-Programm zurückzugreifen, in dem keine Obergrenze festgelegt war. Falls dies nicht möglich sein sollte, fordert er, dass die Obergrenze von 150 000 EUR für die Rückbürgschaften gilt und nicht für die Darlehen. Bei der Übertragung und der Übernahme von Unternehmen, die oftmals mehr Kosten verursachen als die Gründung eines Unternehmens, sollen nach Auffassung des EWSA keine Obergrenzen für die Rückbürgschaften festgelegt werden.

3.7.5   In demselben Absatz ist die Rede von einer Berichterstattung über die unterstützten „innovativen KMU“. Die Kreditbürgschafts-Fazilität (LGF) muss jedoch allen Unternehmen zugute kommen, ob innovativ oder nicht. Der EWSA äußert erneut seine Zweifel über die Nützlichkeit solcher Berichte, die sich auf unmittelbar verwendbare Informationen beschränken sollten und die für die Finanzierung der Unternehmen vorgesehenen Finanzrahmen nicht belasten dürften.

3.7.6   Der EWSA fordert, dass alle Maßnahmen bezüglich der Festlegung und Umsetzung der Finanzinstrumente nur in engster Zusammenarbeit mit den europäischen KMU-Verbänden und ihren Finanzpartnern angenommen werden.

3.8   Finanzbogen zu Rechtsakten

3.8.1   In Ziffer 1.4.1 über die mehrjährigen strategischen Ziele der Kommission sollte erwähnt werden, dass das Programm nicht nur die Gründung und das Wachstum von Unternehmen fördert, sondern ebenfalls die Übertragung/Übernahme von Unternehmen.

3.8.2   In Ziffer 1.5.4 wird im dritten Absatz hervorgehoben, dass „das neue Programm auf KMU in ihrer Wachstums- und in ihrer Internationalisierungsphase ausgerichtet wäre“. Diese Einschränkung steht im Widerspruch zum übrigen Text und zu den SBA-Grundsätzen: Das neue Programm muss sich auf alle Tätigkeitsbereiche von KMU erstrecken, unabhängig von ihrem jeweiligem Marktsegment.

3.8.3   Der EWSA stellt fest, dass der letzte Satz des dritten Absatzes im Widerspruch zum Verordnungstext steht und gestrichen werden sollte.

3.8.4   Im letzten Satz des fünften Absatzes wird in Ziffer 1.5.4 die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle erwähnt. Doch dem EWSA zufolge müssen auch die bereits bestehenden Beratungsstellen und Dienste berücksichtigt, die jeweiligen nationalen Verfahren und Organisationsformen respektiert und die Maßnahmen nur gemeinsam mit den KMU-Verbänden durchgeführt werden.

3.8.5   In Ziffer 2.1 über die Überwachung und Berichterstattung fordert der EWSA eine Halbzeitbewertung, um das COSME-Programm in der zweiten Phase anzupassen. Diese Bewertung muss rechtzeitig von einer externen, unabhängigen Einrichtung durchgeführt und dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt werden.

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 51-57.

(2)  Vgl. Fußnote 1.

(3)  Vgl. Fußnote 1.

(4)  Artikel 5 der Verordnung mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds.

(5)  Vgl. Fußnote 1.

(6)  Vgl. Fußnote 1.

(7)  Vgl. Fußnote 1.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/131


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Europäische Agenda für die Integration von Drittstaatsangehörigen“

COM(2011) 455 final

(2012/C 181/23)

Berichterstatter: Cristian PÎRVULESCU

Die Europäische Kommission beschloss am 20. Juli 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Europäische Agenda für die Integration von Drittstaatsangehörigen

COM(2011) 455 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 29. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 170 gegen 14 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Europäischen Kommission und betrachtet sie als wichtigen Schritt für das Verständnis und die Bewältigung der Herausforderungen, die mit der Integration von Drittstaatsangehörigen in den EU-Mitgliedstaaten verbunden sind.

1.2   In der Mitteilung werden die wichtigsten Interventionsbereiche abgesteckt sowie die Aufgaben und Zuständigkeiten bei der Konzipierung und Umsetzung der Integrationsagenda geklärt. Zu Recht wird der Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in der Mitteilung besonderes Gewicht beigemessen, doch bleibt unklar, mit welchen Anreizen eine stärkere Einbindung der Gebietskörperschaften in diesen Prozess erreicht werden soll. Der modulare Ansatz bei der Konzipierung der nationalen Maßnahmen birgt erhebliches Potenzial, ist aber auch mit Risiken verbunden.

1.3   Die Mitteilung enthält ein umfassendes und strukturiertes Konzept, allerdings werden die komplexen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen die europäischen Gesellschaften stehen, nicht ausreichend behandelt. Gegenwärtig sind die Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen wesentliche Triebkräfte der Integrationsagenda. Sie beeinflusst die Stimmung in der europäischen Öffentlichkeit und setzt die lokalen Behörden unter finanziellen Druck. Der Ausschuss schlägt deshalb vor, den Vorschlag mit Blick auf die aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erneut zu prüfen und zu ermitteln, mit welchen konkreten institutionellen und finanziellen Instrumenten die Integrationsziele umgesetzt werden können. Besondere Aufmerksamkeit sollte auch dem Aspekt der Kommunikation gewidmet werden. Bereits jetzt wird deutlich, dass durch die Wirtschaftskrise eher einwanderungsfeindliche Haltungen begünstigt werden. Die Europäische Kommission und die anderen EU-Institutionen müssen dringend gemeinsam weitreichende, kontinuierliche und wirkungsvolle Maßnahmen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit ergreifen, um Diskussionen und Haltungen, die sich gegen die Einwanderung richten und die in einigen europäischen Ländern bereits fast schon Teil des herrschenden politischen Diskurses sind, einzudämmen. Dies wirkt sich ganz direkt auf die Identität der EU als eines integrierten demokratischen Gemeinwesens aus.

1.4   Der Ausschuss stellt fest, dass nicht alle Drittstaatsangehörigen denselben Status haben, und schlägt vor, diese Tatsache in die Überlegungen und in die Konzipierung der Maßnahmen einzubeziehen. Zu den Einwanderern gehören Staatsangehörige von Beitrittsstaaten, Angehörige nichteuropäischer Staaten, die in der EU leben und arbeiten, und Drittstaatsangehörige, die auf dem Gebiet der EU internationalen Schutz genießen. Die Berücksichtigung dieser Vielfalt darf jedoch nicht dazu führen, dass es zu Mängeln bei der Politikgestaltung oder zu Diskriminierung kommt, und vor allem sollte sie nicht auf eine Harmonisierung der Integrationsstandards und –maßnahmen auf einem Mindestniveau hinauslaufen. Der Ausschuss ist auch der Überzeugung, dass EU-Bürger, die in anderen Mitgliedstaaten leben und arbeiten, in der umfassenden Integrationsagenda berücksichtigt werden müssen. Die Lage der Roma ist besonders besorgniserregend. Die Voraussetzungen für Einreise und Aufenthalt zugewanderter Saisonarbeitnehmer aus Drittstaaten werden gegenwärtig im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat diskutiert, der EWSA hat 2011 eine Stellungnahme zu diesem Thema vorgelegt (1). Die europäische Politik muss sich der schwierigen Frage der illegalen Einwanderer annehmen, die eine besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppe darstellen.

1.5   In der Mitteilung wird das Gewicht zu Recht auf die Partizipation von Drittstaatsangehörigen gelegt, doch leider wird nicht entschiedener vermittelt, wie wichtig diese ist, dass sie gefördert werden muss und welche konkreten Instrumente zu ihrer Unterstützung heranzuziehen sind. Besonders problematisch ist die Partizipation am staatsbürgerlichen und politischen Leben der nationalen und lokalen Gemeinschaften. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Artikulation von Interessen und die Fähigkeit, in Partnerschaft mit öffentlichen und privaten Institutionen kollektive Vorschläge zu formulieren, Voraussetzungen für eine wirkungsvolle, partizipative und erfolgreiche Integrationspolitik sind.

1.6   Der Ausschuss bestärkt die Europäische Kommission darin, einen Schwerpunkt auf die Integration zu legen – entweder in Form eines Europäischen Jahres oder als zentraler Aspekt eines der kommenden Jahre – und hofft, dass sie gemeinsam mit den anderen EU-Institutionen die Integrationsagenda weiter mit anderen wichtigen politischen Prioritäten verknüpfen wird, beispielsweise der Strategie Europa 2020 sowie der Strategie zur wirksamen Umsetzung der Grundrechte, die gegenwärtig einer Überprüfung unterzogen wird.

1.7   Der Ausschuss bekräftigt seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den anderen EU-Institutionen bei der Entwicklung grundlegender Maßnahmen und Programme für die Integration von Drittstaatsangehörigen. Zudem wird er entschieden darauf hinwirken, die europäische Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Integrationsagenda einzubeziehen und die Partizipation von Drittstaatsangehörigen an einem strukturierten Dialog auf europäischer Ebene zu fördern.

2.   Einleitung

2.1   Die Zusammenarbeit der EU bei der Integration von Drittstaatsangehörigen begann mit dem Programm von Tampere (1999). 2004 wurden die gemeinsamen Grundprinzipien für die Politik der Integration von Einwanderern auf EU-Ebene angenommen. Sie sollen den EU-Mitgliedstaaten Unterstützung bei der Konzipierung von Integrationsstrategien und der Bestimmung eines weitergefassten institutionellen Rahmens bieten, der verschiedene Akteure auf EU-Ebene sowie aus den Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen umfasst. Mit der Gemeinsamen Agenda für Integration der Kommission aus dem Jahr 2005, durch die die gemeinsamen Grundprinzipien umgesetzt werden sollten, wurden Fortschritte erzielt, ohne dass jedoch die beträchtlichen, noch offenen integrationspolitischen Aufgaben angegangen wurden. Die Integrationsziele der EU waren auch im Stockholmer Programm von 2009 und in der Strategie Europa 2020 enthalten, doch hat auch dies die Integrationspolitik nicht entscheidend vorangebracht.

2.2   Im Juli 2011 schlug die Kommission eine neue Europäische Agenda für die Integration von Drittstaatsangehörigen vor, deren Schwerpunkt auf einer breiteren und besseren Partizipation der Einwanderer und einer Stärkung der Maßnahmen auf lokaler Ebene lag. Mit dieser Agenda soll den Herkunftsländern auch die Möglichkeit geboten werden, sich stärker in die politische Planung einzubringen. Da die Flexibilität das wichtigste Prinzip bei der Politikgestaltung ist, entwickelt die Europäische Kommission ein europäisches Instrumentarium, das die Mitgliedstaaten je nach Bedarf und Prioritäten nutzen können. Zur Unterstützung der Integrationsagenda wurden auch gemeinsame Indikatoren bestimmt (2).

2.3   Bei der Erarbeitung der Integrationsagenda hat die EU folgende institutionelle Gremien und Instrumente für die Öffentlichkeitsarbeit herangezogen: das Netz der nationalen Kontaktstellen für Integration, das Europäische Integrationsforum, ein Forum für den Dialog aller Interessenträger, die im Bereich der Integration aktiv sind, die europäische Website für Integration, das wichtigste Forum für den direkten Austausch von Informationen sowie für die Dokumentation und die Erfassung von Daten im Internet, das Europäische Integrationshandbuch für politische Entscheidungsträger und Praktiker und den Europäischen Integrationsfonds, der die Mitgliedstaaten dabei unterstützt, Drittstaatsangehörigen die Integration in die europäische Gesellschaft zu ermöglichen. Am 18. November 2011 wurde das EU-Zuwanderungsportal freigeschaltet.

2.4   Die Aufnahme einer neuen Bestimmung in den Vertrag, nach der die EU die Bemühungen um die Integration der sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhaltenden Drittstaatsangehörigen fördert (Artikel 79 Absatz 4 AEUV), schafft eine solidere Grundlage für koordinierte Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten und bringt eine dauerhafte Verpflichtung der Europäischen Kommission und der anderen EU-Institutionen mit sich.

2.5   In dem zur Mitteilung gehörigen Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen werden einige wichtige Probleme bei der Integration von Drittstaatsangehörigen genannt: die niedrige Beschäftigungsquote der Migranten, besonders der Frauen, die zunehmende Arbeitslosigkeit und der hohe Anteil an überqualifizierten Einwanderern, das steigende Risiko der sozialen Ausgrenzung, der Bildungsrückstand sowie Bedenken der Öffentlichkeit wegen der mangelnden Integration von Migranten (3).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der EWSA begrüßt die Auffassung, dass Integration eine kollektive Aufgabe ist, und fordert die EU-Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, Integration zu einer Priorität zu machen. Dies ist ein Weg, um offene, inklusive und stabile demokratische Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene zu schaffen (4). Allerdings ist auf EU-Ebene noch einiges zu tun. Die EU-Institutionen bieten bereits einen Rahmen für Monitoring, Vergleich und Austausch bewährter Praktiken. Verschiedenen Bereichen ist jedoch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. So sollten die europäischen Finanzinstrumente besser auf die Umsetzung der Integrationsziele ausgerichtet werden. Auch sind die geltenden Rechtsvorschriften, vor allem die Regeln für die Arbeitsverfahren für Drittstaatsangehörige, gründlich zu prüfen.

3.2   Angesichts der verfügbaren Daten ist der EWSA der Auffassung, dass die Ziele der Integrationsagenda der EU eindeutiger umrissen werden sollten. Der EWSA spricht sich für ein System aus, bei dem die Mitgliedstaaten konkrete Integrationsziele festlegen und ihre Bürger und andere Länder laufend über deren Umsetzung informieren. Das übergeordnete Ziel eines wettbewerbsfähigen und inklusiven Europas kann nur dann erreicht werden, wenn die Drittstaatsangehörigen, die 4 % der EU-Bevölkerung (5) ausmachen, mit einbezogen werden.

3.3   Die Integrationsagenda ist sehr komplex und erfordert zu ihrer Umsetzung Anstrengungen auf allen Ebenen. Der EWSA befürwortet eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, dem Ausschuss der Regionen und den anderen EU-Institutionen, um die neue Integrationsagenda mit Leben zu erfüllen. Dass der Schwerpunkt auf die lokale Ebene gelegt wird, ist sehr begrüßenswert. Auch ist es wichtig, die Gestaltungs- und Entscheidungsmacht der Zivilgesellschaft und der Unternehmen, die auf lokaler Ebene aktiv sind, zu stärken. Die Migranten selbst sollten angeregt werden, eigene Netze und Verbände zu schaffen, die ihnen den Zugang zu Informationen, Finanzmitteln und Entscheidungsprozessen erleichtern.

3.4   Es muss ein europäisches Instrumentarium an Integrationspraktiken entwickelt werden, das dem Integrationshandbuch mehr Relevanz und institutionelles Gewicht verleiht. Über dieses Instrumentarium sowie die Möglichkeiten der Finanzierung von Projekten mit erheblicher Wirkung sollten angemessene Informationen bereitgestellt werden. Der EWSA hofft, dass dieses Instrumentarium angewandt wird, um die wichtigsten integrationspolitischen Aufgaben auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene anzugehen.

3.5   Außerdem sollte die Kohärenz der Integrationspolitik insgesamt durch das europäische Instrumentarium nicht untergraben werden. Der EWSA fordert die nationalen, regionalen und lokalen Behörden nachdrücklich auf, auf der Grundlage von Integrationsstrategien vorzugehen, die unter Einbeziehung aller Interessengruppen erstellt wurden. Er fordert die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission auf, die nationalen Kontaktstellen für Integration stärker zu befähigen, als Katalysatoren für die strategische Konzipierung der Integrationsmaßnahmen zu wirken.

3.6   Der EWSA begrüßt, dass Eurostat kürzlich eine Untersuchung zu den Integrationsindikatoren erstellt hat (6). Sie ist ein sehr wertvolles Instrument, das die bessere Überwachung der Auswirkungen von Maßnahmen und Programmen, die vergleichende Bewertung der Vorgehensweisen der Mitgliedstaaten sowie die Ausarbeitung einer besser fundierten Politik ermöglicht. Wie bereits erläutert, sind die Indikatoren nicht nur wichtig für die Überwachung und Bewertung, sondern auch um konkrete Ziele der Integrationsmaßnahmen und -programme festzulegen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Integration durch Partizipation

4.1.1   Der sozioökonomische Beitrag der Migranten

4.1.1.1   Der sozioökonomische Beitrag der Migranten ist ein Schlüsselelement der Integrationsagenda. Der EWSA fordert eine veränderte Einstellung gegenüber Migranten, die oft als potenzielle Belastung der Sozialsysteme oder als im Verhältnis zu den Bürgern der Mitgliedstaaten billige Arbeitskräfte gesehen werden. Der EWSA sieht die Einwanderer zunächst und vor allem als Menschen mit Grundrechten, die auch einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft, zur Wirtschaft und zur Kultur ihres Aufnahmelandes leisten. Der EWSA ist der Auffassung, dass Integration ein in beide Richtungen verlaufender Prozess ist, und bestärkt die Migranten darin, Interesse am gesellschaftlichen und kulturellen Miteinander mit den Gemeinschaften und Gesellschaften des Aufnahmelandes zu zeigen. Dies bedeutet jedoch vor allem, dass sie Sprachkenntnisse erwerben und am Bildungssystem des Aufnahmelandes teilnehmen. Die europäischen Gesellschaften und ihre Bürger wiederum müssen sich bewusst sein, dass unsere Gesellschaften mittel- und langfristig vor erheblichen demografischen Problemen stehen werden, die zum Teil mit Hilfe einer gesteuerten Einwanderung behoben werden können.

4.1.1.2   Obwohl der Erwerb von Sprachkenntnissen ein wichtiger Integrationsfaktor ist, führt die Kommission in ihrer Mitteilung nicht näher aus, welche konkreten Instrumente sie zur Umsetzung dieses Ziels anwenden will.

4.1.1.3   Die Teilhabe am Arbeitsmarkt ist ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg der Integration. In der Mitteilung wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Unterschiede im Beschäftigungsniveau zwischen Drittstaatsangehörigen und Unionsbürgern deutlich reduziert werden müssen, vor allem bei Frauen, die ganz besonders von diesem Problem betroffen sind. Allerdings spiegelt diese rein quantitative Maßnahme nicht die globalen Rahmenbedingungen der Beschäftigung wider. Die Anerkennung der bereits erworbenen Qualifikationen, Löhne und Ansprüche, einschließlich deren Übertragung, der Zugang zu Bildung und Beschäftigungssicherheit sind weitere, eng miteinander verknüpfte Fragen, die umfassend in die Integrationsagenda einbezogen werden müssen. Der Beschäftigung von Frauen muss mehr Gewicht beigemessen werden.

4.1.1.4   Der EWSA ist zutiefst besorgt über die direkten und indirekten Auswirkungen der europäischen Rechtsvorschriften über den Status von Arbeitsmigranten (7). Zwar wurden dank der Blue Card der EU, der Richtlinie über die kombinierte Aufenthaltserlaubnis und der Richtlinie über Saisonarbeitnehmer Fortschritte erzielt, doch ist auch zu befürchten, dass die Arbeitsrichtlinien Arbeitnehmer bzw. Migranten aus Gründen ihrer Herkunft und ihres Ausbildungsniveaus diskriminieren und die bestehenden Ungleichheiten verstärken (8). In den arbeitsrechtlichen Vorschriften der EU wird eine Unterscheidung zwischen hoch- und geringqualifizierten Arbeitnehmern vorgenommen und diesen jeweils ein unterschiedliches Maß an Rechten zuerkannt.

4.1.1.5   Der EWSA warnt vor einer Strategie, die die zirkuläre Migration fördert, ohne die erforderlichen Mittel dafür bereitzustellen, und so der illegalen Einwanderung Vorschub leisten und zu einem sehr geringen Niveau des Schutzes der Arbeitnehmer führen könnte. Eine solche Politik ist auch ethisch fragwürdig, da sie darauf abzielt, dass die Arbeitnehmer in ihr Herkunftsland zurückkehren, ohne dass sie ihre Rechte dorthin übertragen lassen oder während eines angemessen langen Zeitraums im Aufnahmeland arbeiten können.

4.1.1.6   Im Bildungssystem müssen stärkere Anstrengungen unternommen werden, um die Beteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Auch gilt es, gezieltere Bildungsbemühungen im Rahmen der frühkindlichen Erziehung zu unternehmen, damit die spätere Teilhabe am Bildungssystem verbessert wird. Die Mitteilung umfasst einige Beispiele für mögliche Maßnahmen wie Mentorprogramme, Kurse für Eltern und die Einstellung von Lehrern mit Migrationshintergrund. Der EWSA hält alle diese Maßnahmen für sinnvoll, fordert jedoch, sie entschlossener zu verbreiten und die in und an Bildungseinrichtungen angesiedelten Programme besser zu finanzieren.

4.1.1.7   Das Ziel, bessere Lebensbedingungen sicherzustellen, muss in der Integrationsagenda weiterhin Vorrang haben. In diesem Zusammenhang wird in der Mitteilung darauf hingewiesen, dass auf lokaler und nationaler Ebene besondere Anstrengungen für Menschen mit internationalem Schutzstatus unternommen werden müssen. Der EWSA erkennt die Bedürfnisse dieser konkreten Gruppe uneingeschränkt an, weist jedoch auch auf andere schutzbedürftige Gruppen hin. Er fordert die Europäische Kommission auf, den mehrfach schutzbedürftigen Gruppen besondere Aufmerksamkeit zu schenken und Priorität einzuräumen, beispielsweise den Roma-Frauen. Darüber hinaus verfügt die EU mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union über ein wirkungsvolles und zukunftsweisendes Instrument, das Richtschnur für die legislative Tätigkeit in Integrationsfragen sein muss.

4.1.1.8   Der EWSA bedauert, dass die Kommission die Situation der Roma nur sehr kurz abhandelt. Viele aus Drittstaaten stammende Angehörige dieser Gruppe leben unter sehr prekären Bedingungen in ihren jeweiligen Aufnahmestaaten und haben keinen Zugang zu Infrastruktureinrichtungen und grundlegenden Dienstleistungen. Der EWSA ist der Auffassung, dass zwar erhebliche rechtliche Unterschiede zwischen Drittstaatsangehörigen und Unionsbürgern bestehen, dass die Probleme der schutzbedürftigen Gruppen jedoch dieselben sind. Darüber hinaus müssen die Grundrechte eines jeden Menschen, unabhängig von seinem rechtlichen Status, geschützt werden.

4.1.1.9   Zur Umsetzung der Ziele der Integrationsagenda ist es nötig, die Finanzmittel der EU besser einzusetzen. Der EWSA stellt fest, dass die Finanzkrise die öffentlichen Ausgaben für Sozialprogramme unter erheblichen Druck gesetzt hat, und ist der Auffassung, dass sich wichtige Projekte, die zumindest eine solide Grundlage für bewährte Vorgehensweisen bilden können, mit EU-Mitteln entscheidend fördern lassen. Die Informationen über Finanzierungsmöglichkeiten müssen problemlos zugänglich sein, und die Finanzmittel müssen ausreichende Anreize bieten, um die lokalen Behörden und öffentlichen sowie privaten Institutionen zur Mitarbeit zu bewegen. Die verfügbaren Ressourcen sollten eingesetzt werden, um die Organisationen der Zivilgesellschaft zu ermutigen, sich zu vernetzen und an der Basis tätig zu werden, wobei der Schwerpunkt auf die Beteiligung der Migrantengemeinschaften gelegt werden sollte.

4.1.1.10   Die EU muss sich offen gegenüber den Netzen und Organisationen der Migranten auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zeigen. Die Bildung von Netzen und sozialem Kapital trägt zu einer Integration bei, die von der Basis ausgeht, und schafft ein Umfeld, in dem sich die Migranten stärker und besser befähigt fühlen, ihre Rechte und Fähigkeiten zum Tragen zu bringen. Die Netze und Organisationen sollten die Integration unterstützen und nicht zu Instrumenten einer verstärkten Segregation werden. Der EWSA ermuntert sie, partnerschaftliche Kontakte zu Netzen und Organisationen des Aufnahmelandes aufzubauen. Die EU sollte sich neuen Formen der Partizipation und Kooperation öffnen, die durch die Informationstechnologie und die stärkere Mobilität erleichtert werden.

Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, die arbeitsrechtlichen Vorschriften für Migranten zu überprüfen, die in ihrer gegenwärtigen Form Diskriminierung und Ungleichheit Vorschub leisten. Er empfiehlt der Kommission auch, ihre Bemühungen zur Förderung von Maßnahmen der Mitgliedstaaten zugunsten einer stärkeren und besseren Integration weiterzuverfolgen.

4.1.2   Rechte und Pflichten – Gleichbehandlung und Zugehörigkeitsgefühl

4.1.2.1   Der EWSA begrüßt, dass besonderes Gewicht auf die politische Partizipation der Migranten als Mandatsträger, Wähler oder Mitglieder von Beiräten gelegt wird. Dieser Aspekt stellt einen wichtigen Prüfstein für die europäische Demokratie dar. Nur wenn Migranten eine politische Stimme haben, können ihre mittel- und langfristige Integration gewährleistet und ihre Diskriminierung verhindert werden. Die politische Partizipation und institutionalisierte kollektive Maßnahmen können dazu beitragen, Migranten in politische Prozesse einzubinden. Dies beugt Entfremdung und Radikalisierung vor. Um die politische Partizipation zu unterstützen, müssen die geltenden Regeln für die Staatsangehörigkeit in jedem Land überprüft werden. Der EWSA spricht sich deshalb dafür aus, Drittstaatsangehörigen das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene zu geben. Dies ließe sich ermöglichen, indem den legalen Migranten die Unionsbürgerschaft verliehen wird. Die EU hätte so einmal mehr die Chance, zum Vorreiter für demokratische Innovationen zu werden und neue Formen der Partizipation und der Kooperation auszuprobieren.

4.2   Stärkeres Engagement auf lokaler Ebene

4.2.1   Es ist voll und ganz gerechtfertigt, das Gewicht auf die lokale Ebene zu legen, sind es doch die lokalen Behörden, die nicht nur bei der Erbringung von Dienstleistungen eine zentrale Rolle spielen, sondern auch die unmittelbaren Rahmenbedingungen für die Integration schaffen. Je nach Größe der lokalen Gemeinschaft können erfolgreiche Integrationsprojekte erhebliche Auswirkungen auf das Leben der Gemeinschaften und der Migranten haben. Wichtig ist, dass die lokalen Gebietskörperschaften und die privaten Institutionen über zuverlässige Informationen verfügen und Zugang zu europäischen und nationalen Mitteln haben.

4.2.2   Der EWSA räumt ein, dass städtische Gebiete, insbesondere größere, Probleme aufweisen. Sie ziehen eine beträchtliche Zahl von Migranten an, die sich oft in relativ isolierten Randvierteln niederlassen. Der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und zum Arbeitsmarkt ist nur ein Teil des Problems. Die Anforderungen an die städtebauliche Planung sind noch umfassender, denn diese muss den Zielen Nachhaltigkeit und Inklusion Rechnung tragen. Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, aktiv Projekte zu unterstützen, die die Integrationsagenda voranbringen, indem die wichtigen Aspekte Wohnraum und Städteplanung einbezogen werden.

4.2.3   Das Bottom-up-Konzept ist zwar sehr erfolgversprechend, doch muss es korrekt umgesetzt und mit angemessenen Mitteln ausgestattet werden. Besonders wichtig ist, dass die Kommission im Rahmen der nächsten Finanziellen Vorausschau ihrer Zusage gerecht wird, d.h. die Verfahren für die Finanzierung vereinfacht und lokalen Projekten angemessene Mittel bereitstellt (9). Eine bessere Koordinierung zwischen den verschiedenen Finanzierungsquellen, wie dem vorgeschlagenen Migrations- und Asylfonds, der die Bereiche Asyl, Integration und Rückführung von Migranten abdeckt, dem vorgeschlagenen Fonds für die innere Sicherheit, dem Europäischen Sozialfonds und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, kann von entscheidender Bedeutung für die Stärkung der lokalen Akteure sein.

4.3   Einbeziehung der Herkunftsländer

4.3.1   Die Einbeziehung der Herkunftsländer ist ein wesentlicher Schritt bei der Ausarbeitung einer umfassenden Integrationsagenda (10). Einige EU-Mitgliedstaaten haben bei der Herstellung von Kontakten zu den Herkunftsländern bereits bewährte Vorgehensweisen entwickelt. Allerdings sind zahlreiche Länder aus den verschiedensten Gründen nicht geneigt, in Migrationsfragen mit der EU zusammenzuarbeiten. Noch offensichtlicher sind die Beschränkungen (11), was Menschen betrifft, denen internationaler Schutz zusteht. Das ganzheitliche Konzept der EU in Migrationsfragen bietet einen geeigneten institutionellen Rahmen, um die Zusammenarbeit mit den Drittstaaten zu erleichtern und dringende Fragen der Mobilität zu lösen. Die Migration jedoch vor allem unter dem Blickwinkel ihrer Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt der EU zu betrachten, kann dazu führen, dass das Schutzniveau der Migranten sinkt und sie Diskriminierungen ausgesetzt werden.

4.3.2   Die EU sollte weiterhin mit den Herkunftsländern der Migranten zusammenarbeiten, um die Verfahren im Vorfeld ihres Aufbruchs zu erleichtern. In vielen Ländern ist die Emigration in die EU eine begehrte Perspektive und kann zur Begünstigung von Korruption führen. Die EU muss entschlossene Anstrengungen unternehmen, um mögliche Fehlentwicklungen einzudämmen, die dazu führen, dass die Kosten für künftige Migranten steigen und ihre Motivation zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer sinkt.

4.3.3   Der EWSA ist der Auffassung, dass der beste und nachhaltigste Beitrag zur Entwicklung der Herkunftsländer darin besteht, zweckmäßige arbeitsrechtliche Regelungen zu schaffen und die Migranten besser zu befähigen, transnationale Unternehmen zu gründen oder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren und ihre Kenntnisse und ihre Motivation dort einzusetzen. Der EWSA empfiehlt, bilateral Systeme für die Förderung junger Unternehmen und unternehmerischer Initiativen zu entwickeln, die sich an Migranten richten, die in ihre Länder zurückkehren. Herkunftsländer und Aufnahmeländer können gemeinsam Chancen für ihre Bürger, Unternehmen und Gemeinschaften schaffen. Es gibt Beispiele für die Zusammenarbeit, bei denen der Bedarf der Arbeitgeber mit den Qualifikationen der Migranten verknüpft wird.

4.3.4   Es ist legitim, die zirkuläre Migration zu fördern, sofern dies nicht durch Rechtsvorschriften erfolgt, die direkt oder indirekt die Rechte der Drittstaatsangehörigen beeinträchtigen (12).

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 97–100.

(2)  Eurostat Methodologies and Working Papers, Indicators of Immigrant Integration – A Pilot Study. Luxemburg, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2011.

(3)  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen: Europäische Integrationsagenda.

(4)  Zusammenfassung der Ängste im Hinblick auf Migration von EU-Bürgern und Drittstaatsangehörigen: siehe Ergebnisse der ersten Eurobarometer-Umfrage zur Integration von Migranten, MEMO/11/529, Brüssel, 20. Juli 2011.

(5)  Vollständige Zahlen siehe COM (2011) 291 final, Jahresbericht über Einwanderung und Asyl der Kommission (2010).

(6)  Eurostat, 2011, Indicators of Immigrant Integration. A Pilot Study.

(7)  ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 97–100 und ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 16–22.

(8)  Europäische Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte (AEDH), Foreign workers in the EU: moving towards multiple standards, founded on unequal treatment? – 17. Oktober 2011.

(9)  Siehe Mitteilung der Kommission COM(2011) 749 final „Ein offenes und sicheres Europa: Die Haushaltsmittel für den Bereich Inneres für 2014 - 2020“ sowie die entsprechenden Vorschläge für Verordnungen 750, 751, 752 und 753.

(10)  ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 91–102. Um die EU-Politik der Einwanderung und der Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern zur Unterstützung der Entwicklung ging es auch auf dem 6. Treffen des Europäischen Integrationsforums (http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.events-and-activities-european-integration-forum-6).

(11)  ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 80–84.

(12)  Siehe Fußnote 5.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgender abgelehnter Kompromissvorschlag erhielt mehr als ein Viertel der Stimmen (Artikel 51 Absatz 6 und Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

Kompromissvorschlag

Ziffer 4.1.2.1

Der EWSA begrüßt, dass besonderes Gewicht auf die politische Partizipation der Migranten als Mandatsträger, Wähler oder Mitglieder von Beiräten gelegt wird. Dieser Aspekt stellt einen wichtigen Prüfstein für die europäische Demokratie dar. Nur wenn Migranten eine politische Stimme haben, können ihre mittel- und langfristige Integration gewährleistet und ihre Diskriminierung verhindert werden. Die politische Partizipation und institutionalisierte kollektive Maßnahmen können dazu beitragen, Migranten in politische Prozesse einzubinden. Dies beugt Entfremdung und Radikalisierung vor. Um die politische Partizipation zu unterstützen, müssen die geltenden Regeln für die Staatsangehörigkeit politische Teilhabe in jedem Land überprüft werden. Der EWSA spricht sich schlägt deshalb dafür aus vor, Drittstaatsangehörigen das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler, und regionaler, nationaler und europäischer Ebene zu geben. Dies ließe sich ermöglichen, indem den legalen Migranten die Unionsbürgerschaft verliehen wird. Auch eine stärkere Teilhabe auf EU-Ebene sollte gefördert werden. Die EU hätte so einmal mehr die Chance, zum Vorreiter für demokratische Innovationen zu werden und neue Formen der Partizipation und der Kooperation auszuprobieren.

Abstimmung

Dafür

:

70

Dagegen

:

77

Enthaltungen

:

28


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/137


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger (2013)“

COM(2011) 489 final — 2011/0217 (COD)

(2012/C 181/24)

Berichterstatter: Andris GOBIŅŠ

Der Rat beschloss am 21. September 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 21 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger (2013)

COM(2011) 489 final — 2011/0217 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 29. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 137 gegen 3 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

„Die Zivilgesellschaft ist eine der Möglichkeiten, durch die unsere menschliche Natur in ihrer Gesamtheit zum Ausdruck kommt.“

(Václav Havel)

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Die Europäische Kommission plant, das Jahr 2013 zum Europäischen Jahr der Bürgerinnen und Bürger auszurufen (1). Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss weist darauf hin, dass die Bürgerinnen und Bürger für die Sicherung der Zukunft Europas und für die Integration in jeglicher Hinsicht eine zentrale Rolle spielen, und befürwortet mehrere Punkte des Vorschlags. Gemeinsam mit seinen Partnern hat der EWSA bereits umfassende vorbereitende Maßnahmen durchgeführt, um zum Erfolg dieses Jahres beizutragen, und diese Arbeiten werden gezielt fortgeführt.

1.2   Der EWSA bedauert, dass der von der Kommission erarbeitete Vorschlag zum Europäischen Themenjahr 2013 in seiner jetzigen Form als nicht ausreichend bezeichnet werden muss. Die Europäische Kommission geht darin weder auf die Aufforderung der Organisationen der Zivilgesellschaft ein, das Themenjahr der aktiven Unionsbürgerschaft zu widmen, noch auf die Anregung des Europäischen Parlaments, mit diesem Jahr insbesondere die neuen Rechte der Unionsbürger nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hervorzuheben. Der EWSA schlägt mehrere konkrete Ergänzungen und Änderungen vor, um das Themenjahr besser auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse abzustimmen und auf diese Weise zu gewährleisten, dass es zu einer echten Erfolgsgeschichte wird.

1.3   Einen besonderen Stellenwert müssen im Laufe dieses Europäischen Themenjahres die großen Herausforderungen der Zukunft für Europa und seine Bevölkerung einnehmen. Das geringe Vertrauen der Bürger in die Europäische Union, die Zweifel an den Möglichkeiten eigener Einflussnahme auf Entscheidungen der EU, die Apathie und die fehlende Einbindung in die Beschlussfassung untergraben die ideellen Fundamente der Europäischen Union, behindern die qualitative Beschlussfassung und hemmen die langfristige Entwicklung der EU.

1.4   Hauptziel des Europäischen Jahres müssen die Mitwirkung der Bürger und die aktive Bürgerbeteiligung sein. Die informierte, aktive und integrative Beteiligung der Bürger am europäischen Einigungsprozess sowie am politischen und gesellschaftlichen Leben muss durch das Themenjahr gefördert werden. Der EWSA schlägt vor, die rechtliche Grundlage des Themenjahres zu präzisieren und seinen Titel wie folgt zu formulieren: „Europäisches Jahr der aktiven und partizipativen Unionsbürgerschaft“.

1.5   Der EWSA erinnert daran, dass der Gedanke an die Mitwirkung der Bürger und ihre aktive Teilnahme am öffentlichen Leben auch die Stärkung der Demokratie und der Grundwerte der Europäischen Union, die Diskussion über die Wahrnehmung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Unionsbürger, die aus der Unionsbürgerschaft erwachsenden Pflichten und die Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls zur EU umfasst. Während des Themenjahres muss der Vielfalt der gesellschaftlichen Bedürfnisse sowie der Beseitigung von Diskriminierung und Ungleichheit besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, wobei Frauen, Menschen mit spezifischen Bedürfnissen und andere Bevölkerungsgruppen besonders im Mittelpunkt stehen sollten.

1.6   Die Verwaltungseinrichtungen auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene müssen die Umsetzung der erwähnten Ziele unverzüglich in Angriff nehmen. Dieser Prozess muss in allen Phasen der Entscheidungsfindung auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene im engen Dialog mit der Zivilgesellschaft erfolgen.

1.7   Der EWSA unterstützt die Mobilität als eines der – allerdings eher mittelbaren – Ziele des Themenjahres.

1.8   Die für das Themenjahr und die Teilnahme an ihm zur Verfügung gestellten Finanzmittel müssen überprüft werden. Die Finanzierung muss in angemessener Höhe erfolgen und stabil sein sowie der Bedeutung der anvisierten Ziele Rechnung tragen, denn ein Demokratiedefizit kann die Gesellschaft letztendlich teuer zu stehen kommen. Sollten die Mittel gekürzt werden (ca. 17 Mio. EUR für das Jahr 2010, aber nur etwa 1 Mio. EUR für 2013), können die wichtigen Herausforderungen nicht bewältigt werden.

1.9   Um die bewährte Praxis fortzuführen und einen weitestgehend offenen und gut koordinierten Arbeitsverlauf zu gewährleisten, haben Mitglieder europäischer Organisationen und Netzwerke in der Kontaktgruppe und andere Partnerorganisationen mit Unterstützung des EWSA eine Allianz zur Umsetzung dieses Themenjahres gegründet, die bereit ist, sich maßgeblich an der Durchführung dieses Jahres und an der Ausarbeitung zusätzlicher Empfehlungen zu beteiligen. Der EWSA bringt seine Entschlossenheit zum Ausdruck, ein breit angelegtes Programm für Beteiligung, Transparenz und Innovation zu konzipieren und umzusetzen, durch das der Gesellschaft und den EU-Institutionen die Vorteile einer Beteiligung der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden und das in einigen Punkten auch als Vorzeigeprojekt für andere dienen könnte.

2.   Hintergrund der Stellungnahme

2.1   Im Jahr 2013 jährt sich zum zwanzigsten Mal die Einführung der Unionsbürgerschaft durch den Vertrag von Maastricht. Durch den Vertrag von Lissabon (Art. 10 Abs. 3 und Art. 11 EUV) sind der Zivilgesellschaft neue Rechte übertragen worden. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang die Pflicht aller Organe und Einrichtungen der EU hervorzuheben, die demokratische Teilhabe sowohl der Bürger als auch der organisierten Zivilgesellschaft am Beschlussfassungsprozess zu fördern (2). Leider ist von diesen Rechten bisher in der Gesellschaft wenig zu spüren.

2.2   Die Europäische Kommission hat einer Forderung des Europäischen Parlaments teilweise entsprochen und vorgeschlagen, das Jahr 2013 zum „Europäischen Jahr der Bürgerinnen und Bürger“ auszurufen. In ihren Vorschlägen konzentriert sie sich jedoch auf bestimmte rechtliche Aspekte, die lediglich einen kleinen Teil des Bedeutungsspektrums der Unionsbürgerschaft abdecken. Die Unionsbürgerschaft ist eines der wirkungsvollsten Instrumente zur Herausbildung einer gemeinsamen Identität. Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit und die Wahrung der Menschenrechte bilden die grundlegenden Werte der Europäischen Union (Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union [EUV]) (3). Diesen Grundwerten kommt bei der Stärkung des demokratischen Prozesses, des unionsbürgerschaftlichen Selbstbewusstseins und des Zugehörigkeitsgefühls zur EU eine besondere Bedeutung zu, insbesondere in Krisenzeiten und in Zeiten möglicher Umbrüche. In dem vorliegenden Kommissionsvorschlag wird ihnen jedoch leider zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

2.3   Einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage zufolge behaupten nur 43 % der Befragten zu wissen, was es bedeutet, Unionsbürger zu sein, und lediglich 32 % sind der Ansicht, gut oder sehr gut über ihre Rechte als Bürger der EU informiert zu sein (4). Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament lag die Wahlbeteiligung im Jahr 2009 bei lediglich 43 % aller Stimmberechtigten (5) und damit deutlich unter der Wahlbeteiligung bei nationalen Parlamentswahlen (ca. 67 %) (6). Nur 30 % der Menschen in unserer Gesellschaft glauben, dass sie persönlich die Möglichkeit haben, die Prozesse in der EU zu beeinflussen, wobei dieser Wert weiter abnimmt (7). Auf die Frage von Eurobarometer, was seitens der EU in erster Linie getan werden müsse, um die Bürgerrechte besser zu garantieren, führten 37 % der Befragten 2009 den Ausbau des Dialogs zwischen den Unionsbürgern und den EU-Institutionen an (8). Der EWSA hat bereits in seinen überraschend aktuellen Stellungnahmen aus den Jahren 1992 und 1993 auf die Notwendigkeit der Bürgerbeteiligung, auf Legitimitätsprobleme, politische Bildung, Informationen, den Glauben an die eigenen Möglichkeiten, den Abbau des „Demokratiedefizits“ etc. hingewiesen (9).

2.4   Eine große Herausforderung für die Europäische Union besteht auch in der Unzulänglichkeit der EU-Normen, ihrer Nichteinhaltung sowie in der häufig kritisierten mangelnden Bereitschaft der EU-Institutionen zu einem echten Dialog. Eine spezielle Eurobarometer-Erhebung 2011 beispielsweise ergab, dass weniger als ein Drittel der Unionsbürger ganz oder teilweise mit der Wirkung, Dienstleistungsbereitschaft und Transparenz der EU-Verwaltung zufrieden sind. Die übrigen zeigen sich enttäuscht – vor allem über den Mangel an Transparenz – oder haben keine Meinung zu dieser Frage (10).

2.5   Diese Zahlen zeugen von der tiefen Kluft zwischen den Unionsbürgern und den EU-Verwaltungseinrichtungen sowie von der geringen Bürgerbeteiligung (11). Einige der Befragten zweifeln sogar an der Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidungen und kritisieren den großen Einfluss der Europäischen Kommission auf die von der Krise betroffenen Staaten. Die Folge ist in jedem Fall eine weniger effiziente, weniger einheitliche und weniger kraftvolle Europäische Union. Daher muss das Jahr 2013 als Europäisches Themenjahr genutzt werden, um diese Fragen auf die Tagesordnung zu setzen und gemeinsam mit der Bevölkerung spürbare Verbesserungen zu erzielen sowie über die künftige Entwicklung der Unionsbürgerschaft zu diskutieren.

3.   Allgemeine Bemerkungen

Leitgedanke und Bezeichnung des Europäischen Themenjahres

3.1   Der EWSA unterstützt den Vorschlag, die Unionsbürgerschaft zum Thema des Europäischen Jahres 2013 zu machen. Seines Erachtens muss dieses Jahr dazu genutzt werden, die EU-Politik auf die Werte, Interessen und Bedürfnisse der Bürger auszurichten. Das Themenjahr sollte demnach folgenden Zielen dienen: der informierten Teilhabe aller Unionsbürger am Beschlussfassungsprozess auf allen Entscheidungsebenen und in allen Phasen der Entscheidungsfindung, der aktiven Bürgerschaft insgesamt sowie dem europäischen Bewusstsein, dem Gefühl der Zugehörigkeit zu Europa sowie den europäischen Grundwerten – Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Solidarität und Wahrung der Menschenrechte.

3.2   Der EWSA schlägt vor, den Titel des Themenjahres wie folgt zu formulieren: „Europäisches Jahr der aktiven und partizipativen Unionsbürgerschaft“ (12).

3.3   Im aktuellen Vorschlag (13) wird der Freizügigkeit und den Rechten der Unionsbürger in grenzüberschreitenden Situationen unverhältnismäßig viel Platz eingeräumt. Der Anteil der mobilen Bürger ist nach wie vor gering, und in einigen Mitgliedstaaten wie Rumänien und Bulgarien wird die Mobilität sogar erheblich erschwert, obwohl auch diese Länder die Schengen-Kriterien erfüllen. Im Übrigen wurde das Jahr 2006 bereits zum Europäischen Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer ausgerufen.

3.4   In ihrem aktuellen Vorschlag reduziert die Kommission die Unionsbürgerschaft auf wenige rechtliche Aspekte, obwohl sie eine viel breitere Palette von Aspekten umfasst. Die Unionsbürgerschaft trägt auch eine politische, zivilgesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale (14) Dimension sowie weitere kulturelle und andere Aspekte in sich.

Rechtliche Aspekte des europäischen Themenjahres

3.5   Der EWSA unterstützt die im Kommissionsvorschlag enthaltene Anregung, den Dialog und Informationsaustausch zwischen den EU-Institutionen und den Unionsbürgern zu verbessern. Er ist indes der Ansicht, dass die partizipative Demokratie und die aktive Bürgerbeteiligung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden müssen. Die neuen, durch den Vertrag von Lissabon (15) eingeführten Rechte und Pflichten in diesem Bereich, von denen auch das Europäische Parlament gefordert hat, sie im Jahr 2013 stärker in den Blickpunkt zu rücken (16), müssen in ihrer ganzen Bandbreite durchgesetzt werden. Der offene und transparente Dialog zwischen den Bürgern und den Behörden aller Ebenen muss unverzüglich gewährleistet werden.

3.6   Nach Ansicht des EWSA sollte in dem Vorschlag auch klar und deutlich auf alle im Vertrag über die Europäische Union (EUV) und im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) enthaltenen Bestimmungen zur Demokratie und Mitbestimmung Bezug genommen werden, insbesondere auf Art. 11 EUV und Art. 15 AEUV, aber auch auf Art. 1, Art. 3 Abs. 2, Art. 6 und Art. 10 der Präambel des EUV (17).

In Art. 1 EUV heißt es im zweiten Abschnitt: „Dieser Vertrag stellt eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden“ (18).

3.7   Die Rechtsgrundlage für das Themenjahr muss erweitert werden, um einerseits die weiter oben anvisierten Ziele verwirklichen zu können und dabei ein Spiegelbild aller Aspekte der Unionsbürgerschaft zu zeichnen und andererseits die Handlungsfähigkeit und Entwicklung in allen Politikbereichen zu gewährleisten.

3.8   Der EWSA weist darauf hin, dass für die Beteiligung der Öffentlichkeit am Beschlussfassungsprozess der EU auch jeder Mitgliedstaat selbst verantwortlich ist, wie es beispielsweise in einem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts und in dem dort verwendeten Begriff „Integrationsverantwortung“ zum Ausdruck kommt (19).

3.9   In diesem Zusammenhang sei an den in Art. 9 EUV bekräftigten Grundsatz der Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger erinnert (20). Gleichzeitig fordert der EWSA dazu auf, im Rahmen des Europäischen Jahres 2013 den unter Diskriminierungen leidenden Bevölkerungsgruppen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Durch konkrete Maßnahmen muss gewährleistet werden, dass alle Bürger in gleicher Weise die Möglichkeit haben, ihre Mitbestimmungsrechte wie auch wirtschaftliche, soziale und andere Rechte zu wahren, und zwar unabhängig von Herkunft, Staatsangehörigkeit, Alter, besonderen Bedürfnissen, Gesundheitszustand, Vermögen, religiöser Überzeugung, Familienstand oder ähnlichen Merkmalen. Die Gleichstellung von Männern und Frauen muss in jeglicher Hinsicht gewährleistet sein (21). Besondere Aufmerksamkeit muss der Abkehr von radikalen und/oder undemokratischen Ideologien gewidmet werden.

3.10   Besonderen Nachdruck möchte der EWSA auch auf die externe Dimension der aktiven Unionsbürgerschaft legen, denn die Umsetzung dieses Themenjahres erfordert auch eine Zusammenarbeit mit den Nachbarn der EU. Der EWSA fordert die EU auf, ihre Grundsätze und Werte in den Außenbeziehungen konsequent zu vertreten (22), die Einbindung der Zivilgesellschaft in die Gestaltung der EU-Außenpolitik zu fördern und mit den Vorbereitungen für das Jahr 2015 zu beginnen, das nach einem Vorschlag des EWSA der Entwicklungszusammenarbeit gewidmet werden sollte.

Freizügigkeit

3.11   Der EWSA unterstützt den freien Personenverkehr als eine der mittelbaren Prioritäten (23) und die im Kommissionsvorschlag enthaltene Verpflichtung, die noch verbliebenen bekannten Hindernisse für die Freizügigkeit aus dem Weg zu räumen (24), damit alle Unionsbürger diese Rechte ohne jegliche Diskriminierung wahrnehmen können. Gleichzeitig fordert er dazu auf, konkreten und praktischen Maßnahmen, die auf lange Sicht positive Auswirkungen zeitigen sollten, die größte Aufmerksamkeit zu schenken. Zu diesen Maßnahmen gehören unter anderem die Schaffung oder der Ausbau von Förderprogrammen und -instrumenten, die Entwicklung und Umsetzung neuer Rechtsvorschriften sowie eine strengere Kontrolle und die Verfolgung von Verstößen gegen EU-Rechtsvorschriften.

3.12   Besonderes Augenmerk muss im Rahmen des Europäischen Jahres 2013 auch auf das Recht der Unionsbürger gelegt werden, während eines Aufenthalts in einem Drittstaat Hilfe seitens der diplomatischen und konsularischen Vertretungen anderer Mitgliedstaaten in Anspruch nehmen zu können.

3.13   Der EWSA weist darauf hin, dass die Mobilität der Menschen auch im Kontext des demografischen Wandels betrachtet werden muss, wobei man sich über ihre positiven Auswirkungen auf Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit im Klaren sein sollte. Sie fördert auch die Entwicklung sowie die Anwendung und Durchsetzung des EU-Rechts auf vielen Gebieten. Dazu gehören beispielsweise die Verbraucherrechte, der Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital, das Gesundheitswesen, Bildung, das Recht, aktiv oder passiv an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen, auch wenn man sich in einem anderen EU-Mitgliedsstaat aufhält, Sprachkenntnisse, interkulturelle und soziale Kompetenzen und andere soziale und wirtschaftliche Rechte und Garantien. Die Mobilität der Menschen trägt also auch das Potenzial in sich, den Bürgern die Vorteile des Binnenmarkts näher zu bringen und zur Verwirklichung der Wachstumsziele der Europa-2020-Strategie beizutragen.

Organisatorische Aspekte des Europäischen Themenjahres

3.14   Bei der Organisation des Europäischen Jahres 2013 muss den festgelegten Zielen und Werten Rechnung getragen werden. Der EWSA spricht sich für einen weitestgehend offenen Prozess der Planung und Durchführung des Europäischen Jahres 2013 aus, an dem auf allen Ebenen und in allen Phasen alle interessierten Kreise beteiligt sind, u.a. der Ausschuss der Regionen, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen einschließlich der Sozialpartner sowie nationale, regionale und lokale Behörden.

3.15   Der EWSA weist darauf hin, dass der Zusammenarbeit mit den Schulen und Hochschulen sowie ihren Aktivitäten besondere Aufmerksamkeit gebührt. Jeder Mitgliedstaat muss sich in diesem Zusammenhang seiner Aufgabe bewusst sein und entsprechende Lehrpläne für die Schulen und Hochschulen erstellen, die von der Europäischen Kommission gefördert werden können.

3.16   Zur Durchführung von Anhörungen der Zivilgesellschaft müssen eine konkrete Methode sowie ein Handbuch oder eine Sammlung bewährter Verfahrensweisen erarbeitet werden.

3.17   Zu diesem Zweck sollten die Möglichkeiten der modernen Technologie voll ausgeschöpft werden, darunter die sozialen Medien und andere Medienformen mit nutzerbestimmten Inhalten, unter anderem durch die Einrichtung von Konsultationsforen in den Internetportalen aller EU-Institutionen.

3.18   Daher fordert der EWSA eine transparente und wirksame Koordinierung des Europäischen Jahres 2013 auf allen Ebenen und unter allen Beteiligten, wobei die Möglichkeiten des Lenkungsausschusses vollständig ausgeschöpft und auf nationaler Ebene wirksame Mechanismen für den Erfahrungsaustausch geschaffen werden sollten.

3.19   Auf Grundlage früherer positiver Erfahrungen in vorangegangenen europäischen Themenjahren befürwortet der Ausschuss, dass Mitglieder europäischer Organisationen und Netzwerke in der Kontaktgruppe des EWSA eine groß angelegte und offene Allianz zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Durchführung dieses Themenjahres bilden, und bekundet seine Bereitschaft, mit dieser Allianz zu kooperieren. Seinerseits beabsichtigt der EWSA, eine Koordinierungsgruppe einzurichten, um die Durchführung des Themenjahrs zu begleiten und zu dessen Erfolg beizutragen. Zu diesem Zweck sollten auch die Allianz der Zivilgesellschaft und die Koordinierungsgruppe des EWSA eng zusammenarbeiten.

Der EWSA und seine Partner auf europäischer und nationaler Ebene können in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Beitrag leisten, indem sie die zivilgesellschaftlichen Partner, die die Mitverantwortung für die Durchführung des Themenjahres übernehmen können, ermitteln, einbinden und motivieren. Auf diese Weise können die einmaligen Erfahrungen des EWSA bei der Herausbildung eines zivilgesellschaftlichen Konsenses und in der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft weitergegeben werden.

3.20   Der EWSA fordert, konkrete Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen, um für eine Verknüpfung der verschiedenen Themenjahre und die Nachhaltigkeit der Ergebnisse dieses Jahres Sorge zu tragen. Insbesondere fordert er, die Themenjahre 2010 bis 2013 und auch die folgenden Europäischen Jahre (25), darunter auch das Jahr 2014, das nach einem Vorschlag des EWSA der Familie gewidmet sein sollte, inhaltlich miteinander zu verknüpfen.

3.21   Nicht nur Informationskampagnen sind hier erforderlich, sondern auch konkretes und praktisches Handeln sowie gemeinsam von den Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit erarbeitete Lösungen. Die in Artikel 3 des Kommissionsvorschlags empfohlenen Maßnahmen sollten mit Blick auf die vollständige Umsetzung von Art. 10 und 11 des Vertrags über die Europäischen Union als oberstes Ziel nach den Empfehlungen dieser Stellungnahme ausgewogen gestaltet und entsprechend abgeändert werden.

4.   Besondere Bemerkungen

Beteiligung der Öffentlichkeit und Rechtmäßigkeit der Entscheidungen

4.1   Der EWSA vertritt die Ansicht, dass der Kommissionsvorschlag in seiner jetzigen Form das Zugehörigkeitsgefühl zur EU nicht fördert. Durch diesen Vorschlag wird keine Grundlage geschaffen, um im Rahmen des Europäischen Jahres 2013 spürbare Ergebnisse zur Überbrückung der Kluft zwischen der Gesellschaft und den Entscheidungsträgern sowie auf dem Gebiet der Bürgerbeteiligung zu erzielen. Auch wird die Rechtmäßigkeit der EU-Institutionen nicht wesentlich gefördert. Der EWSA fordert, im Rahmen des Themenjahres ein neues Förderprogramm und einen entsprechenden Mechanismus zu schaffen sowie einschlägige Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet zu erarbeiten und umzusetzen.

4.2   Der EWSA weist insbesondere darauf hin, dass die Europäische Kommission konkrete Vorschläge machen und unter anderem Weißbücher über die vollständige Umsetzung von Art. 10 und 11 des Vertrags über die Europäische Union vorlegen muss. Die europäische Bürgerinitiative (Art. 11 Abs. 4 EUV) und die übrigen derzeit bereits eingeführten Mechanismen reichen nicht aus, um eine vollwertige Bürgerbeteiligung zu gewährleisten. Daher müssen die Diskussionen über mögliche Ergänzungen schon jetzt beginnen (26).

4.3   Darüber hinaus müssen die bestehenden Mechanismen für den Dialog und die Mitbestimmung optimiert, bewährte Verfahrensweisen gesammelt (27) und die Zusammenarbeit zwischen der europäischen Ebene und den nationalen Behörden, die für EU-Fragen zuständig sind (Regierungen, nationale Parlamente u.a.), sowie mit der Zivilgesellschaft verbessert werden, damit die Beschlussfassung weitestgehend offen und transparent vonstatten gehen kann.

4.4   Weiterhin fordert der EWSA die EU-Mitgliedstaaten auf, die Mechanismen zur Beteiligung der Öffentlichkeit auch auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene auszubauen, weite Teile der Bevölkerung in den Dialog mit einzubeziehen und konkrete Ergebnisindikatoren für die anvisierten Ziele festzulegen.

4.5   Auch auf europäischer Ebene muss ein gesellschaftlicher Gedankenaustausch gefördert werden. Unter anderem muss gewährleistet werden, dass jeder Bürger die Möglichkeit hat, die zur Diskussion stehenden Themen zu verstehen und zu wissen, wann und wie er sich an der Beschlussfassung beteiligen kann. Darüber hinaus sollten der Europäische Medienraum und seine Gestaltung (28) sowie die Bereiche Bildung (29) und Kultur gefördert und der Öffentlichkeit näher gebracht werden.

4.6   Der EWSA weist darauf hin, dass der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss in der Europäischen Union als Brücke zwischen den Institutionen der EU und der Zivilgesellschaft fungiert (30). In der Vorbereitung auf die Umsetzung des Europäischen Jahres 2013 bringt der EWSA seine Entschlossenheit zum Ausdruck, ein breit angelegtes Programm für Beteiligung, Transparenz und Innovation zu konzipieren und umzusetzen, durch das der Gesellschaft und den EU-Institutionen die Vorteile einer Beteiligung der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden und das in einigen Punkten auch als Vorzeigeprojekt für andere dienen könnte.

Frühere Stellungnahmen und Einschätzung des Themenjahres

4.7   Der EWSA ist in früheren Stellungnahmen eindringlich und konsequent für die in dieser Stellungnahme hervorgehobenen Werte und Ziele eingetreten, unter anderem für die Beteiligung der informierten Öffentlichkeit, die Vermittlung politischer Bildung sowie die Wahrung und Weiterentwicklung der Rechte aller Unionsbürger (31).

4.8   Der EWSA spricht sich dafür aus, die in seinen früheren Stellungnahmen beschriebenen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Mobilität in den Aktionsplan aufzunehmen und sie auch sonst auf jede Art zu unterstützen. Dazu gehören unter anderem: besondere Förderung der Mobilität von Jugendlichen und Förderung des Zugangs zur Mobilität im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung, besserer Zugang zum lebenslangen Lernen, Maßnahmen zur Überwindung von Hindernissen in Bezug auf die Bildungssysteme, auf unzureichende Sprachkenntnisse, Gesundheitsversorgung, soziale Sicherheit, Zugang zu Wohnraum und andere Aspekte (32). Der EWSA fordert dazu auf, auch die weniger angenehmen Aspekte im Bereich der Mobilität zu berücksichtigen, beispielsweise getrennte Familien, Gefahren für die Bewahrung der Kultur oder auch sozioökonomische Aspekte in den Herkunftsregionen der Menschen.

4.9   Begrüßenswert ist der Vorschlag, für jeden Mitgliedstaat ein Handbuch zu erarbeiten, das Auskunft darüber gibt, über welche Rechte die sich dort aufhaltenden Bürger anderer Mitgliedstaaten verfügen. Darüber hinaus müssen weitere leicht zugängliche Informationsquellen geschaffen werden (33). Alle in der Stellungnahme des EWSA über eine aktive europäische Bürgerschaft enthaltenen Punkte sind vorbehaltlos zu unterstützen (34).

4.10   Der EWSA befürwortet die geplante Folgemaßnahme zur Mitteilung über die Unionsbürgerschaft und die Ausarbeitung eines Aktionsplans zur Beseitigung der noch verbliebenen Hindernisse für die Ausübung von Unionsbürgerrechten. Seines Erachtens muss darin der Bürgerbeteiligung die höchste Priorität beigemessen werden. Das wird sich unter anderem positiv auf das Wissen der Bürger über die Wahlen zum Europaparlament und auf die Wahlbeteiligung an den Europawahlen im Frühjahr 2014 und darüber hinaus auswirken.

4.11   Der EWSA verweist auf die mangelnde Kohärenz in der Politik der Europäischen Kommission: Einerseits spiegelt sie den Wunsch wider, die Mobilität zu fördern, gleichzeitig jedoch sind für den kommenden Finanzplanungszeitraum beträchtliche Änderungen in dem Programm „Jugend in Aktion“ vorgesehen. Diese Änderungen können genau das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken und darüber hinaus auch das Zugehörigkeitsgefühl zur EU sowie das bürgerschaftliche und europäische Denken unter den Jugendlichen schwächen.

4.12   Der EWSA spricht sich für eine detaillierte Auswertung der Ergebnisse des Europäischen Jahres 2013 aus und fordert dazu auf, die im Rahmen dieses Themenjahres geäußerten Standpunkte der Bürger zusammenzufassen und auszuwerten. Diese Ergebnisse müssen bei der künftigen Gestaltung der EU-Politik, sofern sie den Bereich der Unionsbürgerschaft betrifft, berücksichtigt werden. Der EWSA wird seinerseits die Möglichkeit zur Erarbeitung einer entsprechenden Stellungnahme prüfen, die auch konkrete Indikatoren und Leitlinien für die künftige Arbeit enthalten würde.

Institutioneller Rahmen

4.13   Der EWSA fordert, die Möglichkeit zur Einrichtung einer besonderen interfraktionellen Arbeitsgruppe des Europäischen Parlaments zu prüfen, die die Zusammenarbeit der EU-Institutionen einschließlich des EWSA bei der Planung und Verwirklichung des Themenjahrs fördert.

4.14   Der EWSA fordert, im Zuge der Vorbereitungen des Europäischen Jahres 2013 die Dienststellen der Europäischen Kommission, die sich mit Fragen der Einbeziehung der Zivilgesellschaft und ihrer Förderung befassen, mit angemessenen Finanzmitteln auszustatten sowie ihre Tätigkeiten aufzuwerten und stärker zu koordinieren. Weiter müsste nach Auffassung des EWSA die Möglichkeit geprüft werden, der Förderung ehrenamtlicher Tätigkeiten besondere Aufmerksamkeit zu schenken und sie zu koordinieren.

4.15   Eine besondere Schwerpunktbildung auf solche Informationsquellen wie Europe Direct, das Internetportal „Ihr Europa“ oder SOLVIT ist aufgrund des mangelnden Bekanntheits- und Wirkungsgrades dieser Quellen bedenklich. Auch Europeana und EURES könnten dieser Liste hinzugefügt werden, doch können die EU-Institutionen hier nur eine flankierende Rolle spielen, während der Schwerpunkt auf der organisierten Zivilgesellschaft liegen muss. In jedem Fall müssen die Informationen auf die Zielgruppe, für die sie bestimmt sind, ausgerichtet sein, wobei die modernen und innovativen Kommunikationswege und die sozialen Medien genutzt werden sollten.

Finanzielle Aspekte

4.16   Der EWSA fordert, für die Belange des Europäischen Jahres 2013 in ausreichendem Maße Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Der zurzeit vorgesehene Betrag von 1 Mio. EUR reicht nicht aus, um ein derart wichtiges Ziel zu erreichen. Das Budget für das Europäische Jahr 2011 betrug einschließlich der Vorbereitungsarbeiten 2010 etwa 11 Mio. EUR (35), das Budget für das Europäische Jahr 2010 lag sogar bei 17 Mio. EUR (36). Hinzu kommt, dass Finanzmittel für das Europäische Jahr 2013 aus den Haushaltslinien und Programmen der GD Kommunikation kommen sollen – das ist jedoch alles andere als eine zusätzliche Finanzierung (37). Bei diesem Betrag ist leider auch keine Ko-Finanzierung für Initiativen seitens der Bürger und der zivilgesellschaftlichen Organisationen vorgesehen (38). Nach Ansicht des EWSA reichen die Mittel in Höhe von durchschnittlich 0,2 EUR pro Einwohner nicht aus, um die in dieser Stellungnahme geforderten Ergebnisse zu erzielen, obwohl nicht alle Maßnahmen und Initiativen umfangreiche Finanzierungen erfordern und besonderes Augenmerk in jedem Falle diejenigen Maßnahmen erfordern, für die keine Finanzmittel erforderlich sind.

4.17   Der EWSA spricht sich dafür aus, die Bestimmung „direkter Erwerb von Waren und Dienstleistungen auf Grundlage bestehender Rahmenverträge“ (39) zu streichen, denn sie bedeutet im Grunde genommen hohe Ausgaben für Initiativen, die von PR-Unternehmen durchgeführt werden, aber nicht nachhaltig sind, die sogar negative Folgen nach sich ziehen können oder aber aufgrund ihrer einheitlichen Form in vielen Mitgliedstaaten nicht sonderlich erfolgreich sind. Die Finanzierung sollte weitestgehend auf die zivilgesellschaftlichen Organisationen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene ausgerichtet sein, die bei der Umsetzung des Themenjahres an vorderster Front stehen müssen. Dies könnte unter anderem dadurch erreicht werden, dass die Mittel durch die Vertretungen der Europäischen Kommission in den einzelnen Mitgliedstaaten zugeteilt werden.

4.18   Die Ergebnisse des Europäischen Jahres 2013 und die gewonnenen Erkenntnisse müssen bei der Planung von Finanzierungsinstrumenten wie beispielsweise dem künftigen Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ berücksichtigt werden. Gleichzeitig muss dafür Sorge getragen werden, dass umfassend über Finanzierungsmöglichkeiten zur Förderung der Unionsbürgerschaft (40) informiert wird, ein angemessener Finanzierungsrahmen zur Verwirklichung dieses Ziels zur Verfügung steht und die operativen Zuschussprogramme für die Mitbestimmung oder den strukturierten Dialog in EU-Fragen auf nationaler oder europäischer Ebene wiederbelebt werden. Das wäre eine direkte Fortsetzung der bisherigen Programme, die darauf abzielten, die aktive Bürgerbeteiligung und ein demokratisches Zugehörigkeitsgefühl zur Europäischen Union zu fördern (41). Die Freiwilligentätigkeit sollte einbezogen werden, um die Ausgaben für die Ko-Finanzierung des Projekts zu decken.

4.19   Der EWSA ist der Ansicht, dass auch ein innovativer Ansatz bei der Planung, Verwaltung und Nutzung der Finanzmittel auf europäischer Ebene und auf anderen Ebenen erwogen werden sollte, unter anderem bei der Zuweisung von Haushaltsmitteln für die Bürgerbeteiligung im Rahmen des EU-Themenjahres.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  COM(2011) 489 final – 2011/0217 (COD).

(2)  ABl. C 83 vom 30.03.2010. In Art. 10 Abs. 3 EUV heißt es: „Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen. Die Entscheidungen werden so offen und bürgernah wie möglich getroffen.“ In Artikel 11 EUV heißt es weiter:

„1.

Die Organe geben den Bürgerinnen und Bürgern und den repräsentativen Verbänden in geeigneter Weise die Möglichkeit, ihre Ansichten in allen Bereichen des Handelns der Union öffentlich bekannt zu geben und auszutauschen.

2.

Die Organe pflegen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft.

3.

Um die Kohärenz und die Transparenz des Handelns der Union zu gewährleisten, führt die Europäische Kommission umfangreiche Anhörungen der Betroffenen durch.“

(3)  ABl. C 83 vom 30.03.2010.

(4)  Flash Eurobarometer 294, Veröffentlichung: Oktober 2010.

(5)  COM(2010) 605 final.

(6)  Eurostat: Wählerbeteiligung an nationalen und EU-Parlamentswahlen.

(7)  Standard Eurobarometer 75, Veröffentlichung: August 2011.

(8)  Vgl. Standard Eurobarometer 72, Herbst 2009, Vol. 2.2011 wurden folgende Punkte von den Befragten als vorrangig eingestuft: das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (48 %), eine gute Verwaltung durch die EU-Institutionen (33 %), die Möglichkeit, Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten einzureichen (32 %), der Zugang zu den Dokumenten der EU-Institutionen (21 %), die Teilnahme an den Europawahlen, wenn man in einem anderen Mitgliedstaat lebt (21 %), Petitionen an das Europäische Parlament (20 %) und die Anregung neuer Rechtsvorschriften durch die Bürgerinitiative (19 %). Vgl. Special Eurobarometer / Wave 75.1, Veröffentlichung: April 2011.

(9)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Mehr Demokratie für Europa und seine Institutionen; Verbesserte Informationen für die Bürger und die gesellschaftlichen Akteure; Rolle des Bürgerbeauftragten beim Europäischen Parlament“; ABl. C 352 vom 30.12.1993, S. 63.

(10)  Special Eurobarometer / Wave 75.1, Veröffentlichung: April 2011.

(11)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 163.

(12)  In den Staaten, in denen die Bürgerschaft traditionell bereits als aktive Bürgerschaft aufgefasst wird, könnte während des Themenjahres eine vereinfachte Bezeichnung verwendet werden.

(13)  COM(2011) 489 final – 2011/0217 (COD).

(14)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 74.

(15)  ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 59.

(16)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 (2009/2161(INI)).

(17)  ABl. C 83 vom 30.3.2010.

(18)  ABl. C 83 vom 30.3.2010.

(19)  BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009.

(20)  ABl. C 83 vom 30.03.2010.

(21)  Siehe z.B. die Stellungnahme REX/307, Berichterstatterin: Madi Sharma. Darüber hinaus zeigt die Eurobarometer-Erhebung 294 vom Oktober 2010, dass unter den Frauen, den Menschen, die einer körperlichen Arbeit nachgehen, und anderen Bevölkerungsgruppen das Bewusstsein für die Bedeutung der Unionsbürgerschaft verhältnismäßig schwach ausgeprägt ist.

(22)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 74.

(23)  ABl. C 228 vom 22.09.2009, S. 14.

(24)  COM(2010) 602 final.

(25)  ABl. C 224 vom 30.08.2008, S. 106, ABl. C 128 vom 18.05.2010, S. 149, ABl. C 51 vom 17.02.2011, S. 55.

(26)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 74.

(27)  Siehe auch Konferenz der INRO, CONF/PLE(2009)CODE1, 2009.

(28)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 163.

(29)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 29.

(30)  ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 59.

(31)  Vgl. beispielsweise die in diesem Dokument zitierten EWSA-Stellungnahmen.

(32)  ABl. C 228 vom 22.09.2009, S. 14.

(33)  European Citizenship – Cross-Border Mobility, Aggregate Report, Qualitative study – TNS Qual+, August 2010.

(34)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 29.

(35)  Europäisches Jahr der Freiwilligentätigkeit (2011).

(36)  ABl. C 51 vom 17.2.2011, S. 55.

(37)  COM(2011) 489 final – 2011/0217 (COD).

(38)  Kontaktgruppe des EWSA, „Unionsbürgerschaft beinhaltet mehr als nur Rechte! Offener Brief an die MdEP: Vorschlag der Kommission, das Jahr 2013 zum Jahr der Bürgerinnen und Bürger auszurufen“.

(39)  COM(2011) 489 final – 2011/0217 (COD).

(40)  COM(2010) 603 final.

(41)  Bericht über die Fortschritte auf dem Weg zu einer effektiven Unionsbürgerschaft 2007-2010, COM(2010) 602 final, Brüssel, 27.10.2010.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/143


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Wachstum und Beschäftigung unterstützen — eine Agenda für die Modernisierung von Europas Hochschulsystemen“

COM(2011) 567 final

(2012/C 181/25)

Berichterstatter: Joost VAN IERSEL

Mitberichterstatter: Juraj STERN

Die Europäische Kommission beschloss am 20. September 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Wachstum und Beschäftigung unterstützen – eine Agenda für die Modernisierung von Europas Hochschulsystemen

COM(2011) 567 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 29. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 100 gegen 1 Stimme bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Eine gut konzipierte Hochschulbildung ist entscheidend für die wirtschaftliche und geistige Zukunft Europas, da sie die Sozial- und Wirtschaftsleistung grundlegend stärkt, zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der kommenden Generation(en) beiträgt und die künftigen Werte der europäischen Gesellschaft grundlegend beeinflusst.

1.2   Der EWSA zeigt sich weitestgehend einverstanden mit der Einschätzung der Kommission sowie mit den in den kommenden Jahren umzusetzenden Empfehlungen der Kommission und des Rates (1), die zu einem großen Teil an die EWSA-Stellungnahme „Universitäten für Europa“ aus dem Jahr 2009 anknüpfen (2). Der EWSA betont, dass die Agenda der EU vervollständigt werden muss, und er erwartet mehr Ehrgeiz vonseiten des Rates.

1.3   Obwohl die Sensibilisierung weiter fortschreitet und die Standpunkte sich zusehends annähern, bleibt noch viel zu tun. Auf dem Papier erzielte Verbesserungen werden häufig nur zögerlich umgesetzt. Persönliche Interessen, (latenter) Protektionismus sowie die große Vielfalt und Zersplitterung, die die Hochschullandschaft trotz des Bologna-Prozesses nach wie vor kennzeichnen, stehen einer raschen Anpassung im Wege. Diese Frage reicht weit über den technischen Aspekt hinaus, umfasst diese Anpassung doch häufig die Überholung der bestehenden Strukturen sowie die Neubestimmung der Zuständigkeiten, Methoden, Programme und Schwerpunkte. Bei der Modernisierung muss auf diese Punkte fortwährend sowie genauer und eingehender als bisher geachtet werden.

1.4   Selbstverständlich ist eine fruchtbringende Hochschulvielfalt wünschenswert, mit klassischen Universitäten, die Lehre und Forschung vereinen, und anderen Hochschulformen wie höheren Berufsbildungseinrichtungen, vornehmlich regional – auch grenzübergreifend – ausgerichteten Lehrstätten und Einrichtungen, die nur eine begrenzte Fächerzahl anbieten. Allgemein notwendig sind eine intelligente Spezialisierung und unterschiedliche Profile. Der EWSA weist nachdrücklich darauf hin, dass es wirksame Synergieeffekte zwischen den verschiedenen Formen und auf allen Bildungsebenen flexible Bildungswege geben muss.

1.5   Die Europa-2020-Strategie muss sowohl inhaltlich als auch formal vollständig zum Tragen kommen. Die Kommission, der Rat, die Mitgliedstaaten und die Hochschulen sollten Zuständigkeiten gemeinsam wahrnehmen und wirksam miteinander abstimmen. Es bestehen Verknüpfungen zwischen der Hochschulbildung und den Europa-2020-Leitinitiativen (z.B. Innovationsunion, Industriepolitik, Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten und Jugend in Bewegung). Hochschulsysteme und -strategien sollten in den länderspezifischen Empfehlungen im Europäischen Semester berücksichtigt werden.

1.6   Autonomie (3), Rechenschaftspflicht und Transparenz der Einrichtungen sind Grundvoraussetzungen dafür, dass sie ihren Auftrag erfüllen und ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis bieten können. Sie sind zudem entscheidend, soll die Hochschulbildung einen zentralen Platz bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Vermittelbarkeit der Arbeitnehmer und der Innovation einnehmen. Durch die (nationalen) Agenden sollten eine professionellere Verwaltung, moderne Lehrpläne, Qualitätssicherung in Lehre und Forschung, Spezialisierung sowie internationale Attraktivität gewährleistet werden. Besonderer Beachtung bedarf der Unternehmergeist an Hochschulen.

1.7   Finanzmittel sind lebenswichtig. Unterfinanzierte Hochschulen und Haushaltszwänge, durch die die öffentlichen Finanzen noch stärker unter Druck geraten, sind beunruhigend und sowohl der Europa-2020-Strategie als auch der Stellung Europas in der Welt abträglich. Es sollte sichergestellt werden, dass die Hochschulen genügend Mittel erhalten, ganz gleich aus welchen Quellen. Diesbezüglich sollten bewährte Vorgehensweisen ausgetauscht werden.

1.8   Nach wie vor nehmen die Studierendenzahlen rasch zu. In allen Bereichen und auf allen Ebenen müssen Frauen und Männer gleichgestellt sein. Angesichts der wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Dynamik sind sowohl ungehinderter Zugang als auch zufriedenstellende Qualität erforderlich. Werden Studiengebühren auf nationaler Ebene eingeführt (oder angehoben), sollten flankierende Stipendien- und Darlehenprogramme durchgeführt und der Zugang zu diesen garantiert werden.

1.9   In technischen Fächern werden mehr Studierende sowie in Lehre und Forschung Beschäftigte benötigt; die technische Ausbildung muss attraktiver gemacht werden. Sozialpartner und Arbeitsmarktexperten müssen gut strukturierte Beiträge leisten. Unternehmen jeder Größe sollten in der Lage sein, wesentlich zu Lehrplänen und Bildungsveranstaltungen und zur Förderung des Unternehmergeistes beizutragen.

1.10   Universitäten und Unternehmen sollten unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit und ihrer Zuständigkeiten gemeinsame strategische Innovationspläne entwickeln. In der Regel befördert das Zusammenspiel von Hochschulen und Unternehmen die Forschung, den Wissenstransfer, den Erwerb von in anderen Bereichen einsetzbaren Qualifikationen sowie die Entwicklung von Ideen erheblich. Diesbezüglich sollten bewährte Vorgehensweisen ausgetauscht werden.

1.11   Es darf nicht unterschätzt werden, wie wichtig ein Rangfolge- und Qualitätsbewertungssystem im Interesse des Kosten-Nutzen-Verhältnisses und der internationalen Mobilität im Hochschulbereich ist. Der EWSA begrüßt die Einführung eines sorgfältig durchdachten „U-Multirank“-Rangfolgesystems. Zudem müssen Fortschritte bei der Erfassung der sonstigen Voraussetzungen für die Mobilität von Studierenden und Forschenden sowie bei der Internationalisierung erzielt werden.

1.12   Durch aufeinander abgestimmte Hochschulbildungssysteme werden die Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Mobilität Studierender und Forschender verbessert, was sowohl für die Leistungen der Einzelnen als auch für den europäischen Arbeitsmarkt und die europäische Integration vorteilhaft ist. Es sollte ein „Mobilitätssemester“ als Pilotprojekt im Rahmen des Erasmus-Programms stattfinden.

1.13   Der EWSA unterstützt die Verknüpfung der Modernisierungsagenda mit Horizont 2020, „Erasmus für alle“ und den Strukturfonds nachdrücklich.

2.   Einleitung

2.1   Bildung auf allen Ebenen ist von größter Bedeutung. Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips hat sich die Hochschulbildung in Europa auf nationaler Ebene entwickelt. Im Vertrag von Lissabon wird nur die berufliche Aus- und Weiterbildung als Bereich genannt, in dem die EU Fördermaßnahmen ergreift (4).

2.2   Die bahnbrechende Konferenz von Bologna im Jahr 1999 bewirkte die Einführung eines europaweiten Systems von Bachelor-, Master- und Doktorgraden. Die Vereinbarung von Bologna hat zur Vereinheitlichung der Hochschulsysteme in Europa beigetragen.

2.3   Unterdessen schuf die EU erfolgreiche internationale Programme für Studierende und Forschende, wie etwa Erasmus, Erasmus Mundus und die Marie-Curie-Maßnahmen, und förderte mit aufeinanderfolgenden Rahmenprogrammen systematisch grenzübergreifende Forschungsprojekte.

2.4   Innerhalb der Universitäten und zwischen ihnen dauert der Reformprozess an, und es gibt von unten nach oben gerichtete Initiativen, wie etwa Zusammenschlüsse gleichgesinnter Universitäten. Dazu zählen die Liga europäischer Forschungsuniversitäten, die Coimbra-Gruppe und weitere, die die Spezialisierung in verschiedenen Bereichen fördern, beispielsweise in der Forschung oder den Sozialwissenschaften.

2.5   Der EWSA schloss 2009: „Im derzeitigen nicht optimalen Hochschulwesen wird das große Potenzial der Hochschulen nicht genügend ausgeschöpft“ (5). Diese Ansicht vertritt auch die Kommission in ihrer Modernisierungsagenda (6). Nach Meinung des Rates ist die Qualität der Ausbildung und der Forschung die Haupttriebfeder der Modernisierung, und „die Stärkung des Wissensdreiecks zwischen Bildung, Forschung und Innovation ist eine Prämisse für [die] Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum“ (7).

2.6   Die Hochschulbildung muss in einer überaus vielfältigen Landschaft und in sehr unterschiedlichen nationalen und regionalen sozioökonomischen Zusammenhängen auf den neuesten Stand gebracht werden. Klassische Universitäten und andere Bildungseinrichtungen haben einen besonderen Auftrag. Die klassische Universität verbindet per Definition die Aus- und Weiterbildung mit der Forschung.

2.7   Mit Blick auf eine nachhaltige soziale und wirtschaftliche Erholung sind entschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität der Hochschulbildung unabdingbar.

2.8   In dem Arbeitspapier zu der Mitteilung (8) finden sich nicht nur viele Analysen wünschenswerter Reformen, sondern auch eine Zusammenfassung der Modernisierungsanstrengungen in den Mitgliedstaaten. Es müssen jedoch noch erhebliche Ungleichheiten in wesentlichen Gebieten beseitigt werden, und zwar Unterschiede

im Bereich der volkswirtschaftlichen Produktivität in den einzelnen Staaten (Anteil an Hochschulabschlüssen und Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung),

bei den Qualifikationen (mit Blick auf die Vermittelbarkeit),

hinsichtlich des vereinbarten Anteils von 40 % Hochschulabsolventen, auch wenn die Zahl der Hochschulstudierenden in ganz Europa derzeit erheblich zunimmt,

bei der Höhe der Investitionen in die Hochschulbildung, der Art der Finanzierung, der Entwicklung öffentlich und privat finanzierter Hochschulbildung,

in puncto finanzieller und institutioneller Autonomie und Rechenschaftspflicht, die trotz der „weit verbreiteten und tiefgreifenden Reform der Hochschulpolitik“ weiterhin bestehen.

2.9   In ihrer Gesamtanalyse weist die Kommission auch auf Veränderungen hin, insbesondere die Entwicklung des Wissensdreiecks in ganz Europa, die Intensivierung der Beziehungen zwischen Universitäten und Wirtschaftskreisen, die Fokussierung auf höchst wissensintensive Tätigkeitsbereiche, wie etwa Forschung und Entwicklung, Vermarktung und Verkauf, Wertschöpfungskettenmanagement und Finanzdienstleistungen, Dienstleistungen im Allgemeinen, IKT, unterrepräsentierte Gesellschaftsgruppen, das sich verschiebende Geschlechtergleichgewicht (Frauen stellen EU-weit mehr als die Hälfte der Bachelor- und Masterstudierenden, während bei den Doktoranden eine Tendenz in die Gegenrichtung besteht) und die beeindruckende grenzüberschreitende Lernmobilität in Europa und weltweit.

2.10   Der EWSA spricht sich dafür aus, die bestehenden Länderberichte, -analysen und –empfehlungen entsprechend der in den Fortschrittsberichten zum Bologna-Prozess angewandten länderspezifischen Systematik und den detaillierten OECD-Studien zu Hochschulbildung und Qualitätsmanagement zu vertiefen. Aus länderspezifischen Ansätzen lassen sich bewährte Verfahren gewinnen.

2.11   Der EWSA stellt fest, dass in der vorwiegend allgemein gehaltenen Analyse bestimmte wichtige Themen nicht angeschnitten werden. Hier sind zu nennen: Eingriffe staatlicher und regionaler Politik in die Hochschulbildung, die Art, in der sich die notwendige Förderung von Teilhabe und Qualität in den Mitgliedstaaten äußert, das Vorgehen der Behörden hinsichtlich der besonderen Anforderungen an Professoren, Lehrende, Forschende und Studierende, das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Ebenen der Hochschulbildung in den Mitgliedstaaten, die Entwicklung eines gemeinsamen Nenners für Lehre und Forschung an Universitäten und nicht zuletzt verlässliche statistische Belege.

2.12   Kommission und Rat legen großen Nachdruck auf das Verhältnis zwischen Hochschulen und Wirtschaft. Auf Gesundheits-, Sozial- und Geisteswissenschaften gehen sie nicht gesondert ein. Dies ist angesichts der insbesondere in Krisenzeiten erforderlichen Schwerpunktsetzung verständlich. Andererseits wäre es, da bei jeder Ausbildung ein optimales Verhältnis zwischen Ausbildung und Arbeit angestrebt wird, höchst wünschenswert, auch zu erörtern, wie Fakultäten oder Hochschulen, die keine engen Beziehungen zur Wirtschaft unterhalten, so wichtig diese auch sein mögen, mit der Modernisierung umgehen sollten.

2.13   Eine Zusammenarbeit zwischen der Industrie und den Gesundheitswissenschaften ist geboten, da neue kostengünstige Diagnose- und Therapiemethoden teure, kapitalintensive praktische Schulungen, hochwertige Ausbildungen und lebenslanges Lernen erforderlich machen. Dies wird geringere Sterblichkeits- und Invaliditätsquoten befördern.

3.   Europa 2020 und die Hochschulen

3.1   Im Jahr 2009 bezeichnete der EWSA die Lissabon-Strategie und die europäischen Hochschulen als die Haupttriebfedern für die Modernisierung. In ähnlicher Weise und zu Recht setzt die Kommission die Hochschulen in Beziehung zu den Zielen der Europa-2020-Strategie.

3.2   Eine der wesentlichen Neuerungen der Europa-2020-Strategie betrifft die Steuerung (Governance): Die Abstimmung innerhalb der Kommission und zwischen den Mitgliedstaaten und der EU soll auch in nicht oder nur teilweise vom Vertrag abgedeckten Bereichen verbessert werden.

3.3   Von großer Bedeutung für die Hochschulbildung sind die Leitinitiativen, vor allem Industriepolitik, Innovationsunion, Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie Jugend in Bewegung.

3.4   Zur Unterstützung der nötigen Hochschulreformen sollte die Kommission ihre Überwachungsaktivitäten verstärken, dazu zählen länderspezifische Empfehlungen im Europäischen Semester.

3.5   Die Agenda für die Modernisierung der Hochschulen muss vollständig von der Europa-2020-Strategie abgedeckt werden. Der EWSA befürwortet die zentrale Stellung der Bildung in der Europa-2020-Strategie und den Bezug auf Europa 2020 in der strategischen Planung der Kommission.

3.6   Nach Ansicht des EWSA sind folgende Punkte zentral für die Verknüpfung zwischen Europa 2020 und der Hochschulbildung:

Europa 2020 verbindet Hochschulbildung mit Innovation, Industriepolitik und Mobilität.

Es schafft eine zusätzliche Grundlage für Meinungsaustausch und Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten, zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten sowie zwischen den Bildungseinrichtungen.

Es setzt neue Modernisierungsimpulse auf nationaler Ebene.

Die Entwicklungen im Hochschulbereich müssen jährlich in den länderspezifischen Empfehlungen im Europäischen Semester berücksichtigt werden.

Durch Europa 2020 entstehen neue Kooperationsforen, und fruchttragende grenzübergreifende Netze werden gestärkt.

Aufgrund der Verknüpfung mit Industriepolitik und Innovation werden eingehendere Konsultationen mit dem privaten Sektor notwendig. Konsultationen mit kleinen, mittleren und Kleinstunternehmen bleiben unterbewertet. Der EWSA betont, dass die Hochschulen, die Mitgliedstaaten und die Kommission sich tatsächlich für die Nutzung der praktischen Erfahrung dieser Unternehmen bei der Gestaltung von Programmen und Lehrplänen einsetzen müssen.

3.7   Die Kommission unterscheidet zentrale Themen, in denen die Mitgliedstaaten (und die Hochschulen) tätig werden sollen, und spezielle EU-Themen. Der EWSA hingegen zieht es vor, von einer gemeinsamen Verantwortung der Mitgliedstaaten und der Kommission für die Europa-2020-Strategie zu sprechen.

4.   Aufgaben für die Mitgliedstaaten, den Rat und die Hochschulen

4.1   Die Ermittlung der zentralen Themen in den Mitgliedstaaten sollte zu gezielten Maßnahmen führen. Hier ist mehr Elan geboten. Der Rat sollte auf der Grundlage der Kommissionsvorschläge Schwerpunkte setzen, deren Umsetzung auf nationaler Ebene anschließend von der Kommission überwacht wird.

4.2   Besonderes Augenmerk sollte auf „flexiblere Steuerungs- und Finanzierungssysteme mit einem ausgewogeneren Verhältnis zwischen größerer Autonomie für die Bildungseinrichtungen und der Rechenschaftspflicht gegenüber allen Interessenträgern“ gelegt werden, die Spezialisierung, Lehr- und Forschungsleistungen sowie Diversifizierung fördern (9).

4.3   Wie der EWSA 2009 ausführte, sind ein angemessener Rahmen und Autonomie von herausragender Bedeutung (10). Zwar tragen die Mitgliedstaaten die zentrale Verantwortung für die Organisierung und damit auch für Autonomie und Finanzierung, doch ist der EWSA der Auffassung, dass diese Aspekte unbedingt unter den Mitgliedstaaten und im Rat diskutiert werden müssen, haben sie doch maßgeblichen Einfluss auf die Ergebnisse für Lehrende und Studierende.

4.4   Der EWSA erklärt sich mit den im Kasten unter Punkt 2.5 der Modernisierungsagenda aufgeführten zentralen strategischen Aspekten für Mitgliedstaaten und Hochschulen einverstanden. Die dort vorgegebenen Ziele erfordern weit mehr als nur technische Anpassungen. Sie beziehen sich in starkem Maße auf nationale politische Rahmenbedingungen. Zunächst sollten die Staaten in die Pflicht genommen werden, nicht die Hochschulen. Politische Wirkungsbeständigkeit sowie mit allen Interessengruppen abzustimmende Rechts- und Verwaltungsvorschriften sind von grundlegender Bedeutung.

4.5   Staaten und Institutionen sollten auch dazu angeregt werden, die Vorzüge größerer Autonomie im internationalen Maßstab zu vergleichen.

4.6   Im Gegensatz zu den bisherigen Gepflogenheiten, etwa der erfolgreichen „Vermassung“ der Hochschulbildung (11), muss das Hauptaugenmerk im Einklang mit der aktuellen Hochschuldebatte fürderhin auf die intelligente Spezialisierung, strategische Vielfalt und den Aufbau von Spitzenforschungszentren gerichtet werden. Wegweisend können hier Erfolgsbeispiele aus den Mitgliedstaaten sein.

4.7   Der EWSA räumt ein, dass diese Zielvorgaben weitreichende Änderungen der Bildungsphilosophien in den Mitgliedstaaten nach sich ziehen könnten. Dies ist im Rat zu erörtern, mitsamt Fahr- und Terminplänen.

4.8   In der aktuellen Wirtschaftskrise besteht augenscheinlich ein Zusammenhang zwischen der Modernisierung der Bildung und der Wirtschaft. Doch sollte der Prozess breiter angelegt sein. Der EWSA weist darauf hin, dass auch die für Geistesleben, Werte und Identität Europas wichtigen Sozial- und Geisteswissenschaften in Bezug auf Professionalisierung, Lehrpläne, akademische Grade und Mobilität auf den neuesten Stand gebracht werden müssen. Überdies profitiert auch die Wirtschaft von funktionstüchtigen Gesundheits-, Sozial- und Geisteswissenschaften.

4.9   Der EWSA unterstützt intensivere Beziehungen zwischen Hochschulen und Unternehmen. Er teilt die Auffassung, dass enge, wirksame Verknüpfungen zwischen Bildung, Forschung und Wirtschaft in Kombination mit der Hinwendung zu „offenen Innovationen“ für das Wissensdreieck von zentraler Bedeutung sind.

4.10   Dementsprechend begrüßt der EWSA Partnerschaften von Einrichtungen, die direkte oder indirekte Beziehungen zur Wirtschaft haben, mit verschiedenen Arten von Unternehmen als „Kernaufgabe von Hochschulen“ (12). Ein Schwerpunkt sollte auf Unternehmergeist, Kreativität und Innovativität der Studierenden sowie auf interaktive Lernumgebungen und Infrastrukturen für den Wissenstransfer gelegt werden. Zudem ist es nötig, dem Unternehmergeist an Hochschulen aufgeschlossen gegenüberzustehen.

4.11   Studierenden muss der unkomplizierte Wechsel von einer Bildungseinrichtungsart zu einer anderen möglich gemacht werden. Dazu zählen auch flexible Wege von der postsekundären beruflichen Aus- und Weiterbildung hin zur Hochschulbildung zur Verbesserung ihrer Qualifikationen (13). Unter solchen Bedingungen wird lebenslanges Lernen wesentlich erleichtert.

4.12   Besondere Aufmerksamkeit gebührt der Regionalentwicklung. In vielen Regionen, insbesondere in städtischen Ballungsräumen, ist die Verflechtung von Hochschulbildung, Arbeitsmarkt, Forschung, Innovation und Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Hier schreitet die Entwicklung transnationaler und sogar globaler Spezialisierungen immer weiter voran. Die systematische Einbindung der Hochschulen ist gemeinhin förderlich für die lokale und regionale Entwicklung und stärkt die wirtschaftliche Widerstandskraft. Staatliche Behörden müssen dazu bewegt werden, Anreize für derlei regionale Prozesse zu setzen (14).

4.13   Der EWSA betont die Bedeutung der grenzübergreifenden regionalen Zusammenarbeit in der Hochschulbildung. Über EVTZ können Nachbarregionen sowie Regionen mit vergleichbaren Wirtschaftsmustern unterstützt werden (15).

4.14   Ein grundlegendes Thema ist die Finanzierung. Die Krise wirkt sich auch auf die öffentliche Finanzierung der Hochschulen aus, die im Mittel strukturell unterfinanziert zu bleiben drohen. Insgesamt werden in der EU 1,2 % des BIP für die Hochschulbildung ausgegeben, während es in den USA 2,9 und in Japan 1,5 % des BIP sind. Zudem fließen private Mittel im Vergleich mit den USA und Japan nur spärlich. Demgegenüber sind in den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) wesentliche Fortschritte festzustellen. Der EWSA stellt fest, dass das einstige Ziel der EU, 2 % des BIP für die Hochschulen aufzuwenden, nicht in die Europa-2020-Strategie aufgenommen wurde.

4.15   Die benötigten Finanzmittel und Zielvorgaben wie hochwertige Studienabschlüsse, Professionalisierung der Verwaltung und ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis sollten zur Unterstützung der Europa-2020-Strategie beitragen.

4.16   Es bestehen mannigfaltige Finanzierungsarten in den Mitgliedstaaten. Dabei sind einige Länder wesentlich besser gestellt als andere. Angesichts der Wechselwirkung zwischen dem „Produktionsergebnis“ der Hochschulen und dem Arbeitsmarkt muss unbedingt eine angemessene Finanzierung sichergestellt werden. Dazu müssen mehr Finanzquellen erschlossen und etwa öffentliche Mittel zur Mobilisierung privater und anderer öffentlicher Investitionen (Ergänzungsfinanzierung) genutzt werden.

4.17   Eine strukturell gute Beziehung zwischen qualifizierten Bildungseinrichtungen und der Wirtschaft ist sicherlich hilfreich, um eine Abwärtsbewegung abzufedern. Die Hochschulen sollten von Unternehmensinnovationen profitieren. Finanzierung durch Unternehmen oder private Geldgeber sollte sich jedoch keinesfalls in ungerechtfertigter Einflussnahme auf Lehrpläne oder Grundlagenforschung niederschlagen.

4.18   Universitäten und Unternehmen sollten ihre Unabhängigkeit und Zuständigkeiten wahren, aber zugleich gemeinsame strategische Innovationspläne entwickeln. Durch Wissensallianzen können Kontakte zwischen Hochschulen und Wirtschaft intensiviert werden. Überaus hilfreich kann hier die von der EU geplante Europäische Innovationsplattform sein, die auch Schlüsseltechnologien umfasst.

4.19   In der Regel befördern das Zusammenspiel und der Austausch von Hochschulen und Unternehmen die Forschung, den Wissenstransfer, den Erwerb von in anderen Bereichen einsetzbaren Qualifikationen sowie die Entwicklung von Ideen erheblich. Diesbezüglich sollten bewährte Vorgehensweisen ausgetauscht werden.

4.20   Da Studiengebühren ausschließlich in nationaler Zuständigkeit liegen, wird in der Modernisierungsagenda zu ihnen nicht Stellung genommen. In ganz Europa gibt es verschiedene Gebührensysteme, und allgemein lässt sich ein allmählicher Anstieg der jährlichen Studiengebühren, die umstritten sind, feststellen.

4.21   Der EWSA weist darauf hin, dass sich die Dilemmata verdichten: Während die Zahl der Studierenden zunimmt, die Qualität verbessert und der Lehrstoff im Interesse der Vermittelbarkeit anspruchsvoller werden muss, stagniert die öffentliche Finanzierung in den Mitgliedstaaten, oder sie nimmt sogar ab. Dies ist ein enormes Problem. Werden Studiengebühren auf nationaler Ebene eingeführt (oder angehoben), sollten diese nach Ansicht des EWSA stets von Stipendien- und Darlehenprogrammen flankiert und der Zugang zu diesen ausdrücklich garantiert werden.

4.22   Der Anteil der Studienabbrecher ist zu hoch, und Hochschulbildung muss für breitere Gesellschaftsschichten attraktiv werden. Insbesondere das soziale und kulturelle Umfeld in Ländern, die im Rückstand sind, bedarf der Verbesserung.

4.23   Höhere Zahlen allein reichen jedoch als Kriterium nicht aus. Im Vordergrund sollten objektiv messbare Qualitätsmerkmale stehen, nicht die Zahl der Abschlüsse.

4.24   Bei den Qualifikationen sollten einige Grundsätze gelten:

Mit Blick auf die Vermittelbarkeit sollten Konsultationen mit sozialen Akteuren und Arbeitsmarktexperten stattfinden.

Konsultationen mit Unternehmen sind unabdingbar, dabei sollten neben Groß- auch Klein- und Kleinstunternehmen ständig konsultiert werden, was in Anbetracht der fortschreitenden Fragmentierung und Auslagerung industrieller Verfahren umso wichtiger ist.

Aufgrund der Dynamik des Arbeitsmarktes benötigte Qualifikationen müssen in dualen Studiengängen erworben werden können. Voraussetzungen dafür sind auch das Engagement von und Partnerschaften mit Unternehmen.

Interdisziplinäre und fächerübergreifende Kompetenzen sollten ausgebaut werden.

Qualifikationen sollten die intelligente Spezialisierung unterstützen, durch die die (internationale) Attraktivität erhöht oder regionales Spezialwissen gefördert wird.

Ungeachtet der vielfältigen Hochschullandschaft sollten Abschlüsse so geregelt werden, dass europaweit (und weltweit) Austausch und beruflicher Werdegang erleichtert werden.

4.25   Der EWSA befürwortet entschieden die Vorschläge, die sich in der Mitteilung zu Qualifikationen, zur Qualitätssicherung und zum Zusammenhang zwischen hochwertiger Bildung und Forschenden finden. Er teilt auch die Ansicht, dass die Modernisierung der Hochschulbildung von der Kompetenz und Kreativität der Lehrenden und Forschenden abhängt (16), was oft übersehen wird. In diesem Zusammenhang sollten alle Verwaltungshürden, die akademische Karrieren behindern – etwa zusätzliche akademische Grade, wie sie in manchen Ländern (darunter in Polen) existieren, abgeschafft werden.

4.26   Angesichts der rasant gestiegenen Studierendenzahlen ist der Mangel an fähigen Lehrenden besorgniserregend. Voraussetzungen für hochwertige Lehre und Forschung sind angemessene Arbeitsbedingungen, attraktive Hochschullaufbahnen und berufliche Weiterentwicklung sowie Ausbildungsmöglichkeiten und die Belohnung herausragender Leistungen. Dies scheint auf der Hand zu liegen, doch in den meisten Mitgliedstaaten ist derzeit das Gegenteil der Fall. Der Rat sollte daher politische Leitlinien festlegen.

4.27   Die Kommission betont zu Recht, dass eine breite Vielfalt von Studienformen notwendig ist. Technische Bildung muss attraktiver werden. Viel zur Verbesserung des Ansehens der technischen Studien können die Sozialpartner auf nationaler und regionaler Ebene, aber auch Einzelunternehmen beitragen. Der EWSA verweist nachdrücklich auf das Engagement, das vor allem Klein- und Kleinstunternehmen insbesondere auf regionaler Ebene an den Tag legen.

4.28   Die Debatte in Europa muss darauf abzielen, der Hochschulbildung einen zentralen Platz bei der Innovation, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Vermittelbarkeit der Arbeitnehmer zuzuweisen (17). Dies sollte ein Kernziel für alle Interessengruppen sein, das die Kommission, der Rat, die Mitgliedstaaten und insbesondere die Hochschulen selbst in gemeinsamer Verantwortung verfolgen.

4.29   In Anbetracht der großen Herausforderungen ist die Hochschulagenda von Kommission und Rat bei weitem nicht umfassend und nicht sonderlich wirkungsvoll. Der EWSA betont, dass der Rat, die Mitgliedstaaten und die Hochschulen in der derzeitigen Krise gezieltere, überzeugendere Schritte unternehmen müssen. Die Veränderungen mögen in Gang gekommen sein, doch sie müssen noch weiter beschleunigt werden.

4.30   Alle Akteure müssen gleichermaßen Verantwortung für Professionalisierung, Lehrpläne, Qualitätssicherung, Spezialisierung usw. übernehmen. Der Rat muss einen Fahrplan mit festen Terminen erstellen, der dem Zusammenhang zwischen Hochschulbildung, Innovation und Vermittelbarkeit Rechnung trägt. Die Hochschuleinrichtungen sollten diesen Prozess unterstützen, indem sie selbst skizzieren, welche Rolle ihnen bei der Förderung der Qualität, sozialer Innovationen und Produktinnovationen zukommt.

4.31   Die Ansichten des Ausschusses für den Europäischen Forschungsraum (ERAC) zu überaus relevanten Zielen in den Bereichen politische Steuerung und institutionelle Hochschulreform sowie zum Zusammenhang zwischen Innovation, Forschung und Bildung sollten unbedingt in die Hochschulagenda einfließen. So ließe sich der Weg für Veränderungen in zahlreichen europäischen Universitäten ebnen (18).

5.   Von der Kommission in Angriff zu nehmende Themen

5.1   Der EWSA begrüßt die selbst gesteckten Ziele der Kommission bei der Hochschulmodernisierung und die jüngsten, in den Schlussfolgerungen des Rates vom vergangenen November hervorgehobenen Ansätze.

5.2   Der EWSA erkennt die Rolle an, die der Kommission bei der Konzentration auf evidenzbasierte Politikgestaltung, u.a. hinsichtlich Leistung und Transparenz, zukommen kann und sollte. In einer Zeit, in der – häufig politisch motivierte – nationale Analysen und Ziele überwiegen, ist es unverzichtbar, dass die Kommission sich aktiv einschaltet und objektive Bewertungen abgibt. Dies betrifft auch das Mandat, das derzeit im Rat erörtert wird.

5.3   Solche Bewertungen vonseiten der EU ziehen wahrscheinlich entsprechende Bestrebungen der Mitgliedstaaten, Hochschulen und Forschungszentren nach sich, sodass der gemeinsame Rahmen gestärkt und, wie zu hoffen bleibt, auf gemeinsame Ziele zugesteuert wird.

5.4   Vor diesem Hintergrund erachtet der EWSA die Einführung von U-Multirank, des leistungsbasierten Ranking- und Informationsinstruments, als positiv. U-Multirank dürfte die Aufgaben der unterschiedlichen Einrichtungen transparenter machen und einen gerechten Vergleich der Hochschulleistungen in Europa ermöglichen. Außerdem ist es überhaupt sinnvoll, ein europäisches Ranking als Ergänzung des eindimensionalen Schanghai- und anderer Rankings zu erstellen.

5.5   Wie der EWSA bereits 2009 feststellte, ist ein Rangfolge- und Qualitätsbewertungssystem, durch das ein breites Spektrum an Themen und Institutionen abgedeckt wird, von nicht zu unterschätzendem Wert (19). Die von einer überprüfbaren, unabhängigen und überparteilichen Drittstelle ermöglichte Transparenz wird nationalen Behörden und Hochschulen dabei helfen, Qualität, Differenzierung und intelligente Spezialisierung in den Mittelpunkt zu stellen. Nach den Worten der Kommission „erlaubt dieses unabhängig zu verwendende Tool allen Interessenträgern aus dem Hochschulbereich, gut informierte Entscheidungen zu treffen“ (20).

5.6   Ferner dürfte die „Kartierung“ (das „Mapping“) die grenzüberschreitende Mobilität von Studenten, Dozenten, Forschern und Professoren unterstützen und durch das Knüpfen von Netzen, die Einrichtung von Partnerschaften und die Stimulierung des Wettbewerbs zwischen Hochschuleinrichtungen in ganz Europa zur Anhebung des Forschungsniveaus beitragen.

5.7   Der Rat hebt die Mobilität von Studierenden und Forschenden im Sinne des freien Verkehrs von Wissen als fünfte Grundfreiheit hervor. Die Maßnahmen der EU zur Förderung der grenzüberschreitenden Mobilität Studierender und Forschender sind bereits erfolgreich. Nichtsdestotrotz müssen noch systemische Mängel beseitigt werden. Ein „Mobilitätsanzeiger“ empfiehlt sich, um Lernmobilitätshindernisse aus dem Weg zu räumen.

5.8   Beim Erasmus-Programm muss mehr Engagement von den Studierenden verlangt werden. Der EWSA empfiehlt als Pilotprojekt, das fünfte Bachelorsemester zum „Mobilitätssemester“ zu machen. Diese Maßnahme muss zudem für alle Antragsteller erschwinglich sein. Der EWSA unterstützt die Untersuchung potenzieller studentischer Mobilitätsströme und die Kommissionsvorschläge zum Europäischen System zur Anrechnung, Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (ECTS) sowie zum Erasmus-Mobilitätsprogramm für Masterabschlüsse.

5.9   Artikel 179 Absatz 1 AEUV spricht hinsichtlich der Forschung in der EU eine deutliche Sprache (21). Für Forschende ist internationale Mobilität ein Muss. Allzu häufig jedoch bewirkt versteckter Protektionismus, dass Forschenden dauerhafte Hindernisse im Wege stehen. Dies schadet der Wissenschaft und Wettbewerbsfähigkeit Europas. Des Weiteren hindert es die staatlichen Einrichtungen, in vollem Maße von der intellektuellen Vielfalt Europas zu profitieren. Der EWSA spricht sich entschieden für den Kommissionsvorschlag zum Europäischen Rahmen für Forschungslaufbahnen aus, durch den die Mobilität Forschender gefördert werden soll.

5.10   Der EWSA befürwortet ferner den von der Kommission sowie Bildungs- und Wirtschaftsfachleuten entwickelten europäischen Rahmen, in dem vier Laufbahnprofile für Forschende beschrieben werden. Dieses System muss offen sein, um möglichst viele Chancen zu bieten.

5.11   Der EWSA betont, dass die nationalen finanziellen und sozialen Bedingungen für Forschende zur Beseitigung der verbliebenen Beeinträchtigungen des freien Verkehrs in einen gemeinsamen europäischen Rahmen gefasst werden müssen. Europaweit geltende Berufsprofile sollten entwickelt und die Institutionen dazu angehalten werden, ihr Personalwesen zu professionalisieren.

5.12   Es empfiehlt sich, die Aufgaben des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT) auszuweiten, nicht zuletzt um Anreize für weitere Wissensallianzen zu setzen, an denen Unternehmen und die betreffenden Hochschulen teilnehmen. Gleiches gilt für die Verstärkung von Marie-Curie-Maßnahmen und für einen Qualitätsrahmen für Praktika.

5.13   Die EU muss sich weltweit als hochqualifizierter Mitbewerber und Partner profilieren. Dabei spielt die Hochschulbildung eine wichtige Rolle. Der EWSA erklärt sich daher voll und ganz mit der Entscheidung des Rates einverstanden, die Kommission dazu aufzufordern, „eine spezifische Strategie für die Internationalisierung der Hochschulbildung zu entwerfen“ (22).

5.14   Der EWSA unterstützt die geplanten Rahmenbedingungen für die Vertiefung der Beziehungen zu Partnern in Drittländern, Mobilitätspartnerschaften und die Verbesserung der Ausstattung von Studierenden und Forschenden aus Drittländern über EU-Richtlinien und Leistungsindikatoren (23). Die Beschränkungen für nicht aus der EU stammende Studierende und Forschende müssen gelockert werden, um Talentierte und Kreative aus anderen Teilen der Welt anzuziehen.

5.15   Der EWSA plädiert dafür, den internationalen Stellenwert der EU-Hochschulbildung im Rat zu erörtern und dabei die Eigenschaften zu bestimmen, die nötig sind, um ein erfolgreicher Mitbewerber und Partner zu sein. Dies könnte den Hochschuleinrichtungen helfen, für angemessene Bedingungen zu sorgen.

5.16   In mehreren Stellungnahmen hat sich der EWSA damit einverstanden erklärt, dass bei der Erstellung der Finanziellen Vorausschau 2014-2020 Schwerpunkte auf die Innovation und alle Aspekte intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums gelegt werden. Der EWSA unterstreicht, dass der Mehrwert der EU-Fonds vergrößert werden muss.

5.17   Vor diesem Hintergrund begrüßt der EWSA den konkreten Vorschlag der Kommission, die Erasmus-Förderung im Haushaltsplan 2014-2020 um 73 % anzuheben sowie in den Strukturfonds unmittelbar auf die (Hochschul-) Bildung zu verweisen.

5.18   Ohne im Einzelnen auf die Haushaltszahlen einzugehen, teilt der EWSA die generelle Ansicht, dass Ausgaben für Bildung, Forschung und Innovation sowie für die Kohäsionspolitik sämtlich dazu dienen, ein zukunftsorientiertes europäisches Umfeld zu schaffen. Gegebenenfalls können auch für die „Umstrukturierung von Industriestandorten“ vorgesehene Mittel hierfür genutzt werden.

5.19   Der EWSA befürwortet es zutiefst, dass die Kommission 2012 eine hochrangige Gruppe mit dem vorläufigen Mandat, zentrale Themen zur Modernisierung der Hochschulbildung zu analysieren, einsetzen möchte. Diese hochrangige Gruppe muss weitgehend aus Vertretern von Bildungseinrichtungen, Hochschulen, Unternehmen und Sozialpartnern bestehen.

6.   Zusätzliche Anregungen

6.1   Gezielte Anreize für die berufliche Weiterentwicklung an Hochschulen, wie etwa europaweite Kurse für Hochschulmanagement und -leitung, sind wünschenswert.

6.2   Spezielle Verbindungen einzelner Hochschulen – europaweite Partnerschaften – sind sinnvoll, damit diese aus den praktischen Berufs- und Managementerfahrungen der anderen lernen können. Erfahrungsaustausch in grenzübergreifenden Hochschulzusammenschlüssen, Fachkonferenzen und -seminaren sind ebenfalls von Nutzen.

6.3   Die wissenschaftlichen Leistungen und die Bildungsbilanz von Fakultäten oder Hochschulen werden in regelmäßigen Zeitabständen von unabhängigen Kommissionen bewertet. Der EWSA empfiehlt, eine gängige Praxis daraus zu machen, derlei Kommissionen mit internationalen Fachleuten zu besetzen.

6.4   Mit Blick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Hochschulbildung empfiehlt der EWSA, zu untersuchen, welche Verwaltungslasten derzeit in Europa bestehen. Für Verbesserungsvorschläge sollten bewährte Verfahren genutzt werden.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Schlussfolgerungen des Rates zur Modernisierungsagenda vom 28./29. November 2011.

(2)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 48-55.

(3)  Siehe die jüngste Untersuchung „University Autonomy in Europe II - the Scoreboard“, European University Association, 2011. Sie haben eine Welt zu gewinnen.

(4)  Titel XII, Allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, Artikel 165 und 166.

(5)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 48-55, Ziffer 1.1.

(6)  COM(2011) 567 final, S. 2.

(7)  Schlussfolgerungen des Rates vom 28./29. November 2011 zur Modernisierung der Hochschulbildung.

(8)  SEC(2011) 1063 final, S. 48.

(9)  COM(2011) 567 final, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 48-55, Ziffer 1.4.

(10)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 48-55, Ziffern 1.4, 3.5.1 und 3.5.2.

(11)  Von 2000 bis 2009 nahm die Studierendenzahl in der EU um 22,3 % auf gut 19,4 Millionen zu, vgl. Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen zu den Entwicklungen in den europäischen Hochschulbildungssystemen, SEC(2011) 1063 final, S. 16. Dies sagt jedoch nichts über die Qualität der Qualifikationen aus.

(12)  COM(2011) 567 final, S. 8, sowie die Schlussfolgerungen des Rates vom 28./29. November 2011, in denen Partnerschaften und Kooperationen mit Unternehmen und anderen öffentlichen oder privaten Akteuren hervorgehoben werden.

(13)  Vgl. ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 1, in der die Kommission aufgefordert wird, den Bologna-Prozess in einem integrierten Ansatz mit dem Kopenhagen-Prozess zu verknüpfen, sowie ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 11.

(14)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 7.

(15)  A.a.O., Ziffern 5.7 und 5.8.

(16)  COM(2011) 567 final, S. 5.

(17)  COM(2011) 567 final, S. 12, Ziffer 3.3.

(18)  Vgl. die Schlussfolgerungen des Ausschusses für den Europäischen Forschungsraum vom 24. Juni 2011.

(19)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 48-55, Ziffern 1.5 und 5.2.4, 5.2.5 sowie 5.2.6.

(20)  COM(2011) 567 final, Kasten zu den zentralen strategischen Aspekten, S. 11.

(21)  Vgl. den überzeugenden Vorschlag der Europäischen Kommission vom 21. Juli 2011 unter dem Titel „Towards a European framework for research careers“.

(22)  Schlussfolgerungen des Rates vom 11. Mai 2010 zur Internationalisierung der Hochschulbildung.

(23)  COM(2011) 567 final, Kasten zu den zentralen strategischen Aspekten, S. 14.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/150


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Mitteilung zu EU-Politik und Freiwilligentätigkeit: Anerkennung und Förderung grenzüberschreitender Freiwilligenaktivitäten in der EU“

COM(2011) 568 final

(2012/C 181/26)

Berichterstatter: Pavel TRANTINA

Die Europäische Kommission beschloss am 20. September 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Mitteilung zu EU-Politik und Freiwilligentätigkeit: Anerkennung und Förderung grenzüberschreitender Freiwilligenaktivitäten in der EU

COM(2011) 568 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 29. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 134 gegen 3 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

Vorwort

Die Freiwilligentätigkeit ist ein wichtiger Ausdruck der aktiven Bürgerschaft. Sie schafft Human- und Sozialkapital, trägt zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und Solidarität bei, bringt der Gesellschaft wertvolle wirtschaftliche Vorteile und gibt den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, ihr Potenzial zu entfalten. Die Freiwilligentätigkeit schließt „jede Art der freiwilligen Tätigkeit [ein], ob formell, nichtformell oder informell, die aus freiem Willen, eigener Wahl und eigenem Antrieb von einer Person ausgeübt wird und nicht auf finanziellen Gewinn ausgerichtet ist“ (1) . Angesichts der aktuellen Krise in Europa, des demografischen Wandels und anderer Herausforderungen ist es von großer Bedeutung anzuerkennen, wie hilfreich die Freiwilligentätigkeit für den Einzelnen bei der Eingliederung in die Gesellschaft, der Übernahme von Verantwortung, der Erweiterung der eigenen Kompetenzen und der Kontaktaufnahme und -pflege ist. Die Freiwilligentätigkeit muss aber klar von der bezahlten Tätigkeit abgegrenzt werden und darf diese keineswegs ersetzen.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat als erste Einrichtung der EU schon 2006 den Vorschlag für ein Europäisches Jahr der Freiwilligentätigkeit (EJF) unterbreitet und damit die Bemühungen der Mitglieder der Allianz des EJF 2011 unterstützt, denen sich weitere anschlossen. 2011 wurde dieses Ziel erreicht und damit die Gelegenheit geschaffen, den Nutzen des Freiwilligensektors hervorzuheben und Freiwilligenorganisationen zu leistungsfähigeren Akteuren auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene zu machen. Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft 2011 hat ebenfalls unmittelbar dazu beigetragen, die Freiwilligentätigkeit als Instrument zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und zur Vertrauensbildung anzuerkennen.

1.   Empfehlungen

1.1   Um ein wirksames, nachhaltiges Umfeld für die Freiwilligentätigkeit zu schaffen, empfiehlt der EWSA den EU-Institutionen und Mitgliedstaaten, die notwendigen Schritte einzuleiten, um zu gewährleisten, dass die Freiwilligentätigkeit im nationalen und EU-Recht ermöglicht und unterstützt wird, Ehrenamtliche geschützt werden und rechtliche Hindernisse bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten aus dem Weg geräumt werden.

1.2   Es sollte jedoch vermieden werden, Bestimmungen zu erlassen, die allzu deskriptiv sind oder den lokalen Traditionen im Bereich der Freiwilligenarbeit nicht gerecht werden, was zu einer Einschränkung oder Unterbindung der Freiwilligentätigkeit führen würde. Freiwilligenorganisationen sollten unmittelbar in entsprechende Rechtsetzungsverfahren eingebunden werden. Während das Fehlen eines rechtlichen Rahmens in einigen Ländern kein Hindernis darstellt, erschwert dieser Umstand in anderen Ländern das Leben der Ehrenamtlichen und Freiwilligendienste. In anderen Ländern wiederum haben Ehrenamtliche durch einen restriktiven rechtlichen Rahmen nur einen eingeschränkten Zugang zu möglichen Freiwilligentätigkeiten.

1.3   Die Europäische Kommission sollte die Einrichtung einer wirksamen, gut organisierten Infrastruktur für die Freiwilligentätigkeit auf nationaler und europäischer Ebene unterstützen (z.B. Unterstützung für Freiwilligenorganisationen, bei der Mobilisierung und Schulung von ehrenamtlichen Helfern, bei der Beantragung von Fördermitteln) und die Ausstattung der Freiwilligenorganisationen und -zentren in den Bereichen Information, Ausbildung und Koordinierung zwischen den Ehrenamtlichen und den Organisationen verbessern.

1.4   Die EU und die Mitgliedstaaten sollten zugängliche, zuverlässige und nachhaltige Bedingungen für die Finanzierung des Freiwilligensektors schaffen und die Freiwilligenorganisationen bei der Anpassung an das neue Finanzierungsumfeld unterstützen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission dazu auf, die finanzielle Unterstützung für die Freiwilligentätigkeit in EU-finanzierten Programmen und den Strukturfonds zu verstärken.

1.5   Die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten sollten die Freiwilligentätigkeit als Sachleistung für die Kofinanzierung erlauben und unterstützen. Außerdem fordert der EWSA sie auf, sicherzustellen, dass die Mehrwertsteuervorschriften keinen zusätzlichen Verwaltungsaufwand für Freiwilligenorganisationen verursachen.

1.6   Um diese aktuelle Dynamik auch in Zukunft beizubehalten, schlägt der EWSA vor, einige praktische Schritte einzuleiten, um die Errungenschaften des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit auch nach 2011 zu wahren und der Freiwilligentätigkeit einen festen Platz auf der nationalen und europäischen Tagesordnung zu geben. Der EWSA fordert die Kommission auf, ein entsprechendes Konsultationsverfahren einzuleiten (z.B. durch ein Weißbuch oder ein ähnlich wirksames Mittel). Dieses Verfahren könnte als „Erbe“ des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit angesehen werden, da es sicherstellen würde, dass die Freiwilligentätigkeit auf EU-Ebene auch weiterhin im Blickpunkt steht. Auch die europäischen Themenjahre 2012 und 2013 sollten unter diesem Gesichtspunkt angemessen genutzt werden.

1.7   Die EU-Institutionen müssen einen stärker koordinierten Ansatz im Bereich der Freiwilligenpolitik verfolgen. Die Freiwilligentätigkeit sollte als politisches Querschnittsthema anerkannt sowie von einem Sonderreferat innerhalb der Europäischen Kommission koordiniert und mit den nötigen politischen Strukturen aus anderen EU-Einrichtungen unterstützt werden (2). So könnte gewährleistet werden, dass die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Koordinierungsstellen, einem zuständigen Referat in der Kommission, einer interfraktionellen Arbeitsgruppe oder einem Ausschuss im Europäischen Parlament, einer eindeutig befugten Ratsformation und den Freiwilligenorganisationen auf allen Ebenen weitergeführt wird.

1.8   Darüber hinaus sollten sich alle Interessenträger darum bemühen, die Freiwilligentätigkeit weiterhin aktiv unter allen Bürgerinnen und Bürgern und – je nach Lage in dem jeweiligen Land – mit einem besonderen Fokus auf junge Menschen und ältere Mitbürger zu fördern. Die von Arbeitgebern unterstützten Freiwilligentätigkeiten sollten künftig stärker gefördert werden: Die Mitgliedstaaten sollten entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten (z.B. mögliche Steuererleichterungen prüfen) und Partnerschaften mit dem Freiwilligensektor unterstützen.

2.   Allgemeine Bemerkungen zur Freiwilligentätigkeit

2.1   Bei der Freiwilligentätigkeit muss ein Ansatz verfolgt werden, der auf die Ehrenamtlichen ausgerichtet ist bzw. sie in den Mittelpunkt stellt, damit Qualität, Anerkennung, Schutz und der Zugang zur Freiwilligentätigkeit ohne jegliche Art der Diskriminierung garantiert werden können. Die Rechte, Würde und Pflichten von Ehrenamtlichen sollten anerkannt und geachtet werden und den Ehrenamtlichen und ihren Organisationen auch bekannt sein (3).

2.2   Besondere Aufmerksamkeit sollte der Freiwilligentätigkeit als Instrument zur Umsetzung der Europa-2020-Ziele entgegengebracht werden. Daher ist es wesentlich, die Freiwilligentätigkeit auch in die nationalen Reformprogramme aufzunehmen, um eine entsprechende Unterstützung zu gewährleisten.

2.3   Um die Agenda des Freiwilligensektors, den Austausch bewährter Praktiken und die Schaffung/Konsolidierung von Freiwilligenplattformen mit allen wichtigen Interessengruppen (Arbeitgeber, Gewerkschaften, andere für diesen Sektor wichtige Stellen, nationale Behörden und die EU) voranzutreiben, sollte die Koordinierung des Sektors auch nach 2011 aufrechterhalten werden. Der EWSA begrüßt die Arbeit der Allianz des EJF 2011 (4), die in der Annahme ihres politischen Programms für die Freiwilligentätigkeit in Europa (Policy Agenda for Volunteering in Europe, PAVE) (5) gipfelte. In diesem Programm finden sich einige anregende Vorschläge für die weitere Entwicklung der Freiwilligentätigkeit auf europäischer und nationaler Ebene, aber auch für Sozialpartner und Nichtregierungsorganisationen.

2.4   Um auf den sozioökonomischen Wert und Beitrag des Freiwilligensektors aufmerksam zu machen, müssen nach Meinung des EWSA sämtliche Informationen über die Auswirkungen der Freiwilligentätigkeit auf Gesellschaft und Wirtschaft gesammelt und verbreitet werden. Als erstes muss man jedoch über die Nutzung und Umsetzung des ILO-Handbuchs über die Messung der Freiwilligenarbeit verständigen, um die Methoden zur Datensammlung über die Freiwilligentätigkeit in den Mitgliedstaaten einander anzugleichen. Der EWSA hebt jedoch auch die Notwendigkeit hervor, nationale Daten zusammenzutragen, die über das BIP hinausgehen, z.B. Daten über „gesellschaftliche Indikatoren“ zur Messung des gesellschaftlichen Wohlstands.

2.5   Es ist von großer Bedeutung, den Bedürfnissen aller Ehrenamtlichen Rechnung zu tragen, d.h. derjenigen, die in festen Strukturen tätig sind, aber auch derjenigen, die auf eigene Faust ehrenamtlich arbeiten. Die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten können und dürfen nicht an denjenigen vorbeisehen, die es von sich aus auf sich nehmen, eine ehrenamtliche Tätigkeit im Dienste der Gesellschaft auszuüben. Daher sollte die direkte und indirekte Zusammenarbeit dieser Ehrenamtlichen mit Freiwilligenorganisationen aufgezeigt werden. Außerdem verdienen neben den Bereichen Jugend, Sport und Soziales auch viele andere Freiwilligenbereiche eine genauere Betrachtung.

3.   Allgemeine Bemerkungen des EWSA zur Mitteilung der Kommission

3.1   Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission zu EU-Politik und Freiwilligentätigkeit. Er unterstützt die vorgeschlagenen Definitionen und Maßnahmen.

3.2   Der EWSA hält jedoch die übereilt anmutende Veröffentlichung der Mitteilung und das Fehlen öffentlicher Konsultationen und Folgeabschätzungen für bedenklich. Einige Vorschläge der Zivilgesellschaft wurden nicht berücksichtigt, insbesondere diejenigen, die später im politischen Programm für die Freiwilligentätigkeit in Europa (PAVE) unterbreitet wurden.

3.3   Die Kommission listet zu Recht eine Reihe von Hindernissen für die Freiwilligentätigkeit auf und erklärt, dass „ein gewisser Fortschritt bei diesen Fragen 2006 erzielt [wurde], als die Mitgliedstaaten sich dazu verpflichteten, zusammen an der Beseitigung der Hindernisse zu arbeiten […]. Allerdings bleibt noch viel zu tun.“ Die Kommission könnte weitaus ehrgeiziger sein und gezielte Vorschläge für eine Entwicklung auf diesem Gebiet hervorbringen.

3.4   Es ist wichtig zu erkennen, dass die Europäische Kommission die treibende Kraft für die Entwicklung der Freiwilligenpolitik sein muss, wobei der Fokus dann auf Fragen zur grenzübergreifenden Freiwilligentätigkeit und Mobilität der Ehrenamtlichen innerhalb der EU läge. Während die Verantwortung für die Ausarbeitung eines ordnungspolitischen Rahmens und von Leitlinien für bewährte Verfahren und Strategien bei den Mitgliedstaaten liegt, sollte die Kommission eine führende Rolle bei der Datensammlung und dem Ausbau der offenen Koordinierungsmethode übernehmen, um zu gewährleisten, dass die Freiwilligentätigkeit in die nationalen Reformprogramme und in die Finanzierungssysteme der EU aufgenommen wird.

3.5   Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Kommission „eventuell Vorschläge vorbringen [wird], die speziell auf die Freiwilligentätigkeit im Rahmen der EU-Beschäftigungsstrategie, bei dem Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung und im Kontext der Kommissionsinitiative ‚Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungen‘ ausgerichtet sind“. Dabei sind jedoch die Gefahren einer Verwendung der Freiwilligentätigkeit als Instrument für politische Ziele zu bedenken sowie die Grundwerte der Freiwilligentätigkeit zu achten und zu schützen.

4.   Besondere Bemerkungen zu den Vorschlägen der Kommission

4.1   Der EWSA begrüßt die Entschlossenheit der Kommission, EU-Bürger und Interessengruppen stärker über die unterschiedlichen Finanzierungsprogramme, die von Freiwilligen und für Freiwilligentätigkeiten genutzt werden können, zu informieren. Neben der projektbasierten Finanzierung sollten die Möglichkeiten zur Finanzierung von Freiwilligenaktivitäten ausgeweitet werden, z.B. durch die Einführung einer Basisfinanzierung, kleinerer Zuschüsse und Vertragspakete. Die Freiwilligentätigkeit als Sachleistung für die Kofinanzierung sollte erlaubt und möglichst obligatorisch werden.

4.2   Angesichts des derzeitigen Vorschlags, die Programme „Lebenslanges Lernen“ und „Jugend in Aktion“ zu einem einzigen Programm „Erasmus für alle“ zusammenzulegen, hat der EWSA die Befürchtung, dass das bei der Mitwirkung an einer Freiwilligentätigkeit entstehende nicht-formale Lernen aufs Spiel gesetzt werden könnte, sowohl inhaltlich als auch durch eine Begrenzung der Ressourcen. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, die Unabhängigkeit des derzeitigen Programms „Jugend in Aktion“ und ihre angemessene Finanzierung zu gewährleisten und alle auf wohltätige Zwecke ausgerichteten Aktionen fortzusetzen, insbesondere den Europäischen Freiwilligendienst, neben den Jugendinitiativen und der Unterstützung für europäische Strukturen im Bereich der Jugend.

4.3   Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass es angemessene Folgemaßnahmen zur „Förderung der grenzüberschreitenden Freiwilligentätigkeit im Kontext des Europäischen Jahres der Bürgerinnen und Bürger (2013)“ geben sollte. Es reicht jedoch nicht aus, nur die grenzüberschreitende Freiwilligentätigkeit zu erwähnen; vielmehr sollten alle Formen der Freiwilligentätigkeit berücksichtigt werden. Der Anwendungsbereich des Europäischen Themenjahres 2013 sollte auf das Jahr der aktiven Bürgerschaft ausgeweitet werden, um diesem Zweck gerecht zu werden und die Aufmerksamkeit der europäischen Bürger zu wecken.

4.4   Der EWSA verfolgt sehr genau die Arbeiten der Kommission zu einem Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Validierung des nicht-formalen und des informellen Lernens, der auch die Dimension der Freiwilligentätigkeit und den Europäischen Qualifikationspass einschließt. Um das im Rahmen einer Freiwilligentätigkeit Gelernte angemessen zu verzeichnen, sollte der Pass nicht nur aus einer Reihe neuer separater Bescheinigungen bestehen, sondern vielmehr ein umfassendes Dokument sein, in dem alle durch lebenslanges Lernen erzielten praktischen Erfahrungen, Ausbildungen, soziale Kompetenzen und Fachkenntnisse aufgelistet werden, auch – wenn der/die Freiwillige dies so wünscht – die durch Freiwilligentätigkeit gewonnenen Kompetenzen.

4.5   2012 wird die Kommission Vorschläge für die weitere Entwicklung der EU-Strategie für die Jugend und der Empfehlung über die Mobilität junger Freiwilliger in Europa unterbreiten. Der EWSA denkt, dass es sinnvoll wäre, die Methode der offenen Koordinierung auf den gesamten Bereich der Freiwilligentätigkeit in Europa auszuweiten. So könnte die Freiwilligentätigkeit systematisch oben auf der Tagesordnung der EU gehalten werden.

4.6   Hinsichtlich des Sports begrüßt der EWSA den Vorschlag für neue EU-Mittel für diesen Bereich und hebt hervor, wie wichtig die Unterstützung der Freiwilligentätigkeit insbesondere an der Basis ist.

4.7   Der EWSA ist der Auffassung, dass stärker darüber informiert werden sollte, welche unterschiedlichen Möglichkeiten Arbeitgeber als Ausdruck ihrer jeweiligen Regelung über die soziale Verantwortung des Unternehmens haben, um die individuellen Freiwilligenaktivitäten ihrer Beschäftigten zu unterstützen. Die Sozialpartner sollten bei den unterschiedlichen Systemen für die Freiwilligentätigkeit von Beschäftigten mitreden können, die immer auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit des Engagements von Beschäftigten beruhen müssen.

4.8   Der EWSA hat die Einführung mehrerer Initiativen zur Förderung der Freiwilligentätigkeit unter dem Personal der EU-Einrichtungen und unter den Beamten in den Mitgliedstaaten zur Kenntnis genommen. Aufgrund der positiven Erfahrungen seiner Bediensteten empfiehlt der EWSA, dem „Solidarité“-Vorschlag (6) besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

4.9   Der EWSA hatte von der Kommission eine wesentlich deutlichere Antwort auf die Forderung der Zivilgesellschaft nach Vereinfachung der Visumverfahren für Ehrenamtliche aus Drittländern erwartet. Es sollten Änderungen zur Richtlinie 2004/114/EG des Rates vorgelegt werden, in denen analog zu den Bestimmungen für Schüler und Studierende die Einführung einer spezifischen Visumkategorie für Ehrenamtliche vorgeschlagen wird.

4.10   Der EWSA begrüßt die Idee, ein europäisches Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe (EVHAC) (7) einrichten zu wollen, aber er bezweifelt, dass es tatsächlich auf dem Ansatz der Freiwilligkeit beruht. Bevor der endgültige Vorschlag für ein europäisches Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe eingeführt wird, sollten erst einmal die laufenden Pilotprojekte gründlich bewertet werden. Da die Kommission die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen in der Entwicklungszusammenarbeit begrüßt, schlägt der EWSA vor, diese vorwiegend auf Freiwilligentätigkeit beruhenden Initiativen durch die EU stärker zu fördern, um ihre Wirkung zu verbessern.

4.11   In Bezug auf die Querverbindungen zwischen der Freiwilligentätigkeit und dem Gesundheits- bzw. Sozialwesen weist der EWSA darauf hin, dass Ehrenamtliche keinesfalls die tagtägliche, wesentliche Arbeit der bezahlten Beschäftigten im Sozialwesen übernehmen sollten. Sie könnten jedoch einen Mehrwert zu den von qualifizierten Beschäftigten erbrachten Diensten schaffen.

5.   Zusammenfassung der Aktivitäten des EWSA während des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit 2011

5.1   Zur Vorbereitung auf das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit und der Steuerung der dazugehörigen Aktivitäten richtete der EWSA die Koordinierungsgruppe „EJF 2011“ unter dem Vorsitz von Pavel TRANTINA (Gruppe III) ein. Durch die Veranstaltung mehrerer Anhörungen versuchte der EWSA außerdem, eine Diskussion zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und NGO über die Möglichkeiten für eine Vereinfachung der Freiwilligentätigkeit auf EU-Ebene einzuleiten. Die Koordinierungsgruppe arbeitete eng mit der Taskforce der Kommission für das EJF 2011, der Allianz des EJF 2011, der Interessengruppe des Europäischen Parlaments zur Freiwilligtätigkeit und vielen anderen Interessenträgern zusammen, die an den Veranstaltungen des EWSA teilnahmen.

5.2   Im Laufe des Jahres 2011 veranstaltete die Koordinierungsgruppe „EJF 2011“ des EWSA fünf Sitzungen, davon vier mit öffentlichen Anhörungen. Jede war einem bestimmten Thema rund um die Freiwilligentätigkeit gewidmet, um den Dialog zwischen den unterschiedlichen Interessenträgern auf diesem Gebiet zu fördern. Die wichtigsten Partner bei den Anhörungen waren die Allianz des EJF 2011, die Redner aus ihren Arbeitsgruppen zu spezifischen Themen stellte, und die Taskforce der Kommission für das EJF 2011.

1.

Wert und Anerkennung der Freiwilligentätigkeit (23. März)

2.

Qualität der Freiwilligentätigkeit und Infrastruktur für die Freiwilligentätigkeit (23. Mai)

3.

Rechtsrahmen für die Freiwilligentätigkeit (27. September)

4.

Freiwilliges Engagement von Beschäftigten (9. November)

5.3   Der EWSA organisierte mehrere Veranstaltungen gemeinsam mit Dritten:

Zweite thematische Konferenz auf EU-Ebene (23./24. Mai), Veranstalter: Europäische Kommission – der EWSA organisierte v.a. die Diskussionen bezüglich des freiwilligen Engagements von Beschäftigten.

Zweite Tagung zur Freiwilligentätigkeit und Konferenz der Interessenträger (7./8. September), Veranstalter: Europäisches Jugendforum im EWSA und im Europäischen Parlament.

Die Koordinierungssitzungen der Allianz des EJF 2011 wurden am 17. März, 19. Mai und 29. September 2011 im EWSA abgehalten.

Februar 2011: Beurteilungsverfahren der „European Employee Volunteering Awards“.

5.4   Anlässlich des erstmaligen Ratsvorsitzes Polens und des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit 2011 veranstaltete die Gruppe III des EWSA am 30. September 2011 im Präsidentenpalast in Warschau eine breit angelegte Konferenz zur Freiwilligentätigkeit, an der der polnische Staatspräsident, das EU-Kommissionsmitglied für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, der polnische Minister für Beschäftigung und Soziales und andere wichtige Redner teilnahmen. Die Konferenz stand unter dem übergeordneten Thema: Das Europa der aktiven Bürger: die Freiwilligentätigkeit.

5.5   Der Präsident des EWSA sowie der Vorsitzende und die Mitglieder der Koordinierungsgruppe „EJF 2011“ nahmen an vielen Fachsitzungen teil, z.B.:

Eröffnungskonferenz des EJF 2011 in Budapest

Zweite thematische Konferenz zur Freiwilligentätigkeit auf EU-Ebene in Brüssel

Abschlusskonferenz des EJF 2011 in Warschau.

5.6   Der EWSA bereitet derzeit ein Buch über aktive Bürgerschaft vor, das das breite Spektrum der Aktivitäten der EWSA-Mitglieder in der Berufswelt, der Politik sowie im Bereich der Freiwilligentätigkeit illustrieren wird.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Schlussfolgerungen des Rates: „Die Rolle der Freiwilligentätigkeit in der Sozialpolitik “vom 3. Oktober 2011.

(2)  So forderten die nationalen Koordinierungsstellen für das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011 in ihrer Warschauer Erklärung für ein nachhaltiges Handeln im Bereich der Freiwilligentätigkeit und der aktiven Bürgerschaft am 1. Dezember 2011: „Die Europäische Kommission wird aufgefordert, unter Berücksichtigung der nationalen, regionalen und lokalen Kompetenzen und Bedürfnisse auch nach dem Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft 2011 entsprechende Strukturen für den Austausch und die Zusammenarbeit aller Interessenträger und der Zivilgesellschaft im Bereich der Freiwilligentätigkeit zu entwickeln. Der Freiwilligentätigkeit muss innerhalb der Europäischen Kommission besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.“

(3)  Seit 2006 unterstützt der EWSA die Beratungen über die Schaffung einer Europäischen Charta für Freiwillige, in der die gemeinsamen Grundprinzipien für die Rechte und Pflichten von Ehrenamtlichen und ihren Organisationen niedergelegt würden. Diese Charta würde auch eine bessere Lenkung der Reformen hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen für Freiwilligentätigkeiten ermöglichen.

(4)  www.eyv2011.eu.

(5)  http://www.eyv2011.eu/images/stories/pdf/EYV2011Alliance_PAVE_copyfriendly.pdf (auf Englisch).

(6)  http://www.solidariteproposal.eu/.

(7)  Gemäß Artikel 214 AEUV.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/154


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des EU-Programms ‚Erasmus für alle‘ für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport“

COM(2011) 788 final — 2011/0371 (COD)

(2012/C 181/27)

Berichterstatterin: Indrė VAREIKYTĖ

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 12. Dezember 2011 bzw. am 13. November 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des EU-Programms ‚ERASMUS FÜR ALLE‘ für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport

COM(2011) 788 final — 2011/0371 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 29. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) mit 74 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Vor dem Hintergrund der durch die Wirtschaftskrise erforderlichen Neubewertung der Haushaltsprioritäten betont der EWSA, wie wichtig es ist, die wirksame Nutzung der auf nationaler und auf EU-Ebene für Bildung und Ausbildung bereitgestellten Mittel beizubehalten und wenn möglich aufzustocken, die der Verbesserung der Beschäftigungslage insbesondere junger Menschen und älterer Arbeitnehmer dienen.

1.2   Der EWSA ist überzeugt, dass das Programm „Erasmus für alle“ ein zentrales Instrument zur Intensivierung der Förderung von Bildung und Ausbildung sein sollte, um die Fähigkeiten der Bürger zu fördern, gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit in zahlreichen Mitgliedstaaten vorzugehen, den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken und die Diskrepanzen zwischen Qualifikationsangebot und Qualifikationsnachfrage zu beseitigen. Ein solches Instrument muss gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise und deren negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt eingesetzt werden. Bestehende Diskrepanzen zwischen Qualifikationsangebot und Qualifikationsnachfrage sollten abgebaut werden, um die Arbeitslosigkeit – insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit – zu verringern.

1.3   Der EWSA würdigt den Vorschlag für eine erhebliche Aufstockung der Mittel für ein künftiges Programm um bis zu 19 Mrd. EUR; er unterstützt daher den allgemeinen Haushaltsvorschlag der Europäischen Kommission und fordert das Europäische Parlament und den Rat auf, diese Aufstockung ebenfalls zu unterstützen.

1.4   Aufgrund der gegenwärtigen Wirtschaftslage unterstützt der EWSA ausdrücklich die im Rahmen des Programms vorgeschlagenen Maßnahmen: Konzentration auf die wichtigsten Maßnahmen; Verringerung der Fragmentierung derzeitiger Maßnahmen, Ziele und Programme; verstärkte Verwendung von Pauschalbeträgen, Einheitskosten oder Pauschalfinanzierungen sowie Verringerung der formalen Anforderungen für Empfänger und Mitgliedstaaten; Verringerung der Verwaltungsarbeit der nationalen Agenturen; und den Vorschlag, dass - wo dies angemessen erscheint - eine einzige nationale Agentur pro Land beauftragt wird, die kritische Masse zu erhöhen und die Verwaltungskosten zu senken.

1.5   Allerdings merkt der Ausschuss an, dass im Zuge der Sparmaßnahmen die langfristigen Aussichten der einzelnen Sektoren und die Grundsätze der vertretbaren Sparzwänge und der intelligenten Haushaltsplanung berücksichtigt werden müssen.

1.6   Unter Berücksichtigung aller vorgeschlagenen Sparmaßnahmen empfiehlt der EWSA ausdrücklich die Beibehaltung der gesonderten und unabhängigen Unterprogramme mit dem jeweiligen Mindestanteil für die Hauptbereiche des Programms (nämlich – Hochschulbildung, berufliche Aus- und Weiterbildung, Erwachsenenbildung, Schulbildung, Jugendinitiativen und Sport) und diese ggf. weiterzuentwickeln. Dazu gehören insbesondere die Mobilität von Schülerinnen und Schülern sowie von jungen Menschen im Gruppen- bzw. Klassenverband, die Mobilität von Forschenden und Lehrenden an Hochschulen, die Integration benachteiligter Jugendlicher, vorbereitende Besuche, bilaterale und multilaterale schulische Projekte und Partnerschaften sowie Mobilität und Lernpartnerschaften in der Erwachsenenbildung. Hierbei sind die besonderen Lerninteressen von nichtberufstätigen Frauen und Männern zu beachten.

Viele der vorgeschlagenen Verwaltungsreformen werden dafür sorgen, dass die Verwaltungskosten insgesamt im Wesentlichen unverändert bleiben und dass die gesonderten Unterprogramme die erwünschte Wirkung gewährleisten und die Programminitiativen vor einer möglichen Instabilität und Schwächung schützen.

1.7   Der EWSA betont, dass der Bildung im Rahmen der Reaktion auf die derzeitige Lage eine sehr wichtige Rolle zukommt, und begrüßt, dass sich dies in dem Programm widerspiegelt. Zur Umsetzung der wesentlichen strategischen Ziele der EU ist es jedoch notwendig, die Kohärenz von formaler Bildung und nicht formalem bzw. informellem Lernen weiterzuführen, d.h. nicht formales und informelles Lernen muss der formalen Bildung im vorliegenden Programmvorschlag gleichgestellt werden.

1.8   Der EWSA gibt zu Bedenken, dass einige der derzeit gut funktionierenden und geschätzten Aktionen im Programm „Jugend in Aktion“ fehlen, was zu einem spürbaren Rückgang der europäischen Zusammenarbeit im Jugendbereich führen könnte.

1.9   Der EWSA ist überzeugt, dass es beim Erwerb und Ausbau von Fähigkeiten und Wissen um mehr geht als nur das derzeitige Hauptziel der Beseitigung von Hürden für den Zugang zum Arbeitsmarkt, nämlich auch um die Entwicklung der aktiven Bürgerschaft und des sozialen Zusammenhalts - diese Ziele werden in dem Vorschlag jedoch nicht genügend berücksichtigt. In dem neuen Erasmus-Programm sollte außerdem die Rolle der Sozialpartner und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft gestärkt werden.

1.10   Der EWSA begrüßt, dass die Lernmobilität gesteigert werden soll, da hierdurch die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen - insbesondere derjenigen, die für den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft von Bedeutung sind - und die Beteiligung junger Menschen am demokratischen Leben in Europa gefördert werden. Mobilität allein wird die vorstehend genannten Probleme jedoch nicht lösen, weshalb den Möglichkeiten zur Anwendung der Fähigkeiten, die im Rahmen von Lernmobilität erworben wurden, und der Bedeutung der Mobilität für das lebenslange Lernen mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

1.11   Der EWSA ist der Ansicht, dass alle Menschen in allen Lebensabschnitten Lernmöglichkeiten haben sollten, und unterstützt daher ausdrücklich den vorgeschlagenen Ansatz des lebenslangen Lernens, der darauf ausgerichtet ist, diverse Formen des formalen, nicht formalen und informellen Lernens für jeden gleichermaßen zugänglich zu machen. Der EWSA unterstreicht seine bereits gestellte Forderung nach „Lernen für ein langes Leben“. Mit der vorgeschlagenen Verordnung scheint ein solcher Ansatz des lebenslangen Lernens allerdings nicht verfolgt zu werden, wenn es darum geht, das Programm für alle Lernwilligen - von jungen Kindern bis hin zu Senioren - zu öffnen. Das Programm sollte integrativer und auf jede Gruppe von Lernenden zugeschnitten sein, weshalb der EWSA für eine operative und deutliche Definition des lebenslangen Lernens sowie für einen leichteren Zugang für jede Gruppe von Lernenden plädiert.

1.12   Teilnehmer an Maßnahmen, die Teil des Programms sind, müssen als Botschafter der europäischen Werte betrachtet werden, und dies sollte sich in dem Programm deutlich widerspiegeln.

1.13   Der EWSA ist sich des großen Erfolgs bewusst, den das derzeitige Erasmus-Programm gehabt hat (wie auch z.B. der Europäische Freiwilligendienst). Gleichzeitig sieht er mit Sorge, dass die Marke „Erasmus“ von der breiten Öffentlichkeit hauptsächlich mit Aktivitäten im Bereich der Hochschulbildung und generell der formalen Bildung gleichgesetzt wird. Die Frage der besseren Verbreitung von Information über Erasmus als umfassendes Konzept für alle Bildungsbereiche wurde noch nicht angeschnitten und könnte sich als zusätzliche Hürde entpuppen, etwa hinsichtlich Mehrkosten für Öffentlichkeitsarbeit und weitere unvorhergesehene Ausgaben. Der EWSA befürchtet, dass sich die Bekanntmachung einer solchen Marke als unmöglich oder erfolglos herausstellen könnte, wenn bis zum offiziellen Beginn des Programms lediglich ein Jahr bleibt. Außerdem sollten die derzeitigen Namen der Unterprogramme nicht geändert werden.

1.14   Der EWSA begrüßt, dass die Jean-Monnet-Aktivitäten zur Förderung der universitären Lehre sowie der Forschung zur europäischen Integration uneingeschränkt weitergeführt werden sollen, ist jedoch der Auffassung, dass sich diese Form der Unterstützung nicht nur auf die zwei im Vorschlag der Europäischen Kommission genannten Einrichtungen konzentrieren sollte. Der EWSA fordert, erneut alle sechs im Programmzeitraum 2007-2013 durch das Jean-Monnet-Programm geförderten europäischen Hochschuleinrichtungen einzubeziehen, damit auch die vier anderen Einrichtungen von europäischem Rang ihren besonderen Beitrag, ihre Möglichkeiten, sich im akademischen Bereich zu ergänzen, und die damit einhergehende größere kulturelle Vielfalt einbringen können.

Der Ausschuss schlägt deshalb vor, Artikel 10 wie folgt zu ändern:

c)

Förderung der folgenden akademischen Einrichtungen in Europa, die ein Ziel von europäischem Interesse verfolgen:

(i)

Europäisches Hochschulinstitut in Florenz;

(ii)

Europakolleg in Brügge und Natolin;

(iii)

Europäische Rechtsakademie in Trier;

(iv)

Internationales Zentrum für europäische Bildung in Nizza;

(v)

Europäisches Institut für öffentliche Verwaltung in Maastricht;

(vi)

Europäische Agentur für Entwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung in Odense;

2.   Vorschlag der Kommission

2.1   Mit „Erasmus für alle“ will die Kommission alle aktuellen europäischen und internationalen Programme für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport - das Programm für lebenslanges Lernen, Jugend in Aktion, Erasmus Mundus, Tempus, Alfa, Edulink und das bilaterale Kooperationsprogramm mit Industrieländern - in einem einzigen Programm zusammenführen. Hiermit wird mehr Effizienz, einfachere Antragsverfahren für Stipendien und weniger Doppelarbeit und Zersplitterung bezweckt.

2.2   Die Kommission schlägt vor, das neue Programm für den Zeitraum 2014-2020 mit 19 Mrd. EUR auszustatten, was gegenüber dem laufenden Siebenjahreszeitraum einem Zuwachs um rund 70 % entspräche. Zwei Drittel der Mittel sind für Mobilitätsstipendien zur Verbesserung von Kenntnissen und Fertigkeiten vorgesehen.

2.3   Im Zentrum des neuen Programms sollen der Mehrwert auf EU-Ebene und die systemrelevante Wirkung stehen. Zu diesem Zweck werden drei Arten von Aktionen gefördert: Lernangebote - innerhalb und außerhalb der EU - für Einzelpersonen; institutionelle Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen, Jugendorganisationen, Unternehmen, lokalen und regionalen Behörden und Nichtregierungsorganisationen; Unterstützung von Reformen in den Mitgliedstaaten, um die Bildungs- und Berufsbildungssysteme zu modernisieren und Innovation, Unternehmergeist und Beschäftigungsfähigkeit zu fördern.

2.4   Nach Meinung der Kommission kann die EU durch die schlankere Struktur des neuen Programms - und die beträchtliche Erhöhung der Mittelausstattung - für Studierende, Auszubildende, junge Menschen, Lehrkräfte, Jugendbetreuerinnen und -betreuer und anderen Gruppen erheblich mehr Möglichkeiten eröffnen, ihre Fertigkeiten zu verbessern, ihre persönliche Entwicklung voranzubringen und ihre Beschäftigungsaussichten zu steigern. „Erasmus für alle“ soll die Forschung und Lehre zur europäischen Integration unterstützen und den Breitensport fördern.

2.5   Das vorgeschlagene Programm soll beitragen zur Erreichung der Ziele der Europa-2020-Strategie, des strategischen Rahmens für die allgemeine und berufliche Bildung (ET 2020), der Strategie zur jugendpolitischen Zusammenarbeit in Europa (2010-2018) und zur Umsetzung von Leitinitiativen der Europa-2020-Strategie wie Jugend in Bewegung und die Agenda für neue Kompetenzen, sowie zur nachhaltigen Entwicklung des Hochschulwesens in Drittländern und zur Entwicklung der europäischen Dimension im Sport.

3.   Allgemeines

3.1   In den wichtigsten strategischen Dokumenten der EU in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung sowie Jugend werden die Initiativen in den vorstehend genannten Bereichen gleichermaßen vorrangig behandelt. Der EWSA betont, dass durch die Formulierung der Ziele des Programms nicht der Eindruck entstehen darf, dass formaler Bildung Vorrang vor nicht formalem und informellem Lernen - etwa Erwachsenen- und Berufsbildung und –ausbildung, Schulbildung, Jugendaktivitäten und Sport - gegeben wird. Es muss unbedingt vermieden werden, dass Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Bereichen entstehen, da dies den im Programm enthaltenen Ansatz des lebenslangen Lernens beeinträchtigen könnte.

3.2   Der Ausschuss begrüßt die Möglichkeit, Unterstützung für bildungspolitische Reformen in Anspruch zu nehmen, etwa für die Umsetzung des Bologna- bzw. Kopenhagenprozesses und des strukturierten Dialogs mit jungen Menschen. Gleiches gilt für die Unterstützung bei der Umsetzung der Transparenzinstrumente der EU.

3.3   Das Programm stellt sicher, dass „Finanzhilfen für die Lernmobilität, die Einzelpersonen gewährt werden, (…) keinerlei Steuern und Sozialabgaben (unterliegen). Gleiches gilt für zwischengeschaltete Einrichtungen, die für die Vergabe solcher Finanzhilfen an die betreffenden Personen zuständig sind.“ Der Ausschuss befürwortet solche Ausnahmen und fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten entsprechende Fälle zu untersuchen und zu lösen (z.B. Anrechnung von Mobilitätsbeihilfen auf das Familieneinkommen, was zum Verlust von Sozialleistungen führt), die bei der Umsetzung der derzeitigen Mobilitätsmaßnahmen beobachtet wurden.

3.4   Ausdrücklich unterstützt wird die Einbeziehung des Sportbereichs in das Programm, nämlich in Form eines eigenen Kapitels mit einem entsprechenden Budget, da dies durch grenzübergreifende Projekte, Kapazitätsaufbau für Sportorganisationen und erweiterte Möglichkeiten für Partnerschaften eine größere und wirksamere Beteiligung sportpolitischer Akteure und eine bessere Governance der einschlägigen Organe gewährleisten wird, sowie den europäischen Bürgern und insbesondere Jugendlichen Anreize für mehr sportliche Betätigung verschafft.

3.5   Der Ausschuss ist sich dessen bewusst, dass eine einzige nationale Agentur in den Mitgliedstaaten, die ggf. für die Verwaltung der Programmaktionen zuständig ist, wahrscheinlich eine wirksamere Lösung ist in Bezug auf die Benutzerfreundlichkeit, das Arbeitsaufkommen und die Kosteneffizienz. Allerdings sollte der Zugang auf regionaler Ebene für Stipendienbewerber sichergestellt werden; die Einrichtung einer einzigen nationalen Agentur steht unter Umständen nicht im Einklang mit den unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene. Gleichzeitig sollten die administrativen Anforderungen für Bewerber insbesondere für nichtstaatliche Organisationen im Bereich des nicht formalen Lernens nicht zunehmen. Der Verwaltungsaufwand sollte im Gegenteil ständig überprüft und verringert werden. Der EWSA spricht sich außerdem dafür aus, den Mitgliedstaaten eine aktivere Einbindung von Partnern aus der Zivilgesellschaft und dem sozialen Bereich in die Steuerung des Programms auf nationaler Ebene zu empfehlen.

3.6   Der EWSA begrüßt die angestrebte Verringerung der derzeitigen Komplexität und Fragmentierung der einzelnen Ziele und Aktionen zur Erhöhung der Kosteneffizienz und zur Einstellung der Aktionen, denen es für eine langfristige Wirkung an kritischer Masse mangelt. Wie unter Ziffer 1.6 dieser Stellungnahme bereits angekündigt setzt sich der Ausschuss ausdrücklich für die Beibehaltung der gesonderten und unabhängigen Unterprogramme mit einem jeweiligen Mindestanteil der Fördermittel für die Hauptbereiche des Programms ein.

3.7   Während weitergehende Maßnahmen für größere Effizienz und geringere Kosten ausdrücklich unterstützt werden, verweist der Ausschuss darauf, dass der Bedarf an breiteren und effizienteren Projekten und der Bedarf an integrativen Maßnahmen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen müssen. Der Beitrag kleiner Organisationen zu allen Formen der Bildung ist nicht zu unterschätzen, weshalb ihr Zugang zu dem Programm gewahrt bleiben muss.

3.8   Der Ausschuss stellt fest, dass die Schülermobilität im Programm keine Erwähnung findet. Er weist deshalb darauf hin, dass die Bereitschaft zur Mobilität frühzeitig und nicht erst in der Phase der beruflichen oder Hochschulausbildung angelegt werden muss. Die Fortführung der erfolgreichen Comenius-Schulpartnerschaften einschließlich der Ermöglichung kurzer Mobilitätsphasen von Schülerinnen und Schülern ist vor diesem Hintergrund von erheblicher Bedeutung.

3.9   Der Ausschuss hält die im Programm ergriffenen Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs benachteiligter Gruppen zu Mobilität für unzureichend. Eine Ausweitung der Teilnahme unterrepräsentierter Gruppen an Bildung und Lernen sollte klaren Vorrang erhalten, da dies für eine gerechtere Gesellschaft und für Wirtschaftswachstum von grundlegender Bedeutung ist. Die Bildungschancen hängen noch immer unverhältnismäßig stark von der Bildung und dem sozioökonomischen Hintergrund der Eltern ab; bestimmte Gruppen sind in einigen Ländern unterrepräsentiert.

3.10   In den Mobilitätsprogrammen müssen Qualität und Chancengleichheit in einem ausgewogenen Verhältnis zu Quantität stehen, so dass daran auch Personen aus problematischen Verhältnissen teilnehmen können, z.B. durch eine mögliche Anpassung der Höhe der Mobilitätsstipendien, die derzeit im Hinblick auf das jeweilige wirtschaftliche Umfeld der Teilnahmeländer als unzureichend und unflexibel gelten (1).

3.11   Erwogen werden sollte die Möglichkeit, den Europäischen Sozialfonds und die Strukturfonds zur Finanzierung der Teilnahme junger Menschen aus weniger entwickelten Regionen an den individuellen Maßnahmen für Lernmobilität sowie an Praktika und Lehren in Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten heranzuziehen.

3.12   Der Ausschuss plädiert dafür, sich verstärkt um eine bessere Datenerhebung und -analyse zu bemühen, insbesondere in Bezug auf Beschäftigungsfähigkeit, soziale Dimension, lebenslanges Lernen, Übertragbarkeit von Stipendien und Darlehen sowie Qualität und Wirkung von Mobilität insgesamt. Er schlägt eine Ex-post-Bewertung der Mobilitätserfahrung vor. Mit diesen Daten kann die Umsetzung des Programms besser überwacht und auf mögliche Veränderungen aktiv reagiert werden.

3.13   Der Ausschuss versichert erneut seine Unterstützung für die Bestimmung, mit der die Effizienz der Programmmittel gesteigert und die Doppelung und Fragmentierung der aktuellen Maßnahmen verringert werden. Diese Frage sollte generell umfassender berücksichtigt werden, ebenso wie eine Überprüfung aller bestehenden unter der Aufsicht der Europäischen Kommission durchgeführten Programme, deren Ziele ganz oder teilweise im Einklang mit dem vorgeschlagenen Programm stehen. So wird z.B. das von der Kommission mitfinanzierte Programm „Erasmus: junge Unternehmer“ gesondert verwaltet, obwohl es einen Beitrag zu den in „Erasmus für alle“ genannten Zielen leisten könnte.

3.14   Der unter Artikel 13 Punkt 3 (Finanzmittel) angegebenen derzeitigen Mittelaufteilung mangelt es an Klarheit. Der Ausschuss schlägt vor, den Prozentsatz für die Zusammenarbeit zur Förderung von Innovation und bewährten Verfahren anzuheben, da die meisten während der bisherigen Programme für lebenslanges Lernen durchgeführten Analysen ergaben, dass die institutionelle Zusammenarbeit äußerst kosteneffizient ist.

4.   Maßnahmen zur allgemeinen und beruflichen Bildung

4.1   Der EWSA begrüßt die Aufstockung der Mittel für die Berufsbildung. Er empfiehlt jedoch, ein klares Ziel in das Programm aufzunehmen, damit es zum Erreichen des Durchschnittsbezugswerts für die Berufsbildung beiträgt: „Bis 2020 sollten in der EU durchschnittlich mindestens 6 % der 18- bis 34-Jährigen mit abgeschlossener beruflicher Erstausbildung eine mit der Berufsausbildung zusammenhängende Ausbildungsphase (einschließlich Praktika) von mindestens zwei Wochen (10 Arbeitstagen) oder, sofern im ‚Europass‘ verzeichnet, auch von kürzerer Dauer im Ausland absolviert haben“ (2). Außerdem sollte ein Teil der Mittel zur Förderung von Ausbildungsprogrammen zur Verfügung gestellt werden.

4.2   In dieser Hinsicht müssen besondere Anstrengungen zur Beseitigung der praktischen, technischen und rechtlichen Hindernisse für die Lernmobilität unternommen werden, sodass die Entsendung und Aufnahme durch KMU unterstützt und ihr Einsatz für die Mobilität von Auszubildenden und Praktikanten stärker gewürdigt werden. Aufgrund der Zahl und der Reichweite der Tätigkeiten in diesem Bereich und den Ergebnissen der Folgenabschätzung zu Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen (3) schlägt der Ausschuss vor, zu prüfen, ob die derzeit vorgeschlagene Mindestanteil von 17 % für Berufsausbildung ausreicht.

4.3   Der EWSA schlägt außerdem vor, Auszubildende und Praktikanten als eine gesonderte Zielgruppe des Programms einzustufen. Hierdurch könnten die neuen politischen Verpflichtungen zur Förderung von Berufspraktika und berufsbezogenem Lernen zur Verringerung der hohen Jugendarbeitslosigkeit besser umgesetzt werden.

4.4   Der EWSA möchte die niedrige Beteiligung von Erwachsenen am lebenslangen Lernen und das niedrige Niveau der Fähigkeiten und Qualifikationen vieler Erwachsener in Europa unterstreichen (4). Um die Zielvorgabe für die allgemeine und berufliche Bildung – „durchschnittlich mindestens 15 % der Erwachsenen sollen am lebenslangen Lernen teilnehmen“ (5) – zu erreichen, werden leistungsfähige Erwachsenenbildungssysteme, Anbieter, Methoden, Mitarbeiter und Angebote in ganz Europa benötigt. Die Erwachsenenbildung muss der Inbegriff einer aktiven europäischen Bürgerschaft sein, die von einem soliden Erwachsenenbildungsprogramm weiter entwickelt und gefördert werden kann.

4.5   Enge Verbindungen zur beruflichen Aus- und Weiterbildung sind wichtig, allerdings bedarf es dennoch eines eigenen Zweigs für Erwachsenenbildung, um die unter Ziffer 4.4 genannten Herausforderungen anzunehmen. Daher schlägt der Ausschuss vor, die Beibehaltung der Erwachsenenbildung als eigenständigen Bereich in dem Programmvorschlag zu erwägen.

4.6   Während die vorgeschlagene Aufstockung der Mittel für Erwachsenenbildung zu begrüßen ist, erscheint der Mindestanteil von 2 % für Erwachsenenbildung aufgrund des Alterns der europäischen Bevölkerung und dem Bedarf an einer höheren Beteiligung der Erwachsenen am lebenslangen Lernen unangemessen. Angesichts der Tatsache, dass der Bereich der Erwachsenenbildung sehr weitgefasst ist und eine Vielzahl sozialer Unternehmen aufweist, sollte eine markantere Aufstockung erwogen werden.

4.7   In Bezug auf die Erwachsenenbildung sollte das Programm eindeutiger zur Umsetzung der erneuerten europäischen Agenda für die Erwachsenenbildung (6) beitragen. Durch Unterstützung dieser Agenda bietet das Programm eine reale Chance, Fortschritt und positiven Wandel in der Erwachsenenbildung zu bewirken, was sich in Form eines höheren Maßes an Selbstvertrauen, Teilhabe, Kreativität, persönlicher Entwicklung und Beschäftigungsfähigkeit für eine große Zahl europäischer Bürger äußern wird.

4.8   Durch die Workshops und die Freiwilligentätigkeiten von Senioren im Rahmen des Grundtvig-Programms konnten sich viele Menschen in einem europäischen Umfeld engagieren, die diese Möglichkeit ohne dieses Programm nicht gehabt hätten. Angesichts der Vorteile dieser Aktionen verweist der EWSA darauf, dass für erwachsene Lernende die Gleichbehandlung bei der Teilnahme an Mobilitätsmaßnahmen und Freiwilligentätigkeiten gewahrt werden muss.

4.9   Dem Ausschuss zufolge eignet sich das Programm hervorragend dazu, das auch vom Rat (7) festgelegte Mobilitätsziel des Bologna-Prozesses für Studierende (8) zu erreichen, nämlich „dass 2020 mindestens 20 % der Absolventen im Europäischen Hochschulraum im Ausland studiert oder einen Teil der Ausbildung im Ausland absolviert haben sollten“. Der EWSA stellt jedoch fest, dass der Umfang der individuellen Mobilitätsstipendien angepasst werden muss, damit auch benachteiligte junge Menschen die Möglichkeit haben, an den Mobilitätsmaßnahmen teilzunehmen.

4.10   Die weitere Entwicklung gemeinsamer Programme und gemeinsamer Abschlüsse im gesamten Europäischen Hochschulraum wird befürwortet, da durch gemeinsame Programme und gemeinsame Abschlüsse die Aufmerksamkeit auf nationale, die Mobilität behindernde Regeln und Gesetze gelenkt sowie die allgemeine Qualität der Bildung gesteigert und die internationale institutionelle Zusammenarbeit gefördert werden können.

4.11   Die Synchronisierung der Systeme für die Anerkennung des informellen Lernens mit dem Europäischen System zur Anrechnung von Studienleistungen (ECTS) und die Umsetzung des Europäischen Leistungspunktesystems für die Berufsbildung (ECVET) auf der Grundlage eines auf Lernergebnissen beruhenden Ansatzes sind für das Erreichen des Bologna-Mobilitätsziels für Studierende und die Gewährleistung der Qualität der Mobilitätsprogramme und für Bildung und Ausbildung allgemein von zentraler Bedeutung. Der EWSA stellt fest, dass in einer Reihe von Ländern das ECTS und das ECVET noch nicht mit Lernergebnissen verbunden wurden und dass das Ziel der Chancengleichheit für alle noch nicht erreicht wurde. Daher sollten Sofortmaßnahmen erwogen werden, um das ECTS und das ECVET als gemeinsame Instrumente in der EU zu etablieren und somit sicherzustellen, dass die Qualifikationen sowohl für die Studierenden als auch für die Arbeitgeber transparent werden.

4.12   Der Ausschuss möchte außerdem betonen, dass es einer fortwährenden Koordinierung auf europäischer Ebene bedarf, um den Mitgliedstaaten bei der Ergreifung von Maßnahmen zu helfen, damit alle neuen Befähigungszeugnisse im Zuge nationaler Qualifikationssysteme einen eindeutigen Verweis auf das entsprechende Niveau im Europäischen Qualifikationsrahmen enthalten. Da dieses Ziel (9) offenkundig nicht vor Ablauf der offiziellen Frist 2012 erreicht werden wird, bedarf es weiterer Koordinierung und Maßnahmen zur Beschleunigung der Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR).

4.13   Der EWSA schlägt vor, der Mitarbeitermobilität höhere Priorität einzuräumen, was einen wichtigen Beitrag zu erstklassigen Bildungsprogrammen und zu stärker international ausgerichteten Institutionen darstellen würde. Der Ausschuss plädiert für eine engere Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, um Hindernisse für die Mitarbeitermobilität bezüglich der Sozialversicherungssysteme, der Altersvorsorge und der beruflichen Anerkennung zu beseitigen.

4.14   Entsprechend seinem in der Stellungnahme zur Initiative „Jugend in Bewegung“ (10) vertretenen Standpunkt fordert der EWSA eine genauere Beschreibung der vorgeschlagenen Regelung zur Vergabe von Darlehen für Studierende, die einen Masterstudiengang in einem anderen Mitgliedstaat belegen, um sicherzustellen, dass das Verfahren zur Darlehensvergabe sorgfältig erarbeitet ist und die jungen Menschen darüber informiert wurden, um sie so weit möglich davor zu bewahren, in eine Schuldenspirale zu geraten. Angesichts der Bemühungen um die Einführung des vorgeschlagenen Darlehenssystems sollte sichergestellt werden, dass solche Darlehen (insbesondere für benachteiligte Studierende) attraktiv und erschwinglich sind, um die geschätzte Gesamtzahl von 331 100 Studierenden zu erreichen.

4.15   Des Weiteren plädiert der Ausschuss dafür, alle mögliche Folgen des vorgeschlagenen Darlehenssystems abzuschätzen, einschließlich der Folgen für die nationalen und regionalen Förderungssysteme und hinsichtlich der Höhe der von den Hochschulen erhobenen Studiengebühren. Die Ergebnisse einer solchen Folgenabschätzung sollten größtmögliche Verbreitung erfahren.

4.16   Zusätzlich zu dem vorgeschlagenen Darlehenssystem fordert der EWSA die EU-Institutionen auf, die nationalen Maßnahmen der Mitgliedstaaten durch eigene Maßnahmen zu unterstützen, um - im Rahmen der Förderung der Mobilität und der Wahrung der Chancengleichheit beim Zugang zu Mobilität und Bildung - die volle Übertragbarkeit nationaler Stipendien und Darlehen innerhalb der EU zu gewährleisten.

5.   Maßnahmen für die Jugend

5.1   Der EWSA hebt die Wirksamkeit des derzeitigen Programms „Jugend in Aktion“ (11) hervor. Schätzungsweise haben durch „Jugend in Aktion“ ca. 1 000 000 junge Europäer Erfahrung mit nicht formaler Bildung und Mobilität gesammelt; das derzeitige Programm hat durch die Unterstützung von Jugendorganisationen offensichtlich unter jungen Europäern eine nachhaltige Resonanz hervorgerufen. Die Wirkung des Programms „Jugend in Aktion“ auf junge Menschen dürfte größer als die jedes anderen EU-Programms sein – dies wird in dem Vorschlag jedoch nicht ausreichend widergespiegelt.

5.2   Der Ausschuss fürchtet, dass die Empfänger von Fördermitteln in dem vorliegenden Vorschlag tendenziell ungleich behandelt werden, und dass es schwieriger wird, die benachteiligten jungen Menschen zu erreichen, die derzeit über kleine und lokale Jugendorganisationen Zugang zum Programm „Jugend in Aktion“ haben.

5.3   Der EWSA ist überzeugt, dass der Jugend und der Jugendpolitik in dem Programm eine höhere politische und finanzielle Priorität eingeräumt werden sollte, und zwar unter Berücksichtigung der verschiedenen jugendspezifischen Ziele, die in der Europa-2020- und der ET2020-Strategie, der Initiative für die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa (2010-2018) sowie in Leitinitiativen wie „Jugend in Bewegung“ und die „Agenda für neue Kompetenzen“ formuliert wurden.

5.4   Angesichts der Reichweite und des Umfangs der Tätigkeiten und der Teilnehmerzahl des derzeitigen Programms „Jugend in Aktion“ sowie der im Rahmen dieses Programms bestehenden Möglichkeit, benachteiligte Jugendliche einzubeziehen, fordert der Ausschuss einerseits eine Überprüfung der Frage, ob durch den vorgeschlagenen Mindestanteil für Jugend von 7 % sichergestellt ist, dass die Ziele für den Jugendbereich erreicht werden, und anderseits die Einführung eines eigenen Unterprogramms für Maßnahmen für die Jugend, das mit angemessenen Mitteln ausgestattet wird. Ein entsprechender Ansatz wurde bereits in der EWSA-Stellungnahme zur Initiative „Jugend in Bewegung“ (12) vorgeschlagen. Alle derzeitigen Unterprogramme des Programms „Jugend in Aktion“ sollten beibehalten werden.

5.5   Der Ausschuss betont, dass das Programm „Jugend in Aktion“ derzeit zur Unterstützung von Aktivitäten beiträgt, die sonst keine finanzielle Unterstützung aus anderen Quellen erhalten würden, und dass es eine der wichtigsten Finanzierungsmöglichkeiten für Jugendprojekte ist. Dies gilt insbesondere für kleine und lokale bzw. regionale Organisationen. Das Wegbrechen einer solchen Unterstützung könnte ernsthafte negative Folgen für den europäischen Jugendbereich haben. In diesem Falle besteht die Gefahr, dass sich viele Jugendorganisationen weniger europäisch orientieren werden, da es die europäischen Netze sind, die kleinere und lokale Organisationen dazu ermutigen, sich an europäischen Programmen zu beteiligen. Hierdurch würde nur noch Raum für große Organisationen und Institutionen bleiben; lokale, regionale und kleine Organisationen würden das Nachsehen haben.

5.6   Der Ausschuss ist der Ansicht, dass das Programm einen eindeutigeren Beitrag zur Umsetzung von Artikel 165 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union leisten sollte: „Förderung des Ausbaus des Jugendaustauschs und des Austauschs sozialpädagogischer Betreuer und verstärkte Beteiligung der Jugendlichen am demokratischen Leben in Europa“.

6.   Maßnahmen angesichts des demografischen Wandels

Der EWSA schlägt für die EU-Finanzierungsperiode 2014-2020 ein eigenes Förderprogramm „Generationen in Aktion“ vor. Der Dialog zwischen den Generationen wird in vielen Programmen und Vorschlägen gefordert, etwa im Bereich des aktiven und gesunden Alterns, der Nachhaltigkeit (eines nachhaltigen Lebensstils) sowie der Energieeffizienz.

Der EWSA ist überzeugt, dass gemeinsame Mobilitätserfahrungen von Jung und Alt verstärkt zur gegenseitigen Wertschätzung, zur Förderung des sozialen Zusammenhalts und zur gemeinsamen Verantwortung für europäische Werte beiträgt.

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  SEC(2011) 1402 final, COM(2011) 788 final.

(2)  Schlussfolgerungen des Rates zu einer Benchmark für die Lernmobilität, 3 128. Tagung des Rates Bildung, Jugend, Kultur und Sport, 28./29.11.2011.

(3)  Mit der beruflichen Aus- und Weiterbildung über das Unterprogramm Leonardo da Vinci wird die Durchführung des Kopenhagen-Prozesses und die Umsetzung der Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung unterstützt; es handelt sich hierbei um einzigartige Möglichkeiten für Internationalisierung, Mobilität und Innovation in diesem Bereich.

(4)  COM(2007) 558 final.

(5)  http://ec.europa.eu/education/lifelong-learning-policy/doc34_de.htm.

(6)  Entschließung des Rates über eine erneuerte europäische Agenda für die Erwachsenenbildung (16743/11), 17.11.2011.

(7)  Schlussfolgerungen des Rates zur Modernisierung der Hochschulbildung, 3 128. Tagung des Rates Bildung, Jugend, Kultur und Sport, 28./29.11.2011.

(8)  Pressemitteilung zur Konferenz der europäischen Hochschulminister am 28./29.4.2009 in Löwen und Louvain-la-Neuve.

(9)  Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen, ABl. C 111 vom 6.5.2008, S. 1-7.

(10)  ABl. C 132/55 vom 3.5.2011.

(11)  SEC(2011) 1402 final, COM(2011) 788 final.

(12)  ABl. C 132/55 vom 3.5.2011.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/160


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen“

COM(2011) 866 final — 2011/0421 (COD)

(2012/C 181/28)

Alleinberichterstatterin: Béatrice OUIN

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 19. bzw. 17. Januar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen

COM(2011) 866 final — 2011/0421 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 29. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 149 gegen 2 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt den Vorschlag für einen Beschluss zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen.

1.2   Er befürwortet den Ansatz, sich auf die Verfahrensweisen, die sich bei übertragbaren Krankheiten bewährt haben (1), und auf eine Analyse der jüngsten Krisen zu stützen, um die Lücken des geltenden Instrumentariums nach Maßgabe des Vertrags von Lissabon zu schließen.

1.3   Um wirkungsvoller gegen Gesundheitsgefahren vorgehen zu können, die keine Grenzen kennen, bedarf es einer europaweiten, sektorübergreifenden Koordinierung.

1.4   Der EWSA fordert jedoch nachdrücklich, alle Akteure der Zivilgesellschaft an der Bereitschaftsplanung und an der Kommunikation im Krisenfall zu beteiligen. Die Koordinierung allein den Fachkräften des Gesundheitswesens und den Katastrophenschutzexperten zu überlassen, entspricht nicht mehr der Funktionsweise der heutigen Gesellschaft, in der die Medien eine wichtige Rolle bei der Information der Bevölkerung übernommen haben.

2.   Hintergrund

2.1   Die großen Pest-, Cholera- oder Grippeepidemien der vergangenen Jahrhunderte sind im kollektiven Gedächtnis haften geblieben als weitverbreitete schwere Krankheiten, die anscheinend in der Lage waren, die Menschheit in nur wenigen Wochen zu dezimieren.

2.2   Im Europa des 20. Jahrhunderts glaubte man, diesen Risiken dank der modernen Medizin den Rücken gekehrt zu haben. Die Staaten richteten Gesundheitssysteme zum Schutz der Bevölkerung ein (Pflichtimpfungen, Gesundheitsüberwachung), und Europa führte Rechtsvorschriften und ein wirksames Netz zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ein. Dieses System funktioniert, solange es sich um bekannte, schon seit längerem identifizierte Viren handelt. Neuen Krankheiten wie Aids oder SARS gegenüber hat es sich als weniger wirksam erwiesen (2).

2.3   Weitere Bedrohungen sind aufgekommen, die ebenfalls die Bevölkerung ganzer Regionen in Gefahr bringen können. Die allgemeine Mobilität von Menschen, Lebensmitteln, Produkten usw. führt zu neuen Anfälligkeiten. Viren, die bisher nur örtlich bekannt waren, können sich sehr rasch ausbreiten und in Regionen gefährlich werden, in denen sie unbekannt sind.

2.4   Die Entdeckung und massenhafte Herstellung neuer chemischer Produkte haben es zwar ermöglicht, Krankheiten zu bekämpfen, landwirtschaftliche Erträge zu steigern, Bau und Beförderung zu erleichtern, Produkte in größerer Menge bereitzustellen und die Kommunikation in all ihren Formen zu beschleunigen und allgemein zugänglich zu machen – sie haben aber auch ihre Kehrseite. Die Menschen leben heute in einer „Chemiesuppe“, in der Schadstoffe aller Art in Luft, Wasser und Lebensmitteln vorkommen.

2.5   Flüsse, Regen, Wind und Viren machen vor Grenzen nicht halt. Wenn es einen Bereich gibt, in dem ein Schulterschluss auf europäischer Ebene wesentlich ist, dann ist es der Gesundheitsschutz.

2.6   Eine der Konsequenzen der industriellen Massenproduktion ist der Klimawandel mit seinen mannigfaltigen Auswirkungen. Und hinzukommen noch Industrieunfälle, neue Viren usw.: Der Schutz der Gesundheit darf sich nicht mehr auf den alleinigen Aspekt übertragbarer Krankheiten oder der medizinischen Überwachung der Bevölkerung beschränken.

2.7   In einer eng verflochtenen Gesellschaft kann von überall her Gefahr für die Gesundheit kommen. Gesundheitskrisen beginnen mit industriebedingter Umweltverschmutzung, einer Tierseuche oder einer Naturkatastrophe. Deshalb müssen nicht nur die geografischen, sondern auch die Grenzen zwischen einzelnen Bereichen beseitigt werden.

2.8   Im Fall übertragbarer Krankheiten gibt es einen von der Weltgesundheitsorganisation gesteuerten wirksamen weltweiten Mechanismus (3).

2.9   Europa fängt nicht bei null an. Auch für übertragbare Krankheiten ist das System gut eingefahren und effizient; bei der H1N1-Epidemie hat es jedoch Lücken im Zusammenhang mit dem Kauf von Impfstoffen gezeigt, die erst beim Auftreten des neuen Virus entwickelt werden können. Die Produktion des Impfstoffs in industriellem Maßstab und die Aushand–lung der Preise haben die EU-Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Haltungen gegenüber der Impfung veranlasst, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Ausbreitung des Virus gehabt haben könnte, wenn es ansteckender gewesen wäre.

2.10   Nach den Anschlägen des 11. September 2001 und den Briefsendungen mit Anthrax-Sporen in den USA wurde auf europäischer Ebene ein für alle Risiken außer übertragbaren Krankheiten zuständiger Gesundheitssicherheitsausschuss (4) eingerichtet, der jedoch nicht institutionalisiert ist und daher keine politischen Entscheidungen treffen kann, falls sich dies als notwendig erweisen sollte.

3.   Verbesserungsbedarf

3.1   Der vorliegende Vorschlag ermöglicht die Schließung der bestehenden Lücken auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon (5), der in diesem Bereich neue Zuständigkeiten verleiht, sowie ausgehend von der Analyse der bei den jüngsten Gesundheitskrisen aufgetretenen Schwierigkeiten.

3.2   Diese Schwierigkeiten waren zahlreich: BSE-Krise, H1N1-Pandemie, E.-coli-/STEC-O104-Ausbruch, Terroranschläge mit Chlor im Irak, Kontamination mit Melamin, toxischer roter Schlamm, Ölpest, Vulkanaschewolke. Jede Krise ermöglicht es, die Schwächen des aktuellen Systems zu erkennen und Verbesserungen vorzuschlagen. Der vorliegende Vorschlag für einen Beschluss zielt darauf ab, aufbauend auf dem bereits bestehenden Fundament einen kohärenten Rahmen zu schaffen und die nationale und sektorspezifische Zusammenarbeit zu verbessern.

3.3   Nicht angegangen wird in dem Vorschlag auf die Frage der radiologischen und nuklearen Risiken, die bereits in anderen EU-Rechtsvorschriften behandelt werden.

3.4   Die derzeitige EU-Gesetzgebung bezieht sich nur auf die Gesundheitsbedrohungen durch übertragbare Krankheiten (6). Das Netz für die epidemiologische Überwachung und die Kontrolle übertragbarer Krankheiten, das Warnungen ausspricht und die Reaktion auf europäischer Ebene koordiniert, wird den heutigen Standards und Anforderungen nicht gerecht. Daher wird vorgeschlagen, es mit den in dem Vorschlag enthaltenen Bestimmungen zu ersetzen.

3.5   Das bestehende System durch seine Ausweitung auf weitere Risiken zu verstärken, würde einen Effizienzgewinn ohne erhebliche Zusatzkosten ermöglichen.

3.6   Der EWSA billigt die Ziele des Vorschlags:

Im Bereich der Bereitschaftsplanung: Koordinierung der Bemühungen der Mitglied–staaten im Hinblick auf verbesserte Bereitschaft und Kapazitätsaufbau: „Dazu wird die Kommission die Koordinierung zwischen nationalen Planungsstellen und zwischen Schlüsselsektoren wie Verkehr, Energie und Katastrophenschutz sicherstellen und die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, einen gemeinsamen Beschaffungsmechanismen für medizinische Abwehrmaßnahmen einzurichten.“

Aufbau eines Ad-hoc-Netzes zur Bereitstellung relevanter Informationen und Daten für die Risikobewertung und das Monitoring neu auftretender Bedrohungen, sobald ein Mitgliedstaat eine andere schwerwiegende Bedrohung als eine übertragbare Krankheit meldet. Übertragbare Krankheiten werden weiterhin nach dem bisherigen Verfahren überwacht.

Das derzeitige Frühwarn- und Reaktionssystem wird auf alle schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen ausgeweitet und nicht nur auf übertragbare Krankheiten angewandt werden.

Koordinierte Entwicklung nationaler oder europäischer Risikoabschätzungsverfahren für Gesundheitsbedrohungen biologischer, chemischer, umweltbedingter oder unbekannter Herkunft in einer Krisensituation.

Schließlich wird mit dem Beschluss ein kohärenter Rahmen für die EU-Reaktion auf Gesundheitskrisen geschaffen. Konkret wird die EU mit der Formalisierung des bestehenden Ausschusses für Gesundheitssicherheit besser in der Lage sein, im Falle einer Gesundheitskrise die nationalen Krisenreaktionen zu koordinieren.

3.7   Den in diesem Vorschlag postulierten Absichten – besser zu koordinieren, effizienter zu sein, ein europäisches Beschaffungswesen einzusetzen, um mit pharmazeutischen Unternehmen Preise auszuhandeln, die einen Schutz aller Europäer ermöglichen, ein Warnsystem auf europäischer und nicht nur auf internationaler Ebene (WHO) einzurichten und die bestehenden Mechanismen auf chemische, bakteriologische, umweltbedingte usw. Risiken auszudehnen – steht der EWSA selbstverständlich sehr positiv gegenüber.

3.8   Die Risiken mithilfe eines europäischen Netzes von Spezialisten zu bewerten, sich über den Schweregrad zu einigen, um eine angemessene Reaktion vorzusehen und gemeinsame Botschaften festzulegen, sensible Daten unter Einhaltung der Regeln (insbesondere derer zum Schutz personenbezogener Daten) sowohl mit vergleichbaren Daten zwischen Mitgliedstaaten als auch mit Nachbarländern auszutauschen sowie gemeinsame Hinweise für Reisende zu erarbeiten, trägt alles dazu bei, die bereits bestehenden Verfahrensweisen leistungsfähiger zu machen, ohne das System durch die Schaffung neuer Mechanismen zu überfrachten.

4.   Die neueren Entwicklungen berücksichtigen

4.1   Die EWSA möchte die Behörden der EU und der Mitgliedstaaten jedoch darauf aufmerksam machen, wie die jüngsten Krisen verlaufen sind.

4.2   Sowohl bei der H1N1-Pandemie als auch dem E.-coli-/STEC-O104-Ausbruch war festzu–stellen, dass Informationen nicht nur von den Behörden verbreitet werden und dass ein Teil der Bevölkerung nichtverifizierten Informationen, die im Internet zirkulieren, mehr Glauben schenkt. Diese Informationsflut kann das Krisenmanagement erschweren und gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung sowie auf ganze Wirtschaftszweige haben, etwa wenn bestimmte Ärzte Kritik am Impfstoff üben oder wenn die Informationen zur Herkunft des Bakteriums falsch sind.

4.3   Eine unzulängliche Informationsverbreitung kann zu einer enormen Verschwendung von Ressourcen führen und die Wirkung des Instrumentariums beeinträchtigen. Der pädagogische Aspekt muss ebenso wichtig sein wie wirtschaftliche Erwägungen.

4.4   Dies veranlasst den EWSA zu der Empfehlung, dass alle Akteure der Zivilgesellschaft als Informationsvermittler an den Krisenmechanismen beteiligt werden und dass außerhalb der Krisenzeiten schon in der Schule und am Arbeitsplatz eine Sensibilisierung stattfindet, um den europäischen Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, wie sie vor den Risiken geschützt werden, wie die Monitoring- und Alarmierungssysteme funktionieren und wem sie im Krisenfall glauben können, d.h. wer befugt ist, zuverlässige Informationen zu verbreiten.

4.5   Die Kommunikation ist zu einem wesentlichen Faktor in Gesundheitskrisen geworden und ist von gleicher Bedeutung wie die Bereitstellung von Impfstoffen, denn was nützen im Endeffekt gute Impfstoffe, wenn die Bevölkerung nicht vom Nutzen einer Impfung überzeugt ist?

4.6   Die Bürgerinnen und Bürger zur Verantwortung aufzurufen, hat nur dann Sinn, wenn sie auch über die Mittel verfügen, diese wahrzunehmen. Dazu ist es erforderlich, dass sie im Vorfeld über die bestehenden Mechanismen und die Rolle des Einzelnen aufgeklärt und informiert wurden. Die Bürgerinnen und Bürger können sowohl aktiv am gemeinsamen Schutz mit–wirken als auch die Situation verschlechtern, wenn sie nicht in die Verantwortung genommen und richtig informiert wurden. Die Behörden müssen im Allgemeininteresse sämtliche am Gemeinwohl interessierten Organisationen in den Schutz aller einbeziehen, indem sie zu einer angemessenen wechselseitigen Information animieren.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Entscheidung Nr. 2119/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 1998 über die Schaffung eines Netzes für die epidemiologische Überwachung und die Kontrolle übertragbarer Krankheiten in der Gemeinschaft (ABl. L 268 vom 3.10.1998, S. 1).

(2)  Schweres akutes Atemwegssyndrom.

(3)  Internationale Gesundheitsvorschriften (IHR): http://www.who.int/ihr/fr/.

(4)  Siehe die Schlussfolgerungen des Vorsitzes vom 15. November 2001 zum Bioterrorismus (13826/01) und die Schlussfolgerungen des Rates vom 22. Februar 2007 über die vorübergehende Verlängerung und Ausdehnung des Mandats des Ausschusses für Gesundheitssicherheit (HSC) (6226/07).

(5)  Artikel 6 Buchstabe A und Artikel 168 Absatz 1 Aeuv.

(6)  Entscheidung Nr. 2119/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 1998 über die Schaffung eines Netzes für die epidemiologische Überwachung und die Kontrolle übertragbarer Krankheiten in der Gemeinschaft (ABl. L 268 vom 3.10.1998, S. 1).


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/163


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Fahrplan für ein ressourceneffizientes Europa“

COM(2011) 571 final

(2012/C 181/29)

Berichterstatterin: Siobhán EGAN

Die Europäische Kommission beschloss am 20. September 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Fahrplan für ein ressourceneffizientes Europa

COM(2011) 571 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 14. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28. / 29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 146 gegen 5 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Die Europäische Kommission zielt mit ihrer Europa-2020-Strategie und der Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ darauf ab, die europäische Wirtschaft widerstandsfähiger und nachhaltiger zu gestalten, indem sie sämtliche natürlichen Ressourcen weitaus effizienter nutzt. Der Ausschuss hat bereits die Leitinitiative unterstützt und begrüßt nun den ausführ–licheren „Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa“ der Europäischen Kommission, in dem sie Etappenziele für den Umbau der Wirtschaft und einen Rahmen für die erforderlichen Maßnahmen zur Einleitung dieses Prozesses vorgibt.

1.2   Der Ausschuss fordert alle Institutionen, europäischen Entscheidungsträger, europäische Unternehmen und Sozialpartner und die europäische Gesellschaft insgesamt auf, sich zu einer breit angelegten politischen und gesellschaftlichen Bewegung zur Unterstützung des erforderlichen erheblichen Wandels zusammenzuschließen und den mit diesem Fahrplan bereitge–stellten Rahmen für die Orientierung und Überwachung der Fortschritte zu nutzen.

1.3   Der Ausschuss fordert die Einrichtung eines starken Koordinierungsmechanismus auf hoher Ebene in der Europäischen Kommission und in den Mitgliedstaaten, um die Fortschritte bei der Durchführung der in dem Fahrplan vorgeschlagenen Maßnahmen zu überwachen und voranzutreiben.

1.4   Auf Ebene der Mitgliedstaaten fordert der Ausschuss die Annahme umfassender Ressourceneffizienz-Strategien einschl. fiskalische Reformen, die Abschaffung widersinniger Beihilfen, eine starke Regulierung von Produktnormen, wirksame Bildungs- und Kompetenzentwicklungsprogramme sowie die vollständige Einbindung der lokalen und regionalen Gebiets–körperschaften, Unternehmen, Sozialpartner, Verbraucher und anderer Organisationen und der Bürger. Diese Strategien sollten aktive Politikmaßnahmen zur Sicherstellung eines sozial gerechten Wandels umfassen, einschl. der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter und ihre Einbeziehung in die Umstellung der Unternehmen in neue, ressourceneffiziente Unternehmen.

1.5   Auf europäischer Ebene unterstützt der Ausschuss sämtliche im Fahrplan vorgeschlagenen Maßnahmen und fordert, dass besondere Aufmerksamkeit auf folgende Punkte gerichtet wird:

zügige Festlegung geeigneter Indikatoren einschl. des im Fahrplan empfohlenen Leit–indikators „Ressourcenproduktivität“, d.h. eines allgemeines Indikators für die Ressourceneffizienz der nationalen Wirtschaften, eines Wirtschafts-Indikators „über das BIP hinaus“ für das Wohlergehen sowie weiterer sektorspezifischerer Maßnahmen;

wirksame Mechanismen, um der Ressourceneffizienz in den jährlichen nationalen Reformberichten und ihrer Bewertung durch Kommission und Benchmarking im Europäischen Semester zur Überwachung der Europa-2020-Strategie einen hohen Stellenwert einzuräumen;

Überarbeitung und Aktualisierung der übergeordneten EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung nach dem Weltgipfel in Rio im Juni 2012 mit Schwerpunkt auf Ressourceneffizienz und ihrer Verbindung zu weiteren Nachhaltigkeitszielen;

detaillierte Analyse des Zusammenspiels von Ressourceneffizienz- und ökologischen Zielen wie im 7. Umweltaktionsprogramm;

Koordinierungsmechanismus zur Sicherstellung von Fortschritten in sämtlichen 20 Einzelinitiativen, die von der Europäischen Kommission als Beitrag zur Ressourcen–effizienz ermittelt wurden, und weiterer Initiativen, die in diese Liste aufgenommen werden könnten;

Aufnahme von Ressourceneffizienz-Zielen in die Kriterien für sämtliche europäische Ausgabenprogramme und in das öffentliche Beschaffungswesen;

umfassende Einbindung der Zivilgesellschaft in die regelmäßige Überwachung und Bewertung der Fortschritte.

1.6   Der Ausschuss wird nach Kräften bei der Einbindung der Interessenträger und der Über–wachung der Fortschritte in dieser wichtigen Frage mitwirken und dabei gern mit den anderen Institutionen zusammenarbeiten.

2.   Hintergrund

2.1   Im Januar 2011 veröffentlichte die Europäische Kommission die Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ als eine von sieben neuen Leitinitiativen der Europa-2020-Strategie (1), um ein grundlegendes Umdenken bei der Nutzung von materiellen Ressourcen in der gesamten europäischen Wirtschaft herbeizuführen und wirtschaftliches Wohlergehen vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln.

2.2   In einer früheren Stellungnahme zur Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ begrüßte der Ausschuss die allgemeinen Ziele dieser Ressourceneffizienz-Initiative und forderte, dass sie in eine überarbeitete und aktualisierte Fassung der übergreifenden EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung eingebunden wird (2). Er forderte außerdem, dass die Europäische Kommission im Zuge der Durchführung der sektorspezifischen Einzelinitiativen und des Fahrplans detailliertere Informationen bereitstellen sollte.

2.3   Im Laufe des Jahres 2011 brachte die Europäische Kommission zahlreiche Einzelinitiativen (3) auf den Weg, um die Ressourceneffizienz in bestimmten Sektoren zu fördern. In dem Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa werden all diese Maßnahmen nun zusammengeführt. In einem Zukunftsbild wird beschrieben, wie die umgestaltete Wirtschaft im Jahr 2050 aussehen soll, wobei bis 2020 Etappenziele zu erreichen sind. Es werden Sektoren benannt, in denen weitere Maßnahmen seitens der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten erforderlich sind, damit diese Ziele auch wirklich erreicht werden können.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der Ausschuss stimmt der entscheidenden Bedeutung zu, die die Europäische Kommission einer größeren Effizienz bei der Ressourcennutzung in Europa und weltweit beimisst. Eine höhere Ressourceneffizienz ist ein wichtiger Aspekt, um das anhaltende Streben nach Wirtschaftswachstum mit der Notwendigkeit in Einklang zu bringen, die Endlichkeit vieler natürlicher Ressourcen zu berücksichtigen und die Grenzen anzuerkennen, die die Kapazitäten der Erde dem kontinuierlichen Zuwachs von Produktion und Verbrauch setzen. Sie ist auch wesentlich, um den Anstieg von Treibhausgas- und anderen Schadstoffemissionen einzuschränken, die biotischen Ressourcen zu schützen und den öffentlichen Nutzen der Ökosysteme zu wahren. Die Förderung von Ressourceneffizienz sollte im Mittelpunkt der Weltwirtschaftspolitik und des Handelns der weltweit führenden Unternehmen stehen.

3.2   Alle möglichen Unternehmen haben bereits seit jeher den unmittelbaren Kostenanreiz, um in allen Produktionsabschnitten effizient mit ihren Ressourcen umzugehen. Auf der Ergebnisseite jedoch besteht schon immer die gewinnorientierte Motivation, die Verbraucher zu einem möglichst hohen Verbrauch anzuregen. Die Ressourceneffizienz allein dem Marktgeschehen zu überlassen wird daher nicht ausreichen, um den Wandel herbeizuführen, der angesichts der Belastungen aufgrund der rasch zunehmenden Weltbevölkerung, des steilen Anstiegs der Verbrauchernachfrage, insbesondere in den Schwellenländern, und der zunehmenden Ressourcenknappheit und Umweltverschmutzung notwendig ist. Wir brauchen ein neuartiges „nachhaltiges“ oder „grünes“ Wachstum, bei dem der Anstieg der Wirtschaftstätigkeit und die Zunahme von Wohlergehen oder Wohlstand nicht automatisch mit einer Zunahme des Res–sourcenverbrauchs einhergehen, sondern im Gegenteil mit einem sinkenden Ressourcen–verbrauch erzielt werden können.

3.3   Regierungen wie auch die Gesellschaft insgesamt haben daher eine wichtige Verantwortung, um diese Umstellung über die nächste Generation hinweg in dem erforderlichen Umfang und Tempo voranzubringen. Die Regierungen müssen handeln, um

die korrekte Bepreisung der Externalitäten durch fiskalische Maßnahmen sicherzustellen;

schädliche Beihilfen abzuschaffen;

Mindestnormen für die Ressourceneffizienz für bestimmte Sektoren durch angemessene Auflagen festzusetzen;

geeignete Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu fördern;

Investitionen in ressourceneffiziente Verfahren zu fördern und ineffiziente Verfahren zu sanktionieren;

ein besseres Verständnis von Ressourceneffizienz über die Medien sowie in der schulischen und beruflichen Bildung zu fördern.

3.4   Die Umstellung wird aufgrund des erforderlichen Umfangs und Tempos erhebliche Aus–wirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Unternehmen, die ihre Ressourcen ineffizient nutzen bzw. abfallintensive Produkte herstellen, werden unter Druck geraten und müssen möglicherweise Arbeitskräfte entlassen. Unternehmen, die hingegen ihre Ressourcen effizient nutzen und effiziente Produkte und Dienstleistungen herstellen, sollten mit dem wirtschaftlichen Aufschwung florieren und neue Arbeitsplätze schaffen. Die Länder, die dabei als Vorreiter auftreten, werden in der neuen Welt begrenzter natürlicher Ressourcen am erfolgreichsten und wettbewerbfähigsten sein und die meisten neuen Arbeitsplätze in dieser neuen grünen Wirtschaft schaffen.

3.5   Um eine gerechte Umstellung zu gewährleisten, in deren Rahmen wirklich qualitativ hochwertige Arbeitsplätze geschaffen und der Erwerb neuer Kompetenzen gefördert werden, sind ggf. aktive Weiterbildungsprogramme und Wiedereinstellungshilfen erforderlich (4). Dieser und weitere Aspekte der sozialen Dimension werden bislang in dem Fahrplan vernachlässigt und müssen weiter entwickelt werden.

3.6   Die Verwirklichung einer höheren Ressourceneffizienz in dem geforderten Umfang ist eine große und dringliche Herausforderung für ganz Europa und die gesamte Gesellschaft. Hierfür sind ein starkes politisches und gesellschaftliches Engagement auf allen Ebenen sowie ehrgeizige und weitreichende Initiativen und Maßnahmen seitens der EU und der einzelnen Mitgliedstaaten auf nationaler und lokaler Ebene erforderlich.

3.7   Der Fahrplan sollte den Rahmen bieten, um dieses europaweite politische Momentum zu erzeugen, und eine inspirierende Vision dessen, was möglich wäre. Der Ausschuss begrüßt seinen allgemeinen Ansatz und die für 2050 entworfene Vision.

3.8   Auf die praktische Durchführung kommt es an. Die in dem Fahrplan für 2020 vorgeschlagenen Etappenziele sind zweckdienlich, um die längerfristige Vision an konkreteren und unmittelbareren Zielen festzumachen, die umgehend verfolgt werden müssen. Es bleibt jedoch noch viel zu tun, um die Umstellung von Wirtschaftspolitik, Industriestrategien und Investitionsströmen auf den Weg zu bringen, die für die Umsetzung des Fahrplans erforderlich ist. Die Europäische Kommission hat die wesentliche Bedeutung der Verwirk–lichung einer höheren Ressourceneffizienz hervorgehoben; und der Rat (Umwelt) hat dies in gewissem Maße auch unterstützt (Schlussfolgerungen des Rates (Umwelt) vom 19. Dezember 2011). Für eine erfolgreiche Umstellung sind jedoch das Engagement und der Wille der Europäischen Kommission insgesamt und aller Regierungen erforderlich. Die Förderung der Ressourceneffizienz muss einen weitaus höheren Stellenwert auf der Agenda der Staats- und Regierungschefs sowie des Rates der Europäischen Union in all seinen Formationen ein–nehmen, denn auf dieser Ebene müssen sowohl die Gesamtvision als auch die erforderlichen Einzeletappen für ihre Verwirklichung aktiv und kontinuierlich unterstützt und die Umsetzung der festgelegten Etappenziele entschieden vorangetrieben werden.

3.9   Das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines ressourceneffizienten Verhaltens muss bei Unternehmen und Organisationen der Zivilgesellschaft ebenso wie bei der breiten Öffentlichkeit und den Verbrauchern allgemein geschärft und u.a. durch die Schaffung von Dialog–strukturen zur Begleitung des Wandels mit allen Mitteln aktiv gefördert werden (5).

3.10   Der Fahrplan steht und fällt mit seiner Fähigkeit, mehr Entschlusskraft und Engagement in der Politik für eine höhere Ressourceneffizienz mobilisieren zu können. Er muss zu einem echten Umdenken in der Wirtschaftspolitik führen. Über zentral koordinierte Follow-up-Maßnahmen müssen Impulse für die bereits in dem Fahrplan erfassten Einzelinitiativen gegeben, alle Hindernisse beseitigt und weitere Maßnahmen entwickelt werden, wenn die Fortschritte bei der Verwirklichung der Ziele ausbleiben.

4.   Durchführung in den Mitgliedstaaten

4.1   In einigen europäischen Ländern wurden die ersten Schritte gesetzt, um die übermäßige Abhängigkeit von endlichen fossilen Kraftstoffen zu verringern, indem u.a. erneuerbare Energiequellen gefördert, das Abfallaufkommen verringert sowie effizientere Gebäude und Fahrzeuge entwickelt werden. Die Fortschritte sind jedoch eher sporadisch, und in einigen Ländern laufen die Investitionen gerade in diesem kritischen Moment Gefahr, gedrosselt zu werden, da die erforderlichen Anreize für den Wandel vorzeitig wieder abgeschafft werden. Der Ausschuss empfiehlt, gute Erfahrungen mit den und Beispiele für die bislang unter–nommenen Anstrengungen systematisch zu sammeln und zu verbreiten, damit in Ländern und Sektoren, in denen bisher noch keine nennenswerten wünschenswerten Fortschritte erzielt wurden, möglichst rasch eine Wirkung erzielt wird. Kohärenz und Konsistenz sind von grundlegender Bedeutung.

4.2   Die Mitgliedstaaten müssen ihren jeweiligen nationalen Wirtschaftsstrategien und –programmen das Gebot der Ressourceneffizienz als Leitmotiv voranstellen und sie in allen Wirtschaftssektoren vorantreiben. Nach Meinung des Ausschusses müssen in jedem Mitgliedstaat auf hoher Ebene politische Leitungs- und Koordinierungsmechanismen eingerichtet werden, um zügigere, regelmäßigere und konsequentere Fortschritte als bislang sicherzustellen.

4.3   Der Erfolg dieses „Kreuzzugs“ für Ressourceneffizienz wird letztlich in gleichem Maße von einem Wandel der Ansprüche der Öffentlichkeit und der Verbrauchernachfrage wie von der Umstellung der Produktionsmethoden abhängen.

4.4   Die Mitgliedstaaten müssen sich in einem intensiven Dialog mit den Meinungsbildern einschl. den Medien der Frage widmen, wie die elementare Botschaft der Ressourceneffizienz am besten in den Köpfen der Bürger verankert werden kann, damit sie mit der Zeit von selbst die Umstellung von unnötig ressourcen- und abfallintensiven Erzeugnissen auf ressourceneffizientere Waren und Dienstleistungen in ihren Vorlieben und Entscheidungen vollziehen.

4.5   Ressourceneffizienz sollte ein wichtiges Ziel auf lokaler und regionaler wie auch auf nationaler Ebene sein. Die Mitgliedstaaten müssen sich überlegen, wie sie ihre lokalen und regionalen Gebietskörperschaften am besten von diesem Ziel überzeugen können.

4.6   Für die Umstellung müssen sämtliche Politikinstrumente eingesetzt werden, die den Regierungen zur Verfügung stehen. Die Steuerpolitik muss überarbeitet werden, um die ineffiziente Nutzung von Energie und anderen Ressourcen zu bestrafen sowie die effizientere Nutzung zu belohnen. Neutrale Steuerreformen zur Erhöhung der Steuern auf fossile Brennstoffe und andere natürliche Ressourcen bei gleichzeitiger Förderung von Beschäftigung und Sozialschutz sind für die Umstellung auf eine CO2-arme und ressourceneffiziente Wirtschaft (6) und die Schaffung von Arbeitsplätzen (7) von grundlegender Bedeutung. Schädliche Beihilfen, die eine ineffiziente Nutzung von Energie und Misswirtschaft mit anderen Ressourcen fördern oder absegnen, müssen schrittweise abgeschafft werden. Dieses Ziel wird zwar immer wieder genannt, aber bislang nicht konsequent verfolgt. Durch ehrgeizige ordnungspolitische Gestaltung ist effiziente Ressourcennutzung in Schlüsselsektoren wie Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft durchzusetzen. Zur weiteren Vermeidung sowie zur Wiederverwendung und –verwertung von Abfall ist eine effiziente Abfallbewirtschaftungspolitik erforderlich. Erziehung, öffentliche Informationsprogramme, Entwicklung von Kompetenzen und Innovationen sind unerlässlich, damit diese Botschaft alle gesellschaftlichen Gruppen erreicht. Hierfür ist ein abgestimmtes Vorgehen der Mitgliedstaaten und der EU auf breiter Front erforderlich.

4.7   Die Mitgliedstaaten sollten sich öffentlich dazu verpflichten, offen und regelmäßig zu berichten, welche Fortschritte bei der Ressourceneffizienz erzielt werden und wie die Politik sowie öffentliche und private Investitionen den Wandel fördern. Die Europäische Kommission könnte die verschiedenen in den Mitgliedstaaten angewendeten Methoden zur Förderung der Ressourceneffizienz analysieren und eine weitreichendere und kohärentere Anwendung der besten Verfahren fördern.

5.   Umsetzung auf europäischer Ebene

5.1   Die EU muss eine wesentliche Rolle bei der Förderung und Unterstützung von Maßnahmen der Mitgliedstaaten sowie bei der Lancierung von EU-Initiativen zur Umstellung auf eine ressourceneffiziente Wirtschaft übernehmen. Der Ausschuss befürwortet sämtliche in dem Fahrplan dargelegten Maßnahmen und Initiativen und äußerst sich zu folgenden Punkten:

Messung und Indikatoren;

Integration mit der Europa-2020-Strategie und dem Europäischen Semester;

EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung und 7. Umweltaktionsprogramm;

20 Einzelinitiativen und drei Schlüsselsektoren des Fahrplans;

europäische Ausgabenprogramme und öffentliches Beschaffungswesen;

Einbindung der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit.

5.2   Messung, Indikatoren, Ziele und Etappenziele

Im Rahmen des Prozesses müssen spezifische Fortschrittsindikatoren für die verschiedenen Aspekte der Ressourceneffizienz festgelegt werden; außerdem muss sichergestellt werden, dass zuverlässige, kohärente und aktuelle Informationen zu den Indikatoren bereitgestellt werden. Nach Ansicht des Ausschusses sollte im Zuge der Überwachung außerdem erfasst werden,

welche Fortschritte in Bezug auf die wichtigsten Instrumente für die Förderung der Ressourceneffizienz (fiskalische, ordnungspolitische usw. Maßnahmen) erzielt werden;

inwieweit öffentliche und private Investitionsströme neu ausgerichtet werden, um Ressourceneffizienz in Produktion und Verbrauch zu fördern und ineffiziente und abfallintensive Verfahren zu sanktionieren;

inwieweit die Beschäftigung auf ressourceneffiziente Arbeitsplätze zur Erzeugung ressourceneffizienter Waren und Dienstleistungen ausgerichtet wird und welche Fortschritte bei Bildungs- und weiteren Maßnahmen zur Förderung dieses Wandels erzielt werden.

5.3   Der Ausschuss begrüßt die mögliche Einführung eines neuen Leitindikators „Ressourcen–produktivität“ als übergeordnete Messeinheit für den Fortschritt, indem das allgemeine Wohl–ergehen vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt wird. Er fordert, dass der Entwicklung robuster Indikatoren für das Natur- und Sozialkapital sowie für die Verfügbarkeit und den Zustand der natürlichen Ressourcen die gleiche Priorität eingeräumt wird.

5.4   Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die meisten der vorgeschlagenen Etappenziele für umweltschädliche Subventionen, für Biodiversität sowie für die drei Schlüsselsektoren Lebensmittel, Gebäude und Mobilität bislang noch zu ungenau sind und besser ausformuliert werden müssen. Das Programm zur Entwicklung von Indikatoren muss eine höhere Priorität erhalten und mit angemessenen Mitteln ausgestattet werden, um schneller Fortschritte zu erzielen.

5.5   Insbesondere bedarf es eines besseren Indikators für die Wirtschaftsleistung der einzelnen Mitgliedstaaten, aus dem hervorgeht, wie Verbesserungen der Ressourceneffizienz der Wirtschaft eine reale Steigerung des Wohlergehens der betreffenden Gesellschaft und der globalen Nachhaltigkeit bewirken. Nach Meinung des Ausschusses müssen die langfristigen Studien für bessere Alternativen zum BIP abgeschlossen und umgesetzt werden, um den Fortschritt als solchen korrekt auf eine höhere Ressourceneffizienz und die damit verbundenen Verbes–serungen in Wohlergehen und Nachhaltigkeit auszurichten (8).

5.6   Integration mit der Europa-2020-Strategie und dem Europäischen Semester

Da die Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ bereichsübergreifend angelegt ist und ihr auch in Zukunft ein hohes politisches Gewicht beigemessen werden muss, ist sie auf europäischer Ebene durch einen wirksamen, zentral koordinierten und angemessen ausgestatten Durchführungsmechanismus zu untermauern, der offen und transparent angelegt ist und die größtmögliche Teilhabe der Interessenträger ermöglicht.

5.7   Der Ausschuss begrüßt das Ziel, das Europäische Semester zu nutzen, um sicherzustellen, dass die Ressourceneffizienz den ihr gebührenden Stellenwert im Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Gestaltung im Europäischen Rat und im Dialog auf hoher Ebene mit den Mitgliedstaaten erhält. Nach Ansicht des Ausschusses muss die Berichterstattung auf genauen und strikt festgelegten Überwachungsauflagen beruhen, um einen akkuraten und aktuellen Überblick über die Fortschritte bei der Verbesserung der Ressourceneffizienz zu bieten. Unzu–reichende Fortschritte in bestimmten Bereichen müssen unmittelbar erkannt und Abhilfemaßnahmen eingeleitet werden.

5.8   Der Ausschuss ist enttäuscht, dass die Programmländer vorläufig offenbar von der Berichterstattungspflicht im Europäischen Semester ausgenommen sind. Er ist sich bewusst, dass diese Länder derzeit besonderen Problemen bei der wirtschaftlichen Anpassung gegenüberstehen, ist jedoch der Ansicht, dass sie besondere Nutzen aus der starken Verankerung der Ressourceneffizienz in ihren Konjunkturplänen ziehen könnten und von Beginn an umfassend an diesem Aspekt des Europäischen Semesters teilhaben sollten.

5.9   Um das Berichtsverfahren stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und ihm mehr politische Zugkraft zu verleihen, fordert der Ausschuss, dass die nationalen Berichte, die der Überprüfung im Rahmen des Europäischen Semesters zugrunde liegen, in einer öffentlichen Konsultation bzw. Debatte mit den verschiedenen Interessenträgern in jedem Mitgliedstaat erörtert werden. Außerdem sollten die Peer Reviews für die nationalen Berichte für Mitwirkung und Debatte geöffnet werden. Der Ausschuss könnte selbst als zweckdienliches Forum für eine regelmäßige Debatte mit den Interessenträgern auf europäische Ebene über die Fortschritte bei der Umstellung und die erforderlichen Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung fungieren.

5.10   Aus Sicht des Ausschusses ist es wichtig, dass die Europäische Kommission sich nicht einzig und allein auf das Europäische Semester stützt, um die praktische Umsetzung von Ressourceneffizienz zu fördern. Andere einschlägige Programme und Strategien sollten ebenfalls berücksichtigt werden.

5.11   Die EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung und das 7. Umweltaktionsprogramm

Die Strategie für Ressourceneffizienz und die Europa-2020-Strategie werden von der Europäischen Kommission zu Recht als wichtiger Beitrag zur Verwirklichung der übergeordneten Ziele der nachhaltigen Entwicklung erachtet. Ressourceneffizienz deckt allerdings nicht alle Aspekte der Nachhaltigkeit ab, so dass über der ihr beigemessenen Bedeutung die weiteren Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung nicht vergessen werden dürfen. Die diesjährige UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Rio sollte genutzt werden, um die Umstellung auf eine ressourceneffiziente Wirtschaft in den Mittelpunkt der globalen Bemühungen für eine grünere Wirtschaft in einen übergeordneten Rahmen für nachhaltige Entwicklung zu stellen. Nach Auffassung des Ausschusses sollte die übergeordnete EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung als Teil der Maßnahmen im Nachgang zu dem Rio-Weltgipfel überarbeitet und neu belebt und um eine integrierte nationale Berichterstattung über nachhaltige Entwicklung und Ressourceneffizienz erweitert werden, um die Fortschritte in allen Bereichen zu überwachen.

5.12   Die Europäische Kommission hat angekündigt, dass sie 2012 ein 7. Umweltaktionsprogramm vorlegen will. Der Rat hat sie aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass dieses neue Programm so angelegt ist, dass sich Umweltmaßnahmen und -pläne und die Ziele des Fahrplans für die Ressourceneffizienz ergänzen. Dies ist ein begrüßenswertes Ziel, doch ist noch viel Arbeit erforderlich, um es mit einem sinnvollen Inhalt zu füllen.

5.13   Die 20 Einzelinitiativen und drei Schlüsselsektoren

Der Ausschuss ist derzeit damit befasst, zu den meisten der in der Europa-2020-Strategie dargelegten 20 Einzelinitiativen Stellung zu nehmen; er begrüßt ausdrücklich die in dem Fahrplan enthaltene Absicht, alle Einzelinitiativen parallel voranzubringen, um so den maximalen Nutzen für die Ressourceneffizienz zu erzielen. Diese Initiativen sollten sowohl einzeln als auch gesamt einer regelmäßigen Überprüfung unterzogen werden, um sicherzustellen, dass sie gemeinsam die gewünschte kumulative Wirkung zeitigen.

5.14   Der Ausschuss stimmt der Europäischen Kommission zu, dass die drei von ihr ermittelten Schlüsselsektoren (Lebensmittel, Gebäude und Mobilität) von besonderer Bedeutung für die Förderung der Ressourceneffizienz sind. Nach Meinung des Ausschusses sollten die Wasser- und die Landnutzung auch als maßgebliche Sektoren eingestuft werden Die für die Über–wachung der Gesamtfortschritte bei der Ressourceneffizienz zuständigen Dienststellen müssen all diese Sektoren regelmäßig gezielt überprüfen und sicherstellen, dass sie einen angemessenen Beitrag zur Umstellung auf eine ressourceneffiziente Wirtschaft leisten.

5.15   Europäische Ausgabenprogramme und öffentliches Beschaffungswesen

Bislang wurde dem Ziel der Förderung der Ressourceneffizienz in den Strukturfonds und anderen europäischen Ausgabenprogrammen nicht immer ausreichend Rechnung getragen. Jede Überarbeitung dieser Programme muss als Gelegenheit genutzt werden, um die Ressourceneffizienz immer stärker in ihren Prioritäten und Kriterien zu verankern. Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission der Ressourceneffizienz und den weiteren Zielen der Europa-2020-Strategie in ihren jüngsten Haushaltsvorschlägen eine höhere Priorität eingeräumt hat. Es ist wichtig, dass diesem Vorschlag in den detaillierten Haushaltsverhandlungen dann auch wirklich Rechnung getragen wird.

5.16   So muss insbesondere mehr Gewicht auf die Abschaffung schädlicher Anreize, die Sicher–stellung von Finanzierung und Innovation im Bereich der Wertbestimmung des Naturkapitals, sowie die Entwicklung fiskalischer Maßnahmen zur Internalisierung der externen Kosten und Ermittlung der echten Kosten für die Gesellschaft gelegt und proaktiv gehandelt werden. Die spezifischen Maßnahmen betreffen einige der 20 Einzelinitiativen und sind auch für die Kohäsionspolitik und weitere wichtige Kernpolitikbereiche von Belang.

5.17   In gleicher Weise kann auch das öffentliche Beschaffungswesen auf europäischer und nationaler Ebene ein wirkungsvolles Instrument zur Förderung der Ressourceneffizienz sein, indem effiziente Normen für alle beschafften Waren und Dienstleistungen gefordert werden und diese Priorität so in die Lieferkette Eingang findet. Die Europäische Kommission sollte in diesem Bereich Initiativen neu beleben, um darauf hinzuwirken, dass Ressourceneffizienzan–forderungen zum wesentlichen Bestandteil der Spezifikationen für sämtliche öffentliche Auf–träge gemacht werden.

5.18   Einbindung der Interessenträger, der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit

Die in dem Fahrplan vorgeschlagene Umstellung auf eine ressourceneffiziente Wirtschaft ist für die Welt und für Europa von grundlegender Bedeutung. Sie kann nicht mit technischen Mitteln allein bewerkstelligt werden. Alle Teile der Bevölkerung müssen die Notwendigkeit dieser Umstellung begreifen und akzeptieren, und alle müssen dazu gemeinsam an einem Strang ziehen.

5.19   Der Ausschuss betont, wie wichtig es ist, die Verbraucher für das Erfordernis der Ressourceneffizienz zu sensibilisieren. Er fordert die Europäische Kommission auf, weitere Überlegungen dazu anzustellen, wie Initiativen wie der Aktionsplan für Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch und für eine nachhaltige Industriepolitik aus dem Jahr 2008 (9) am besten in die neuen Arbeiten zur Ressourceneffizienz integriert werden können, und insbesondere auch der Frage nachzugehen, wie auch auf europäischer Ebene mehr getan werden kann, um die Bürger stärker für Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz zu sensibilisieren.

5.20   Der Ausschuss wird nach Kräften dazu beitragen, die verschiedenen Interessenträger in die Bemühungen um größere Ressourceneffizienz einzubinden. Er wird die Fortschritte in dieser wichtigen Frage überwachen und dabei gerne mit den anderen Institutionen zusammenarbeiten.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  COM(2011) 571 final.

(2)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ressourcenschonendes Europa - eine Leitinitiative innerhalb der Strategie Europa 2020“, ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 97.

(3)  COM(2011) 21 final, Anhang I.

(4)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Förderung nachhaltiger grüner Arbeitsplätze für das Energie- und Klimapaket der EU,ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 110.

(5)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Nachhaltige Wirtschaft durch Konsumwandel“, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 57.

(6)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2 -armen Wirtschaft bis 2050“, Ziffer 3.15, ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 110.

(7)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Rio+ 20: Hin zu einer umweltverträglichen Wirtschaft und besserer Governance“, Ziffer 4.15, ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 102.

(8)  Siehe Stellungnahmen des EWSA zum Thema „Jenseits des BIP - Messgrößen für nachhaltige Entwicklung“, ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 53, und zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament: Das BIP und mehr – Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel“, ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 64.

(9)  COM(2008) 397 final.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/169


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für die Überwachung von Treibhausgasemissionen sowie für die Berichterstattung über diese Emissionen und über andere klimaschutzrelevante Informationen auf Ebene der Mitgliedstaaten und der EU“

COM(2011) 789 final — 2011/0372 (COD)

(2012/C 181/30)

Berichterstatter: Richard ADAMS

Die Europäische Kommission beschloss am 23. November 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 192 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für die Überwachung von Treibhausgasemissionen sowie für die Berichterstattung über diese Emissionen und über andere klimaschutzrelevante Informationen auf Ebene der Mitgliedstaaten und der EU

COM(2011) 789 final — 2011/0372 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 14. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 151 gegen 3 Stimmen bei 16 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss erkennt und unterstützt die Notwendigkeit, der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten mit genauen und umfassenden Dateien dabei zu helfen, ihren Klimaschutzverpflichtungen nachzukommen und das Energie- und Klimapaket umzusetzen. Mit dieser Verordnung wird dieser Prozess gestärkt.

1.2   Neben den ausführlichen Empfehlungen in Kapitel 4 möchte der Ausschuss darauf hinweisen, dass die Datenerhebung verhältnismäßig sein und der Fokus stets auf die Nutzung der Ergebnisse für die Verwirklichung der Klimaziele und die weitere Energieerziehung gerichtet sein muss.

2.   Einleitung

2.1   Diese neue Verordnung ist die Rechtsgrundlage für die EU, um die ursprünglich 2009 in dem Energie- und Klimapaket festgelegten überarbeiteten Überwachungspflichten zu erfüllen und die rechtzeitige und angemessene Überwachung der Fortschritte bei der Umsetzung dieser und weiterer internationaler Verpflichtungen sicherzustellen. Zwar trägt die EU mit ca. 11 % zu den weltweiten CO2-Direktemissionen bei, doch können ihre strategischen Verpflichtungen und Maßnahmen zur Verringerung des Treibhausgasausstoßes und zur Verbesserung der Ressourceneffizienz als positiver und wesentlicher Beitrag zu den internationalen Umsetzungsmechanismen gewertet werden. Ziel ist es, die Erderwärmung auf unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen (Die 20-20-20-Ziele für 2020 lauten: Verringerung der Treibhausgasemissionen um 20 %, Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch auf 20 % und Verbesserung der Energieeffizienz um 20 % gegenüber den Werten aus 1990.).

2.2   Aufgrund von Änderungen in der Energiebilanz der Erde beschleunigt sich der Klimawandel. Treibhausgase in der Erdatmosphäre und ihre Fähigkeit zu Absorption und Ausstoß von Infrarotstrahlung beeinträchtigen die Temperatur erheblich. Neben Wasserdampf bleibt Kohlendioxid (CO2) als wichtigstes Treibhausgas zurück, wobei Methan und Ozon ebenfalls von großer Bedeutung sind.

2.3   In den letzten 250 Jahren hat die Verbrennung fossiler Kraftstoffe zu einem Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre von 280 ppm auf 390 ppm beigetragen. Obwohl es mehr natürliche als anthropogene CO2-Quellen gibt, wurden diese natürlichen Quellen früher durch so genannte Kohlenstoffsenken wie Photosynthese aus CO2 durch Pflanzen und Plankton ausgeglichen. Dieses Gleichgewicht wurde durch die Zunahme anthropogener Treibhausgase in Verbindung mit Entwaldung zerstört.

2.4   Es gibt überwältigende wissenschaftliche Beweise für den Klimawandel, der bereits erhebliche negative wirtschaftliche, soziale und ökologische Auswirkungen hat. Prognosen auf der Grundlage verschiedener Modelle zeigen schwerwiegende Folgen für die Zukunft durch den Anstieg der Meeresspiegel, Wüstenbildung, Verlust an biologischer Vielfalt und Störungen der Klima-Abläufe. Prinzipiell ist sich die Welt einig, dass Vorbeugen besser (und günstiger) als Eindämmen oder Anpassen ist. Allerdings haben Forderungen nach Wirtschaftswachstum, Ungleichheiten in der globalen Entwicklung, die fortdauernde Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen als wichtigste primäre Energieträger weltweit und die ständig zunehmende Weltbevölkerung ihren Teil dazu beigetragen, dass die Welt bislang nicht in der Lage war, einen politischen Konsens in der Frage zu erreichen, wie ein wirksamer Mechanismus zur Verringerung der anthropogenen Treibhausgase in Gang gesetzt werden kann.

2.5   Auf dem Erdgipfel 1992 in Rio wurde ein internationales Übereinkommen ausgehandelt, die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), um die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre zu stabilisieren. Als Reaktion auf diese Konvention hat die EU 1993 einen Mechanismus zur Überwachung von Treibhausgasemissionen eingerichtet (1). Mit dem Kyoto-Protokoll aus dem Jahr 1997 als Zusatz zu der UN-Klimarahmenkonvention sollten Treibhausgasemissionen begrenzt werden, und zwar unter Berücksichtigung der unterschiedlichen nationalen Voraussetzungen, des Wohlstands und der Fähigkeit der Länder, die Reduktionsziele zu erreichen. In der Folge aktualisierte die EU 2004 ihre Überwachungsmechanismen für Treibhausgase (2) und entwickelte eine Reihe von Strategien für eine CO2-arme Wirtschaft (3); die jüngste Initiative ist der Energiefahrplan 2050 (4). In Bezug auf die grundlegenden internationalen Vereinbarungen gibt es nach wie vor nur schleppende Fortschritte, diese Verordnung bietet jedoch den erforderlichen Überwachungsrahmen für die EU, um die Einhaltung nationaler, europäischer und internationaler Verpflichtungen zu ermöglichen.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1   Diese Verordnung soll der Union und den Mitgliedstaaten dabei helfen, ihren Klimaschutzverpflichtungen nachzukommen und das Energie- und Klimapaket umzusetzen. Sie wird außerdem zur Verbesserung zahlreicher Aspekte in Bezug auf die gemeldeten Daten beitragen und die Einhaltung der internationalen Überwachungs- und Berichterstattungspflichten gewährleisten, einschl. der Berichterstattung über finanzielle und technische Unterstützung für Entwicklungsländer. Sie wird ferner die Gestaltung neuer Klimaschutz- und Anpassungsinstrumente fördern und eine Rechtsgrundlage für die Umsetzung künftiger Berichterstattungspflichten und Leitlinien für die Berichterstattung bieten.

3.2   Gegenstand dieser Verordnung ist die Berichterstattungspflicht gemäß der UN-Klimarahmenkonvention und dem Kyoto-Protokoll über sieben Treibhausgase aus sämtlichen Bereichen (Energie, Industrieverfahren, Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF), Abfall, Landwirtschaft usw.). Auf den Vertragsstaatenkonferenzen der VN-Klimarahmenkonvention 2009 und 2010 wurde eine verbesserte Berichterstattung vereinbart, um u.a. der EU die Möglichkeit an die Hand zu geben, ihren Verpflichtungen für die finanzielle und technologische Unterstützung sowie die Unterstützung beim Aufbau von Kapazitäten gegenüber den Entwicklungsländern nachzukommen.

3.3   Mit dieser neuen Verordnung werden die Überwachungs- und Berichterstattungspflichten der EU-Lastenteilungsentscheidung und der überarbeiteten EU-EHS-Richtlinie durch einen EU-Überprüfungs- und -Erfüllungszyklus im Rahmen der Lastenteilungsentscheidung erfüllt, der die Berichtspflichten für die Verwendung der Einkünfte aus der Versteigerung von Zertifikaten umfasst, wie dies in der überarbeiteten EU-EHS-Richtlinie vorgeschlagen wurde. Außerdem wird der derzeitige Überwachungs- und Berichterstattungsrahmen verbessert, um den Anforderungen künftiger europäischer und internationaler Vorschriften gerecht zu werden. Hierfür wird eine Grundlage für die Überwachung und Berichterstattung in Bezug auf Emissionen aus dem Seeverkehr, die nicht CO2-bedingten Klimaauswirkungen des Luftverkehrs, LULUCF und die Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel geschaffen.

3.4   Ganz allgemein wird die EU-Berichterstattung über finanzielle und technische Unterstützung für Entwicklungsländer verbessert, die Kohärenz der Berichterstattung im Einklang mit weiteren EU-Rechtsvorschriften zu Luftschadstoffen erhöht und durch die Berücksichtigung der Erfahrungen aus der Vergangenheit Berichterstattung über tatsächliche Emissionen, Prognosen, Politik und Maßnahmen effizienter gestaltet.

3.5   Die neue Verordnung bietet außerdem die Grundlage für die Berichterstattung über die Einkünfte aus Versteigerungen im EU-EHS, wobei Transparenz gewährleistet und die Absicht überwacht wird, zumindest 50 % der jährlichen Versteigerungseinkünfte für Klimaschutzmaßnahmen in der EU und Drittländern aufzuwenden.

3.6   Die Verordnung trägt ferner zur Verwirklichung des 20 %-Ziels für die Emissionsreduzierung bei, da die jährliche Überprüfung beschleunigt und effizienter gestaltet und die Pflichterfüllung seitens der Mitgliedstaaten jährlich bewertet wird. Gemäß der Verordnung müssen die Mitgliedstaaten sowohl in Sektoren, die im EHS erfasst sind, als auch in denjenigen, die nicht im EHS erfasst sind, Bericht über Politiken und Maßnahmen erstatten. Darüber hinaus dient sie als Grundlage für die Berichterstattung in Bezug auf Emissionen aus dem Seeverkehr und die nicht CO2 bedingten Klimaauswirkungen des Luftverkehrs, wodurch der Weg für effiziente Maßnahmen in diesen Sektoren geebnet wird.

3.7   Für die Überarbeitung, mit der frühere Rechtsvorschriften ersetzt werden, sind keine zusätzlichen Daten seitens KMU oder der Industrie erforderlich, sie betrifft die Berichterstattung der nationalen Behörden. Das heißt, dass den Unternehmen keine weiteren Verpflichtungen auferlegt werden.

4.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

4.1   Der Ausschuss teilt die Meinung der Europäischen Kommission, dass eine genaue und umfassende Überwachung und Berichterstattung betreffend Emissionen und weitere Klimadaten für die effektive Einhaltung der internationalen Verpflichtungen gemäß der UN-Klimarahmenkonvention und für den Aufbau von Glaubwürdigkeit und Vertrauen in anderen Ländern in der ganzen Welt, die ihren Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten, unerlässlich ist.

4.2   In der EU ist seit langem die Europäische Kommission mit Unterstützung der Europäischen Umweltagentur (EUA) für die Zusammenstellung von Überwachungsdaten aus den Mitgliedstaaten und deren Weiterleitung an das UNFCCC als Teil eines EU-Inventars der europäischen Emissionen zuständig; sie ist außerdem für die Zusammenstellung der erforderlichen Informationen zur Überwachung der Einhaltung EU-interner Übereinkommen über die Lastenteilung für die Klimaschutzverpflichtungen verantwortlich. Daher muss die Europäische Kommission befugt sein, die erforderlichen Daten bei den Mitgliedstaaten einzufordern, ihre Genauigkeit, Aktualität und Kohärenz zu prüfen und gegebenenfalls die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Durchsetzung zu stärken, sollte die Berichterstattung unzureichend sein.

4.3   Die verschiedenen Berichterstattungsanforderungen sind mit der Zeit flickwerkartig erweitert worden und enthalten einige Überschneidungen, Lücken und Inkohärenzen. Und mit dem Energie- und Klimapaket wurden jüngst neue Anforderungen hinzugefügt. Es ist bereits absehbar, das über kurz oder lang wahrscheinlich weitere Anforderungen in Bezug auf die Berichterstattung über Seeverkehrsemissionen hinzukommen. Es ist besonders wichtig, dass genaue und aktuelle Überwachungs- und Berichterstattungsdaten über die Fortschritte im Hinblick auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen um 20 % bis 2020 vorliegen.

4.4   Der Ausschuss stimmt der Aussage der Europäischen Kommission zu, dass es nun an der Zeit ist, all diese Anforderungen in einer einzigen neuen Verordnung zusammenzufassen. Dadurch werden zum einen einige wichtige Gebiete erfasst und zum anderen die Regeln für die Einhaltung vereinfacht, da alle Anforderungen in ein einziges Überwachungs- und Berichterstattungssystem zusammenführt werden, das alle aktuellen und gegenwärtig absehbaren einschlägigen Anforderungen umfasst.

4.5   Der Ausschuss begrüßt, dass die Systeme für die Berichterstattung (sofern sie verhältnismäßig und von Vorteil sind) auf den nationalen Inventarsystemen und dem EU-Inventar aufbauen (Artikel 5 und 6), die die jährliche Bewertung der Fortschritte im Verhältnis zur Verwirklichung des übergeordneten 2020-Zieles und den nationalen Strategien für eine emissionsarme Entwicklung (Artikel 4) ermöglichen. Dies ist die beste Art der proaktiven Erhebung von Informationen, um Fortschritte zu überwachen und notfalls neue Impulse zu setzen und so sicherzustellen, dass ein grundlegendes mittelfristiges Ziel erreicht wird.

4.6   Mit dieser Verordnung wird eine umfassende Überwachung und Berichterstattung über Treibhausgasemissionen und Kohlenstoffsenken aus allen Sektoren in der gesamten EU vorgeschrieben, die ganz klar eine wesentliche Voraussetzung zur korrekten Bewertung des Gesamtbeitrags der EU zu den weltweiten Emissionen ist. Der Ausschuss befürwortet die vorgeschlagene Ausweitung des Geltungsbereichs auf Emissionen aus dem Seeverkehr (Artikel 10) und andere Arten von Emissionen, für die bislang keine Überwachungs- und Berichterstattungspflichten bestehen. Wie der Ausschuss bereits angemerkt hat (5), sieht er den Vorschlag in Erwägungsgrund (10) mit Sorge, dass einige Flüge von der Berichterstattungspflicht für Luftverkehrsemissionen ausgenommen sein sollten, da eine derartige Ausnahme manchmal missbraucht werden kann. Dieser Punkt sollte nach Meinung des Ausschusses kontinuierlich überwacht werden.

4.7   Neben der Überwachung der Treibhausgase an sich ist es auch wichtig, den Umfang der Maßnahmen und Investitionen zur Verringerung oder Begrenzung der Emissionen und ihrer Auswirkungen sowie die Anstrengungen und Investitionen zur Anpassung an die Folgen des bereits realen Klimawandels zu überwachen und darüber Bericht zu erstatten. Es bedarf Informationen über die Anstrengungen und Investitionen des öffentlichen und des privaten Sektors. Der Ausschuss unterstützt ausdrücklich die in Artikel 13 bis 16 der Verordnung enthaltenen dahingehenden Vorschläge. Artikel 16 über die Informationen, die in Bezug auf die nationalen Anpassungsmaßnahmen übermittelt werden müssen, ist allerdings etwas ungenau. Aus Sicht des Ausschusses muss dieser Artikel weiter ausformuliert werden. Es gilt, einen korrekten verhältnismäßigen Nutzen sicherzustellen und Doppelarbeit zu vermeiden.

4.8   Nach Meinung des Ausschusses sollten auch Anstrengungen unternommen werden, um den CO2-Fußabdruck oder CO2-Ausstoß, den die EU durch ihre Handelsbeziehungen und Investitionen in anderen Ländern anderswo verursacht, zu überwachen und darüber Bericht zu erstatten. Gegenstand von Artikel 17 sind die Berichterstattung über die Unterstützung von Entwicklungsländern und der Technologietransfer. Allerdings werden die Auswirkungen von Handel und privaten Finanzströmen ausgeklammert. Der Ausschuss ist sich bewusst, dass die durch andere Länder (sowohl Industrie- wie auch Entwicklungsländer) verursachten Emissionen gemäß der UN-Klimarahmenkonvention in der Emissionsbilanz vor Ort verbucht werden und dass die Industrieländer einschl. EU als Teil der Vereinbarungen aus 2010 und 2011 Bemühungen zur Verbesserung der Inventar- und Überwachungssysteme in den Entwicklungsländern unterstützen werden. Dies ist zwar eine sinnvolle Entwicklung, reicht alleine jedoch nicht aus, um das eigentliche Übel bei der Wurzel zu packen, namentlich den CO2-Fußabdruck der EU im Rest der Welt. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, sich stärker mit diesen Aspekten auseinanderzusetzen.

4.9   Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten außerdem auf, ihr Möglichstes zu tun, um die Aufnahme der finanziellen und technologischen Unterstützung, die zusätzlich zur öffentlichen Entwicklungshilfe geleistet wird, in die Berichterstattung über die finanzielle und technologische Unterstützung sicherzustellen. Auf diese Weise kann ein umfassenderes Bild von Umfang und Höhe der Unterstützung für die Entwicklungsländer seitens der EU insgesamt gegeben werden, wodurch wiederum Politikgestaltung und Prioritätensetzung bei der Umsetzung verbessert werden können.

4.10   Auf Genauigkeit und Kohärenz der in der Berichterstattung erfassten Informationen kommt es in diesem Bereich besonders an, da es für die Welt unermesslich wichtig ist, dass der Klimawandel wirksam bekämpft und sichergestellt wird, dass jedes Land seinen gerechten Beitrag leistet. Aktualität ist ein weiterer wesentlicher Faktor, damit etwaige Diskrepanzen zwischen Plänen und Zusagen schnell ermittelt und rasch Korrekturmaßnahmen ergriffen werden können. Der Ausschuss befürwortet die diesbezüglichen strengeren Vorschriften und Überprüfungsverfahren der neuen Verordnung.

4.11   In den meisten Artikel des Verordnungsvorschlags werden den Mitgliedstaaten Pflichten zur Bereitstellung bestimmter Informationen an die Europäische Kommission auferlegt. Der Ausschuss weiß, dass es enge Arbeitsbeziehungen zwischen Kommission, Mitgliedstaaten und Europäischer Umweltagentur (EUA) gibt und dass die meisten Anforderungen in Zusammenarbeit und Konsensfindung zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten sowie der EUA ausgearbeitet wurden, die maßgeblich für die Erhebung detaillierter Daten und die Qualitätskontrolle verantwortlich ist. Der Ausschuss befürwortet diese Zusammenarbeit, da sie seiner Meinung nach am ehesten dazu geeignet ist, den besten Fluss aktueller und genauer Informationen sicherzustellen und Schwierigkeiten auszubügeln.

4.12   Der Ausschuss hält fest, dass es immer noch Fälle geben könnte, in denen bestimmte Daten oder Berichte nicht rechtzeitig von den Mitgliedstaaten übermittelt werden. Er unterstützt die Bestimmungen zur Schätzung fehlender Informationen in derartigen Fällen (Artikel 9) sowie die Möglichkeit für die Europäische Kommission, in Fällen anhaltender oder vorsätzlicher Nichteinhaltung Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

4.13   Der Ausschuss begrüßt die ausdrückliche Anerkennung der Rolle der Europäischen Umweltagentur in Artikel 25 und die Versicherung der Europäischen Kommission, dass sie sich für die regelmäßige Überwachung auf die hervorragenden Netzwerke stützen möchte, die die EUA in ganz Europa für die Zusammenarbeit von Fachleuten aufgebaut hat. Die EUA verfügt über die fachlichen Kompetenzen und kann sich auf Netzwerke stützen, um dieser Aufgabe nachzukommen. Ihre unabhängigen Berichte über Umweltinformationen und -tendenzen sind von hoher Qualität und werden weltweit geschätzt. Nach Auffassung des Ausschusses sollte die EUA eine führende Rolle bei der Durchführung dieser Verordnung übernehmen. Je stärker sie für Veröffentlichung oder Validierung der erhobenen Informationen verantwortlich zeichnet, desto mehr wird die Verordnung an objektiver Autorität und Glaubwürdigkeit gewinnen.

4.14   Die EUA ist auch in der besten Position, um vergleichbare Überwachungs- und Berichterstattungsmethoden informell auf einige der unmittelbaren Nachbarländer der EU auszuweiten, die bereits jetzt regelmäßig mit ihr kooperieren und daraus klare Vorteile ziehen. Letztlich sollte auf die Errichtung eines Überwachungssystems in Europa abgezielt werden, das allgemein als Modell bzw. bewährtes Verfahren in der ganzen Welt anerkannt wird.

4.15   Kapazitätsaufbau: Ein erfolgreiches Überwachungs- und Berichterstattungssystem in Europa hängt davon ab, ob es in jedem Mitgliedstaat qualifizierte und kompetente Teams und Netze für die Ermittlung genauer, objektiver und aktueller Primärdaten gibt. Der Ausschuss begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission und der EUA, einschlägige Kapazitäten in den Mitgliedstaaten durch Networking, Peer-Grouping und Unterstützung für angemessene Schulungsmaßnahmen zu fördern und aufrechtzuerhalten. Es wäre hilfreich, spezifische Haushaltsmittel für diese Aufgaben bereitzustellen.

4.16   Der Ausschuss stellt erfreut fest, dass die Europäische Kommission mit dieser Verordnung eine erhebliche Verbesserung der einschlägigen Informationen in Bezug auf deren Umfang und Qualität sicherstellen will – und dies zu lediglich moderaten Zusatzkosten dank der Einsparungen, die durch die Straffung der Anforderungen erzielt werden. Angesichts der grundlegenden Bedeutung der Klimaproblematik für Europa und die Welt ist eine gründliche und verlässliche Überwachung und Berichterstattung nach Maßgabe der Vorschriften der neuen Verordnung erforderlich. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass jedwede zusätzliche Belastung zum gegenwärtigen Zeitpunkt so gering wie möglich gehalten werden sollte. Der Ausschuss nimmt daher mit Genugtuung zur Kenntnis, dass der Wirtschaft mit dieser Verordnung keine zusätzlichen Belastungen auferlegt werden.

4.17   Ganz allgemein drängt der Ausschuss darauf, dass länderspezifische Daten (Artikel 2) zwischen den relevanten Generaldirektionen der Europäischen Kommission und den Dienststellen des Europäischen Auswärtigen Dienstes ausgetauscht werden. So kann die umfassendere Nutzung wertvoller Informationen seitens derjenigen gefördert werden, die sektorspezifische oder sonstige Prioritäten in relevanten für Planung zuständigen Generaldirektionen und Dienststellen festlegen.

4.18   Neben aggregierten Daten für die nationale und internationale Überwachung der Fortschritte bei der Einhaltung der klimapolitischen Verpflichtungen müssen unbedingt auch weiterhin desaggregierte Daten entwickelt werden, damit die Beiträge von Einzelnen und verschiedenen Organisationen zur Bekämpfung des Klimawandels und zu einschlägigen Lösungen bewertet und überwacht werden können, und zwar von den Einzelnen als auch den Organisationen selbst wie auch von anderen. Lokale bzw. individuelle Mess- und Überwachungssysteme sollten nach Möglichkeit mit den nationalen und internationalen Mess- und Überwachungssystemen übereinstimmen, damit die Daten aggregiert oder desaggregiert werden können und der Beitrag der verschiedenen Maßnahmen und Tätigkeiten seitens unterschiedlicher Akteure verglichen und bewertet werden kann. Dies ist zwar nicht der eigentliche Zweck des Verordnungsvorschlags, doch ist es äußerst wichtig, dass diese Anforderung bei der Gestaltung nationaler und europäische Überwachungssysteme berücksichtigt wird, um ein absolut kohärentes Überwachungssystem auf allen Ebenen zu entwickeln.

4.19   Der Ausschuss schlägt außerdem vor, mittels Informations- und Aufklärungsmaterial und einschlägiger praktischer Aktionsprogramme auch die Bürger in diese wichtige Maßnahme zur Datenerhebung und Überwachung einzubinden. Es sollten alle erdenklichen Gelegenheiten ergriffen werden, um die Bürger zu sensibilisieren und ihnen die sozialen Auswirkungen der Klimaschutzpolitik zu erklären und diese zu überwachen. Der Ausschuss wird in diesem Bereich auch weiterhin eine aktive Rolle übernehmen.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Entscheidung 93/389/EWG des Rates vom 24. Juni 1993.

(2)  Entscheidung Nr. 280/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004.

(3)  COM(2011) 112 final.

(4)  COM(2011) 885 final.

(5)  ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 47.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/173


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Flughafenpaket“, bestehend aus der

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Flughafenpolitik in der Europäischen Union — Kapazität und Qualität zur Förderung des Wachstums, guter Verkehrsverbindungen und einer nachhaltigen Mobilität“

COM(2011) 823 final, dem

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 96/67/EG“

COM(2011) 824 final — 2011/0397 (COD), dem

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Europäischen Union (Neufassung)“

COM(2011) 827 final — 2011/0391 (COD) und dem

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“

COM(2011) 828 final — 2011/0398 (COD)

(2012/C 181/31)

Berichterstatter: Thomas McDONOGH

Die Europäische Kommission, der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament beschlossen am 1., 13., 15. Dezember 2011 bzw. 20. Januar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 100 Absatz 2 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

„Flughafenpaket“, bestehend aus folgenden vier Vorlagen:

 

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Flughafenpolitik in der Europäischen Union — Kapazität und Qualität zur Förderung des Wachstums, guter Verkehrsverbindungen und einer nachhaltigen Mobilität“

COM(2011) 823 final

 

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 96/67/EG“

COM(2011) 824 final — 2011/0397 (COD)

 

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Europäischen Union (Neufassung)“

COM(2011) 827 final — 2011/0391 (COD)

 

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“

COM(2011) 828 final — 2011/0398 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 13. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 169 bei 1 Gegenstimme und 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Konzept der einmaligen Sicherheitskontrolle auf Flughäfen („One-Stop-Security“) sollte umgesetzt werden (siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Flugsicherheit für Passagiere“ (1)).

1.2   In Bezug auf Zeitnischen sollte die Art des Wettbewerbs zwischen Luftfahrtunternehmen bzw. Luftfahrtallianzen berücksichtigt werden, um unlauterem Wettbewerb vorzubeugen.

1.3   Wie in der Stellungnahme zum Thema „Funktionsweise und Anwendung der geltenden Fluggastrechte“ (2) gefordert, sollten Online-Buchungsgebühren beispielsweise für Sicherheitsdienste transparent aufgeschlüsselt sein. Tritt ein Fluggast seinen Flug nicht an, sollte der Flugpreis ein Minimum betragen. Die Bestandteile des Flugpreises, für die das Luftfahrtunternehmen nicht aufkommen muss, sollten dem Fluggast erstattet werden.

1.4   Nationale Luftfahrtbehörden und Regulierungsbehörden sollten Flughäfen zur Nachfragesteuerung die Flexibilität einräumen, die Flughafengebühren der Nachfrage anzupassen, d.h. für Hauptverkehrszeiten höhere Flughafengebühren als für nachfrageschwächere Tageszeiten zu verlangen.

1.5   Die Fluggastrechte sollten klarer definiert werden. Die Vorschriften für Handgepäck müssen durchgängig umgesetzt werden, wobei das Recht der Fluggäste auf Einkäufe vor dem Besteigen des Luftfahrzeugs respektiert werden muss.

1.6   Das einheitliche europäische Flugverkehrskontrollsystem sollte so rasch wie möglich eingerichtet werden und aus Effizienzgründen auch die Ukraine und die Türkei umfassen, um die Kosten zu senken und die Wirksamkeit über alle nationalen Grenzen zu erhöhen. Dadurch können erhebliche Kosteneinsparungen erzielt werden. Außerdem werden so auch die Flugzeiten verringert, wodurch die Flughafenkapazitäten indirekt wieder stärker belastet werden.

1.7   Flughafensicherheit wird immer anspruchsvoller und teurer, aber nicht unbedingt auch immer effizienter. Die Maßnahmen sollten auf ihre Effizienz untersucht werden, da letztlich die Fluggäste dafür bezahlen. 2009 betrugen die Sicherheitskosten 29 % der gesamten Flughafenbetriebskosten (dies ist das aktuellste Jahr, für das diese Informationen verfügbar sind).

1.8   Die Einnahmen aus den Flughafen-Shops und -Gaststättenbetrieben werden weithin für die Subventionierung der Tätigkeiten von Luftfahrtunternehmen auf Flughäfen genutzt (Gebühren für die Start- und Landebahnnutzung, die Nutzung von Abstellplätzen usw.). Es sollten weiterhin Anreize für Flughäfen bestehen, diese Einnahmen zu maximieren und Endkundenprodukte anzubieten, die den Anforderungen ihrer Reisenden entsprechen, da mit diesem Modell sichergestellt wird, dass die Gebühren für Luftfahrtunternehmen wettbewerbsfähig bleiben, wodurch sie ihre Dienste aufrechterhalten oder ausbauen können, was letztlich den Fluggästen zugute kommt.

1.9   Luftfahrtunternehmen sollten dazu verpflichtet werden, ungeachtet des Beförderers das Gepäck für die gesamte Reise bis zum Endziel gegen eine angemessene Gebühr durchzuchecken. Dies sollte Fluggästen das Umsteigen erleichtern und den Transit beschleunigen.

1.10   Berichte über Lärm- und Umwelt-Monitoring sollten auf allen Großflughäfen veröffentlicht werden.

1.11   Die überarbeitete Verordnung über Bodenabfertigungsdienste muss die Sicherheit und Qualität dieser Dienste im Interesse aller Flughafennutzer einschl. der Fluggäste gewährleisten, insbesondere von Fluggästen mit besonderen Bedürfnissen wie Kinder, ältere Menschen, Fluggäste mit eingeschränkter Mobilität und Fluggäste mit Behinderungen.

1.12   Eine größere Zahl an Diensteanbietern sollten nur dann zugelassen werden, wenn ein Qualitätsverlust ausgeschlossen werden kann und verbindliche Vorschriften, die Lohndumping verhindern und die Übernahme der Mitarbeiter bei Wechsel des Diensteanbieters unter gleichen Bedingungen gewährleisten sowie angemessene Qualifikationsanforderungen für die Beschäftigten, u.a. auch für Sicherheitskontrollen, in Kraft sind.

1.13   Im Interesse der Luftfahrtunternehmen, Flughafenbetreiber und Bodenabfertigungsunternehmen müssen die für Bodenabfertigungsdienste veranschlagten Preise angemessen sein.

1.14   Abgefertigte Gepäckstücke müssen stärker gegen Diebstahl geschützt werden.

1.15   Der Ausschuss begrüßt ganz allgemein die Analyse der Europäischen Kommission in Bezug auf den Verbesserungsbedarf bei Kapazität und Qualität auf den Flughäfen.

2.   Hintergrund – Flughafenpaket

2.1   Dieses Paket umfasst vier Dokumente, namentlich:

eine Mitteilung zur Flughafenpolitik in der Europäischen Union, in deren Mittelpunkt Kapazität und Qualität zur Förderung des Wachstums, guter Verkehrsverbindungen und einer nachhaltigen Mobilität stehen;

und drei Verordnungsvorschläge über

Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf EU-Flughäfen;

Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf EU-Flughäfen und

Bodenabfertigungsdienste auf EU-Flughäfen.

Diese vorgeschlagenen Maßnahmen sind allesamt sehr wichtig, wenn die EU-Flughäfen dem prognostizierten Zuwachs des Flugverkehrs in der EU in den kommenden zehn Jahren gewachsen sein sollen.

2.2   In der europäischen Luftfahrt sind viele Fortschritte erzielt worden, die den Luftverkehr beschleunigen und die Kosten senken werden.

2.3   SESAR (siehe die einschlägige EWSA-Stellungnahme (3)) wird eine bahnbrechende Wirkung für die Effizienz haben und zur Verringerung der Flugzeiten und -verspätungen führen, wodurch wiederum die Lärm- und Umweltbelastung auf Flughäfen gemindert wird. Allerdings müssen gleichzeitig ähnliche Effizienzgewinne auf dem Boden erzielt werden, um die Turnaroundzeiten zu verkürzen.

2.4   Mit der Schaffung des Einheitlichen Europäischen Luftraums wird auch das Verkehrsaufkommen auf den Flughäfen zunehmen; die nationalen und europäischen Entscheidungsträger müssen handeln, damit die Flughäfen sich angemessen auf diese Zunahme vorbereiten können.

2.5   Erst einmal in Vollbetrieb wird Galileo den Luftverkehr ebenfalls verbessern und beschleunigen.

2.6   Als Initiative zur Emissionsminderung müssen Luftfahrtunternehmen, die in der EU starten oder landen, unabhängig von ihrer Herkunft ab 1. Januar 2012 Emissionszertifikate für ihre Gesamtflugemissionen kaufen. Dies sollte auch zur Außerdienststellung älterer Luftfahrtzeuge führen.

3.   Zeitnischen

3.1   In dem Aktionsplan 2007 wurde an belebten Flughäfen in der EU vielfach eine wachsende Kluft zwischen Kapazitäten und Bedarf konstatiert. Die Besorgnis aufgrund der Überlastung an diesen Flughäfen besteht nach wie vor. Die Zeitnischen sollten an Luftfahrtunternehmen vergeben werden, die diese gut nutzen und wirklich brauchen, vor allem vor dem Hintergrund der Zunahme des Verkehrsaufkommens.

3.2   Infolge mangelnder Flughafenkapazitäten wird Europa einen Großteil seines Bedarfs nicht decken können. Trotz weltweiter Wirtschaftskrise und einem zwischen 2007 und 2030 angenommenen 40 %-igen Zuwachs an Flughafenkapazitäten (mit neuen Flughäfen, neuen Start- und Landebahnen und neuer luft- und landseitiger Infrastruktur) werden als Folge fehlender Kapazitäten ca. 2 Mio. Flüge nicht abgefertigt werden können – was etwa 10 % des erwarteten Bedarfs entspricht.

3.3   In konkreten Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Im Jahr 2030 werden nicht weniger als 19 europäische Flughäfen ganzjährig acht Stunden täglich bei voller Kapazitätsauslastung betrieben werden (im Vergleich dazu waren es 2007 gerade einmal 5 Flughäfen, deren Kapazitäten nur zu 10 % der Zeit in vollem bzw. annähernd vollem Umfang genutzt wurden). Dieser Umstand wird deutliche Auswirkungen auf das gesamte Luftverkehrsnetz haben, da die bis 2030 eintretende Überlastung an diesen Flughäfen bei 50 % aller Flüge zu Verspätungen führen wird, und zwar bei der Ankunft oder beim Abflug.

3.4   Eines der bedeutendsten Drehkreuze in Europa, der Flughafen Frankfurt, hat eine neue Start- und Landebahn erhalten; der bis 2025 zu erwartende Bedarf wird aber dennoch ganztägig die dortigen Kapazitäten übersteigen – dies gilt auch für London Heathrow, London Gatwick, Paris Orly, Mailand Linate und Düsseldorf. Ist eine Anhebung der Kapazitäten über die geplanten 120 Flugbewegungen pro Stunde hinaus nicht möglich, wird der Bedarf auch in Paris Charles de Gaulle die Kapazitäten überschreiten. Darüber hinaus wird auch künftig in Amsterdam, Madrid, München, Rom Fiumicino und Wien der Bedarf zu bestimmten Tageszeiten über den Kapazitäten liegen.

3.5   Die Herausforderungen, mit denen die Kapazitäten der Flughäfen im Kontext einer gesteigerten Nachfrage konfrontiert sind, werden zudem von einer Marktverlagerung im internationalen Luftverkehr Richtung Fernost begleitet.

3.6   Es wird von grundlegender Bedeutung sein, vorhandene Kapazitäten an überlasteten Flughäfen durch eine effizientere Zuweisung von Zeitnischen besser zu nutzen. Die Art und Weise, wie die Europäische Kommission so genannte Besitzstandsrechte bei der Zuweisung von Zeitnischen behandelt, sollte ebenfalls überarbeitet werden. Viele dieser Rechte wurden vor mehr als 50 Jahren erworben. Seitdem hat sich die Luftfahrtindustrie stark verändert, und einige Luftfahrtunternehmen sind nicht einmal mehr aktiv.

3.7   Nationale Luftfahrtbehörden und Regulierungsbehörden sollten Flughäfen bei der Steuerung der Nachfrage die Flexibilität einräumen, die Flughäfengebühren der Nachfrage anzupassen, d.h. für Hauptverkehrszeiten (morgens und abends) höhere Flughafengebühren als für nachfrageschwächere Tageszeiten (früher Nachmittag) zu verlangen, um für ausgewogene Verkehrsströme zu sorgen und das Reisen außerhalb der Hauptverkehrszeiten für Fluggäste attraktiver zu machen.

3.8   Die Analyse der Funktionalität der Zeitnischenverordnung hat gezeigt, dass das derzeitige Zuweisungssystem an stark ausgelasteten Flughäfen einer optimalen Nutzung der knappen Kapazitäten im Wege steht.

3.9   Die Europäische Kommission schlägt daher vor, die bestehende Verordnung zu ändern und EU-weit die Einführung marktbasierter Instrumentarien unter der Bedingung zu gestatten, dass Transparenz und unverfälschter Wettbewerb gewährleistet sind; den Zeitnischenkoordinatoren sollte eine weiterreichende Unabhängigkeit zugestanden werden. So ließe sich eher gewährleisten, dass jeweils diejenigen Luftfahrtunternehmen die Zeitnischen zugewiesen bekommen, die sie am besten nutzen können.

3.10   Eine Überarbeitung des gegenwärtigen Zuweisungssystems wird dazu führen, dass pro Jahr schätzungsweise 24 Mio. Flugreisende zusätzlich auf europäischen Flughäfen abgefertigt werden können; das wiederum bedeutet für die Wirtschaft ein Wachstum von mehr als 5 Mrd. EUR und bis zum Jahr 2025 bis zu 62 000 neue Arbeitsplätze dank eines ressourceneffizienteren Zuteilungssystems.

3.11   Der Ausschuss hält fest, dass dieser deutliche Passagierzuwachs auf Flughäfen, den sich die Europäische Kommission durch die vorgeschlagenen Änderungen der Vorschriften für die Vergabe der Zeitnischen verspricht, augenscheinlich vor allem zu Umfang und wirtschaftlicher Lebensfähigkeit in Bezug gesetzt wird. Da die Zahl der Zeitnischen selbst hingegen nicht erhöht wird, wird insbesondere der Vorschlag zur Ausweitung des Handels mit Zeitnischen vor allem große Luftfahrzeuge mit hoher Kapazität und die am häufigsten genutzten Flugstrecken begünstigen, die die zusätzlichen Kosten verkraften können. Nach Meinung des Ausschusses wird ein derartiger Trend negative Auswirkungen auf die regionalen Zubringerairlines in Europa haben, die eine wichtige Rolle für die Kohäsionspolitik in der EU und den allgemeinen Netzverbund im Flugverkehr spielen. Die Luftfahrtunternehmen, die finanziell am besten aufgestellt sind, werden vielleicht am stärksten davon profitieren; viele dieser Luftfahrtunternehmen haben ihren Sitz außerhalb Europas. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission daher auf, diese Auswirkungen und den möglichen Bedarf an Gegenmaßnahmen eingehender zu analysieren, ehe Änderungen vorgenommen werden.

3.12   Die Übernahme einiger Luftfahrtunternehmen, die über wertvolle Zeitnischen auf dem Flughafen London Heathrow und anderen Flughäfen verfügen, sowie die Art des Wettbewerbs zwischen Luftfahrtunternehmen bzw. Luftfahrtallianzen sollten untersucht werden, um beschränktem oder unlauterem Wettbewerb vorzubeugen.

3.13   Die Frage der Zuweisung von Zeitnischen und damit verbundenen Wettbewerbsverzerrungen, die Gefahr der dominierenden Stellung eines Luftfahrtunternehmens sowie das Risiko, dass Regionen nicht ausreichend angebunden sind, sind wie bereits erwähnt auf unangemessene Flughafenkapazitäten zurückzuführen. Diese Probleme können zwar bis zu einem gewissen Maß aufgefangen werden, doch ist die einzige sinnvolle langfristige Lösung, die unzureichenden Flughafenkapazitäten anzugehen.

4.   Lärmreduzierung/ Betriebsbeschränkungen

4.1   Die Europäische Kommission hat eine Änderungen der Vorschriften für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen vorgeschlagen, um eine kohärente und zweckdienliche Anwendung des ausgewogenen Ansatzes der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO sicherzustellen. Bei diesem ausgewogenen Ansatz wird die Notwendigkeit, den Lärm auf und in der Umgebung von Flughäfen zu bekämpfen, mit den Erfordernissen der Reisenden in Einklang gebracht. Mit den vorgeschlagenen Änderungen solle letztlich die effiziente und nachhaltige Nutzung der Start- und Landebahnkapazitäten der europäischen Flughäfen maximiert werden. Die EU-Entscheidungsträger müssen dies bei der Abwägung dieser Vorschläge berücksichtigen.

4.2   Dies kann auf unterschiedliche Weise erreicht werden, u.a. durch die Ausmusterung älterer Luftfahrzeuge, die nicht kraftstoffeffizient sind (siehe EWSA-Stellungnahme zur „Reduzierung der CO2-Emissionen von Flughäfen durch ein neues Flughafenmanagement“ (4)). Für Klimatisierung und Beheizung sollte verstärkt auf Solarkraft zurückgegriffen werden, wie dies auf dem Flughafen von Madrid und Athen der Fall ist.

4.3   Eine weitere wichtige Möglichkeit zur Reduzierung von Fluglärm unter gleichzeitiger Senkung der Treibstoffkosten und Emissionen ist die Förderung der Durchführung des Programms „Einheitlicher Europäischer Luftraum“, insbesondere des SESAR-Programms, um zu vermeiden, dass Luftfahrzeuge unnötig auf ihre Start- und Landezeitnischen warten müssen.

4.4   Die Europäische Kommission schlägt daher eine Änderung der lärmbedingten Flugbetriebseinschränkungen vor, um den zuständigen Behörden die stufenweise Ausmusterung von Luftfahrzeugen, die an Flughäfen die höchsten Lärmpegel verursachen, zu erleichtern. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung des Ziels der Europäischen Kommission, die bestehenden Start- und Landebahnkapazitäten so effizient wie möglich zu nutzen.

4.5   In Bezug auf die Senkung der Lärmpegel muss die Sicherheit des Flughafenbetriebs im Mittelpunkt stehen. Betreffend die Lärmbelastung im Flughafenumland können möglicherweise lokale Anpassungsmaßnahmen und ein aktiver Dialog mit den Anrainern erforderlich sein, wohingegen verschiedene Beschränkungen der Flughafenkapazität, z.B. Einschränkung der Betriebszeiten, erhebliche Auswirkungen auf den gesamten Luftverkehr zeitigen können.

4.6   Lärm ist ein Kriterium für die Beschränkung der Betriebszeiten vieler Flughäfen und hat somit negative Auswirkungen auf deren Kapazität, was bei schlechten Wetterbedingungen zu Umleitungen führt. Die verfügbaren Abflug- und Landebahnen sollten effizient genutzt werden. Es gilt, die Anliegen der Flughafenanrainer zu berücksichtigen.

4.7   Die auf der Grundlage der Ergebnisse von Lärm- und Umwelt-Monitoring erstellten Berichte sollten auf allen wichtigen Flughäfen veröffentlicht werden. Dies würde den Flughafenanrainern die Gewähr bieten, dass sie keiner überhöhten Lärm- und Umweltbelastung ausgesetzt sind. Sie sollten Zugang zu allen einschlägigen Informationsquellen (betreffend Lärm, Luftqualität usw.) haben, um zu etwaigen Änderungen Stellung nehmen zu können. Der Ausschuss empfiehlt die Einrichtung von lokalen Informationsausschüssen, wo diese noch nicht bestehen.

4.8   Die neuen Vorschriften müssen den Beitrag der unmittelbar Betroffenen vor Ort zu Lösungen für Lärmprobleme ermöglichen. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, zu überprüfen, ob diese Vorschriften mit den Zielen der Richtlinie über Luftqualität in Einklang stehen (5).

5.   Bodenabfertigung

5.1   Die Kapazitäten am Boden und in der Luft müssen einander angenähert werden.

5.2   Seit 2007 ist der Prozess der Schaffung regulierender Rahmenbedingungen für einen einheitlichen europäischen Luftraum (SES – Single European Sky) rasch vorangeschritten. 2009 wurde mit dem Ziel, ab 2012 über einen einheitlichen Luftraum zu verfügen, ein zweites Vorschriftenpaket angenommen. Inzwischen ist die Schaffung der Rahmenbedingungen nahezu abgeschlossen. Flughäfen, die zusammen mit dem Flugverkehrsmanagement die Infrastruktur für den zivilen Luftverkehr bereitstellen, bilden eine der Grundsäulen dieser Architektur. Für den Luftverkehr insgesamt sind sie von entscheidender Bedeutung, denn wenn Kapazität am Boden fehlt, wird das gesamte Vorhaben eines einheitlichen Luftraums Schaden nehmen.

5.3   Von 2012 bis 2014 wird lediglich die Flugsicherung im Streckenflug bestimmten Leistungszielen unterworfen; Leistungen der Flugsicherung für den An- und Abflug werden ab 2012 zunächst überwacht. Verspätungen werden auch von Luftfahrtunternehmen oder deren Dienstleistern am Boden (im Bereich Technik, Beförderung usw.), am Flughafen (von Gerät usw.) oder von anderen an der Abfertigung Beteiligten verursacht.

5.4   Angesichts dessen ist die Europäische Kommission der Ansicht, dass es nur logisch wäre, die systematische Leistungskontrolle „von Flugsteig zu Flugsteig“ und mit dem Ziel, von einem Flughafen zum anderen sämtliche Phasen eines Fluges optimal zu gestalten und einzubinden, auf Flughäfen in ihrer Gesamtheit auszuweiten. Die Leistung darf nicht am Kontrollturm enden, sie sollte auch am Boden verbessert werden. Die Bodenabfertigung ist für die Steigerung der Flughafenkapazität ohne erhebliche Kapitalinvestition von grundlegender Bedeutung.

5.5   Was die technische Seite des einheitlichen europäischen Luftraums, also das SESAR-Programm, betrifft, sind die Flughäfen ebenfalls beteiligt. Mit dem SESAR-Programm können Flughafenkapazitäten zur Deckung zusätzlichen Bedarfs ausgeweitet und die Anzahl an Flugverspätungen und -streichungen verringert werden.

6.   Verbesserung der Bodenabfertigungsdienste

6.1   Die Abfertigungsdienste am Boden sind zwar für den Flugreisenden nicht immer sichtbar; die Erfahrungen, die er im Flughafen selbst oder auch in der Luft macht, sind allerdings auch abhängig von der Qualität dieser Dienstleistungen am Boden. Die adäquate Aufnahme von Flugreisenden und die Abfertigung ihres Gepäcks am Flughafen, Fracht- und Postabfertigung, die sachgemäße Vorbereitung des Luftfahrzeugs (z.B. die Reinigung der Kabine), Aufgaben von zentraler Bedeutung für den sicheren Flugbetrieb (z.B. die Enteisung von Luftfahrzeugen), komfortable und zuverlässige Flüge in Sicherheit, die ihr Geld wert sind – all das ist ohne diese Bodendienste nicht möglich.

Die ursprüngliche Richtlinie über Bodenabfertigungsdienste aus dem Jahr 1996 widmete sich schwerpunktmäßig einem offenen Zugang zu diesem Markt, was bei einer Vielfalt an Bodenabfertigungsdiensten eine zunehmend dynamische Entwicklung nach sich zog. Der Umfang des Wettbewerbs bei den begrenzten Dienstleistungen und die Zugangsregelung unterscheiden sich in den Mitgliedstaaten jedoch noch immer stark.

6.2   Eine Verordnung über Bodenabfertigungsdienste muss die Sicherheit und Effizienz dieser Dienste im Interesse aller Flughafennutzer gewährleisten.

6.3   Das Handling von Mobilitätshilfen, medizinischen und sonstigen Arten von Geräten, die für Fluggäste mit Behinderungen von grundlegender Bedeutung sind, muss gemäß den bestmöglichen Qualitätsstandards erfolgen. Die Beschädigung derartiger Hilfen und Geräte kann für Fluggäste mit Behinderung aufgrund der damit verbundenen medizinischen Risiken und der erheblichen Mobilitätseinschränkung negative Folgen nach sich ziehen. Neben weiteren möglichen Maßnahmen in diesem Bereich müssen spezielle Schulungen der Mitarbeiter in der Bodenabfertigung, Ausnahmen von den allgemeinen Regeln für Gepäckabfertigung und eine ausreichende finanzielle Entschädigung bei Beschädigung derartiger Hilfen und Geräte in Erwägung gezogen werden.

6.4   Im Interesse der Luftfahrtunternehmen, Flughafenbetreiber und Bodenabfertigungsunternehmen müssen die für diese Dienste verlangten Preise angemessen sein.

6.5   Der Ausschuss stimmt der Aussage der Europäischen Kommission in ihrem Verordnungsvorschlag zu, dass die gegenwärtige Situation auf dem Markt für Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen nicht zufriedenstellend ist und der Rechtsrahmen aus 1996 seinen Zweck nicht mehr erfüllt. Die Effizienz der Bodenabfertigungsdienste lässt noch zu wünschen übrig. Wegen des Fehlens von Marktzutrittskriterien als Ergebnis der Richtlinie 96/67/EG bestehen nach wie vor erhebliche Qualitätsunterschiede zwischen verschiedenen Flughäfen in der EU. Der Ausschuss unterstützt das Ziel einer höheren Kapazität und Qualität auf diesem Markt durch Wettbewerb, unabhängige öffentliche Beschlussfassung und harmonisierte Verfahren.

In einem arbeitsintensiven Wirtschaftsbereich wie den Bodenabfertigungsdiensten müssen soziale Fragen von enormer Bedeutung berücksichtigt werden. Das Ausschreibungssystem betrifft die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, und die Personalfluktuation wird dadurch gefördert. Über die in den Zulassungs- und Vergabeverfahren angewendeten Kriterien muss sichergestellt werden, dass gut ausgebildete Mitarbeiter weiterbeschäftigt und gegebenenfalls neue qualifizierte Mitarbeiter eingestellt werden und Wettbewerb nicht auf Kosten immer niedrigere Löhne erreicht wird. Dienstleistungsqualität zu angemessenen Preisen muss das Hauptkriterium für die Vertragsvergabe sein. In Bezug auf die Vergabekriterien muss der Kommissionsvorschlag nachgebessert werden.

6.6   Eine größere Zahl an Diensteanbietern sollten nur dann zugelassen werden, wenn ein Qualitätsverlust ausgeschlossen werden kann und verbindliche Vorschriften, die Lohndumping verhindern und die Übernahme der Mitarbeiter bei Wechsel des Diensteanbieters unter gleichen Bedingungen gewährleisten, sowie angemessene Qualifikationsanforderungen für die Beschäftigten, u.a. auch für Sicherheitskontrollen, in Kraft sind.

6.7   Ereignisse mit gravierenden Folgen für den Flugverkehr, wie Aschewolken nach einem Vulkanausbruch und heftige Schneefälle, die zu einer Lähmung von Flugverkehrsdrehkreuzen führten, zeigen, wie wichtig es ist, auf den europäischen Flughäfen im gesamten Verkehrsnetz den Betrieb am Boden besser abzustimmen und die Rechte der Fluggäste zu stärken.

6.8   Der Ausschuss begrüßt das Ziel, die Qualität der Bodenabfertigungsdienste auf EU-Flughäfen zu vereinheitlichen. Im Zuge dieser Reform sollten Luftfahrtunternehmen auch dazu verpflichtet werden, ungeachtet des Beförderers das Gepäck für die gesamte Reise bis zum Endziel gegen eine angemessene Gebühr durchzuchecken (das so genannte „Interline“). Dies sollte Fluggästen das Umsteigen erleichtern und den Transit beschleunigen. Abgefertigte Gepäckstücke müssen stärker gegen Diebstahl geschützt werden. Außerdem müssen Vorschriften für die Durchsetzung von Qualitätsnormen ausgearbeitet werden, damit die neuen Systeme erfolgreich umgesetzt werden können.

6.9   Mit einem gerechten Zugang der Luftfahrtunternehmen zur Infrastruktur von Flughäfen, und das zu fairen Preisen, wird ein entscheidender Beitrag zu einem effizient funktionierenden Luftverkehrssystem geleistet. Der Wettbewerb zwischen Flughäfen hat diesbezüglich viel gebracht; einen weiteren entscheidenden Schritt auf diesem Weg unternahm die Europäische Union im Jahr 2009 mit der Annahme der Richtlinie über Flughafenentgelte; es wurden gemeinsame Mindeststandards festgelegt, um von den Luftfahrtunternehmen für die Nutzung der für den Flugbetrieb notwendigen Flughafeninfrastruktur Gebühren erheben zu können.

6.10   An Flughäfen mit einem Passagieraufkommen von mehr als 5 Mio. Fluggästen pro Jahr sollten die Tätigkeit von drei Bodenabfertigungsunternehmen erlaubt sein, nachdem die vom Ausschuss in dieser Stellungnahme vorgeschlagenen Maßnahmen zur Sicherheit, zur Qualität und zur sozialen Lage der Arbeitnehmer eingeführt wurden und Wirkung entfaltet haben. Luftfahrtunternehmen sollten zwar das Recht auf „Selbstabfertigung“ haben, dabei jedoch die Qualitäts- und Sicherheitsnormen einhalten müssen.

7.   Effizienz der Flughäfen und des Betriebs der Start- und Landebahnen

7.1   Die Effizienz der Flughäfen und des Betriebs der Start- und Landebahnen werden stark von den Bodenabfertigungsdiensten abhängen.

7.2   Flughäfen nehmen als Schnittstelle zwischen Flugreisenden und Luftfahrtunternehmen eine Schlüsselrolle ein, und die Qualität der an Flughäfen bereitgestellten Leistungen ist für die Erfahrung von Flugreisenden und Luftfahrtunternehmen von entscheidender Bedeutung. Einnahmen aus den Shops und Gaststättenbetrieben auf Flughäfen werden weithin für die Subventionierung der Tätigkeiten von Luftfahrtunternehmen auf Flughäfen genutzt (Gebühren für die Start- und Landebahnnutzung, die Nutzung von Abstellplätzen usw.). So deckten 2009 die Gebühren für Luftfahrtunternehmen lediglich 29 % der Kosten für den Flughafenbetrieb ab (von den Kapitalkosten ganz zu schweigen). Mit diesem Modell wird sichergestellt, dass die Gebühren für Luftfahrtunternehmen wettbewerbsfähig bleiben, wodurch sie ihre Dienste aufrechterhalten oder ausbauen können, was letztlich den Fluggästen zugute kommt. Es sollten weiterhin Anreize für Flughäfen bestehen, Einnahmen aus den Shops und Gaststättenbetrieben zu maximieren und Endkundenprodukte anzubieten, die den Anforderungen ihrer Reisenden entsprechen.

7.3   Die Verbesserung der Erreichbarkeit und Effizienz eines Flughafens durch die Anbindung an die Schiene ist von entscheidender Bedeutung für einen effizienten Flughafen. Bei kleineren Flughäfen lässt sich der Zugang mit einem gut organisierten Busverkehr rationell gestalten; für Flughäfen einer bestimmten Größe bzw. mit einem in der Nähe eines Terminals bereits vorhandenen Schienennetz stellt die Bahn eine weitere nachhaltige Alternative dar. Gegebenenfalls sollte bei Flughäfen wie Schiphol und Nizza auch eine verkehrsmäßige Anbindung zu Wasser vorgehalten werden.

8.   Sicherheit

8.1   Das von der Europäischen Kommission vereinbarte Konzept der einmaligen Sicherheitskontrolle („One-Stop-Security“) sollte dringend auf allen Flughäfen eingeführt werden (siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Flugsicherheit für Passagiere“ (6)).

8.2   Ferner geht es um die Sicherheitsgebühren. Seit 2002 wurden nach EU-Recht Mitgliedstaaten und Flughäfen gegenüber strengere Sicherheitsauflagen gemacht. Derzeit wird die Anlastung von Kosten für die Sicherheit im Luftverkehr national geregelt.

8.3   Wie in der Stellungnahme zum Thema „Funktionsweise und Anwendung der geltenden Fluggastrechte“ (7) gefordert, sollten Online-Buchungsgebühren beispielsweise für Sicherheitsdienste transparent aufgeschlüsselt sein. Tritt ein Fluggast seinen Flug nicht an, sollte der Flugpreis ein Minimum betragen. Die Bestandteile des Flugpreises, für die das Luftfahrtunternehmen nicht aufkommen muss, d.h. Flughafengebühren und staatliche Abgaben, sollten dem Fluggast erstattet werden.

8.4   Sicherheitskontrollen werden von Flugreisenden, der Luftverkehrsbranche und den Flughäfen häufig als lästig empfunden. Es bedarf daher eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen erhöhter Sicherheit und angenehmem Reisen (siehe EWSA-Stellungnahme zum „Einsatz von Sicherheitsscannern auf EU-Flughäfen“ (8)). Es sollten europäische Standards festgelegt werden, um die Klarheit und Vollständigkeit der Sicherheitskontrollen bei Fluggästen zu gewährleisten, die Mobilitätshilfen oder medizinische Geräte nutzen, und die Wahrung ihrer persönlichen Würde sicherzustellen.

8.5   Das Verbot des Mitführens von Flüssigkeiten, Aerosolen und Gels im Handgepäck muss bis April 2013 aufgehoben werden: Flugreisende können künftig an EU-Flughäfen unter der Voraussetzung einer entsprechenden Sicherheitsüberprüfung Flüssigkeiten mit an Bord nehmen. Die Fluggastrechte müssen insgesamt klarer definiert werden. Die Vorschriften für Handgepäck müssen durchgängig umgesetzt werden, wobei das Recht der Fluggäste auf Einkäufe vor dem Besteigen des Luftfahrzeugs beachtet werden muss.

8.6   Die technologische Entwicklung von Scannern schreitet rasch voran; Sicherheitsverfahren können damit zum Nutzen von Flugreisenden wie Flughäfen optimiert werden – z.B. ist ein Abtasten seltener erforderlich. Dabei dürfen die Grundrechte der Fluggäste beispielsweise in Bezug auf Menschenwürde nicht beeinträchtigt werden (9).

8.7   Die US-amerikanische Regierung beabsichtigt, ihr Programm zum schnelleren Einchecken „Pre-Check“ auf 28 Flughäfen auszuweiten. Dieses Programm läuft derzeit auf sieben Flughäfen. Dabei sind Vielflieger und Einzelpersonen, die in einem Trusted Traveller Programm registriert sind, davon befreit, bei der Sicherheitskontrolle Schuhe, Gürtel und Mäntel abzulegen. Ein derartiges System sollte auch für europäische Flughäfen in Betracht gezogen werden.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 39.

(2)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 125.

(3)  ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 133.

(4)  ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 39.

(5)  ABl. L 152 vom 11.6.2008, S. 1.

(6)  ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 39.

(7)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 125.

(8)  ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 49.

(9)  Ebenda.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/179


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen Satellitennavigationssysteme“

COM(2011) 814 final — 2011/0392 (COD)

(2012/C 181/32)

Berichterstatter: Thomas McDONOGH

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 15. Dezember 2011 bzw. am 20. Januar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 172 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen Satellitennavigationssysteme

COM(2011) 814 final — 2011/392 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 13. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 167 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den von der Kommission vorgelegten „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen Satellitennavigationssysteme“. Ein Erfolg der europäischen Programme zum Aufbau eines globalen Satellitennavigationssystems (GNSS) ist wesentliche Voraussetzung für die künftige Gewährleistung von Wohlstand und Sicherheit in der EU. Der Ausschuss befürwortet den Vorschlag der Kommission, die Verordnung (EG) Nr. 683/2008 durch eine neue Verordnung zu ersetzen, in der insbesondere die Finanzierung und das Lenkungsschema der Programme Galileo und Egnos festgelegt sind.

1.2   Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich das Ziel des Galileo-Programms, die erste weltweite Navigations- und Ortungsinfrastruktur durch Satelliten aufzubauen, die unter ziviler Kontrolle steht und völlig unabhängig von anderen vorhandenen Systemen ist, um GNSS-Dienste ohne Ausfall zu erbringen und Europa einen strategischen Vorteil zu sichern. Satellitennavigation gilt bereits als wesentliche Versorgungsleistung für das Verkehrswesen, die Industrie und die Bürger in Europa, und deshalb kann nicht hingenommen werden, dass die Nutzer in Europa für Ortung, Navigation und Zeitinformationen hochgradig vom amerikanischen GPS und dem russischen Glonass abhängig sind. Europa benötigt eine europäische Infrastruktur für sein Gnss, deren Zuverlässigkeit nicht den militärischen Prioritäten der USA, Russlands oder Chinas untergeordnet ist.

1.3   Da bereits 6-7 % des gesamten BIP der EU-27, also 800 Mrd. EUR, vom amerikanischen GPS abhängen (Europäisches Globales Satellitennavigationssystem – Zusammenfassung der Folgenabschätzung – Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung und den Betrieb der europäischen Satellitennavigationssysteme (2014–2020), SEC(2011) 1447 final vom 30.11.2011), begrüßt der Ausschuss, dass die Verordnung auf die Verbundfähigkeit von Galileo und GPS abhebt. Parallel zu den Verbundfähigkeitsbemühungen sollte Europa jedoch auch eine aggressive Marketing-Strategie verfolgen, um GPS- durch Galileo- und Egnos-Technologie als primäre GNSS-Technologie in Europa zu ersetzen.

1.4   Der Ausschuss empfiehlt, das Innovationspotenzial des europäischen GNSS im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms der EU „Horizon 2020“ (das mit 80 Mrd. EUR ausgestattete Rahmenprogramm der EU für Forschung und Innovation von 2014 bis 2020) umfassend zu fördern. Das Satellitennavigationssystem wird der Technologieinnovation wichtige Impulse geben und der EU großen volkswirtschaftlichen Nutzen bringen.

1.5   Eine erfolgreiche Umsetzung und Verwaltung der europäischen GNSS-Programme Galileo und Egnos ist unerlässlich, damit die in der Europa-2020-Strategie festgeschriebene Vision eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums verwirklicht werden kann („Europa 2020: Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“, COM(2010) 2020 final). Der Kosten-Nutzen-Analyse der Kommission (s. Folgenabschätzung – Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den weiteren Aufbau der europäischen Satellitennavigationssysteme (2014-2020) – SEC(2011) 1446 final (nur in englischer Sprache)) zufolge sollen die GNSS-Programme in ihrer vorgeschlagenen Form während dem Systemlebenszyklus von 2014 bis 2034 einen Nettonutzen von 68,63 Mrd. EUR (116,88 Mrd. EUR zu konstanten Preisen unter Anwendung des Standardabzinsungssatzes von 4 % p.a. gemäß den EU-Leitlinien zur Folgenabschätzung) generieren.

1.6   Zwar unterstützt der Ausschuss die Ziele des europäischen GNSS und die vorgeschlagene Verordnung betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen Systeme, sieht jedoch mit großer Sorge, dass das bisherige EU-Programmmanagement von erheblichen Verspätungen, Kosteneskalation und verpassten Chancen geprägt ist. Es steht zu hoffen, dass die vorgeschlagene Verordnung für die notwendige politische Unterstützung und die geeigneten Managementstrukturen und Rahmenbedingungen sorgen wird, um das europäische GNSS in der nun geplanten Form aufzubauen und den angestrebten Nutzen zu erzielen.

1.7   19,5 % des durch das europäische GNSS-Programm entstehenden finanziellen Nutzens werden auf das Wachstum des Markts für nachgelagerte europäische GNSS-Anwendungen zurückzuführen sein (s. Folgenabschätzung – Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den weiteren Aufbau der europäischen Satellitennavigationssysteme (2014-2020) – SEC(2011) 1446 final (nur in englischer Sprache)). In diesem Zusammenhang verweist der Ausschuss auf seine Stellungnahme zum „Aktionsplan für Anwendungen des Globalen Satellitennavigationssystems (GNSS)“ vom 16. Februar 2011 (1). Insbesondere wiederholt er seine Forderung nach einem detaillierten Geschäftsplan der Agentur für das Europäische GNSS (GSA), um den Anteil an diesem wichtigen Markt zu erhöhen.

1.8   Nach Meinung des Ausschusses benötigen die europäischen Satellitennavigationssysteme dringend eine offensive Vermarktungs- und Geschäftsstrategie, die durch angemessene Investitionen in Vermarktungsprogramme untermauert wird. Die kommerzielle Entwicklung von Egnos und Galileo ist unabdingbar für ihren langfristigen Erfolg; es ist wesentlich, dass der Markt über den Wert des europäischen GNSS informiert und seine Nutzung gefördert wird. In diesem maßgeblichen und vielschichtigen Bereich ist bislang zu wenig unternommen worden.

1.9   Der Ausschuss bejaht die von der Kommission verlangte wirtschaftliche Haushaltsführung der Programme, für deren Finanzierung im Zeitraum 2014-2020 ein Betrag von 7,89 Mrd. EUR (zu aktuellen Preisen) veranschlagt wird. Er heißt gut, dass die Europäische Kommission laut Verordnungsvorschlag dafür zuständig ist, die den Programmen zugewiesenen Mittel zu verwalten und die Durchführung aller Programmaktivitäten zu überwachen, auch derjenigen, die an die Agentur für das Europäische GNSS (GSA) und die Europäische Weltraumorganisation (ESA) übertragen worden sind. Ferner billigt er die Pläne der Kommission, über ein Risikomanagementsystem und geeignete Verwaltungsinstrumente Kostenüberschreitungen in den Griff zu bekommen.

1.10   Er nimmt jedoch auch die Warnung der Kommission zur Kenntnis, dass Investitionen in Satellitennavigationstechnologie mit großen Unsicherheiten und Risiken verbunden sind und sich deshalb die Programmkosten kaum präzise vorhersagen lassen. Ungeachtet jedweder Übertragungsvereinbarungen (im Einklang mit der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002, insbesondere Artikel 54) empfiehlt der Ausschuss der Kommission deshalb, in monatlichen Monitoring-Sitzungen gemeinsam mit GSA und ESA die Umsetzung zu überwachen und die rasche Lösung eventueller Probleme in die Wege zu leiten. Ferner sollten GSA und ESA der Kommission mindestens vierteljährlich ausführliche Verwaltungsberichte und Rechnungsunterlagen vorlegen.

1.11   Der Ausschuss erinnert an seine früheren Stellungnahmen zu Galileo, Egnos und der Europa-2020-Strategie (2).

2.   Hintergrund

2.1   Die GNSS-Technologien sind durch ihre Fähigkeit zur hochzuverlässigen und präzisen Positions-, Geschwindigkeits- und Zeitbestimmung von grundlegender Bedeutung für eine Effizienzsteigerung in vielen Bereichen der Wirtschaft und des Alltags.

2.2   Bis Galileo eingesetzt werden kann, ist Europa bei Ortung, Navigation und Zeitbestimmung auf die Satellitennavigationsdienste des amerikanischen GPS und des russischen Glonass angewiesen. Schätzungsweise 6-7 % des gesamten BIP der EU-27, also 800 Mrd. EUR, hängen von den Satellitennavigationsdiensten des amerikanischen GPS ab (SEC(2011) 1447 vom 30.11.2011). Die militärischen Betreiber dieser Systeme aber können keine Garantie für die Kontinuität der Dienste bieten.

2.3   Obwohl das Galileo-Programm vor allem auf die Unabhängigkeit bei der globalen Satellitennavigation abhebt, soll auch die Verbundfähigkeit mit bestehenden und künftigen Satellitennavigationssystemen, allen voran dem amerikanischen GPS, einen wesentlichen zusätzlichen Nutzen bringen.

2.4   Das Programm Galileo wurde mit dem Ziel aufgelegt, ein unabhängiges europäisches globales Satellitennavigationssystem (GNSS) zu errichten.

2.5   Egnos ist ein regionales satellitengestütztes Ergänzungssystem für Europa, das die Signale bestehender Satellitennavigationssysteme wie GPS verbessert.

2.6   Galileo, das europäische Satellitennavigationsprogramm, wurde 2001 lanciert. Ursprünglich beruhte das Projekt auf einer öffentlich-privaten Partnerschaft mit dem gemeinsamen Unternehmen Galileo (GJU) als gemeinsamer Verwaltungs- und Finanzierungsplattform. Im Jahr 2006 wurde das gemeinsame Unternehmen Galileo durch die Agentur für das Europäische GNSS (GSA) (ehemalige Aufsichtsbehörde für das Europäische GNSS (GSA) abgelöst, die die Interessen der Öffentlichkeit im Rahmen der europäischen GNSS-Programme wahrnehmen sollte. Für die technische Verwaltung und Umsetzung der GNSS-Programme war die Europäische Weltraumorganisation (ESA) verantwortlich.

2.7   Mit der im Jahr 2008 verabschiedeten GNSS-Verordnung (3) wurde der EU als alleiniger politischer Instanz die Ausrichtung und vollständige Finanzierung der europäischen GNSS-Politik übertragen. In der GNSS-Verordnung ist die Finanzierung der Programme Galileo und Egnos durch die EU für den Zeitraum 2007–2013 geregelt. Die Haushaltsmittel in Höhe von 3,4 Mrd. EUR wurden auf die noch verbleibende Galileo-Entwicklungsphase, die Galileo-Errichtungsphase und den Betrieb von Egnos verteilt.

2.8   Der Vorschlag der Kommission für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen 2014–2020 (COM(2011) 500 final vom 29.6.2011, „Ein Haushalt für Europa 2020“) sieht vor, die GNSS-Programme mit einer Obergrenze von 7 Mrd. EUR (konstante Preise 2011) vollständig aus EU-Haushaltsmitteln zu finanzieren.

2.9   Zwei wesentliche Probleme behindern die weitere Umsetzung der europäischen Satellitennavigationsprogramme:

1)

Aufgrund von Kostenüberschreitungen und Verzögerungen bei der Auslieferung des Systems wird das im Rahmen des Galileo-Programms errichtete System nicht wie vorgesehen 2013 vollständig einsatzbereit sein.

2)

Da in der GNSS-Verordnung aus dem Jahr 2008 kein Finanzierungs- und Regelungsrahmen für Galileo und EGNOS für die Zeit nach 2013 vorgegeben wird, muss eine neue Rechtsgrundlage für die Systeme geschaffen werden, damit deren Einsatzfähigkeit, Instandhaltung und Verwaltung langfristig gewährleistet sind.

2.10   Die Kommission schlägt nun vor, diese Probleme dadurch zu lösen, dass die Verordnung (EG) Nr. 683/2008 durch eine neue Verordnung ersetzt wird, in der insbesondere die Finanzierung und das Lenkungsschema für eine erfolgreiche Errichtung und den Betrieb der Programme Galileo und Egnos festgelegt sind.

2.11   Der dem Vorschlag beigelegten Kosten-Nutzen-Analyse ist zu entnehmen, dass die günstigste Lösung bei der Infrastruktur darin besteht, an der geplanten 30-Satelliten-Konstellation festzuhalten, aber die Bodeninfrastruktur zu vereinfachen. Auf diese Weise könnte das GNSS alle ursprünglich geplanten Dienste und Vorteile erbringen, und lediglich der sogenannte Safety-of-Life Service (der Safety-of-Life-Service von Egnos ermöglicht präzise Anflugverfahren und erleichtert die Flugsicherung. Es gibt damit weniger Verspätungen, Annullierungen oder Umleitungen von Flügen. Flughäfen können durch die Anwendung des Safety-of-Life-Service von Egnos ihre Kapazität steigern und ihre Betriebskosten senken. Und letztendlich werden dadurch auch die luftverkehrsbedingten CO2-Emissionen reduziert.) könnte nur im Verbund mit dem amerikanischen GPS im kompletten Leistungsumfang zur Verfügung gestellt werden.

2.12   Der bestmögliche Ansatz für einen Lenkungsrahmen besteht darin, die Programmverwaltungsaufgaben der Betriebsphase mit dem gegenwärtigen Mandat für Sicherheits- und Marktfragen der Agentur für das Europäische GNSS zusammenzufassen. Die Europäische Kommission wird auch weiterhin dafür zuständig sein, die dem Programm zugewiesenen Mittel zu verwalten, und die Durchführung aller Programmaktivitäten überwachen, auch derjenigen, die an die Agentur für das Europäische GNSS (GSA) und die Europäische Weltraumorganisation (ESA) übertragen worden sind.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Die Programme Egnos und Galileo brauchen eine klare Führung und eine vorbehaltlose und umfassende Unterstützung durch die EU, um das durch das Scheitern der ÖPP „Gemeinsames Unternehmen Galileo“ erschütterte Marktvertrauen wieder aufzubauen. Die für den Zeitraum 2014-2020 vorgesehene Mittelausstattung und der Verordnungsvorschlag der Kommission sind ein guter Anfang, doch muss schon jetzt eine verantwortungsvolle Programmlenkung und eine konsequente politische Unterstützung für die Programme unter Beweis gestellt werden, um dauerhaftes Marktvertrauen zu gewinnen.

3.2   Europa muss den Einsatz des GNSS voranbringen und die Marktentwicklung für Anwendungen der Satellitennavigation beschleunigen, zumal die Verzögerungen bei Galileo kostspielig sind und der Wettbewerb seitens der USA, Russlands und Chinas immer stärker wird. China baut sein militärisches Navigationssatellitensystem Beidou zum globalen Navigationssystem Compass aus, um weltweit bis 2020 wettbewerbsfähige zivile Anwendungen anzubieten, auch in Europa. Galileo und Egnos müssen schleunigst zum GNSS-Standard in Europa werden.

3.3   Die europäischen Satellitennavigationssysteme sollten in dem Forschungs- und Innovationsprogramm der EU „Horizon 2020“ einen wichtigen Platz einnehmen. Die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen auf der Basis des europäischen GNSS fördert neben intelligentem Wachstum auch die nachhaltige Entwicklung durch eine Verbesserung der Energieeffizienz und eine Verringerung der Umweltauswirkungen der wirtschaftlichen Entwicklung.

3.4   Unter gebührender Achtung der globalen Wettbewerbsvorschriften sollten vielleicht doch EU-Maßnahmen ausgelotet werden, über die sichergestellt werden kann, dass Galileo-Technologien gegenüber weniger guten Technologien bevorzugt werden, insbesondere bei Anwendungen, die eine kontinuierliche Verfügbarkeit der Dienste oder hohe Genauigkeit und Integrität erfordern, oder im Sicherheitsbereich.

3.5   Für eine erfolgreiche Marktdurchdringungs- und Anwendungsentwicklungs-Strategie spielt der Empfänger-Chipsatz eine wichtige Rolle (mit „Chipsatz“ bezeichnet man im Allgemeinen mehrere zusammengehörende integrierte Schaltkreise, die zusammen eine bestimmte Aufgabe erfüllen. Sie werden normalerweise als Einheit vertrieben. Ein Chipsatz wird im Allgemeinen auf eine bestimmte Mikroprozessorenfamilie zugeschnitten. Der Chipsatz hat großen Einfluss auf die gesamte Rechnerleistung. Er steuert das Zusammenspiel und den Datenfluss zwischen dem Prozessor, dem Arbeitsspeicher, den Bussystemen sowie den internen und externen Schnittstellen), und deshalb ist die Entwicklung kostengünstiger „Dual-Mode“ Galileo-/GPS-Empfängerchips wesentlich. Dazu könnten gezielt F&E-Mittel eingesetzt werden.

3.6   Eine geeignete Strategie tut Not, um die Erfahrungskurveneffekte zu nutzen, denen zufolge eine große Produktionsmenge die Voraussetzung für die preisgünstige Herstellung der Empfängerchips ist, so dass „Dual-Mode“ Galileo-/GPS-Empfängerchips kostenmäßig mit reinen GPS-Empfängern konkurrieren können.

3.7   Um das Wachstum des Markts für nachgelagerte europäische GNSS-Produkte und –Anwendungen zu fördern, benötigt die GSA eine aggressive Marketingstrategie unter der Leitung eines erstklassigen Expertenteams.

3.8   Für Egnos/Galileo sollte eine globale Markenstrategie aufgestellt werden, um die Ziele abzustimmen, den Markenwert herauszustellen, die Marktkommunikation zu vereinfachen und die Marketingprioritäten zu klären.

3.9   Nur Galileo-Technologie und -Dienste, die höchsten Qualitätsansprüchen genügen, dürfen in Verkehr gebracht werden. Die Technologien müssen sowohl in der Entwicklungsphase als auch auf Endnutzerebene einer ständigen strengen Qualitätskontrolle unterzogen werden.

3.10   Leider konnten einige der ersten Egnos-Produkte den technischen Ansprüchen der Kunden nicht standhalten. Im Rahmen einer Markenstrategie sollte jede zugelassene Egnos/Galileo-Technologie mit einem speziellen Gütezeichen versehen werden, um die Marke vor Imageschäden zu schützen.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 44-48.

(2)  ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 28; ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 103-104 und ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 44-48.

(3)  ABl. L 196 vom 24.8.2008, S. 1.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/183


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur“

COM(2011) 416 final,

der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik“

COM(2011) 417 final,

der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die externe Dimension der Gemeinsamen Fischereipolitik“

COM(2011) 424 final

und dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gemeinsame Fischereipolitik“

COM(2011) 425 final

(2012/C 181/33)

Berichterstatter: Gabriel SARRÓ IPARRAGUIRRE

Mitberichterstatter: Franco CHIRIACO

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 1. bzw. 13. September 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 AEUV um Stellungnahme zu den Vorlagen COM(2011) 416 final und COM(2011) 425 final zu ersuchen, und die Europäische Kommission beschloss am 5. Oktober 2011, ihn gemäß Art. 304 AEUV um Stellungnahme zu den Vorlagen COM(2011) 417 final und COM(2011) 424 final zu ersuchen. Der Ausschuss wurde damit um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen ersucht:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur

COM(2011) 416 final,

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik

COM(2011) 417 final,

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die externe Dimension der Gemeinsamen Fischereipolitik

COM(2011) 424 final und

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gemeinsame Fischereipolitik

COM(2011) 425 final

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 14. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 152 gegen 5 Stimmen bei 14 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss pflichtet der Kommission in ihrer Auffassung bei, dass es einer gleichzeitigen Überprüfung der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) und der gemeinsamen Marktorganisation (GMO) bedarf, um so die notwendige Integration, Kohärenz und Koordinierung zwischen Fang, Verarbeitung und Vermarktung in der Fischerei, Aquakultur und Meeresfrüchtezucht und -fischerei zu stärken.

1.2   Insgesamt stimmt der EWSA den allgemeinen und besonderen Zielen des Vorschlags sowie seinen Grundsätzen guter Entscheidungsfindung zu. Die GFP muss sicherstellen, dass Fischerei- und Aquakultur-Aktivitäten langfristig nachhaltige ökologische, wirtschaftliche und soziale Bedingungen schaffen und unter Anwendung des Vorsorge- und des Ökosystemansatzes zur Nahrungsmittelversorgung beitragen.

1.3   Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass der Verordnungsentwurf nicht die Bestandsbewirtschaftungsmaßnahmen konkretisiert, die erforderlich sind, um die Fischbestände zu erhalten und vollständig auf Größen wiederaufzufüllen, die den jeweils höchstmöglichen Dauerertrag gewährleisten, den Bürgerinnen und Bürgern gesunde, hochwertige Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse zu garantieren, zum Wohlstand der Küstengemeinden und zur Rentabilität der Produktions- und Verarbeitungsunternehmen beizutragen und attraktive und sichere Arbeitsplätze zu bieten.

1.4   Der Ausschuss billigt die allgemeinen Vorschriften für den Zugang zu den Gewässern der Union, die bereits in Kraft waren und die von größerem Nutzen für die lokalen Fischer sind.

1.5   Der Ausschuss stimmt den vorgeschlagenen Arten von Bestandserhaltungsmaßnahmen und technischen Maßnahmen zu, die an die verschiedenen Fischereien angepasst werden müssten.

1.6   Der EWSA unterstützt den Vorschlag zur Aufstellung von Mehrjahresplänen mit dem Ziel, nach Möglichkeit alle Fischbestände bis 2015 in einem Umfang wiederaufzufüllen und zu erhalten, der den höchstmöglichen Dauerertrag ermöglicht. Dieses löbliche Ziel ist für die gemischten Fischereien schwierig zu erreichen, weshalb der EWSA die Kommission um praktische Lösungen ersucht, um die Probleme zu lösen, die bei diesen Fischereien auftreten können.

1.7   Der EWSA betrachtet es als vorrangige Aufgabe, dass die Mitgliedstaaten mit Unterstützung durch die Kommission die wissenschaftlichen Institute mit den erforderlichen Mitteln ausstatten, um angemessen auf die Erfordernisse der angewandten Forschung reagieren und alle kommerziell genutzten Fischarten, die mit ihnen vergesellschafteten oder von ihnen abhängigen Arten sowie deren Lebensräume einbeziehen zu können.

1.8   Das Rückwurfverbot ist nach Ansicht des EWSA ein wünschenswertes Ziel, doch der Ausschuss setzt sich für einen schrittweisen Ansatz mit größerer Verhältnismäßigkeit ein, der auf einer allmählichen Reduzierung der Rückwürfe beruht. Dazu ist die Selektivität der Fanggeräte zu verbessern und sind Maßnahmen für ihre Nutzung durch die Verarbeitung in Erzeugnisse mit Wertzuwachs und für neue Vermarktungsmöglichkeiten zu fördern und die Ausstattung der Fischereifahrzeuge und der Fischereihäfen anzupassen.

1.9   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass der Vorschlag keine ausreichende Regionalisierung vorsieht und keinerlei Maßnahme erkennen lässt, die eine Dezentralisierung bedeutet.

1.10   Im Hinblick auf die relative Stabilität und ihre Anwendung für die Zuteilung der Fangmöglichkeiten an die Mitgliedstaaten hebt der Ausschuss die Notwendigkeit der Aktualisierung dieses Kriteriums hervor, da es überholt ist und nicht die derzeitige Realität der Fischereiflotten und der stark von der Fischerei abhängigen Gebiete widerspiegelt. Der Ausschuss schlägt zudem vor, dass die Zuteilung der Fangmöglichkeiten nach der Aktualisierung der relativen Stabilität im Wesentlichen auf der Grundlage transparenter ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Kriterien erfolgt.

1.11   Nach Meinung des Ausschusses ist der Vorschlag bezüglich übertragbarer Fischereibefugnisse missverständlich und die Kommission sollte die Interpretation der entsprechenden Artikel, insbesondere was die Definition von „transparenten und objektiven Kriterien“ für die Erteilung der Befugnisse anbelangt, klarstellen. Der Ausschuss fordert überdies, die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Beschäftigung zu berücksichtigen und spezifische Maßnahmen für angestellte Fischer vorzusehen.

1.12   Hinsichtlich der Verwaltung der Fangkapazität ist der EWSA der Ansicht, dass die Kommission spätestens im Jahr 2014 eine eingehende Bewertung der Fangkapazitäten vornehmen sollte, die die Maschinenleistung und Tonnage, aber auch die Art der Fanggeräte und weitere Merkmale der Fischereifahrzeuge einschließt. Auf der Grundlage dieser Bewertung sollten die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, diese Kapazität den verfügbaren Ressourcen anzupassen.

1.13   Der Ausschuss hält es für grundlegend, bei der Datenerhebung für das ökosystembasierte Fischereimanagement besonderen Wert auf die Beschaffung von Umweltdaten gemäß der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und den Kriterien für einen guten Umweltzustand zu legen.

1.14   Der Ausschuss teilt im Allgemeinen die Vorschläge der Kommission zur externen Politik, bringt jedoch seine Besorgnis über einige der in Ziffer 3.7.9 dieser Stellungnahme angesprochenen Aspekte zum Ausdruck.

1.15   Der EWSA begrüßt die Anerkennung der gemeinsamen europäischen Dimension der Aquakulturpolitik durch die Kommission. Der Ausschuss fordert eine Verstärkung der Umweltkontrollen und die Anpassung eines flexiblen administrativen Rahmens und eines einheitlichen Rechtsraums für die Entwicklung einer nachhaltigen Aquakultur, die die Bindung der Bevölkerung und die Schaffung von Wohlstand in nichtstädtischen Randgebieten ermöglicht und im Zusammenhang damit die Achtung der Umwelt, die Umweltverträglichkeit und die Eingliederung der Umweltbelange in vollem Umfang durchsetzt.

1.16   Zum neuen Finanzinstrument vertritt der EWSA die Auffassung, dass die Rolle der Fischer und der Fischereigemeinden bei der nachhaltigen Entwicklung der Küstengebiete aufgewertet werden sollte, einschließlich sozialer Maßnahmen, insbesondere zur Unterstützung im Fall des Verlusts von Arbeitsplätzen und für Beihilfen zur Ausbildung und beruflichen Umorientierung der Arbeitnehmer, wobei das Augenmerk insbesondere auf junge Menschen und Frauen gelegt werden sollte.

1.17   Der EWSA bedauert, dass die soziale Dimension in allen Phasen der Fischerei und Aquakultur (Produktion, Verarbeitung und Vermarktung) im Vorschlag nicht mit konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen enthalten ist, und meint, dass die Beteiligung der Sozialpartner auf geeigneter Ebene gefördert werden sollte.

1.18   Der Ausschuss fordert die Kommission auf, den unterschiedlichen Forderungen Rechnung zu tragen, die die verschiedenen Akteure des Sektors vorgebracht haben. Bei der GFP-Reform müssen die Bedürfnisse der Reeder wie die der Besatzungen Berücksichtigung finden.

1.19   Nach Auffassung des EWSA ist eine Definition der kleinen Küstenfischerei, die einzig auf dem Kriterium der Länge der Fischereifahrzeuge basiert, zu einseitig und ordnet einen großen Teil der Kleinfischerei in die industrielle Fischerei ein.

1.20   Der EWSA unterstützt die Ziele und Grundsätze, von denen sich die neue Verordnung der GMO leiten lässt, und fordert die Kommission auf, seine Bemerkungen in dieser Stellungnahme zu berücksichtigen.

1.21   Der EWSA fordert zur Vermeidung des unlauteren Wettbewerbs auf dem EU-Markt für importierte Erzeugnisse die gleichen Hygiene- und Kontrollbedingungen wie für Gemeinschaftserzeugnisse, einschließlich der vollen Rückverfolgbarkeit vom Erzeuger bis zum Verbraucher („Aus dem Wasser auf den Tisch“), und hebt hervor, dass gründliche Kontrollen sowohl an der Grenze als auch am Ursprungsort die sachgemäße Einhaltung dieser Regelungen garantieren müssen, die zur Lebensmittelsicherheit beitragen. Aus Sicht des Ausschusses sollten die verschiedenen Generaldirektionen der Europäischen Kommission eine kohärente Strategie festlegen.

1.22   Der EWSA unterstreicht, dass sich alle genannten Vorschläge auch auf die Süßwasserfischerei und -aquakultur beziehen, und ruft die Europäische Kommission dazu auf, deren Besonderheiten in angemessener Weise zu berücksichtigen.

2.   Hintergrund

2.1   Kontext der Verordnung über die GFP („Grundverordnung“)

2.1.1   Die GFP wurde 1983 geschaffen und blieb mit geringfügigen Veränderungen 20 Jahre hindurch in Kraft, bis sie durch die Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 eine tief greifende Reform erfuhr. 2009 analysierte die Kommission die Ergebnisse der reformierten GFP und kam zu dem Schluss, dass das Ziel einer umfassend nachhaltigen Fischerei (ökologisch, wirtschaftlich und sozial) trotz der Fortschritte bisher nicht erreicht wurde und viele Fischbestände überfischt waren.

2.1.2   Diese Schlussfolgerung kam im Grünbuch (1) zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik zum Ausdruck. Die entsprechende Stellungnahme des Ausschusses, die von einer breiten Mehrheit angenommen worden war, empfahl, „dass die jeweils getroffenen Maßnahmen der Sicherung der Beschäftigung und des territorialen Zusammenhalts dienen und dass die strategischen Ziele ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der wirtschaftlichen, der sozialen und der ökologischen Säule wahren, wobei auf allen Stufen der Fischversorgungskette ein verantwortungsbewusstes und nachhaltiges Verhalten garantiert und gefördert werden muss“. Die Themen, die bei der künftigen Reform der GFP stärkere Beachtung finden sollten, sind:

„die Einführung einer differenzierten Fischereiregelung zum Schutz der handwerklichen Fischerei;

die Einführung von sozialen Maßnahmen, durch die die Arbeitsbedingungen der Fischer harmonisiert werden;

die Verbesserung der Bedingungen auf dem Markt und der Praktiken im Handel;

die Komplementarität mit der EU-Meeresschutzpolitik, wodurch auch die für die Fischereipolitik nutzbare Forschung ausgebaut und verbessert wird;

die vollständige Einbindung der GFP in den Rahmen internationaler Organisationen (UNO, FAO) (2).“

2.1.3   In der Stellungnahme des Ausschusses zur „Entwicklung von Regionalgebieten für die Bewirtschaftung von Fischbeständen und die Kontrolle der Fischerei“ (3) heißt es: „Der Ausschuss begrüßt die Absicht einer radikalen Reform der gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) und insbesondere deren angestrebte Dezentralisierung, damit sie weniger abhängig von Brüsseler Beschlüssen ist und der Einbeziehung lokaler und regionaler Akteure in die Bestandsbewirtschaftung mehr Raum lässt. Was fehlt und noch eingearbeitet werden muss, sind die essenziellen Details, Klarheit und eine Sanktionsregelung, ohne die eine solche Politik nicht wirkungsvoll funktionieren kann“. Und „ohne gesunde Fischbestände kann es keine nachhaltige Fischereiwirtschaft geben“, daher wird empfohlen, „der ökologischen Nachhaltigkeit als Grundlage der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit Vorrang zu geben“.

2.1.4   Weiterhin heißt es in der Stellungnahme: „Damit die Stärkung quotenbasierter Bewirtschaftungspläne auf der Grundlage der höchstmöglichen Dauerfangmenge (HDF) Wirkung zeigt, müssen höhere Werte festgelegt werden, die eine wirklich gedeihliche Entwicklung aller regulierten Arten erlauben; dies muss bis 2015 geschehen.“

2.2   Kontext der Verordnung über die GMO für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur

2.2.1   Die GMO im Bereich Fischerei und Aquakultur geht auf das Jahr 1970 zurück. Ihren Rechtsrahmen bildet die Verordnung (EG) Nr. 104/2000. Seit 2008 hat die Kommission umfassende Bewertungen und Konsultationen durchgeführt, um den Mängeln, die bei der Anwendung der zurzeit geltenden Marktbestimmungen festgestellt wurden, der jüngsten Entwicklungen des Marktes der Europäischen Union und der Weltmärkte und der Entwicklung in der Fischerei und der Aquakultur Rechnung zu tragen.

2.2.2   Der neue Vorschlag für eine Verordnung sieht eine GMO für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur vor, die folgende Instrumente umfasst:

a)

Berufsverbände (Erzeugerorganisationen und Branchenverbände)

b)

Vermarktungsnormen

c)

Verbraucherinformation

d)

Wettbewerbsregeln

e)

Marktuntersuchung.

2.2.3   Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die vorgenannten Punkte durch einen weiteren ergänzt werden sollten, der die Handelsbeziehungen mit Drittländern so regelt, dass alle importierten Produkte die Normen der Europäischen Union einhalten und wirksamen Kontrollen unterzogen werden.

3.   Analyse des Vorschlags für eine Reform der GFP und Bemerkungen des Ausschusses

3.1   Geltungsbereich und Ziele

3.1.1   Die GFP umfasst die Erhaltung, Bewirtschaftung und Nutzung lebender aquatischer Ressourcen, die Aquakultur und die Verarbeitung und Vermarktung von Erzeugnissen der Fischerei und der Aquakultur, wenn sie auf dem Territorium der Mitgliedstaaten oder in EU-Gewässern erfolgen, einschließlich durch Fischereifahrzeuge aus Drittländern bzw. Fischereischiffe der Union außerhalb der EU-Gewässer oder durch Angehörige der Mitgliedstaaten.

3.1.2   Die GFP muss sicherstellen, dass Fischfang und Aquakultur unter langfristig nachhaltigen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen betrieben werden und zur Nahrungsmittelversorgung beitragen, im Fischereimanagement einen Vorsorge- und Ökosystemansatz anwenden und sich bei der Nutzung der biologischen Meeresschätze das Ziel setzen, die Populationen fischereilich genutzter Arten bis 2015 in einem Umfang wiederherzustellen und zu erhalten, der den höchstmöglichen Dauerertrag unter Einbeziehung der Forderungen der Umweltbestimmungen der EU ermöglicht.

3.1.3   Zur Verwirklichung dieser Ziele muss die GFP insbesondere die unerwünschten Fänge von kommerziell genutzten Beständen beseitigen und schrittweise sicherstellen, dass alle Fänge aus solchen Beständen angelandet werden. Weiterhin muss sie die Voraussetzungen für effiziente Fangtätigkeiten schaffen, die Entwicklung der Aquakultur in der Union fördern, einen angemessenen Lebensunterhalt derjenigen sichern helfen, die vom Fischfang abhängig sind, dabei die Verbraucherinteressen berücksichtigen und eine systematische und vereinheitlichte Datenerhebung und -verwaltung sicherstellen.

3.1.4   Der EWSA gibt dem Geltungsbereich und den allgemeinen und spezifischen Zielen der GFP sowie den Grundsätzen guter Entscheidungsfindung alles in allem seine Unterstützung. Er bedauert allerdings, dass dem Schutz, der Bewirtschaftung und der Nutzung der lebenden Süßwasserressourcen und der Süßwasseraquakultur sowie der Verarbeitung und Vermarktung von Erzeugnissen der Süßwasserfischerei und -aquakultur nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die Besonderheiten der Süßwasserfischerei und -aquakultur einschließlich ihrer Koordinierung mit der GAP in die vorgelegten Vorschläge einzuarbeiten. Er erinnert daran, dass es nach wie vor notwendig ist, angemessene Entsprechungen zu den Meeresarbeitsgruppen zu bilden mit dem Ziel, die Erfahrungen bei der Durchführung einer gemeinsamen Politik auf dem Gebiet der Süßwasserfischerei zu bündeln und Innovationsvorschläge zusammenzutragen.

3.1.5   Allerdings nennt der Verordnungsvorschlag nach Auffassung des EWSA nicht die konkreten Bewirtschaftungsmaßnahmen, die für die Wiederauffüllung und Erhaltung der Fischbestände und damit zur Erreichung dieser Ziele notwendig sind, ebenso wie zur Schaffung der Grundlagen für nachhaltige Fischereien, die ein funktionierendes Ökosystem, die Versorgung der europäischen Bürger mit hochwertigen, gesunden Fischereierzeugnissen, den Wohlstand der Küstengemeinden, rentable Fischfang- und Fischverarbeitungsunternehmen sowie attraktive und sichere Arbeitsplätze gewährleisten, wobei die Einbeziehung der Sozialpartner auf allen Ebenen eine äußerst wichtige Rolle spielt (4).

3.2   Zugang zu Gewässern

3.2.1   Die Mitgliedstaaten haben vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2022 das Recht, den Fischfang in den Gewässern unter ihrer Hoheit oder Gerichtsbarkeit bis zu 12 Seemeilen von den Basislinien den Fischereifahrzeugen vorzubehalten, die in diesen Gewässern traditionell von Häfen der nahe liegenden Küste aus fischen, und den EU-Fischereifahrzeugen eines anderen Mitgliedstaates im Rahmen von Nachbarschaftsbeziehungen, die diesen Fischfang untereinander gestattet haben.

3.2.2   Weiterhin können die betreffenden Mitgliedstaaten vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2022 in den Gewässern bis zu 100 Seemeilen von den Basislinien der Azoren, Madeiras und der Kanarischen Inseln den Fischfang Schiffen vorbehalten, die in den Häfen dieser Inseln registriert sind. Solche Beschränkungen gelten nicht für EU-Schiffe, die traditionell in diesen Gewässern fischen, sofern sie nicht über den traditionell betriebenen Fischereiaufwand hinausgehen.

3.2.3   Der Ausschuss befürwortet diese Maßnahmen für den Gewässerzugang, die bereits in Kraft waren und die durch weitere Maßnahmen ergänzt werden sollten, um denjenigen bevorzugt Zugang zu sichern, die sozial und ökologisch nachhaltig fischen, und die besonders die örtlichen Fischer begünstigen.

3.3   Maßnahmen zur Erhaltung biologischer Meeresschätze

3.3.1   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mehrjahrespläne im Rahmen der gegenwärtigen GFP in einigen Fällen bedeutende positive Auswirkungen zeigen, deshalb sollte ihre Umsetzung fortgesetzt werden, wie im neuen Vorschlag vorgesehen, wobei eine Analyse der Punkte erfolgen muss, bei denen Probleme aufgetreten sind, die sich aber stets auf die von den wissenschaftlichen Einrichtungen der Gemeinschaft erstellten soliden Studien zu gründen hat. Der Ausschuss ist zudem der Auffassung, dass geeignete Korrekturmechanismen vorzusehen sind, die flexibel und anpassungsfähig sein sollten.

3.3.2   Im Zusammenhang mit dem Ziel der mehrjährigen Pläne, bis 2015 alle Bestände wieder auf das Niveau des höchstmöglichen Dauerertrags aufzufüllen und zu halten, vertritt der EWSA die Auffassung, dass dies eine löbliche Zielstellung ist, die auf dem seit 1998 für die EU verbindlich geltenden Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) basiert und in dem Bericht des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung von 2002 bekräftigt wurde, auf dem dieser Maßnahmenvorschlag der Kommission beruht und in dem es wörtlich heißt: „Zur Herbeiführung einer nachhaltigen Fischerei sind auf allen Ebenen die folgenden Maßnahmen erforderlich: Fischbestände auf einem Stand zu erhalten oder auf diesen zurückzuführen, der den höchstmöglichen Dauerertrag sichert, wobei diese Ziele für erschöpfte Bestände dringend und nach Möglichkeit spätestens 2015 erreicht werden sollen“.

3.3.3   Der Ausschuss ist der Ansicht, dass der angestrebte höchstmögliche Dauerertrag eine gewisse Auslegungsspanne im Hinblick auf seine Anwendungsmodalitäten bietet, und weist auf die Schwierigkeit hin, dieses Ziel bei bestimmten gemischten Fischereien zu erreichen, da die verschiedenen Fischarten miteinander in Wechselwirkung stehen und die Fangquoten, die die Höhe des Fischereiaufwands bestimmen, nicht dem höchstmöglichen Dauerertrag jeder einzelnen Art entsprechen. Der EWSA fordert von der Kommission praktische Lösungen für die Probleme, die bei gemischten Fischereien auftreten können.

3.3.4   Der EWSA ersucht die Kommission zu berücksichtigen, dass Maßnahmen zur Verbesserung des Zustands der Bestände in den Gemeinschaftsgewässern keinen negativen Einfluss auf die Nachhaltigkeit der Bestände anderer Gebiete infolge der Intensivierung des internationalen Handels mit Fischereierzeugnissen und der Verlagerung von EU-Fangkapazitäten haben dürfen.

3.3.5   Um die Mehrjahrespläne auf die bestmögliche wissenschaftliche Bewertung der Fischbestände zu gründen, ist es für den EWSA von prioritärer Bedeutung, dass die Mitgliedstaaten mit Unterstützung durch die Kommission über den Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) die wissenschaftlichen Institute mit den notwendigen Mitteln ausstatten, um dem Forschungsbedarf entsprechend Rechnung zu tragen und alle befischten Arten zu erfassen. In jenen Fällen, wo keine geeignete wissenschaftliche Bewertung vorliegt, muss das Vorsorgeprinzip zur Anwendung kommen, wie es im UN-Übereinkommen von 1995 über Fischbestände definiert wird. Überdies muss nach Ansicht des Ausschusses unbedingt der Dialog zwischen Wissenschaftlern und Fischern gefördert werden.

3.3.6   Weiterhin ist der Ausschuss der Meinung, dass die Umsetzung der Maßnahmen zur Erhaltung oder Auffüllung der Bestände bis 2015 auf Größen, die den höchstmöglichen Dauerertrag ermöglichen, die Fischereikapazität der Flotten der Mitgliedstaaten beeinflusst und sicherstellen sollte, dass die umweltschädlichsten und sozial nachteiligsten Flottenteile vorrangig stillgelegt werden. Daher muss die Kommission Maßnahmen zu ihrer Anpassung vorsehen und soziale und Beschäftigungsalternativen für den Fischereisektor anbieten, um die gegenwärtigen, durch den schlechten Zustand der Fischbestände verursachten Beschäftigungsverluste zu vermeiden. In diesem Sinne fordert der EWSA eine eingehende Abschätzung der kurz-, mittel- und langfristigen sozioökonomischen Auswirkungen der Mehrjahrespläne.

3.3.7   Der Inhalt der Mehrjahrespläne und die technischen Rahmenregelungen müssen ihren Geltungsbereich im Hinblick auf die Fischbestände, Fischereien und Meeresökosysteme sowie die Ziele angeben, die im Einklang mit den in Ziffer 3.1.1 dargelegten allgemeinen und spezifischen Zielen der GFP stehen müssen. Die technischen Rahmenregelungen für jeden Mehrjahresplan müssen zur Erhaltung oder Auffüllung der Fischbestände auf Größen, die den höchstmöglichen Dauerertrag ermöglichen, beitragen, Fänge untermaßiger Fische und unerwünschter Meeresorganismen reduzieren und die Auswirkungen von Fanggeräten auf das Ökosystem mildern.

3.3.8   Der EWSA ist der Ansicht, dass sowohl der Inhalt als auch der Rahmen der in Artikel 14 vorgesehenen technischen Maßnahmen mit den Zielen der GFP-Reform übereinstimmen, und gibt daher seine Zustimmung. Diese technischen Maßnahmen sollten unter Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelnen Fischereien zur Anwendung kommen.

3.3.9   Was die von der Kommission vorgeschlagene Verpflichtung angeht, alle Fänge anzulanden (Rückwurfverbot), so legt der Reformvorschlag für die GFP einen Zeitplan ab dem 1. Januar 2014 und ab dem 1. Januar 2016 fest, nach dem eine Reihe von Beständen, die Fangbeschränkungen unterliegen, ab dem 1. Januar jedes dieser Jahre an Bord der Fischereifahrzeuge geholt und behalten werden müssen. Es werden Referenzmindestgrößen für die Bestandserhaltung aller jener Fischbestände bestimmt, deren Verkauf auf die Herstellung von Fischmehl oder Tierfutter beschränkt ist. Vermarktungsnormen für Fischfänge, die über die festgesetzten Fangmöglichkeiten hinaus getätigt wurden, werden in Einklang mit der gemeinsamen Marktorganisation festgelegt.

3.3.10   Den Vorschlag zum Rückwurfverbot bestimmter Fischarten nach einem festgelegten Zeitplan hält der EWSA für ein wünschenswertes Ziel, das bei bestimmten Fischereien, insbesondere den gemischten, im Moment jedoch sehr schwierig zu erreichen ist. Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen wären in der Tat so gravierend, dass viele Fischereifahrzeuge abgewrackt werden müssten. Deshalb sollten nach Meinung des Ausschusses Maßnahmen zur Milderung dieser Folgen festgelegt werden. Der EWSA setzt sich für einen schrittweisen Ansatz mit größerer Verhältnismäßigkeit ein, der auf der Selektivität der Fanggeräte und der allmählichen Reduzierung der Rückwürfe beruht, Maßnahmen für ihre Nutzung durch die Verarbeitung in Erzeugnisse mit Wertzuwachs fördert und die Ausstattung der Schiffe und der Fischereihäfen anpasst.

3.3.11   Nach Auffassung des Ausschusses wäre es sehr angebracht und nützlich, die Ursachen der Rückwürfe für jede einzelne Fischerei eingehend zu untersuchen, um die Reduzierung der Rückwürfe mit den Maßnahmen anzugehen, die für die jeweilige Fischerei am besten geeignet sind.

3.3.12   Der Ausschuss meint, dass ohne eine angemessene Schulung der Arbeitnehmer keine wirksame Durchsetzung des Rückwurfverbots möglich ist. Die entsprechenden Schulungsmaßnahmen sollten durch den EMFF gefördert werden.

3.3.13   Im Zusammenhang mit der Regionalisierung kann die Kommission die Mitgliedstaaten ermächtigen, im Einklang mit einem Mehrjahresplan Bestandserhaltungsmaßnahmen und technische Maßnahmen für Schiffe unter ihrer Flagge für Bestände in EU-Gewässern zu erlassen, für die ihnen Fangmöglichkeiten zugeteilt wurden, wenn sie mit den Zielen der GFP vereinbar und nicht weniger streng als entsprechende Anforderungen in den Rechtsvorschriften der Union sind. Diese Maßnahmen werden der Kommission, die sie jeweils bewertet, und gegebenenfalls anderen beteiligten Mitgliedstaaten und den einschlägigen Beiräten mitgeteilt.

3.3.14   Die einzelstaatlichen Maßnahmen, die ein Mitgliedstaat möglicherweise zur Bestandserhaltung in den Unionsgewässern ergreift, können durchgeführt werden, wenn sie nur für Fischereifahrzeuge gelten, die unter seiner Flagge fahren, oder sich auf Fangtätigkeiten von Personen beschränken, die in seinem Hoheitsgebiet niedergelassen sind, wenn sie mit den Zielen der GFP vereinbar und nicht weniger streng sind als entsprechende Anforderungen in den Rechtsvorschriften der Union.

3.3.15   Ein Mitgliedstaat kann innerhalb der ersten 12 Seemeilen von seinen Basislinien nichtdiskriminierende Maßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände und zur Einschränkung der Folgen des Fischfangs für die Erhaltung der Meeresökosysteme verabschieden, sofern die Europäische Union keine spezifischen Maßnahmen für die Erhaltung und Bewirtschaftung speziell dieses Bereichs erlassen hat. Wenn diese Maßnahmen Auswirkungen auf Fischereifahrzeuge anderer Mitgliedstaaten haben können, werden die Kommission, die betroffenen Mitgliedstaaten und einschlägigen Beiräte vor Verabschiedung der Maßnahmen zu dem Entwurf der Maßnahmen einschließlich Begründung konsultiert.

3.3.16   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Maßnahmen vielleicht geeignet sind, der Verordnungsvorschlag jedoch keine konkreten Verfahrensweisen für eine Dezentralisierung der Beschlussfassung vorsieht und dass die in der jüngsten Stellungnahme „Die Entwicklung von Regionalgebieten für die Bewirtschaftung von Fischbeständen und die Kontrolle der Fischerei“ enthaltenen Erwägungen berücksichtigt werden müssen.

3.4   Zugang zu Ressourcen

3.4.1   Die den Mitgliedstaaten zugeteilten Fangmöglichkeiten werden im neuen Vorschlag erneut auf der Grundlage der Regelung der zulässigen Gesamtfangmenge und Quoten garantiert, wobei eine relative Stabilität zwischen den Mitgliedstaaten gilt.

3.4.2   Im Zusammenhang mit der relativen Stabilität wiederholt der EWSA die Aussage in seiner Stellungnahme zum Grünbuch und betont die Notwendigkeit der Aktualisierung dieses Kriteriums zur Berücksichtigung der Veränderungen seit seiner Schaffung im Jahr 1976. Die Notwendigkeit dieser Aktualisierung wird dadurch belegt, dass die Kommission die Mitgliedstaaten erneut die Genehmigung erteilt, die ihnen zugeteilten Fangrechte ganz oder teilweise auszutauschen, was ein untrügliches Indiz dafür bildet, dass die vor mehr als 35 Jahren eingeführte relative Stabilität veraltet ist und der heutigen Situation der Fischereiflotten und der stark von der Fischerei abhängigen Gebiete nicht gerecht wird. Der Ausschuss vertritt zudem die Ansicht, dass die Zuteilung der Fangquoten nach Aktualisierung der relativen Stabilität nicht allein auf historischen Fängen beruhen sollte, sondern auch auf einer Reihe transparenter ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Kriterien.

3.4.3   Der Vorschlag legt fest, dass jeder Mitgliedstaat bis 31. Dezember 2013 ein System übertragbarer Fischereibefugnisse für alle Fischereifahrzeuge mit einer Länge von 12 m oder darüber und für alle mit einer Länge unter 12 m, die Schleppgerät einsetzen, vorschreibt. Die Mitgliedstaaten können das System übertragbarer Fischereibefugnisse auf Fischereifahrzeuge mit einer Länge über alles von weniger als 12 m, die anderes als geschlepptes Fanggerät einsetzen, ausweiten und unterrichten die Kommission entsprechend.

3.4.4   Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass der Text des Vorschlags verwirrend ist und die Kommission seine Interpretation präzisieren müsste, insbesondere im Hinblick auf die Definition der „transparenten und objektiven Kriterien“ für die Erteilung von Befugnissen. Hierbei sollten nach Meinung des Ausschusses jene Betreiber, die gegen Arbeitnehmerrechte verstoßen, von der Zuteilung ausgeschlossen werden. Die Festlegung übertragbarer Fischereibefugnisse kann eine Gelegenheit für die Herstellung einer allgemeinen Konformität mit den sozialen Normen im Sektor sein, die in der europäischen Fischerei Qualität und Arbeitsschutz gewährleistet und einen möglicherweise auftretenden unfairen Wettbewerb durch geringeren Kostenaufwand unattraktiv macht.

3.4.5   Der EWSA spricht sich gegen eine Privatisierung der Meeresressourcen aus. Daher hält er den Vorschlag der Kommission für einen Markt, auf dem Fangrechte zwischen Privatunternehmen übertragen werden können, für inakzeptabel, da dadurch das Ausscheiden von Unternehmen aus dem Sektor erleichtert wird, was zu mehr Unsicherheit für die Arbeitnehmer führt. Fangrechte dürfen nur durch die Mitgliedstaaten verwaltet werden.

3.4.6   Die übertragbaren Fischereibefugnisse können zu einem quantitativen Kapazitätsrückgang führen, nicht aber zu einer qualitativen Verminderung und Beseitigung der umweltmäßig schädlichsten, energiemäßig ineffizientesten und sozial nachteiligsten Elemente der Flotte. Außerdem kam es häufig zu einer Konzentration der Fischereibefugnisse in Händen weniger Betreiber, sogar einiger branchenfremder, die dann die Fischereitätigkeit an andere weiterverpachten, häufig dieselben, die früher in diesen Gewässern fischten.

3.4.7   Der Ausschuss würde den Vorschlag zur Errichtung von Systemen übertragbarer Fischereibefugnisse unterstützen, wenn diese Systeme nicht obligatorisch sind und die Mitgliedstaaten über deren Anwendung in ihren jeweiligen Gewässern selbst entscheiden können, wenn sie außerhalb von EU-Gewässern nicht gelten und wenn sie dem vorrangigen Ziel dienen, die Fischbestände langfristig nach ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen zu erhalten.

3.4.8   Der EWSA hat gewisse Vorbehalte gegenüber seiner Anwendung auf die Mittelmeerflotte, da die Kommission in ihrem Vorschlag nicht konkretisiert hat, wie sie dies realisieren will.

3.4.9   Nach Auffassung des EWSA muss sichergestellt werden, dass die Übertragungen von Fischereibefugnissen zwischen den Mitgliedstaaten den gleichen Bedingungen unterliegen, die für die Angehörigen eines Mitgliedstaates gelten. Bei der Analyse der Auswirkungen dieses Systems auf die Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität der Flotten der verschiedenen Mitgliedstaaten muss besonderes Augenmerk auf jene gelegt werden, die eine hohe Importquote an Fischereierzeugnissen haben.

3.5   Verwaltung der Fangkapazitäten

3.5.1   In der Begründung des Vorschlags wird die Überkapazität der Flotte als eines der Hauptprobleme angesprochen. Im Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat betreffend die Mitteilungspflichten auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 heißt es, dass sich alle Mitgliedstaaten an die Vorschriften über die Begrenzung der Fangkapazitäten gehalten haben und dass die Kapazität der meisten Mitgliedstaaten heute in der Regel bei der Tonnage um 10 % und bei der Maschinenleistung um 8 % unter der zulässigen Obergrenze liegt.

3.5.2   Diese Beschränkungen hat die Kommission auch in ihrem neuen Vorschlag aufgegriffen. Artikel 35 legt die Obergrenzen der Fangkapazität der Mitgliedstaaten ab 1. Januar 2013 fest.

3.5.3   Der Ausschuss ist der Meinung, dass die Kommission auch bei Einhaltung dieser Obergrenzen der Fangkapazität durch die Mitgliedstaaten diese Grenzen auf der Grundlage einer genaueren Messung der Fangkapazität, die die Maschinenleistung und Tonnage, aber auch die Art der Fanggeräte und weitere Merkmale der Fischereifahrzeuge einschließt, anpassen und mit den verfügbaren Ressourcen in Einklang bringen sollte.

3.5.4   Weiterhin wäre es für den EWSA sehr interessant, wenn die in Artikel 36 über „Fischereiflottenregister“ vorgesehenen Mitteilungen auch Informationen darüber enthalten würden, wie sich diese Situation der Fangkapazität gegenüber den verfügbaren Ressourcen verhält.

3.6   Wissenschaftliche Grundlagen für das Fischereimanagement

3.6.1   Die Hauptlast der wissenschaftlichen Grundlagen für das Fischereimanagement haben die Mitgliedstaaten zu tragen, die die biologischen, technischen, ökologischen und sozioökonomischen Daten für ein ökosystembasiertes Management ihrer Fischereien zusammenstellen müssen.

3.6.2   Der Ausschuss hält es für grundlegend, bei der Datenerhebung für das ökosystembasierte Fischereimanagement besonderen Wert auf die Beschaffung von Umweltdaten zu legen; für die rechtzeitige Bereitstellung verlässlicher Daten ist im Quotenzuteilungssystem Sorge zu tragen, und für den Fall der Nichtbeachtung sind Strafen anzudrohen.

3.6.3   Die Datenerhebung, -verwaltung und -nutzung erfolgt ab 2014 im Rahmen eines mehrjährigen Programms. Bis dahin gilt weiterhin die Verordnung (EG) Nr. 199/2008 über die Programme zur Erhebung und Verwaltung von Daten.

3.6.4   Die Mitgliedstaaten verabschieden nationale Programme für die fischereiwissenschaftliche Datenerhebung, für Forschung und Innovation. Es wird das Amt eines nationalen Beauftragten für die Koordinierung der Erhebung und Verwaltung von wissenschaftlichen Daten für das Fischereimanagement auf nationaler Ebene geschaffen.

3.6.5   Der EWSA bringt seine Unterstützung für diesen wissenschaftlichen Impuls zum Ausdruck. Er ist der Ansicht, dass in den Forschungsprogrammen Informationen über alle Arten zusammengetragen werden müssen, für die es derzeit an wissenschaftlichen Daten mangelt, und dass in diese Bestrebungen die Beiräte und andere, dezentrale Gremien von Interessengruppen einzubeziehen sind.

3.7   Externe Politik

3.7.1   Die EU ist eine der wenigen großen Fischereimächte mit einer starken Präsenz in allen Meeren und Ozeanen der Welt aufgrund der Aktivitäten ihrer Flotten, der Investitionen, der bilateralen Abkommen mit Drittländern und ihrer Mitwirkung in den wichtigsten regionalen Fischereiorganisationen. Außerdem verfügt sie über einen stark internationalisierten Verarbeitungs- und Vermarktungssektor.

3.7.2   Darüber hinaus ist die EU bei Konsum und Importen einer der großen Märkte für Fischereierzeugnisse, was ihr eine große Verantwortung beim Engagement für das nachhaltige Management der Fischereiaktivitäten und die Erhaltung der weltweiten Fischereiressourcen und deren Gewährleistung auferlegt.

3.7.3   Der EWSA teilt die Meinung der Kommission, dass die EU auf der globalen und multilateralen Agenda die nachhaltige Fischerei in der ganzen Welt fördern und dabei den Grundsatz der verantwortungsbewussten Fischerei, insbesondere in ökologischer Hinsicht, aufrechterhalten, aber auch die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte einbeziehen muss. Zu den Aufgaben der EU gehört es auch, transparente und faire kommerzielle Maßnahmen zu fördern, da ihre Handelspolitik mit den Grundsätzen der verantwortungsbewussten und nachhaltigen Fischerei kohärent sein muss.

3.7.4   Der EWSA teilt die allgemeinen Grundsätze, die im Vorschlag zu den internationalen Fischereiorganisationen und zu nachhaltigen Fischereiabkommen dargelegt werden. In dieser Hinsicht sollten auch die Fischereiunternehmen der Gemeinschaft mit Investitionen im Ausland einbezogen und ausdrücklich von EU-Rechtsvorschriften abgedeckt werden. Ebenso sollte von den Mitgliedstaaten verlangt werden, dass sie der Kommission alle Vereinbarungen zwischen Personen bzw. Unternehmen des jeweiligen Mitgliedstaats und einem Drittland melden, die vorsehen, dass unter der Flagge dieses Mitgliedstaats fahrende Fischereifahrzeuge in den Gewässern unter der Hoheit oder Gerichtsbarkeit des Drittlandes fischen dürfen. Die Reform der externen Dimension der GFP vollzieht sich in einem für den Fischereisektor der EU und vieler Entwicklungsländer komplizierten Umfeld wegen des Rückgangs der Fischereiressourcen, der immer stärkeren Präsenz anderer Hochseeflotten und der Auswirkungen des Klimawandels. Die EU sollte deshalb für günstige Rahmenbedingungen für Investitionen der europäischen Privatwirtschaft in nachhaltige Fischereitätigkeiten in den AKP-Staaten sorgen, die in diesen Ländern einen erheblichen Mehrwert und gute Arbeitsplätze schaffen, indem sie für hohe Managementstandards sorgen.

3.7.5   Nach Einschätzung des EWSA muss die Präsenz der EU in den internationalen Organisationen, insbesondere in den regionalen Fischereiorganisationen, eine Verbesserung der Erhaltung der Bestände und die Gewährleistung einer guten Einhaltung der Maßnahmen des Fischereimanagements durch alle Beteiligten zum Ziel haben.

3.7.6   Im Rahmen der aktuellen partnerschaftlichen Fischereiabkommen wird EU-Schiffen das Recht eingeräumt, unter regulierten und rechtssicheren Bedingungen den Überschuss an Fangmengen in der ausschließlichen Wirtschaftszone einer Reihe von Drittländern zu fangen. Die Kommission ist der Auffassung, dass statt der bisherigen Partnerschaftsabkommen künftig nachhaltige Fischereiabkommen geschlossen werden sollten, deren Schwerpunkte auf der Erhaltung der Bestände, verbesserten Entscheidungsstrukturen und einer wirksamen Förderung des Sektors liegen.

3.7.7   Der EWSA hält diese Neuorientierung für erforderlich. Zu diesem Zweck sollte die EU in dem betreffenden Entwicklungsdrittland nachhaltige Fischereiabkommen entwickeln, die ein geeignetes Umfeld für ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltige Tätigkeiten schaffen, auf der Grundlage eines partizipativen und transparenten Dialogs mit allen beteiligten Interessengruppen, um den Prioritäten des Entwicklungslandes für die nachhaltige Entwicklung seines Fischereisektors nachzukommen. Die nachhaltigen Fischereiabkommen sollten auf fundierten und transparenten wissenschaftlichen Gutachten, auf Bewertungen der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Konsequenzen jedes Abkommens, auf einer stärkeren Beteiligung der Eigner an den Kosten der Zugangsrechte und der Achtung der Menschenrechte basieren. Der EWSA hält es auch für notwendig, die Wahrung der Arbeitnehmerrechte in die Grundsätze aufzunehmen, die von den innerhalb der nachhaltigen Fischereiabkommen operierenden Unternehmen eingehalten werden müssen. Außerdem sollten sie die Entwicklungsländer dabei unterstützen, ihre Fähigkeit zur Durchführung von Forschungen und Bewertungen der Meeresbestände in ihren eigenen Gewässern zu verbessern. Die nachhaltigen Fischereiabkommen mit Drittländern sollen nicht nur den Zugang der Gemeinschaftsflotte zu den Gewässern von Drittstaaten erlauben, sondern auch zur Entwicklung der Fischereiwirtschaft des Drittlands beitragen, indem neue Industrieunternehmen innerhalb des Fischereisektors des Landes zur Verbesserung der Ernährungssicherheit und zur Förderung einer stärkeren Ausgewogenheit geschaffen werden, die Aktivität seiner Häfen verstärkt und insgesamt der Sozialstandard durch die Entwicklung neuer, nachhaltiger Arbeitsplätze für seine Bürgerinnen und Bürger verbessert wird. Der Ausschuss ersucht die Kommission, die Entscheidungsfindung durch die Anwendung sozialer und ökologischer Kriterien und die Errichtung aller notwendigen Instrumente zur Gewährleistung einer ständigen Überwachung der Anwendung und Einhaltung der nachhaltigen Fischereiabkommen zu verbessern. Folgenabschätzungen über die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen auf die Entwicklung der Fischerei in dem von dem Fischereiabkommen betroffenen Drittland sind vorzunehmen und allen Beteiligten öffentlich zugänglich zu machen, damit die beteiligten Parteien in der EU und in den jeweiligen AKP-Ländern mit entsprechenden Informationen am Prozess und Dialog teilnehmen können.

3.7.8   Der EWSA begrüßt den Vorschlag, in künftige Fischereiabkommen eine Transparenzbestimmung aufzunehmen, um sicherzustellen, dass der kumulierte Fischereiaufwand (durch örtliche Flotten und alle ausländischen Flotten, die in einer bestimmten ausschließlichen Wirtschaftszone tätig sind) bekannt ist. Eine solche Bestimmung, zusammen mit einer verbesserten Datensammlung und Forschung, wird die Bewertung des Umfangs verfügbarer Überschussbestände erleichtern. Der EWSA hält eine größere Transparenz in der Funktionsweise von Abkommen über eine nachhaltige Fischerei in Bezug auf die Veröffentlichung von Ex-ante- und Ex-post-Bewertungen für nötig, die wichtige Angaben enthalten, wie z.B. den Wert der Fänge, die EU-Flotten in AKP-Gewässern gemacht haben.

3.7.9   Der EWSA bringt jedoch seine Besorgnis über einige Vorschläge der Kommission zur externen Dimension der GFP zum Ausdruck. In Bezug auf die nachhaltigen Fischereiabkommen bedauert er insbesondere, dass die Kommission sie nicht mehr als Mittel zum Erhalt der Fischerei und der mit dem Einsatz der Fischereiflotten im Rahmen dieser Abkommen verbundenen Arbeitsplätze aufgrund ihrer besonderen Art und ihrer Verbindung mit stark vom Fischfang abhängigen Regionen erwähnt. Zudem hat er kein Verständnis für die Verschärfung der Ausschließlichkeitsklausel. Der EWSA ist der Auffassung, dass diese Klausel eher flexibilisiert werden muss, um der Gemeinschaftsflotte in Ausnahmefällen den Zugang zu den Gewässern von Drittländern zu erleichtern. Hinsichtlich der Gebühren für den Zugang zu den Gewässern von Drittländern vertritt der EWSA die Ansicht, dass die Eigner der Gemeinschaft einen angemessenen und verhältnismäßigen Betrag zahlen sollten, der nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen schädigt, wobei die Situation in jedem Einzelfall analysiert werden sollte, da die Fischereibedingungen nicht in allen Drittländern gleich sind. Schließlich verweist die Kommission nicht auf die Notwendigkeit, geeignete technische Bedingungen auszuhandeln, die die maximale Nutzung der Fangmöglichkeiten gestatten.

3.7.10   Der EWSA bekräftigt die unzweifelhafte Notwendigkeit, die Erhaltung der Bestände zu fördern und weltweit in allen relevanten internationalen Organisationen mit vereinten Kräften die illegale Fischerei (IUU) zu bekämpfen.

3.7.11   Nach Auffassung des Ausschusses müssen von den Flotten aus Drittländern, die ihre Erzeugnisse in die EU exportieren, die gleichen sozialen und ökologischen Bedingungen wie von der Gemeinschaftsflotte gefordert werden.

3.7.12   Der EWSA begrüßt die Einbeziehung eines Abschnitts über die Kohärenz mit anderen EU-Politikfeldern in den Vorschlag, was die Bereiche Umwelt, Handel, Hygiene, Soziales, Arbeitsbedingungen, Entwicklung und externe Beziehungen umfassen muss.

3.8   Aquakultur

3.8.1   Der EWSA begrüßt die Anerkennung der gemeinsamen europäischen Dimension der Aquakulturpolitik und die Festlegung von unverbindlichen, strategischen EU-Leitlinien über gemeinsame Prioritäten und Ziele für die Entwicklung der Aquakultur durch die Kommission und insbesondere den Vorschlag, von den Mitgliedstaaten die Erstellung von mehrjährigen nationalen Strategieplänen in ihrem Hoheitsgebiet bis 2014 zu fordern.

3.8.2   Der EWSA erachtet die Zielsetzung als wichtig, eindeutig die Indikatoren für ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit zu definieren, vor allem angesichts des Wachstumspotenzials der Aquakultur in der Europäischen Union und ihres großen Beitrags zur Versorgungssicherheit.

3.8.3   Der EWSA hält es für wesentlich, die Schlussfolgerungen der Mitteilung „Neuer Schwung für die Strategie für die nachhaltige Entwicklung der europäischen Aquakultur“ (5) in die reformierte GFP einzubringen, konkret in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die Schaffung der Voraussetzungen für ein nachhaltiges Wachstum und die Verbesserung des Images und der Verwaltung des Sektors.

3.8.4   In diesem Sinne fordert der Ausschuss die Anpassung eines flexiblen administrativen Rahmens und eines einheitlichen Rechtsraums für die Entwicklung einer nachhaltigen Aquakultur, die die Bindung der Bevölkerung und die Schaffung von Wohlstand in nichtstädtischen Randgebieten ermöglicht, und unterstreicht die Notwendigkeit der Achtung, des Erhalts und der umfassenden Berücksichtigung der lokalen Umwelt.

3.8.5   Der EWSA hält es für möglich, den Titel der künftigen Verordnung zu erweitern, sodass er folgendermaßen lauten könnte: „Verordnung über die Gemeinsame Fischerei- und Aquakulturpolitik“.

3.9   Überwachung und Durchsetzung

3.9.1   Die Einhaltung der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik wird durch eine wirksame Fischereikontrollregelung der EU einschließlich des Kampfes gegen die illegale, ungemeldete und unregulierte (IUU-)Fischerei gewährleistet.

3.9.2   Der EWSA befürwortet die Vorschläge der Kommission in Bezug auf die Überwachung und Durchsetzung der Vorschriften der GFP, obwohl er der Auffassung ist, dass eine ausreichende Rechtsgrundlage geschaffen werden muss, damit die Sanktionen nicht von Rechtsbrechern umgangen werden können.

3.9.3   Hinsichtlich des Vorschlags, dass die Mitgliedstaaten ihre Fischereifahrzeuge verpflichten können, sich anteilig an den Kosten der Durchführung der Kontrollregelung zu beteiligen, ist der Ausschuss der Auffassung, dass eine solche Belastung für die Schiffe sehr schädlich wäre, da sie bereits sehr hohe Kosten in materieller und personeller Hinsicht zu tragen haben, um sämtliche Forderungen der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 zur Einführung einer Kontrollregelung zu erfüllen.

3.10   Finanzinstrumente

3.10.1   Als Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinsamen Fischereipolitik kann den Mitgliedstaaten und den Betreibern eine finanzielle Unterstützung der Europäischen Union gewährt werden.

3.10.2   Die finanzielle Unterstützung für die Mitgliedstaaten kann unterbrochen (Aussetzung der Zahlungen) oder durch eine Korrektur reduziert werden, wenn die Ziele der GFP nicht erfüllt werden. Entsprechende Maßnahmen werden in angemessenem Verhältnis zu Art, Umfang, Dauer und Wiederholung des Versäumnisses getroffen.

3.10.3   Die finanzielle Unterstützung für die Betreiber kann vorübergehend oder endgültig unterbrochen und/oder reduziert werden, wenn diese schwere Verstöße gegen die Vorschriften der GFP begehen. Entsprechende Maßnahmen werden in angemessenem Verhältnis zu Art, Umfang, Dauer und Wiederholung des Verstoßes getroffen. Der Ausschuss begrüßt diese Bestimmung und meint, dass sie auf Mitgliedstaaten ausgedehnt werden sollte, die die Vorschriften der GFP nicht anwenden.

3.10.4   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass das neue Finanzinstrument die Rolle der Fischer bei der nachhaltigen Entwicklung der Küstengebiete, einschließlich Schutzmaßnahmen gegen den Verlust von Arbeitsplätzen und Ausbildungs- und Umschulungsbeihilfen für andere Tätigkeiten, wie der Aquakultur, der Verarbeitungsindustrie, der Konservierung oder des Seetransports, aufwerten sollte.

3.10.5   Da die Kommission ihre finanziellen Vorschläge nicht mit in das Reformpaket aufgenommen hat, fordert der EWSA sie auf, dies umgehend zu tun, um eine umfassende Beurteilung der künftigen GFP zu ermöglichen. In dem Vorschlag für den neuen mehrjährigen Finanzrahmen ist zwar ein nahezu unveränderter Betrag von 6,7 Mrd. EUR (6) vorgesehen, doch wie sich dieser auf die Kapitel Fischerei und maritime Angelegenheiten aufteilt, bleibt unklar.

3.11   Beiräte

3.11.1   Um zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinsamen Fischereipolitik beizutragen und im Interesse einer ausgewogenen Vertretung aller Akteure wird für jeden in der Verordnung aufgeführten Zuständigkeitsbereich ein Beirat eingesetzt, der durch einen solchen für Aquakultur ergänzt wird.

3.11.2   Diese Beiräte ersetzen die regionalen Beiräte aus der Reform von 2003. Ihre Aufgaben bestehen in der Übermittlung von Empfehlungen, Anregungen und Problemen an die Kommission und den jeweiligen Mitgliedstaat zu Fragen des Fischereimanagements und der Aquakultur und in der Beteiligung an der Erhebung, Vorlage und Auswertung der notwendigen Daten für Bestandserhaltungsmaßnahmen in enger Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern (die nach Ansicht des EWSA an ihrer Schaffung und Tätigkeit mitwirken müssen) sowie in der Abgabe von Berichten und Gutachten über die Vorschläge von Management- und Bewirtschaftungsmaßnahmen, für die ihre Konsultation vorgeschrieben ist.

3.11.3   Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Verordnungsvorschlag die „ausgewogene Vertretung aller Akteure“ stärker konkretisieren und die Mitwirkung der Sozialpartner auf den entsprechenden Ebenen und nach den Gewohnheiten jedes Mitgliedstaates angeben müsste.

3.11.4   Die finanzielle Unterstützung der Europäischen Union und die Maßnahmen der Mitgliedstaaten sollen den Beteiligten der Beiräte, insbesondere der Kleinfischerei, stärkeren Rückhalt geben.

3.11.5   Der EWSA bringt seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass die Kommission in ihrem Vorschlag nicht die Rolle des Beratenden Ausschusses für Fischerei und Aquakultur der EU erwähnt, und ist besorgt über das mögliche Verschwinden der bereichsübergreifenden Arbeitsgruppen, die die Marktproblematik, die Handelspolitik und allgemeine Themen behandeln. Die Existenz der Beiräte, einschließlich des Beirats für Aquakultur, bietet keine intersektoralen Foren zur gemeinschaftlichen Behandlung der gemeinsamen Fragen im Rahmen der Fischerei, der Aquakultur und der Verarbeitung.

3.12   Soziale Dimension und handwerkliche Fischerei

3.12.1   Der EWSA ist der Auffassung, dass es im Vorschlag der Kommission einige Lücken gibt, die geschlossen werden sollten, insbesondere das Fehlen der sozialen Dimension und einer geeigneten Definition der kleinen Küstenfischerei und der Meeresfrüchtezucht und -fischerei.

3.12.2   Zwischen 2001 und 2010 ging die Zahl der Fischer nach Angaben von Eurostat um 20 % zurück und belief sich schließlich auf 203 200, von denen nur 40 % selbstständig arbeiten. Der gesamte Sektor beschäftigte im Jahre 2005 seinerseits 5 Mio. Menschen. Nach Meinung des EWSA verdient die sozioökonomische Dimension der Nachhaltigkeit die gleiche Aufmerksamkeit wie die ökologische.

3.12.3   Wie in der Stellungnahme zum Grünbuch erwähnt, berücksichtigt die Kommission nach Auffassung des EWSA nicht ausreichend die sozialen Aspekte der Gemeinsamen Fischereipolitik. Deshalb wiederholt der Ausschuss die dortigen Aussagen, insbesondere das Fehlen einer systematischen Anerkennung der Berufsabschlüsse zwischen den Mitgliedstaaten, die Notwendigkeit einer Zusammenstellung harmonisierter statistischer Daten über Unfälle und deren Ursachen – die gegenwärtig auf EU-Ebene nicht existiert – und die Dringlichkeit einer Aufwertung des Sektors durch die Garantie einer gerechten Bezahlung.

3.12.4   Der EWSA glaubt nicht, dass die laufende Reform die Beschäftigungsprobleme der Arbeitnehmer des Sektors lösen wird, und schlägt deshalb die Einführung von Begleitmaßnahmen sozioökonomischer Art vor (Diversifizierung von Aktivitäten, berufliche Umorientierung, Ausbildung und Sicherheit der Beschäftigten des Sektors), die helfen, den Reformprozess unter weitestgehender Mitwirkung der Akteure in den Institutionen sowie in Wirtschaft und Gesellschaft zu bewältigen.

3.12.5   Die sozialen Aspekte müssen in allen Phasen der Fischerei und Aquakultur (Produktion, Verarbeitung und Vermarktung) mit konkreten Vorschlägen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Betracht gezogen werden.

3.12.6   Für die Flotte der kleinen Küstenfischerei hält die Kommission die derzeitige Definition von Schiffen mit einer Länge über alles von weniger als 12 Metern, ausgenommen Trawler, aufrecht. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Realität der Kleinfischereiflotte in den verschiedenen Mitgliedstaaten nicht berücksichtigt und ein einziges willkürliches Kriterium festgelegt wird, das zu diskriminierenden Situationen führen kann. Deshalb fordert der EWSA zusätzliche Kriterien zu dem der Abmessungen, die angewendet werden könnten, um diese hoch diversifizierte Art der Fischerei abzugrenzen, wie zum Beispiel die auf hoher See verbrachte Zeit, die Entfernung zur Küste oder den Bezug zu einem Küstenort. Eine Definition dieser Art auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene wäre nach Ansicht des Ausschusses zweckmäßiger als die Festlegung eines einheitlichen Kriteriums auf Gemeinschaftsebene, das einen großen Teil der Kleinfischerei in die industrielle Fischerei einordnet.

3.12.7   Darüber hinaus ist der EWSA der Meinung, dass Reusen- und Tonnare-Fischerei in die Definition der Kleinfischerei einbezogen werden müssten beziehungsweise ihnen dieselben Rechte und Pflichten zustehen müssten wie den übrigen Flotten der Kleinfischerei.

3.13   Der EWSA stellt fest, dass der Verordnungsvorschlag der Kommission umfassende Vollmachten für den Erlass delegierter Rechtsakte einräumt. Aber unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Inanspruchnahme dieser Vollmachten durch die Kommission gleichzeitig dem Europäischen Parlament und dem Rat mitgeteilt werden muss und jederzeit durch einen von beiden widerrufen werden kann, sind nach Ansicht des EWSA Garantien für ihre Anwendung vorhanden.

4.   Analyse des Vorschlags zur Reform der GMO und Bemerkungen des Ausschusses

4.1   Einleitung

4.1.1   Die gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und Aquakultur findet Anwendung auf die im Anhang der Verordnung aufgeführten Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse, die in der EU auf den Markt kommen, wird zur Erreichung der Ziele der Gemeinsamen Fischereipolitik beitragen und lässt sich von den darin festgelegten Grundsätzen guter Entscheidungsfindung leiten.

4.1.2   Wie in Ziffer 2.2.2 angeführt, umfasst die gemeinsame Marktorganisation folgende Instrumente: Berufsverbände, Vermarktungsnormen, Verbraucherinformation, Wettbewerbsregeln und Marktuntersuchung.

4.1.3   Der EWSA unterstützt die Zielsetzungen und Grundsätze, von denen sich die neue GMO-Verordnung leiten lässt.

4.2   Berufsverbände

4.2.1   Die Erzeugerorganisationen für Fischereierzeugnisse gründen sich als Verbände auf Initiative von Erzeugern von Fischereiprodukten eines oder mehrerer Mitgliedstaaten und werden wie im Verordnungsvorschlag dargelegt anerkannt.

4.2.2   Trotz ihrer Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Gemeinsamen Fischereipolitik stößt die Entwicklung der Erzeugerorganisationen an ihre Grenzen, und zwar sowohl durch die Komplexität der GMO selbst als auch und vor allem durch die Vermarktungsschwierigkeiten in einem Kontext, in dem es aufgrund der kartellrechtlichen Vorschriften unmöglich ist, der Macht der Großhandelsketten entgegenzuwirken, und in dem Billigeinfuhren von Fisch und Meeresfrüchten zulässig sind, die nicht einmal die grundlegenden Anforderungen des Gesundheitsschutzes erfüllen, wie die volle Rückverfolgbarkeit vom Erzeuger bis zum Verbraucher.

4.2.3   Der EWSA fordert eine Vereinfachung der bürokratischen und administrativen Vorschriften, erst recht, wenn die Erzeugerorganisationen wegen des Rückwurfverbots die unerwünschten Beifänge übernehmen müssen. Zudem fordert er eine Revision der Wettbewerbspolitik, die den Erzeugerorganisationen die Möglichkeit gibt, operativ nützlich und juristisch unbedenklich ein konzentriertes Angebot zu erstellen, das gegenwärtig zu stark zersplittert ist. Insbesondere sollte der Zusammenschluss kleiner Betriebe der handwerklichen Fischerei gefördert werden.

4.2.4   Erzeugerorganisationen für Aquakulturerzeugnisse können sich auf Initiative von Produzenten von Aquakulturerzeugnissen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gründen und werden wie im Verordnungsvorschlag dargelegt anerkannt.

4.2.5   Der Ausschuss unterstützt trotz der geschilderten Schwierigkeiten die Gründung von Erzeugerorganisationen für Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse, weil sie bisher der GFP einen großen Impuls verliehen haben.

4.2.6   Weiterhin können sich Branchenverbände auf Initiative von Erzeugern von Fischerei- und von Aquakulturerzeugnissen in einem oder mehreren Mitgliedstaaten gründen und werden wie im Verordnungsvorschlag dargelegt anerkannt.

4.2.7   Der Ausschuss begrüßt die Möglichkeit der Gründung von Branchenverbänden, die einen wesentlichen Teil der Erzeugung, Vermarktung und Verarbeitung von Fischerei- und Aquakulturerzeugnissen oder daraus gefertigten Erzeugnissen vertreten. Obwohl es ihnen untersagt ist, direkt die Tätigkeiten der Gewinnung, Verarbeitung und Vermarktung auszuführen, könnten die Branchenverbände zusätzlich zu den im Vorschlag vorgesehenen Maßnahmen dazu dienen, die Fischereierzeugnisse in verschiedenen Märkten zu diversifizieren und eine Steigerung der Rentabilität in allen Phasen der Fischerei- und Aquakulturkette zu erreichen.

4.2.8   Der EWSA unterstützt die Ziele der Branchenverbände und die Maßnahmen, die von ihnen ergriffen werden können, obwohl er einen Artikel über die Finanzierung dieser Art von Organisationen vermisst.

4.3   Ausdehnung der Regeln

4.3.1   Ein Mitgliedstaat kann die innerhalb einer Erzeugerorganisation oder eines Branchenverbands vereinbarten Regeln für Erzeuger oder Betreiber, die dieser Organisation nicht angehören, unter bestimmten Bedingungen verbindlich vorschreiben und kann diese Erzeuger oder Betreiber gegenüber der Erzeugerorganisation oder dem Branchenverband ganz oder teilweise für das Äquivalent der den Mitgliedern aus der Ausdehnung der Regeln entstehenden Kosten haftbar machen.

4.3.2   Der EWSA ist der Ansicht, dass dieser Vorschlag die Verarbeitungs- und Vermarktungsbedingungen der Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse verbessern kann und zur Stabilisierung der Märkte beitragen wird.

4.4   Stabilisierung der Märkte

4.4.1   Die Erzeugerorganisationen können die Lagerhaltung bestimmter Fischereierzeugnisse finanzieren, um die Stabilität der Märkte zu erhalten, sofern eine Reihe von Bedingungen eingehalten wird.

4.4.2   Der EWSA hält diesen Mechanismus für zweckmäßig, meint aber auch, dass die Erzeugerorganisationen auch selbstständig entscheiden können sollten, welche Arten in diesen Mechanismus einbezogen werden können. Andererseits hält er es für notwendig, für die Aquakulturerzeugnisse Richtpreise anzubieten, ähnlich denen, die für die Fischereierzeugnisse vorgeschlagen werden. Diese Preisreferenzen müssen durch wirksame und an die Märkte der Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse angepasste Interventionsmechanismen ergänzt werden.

4.4.3   Der EWSA fordert die Kommission, die Mitgliedstaaten und die Branche auf, flexiblere und leistungsfähigere Mechanismen zu suchen, um ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage von Meereserzeugnissen zu erreichen. Die Maßnahmen zur Koordinierung und Vereinbarung innerhalb der Branchenverbände könnten einen guten Ausgangspunkt bilden.

4.5   Verbraucherinformation

4.5.1   Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur gemäß Anhang des Verordnungsvorschlags, die in der Europäischen Union in Verkehr gebracht werden, einschließlich der Importe, können nur dann auf der Stufe des Einzelhandels dem Endverbraucher angeboten werden, wenn eine angemessene Kennzeichnung oder Etikettierung bestimmte obligatorische Mindestangaben enthält: Handelsbezeichnung, Produktionsmethode, das Gebiet, in dem das Erzeugnis gefangen oder in Aquakultur gewonnen wurde, Zeitpunkt des Fanges oder der Entnahme und ob das Erzeugnis frisch ist oder aufgetaut wurde. Nur zubereitete oder haltbar gemachte Fische, Kaviar und Kaviarersatz und zubereitete oder haltbar gemachte Krebstiere, Weichtiere und andere wirbellose Wassertiere können verkauft werden, wenn auf der Kennzeichnung oder Etikettierung die drei ersten der für die übrigen Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse obligatorischen Angaben vorhanden sind: Handelsbezeichnung, Produktionsmethode und Gebiet, in dem das Erzeugnis gefangen oder in Aquakultur gewonnen wurde.

4.5.2   Der Vorschlag zur Verbraucherinformation führt einerseits neue Anforderungen ein (sowohl für die Erzeugnisse aus Kapitel 3 als auch für die aus Kapitel 16 in Anhang II über die Warenbezeichnung), die in der gegenwärtigen GMO-Regelung nicht vorgesehen sind, und dehnt diese Maßnahmen andererseits auf Importe aus.

4.5.3   Der EWSA ist der Auffassung, dass die Forderung nach neuen Bestimmungen auf dem Gebiet der Verbraucherinformation ein positiver Schritt ist, der jedoch eine gründliche Analyse unter Berücksichtigung der Besonderheiten der verschiedenen Formen der Darbietung von Fischerei- und Aquakulturerzeugnissen erfordert.

4.5.4   Diese neuen Anforderungen müssen wirklich positiven Faktoren entsprechen, die für den Verbraucher einen echten Wert mit sich bringen, dürfen keine Verwirrung zwischen Etikettierung und Rückverfolgbarkeit auslösen, dürfen keine technischen Hemmnisse für die Produzenten darstellen und müssen mit den jüngsten Reformen der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (7) und der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik (8) übereinstimmen.

4.5.5   Aus allen diesen Gründen ist der EWSA der Auffassung, dass die Kommission vor der Einbeziehung neuer Anforderungen auf dem Gebiet der Etikettierung eine Impaktstudie zur Untersuchung von Realisierbarkeit, Durchsetzbarkeit und Nutzwert für den Verbraucher durchführen sollte.

4.5.6   Als Antwort auf die Forderungen nach einer größeren Transparenz sieht der Vorschlag auch die Möglichkeit vor, auf freiwilliger Basis und ohne den für die obligatorischen Angaben verfügbaren Platz zu schmälern, Umweltinformationen, ethische oder soziale Informationen und Informationen über Produktionstechniken und über den Nährstoffgehalt des Erzeugnisses bereitzustellen. Der EWSA ist der Auffassung, dass sich jeglicher Vorschlag zu freiwilligen Angaben auf regulierte Mindeststandards gründen muss, die verhindern, dass diese Informationen zu Verwirrung beim Verbraucher oder zu einer Verzerrung des Marktes führen.

4.5.7   Der Ausschuss unterstreicht die Notwendigkeit, die Kontrolle der Regeln der Rückverfolgbarkeit der Meeresprodukte als Formel zur besseren Kennzeichnung des Ursprungs der gefangenen oder gezüchteten Güter und zur Gewährleistung der Erfüllung der Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit während der gesamten Fischerei- und Aquakulturkette in ihren verschiedenen Phasen der Produktion, Verarbeitung und Vermarktung zu verstärken.

4.5.8   Der EWSA fordert zur Vermeidung des unlauteren Wettbewerbs auf dem EU-Markt für importierte Erzeugnisse die gleichen Hygiene- und Kontrollbedingungen wie für Gemeinschaftserzeugnisse, einschließlich der vollen Rückverfolgbarkeit vom Erzeuger bis zum Verbraucher („Aus dem Wasser auf den Tisch“), und hebt hervor, dass gründliche Kontrollen sowohl an der Grenze als auch am Ursprungsort die sachgemäße Einhaltung dieser Regelungen garantieren müssen, die zur Lebensmittelsicherheit beitragen. Aus Sicht des Ausschusses sollten die verschiedenen Generaldirektionen der Europäischen Kommission eine kohärente Strategie festlegen.

4.5.9   Der Ausschuss ruft dazu auf, die Möglichkeiten zur Ausdehnung der Harmonisierung der Produktionskriterien auf den sozialen und beschäftigungspolitischen Bereich sowie auf den Umweltschutz und die ökologische Nachhaltigkeit auszuloten. Er empfiehlt in diesem Zusammenhang, vor dem Abschluss von Handelsabkommen zwischen der EU und Drittstaaten deren Reichweite und Auswirkungen in sozialer und ökologischer Hinsicht zu analysieren und eine regelmäßige, intensive Überwachung ihrer Ergebnisse vorzunehmen, um so eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Sektors der Fischerei, Meeresfrüchtezucht und -fischerei und Aquakultur sowie seiner Vermarktungs- und Verarbeitungskette zu verhindern.

4.6   Marktuntersuchung

4.6.1   Der Vorschlag sieht vor, dass die Kommission eine Reihe von Maßnahmen durchführt, um die verschiedenen Akteure des Fischerei- und Aquakultursektors über ihre Situation und Entwicklung im internationalen Kontext durch die Überwachung der Versorgungskette, die Analyse von Markttendenzen und die Bereitstellung von Ad-hoc-Marktstudien über die Preisbildung zu informieren. Der EWSA begrüßt diesen Vorschlag.

4.7   Ausübung der Befugnisübertragung

4.7.1   Der EWSA ist mit der Übertragung von Befugnissen an die Kommission einverstanden, da sie alle die effiziente Einhaltung und Kontrolle des Vorschlags für eine Verordnung über die GMO betreffen.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  COM(2009) 163 final.

(2)  CESE; ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 53-58.

(3)  CESE; ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 48.

(4)  COM(2011) 417 final.

(5)  COM(2009) 162, Stellungnahme CESE 646/2010 vom 28.4.2010 (ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 59-63).

(6)  COM(2011) 500 vom 29.6.2011, Ein Haushalt für „Europa 2020“, Teil II, S 88.

(7)  ABl. L 304 vom 22.11.2011, S. 18-63.

(8)  ABl. L 343 vom 22.12.2009, S. 1.


21.6.2012   

DE

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C 181/195


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1185/2003 über das Abtrennen von Haifischflossen an Bord von Schiffen“

COM(2011) 798 final — 2011/0364 (COD)

(2012/C 181/34)

Berichterstatter: José María ESPUNY MOYANO

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 30. November 2011 bzw. am 13. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1185/2003 über das Abtrennen von Haifischflossen an Bord von Schiffen

COM(2011) 798 final — 2011/0364 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 14. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 103 gegen 30 Stimmen bei 22 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss lehnt das sog. Hai-Finning, egal durch welche Flotte auf der Welt es praktiziert wird, rundweg ab.

1.2   Der EWSA pflichtet der Kommission bei, dass die Abschaffung der befristeten Erlaubnisse und die Einführung einer Politik der Ganzkörperanlandung die Gewähr bieten, dass es nicht zu Finning in der EU kommt. Der Ausschuss hat jedoch Bedenken angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Maßnahmen. Er meint, dass alternative Wege gesucht werden sollten, die die Einhaltung des Finning-Verbots sicherstellen, ohne die Rentabilität der Unternehmen und die Sicherheit der Besatzungsmitglieder ernstlich zu gefährden, wenngleich durch diese Alternativen die von der Kommission dokumentierten Probleme bei Überwachung und Durchsetzung nicht beseitigt werden.

1.3   Der EWSA schlägt folgende Alternativmaßnahmen vor:

1.3.1

Die Pflicht zur Anlandung von Körpern und Flossen im selben Hafen.

1.3.2

Die Abschaffung der speziellen Erlaubnisse für die Frischfangflotte.

1.3.3

Die Erteilung von Sondererlaubnissen für Vollfroster, sofern diese ein Rückverfolgbarkeitssystem anwenden, das die Korrelation zwischen Körpern und angelandeten Flossen gewährleistet.

1.3.4

Die Einführung eines Programms mit Statistikdokumenten für den Haifischflossenhandel in allen regionalen Fischereiorganisationen (RFO).

1.4   Der Ausschuss empfiehlt die Annahme von Bewirtschaftungsplänen für den Haifischfang in allen RFO, in denen u.a. Maßnahmen zur Begrenzung des Fischereiaufwands, Schonzeiten und Schongebiete und ein Umladeverbot auf hoher See festgelegt werden.

1.5   Der Ausschuss ersucht die Europäische Kommission, alles zu tun, um die Einhaltung des Finning-Verbots in jenen Drittlandsflotten, in denen diese beklagenswerte Praktik noch üblich ist, und der Verpflichtungen zur Weitergabe verlässlicher Daten über den Fang dieser Arten durch Drittlandsflotten in den RFO durchzusetzen.

1.6   Der EWSA ersucht die Europäische Kommission um die schriftliche Zusicherung, dass der Verarbeitungsschritt, der in Anlande-Drittländern zum vollständigen Abtrennen der Flossen nötig wäre, als „einfaches Zerteilen“ gelten und folglich nichts am Ursprung des Produkts als Gemeinschaftserzeugnis ändern würde.

2.   Einleitung

2.1   In der Verordnung (EG) Nr. 1185/2003 des Rates über das Abtrennen von Haifischflossen an Bord von Schiffen (1) wird ein allgemeines Verbot des so genannten „Finnings“ von Haien, bei dem die Haifischflossen abgetrennt und die übrigen Haifischteile ins Meer zurückgeworfen werden, festgelegt.

2.2   Sie erlaubt es den Mitgliedstaaten zugleich, eine spezielle Fangerlaubnis zu erteilen, im Rahmen derer Haifischflossen an Bord abgetrennt, die Haifischkörper jedoch nicht ins Meer zurückgeworfen werden dürfen. Um das Gewicht von Haifischflossen und Haifischkörpern in Relation zu bringen, wurde ein Verhältnis Flossen/Lebendgewicht festgelegt.

2.3   Die Kommission ist der Auffassung, dass die Ausstellung solcher Sondererlaubnisse keine Kontrolle des Finning gewährleistet, und schlägt daher zum einen vor, sie abzuschaffen, und zum anderen zuzulassen, dass die Haifischflossen teilweise eingeschnitten und an den Körper gefaltet werden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der Ausschuss lehnt das sog. Hai-Finning, egal durch welche Flotte auf der Welt es praktiziert wird, rundweg ab.

3.2   Der EWSA hat festgestellt, dass die meisten Wissenschaftler, Mitgliedstaaten, nichtstaatlichen Organisationen und die Fischereiwirtschaft es für nicht erwiesen halten, dass Finning in der EU vorkommt (2). Hingegen besteht die Gewissheit, dass diese Praktik außerhalb der EU angewandt wird.

3.3   Der Ausschuss hält es für wichtig, die Tätigkeit der mit Treiblangleinen auf Hochseehaie fischenden Flotte, die bisher Gebrauch von den speziellen Fangerlaubnissen gemacht hat, zu kennen, um nachvollziehen zu können, warum die Beibehaltung dieser Erlaubnisse notwendig ist.

3.3.1   Die Langleinenflotte der EU, die Haie fängt, umfasst rund 200 Fischereifahrzeuge (3). Jedes Schiff hat 12 bis 15 Mann Besatzung.

3.3.2   Diese Schiffe sind in erster Linie auf den Fang von Schwertfisch aus und fischen dabei auch pelagische Haiarten (Hochseehaie): den Blauhai (Prionace glauca) mit rund 87 % und den Kurzflossen-Mako (Isurus oxyrinchus) mit rund 10 % der Hochseehai-Gesamtfangmenge. Beide Haiarten kommen in der epipelagischen Zone des offenen Meeres häufig vor und sind im Atlantischen, Indischen und Pazifischen Ozean weit verbreitet. Nach jüngsten Begutachtungen der Internationalen Kommission zur Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik (ICCAT) sind die Bestände an Prionace glauca und Isurus oxyrinchus aus biologischer Sicht und vom Grad der Befischung her in gutem Zustand. Ihre jeweilige Biomasse liegt über oder im Rahmen der höchstmöglichen Dauerfangmenge

3.3.3   Die Darbietung der Flossen im Erstverkauf durch die EU-Flotte, bei der die Flossen vollständig genutzt werden, unterscheidet sich von der einiger anderer Flotten außereuropäischer westlicher Länder, die nur einen Teil davon gebrauchen oder sie wegwerfen.

3.3.4   Bei der Art der Tätigkeit ist zwischen Frischfischfängern und Vollfrostern zu unterscheiden.

3.3.4.1

Frischfischfänger oder Mischformen (Vollfroster mit dem einen oder andern Hol an Frischfisch) fischen im Atlantik und landen gewöhnlich im spanischen Vigo oder in anderen EU-Häfen mit nicht abgetrennten Flossen an. Die Fangfahrten dauern meistens etwas länger als einen Monat.

3.3.4.2

Vollfroster fischen im Atlantischen, Indischen und Pazifischen Ozean, ihre Fangfahrten dauern in der Regel mindestens drei Monate. Auf diesen Schiffen werden die Haie nach dem Fang geköpft und ausgenommen und ihnen dann alle Flossen abgeschnitten. Alle Teile werden mit reichlich Wasser gespült und in den Gefriertunnel eingebracht. Die Lebern werden in einen Beutel und anschließend in eine Plastikkiste gelegt. Nach Abschluss des Frostens werden die Körper verpackt, zunächst in Raphiabast, dann in Baumwollsäcken (um das Produkt zu schützen und in hoher Qualität zu bewahren). Die Flossen und die Lebern werden in Kisten gelegt. Vor dem Lagern im Laderaum des Schiffes werden alle Teile etikettiert, mit Angabe der Art des Produkts, der Darbietung und des Fanggebietes. Die Fänge werden normalerweise in Vigo oder anderen EU-Häfen und in ausländischen Häfen angelandet:

Nordatlantik: Kapverden (Praia), Azoren (Horta), Kanarische Inseln (Las Palmas)

Indischer Ozean: Südafrika (Durban), Mauritius (Port Louis), Indonesien (Jakarta)

Pazifik: Peru (Callao, Chimbote, Puerto Pisco), Panama (Vacamonte), Neuseeland (Napier), Französisch-Polynesien (Papeete/Tahiti)

Südatlantik: Uruguay (Montevideo), Namibia (Walfischbai), Südafrika (Kapstadt).

3.3.5   Normalerweise werden Fischkörper und Flossen im selben Hafen angelandet. Hingegen geschieht die Vermarktung der Flossen und der Körper gewöhnlich auf getrennten Wegen. Die Körper werden nach dem Anlanden nach Vigo gebracht oder nach Südamerika (in erster Linie nach Brasilien, Peru und Kolumbien) weiterverfrachtet. Die über Vigo gehende Ware wird in der Regel in Italien, Griechenland, Rumänien, der Ukraine, Polen, Russland, Portugal, Andalusien und Südamerika verkauft. Die Flossen werden üblicherweise nach Vigo gebracht und gelangen von dort nach Japan, Hongkong, China, Kalifornien u.a. oder werden direkt vom Anlandeort in diese Länder verfrachtet.

3.3.6   Bei den Preisen sieht es so aus, dass Haifischkörper in der Regel einen durchschnittlichen Erstverkaufspreis zwischen 0,50 und 2 EUR pro Kilo erbringen, Blauhai- und Mako-Flossen hingegen 10 bis 15 EUR/kg.

3.3.7   Die vom Reeder durch den Verkauf der Körper erzielten Einnahmen machen heute ca. 55 % des Gesamterlöses aus, der Verkauf der Flossen rund 45 %.

3.3.8   Was den Nährwert betrifft, liefert das grätenfreie Haifischfleisch ungefähr 130 Kalorien pro 100 Gramm. Das Fleisch ist halbfett (4,5 g auf 100 Gramm) und sehr reich an hochwertigen Proteinen (21 g auf 100 Gramm), die alle essenziellen Aminosäuren enthalten. Die Fettsäuren sind überwiegend ungesättigt, sodass Haifleisch gut für eine Ernährung zur Vorbeugung und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen geeignet ist, jedenfalls wenn es mit geeigneten Fetten, wie Oliven- oder Samenöl, zubereitet wird. Es ist gut verdaulich und enthält Vitamine der B-Gruppe, wenn auch weniger als andere Fischarten, sowie die fettlöslichen Vitamine A und E in beachtlicher Menge. Unter den Mineralstoffen sind Phosphor, Kalium, Magnesium und Eisen hervorzuheben.

3.3.9   Der Hai wird gegenwärtig, den Empfehlungen der FAO entsprechend, zur Gänze verwertet. Neben dem Körper und den Flossen werden die Leber zur Gewinnung von Vitamin A und Squalen für die pharmazeutische und kosmetische Industrie und die Haut für die Herstellung von Lederwaren genutzt.

3.4   Der Ausschuss hält es für angebracht, darzulegen, warum die europäische Flotte die speziellen Fangerlaubnisse braucht.

3.4.1

Aus Gründen der Sicherheit: Am Körper verbliebene Flossen wirken bei einem tiefgefrorenen Hai wie scharfe Messer und sind bei den Verarbeitungsschritten und beim Entladen eine ernste Gefahr für die Besatzungsmitglieder, die sie an Bord eines ständig schwankenden Schiffes handhaben müssen.

3.4.2

Aus Gründen der Qualität: Das Lagern mit den im natürlichen Zustand am Rumpf sitzenden Flossen führt zum Verderben des Fanges, sowohl der Flossen als auch der Körper, weil sie aneinander scheuern und sich gegenseitig einschneiden. Das frisch gefangene und gefrostete Produkt ist aus ernährungsphysiologischer und aus hygienisch-sanitärer Sicht von hoher Qualität. Das Abtrennen der Flossen vor dem Tieffrieren des Körpers erlaubt eine ununterbrochene Kühlkette.

3.4.3

Aus Gründen der Raumausnutzung: Die getrennte Lagerung von Körpern und Flossen (oder in den Lücken, die beim Stauen zwischen den Körpern freibleiben) erlaubt eine bessere Nutzung des vorhandenen Laderaums und erhöht somit die Rentabilität der Schiffe.

3.4.4

Wegen der unterschiedlichen Vermarktungswege von Flossen und Körper: Die Maßnahme würde bedeuten, dass die Flossen beim Erreichen des Anlandeortes in einem Drittland an Land abgetrennt werden müssten, was folgende Konsequenzen hätte:

3.4.4.1

Die Bearbeitung der Flossen in einem ausländischen Hafen kann einen Wechsel des Ursprungsortes des Erzeugnisses bedeuten, wenn dieser Bearbeitungsschritt nicht als „einfaches Zerteilen“ (4) gelten kann. Die Folge wäre, dass es jetzt kein Gemeinschaftserzeugnis mehr wäre, sondern als in die EU exportiertes Produkt einzustufen wäre, mit den damit einhergehenden gesundheits- und zollrechtlichen Vorschriften und Anforderungen.

3.4.4.2

Außerdem kommen neue Risikofaktoren beim Löschen des Fangs hinzu, das komplizierter wird und auch mehr Zeit erfordert.

3.4.4.3

Zugleich schaden längere Löschzeiten der Produktqualität, denn die Kühlkette wird spürbar unterbrochen. Dies bedeutet eine Gefahr für die Gesundheit, denn es ist möglich, dass Histamine auftreten und in größerer Menge flüchtige Stickstoffbasen entstehen, die das Produkt verderben lassen.

3.4.4.4

Außerdem befinden sich die wichtigsten Entladehäfen für gefrostete Ware gewöhnlich in Drittländern, in denen es an geeigneten Einrichtungen fehlt. Zudem liegen die meisten in Gebieten mit tropischem Klima, was schneller zu Kühlverlusten führt und die im vorigen Absatz genannten Folgen verschlimmert.

3.5   Das Finning wird von außereuropäischen Fischereifahrzeugen praktiziert, die nicht über eine Tiefgefrieranlage verfügen, aber dennoch ausgedehnte Fangfahrten in küstenfernen Gebieten unternehmen, sodass sie nur die Flossen mithilfe eines Trocknungsverfahrens (Dehydration) konservieren und die Körper, die sonst verrotten würden, über Bord werfen. Für die europäischen Vollfroster, die vom Vorschlag der Kommission betroffen wären, würde das Finning bedeuten, dass sie eine wertvolle Einnahmequelle aus dem Verkauf der Körper einfach wegwerfen, was unternehmerisch gesehen Unsinn wäre.

3.6   Der EWSA pflichtet der Kommission bei, dass die Abschaffung der befristeten Erlaubnisse und die Einführung einer Politik der Ganzkörperanlandung die Gewähr bieten, dass es nicht zu Finning in der EU kommt. Er meint in Anbetracht der oben genannten Punkte und der möglichen negativen Folgen einer Anwendung dieser Maßnahmen für die Fischer jedoch, dass alternative Wege gesucht werden sollten, die die Einhaltung des Finning-Verbots sicherstellen, ohne die Rentabilität der Unternehmen und die Sicherheit der Besatzungsmitglieder ernstlich zu gefährden, wenngleich durch diese Alternativen die von der Kommission dokumentierten Probleme bei Überwachung und Durchsetzung nicht beseitigt werden.

3.7   Der EWSA schlägt folgende Alternativmaßnahmen vor:

3.7.1

Die Pflicht zur Anlandung von Körpern und Flossen im selben Hafen.

3.7.2

Die Abschaffung der speziellen Erlaubnisse für die Frischfangflotte.

3.7.3

Die Erteilung spezieller Erlaubnisse für Vollfroster, sofern sie ein Rückverfolgbarkeitssystem anwenden, das die Korrelation zwischen Körpern und angelandeten Flossen gewährleistet.

3.7.4

Die Einführung eines Programms mit Statistikdokumenten für den Haifischflossenhandel in allen regionalen Fischereiorganisationen in Anlehnung an das Programm der Internationalen Kommission zur Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik (ICCAT) für Roten Thun.

3.8   Der Ausschuss empfiehlt ferner die Annahme von Bewirtschaftungsplänen für den Haifischfang in allen RFO, in denen u.a. Maßnahmen zur Begrenzung des Fischereiaufwands, Schonzeiten und Schongebiete und ein Umladeverbot auf hoher See festgelegt werden.

3.9   Der Ausschuss ersucht die Europäische Kommission, mehr dafür zu tun, die Einhaltung des Finning-Verbots in jenen Flotten, in denen diese beklagenswerte Praktik noch üblich ist, und der Verpflichtungen zur Weitergabe verlässlicher Daten über den Fang dieser Arten durch Drittlandsflotten in den RFO durchzusetzen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Der Ausschuss begrüßt die von einigen Mitgliedstaaten ergriffenen Initiativen zum Schutz der am meisten gefährdeten Haipopulationen, insbesondere das von Spanien erlassene Verbot des Fangs von Fuchs-/Drescherhaien (Familie Alopiidae) und von Hammerhaien (Familie Sphyrnidae) (5); er dringt in dieser Hinsicht darauf, in allen RFO geeignete Maßnahmen für den Schutz und die Bewirtschaftung der am stärksten gefährdeten Haiarten zu ergreifen.

4.2   Die aktuelle Methode mit Verhältniswerten ist aus Sicht des Ausschusses angemessen und zweckmäßig. Allerdings zeigen mehrere wissenschaftliche, von europäischen Forschungsinstituten vorgenommene Untersuchungen dieser Frage, dass das Verhältnis von 5 % weder den Fangpraktiken der europäischen Flotte, bei denen die Flossen ihrem Gewicht nach vollständig und in größtmöglichem Umfang genutzt werden, noch den wichtigsten, oft gefangenen Haiarten (Blauhai und Kurzflossen-Mako) und damit auch der Gesamtheit aller Arten nicht angemessen (weil zu niedrig) ist. Der EWSA befürwortet eine Neufestlegung der höchstzulässigen Verhältnisse nach realistischen Kriterien und auf einer in Anbetracht der bisher vorgenommenen Studien hinreichenden technisch-wissenschaftlichen Grundlage. Das neue Verhältnis muss sich ausdrücklich auf das Lebendgewicht der Haie beziehen, um die gegenwärtigen Auslegungsprobleme zu vermeiden.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. L 167 vom 4.7.2003, S. 2.

(2)  Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 23.12.2005 über das Funktionieren der Verordnung (EG) Nr. 1185/2005 (COM(2005) 700); Initiativbericht des Fischereiausschusses des Europäischen Parlaments INI/2054/2006; Standpunkt des Long Distance Fleet Regional Advisory Council (LDRAC) zu der Befragung der Kommission zu einem Aktionsplan der EU für Haie und LDRAC-Protokoll der gemeinsamen Sitzung über die öffentliche Konsultation zur Änderung der Verordnung über das Abtrennen von Haifischflossen, 18.2.2011.

(3)  Ausgenommen Fischereifahrzeuge im Mittelmeer, die keine spezielle Fangerlaubnis benötigen.

(4)  Verordnung (EU) Nr. 1063/2010 der Kommission vom 18. November 2010 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 307 vom 23.11.2010. Art. 78 Ziffer 1 Buchstabe i).

(5)  Verordnung ARM/2689/2009 vom 28. September betreffend das Verbot des Fangs von Fuchshaien (Familie Alopiidae) und Hammerhaien einschließlich Großer Hammerhaie (Familie Sphyrnidae). Spanischer Staatsanzeiger Nr. 240 von Montag, den 5. Oktober 2009, S. 84098.


21.6.2012   

DE

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C 181/199


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG in Bezug auf die Information der breiten Öffentlichkeit über verschreibungspflichtige Arzneimittel“

COM(2012) 48 final — 2008/0256 (COD)

(2012/C 181/35)

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 27. Februar bzw. 13. März 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und Artikel 168 Absatz 4 Buchstabe c AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG in Bezug auf die Information der breiten Öffentlichkeit über verschreibungspflichtige Arzneimittel

COM(2012) 48 final — 2008/0256 (COD).

Da der Ausschuss sich bereits in seiner Stellungnahme CESE 1022/2009 vom 10. Juni 2009 (*1) zu dem Vorschlag geäußert hat, beschloss er auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012, (Sitzung vom 28. März) mit 161 gegen 1 Stimme bei 9 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(*1)  ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 18.


21.6.2012   

DE

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C 181/200


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 in Bezug auf die Information der breiten Öffentlichkeit über verschreibungspflichtige Humanarzneimittel“

COM(2012) 49 final — 2008/0255 (COD)

(2012/C 181/36)

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 27. Februar bzw. 13. März 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und Artikel 168 Absatz 4 Buchstabe c AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 in Bezug auf die Information der breiten Öffentlichkeit über verschreibungspflichtige Humanarzneimittel

COM(2012) 49 final — 2008/0255 (COD).

Da der Ausschuss sich bereits in seiner Stellungnahme CESE 1025/2009 vom 10. Juni 2009 (*1) zu dem Vorschlag geäußert hat, beschloss er auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 156 gegen 1 Stimme bei 9 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(*1)  ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 33.


21.6.2012   

DE

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C 181/201


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der Pharmakovigilanz“

COM(2012) 52 final — 2012/0025 (COD)

(2012/C 181/37)

Am 27. Februar 2012 beschloss der Rat und am 16. Februar 2012 das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und Artikel 168 Absatz 4 Buchstabe c um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der Pharmakovigilanz

COM(2012) 52 final — 2012/0025 (COD).

Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme CESE 1022/2009 vom 10. Juni 2009 (*1) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 158 gegen 1 Stimme bei 6 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(*1)  ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 18.


21.6.2012   

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C 181/202


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 hinsichtlich der Pharmakovigilanz“

COM(2012) 51 final — 2012/0023 (COD)

(2012/C 181/38)

Der Rat beschloss am 27. Februar 2012 und das Europäische Parlament am 16. Februar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und Artikel 168 Absatz 4 Buchstabe c AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 hinsichtlich der Pharmakovigilanz

COM(2012) 51 final — 2012/0023 (COD).

Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme CESE 1025/2009 vom 10. Juni 2009 (*1) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 157 gegen 1 Stimme bei 9 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(*1)  ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 33.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/203


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen“

COM(2012) 8 final — 2012/007 (COD)

(2012/C 181/39)

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 2. Februar 2012 bzw. am 8. März 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen

COM(2012) 8 final — 2012/007 (COD).

Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme CES 330/97 vom 20. März 1997 (*1) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 166 gegen 2 Stimmen bei 9 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(*1)  WSA-Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen, ABl. C 158/1997, Seite 76 vom 26. Mai 1997.


21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/204


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1342/2008 des Rates vom 18. Dezember 2008 zur Festlegung eines langfristigen Plans für die Kabeljaubestände und die Fischereien, die diese Bestände befischen“

COM(2012) 21 final — 2012/0013 (COD)

(2012/C 181/40)

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 13. März 2012 bzw. am 22. Februar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1342/2008 des Rates vom 18. Dezember 2008 zur Festlegung eines langfristigen Plans für die Kabeljaubestände und die Fischereien, die diese Bestände befischen

COM(2012) 21 final — 2012/0013 (COD).

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt, beschloss er auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 158 gegen 2 Stimmen bei 10 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON