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ISSN 1977-088X doi:10.3000/1977088X.C_2011.376.deu |
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Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376 |
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Ausgabe in deutscher Sprache |
Mitteilungen und Bekanntmachungen |
54. Jahrgang |
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Informationsnummer |
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I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen |
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STELLUNGNAHMEN |
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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss |
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474. Plenartagung am 21. und 22. September 2011 |
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2011/C 376/01 |
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2011/C 376/02 |
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2011/C 376/03 |
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2011/C 376/04 |
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2011/C 376/06 |
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2011/C 376/07 |
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III Vorbereitende Rechtsakte |
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EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS |
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474. Plenartagung am 21. und 22. September 2011 |
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2011/C 376/08 |
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2011/C 376/09 |
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2011/C 376/10 |
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2011/C 376/11 |
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2011/C 376/12 |
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2011/C 376/13 |
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2011/C 376/14 |
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2011/C 376/15 |
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2011/C 376/16 |
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2011/C 376/17 |
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2011/C 376/18 |
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2011/C 376/19 |
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2011/C 376/20 |
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2011/C 376/21 |
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DE |
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I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen
STELLUNGNAHMEN
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
474. Plenartagung am 21. und 22. September 2011
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/1 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Förderung erneuerbarer Energieträger und europäische Nachbarschaftspolitik: Der Fall Europa-Mittelmeer“ (Sondierungsstellungnahme)
2011/C 376/01
Berichterstatter: Pierre-Jean COULON
Mitberichterstatter: Stéphane BUFFETAUT
Die Europäische Kommission beschloss am 28. Januar 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Förderung erneuerbarer Energieträger und europäische Nachbarschaftspolitik: Der Fall Europa-Mittelmeer“
(Sondierungsstellungnahme).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 164 gegen 2 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen: von der Kakophonie zur Symphonie
1.1 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hofft, dass in den Mittelmeerländern wieder Frieden einkehrt und die Region Europa-Mittelmeer in eine stabile Zukunft blicken kann.
1.2 Die jüngsten Ereignisse in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens machen deutlich, dass der „Laisser-faire“-Ansatz überholt ist und eine nachhaltigere Zukunft gezielt aufgebaut werden muss, in der das Wohlergehen der Bürger und die soziale Entwicklung von zentraler Bedeutung sind.
1.3 Vor diesem Hintergrund muss sich die Förderung der erneuerbaren Energien, insbesondere der Solarenergie, auf eine regionale Zusammenarbeit für die gemeinsame Entwicklung stützen.
1.4 Der Ausschuss befürwortet die regionalen Initiativen zur großmaßstäblichen Entwicklung erneuerbarer Energieträger im Mittelmeerraum (Mittelmeer-Solarplan, Dii, Medgrid usw.) und fordert deren rasche, wirksame und koordinierte Durchführung.
1.5 Über diese Initiativen hinaus fordert der Ausschuss einen „New Green Deal“ in der Mittelmeerregion, in dessen Mittelpunkt Energiesparmaßnahmen und eine radikale Veränderung der Verbrauchs- und Produktionsmuster stehen.
1.6 Das Potenzial für Energie- und CO2-Einsparungen im Mittelmeerraum ist beträchtlich. Um es zu nutzen, müssen zum einen entsprechende Technologien und zum anderen Verhaltensänderungen gefördert werden. Die Erhöhung der Energieeffizienz ist ein unerlässlicher zusätzlicher Impulsgeber für die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger.
1.7 Die Umstellung auf ein kohlenstoffarmes Energiesystem ist nicht allein Sache der Energieindustrien der einzelnen Länder. Vielmehr bedarf es einer starken regionalen Solidarität und umfangreicher Finanzierungsmaßnahmen im Rahmen eines Win-Win-Konzepts zwischen den nördlichen und südlichen Anrainerstaaten.
1.8 In Anbetracht der unterschiedlichen Ausgangssituationen in Bezug auf die verfügbaren Ressourcen, den Bedarf und den Klimagasausstoß tragen die Mittelmeerdrittländer eine gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung. Das heißt, es wird eine regionale Vision benötigt, die in jedem Land in eine geeignete und starke nationale Strategie umgesetzt wird.
1.9 Zur Schaffung günstiger Bedingungen für die Förderung der erneuerbaren Energieträger müssen in den südlichen Anrainerstaaten auf nationaler Ebene Programme (Rechtsvorschriften, Steueranreize, Normen) aufgelegt werden, einschl. eines langfristigen Programms zur dauerhaften Abschaffung umweltschädlicher Beihilfen für fossile Energieträger.
1.10 Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, ihren Ansatz gegenüber den Mittelmeerländern zu überdenken und eine strukturierte und verstärkte Zusammenarbeit zu empfehlen, bei der ein Schwerpunkt auf den erneuerbaren Energieträgern liegt (1).
1.11 Der Ausschuss betont jedoch, dass sich dieser Wille zur Zusammenarbeit rasch in konkreten Maßnahmen und Programmen niederschlagen muss. Die soziale Dimension muss von Beginn an integraler Bestandteil des Dialogs sein.
1.12 Wie schon in seiner im März 2011 verabschiedeten Stellungnahme zum Thema „Energieversorgung: Wie muss eine Nachbarschaftspolitik aussehen, die die Versorgungssicherheit der EU gewährleistet?“ (2) plädiert der Ausschuss für die Ausweitung der Energiegemeinschaft (Energiegemeinschaft Südosteuropas einschließlich der Balkanländer) auf die südlichen Mittelmeeranrainerstaaten, wobei diese insbesondere zur Aufgabe haben sollte, die Steigerung der Energieeffizienz, die Weiterentwicklung der erneuerbaren Energieträger, den Ausbau des Energienetzverbundes und eine stärkere Interoperabilität der Netze zu fördern.
1.13 Diese Gemeinschaft sollte zunächst die Maghreb-Staaten umfassen und einige geeignete Vorschriften des Gemeinschaftsrechts beinhalten. Ziel der neuen Gemeinschaft muss außerdem die Förderung einer neuen Energiecharta und eines neuen Protokolls über die Energieeffizienz sowie der Ausbau der erneuerbaren Energieträger sein.
1.14 Diesbezüglich verweist der Ausschuss auf die Notwendigkeit, ein Sozialforum nach Vorbild des im Rahmen der Energiegemeinschaft Südosteuropa geschaffenen Forums einzurichten. Die Entwicklung erneuerbarer Energieträger darf nicht auf rein industrielle Projekte beschränkt sein.
1.15 Technische Unterstützung zum Aufbau der im Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienz erforderlichen Kompetenzen vor Ort im Hinblick auf die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger sowie eine Zusammenarbeit der südlichen Mittelmeerländer sind notwendig. Im Vorfeld muss der Ausbildungsbedarf im Bereich EE-Technologien ermittelt und ein entsprechender Aktionsplan Europa-Mittelmeer aufgestellt werden.
1.16 Der Ausschuss empfiehlt nachdrücklich eine verstärkte Unterstützung von Forschung und Entwicklung, um die wirtschaftliche Rentabilität der Projekte im Bereich erneuerbarer Energieträger zu verbessern. Der Technologietransfer könnte über eine gemeinsame regionale FuE-Plattform erfolgen, der die Hochschulen und Forschungszentren angehören.
1.17 In diesem Zusammenhang plädiert der Ausschuss dafür, ein Mittelmeer-Erasmus-Programm für Energie einzurichten, um Studierenden des gesamten Mittelmeerraums (Nord, Süd, Ost und West) Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich erneuerbare und nachhaltige Energietechnologien zu erschließen.
1.18 Es gilt, neue Förder- und Anreizmaßnahmen für die erneuerbaren Energieträger zu konzipieren, um das finanzielle Gleichgewicht der Projekte sicherzustellen, u.a. derjenigen, die in Artikel 9 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie vorgesehen sind (3).
1.19 Der Ausschuss unterstützt das Vorhaben, eine euromediterrane Investitionsbank zu schaffen, sowie die jüngsten diesbezüglichen Verlautbarungen des Europäischen Parlaments und der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum.
1.20 Der Ausschuss hält es für erforderlich, innovative und angemessene Fördermechanismen für die erneuerbaren Energien zu entwickeln. Die Festlegung dieser Mechanismen müsste im Rahmen einer euromediterranen Zusammenarbeit erfolgen und sollte in von der euromediterranen Investitionsbank geförderte Pilotprojekte mit dem Ziel eines „New Green Deal“ münden.
1.21 Desgleichen muss in den Handelsverhandlungen die Liberalisierung des Handels von Waren und Dienstleistungen gefördert werden, von denen Impulse für erneuerbare Energieträger ausgehen.
1.22 Die Aktionspläne der Europäischen Nachbarschaftspolitik sind ein Schlüsselinstrument, um die Verwirklichung nationaler und regionaler Energieziele in den bilateralen Verhandlungen voranzubringen.
1.23 Der Ausschuss betont außerdem, dass mit der neuen Richtlinie über den Handel mit Emissionszertifikaten (EHS-Richtlinie) (4) zur CO2-Finanzierung ein Reihe von Finanzierungsquellen für die die im südlichen Mittelmeerraum initiierten Projekte verloren gehen könnten, wenn die Europäische Kommission nicht, wie in der Richtlinie vorgesehen, Verhandlungen mit Drittstaaten aufnimmt.
1.24 Der Mittelmeer-Solarplan war Katalysator für mehrere Initiativen zur Entwicklung der erneuerbaren Energieträger in der Region – eine Entwicklung, die zu begrüßen ist. Ohne eine wirksame Koordinierung dieser Initiativen – und zwischen den Institutionen, die sie verwalten und unterstützen (Europäische Kommission, Mittelmeerunion usw.) – besteht die Gefahr, dass die darin gesetzten Erwartungen nicht erfüllt werden. Durch technische Hilfsprogramme für die südlichen Anrainerstaaten und durch Unterstützung verschiedener Initiativen kann die EU eine wirksame und harmonische Nutzung der erneuerbaren Energieträger in der Region fördern und aus der derzeitigen Kakophonie eine Symphonie machen.
1.25 Was die Energienetze betrifft, wäre die dezentrale Erzeugung von Solarenergie eine wirksame und wirtschaftlich tragbare Lösung in isolierten Gebieten, die über kein Netz verfügen. Besonders sinnvoll wäre sie in ausgedehnten Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte.
1.26 Auf EU-Ebene sollte ein Garantieinstrument bei politischen Risiken in den südlichen Mittelmeeranrainerstaaten eingerichtet werden (z.B. durch die Ausgabe von der EU garantierter Anleihen). Darüber hinaus sollten sich die Mitgliedstaaten auch künftig zum Kauf einer Mindestmenge an Strom aus den südlichen Mittelmeeranrainerstaaten verpflichten.
1.27 Eine Sensibilisierung aller Akteure einschließlich der Zivilgesellschaft für sämtliche Initiativen tut Not. Nationale Programme zur Förderung der erneuerbaren Energieträger könnten auch Informationskampagnen über Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger umfassen. Die Nutzung der sozialen Netze und der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien kann erheblich zu dieser Sensibilisierung beitragen.
2. Einleitung
2.1 Die Mittelmeerregion verzeichnet seit mehreren Jahrzehnten ein starkes wirtschaftliches und soziales Wachstum und eine schnell voranschreitende Verstädterung, vor allem an den Küsten. Diese Entwicklungen werden weiter anhalten, und ihre kombinierte Wirkung führt zu einer weiteren Beeinträchtigung des ohnehin sensiblen Mittelmeer-Ökosystems (5).
2.2 Im Mittelmeerraum stechen zwei starke Ungleichgewichte im Energiebereich ins Auge, und zwar zwischen den nördlichen Anrainerstaaten, die wohlhabender sind und mehr Energie verbrauchen, und den südlichen Anrainerstaaten sowie in Bezug auf die Verteilung der Energieressourcen.
2.3 Obwohl es Fortschritte gibt, sind die derzeitigen Entwicklungstrends der Region im Energiebereich nicht nachhaltig. Durch konzertierte Maßnahmen muss dieser zu immer mehr Kohlenstoffintensität und Energieverschwendung tendierenden Entwicklung Einhalt geboten werden. Auf neuen Wachstumsmärkten – Energieeffizienz, Ökobau, Grundversorgung, EE-Industrie und -Technik – können Arbeitsplätze entstehen.
2.4 Zwar gibt es bewährte Verfahren, wie beispielsweise die Einführung eines Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Algerien oder verschiedene Solarenergie- und Windkraftprojekte in Ägypten, Marokko und Tunesien, doch sind die meisten Versuche, sie dauerhaft und weit verbreitet einzuführen, im Sande verlaufen.
2.5 Nachdem eine nachhaltige Energieentwicklung im Mittelmeerraum lange Zeit auf Skepsis und Desinteresse stieß, beeinflusst sie mittlerweile doch mehr oder weniger die Tätigkeit der Unternehmen, der Verwaltungs- und Regierungsbehörden und die Verfahren der Zusammenarbeit.
3. Die Energieperspektiven im Mittelmeerraum – Potenzial und Vorteile erneuerbarer Energien und erhöhter Energieeffizienz
3.1 Die Energieabhängigkeit im Mittelmeerraum und in der EU könnte merklich stärker werden. Die regionale Energieabhängigkeitsquote belief sich 2007 auf 42 %. Der Mittelmeer-Beobachtungsstelle für Energie zufolge soll sich diese Energieabhängigkeitsquote bis 2030 stabilisieren und sogar auf 40 % verringern (40 % für Erdöl, 30 % für Erdgas und 70 % für Kohle), während sie in den nördlichen Ländern bei 97 % liegen wird. Das alternative Szenario der Mittelmeer-Beobachtungsstelle für Energie zeigt jedoch, dass die Probleme gemildert werden könnten und eine Senkung der regionalen Energieabhängigkeitsquote auf 18 % bis 2030 möglich wäre. Aber selbst dann bleiben erhebliche Ungleichgewichte zwischen den Ländern bestehen. Die sozialen und wirtschaftlichen Risiken, die durch die steigenden Energieversorgungskosten und ihre Auswirkungen auf die Energierechnung der Länder, der Privathaushalte und der Unternehmen entstehen, dürften sich deutlich verschärfen.
3.2 In jedem Fall aber werden die durch den Verbrauch fossiler Energieträger bedingten CO2-Emissionen in der Region mindestens 30 % über dem Niveau von 1990 liegen. Somit könnten die Pro-Kopf-Emissionen in den südlichen und östlichen Mittelmeerländern im Jahr 2030, auch wenn sie 40 % niedriger liegen als in den nördlichen Mittelmeerländern, 55 % der Gesamtemissionen des Mittelmeerraums ausmachen (2007 waren es noch 36 %).
3.3 Eine wachsende Gefahr zeichnet sich in Verbindung mit der zunehmenden Wasserknappheit in der Region ab. Die Meerwasserentsalzung, auf die mehrere Länder bereits setzen, ist praktisch unausweichlich, wodurch die Spannungen aufgrund der Verflechtung von Energie- und Wasserbelangen noch verschärft werden könnten.
3.4 Das Streben nach wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung ist legitim, und die Versorgung mit Energie ist hierfür unabdingbare Voraussetzung. Allein aufgrund der Energieintensität wäre die wirtschaftliche und soziale Entwicklung nicht nur der „schwächsten“ Länder stark gefährdet.
3.5 Das neue Energieparadigma zielt darauf ab, das Energiesystem als Gesamtheit aus Energieerzeugung (Angebot) und Energieverbrauch (Nachfrage) zu begreifen und seine Entwicklung auf die Bereitstellung von Energiedienstleistungen auszurichten, die sich durch optimale Ressourceneffizienz, wirtschaftliche und soziale Kosten sowie lokale und globale Umwelteffizienz auszeichnen. Damit treten neue Akteure auf den Plan: Unternehmen, Gebietskörperschaften, Haushalte, Fachleute der Bereiche Gebäude, Verkehr, Industrieproduktion, landwirtschaftliche Produktion und Dienstleistungen.
3.6 Das Potenzial für Energie- und CO2-Einsparungen im Mittelmeerraum ist beträchtlich. Mehreren zuverlässigen Prognosen zufolge können in den kommenden 20 Jahren um die 20 % des Verbrauchs eingespart werden (und bei weiterhin steigenden Energiepreisen noch mehr).
3.7 Die Erhöhung der Energieeffizienz ist ein unerlässlicher zusätzlicher Impulsgeber für die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger. Energieeffizienz und Energieeinsparungen hängen in erster Linie vom Engagement der Bürger, Unternehmen und Arbeitnehmer und einer Änderung ihres Verhaltens ab (6).
3.8 Jedoch stehen der Nutzung dieses Potenzials verschiedene Hemmnisse im Weg, Hemmnisse institutioneller und regulatorischer, technischer und finanzieller Art, durch mangelnde Qualifikationen oder Informationen bedingt usw. Außerdem sind erneuerbare Energieträger meist weniger konkurrenzfähig als konventionelle, zumal die externen Kosten noch nicht internalisiert werden.
3.9 Zur Überwindung dieser Diskrepanz müssen auf nationaler Ebene Programme zur Schaffung günstiger Bedingungen für die Förderung der erneuerbaren Energieträger aufgelegt werden, u.a. Rechtsvorschriften zur Förderung der Entwicklung von erneuerbaren Energieträgern, Steueranreize und Normen. Außerdem sollten langfristige nationale Pläne zur dauerhaften Verringerung oder Abschaffung umweltschädlicher Beihilfen für fossile Energieträger aufgestellt werden, die ebenfalls der Entwicklung der erneuerbaren Energieträger dienen. Dabei muss der Lage der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft Rechnung getragen werden.
3.10 Ferner müssen ein klarer Rechtsrahmen und neue Förder- und Anreizmaßnahmen für die erneuerbaren Energieträger konzipiert werden, um das finanzielle Gleichgewicht der Projekte sicherzustellen, wie in Artikel 9 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie vorgesehen.
3.11 Ein Schlüsselaspekt für die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger ist die Förderung der dezentralen Energieerzeugung, insbesondere der Solarenergie, durch geeignete Rechtsvorschriften, Finanzierung und Ausbildung.
3.12 Eine wesentliche Schwierigkeit liegt auch in der Einstellung der verschiedenen Akteure zu den erneuerbaren Energien. Eine Sensibilisierung aller Akteure einschließlich der Zivilgesellschaft tut Not. Nationale Programme zur Förderung der erneuerbaren Energieträger könnten auch Informationskampagnen über Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger umfassen.
4. Energie/Umwelt/Zusammenarbeit im Mittelmeerraum: die regionale Dimension
4.1 In Anbetracht der unterschiedlichen Ausgangssituationen tragen die Mittelmeerländer eine gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung. Gemeinsame Verantwortung für die Vision einer nachhaltigen Energiezukunft, die Festlegung ihrer wichtigsten Leitlinien und die kooperative Schaffung der kollektiven Grundlagen (Ressourcen, Finanzierungsmechanismen, Erfahrungsaustausch, Ausbildung, Kapazitätenaufbau, Technologietransfer usw.) und differenzierte Verantwortung für die praktische Umsetzung, bei der die spezifischen (nicht unbedingt technologischen) Gegebenheiten jedes einzelnen Landes zum Tragen kommen. Das heißt, es wird eine regionale Vision benötigt, die in jedem Land in eine geeignete und starke nationale Strategie umgesetzt wird.
4.2 Angesichts des stark zunehmenden Energiebedarfs in der Region, der weitreichenden Erfordernisse zur Sicherung einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, des Anliegens der Energieversorgungssicherheit und der notwendigen klimaschutzbedingten Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft sind breit angelegte und ineinandergreifende Maßnahmen zur Förderung von Energieeinsparungen umso dringlicher geboten.
4.3 Voraussetzung dafür ist eine auf einem neuen und nachhaltigen Energiesystemmodell beruhende euromediterrane Zusammenarbeit, um eine Entwicklung zu ermöglichen, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Auf regionaler Ebene sind eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften und die Annahme flexibler Instrumente geboten, um einen wettbewerbsfähigen Markt für grüne Energie zu schaffen.
4.4 Der Ausschuss begrüßt das Gewicht, das die Europäische Kommission der Zusammenarbeit in Bezug auf Erzeugung und Verwaltung erneuerbarere Energieträger in der Europäischen Nachbarschaftspolitik beimisst, und ihren Willen, die Zusammenarbeit im Energiebereich durch einen intensiveren Dialog mit den Mittelmeerländern zu stärken.
4.5 Der Ausschuss betont jedoch, dass sich dieser Wille rasch in konkreten Maßnahmen und Programmen zur Förderung dieser Zusammenarbeit niederschlagen muss. Die soziale Dimension muss von Beginn an integraler Bestandteil des Dialogs sein, damit die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger im Rahmen der umfassenderen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung erfolgt. Hierfür muss den Sozialpartnern ein höherer Stellenwert eingeräumt werden. Außerdem müssen die Zivilgesellschaft im weiteren Sinne sowie die Medien eingebunden werden, damit die Bürger die Bemühungen zur Verwirklichung der „gemeinsamen spezifischen Interessen“ zwischen den nördlichen und den südlichen Anrainerstaaten mittragen.
4.6 Der Ausschuss bekräftigt die in seiner im März 2011 verabschiedeten Stellungnahme zum Thema „Energieversorgung: Wie muss eine Nachbarschaftspolitik aussehen, die die Versorgungssicherheit der EU gewährleistet?“ (7) erhobene Forderung und befürwortet den Vorschlag der Europäischen Kommission, eine verlässliche Perspektive für die Integration des südlichen Mittelmeerraums in den EU-Energiebinnenmarkt zu eröffnen, die sich auf ein differenziertes und schrittweises Vorgehen stützt, oder eine Art Energiegemeinschaft zwischen der EU und dem südlichen Mittelmeerraum zu entwickeln oder die Energiegemeinschaft auf die Nachbarländer auszuweiten, die dieser noch nicht angehören.
4.7 Ziel der neuen Gemeinschaft muss nach Ansicht des Ausschusses die Förderung einer neuen Energiecharta und eines neuen Protokolls über die Energieeffizienz sowie der Ausbau der erneuerbaren Energieträger sein. Diesbezüglich verweist der Ausschuss auf die Notwendigkeit, ein Sozialforum nach Vorbild des im Rahmen der Energiegemeinschaft Südosteuropa (einschließlich der Balkanländer) geschaffenen Forums einzurichten.
4.8 Der Ausschuss fordert einen „New Green Deal“ in der Mittelmeerregion, in dessen Mittelpunkt Energiesparmaßnahmen und eine radikale Veränderung der Verbrauchs- und Produktionsmuster stehen.
4.9 Die Finanzierungsfrage ist von besonderer Bedeutung. So muss insbesondere die Frage des politischen Risikos gelöst werden, um private Investitionen zu fördern. Beispielsweise sollte im Rahmen des Mittelmeer-Solar-Plans (MSP) auf EU-Ebene ein Garantieinstrument für das politische Risiko eingerichtet werden (z.B. durch die Ausgabe von der EU garantierter Anleihen).
4.10 Der Ausschuss unterstützt das Vorhaben, eine euromediterrane Investitionsbank zu schaffen, und befürwortet die jüngsten diesbezüglichen Verlautbarungen des Europäischen Parlaments (8) und der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum (9). Er hofft, dass die Europäische Investitionsbank die Initiative ergreifen wird, diese euromediterrane Investitionsbank in Partnerschaft mit Finanzinstitutionen des Südens einzurichten.
5. Forschung, Technologietransfer, Kapazitätenaufbau, Bildung, Handel und Teilhabe der Zivilgesellschaft
5.1 Das neue Energieparadigma mit seinem Wechsel von einer angebots- hin zu einer nachfrageorientierten Energiepolitik verändert die Beziehungen zwischen den Bürgern und den Energiesystemen grundlegend. Vor diesem Hintergrund müssen die Hochschulen in den nördlichen und südlichen Anrainerstaaten zusammenarbeiten und Initiativen unterstützt werden, die den Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren zwischen allen Akteuren erleichtern. Als Vorbild sollte hier die Mittelmeer-Sommeruniversität (UMET – Université méditerranéenne d’été) über nachhaltige Energie im Mittelmeerraum dienen.
5.2 Der Ausschuss empfiehlt nachdrücklich eine verstärkte Unterstützung von Forschung und Entwicklung, um über technologische Innovationen und damit einhergehende Produktivitätsgewinne die wirtschaftliche Rentabilität der Projekte im Bereich erneuerbarer Energieträger attraktiv für Investoren zu machen. Der Technologietransfer zwischen den nördlichen und südlichen Anrainerstaaten muss erleichtert werden. Dazu könnte eine gemeinsame regionale FuE-Plattform eingerichtet werden, der die Hochschulen und Forschungszentren angehören und die die verschiedenen Aspekte der Konstruktion und Nutzung der Anlagen abdeckt.
5.3 In diesem Zusammenhang plädiert der Ausschuss dafür, ein Mittelmeer-Erasmus-Programm für Energie einzurichten, um Studierenden des gesamten Mittelmeerraums (Nord, Süd, Ost und West) Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich erneuerbare und nachhaltige Energietechnologien zu erschließen.
5.4 Zahlreiche übereinstimmende Argumente sprechen dafür, alternative Szenarien zu entwerfen und einer Partnerschaft zwischen Unternehmen, Regionen und Berufsbildungseinrichtungen zunehmend einen vorrangigen Stellenwert in den Entwicklungsstrategien für eine nachhaltige Energiezukunft im Mittelmeerraum einzuräumen.
5.5 Technische Unterstützung zum Aufbau der erforderlichen Kompetenzen vor Ort im Hinblick auf die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger und eine Zusammenarbeit der südlichen Mittelmeerländer sind notwendig. Im Vorfeld muss der Ausbildungsbedarf ermittelt und ein entsprechender Aktionsplan Europa-Mittelmeer aufgestellt werden.
5.6 Die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger sollte auch zur Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze beitragen, doch sind auch hierfür Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen auf regionaler und interregionaler Ebene erforderlich. Diese können nur im Rahmen einer organisierten Konzertierung der Sozialpartner wirksam durchgeführt werden.
5.7 Zur Förderung der erneuerbaren Energieträger im Zuge der laufenden und künftiger Handelsverhandlungen sollte der Handel von Waren und Dienstleistungen liberalisiert werden, von denen Impulse für erneuerbare Energieträger ausgehen.
5.8 Die Aktionspläne der Europäischen Nachbarschaftspolitik sind ein Schlüsselinstrument, um die Verwirklichung nationaler und regionaler Energieziele in den bilateralen Verhandlungen voranzubringen. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, die Aktionspläne zu aktualisieren, damit die erneuerbaren Energieträger bessere Entwicklungsperspektiven aufweisen. Diese Aktionspläne müssen außerdem in Bezug auf die erneuerbaren Energieträger kohärent sein.
5.9 Es ist wichtig, die Zivilgesellschaft (NGO, Verbände, Bürgerorganisationen, Gewerkschaften usw.) in die Programme zur Förderung der erneuerbaren Energien einzubinden. Damit diese Programme Erfolg haben können, müssen die Bürger und alle Interessenträger stärker mobilisiert werden, und dazu wiederum sind Sensibilisierungs- und breitestmöglich angelegte Informationskampagnen nötig.
6. Regionale Initiativen für die Entwicklung der erneuerbaren Energien
6.1 Der Mittelmeer-Solarplan (MSP): ein Katalysator für nachhaltige Entwicklung in der Region
6.1.1 Hauptziel des Mittelmeer-Solarplans ist es, den Energiebedarf der südlichen Länder zu decken und einen Teil der erzeugten Energie in die europäischen Länder zu transportieren, wodurch wiederum die wirtschaftliche und finanzielle Tragfähigkeit der Projekte verbessert wird. Der Export von grüner Energie nach Europa ist aufgrund von Artikel 9 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie möglich. Voraussetzung für die Weiterleitung sind allerdings Verbundnetze und ein spezifisches Regelwerk zur Vermeidung von Opportunitätseffekten oder Marktverzerrungen.
6.1.2 Der Mittelmeer-Solarplan sieht vor, bis zum Jahr 2020 20 Gigawatt (GW) an neuen erneuerbaren Energiekapazitäten aufzubauen (in erster Linie Sonnenenergie und Windkraft) und die Stromnetze und den Nord-Süd- und Süd-Süd-Verbund auszubauen. Energieeffizienz und Technologietransfer werden nur als flankierende Maßnahmen vorgesehen, was in Anbetracht der zuvor beschriebenen Potenziale und Erfordernisse der Region bedauerlich ist. Im Vergleich zu den Prognosen der Mittelmeer-Beobachtungsstelle für Energie für 2020 würde das Solarplan-Ziel bedeuten, dass im Falle des „Laisser-faire“-Szenarios 11 GW an neuen erneuerbaren Energiekapazitäten zusätzlich aufgebaut werden müssten, im Falle des alternativen Szenarios nur 1 GW. Vor diesem Hintergrund sollten sich die Mitgliedstaaten zur Förderung dieses Projekts dazu verpflichten, eine garantierte Mindestmenge an Strom aus den südlichen Mittelmeeranrainerstaaten zu beziehen.
6.1.3 Der Mittelmeer-Solarplan muss zweierlei Herausforderungen bewältigen: Zum einen muss die Rentabilität der Projekte über den Einkaufspreis für Strom – sowohl den lokalen als auch den Exportpreis – sowie mit Hilfe von Finanzmitteln zu Vorzugsbedingungen, Beihilfen oder CO2-Gutschriften verbessert werden und zum anderen muss die Finanzierung der Projekte gesichert werden, sowohl über Eigenmittel – was bei ausreichender Rentabilität und kontrollierten Risiken kein Problem sein dürfte – als auch über Darlehen von zunächst Entwicklungsbanken (EIB, AFD, KfW, EBRD, Weltbank, Afrikanische Entwicklungsbank und Islamische Entwicklungsbank) und später Geschäftsbanken.
6.1.4 Diese Initiative sprengt den Rahmen der bisherigen Zusammenarbeit. Es bringt die Mitgliedstaaten der Mittelmeerunion, die Europäische Kommission, Unternehmen, Forschungseinrichtungen, relevante NGO sowie zahlreiche öffentliche und private Investoren und Finanzinstitutionen zusammen.
6.1.5 Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, eng mit dem Sekretariat der Mittelmeerunion zusammenarbeiten, zu deren Aufgaben die Durchführung des Mittelmeer-Solarplans, insbesondere des einschlägigen Masterplans, gehört. Es gilt, einen gemeinsamen Referenzrahmen für die Umsetzung des Masterplans festzulegen und dabei insbesondere einen gemeinsamen Ansatz für Schlüsselaspekte wie die Finanzierungsinstrumente oder den Technologietransfer zu finden.
6.2 Medgrid, eine Industriepartnerschaft für ein Mittelmeer-Stromverbundnetz
6.2.1 Wie bereits erwähnt ist die Fertigstellung bzw. der Ausbau eines Stromverbundnetzes zwischen den nördlichen und südlichen Anrainerstaaten von grundlegender Bedeutung, da es derzeit nur eine Verbindungsleitung zwischen Spanien und Marokko mit einer Kapazität von 1 400 MW gibt. Laut Verbindungsausschuss der Energieversorgungsunternehmen der Mittelmeeranrainerstaaten MEDELEC könnte das Netz ausgehend von den bereits geplanten Investitionen eine maximale Übertragungskapazität von ca. 5 GW erreichen. Im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele des Mittelmeer-Solarplans sind demnach umfangreiche Anstrengungen erforderlich, um die Übertragungskapazitäten zwischen den südlichen Anrainerstaaten zum einen und zwischen den südlichen und nördlichen Anrainerstaaten zum anderen zu steigern.
6.2.2 Ziel von Medgrid ist es, einen Fahrplan für das Mittelmeerverbundnetz bis 2020 festzulegen, den institutionellen und regulatorischen Rahmen für den Stromhandel zu fördern, die Rentabilität von Netzinfrastrukturinvestitionen zu bewerten, eine fachspezifische und technologische Zusammenarbeit mit den südlichen und östlichen Mittelmeerländern zu entwickeln und fortgeschrittene Übertragungstechnologien zu fördern.
6.3 Dii GmbH („Desertec Industrial Initiative (Dii)“) – Erneuerbare Energien als Kontinentalbrücke
6.3.1 Dii plant langfristiger als der Mittelmeer-Solarplan, und zwar mit einem Zeithorizont 2050. Ursprünglich sollten bis dahin Solarkraftwerke in den Wüsten der südlichen Mittelmeerländer 15 % des europäischen Strombedarfs decken. Seit dem Gründungsjahr 2009 hat sich das Dii-Ziel von reiner Solarenergieförderung und Süd-Nord-Energieexport auf allgemeine Entwicklungszusammenarbeit im Bereich erneuerbare Energien verlagert. Letztendlich also verfolgt Dii die gleichen Ziele wie der MSP, aber auf längere Sicht und ohne quantitative Zielvorgaben.
6.4 Weitere Initiativen
6.4.1 Es gibt noch weitere erwähnenswerte Initiativen, so das technische Unterstützungsprojekt „Paving the Way to the Mediterranean Solar Plan“ (Wegbereiter für den Mittelmeer-Solarplan) zur Förderung der Entwicklung der erneuerbaren Energien in der Region, europäische finanzielle Hilfen für südliche Mittelmeer-Partnerländer wie die Nachbarschaftsinvestitionsfazilität (NIF) oder die Investitionsfazilität und Partnerschaft Europa-Mittelmeer (FEMIP), über die Erneuerbare-Energien-Projekte finanziert werden können, sowie die Mitteilung der Europäischen Kommission über „Energieinfrastrukturprioritäten bis 2020 und danach – ein Konzept für ein integriertes europäisches Energienetz“ (KOM(2010) 677 endg.), die den Transport von grünem Strom zwischen Süden und Norden und den dazu erforderlichen Ausbau der Verbindungsleitungen thematisiert. Mehrere Länder haben eigene nationale Pläne aufgestellt, zu nennen wären der marokkanische und der tunesische Solarplan, die nationale Vorhaben zur Entwicklung erneuerbarer Energien umfassen.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) (KOM(2011) 200 endg. und KOM(2011) 303 endg.).
(2) ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 15.
(3) ABl. L 140, 5.6.2009. S. 16-62.
(4) ABl. L 140, 5.6.2009. S. 63-87 (Artikel 11a) Abs. 5).
(5) Informationsbericht des EWSA über das Thema „Klimawandel und das Mittelmeer: Herausforderungen in den Bereichen Umwelt und Energie“, CESE 682/2009 vom 30.9.2009.
(6) ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 155.
(7) ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 15.
(8) Standpunkt des EP vom 17. Februar 2011 - P7_TC1-COD(2010)0101
(9) Empfehlung des Ausschusses für politische Angelegenheiten, für Sicherheit und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum vom 4. März 2011, Rom.
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/7 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Metropol- und Stadtregionen in Europa 2020“ (Initiativstellungnahme)
2011/C 376/02
Berichterstatter: Joost VAN IERSEL
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 20. Januar 2011 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Metropol- und Stadtregionen in Europa 2020“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 1. September 2011 an.
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 142 gegen 3 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die zunehmende Anerkennung der metropolitanen Entwicklungen in Europa durch die EU-Institutionen – den Rat, die Kommission, das Europäische Parlament und den Ausschuss der Regionen – im Rahmen der Territorialen Agenda 2020. Diese immer wichtiger werdende Priorität steht im Einklang mit dem Standpunkt, den der EWSA durchgehend im letzten Jahrzehnt vertreten hat.
1.2 Eine Metropolregion ist nicht einfach nur eine große Stadt. Nach Auffassung des EWSA handelt es sich dabei entweder um eine Großstadt oder eine polyzentrische Gruppe von Städten, wobei in beiden Fällen umliegende kleinere Gemeinden und ländliche Gebiete eingeschlossen sind. Für eine Metropolregion bedarf es einer kritischen Masse von mindestens 500 000 Einwohnern (bzw. deutlich mehr). Metropolregionen sind funktionale Regionen, die wichtige Wirtschaftsräume und Arbeitsmärkte bilden. In der Regel entsprechen sie nicht den (seit langem bestehenden) Verwaltungseinheiten wie etwa Bundesländern oder Landkreisen. Metropolregionen bilden die zentralen Knotenpunkte des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) und sind zugleich selbst komplizierte Verkehrsnetze.
1.3 Der EWSA befürwortet einen kreativen Ansatz für eine urbane Renaissance des 21. Jahrhunderts und robuste und wettbewerbsfähige Metropolregionen. Angesichts der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und territorialen Entwicklung und der trüben Finanzaussichten bedarf es dringend einer kohärenten, eng mit der Strategie Europa 2020 abgestimmten EU-Städteagenda. In Abschnitt 5 und 6 des vorliegenden Dokuments legt der EWSA seinen Standpunkt zu der Städteagenda und zu den Auswirkungen auf die Strategie Europa 2020 dar.
1.4 Derzeit herrscht ziemlich viel Verwirrung darüber, wie die in diesem Bereich auf der Ebene der EU, aber auch häufig auf Mitgliedstaatsebene bestehenden Probleme gelöst werden sollen, was teilweise auf Schwierigkeiten im Bereich der Governance und der Übernahme von Eigenverantwortung, aber auch auf die vielen unterschiedlichen Ansätze zurückzuführen ist. Genauer gesagt ergeben sich die Spannungen aus den widersprüchlichen Standpunkten bezüglich wünschenswerter von oben nach unten bzw. von unten nach oben gerichteter Ansätze sowie aus den Interessenkonflikten zwischen großen Städten einerseits und kleineren (stadtnahen) Gemeinden bzw. ländlichen Gebieten andererseits. Eines der Hauptprobleme besteht darin, dass die metropolitanen Entwicklungen häufig nicht innerhalb der bestehenden Verwaltungsgrenzen verlaufen.
1.5 Der EWSA ist der Auffassung, dass ausgewogene und florierende Metropolregionen, die im Rahmen der Strategie Europa 2020 gefördert werden, bei künftigen Entwicklungen mit jeweils eigener Identität und Wesensmerkmalen an vorderster Front stehen werden. Des Weiteren wird von ihnen auch eine positive makroökonomische Wirkung für Europa ausgehen. Zusätzlich zu den politischen Maßnahmen im Bereich Metropolregionen sollten verstärkte Anstrengungen zur Verringerung der regionalen Unterschiede unternommen werden.
1.6 Der EWSA empfiehlt, in Ergänzung zu der bestehenden dienststellenübergreifenden Arbeitsgruppe für Stadtentwicklung eine hochrangig besetzte Gruppe bzw. eine Arbeitsgruppe zum Thema metropolitane Entwicklungen einzurichten. Eine solche Arbeitsgruppe sollte interdisziplinär angelegt sein und Vertreter der Mitgliedstaaten und der Metropolregionen, öffentliche und private Interessenträger sowie Vertreter der Zivilgesellschaft umfassen. Außerdem ist ein struktureller Austausch zwischen Praktikern und Forschern zu gewährleisten, wie er etwa im Rahmen des European Metropolitan Network Institute, der Initiative für die gemeinsame Programmplanung Urban Europe sowie METREX stattfindet.
1.7 Ziel der Arbeitsgruppe sollte die Entwicklung einer langfristigen Vision eines Europas der grenzübergreifenden Metropolregionen sein. Im Wege einer kohärenten und effizienten EU-Städteagenda 2050 sollten fragmentierte Lösungsansätze durch ein Gesamtkonzept ersetzt werden, wobei der ganzheitliche Ansatz der Strategie Europa 2020 zur Schaffung intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums im Mittelpunkt stehen sollte.
1.8 Dieses Konzept sollte auf eingehenden Analysen der aktuellen (und künftigen) Trends auf der Grundlage der statistischen Daten von Eurostat sowie Daten und Forschungsarbeiten von ESPON und anderen verlässlichen Quellen fußen.
1.9 Der Vertrag von Lissabon und die Strategie Europa 2020 erfordern ebenfalls einen Paradigmenwechsel im Bereich der Governance. Die Multi-Level-Governance sollte von nun an ernst genommen werden und nicht nur Theorie bleiben. Die Metropolregionen sollten als wichtige Akteure der regionalen Entwicklung anerkannt werden. Zudem sollten die Fragenkomplexe der Stadtentwicklung und der Metropolregionen innerhalb der Kommission besser koordiniert und entsprechend vermittelt werden. Die metropolitane Politik ist de facto Teil der Politik auf europäischer, nationaler (betrifft sie doch die wichtigsten Gebiete in Europa und dem jeweiligen Mitgliedstaat), regionaler und lokaler Ebene. Koordiniert werden sollten all diese Aspekte von den Behörden der Metropolregionen.
1.10 Die europäischen Metropolregionen sind in vollem Aufschwung. Der EWSA ist davon überzeugt, dass ein zukunftsorientiertes EU-Gremium – sei es eine Arbeitsgruppe oder eine dienststellenübergreifende Einrichtung – als Katalysator bei der Steuerung der Debatte über die laufenden Prozesse, für die Festlegung von Top-down- bzw. Bottom-up-Ansätzen, die Ermunterung der regionalen bzw. lokalen Gebietskörperschaften und der Zivilgesellschaft, angemessene Modelle zu entwickeln, die Förderung der Vernetzung sowie die Unterstützung grenzübergreifender Projekte dienen kann.
1.11 Es tut sich was. In seiner Stellungnahme trägt der EWSA analytische Betrachtungen, Argumente und Vorschläge zur Unterstützung wünschenswerter Ansätze vor. Er fordert die Kommission und den Rat auf, diesen im Hinblick auf eine Stärkung der städtischen Dimension in dem anstehenden Legislativpaket zur Kohäsionspolitik im Rahmen der Überlegungen der Kommission zum Thema „Städte der Zukunft“ Rechnung zu tragen.
2. Analytische Bemerkungen
2.1 Die Europäische Union hat ein schwieriges und kompliziertes Verhältnis zu Städten und Metropolregionen. Die Komplexität der Beziehungen zwischen der EU und Städten sowie Metropolen hat mehrere Gründe, die vom Fehlen einer effizienten Governance bis hin zu unterschiedlichsten Gegebenheiten und Entwicklungen reichen.
2.2 Geschichtliche Hintergründe auf Kommissions- und Ratsebene
2.2.1 1972 erklärte der Europäische Rat die europäische Regionalpolitik zu einem wesentlichen Faktor für die Stärkung der Gemeinschaft. Mit dem Ziel einer ausgeglichenen und harmonischen Entwicklung in Europa wurden zunächst Förderprogramme zur Unterstützung der benachteiligten Regionen aufgelegt. Bis 1986 war die Beseitigung der regionalen Unterschiede ein wichtiges Nebenziel der Schaffung des Binnenmarktes.
2.2.2 In den 80er und 90er Jahren wurde die Effizienz der Maßnahmen und Programme gesteigert. Der EU-Vertrag im Jahr 1992 und, einige Jahre später, die Verhandlungen zur EU-Erweiterung führten zu einer deutlichen Aufstockung der Strukturfonds.
2.2.3 Die Städte als solche wurden erst später in die Regionalpolitik der EU einbezogen, obwohl es bereits in den frühen 1990er Jahren Pilotprojekte im Bereich der Stadtentwicklung gab. Dabei wurde kaum unterschieden zwischen großen und kleinen Städten. Lange Zeit gab es im Wesentlichen nur eine Differenzierung zwischen den reichen und armen Teilen der EU, zwischen der sogenannten Banane in Westeuropa einerseits und dem Rest Europas andererseits, als Diskussionspunkt.
2.2.4 1998 lancierte die Kommission mit ihrer Mitteilung „Nachhaltige Stadtentwicklung in der Europäischen Union: ein Aktionsrahmen“ eine interessante Initiative, die sich jedoch kaum auf die Debatten im Rat und die konkrete Politikgestaltung auswirkte.
2.2.5 In der Zwischenzeit entwickelten die Generaldirektion (GD) Regionalpolitik, die GD Forschung, die GD Mobilität und Verkehr, die GD Energie und die GD Beschäftigung Programme und Projekte in Städten. ESPON zeichnete mit Unterstützung aus dem INTERREG-Programm verantwortlich für gezielte Studien über regionale und städtische Entwicklungen.
2.2.6 Der Rat hatte ab 2004 unmittelbarer mit städtischen Angelegenheiten zu tun. Zwei Mal jährlich fanden informelle Treffen der für Raumplanung und territoriale Entwicklung zuständigen Minister statt, in deren Mittelpunkt die städtische Dimension stand. Mangels formeller, im Vertrag verankerter Kompetenzen hatten Kommission und Rat bei der Durchführung konkreter Maßnahmen nur beschränkte Möglichkeiten.
2.2.7 Im Rahmen dieser informellen Ministertreffen wurde bereits eine Reihe von Erklärungen angenommen. Bedeutend ist insbesondere die Leipzig-Charta aus dem Jahr 2007, mit der eine Städteagenda festgelegt werden sollte. Darin wurde eine Reihe stadtbezogener Problemstellungen identifiziert, einschließlich Großstädten, die in einem gemeinsamen europäischen Rahmen unter Berücksichtigung der Subsidiarität zu behandeln sind. Diese Erklärung war der Beginn eines strukturierteren Ansatzes. Erwähnenswerte Folgemaßnahmen sind ferner die Schlussfolgerungen des Ministertreffens (1) zum Beitrag von Architektur und Kultur zur nachhaltigen Entwicklung. Die Ziele und Argumente wurden weiter ausgebaut, insbesondere im Rahmen der informellen Ministertreffen in Marseille und Toledo (2). Die im Mai 2011 erarbeiteten Schlussfolgerungen und die Erklärung von Gödöllö zeigen, dass die Zeit reif für einen integrierten und sektorübergreifenden Ansatz zur Gewährleistung einer ausgewogenen metropolitanen Entwicklung ist (3).
2.2.8 Trotz der Berücksichtigung der Städte in den Mitteilungen der Kommission und den EU-Programmen sind das Gesamtbild und die Fortschritte der Städteagenda nicht beeindruckend. Dies ist nicht nur auf die mangelnden formellen Befugnisse, sondern auch auf das Fehlen eindeutiger Ziele und einer ausreichenden Schwerpunktsetzung zurückzuführen. Interne politische Gründe und das Subsidiaritätsprinzip halten die Mitgliedstaaten davon ab, städtische Angelegenheiten auf EU-Ebene zu erörtern.
2.3 Frühere Standpunkte des EWSA
2.3.1 2004 lancierte der EWSA im Wesentlichen aus zwei Gründen einen Vorschlag (4) zur Erhöhung der Aufmerksamkeit in der EU für Metropolregionen (MR) und Großstädte mit einer kritischen Masse: Zum einen sind sie mit ihren Licht- und Schattenseiten „die Laboratorien der Weltwirtschaft“; zum anderen werden Agglomerationen tendenziell weiter wachsen. In den letzten zehn Jahren haben sich beide Trends verstärkt. Diese Tatsache wurde in jüngster Zeit im Rahmen der informellen Ministertreffen in vollem Maße anerkannt.
2.3.2 Der EWSA argumentierte, dass parallel zu einer Konzentration auf die Verringerung der regionalen Unterschiede starke MR gleichermaßen Aufmerksamkeit erfordern, da sie als Speerspitzen der künftigen Entwicklung zu betrachten sind.
2.3.3 Große städtische Ballungsräume ziehen in Europa, wie anderswo in der Welt, hochwertige Aktivitäten, internationale Unternehmen und Forschungszentren, Dienstleistungen, kreative Entwicklungen aller Art und Bildungseinrichtungen an. Durch die Globalisierung geraten sie umso mehr in den Mittelpunkt des Interesses, als die nationalen Grenzen verschwimmen: Dank der modernen Verkehrsverbindungen und digitalen Verbindungen sind sie international miteinander vernetzt und bieten gleichzeitig einen fruchtbaren Boden für das Zusammenbringen von Talenten.
2.3.4 Als Anziehungspunkt für alle Arten von Menschen in der EU sowie für Immigranten haben MR und Stadtregionen eindeutig auch eine ziemlich hohe Quote an Arbeitslosen und Geringqualifizierten – ein Phänomen, das nicht leicht in den Griff zu bekommen ist und das gleichzeitig häufig (große) soziale, kulturelle und wirtschaftliche Probleme schafft. Auch gibt es zahlreiche nicht zu übersehende ökologische Probleme.
2.3.5 In seiner Stellungnahme aus dem Jahr 2008 gab der EWSA eine kurze Beschreibung des aktuellen Stands in den Mitgliedstaaten. Trotz einer Tendenz zur Dezentralisierung und einer europaweiten Debatte über den in Bezug auf die metropolitane Entwicklung zu wählenden Ansatz und die diesbezüglich zu ergreifenden Maßnahmen hat jedes Land seine eigene Agenda, die eng mit den historischen und legislativen Entwicklungen verknüpft ist. Aus diesem Grund befürwortete der EWSA die Einrichtung einer hochrangigen EU-Gruppe mit der Aufgabe, eine Städteagenda für MR zu erörtern und festzulegen (5) und dabei besonderes Augenmerk auf wettbewerbsorientiertes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu legen. In diesem Zusammenhang sollten MR in Zusammenarbeit mit den nationalen Regierungen dazu angeregt werden, ihre eigene Lissabon-Agenda aufzustellen. Der Prozess, einschließlich der bewährten Verfahrensweisen, sollte auf EU-Ebene erörtert werden, wobei der Kommission eine aktive Überwachungsrolle zukommen sollte.
2.3.6 Bislang wurde ein solcher Ansatz noch nicht in die Praxis umgesetzt. Es ist nach wie vor unklar, wer wo und in welchem Zusammenhang wofür zuständig ist.
3. Aktuelle Situation
3.1 Die Bedeutung der MR ist heute unumstritten (6). Die weltweite Entwicklung wird auch von der OECD und der Weltbank mitverfolgt. Auch Forschungszentren in ganz Europa gehen von den gleichen Annahmen wie der EWSA hier in dieser Stellungnahme aus. Es herrscht jedoch immer noch große Verwirrung darüber, wie das Thema auf EU-Ebene und häufig auch auf nationaler Ebene anzugehen ist. Zum Teil ist dies auf Probleme hinsichtlich der Führung und Eigenverantwortung zurückzuführen, zum Teil auch auf das Fehlen eines zusammenhängenden Ansatzes. Einige Beispiele:
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Häufig besteht in großen urbanisierten Gebieten eine Diskrepanz zwischen den Städteplanern, die für die Raumentwicklung, Infrastruktur, Bebauung und allgemeinen Dienste zuständig sind, und denjenigen Akteuren, die sich für die Wirtschaftsentwicklung und -dynamik und die Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzen, d.h. es gibt in der Regel keine Willensübereinstimmung. |
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Wissenschaftler und Forschungsinstitute veröffentlichen zunehmend nützliche Fallstudien zu städtischen Ballungsräumen, doch findet nach wie vor nur in beschränktem Maße eine effiziente Kommunikation mit den Behörden statt. |
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Die Behörden auf der nationalen, regionalen und lokalen Ebene sind normalerweise ebenfalls zurückhaltend, was den Austausch mit dem privaten Sektor, z.B. Generationenberater und Investoren anbelangt. |
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Städte, Regionen und Regierungen wenden sich in erster Linie an Brüssel, um finanzielle Unterstützung zu erhalten, und übersehen in der Regel die Gelegenheit zur Erörterung erfolgreicher Maßnahmen oder die Notwendigkeit, über die Auswirkungen der EU-Vorschriften für MR zu sprechen. |
3.2 Das zunehmende Engagement der Kommission und des Rates führt zu einer beachtlichen Bandbreite an Programmen. Aufgrund der unterschiedlichen sektoralen Ansätze haben diese verschiedene Schwerpunkte und stützen sich in der Regel auf voneinander abweichende Definitionen der Problemkreise. Diese uneinheitlichen Herangehensweisen führen üblicherweise zu einer Beeinträchtigung der Öffentlichkeitswirkung und schmälern die Wirksamkeit gegenüber Außenstehenden und Endverbrauchern.
3.3 Die Lissabon-Strategie hat zweifellos dazu beigetragen, dass die städtische Entwicklung nun ihren Platz im europäischen Gesamtrahmen und den europäischen Zielen hat. Häufig stößt dieser Sachverhalt jedoch auf Widerwillen in den Mitgliedstaaten, die selten der Ansicht sind, dass eine „supranationale“ Beteiligung an ihren städtischen Angelegenheiten erforderlich ist. Die europäische Finanzierung von Projekten in Städten ruft daher häufig auch die nationale Verwaltung auf den Plan, anstelle einer Regelung der Angelegenheit zwischen der Kommission und der lokalen Ebene ohne Einmischung von oben.
3.4 Trotz anschaulicher guter Beispiele herrscht in den Mitgliedstaaten sowie auf europäischer Ebene eine allgemeine Verwirrung über die Art der erforderlichen Bottom-up- und Top-down-Ansätze. Dies führt eher zu einem individuellen City-Marketing durch die Metropolen anstatt zu einem strukturierteren Ansatz.
3.5 Schließlich wird die Debatte häufig durch kontraproduktive Spannungen zwischen ländlichen und städtischen Gebieten (einschließlich stadtnaher Gemeinden) beeinträchtigt.
3.6 Eine erfolgreiche Multi-Level-Governance wird in den meisten Fällen durch historische und kulturelle Schranken verhindert, die einer positiven Bewältigung der tatsächlichen Herausforderungen im Wege stehen.
3.7 Zusammenfassend kann man sagen, dass die Mitgliedstaaten und städtischen Ballungsräume häufig weiterhin an ihren alltäglichen Tätigkeiten festhalten, anstatt für wirksame Strategien und langfristige Ziele offen zu sein. Der Mehrwert der EU ist nicht gut definiert. Dies liegt zum Teil daran, dass die Mitgliedstaaten weder mit dem Auftrag der Kommission noch der konkreten Rolle des (informellen) Rates einverstanden sind, und zum Teil daran, dass die Kommission derzeit nicht befugt ist, den verschiedenen Ansichten der Mitgliedstaaten zu ihrer Rolle gerecht zu werden.
4. Ein proaktiver Ansatz für eine Renaissance der Städte im 21. Jahrhundert
4.1 Obwohl in den Mitteilungen der Kommission und den EU-Programmen zunehmendes Augenmerk auf Städte gerichtet wird, fehlt ein in sich geschlossenes Gesamtkonzept. Angesichts der wirtschaftlichen, sozialen, territorialen und ökologischen Erfordernisse sowie der ungünstigen Finanzaussichten bedarf es einer kohärenten und wirksamen Städteagenda. Eine solche Agenda würde zu einer Stützung des europaweit vorhandenen, aber verborgenen wirtschaftlichen, sozialen und technologischen Potenzials beitragen.
4.2 In früheren Stellungnahmen brachte der EWSA gestützt auf die internationale politische und wissenschaftliche Debatte zur Förderung einer Renaissance der Städte im 21. Jahrhundert wichtige Argumente für eine solche EU-Agenda vor. Aufschlussreiche Aspekte der Debatte über die metropolitane Dimension sind:
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ein Paradigmenwechsel zu MR und Stadtregionen als Folge der Globalisierung, die durch internationale Vernetzung und Wertschöpfungsketten sowie ein Verschwimmen der nationalen Grenzen gekennzeichnet ist; |
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der Übergang und die Umstrukturierung industriebasierter Regionen zu verarbeitenden Industrien und Dienstleistungen, die sich auf neue Bereiche spezialisiert haben, und die Auswirkungen auf Wirtschaftspools und MR; |
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die Spezialisierung von Städten als Basis für Cluster, die Investitionen anziehen; |
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die Nähe von Universitäten, Forschungszentren, qualifizierten Personen, in der Region entstandenen Wertschöpfungsketten in der Industrie sowie eines hochentwickelten Dienstleistungsangebots; |
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internationale Verkehrsanbindung in Verbindung mit intelligenten internen Mobilitäts- und Transportsystemen; |
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die grüne Stadt: Erfordernisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel, Energieeinsparungen und dem Umweltschutz, die eine stärkere und gezielte lokale und regionale Steuerung und öffentlich-private Partnerschaften erfordern; |
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allgemein anerkannte Notwendigkeit einer Stadtverdichtung anstelle von Stadterweiterung; |
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bessere Interaktion zwischen städtischen und ländlichen Gebieten; |
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Gewährleistung der sozialen Nachhaltigkeit, der Bewältigung des demografischen Wandels und guter Arbeitsplätze für alle Gesellschaftsschichten durch angemessenes Bildungs- und Schulungsangebot in der Region; |
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dringliche Notwendigkeit, die kulturelle Kluft durch die Schaffung positiver Möglichkeiten für Angehörige von Minderheiten zu überwinden, was der Gesellschaft insgesamt zugute käme, und |
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Notwendigkeit, die Lebens- und Wohnbedingungen insbesondere von Migrant/-innen zu verbessern; |
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Betonung der Kunst der Städteplanung, Sicherstellung der Voraussetzungen für eine optimale Entwicklung der MR als Ganzes, was die Einbeziehung von Städteplanern und Architekten bedingt; |
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Gewährleistung der internen und externen Sicherheit; |
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Freizeit. |
4.3 Die effiziente Verwaltung von Metropolregionen und Städten muss nicht zuletzt auf einer Kombination aus Top-down- und Bottom-up-Ansätzen beruhen. Auf MR-Ebene muss die Einbeziehung sämtlicher maßgeblichen Akteure sichergestellt werden: Die besten Ergebnisse werden nur dann erzielt, wenn alle beteiligten Gesellschaftskreise Eigenverantwortung übernehmen. Je besser das Zusammenwirken zwischen der Entscheidungs- und der Umsetzungsebene funktioniert (Mehrebenensystem), umso effizienter ist das Ergebnis.
4.4 Die gewählten Vertreter der regionalen und lokalen Ebene sind von entscheidender Bedeutung für die Übernahme von Eigenverantwortung. Darüber hinaus können neue Formen der partizipativen Demokratie zur Einbindung der Zivilgesellschaft entwickelt werden. Auf EU-Ebene festgestellte Trends können diesbezüglich nützlich sein.
4.5 Im EU-Vertrag wird der „territoriale Zusammenhalt“ neben dem wirtschaftlichen und dem sozialen Zusammenhalt explizit als allgemeines Ziel anerkannt (7). Alle drei Aspekte werden als politische Bereiche mit zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilter Zuständigkeit genannt. Regionenbezogene Maßnahmen sind mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip folglich nicht mehr als ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten zu betrachten. Dieser Standpunkt spiegelt sich auch in den Bestimmungen über transeuropäische Netze wider (8).
4.6 Darüber hinaus wird das Subsidiaritätsprinzip auf die regionale und lokale Ebene ausgeweitet, denn im Vertrag wird die lokale und regionale Autonomie ausdrücklich hervorgehoben (9), was durchaus der Realität entspricht, da der Erfolg der politischen Maßnahmen in den Bereichen Binnenmarkt, Industrie, F&E, Energie, Umwelt und Gesundheit weitgehend von der Umsetzung in den Regionen und insbesondere in den Metropolregionen abhängt.
5. Die Städteagenda für die metropolitane Entwicklung
5.1 Die europäische Gesellschaft muss sich auf die Zukunft vorbereiten. Dies lässt sich u.a. mit Hilfe des territorialen Zusammenhalts erreichen. Der EWSA geht davon aus, dass die ganzheitlichen Ansätze für MR, welche die Schwerpunkte bilden, und die metropolitanen Entwicklungsprozesse im Einklang mit der einzigartigen urbanen Struktur in Europa stehen und die gesellschaftliche und wirtschaftliche Widerstandskraft fördern.
5.2 Die metropolitane Entwicklung sollte eine neue virtuelle Betrachtungsweise der Landkarte Europas mit sich bringen. Sie sollte nicht mehr ausschließlich das Bild einer Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten noch der Gegensätze zwischen groß und klein, städtisch und ländlich darstellen. Die Landkarte sollte eher die metropolitanen Entwicklungen – innerhalb der Länder und grenzüberschreitend – als räumliche Anpassung an die derzeit und in absehbarer Zukunft stattfindenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Veränderungen zeigen. Vor diesem Hintergrund dürfte eine Agenda für metropolitane Entwicklung der europäischen Gesellschaft bei der optimalen Anpassung helfen.
5.3 Der EWSA vertritt die Auffassung, dass metropolitane Entwicklungen wirksam zur Beseitigung der Gegensätze zwischen ländlichen Gebieten und Städten beitragen sollten. Dies ist ein sehr heiß diskutiertes Thema. Es gibt zahlreiche Argumente, die für eine positive Interaktion zwischen Metropolregionen und ländlichen Gebieten sprechen. Es müssen neue Instrumente geschaffen werden, um gegenseitige Nutzeffekte zu fördern. Interessant ist in diesem Zusammenhang die künftige Initiative URMA (Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land in Metropolregionen) von METREX, in deren Rahmen Methoden und konkrete Projekte zur Erzielung besserer Ergebnisse vorgestellt werden sollen. Weitere konkrete Verbesserungen lassen sich durch eine angemessene Anwendung des Polyzentrismus sowie durch die Konzipierung neuer Projekte erzielen, bei denen neue Governance-Formen zum Einsatz kommen. Diesbezüglich sollte ein Austausch über vorbildliche Vorgehensweisen stattfinden.
5.4 Neben den Entwicklungen, auf die der EWSA 2008 hinwies, ist festzustellen, dass die Bemühungen verstärkt wurden, um metropolitane Entwicklungen in Gang zu bringen. Die meisten davon sind wirtschaftlich motiviert. Aber auch raumordnungspolitische, soziale und kulturelle Aspekte können eine wichtige Rolle spielen. Von den zahlreichen unterschiedlichen Beispielen und Modellen sind die folgenden hervorzuheben:
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die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den deutschen „Metropolregionen“ im Rahmen des Initiativkreises Europäische Metropolregionen |
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die „pôles métropolitaines“ neben den „pôles d’excellence“ in Frankreich |
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Grand Paris (einschließlich der künftigen Anbindung an den Atlantik und den Norden) |
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eine voraussichtliche Erweiterung der Öresund-Region und eine Stärkung des Ballungsgebiets Stockholm |
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intensivierte Projekte in der niederländischen Randstad (rund um Amsterdam und in der künftigen „Zwillingsstadt“ Rotterdam-Den Haag) |
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Aufbau der Metropolregion Barcelona, Valencia und Bilbao |
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die ersten Erfahrungen mit LEP (Lokalen Unternehmenspartnerschaften) in einigen britischen Großstädten |
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metropolitane Entwicklung der Ballungsräume Warschau, Danzig und des schlesischen Kattowitz, wobei bei den beiden letzteren Beispielen erhebliche grenzübergreifende Auswirkungen zu erwarten sind (Ostsee und Tschechische Republik) |
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metropolitane Entwicklungen rund um Prag und Budapest |
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die derzeit entstehende „Zwillingsstadt“ Wien-Bratislava |
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metropolitane Vorhaben rund um Leipzig im Rahmen des Kulturprojekts „Lutherjahrzehnt“ anlässlich des 500. Jahrestags der Lutheranischen Reformation im Jahr 1517. |
5.5 Makroregionen wie der Ostseeraum, der Donauraum oder Nordwesteuropa (obwohl formell nicht als solche bestehend, werden in der Fachliteratur das französische Departement Nord-Pas-de-Calais, Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Nordrhein-Westfalen als Makroregion angesehen) verfügen über das Potenzial, die metropolitane Entwicklung besonders stark voranzubringen.
5.6 Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen aus europäischer Sicht grenzübergreifende Initiativen, die in manchen Fällen von den nationalen Regierungen unterstützt werden, oftmals aber auch nicht. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der deutsche „Initiativkreis Metropolitane Grenzregionen“. Neben den bestehenden Modellen, wie jenen in Öresund und in Lille-Courtrai, wird derzeit eine Reihe neuer Projekte initiiert, z.B. Oberrhein (Basel, Straßburg, Karlsruhe), Niederrhein (Rheinland-Pfalz, Luxemburg, Nancy), Kattowitz, Savoyen-Aostatal usw. Hamburg plant, seine Beziehungen zur Region Öresund durch eine bessere Vernetzung zu stärken. Ein interessantes Beispiel für Zusammenarbeit ist der Ausbau der Beziehungen zwischen dem russischen Königsberg und der Metropolregion Danzig.
5.7 Kleinere Mitgliedstaaten wie Slowenien können von gut geplanten grenzübergreifenden Initiativen besonders profitieren. Seit 2007 werden derartige neue grenzübergreifende Initiativen durch das Rechtsinstrument des Europäischen Verbunds für Territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) stimuliert.
5.8 Der EWSA empfiehlt, die Nutzung des EVTZ nicht auf angrenzende Nachbarregionen zu beschränken. Europäische Metropolregionen, die die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber Drittstaaten (China) stärken wollen, sollten ermuntert werden, eine intensivere Zusammenarbeit innerhalb von Wertschöpfungsketten einzugehen, die von einer übergeordneten Struktur traditioneller Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Bildung, Verwaltungszusammenarbeit usw. begleitet würde, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit weniger krisenanfällig zu machen. Ein Beispiel hierfür wäre ein EVTZ zwischen Hamburg und Toulouse, die beide in der Luftfahrtindustrie spezialisiert sind.
5.8.1 Der EWSA empfiehlt, die von den Vertretern bestehender und potenzieller künftiger EVTZ sowie von den Behörden aufgezeigten Probleme, wie im EVTZ-Monitoringbericht 2010 vorgeschlagen, im Rahmen der Überarbeitung der EVTZ-Richtlinie im Jahr 2011 anzugehen.
5.9 Die EU benötigt eine eingehende Analyse der metropolitanen Entwicklungen unter den aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten. Eine solche Analyse verlangt nach einer in wirtschaftlicher, sozialer und technologischer Hinsicht aktuellen geografischen Karte Europas. Auf diesem Gebiet kann ESPON äußerst hilfreich sein. Eurostat ist unverzichtbar für die Bereitstellung zuverlässiger Daten. Außerdem sollten das Städteaudit und URBACT wirksamer eingesetzt werden, um die Verbreitung von Forschungsergebnissen und konkreten Erfahrungsberichten sicherzustellen.
5.10 Der EWSA vertritt die Ansicht, dass neben der bestehenden dienststellenübergreifenden Gruppe für Stadtentwicklung der Kommission im Rahmen von Europa 2020 eine hochrangige Gruppe (HRG) oder Arbeitsgruppe zum Thema metropolitane Entwicklung eingerichtet werden sollte. Diese hochrangige Gruppe sollte bereichsübergreifend angelegt sein und eine Vielfalt von Vertretern der Mitgliedstaaten, der MR, öffentlicher und privater Interessenträger sowie der Zivilgesellschaft umfassen.
5.11 Ziel der Arbeitsgruppe sollte – wie in der gemeinsamen Programmplanungsinitiative Urban Europe vorgesehen – die Entwicklung einer langfristigen Vision für ein metropolitanes Europa einschließlich grenzübergreifender Metropolregionen mit einer langfristigen Perspektive für Europa 2050 sein.
5.12 Auf der Grundlage von Parametern der metropolitanen Entwicklung, wie sie etwa in Ziffer 4.2 aufgeführt sind, kann eine europäische Plattform aus folgenden Überlegungen heraus Katalysatorwirkung haben:
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Ermittlung von Gemeinsamkeiten zwischen den metropolitanen Entwicklungen trotz der großen Unterschiede zwischen den MR und zur Förderung bewährter Verfahren; |
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Anwendung von Europa 2020, seines ganzheitlichen Ansatzes sowie seiner Schwerpunktsetzung auf die Gewinnung möglichst vieler Interessenvertreter für die Erreichung der EU-Ziele im Zusammenhang mit einem intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstum in den MR; |
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Erörterung signifikanter Führungsfunktionen und Managementaspekte und Entwicklung; |
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Nutzung des Wissensaustauschs zwischen Forschungseinrichtungen und öffentlichen Stellen; |
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Konzipierung rationaler Antworten in einer anhaltenden Phase von Finanzkürzungen, die ohnehin eine effizientere Nutzung der verfügbaren Ressourcen erforderlich machen; |
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Ausgestaltung der Triade Bildung-Forschung-Innovation, dem Motor der europaweiten Metropolisierung; |
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im Rahmen des Konzepts für die nachhaltige Stadt der Zukunft Erörterung und Initiierung intelligenter Pilotprojekte betreffend die lebenswerte Stadt, die vernetzte Stadt, die unternehmerische Stadt und die pionierhafte Stadt; |
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Bewertung der Auswirkungen der EU-Klimaschutzagenda für Städte (Energie, Verkehr, Bauwesen) und Formulierung geeigneter Ansätze; |
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Beitrag zur Beseitigung der Gegensätze zwischen ländlichen Gebieten und Städten; |
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Schaffung eines Mehrwerts für die sich intensivierenden nationalen Gespräche zu den metropolitanen Entwicklungen im Hinblick auf die Bewältigung der internationalen wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen und die Schaffung von Möglichkeiten für widerstandsfähigere Regionen; |
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Herausstellung der Bedeutung der Metropolregionen als funktionale Regionen in einem breiteren (globalen) Kontext. |
5.13 Bisher fand der strukturierte Austausch von Erfahrungen und Lehren nur begrenzt statt. Eine EU-Arbeitsgruppe könnte in dieser Beziehung vieles in Bewegung bringen und zur Verbreitung bewährter Verfahrensweisen und praktischer Erfahrungen beitragen. Diese können auch bei der Formulierung von europäischen Maßnahmen hilfreich sein und entsprechende Schwerpunkte für die Beteiligung europäischer Fonds an lokalen Projekten setzen.
5.14 Es gibt zahlreiche Studien und Untersuchungen zu städtischen Entwicklungen in Europa. Ein europäischer Gesamtrahmen dürfte der Fragmentierung der Bemühungen entgegenwirken und zu einer Stärkung der Zusammenarbeit führen. Forschungszentren zu spezifischen Fachbereichen und Hochschulen können europaweit besser gebündelt werden.
5.15 Ein Beispiel für ein europäisches Pilotprojekt wäre die Einrichtung fiktiver „Living Labs“ (praxisbezogener Arbeitsgemeinschaften) zu speziellen Themen wie Wirtschaftscluster, das Wissensdreieck, nachhaltige Entwicklung, integrative ÖPP, sozialer Wohnungsbau, Führungsfunktion im Bereich der (subnationalen) territorialen Entwicklung usw. Jedes „Laboratorium“ wird von einer MR koordiniert und besteht aus verschiedenen öffentlichen und privaten Interessenvertretern.
5.16 Denkbar wären in diesem Zusammenhang auch bedarfsgesteuerte Initiativen, in denen MR bestimmte Herausforderungen und Probleme auf EU-Ebene darlegen. Europaweit sollten dann Wege und Mittel gefunden werden, die zur angemessenen Bewältigung dieser Probleme beitragen. In einer späteren Phase können dann politische Empfehlungen, Erfahrungen und bewährte und ungünstige Verfahrensweisen zusammengetragen werden.
5.17 Andere mögliche Initiativen sind: ein europäisches Schulungssystem für Städte und MR, das zuverlässige Daten für künftige Projekte liefert, die bereits anderswo durchgeführt werden; eine jährliche Konferenz zum aktuellen Stand der metropolitanen Entwicklungen; und – am wichtigsten – aus städtischen Erfahrungen zu ziehende Lehren für die Vollendung des Binnenmarktes.
5.18 Der EWSA ist der Ansicht, dass sich durch die Entwicklung interaktiver Methoden und eines tatsächlich funktionierenden Mehrebenensystems sowie die Mobilisierung der Städte und MR für die europäische Integration völlig neue Möglichkeiten für verborgene Potenziale auftun werden und eine unvoreingenommene Einstellung mit großer Wahrscheinlichkeit um sich greifen wird.
6. Europa 2020 – eine solide Grundlage für eine EU-Städteagenda
6.1 Der EWSA ist der Ansicht, dass Europa 2020 nützliche Werkzeuge zur Entfaltung von Möglichkeiten und zur Herausbildung einer offenen Einstellung bereithält. Indem den metropolitanen Entwicklungen die ihnen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wird, werden bessere soziale und wirtschaftliche Bedingungen geschaffen und das Interesse auf nationaler wie auch internationaler Ebene geweckt.
6.2 Der EWSA teilt die Ansicht von EU-Kommissionsmitglied Hahn, der Städte und MR als maßgebliche Akteure bei der Strategie Europa 2020 ansieht und auf dem informellen Treffen der Minister für Stadtentwicklung im Juni 2010 in Toledo ausführte, dass „die Städte in Sachen Innovation und Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts an vorderster Front stehen, da sie die Herausforderungen der raschen Globalisierung und des rasanten strukturellen Wandels meistern müssen“.
6.3 In seiner Stellungnahme von 2008 empfiehlt der EWSA eine Agenda für Metropolregionen auf der Grundlage der Lissabon-Strategie (10). Vor allem die ganzheitliche Programmgestaltung für die Strategie Europa 2020, mit der die Lissabon-Strategie auf zusätzliche Bereiche ausgeweitet wird, bietet besondere Möglichkeiten für MR sowie für eine Verbesserung des Mehrebenensystems, das seit Jahren eine deutliche Schwachstelle ist.
6.4 In den Metropolregionen sind die Kommunikationswege kürzer als auf nationaler Ebene. Entscheidungsfindung und Planung sind in der Regel einfacher. Die Behörden und andere Interessenträger wie die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft und insbesondere Bildungsträger aller Ebenen, Städteplaner, Generationenberater und private Investoren handeln gewöhnlich gezielter. Erfolgreiche Beispiele zeigen, dass Zielstrebigkeit, kollektives Bewusstsein und sogar Stolz besonders förderlich für den Fortschritt in MR sind.
6.5 Es gibt immer mehr zielgerichtete Strategiepläne, die durch erfolgreiche Beispiele inspiriert sind. In der Mehrzahl der Fälle profitierten sie von Bürgermeistern mit Visionen, die breiten Rückhalt in der Bevölkerung fanden. Einige Beispiele sind der Großraum Bilbao, Kopenhagen-Malmö, Wien und Birmingham.
6.6 Eine Städteagenda würde beiden Seiten etwas bringen: Die Strategie Europa 2020 kann einer solchen Agenda eine hilfreiche Struktur verleihen, während erfolgreiche MR die Verwirklichung der Strategie Europa 2020 begünstigen werden (11). Hierfür wären folgende Komponenten von Bedeutung.
6.6.1 Europa 2020 bedingt eine effizientere Koordinierung innerhalb der Kommission und eine enge Zusammenarbeit mit dem Rat. Politikgestaltung und EU-Programme sollten stärker gestrafft werden. Der EWSA befürwortet die Zusammenfassung von Projekten in der Kommission. Ein wichtiger Nebeneffekt ist eine erhöhte Transparenz der Maßnahmen der Kommission und der Abstimmung (auf europäischer Ebene).
6.6.2 Ein gut abgestecktes Gesamtkonzept muss dazu beitragen, die unausweichlichen Einsparungen, von denen die Städte angesichts des derzeitigen Wirtschaftsabschwungs in sämtlichen Mitgliedstaaten betroffen sind, auszugleichen.
6.6.3 Bislang erschwerte das Subsidiaritätsprinzip die Umsetzung einer Städteagenda. Nach Auffassung des EWSA bedarf es im Hinblick auf die Strategie Europa 2020 einer engeren Abstimmung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten mit einem flexibleren Subsidiaritätsansatz, wobei weniger streng zwischen EU- und nationalen Kompetenzen unterschieden werden muss.
6.6.4 Von entscheidender Bedeutung ist, dass diese Flexibilität Wegbereiter für eine Einbindung der regionalen, metropolitanen und lokalen Behörden als verantwortliche Akteure in den EU-Gesamtrahmen sein sollte. Das Mehrebenensystem ist seit Jahren Gegenstand umfangreicher Diskussionen – weitgehend ohne spürbaren Erfolg. Es ist an der Zeit, dass der Schritt vom Lippenbekenntnis zu einem Mehrebenensystem vollzogen wird und die konkreten interaktiven Pläne für die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren, aber auch mit der Zivilgesellschaft gestärkt werden.
6.6.5 Eine Städteagenda im Rahmen von Europa 2020 würde darüber hinaus eine verstärkte Beobachtungsfunktion der Kommission bei Themen voraussetzen, die direkt mit Städten und MR in Zusammenhang stehen. Das bedeutet, dass Städte und MR einschließlich maßgeblicher Interessenträger und Zivilgesellschaft als gleichberechtigte Akteure bei der Umsetzung von Maßnahmen und EU-Programmen akzeptiert werden müssen.
6.6.6 Genauso legt Europa 2020 eine engere Beziehung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten nahe. Hierbei sind zwei wichtige Bereiche zu nennen:
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Die Mitgliedstaaten sollten genauer auf die Vorgehensweise und Ergebnisse der anderen und den Fortschritt in den Partnerländern achten. |
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Engere Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten wären positiv für die Grenzregionen und deren Potenzial als MR. Bilaterale und trilaterale Projekte der nationalen Regierungen würden im Hinblick auf eine Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit den größten Nutzen bringen. |
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) ABl. C 319/05 vom 13.12.2008, S. 13.
(2) Diese Erklärungen wurden während des französischen bzw. des spanischen EU-Ratsvorsitzes 2008 in Marseille bzw. 2010 in Toledo verabschiedet.
(3) Siehe die Schlussfolgerungen des ungarischen EU-Ratsvorsitzes sowie die Territoriale Agenda der Europäischen Union 2020, die auf dem informellen Ministertreffen am 19. Mai 2011 in Gödöllö vereinbart wurde.
(4) Initiativstellungnahme des EWSA zum Thema „Die großstädtischen Ballungsgebiete: Sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“, ABl. C 302/20 vom 7.12.2004, S. 101. 2007 arbeitete der EWSA eine Reihe von Themen aus in der Weiterverfolgung seiner Initiativstellungnahme zum Thema „Die großstädtischen Ballungsgebiete: Sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“, ABl. C 168/02 vom 20.7.2007, S. 10.
(5) Sondierungsstellungnahme des EWSA zum Thema „Hin zu einer ausgewogenen städtischen Entwicklung: Herausforderungen und Möglichkeiten“, Berichterstatter: Joost van Iersel, ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 123.
(6) Bekannt sind die Arbeiten von Richard Florida („Cities and the creative class“), Charles Landry („The Creative City“) und Edward Glaeser („The Triumph of the City“).
(7) Siehe Artikel 3.3 EUV.
(8) Siehe Artikel 170 – 172 AEUV.
(9) Siehe Artikel 5.3 EUV.
(10) Siehe Fußnote 5.
(11) Einige interessante Kommentare hierzu sind in dem im Juni 2011 verabschiedeten Bericht des Europäischen Parlaments zur „Europäischen Stadtpolitik und ihrer Zukunft im Rahmen der Kohäsionspolitik“ zu finden (A7-0218/2011, Berichterstatter: Oldřich Vlasák).
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/15 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „LEADER als Instrument für die lokale Entwicklung“ (Initiativstellungnahme)
2011/C 376/03
Berichterstatter: Roman HAKEN
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 20. Januar 2011 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„LEADER als Instrument für die lokale Entwicklung“
(Initiativstellungnahme).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. September 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 151 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 LEADER hat in den letzten 20 Jahren seine Tragfähigkeit unter Beweis gestellt. Daher sollte überlegt werden, ob die LEADER-Methode als bewährtes Entwicklungsinstrument ausgeweitet werden sollte, wobei ihre grundlegenden Werte zu wahren sind: unmittelbare Beteiligung der Zivilgesellschaft durch deren Einbeziehung in die lokalen Partnerschaften und ständige Kommunikation mit den Bürgern über die Prioritäten der weiteren Entwicklung.
1.2 In Bezug auf die operationellen Programme für den Zeitraum nach 2013 muss eine erhebliche Stärkung der Partnerschaften (insbesondere der bereichsübergreifenden lokalen und regionalen Partnerschaften unabhängig voneinander in ländlichen, aber auch in städtischen Gebieten) in Erwägung gezogen werden, wobei sowohl der Prozess als auch die Partnerschaften vereinheitlicht und hohe Anforderungen in Bezug auf erzielten Mehrwert, Relevanz, Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit ihrer Vorhaben gestellt werden müssen. Die Partnerschaften müssen stets von unten ausgehen (Bottom-up-Ansatz).
1.3 Der Ausschuss empfiehlt, die LEADER-Methode in Form einer Bottom-up-Partnerschaft auf Mittel aus anderen EU-Fonds für die ländlichen Gebiete anzuwenden. Er empfiehlt den Einsatz dieser Methode ebenfalls ausdrücklich in den Städten (mit einer anderen Bezeichnung), um Entwicklungs- und Investitionsstrategien durchzuführen. Die Partnerschaften können zur Verknüpfung nachhaltigkeitsorientierter Maßnahmen von kommunalen Behörden, Unternehmen, gemeinnützigen Einrichtungen und Bürgern vor Ort beitragen. Dies würde jedoch die Überwindung des derzeitigen „sektoralen“ Denkens zwischen dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und den Strukturfonds sowie eine Eindämmung der Tendenz einer strengen Trennung zwischen den verschiedenen Fonds voraussetzen. Und zugleich müssten vergleichbare Rechtsvorschriften erlassen werden, um die verschiedenen Fonds mit gemeinsamen Kontrollsystemen und Indikatoren zu nutzen.
1.4 Für den Zeitraum nach 2013 empfiehlt der Ausschuss:
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a) |
ein übergreifendes Konzept für die Entwicklung ländlicher Gebiete zu erarbeiten, in dem Mittel aus verschiedenen Fonds zu einem gemeinsamen Haushalt zusammengelegt werden und die Möglichkeit besteht, nach einem vereinfachten Verfahren und ohne zusätzlichen Verwaltungsaufwand den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), den Kohäsionsfonds, den Europäischen Fischereifonds (EFS), den Europäischen Sozialfonds (ESF) und weitere Fonds einzusetzen; |
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b) |
eine einheitliche Begriffsbestimmung für den ländlichen Raum zu diskutieren und zu vereinbaren und bei der Ausarbeitung der lokalen Entwicklungsstrategien einen integrierten Ansatz zu fordern; |
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c) |
die LEADER-Methode als geeignetes Modell für die Entwicklung und Durchführung von Bottom-up-Partnerschaften zu nutzen; |
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d) |
in allen Fonds einen finanziellen Spielraum für die Ausarbeitung und Umsetzung integrierter Entwicklungsstrategien bei der Nutzung der Kapazitäten und Kenntnisse der lokalen Partnerschaften zu schaffen; |
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e) |
das Konzept des Interessenkonflikts für Mitglieder der lokalen Aktionsgruppen genau und sorgfältig zu definieren und so die Kritik an der Anwendung der LEADER-Methode großteils zu entkräften; zur Verbesserung der Transparenz sowie der öffentlichen Kontrolle und der Information der Bevölkerung mehr Informationen darüber bereitzustellen, was die lokalen Aktionsgruppen eigentlich sind, was sie tun und was sie konkret in ihren einzelnen Gemeinden erreichen usw.; und hierfür Konferenzen, Seminare, Veröffentlichungen und Berichte in den lokalen Medien (Hörfunk, Fernsehen, Presse usw.) vorzubereiten. |
1.5 Ein Schlüsselbegriff im Barca-Bericht (1) ist das „place-based development model“, d.h. ein ortsbezogenes Entwicklungsmodell, mit dem der integrierte territoriale bzw. regionale Ansatz zur Problemlösung gefördert werden soll. Mit dieser ortsbezogenen Strategie („place-based policy“) soll erreicht werden, dass das permanent brachliegende lokale Potenzial endlich genutzt wird. Somit steht dieses Modell voll und ganz im Einklang mit Wesen und Ziel der LEADER-Methode: ein auf den Besonderheiten lokaler Probleme beruhender Bottom-up-Ansatz, bei dem Lösungen mit vereinter Kraft durch alle Akteure vor Ort erarbeitet werden, die das endogene Potenzial einer Region gemeinsam besser nutzen können. In den Diskussionen wird häufig darauf hingewiesen, dass mit dem Vertrag von Lissabon ein neuer Subsidiaritätsbegriff in Verbindung mit einer Stärkung der Aufgaben der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften eingeführt wurde.
1.6 Der Ausschuss empfiehlt, die administrativen und bürokratischen Hürden insbesondere bei kleinen Projekten erheblich abzubauen (in dem unter anderem die Zahl der vorzulegenden Nachweise und Berichte gesenkt wird) und die LEADER-Methode in den Prozess der Vereinfachung der Rechtsvorschriften einzubeziehen, um so eine größere Flexibilität zu erreichen und Innovationen in den Regionen anzuregen. Für die Projekte empfiehlt der Ausschuss die flächendeckende Einführung eines Vorschusssystems seitens der EU bzw. eine fortlaufende Finanzierung. Damit erhöht sich die Absorptionsfähigkeit vor Ort maßgeblich, ohne die Kassenbestände der kleinen Wirtschaftsteilnehmer als Antragsteller, Endbegünstigte und schließlich auch Träger der Projekte in Anspruch zu nehmen. Zugleich sollte nach Ansicht des Ausschusses die Möglichkeit erwogen werden, ob eine nationale Mitfinanzierung durch eigene Sachleistungen ersetzt werden könnte, z.B. durch Freiwilligentätigkeit.
1.7 Für den Übergang zu einem größeren Ressourcenvolumen, die Nutzung von Mitteln aus mehreren Fonds zugleich und die Übertragung dieser Methode auf die Städte empfiehlt der Ausschuss, über einen „Lernprozess“ wieder zu der Zeit zurückzukehren, als die LEADER-Methode als „Labor“ wahrgenommen wurde, dabei jedoch an die zweifelsohne positiven Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre mit der Umsetzung der Methode und der Gemeinschaftsinitiativen in den ländlichen Gebieten anzuknüpfen. Der Ausschuss schlägt vor, bei der Verwirklichung dieses innovativen Konzepts mehr Flexibilität walten zu lassen. Im Ergebnis wird sich die Entwicklung der Regionen beschleunigen.
2. Einführung in die Thematik
2.1 Die LEADER-Methode und ihre Entstehung – Geschichte, Auswirkungen
2.1.1 Die 1991 als Gemeinschaftsinitiative auf den Weg gebrachte LEADER-Methode wurde von der Kommission langfristig und in mehreren Etappen vorbereitet: Zunächst als LEADER I („Experiment“), anschließend als LEADER II („Labor“) und danach bis zum Jahr 2006 als LEADER+ („Reifephase“). In den Jahren 2004-2006 wurde die Methode versuchsweise in die Programme in den neuen Mitgliedstaaten einbezogen. Seit Beginn des laufenden Programmplanungszeitraums im Jahr 2007 ist LEADER einer der vier Schwerpunkte in der 2. Säule der GAP und eines der wichtigsten Instrumente der Gemeinsamen Agrarpolitik. Derzeit wird LEADER aus dem ELER als Teil der Programme der Mitgliedstaaten zur Entwicklung des ländlichen Raums finanziert; gemäß dem Grundsatz der geteilten Verwaltung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten übernehmen letztere die Mitfinanzierung. Insgesamt wurden seit 1991 9,75 Mrd. EUR in die verschiedenen LEADER-Gemeinschaftsinitiativen und den aktuellen Schwerpunkt IV des ELER investiert. Derzeit sind mehr als 2 200„lokale Aktionsgruppen“ in der EU tätig. In den letzten 20 Jahren konnte mithilfe der EU-Mittel für LEADER ein einzigartiges Netz ländlicher Akteure in sämtlichen 27 Mitgliedstaaten aufgebaut werden.
2.1.2 So entstand eine einzigartige, innovative Methode der Partnerschaft und Zusammenarbeit. Diese Methode ermöglicht eine transparente Finanzierung von Projekten auch in den Regionen in äußerster Randlage in der EU-27 und bietet selbst diesen Regionen Zugang zu den Haushaltsmitteln der EU.
2.2 Derzeitiger Stand in der EU – Lokale Aktionsgruppen (LAG)
2.2.1 LEADER erfreut sich großer Beliebtheit als Finanzierungsinstrument wie auch als Modell im ländlichen Raum, nicht nur bei den Mitgliedern der lokalen Aktionsgruppen, sondern vor allem auch bei den kommunalen Behörden und bei weiteren Akteuren, die in ländlichen Gemeinden aktiv sind. Lokale Aktionsgruppen wurden in allen 27 EU-Staaten gebildet, in Bulgarien und Rumänien werden diese Aktionsgruppen in Kürze ebenfalls operativ sein. LEADER spielt in der Heranführungsstrategie für Beitrittsländer und potenzielle Beitrittskandidaten eine wichtige Rolle.
2.2.2 In der EU-27 wurden bislang 2 192 lokale Aktionsgruppen ausgewählt, die finanzielle Unterstützung aus den Mitteln in Höhe von insgesamt ca. 5,5 Mrd. EUR erhalten, die im Zeitraum 2007-2013 im Rahmen des ELER bereitstehen.
2.2.3 Im laufenden Programmplanungszeitraum ist LEADER ein tragendes Element für den Schwerpunkt IV des ELER. Einschließlich der Mitfinanzierung durch die Mitgliedstaaten und private Akteure wurden insgesamt 13,9 Mrd. EUR von der öffentlichen Hand und 5 Mrd. EUR aus privaten Finanzierungsquellen gewährt.
2.2.4 In den „neuen“ Mitgliedstaaten wird LEADER stärker genutzt als in der EU-15. In einigen Mitgliedstaaten erstrecken sich die lokalen Aktionsgruppen auf fast das gesamte Hoheitsgebiet und sind ein wirksames Instrument der Politik für den ländlichen Raum und für Kleinstädte auf dem Land. Diese Struktur ergänzt sinnvoll die öffentliche Verwaltung bzw. die Selbstverwaltung vor Ort.
2.2.5 Die lokalen Aktionsgruppen haben eine Verwaltungskapazität entwickelt, mit der die Finanzhilfen der EU vor Ort auf transparente Weise verteilt werden können.
2.2.6 In der aktuellen Wirtschaftskrise kann über diese flexiblen zwischengeschalteten Stellen vor Ort die Schaffung von Arbeitsplätzen auf lokaler Ebene wirksam unterstützt werden.
2.3 Bewertung von LEADER+
2.3.1 Die Durchführung der Gemeinschaftsinitiative LEADER+ wurde vom Rechnungshof der Europäischen Union überprüft. Dieser richtete sechs grundlegende Empfehlungen an die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten, in denen er die Schwächen der Methode aufzeigte. Die Europäische Kommission hat auf diese Kritik reagiert; die Empfehlungen des Rechnungshofes der Europäischen Union werden bereits im verbleibenden laufenden Programmplanungszeitraum sowie bei der Gestaltung von LEADER im künftigen Programmplanungszeitraum berücksichtigt.
2.3.2 An die Gemeinschaftsinitiative LEADER+ haben 893 lokale Aktionsgruppen in der EU-15 teilgenommen; seit dem Jahr 2004 setzen zudem 250 lokale Aktionsgruppen in 6 „neuen“ Mitgliedstaaten Maßnahmen im Rahmen von LEADER um. Insgesamt wurden für diese Gemeinschaftsinitiative 2,1 Mrd. EUR bereitgestellt.
2.3.3 Mit der LEADER-Methode wurde die öffentlich-private Partnerschaft im ländlichen Raum eingeführt. Mit der Methode LEADER+ hat sich die Absorptionsfähigkeit für EU-Mittel entscheidend erhöht.
2.3.4 Mit LEADER+ stieg die Zahl der lokalen Aktionsgruppen im laufenden Programmplanungszeitraum auf die aktuelle Zahl von mehr als 2 200.
2.3.5 Trotz der Kritik des Rechnungshofes funktioniert die LEADER-Methode. Sie wird der Politik der Europäischen Union in vollem Umfang gerecht, denn sie ist wirksam, stößt positive Veränderungen an, ist zielgerichtet, flächendeckend und transparent. Daher hat die LEADER-Methode ihren festen Platz in der EU-Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums und den einschlägigen Programmen der Mitgliedstaaten und verdient stets höhere Unterstützung nicht nur in der Gemeinsamen Agrarpolitik. Mit der LEADER-Methode wird die Bildung branchenübergreifender Partnerschaften vor Ort unterstützt, und sie dient auf Grundlage des Subsidiaritätsprinzips als Finanzierungsquelle für lokale Projekte, die eine Entwicklung gemäß den Bedürfnissen der Bürger vor Ort ermöglichen und zur Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum beitragen.
2.3.6 Mit dieser Stellungnahme soll das Interesse an der LEADER-Methode erhöht und die systematische Nutzung der lokalen Aktionsgruppen auch für andere Förderinstrumente außerhalb des Bereichs der ländlichen Entwicklung erleichtert werden. Darüber hinaus soll dazu beigetragen werden, zumindest eine Beibehaltung der im Rahmen der GAP für LEADER bereitgestellten Mittel zu rechtfertigen und damit auch den herausragenden Stellenwert von LEADER innerhalb der GAP zu bewahren.
2.3.7 Die LEADER-Methode wird auch für Programme eingesetzt, die aus anderen EU-Fonds finanziert werden. Im ländlichen Raum stärkt sie zudem den Zusammenhalt der ländlichen Gemeinden.
3. Empfehlungen für den ländlichen Raum
3.1 In der LEADER-Methode steckt das Potenzial, die Entwicklung des ländlichen Raums zu beschleunigen, und sie hat sich als so wirksam erwiesen, dass sie möglichst auf das gesamte Gebiet des ländlichen Raums in der EU ausgedehnt werden sollte. Der Ausschuss schlägt vor, die LEADER-Methode weiterhin in der GAP anzusiedeln und über diese Methode auch die Mittel aus der Kohäsions- und der Umweltpolitik zu integrieren. Dies würde umfassende Konzepte für die ländliche Entwicklung und effizientere Maßnahmen im Sinne einer integrierten nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums ebenso ermöglichen wie bessere Verknüpfungen und ein stärkeres Zusammenwirken zwischen Stadt und Land (2). Im Rahmen des ELER wird mit der LEADER-Methode eine sinnvolle Verbindung zwischen dem ländlichen und dem städtischen Raum sichergestellt. Für den städtischen Raum ist es sinnvoll, den Grundsatz der Methode abzuändern und von LEADER abzugrenzen, etwa mit einem Programm „Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der Wirtschaft in den Städten“ (Liaisons Entre Actions de Développement de l'Economie des Villes – LEADEV).
3.2 Der Ausschuss schlägt außerdem vor, einen größeren Anteil der zur Verfügung stehenden Mittel, und zwar nicht nur aus künftigen Programmen für die Entwicklung des ländlichen Raums, mittels der LEADER-Methode zu nutzen. Diese Methode kommt auch im Rahmen des Europäischen Fischereifonds zum Einsatz. Er schlägt darüber hinaus vor, dass in allen sonstigen operationellen Programmen, die für Ziele im ländlichen Raum aufgelegt wurden und dort Empfänger haben können (kleine Kommunen, Schulen im ländlichen Raum, Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen, Landwirtschaftsbetriebe, gemeinnützige Einrichtungen usw.), die Möglichkeit einer Beteiligung an dem einschlägigen Programm mittels der LEADER-Methode im Rahmen des ELER vorgesehen wird. Dafür sollen 5 bis 25 % der Mittel zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise wird der Anteil an integrierten und innovativen Projekten sichergestellt, die in gemeinschaftlicher Anstrengung im ländlichen Raum verwirklicht werden.
3.3 Der Ausschuss empfiehlt ferner, die LEADER-Methode als innovatives Bottom-up-Konzept anzuerkennen und sie daher so unbürokratisch und themenunspezifisch wie möglich zu gestalten. Die Bürger vor Ort wissen am besten, was sie am meisten brauchen; das ist das Grundprinzip der Subsidiarität. Der Ausschuss schlägt vor, den Grundsatz der öffentlichen Kontrolle für die Partnerschaften auf der Grundlage lokaler Bürgerinitiativen anzuwenden.
3.4 Der beträchtliche Mehrwert der lokalen Aktionsgruppen und der Partnerschaften liegt in der Schaffung und Förderung der Interaktion zwischen den Bürgern in den ländlichen Gemeinden. Er ist bei der Bewertung der Durchführung der Gemeinschaftsinitiative LEADER+ nicht ausreichend wahrgenommen worden, und deshalb regt der Ausschuss an, den Schwerpunkt stärker auf die Bedeutung des Engagements der Mitglieder der lokalen Aktionsgruppen vor Ort zu legen. Auf diese Weise können ein offener Zugang zur Gestaltung der Strategie für die lokale Entwicklung, die lokale Koordinierung und die Einbeziehung aller Interessenträger in eine nachhaltige und vielfältige Entwicklung zur Erreichung einer höheren Lebensqualität sichergestellt werden. Nach Ansicht des Ausschusses sollten zudem freiwillige partnerschaftliche Vereinigungen von Gemeinden Mitglieder der lokalen Aktionsgruppen sein und Projektziele anregen können. Zugleich steht aber fest, dass LEADER kein Ersatz für die unzureichenden Einnahmen der kommunalen Haushalte sein und somit auch nicht für die Finanzierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auf lokaler Ebene in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU herangezogen werden kann.
3.5 Interregionale und transnationale Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen lokalen Aktionsgruppen sind bei der Anwendung der LEADER-Methode von großer Bedeutung. Die äußerst positiven Auswirkungen der LEADER-Methode bei der Anwendung der interregionalen (zwischen mehreren lokalen Aktionsgruppen) und internationalen Zusammenarbeit und Partnerschaft während des vorangegangenen zwölfjährigen Programmplanungszeitraumes wurden nicht ausreichend anerkannt. Diese Tätigkeit ist aber in einer EU, deren Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Entwicklungsniveaus und völlig unterschiedliche ländliche Räume (auch innerhalb der Mitgliedstaaten) aufweisen, von erheblicher Bedeutung und für den ländlichen Raum unerlässlich; sie kann die Entwicklung dort entscheidend beeinflussen.
4. Empfehlungen für den städtischen Raum
4.1 Wenn es möglich ist, partnerschaftliche Methoden bei allen EU-Fonds einzusetzen, dann ist es auch möglich, den im ländlichen Raum angewandten Grundsatz der LEADER-Methode unabhängig auf die städtischen Ballungsgebiete und ihre Teilgemeinden zu übertragen, um „lokale Partnerschaften“ zu bilden, anfangs beispielsweise nur für einen Übergangszeitraum, der anschließend einer Bewertung unterzogen wird. Der Ausschuss empfiehlt, für dieses partnerschaftliche Konzept die zweckdienliche Bezeichnung eines „Programms für den städtischen Raum“ zu wählen und diese Möglichkeit in alle Entwicklungsfonds aufzunehmen, die von den verschiedenen Generaldirektionen verwaltet werden. Durch die Integration der Ressourcen wird ihre Wirksamkeit erhöht.
4.2 Der Ausschuss empfiehlt außerdem, den Grundsatz der LEADER-Methode, allerdings unabhängig und getrennt von LEADER, auch auf die Randgemeinden der Städte anzuwenden. Die Städte würden dann in diesen Randgebieten zu dieser Methode beitragen, um das Entwicklungsgefälle zwischen ländlichem und städtischem Raums schrittweise zu verringern.
4.3 Der Ausschuss empfiehlt ferner, die Tätigkeiten der ehemaligen Gemeinschaftsinitiative URBAN, des LIFE-Programms und weiterer Programme mit den Grundsätzen der LEADER-Methode zu verknüpfen und so den erzielten Mehrwert insgesamt zu erhöhen.
4.4 Bei der Vorbereitung und Durchführung der Projekte erweist es sich als höchst zweckdienlich, in einer Partnerschaft in städtischen Ballungsgebieten entweder unmittelbar die Behörde der kommunalen Selbstverwaltung zu beteiligen oder einzelne Tätigkeiten mit dieser Behörde abzustimmen. So könnte verhindert werden, dass einzelne Projekte einander zuwiderlaufen, und vielmehr eine Synergie zwischen den Projekten erreicht werden, die von der Gebietskörperschaft und von lokalen Partnerschaften verwirklicht werden; zudem könnte gegebenenfalls eine Unterstützung durch partnerschaftliche Projekte gewonnen werden. Die beste Methode zur Schaffung von Synergien ist die Ausarbeitung integrierter Entwicklungspläne der jeweils betroffenen Städte, städtischen Gebiete und städtischen Ballungsgebiete.
4.5 Die LEADER-Methode ließe sich im städtischen Raum auf der Grundlage von Partnerschaften für ein bestimmtes subregionales städtisches Gebiet nach bestimmten vorab festgelegten Parametern (wie dies derzeit im ländlichen Raum der Fall ist) durchsetzen.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Siehe http://ec.europa.eu/regional_policy/policy/future/barca_en.htm (nur auf Englisch verfügbar).
(2) Siehe http://ec.europa.eu/regional_policy/newsroom/pdf/pawel_samecki_orientation_paper.pdf (S. 10, nur auf Englisch verfügbar).
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/19 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Zukunft der Junglandwirte in Europa“ (Initiativstellungnahme)
2011/C 376/04
Berichterstatter: Pedro NARRO
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 20. Januar 2011 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Die Zukunft der Junglandwirte in Europa“
(Initiativstellungnahme).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 21. Juni 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 22. September) mit 136 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Die Statistiken weisen klar aus, dass die Zahl der Junglandwirte durchgängig abnimmt und die landwirtschaftliche Erwerbstätigkeit mehr und mehr aufgegeben wird. Angesichts dieser unaufhaltsamen Entwicklung, die im eklatanten Gegensatz zur notwendigen Bewältigung des Lebensmittelproblems steht, spricht sich der EWSA dafür aus, die Maßnahmen zugunsten der Junglandwirte wirklich zu einer Priorität der europäischen und nationalen Behörden zu machen.
1.2 Der EWSA hält fest, dass der ländliche Raum neue Möglichkeiten bietet, von denen die Landjugend profitieren kann. Die Arbeit des Landwirts wird immer komplizierter und technikgeprägter und erfordert eine bessere Ausbildung. Junge Landwirte sind im Vorteil, da sie mit einer unternehmerischen, modernen Sicht und gestützt auf neue Technologien an die landwirtliche Tätigkeit herangehen. Gerade die jungen Landwirte, wenn sie nur über angemessene Instrumente und rechtliche Rahmenbedingungen verfügen, sind am besten in der Lage, unter rationellem Einsatz von Naturgütern Lebensmittel hoher Qualität zu erzeugen, um so die Aufgabe der Ernährungssicherheit zu meistern.
1.3 Die Hauptprobleme für Junglandwirte liegen in der Schwierigkeit, an Land und Kredite zu gelangen. Deshalb sollte der Zugang zu Land dringend durch neue Mechanismen gefördert und der Zugang zu Krediten durch ein europäisches System von Bürgschaften gewährleistet werden.
1.4 Der EWSA schlägt die Einrichtung einer europäischen Beobachtungsstelle zur Untersuchung und Bewertung der Probleme im Zusammenhang mit der Niederlassung und der Betriebsübertragung sowie ganz allgemein mit allen Fragen des Generationenwechsels in der Landwirtschaft vor.
1.5 Die Unterstützung der Junglandwirte darf sich nicht allein auf den Bereich der ländlichen Entwicklung beschränken. Vor dem Hintergrund der derzeit laufenden Neukonzipierung der Gemeinsamen Agrarpolitik sollte im Rahmen der ersten Säule der GAP eine neue Form von Beihilfen speziell für Junglandwirte vorgesehen werden. In der zweiten Säule der GAP müssen die Niederlassungsbeihilfen EU-weit zu einer obligatorischen Maßnahme werden.
1.6 Eine der noch ungelösten Aufgaben in Europa besteht darin, die Übertragung landwirtschaftlicher Betriebe auf Junglandwirte zu erleichtern. Wichtige Beiträge zum Erfolg dieses Vorhabens wären nach Auffassung des EWSA eine Verbesserung der Altersrenten, damit Landwirte würdevoll aus der Landwirtschaft ausscheiden können.
1.7 Die Ausbildung der Junglandwirte und die ihnen zur Verfügung stehenden neuen Technologien bilden die Grundlage für die Herausbildung von Unternehmergeist. Eine theoretische Ausbildung, die nicht auf dem neuesten Stand ist, reicht nicht, sondern die jungen Menschen brauchen eine kontinuierliche und fachliche Beratung für die tatsächlichen Erfordernisse ihrer Tätigkeit. Der EWSA schlägt die Schaffung eines neuen Austauschprogramms für Junglandwirte („Erasmus Farmer“) und die Anpassung des Leonardo-Programms vor und fordert angesichts der Alterung in der Landwirtschaft neue Formen für die Beteiligung junger Leute an landwirtschaftlichen Genossenschaften und Verbänden. Es sollten spezielle Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, einschließlich Sommerlager und verschiedene Aktivitäten, für Kinder aus ländlichen Gebieten gefördert werden.
1.8 Die Europäische Union hat eine große Verantwortung gegenüber dem landwirtschaftlichen Nachwuchs. Aber auch die Mitgliedstaaten müssen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten unbedingt tätig werden, d.h. Steuervorteile gewähren, Bürokratie abbauen, in Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen im ländlichen Raum investieren, kurze Lebensmittelketten unterstützen, die Diversifizierung fördern, kurzum, dazu beitragen, dass der ländliche Raum ein attraktiver Ort zum Leben und Arbeiten ist.
2. Die Junglandwirte in Europa
2.1 Seit der letzten Stellungnahme des EWSA zum Thema Junglandwirte (1) sind zehn Jahre vergangen. Leider haben sich die damals zum Ausdruck gebrachten Befürchtungen als begründet erwiesen: Nicht nur, dass sich die Zahl der Junglandwirte weiter im freien Fall befindet, sondern diejenigen, die sich mit Mühe und Not in diesem Wirtschaftszweig behaupten, sind ein Jahrzehnt später in einer Lage, in der sie mehr Schatten als Licht sehen.
2.2 Europaweit gesehen, kommt ein Landwirt unter 35 Jahren auf neun, die über 55 Jahre alt sind. In einigen Mitgliedstaaten, wie Portugal, Spanien, Italien, Großbritannien oder Bulgarien, ist der Anteil von Junglandwirten verschwindend gering (nur ein Jungbauer auf 20, die älter als 55 Jahre sind). In anderen Ländern, wie Polen, Österreich oder Deutschland, bietet sich ein anderes Bild, mit einem Jungbauern auf drei, die über 55 Jahre alt sind. Diese Unterschiede erklären sich im Wesentlichen daraus, dass es in einigen Ländern günstige rechtliche Rahmenbedingungen gibt, durch die der Generationenwechsel in der Landwirtschaft mit Anreizen für die Übertragung von landwirtschaftlichen Betrieben gefördert werden konnte.
2.3 Eine Analyse der landwirtschaftlichen Strukturen zeigt, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, einen systematischen Rückgang der Zahl der Landwirte und einen Überalterungsprozess, der deutlich ausgeprägter ist als in anderen Wirtschaftszweigen. Seit 2000 ist ein Rückgang der Zahl der Landwirte um 9 % und der Junglandwirte um 45 % zu verzeichnen.
2.4 Der Rückgang der Erwerbstätigen kann langfristig nicht durch einen Produktivitätszuwachs ausgeglichen werden. In einem Umfeld, das durch eine hohe Volatilität der Preise für Agrarrohstoffe gekennzeichnet ist, erhalten strategische Begriffe wie Ernährungssicherheit und Nahrungsmittelsouveränität (2), auf die der EWSA mehrfach in seinen Stellungnahmen einging, eine besondere Relevanz. Der Schutz der Umwelt und andere Gemeingüter sind Interessen der Allgemeinheit, die man nicht importieren kann. Die Landwirte haben folglich eine Funktion, die über eine reine Wirtschaftstätigkeit hinausgeht. Die Europa-2020-Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum wird ohne Landwirte eine Utopie bleiben.
2.5 Die strategische Bedeutung der Landwirtschaft wird nicht infrage gestellt, doch die Entwicklung, dass immer mehr Bauern ihren Hof aufgeben, setzt sich fort und ist offenbar nicht zu stoppen. Deshalb sollten im Zuge der GAP-Reform dringend eingehende Überlegungen darüber eingeleitet werden, welche Richtung einzuschlagen ist, um die Landwirtschaft attraktiv und lohnend zu machen. Besonders kritisch ist die Lage in der Tierhaltung. Wenn ein junger Landwirt kein für die Ausübung seines Berufes günstiges Umfeld vorfindet, nützen ihm auch alle spezifischen und gutgemeinten Hilfen für Niederlassung, Ausbildung, Übertragung des Betriebs, Besteuerung usw. nichts.
3. Die Herausforderungen für Junglandwirte in Europa
3.1 Die Landwirtschaft der EU befindet sich im Wandel; für viele geht es um einen Übergang zu einem neuen Agrarmodell. Der landwirtschaftliche Nachwuchs wird vor der Aufgabe stehen, die neuen Herausforderungen anzunehmen und seine bäuerische Tätigkeit an den festgesetzten Zielen auszurichten. Das Ausbleiben stabiler, langfristiger Maßnahmen hat zu einer derartigen Unsicherheit und Instabilität in dem Sektor geführt, dass die Wirtschaftsplanung der Landwirte darunter leidet.
3.2 Die Landwirte sind in einer paradoxen Lage: Sie nehmen mehr Risiken auf sich, tätigen höhere Investitionen, haben höhere Erzeugerkosten, sind besser ausgebildet und erhalten trotz allem für ihre Erzeugnisse niedrigere Preise als je zuvor. Die Debatte über spezifische Instrumente und Maßnahmen für Junglandwirte kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die landwirtschaftliche Tätigkeit in Europa zurückgehen wird, wenn es nicht gelingt, den Bauern eine Mindestrentabilität und einen fairen Preis für ihre Erzeugnisse zu garantieren. Damit die Landwirte von ihrer Arbeit leben können, empfiehlt der EWSA eine Regulierung der Agrarmärkte, die auf der Transparenz der Märkte für Agrarerzeugnisse beruht, wobei der Lebensmittelhandel – u.a. durch die Einrichtung großer Regionen für die landwirtschaftliche Erzeugung und den Handel mit Agrarerzeugnissen – so organisiert wird, dass die Lebensmittelsouveränität gewährleistet bleibt. Da sich die WTO-Regeln nicht für die Landwirtschaft eignen, sollten eigene Instanzen ins Leben gerufen werden, wie sie insbesondere MOMAGRI (Mouvement pour l’Organisation Mondiale de l’Agriculture – Bewegung für eine Weltorganisation für Landwirtschaft) empfiehlt.
3.3 Die Ungleichgewichte in der Lebensmittelkette sind ein gewichtiger Grund, der junge Leute von der Aufnahme einer Tätigkeit in der Landwirtschaft abhält, denn die großen Unterschiede zwischen den Preisen, die der Landwirt erhält, und dem vom Verbraucher gezahlten Endpreis, der Mangel an Transparenz und missbräuchliche Praktiken sind kennzeichnend für die Funktionsweise der Lebensmittelkette (3).
3.4 Die EU hat einen ehrgeizigen Prozess der Handelsliberalisierung mit Ländern des Mittelmeerraums, des Mercosur, Kanada u.a. begonnen. Die Junglandwirte fragen sich, wie eine Erzeugung unter hohen qualitativen, ökologischen und sozialen Standards mit Billigeinfuhren von Erzeugnissen zu vereinbaren ist, die von den Produktionsstandards der EU weit entfernt sind. Dieser Prozess leistet einer Konzentration der Erzeugung in den wettbewerbsfähigsten Gebieten Vorschub und führt dazu, dass ein sehr bedeutsamer Teil der ländlichen Gebiete aufgegeben wird (4).
3.5 Die Reform der GAP bietet eine neue Gelegenheit, die Unterstützung an den Bedürfnissen der Junglandwirte auszurichten und auf die Erbringung landwirtschaftlicher Gemeingüter zu fokussieren. Die Jungen zu unterstützen, heißt nicht, die Alten wegzuschieben. Es geht darum, einen stimmigen Beihilferahmen zu finden, der die Landwirtschaft lebensfähig macht.
3.6 Seit je stehen Niederlassungshilfen im Mittelpunkt der Bemühungen des EU-Gesetzgebers zur Förderung von Junglandwirten. Es ist an der Zeit, neue Wege zu finden, wie die Tätigkeit der Junglandwirte über die erste und die zweite Säule der GAP gefördert werden kann. Die Festlegung von Prioritäten für die Gewährung von Beihilfen muss der Ausgangspunkt des neuen Modells sein.
3.7 Die Behörden müssen energisch darangehen, die Arbeit des Landwirts aufzuwerten und dafür zu werben. Trotz der Flut von EU-Vorschriften für Kennzeichnung, Qualität und Absatzförderung ist eine erhebliche Unkenntnis darüber und ein zunehmendes Desinteresse daran festzustellen, was es bedeutet, gesunde, hochwertige Lebensmittel (5) herzustellen. Die Verbraucher in der EU geben nur knapp 14 % ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. Der EWSA würdigt die sehr wertvolle Arbeit, die die berufsständischen Organisationen der Landwirte auf nationaler und europäischer Ebene bei der Popularisierung und pädagogischen Vermittlung der Arbeit des Landwirts und der entscheidenden Rolle der Lebensmittelerzeugung leisten.
3.8 Das EU-Motto „Vom Hof bis auf den Tisch“, die sog. „Rückverfolgbarkeit“, muss dem Verbraucher schlüssig vermittelt werden. Die Strategie für Qualitätsprodukte ist für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Gesundheit der Verbraucher von großer Bedeutung; deshalb sollte sie wirkungsvoll auf die aus Drittländern in die EU eingeführten Produkte ausgedehnt werden, um unfaire Handelspraktiken zu bekämpfen und zu konterkarieren.
3.9 Das Budget ist immer ein grundlegendes Element jeder Strategie. Dem EWSA ist allerdings klar, dass es für viele der Maßnahmen, die zur Erhaltung einer lebensfähigen Landwirtschaft nötig sind, keine zusätzlichen Mittel geben wird, sondern dass es auf den politischen Willen ankommt, einen Wandel zu vollziehen und eine stimmige, langfristige Strategie zu entwerfen, die die Attraktivität des ländlichen Raums verbessert (6).
4. Handlungsbereiche
Ländliche Entwicklung - Niederlassung
4.1 Seit je ging es in der europäischen Debatte über die Zukunft der Junglandwirte um die Betrachtung der Niederlassungspolitik. Die Statistiken, auch wenn sie wenig umfangreich sind und ein unvollständiges Bild vermitteln, zeigen doch deutlich die Unterschiedlichkeit der Prioritäten und der Intensität der Hilfe für Junglandwirte in Europa. Während Länder wie Frankreich rund 10 % der Mittel zur ländlichen Entwicklung für die Niederlassung von Junglandwirten aufwenden, wird die Niederlassung in anderen Ländern, wie Niederlande, Malta, Irland, Slowakei u.a., aus unterschiedlichen Gründen gar nicht unterstützt. In der gesamten EU sind im Finanzierungszeitraum 2007-2013 rund 3 % der Mittel für ländliche Entwicklung für die Junglandwirte bestimmt. Das Durchschnittsalter derer, die sich in der Landwirtschaft niederlassen, beträgt 28 Jahre. Der EWSA hält es angesichts der strategischen Bedeutung der Niederlassung für die gesamte EU für angebracht, diese Maßnahme als einen obligatorischen Bestandteil in Pläne zur Entwicklung des ländlichen Raums aufzunehmen und einen verbindlichen Mindestbeihilfesatz festzulegen.
4.2 Der EWSA ist der Ansicht, dass die Regelungen der EU zur Unterstützung der Niederlassung vor allem hinsichtlich der Zeiträume flexibel sein müssen, damit sie einen Anreiz für die Aufnahme einer landwirtschaftlichen Tätigkeit bieten. Die Komplexität und der hohe bürokratische Aufwand des Systems wirken hemmend. In einigen Fällen sollten die Mitgliedstaaten verschiedene Niederlassungsprogramme mit unterschiedlicher Laufzeit und folglich auch mit einer differenzierten Finanzierung vorsehen. In vielen Ländern wird den jungen Leuten die Entscheidung, in die Landwirtschaft zu gehen, dadurch schwer gemacht, dass sie sich bei der Niederlassung auf mindestens fünf Jahre verpflichten müssen. Die Niederlassungshilfen müssten gestaffelt sein; so wäre es sinnvoll, bei der Unterstützung zwischen jungen Haupt- und Nebenerwerbslandwirten zu unterscheiden. Überdies sollte die EU in dem neuen Rechtsrahmen nicht nur diejenigen jungen Menschen berücksichtigen, die sich ab 2014 in der Landwirtschaft niederlassen, sondern auch jene, die das vorher getan haben.
Die Rolle der Junglandwirte in der ersten Säule der GAP
4.3 In der laufenden GAP-Reform muss der Lage der Junglandwirte besondere Aufmerksamkeit im Rahmen eines neuen Modells von Direkthilfen gewidmet werden. Die neue Linie der Kommission in der Frage der Direktzahlungen müsste eine vorrangige Unterstützung für junge Landwirte umfassen. Das könnte in der Form geschehen, dass bestimmten vorrangigen Gruppen von Landwirten, darunter den Junglandwirten, ein zusätzlicher Anteil an Beihilfen vorbehalten wird. Eine andere Möglichkeit wäre die Schaffung einer Beihilfe speziell für Junglandwirte. Eine solche Zahlung würde sich nicht nach der Fläche richten, sondern wäre nach Kriterien wie Beschäftigung, Betriebsart oder vorgenommene Investitionen zu modulieren. Der EWSA befürwortet die Überlegungen rund um den Begriff „aktiver Landwirt“ als Empfänger der Beihilfen und meint, dass auch der Begriff „aktive Genossenschaft“ erörtert werden muss.
Die Rolle der Junglandwirte in der zweiten Säule der GAP
4.4 Die zweite Säule der GAP muss genau wie die erste wesentlich dazu beitragen, Junglandwirten Unterstützung und Anreize für ihre Tätigkeit zu bieten.
4.4.1 Durch Maßnahmen der zweiten Säule der GAP können und müssen die Vorbedingungen dafür geschaffen werden, dass Junglandwirte Zugang zu den Maßnahmen erhalten, wenn im Budget die Mittel fehlen, um alle Antragsteller zu berücksichtigen.
4.4.2 Im Rahmen der zweiten Säule müssen die erforderlichen Förderstrukturen für Junglandwirte geschaffen werden, darunter ein Beratungsdienst und ein Betriebshilfsdienst für Tierhalter. Da Tiere tagein, tagaus auf die Pflege und die Arbeit ihres Halters angewiesen sind, müssten in den Mitgliedstaaten entsprechende politische Maßnahmen getroffen und Organisationen geschaffen werden, die die Vertretung des Landwirts bei Krankheit und Urlaub gewährleisten. Das Vorhandensein eines Betriebshilfsdienstes ist ein maßgeblicher Faktor dafür, ob sich ein junger Mensch für die weitere Bewirtschaftung eines Familienbetriebs entscheidet oder nicht. Junge Menschen sind heutzutage nicht mehr bereit, einen Hof zu übernehmen, wenn sie wissen, dass sie dort bis zu ihrem Lebensende 365 Tage im Jahr ohne Urlaub arbeiten müssen. Da es in vielen Mitgliedstaaten bis heute keinen Betriebshilfsdienst gibt, sollten in der zweiten Säule der GAP verbindliche Maßnahmen vorgesehen werden, die die Einstellung eines Betriebshelfers in einem Tierhaltungsbetrieb für die Zeit der Erkrankung des Landwirtes (einschließlich Mutterschaftsurlaub bei Frauen vor und nach der Geburt), für freie Tage und/oder für einen Jahresurlaub ermöglichen.
Ausbildung - neue Technologien
4.5 Die Ausbildung des landwirtschaftlichen Nachwuchses ist ein Kernelement für eine erfolgreiche Tätigkeit in der Landwirtschaft. Während es in einigen Ländern durchaus eine angemessene Ausbildung gibt, bestehen jedoch in anderen himmelweite Unterschiede zwischen der von staatlichen Einrichtungen angebotenen Ausbildung und den realen Erfordernissen der Landwirte. Die Landwirtschaftsverbände müssen in den Prozess der Ausbildung des Nachwuchses eingebunden werden. Es geht darum, den jungen Menschen eine hochwertige Ausbildung durch hoch qualifizierte Lehrkräfte und mit modernen und an den Erfordernissen der Junglandwirte ausgerichteten Lehrplänen zu bieten. Bisweilen sind Lehrgänge nur eine bürokratische Formalität zum Erhalt von Beihilfen und werden nicht ausreichend durch Anreize gefördert. Der daraus resultierende Motivationsmangel ist problematisch, vor allem wenn die Voraussetzungen vorhanden sind, um aus der Ausbildung ein nützliches Werkzeug in den Händen der angehenden Landwirte zu machen. Unbedingt erforderlich ist die praktische Ausrichtung der Ausbildung. Beim dänischen Modell ist es gelungen, die theoretische und die praktische Ausbildung in Betrieben erfolgreich zusammenzuführen. Dort erhält man nach drei Jahren und acht Monaten „det grønne bevis“ („die grüne Bescheinigung“).
4.6 Die EU sollte europäische Bildungsprogramme für Landwirte oder landwirtschaftliche Betriebe unterstützen, die für mindestens ein Jahr junge Absolventen einer in den letzten zwei Jahren abgeschlossenen landwirtschaftlichen Ausbildung aufnehmen. Der Beihilfeempfänger sollte sich dabei verpflichten, einen Ausbildungsplan für den jungen Landwirt aufzustellen. Dieser könnte den Hof gegebenenfalls übernehmen, jedoch schon während der Ausbildung sein Wissen anwenden und innovativere Ansätze in den Betrieb einführen. Kurzum, es geht darum, die Bedürfnisse von Jung und Alt zu befriedigen, die ja häufig einander ergänzen. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, wenn im Rahmen bestimmter Gemeinschaftsprogramme wie Leonardo, dem siebten Forschungsrahmenprogramm, dem Programm „Jugend in Bewegung“ usw. besondere Fördermaßnahmen für Junglandwirte vorgesehen würden. Nach Ansicht des EWSA sollte das Erasmus-Programm für Studenten und Jungunternehmer so angepasst werden, dass auch junge Landwirte daran teilnehmen und ihre Ausbildung in anderen landwirtschaftlichen Betrieben einschl. Tierhaltungsbetrieben in der EU ergänzen können.
4.7 Die Biolandwirtschaft ist eine interessante Alternative für Berufsanfänger, aber nicht die einzige. Die integrierte Erzeugung oder die bodenschonende Landwirtschaft verdienen ebenfalls eine Unterstützung auf europäischer Ebene. Die Ausbildung muss auf neue Erzeugungssysteme ausgerichtet werden, die die Erträge und die nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen verbessern. Auch die Biotechnologie könnte in Europa den Junglandwirten neue Chancen bieten (7).
Einigkeit macht stark
4.8 Die aktive Mitwirkung der Jugend in Landwirtschaftsorganisationen und Genossenschaften ist unentbehrlich, um neue Ideen, Innovation und einen ausgeprägteren Unternehmergeist in diese hineinzutragen. In einer Situation der Nachfragebündelung in der Hand einiger weniger großer Handelsketten muss den Genossenschaften ein neuer Impuls für eine bessere Vermarktung gegeben werden. Der EWSA schlägt darüber hinaus vor, von den Landwirten verwaltete zentrale Verkaufspunkte einzurichten, um gegenüber den mächtigen Einkaufszentralen des Großhandels für ein besseres Kräftegleichgewicht zu sorgen. In dieser Hinsicht wäre die Beteiligung von Junglandwirten an den Leitungsorganen der Genossenschaften und ihre Einbeziehung in die Beschlussfassung unter Nutzung ihrer Ausbildung und ihrer unternehmerischen Weitsicht zu fördern. In der größten landwirtschaftlichen Genossenschaft Frankreichs (Terrena) gibt es mehrere Jugendausschüsse, über die junge Menschen an die komplizierten Strukturen des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens herangeführt und entsprechend ausgebildet werden.
Sonstige Politikbereiche der EU
4.9 Die EU muss die Mittel ihrer einzelnen Politikbereiche dafür einsetzen, erstens das Leben auf dem Lande attraktiv zu machen und zweitens diejenigen Wirtschaftstätigkeiten, die - wie die Landwirtschaft - das sozioökonomische Rückgrat ländlicher Gebiete bilden, in ihrem Bestand zu sichern. Daher sollten Vorhaben der EU in den Bereichen Umweltschutz, Forschung und Unternehmen spezielle Komponenten zur Unterstützung junger Leute im Allgemeinen und junger Landwirte im Besonderen enthalten. Positive Erfahrungen der EU in diesem Bereich sollten wiederaufgegriffen werden, z.B. das Programm für den Austausch von Junglandwirten (PEJA), das dem landwirtschaftlichen Nachwuchs aus allen Teilen Europas eine wertvolle Zeit der Fortbildung in anderen Betrieben der EU ermöglichte, und das Tellus-Programm, das der Europäische Rat der Junglandwirte (CEJA) in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission aufgelegt hat, um Schüler mit der ihnen unbekannten Arbeit des Landwirts vertraut zu machen. Der Generationenwechsel in der Landwirtschaft muss ein sichtbares Ziel der EU sein. Im Hinblick darauf würde die Einrichtung einer europäischen Beobachtungsstelle zur Untersuchung der Lage der jungen Landwirte und ihrer Bedürfnisse eine gute Grundlage für spätere Rechtsvorschriften bilden. Es geht nicht darum, neue bürokratische Gremien zu schaffen, sondern ein Instrument mit klar definierten, konkreten Aufgaben, das nützliche Informationen und statistische Angaben zum Generationswechsel in der europäischen Landwirtschaft untersucht und zur Verfügung stellt.
Nationale Initiativen
4.10 Maßnahmen der EU zur Unterstützung von Junglandwirten müssen von einschlägigen Initiativen flankiert sein, für deren Annahme die Mitgliedstaaten zuständig sind. Die Hauptanliegen der Junglandwirte betreffen die Übernahme von Höfen, den Besitzerwerb und die steuerliche Behandlung. Hier sind dringend wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen, die einen Anreiz zur Aufnahme einer Tätigkeit in der Landwirtschaft bieten. Generell ist jedoch festzustellen, dass in den einzelnen EU-Ländern eine verwickelte Bürokratie besteht, die den Erfolg vieler dieser Maßnahmen hemmt.
4.11 Die Mitgliedstaaten sollten ihre Anstrengungen vor allem darauf richten, den Zugang von Junglandwirten zu Land zu erleichtern und dazu die erforderlichen umfangreichen Investitionen, die eine der großen Hürden bei der Niederlassung bilden, mit abzusichern. Die Initiativen einiger Mitgliedstaaten zeigen bestimmte Handlungsmöglichkeiten auf. So wurde in Frankreich die Gesellschaft SAFER damit beauftragt, die Zusammenlegung von Flurstücken zu Großflächen zu begrenzen und jungen Landwirten den Zugang zu Land zu erleichtern.
Brüssel, den 22. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) ABl. C 36 vom 8.2.2002, S. 29-35, „Neue Wirtschaft, Wissensgesellschaft und ländliche Entwicklung: Perspektiven für Junglandwirte“.
(2) ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 20-23, „Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie der EU“.
(3) ABl C 48 vom 15.2.2011, S. 145-149, „Die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette in Europa verbessern“.
(4) ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 1-9, „Handel und Ernährungssicherheit“.
(5) ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 5-10, „Das gemeinschaftliche Agrarmodell: Produktionsqualität und Verbraucherkommunikation als Elemente der Wettbewerbsfähigkeit“.
(6) ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 63-70, „Die GAP bis 2020: Nahrungsmittel, natürliche Ressourcen und ländliche Gebiete — die künftigen Herausforderungen“.
(7) ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 44-52, „Die EU und das weltweite Nahrungsmittelproblem“.
ANHANG
zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:
Ziffer 3.2
Ändern:
„Die Landwirte sind in einer paradoxen Lage: Sie nehmen mehr Risiken auf sich, tätigen höhere Investitionen, haben höhere Erzeugerkosten, sind besser ausgebildet und erhalten trotz allem für ihre Erzeugnisse niedrigere Preise als je zuvor. Die Debatte über spezifische Instrumente und Maßnahmen für Junglandwirte kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die landwirtschaftliche Tätigkeit in Europa zurückgehen wird, wenn nicht eine Mindestrentabilität und Preis für ihre Erzeugnisse “
Abstimmungsergebnis
|
Ja-Stimmen |
36 |
|
Nein-Stimmen |
66 |
|
Stimmenthaltungen |
27 |
Ziffer 4.7
Ändern:
„Die aktive Mitwirkung der Jugend in Landwirtschaftsorganisationen und Genossenschaften ist unentbehrlich, um neue Ideen, Innovation und einen ausgeprägteren Unternehmergeist in diese hineinzutragen. In einer Situation der Nachfragebündelung in der Hand einiger weniger großer Handelsketten muss den Genossenschaften ein neuer Impuls für eine bessere Vermarktung gegeben werden. In dieser Hinsicht wären die Beteiligung von Junglandwirten an den Leitungsorganen der Genossenschaften und ihre Einbeziehung in die Beschlussfassung unter Nutzung ihrer Ausbildung und ihrer unternehmerischen Weitsicht zu fördern. In der größten landwirtschaftlichen Genossenschaft Frankreichs (Terrena) gibt es mehrere Jugendausschüsse, über die junge Menschen an die komplizierten Strukturen des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens herangeführt und entsprechend ausgebildet werden.“
Abstimmungsergebnis
|
Ja-Stimmen |
47 |
|
Nein-Stimmen |
60 |
|
Stimmenthaltungen |
17 |
|
22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/25 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ländliche Entwicklung und Beschäftigung in den Westbalkanländern“ (Initiativstellungnahme)
2011/C 376/05
Berichterstatter: Cveto STANTIČ
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 19./20. Januar 2011, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Ländliche Entwicklung und Beschäftigung in den Westbalkanländern“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 166 gegen 1 Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Zu den sozioökonomischen Merkmalen der ländlichen Gebiete in der EU und in den Westbalkanländern (1) gibt es nur widersprüchliche und nicht vergleichbare Daten, was zum Teil auf das Fehlen einer einheitlichen Definition des Begriffs ländlicher Raum zurückzuführen ist. Deshalb unterstützt der EWSA die Idee der EU-weiten Vereinheitlichung der Kriterien für die Definition des ländlichen Raums, durch die ländliche Gebiete selbst sowie die für sie eingesetzten Strategien und Maßnahmen besser vergleichbar würden.
1.2 Die ländlichen Gebiete in den Westbalkanländern stehen vor zahlreichen strukturellen und sozioökonomischen Problemen, für die im Rahmen der EU-Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums und der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) Lösungen gefunden werden können. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, dass die Westbalkanländer bei der Gestaltung ihrer Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums und unter Berücksichtigung ihrer besonderen nationalen Probleme und Prioritäten die Erfahrungen der EU auf diesem Gebiet in ihrer Politik zum Tragen bringen.
1.3 Riesige Gebiete in den Westbalkanstaaten leiden nach wie vor unter Entvölkerung und ihre Ressourcen bleiben ungenutzt; während sich die Bevölkerung und Wirtschaftstätigkeit unverhältnismäßig stark in den städtischen Zentren konzentrieren. Diese Entwicklung hat anhaltende negative wirtschaftliche, soziale, raumplanerische und ökologische Folgen. Daher sollten spezielle gebietsbezogene Maßnahmen konzipiert und ergriffen werden, um in diesen Gebieten ein nachhaltiges Wachstum anzustoßen.
1.4 Das Wirtschaftsgefüge im ländlichen Raum der Westbalkanländer ist durch das Vorherrschen der Subsistenz- und Semisubsistenz-Landwirtschaft, eine hohe Arbeitslosigkeit, verdeckte Erwerbslosigkeit und eine schwach ausgeprägte Mobilität der Arbeitskräfte gekennzeichnet. Die einzigen Wettbewerbsvorteile ländlicher Gebiete sind niedrige Lohnkosten und hochwertige natürliche Ressourcen. Eine Entwicklung des Unternehmertums wird durch eine Reihe von Faktoren gebremst: unterentwickelte Infrastruktur, Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, eingeschränkter Zugang zu den Märkten und Krediten, fehlende Investitionsförderung und geringes unternehmerisches Potenzial.
1.5 Die extensive Landwirtschaft ist nach wie vor eine wesentliche wirtschaftliche Triebkraft und einer der wichtigsten Arbeitgeber im ländlichen Raum der Westbalkanländer. Sie braucht allerdings eine Modernisierung und Produktivitätssteigerung, die zum einem Arbeitskräfteüberschuss in der Landwirtschaft führen dürfte. Die Lösung liegt in der Diversifizierung der Wirtschaft im ländlichen Raum, um so das Einkommensrisiko der ländlichen Haushalte zu vermindern.
1.6 Die Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung, die die Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft unterstützen sollen, sind noch unzureichend und stehen nicht im Einklang mit der EU-Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums. Selbst wenn es bestimmte nationale Strategien gibt, wird deren Kontinuität und Umsetzung durch politische Instabilität und häufige Regierungswechsel stark beeinträchtigt. In den meisten Ländern sind Fonds für die ländliche Entwicklung vorhanden, diese sind aber im Vergleich zur EU nur schwach dotiert.
1.7 Die Heranführungshilfe im Bereich Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (IPARD) bleibt die wichtigste Quelle für finanzielle Unterstützung im ländlichen Raum. Den meisten Ländern fällt es schwer, das derzeitige EU-Modell für die ländliche Entwicklung zu übernehmen, da dieses sehr komplex und mit anspruchsvollen Umsetzungsverfahren verbunden ist. Die EU sollte daher die Möglichkeit einer Vereinfachung der IPARD-Verwaltungs- und Kontrollprinzipien und -verfahren erwägen, um eine wirksame Nutzung der verfügbaren Mittel und Maßnahmen zu fördern.
1.8 Eine der größten Schwierigkeiten beim Zugang zu IPARD liegt offenbar in den unzureichenden administrativen und institutionellen Kapazitäten auf nationaler und lokaler Ebene und der geringen Kapazität der potenziellen Begünstigten. Die Regierungen dieser Länder sind aufgefordert, größere Anstrengungen beim Aufbau ihrer Institutionen und Kapazitätsaufbau potenzieller Begünstigter zu unternehmen.
1.9 Der EWSA empfiehlt zudem mehr Flexibilität bei der Verwendung von Heranführungshilfe für die Entwicklung des ländlichen Raums, und zwar insbesondere dadurch, dass beim Zugang zu Beihilfen für die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung nicht mehr zwischen Kandidatenländern und potenziellen Kandidatenländern unterschieden wird. Da sich die Situation von Land zu Land unterscheidet, sollte sich die Beurteilung der Verwaltungs- und Absorptionskapazität stärker nach dem Einzelfall richten.
1.10 Um die Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung auf dem Lande wirksamer bekämpfen zu können, müssen die verschiedenen Maßnahmen und zur Verfügung stehenden Mittel besser miteinander koordiniert werden. Die Regionalpolitik kann eine wichtige zusätzliche Unterstützung für die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums leisten, wenn beide Bereiche richtig miteinander kombiniert und kohärent angewandt werden.
1.11 Es gilt es, vor allem folgende einzelstaatlichen Maßnahmen zu stärken und besser zu koordinieren:
— Maßnahmen zur aktiven Eingliederung: besserer Zugang zu Informationen und Beratung über Sozialleistungen;
— arbeitsmarktpolitische Maßnahmen: eine höhere Beschäftigungsrate und geringere regionale Unterschiede können durch mehr aktive Arbeitsmarktmaßnahmen erreicht werden;
— Schul-, Aus- und Weiterbildung: Bildungsangebote auf allen Ebenen, Bekämpfung von Schulabbruch und Stärkung der Fähigkeiten und Qualifizierung junger Menschen durch maßgeschneiderte Schulungsmaßnahmen, damit die Kompetenzen besser den Arbeitsmarkterfordernissen entsprechen;
— Maßnahmen der ländlichen Entwicklung: den Schwerpunktachsen II und III sollte mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, während es Maßnahmen der Schwerpunktachse I in den meisten Ländern bereits gibt (2).
1.12 Die Zivilgesellschaft spielt auf dem Lande keine wichtige Rolle, was mit mangelnden unternehmerischen und organisatorischen Fähigkeiten, demografischen Problemen und einer im Vergleich zu den Städten gering ausgeprägten sozialen Infrastruktur zusammenhängt. Eine mögliche Lösung liegt in der Vernetzung lokaler zivilgesellschaftlicher Organisationen, um eine kritische Bevölkerungsmasse und Flächendeckung zu erreichen. Das LEADER-Konzept (3) ist in diesem Zusammenhang ein sehr nützliches Instrument für eine bessere Beteiligung der Zivilgesellschaft.
1.13 Um den Lebensstandard zu verbessern und junge Leute auf dem Lande zu halten, braucht es eine diversifizierte ländliche Wirtschaft. Die größten Herausforderungen im Hinblick auf dieses Ziel sind nach wie vor Investitionen in die ländliche Infrastruktur, die Verflechtung einer wissensbasierten Landwirtschaft mit der Lebensmittelindustrie, besseres Humankapital, ein günstiges Umfelds für Unternehmer und bessere sozialen Dienste. Der Agro- und Ökotourismus auf der Grundlage des reichen Kultur-, Geschichts- und Naturerbes bietet ebenfalls beträchtliche Chancen.
2. Einleitung und Hintergrund
2.1 Definition für ländliche Gebiete
2.1.1 Eine Schwierigkeit bei der Behandlung dieses Themas liegt darin, dass es keine einheitliche Definition für ländliche Gebiete auf EU-Ebene gibt. Einzelne Länder arbeiten mit unterschiedlichen offiziellen Definitionen, die nach verschiedenen Kriterien wie Bevölkerungsdichte, landwirtschaftlich geprägte Wirtschaft, Abgelegenheit, mangelnder Zugang zu wichtigen Dienstleistungen usw. bestimmt werden. Für internationale Vergleiche wird oft auf die OECD-Definition des Begriffs „ländlicher Raum“ zurückgegriffen. Vor kurzem passten auch die Westbalkanländer ihre Statistiken an diese Methodologie an.
2.1.2 Aus diesem Grund unterstützt der EWSA eine EU-weite Harmonisierung der Kriterien für Definitionen des Begriffs „ländlicher Raum“. Dies würde eine bessere Vergleichbarkeit und Überwachung der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen und Politiken möglich machen.
2.2 Die Entwicklung des ländlichen Raums in der EU als wichtiger Bestandteil der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und der künftigen GAP-Reform
2.2.1 Angesichts der Tatsache, dass fast 60 % der EU-Bevölkerung in ländlichen Gebieten lebt, die 90 % der Gesamtfläche der EU ausmachen, ist die ländliche Entwicklung ein lebenswichtiger Politikbereich für die EU. Aus den Fördermitteln für die ländliche Entwicklung wird ein breites Spektrum von Maßnahmen finanziert. Das derzeitige EU-Modell basiert auf vier Schwerpunktachsen und lässt den Mitgliedstaaten und den Regionalregierungen genügend Spielraum, um die politischen Strategien auf ihre besonderen Bedürfnisse abzustimmen.
2.2.2 Eine ausgewogene räumliche Entwicklung gehört zu den Hauptzielen der anstehenden GAP-Reform. Der Ausschuss ist in diesem Zusammenhang der Überzeugung, dass eine Ausrichtung der europäischen Agrarpolitik und der EU-Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen, Arbeitsplätze schaffen und zur Einkommensdiversifizierung in ländlichen Gebieten beitragen kann (4).
2.3 Die Bedeutung der Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung für die Volkswirtschaften der Westbalkanländer
2.3.1 Betrachtet man die Größe der ländlichen Gebiete, den in ihnen lebenden Bevölkerungsanteil (5) und die große Bedeutung der Landwirtschaft für die Volkswirtschaften, wird klar, dass auch die Entwicklung des ländlichen Raums zu einem erstrangigen Politikbereich im Westbalkanraum werden muss.
2.3.2 Die ländlichen Gebiete in den Westbalkanstaaten stehen vor einer Reihe besonderer struktureller und sozioökonomischer Herausforderungen wie geringe Einkommensniveaus, fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten, ein sich verschlechterndes Lebensniveau, Landflucht usw., denen mit einer angemessenen Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums ausgehend vom diesbezüglichen komplexen EU-Rahmen erfolgreich begegnet werden kann.
3. Einige gemeinsame Merkmale der ländlichen Gebiete in den Westbalkanländern - Schlüsselfaktoren für ihr Wirtschaftspotenzial
3.1 Der westliche Balkanraum ist außerordentlich reich an Flora und Fauna und gehört damit zu den Gebieten mit der größten biologischen Vielfalt in Europa. In den Westbalkanländern gibt es eine Vielzahl von verschiedenen natürlichen Lebensräumen wie Lagunen und andere meeresnahe Feuchtgebiete, mediterrane Wälder, Bergwiesen und -weiden, Süßwasserfeuchtgebiete und Karst-Landschaften.
3.2 Der Bevölkerungsrückgang, vor allem in abgelegenen und weniger fruchtbaren Gebieten, und die (außer in Albanien und im Kosovo) zu beobachtende Bevölkerungsalterung wirken sich deutlich nachteilig auf den Arbeitsmarkt im ländlichen Raum aus. Eine in allen Ländern dieser Region zu beobachtende Entwicklung ist die Abwanderung aus den ländlichen Gebieten in die Städte und an die Küste sowie ins Ausland. Aufs Land ziehen dagegen vorwiegend Rentner oder Flüchtlinge.
3.3 Durch die ungünstige Bildungsstruktur, ein geringes Qualifikationsniveau sowie mangelnde Kenntnisse und Fähigkeiten der Erwerbstätigen werden die Zukunftschancen für die ländliche Wirtschaft stark beeinträchtigt. Der Arbeitsmarkt ist durch eine sehr geringe Arbeitskräftemobilität gekennzeichnet, die einen Mangel an Beschäftigungsalternativen und anderen Einkommensmöglichkeiten hervorruft.
3.4 Die in den meisten ländlichen Gebieten vorherrschende Erwerbstätigkeit ist die Landwirtschaft auf der Grundlage von Weidewirtschaft, Ackerbau und Viehzucht mit geringer Intensität. Verglichen mit den EU-Mitgliedstaaten gibt es hier sehr hohe Beschäftigungsanteile in der Landwirtschaft.
3.5 Die Haushalte in ländlichen Gebieten, vor allem die mit geringem Einkommen, haben nur begrenzten Zugang zu landwirtschaftlichen Märkten, Arbeitsmärkten und Finanzmärkten und auch nur eingeschränkt Zugang zu Informationen und Wissen. Aus diesem Grund haben sie wesentlich schlechtere Chancen, dem Armutsrisiko zu entgehen.
3.6 Die geringe Diversifizierung der Erwerbstätigkeit und des Einkommens sowie die geringe Beschäftigung in der Privatwirtschaft stellen für die ländlichen Gebiete erhebliche Probleme dar. Wirtschaftliche Dienstleistungen und die soziale Infrastruktur sind schwach und unterentwickelt. Das beeinträchtigt die Lebensqualität der Menschen auf dem Lande sowie die Wettbewerbsfähigkeit und das soziale Gefüge im ländlichen Raum.
4. Landwirtschaft bleibt die wichtigste Triebkraft der ländlichen Wirtschaft in den Westbalkanländern
4.1 Obgleich der Anteil der Landwirtschaft an der Volkswirtschaft seit 2000 zurückgeht, liegt er in den Westbalkanländern sowohl in Bezug auf die Wertschöpfung als auch auf die Beschäftigung weit über dem EU-Durchschnitt.
4.2 Die Landwirtschaft in den meisten Westbalkanstaaten (insbesondere den südlichen) ist nach wie vor vornehmlich durch kleine und zersplitterte private Landbetriebe gekennzeichnet. Die durchschnittliche Betriebsgröße reicht von 1,2 ha in Albanien bis knapp 4 ha in Serbien. Die Entwicklung der Landwirtschaft wird zudem durch folgende Faktoren gehemmt: schwach entwickelte Marktstrukturen, unzureichende Infrastruktur, geringe Erzeugung für den Markt, fehlende Kenntnisse und Kompetenzen und Nichteinhaltung der Lebensmittelsicherheitsvorschriften.
4.3 Die landwirtschaftliche Erzeugung war aufgrund der Übergangsperiode und in manchen Ländern auch aufgrund von Kriegen rückläufig, ist aber seit 2000 wieder gewachsen, was im Wesentlichen auf Investitionen in die Produktionstechnik zurückzuführen ist. Der Gesamtertrag liegt in den meisten Ländern aber noch immer unter dem Niveau der Zeit vor der Übergangsperiode. Ungeachtet einiger Defizite verfügen die meisten Westbalkanländer über ein ziemlich gutes natürliches Potenzial für die Landwirtschaft (relativ kostengünstige Arbeitskräfte, Land und Wasserressourcen sowie gute Klima- und Bodenbedingungen für bestimmte Erzeugnisse wie Tabak, bestimmte Obst- und Gemüsesorten, Wein, Getreide und Fleisch.
4.4 Im nördlichen Teil des Balkans gibt es auch einige hochproduktive Anbaugebiete mit gut integrierten Wirtschaftssystemen (Savebecken, Donaubecken und Pannonische Tiefebene). Dort gibt es günstige Boden- und Klimabedingungen für eine kapitalintensive Landwirtschaft. Zudem verfügt dieses Gebiet über ein gutes Humankapital, ausgeprägtes Unternehmertum, einen ausreichend diversifizierten Industriesektor und eine gut entwickelte Infrastruktur.
5. Die Herausforderung lautet ländliche Entwicklung über die Landwirtschaft hinaus
5.1 Der hohe Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Arbeitskräfte spiegelt sich im Beitrag der Landwirtschaft zum BIP nicht direkt wider. Deshalb muss die ländliche Wirtschaft künftig in der Lage sein, den Überschuss an landwirtschaftlichen Arbeitskräften zu absorbieren und in andere Beschäftigungsalternativen umzulenken.
5.2 Die Ansiedlung von Industriebetrieben im ländlichen Raum hat sich oft als sehr wirksames Instrument zur Schaffung von neuen Beschäftigungsmöglichkeiten und zusätzlichen Einkommensmöglichkeiten erwiesen. Zudem belegen die bisherigen Erfahrungen die positive Wirkung von Betriebsinvestitionen, Modernisierungs-, Bildungs- und Umweltmaßnahmen auf die Beschäftigung und die Verringerung der verdeckten Arbeitslosigkeit in landwirtschaftlichen Betrieben. Zu den Branchen mit großem Wachstumspotential gehören die Verarbeitungsindustrie, Erzeugnisse mit geschützter Ursprungsbezeichnung und Bio-Lebensmittel, Agrotourismus, Handwerk, Holzverarbeitung, Erzeugung von erneuerbarer Energie, ein breites Spektrum von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen usw.
5.3 Für eine schnellere Entwicklung der ländlichen Wirtschaft sind umfangreichere und gezieltere Investitionen in öffentliche Güter und Dienstleistungen erforderlich: bessere Straßen- und Bewässerungsinfrastruktur, ein besseres Unternehmensumfeld und ein effizienter Informations-, Wissens- und Technologietransfer.
6. Agrarpolitik und Politik der ländlichen Entwicklung vor dem Hintergrund des EU-Beitritts
6.1 Alle Länder der Region streben klar einen EU-Beitritt an. Im Hinblick darauf stehen sie alle vor ähnlichen Herausforderungen: Sie müssen ihre hochgradig fragmentierte Land- und Nahrungsmittelwirtschaft umgestalten und modernisieren, um auf dem EU-Markt wettbewerbsfähig sein zu können.
6.2 Den letzten Fortschrittsberichten (6) der Europäischen Kommission zur Landwirtschaft und ländlichen Entwicklung zufolge müssen die meisten Westbalkanländer weitere Anstrengungen unternehmen, um sich stärker an den Acquis im Landwirtschaftsbereich und an die EU-Politik der ländlichen Entwicklung anzupassen.
6.3 Im Vergleich zur EU nehmen sich die nationalen Mittel zur Unterstützung der Landwirtschaft in den Westbalkanländern relativ bescheiden aus. Im ganzen westlichen Balkan kommt eine breite Palette von Maßnahmen und Stützungsinstrumenten zur Anwendung. In den letzten Jahren flossen die Mitteltransfers für die Landwirtschaft hauptsächlich in Direktbeihilfen für die Erzeuger.
6.4 EU-Finanzhilfe
6.4.1 Die Heranführungshilfe für die Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raums erfolgt über IPARD (7) die fünfte Komponente von IPA - dem allgemeinen Heranführungshilfe-Instrument der EU. Nur Länder mit Kandidatenstatus können mit IPARD-Mitteln gefördert werden (Kroatien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Montenegro und die Türkei).
6.4.2 Der EWSA weist auf die besonderen Schwierigkeiten hin, vor denen die Westbalkanländer derzeit bei der Umsetzung der Heranführungshilfe für die Entwicklung des ländlichen Raums stehen. Es ist schwierig, Investitionsmaßnahmen im Rahmen von IPARD einzusetzen, da diese voll ausgebildete lokale Strukturen für die Umsetzung und Kontrolle voraussetzen (Verwaltung und Verantwortung für IPARD sind vollständig dezentralisiert, das heißt die EU-Institutionen führen nur die nachträgliche Kontrolle durch). Dies führt dazu, dass viele Projektanträge abgelehnt werden, und bedingt, dass in der Vorbereitungsphase sowohl vonseiten des Staates als auch des potenziellen Begünstigten erhebliche Investitionen erforderlich sind.
6.4.3 Die IPARD-Verwaltungs- und Kontrollgrundsätze und –verfahren könnten vereinfacht werden, um die Westbalkanländer zu einem besseren Einsatz von Maßnahmen mit direkter Auswirkung auf die ländliche Entwicklung anzuhalten, zum Beispiel von Maßnahmen zur Verbesserung der ländlichen Infrastruktur, zur Diversifizierung der Erwerbstätigkeit und für Schulungen (IPARD-Schwerpunktachse 3).
6.4.4 Einer der Hauptgründe für die schleppende Nutzung von EU-Geldern ist die schwach ausgeprägte Verwaltungskapazität und das Fehlen geeigneter Institutionen auf nationaler und insbesondere auf lokaler Ebene, was die allgemeine Aufnahmefähigkeit für Heranführungsfinanzhilfen insgesamt beeinträchtigt. Der Mangel an geeigneten Grunddienstleistungen (Einholung von Baugenehmigungen, Grundbuchämter, unzulängliche Dienste im Bereich Pflanzenschutz und Tiermedizin usw.) hat ebenfalls zur niedrigen Erfolgsquote bei den letzten Ausschreibungen für Projekte der ländlichen Entwicklung beigetragen.
6.4.5 Einer besseren Nutzung von EU-Fonds steht offenbar auch die geringe Kapazität der potenziellen Begünstigten im Wege. Abhilfe könnte die Entwicklung effizienterer Beratungsdienste schaffen.
6.4.6 Die Situation ist von Land zu Land unterschiedlich und hängt nicht immer mit den Fortschritten auf dem Weg zum EU-Beitritt und/oder dem Status als Kandidatenland zusammen. Aus diesem Grund möchte der EWSA mehr Flexibilität beim Einsatz der Heranführungshilfe für die ländliche Entwicklung empfehlen, insbesondere dadurch, dass beim Zugang zu Beihilfen nicht mehr zwischen Kandidatenländern und potenziellen Kandidatenländern unterschieden wird und die individuelle Beurteilung der Verwaltungs- und Absorptionskapazität der einzelnen Länder mehr Gewicht erhält.
7. Ländliche Arbeitsmärkte in den Westbalkanländern
7.1 Die ländlichen Arbeitsmärkte in den meisten Westbalkanländern weisen folgende gemeinsamen Merkmale auf:
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Bei der Beschäftigung dominieren landwirtschaftliche Arbeitskräfte, während die Anteile der im Dienstleistungssektor Beschäftigten und der Selbstständigen (ohne Landwirtschaft) deutlich unter dem Durchschnitt liegen. |
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Teilzeit- und Saisonarbeit sind für die meisten Menschen in ländlichen Gebieten sehr oft die einzige Einkommensquelle. |
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Ein schlechter Bildungsstand und mangelnde Fähigkeiten und Kenntnisse, oft als Ergebnis der Bevölkerungsalterung und der zunehmenden Zahl von Schulabbrechern. |
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Es fehlen Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft, was zu einer hohen Abhängigkeit von Saisonarbeit und zu verdeckter Arbeitslosigkeit führt. |
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Am stärksten von einer Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt gefährdet sind junge Menschen, Frauen, ältere Menschen, ethnische Minderheiten (Roma) und Kriegsflüchtlinge. Einige der Genannten werden nicht immer als Erwerbslose registriert („verdeckte Arbeitslosigkeit“). |
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Landarbeiter werden selten in die verschiedenen staatlichen Beschäftigungsprogramme einbezogen. Eine verstärkte Förderung und geeignete Beratungsdienste für solche Programme sind nötig. |
8. Strategien und Maßnahmen im Bereich ländliche Entwicklung und Beschäftigung
8.1 Die gegenwärtigen politischen Strategien dieser Länder im Bereich der ländlichen Entwicklung sind vor allem durch folgende Merkmale gekennzeichnet: schwach ausgeprägtes politisches Bewusstsein, geringes Verständnis des EU-Konzepts für die ländliche Entwicklung - kein Gesamtansatz oder Planungsstrukturen, fehlende vertikale und horizontale politische Koordination und mangelnde interministerielle Zusammenarbeit auf dem Gebiet der ländlichen Entwicklung.
8.2 In den nationalen Politikansätzen für die ländliche Entwicklung werden bestimmte Schlüsselprobleme und Entwicklungschancen nicht gebührend berücksichtigt. So fehlt es an Anreizen für biologischen Landbau, genetische Ressourcen, Forstwirtschaft, Tourismus usw. Gleiches gilt für benachteiligte Gebiete und Semisubsistenzbetriebe.
8.3 Die Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums können im Zusammenwirken mit regionalpolitischen Maßnahmen und geeigneten sektorspezifischen operationellen Programmen einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungslage und der sozialen Integration in ländlichen Gebieten leisten. Eine gute Regionalpolitik kann wichtige zusätzliche Unterstützung zur Stärkung ärmerer ländlicher Regionen leisten.
8.4 Im Vergleich zur EU ist die nationale Regionalpolitik in den meisten dieser Länder jedoch noch stärker unterentwickelt als die Politik der ländlichen Entwicklung. Aus diesem Grund sind ein kohärenter Ansatz und eine bessere Koordinierung zwischen den verfügbaren Maßnahmen und Mitteln notwendig, um die verschiedenen Ressourcen (einzelstaatliche Mittel, EU-Fonds und Mittel von anderen Gebern) zusammenzuführen.
8.5 Aufgrund der politischen Instabilität und der häufigen Regierungswechsel mangelt es in den meisten Ländern der Region an Kontinuität bei der Umsetzung der verschiedenen Politiken und Maßnahmen für die ländliche Entwicklung.
9. Die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft bei der ländlichen Entwicklung
9.1 Der EWSA hat in seiner Stellungnahme zum Thema „Zivilgesellschaft/ländliche Gebiete“ (8) eine Reihe von Problemen und Herausforderungen bei der Entwicklung zivilgesellschaftlicher Organisationen in ländlichen Gebieten - vor allem in den neuen Mitgliedstaaten - aufgezeigt. Zu diesen Herausforderungen gehören Hindernisse beim Zugang zu Wissen und Informationen, fehlende unternehmerische Kompetenzen, demografische Probleme und die im Vergleich zu Städten schlechtere Qualität der sozialen Infrastruktur.
9.2 Der Status und die Rolle der Zivilgesellschaft im westlichen Balkanraum und die Herausforderungen für die dortige Zivilgesellschaft wurden in einer Reihe von EWSA-Stellungnahmen behandelt (9). Es gibt zwar einige spezifische Fragen, die einzelne Länder betreffen und in deren Mittelpunkt die Rechtsvorschriften, öffentliche Finanzierung und der Steuerstatus zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie der Entwicklungsstand des zivilgesellschaftlichen und sozialen Dialogs stehen, doch die gesamte Region und insbesondere ihre ländlichen Gebiete stehen gemeinsam vor bestimmten Problemen:
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Es gibt grundsätzlich keine lange Tradition im Hinblick auf die Zivilgesellschaft. |
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Die öffentliche Finanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen ist zumeist unzureichend und nicht besonders transparent. |
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Eine neue EU-finanzierte fachliche Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen in den Westbalkanländern (10) wurde eingeleitet, hat aber noch nicht die angestrebten Ergebnisse gebracht. |
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Grundsätzlich müssen Kapazitäten aufgebaut und spezifische Kenntnisse und Kompetenzen auf verschiedenen Gebieten entwickelt werden. |
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Die Vorteile einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft werden von den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und Behörden im Allgemeinen nicht erkannt. |
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Stadt-Land-Kluft: Die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen konzentrieren sich entweder in der Hauptstadt oder in zwei oder drei anderen Städten, wohingegen es auf dem Land kein Bewusstsein für die Rolle der Zivilgesellschaft und für ihre Tätigkeit gibt. |
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Die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch die Bauernverbände sind zersplittert und machen sich gegenseitig Konkurrenz, statt zusammenzuarbeiten. Deshalb gelingt es ihnen nicht, starke Interessengruppen aufzubauen. |
9.3 Die organisierte Zivilgesellschaft in den ländlichen Gebieten des westlichen Balkanraums umfasst traditionell religiöse Gruppen, Verbände nationaler Minderheiten, Vereinigungen der Feuerwehrmänner, Jäger und Angler, Kultur- und Kunstvereine, Sportvereine, Frauenorganisationen u.ä. Geografisch sind die Organisationen ungleichmäßig verteilt. Die religiösen Gruppen und Verbände ethnischer Minderheiten sind am besten organisiert und vertreten ihre Belange erfolgreich.
9.4 Die Möglichkeit einer aktiveren Beteiligung dieser Organisationen an Programmen zum Schutz und Erhalt des Kulturerbes und zum Umweltschutz wird von den Politikern nicht immer ausreichend anerkannt. Der Einfluss dieser Organisationen auf Entwicklungsinitiativen ist dagegen begrenzt und bleibt auf die engen Grenzen der lokalen Gemeinde (des Dorfes) beschränkt. Eine Vernetzung auf höherer Ebene gibt es nicht.
9.5 Von Gebern finanzierte Projekte haben neue Formen zivilgesellschaftlicher Organisationen hervorgebracht, die hauptsächlich Informationen und Wissen in den Bereichen Beitrittspolitik, Landwirtschaft, Umwelt, Menschenrechte u.ä. vermitteln. Einschnitte bei der Finanzierung durch die Geber haben zur Auflösung vieler dieser Organisationen geführt.
9.6 Die Rolle der Bauernverbände: Während der Übergangsperiode ging das alte Genossenschaftssystem aus sozialistischen Zeiten fast völlig unter. Später wurde bei vielen von Gebern finanzierten Projekten, die hauptsächlich eine Modernisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung anstrebten, der Zusammenschluss von Landwirten gefördert oder sogar zur Bedingung gemacht. Derzeit ist der tatsächliche Einfluss der verschiedenen Bauern- und Erzeugerverbände auf die Maßnahmen der Agrarpolitik und der ländlichen Entwicklung relativ gering. Die meisten von ihnen spielen jedoch eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von Wissen, bei der Beratung und bei der Verkaufsförderung für landwirtschaftliche Erzeugnisse.
9.7 Das LEADER-Konzept (11) für die ländliche Entwicklung zeigt, wie vernetztes Arbeiten und die Förderung des Dialogs auf lokaler Ebene zu einer besseren Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Aufstellung und Umsetzung lokaler Entwicklungsstrategien beitragen können. Dieser von der Basis ausgehende partnerschaftliche Ansatz, der die verschiedenen lokalen Akteure einbezieht, zeitigte in vielen EU-Ländern vielversprechende Ergebnisse und gilt als wertvolles Instrument für die Beschäftigungsförderung im ländlichen Raum.
10. Probleme, die im Hinblick auf eine stärker diversifizierte ländliche Wirtschaft angegangen werden müssen
10.1 Diversifizierte und wissensbasierte Landwirtschaft
10.1.1 Die Intensivierung und die technischen Fortschritte in der Landwirtschaft eröffnen neue Beschäftigungsmöglichkeiten in verschiedenen verwandten Branchen wie Verkehr, Verpackungsindustrie, Lagereinrichtungen, Verkauf und Wartung von Maschinen, Qualitätskontrolle usw.
10.1.2 Eine Diversifizierung innerhalb der Landwirtschaft selbst hin zu Erzeugnissen mit höherer Wertschöpfung (Bio-Produkte, Erzeugung von Qualitätslebensmitteln und hochwertigem Fleisch, Erzeugnisse mit geschützter geografischer Herkunft, nach Hausmacherart verarbeitete Lebensmittel usw.) kann ebenfalls neue Chancen für die künftige Entwicklung und für die Verminderung der versteckten Arbeitslosigkeit bringen.
10.2 Investitionen in ländliche Infrastruktur
Eine gute Infrastruktur, zu der Straßen, Wasser- und Stromversorgung sowie Informations- und Telekommunikationsdienste gehören, kann die Entwicklung landwirtschaftlicher Betriebe und anderer Unternehmen fördern. Zugleich verbessert eine gute Infrastruktur die Mobilität und den Zugang zu sozialen Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit und Bildung und damit den Lebensstandard der Haushalte auf dem Lande.
10.3 Entwicklung des Humankapitals
Besser gebildete und anpassungsfähigere ländliche Arbeitskräfte haben bessere Beschäftigungschancen außerhalb der Landwirtschaft. Dabei kommt es vor allem darauf an, dass die Programme für die berufliche Bildung auf die Erfordernisse der ländlichen Diversifizierungsprogramme abgestimmt werden. Programme für lebenslanges Lernen, Vorabqualifizierung und Stärkung des Wissens und der Kompetenzen im Managementbereich sind besonders wichtig.
10.4 Schaffung eines optimalen wirtschaftlichen Umfelds
10.4.1 Die Förderung des Unternehmertums und die Beschleunigung der Gründung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in ländlichen Gebieten würden ebenfalls zur Diversifizierung der Wirtschaftstätigkeit beitragen und junge Leute vom Abwandern abhalten. Zu den Hindernissen für neue Investitionen und neue Unternehmen gehören unattraktive Steuersysteme, ineffiziente Verfahren für die Registereintragung von Unternehmen sowie die schwache Infrastruktur und der Mangel an gut ausgebildeten jungen Menschen.
10.4.2 Der Zugang zu Krediten, die auf die Bedürfnisse von Landbewohnern zugeschnitten sind, ist nach wie vor ein besonderes Problem. Banken und anderen Finanzeinrichtungen müssen dazu bewegt werden, die Kreditvergabe an die Landwirtschaft zu erleichtern. Wichtig ist dies auch im Hinblick auf die Kofinanzierungsregeln für IPARD-Fonds.
10.5 Aufbau effizienter Beratungsdienste
Beratungsdienste sollten von der fachlichen Beratung für Landwirte zu innovativerem, bedarfsgerechterem Wissens- und Informationstransfer übergehen. Moderne Beratungsdienste sollten auf die Bedürfnisse der breiteren Landbevölkerung (Verbraucher, Unternehmer, Landwirte, Bedürftige usw.) eingehen und ihr dabei helfen, die neuen Grundsätze und Regeln der Politik zu verinnerlichen.
10.6 Wiederbelebung des Genossenschaftswesens durch Verbesserung des institutionellen Rahmens und Stärkung der Humanressourcen sowie Hilfsprogramme
Genossenschaften sind eine traditionelle Organisationsform der ländlichen Gesellschaft und können bei der Entwicklung des Sozialkapitals in ländlichen Gebieten eine wichtige Rolle spielen. Durch sie können Arbeitsplätze und zusätzliche Einkommensquellen entstehen, und die Menschen können über sie aktiv an der Entwicklung ihrer Gemeinschaften teilnehmen.
Der Aufbau sozialwirtschaftlicher Unternehmen kann gleichfalls neue Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen, insbesondere für Frauen und Jugendliche als die am stärksten gefährdeten Gruppen.
10.7 Förderung basisorientierter Ansätze (Leader-Programm)
Es bedarf einer besseren Verknüpfung und Koordinierung zwischen den verschiedenen ländlichen Akteuren sowohl in vertikaler Hinsicht (zwischen den Regierungs- und Verwaltungsbehörden der nationalen, regionalen und kommunalen Ebene) als auch in horizontaler Hinsicht (Unternehmer, Berufsverbände, Landwirte usw.). Bei der Umsetzung lokaler Entwicklungsstrategien sollten die beteiligten Institutionen sich besser abstimmen, und der Entscheidungsprozess sollte von unten nach oben gerichtet sein.
10.8 Tourismus und Agrotourismus
10.8.1 Der Agrotourismus kann eine beträchtliche Entwicklungschance für ländliche Gebiete bieten. Der westliche Balkanraum bietet ein gut erhaltenes natürliches, kulturelles und historisches Erbe sowie hochwertige Lebensmittel und eine relative Nähe zum EU-Tourismusmarkt. Ökotourismus und neue Nachhaltigkeitstrends zur Förderung einer gesunden Umwelt und Lebensweise,(wozu Ökoprodukte und Erzeugnisse aus Biotierhaltung und -landbau wie Rindfleisch, Heilpflanzen, Waldfrüchte, Pilze gehören), stehen sehr gut im Einklang mit dem Kultur- und Naturerbe dieser Region.
10.8.2 Der moderne und aktive Agrotourist verlangt jedoch nach Qualitätsleistungen, gut ausgestatteten Unterkünften und einem vielfältigen Freizeit- und Kulturangebot. Die Entwicklung des Agrotourismus wird noch durch eine Reihe von Hindernissen gehemmt: schwache Infrastruktur, unterentwickelte Vermarktung regionaler Produkte (Souvenirs), niedrige Bettenkapazität und schlechte Qualität der Unterkünfte, schlechte Ausschilderung der Sehenswürdigkeiten, fehlendes Reisezielmanagement usw.
10.9 Grenzüberschreitende Projekte könnten ebenfalls Katalysatoren für eine bessere Nutzung des lokalen Entwicklungspotenzials sein (gemeinsame Straßeninfrastruktur, Energienetze, touristische Einrichtungen, regionale Marken usw.).
10.10 Erneuerbare Energie als potenzielle Beschäftigungs- und Einkommensquelle
Die meisten Anlagen für die Erzeugung erneuerbarer Energie werden ihren Standort in ländlichen Gebieten haben: Energiepflanzenanbau, Biogasanlagen, Erzeugung von Biotreibstoff, Herstellung von Holzpellets/-briketts, Windkraftanlagen usw. Diese Anlagen werden nicht nur gebaut, sondern müssen während ihrer Laufzeit auch unterhalten und gewartet werden und sichern so zusätzliche Arbeitsplätze und Einkommensquellen.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Kosovo (gemäß der Resolution Nr. 1244/1999 des UN-Sicherheitsrates), Montenegro und Serbien.
(2) Achse 1 – Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft, Achse 2 – Verbesserung der Umwelt und der Landschaft, Achse 3 – Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum und Förderung der Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft, Achse 4 – LEADER-Ansatz.
(3) Es handelt sich um eine EU-Programm mit der französischen Abkürzung LEADER (Liaison Entre Actions de Développement de l'Economie Rurale), was Verknüpfung zwischen den Aktionen für die ländliche Entwicklung bedeutet.
(4) EWSA-Stellungnahme NAT/481, Ziffer 3.3.4, „Zukunft der GAP“.
(5) Die Westbalkanländer haben eine Gesamtfläche von 264 462 km2 (was 6 % der Gesamtfläche der EU entspricht). Ihre Bevölkerung beläuft sich auf 26,3 Mio. Einwohner, von denen 50 % in ländlichen Gebieten leben. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte beträgt 89,2 Einwohner pro Quadratkilometer und ist damit deutlich geringer als die der EU (114,4).
(6) Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission, November 2010: http://ec.europa.eu/enlargement/press_corner/key-documents/reports_nov_2010_de.htm.
(7) IPARD: Das Heranführungsinstrument für die Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raums umfasst neun Maßnahmen im Rahmen von drei Prioritätsachsen: 1) Verbesserung der Markteffizienz und Anwendung der Gemeinschaftsstandards, 2) Aktionen zur Vorbereitung auf die Umsetzung von Agrarumweltmaßnahmen und LEADER und 3) Entwicklung der Wirtschaft im ländlichen Raum. Im Zeitraum 2007-2013 werden ca. eine Milliarde Euro bereitgestellt, während sich die Gesamtmittel für das Heranführungsinstrument im gleichen Zeitraum auf über 10 Milliarden EUR belaufen.
(8) Stellungnahme des EWSA Abl. C 175 vom 28.7.2009, S. 37, „Zivilgesellschaft/ländliche Gebiete“.
(9) Stellungnahmen Abl. C 18 vom 19.1.2011, S. 11, Abl. C 317 vom 23.12.2009, S. 15, Abl. C 224 vom 30.8.2008, S. 130, Abl. C 204 vom 9.8.2008, S. 120, Abl. C 27 vom 3.2.2009, S. 140, Abl. C 44 vom 16.2.2008, S. 121.
(10) Fazilität zur Förderung der Zivilgesellschaft.
(11) Es handelt sich um eine EU-Programm mit der französischen Abkürzung LEADER (Liaison Entre Actions de Développement de l'Economie Rurale), was Verknüpfung zwischen den Aktionen zur ländlichen Entwicklung bedeutet.
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/32 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Förderung repräsentativer Zivilgesellschaften in den Euromed-Partnerländern“ (Initiativstellungnahme)
2011/C 376/06
Berichterstatter: Dimitris DIMITRIADIS
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Juni 2011 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Förderung repräsentativer Zivilgesellschaften in den Euromed-Partnerländern“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 163 gegen 6 Stimmen bei 17 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 In den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens sind seit Ende 2010 nach wütenden Volksaufständen, an denen alle gesellschaftlichen Schichten und zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft aktiv beteiligt waren, beispiellose historische Veränderungen des politischen Systems zu verzeichnen.
1.2 Der EWSA bedauert in diesem Zusammenhang zutiefst die Gewalt gegen Protestierende in einigen Ländern des südlichen und östlichen Mittelmeerraums (vor allem Syrien und Libyen) und fordert die europäischen und internationalen Organisationen auf, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, damit den Verstößen gegen die Menschenrechte, einschließlich der gewerkschaftlichen Rechte, ein Ende gesetzt wird.
1.3 Vor den Protestbewegungen in der arabischen Welt fehlten in der europäischen Politik Fantasie und Wissen um die Besonderheiten der Gesellschaften in den Partnerländern, und die lokalen Bräuche, Traditionen und Gewohnheiten wurden nicht berücksichtigt. Die Organe der EU haben die Unterstützung des EWSA und des AdR nicht in Anspruch genommen, obwohl diese beiden Einrichtungen eine hervorragende Möglichkeit für die EU sein könnten, Einfluss auf die lokalen Organisationen der Zivilgesellschaft und die lokalen Gebietskörperschaften zu nehmen.
1.4 Auf die neue Gesellschaft, die sich – wie die Dynamik ihrer Zivilgesellschaft deutlich macht – im Mittelmeerraum herausbilden kann, sollte die EU differenziert, flexibel und intelligent reagieren. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die Überprüfung und Aktualisierung der Europäischen Nachbarschaftspolitik, vor allem das Gewicht, das nunmehr auf die Grundsätze der Konditionalität und der Differenzierung sowie auf Maßnahmen zur Unterstützung der Zivilgesellschaft gelegt wird (1).
1.5 Als größter Geber in der Region muss die EU darauf bestehen, dass Klauseln zum Schutz der demokratischen Freiheiten und der individuellen Rechte in die zwischenstaatlichen Abkommen nicht nur aufgenommen, sondern unbedingt auch eingehalten werden. In der Vergangenheit ließ die EU-Politik in dieser Hinsicht zu wünschen übrig. Darüber hinaus fordert der EWSA, bei der Bewertung der Regierungsführung eines Landes auch vergleichende Analysen des Umgangs mit der Zivilgesellschaft (rechtliche Rahmenbedingungen, Kapazitätsaufbau, Dialog etc.), der Menschenrechte sowie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte durchzuführen.
1.6 Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die Justizorgane in den jeweiligen Ländern zu unterstützen und Schulungs- und Ausbildungsprogramme für Richter und Rechtsanwälte zu entwickeln. Eine transparente Rechtsprechung ist eine Voraussetzung für Demokratie.
1.7 Nach Ansicht des EWSA hat die subregionale Entwicklung sowie die Entwicklung der Süd-Süd-Kooperation mit Unterstützung der EU ganz entscheidende Bedeutung. Er fordert die Kommission deshalb auf, ausgehend von ihren Erfahrungen in europäischen Ländern und in anderen Teilen der Welt unverzüglich entsprechende Schritte einzuleiten und praktische Vorschläge zu unterbreiten.
1.8 Der EWSA spricht sich auch dafür aus, dass die Rolle und die Aufgabe der Union für den Mittelmeerraum (UfM) neu definiert werden. Eine UfM als regionale Institution wird sich nur dann als sinnvoll erweisen, wenn sie – wie ursprünglich beabsichtigt – mit konkreten und transparenten, auf bestimmte Begünstigte/Empfänger zugeschnittenen Programmen ausgestattet wird, bei denen die Zivilgesellschaft vor Ort einbezogen wird, und wenn sie für die Koordinierung der verschiedenen regionalen EU-Politikmaßnahmen und die Finanzierung in Zusammenarbeit mit dem öffentlichen und dem privaten Sektor sowie den Finanzinstituten auf lokaler Ebene zuständig ist. Sie muss ferner über ständige Instrumente für die Beteiligung der Zivilgesellschaft an ihren Initiativen verfügen. Der EWSA fordert, dass unverzüglich Entscheidungen über die Rolle, die Aufgabe, die Organisation und die Finanzierung der UfM getroffen werden.
1.9 Eine entscheidende Rolle bei den Entwicklungen, die zu den historischen Umwälzungen geführt haben, spielten Frauen und Jugendliche, denen es unter Verwendung der modernsten Mittel der sozialen Vernetzung gelungen ist, die Gesellschaften vor Ort wirksam zu mobilisieren. Es ist nun wichtig, diese Dynamik aufrechtzuerhalten und dafür zu sorgen, dass beide Gruppen nicht nur uneingeschränkt ihre politischen, bürgerlichen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte wahrnehmen, sondern auch in allen Bereichen der Gesellschaft voll und ganz teilhaben können.
1.10 Der EWSA fordert, dass EU-finanzierte Projekte effizient sind und dass die EU-Hilfen verbessert werden, damit künftig größere Fortschritte erzielt werden können. Die Komplexität der Finanzierungsverfahren der EU schließt zahlreiche nichtstaatliche Akteure aus, die das größte Potenzial, aber auch den größten Bedarf an Unterstützung haben, denen gegenwärtig aber das nötige Fachwissen für eine Bewerbung um finanzielle Hilfen fehlt. Eines der Ziele der Initiative sollte deshalb darin bestehen, die Organisationen beim Zugang zu EU-Mitteln zu unterstützen, beispielsweise durch Schulungen, die die EU-Delegationen durchführen.
1.11 Der EWSA stimmt der Kommissionspolitik in Fragen der Einwanderung, des Asyls sowie des freien Personenverkehrs grundsätzlich zu, ist jedoch der Auffassung, dass konkrete und entschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des Menschenhandels erforderlich sind. Dazu könnten auch Maßnahmen zur Förderung der regionalen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts in den Partnerländern gehören.
1.12 Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, Solidarität mit den am Mittelmeer gelegenen Mitgliedstaaten zu zeigen, die unter erheblichem Zuwanderungsdruck stehen.
1.13 Der EWSA ist der Auffassung, dass die massive Zuwanderung in die EU-Länder nur eingedämmt werden kann, wenn die Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens praktische Hilfe erfahren, die auf konkreten Programmen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Unterstützung beruht und darauf abzielt, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften auszubauen, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vor Ort sowie die Landwirtschaft zu fördern und die regionale Entwicklung, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Öffnung abgelegener Gebiete voranzutreiben.
1.14 Der EWSA ist ferner der Auffassung, dass die Landwirtschaft – und generell die Entwicklung des ländlichen Raums – einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, in den Volkswirtschaften der südlichen Partnerländer Lösungen für Fragen der lokalen Entwicklung und der Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche herbeizuführen. Dieser Sektor ist auch der Schlüssel für die Bewältigung der Lebensmittelkrise in diesen Ländern und sollte deshalb im Mittelpunkt der Maßnahmen stehen. Im Bereich der erneuerbaren Energieträger steckt erhebliches Potenzial, das mit großem Nutzen für die Beschäftigungsförderung, die soziale Entwicklung und die Eindämmung der Folgen des Klimawandels auf beiden Seiten des Mittelmeers erschlossen werden kann.
1.15 Der EWSA ist der Auffassung, dass der soziale Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Mittelmeerraum ausgebaut werden sollte, und dass seine beiden Gruppen (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) zu diesem Ziel beitragen könnten. Außerdem fordert der EWSA, dass mittels eines Sozialforums ein strukturierter sozialer Dialog gefördert wird. Der EWSA wird weiterhin eng mit der ILO zusammenarbeiten, um den sozialen Dialog in der Region voranzubringen.
1.16 Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, bis 2013 zusätzliche Mittel in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro bereitzustellen, mit denen der dringendste Bedarf in der Region gedeckt werden soll. Zudem fordert er die Kommission auf, die Finanzierung an einen konkreten politischen und gesellschaftlichen Rahmen in den Empfängerländern zu knüpfen, durch den die demokratischen Prinzipien, die politischen und gewerkschaftlichen Freiheiten, die Entwicklung der Bildung und des lebensbegleitenden Lernens, der Schutz der Umwelt und die Ausweitung und Vertiefung der politischen Zusammenarbeit mit den am Mittelmeer gelegenen EU-Mitgliedstaaten gefördert werden.
1.17 Der EWSA betont, dass die Sozialpartner, die Organisationen der Zivilgesellschaft und die Wirtschafts- und Sozialräte der Mitgliedstaaten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten können, wenn es um den Austausch von Erfahrung und Wissen, die Verbreitung von Informationen, den Leistungsvergleich, die Weitergabe von Fachwissen und die Verwaltungsressourcen geht. Der EWSA ist bereit, konkrete Projekte in Angriff zu nehmen, um gemeinsam mit der Kommission und der Hohen Vertreterin/Vizepräsidentin die Zivilgesellschaft zu unterstützen und zu stärken.
1.18 Als Vertreter der europäischen Zivilgesellschaft auf EU-Ebene kann der EWSA durch folgende Maßnahmen einen aktiven Beitrag zu dem neuen europäischen Rahmen für die Zusammenarbeit mit den Gesellschaften im Mittelmeerraum leisten:
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Dokumentation der Lage der Zivilgesellschaft in der Region mittels eines offenen, demokratischen und regelmäßigen Dialogs mit einem breiten Spektrum an Akteuren, |
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Unterstützung bei der Festlegung konkreter Kriterien und Verfahren, nach denen eine Organisation als echte Vertreterin eines Teils der Gesellschaft anerkannt wird, |
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Unterstützungen der Bemühungen um den Kapazitätsaufbau der unabhängigen und repräsentativen Zivilgesellschaft durch sein Fachwissen auf zahlreichen Gebieten wie sozialer Dialog und wirtschaftliche und soziale Rechte, |
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Unterstützung der Wirtschafts- und Sozialräte in den jeweiligen Ländern, indem Fachkenntnisse im Bereich der partizipativen Demokratie bereitgestellt werden, |
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Teilnahme an den Programmen der Kommission zur Stärkung der Organisationen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. |
1.19 Der EWSA hält es für wichtig, mit den EU-Organen zusammenzuarbeiten, um die im Entstehen begriffenen Organisationen der Zivilgesellschaft in den Ländern des südlichen Mittelmeerraums zu unterstützen. Der EWSA wird sein Netz der WSR und vergleichbarer Einrichtungen der Euromed-Staaten anpassen, mit Hilfe dieses Netzes auch weiterhin die regionale Zusammenarbeit voranbringen und dabei an den Grundsätzen der Konditionalität und der Differenzierung festhalten, die in dem geänderten Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik niedergelegt sind.
2. Aus der Vergangenheit lernen
2.1 Kritische Analyse der bisherigen Maßnahmen der Europäischen Union
2.1.1 Das gänzliche Fehlen demokratischer Verhältnisse in den meisten Ländern zwang die EU –nicht immer zu Recht –, ihre Politik aus praktischen Gründen anzupassen und Gesprächspartner zu akzeptieren, die keinesfalls als demokratisch legitimierte Vertreter ihrer Völker bezeichnet werden konnten.
2.1.2 Der EWSA, beschränkt durch die offizielle europäische Politik und die Positionen der anderen EU-Institutionen gegenüber den herrschenden Regierungen in Nordafrika und im Nahen Osten, die politischen und wirtschaftlichen Leitlinien des Prozesses von Barcelona und mit einem sehr begrenzten Budget, vertrat eine pragmatische Position und arbeitete mit Wirtschafts- und Sozialräten und offiziellen Organisationen der Zivilgesellschaft zusammen, die nicht immer ausreichend demokratisch legitimiert waren und die Zivilgesellschaft nicht angemessen vertraten.
2.1.3 Während des gesamten Prozesses von Barcelona hat die EU nur in sehr geringem Maße mit den von den Regierungen nicht anerkannten Organisationen der Zivilgesellschaft kommuniziert und zusammengearbeitet und damit die Gelegenheit versäumt, die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu beeinflussen. Dennoch ist die EU nach wie vor die einzige Großmacht, in die die lokalen Gesellschaften ihre Hoffnungen setzen, wenn es um die Durchsetzung des Friedens, die Schaffung und Stärkung demokratischer Freiheiten und die Unterstützung der Wirtschaft vor Ort geht.
2.1.4 Vor den Protestbewegungen in der arabischen Welt waren die Auffassungen der Politiker in den Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf die Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens zwar pragmatisch, aber auch geteilt und uneinheitlich, was dazu führte, dass sie die entscheidenden Prozesse, die sich auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene vollzogen, nicht wahrnahmen und von der Tiefe und dem Ausmaß der Ereignisse, die zu den unvorhergesehenen Veränderungen führten, vollkommen überrascht waren.
2.1.5 Nach diesen Veränderungen muss die EU das Gespräch mit den lokalen Gemeinschaften aufnehmen, aus der Vergangenheit lernen, die örtlichen Sitten, Gebräuche und Traditionen kennenlernen, die Kultur jeder Gesellschaft (die sich von Land zu Land erheblich unterscheidet) verstehen und zusammenarbeiten, um die Regierungen zu unterstützen, die aus echten und freien demokratischen Verfahren hervorgehen werden.
3. Aktuelle Lage und Ausblick
3.1 Der EWSA ist der Auffassung, dass eine Reihe von Problemen – Missstände in den lokalen Gemeinschaften, die sich seit Jahren zugespitzt haben – dringend gelöst werden müssen. Dazu gehören die Verwendung von Produktionsinfrastruktur (Produktionsmitteln) in Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens durch Gruppen, die in den alten Regimes bestimmte Interessen vertraten und Kontakte pflegten, aber nicht demokratisch legitimiert waren, die ungleiche und ungerechte Verteilung von Reichtum und Wohlstand, die Explosion der Preise für Grundnahrungsmittel, die für die gewöhnlichen Menschen letztlich nicht mehr erschwinglich sind, der notwendige Schutz der individuellen, sozialen und gewerkschaftlichen Rechte und der Bedarf an wirtschaftlicher und sozialer Wohlfahrt und Bildung.
3.2 Die gegenwärtige politische Lage in den meisten Mittelmeerländern Nordafrikas und des Nahen Ostens ist gekennzeichnet durch:
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i. |
die Hoffnung auf die Errichtung freier und demokratischer Staaten; |
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ii. |
die Notwendigkeit der Unterstützung zur Wiederankurbelung der Volkswirtschaften; |
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iii. |
erste Anzeichen, dass freie Organisationen der Zivilgesellschaft und des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, sowohl bereits existierende als auch neu gegründete, tätig sind; |
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iv. |
den Bedarf an koordinierter und gut organisierter internationaler Unterstützung, sowohl durch die EU (die nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon über die erforderlichen Instrumente für eine gemeinsame Außenpolitik verfügt), die Hohe Vertreterin und Vizepräsidentin der Kommission und den Europäischen Auswärtigen Dienst als auch durch andere internationale Organisationen (UNO, ILO, IWF, EIB usw.). Hier wären Kontakte zu den Forschungseinrichtungen, die sich auf die Partnerländer des Mittelmeerraums spezialisiert haben (z.B. IPEMED, FEMISE), äußerst sinnvoll. |
Nach Auffassung des EWSA muss die EU mit sprechen.
3.3 Fragen, die den gesamten südlichen Mittelmeerraum betreffen, sind die Notwendigkeit der Schaffung und Verankerung der Demokratie, der Beschleunigung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts sowie von Ausbildung und Arbeitsplätzen für die junge Generation.
3.4 Die meisten Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens stehen vor der Herausforderung, dass ihre Bevölkerung hauptsächlich aus jungen Menschen besteht, was auch bedeutet, dass rasch eine Perspektive für diesen besonders produktiven Teil der Gesellschaft gefunden werden muss, indem Arbeitsplätze geschaffen werden. Dazu sollten angemessene Programme für die allgemeine und berufliche Bildung gefördert werden, und gleichzeitig sind die bürgerlichen Rechte und die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern.
3.5 Demokratische Werte und Verfahren können nur dann Wurzeln schlagen, wenn die Grundsätze einer repräsentativen Demokratie angenommen werden, die auf freien Wahlen und unabhängigen politischen Parteien beruht, und wenn die Organisationen der Zivilgesellschaft und des wirtschaftlichen und sozialen Lebens unterstützt und gefördert werden und in Sicherheit, Freiheit und Unabhängigkeit tätig sein können.
3.6 Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, Solidarität mit den am Mittelmeer gelegenen Mitgliedstaaten zu zeigen, die unter erheblichem Zuwanderungsdruck stehen, und zwar durch:
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a) |
Zusammenarbeit mit FRONTEX, |
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b) |
besondere wirtschaftliche Maßnahmen und Flankierung dieser Maßnahmen, |
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c) |
Unterstützung der Partnerländer in der Region bei der Linderung menschlichen Leids in bestimmten Ländern oder Gebieten. |
3.7 Der EWSA begrüßt die Ernennung des spanischen Diplomaten Bernardino León Gross zum Sonderbeauftragten der EU für den südlichen Mittelmeerraum durch den Ministerrat der EU, die als Reaktion auf die Ereignisse im Zusammenhang mit den Protestbewegungen in der arabischen Welt erfolgte. Seine Ernennung ist ein deutliches Signal, dass die EU in der Region weiterhin aktiv präsent sein will. Der EWSA fordert den Sonderbeauftragten auf, eng mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, die eine ausschlaggebende Rolle in der Region spielt, und dazu alle verfügbaren Kanäle der EU zu nutzen.
4. Neue europäische Nachbarschaftspolitik
4.1 Der EWSA begrüßt die beiden Gemeinsamen Erklärungen der Kommission und des EAD (2), in denen eine Bewertung der bisherigen Fortschritte bei den Beziehungen zwischen Europa und dem Mittelmeerraum vorgenommen wird und die Chancen und Perspektiven nach den Protestbewegungen in der arabischen Welt erstmalig ausgelotet werden. In diesem Zusammenhang weist der EWSA insbesondere auf folgende Aspekte hin:
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4.1.1 |
Die EU darf den Ereignissen auf keinen Fall weiter tatenlos zusehen. |
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4.1.2 |
Der EWSA hat die Gemeinsamen Mitteilungen der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin eingehend geprüft und billigt alle darin vorgeschlagenen Entwicklungsmaßnahmen, weist aber auch darauf hin, dass die EU nach der Einleitung des Prozesses von Barcelona 1995 viel Zeit verstreichen ließ, bevor sie diese Maßnahmen bewertet und neu geplant hat. |
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4.1.3 |
Die EU sollte die neue „Partnerschaft für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand“ im Mittelmeerraum unverzüglich umsetzen. |
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4.1.4 |
Im Rahmen einer neuen Partnerschaft ist für jedes Land ein differenzierter Ansatz zu entwickeln, der auf die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zugeschnitten ist. Weiter fortgeschrittene Länder müssen die Möglichkeit haben, mehr Finanzmittel zu erhalten und ihre politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU stärker zu vertiefen. Die Beziehungen zu allen Ländern müssen auf einer Reihe konkreter Prinzipien (Demokratie, Schutz der Rechte des Individuums usw.) und auf konkreten Anreizen in Verbindung mit bestimmten politischen Zielen (Bekämpfung der Korruption, Unabhängigkeit der Justiz und der Massenmedien usw.) beruhen. Ferner müssen konkrete Sicherheitsmechanismen geschaffen werden, damit die Finanzhilfen gegebenenfalls verringert oder ausgesetzt werden können, wenn Verpflichtungen oder Fristen nicht eingehalten werden. |
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4.1.5 |
Die Durchführung freier und fairer Wahlen ist eine unverhandelbare Voraussetzung für die Einrichtung einer Partnerschaft. |
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4.1.6 |
Die Unterstützung der organisierten Zivilgesellschaft ausgehend von der Basis ist grundlegende Bedingung für die Unterstützung der neuen demokratischen Regierungen und die Gewährleistung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte, den Schutz der Umwelt und die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Der EWSA ist bereit, die Erfahrungen, die er bei seiner Arbeit in aller Welt gewonnen hat, sowie die Fachkenntnisse seiner Mitglieder in Zusammenarbeit mit der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Ausschuss der Regionen in Form konkreter Unterstützungsmaßnahmen einzubringen. |
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4.1.7 |
Jugendliche und Frauen haben bei den Protestbewegungen in der arabischen Welt eine wichtige Rolle gespielt, deshalb ist es besonders wichtig, ihre Rechte zu gewährleisten und ihre Position in den neuen demokratischen Gesellschaften zu stärken. Der EWSA fordert deshalb alle Partnerländer des Mittelmeerraums auf, das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zu ratifizieren. |
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4.1.8 |
Der freie gesellschaftliche Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird von besonders großer Bedeutung für die Vertiefung der Demokratie und die Wahrung der Rechte der Gewerkschaften sein, denn er ist die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen und sozialen Stabilität. |
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4.1.9 |
Die Bekämpfung der Korruption, eine verantwortungsvolle Staatsführung und die Errichtung einer effizienten öffentlichen Verwaltung sind wichtige und notwendige Bedingungen, um wirtschaftlichen Wohlstand zu gewährleisten und die unbedingt erforderlichen ausländischen Direktinvestitionen anzuziehen, die der Stützung der demokratischen Regierungen dienen und Arbeitsplätze schaffen. |
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4.1.10 |
Die Einrichtung von Mobilitäts- und Infrastrukturpartnerschaften in den Ländern des Mittelmeerraums in den Bereichen Grenzkontrolle, Migration und Asyl wird die Sicherheit in der Region verbessern. |
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4.1.11 |
Die Gründung von KMU in den Ländern des Mittelmeerraums ist eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen in einem vernünftigen ordnungspolitischen Umfeld und unter günstigen Finanzierungsbedingungen. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Investitions- und Partnerschaftsfazilität Europa-Mittelmeer (FEMIP) sowie dem Europäischen Investitionsfonds zu. |
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4.1.12 |
Eines der dringendsten gesellschaftlichen Probleme in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens ist der Analphabetismus, zu dessen Beseitigung besondere Anstrengungen unternommen werden müssen. Die Europäische Union kann und muss in diesem Punkt, wie auch bei der Schulung von Unternehmern und Qualifizierungsmaßnahmen Unterstützung leisten. |
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4.1.13 |
Der EWSA unterstützt die Einrichtung eines Europäischen Fonds für Demokratie, der das Ziel hat, die Demokratisierung in den Ländern des südlichen Mittelmeerraums durch gezielte Maßnahmen zu fördern, und zwar durch die Unterstützung der Gründung von Parteien und freien Massenmedien und vor allem durch die Stärkung der Zivilgesellschaft (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, regierungsunabhängige Organisationen, Bauern, Frauenverbände und Organisationen der Sozialpartner). Der EWSA ist ausgehend von seinen Erfahrungen der Auffassung, dass ein besonderes Verfahren zur Unterstützung der Zivilgesellschaft, beispielsweise die vorgeschlagene ENPI-Fazilität für die Zivilgesellschaft, erforderlich ist, und fordert, die Mittel für diese Fazilität aufzustocken. Der EWSA ist uneingeschränkt bereit, in Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Institutionen an dieser Fazilität mitzuwirken und sein Fachwissen einzubringen. Ferner fordert der EWSA die Kommission auf, den besonderen Beitrag anzuerkennen, den die Organisationen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens im Rahmen des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI) leisten können, vor allem mit Blick auf die zu schaffende Fazilität für die Zivilgesellschaft. |
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4.1.14 |
Der EWSA stimmt mit den EU-Organen überein, dass im Mittelmeerraum auf Grund des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern seit vielen Jahren Spannungen herrschen, die jeden Versuch eines Dialogs oder gemeinsamer Aktionen behindern, und er fordert die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin auf, ihre intensiven Bemühungen um eine allseits akzeptierte Lösung fortzusetzen. Die EU muss in dieser äußerst sensiblen Angelegenheit mit einer Stimme sprechen. |
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4.1.15 |
Der EWSA unterstützt die Position der Kommission im Hinblick auf Visaerleichterungen für ausgewählte Partner aus dem Mittelmeerraum und eine Liberalisierung der Visabestimmungen zu gegebener Zeit für die Länder, die sich in der Lage sehen, in Fragen der Mobilität, des Asyls, der Rückkehr in die Herkunftsländer und der Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des Menschenhandels enger mit der EU zusammenzuarbeiten. |
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4.1.16 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Achtung der religiösen wie auch der bürgerlichen Freiheiten ein grundlegendes Menschenrecht ist, das in einer Region mit Angehörigen zahlreicher verschiedener Glaubensrichtungen und politischer Überzeugungen uneingeschränkt geschützt werden muss. Diejenigen Länder, die die geltenden, auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beruhenden internationalen und regionalen Übereinkommen und Abkommen über die politischen, bürgerlichen und kulturellen Freiheiten und die wirtschaftlichen und sozialen Rechte noch nicht ratifiziert haben, fordert der EWSA auf, dies unverzüglich zu tun. |
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4.1.17 |
Die Medien in den Partnerländern des Mittelmeerraums sind von ausschlaggebender Bedeutung für die Vermittlung und Bekanntmachung der derzeitigen Veränderungen. Die EU muss insbesondere Initiativen unterstützen, mit deren Hilfe die bestehenden Medien professioneller und unabhängiger werden und ein Umfeld geschaffen wird, in dem vielfältige und freie Medien gedeihen können. |
5. Stärkung der Zusammenarbeit der EU mit der Zivilgesellschaft des Mittelmeerraums
5.1 Nach den Protestbewegungen in der arabischen Welt räumten alle EU-Institutionen – überrascht von den Entwicklungen und ohne jedes Alternativkonzept, wie, abgesehen von humanitärer Hilfe, unmittelbar zu reagieren sei – ein, dass die EU künftig ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf die Organisationen der Zivilgesellschaft und andere unabhängige Organisationen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens richten muss.
5.2 Bereits die beiden Mitteilungen der Kommission und der Hohen Vertreterin/Vizepräsidentin enthalten Kapitel mit konkreten Maßnahmen zur Unterstützung der Zivilgesellschaft im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik und der UfM.
6. Die Rolle der Kommission
6.1 Die Länder des südlichen Mittelmeerraums müssen bei der Einrichtung und Festigung von Mechanismen unterstützt werden, damit die Zivilgesellschaft und die Organisationen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens vernünftig organisiert sind und reibungslos funktionieren können (Gesetzgebung, Festlegung von Regeln für ihre Tätigkeit, Stärkung der Institutionen, Erfordernis eines offenen und die ganze Gesellschaft umfassenden demokratischen Dialogs usw.).
6.2 Die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten ist von ausschlaggebender Bedeutung, und es ist notwendig, Rolle und Aufgaben der UfM (3) neu zu bestimmen und für eine aktive Mitwirkung der anerkannten Organisationen der Zivilgesellschaft an den Programmen der UfM zu sorgen.
7. Konkrete Rolle des EWSA
7.1 Als Vertreter der europäischen Zivilgesellschaft kann der EWSA durch folgende Maßnahmen einen aktiven Beitrag zu dem neuen europäischen Rahmen für die Zusammenarbeit mit den Gesellschaften im Mittelmeerraum leisten:
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Dokumentation der Lage der Zivilgesellschaft in den Ländern des südlichen Mittelmeerraums mittels eines offenen, demokratischen und regelmäßigen Dialogs mit einem breiten Spektrum an Akteuren, |
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Unterstützung bei der Festlegung konkreter Kriterien und Verfahren, nach denen eine Organisation als tatsächliche, demokratisch und unabhängig funktionierende Vertreterin eines Bereichs einer Gesellschaft anerkannt wird, die mit anderen Institutionen zusammenarbeitet, |
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Unterstützung der Bemühungen um den Kapazitätsaufbau der unabhängigen und repräsentativen Zivilgesellschaft durch sein Fachwissen in Bereichen wie sozialer Dialog, wirtschaftliche und soziale Rechte, berufliche Bildung, verantwortungsvolle Staatsführung, Gleichheit auf dem Arbeitsmarkt, nachhaltige Entwicklung, sozialer Zusammenhalt, Verbraucherschutz, Genossenschaften, KMU, Fähigkeit zur Interessenvertretung, Migration, ländliche Entwicklung und Frauenrechte, |
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Unterstützung der Wirtschafts- und Sozialräte in den jeweiligen Ländern, indem Fachkenntnisse im Bereich der partizipativen Demokratie bereitgestellt werden, |
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Teilnahme an den Programmen der Kommission zur Stärkung der Organisationen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. |
7.2 Der EWSA ist der Auffassung, dass der soziale Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Mittelmeerraum ausgebaut werden sollte und dass seine beiden Gruppen (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) dazu beitragen könnten, indem sie ein Kommunikationsnetz mit den einschlägigen Interessenträgern aufbauen. Außerdem fordert der EWSA, dass mittels eines Sozialforums ein strukturierter sozialer Dialog gefördert wird.
7.3 Der EWSA hält es für wichtig, mit den EU-Organen zusammenzuarbeiten, um die im Entstehen begriffenen Organisationen der Zivilgesellschaft in den Ländern des südlichen Mittelmeerraums zu unterstützen, insbesondere jene, die unmittelbar an den Protestbewegungen zu Beginn der Revolutionen beteiligt waren, damit diese die politische Anerkennung und die finanzielle Unterstützung erhalten, die sie benötigen, um weiter einen Beitrag zur Demokratisierung leisten zu können.
7.4 Der EWSA hat bereits damit begonnen, eine Reihe von Reisen in Länder des südlichen Mittelmeerraums (Tunesien und Marokko) zu organisieren, und bereitet derzeit ein Symposion mit regierungsunabhängigen Organisationen aus den Euromed-Partnerländern (September 2011) sowie sein jährliches Gipfeltreffen mit breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft (November 2011, Istanbul) vor. Er hat in seinen Stellungnahmen und Entschließungen zur Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Mittelmeerraum Empfehlungen formuliert (4) und solche auch in seiner Schlusserklärung des Euromed-Gipfels der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbaren Einrichtungen ausgesprochen, der 2010 in Rom stattfand. Die Erklärung enthält eine Reihe von Empfehlungen zu aktuellen Themen mit Relevanz für die Zivilgesellschaft im Europa-Mittelmeerraum, wie etwa die Schaffung einer Versammlung der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbarer Einrichtungen im Rahmen des institutionellen Gefüges der Union für den Mittelmeerraum. Außerdem standen Themen wie menschenwürdige Arbeit, nachhaltige Entwicklung im Mittelmeerraum, Berufsbildung als Motor für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, die Schaffung einer gerechteren Gesellschaft im Europa-Mittelmeerraum sowie die Agrarpolitik in den UfM-Ländern auf der Tagesordnung. Der EWSA arbeitet auch eng mit den nationalen Wirtschafts- und Sozialräten der EU-Mitgliedstaaten im Mittelmeerraum zusammen.
7.5 Der EWSA wird sein Netz der WSR und vergleichbarer Einrichtungen der Euromed-Staaten anpassen und mit Hilfe dieses Netzes, das dem Austausch zwischen den zivilgesellschaftlichen Partnern in Nord und Süd dienen kann, auch weiterhin die regionale Zusammenarbeit voranbringen.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Gemeinsame Mitteilung an den Europäischen Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: eine Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand (KOM(2011) 200 endg., vom 8.3.2011) und Gemeinsame Mitteilung an den Europäischen Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue Antwort auf eine Nachbarschaft im Wandel (KOM(2011) 303 endg., vom 25.5.2011).
(2) Siehe Fußnote 1 oben.
(3) Siehe Entschließung des Ausschusses der Regionen vom 12. Mai 2011„Nach den Revolutionen: Welche Zukunft für den Mittelmeerraum?“ (ABl. C 192 vom 1.7.2011, SS. 1–3).
(4) Entschließung des EWSA zur Situation in den südlichen Mittelmeerländern, (Abl. C 132 vom 3.5.2011, S. 1-2) Stellungnahme zum Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte (IDHR), (Abl. C 182 vom 4.8.2009, S. 13-18); Stellungnahme zur Vereinigungsfreiheit in Mittelmeer-Partnerländern, (Abl. C 211 vom 19.8.2008, S. 77-81).
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/38 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Einheitlicher europäischer Luftraum II“ (Initiativstellungnahme)
2011/C 376/07
Berichterstatter: Jacek KRAWCZYK
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 20. Januar 2011 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Einheitlicher europäischer Luftraum II“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. Juni 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 152 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Seit Jahrzehnten krankt das europäische Flugverkehrsmanagementsystem (ATM-System) an Fragmentierung und Schwachstellen. Durch die Errichtung eines einheitlichen europäischen Luftraums kann die Sicherheit erhöht und die Flugeffizienz verbessert werden. Auf diese Weise würden die CO2-Emissionen pro Flug drastisch gesenkt (mögliche Reduzierung der flugverkehrsbedingten CO2-Emissionen um 12 % pro Flug) und weitere Umweltauswirkungen großteils abgefedert. Gleichzeitig würden erhebliche Kosteneinsparungen ermöglicht.
1.2 Die Einrichtung eines einheitlichen europäischen Luftraums ist auch für die Gewährleistung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Luftfahrtindustrie auf dem Weltmarkt von grundlegender Bedeutung. Die Europäische Kommission muss bei der Umsetzung des zweiten Maßnahmenpakets für den einheitlichen europäischen Luftraum eine Schlüsselrolle übernehmen, denn nur mittels einer starken und unbestrittenen Führungsrolle seitens der Europäischen Kommission können die verschiedenen Hindernisse und politischen Probleme der letzten Jahre überwunden werden.
1.3 Die erfolgreiche Umsetzung eines Leistungssystems auf der Grundlage realistischer, aber ehrgeiziger Ziele für die Bereiche Sicherheit, Kosteneffizienz, Kapazität/Verspätungen und Flugeffizienz ist ein entscheidender Faktor für die Errichtung des einheitlichen europäischen Luftraums. Der Ausschuss zeigt sich besorgt, dass das aktuelle Engagement der Mitgliedstaaten für die Errichtung eines einheitlichen europäischen Luftraums unzureichend ist.
1.4 Es gilt, funktionale Luftraumblöcke ausgehend von Betriebserfordernissen und unter Berücksichtigung der Ziele in Bezug auf Sicherheit, Luftraumkapazität, bessere Kosteneffizienz und geringere Umweltauswirkungen durch erhöhte Flugeffizienz zu entwickeln. Die Europäische Kommission sollte die Leistungsindikatoren festlegen, die von den verschiedenen Initiativen für funktionale Luftraumblöcke unter Nutzung des Leistungsrahmens des zweiten Maßnahmenpakets für den einheitlichen europäischen Luftraum erreicht werden müssen, und ihre Umsetzung genau überwachen.
1.5 Nach Ansicht des Ausschusses könnte Eurocontrol bei der Stärkung der Netzfunktionen des europäischen Flugverkehrsmanagementsystems wie der Auslegung des europäischen Streckennetzes, dem zentralen Verkehrsflussmanagement und der Verwaltung knapper Ressourcen eine Rolle spielen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese in EU-Vorschriften geregelt ist und die Reform von Eurocontrol erfolgreich abgeschlossen wurde. Außerdem muss zunächst eine weitere Rationalisierung der Betriebskosten von Eurocontrol vorgenommen werden. Der Ausschuss begrüßt die Entscheidung der Europäischen Kommission, Eurocontrol zum europäischen Netzverwalter zu ernennen.
1.6 Nach Meinung des Ausschusses sollten Sicherheits- und Leistungsziele und die Interoperabilität mit ATM-Systemen von Drittstaaten (wie der US-amerikanischen NextGen-Initiative) die Triebfeder für die Durchführung des Forschungsprogramms für das Flugverkehrsmanagement im einheitlichen europäischen Luftraum (SESAR) bleiben. Daher müssen folgende Herausforderungen in Verbindung mit der Errichtungsphase von SESAR angegangen werden:
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Gewährleistung der synchronisierten Einführung der Verbesserungen in Luft- und Bodeninfrastruktur; |
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Sicherstellung der rechtzeitigen Bereitstellung angemessener Finanzmittel für die Errichtung von SESAR; |
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Festlegung der richtigen Governance für die Errichtung von SESAR. |
1.7 Sicherheit geht über reine Sicherheitsvorschriften hinaus und umfasst u.a. menschliche Fähigkeiten, eine Sicherheitskultur, Kompetenzen und Schulung sowie Team-Ressource-Management. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass
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die menschliche Leistung bei der proaktiven Vorbeugung von Sicherheitsrisiken berücksichtigt wird; |
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ein angemessenes Kompetenz- und Schulungsniveau für alle Arbeitnehmer gewährleistet ist; |
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die Einbindung der Sozialpartner in die Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums auf allen Ebenen gefördert wird und |
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eine gute Sicherheitskultur aufgebaut wird, in der offener Informationsfluss und „Just Culture“ als Grundlage für die Sicherheitsleistung dienen. |
1.8 Der Ausschuss hält fest, dass mit dem zweiten Maßnahmenpaket für den einheitlichen europäischen Luftraum der Umfang des EASA-Systems auf Sicherheitsvorschriften für das Flugverkehrsmanagement auf EU-Ebene ausgeweitet wurde, wodurch ein integrierter Ansatz für die ATM-Sicherheitsvorschriften und -Aufsicht in der EU im Rahmen eines Konzept „von Flugsteig zu Flugsteig“ sichergestellt wird.
2. Einleitung
2.1 Durch die Errichtung eines einheitlichen europäischen Luftraums kann die Sicherheit erhöht und die Flugeffizienz verbessert werden. Auf diese Weise würden die CO2-Emissionen pro Flug drastisch gesenkt (mögliche Reduzierung der flugverkehrsbedingten CO2-Emissionen um 12 % pro Flug) und weitere Umweltauswirkungen großteils abgefedert. Gleichzeitig würden erhebliche Kosteneinsparungen ermöglicht.
2.2 Die Errichtung eines einheitlichen europäischen Luftraums ist auch für die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Luftfahrtindustrie auf dem Weltmarkt von grundlegender Bedeutung. Außerdem wird das derzeitige Flugverkehrsmanagementsystem der prognostizierten Luftverkehrsnachfrage bis 2030 nicht mehr gewachsen sein (laut den aktuellsten Eurocontrol-Langzeitprognosen wird der Flugverkehr bis 2030 um 16,9 Mio. Flüge zunehmen. Dies bedeutet eine Steigerung des derzeitigen Verkehrsaufkommens um das 1,8-fache).
2.3 Das ursprüngliche Maßnahmenpaket „Einheitlicher europäischer Luftraum I“ trat 2004 in Kraft. Das Hauptproblem im Flugverkehrsmanagement war damals die Überlastung des Luftraums in Verbindung mit den dadurch verursachten Verspätungen. Daher standen dieser Aspekt sowie Sicherheitsfragen im Mittelpunkt des ersten Maßnahmenpakets.
2.4 In den letzten Jahren hat sich die Situation des Flugverkehrsmanagementsystem jedoch etwas verändert: Sicherheit und Kapazität sind zwar nach wie vor wichtige Ziele, doch spielen nun auch verstärkt andere Aspekte wie Umwelt (Flugeffizienz) und Kosteneffizienz hinein. Darüber hinaus wurde der legislative Ansatz aufgrund von Forderungen von Mitgliedstaaten und Interessenträgern nach weniger Rechtsvorschriften („Bessere Rechtsetzung“) überdacht.
2.5 Manche Ziele des ersten Maßnahmenpakets wurden zwar erreicht, doch hatten die Mitgliedstaaten Schwierigkeiten, einige Ziele dieses Pakets zu verwirklichen. Aus diesem Grund und gekoppelt an die neuen Ziele Umwelt und Leistung wurde ein zweites Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht. Dieses Maßnahmenpaket „Einheitlicher europäischer Luftraum II“ wurde vom EU-Gesetzgeber 2009 angenommen und am 14. November 2009 im Amtsblatt veröffentlicht. Es umfasst die grundsätzlichen Werkzeuge, den Rechtsrahmen und die Bausteine für die Einrichtung des einheitlichen europäischen Luftraums ab 2012.
2.6 Darüber hinaus wurde das SESAR-Programm als technische und operationelle Ergänzung zu den im Rahmen des zweiten Maßnahmenpakets geplanten institutionellen Reformen aufgelegt.
2.7 Allerdings sind nach wie vor erhebliche Herausforderungen zu bewältigen. Hierfür sind weitreichende betriebliche Verbesserungen sowie eine Fortführung der politischen Maßnahmen erforderlich, um eine zügige Umsetzung des zweiten Maßnahmenpakets auf der Grundlage ehrgeiziger Leistungsziele sicherzustellen. Oberstes Ziel ist die Überbrückung des Leistungsunterschieds zwischen dem Flugverkehrsmanagementsystem der EU und anderen ATM-Systemen.
2.8 Der Ausschuss hat bereits in früheren Stellungnahmen auf die Notwendigkeit eines einheitlichen europäischen Luftraums hingewiesen, insbesondere in seiner Stellungnahme TEN/354-355 zur Verbesserung der Leistung des europäischen Luftverkehrssystems durch das Maßnahmenpaket „Einheitlicher europäischer Luftraum II“. In dieser Initiativstellungnahme sollen nun eine ehrgeizige Vision für die Durchführung des Maßnahmenpakets „Einheitlicher europäischer Luftraum II“ und für die Errichtung von SESAR ausgearbeitet und folgende Aspekte aufgegriffen werden:
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Umsetzung des Leistungssystems des zweiten Maßnahmenpakets für den einheitlichen europäischen Luftraum mit ehrgeizigen Leistungszielen; |
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Einrichtung von funktionalen Luftraumblöcken ausgehend von diesen ehrgeizigen Leistungszielen; |
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Stärkung der Netzfunktionen des Flugverkehrsmanagements durch eine Reform der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (Eurocontrol); |
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Reform von Eurocontrol im Hinblick auf die Unterstützung des einheitlichen europäischen Luftraums und eine Senkung der Betriebskosten; |
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SESAR als technischer und operationeller Bestandteil des einheitlichen europäischen Luftraums mit öffentlicher Finanzierung zur Unterstützung der Errichtungsphase; |
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die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) als einzige Sicherheitsregulierungsbehörde mit Sicherheitsvorschriften, die auf Sicherheitsgrundsätzen beruhen und auf bestehenden Vorschriften aufbauen. |
Der Faktor Mensch, die Notwendigkeit des sozialen Dialogs mit den im Kundenservice tätigen Arbeitnehmern und eine geeignete Konsultation aller Interessenträger sind ausschlaggebende Faktoren, die all diesen Aspekten zugrunde liegen müssen.
3. Umsetzung des Leistungssystems des zweiten Maßnahmenpakets für den einheitlichen europäischen Luftraum mit ehrgeizigen Leistungszielen
3.1 Die erfolgreiche Umsetzung eines Leistungssystems auf der Grundlage ehrgeiziger Ziele für die Bereiche Sicherheit, Kosteneffizienz, Kapazitäten/Verspätungen und Flugeffizienz ist ein entscheidender Faktor für die Errichtung des einheitlichen europäischen Luftraums. Damit dieses System auch rasch Ergebnisse bringen kann, ist ein beharrliches politisches Engagement unerlässlich. Diesbezüglich betont der Ausschuss, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen zur beschleunigten Errichtung des einheitlichen europäischen Luftraums nachkommen müssen, wie dies auf dem Treffen der EU-Verkehrsminister im Mai 2010 beschlossen wurde. Der Ausschuss zeigt sich besorgt, dass das aktuelle Engagement der Mitgliedstaaten für die Errichtung eines einheitlichen europäischen Luftraums unzureichend ist.
3.2 Nach Ansicht des Ausschusses muss die Kohärenz zwischen den EU-weiten Leistungszielen und den nationalen Zielen für die funktionalen Luftraumblöcke sichergestellt werden. Hierfür muss ein System zum Abbau der Inkohärenzen zwischen diesen beiden Zielen entwickelt werden. In der Praxis bedeutet dies, dass für die Länder mit den schlechtesten Ergebnissen ehrgeizigere Ziele als für die erfolgreicheren Länder festgelegt werden müssen. Die Berichte der Kommission für Leistungsüberprüfung von Eurocontrol (Performance Review Commission, PRC) zum Vergleich der Kosteneffizienz im Flugverkehrsmanagement („ATM Cost-Effectiveness Benchmarking Report“, ACE) sollten für die Festlegung detaillierter Ziele für die einzelnen Flugverkehrsmanagementdienste herangezogen werden. Zur Gewährleistung eines ausgewogenen Ansatzes in Verbindung mit den anderen Leistungszielen sollten Sicherheitszielvorgaben entwickelt und umgesetzt werden. Es sollte keinerlei Kompromiss in Bezug auf das Sicherheitsniveau geben. Das Sicherheitsniveau sollte kontinuierlich erhöht werden.
3.3 Der Ausschuss verweist auf die Notwendigkeit, die Unabhängigkeit der nationalen Aufsichtsbehörden von den Flugsicherungsorganisationen und jedweder politischen Einflussnahme sicherzustellen. Dies ist für eine erfolgreiche Errichtung des einheitlichen europäischen Luftraums unverzichtbar. Daher müssen die nationalen Aufsichtsbehörden über entsprechende Ressourcen verfügen. Die Europäische Kommission sollte die strikte Anwendung dieser Grundsätze aufmerksam überwachen und hierfür die im zweiten Maßnahmenpaket zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen. Außerdem sollten die nationalen Aufsichtsbehörden enger zusammenarbeiten und dabei die bereits bestehende Plattform der nationalen Aufsichtsbehörden umfassend nutzen. Ferner sollte gegebenenfalls eine Konsolidierung innerhalb der funktionalen Luftraumblöcke in Betracht gezogen werden, um Größenvorteile zu gewährleisten und einen Anstieg der Überwachungskosten zu vermeiden. Diesbezüglich könnte die Rolle des Koordinators für den funktionalen Luftraumblock gestärkt werden.
3.4 In diesem Leistungssystem sollten sowohl Streckennavigationsgebühren als auch An- und Abfluggebühren aufgegriffen werden, um echte Vorteile für Luftfahrtunternehmen und Fluggäste ausgehend von dem Konzept „von Flugsteig zu Flugsteig“ zu schaffen. Ein klarer Fahrplan wird langfristig eine Verringerung der direkten und indirekten Kosten des EU-Flugverkehrsmanagementsystems und somit eine Senkung der Flugsicherungsgebühren für die Luftraumbenutzer zeitigen, was sich wiederum auf Fluggäste und Frachtkunden auswirkt.
3.5 Nach Meinung des Ausschusses sollte das Leistungssystem des zweiten Maßnahmenpakets für den einheitlichen europäischen Luftraum an ein durchdachtes Anreizsystem gekoppelt werden. Der größte Anreiz ist das Abrücken vom Prinzip der vollen Kostendeckung im Flugverkehrsmanagement, das in diesem Maßnahmenpaket bereits vereinbart wurde, und die Einrichtung eines Fixkostenschemas.
3.6 Netzfunktionen wie die Zentrale Verkehrsflussregelungsstelle (Central Flow Management Unit, CFMU) und die Zentrale Streckengebührenstelle (Central Route Charges Office, CRCO) von Eurocontrol sollten ebenfalls auf klaren Leistungszielen beruhen, allerdings sollten Sicherheitsmechanismen vorgesehen werden, damit das Leistungsüberprüfungsgremium der EU absolut unabhängig von diesen Netzfunktionen agieren kann.
4. Einrichtung von funktionalen Luftraumblöcken ausgehend von diesen ehrgeizigen Leistungszielen
4.1 Die Festlegung einer Mindestzahl an funktionalen Luftraumblöcken, die in erster Linie auf Verkehrsflusserfordernissen, Kapazität und Kosteneffizienz beruhen, bleibt nach wie vor ein Ziel. Für alle funktionalen Luftraumblöcke sollten die gleichen Sicherheitsmaßnahmen und -verfahren gelten. Diese funktionalen Luftraumblöcke sind ein grundlegendes Mittel für die einzelnen Flugsicherungsorganisationen, um die hochgesteckten Leistungsziele ab 2012 zu erreichen.
4.2 Es gilt, funktionale Luftraumblöcke ausgehend von Betriebserfordernissen und unter Berücksichtigung der Ziele in Bezug auf Sicherheit, Luftraumkapazität, bessere Kosteneffizienz und geringere Umweltauswirkungen durch erhöhte Flugeffizienz zu entwickeln. Für die Verwirklichung dieses Ziels sind politischer Wille und Überwachung auf höchster Ebene erforderlich. Die Europäische Kommission sollte die Leistungsindikatoren festlegen, die von den verschiedenen Initiativen für funktionale Luftraumblöcke unter Nutzung des Leistungsrahmens des zweiten Maßnahmenpakets für den einheitlichen europäischen Luftraum erreicht werden müssen, festlegen und ihre Umsetzung genau überwachen.
4.3 Mit diesen funktionalen Luftraumblöcken muss die schrittweise technische Integration des fragmentierten europäischen Flugverkehrsmanagementsystems ausgehend von einem Fahrplan mit eindeutigen Zielen sichergestellt werden. Hierfür sind Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den funktionalen Luftraumblöcken notwendig.
4.4 Mit Blick auf Änderungen der Arbeitspraxis sind gute Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern von zentraler Bedeutung. Hierfür ist ein zweckdienliches und dauerhaftes Konsultationsverfahren im wahrsten Sinne des Wortes erforderlich. Um derartige Probleme in Zukunft zu vermeiden, muss auch ein guter sozialer Dialog geführt werden. Die Arbeitnehmer in der Luftfahrtindustrie sind das Schlüsselkapital; Änderungen ihrer Arbeitsweisen können zu Störungen in der Arbeitswelt führen, wenn sie nicht mit der entsprechenden Umsicht ins Werk gesetzt werden.
4.5 Gemäß der Verordnung für den einheitlichen europäischen Luftraum müssen Flugsicherungsdienste Notfallpläne für alle von ihnen erbrachten Dienstleistungen für den Fall einer erheblichen Beeinträchtigung oder Unterbrechung der Erbringung dieser Dienstleistungen erstellen. Die Flugsicherungsorganisationen müssen ihr Augenmerk auf effizientere und kostengünstigere Lösungen lenken, indem zuerst Alternativlösungen im Rahmen der bestehenden Infrastruktur in den Mitgliedstaaten (d.h. andere Bezirksstellen oder militärische Einrichtungen) in Betracht gezogen und Bestimmungen zur Entwicklung funktionaler Luftraumblöcke für derartige Notfälle vorweggenommen werden.
4.6 Die Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Diensteanbietern ist für die weitere Entwicklung des einheitlichen europäischen Luftraums und die Abschaffung der wichtigsten Kapazitätsengpässe in Festlandeuropa von grundlegender Bedeutung. Die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission müssen diese zivil-militärische Zusammenarbeit in den funktionalen Luftraumblöcken fördern, mit der die zivilen und militärischen Anforderungen auf pragmatische und unpolitische Weise miteinander in Einklang gebracht werden können. Da auch Drittstaaten, u.a. die Vereinigten Staaten, betroffen sind, ist eine engere Zusammenarbeit mit der NATO unerlässlich. Der Ausschuss begrüßt die in einigen der funktionalen Luftraumblöcke geplante Verlagerung militärischer Übungslufträume weg von den zivilen Hauptverkehrsrouten. Eine derartige Verlagerung sollten von allen Initiativen für funktionale Luftraumblöcke angestrebt werden. Darüber hinaus sollte auch die Einrichtung eines Flugverkehrsmanagements für ein Nachtroutennetz, das in einigen funktionalen Luftraumblöcken beabsichtigt ist, in allen funktionalen Luftraumblöcken angedacht werden, um die Flugeffizienz in den Nachtstunden zur verbessern, wenn die militärischen Übungslufträume nicht genutzt werden.
4.7 Nach Auffassung des Ausschusses muss das Konzept der funktionalen Luftraumblöcke und des einheitlichen europäischen Luftraums über die EU-Grenzen hinaus ausgeweitet werden, insbesondere auf die EU-Nachbarländer. Hierfür ist eine engere Zusammenarbeit auf internationaler Ebene erforderlich.
4.8 Damit die funktionalen Luftraumblöcke auch wirklich einen Vorteil für die Endnutzer bringen, ist ein entsprechendes politisches Engagement notwendig. Die Europäische Kommission und der EU-Koordinator für funktionale Luftraumblöcke sollten die Mitgliedstaaten auch weiterhin an ihre Verpflichtung erinnern, die Einrichtung des einheitlichen europäischen Luftraums und der funktionalen Luftraumblöcke voranzubringen.
5. Ernennung eines europäischen Netzverwalters zur Ausübung der Netzfunktionen des Flugverkehrsmanagements
5.1 Der Ausschuss stimmt der Aussage zu, dass die Stärkung der Netzfunktionen des europäische Flugverkehrsmanagementsystem wie die Auslegung des europäischen Streckennetzes, das zentrale Verkehrsflussmanagement und die Verwaltung knapper Ressourcen (Transponder-Codes und Funkfrequenzen) ein wesentlicher Bestandteil des zweiten Maßnahmenpakets für den einheitlichen europäischen Luftraum ist.
5.2 Eurocontrol könnte dabei eine Rolle spielen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese in EU-Vorschriften geregelt ist und die Reform von Eurocontrol erfolgreich abgeschlossen wurde. Außerdem muss zunächst eine weitere Rationalisierung der Betriebskosten von Eurocontrol vorgenommen werden. Hierfür ist das uneingeschränkte politische Engagement aller Eurocontrol-Mitgliedstaaten erforderlich, um die Reform der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt voranzubringen. Der Ausschuss begrüßt die Entscheidung der Europäischen Kommission, Eurocontrol zum europäischen Netzverwalter zu ernennen.
5.3 Der Ausschuss fordert daher die Europäische Kommission auf, auf die strikte Einhaltung dieses wesentlichen Aspekts bei der Übertragung des entsprechenden Mandats an Eurocontrol zu achten.
5.4 Der Ausschuss zeigt sich angesichts der prognostizierten Verspätungen im Flugverkehrsmanagement für den Sommer 2011 besorgt. Er fordert Eurocontrol als Netzverwalter des einheitlichen europäischen Luftraums auf, in Zusammenarbeit mit den Flugsicherungsorganisationen und den Luftraumnutzern kurzfristige Lösungen auszuarbeiten, um die Auswirkungen auf den Luftverkehr und die Fluggäste abzufedern.
5.5 Abschließend verweist der Ausschuss darauf, dass der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010 zur Schließung von Lufträumen geführt hat, die wiederum erhebliche Störungen für die Luftfahrtindustrie und die Fluggäste gezeitigt hat. Dies hat erhebliche Kosten für die Luftfahrtindustrie und die Wirtschaft in der EU insgesamt verursacht. Nach diesen Ereignissen wurde vereinbart, die Verfahren zu überarbeiten. Diesbezüglich betont der Ausschuss, dass Europa seine Verfahren an die bewährten Verfahren in anderen Teilen der Welt wie den USA anpassen muss. So ist Europa die einzige Region weltweit, in der die Verantwortung für die Bewältigung potenzieller Gefahren von Vulkanasche nicht bei den Luftfahrtunternehmen liegt. In der jüngsten Vulkanasche-Krisenübung der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) (April 2011) hat sich gezeigt, dass trotz einiger Fortschritte stabilere Leitlinien zur Vorbeugung einer fragmentierten Vorgehensweise notwendig sind. Der Ausschuss fordert die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) auf, allen Mitgliedstaaten klare Leitlinien für die Annahme einer überarbeiteten Politik an die Hand zu geben.
6. Reform von Eurocontrol im Hinblick auf die Unterstützung des einheitlichen europäischen Luftraums und eine Senkung der Betriebskosten
6.1 Der Ausschuss begrüßt die erheblichen Fortschritte, die Eurocontrol unter Leitung ihres Generaldirektors bei ihrer Umstrukturierung und Verschlankung zur Unterstützung des einheitlichen europäischen Luftraums erzielt hat. Diese Bemühungen sollten beschleunigt und umfassend von allen Eurocontrol-Mitgliedstaaten gefördert werden.
6.2 Der Ausschuss begrüßt außerdem, dass Eurocontrol intern einen eigenen Pfeiler für den einheitlichen europäischen Luftraum eingerichtet hat, um diesen in technischer Hinsicht zu unterstützen. Die unterschiedlichen Funktionen von Eurocontrol, die erforderlichen Ressourcen und die Finanzierung müssen vollkommen transparent sein. Es liegt auf der Hand, dass Luftfahrtunternehmen nicht für Verwaltungsfunktionen wie den für den einheitlichen europäischen Luftraum verantwortlichen Pfeiler aufkommen sollten. Daher sind für die Festlegung der korrekten Governance-Grundsätze für Eurocontrol noch weitere Fortschritte notwendig, um die Verwirklichung aller Ziele des einheitlichen europäischen Luftraums zu ermöglichen.
6.3 Der Ausschuss betont die Notwendigkeit, auch weiterhin ein gesamteuropäisches Konzept über die EU-Grenzen hinaus zu verfolgen. Die Europäische Kommission sollte daher den gemeinsamen europäischen Luftverkehrsraum (ECAA) auf alle EU-Nachbarländer ausweiten.
7. SESAR als technischer und operationeller Bestandteil des einheitlichen europäischen Luftraums mit öffentlicher Finanzierung zur Unterstützung der Errichtungsphase
7.1 Das SESAR-Programm wurde als technische und operationelle Ergänzung zum zweiten Maßnahmenpaket für den einheitlichen europäischen Luftraum aufgelegt. Die Europäische Kommission will mittels SESAR ein künftiges europäisches Flugverkehrsmanagementsystem für 2020 und danach ausarbeiten, das im Vergleich zur heutigen Leistung Folgendes sicherstellt:
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Verdreifachung des Flugverkehrs bei gleichzeitiger Verringerung der Verspätungen; |
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Anhebung des Sicherheitsniveaus um das Zehnfache; |
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— |
Minderung der mit dem Flugverkehr verbundenen Umweltfolgen um 10 %; |
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Bereitstellung von ATM-Diensten für die Luftraumnutzer zu mindestens 50 % geringeren Kosten. |
7.2 Nach Meinung des Ausschusses sollten diese Ziele und die Interoperabilität mit ATM-Systemen von Drittstaaten (wie der US-amerikanischen NextGen-Initiative) die Triebfeder für die Durchführung des SESAR-Programms bleiben. Der Ausschuss befürwortet die am 3. März 2011 in Budapest zwischen SESAR und NextGen unterzeichnete Kooperationsvereinbarung als Schritt hin zu einer besseren Synchronisierung dieser beiden wichtigsten Entwicklungsprojekte für globale ATM-Systeme.
7.3 Der Ausschuss erachtet es als wesentlich, die im Kundenservice tätigen Arbeitnehmer in die Entwicklung von SESAR einzubinden. Diesbezüglich müssen diese für den Umgang mit neuen Technologien und neuen Betriebskonzepten geschult werden.
7.4 Der Ausschuss betont, dass SESAR trotz der langfristigen Vorteile für Luftraumnutzer, Unionsbürger und Umwelt vor zahlreichen komplexen Herausforderungen in der Errichtungsphase steht. Eine rechtzeitige und wirksame Umsetzung von SESAR ist von grundlegender Bedeutung. Neben einem ausdrücklichen Engagement der Industrie ist eine umfassende politische und finanzielle Unterstützung im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft erforderlich. Die Umsetzung von SESAR sollte daher integraler Bestandteil der Europa-2020-Strategie sein, um eine starke wirtschaftliche Governance ausgehend von einem klaren Unternehmensmodell sowie die Zusammenarbeit und Harmonisierung mit dem US-amerikanischen NextGen-System zu gewährleisten.
7.5 Nach Ansicht des Ausschusses müssen daher folgende Herausforderungen in Verbindung mit der Errichtung von SESAR angegangen werden:
7.5.1 Gewährleistung der synchronisierten Einführung der Verbesserungen in Luft- und Bodeninfrastruktur:
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— |
Es gilt, den Masterplan durch die Aufstellung eines eindeutigen Fahrplans zu aktualisieren, mit dem sich die Europäische Kommission, die Mitgliedstaaten, die Flugsicherungsorganisationen und die Luftraumnutzer zur Sicherstellung einer größeren Kohärenz im einheitlichen europäischen Luftraums einschl. funktionaler Luftraumblöcke verpflichten. Das Gemeinsame Unternehmen SESAR sollte umgehend die bislang durchgeführten Arbeiten bewerten und ermitteln, wie jeder wichtige Baustein des einheitlichen europäischen Luftraums zu den Leistungszielen der EU, der funktionalen Luftraumblöcke und der Länder beitragen kann. |
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Die SESAR-Technologien sollten gemäß einem etablierten positiven Unternehmensmodell eingeführt werden, das eine glaubwürdige Sicherheitsanalyse sowie eine positive und zuverlässige Kosten-Nutzen-Analyse umfasst, auf deren Grundlage die Anforderungen für die Leistungsverbesserung vereinbart und festgelegt werden. In den Bereichen, in denen die Technologien erwiesenermaßen nicht zur Verwirklichung der EU-weiten Ziele (einschl. im Sicherheitswesen) beitragen bzw. keinen sicheren und rechtzeitigen Übergang ermöglichen, sollten die Arbeiten nicht weiter fortgeführt werden. |
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Für die erfolgreiche Durchführung des SESAR-Masterplans ist das volle Engagement aller EU-Mitgliedstaaten erforderlich. |
7.5.2 Sicherstellung der rechtzeitigen Bereichstellung angemessener Finanzmittel für die Errichtung von SESAR.
7.5.2.1 Die Errichtung von SESAR wird einen erheblichen wirtschaftlichen, ökologischen und strategischen Mehrwert für Europa insgesamt schaffen. Ein Verzug um 10 Jahre bedeutet direkte negative Auswirkungen auf das BIP in Höhe von über 150 Mrd. EUR für die EU-27 sowie einen Energieeffizienzverlust von über 150 Mio. t CO2-Emissionen.
7.5.2.2 Allerdings sind für die Errichtungsphase von SESAR Gesamtinvestitionen von über 30 Mrd. EUR erforderlich. Die frühe Finanzierung und Ausrüstung der SESAR-Infrastruktur (in der Luft und am Boden) ist die größte Herausforderung, um die von der ehestmöglichen Einführung der neuen Technologien erwartete Leistungsverbesserung zu erreichen.
7.5.2.3 Die Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Errichtungsphase von SESAR sind teilweise darauf zurückzuführen, dass in der Übergangsphase Investitionen nicht immer auch Gewinne bedeuten: So wird ein Luftfahrtunternehmen, das in neue Bordsysteme investiert, erst dann einen Vorteil daraus ziehen, wenn auch die Flugsicherungsorganisationen die entsprechende Investition getätigt haben. Andererseits könnte die Rechnung für eine Flugsicherungsorganisation (die in einem leistungsbegrenzten Umfeld investieren muss, um Gewinne zu erzielen) erst dann aufgehen, wenn eine entsprechende Zahl an Flugzeugen entsprechend ausgestattet sind. So manche Änderung könnte auch positive Auswirkungen für das Netz insgesamt haben und ein rentables Geschäftsszenario bieten, doch müssen hierfür einige Interessenträger Investitionen tätigen, auch wenn dies weiterhin Nettokosten für sie bedeutet. In diesem Fall sollten Finanzhilfen gewährt werden.
7.5.2.4 Finanzhilfen der EU zur Förderung der Errichtung von SESAR würden daher für eine synchrone und rasche Annahme der SESAR-Technologie durch die Betreiber (Flugsicherungsorganisationen, Luftraumnutzer, Flughäfen usw.) verwendet werden. Zur Sicherstellung der Investitionen in Forschung und Entwicklung und Innovation wären weitere Mittel in Höhe der für die derzeitige FuE-Phase bereitgestellten Mittel für den Zeitraum 2014-2020 im Bereich Flugverkehrsmanagement erforderlich.
7.5.2.5 Zur Erreichung des für die Verwirklichung der ATM-Leistungsziele erforderlichen Tempos müssen für die Errichtung von SESAR rund 3 Mrd. EUR an EU-Finanzhilfen zur Verfügung gestellt werden. Dieser Betrag soll aus der Verbindung verschiedener Finanzierungsfazilitäten erbracht werden, deren Einrichtung derzeit diskutiert wird, u.a. Eigenmittel der Industrie, projektbezogenen EU-Anleihen, Garantien, EIB-Darlehen usw. Für den Zeitraum 2014-2020 ist festzuhalten, dass:
das SESAR-Programm ohne effektive Bereitstellung von EU-Mittel wohl kaum rechtzeitig umgesetzt werden kann.
7.5.3 Festlegung der richtigen Governance für die Errichtung von SESAR:
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Einrichtung eines unabhängigen Gremiums für die Errichtung von SESAR, um Finanzierung und Umsetzung in einem einzigen Verwaltungsrahmen zusammenzuführen; |
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dieses Gremium sollte von der Industrie ausgehen und über eine Governance-Struktur verfügen, in der Luftraumnutzer, Flughafenbetreiber und Flugsicherungsorganisationen als Träger des größten Investitionsrisikos vertreten sind. Weitere Interessenträger in der Luftfahrt sollten angemessen konsultiert werden; |
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Vertreter der Arbeitnehmer im Luftverkehr sollten bei der Durchführung von SESAR angemessen konsultiert werden; |
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die Rolle der (Ausrüstungs-)Hersteller sollte in der Errichtungsphase in erster Linie darin bestehen, SESAR-kompatible Ausrüstung für Luftfahrtunternehmen, Flughafenbetreiber und Flugsicherungsorganisationen bereitzustellen. Anders als in der derzeitigen Verwaltungsstruktur des Gemeinsamen Unternehmens SESAR sollten die Hersteller somit nicht in die Governance der Errichtung von SESAR eingebunden werden, um Interessenskonflikte zu vermeiden; |
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Sicherstellung der Koordinierung auf europäischer Ebene für die synchronisierte Einführung der Technologien für den einheitlichen europäischen Luftraum in Einklang mit den verpflichtenden Netzzielen. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe könnte das Gremium Empfehlungen für Finanzierungszwecke aussprechen. |
7.6 Abschließend weist der Ausschuss darauf hin, dass SESAR nur dann erfolgreich sein wird, wenn die oben ausgeführten politischen und institutionellen Probleme unverzüglich gelöst und die erforderlichen öffentlichen Mittel für seine Errichtung bereitgestellt werden.
8. Eine einzige EU-Sicherheitsregulierungsbehörde auf der Grundlage des EASA-Systems
8.1 Der Ausschuss hält fest, dass mit dem zweiten Maßnahmenpaket für den einheitlichen europäischen Luftraum der Umfang des EASA-Systems auf Sicherheitsvorschriften für das Flugverkehrsmanagement auf EU-Ebene ausgeweitet wurde, wodurch ein integrierter Ansatz für die ATM-Sicherheitsvorschriften und -Aufsicht in der EU im Rahmen eines Konzept „von Flugsteig zu Flugsteig“ sichergestellt wird.
8.2 Eine solide Aufsichtsfunktion der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA), d.h. die auf Leistungsüberprüfungen der nationalen Aufsichtsbehörden ausgerichtet ist, um sicherzustellen, dass die Flugsicherungsorganisationen gemeinsamen Anforderungen entsprechen, wird ebenfalls zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums beitragen.
8.3 Der Ausschuss befürwortet zwar dieses Konzept, erachtet es jedoch als grundlegend, die praktische Durchführung dieser neuen Zuständigkeiten der EASA aufmerksam zu überwachen. Die ATM-Sicherheitsvorschriften der EASA müssen auf geltenden Vorschriften für den einheitlichen europäischen Luftraum aufbauen; die EASA sollte keinesfalls das Rad mittels aufwändige Vorschriften neu erfinden, die in Bezug auf die Sicherheit unbegründet sind.
8.4 Nach Meinung des Ausschusses sollten die Ressourcen und das Fachwissen von Eurocontrol kurzfristig im Sinne einer technischen Unterstützung der Arbeiten der EASA im Bereich ATM-Sicherheitsvorschriften genutzt werden.
8.5 Abschließend bekräftigt der Ausschuss die Bedeutung einer „Just Culture“, auf die er in seiner Stellungnahme TEN/416 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Untersuchung und Verhütung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt hingewiesen hat. Im Interesse der Luftfahrtsicherheit muss ein Rechtsrahmen festgelegt werden, in dem alle an Unfällen und Störungen beteiligten Parteien Informationen austauschen sowie frei und in gegenseitigem Vertrauen sprechen können. Der Ausschuss betont, dass die EU mehr Maßnahmen ergreifen muss, damit alle Mitgliedstaaten ihr nationales Strafrecht zur Sicherstellung einer „Just Culture“ anpassen. So muss insbesondere eine „EU-Charta der Just Culture“ ausgearbeitet werden.
9. Die Faktoren Sicherheit und Mensch
Sicherheit geht über reine Sicherheitsvorschriften hinaus und umfasst u.a. menschliche Fähigkeiten, eine Sicherheitskultur, Kompetenzen und Schulung sowie Team-Ressource-Management.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass
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die menschliche Leistung, insbesondere die Folgen von Müdigkeit, bei der proaktiven Vorbeugung von Sicherheitsrisiken berücksichtigt wird; |
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ein angemessenes Kompetenz- und Schulungsniveau für alle Arbeitnehmer gewährleistet ist; |
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die Einbindung der Sozialpartner in die Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums auf allen Ebenen gefördert wird und |
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eine gute Sicherheitskultur aufgebaut wird, in der offener Informationsfluss und „Just Culture“ als Grundlage für die Sicherheitsleistung dienen. |
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
III Vorbereitende Rechtsakte
EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS
474. Plenartagung am 21. und 22. September 2011
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/44 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europa — wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus“
KOM(2010) 352 endg.
2011/C 376/08
Berichterstatter: Panagiotis GKOFAS
Die Europäische Kommission beschloss am 30. Juni 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europa — wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus“
KOM(2010) 325 endg.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 30. August 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 121 gegen 14 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
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1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Europa - wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus“ und betont, dass sie trotz einiger signifikanter Schwachstellen zahlreiche positive Anregungen enthält, möchte aber gleichwohl nachstehende Vorschläge zur Stärkung und Bereicherung dieser Initiative unterbreiten. |
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1.2 |
Angesichts der zahlreichen Akteure (Verwaltungen, Institutionen, Einrichtungen, Sozialpartner), Ebenen (lokal, regional, national und europäisch) und Bereiche (Verkehr, Unterkunft, Zusatzangebot) in der Tourismusbranche in Europa sollten bei den geplanten Initiativen alle Beteiligten einbezogen werden. In diesem Zusammenhang weist der EWSA erneut auf die Möglichkeit hin, eine Europäische Tourismusagentur einzurichten, die durch eine effektive Überwachung der für die Unterstützung und Förderung der beschriebenen Maßnahmen relevanten Informationen Anstrengungen unternimmt, welche konkrete Fortschritte in Richtung einer umfassenden europäischen Fremdenverkehrspolitik ermöglichen, bei der der Vielfalt und Mannigfaltigkeit der europäischen Tourismusidentität Rechnung getragen wird. |
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1.3 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass die nachstehenden Aspekte besonders hervorgehoben und entsprechend umgesetzt werden sollten, um die in der Mitteilung enthaltenen Herausforderungen bewältigen und die darin vorgesehenen konkreten Maßnahmen durchführen zu können:
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1.4 |
Auch die Mitgliedstaaten müssen sich mit der Abschätzung der Folgen des Klimawandels für den Tourismus beschäftigen, und es müssen geeignete Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden, die den Prognosen für die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wettbewerbsfähigkeit entsprechen |
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1.5 |
Bestimmte Tourismusformen müssen weiterentwickelt werden, wie etwa der Sozial- bzw. der Kulturtourismus, der gastronomische Tourismus und der Agrotourismus, der Sporttourismus, der Gesundheitstourismus, der barrierefreie Tourismus, der Kongresstourismus, der Glaubenstourismus usw. im Rahmen einer europäischen Politik, die auf die Diversifizierung des Angebots ausgerichtet ist und die neu entstehenden Märkte berücksichtigt. |
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1.6 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass europaweite Vorhaben wie das Projekt CALYPSO die Wirksamkeit der Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen und anderen Verwaltungsebenen, den Sozialpartnern und Akteuren der Branche unter Beweis gestellt haben, die positive soziale und wirtschaftliche Auswirkungen hatte. Der EWSA fordert die Kommission und das Europäische Parlament auf, ihr Engagement für diese Art von Initiativen – insbesondere in Form der Bereitstellung von Haushaltsmitteln - aufrecht zu erhalten. |
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1.7 |
Zwar ist das Sicherheitserfordernis immer zu berücksichtigen, doch können Visa für Reisende aus Ländern außerhalb des Schengen-Raums Probleme bereiten, die gelegentlich durch die Anwendung übermäßig bürokratischer Verfahren durch die einzelnen Mitgliedstaaten bedingt sind. Der EWSA fordert die Kommission auf, konkrete Maßnahmen zur Beseitigung dieser Hemmnisse zu ergreifen. |
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1.8 |
Der EWSA fordert die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, einen europäischen Berufsbefähigungsnachweis für Fremdenverkehrsberufe einzuführen, der in der gesamten EU gültig ist. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Ausbildung für diese Branche nicht nur EU-weit anerkannt sein, sondern auch auf hohem Niveau erfolgen muss, um qualifizierte Fachkräfte für die Branche heranzuziehen, und zwar entsprechend den Leitlinien der Europäischen Kommission und des Cedefop und mit besonderem Schwerpunkt auf dem Lernergebnis und der entsprechenden Bescheinigung, aber auch der Aufwertung der Tourismusausbildungsgänge an Hochschulen, soweit vorhanden. Der Fremdenverkehrssektor sollte unter besonderer Bezugnahme auf neue Kompetenzen für neue Arbeitsplätze und weitere geplante Initiativen wie die Anerkennung der Berufserfahrung und die informelle und nicht formale Ausbildung sowie die voraussichtlichen Auswirkungen des von den für Bildung zuständigen EU-Ministern und den europäischen Sozialpartnern verabschiedeten Kommuniqués von Brügge zu einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung in die Strategie 2020 einbezogen werden. |
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1.9 |
Der EWSA betont, dass es keine Patentlösungen für den Fremdenverkehr gibt, und räumt ein, dass verschiedene Reiseziele verschiedene Maßnahmen erfordern und unterschiedliche Nischenmärkte ansprechen. Bei dem politischen Rahmen für den Fremdenverkehr müssen die unterschiedlichen Bedürfnisse von Gebieten in Randlage, zentralen Gebieten, Küstengebieten, ländlichen Gebieten, Inseln, abgelegenen strukturschwachen Gebieten usw. berücksichtigt werden. |
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1.10 |
Ziel dieser Maßnahmen ist die Konzipierung, Verabschiedung und Umsetzung eines strategischen Plans für eine gemeinsame europäische Fremdenverkehrspolitik. Damit werden die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit und die Qualität des europäischen Fremdenverkehrs sowie ein hohes Niveau des Verbraucherschutzes gestärkt, und gleichzeitig werden die Maßnahmen der Mitgliedstaaten ergänzt. Allerdings sollte angesichts der zahlreichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zur Bedingung gemacht werden, dass jeder Mitgliedstaat einen auf mindestens zehn Jahre angelegten strategischen Plan für die nationale Fremdenverkehrspolitik mit konkreten Maßnahmen, die die einzelnen Regionen umzusetzen haben, aufstellt. |
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1.11 |
Der EWSA appelliert an die Regierungen der Mitgliedstaaten, ihre Kommunalsteuern anzupassen und auf eine Senkung der MwSt. auf die Fremdenverkehrsprodukte mit sozialem Charakter hinzuwirken, um so die touristischen Produkte attraktiver zu machen und letztlich einen Ausbau und einen besseren Zugang zu Fremdenverkehrsdienstleistungen zu bewirken. Sie müssen ferner für die entsprechenden lokalen Infrastrukturen und Dienstleistungen Sorge tragen, um einen hochwertigen Fremdenverkehr zu ermöglichen, der sich sowohl in Form einer Verbesserung der Lebensqualität der ortsansässigen Bevölkerung als auch auf die Bedingungen für den Aufenthalt der Touristen auswirken würde. |
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1.12 |
Die EU benötigt eine Kommunikationsstrategie, um durch eine positives Image Europas auch das Ansehen der Tourismusindustrie aufrechtzuerhalten; gleichzeitig muss auch das Thema der negativen Kommunikation angegangen werden. |
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1.13 |
Es müssen Maßnahmen getroffen werden, um strukturelle Arbeitslosigkeit in Fremdenverkehrsunternehmen zu vermeiden, um sowohl die Qualität und Stabilität der Arbeitsplätze als auch die Rentabilität der Unternehmen zu verbessern. |
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1.14 |
Die Kommission muss ihre laufenden Anstrengungen verstärken, um die praktische Bedeutung des Begriffs Qualitätstourismus in allen seinen Dimensionen zu vermitteln, eine Erfahrung, die sowohl körperliche Entspannung als auch geistige Erholung durch den Kontakt mit anderen Kulturen einschließt. Die Konzipierung muss auf regionaler Ebene erfolgen, die Vermittlung und Kommunikation hat dann sowohl auf regionaler und nationaler als auch auf EU-Ebene stattzufinden. |
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1.15 |
Der EWSA stellt fest, dass ein klarer Hinweis auf einen Rechtsrahmen für Verbraucherrechte im Tourismussektor ebenso fehlt wie auch jedwede Begründung für den nicht hinnehmbaren Aufschub der Überarbeitung der Richtlinie 90/314/EWG vom 13. Juni 1990, die ursprünglich für Ende 2010 angekündigt und dann im Arbeitsprogramm der Kommission für 2011 vorgesehen wurde, bislang aber noch nicht vorliegt. |
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1.16 |
Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Kommission, das Europäische Parlament sowie die europäischen Sozialpartner die Konzipierung einer europäischen Fremdenverkehrspolitik vorantreiben wollen. Der EWSA wird sich auch weiterhin in diesem Sinne engagieren und einen Beitrag zu den in seinen Stellungnahmen beschriebenen Zielen und Werten eines europäischen Tourismusmodells leisten. |
2. Einleitung
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2.1 |
In der neuen Tourismuspolitik werden drei wesentliche Ziele herausgestellt, die die Grundlage des neuen Rahmens bilden:
Wenn diese drei Säulen mit geeigneten Strukturen und Ressourcen untermauert werden, wird ein tragfähiges Fundament für eine solide und vorteilhafte Tourismuspolitik gewährleistet. |
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2.2 |
Die Kommission weist auf eine Reihe von Herausforderungen hin, vor denen der europäische Fremdenverkehr steht und die in den letzten Jahren entstanden sind bzw. zugenommen haben. Die Hauptprobleme jedoch, an denen sich über die Jahre hinweg nichts geändert hat, sind die saisonalen Nachfrageschwankungen, die den Fremdenverkehr kennzeichnen, die Tatsache, dass der Fremdenverkehr in der Praxis nicht als wichtige Wachstumsbranche betrachtet wird, die prekären Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer im Fremdenverkehr, die strukturelle Arbeitslosigkeit im Fremdenverkehr, der fehlende Zugang von KMU zu angemessener Finanzierung zur Anpassung an die sich ständig verändernde und entwickelnde Fremdenverkehrsbranche sowie die Innovation in der Branche. Von entscheidender Bedeutung ist, dass die Kommission auf diese Herausforderungen eingeht. Der EWSA hat in mehreren Stellungnahmen betont, wie wichtig es ist, dass diese Herausforderungen in Angriff genommen und Maßnahmen ergriffen werden (1). |
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2.3 |
Der Tourismus ist ein bedeutender Wirtschaftszweig, der sich besonders positiv auf das Wirtschaftswachstum, die nachhaltige Entwicklung und die Beschäftigung in Europa auswirkt. Er macht einen wichtigen Teil des Lebens der europäischen Bürger aus. |
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2.4 |
Seit 2008 ist die Nachfrage nach Fremdenverkehrsdienstleistungen zurückgegangen. Wenn Europa das weltweit beliebteste Reiseziel bleiben und den Reichtum und die Vielfalt seiner Regionen zum Tragen bringen will, muss es eine gemeinsame Tourismuspolitik konzipieren. |
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2.5 |
Wenn die Europäische Kommission wirklich einen neuen Aktionsrahmen für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Tourismus in der EU und seines Potenzials für eine nachhaltige Entwicklung fördern will, sollten ihre Vorschläge nach Einschätzung des EWSA präzisiert werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass jedes Land ein Interesse daran hat, sein eigenes Fremdenverkehrsmodell und Tourismuspotenzial zu entwickeln. Angesichts des grenzübergreifenden Charakters der Tourismusindustrie ist die Notwendigkeit eines EU-weiten Rahmens für die Tourismuspolitik klar gegeben, wobei gleichwohl den EU-Mitgliedstaaten absolute Flexibilität für die Gestaltung ihrer eigenen nationalen Politik gelassen werden muss. Es ist anzumerken, dass Ereignisse in einem Teil der EU Auswirkungen auf den Fremdenverkehr in einem anderen Mitgliedstaat haben können. |
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2.6 |
So waren beispielsweise die südeuropäischen Länder zwar nicht von der Schließung des europäischen Luftraums wegen der Vulkanaschewolke im Frühjahr 2010 betroffen, erlitten jedoch Einbußen im Fremdenverkehr infolge von Veröffentlichungen, die eine negative Stimmung gegen das Land als Reiseziel schürten. |
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2.7 |
Der EWSA vertritt die Auffassung, dass ein politischer Rahmen für den europäischen Tourismus auf einem klaren Rahmen von Rechten und Pflichten der verschiedenen Interessenträger basieren muss, der in der Mitteilung völlig ausgespart wurde und für dessen Festlegung die Überarbeitung der Richtlinie 90/314/EWG vom 13. Juni 1990 von besonderer Bedeutung ist. Diese Überarbeitung wurde ursprünglich für Ende 2010 angekündigt und dann im Arbeitsprogramm der Kommission für 2011 vorgesehen, bislang aber noch nicht durchgeführt, obwohl die Richtlinie völlig überaltert ist und diese Verzögerung die Verbraucher auf besorgniserregende Weise ohne Schutz lässt, ihr Vertrauen untergräbt und die Entwicklung des Tourismus hemmt. Die Überarbeitung ist ein wesentliches Element des Rechtsrahmens, der erforderlich ist, um die im Vertrag festgelegten neuen Befugnisse der EU in diesem Bereich konkret umzusetzen. |
3. Besondere Bemerkungen
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3.1 |
Die Europäische Union muss hier ihren Beitrag leisten und für die Ergreifung entschlossener Maßnahmen eintreten, die das Wachstum beschleunigen und die Voraussetzungen für eine gesteigerte Attraktivität schaffen. Die Ausarbeitung eines gemeinsamen Plans mit konkreten Maßnahmen darf nicht länger durch die Kommission, sondern muss durch eine andere Institution erfolgen, in der alle Akteure des Fremdenverkehrsbereichs, wie etwa die Unternehmerverbände und die Verbände privater im Bereich der Tourismusberufe tätiger Akteure, Gewerkschaften, die Regionen und die nationalen Fremdenverkehrsorganisationen vertreten sind, und zwar nach einem Konzept, das konkrete Maßnahmen beinhaltet und nicht etwa alte Ideen wieder aufgreift. In diesem Zusammenhang könnte die vom EWSA bereits in früheren Stellungnahmen vorgeschlagene Europäische Tourismusagentur eine wichtige Rolle spielen, die die EU-Institutionen unterstützen könnte. |
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3.2 |
Grundlegend wichtig ist, dass die Kommission und die übrigen EU-Institutionen den Grundsatz der intelligenten Regulierung durchsetzen und dass alle Legislativvorschläge der EU von einer angemessenen Abschätzung der Folgen der vorgeschlagenen Maßnahmen für die Tourismusindustrie begleitet werden. Der vorgeschlagene Aktionsrahmen für den Tourismus enthält keinerlei Hinweis auf die Notwendigkeit der Durchführung von Folgenabschätzungen vor der Veröffentlichung von Legislativvorschlägen, um so ein ungefähres Bild der möglichen Auswirkungen auf den Sektor zu erhalten. Dies wäre jedoch in einigen Fällen besonders relevant, so etwa bei der vorgeschlagenen Lebensmittelkennzeichnung sowie bei Rechtsvorschriften für Fahrgast- und Verbraucherrechte. |
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3.3 |
Der Tourismus darf nicht losgelöst von allen anderen Politikbereichen gesehen werden, sondern ist als Querschnittsbereich zu verstehen, in den die verschiedenen anderen Politikbereiche der EU wie Verkehr, Bildung, Beschäftigung, Forschung und Innovation, Klimawandel, Binnenmarkt, Sicherheit, Verbraucherfragen usw. hineinspielen. Die Fremdenverkehrspolitik liegt damit nicht ausschließlich in der Zuständigkeit der GD Unternehmen, sondern der Tourismus ist eine Branche, die in allen Politikbereichen der EU berücksichtigt werden sollte. |
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3.4 |
Die bisherige Förderung und Entwicklung der Fremdenverkehrsdienstleistungen erfolgt in der gesamten EU unkoordiniert und unsystematisch und bringt Probleme für die Reisewilligen mit sich. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die EU zu reisen ist ein komplexes Unterfangen und erfordert die Abstimmung in Bezug auf Fahrpläne, Züge, Fährschiffe, Omnibusse usw. mit dem Ergebnis, das die Gewährleistung eines sicheren Aufenthalts unmöglich ist. |
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3.5 |
Die Tourismusbranche ist einer zunehmenden Konkurrenz der Schwellen- bzw. Entwicklungsländer ausgesetzt, die immer mehr Touristen anziehen. Um in diesem Wettbewerb zu bestehen, muss Europa mit einem nachhaltigen politischen Konzept aufwarten und seine zahlreichen Vorteile ausspielen, wie etwa die Gewährleistung der Sicherheit in Bezug auf:
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3.6 |
Häufig vergessen wir, dass wir als Touristen in der EU Selbstverständlichkeiten vorfinden, wie etwa, dass wir überall Wasser trinken und Essen zu uns nehmen können, ohne uns zu vergiften, dass wir ohne Begleitung auf die Straße gehen und reisen können. Deswegen müssen wir diese einfachen Vorteile betonen, die die EU dem Touristen zu bieten hat. Diese Stärken sind besonders hervorzuheben, weil sie den Touristen das Gefühl der Sicherheit vermitteln, an fast keinem anderen der wichtigsten Reiseziele weltweit geboten werden und außerdem ein Wettbewerbsvorteil bezüglich der Wahl und der Bekanntmachung eines Reiseziels sind. |
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3.7 |
Europa muss sein Image auf den Weltmärkten entwickeln und stärken und die Zusammenarbeit mit China, Russland, Indien, Brasilien, Japan, den USA sowie den Ländern des Mittelmeerraums fördern. Hierfür müssen allerdings der Unternehmergeist und die Innovation weiterentwickelt und die Qualität der angebotenen Tourismusprodukte gesteigert werden, sodass unsere Fremdenverkehrsdienstleistungen und -einrichtungen unserer internationalen Konkurrenz gewachsen sind. Die Saisonalität und die starken Nachfrageschwankungen müssen durch eine Verbesserung und Diversifizierung des Fremdenverkehrsdienstleistungsangebots verringert werden. Die EU muss die beruflichen Qualifikationen aller in der Tourismusindustrie tätigen Personen verbessern und durch EU-weit einheitliche und anerkannte berufliche Befähigungszeugnisse unter besonderer Betonung des Lernerfolgs und seiner Zertifizierung sicherstellen. Diese zur Auflage gemachten einheitlichen anerkannten Befähigungsnachweise werden sowohl für die Unternehmen als auch für die Arbeitnehmer in der gesamten EU von Nutzen sein. |
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3.8 |
Die derzeitigen Methoden für die Erfassung und Auswertung statistischer Daten sind unzulänglich. Die Schwächen des Datenmaterials führen dazu, dass bei der Konzipierung der Leitlinien halbherzige oder falsche Entscheidungen getroffen werden. Diesbezüglich wird in dem Dokument die Bedeutung der Anhebung der Qualität statistischer Daten und Analysen über den Tourismus hervorgehoben. Die Kommission hält dies für grundlegend wichtig, um zu einer besseren sozioökonomischen Wissensgrundlage im Bereich Tourismus auf europäischer Ebene zu gelangen. Die strukturierte Erfassung statistischer Daten eröffnet nicht nur die Möglichkeit, entsprechende Informationen zu geben und vernünftige Entscheidungen zu treffen, sondern fördert auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und den Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Die statistischen Methoden und die dabei gewonnenen Erkenntnisse müssen verbessert werden, wobei die Sammlung der Daten selbstverständlich keinen zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Unternehmen mit sich bringen darf. |
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3.9 |
In mehr als der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten gibt es ein Satellitenkonto für den Tourismus, das sich als äußerst wirkungsvoll erwiesen hat. Die Kommission sollte nach Wegen suchen, um die restlichen Mitgliedstaaten zu ermuntern und ihnen dabei behilflich zu sein, diesem Vorbild zu folgen. Dies wird auch dem Zweck eines Benchmarkings genauer Einzelleistungen dienen, was angesichts der derzeit in Europa zu verzeichnenden erheblichen Änderungen bei den Trends und dem Reiseverhalten von ausschlaggebender Bedeutung ist. |
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3.10 |
Die Diversifizierung ist das A und O für den europäischen Tourismus. Der vielfältige Erfahrungsschatz in den einzelnen Ländern trägt zur Anziehungskraft Europas als Fremdenverkehrsziel bei. Die Reichhaltigkeit des kulturellen Erbes, der natürlichen Umgebung, der Gastronomie, des Weines und der Geschichte bietet den Touristen in jedem Land der EU unterschiedliche Erfahrungsmöglichkeiten. Die Wahrung dieser Vielfalt ist wichtig und ein bedeutender Marketing-Trumpf, um Europa im Rest der Welt bekannt zu machen. |
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3.11 |
Diese Dynamik muss zum Tragen gebracht werden, außerdem muss die Tätigkeit der KMU finanziell unterstützt werden, weil die überwiegende Mehrheit der Fremdenverkehrsunternehmen mittelständische Betriebe sind, die zur Erhaltung des kulturellen Erbes, aber auch zur Entwicklung der lokalen Gemeinwesen beitragen. KMU fangen die primäre Arbeitslosigkeit auf (Wirtschaftsmigranten, Personen ohne Ausbildung) und senken diese erheblich. Sie beschäftigen zudem den Großteil der Arbeitskräfte und bewirken einen Rückgang der sozialen Ausgrenzung. Der Privatsektor muss bei Unterfangen wie etwa dem Tourismus-Marketing und der Beschäftigungsförderung mitwirken und zugleich die Vernetzung von Tourismusunternehmen unterstützen. |
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3.12 |
Die Fremdenverkehrspolitik hat einen viele Bereiche erfassenden Querschnittscharakter. Sie beeinflusst insbesondere die Politikbereiche Verkehr (Rechte und Sicherheit von Fahrgästen und Qualität der Verkehrsmittel), öffentliche Beihilfen, Binnenmarkt (Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr im Tourismusbereich, Förderung der Qualität von Dienstleistungen, Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs) sowie Steuerwesen, diesen Bereich allerdings oft negativ (steuerliche Hemmnisse für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes, steuerliche Behandlung von KMU, die im Fremdenverkehr tätig sind, Steuererleichterungen), und muss daher durch eine spezielle Finanzpolitik und entsprechende Verpflichtungen der Fremdenverkehrsunternehmen zur Investition, Förderung und Steigerung der Beschäftigung gestärkt werden. |
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3.13 |
Nach Auffassung des EWSA muss eine Regelung zur Verbesserung und Förderung des touristischen Austauschs zwischen Mitgliedstaaten geschaffen werden, die es insbesondere bestimmten Personengruppen wie etwa Jugendlichen (bei besserer Abstimmung der Schulferienzeiten), Senioren, Menschen mit eingeschränkter Mobilität und einkommensschwachen Familien ermöglicht, vor allem in der Nebensaison zu reisen. Die Staaten, deren Volkswirtschaft nicht auf den Fremdenverkehr ausgerichtet ist, sollten jene Staaten, für deren Wirtschaft der Fremdenverkehr eine große Rolle spielt, unterstützen, indem sie bei ihren Bürgern für europäische Reiseziele werben. Die europäischen Fluggesellschaften müssen begreifen, dass sie dem Fremdenverkehr und dem Binnenmarkt keinen Dienst erweisen, wenn für die Bürger in Nordeuropa ein Ticket nach Asien oft billiger ist als ein Ticket nach Südosteuropa. |
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3.14 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass gemeinsame und innovative Maßnahmen für ältere Menschen und Rentner, deren Anteil an der Bevölkerung im Jahr 2020 Schätzungen zufolge bei 20 % liegen wird, sowie für Menschen mit Behinderungen, mit besonderen Bedürfnissen und eingeschränkter Mobilität, deren Zahl vor kurzem auf 127 Mio. Menschen geschätzt wurde, ergriffen werden müssen, um diese Personen durch Fremdenverkehrsprodukte, die speziell auf diese sozialen Gruppen abgestimmt sind, anzusprechen. Außerdem ist eine spezifische Schulung erforderlich, um den Bedürfnissen dieser sozialen Gruppen gerecht zu werden. Da die Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe ferner oft sowohl über Kaufkraft als auch über kulturelles Interesse und Freizeit verfügen und als Markt ein enormes Potenzial bieten, sollte die EU ein gemeinsames politisches Konzept für diesen Personenkreis fördern, mit dem Ziel, diesen Menschen die Wahrnehmung ihrer Rechte zu erleichtern, damit sie das touristische Angebot frei jeglicher Diskriminierung nutzen können. Diese Bemühungen müssen jedoch auch mit Bemühungen des Privatsektors einhergehen, durch die das Vorhandensein der richtigen Infrastruktur sichergestellt wird, um diesem Markt gerecht zu werden. |
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3.15 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass die internationale Zusammenarbeit insbesondere auf Märkten, die für die EU wichtig sind, gefördert werden muss. Es müssen die entsprechenden Voraussetzungen für ein unkomplizierteres Verfahren zur Erteilung eines gemeinsamen europäischen Visums geschaffen werden, um mehr Reisende aus Staaten anzuziehen, die nicht dem Schengener Übereinkommen angehören. Die Touristen müssen die Möglichkeit haben, sich innerhalb der EU-Mitgliedstaaten frei zu bewegen - ein Ziel, zu dem die Verordnungen und Richtlinien beitragen müssen. |
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3.16 |
Das europäische Fremdenverkehrsprodukt sollte auf der Ebene der Regionen stärker beworben, gefördert und unterstützt werden: Dies betrifft Kulturwege, das zeitgenössische Kulturschaffen, Naturschutzgebiete, den Schutz und die Nutzung traditioneller Bauwerke und Unternehmen, den Wellness- und Gesundheitstourismus, den Kurtourismus, den Bildungstourismus, den wein- und gastronomieorientierten Tourismus, den Geschichts- und Glaubenstourismus, den Agrotourismus, den Tourismus, bei dem das maritime Erbe und das Unterwasserkulturerbe im Mittelpunkt stehen, wobei die kulturellen und kulinarischen Traditionen (traditionelle Restaurants und Unternehmen, die mit der Geschichte der Region verbunden sind) zu bewahren und herauszustellen sind. Es sind nicht immer noch mehr Betten erforderlich, sondern es muss in die Verbesserung der Qualität der Dienstleistungen und Infrastruktur der Einrichtungen investiert werden, wobei neue Angebote wie Kur- und Wellnesszentren usw. als Innovationen gefragt sind. In dem Vorschlag der Kommission wird an keiner Stelle erläutert, wie diese Punkte umzusetzen sind, vor allem mit welchen Prioritäten und nach welchem Plan sie in den einzelnen Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Regionen zu verwirklichen sind, damit eine gemeinsame europäische Fremdenverkehrspolitik entsteht. Es ist auch keine gemeinsame Werbung vorgesehen, obwohl dies nötig wäre. |
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3.17 |
Der EWSA spricht sich auch für die Schaffung eines „europäischen Kulturerbe-Siegels“ aus und schlägt zudem die Schaffung eines „europäischen Siegels des gastronomischen Erbes“ vor, sowie parallel dazu eine Bewertung und eine nach einheitlichen Kriterien erfolgende Vergabe von Sternen und Zertifizierung der betreffenden Bewirtungsbetriebe. Dabei sind - analog zu anderen Maßnahmen wie dem „Europäischen Tag des Denkmals“ und dem „Preis der Europäischen Union für kulturelles Erbe“ - die verschiedenen nationalen und europäischen Programme angemessen zu nutzen. Der EWSA schlägt außerdem vor, die Klassifizierung von Hotels mit Hilfe von Sternen und ihre Zertifizierung in der EU zu vereinheitlichen. Der EWSA ersucht die Kommission, das Europäische Tourismusforum als eine Plattform für alle Akteure der Tourismusindustrie, die Verantwortlichen in den Mitgliedstaaten und die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sowie die Sozialpartner zum Austausch und zur Durchführung von Analysen beizubehalten, um eine europäische Tourismusidentität zu fördern, die der Vielfalt und Mannigfaltigkeit Rechnung trägt. |
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3.18 |
In dem Rahmen werden auch die Entwicklung eines europäischen „Gütesiegels für Tourismus“ sowie die Schaffung eines „Tourismusgütesiegels“ vorgeschlagen, womit eine Anhebung der Standards in der gesamten Branche gefordert wird, was zu unterstützen ist. Die Vergabe von Gütesiegeln muss jedoch durch geeignete Finanzierungsmechanismen für Tourismusakteure gestützt werden, um diese in die Lage zu versetzen, ihr Produktangebot zu verbessern und in die Aufwertung ihrer Immobilien und Dienstleistungsstandards sowie in die Ausbildung bzw. Schulung ihrer Mitarbeiter zu investieren. |
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3.19 |
Die Verknüpfung von Gastronomie, Bewirtung und Tourismus bietet eindeutig alternative Möglichkeiten eines hochwertigen Fremdenverkehrs, da die Touristen das gastronomische Angebot in dem jeweiligen Mitgliedstaat unmittelbar erleben können. Auf diese Weise können sie die Unterschiede zwischen den in Anspruch genommenen Dienstleistungen wahrnehmen. Es gibt immer mehr Touristen in der EU, deren Interesse gastronomisch bestimmt ist. Die Kochkunst dient so der Werbung für europäische Nahrungsmittel und Delikatessen. Es sollten Speisen und Getränke, Rezepte und Weinstraßen oder thematische Routen, die einem bestimmten Lebensmittel gewidmet sind, gefördert werden. Dazu sind koordinierte gemeinsame Anstrengungen zu unterstützen, die alternative Formen des Mehrwerts bieten, durch die die Verknüpfung von Ernährung und Fremdenverkehr gestärkt wird. |
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3.20 |
Die Ausbildung der im Fremdenverkehr Beschäftigten bildet zweifellos eine bedeutsame Investition in den europäischen Tourismus, vor allem für KMU. Die Einführung neuer Technologien und neuer Arbeitsmethoden hat dazu geführt, dass Fachkräfte gebraucht werden. Eine wichtige Maßnahme, die die Anpassung an die neuen technischen Bedingungen in der Branche erleichtern wird, ist die Erweiterung der EU-Programme für die berufliche Aus- und Weiterbildung der im Fremdenverkehr Beschäftigten, wie es auch in anderen Branchen der Fall war. Es muss ein gesamteuropäisches Befähigungszeugnis auf der Grundlage einheitlicher „Anforderungen“ in Bezug auf das Lernergebnis entwickelt werden, die (dank entsprechender nationaler oder lokaler Zertifizierungsverfahren) als selbstständige und unabhängige berufliche Qualifikationen verwendet werden können und sich auf die existierenden nationalen Abschlüsse stützen. Verbindliche Voraussetzung für eine Tätigkeit im Fremdenverkehr muss ein berufliches Befähigungszeugnis sein. Der EWSA weist auf die Bedeutung des Kommuniqués von Brügge zu einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung für die Ausbildung in der Tourismusbranche hin. Stabile und anspruchsvolle Arbeitsverhältnisse werden den Tourismussektor besonders attraktiv machen. |
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3.21 |
Bei der Planung der Ausbildungsprogramme und der Entwicklung bestimmter Verhaltensweisen ist zu berücksichtigen, dass die im Fremdenverkehr Beschäftigten Fremdsprachen lernen müssen, wobei kulturelle Besonderheiten stets zu berücksichtigen sind. Entsprechende Ausbildungsnachweise könnten entsprechend den Leitlinien der Kommission und des Cedefop ausgestellt werden. Besonderes Augenmerk ist den Fremdenverkehrsberufen mit unmittelbarem Bezug zum kulturellen Erbe, wie etwa Fremdenführern zu widmen, die ein Befähigungszeugnis und die nachgewiesene Fähigkeit besitzen müssen, die Qualität des kulturellen Erbes darzustellen, eine von den lokalen Behörden ausgestellte Bescheinigung über die Kenntnis der Denkmäler der Region benötigen, in der sie arbeiten wollen, auch wenn dies nur zeitweise der Fall ist, und die Sprache der betreffenden Region und der Personen beherrschen müssen, denen sie Führungen geben sollen, wie dies bis 1975 vom Europäischen Normierungsausschuss CEN (in der Norm EN 13809:2003) geregelt, aber auch in den Richtlinien 1975/368/EG und 1992/51/EG festgelegt wurde. Die betreffende Bescheinigung muss sich auf das gesamte Spektrum der Fremdenverkehrsberufe erstrecken, wie etwa Kellner, Köche, Trainer usw., die mit den Feriengästen in Kontakt kommen. |
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3.22 |
Nach Auffassung des EWSA ist die Tatsache gebührend zu berücksichtigen, dass das All-inclusive-Konzept, das inzwischen viele Unternehmen in vielen Mitgliedstaaten verfolgen, letztlich das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich angestrebt wird. Es ist leider unverkennbar, dass sich die Probleme der KMU in der Nähe von All-Inclusive-Clubs sowie großen Hotelkomplexen verschärfen. |
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3.23 |
Der harte Wettbewerb zwischen den großen ausländischen Reiseveranstaltern einerseits und den Hotels, die Pauschalpakete buchen, um ihre Anlagen zu füllen, andererseits hat zu einem Absinken der Qualität der angebotenen Dienstleistungen geführt, was auch als Diffamierung bestimmter touristischer Gebiete im Ausland ausgelegt wird. Die kleinen und mittleren Unternehmen, die diesem Druck ausgesetzt sind, müssen deshalb Preise akzeptieren, die nicht kostendeckend sind, werden vom Markt gedrängt und in den Konkurs getrieben. |
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3.24 |
Dies bedeutet aber nicht, dass das System der All-inclusive-Reisen grundsätzlich abzulehnen ist, denn es entspricht möglicherweise den Bedürfnissen eines bestimmten Nachfragesegments. Es muss jedoch - wie auch alle übrigen Fremdenverkehrsprodukte - entsprechend den Rechtsvorschriften und in fairem Wettbewerb mit anderen Angeboten sowie kontrolliert und mit eigenen Mitteln betrieben werden - ohne staatliche Beihilfen. Die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr müssen so breit wie möglich verteilt werden, damit sich auch das Umfeld guter Hotels entwickelt. Der Besucher muss entscheiden können, ob er die ihm zur Verfügung stehenden Mittel innerhalb oder außerhalb des Hotels ausgibt. Dennoch ist dies eines der wenigen Marktsegmente, in denen trotz eines Rückgangs im traditionellen Reiseveranstaltergeschäft in den vergangenen Jahren ein Wachstum zu verzeichnen war. Zwar sollten niemals bei der Qualität Abstriche gemacht werden, doch ist es auch wichtig anzuerkennen, dass es ganzen Ferienanlagen gelungen ist, diesen Markt im Laufe der Jahre erfolgreich aufzubauen. Erforderlich ist eine eindeutige Definition des „All-inclusive-Markts“, die ein Qualitätsprodukt widerspiegelt und minderwertige Produkte und Dienstleistungen ausschließt, die unter der Bezeichnung „all inclusive“ verkauft werden. |
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3.25 |
Der saisonale Charakter des Fremdenverkehrs, d.h. die erhebliche Konzentration der touristischen Nachfrage auf die Monate Juli und August, beeinträchtigt die Wachstumsmöglichkeiten der Branche und deren Folgen für die Wirtschaft insgesamt. Dies wirkt sich auf die Einkommen aus und führt dazu, dass die vorhandene Infrastruktur und das Personal nicht optimal eingesetzt werden. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit des Personals und der Rentabilität der Infrastruktur in der Nebensaison werden dazu führen, dass die Humanressourcen aktiver und produktiver werden. Eine Koordinierung zur Nutzung der Infrastruktur durch bestimmte soziale Gruppen oder Schulklassen sogar in der Nebensaison wird die touristische Saison erheblich verlängern und sämtliche damit verbundenen Vorteile bringen. Ein wichtiger Beitrag zur Abschwächung des saisonalen Charakters wäre auch eine bessere Verteilung der jährlichen Urlaubszeiten der Angestellten des öffentlichen Dienstes durch Förderung angemessener Anreize. Eine bessere Nutzung der bestehenden touristischen Infrastruktur und des Personals in der Nebensaison könnte es den Unternehmen ermöglichen, ihre Infrastruktur besser auszulasten, ihre Produktivität zu verbessern und gleichzeitig die Fluktuation des Personals zu verringern und dessen Motivation zu erhöhen. Der EWSA begrüßt, dass mit der Initiative CALYPSO ein erster Schritt in diese Richtung getan wurde, und fordert die Kommission und das Europäische Parlament auf, angesichts ihrer sozialen Auswirkungen und des Nutzens für den europäischen Tourismus den Ausbau dieser Initiative insbesondere durch die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel zu unterstützen. |
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3.26 |
Nach Meinung des EWSA hat der Fremdenverkehr sehr stark auch mit Umwelt zu tun und somit allen Grund, sie zu schützen und in den Vordergrund zu stellen. Bei richtiger Planung und Umsetzung einer vernünftigen Fremdenverkehrspolitik zerstört der Tourismus keine Landschaften, verbraucht keine Ressourcen und verändert auch keine natürlichen Prozesse. Der Fremdenverkehr hat ganze Gebiete, die früher keinen guten Ruf hatten, wie etwa die Docklands in London oder das Hafenviertel in Barcelona, aufgewertet und attraktiv gemacht und Millionen Menschen in der EU Arbeit gebracht. |
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3.27 |
Langfristig wird die Herausforderung des Klimawandels von der Kommission zu Recht als Auslöser für einen umfassenden Wandel der Geschäftsmodelle für Reisen und Unterbringung herausgestellt. Die einschlägigen Unternehmen haben bereits einen Paradigmenwechsel bei der Art und Weise ausgemacht, wie Tourismusprodukte entwickelt, verpackt und vermarktet werden, bei dem sich die Tourismusindustrie zunehmend auf umweltfreundlichere Verfahren ausrichtet. Auch die Mitgliedstaaten müssen sich mit der Abschätzung der Folgen des Klimawandels für den Tourismus beschäftigen, und es müssen geeignete Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden, die den Prognosen für die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wettbewerbsfähigkeit entsprechen. |
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3.28 |
Im Rahmen der vorgesehenen Maßnahmen der Kommission zur Differenzierung der Fremdenverkehrsprodukte wird das Potenzial berücksichtigt, das dem Fremdenverkehr als Wirtschaftszweig, der unmittelbar mit dem Menschen und seinen vielfältigen Bedürfnissen zu tun hat, innewohnt. Die Unterstützung alternativer Formen des Fremdenverkehrs durch systematischere Werbung wird automatisch zu einer besseren Nutzung der natürlichen Besonderheiten und der Wettbewerbsvorteile der einzelnen Gebiete führen. |
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3.29 |
Die EU muss auch auf Bedenken eingehen, die den sozialen Bereich, den territorialen Zusammenhalt und dessen Schutz betreffen. |
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3.30 |
Die Maßnahmen zur umfassenderen Inanspruchnahme von EU-Mitteln für die Entwicklung des Fremdenverkehrs werden das der Branche innewohnende Potenzial wecken. Dabei ist den Gebieten Priorität einzuräumen, die von der Deindustrialisierung betroffen sind und Fremdenverkehrsperspektiven besitzen. |
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3.31 |
Von grundlegender Bedeutung ist der Meeres- und Küstentourismus als Katalysator der wirtschaftlichen Entwicklung. Um seine Entwicklung zu fördern, müssen entsprechende Maßnahmen im Rahmen der integrierten EU-Meerespolitik umgesetzt werden. Die wirtschaftliche Diversifikation hin zu mehr Tourismus stellt für viele Küstenregionen eine Priorität dar, da dort der Niedergang wirtschaftlicher, insbesondere mit Fischfang und Schiffsbau, Landwirtschaft und Bergbau verbundener Aktivitäten zu einem Rückgang der Einkommen und einer Zunahme der Arbeitslosigkeit geführt hat. Fremdenverkehrsunternehmen und dabei vor allem Klein- und Kleinstunternehmen sind häufig an den Küsten oder in ähnlichen touristischen Regionen aktiv und prägen dort nicht nur das unternehmerische und soziale Bild, sondern haben auch lange Tradition, die in manchen Ländern der EU über 50 Jahre zurückreicht, und sind somit kulturelles Erbe für die Bewohner dieser Regionen. Deswegen könnten unter Einhaltung der einschlägigen EU-Regelungen und in dem Anliegen der Wahrung des kulturellen Erbes, der Qualität und der Geschichte der einzelnen Regionen, die diese Familienbetriebe hervorgebracht haben, bestimmte Initiativen zur Erhaltung solcher Unternehmen vorgeschlagen werden. |
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3.32 |
Die EU sollte die Veröffentlichungen über die Mitgliedstaaten aufmerksam verfolgen, denn sie erzeugen ein negatives Bild, was die Attraktivität für Besucher sowie die Sicherheit für einen eventuellen Reisenden aus einem Drittland betrifft, was sich sehr negativ auf ihr touristisches Image auswirkt. Die EU sollte eigens eine Gruppe für das mediale Krisenmanagement im Bereich des europäischen Fremdenverkehrs einrichten und die Mitgliedstaaten verpflichten, entsprechende nationale Gruppen einzurichten und tätig werden zu lassen. |
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3.33 |
Die europäische und die jeweilige nationale Fremdenverkehrspolitik müssen all diesen strukturellen Veränderungen Rechnung tragen: Zum einen muss die strukturbedingte Arbeitslosigkeit aufgefangen werden, zum anderen müssen aber auch die tourismusbezogenen Investitionen möglichst effizient verteilt werden. |
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) ABl. C 32 vom 5.2.2004, S. 1.
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/51 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Überprüfung des ‚Small Business Act‘ für Europa“
KOM(2011) 78 endg.
2011/C 376/09
Berichterstatter: Ronny LANNOO
Die Europäische Kommission beschloss am 23. Februar 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Überprüfung des ‚Small Business Act‘ für Europa“
KOM(2011) 78 endg.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 30. August 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 155 gegen 3 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der EWSA ist erfreut darüber, dass zahlreiche von ihm vorgeschlagene Maßnahmen in den überarbeiteten Small Business Act (SBA) aufgenommen wurden. Er stellt fest, dass die KMU (1) und die Kleinstunternehmen seit mehreren Jahren bei der Ausarbeitung von EU–Texten eine immer größere Berücksichtigung finden. Er weiß auch um die Unterstützung einer stärkeren Berücksichtigung der Bedürfnisse dieser Unternehmen durch das Parlament und die Mitgliedstaaten. Im SBA wird die Entwicklung einer partnerschaftlichen Governance der öffentlichen Behörden, der Gebietskörperschaften, der Wirtschafts- und Sozialpartner und der repräsentativen Organisationen der KMU und der Kleinstunternehmen angestrebt, was von einem wichtigen Gesinnungswandel in Europa zeugt.
1.2 Der überarbeitete SBA für Europa ist ein wichtiger Schritt bei der politischen Anerkennung der KMU und insbesondere der Kleinstunternehmen. Der EWSA ruft in erster Linie die Kommission, das Parlament und den Rat sowie die Mitgliedstaaten und die Regionen dazu auf, dem wichtigsten Grundsatz des SBA - Vorfahrt für KMU - bei Entscheidungen auf europäischer, nationaler und territorialer Ebene den höchsten Stellenwert einzuräumen. Er empfiehlt den Mitgliedstaaten und den Regionen ferner, alle ihre politischen Maßnahmen zur Förderung der KMU sowie ihre Wirtschafts- und Industriepolitik auf diesen Grundsatz zu stützen. Er ist der Auffassung, dass der SBA insbesondere für die EU-Organe eine verbindlichere Form annehmen sollte.
1.3 Im überarbeiteten SBA wird die zunehmende Bedeutung, die den kleinen und mittleren Unternehmen beigemessen wird, bekräftigt. Dennoch wird der SBA und sein Grundsatz „Vorfahrt für die Kleinunternehmen“ in einigen Mitgliedstaaten unterschiedlich oder gar überhaupt nicht umgesetzt. Dies ist auch beim Gesetzgebungs- und Beschlussfassungsverfahren der EU der Fall.
1.4 Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten durch die Bestellung nationaler KMU-Beauftragter bei der Umsetzung des SBA unterstützt werden sollten. Er empfiehlt auch die Bestellung von KMU-Beauftragten auf regionaler Ebene.
1.5 Der EWSA begrüßt, dass im Entwurf des mehrjährigen Finanzrahmens vorgeschlagen wird, ein Programm „Wettbewerbsfähigkeit der KMU“ ins Leben zu rufen und in die wichtigsten Programme für die Zeit nach 2013 Maßnahmen zur Förderung der KMU aufzunehmen. Gleichzeitig stellt er fest, dass die Kommission, und insbesondere die GD Unternehmen, nicht über ausreichende personelle Ressourcen verfügt, um die Umsetzung des SBA wirksam durchzusetzen. Er fordert die EU-Organe auf, das Programm „Wettbewerbsfähigkeit der KMU“ stärker auf die Klein- und Kleinstunternehmen auszurichten und die erforderlichen Human- und Finanzressourcen bereitzustellen.
1.6 Bleibt noch der Übergang zur Phase „KMU-freundlich handeln“ („Act small first“). Der SBA wird nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn eine echte partnerschaftliche Multi-Player- und Multi-Level-Governance umgesetzt wird. Es muss gewährleistet werden, dass die Wirtschafts- und Sozialpartner sowie alle repräsentativen öffentlichen und privaten Akteure am politischen Reflexionsprozess und am Gesetzgebungsverfahren von Beginn an beteiligt werden. Der EWSA spricht sich folglich dafür aus, dass die repräsentativen Organisationen der verschiedenen KMU-Kategorien wirksam am Gesetzgebungs- und Beschlussfassungsverfahren auf allen Ebenen mitwirken.
1.7 Schließlich ruft der EWSA die Kommission auf, sich unverzüglich mit den europäischen repräsentativen Organisationen der verschiedenen KMU-Kategorien zu verständigen, um die vorrangigen operationellen Maßnahmen festzulegen. Der EWSA hält eine solche Konzertierung zwischen den Behörden und den Wirtschafts- und Sozialpartnern in den Mitgliedstaaten und den Regionen für erforderlich.
2. Allgemeine Bemerkungen
2.1 Ansatz in Bezug auf die unterschiedlichen Bedingungen der KMU nach wie vor zu allgemein
2.1.1 Das Motto „Think small first“ wird stets mit „Vorfahrt für KMU“ wiedergegeben. Dabei sind 92 % der Unternehmen Kleinstunternehmen, die auf sehr unterschiedlichen Märkten tätig sind. Sie sind wichtige Arbeitgeber und müssen die vorrangige Zielgruppe des SBA und der EU-Politiken bilden. Gleichwohl tun sich diese Kleinstunternehmen bei der Umsetzung der politischen und gesetzgeberischen Maßnahmen der EU schwerer, weshalb sie mehr Aufmerksamkeit sowie einen entsprechend angepassten und vereinfachten Ansatz erfordern.
2.1.2 Die Maßnahmen im Rahmen des SBA müssen den Gegebenheiten der Kleinstunternehmen Rechnung tragen, z.B. dass die Unternehmensleiter mehrere Funktionen ausüben, das Know-how weitergegeben werden muss und die Unternehmen in ihrem lokalen Umfeld verankert sind. Es ist auch zu berücksichtigen, dass bei den KMU die Erfüllung der Vielzahl von EU-Vorschriften - im Gegensatz zu Großunternehmen, die über zahlreiche Fachleute in ihren Diensten verfügen - von einer sehr geringen Zahl von Mitarbeitern abhängt.
2.1.3 Im überarbeiteten SBA wird festgestellt, dass die unterschiedlichen Bedingungen der verschiedenen Kategorien von KMU in Bezug auf ihre Größe, ihre Besonderheiten, ihre Struktur (Produktion, Handel, freie Berufe usw.) und ihre Arbeitsweise hinsichtlich der Märkte berücksichtigt werden müssen. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass Familien- und Einzelunternehmen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler und regionaler Ebene besondere Beachtung verdienen. Er fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten dazu auf, speziell auf diese Unternehmen zugeschnittene Maßnahmen in den Bereichen Regulierung, Verwaltung, Steuern und Bildung zu ergreifen.
2.1.4 Da jedoch die Folgenabschätzungen derzeit auf die KMU im Allgemeinen ausgerichtet sind, ist es schwierig, präzise Informationen über die Auswirkungen, die Beschränkungen und die Vorteile der EU-Politiken und Programme für die einzelnen Kategorien zu erhalten. Um diese Lücken zu schließen, sollte die Durchführung von Analysen und Studien, die auf diese unterschiedlichen Kategorien zugeschnitten sind, zur Priorität im Rahmen aller EU-Programme werden.
2.1.5 Die Politiken und Programme der EU sowie die Maßnahmen im Rahmen des SBA müssen die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit aller Unternehmen fördern, nicht nur jener mit großem Wachstumspotenzial. Unterstützt werden müssen auch die 95 % Klein- und Kleinstunternehmen, die auf lokalen Märkten tätig sind und die unabhängig von ihrer Größe ebenfalls umfangreiche Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auf ihrer Ebene bieten. Dennoch beeinträchtigen die heutigen statistischen Verfahren, die auf der Umsatzhöhe basieren, die soziale und kulturelle Rolle dieser Kleinunternehmen insbesondere auf der regionalen und lokalen Ebene. Der EWSA fordert die Kommission auf, dieser Tatsache in ihren Analysen Rechnung zu tragen und die erforderlichen relevanten Indikatoren zu entwickeln.
2.1.6 Der EWSA ist erfreut darüber, dass im SBA auf die internationale Dimension der KMU eingegangen wird. Dennoch unterstreicht er, dass die Internationalisierung für die meisten Kleinunternehmen oftmals eine Folge ihrer Entwicklung und kein Selbstzweck ist. Die Europäische Union sollte diese Unternehmen bei diesen Tätigkeiten aktiver unterstützen, indem sie entsprechende Initiativen in den Mitgliedstaaten fördert und die INTERPRISE-Kooperationsprogramme neu belebt.
2.2 Tragen die wichtigsten EU-Politikbereiche dem SBA tatsächlich Rechnung?
2.2.1 Obgleich in spezifischen Texten, wie der Europa-2020-Strategie und ihren Leitinitiativen, entsprechende Verweise zu finden sind, werden bei der Gestaltung der wichtigsten EU-Politikbereiche der SBA und seine Grundsätze nicht wirklich berücksichtigt. Die Klein- und Kleinstunternehmen scheinen beim Gesetzgebungsverfahren übersehen bzw. ihre Bedeutung unterschätzt zu werden. Die folgenden Beispiele bestätigen diese Behauptung.
2.2.2 Im Rahmen der Innovationspolitik liegt das Hauptaugenmerk auf schnell wachsenden Unternehmen. Diese eingeschränkte Sichtweise entspricht nicht den Innovationsgegebenheiten in Kleinunternehmen, wo vielmehr ein Bedarf an Hilfsdiensten und Instrumenten herrscht, die an ihre Besonderheiten angepasst sind.
Dies ist auch in Bezug auf die Energiepolitik der Fall. In seiner Stellungnahme zum Thema Energiepolitik, KMU und Kleinstunternehmen (2) hat der EWSA betont, dass im Rahmen dieser für die Zukunft der EU entscheidenden Politik bislang nicht auf die Frage der Umsetzung in den Klein- und Kleinstunternehmen eingegangen wurde.
Schließlich werden auch in den Abschätzungen der Folgen von Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes die Gegebenheiten in den Kleinunternehmen und die Probleme, vor denen diese beim grenzüberschreitenden Handel oder bei ihren lokalen und kundennahen Aktivitäten stehen können, nicht ausreichend berücksichtigt.
2.2.3 Der EWSA spricht sich nachdrücklich dafür aus, dass bei allen politischen Vorschlägen im Zusammenhang mit den EU-Prioritäten vom Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ ausgegangen wird. Er ruft die europäischen Institutionen dazu auf, bei der Umsetzung der Leitinitiativen der Europa-2020-Strategie und der Binnenmarktakte den Interessen der Klein- und Kleinstunternehmen Rechnung zu tragen.
2.2.4 In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA, dass die Kommission in ihrer Mitteilung über die zwölf Hebel für die Wiederbelebung des Binnenmarktes als erste Leitinitiative die Erleichterung des Zugangs der KMU zum Risikokapital als Teil der Lösung des brennendsten Problems anführt, mit dem die KMU konfrontiert sind: die Finanzierung. Der EWSA ersucht darum, dass diese Leitinitiative nicht isoliert aufgefasst, sondern um weitere, in der Überprüfung des SBA angeführte Maßnahmen ergänzt wird.
2.3 Mängel des SBA: Unterstützung für Kleinunternehmen und die Rolle der Unternehmensverbände
2.3.1 Im SBA wird auf die Notwendigkeit der Unterstützung für Kleinunternehmen verwiesen. Der EWSA hat oftmals betont, dass für Kleinunternehmen Unterstützungs- und Beratungsmaßnahmen mittels auf ihre Bedürfnisse zugeschnittener Dienstleistungen erforderlich sind, die in unterschiedlicher Form von öffentlichen oder privaten Organisationen erbracht werden. Ebenso hebt er die wesentliche Rolle von Unternehmensverbänden hervor, die zwischen den politischen Entscheidungsträgern und den Unternehmen vermitteln und eine beratende Funktion sowohl gegenüber den Unternehmen als auch den politischen Entscheidungsträgern ausüben.
2.3.2 Der EWSA ist der Auffassung, dass die Förderung solcher Unterstützungsmaßnahmen durch die verschiedenen KMU-Verbände und der Ausbau des Dialogs zwischen diesen und den politischen Entscheidungsträgern auf allen Ebenen zwei wesentliche Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit von Kleinunternehmen sind. Sehr häufig sind diese Verbände die einzigen, die mit den einzelnen Unternehmen in direktem Kontakt stehen und dabei einen maßgeschneiderten Ansatz verfolgen, der an die besonderen Bedürfnisse angepasst ist. Mithilfe der Unternehmensverbände können die Rechtsvorschriften von den Kleinstunternehmen angewendet und Finanzierungsmöglichkeiten, insbesondere der EU, in Anspruch genommen werden. Die Entscheidungsträger wiederum werden von den Verbänden über die tatsächlichen Bedürfnisse dieser Unternehmen informiert und können ihre Politiken entsprechend anpassen.
2.3.3 Der EWSA fordert daher,
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dass die EU-Programme im Hinblick auf die Durchführung kollektiver Maßnahmen für diese KMU-Verbände leichter zugänglich werden; |
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dass im Rahmen von europäischen Rechtsvorschriften technische Unterschützungsmaßnahmen vorgesehen werden, die diesen Verbänden die Durchführung von Informations-, Unterstützungs- und Ausbildungsmaßnahmen ermöglichen; |
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dass ihre Rolle als einzige Anlaufstelle („one stop shop“) bewertet und gestärkt wird, insbesondere in den Bereichen Information, Erfüllung von Auflagen und Zugang zu europäischen Programmen. |
2.3.4 Angesichts der Haushaltszwänge und aufgrund der Notwendigkeit, die Mittel auf die Prioritäten zu konzentrieren, ist der EWSA der Auffassung, dass die Förderung der Beratungs-, Unterstützungs-, Informations- und Ausbildungsmaßnahmen für KMU, insbesondere für die Klein- und Kleinstunternehmen, zu den wesentlichen Prioritäten gehört. Er fordert, dass im Rahmen der EU-Programme dieser Förderung der Vorrang eingeräumt und für die zwischengeschalteten, alle KMU-Kategorien repräsentierenden Organisationen die nötige Unterstützung bereitgestellt wird.
3. Besondere Bemerkungen
3.1 Zugang zu Finanzmitteln
3.1.1 Mit dem Fortschreiten der Wirtschaftskrise ist der Zugang der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu Finanzmitteln immer schwieriger geworden. Unter diesen Umständen sind Organisationen, die den KMU Überziehungs- und Rückbürgschaften bieten, nunmehr von zentraler Bedeutung. Der EWSA hofft, dass die Europäische Kommission die wichtige Rolle dieser Organisationen als ein wesentliches Instrument zur Erleichterung des Zugangs von Kleinstunternehmen und KMU zu Finanzmitteln anerkennt.
3.1.2 Die Finanzinstrumente der EU müssen für alle KMU, auch für die Kleinstunternehmen, zugänglich sein. Der EWSA fordert eine Stärkung der Bürgschaftssysteme, damit sie weiterhin auf alle Tätigkeiten der KMU ausgerichtet sind. Gemeint ist hier insbesondere die KMU-Bürgschaftsfazilität, die sich bereits bewährt hat und die zur ersten Säule des KMU-Aktionsprogramms nach 2013 werden sollte. Überdies spricht sich der EWSA nachdrücklich dafür aus, den Zugang von Finanzeinrichtungen, die nicht dem Bankensektor angehören (Garantieeinrichtungen oder Kreditgarantiegemeinschaften), zu diesen Finanzinstrumenten zu erleichtern.
3.1.3 Der EWSA ist der Auffassung, dass die Maßnahmen des Baseler Ausschusses (Basel III) die notwendige Sanierung der Geschäftspraktiken der Banken ermöglichen werden. Dennoch ist er über deren Auswirkungen besorgt, da sie den Zugang von Kleinunternehmen zur Bankenfinanzierung erschweren und folglich zu einer beträchtlichen Verknappung der Finanzmittel für die KMU und die Realwirtschaft im Allgemeinen führen könnten. Er ruft die EU-Organe dazu auf, insbesondere im Rahmen der Regelung über Eigenkapitalanforderungen (CRD IV) dafür zu sorgen, dass sich die neuen Auflagen für Banken in keiner Weise auf die Finanzierung von KMU auswirken. Der EWSA spricht sich für Maßnahmen aus, die es den Banken, insbesondere den lokalen Banken und den Banken auf Gegenseitigkeit sowie den Finanzinstituten, die Bankbürgschaftsdienste anbieten, ermöglichen, ihrer Aufgabe, d.h. der Finanzierung der Realwirtschaft, weiterhin nachzukommen.
3.1.4 Die verschiedenen Risikokapitalmodelle könnten für innovative und andere Unternehmen interessant sein, wenn sie an ihre Bedürfnisse und Besonderheiten angepasst sind. Die Europäische Union muss das reibungslose Funktionieren des Risikokapitalmarkts erleichtern. Gleichwohl dürfen diese Modelle andere Instrumente, wie z.B. die Bürgschaft, nicht ersetzen. Die Kleinunternehmen müssen die Möglichkeit haben, die Instrumente zu wählen, die für sie am besten geeignet sind.
3.2 Hin zu einer intelligenten Regulierung
3.2.1 Der EWSA betont, dass die Aufnahme der KMU-Tests in die Folgenabschätzungen und die Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Auswirkungen im Rahmen der Bewertungen überaus positive Schritte sind. Er ersucht die Kommission, diese Tests zu intensivieren und noch stärker auf die Klein- und Kleinstunternehmen einzugehen. Der EWSA fordert, dass Analysen und Tests von absolut unabhängigen Gremien durchgeführt werden. Außerdem müssen die Organisationen der KMU im Zuge der Vorbereitung der Analysen konsultiert werden und vor deren endgültiger Veröffentlichung ein „Recht auf Gegendarstellung“ haben.
3.2.2 In der Hoffnung auf eine Verringerung des Verwaltungsaufwands für KMU schlägt der EWSA vor, das „Einmal“-Prinzip („Only once“) in das „One-in/one-out“-Prinzip einzubeziehen, wonach die Einführung neuer Verwaltungslasten mit der Streichung bereits bestehender einhergehen muss. Dieses Prinzip sollte sowohl auf europäischer als auch auf lokaler Ebene Anwendung finden.
3.2.3 Es ist lobenswert, dass im überarbeiteten SBA eine wirksamere Anwendung des Grundsatzes „Vorfahrt für KMU“ und des „Einmal“-Prinzips angestrebt wird. Das Problem besteht nunmehr in der praktischen Umsetzung auf nationaler Ebene und in allen Generaldirektionen der Europäischen Kommission. Der EWSA misst daher folgenden Aspekten besondere Bedeutung bei:
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der Durchführung hochwertiger und unabhängiger Folgenabschätzungen unter Berücksichtigung der Heterogenität der KMU; |
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der Rolle des KMU-Beauftragten der Kommission als Schnittstelle zwischen der Europäischen Kommission und den KMU. Dieser sollte alle politischen Maßnahmen prüfen, die die Kleinunternehmen betreffen könnten, den Standpunkt der KMU zum Ausdruck bringen und sich erforderlichenfalls Entscheidungen widersetzen, die den KMU zum Nachteil gereichen. |
3.2.4 Bei der Umsetzung der Maßnahmen sollte die Verhältnismäßigkeit im Vordergrund stehen, damit die von den Kleinunternehmen zu erfüllenden Formalitäten auf das unbedingt Notwendige beschränkt werden. Wenn sich die Entscheidungsträger der EU streng an den wesentlichen Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ halten, zu dem sie sich verpflichtet haben, werden keine Ausnahmeregelungen erforderlich sein.
3.2.5 Eine Anerkennung der Unterschiede zwischen den Kleinstunternehmen muss nicht unbedingt dazu führen, dass diese Unternehmen generell von bestimmten Formalitäten befreit werden. Sollten sich Ausnahmeregelungen als erforderlich erweisen, dann sollten sie mit den Vertretern der betroffenen Unternehmen ausgehandelt werden. Andernfalls droht eine negative Einteilung in Unternehmen, die die Vorschriften einhalten, und jene, die dies nicht tun.
3.2.6 Der EWSA empfiehlt daher,
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den Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ und das Prinzip der einzigen Anlaufstelle in allen Bereichen der Europa-2020-Strategie anzuwenden; |
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dass die Vorschriften von Anfang an in Zusammenarbeit mit den Vertretern der betroffenen Kleinunternehmen ausgearbeitet werden; |
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den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Umsetzung dieser Vorschriften systematisch anzuwenden; |
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bei der Umsetzung und Anwendung der Texte eine nationale und regionale Überregulierung zu vermeiden; |
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den KMU-Beauftragten der Kommission an den Arbeiten des Ausschusses für Folgenabschätzung (Impact Assessment Board) zu beteiligen, der mit der Prüfung der Qualität der Folgenabschätzung betraut ist. |
3.3 Marktzugang
3.3.1 Im SBA wird die Notwendigkeit einer Erleichterung des Zugangs von KMU zum öffentlichen Beschaffungswesen anerkannt. Um ihre Beteiligung an öffentlichen Aufträgen zu fördern, müssen nicht nur die Verfahren vereinfacht, sondern in den Mitgliedstaaten auch KMU-freundliche politische Maßnahmen ergriffen werden. Dies ist bislang nur in einigen Mitgliedstaaten der Fall.
3.3.2 Nach Auffassung des EWSA muss der „Europäische Leitfaden für bewährte Verfahren“ (3) im öffentlichen Beschaffungswesen dringend in vollem Umfang umgesetzt werden. Der EWSA ruft die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, mithilfe angemessener politischer Maßnahmen einen wirksameren Zugang von KMU und Kleinstunternehmen zu öffentlichen Aufträgen zu erleichtern.
3.4 Unternehmergeist und Schaffung von Arbeitsplätzen
3.4.1 Kleinunternehmen zeichnen sich durch besondere soziale Beziehungen sowie durch einen besonders wichtigen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften aus. Der EWSA stellt darüber hinaus fest, dass die Arbeitnehmer bei der Weiterentwicklung der KMU eine wesentliche Rolle spielen, da sie innovativ sein und an der Erreichung der Unternehmensziele mitwirken können. Er erinnert daran, dass Kleinunternehmen beste Möglichkeiten zur beruflichen Aus- und Weiterbildung bieten und beim Erwerb von Fähigkeiten und bei der Erweiterung der Kenntnisse eine zentrale Rolle spielen.
3.4.2 Der EWSA bedauert, dass die Probleme in den Bereichen Arbeitsmarkt und Beschäftigung sowie die Frage der Fähigkeiten von Arbeitnehmern und Unternehmensleitern im SBA so gut wie nicht angesprochen werden, wo sie sich doch auf deren Entwicklungsmöglichkeiten und auf ihr Potenzial zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auswirken.
3.4.3 Der EWSA unterstützt die Bemühungen der Kommission um eine Stärkung der Unternehmertätigkeit von Frauen und empfiehlt die Verbreitung von Leitfäden für bewährte Verfahren, die die von den Mitgliedstaaten sowie von KMU-Organisationen durchgeführten Maßnahmen beinhalten.
4. Wie lässt sich die Berücksichtigung des SBA und seiner Prioritäten gewährleisten?
4.1 Gewährleistung einer partnerschaftlichen Governance: die Regel der Multi-Player- und Multi-Level-Governance
4.1.1 In der Mitteilung heißt es, dass eine straffe Steuerung ausschlaggebend ist und dass die prioritären Maßnahmen des SBA „nur dann Auswirkungen zeitigen [werden], wenn sie sich auf entschiedenes staatliches Handeln zugunsten der KMU stützen“. Die politischen Maßnahmen, Programme und Rechtsvorschriften der EU werden nur dann wirksam sein, wenn sie in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den zwischengeschalteten Verbänden auf allen Ebenen konzipiert und umgesetzt werden. Eine wesentliche Priorität des überarbeiteten SBA muss darin bestehen, diese Partnerschaft im Rahmen des Gesetzgebungs- und/oder Beschlussfassungsprozesses auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene sicherzustellen.
4.1.2 Nach Auffassung des EWSA können die neu gestalteten KMU-Panel des Enterprise Europe Network durchaus eine hervorragende Informationsquelle sein. Die Erfahrung und den Sachverstand der die KMU vertretenden Verbände können sie jedoch nicht ersetzen. Das vorgeschlagene Programm „Wettbewerbsfähigkeit der KMU“ des mehrjährigen Finanzrahmens sieht keine Maßnahmen vor, die auf diese Verbände ausgerichtet sind. Der Schwerpunkt wird darin lediglich auf das Enterprise Europe Network gelegt, dem in mehreren Mitgliedstaaten leider nicht alle KMU-Kategorien angehören. Das Netzwerk sollte eingehend bewertet und seine Methodik und Funktionsweise optimiert werden, um eine wirksamere Teilnahme der verschiedenen in den Mitgliedstaaten existierenden KMU-Kategorien zu ermöglichen.
4.2 Von der „Vorfahrt für KMU“ zu „KMU-freundlich handeln“
4.2.1 Der EWSA ruft die EU-Organe dazu auf,
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sich gemeinsam dazu zu verpflichten, den SBA und seinen Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ verbindlicher in ihre Beschlüsse aufzunehmen. Dies würde die nationalen und territorialen Behörden zur Nachahmung animieren; |
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ein Vorsorgeprinzip einzuführen, und zwar unter Aufsicht des KMU-Beauftragten der EU und in Anlehnung an das im amerikanischen SBA festgelegte „Office of Advocacy“-System; dadurch wäre gewährleistet, dass keine Rechtsvorschrift, die die Kleinunternehmen betrifft, deren Interessen zuwiderläuft. |
4.3 Mit welchen Mitteln?
4.3.1 Der Erfolg und die Wirksamkeit des überarbeiteten SBA werden von den Human- und Finanzressourcen abhängen, die für dessen Umsetzung bereitgestellt werden. Der EWSA begrüßt den Vorschlag für das neue Programm „Wettbewerbsfähigkeit der KMU“, das folgende Prioritäten haben sollte:
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Beobachtung und Bewertung der Umsetzung der SBA-Grundsätze in allen Programmen und Rechtsvorschriften der EU sowie in den Mitgliedstaaten, |
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Einführung eines „Advocacy-Unit“-Systems zur Stärkung der Wirksamkeit von Folgenabschätzungen mithilfe einer Analyse der potenziellen Auswirkungen künftiger Rechtsvorschriften auf die Klein- und Kleinstunternehmen; |
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Schaffung von Instrumenten in den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit, Normung, Information und Zusammenarbeit, im Einklang mit dem Grundsatz „Vorfahrt für KMU“; |
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Bereitstellung von Finanzinstrumenten für die Förderung der KMU, insbesondere für die „KMU-Bürgschaftsfazilität“; |
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Unterstützung der Hilfs- und Beratungstätigkeiten von KMU-Verbänden und Stärkung der Governance in Partnerschaft mit den Verbänden; |
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statistische und wirtschaftliche Analyse der verschiedenen KMU-Kategorien unter Berücksichtigung ihrer Heterogenität, Durchführung von KMU-bezogenen Studien und Forschungstätigkeiten sowie Verbreitung bewährter Verfahrensweisen zur Förderung der KMU in den Mitgliedstaaten und Regionen. |
4.3.2 Der EWSA zeigt sich besorgt, dass sich in den europäischen Institutionen derzeit nur wenige Bedienstete mit den Themen KMU und SBA befassen. Folglich muss insbesondere in der GD Unternehmen entsprechend den Zielen des SBA genügend Personal eingesetzt werden, das sich mit der Umsetzung dieses Programms für die KMU und insbesondere mit der Überwachung dieser Umsetzung befasst.
4.3.3 Der EWSA begrüßt die Einsetzung von KMU-Beauftragten auf nationaler Ebene, die die Umsetzung der Prioritäten des SBA in den Mitgliedstaaten erleichtern und darüber wachen sollen, dass die Anliegen der KMU und der Kleinstunternehmen in der nationalen Politik und Gesetzgebung zum Tragen kommen. Er ist indes der Auffassung, dass die Wirksamkeit der Maßnahme von der Qualität der Zusammenarbeit mit den verschiedenen KMU-Verbänden sowie davon abhängt, ob die KMU-Beauftragten die politischen Entscheidungen und die Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten beeinflussen können.
4.3.4 Der EWSA betont die Bedeutung der Beratungsgruppe, die als Konzertierungsforum zwischen der Kommission, den Mitgliedstaaten und den europäischen Verbänden der KMU agieren soll. Diese Beratungsgruppe könnte zur Koordinierungsinstanz für die Legislativvorschläge und operationellen Programme aller Generaldirektionen der Kommission werden, die sich mit den Klein- und Kleinstunternehmen befassen. Er begrüßt, dass mehrere Regionen regionale KMU-Vertreter bestellt haben, und spricht sich für die Förderung derartiger Initiativen aus.
5. Politische Maßnahmen
5.1 Der EWSA ersucht die Kommission, ihm jährlich eine Bestandsaufnahme vorzulegen, in der
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die Umsetzung des SBA in den Dienststellen der Kommission, in den Mitgliedstaaten und in den Regionen dargelegt wird; |
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die Berücksichtigung der SBA-Grundsätze in den vom Parlament und vom Rat angenommenen EU-Texten analysiert wird; |
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der Stand der Arbeiten der Beratungsgruppe und die von ihr erzielten Fortschritte dargelegt werden. |
Dieser Bericht wäre auch dem Rat, dem Parlament und dem Ausschuss der Regionen vorzulegen.
5.2 Schließlich ersucht der EWSA den Rat, sich auf einer jährlichen Sondertagung der Rates „Wettbewerbsfähigkeit“ mit den KMU, den Kleinstunternehmen und dem SBA zu befassen.
5.3 Nach dem Vorbild des dreigliedrigen Sozialgipfels für Wachstum und Beschäftigung, der gemäß dem Ratsbeschluss vom 6. März 2003 eingerichtet wurde, schlägt der EWSA dem Rat die Einrichtung eines Wirtschaftsdialogs vor, der zweimal jährlich im Rahmen einer Tagung des Rates Wettbewerb stattfindet. An diesem Wirtschaftsdialog nehmen die europäischen repräsentativen Organisationen der KMU, die für Industrie und KMU zuständigen Minister der Rats-Troika, die Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission und der EWSA als Vertreter der Zivilgesellschaft teil, um die Vertreter der KMU und die politischen Entscheidungsträger auf höchster Ebene einzubinden und so die Durchführung der Europa-2020-Strategie seitens der KMU zu fördern.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Empfehlung 2033/361 der Kommission betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. L 124/36 vom 20.5.2003.
(2) ABl. C 44 vom 11.02.2011, S. 118.
(3) http://ec.europa.eu/internal_market/publicprocurement/docs/sme_code_of_best_practices_de.pdf.
ANHANG
zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Folgender abgelehnter Änderungsantrag erhielt mindestens ein Viertel der Stimmen (Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):
Ziffer 1.7 (neu)
Neue Ziffer nach Ziffer 1.6:
„“
Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag:
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Ja-Stimmen |
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57 |
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Nein-Stimmen |
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66 |
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Stimmenthaltungen |
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36 |
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/58 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Einfuhren bestimmter gewerblicher Waren auf die Kanarischen Inseln“
KOM(2011) 259 endg. — 2011/0111 (CNS)
2011/C 376/10
Hauptberichterstatter: Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER
Der Rat beschloss am 16. Juni 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Einfuhren bestimmter gewerblicher Waren auf die Kanarischen Inseln“
KOM(2011) 259 endg. — 2011/0111 (CNS)
Am 20. September 2011 beauftragte das Präsidium die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit den Vorarbeiten zu diesem Thema.
Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 22. September), Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 132 gegen 5 Stimmen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt den Vorschlag, weil er aus sozioökonomischer Sicht zweckmäßig erscheint und die Europäische Union aufgrund ihrer ausschließlichen Zuständigkeit auf dem Gebiet des Zollwesens eindeutig dazu legitimiert ist.
1.2 Überdies betrifft der Vorschlag nur eine bestimmte Zahl von Waren und Gütern, für die bereits Zollvergünstigungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 704/2002 des Rates vom 25. März 2002 gelten, wobei lediglich vier weitere Güter (Kautschuk und eine Reihe von Polymeren) hinzugefügt wurden.
1.3 Kontrollen der besonderen Verwendung gemäß den Bestimmungen des Zollkodex der Gemeinschaften und seiner Durchführungsvorschriften sind in diesem Kontext ein gängiges Verfahren, das den Verwaltungsaufwand der regionalen und lokalen Behörden und Wirtschaftsbeteiligten nicht wesentlich erhöht.
1.4 Die Beibehaltung der Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs auf Einfuhren bestimmter gewerblicher Waren wird als vorteilhaft für die kanarische Wirtschaft angesehen, die stärker unter den Folgen der Krise zu leiden hat als andere Gebiete in der EU und Spanien.
1.5 Der EWSA bekräftigt seine Auffassung (1), dass die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen und steuerlichen Sonderregelungen unerlässlich ist, um den Regionen in äußerster Randlage bei der Überwindung ihrer Strukturprobleme zu helfen.
2. Einleitung
2.1 Die Kanarischen Inseln haben eine Gesamtfläche von 7 542 km2 und sind eine Inselgruppe im Atlantik in über 1 000 km Entfernung vom nächsten Punkt der Iberischen Halbinsel. Zusammen mit den Inselgruppen der Azoren, Madeira, den Ilhas Selvagens und den Kapverdischen Inseln bilden sie die biogeografische Region Makaronesien. Die Kanaren gelten u.a. aufgrund ihrer Abgelegenheit und Insellage als ein Gebiet in äußerster Randlage; der Ausschuss hat sich bereits mehrfach zur Problematik dieser Regionen geäußert (2).
2.1.1 Die Kanarischen Inseln haben eine Gesamtbevölkerung von derzeit 2 118 519 Einwohnern, wobei Teneriffa (906 854 Einwohner) und Gran Canaria (845 676 Einwohner) (3) am stärksten besiedelt sind und 80 % der Bevölkerung sich auf diesen beiden Inseln konzentriert. Diese dichte Besiedlung verursacht bestimmte soziale Probleme im Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit und starken Einwanderung.
2.1.2 Die Wirtschaftsbeteiligten auf diesen Inseln sind aufgrund der Abgelegenheit wirtschaftlich und kommerziell erheblich benachteiligt, was sich ungünstig auf die demografische Entwicklung, die Beschäftigung und die soziale und wirtschaftliche Entwicklung auswirkt. Insbesondere das industrielle Gewerbe und die Bauwirtschaft mit ihren Nebensektoren sind von der derzeitigen Wirtschaftskrise stark betroffen, was zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit über den spanischen Landesdurchschnitt hinaus geführt hat. Es besteht zudem die Gefahr, dass sich die allgemeine Wirtschaftslage weiter verschlechtert, da der internationale Tourismus, von dem die Kanaren in zunehmendem Maße abhängig sind, großen Schwankungen unterliegt.
2.1.3 Der Ausschuss hat bereits darauf hingewiesen (4), dass diese Inseln dauerhaften Nachteilen ausgesetzt sind, weswegen sie sich deutlich von Festlandregionen unterscheiden. Diese dauerhaften Nachteile weisen gemeinsame Merkmale auf, betreffen die Inseln jedoch in unterschiedlichem Maße. Dazu gehören u.a.: die Isolation vom Festland; die höheren Kosten des See- und Luftverkehrs, der Kommunikation und der Infrastrukturen aufgrund natürlicher und klimatischer Gegebenheiten; die begrenzte nutzbare Landfläche; die begrenzten Fischereiressourcen; die begrenzten Wasservorräte; die nur spärlich vorhandenen Energiequellen; die Meeres- und Küstenverschmutzung; die besonderen Schwierigkeiten bei der Abfallbewirtschaftung; die Abwanderung, insbesondere junger Menschen; die Küstenerosion; der Mangel an qualifizierten Arbeitnehmern; das Fehlen eines günstigen wirtschaftlichen Umfelds für das Unternehmertum und die Schwierigkeit des Zugangs zu Bildungs- und Gesundheitsdiensten.
2.1.4 Der Ausschuss äußerte sich bereits (5) zur Frage der „Mehrkosten“ der Regionen in äußerster Randlage und zählte dazu u.a. die höheren Kosten für den Transport von Gütern, Material und Menschen, die Lagerhaltungskosten, die Personaleinstellungskosten oder die Niederlassungskosten, welche ebenfalls höher ausfallen.
2.1.5 Das industrielle Gewerbe auf den Kanaren produziert im Wesentlichen für den lokalen Markt der Inseln. Die Kundengewinnung außerhalb der Inseln gelingt kaum. Diese schwierige Lage ist hauptsächlich auf einen Mangel an Beförderungsmitteln und die hohen Kosten zurückzuführen, die beim Erwerb und Vertrieb von Waren entstehen. Das wirkt sich negativ auf die Herstellungskosten von Fertigerzeugnissen aus, die deutlich über den Herstellungskosten ähnlicher Unternehmen auf der Iberischen Halbinsel liegen können.
3. Die Kanarischen Inseln und die Europäische Union
3.1 Die Kanarischen Inseln gehören seit dem Beitritt Spaniens im Jahr 1986 zur Europäischen Union. In der Akte über den Beitritt Spaniens und Portugals wurde die besondere und schwierige wirtschaftliche und soziale Lage der Inselgruppe anerkannt. In Anbetracht der besonderen Probleme wurden die Kanarischen Inseln ursprünglich vom Zollgebiet der Gemeinschaft und der gemeinsamen Handelspolitik sowie von der Anwendung der gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik ausgenommen.
3.2 Die Europäische Union ist sich sowohl der einzigartigen und besonderen Probleme bewusst, mit denen diese Region konfrontiert ist, als auch der Auswirkungen dieser Probleme auf die Eingliederung der Kanarischen Inseln in die Union. In den letzten Jahren wurden Maßnahmen eingeleitet, die den Umfang und die Auswirkungen dieser Ausnahmeregelungen auf schonende Weise und unter Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten der Insellage und der äußersten Randlage reduziert haben und in deren Ergebnis die Region seit dem 31. Dezember 2000 Teil des gemeinsamen Zollgebiets der Union ist und vollständig dem Gemeinsamen Zolltarif unterliegt (6).
3.3 Deshalb wurde die Verordnung (EWG) Nr. 911/91 des Rates vom 26. Juni 1991 über die Anwendung der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auf die Kanarischen Inseln (7) erlassen und dann mehrfach geändert. In Anwendung der Verordnung Nr. 1911/91 wurden durch den Beschluss 91/314/EWG des Rates über ein Programm zur Lösung der spezifisch auf die Abgelegenheit und Insellage der Kanarischen Inseln zurückzuführenden Probleme (POSEICAN) (8) spezifische Maßnahmen entwickelt. Dieses Programm hat die Flexibilisierung in bestimmten Politikfeldern der EU und die Durchführung spezifischer Maßnahmen zugunsten der Kanaren ermöglicht.
3.4 Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 704/2002 des Rates vom 25. März 2002 zur zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs auf Einfuhren bestimmter gewerblicher Waren und zur Eröffnung und Verwaltung autonomer Gemeinschaftszollkontingente für Einfuhren bestimmter Fischereierzeugnisse auf die Kanarischen Inseln läuft die Aussetzung der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte Investitionsgüter zur kommerziellen und gewerblichen Verwendung am 31. Dezember 2011 aus, weshalb der hier behandelte Vorschlag noch vor dem Auslaufen der Verordnung (EWG) Nr. 704/2002 vorgelegt wurde.
3.5 Zudem wird in Artikel 349 AEUV der besondere Status der Kanarischen Inseln als Region in äußerster Randlage anerkannt, deren strukturbedingte soziale und wirtschaftliche Lage durch die Faktoren Abgelegenheit, Insellage, geringe Größe, schwierige Relief- und Klimabedingungen und wirtschaftliche Abhängigkeit von einigen wenigen Erzeugnissen erschwert wird. Als ständige Gegebenheiten und durch ihr Zusammenwirken beeinträchtigen diese Faktoren die Entwicklung nachhaltig, weshalb der Rat auf Vorschlag der Kommission spezifische Maßnahmen festlegen kann, die insbesondere die Zoll- und Handelspolitik, die Steuerpolitik, Freizonen, die Agrar- und Fischereipolitik, die Bedingungen für die Versorgung mit Rohstoffen und grundlegenden Verbrauchsgütern, staatliche Beihilfen sowie die Bedingungen für den Zugang zu den Strukturfonds und den bereichsübergreifenden Programmen der EU betreffen.
4. Der Verordnungsvorschlag des Rates
4.1 Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union lässt Sondermaßnahmen zugunsten der Gebiete der Europäischen Union in äußerster Randlage zu, um die durch die geografische Lage bedingten wirtschaftlichen Nachteile dieser Gebiete auszugleichen. Die lange Dauer der Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Probleme bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und durch den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit auf den Kanarischen Inseln noch verschärft.
4.2 Deshalb hat die Regierung des Königreichs Spanien die Verlängerung der geltenden Regelung der Aussetzung der Zollsätze bei der Einfuhr bestimmter gewerblicher Waren für diese Inseln beantragt. Als Instrument dafür wurde eine Verordnung des Rates vorgeschlagen, durch die zugleich der Gemeinsame Zolltarif für vier weitere Erzeugnisse ausgesetzt wird.
4.3 Dieser Vorschlag steht mit der Politik der EU auf anderen Gebieten und insbesondere in den Bereichen internationaler Handel, Wettbewerb, Unternehmen, Entwicklung und Außenbeziehungen in Einklang. Maßnahmen dieser Art werden regelmäßig eingesetzt, um die Wirtschaftsbeteiligten zu stärken.
4.3.1 Der Vorschlag erlaubt es den lokalen Wirtschaftsbeteiligten, bestimmte Rohstoffe, Teile, Bauteile und Investitionsgüter zollfrei auf die Kanarischen Inseln einzuführen, da die Zollsätze dafür vorübergehend ausgesetzt wurden.
4.3.1.1 Konkret werden vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2021 die Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs für die im Anhang zur Verordnung aufgeführten Investitionsgüter zur kommerziellen und gewerblichen Verwendung bei der Einfuhr auf die Kanarischen Inseln vollständig ausgesetzt.
4.3.1.2 Diese Waren müssen für einen Zeitraum von mindestens 24 Monaten nach ihrer Überlassung in den freien Verkehr von den Wirtschaftsbeteiligten auf den Kanarischen Inseln verwendet werden.
4.3.1.3 Vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2021 werden auch die Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs auf Einfuhren auf die Kanarischen Inseln der in den KN-Codes des Anhangs II (in der aktualisierten Fassung) genannten Rohstoffe, Teile und Bauteile, die auf den Kanarischen Inseln zur gewerblichen Verarbeitung oder zur Wartung verwendet werden, vollständig ausgesetzt.
4.3.2 Um jeden Missbrauch oder jede Änderung des üblichen Warenflusses dieser Erzeugnisse zu vermeiden, sollen für die Waren, für deren Einfuhr die Zollaussetzung beantragt wird, Kontrollen der besonderen Verwendung festgelegt und Kooperationsmechanismen vorgesehen werden.
4.3.3 Rohstoffe, Teile und Bauteile müssen zur gewerblichen Verarbeitung und Wartung auf den Kanarischen Inseln verwendet werden, damit die Zollaussetzung gewährt wird.
4.3.4 Außerdem müssen Investitionsgüter mindestens zwei Jahre lang von lokalen Unternehmen auf den Inseln verwendet werden, bevor sie abgabenfrei an andere Unternehmen in anderen Teilen des Zollgebiets der Europäischen Union veräußert werden können.
4.3.4.1 Damit Investoren langfristig planen und Wirtschaftsbeteiligte ihrer Gewerbe- oder Handelstätigkeit gut nachgehen können, wird die vollständige Aussetzung der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte Waren gemäß Anhang II und Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 740/2002 für einen Zeitraum von zehn Jahren verlängert.
4.3.4.2 Um sicherzustellen, dass diese Zolltarifmaßnahmen nur Wirtschaftsbeteiligten im Gebiet der Kanarischen Inseln zugute kommen, soll die Aussetzung gemäß Zollkodex der Gemeinschaften von der Endverwendung der Erzeugnisse abhängig gemacht werden. Bei Verkehrsverlagerungen wird die Kommission ermächtigt, die Aussetzung vorübergehend aufzuheben.
5. Allgemeine Bemerkungen
5.1 Der EWSA begrüßt den Vorschlag zur Änderung der Verordnung und ist der Ansicht, dass die darin enthaltenen besonderen Maßnahmen erlassen werden können, da sie in keiner Weise die Integrität und Kohärenz der gemeinschaftlichen Rechtsordnung, die auch den Binnenmarkt und die gemeinschaftlichen Politiken umfasst, gefährden.
5.2 Die rechtlichen und wirtschaftlichen Gründe, die dafür sprechen, werden durch weitere Umstände untermauert: Die Sachverständigengruppe der Kommission „Wirtschaftliche Tariffragen“ hat keinerlei Einwände gegen den Erlass der vorgeschlagenen Maßnahmen erhoben, und aufgrund der allgemeinen Anwendung der vorgeschlagenen Maßnahmen konnte auf eine Folgenabschätzung verzichtet werden.
5.3 Als Rechtsgrundlage für den Verordnungsvorschlag führt die Kommission Artikel 349 AEUV an, obgleich die Maßnahmen in ihrer Gänze die Zollpolitik betreffen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt. Die Zuleitung des Entwurfs an die nationalen Parlamente scheint daher ein übertriebener Formalismus, möglicherweise im Ergebnis einer weitreichenden Auslegung von Artikel 2 Absatz 1 des Protokolls Nr. 1 im Anhang zum EUV und AEUV (über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der EU).
5.4 Das Rechtsetzungsverfahren zum Erlass der Verordnung wird dadurch voraussichtlich verlangsamt und möglicherweise auch mit interner Polemik und Kontroversen verbunden sein, die dem allgemeinen Interesse der Union und der angemessenen Verwirklichung bestimmter spezifischer Ziele, wie dem Schutz der Gebiete und Regionen in äußerster Randlage vor ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen, häufig Abbruch tun.
5.5 Angebracht wäre auch eine quantitative und qualitative Abgrenzung des Begriffs „Verkehrsverlagerungen“, deren Auftreten die Kommission ermächtigt, die Aussetzung über Durchführungsrechtsakte aufzuheben.
5.6 Dies gilt umso mehr, als die quantitative Bemessung dieser Verkehrsverlagerungen die Anfertigung komplexer wirtschaftlicher Marktanalysen erfordert, um das tatsächliche Gleichgewicht zwischen den Einfuhren relevanter Produkte und den Erfordernissen aufgrund der Nachfrage im Inselhandel zu ermitteln.
5.7 Außerdem sollte die rechtliche Natur der Akte konkretisiert werden, mit denen nach Ablauf des in Artikel 4 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags festgelegten Zwölfmonatszeitraums endgültig beschlossen werden muss, ob die Aussetzung fortzusetzen oder aufzuheben ist.
5.8 Da es dem Rat obliegt, die hier behandelte Verordnung zur vorübergehenden Aussetzung nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren zu erlassen, erscheint es folgerichtig, dass es auch der Rat ist, der den genannten endgültigen Beschluss fasst und damit die der Kommission übertragenen Befugnisse für Durchsetzungsrechtsakte in Bezug auf die genannte vorübergehende Aufhebung für einen Höchstzeitraum von 12 Monaten einschränkt.
5.9 Nach Ansicht des Ausschusses trägt der Vorschlag dazu bei, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und den Wettbewerb zu gleichen Bedingungen in allen Teilen der Europäischen Union zu gewährleisten, indem ein Ausgleich für die dauerhaften geografischen, natürlichen, wirtschaftlichen, sozialen und strukturellen Nachteile der Kanarischen Inseln geschaffen wird.
5.10 Die vorgeschlagene Aussetzung der Zollsätze steht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einklang, wenn man bedenkt, wie gravierend die Nachteile der Kanarischen Inseln - in puncto Zugänglichkeit, demografischer Situation und eventuell Produktivität - sind. Nach Auffassung des Ausschusses dienen die Aussetzungen der Zollsätze dem Ausgleich der durch die Situation der Inseln bedingten Mehrkosten und verzerren nicht den Wettbewerb auf dem Markt, sondern bringen ihn eher wieder ins Gleichgewicht.
6. Besondere Bemerkungen
6.1 Da sich die schlechte Anbindung an das europäische Festland nicht wirklich verbessert hat, wirkte die Einführung einer differenzierten Wirtschafts- und Steuerregelung zum Ausgleich der strukturellen Nachteile belebend auf die kanarische Wirtschaft.
6.2 Aufgrund der Größe des Marktes der kanarischen Wirtschaft und ihrer Unternehmen sind keine Synergieeffekte auf den Gebieten Rohstoffwirtschaft, Produktionsprozesse, Verkehr, Kommerzialisierung des internen Konsumgütermarktes und Exportkapazität möglich, weshalb die Unternehmen keine Möglichkeit haben, auf nachhaltige Art und Weise oder über nachfrageabhängige Grenzkosten (Nutzung von Größenvorteilen) Mehrwert zu schaffen.
6.3 Aufgrund all dieser durch die Insellage bedingten Faktoren und „Mehrkosten“ verliert das industrielle Gewerbe an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den übrigen Märkten, die in einem immer stärker globalisierten Umfeld wegen der Möglichkeit von Betriebsverlagerungen an Relevanz gewinnen. Für die kanarische Wirtschaft wäre der Niedergang eines Sektors, der stabile hochqualifizierte Arbeitsplätze schafft und in dem es leichter zu Innovationsprozessen kommt, folgenreich.
6.4 Durch die Steuer- und Zollregelungen wurde versucht, die durch die Randlage verursachten „Mehrkosten“ zu kompensieren, mit denen die Industrie dieses Gebiets zu kämpfen hat. In einer neueren Studie wurden die aufgrund der Randlage der Kanarischen Inseln anfallenden „Mehrkosten“ auf 5 988 273 924 EUR beziffert, von denen 25 % auf der Industrie lasten.
6.5 Nach Schätzungen der kanarischen Industrie sind 32 % der „Mehrkosten“ auf die „ungenutzten Produktionskapazitäten“ zurückzuführen, weil Größenvorteile nicht genutzt werden können, da die kanarischen Unternehmen auf einem sehr kleinen lokalen Markt operieren müssen und Schwierigkeiten im Zugang zu den Außenmärkten haben, denn 25 % der Mehrkosten entstehen durch den Transport und 28 % sind energiebedingte „Mehrkosten“.
Brüssel, den 22. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 72.
(2) ABl. C 221 vom 17.9.2002, S. 37.
(3) Angaben des spanischen Nationalen Instituts für Statistik.
(4) ABl. C 268 vom 19.9.2000, S. 32.
(5) ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 72.
(6) Beitrittsakte, Protokoll Nr. 2.
(7) ABl. L 171 vom 29.6.1991, S. 1.
(8) ABl. L 171 vom 29.6.1991, S. 5.
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22.12.2011 |
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Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/62 |
Stellungnahmedes Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Übertragung bestimmter den Schutz von Rechten des geistigen Eigentums betreffender Aufgaben, einschließlich der Zusammenführung von Vertretern des öffentlichen und des privaten Sektors im Rahmen einer Europäischen Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie, auf das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle)“
KOM(2011) 288 endg. — 2011/0135 (COD)
2011/C 376/11
Berichterstatter: Thomas McDONOGH
Der Rat beschloss am 15. Juni 2011 und das Europäische Parlament am 7. Juni 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und Artikel 118 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Übertragung bestimmter den Schutz von Rechten des geistigen Eigentums betreffender Aufgaben, einschließlich der Zusammenführung von Vertretern des öffentlichen und des privaten Sektors im Rahmen einer Europäischen Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie, auf das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle)“
KOM(2011) 288 endg. — 2011/0135 (COD).
Die mit Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 30. August 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 152 Stimmen gegen 1 Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Bemerkungen und Empfehlungen
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1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung zur Stärkung der Europäischen Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie durch eine Übertragung ihrer Aufgaben auf das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM). Die Arbeit der Beobachtungsstelle ist für das europäische System zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums von wesentlicher Bedeutung, und die Beobachtungsstelle benötigt mehr Ressourcen, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können. |
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1.2 |
Der Ausschuss erarbeitet derzeit eine gesonderte Stellungnahme zu einer kürzlich vorgelegten Mitteilung der Kommission, in der eine Strategie für einen Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums vorgeschlagen wird (1). Die Rechte des geistigen Eigentums sind eine wesentliche Voraussetzung für die technische und kommerzielle Innovation, auf die Europa mit Blick auf den Konjunkturaufschwung und das künftige Wachstum angewiesen sein wird (2). Die politische Steuerung der Rechte des geistigen Eigentums ist auch für die Entfaltung der europäischen Kultur und für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger der EU von zentraler Bedeutung. |
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1.3 |
Der Ausschuss ist überzeugt, dass die Ziele der Europa-2020-Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum ohne die Schaffung eines echten Binnenmarkts für Rechte des geistigen Eigentums nicht erreicht werden können. Seit vielen Jahren spricht sich der Ausschuss für die Harmonisierung der europäischen und nationalen Vorschriften zur Förderung von Innovation, Kreativität und Wohlergehen der Bürger aus und unterstützt Initiativen, die darauf abzielen, einer möglichst großen Zahl von Menschen den Zugang zu Werken, Gütern und Dienstleistungen zu ermöglichen (3). |
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1.4 |
Der Ausschuss unterstützt im Allgemeinen die vorgeschlagene Verordnung zur Übertragung der Aufgaben und Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Verwaltung der Europäischen Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie auf das HABM, u.a. in den Bereichen Urheberrechte und verwandte Schutzrechte sowie Patente. Der EWSA stimmt zu, dass der Vorschlag zur Übertragung der Aufgaben auf das HABM als einer bestehenden EU-Agentur es der Beobachtungsstelle ermöglichen würde, von der vorhandenen Sachkunde des HABM im Bereich des geistigen Eigentums sowie dessen Ressourcen und Finanzmitteln zu profitieren und damit rasch ihre Funktionsfähigkeit herzustellen. Der Ausschuss begrüßt zudem, dass dies mit Blick auf den Haushalt eine kosteneffiziente Lösung wäre. |
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1.5 |
Der Ausschuss ist grundsätzlich mit dem Vorschlag einer Ausweitung der Aufgaben, die das HABM für die Beobachtungsstelle ausführen soll, auf folgende Bereiche einverstanden: die Aufklärung der Öffentlichkeit und der Durchsetzungsagenturen über die Bedeutung von Rechten des geistigen Eigentums und deren bestmöglichen Schutz, die Forschungsarbeiten zu Regelungen im Bereich Markenpiraterie und Rechte des geistigen Eigentums sowie die Verbesserung des Austauschs von Online-Informationen zur Verstärkung der Rechtsdurchsetzung. |
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1.6 |
Der Ausschuss ist jedoch der Ansicht, dass er in der in Artikel 4 der Verordnung genannten Liste der Organisationen, die zu Sitzungen der Beobachtungsstelle eingeladen werden, unbedingt geführt werden sollte. |
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1.7 |
Der Ausschuss fordert nachdrücklich, dass er in Artikel 8 der Verordnung neben Rat und Parlament als Empfänger des Evaluierungsberichts über die Durchführung der Verordnung erwähnt wird. |
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1.8 |
Die nationalen Ämter für geistiges Eigentum spielen bei der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums eine wichtige Rolle. Der EWSA begrüßt den Ratschlag der Kommission, die nationalen Ämter für geistiges Eigentum dahingehend zu verstehen, dass sie in der Formulierung „Vertreter von Behörden, Vertreter von mit dem Schutz der Rechte des geistigen Eigentums befassten Einrichtungen und Organisationen sowie Vertreter des privaten Sektors“ (Artikel 4 Absatz 1), die zu den Sitzungen der Beobachtungsstelle eingeladen werden, enthalten sind. |
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1.9 |
Die zügige, gerechte und konsequente Beilegung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Fälschungen und Nachahmungen würde das Vertrauen in die Rechte des geistigen Eigentums erhöhen und die Rahmenbedingungen für ihre Durchsetzung verbessern. Der Ausschuss fordert die Kommission daher auf, dem HABM in Artikel 2 konkret den Auftrag zu erteilen, zur Verbesserung der Kenntnis und des Verständnisses bewährter Verfahren bezüglich der Beilegung von Streitigkeiten über Rechte des geistigen Eigentums dadurch beizutragen, dass sie auf die einschlägige Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten verweist. Die Anrufung der zuständigen Gerichte soll jedoch nicht behindert werden. |
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1.10 |
Der Ausschuss beabsichtigt, zu gegebener Zeit ausführlicher über die kollektive Rechtewahrnehmung in der EU Stellung zu nehmen. Das HABM könnte jedoch einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Bedingungen für die Durchsetzung von Urheberrechten leisten, indem es Informationen über die unterschiedlichen Praktiken der Verwertungsgesellschaften in der gesamten EU sammelt. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, die Aufnahme dieses Aspekts in Artikel 2 der Verordnung zu erwägen. |
2. Hintergrund
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2.1 |
Rechte des geistigen Eigentums, zu denen Patente, Marken, Geschmacksmuster und geografische Angaben sowie Urheberrechte und verwandte Schutzrechte (für ausübende Künstler, Produzenten und Rundfunkanstalten) gehören, sind ein Eckstein der EU-Wirtschaft und wichtiger Motor ihres weiteren Wachstums. |
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2.2 |
2009 belief sich der Wert der renommiertesten zehn Marken in den EU-Ländern durchschnittlich auf fast 9 % des BIP. Die auf dem Urheberrecht basierenden Kreativindustrien wie Software-, Buch- und Zeitungsverlage sowie die Musik- und Filmbranche - ca. 1,4 Mio. KMU mit 8,5 Mio. Arbeitsplätzen - trugen im Jahr 2006 3,3 % zum BIP der EU bei. Die Beschäftigung in den Branchen der „wissensbestimmten“ Wirtschaft nahm zwischen 1996 und 2006 um 24 % zu, in anderen Wirtschaftszweigen dagegen nur um 6 %. |
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2.3 |
Verschiedene von der Wirtschaft und von internationalen Organisationen veröffentlichte Studien bestätigen die stetige Zunahme des Handels mit gefälschten und nachgeahmten Produkten in der EU und gelangen zu dem Schluss, dass dies
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2.4 |
2009 richteten der Rat (9) und die Kommission (10) eine Europäische Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie (im Folgenden „die Beobachtungsstelle“) ein, deren Aufgabe es ist, für ein besseres Verständnis der Problematik der Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums zu sorgen. |
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2.5 |
Die Beobachtungsstelle ist ein Fachzentrum, das Informationen und Daten über alle Verstöße gegen Rechte des geistigen Eigentums zentral erfasst, überwacht und darüber Bericht erstattet. Sie soll als Plattform für die Zusammenarbeit zwischen Vertretern nationaler Behörden und sonstigen Akteuren und für den Austausch von Ideen und Know-how, für die Entwicklung gemeinsamer Durchsetzungsstrategien sowie für die Formulierung von Empfehlungen an die Politik dienen. |
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2.6 |
Obwohl es zunehmend erforderlich ist, dass die Beobachtungsstelle stärker tätig wird, ist kein Raum für die Ausweitung des Mandats und den Ausbau der operativen Tätigkeiten vorhanden - beides erfordert eine tragfähige Infrastruktur in Bezug auf personelle, finanzielle und IT-Ressourcen ebenso wie den Zugang zur nötigen Sachkunde. |
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2.7 |
Die Kommission hat eine umfassende neue Strategie für Rechte des geistigen Eigentums (11) vorgeschlagen, die Teil der Gesamtagenda zur Förderung von nachhaltigem Wachstum und Arbeitsplätzen im Binnenmarkt und der Verbesserung der weltweiten Wettbewerbsfähigkeit Europas ist. Die Strategie ist eine Ergänzung und ein wichtiger Bestandteil der Europa-2020-Strategie, der Binnenmarktakte (12) und der Digitalen Agenda für Europa. |
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2.8 |
In einer kürzlich vorgelegten Mitteilung, zu der derzeit eine gesonderte Stellungnahme ausgearbeitet wird, stellt die Kommission die Schaffung eines Binnenmarktes für Rechte des geistigen Eigentums in Aussicht (13). Eines der ersten Ergebnisse dieser Strategie ist die vorgeschlagene Verordnung zur Stärkung der Europäischen Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie durch eine Übertragung ihrer Aufgaben auf das HABM. Dies wird es der Beobachtungsstelle ermöglichen, den Umfang ihrer Tätigkeiten auszuweiten und von der vorhandenen Sachkunde des HABM auf dem Gebiet des geistigen Eigentums und den erfolgreichen Ergebnissen bei Marken und Geschmacksmustern zu profitieren. |
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2.9 |
Artikel 2 der vorgeschlagenen Verordnung enthält eine umfassende Liste der dem HABM zu übertragenden Aufgaben und Tätigkeiten, darunter die Stärkung der Durchsetzungskapazität in der gesamten Union, eine bessere Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Folgen von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums und die Förderung einer wirksameren Durchsetzung. |
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2.10 |
Die Kommission hat eine Folgenabschätzung zur Prüfung der verschiedenen Optionen durchgeführt, durch die die Beobachtungsstelle besser zur Erfüllung der Anforderungen der neuen Strategie für Rechte des geistigen Eigentums befähigt werden könnte (14). Sie gelangte zu dem Schluss, dass eine Verlagerung der Beobachtungsstelle zum HABM der beste Weg wäre, da das Harmonisierungsamt über ausreichende Finanzmittel und angemessene Strukturen verfügt und in der Lage sein wird, die Ziele der Beobachtungsstelle zu verwirklichen, sobald die Grundverordnung entsprechend geändert wurde. |
3. Bemerkungen
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3.1 |
Der Ausschuss vereint die verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Interessen in der EU, einschließlich aller Akteure der Zivilgesellschaft. Indem er die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen seiner Mitglieder zusammenführt, spielt er zudem bei der Konzipierung und Formulierung politischer Maßnahmen eine zentrale Rolle und ist als Institution insofern einzigartig. Darüber hinaus ist dem EWSA sehr am Schutz der Rechte des geistigen Eigentums gelegen, und er hat in den vergangenen Jahren mit großem Einsatz an der Gestaltung der europäischen Politik in diesem Bereich mitgewirkt. Der Ausschuss ist daher äußert verwundert und enttäuscht, dass er nicht in der in Artikel 4 der vorgeschlagenen Verordnung enthaltenen Liste der Organisationen aufgeführt ist, die zu Sitzungen der Beobachtungsstelle eingeladen werden sollen. Diese Unterlassung sollte berichtigt werden, damit der EWSA zur Arbeit der Beobachtungsstelle und zu dem von ihr aufzubauenden Fachwissen beitragen kann. |
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3.2 |
Die Beobachtungsstelle sollte sich aus Vertretern verschiedener Organisationen der Zivilgesellschaft zusammensetzen, einschließlich Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Urhebervereinigungen und Verbraucherverbände. |
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3.3 |
Der Ausschuss ist der festen Meinung, dass er in Artikel 8 der Verordnung neben Rat und Parlament als Empfänger des Evaluierungsberichts über die Durchführung der Verordnung erwähnt werden sollte. |
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3.4 |
Zu den Schäden, die durch eine laxe Verwaltung und Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums entstehen, zählt die Finanzierung krimineller und terroristischer Netze. Geldwäsche und Piraterie sind kriminelle Handlungen, die rigoros bekämpft werden müssen. Die Beobachtungsstelle muss Untersuchungen über Art und Umfang des kriminellen Verhaltens in ihre Arbeit aufnehmen. |
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3.5 |
Die konsequente Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums setzt eine echte Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen voraus, die im Bereich der Marken- und Produktpiraterie intensiviert und ausgebaut werden muss, sowie eine echte Partnerschaft bei der Verwirklichung des Binnenmarkts ohne Grenzen. Hierzu ist ein effizientes Netz von Kontaktstellen in der gesamten EU unerlässlich. |
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3.6 |
Bürger und Unternehmen in jedem Mitgliedstaat müssen wissen, an welche Organisationen sie sich zu wenden haben, um Informationen und Unterstützung über die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums zu erhalten. Die nationalen Ämter für geistiges Eigentum sollten von der Beobachtungsstelle als erste Anlaufstelle in Fragen der Durchsetzung in jedem Mitgliedstaat propagiert werden. |
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3.7 |
Unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips sollten die nationalen Ämter für geistiges Eigentum von den Mitgliedstaaten zu den Organisationen hinzugefügt werden, die im Rahmen des vorgeschlagenen Artikels 4 Absatz 1 der Verordnung zu den Sitzungen der Beobachtungsstelle eingeladen werden. Durch ihre Beteiligung würden die Fachkompetenz der Beobachtungsstelle und die Durchsetzungskapazität in der gesamten EU gestärkt. |
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3.8 |
Alle Vollzugsbehörden und nationalen Ämter für geistiges Eigentum müssen Zugang zu einem wirksamen und schnellen elektronischen Netz zum Austausch von Informationen über Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums haben. Die Errichtung dieses Netzes sollte eine Priorität für die Beobachtungsstelle sein. |
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3.9 |
Streitigkeiten über die Inhaberschaft an Rechten des geistigen Eigentums und Piraterievorwürfe sind häufig nur schwer beizulegen. In Artikel 2 Absatz 2 der vorgeschlagenen Verordnung könnte das HABM die einschlägige Rechtsprechung in Streitigkeiten über Rechte des geistigen Eigentums zusammentragen und zur Verbesserung der Streitbelegung in der EU insgesamt beitragen, ohne dabei die Anrufung der zuständigen Gerichte zu behindern. |
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3.10 |
Das HABM muss insbesondere den KMU und KMI, die häufig Opfer von Piraterie sind, Unterstützung zuteilwerden lassen, damit sie sich besser über ihre Rechte informieren können. Für eine erfolgreiche Umsetzung der Europa-2020-Strategie muss die Unterstützung von Existenzgründungen und KMU stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. |
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3.11 |
In der Verordnung zur Übertragung bestimmter Aufgaben im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums ist die Absicht erkennbar, die Rahmenbedingungen für die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums in der gesamten Union zu verbessern und relevante Informationen, einschließlich der einschlägigen Rechtsprechung, zusammenzutragen, die zur Erreichung dieses Ziels beitragen können. Im Hinblick darauf ist es wichtig, dass das HABM Informationen über die Praktiken von Verwertungsgesellschaften sammelt und die relevante einschlägige Rechtsprechung im Bereich der Urheberrechtsstreitigkeiten zusammenträgt, um so für ein besseres Verständnis und ein stärkeres Bewusstsein für die Probleme zu sorgen, die aufgrund unzulänglicher Regulierung verursacht werden. |
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) KOM(2011) 287 endg., „Ein Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums“.
(2) Siehe Europa-2020-Strategie (KOM(2010) 2020 endg.), Jahreswachstumsbericht 2011 (KOM(2011) 11 endg.), Eine digitale Agenda für Europa (KOM(2010) 245 endg.), Binnenmarktakte (KOM(2011) 206 endg.) und Innovationsunion (KOM(2010) 546 endg.).
(3) ABl. C 116 vom 28.4.1999, S. 35; ABl. C 155 vom 29.5.2001, S. 80; ABl. C 221 vom 7.8.2001, S. 20; ABl. C 32 vom 2.2.2004, S. 15; ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 23; ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 7; ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 3; ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 36; ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 8; ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 52; ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 7; ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 105; ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58.
(4) TERA Consultants, „Building a Digital Economy“, März 2010: http://www.iccwbo.org/bascap/id35360/index.html.
(5) Europäische Kommission, Generaldirektion Steuern und Zollunion, „Report on EU Customs enforcement of intellectual property rights - 2009“:
http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/customs/customs_controls/counterfeit_piracy/statistics/statistics_2009.pdf.
(6) Technopolis (2007), „Effects of counterfeiting on EU SMEs“:
http://ec.europa.eu/enterprise/enterprise_policy/industry/doc/Counterfeiting_Main%20Report_Final.pdf.
(7) Frontier Economics (Mai 2009), „The impact of counterfeiting on Governments and Consumers“:
http://www.iccwbo.org/uploadedFiles/BASCAP/Pages/Impact%20of%20Counterfeiting%20on%20Governments%20and%20Consumers%20-%20Final%20doc.pdf.
(8) UNICRI, „Counterfeiting: a global spread“, 2008: http://counterfeiting.unicri.it/report2008.php.
(9) Entschließung des Rates vom 25. September 2008 (ABl. C 253 vom 4.10.2008, S. 1).
(10) Mitteilung der Kommission „Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums im Binnenmarkt“ vom 11. September 2009, KOM(2009) 467 endg.
(11) KOM(2011) 287 endg., „Ein Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums“.
(12) KOM(2011) 206 endg., Binnenmarktakte - Zwölf Hebel zur Förderung von Wachstum und Vertrauen - „Gemeinsam für neues Wachstum“.
(13) KOM(2011) 287 endg.
(14) SEK(2011) 612 endg., „Folgenabschätzung zum Vorschlag für eine Verordnung zur Übertragung …“.
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/66 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke“
KOM(2011) 289 endg. — 2011/0136 (COD)
2011/C 376/12
Berichterstatter: Thomas McDONOGH
Der Rat beschloss am 15. Juni 2011 und das Europäische Parlament am 7. Juni 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke“
KOM(2011) 289 endg. — 2011/0136 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 30. August 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 131 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Bemerkungen und Empfehlungen
1.1 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Nutzung verwaister Werke. Die erfolgreiche Umsetzung der Initiative wird zum Ausbau digitaler Bibliotheken, wie Europeana (1), und anderer, in Artikel 1 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags genannter öffentlicher Einrichtungen beitragen, die Aufgaben im öffentlichen Interesse erfüllen und über die die Bürger Zugang zum vielfältigen und umfangreichen europäischen Kulturerbe erhalten.
1.2 Der Ausschuss arbeitet gegenwärtig eine gesonderte Stellungnahme zu der jüngsten Mitteilung der Europäischen Kommission aus, in der eine Strategie für die Errichtung eines Binnenmarktes für geistiges Eigentum (2) beschrieben wird. Die Rechte des geistigen Eigentums sind eine wesentliche Voraussetzung für die technische und kommerzielle Innovation, auf die Europa mit Blick auf den Konjunkturaufschwung und künftiges Wachstum angewiesen sein wird (3). Die politische Steuerung der Rechte des geistigen Eigentums ist auch für die Entfaltung der europäischen Kultur und für die Lebensqualität der europäischen Bürgerinnen und Bürger von zentraler Bedeutung.
1.3 Der Ausschuss ist überzeugt, dass die Ziele der Europa-2020-Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum ohne die Schaffung eines echten Binnenmarktes für Rechte des geistigen Eigentums nicht erreicht werden können. Seit vielen Jahren spricht er sich für die Harmonisierung der europäischen und nationalen Vorschriften zur Förderung von Innovation, Kreativität und Wohlergehen der Bürger aus und unterstützt Initiativen, die darauf abzielen, einer möglichst großen Zahl von Menschen den Zugang zu Werken, Gütern und Dienstleistungen zu ermöglichen (4).
1.4 Der Ausschuss unterstützt allgemein die vorgeschlagene Richtlinie über einen Rechtsrahmen zur Gewährleistung eines rechtmäßigen, grenzüberschreitenden Online-Zugangs zu verwaisten Werken (5). In seiner Stellungnahme zur digitalen Agenda für Europa (6) befürwortete der EWSA nachdrücklich Maßnahmen wie die Umsetzung dieses Rechtsrahmens, mit dem Probleme der kulturellen und wirtschaftlichen Fragmentierung des Binnenmarktes angegangen würden.
1.5 Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Digitalisierung und weite Verbreitung des kulturellen Erbes Europas (7). Dass dieses Material online zur Verfügung gestellt wird, ist ein zentrales Element der Entwicklung der wissensbestimmten Wirtschaft in Europa. Es ist von wesentlicher Bedeutung, den Bürgern ein reiches und vielfältiges kulturelles Leben zu ermöglichen. Deshalb ist der Ausschuss erfreut, dass die Kommission eine Richtlinie vorschlägt, die das spezielle Problem verwaister Werke behandelt.
1.6 Der Ausschuss stellt fest, dass eine Richtlinie notwendig ist, da nur sehr wenige Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften über verwaiste Werke eingeführt haben. Zudem beschränken die vorhandenen nationalen Vorschriften den Online-Zugang auf Bürger, die in dem jeweiligen Land ansässig sind.
1.7 Der Ausschuss befürwortet grundsätzlich den in der Richtlinie vorgeschlagenen viergliedrigen Ansatz:
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Festlegung der Regeln für die Ermittlung verwaister Werke durch eine sorgfältige Suche nach dem Inhaber der Urheberrechte; |
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Einstufung als verwaistes Werk, wenn bei der Suche der Rechteinhaber nicht ausfindig gemacht werden kann; |
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Festlegung der zulässigen Formen der Nutzung verwaister Werke sowie ihrer Verbreitung in allen Mitgliedstaaten; |
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— |
gegenseitige Anerkennung des „Waisenstatus“ eines Werks in allen Mitgliedstaaten. |
1.8 Um die effiziente Suche nach Rechteinhabern und die weite Verbreitung verwaister Werke zu erleichtern, ist es wichtig, dass für jeden Sektor Online-Datenbanken und Rechteverzeichnisse (in Anlehnung an das Instrument in der Buchverlagsbranche (8)) zur Verfügung stehen. Der Ausschuss ruft die Kommission auf, die Arbeit repräsentativer Organisationen bei der Entwicklung dieser Instrumente zu erleichtern.
1.9 Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten ein Verzeichnis der in ihrem Land vorhandenen Datenbanken führen sollten, die amtlich zur Dokumentierung der Ergebnisse einer in ihrem Hoheitsgebiet durchgeführten sorgfältigen Suche zugelassen sind, wie in Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie vorgesehen. Solche Verzeichnisse wären eine Hilfe für Einrichtungen in anderen EU-Staaten, denn sie könnten von der amtlich bestätigten Verlässlichkeit dieser Quellen ausgehen.
1.10 Der Ausschuss macht die Kommission auf die große Bedeutung von traditioneller Musik, mündlicher Überlieferung, Fotografien und Filmwerken für das Kulturerbe der EU aufmerksam und spricht sich für die Gleichbehandlung derartiger Aufzeichnungen und Bilder in den Archiven der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Einrichtungen bei der Identifizierung und Veröffentlichung verwaister Werke aus. Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass in Artikel 11 der Richtlinie die mögliche Einbeziehung von Schutzgegenständen in den Anwendungsbereich der Richtlinie vorgesehen ist, die derzeit nicht darunter fallen, insbesondere Tonträger und eigenständige Fotografien, und fordert die Kommission auf, sie so rasch wie möglich darin aufzunehmen.
1.11 Der Ausschuss begrüßt ferner die von der Kommission angestrebte Unterzeichnung einer Absichtserklärung durch Bibliotheken, Verleger, Autoren und Verwertungsgesellschaften, mit der die Lizenzvergabe für die Digitalisierung und Verfügbarmachung vergriffener Bücher erleichtert werden soll (9).
2. Hintergrund
2.1 Die Kommission hat eine Strategie für Rechte des geistigen Eigentums (10) vorgeschlagen, die Teil ihres Gesamtprogramms zur Förderung von nachhaltigem Wachstum und Arbeitsplätzen im Binnenmarkt und der Verbesserung der weltweiten Wettbewerbsfähigkeit Europas ist. Die Strategie ist eine Ergänzung und ein wichtiger Bestandteil der Europa-2020-Strategie, der Binnenmarktakte (11) und der Digitalen Agenda für Europa.
2.2 In einer unlängst vorgelegten Mitteilung, zu der der Ausschuss derzeit eine Stellungnahme ausarbeitet, erwägt die Kommission die Errichtung eines Binnenmarkts für Rechte des geistigen Eigentums (12). Eines der ersten Produkte dieser Strategie für Rechte des geistigen Eigentums ist die vorgeschlagene Richtlinie für eine leichtere Nutzung verwaister Werke, die zahlreiche Kulturwerke in allen Mitgliedstaaten online zugänglich machen wird. Dadurch wird auch der Ausbau europäischer digitaler Bibliotheken gefördert, die das reiche geistig-kulturelle Erbe Europas erhalten und verbreiten.
2.3 Die Digitalisierung und Verbreitung verwaister Werke ist eine besondere kulturelle und wirtschaftliche Herausforderung. Wird ein Inhaber der Urheberrechte nicht ausfindig gemacht, so kann den Nutzern nicht die erforderliche Genehmigung erteilt und infolgedessen z.B. ein Buch nicht digitalisiert werden. Verwaiste Werke machen einen erheblichen Teil der Sammlungen europäischer Kultureinrichtungen aus; so sind nach Schätzungen der British Library 40 % ihrer urheberrechtlich geschützten Sammlungen (insgesamt 150 Mio. Werke) verwaiste Werke.
2.4 Die Kommission schlägt nun eine Richtlinie vor, mit der für alle Mitgliedstaaten einheitliche Regeln für die Handhabung solcher Werke festgelegt werden, um dadurch die in der Digitalen Agenda für Europa vorgesehene groß angelegte Digitalisierung zu erleichtern.
2.5 Die Kommission hat eine Folgenabschätzung durchgeführt und dabei sechs verschiedene Optionen für den Umgang mit verwaisten Werken untersucht (13). Als zweckmäßigster Ansatz erwies sich dabei die gegenseitige Anerkennung des „Waisenstatus“ von Werken durch die Mitgliedstaaten. Dadurch würden Bibliotheken und sonstige, in Artikel 1 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags genannte Begünstigte Rechtssicherheit bezüglich des „Waisenstatus“ eines bestimmten Werks erhalten. Die gegenseitige Anerkennung stellt darüber hinaus sicher, dass die in einer digitalen Bibliothek enthaltenen verwaisten Werke Interessenten in ganz Europa zur Verfügung stehen.
2.6 Die Richtlinie beruht auf vier Säulen:
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i. |
Damit der Status als „verwaistes Werk“ festgestellt wird, sind Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen und Archive, im Bereich des Filmerbes tätige Institute und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten verpflichtet, eine vorherige sorgfältige Suche gemäß den Anforderungen der vorgeschlagenen Richtlinie in dem Mitgliedstaat durchzuführen, in dem das Werk zuerst veröffentlicht wurde. |
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ii. |
Sobald bei der sorgfältigen Suche der „Waisenstatus“ eines Werks festgestellt wurde, gilt das betreffende Werk in der ganzen EU als verwaistes Werk, sodass sich eine mehrfache sorgfältige Suche erübrigt. |
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iii. |
Auf dieser Grundlage wird es möglich sein, verwaiste Werke zu kulturellen und bildungspolitischen Zwecken ohne eine vorherige Genehmigung online zur Verfügung zu stellen, sofern der Urheber des Werks den „Waisenstatus“ nicht beendet. In diesem Fall sollen Rechteinhaber, die Rechtsansprüche an ihren Werken geltend machen, vergütet werden. Bei einer solchen Vergütung sollen die Art des Werks und die jeweilige Nutzung berücksichtigt werden. |
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iv. |
Die Mitgliedstaaten erkennen gegenseitig den Waisenstatus eines Werks an. |
3. Bemerkungen
3.1 Der Ausschuss hält es für wichtig, bei allen politischen Initiativen im Bereich der Rechte des geistigen Eigentums für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Rechten der Kunstschaffenden und Inhaber und den Interessen der Nutzer und Endverbraucher zu sorgen, sodass die Werke einer möglichst breiten Öffentlichkeit in allen Mitgliedstaaten zugänglich gemacht werden.
3.2 Um die Suche nach Rechten des geistigen Eigentums zu erleichtern, könnte die Kommission die Liste der in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie genannten Einrichtungen, die für die Handhabung verwaister Werke zuständig sind, veröffentlichen und regelmäßig aktualisieren.
3.3 Außerdem müssen diese Einrichtungen davon ausgehen können, dass die Quellen, die Aufzeichnungen über sorgfältige Suchen in einem anderen Mitgliedstaat führen, amtlicherseits zuverlässig sind. Daher sollten die Mitgliedstaaten ein Verzeichnis der in ihrem Land vorhandenen Datenbanken führen, die amtlich zur Dokumentierung der Ergebnisse einer in ihrem Hoheitsgebiet durchgeführten sorgfältigen Suche zugelassen sind, wie in Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie vorgesehen.
3.4 Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass in Artikel 11 der vorgeschlagenen Richtlinie die mögliche Einbeziehung von Schutzgegenständen in den Anwendungsbereich der Richtlinie vorgesehen ist, die derzeit nicht darunter fallen, insbesondere Tonträger und eigenständige Fotografien. Unbeschadet dieser Überprüfungsklausel ist es schon jetzt nötig, für die frühzeitige Veröffentlichung dieser kulturellen Artefakte zu sorgen.
3.4.1 Traditionelle Musik und mündliche Überlieferung sind von sehr großer Bedeutung für das Kulturerbe Europas; es gibt einen reichhaltigen Bestand an aufgezeichnetem Material in der gesamten EU, nicht nur bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, sondern auch bei den übrigen, in Artikel 1 Absatz 1 aufgeführten Einrichtungen. Für das gesamte Ton- und audiovisuelle Material sollten die gleichen Regeln für Suche, Einstufung und Nutzung gelten wie für die anderen Werke, die in Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie aufgeführt sind.
3.4.2 In ähnlicher Weise ist auch fotografisches und kinematografisches Material eine besonders ergiebige Informationsquelle, die das Wissen über die europäische Zivilisation und deren Verständnis bereichert. Dort, wo solche Werke als verwaiste Werke einzustufen sind, sollte alles getan werden, um dieses Material aus den verborgenen Archiven öffentlicher Einrichtungen herauszuholen.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Über Europeana können die digitalen Bestände in Europas Museen, Bibliotheken, Archiven und audiovisuellen Sammlungen erkundet werden. Das Projekt wird von der Europäischen Kommission finanziert. Es wurde 2008 mit dem Ziel ins Leben gerufen, das kulturelle und wissenschaftliche Erbe Europas öffentlich zugänglich zu machen. Siehe www.europeana.eu.
(2) KOM(2011) 287 endg. „Ein Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums“.
(3) Siehe Europa-2020-Strategie (KOM(2010) 2020 endg.), Jahreswachstumsbericht 2011 (KOM(2011) 11 endg.), Eine digitale Agenda für Europa (KOM(2010) 245 endg.), Binnenmarktakte (KOM(2011) 206 endg.) und Innovationsunion (KOM(2010) 546 endg.).
(4) ABl. C 116 vom 28.4.1999, S. 35; ABl. C 155 vom 29.5.2001, S. 80; ABl. C 221 vom 7.8.2001, S. 20; ABl. C 32 vom 2.2.2004, S. 15; ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 23; ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 7; ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 3; ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 36; ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 8; ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 52; ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 7; ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 105; ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58.
(5) Verwaiste Werke sind z.B. Bücher oder Zeitungs- bzw. Zeitschriftenartikel, die nach wie vor urheberrechtlich geschützt sind, wobei jedoch der Inhaber der Urheberrechte für die Zwecke der Genehmigung einer Wiedergabe nicht ausfindig gemacht werden kann. Verwaiste Werke umfassen auch audiovisuelle und Filmwerke und befinden sich in den Beständen europäischer Bibliotheken.
(6) ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58.
(7) ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 7; ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 36; ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 52; ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 105; ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58.
(8) ARROW (Accessible Registries of Rights Information and Orphan Works towards Europeana) ist ein von einem Zusammenschluss europäischer nationaler Bibliotheken, Verlage und kollektiver Verwaltungsorganisationen durchgeführtes Projekt, in dem auch Autoren durch die wichtigsten europäischen Verbände und nationalen Organisationen vertreten sind. Siehe www.arrow-net.eu.
(9) Siehe IP/11/630 vom 24. Mai 2011.
(10) KOM(2011) 287 endg. „Ein Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums“.
(11) KOM(2011) 206 endg., Binnenmarktakte - Zwölf Hebel zur Förderung von Wachstum und Vertrauen - „Gemeinsam für neues Wachstum“.
(12) KOM(2011) 287 endg.
(13) SEK(2011) 615 endg. „Impact assessment on the cross-border online access to orphan works“ (Folgenabschützung über den grenzüberschreitenden Online-Zugang zu verwaisten Werken).
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/69 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur europäischen Normung und zur Änderung der Richtlinien 89/686/EWG und 93/15/EWG des Rates sowie der Richtlinien 94/9/EG, 94/25/EG, 95/16/EG, 97/23/EG, 98/34/EG, 2004/22/EG, 2007/23/EG, 2009/105/EG und 2009/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“
KOM(2011) 315 endg. — 2011/0150 (COD)
2011/C 376/13
Berichterstatter: Antonello PEZZINI
Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 24. Juni 2011 bzw. am 23. Juni 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur europäischen Normung und zur Änderung der Richtlinien 89/686/EWG und 93/15/EWG des Rates sowie der Richtlinien 94/9/EG, 94/25/EG, 95/16/EG, 97/23/EG, 98/34/EG, 2004/22/EG, 2007/23/EG, 2009/105/EG und 2009/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“
KOM(2011) 315 endg. — 2011/0150 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 30. August 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 121 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt die Initiative der Kommission zur Überarbeitung des europäischen Normungssystems mit dem Ziel, dessen zahlreiche Vorzüge beizubehalten, die Mängel zu beseitigen, den richtigen Ausgleich zwischen der internationalen, der europäischen und der nationalen Dimension zu schaffen und im weltweiten Vergleich Spitzenqualität zu gewährleisten.
1.2 Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass ein flexibler und dynamischer EU-Rechts- und Regelungsrahmen geschaffen werden muss, um den Mehrwert der technischen Normung in Europa zu optimieren und so Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Wachstum zu fördern.
1.3 Der Ausschuss weist auf die Bedeutung der europäischen Normung für das Funktionieren und die Konsolidierung des Binnenmarktes hin. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz sowie Interoperabilität, in denen heutzutage die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) eine immer größere Rolle spielen.
1.4 Der Ausschuss hält es für sehr wichtig, die Ausarbeitung der Normen zu beschleunigen und die Maßnahmen auf die Dienstleistungen und die Informations- und Kommunikationstechnologien auszuweiten. Dabei muss der Qualität und Sicherheit sowie dem Volumen der entwickelten Normen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, indem Internetplattformen für die Konsultation und den Informationsaustausch genutzt werden.
1.5 Nach Ansicht des EWSA sollten die von internationalen Foren und/oder Industrievereinigungen im IKT-Bereich angenommenen Spezifikationen erst nach einem Prüfungsverfahren durch die europäischen Normungsgremien zugelassen werden, an dem Vertreter der KMU, der Verbraucher- und Umweltschutzverbände, der Arbeitnehmer sowie der wichtige soziale Interessen vertretenden Organisationen beteiligt werden.
1.6 Der EWSA begrüßt die Vereinfachung der Systeme für die Finanzierung, die den europäischen und nationalen Normungsgremien und anderen mit Normungstätigkeit betrauten Gremien sowie den europäischen Vertretungsorganisationen der interessierten Parteien gemäß einer geeigneten Rechtsgrundlage gewährt wird.
1.7 Der EWSA empfiehlt, ein gemeinsames Planungsdokument auszuarbeiten, um Kohärenz, Koordinierung und Berücksichtigung der künftigen Ziele des Marktes zu gewährleisten. Aus diesem Grund müssten alle von der Jahresplanung betroffenen Parteien an der Aufstellung der Arbeitsprogramme der europäischen Normungsgremien und anderer mit der Entwicklung sektoraler technischer Spezifikationen im IKT-Bereich befasster Instanzen, der zuständigen Kommissionsdienststellen sowie der nationalen Normungsgremien beteiligt werden.
1.8 Der Ausschuss unterstreicht außerdem, dass schnellstens aktualisierte technische Normen im Dienstleistungsbereich erforderlich sind, der sich bis 2020 zu einem tragenden innovativen Wirtschaftssektor weiterentwickeln wird. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass der besondere Charakter der Dienstleistungen zu berücksichtigen ist, weshalb die Normung von Waren nicht automatisch übertragbar ist. Bei der weiteren Erarbeitung von Normen für Dienstleistungen ist von den Bedürfnissen des Marktes und der Gesellschaft auszugehen.
1.9 Der EWSA hält es für wichtig, dass ein stabiler mehrjähriger Finanzrahmen für das europäische Normungssystem gewährleistet wird. Er nimmt besorgt zur Kenntnis, dass die Kommission lediglich für 2013 Mittelzuweisungen für diese Maßnahme vorschlägt.
1.10 Der Ausschuss empfiehlt ein Höchstmaß an Interaktion zwischen der technischen Normung und den europäischen Forschungs- und Innovationsprogrammen, um eine rasche Nutzung neuer Technologien und der sich daraus ergebenden Wettbewerbsvorteile für die europäische Wirtschaft auf dem Weltmarkt zu ermöglichen.
1.11 Der EWSA rät zu engen Verbindungen zwischen den europäischen Normungsgremien und den für den Schutz des geistigen Eigentums zuständigen Patentämtern.
1.12 Der Ausschuss fordert, dass in den neuen Regelungen ausdrücklich die Stärkung der europäischen Position im Rahmen der internationalen Normung vorgesehen wird, um den Handel zu erleichtern und die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
2. Einleitung
2.1 Der Ausschuss hat stets betont, dass die technische Normung eine wichtige Rolle spielt, da sie beiträgt:
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zur Qualität der europäischen Produkte und Dienstleistungen; |
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— |
zu ihrer Wettbewerbsfähigkeit sowohl im Binnenmarkt als auch auf dem Weltmarkt; |
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— |
zum Schutz der Verbraucher; |
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zur Verbesserung der Sozial- und Umweltstandards. |
2.2 Der Ausschuss hat sich stets „für einen stärkeren Einsatz der europäischen Normung in den Politiken und der Rechtsetzung der EU ausgesprochen, um entsprechend den gesellschaftlichen wie auch unternehmerischen Bedürfnissen die technische Normung in neuen Bereichen wie folgenden auszuweiten: Dienstleistungen, Informations- und Kommunikationstechnologien, Verkehr, Verbraucher- und Umweltschutz (1)“.
2.3 Der Ausschuss hat außerdem unterstrichen, dass „die europäische Normung für das Funktionieren und die Konsolidierung des Binnenmarktes wesentlich ist, insbesondere dank den Richtlinien nach dem ‚neuen Ansatz‘ in den Bereichen …“ (2).
2.4 In seiner kürzlich verabschiedeten Stellungnahme Auf dem Weg zu einer Binnenmarktakte bekräftigt der Ausschuss, dass „Normen […] ein wichtiger Baustein des Binnenmarkts [sind]“. Gleichzeitig hat er darauf hingewiesen, „wie wichtig es ist, Verbraucher und KMU stärker einzubinden und dabei unablässig und in nachhaltiger Weise zu gewährleisten, dass die Kostenfaktoren, die ihrer Teilnahme an diesem Prozess im Wege stehen, gesenkt werden. Es darf nicht sein, dass Normen von Einzelakteuren diktiert werden. Die EU-Normen müssen im weltweiten Handel eine größere Rolle spielen und sollten deshalb in den anstehenden Handelsverhandlungen auf bilateraler und multilateraler Ebene nachdrücklicher vertreten werden“ (3).
2.5 Die technische Normung ist für das Funktionieren des Binnenmarktes und die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Produkten und Dienstleistungen insofern von entscheidender Bedeutung. Denn sie ist ein strategisches Instrument, um die Qualität von Waren und Dienstleistungen, die Interoperabilität von Netzen und Systemen, ein hohes Verbraucher- und Umweltschutzniveau sowie ein höheres Maß an Innovation und sozialer Inklusion zu gewährleisten.
2.6 Damit diese Rolle wirksam ausgefüllt werden kann, ist u.a. Folgendes erforderlich:
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— |
das europäische Verfahren der technischen Normung muss es erlauben, schnell zu reagieren - zum einen auf die Vorgaben des Gesetzgebers auf Vorschlag der Kommission und zum andern auf ein sich rasch wandelndes Produktionsumfeld, in dem die Lebensdauer und der Entwicklungszyklus der Produkte immer kürzer werden, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, schneller und flexibler zu werden, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein; |
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— |
die technischen Normen müssen mit der schnellen technologischen Entwicklung Schritt halten können, da sie ansonsten nutzlos werden, und immer weitere Bereiche - insbesondere die Informationstechnologien und die Dienstleistungen - abdecken, wobei Quantität, Schnelligkeit und Qualität bei der Ausarbeitung der Normen zu gewährleisten ist, auch über Internet-Plattformen für die Konsultation; |
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— |
die Ausarbeitung und Anwendung der Normen muss an die Erfordernisse der kleinen mittleren Unternehmen angepasst werden und nicht umgekehrt, indem ein hohes Maß an Vertretung und Beteiligung bei der Normungstätigkeit insbesondere auf europäischer Ebene und unter Wahrung der Ausgewogenheit der nationalen Delegationen gewährleistet wird, da die Beziehung der KMU zu technischen Normen im Allgemeinen schwierig und komplex ist; |
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— |
durch eine freiwillige, offene und transparente Zusammenarbeit, an der sich Industrie, KMU, Behörden und interessierte Kreise der Zivilgesellschaft gleichermaßen beteiligen können, muss ein möglichst hohes Maß an Legitimation und ein möglichst breiter Konsens sichergestellt werden: Da Normen oft die Sicherheit und das Wohlergehen der Bürger, die Effizienz von Netzen, die Umwelt sowie andere Bereiche staatlicher Politik zum Gegenstand haben, müssen die betroffenen Kreise über eine angemessene Vertretung und über entsprechenden Einfluss verfügen; |
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das europäische Normungssystem muss mithilfe geprüfter europäischer Referenznormen den Erfordernissen der vollen Interoperabilität und Kompatibilität mit den Anwendungen und Dienstleistungen der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) entsprechen; |
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für das europäische Normungssystem muss eine angemessene vereinfachte Finanzierung verfügbar gemacht werden, um die umfassende Beteiligung aller interessierten Kreise an der Ausarbeitung der Normen zu gewährleisten, wobei die Normung zur Unterstützung der Strategie Europa 2020 automatisch in die öffentlichen Forschungs- und Innovationsprogramme aufgenommen werden sollte; |
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— |
sofern ein angemessener Grad der Transparenz, Offenheit und eine ausgewogene Beteiligung aller interessierten Kreise gewährleistet ist, sind die Normen weltweit anerkannter und durch die europäischen Normungsgremien wie CEN, CENELEC und ETSI (4) bestätigter IKT-Foren und -Vereinigungen aufzunehmen, damit in den EU-Rechtsvorschriften für die Auftragsvergabe darauf verwiesen werden kann; |
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— |
das System für den Informationsaustausch zwischen sämtlichen Normungsorganisationen und -einrichtungen in Europa muss angemessen gestärkt werden, und für alle interessierten Kreise muss ein fairer Zugang zu den Normen gewährleistet werden. |
2.7 Hinsichtlich der finanziellen Unterstützung sei daran erinnert, dass mit dem Beschluss Nr. 1673/2006/EG, zu dem der Ausschuss eine Stellungnahme abgegeben hat, der Beitrag der Europäischen Union zur Finanzierung des europäischen Normungssystems geregelt wird, um sicherzustellen, dass europäische Normen und andere europäische Normungsprodukte zur Unterstützung der Ziele, Rechtsvorschriften und Politiken der Europäischen Union entwickelt und überprüft werden. Dieselben Bestimmungen sollten auch für diejenigen Einrichtungen gelten, die zwar im Rahmen dieser Regelung nicht als europäische Normungsgremien anerkannt sind, jedoch mit der Durchführung von Vorarbeiten für die europäische Normung beauftragt wurden.
2.8 Da das Tätigkeitsfeld der europäischen Normung zur Unterstützung der politischen und rechtsetzenden Maßnahmen der Europäischen Union sehr groß ist und da es unterschiedliche Arten der Normungstätigkeit gibt, sind unterschiedliche Finanzierungsmodalitäten notwendig.
3. Die Vorschläge der Kommission
3.1 Mit dem Verordnungsvorschlag soll folgenden Erfordernissen Rechnung getragen werden:
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— |
um den Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen spürbar zu unterstützen und das Entstehen von Handelshemmnissen innerhalb der EU zu verhindern, müssen die von den Normungsgremien verabschiedeten europäischen Normen sowohl Waren als auch Dienstleistungen betreffen und durch die EU kofinanziert werden; die Erstellung europäischer Normen sollte beschleunigt werden und mit den immer schnelleren Entwicklungszyklen der Produkte und Dienstleistungen Schritt halten; |
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— |
da eine Norm aus dem Konsens der an ihrer Erstellung Beteiligten hervorgeht, muss der Normungsprozess durch die Beteiligung der interessierten zivilgesellschaftlichen Gruppen wie der Sozialpartner, der kleinen und mittleren Unternehmen, der Verbraucher und der Umweltschützer legitimiert werden; |
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um über Normen zu verfügen, die die Interoperabilität zwischen Diensten und Anwendungen im Informations- und Kommunikationssektor gewährleisten, müssen IKT-Normen auch dann offiziell anerkannt werden können, wenn sie außerhalb der europäischen Normungsgremien von Fachforen und -vereinigungen ausgearbeitet wurden. |
3.2 Daher ist in dem Vorschlag - neben der Änderung der Richtlinien 89/686/EWG und 93/15/EWG, 94/9/EG, 94/25/EG, 95/16/EG, 97/23/EG, 98/34/EG, 2004/22/EG, 2007/23/EG, 2009/105/EG und 2009/23/EG - die Überarbeitung und Zusammenführung von Richtlinien und Beschlüssen vorgesehen.
3.3 Mit der neuen Regelung wird mittels einer Verordnung, um die einheitliche Anwendung sicherzustellen, Folgendes angestrebt:
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mehr Transparenz und Zusammenarbeit zwischen den nationalen Normungsgremien, den europäischen Normungsgremien und der Kommission; |
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Anerkennung der Verwendung von IKT-Normen (Hardware, Software und IT-Dienstleistungen), die von anderen Organisationen entwickelt wurden, sofern sie mit den Grundsätzen des Übereinkommens über technische Handelshemmnisse (TBT) und der Welthandelsorganisation (WTO) übereinstimmen und die Voraussetzung einer europäischen Interoperabilität erfüllen; |
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jährliche Planung der Prioritäten für die europäischen Normungstätigkeiten und der erforderlichen Mandate der Kommission; |
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stärkere Vertretung nicht nur der KMU mit finanzieller Unterstützung der EU, sondern auch der Verbraucher, Umweltschützer und sozialer Interessengruppen, u.a. auch bei Tätigkeiten zur Begleitung und Vorbereitung; |
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Maßnahmen zur Beschleunigung der Ausarbeitung technischer europäischer Normen auf Ersuchen der Kommission mit finanzieller Unterstützung für die Bemühungen um Konsensfindung in den europäischen Normungsgremien; |
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Anreize auch für die Förderung technischer europäischer Normen auf internationaler Ebene und Programme zur technischen Unterstützung von und zur technischen Zusammenarbeit mit Drittländern; |
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Förderung der Normung auf europäischer und internationaler Ebene auch durch Erleichterungen für die Unternehmen bezüglich der Übersetzung der Normen in die Amtssprachen der EU, um den Zusammenhalt und den Zugang zu verbessern; |
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Verstärkung der Normungstätigkeit im Dienstleistungsbereich im Auftrag der Kommission, um eine Vielzahl nationaler Normen zu vermeiden; |
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Verringerung des Verwaltungsaufwands durch Pauschalfinanzierungen ohne Überprüfung der tatsächlichen Kosten; |
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Einführung eines leistungsbezogenen Systems, das sich auf gemeinsame Indikatoren und Ziele in Bezug auf die Ergebnisse und Leistungen stützt, um die Effizienz und die Geschwindigkeit der Ergebnisse und der dafür angewandten Verfahren zu verbessern; |
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Übermittlung eines Jahresberichts der europäischen Normungsgremien an die Kommission, insbesondere über finanzielle Aspekte sowie Transparenz, Schnelligkeit, Vereinfachung, Beteiligungsmöglichkeiten und Qualität der Normungstätigkeit. |
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1 Der Ausschuss unterstützt die Zielsetzungen des Kommissionsvorschlags, da ein rasches, wirksames und partizipatives europäisches Normungsverfahren nicht nur ein tragendes Element der Architektur des Binnenmarktes darstellt, der im Mittelpunkt der europäischen Integration und der ihrer Verwirklichung dienenden Strategie Europa 2020 steht, sondern auch und vor allem eine Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und ein Motor für die Innovation ist.
4.2 Nach Auffassung des EWSA müssen die Normungsgremien dazu angehalten werden, in ihren Arbeitsprogrammen ihre Politik hinsichtlich der Rechte an geistigem Eigentum zu bewerten, und dabei der Förderung der Innovation und der Intensivierung der Beziehungen zu den Patentämtern - insbesondere dem Europäischen Patentamt in München - mehr Beachtung zu schenken. Fragen des geistigen Eigentums sollten von Anfang an berücksichtigt werden, damit die Qualität sowohl der Patente als auch der Normen selbst verbessert wird.
4.3 Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, das europäische Normungssystem mit dem Ziel zu überarbeiten, seine zahlreichen Vorzüge beizubehalten, seine Mängel zu beseitigen, das richtige Gleichgewicht zwischen der europäischen und der nationalen Dimension anzustreben und den neuen Erfordernissen und Erwartungen der Unternehmen, Verbraucher, Sozialpartner sowie der europäischen Gesellschaft insgesamt gerecht zu werden.
4.4 Nach Auffassung des Ausschusses müssen die Zeiträume für die Entwicklung der Normen verkürzt und die Maßnahmen auf die Dienstleistungen und die Informations- und Kommunikationstechnologien ausgeweitet werden. Dies unter der Bedingung, dass dabei die Qualitätsziele der Normen eingehalten werden und die Ausweitung auf Einrichtungen außerhalb der europäischen Normungsgremien mit den gleichen Garantien hinsichtlich Transparenz und Beteiligung einhergeht, die für letztere gelten.
4.4.1 Der Ausschuss hält es daher für unverzichtbar, dass die europäischen Normungsgremien und die Kommission im Rahmen einer präventiven Kontrolle bestätigen, dass die von internationalen Foren und/oder Branchenvereinigungen festgelegten Spezifikationen, die in öffentlichen Ausschreibungsverfahren als Referenz angegeben werden sollen, in einem unparteiischen, fairen und transparenten Verfahren ausgearbeitet wurden. An diesem müssen die Vertreter der kleinen und mittleren Unternehmen, Verbraucher, Umweltschützer, Arbeitnehmer sowie der wichtige soziale Interessen vertretenden Organisationen angemessen beteiligt werden.
4.4.2 Durch diese notwendige verstärkte Beteiligung darf nach Ansicht des Ausschusses das Verfahren für die Ausarbeitung der Normen im Konsensweg nicht schwerfälliger und langwieriger werden; es sollte im Gegenteil deutlich beschleunigt werden, indem Internetplattformen für die Konsultation, die Ausarbeitung und den Informationsaustausch genutzt werden (5).
4.5 Desgleichen fordert der Ausschuss, in der Verordnung die Ausarbeitung einer mehrjährigen Vorausplanung für die Normung in Europa vorzusehen, um effizienter und koordinierter auf globale politische Maßnahmen reagieren zu können. Diese sind notwendig, um neben den dringlichen ökologischen und sozialen Herausforderungen Fragen des Klimawandels, der Entwicklung der intelligenten Netze, der erneuerbaren Energien und deren Einspeisung zu bewältigen.
4.6 Um die wirksame Beteiligung aller interessierten Parteien am Normungsverfahren sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene zu fördern und zu erleichtern, ist es nach Ansicht des EWSA notwendig, Ausbildungsprogramme zu unterstützen. Für die schwächsten nationalen Normungsgremien, die gegenwärtig keine Sekretariate für Fachausschüsse besitzen, müssen entsprechende Maßnahmen vorgesehen werden, die ihnen eine aktivere Rolle im Normungsverfahren ermöglichen.
4.7 Die Erstellung jährlicher Arbeitsprogramme durch die europäischen Normungsgremien, durch andere, mit der Entwicklung sektoraler technischer Spezifikationen im IKT-Bereich befasste Strukturen sowie durch die zuständigen Kommissionsdienststellen und die nationalen Normungsgremien könnte wirkungsvoll dazu beitragen, dass innerhalb angemessener Zeit ein adäquates Volumen an hochwertigen Normen zustande kommt, wobei Kohärenz und Koordinierung sowie eine wirksame Beteiligung aller an der Jahresplanung interessierten Kreise gewährleistet werden müssen.
4.8 Der EWSA begrüßt die Vereinfachung der Mechanismen für die auf einer geeigneten Rechtsgrundlage basierende Finanzierung, die den europäischen und nationalen Normungsgremien und anderen mit Normungstätigkeit betrauten Gremien sowie den europäischen Vertretungsorganisationen der Interessengruppen gemäß Anhang III gewährt wird.
4.8.1 Der EWSA stellt besorgt fest, dass die Kommission lediglich für 2013 Mittelzuweisungen für diese Maßnahme vorschlägt, und hält es für wichtig, einen stabilen mehrjährigen Finanzierungsrahmen vorzusehen, der so bald wie möglich greift.
4.9 Bezüglich harmonisierter europäischer Normen, durch die gewährleistet wird, dass die Produkte grundlegende Bestimmungen der EU-Rechtsvorschriften erfüllen, wirkt sich das Fehlen harmonisierter Normen so aus, dass Unternehmen nicht die entsprechende Norm heranziehen können, um eine Vermutung der Konformität zu begründen; stattdessen müssen sie die Konformität mit den wesentlichen Anforderungen im Einklang mit dem in der jeweils geltenden EU-Rechtsvorschrift enthaltenen Konformitätsbewertungsmodul nachweisen. In beiden Fällen werden Unternehmen daran gehindert, Kosten, die aufgrund der Zersplitterung des Binnenmarktes oder aufgrund von Konformitätsbewertungsverfahren anfallen, zu vermeiden (6).
4.9.1 In dieser Hinsicht müssen nach Ansicht des Ausschusses stärkere Anreize für ihre freiwillige Festlegung und Anwendung gesetzt werden, um immer höhere Sicherheitsniveaus der Produkte zu gewährleisten.
4.10 Nach Auffassung des Ausschusses muss die vorgeschlagene Verordnung entsprechende Bestimmungen enthalten, um die Umsetzung der im europäischen Normungssystem angenommenen technischen Normen zu fördern und die Rolle der nationalen und europäischen Normungsgremien in den internationalen Normungsorganisationen zu stärken. Dies könnte durch koordinierte europäische Initiativen zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Innovation erreicht werden.
5. Besondere Bemerkungen
5.1 Es wäre zweckmäßig gewesen, in Anhang I auch die anerkannten nationalen Normungsgremien aufzuführen.
5.2 Es muss zwischen „technischen Spezifikationen“ und offiziellen Normen unterschieden werden: Der Ausschuss schlägt vor, in Erwägungsgrund 19„Normen und technische Spezifikationen“ zu ergänzen und den Begriff „Normen“ in Erwägungsgrund 20 und 22 in „technische Spezifikationen“ abzuändern.
5.3 In Artikel 2 muss „eine technische Spezifikation“ präzisiert werden durch „eine durch ein anerkanntes Normungsgremium festgelegte technische Spezifikation zur wiederholten oder ständigen Anwendung …“ und ein neuer Absatz aufgenommen werden: 9. „Nationales Normungsgremium“: ein in Anhang I aufgeführtes Gremium.
5.4 In Artikel 3 muss nach Auffassung des EWSA den nationalen Normungsgremien die Möglichkeit eingeräumt werden, Einwände selbst dann geltend zu machen, wenn sie gegen die europäischen Arbeitsprogramme keinen Widerspruch einlegen können. Er schlägt daher vor, Absatz 5 wie folgt zu ändern: „Die nationalen Normungsgremien stellen sich nicht dagegen, dass ein in ihrem Arbeitsprogramm enthaltener Normungsgegenstand auf europäischer Ebene nach den Regeln der europäischen Normungsgremien behandelt wird, und ergreifen keine Maßnahme, die einer Entscheidung hierüber vorgreifen könnte“.
5.4.1 Der EWSA schlägt außerdem vor, einen neuen Absatz 6 folgenden Wortlauts einzufügen:„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit ihre Normungsgremien während der Ausarbeitung einer europäischen Norm nach Artikel 7 nichts unternehmen, was die angestrebte Harmonisierung beeinträchtigen könnte, und insbesondere in dem betreffenden Bereich keine neue oder überarbeitete nationale Norm veröffentlichen, die nicht vollständig mit einer bestehenden europäischen Norm übereinstimmt“.
5.5 In Artikel 7 schlägt der EWSA in Absatz 3 die Aufnahme eines neuen Unterabsatzes (3.1) folgenden Wortlauts vor: „Im Falle der Anforderung einer harmonisierten Norm muss diese durch ein Mandat der Kommission an das betreffende europäische Normungsgremium förmlich geregelt werden“.
5.5.1 Nach Auffassung des EWSA könnte der Vorschlag, den europäischen Normungsgremien nur einen Monat Zeit für ihre Reaktion auf den Auftrag der Kommission einzuräumen, die Anhörung von Interessengruppen eventuell einschränken. Der EWSA empfiehlt eine Frist von drei Monaten.
5.6 In Artikel 9 schlägt der EWSA vor, den Untertitel in „Anerkennung technischer Spezifikationen im IKT-Bereich für öffentliche Aufträge“ abzuändern und den Artikel am Anfang folgendermaßen zu ergänzen: „Im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien [kann] die Kommission […] entweder …“.
5.7 In Artikel 16 schlägt der EWSA nach Buchstabe a) die Aufnahme eines Absatzes a) i) (a1) wie folgt vor:
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„a) i) |
die in Anhang I enthaltene Liste nationaler Normungsgremien auf Grundlage der von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 21 übermittelten Informationen zu aktualisieren;“ |
und Buchstabe b) durch folgenden Wortlaut zu ersetzen:
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„b) |
die in Anhang II enthaltenen Kriterien für die Anerkennung von technischen Spezifikationen im Bereich der IKT in öffentlichen Aufträgen an technische Entwicklungen anzupassen;“ |
5.8 In Artikel 17 schlägt der EWSA die Ergänzung von Absatz 2 wie folgt vor:
Die in Artikel 16 genannte Befugnisübertragung an die Kommission ist unbefristet und tritt am 1. Januar 2013 in Kraft. „Die Kommission erstellt einen Bericht über die im Bereich übertragene Befugnisse ergriffenen Maßnahmen, der zusammen mit dem in Artikel 19 Absatz 3 vorgesehenen Bericht vorzulegen ist“.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Vgl. ABl. C 110 vom 9. Mai 2006, S. 14.
(2) Vgl. Fußnote 1.
(3) Vgl. ABl. C 132 vom 3. Mai 2011, S. 47.
(4) ETSI: Das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) ist eine unabhängige, nicht gewinnorientierte EU-Normungsorganisation in der Telekommunikationsbranche.
(5) Wie im Falle der ISO und der IEC sind die technischen Spezifikationen Vorgaben, bei denen kein ausreichender Konsens für den Status einer internationalen Norm erzielt wurde.
(6) KOM(2011) 315 endg., Begründung, Ziffer 1, und Erwägungsgründe 18 und 36.
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/74 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission — Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union“
KOM(2010) 573 endg.
2011/C 376/14
Berichterstatterin: Gabriele BISCHOFF
Mitberichterstatter: Cristian PÎRVULESCU
Die Europäische Kommission beschloss am 19. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission — Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union“
KOM(2010) 573 endg.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 31. August 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 158 gegen 3 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Der EWSA
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1.1 |
ist der Auffassung, dass die Kommission die Grundrechtskultur auf EU-Ebene stärken muss, vor allem indem kontrolliert und somit sichergestellt wird, dass ihre Legislativvorschläge und der Rechtsetzungsprozess insgesamt sowie die von ihr angenommenen Rechtsakte mit der Charta vereinbar sind und in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Angesichts der Tatsache, dass es zu schweren Verstößen gegen die Charta gekommen ist, muss dringend eine Strategie angenommen werden, die eine Überwachung und gegebenenfalls eine rasche Reaktion ermöglicht; |
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1.2 |
betont die rechtsverbindliche Verpflichtung zur Förderung der Grundrechte, die zu einem der wichtigsten Elemente der Umsetzungsstrategie werden muss, unter anderem durch neue, gezielte Initiativen; unterstreicht den dynamischen Charakter der Grundrechte, die ein Eckpfeiler unserer Gesellschaften und Kennzeichen der Europäischen Union sind (1); |
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1.3 |
ist der Auffassung, dass die grundlegenden sozialen Rechte untrennbar mit den bürgerlichen und politischen Rechten verbunden sind und deshalb besondere strategische Aufmerksamkeit erfordern; ist der Meinung, dass die in den entsprechenden Rechtsvorschriften enthaltenen Bestimmungen bereits jetzt verbindlich sind und eingefordert werden müssen; |
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1.4 |
betont, dass die Gleichstellung, insbesondere von Männern und Frauen, gewährleistet sein muss und dass sämtliche schutzbedürftigen Gruppen, besonders berücksichtigt werden müssen; |
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1.5 |
betont, dass die Verpflichtungen der Charta für alle Institutionen, Agenturen und Einrichtungen auf EU-Ebene gelten; |
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1.6 |
fordert die Mitgliedstaaten auf, auf allen Regierungsebenen und in allen Bereichen der Politik und der Rechtsetzung eine Grundrechtskultur zu schaffen, die auf die Achtung und Förderung dieser Rechte ausgerichtet ist, und die besonderen Auswirkungen auf die Grundrechte während der Umsetzung zu prüfen und zu ermitteln; |
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1.7 |
ist zutiefst besorgt angesichts der Ausbreitung politischer Positionen, die zu Rückschlägen bei der Achtung und Förderung der Grundrechte führen können und dies in einigen Fällen auch tatsächlich bewirken; |
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1.8 |
bestärkt die Kommission nachdrücklich darin, ihrer Aufgabe als Hüterin der Verträge wirksam nachzukommen und gegebenenfalls Vertragsverletzungsverfahren ohne Rücksicht auf politische Erwägungen einzuleiten; |
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1.9 |
schlägt weitere Initiativen und Fördermaßnahmen vor, mit denen die Wirksamkeit der Strategie zur Umsetzung der Grundrechte erhöht werden kann; |
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1.10 |
fordert sämtliche EU-Institutionen, Agenturen und Einrichtungen sowie die Mitgliedstaaten, die an der Umsetzung der Grundrechte beteiligt sind, und insbesondere die Kommission auf, den partizipativen Aspekt der Zivilgesellschaft entscheidend zu stärken. |
2. Einführung und Hintergrund
2.1 In der vorliegenden Mitteilung soll die Strategie der Kommission zur Umsetzung der Charta in dem seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestehenden neuen rechtlichen Umfeld dargelegt werden. Ziel der Politik der Kommission ist es, den in der Charta enthaltenen Grundrechten eine möglichst große Wirksamkeit zu verleihen.
2.2 Im ersten Teil der Mitteilung geht es vor allem darum, dass sich die Europäische Union in diesem Bereich durch untadeliges Verhalten mit gutem Beispiel voranzugehen bemüht und dass die Charta deshalb in jeder Phase des jeweiligen Verfahrens als Richtschnur für die EU-Politiken und für deren Umsetzung durch die Mitgliedstaaten dienen muss.
2.2.1 Erstens muss die Kommission die Grundrechtskultur in ihren eigenen Reihen stärken, vor allem indem kontrolliert und somit sichergestellt wird, dass ihre Legislativvorschläge und die von ihr angenommenen Rechtsakte mit der Charta vereinbar sind. Zweitens muss die Kommission dafür sorgen, dass jeder einzelne Rechtsakt im Gesetzgebungsverfahren im Einklang mit den Bestimmungen der Charta steht. Sämtliche Änderungen der Mitgesetzgeber sowie der interinstitutionelle Dialog müssen also auch mit der Charta vereinbar sein.
2.2.2 Schließlich muss gewährleistet sein, dass die Mitgliedstaaten die Charta bei der Durchführung des EU-Rechts einhalten.
2.3 Im zweiten Teil der Mitteilung geht es darum, dass die Öffentlichkeit besser informiert werden muss. Dazu müssen gezielte und situationsgerechte Kommunikationsmaßnahmen durchgeführt werden.
2.4 Der dritte Teil der Mitteilung der Kommission behandelt insbesondere den Jahresbericht über die Anwendung der Charta. Einen ersten derartigen Bericht hat die Kommission kürzlich angenommen (2). Mit dem Bericht werden zwei Ziele verfolgt: Erstens soll eine transparente, kontinuierliche und schlüssige Bestandsaufnahme der erzielten Fortschritte vorgelegt werden, und zweitens soll Gelegenheit zu einem jährlichen Meinungsaustausch mit dem Europäischen Parlament und dem Rat geboten werden.
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 Der EWSA misst den Grundrechten höchste Bedeutung bei. Er begrüßt die Veröffentlichung der Mitteilung „Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union“ durch die Kommission. Der EWSA ist der Auffassung, dass dieser Ansatz ein wichtiger Beitrag zum Konzept der Unionsbürgerschaft für alle in der EU lebenden Menschen ist.
3.1.1 Unter den äußerst wichtigen in der Strategie niedergelegten Grundsätzen weist der EWSA insbesondere auf jene der Wirksamkeit, universellen Gültigkeit und Unteilbarkeit hin. Von Bedeutung ist auch, dass die Grundrechte ins Bewusstsein gerückt werden und eine verlässliche Größe darstellen. Allerdings ist der EWSA der Auffassung, dass zahlreiche wichtige Aspekte vernachlässigt oder nicht gründlich genug erörtert wurden und dass diesbezügliche Nachbesserungen erforderlich sind.
3.1.2 In diesem Zusammenhang ist jedoch auf einige weitere Grundsätze hinzuweisen. Wie in einigen bereits verabschiedeten Stellungnahmen zum Ausdruck kommt, „versucht der EWSA, eine allgemeine Kohärenz sicherzustellen und den Schutz der Grundrechte wie Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung zu gewährleisten (und zwar ungeachtet der Berufsgruppe, der ein Arbeitsmigrant angehört)“ (3). Zudem dürfen die Rechtsakte der EU „keine Maßnahmen darstellen […], die hinter die bereits erreichte Verwirklichung der Grundsätze zurückfallen“ (4). Es sollten alle in Frage kommenden Maßnahmen erwogen werden, um die Regierungen Polens, des Vereinigten Königreichs und der Tschechischen Republik davon zu überzeugen, Protokolle mit Ausnahmen (opt-out) zurückzuziehen und sich für die generelle Anwendung der Charta zu entscheiden (opt-in).
3.1.3 Der Ausschuss begrüßt die zahlreichen zusätzlichen Elemente, die die Strategie in Bezug auf Rechtsakte enthält. Insbesondere unterstützt der EWSA den Gedanken, dass die EU im Bereich der Grundrechte Vorbild sein muss, auch in Bezug auf die Außen- und insbesondere die Handelspolitik. Überhaupt sollte die EU nicht nur Vorbild, sondern auch aktiver Förderer von Demokratie und – bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen – Menschenrechten sein und ihr internationales Gewicht für deren Förderung in die Waagschale werfen.
3.1.4 Der EWSA begrüßt die Selbstverpflichtung der Kommission und der anderen EU-Institutionen, ihre Gesetzgebungs- und Arbeitsverfahren, vor allem mit Blick auf Folgenabschätzungen und die einschlägigen Gremien, gründlich zu überprüfen und damit sicherzustellen, dass deren Ergebnisse den Grundsätzen und dem konkreten Inhalt der Charta entsprechen. Um eine wirksame Achtung und Förderung der Grundrechte zu gewährleisten, ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, den Schwerpunkt auf die Umsetzung und auf ein aktives Herangehen der Mitgliedstaaten zu legen. Die Folgenabschätzung in Bezug auf die horizontale Sozialklausel (Artikel 9 AEUV) und die grundlegenden sozialen Rechte wird in einer anderen EWSA-Stellungnahme eingehender untersucht (5).
3.2 Neue Gefahren: Krise und Sicherheitslücken
3.2.1 Die Kommission geht mit ihrer Strategie nicht auf die Risiken für eine wirksame Umsetzung der Grundrechte ein, die aus einer Vielzahl erheblicher neuer Gefahren erwachsen. Die Strategie muss diese Gefahren jedoch berücksichtigen und kohärente und umfassende Antworten geben.
3.2.2 Diesbezüglich hat der EWSA betont: „Vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise kommt es vor allem darauf an, den solidarischen Zusammenhalt zwischen den Staaten, den Wirtschaftsakteuren und den Bürgern zu stärken und im Umgang mit den Menschen die Achtung ihrer Würde und Rechte zu gewährleisten“ (6). „Darüber hinaus hat der EWSA in diesen Krisenzeiten Bedenken hinsichtlich der Haushaltsmittel, über die die Mitgliedstaaten der EU verfügen, sowie der Höhe der Mittel, die die Staaten bereit sind, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene zu mobilisieren, um einen effektiven Schutz der Menschenrechte […] zu ermöglichen“ (7).
3.2.3 In seiner kürzlich erarbeiteten Stellungnahme zur Politik der EU zur Terrorismusbekämpfung, einem Politikbereich, bei dem zahlreiche Grundrechte auf dem Spiel stehen (Menschenwürde, Schutz vor Folter, Datenschutz, Grundsatz der Nichtzurückweisung), erläuterte der EWSA die praktischen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der Grundrechte bei der Erarbeitung politischer Konzepte und Maßnahmen. Der EWSA begrüßt, dass der Achtung der Grundrechte in diesem sehr heiklen Bereich als bereichsübergreifendem Aspekt Vorrang eingeräumt wird. Allerdings sollten die Bemühungen der Kommission in Bezug auf die Achtung der Grundrechte durch entsprechende Maßnahmen der einzelstaatlichen Regierungen insbesondere bei der Umsetzung des EU-Rechts ergänzt werden. Des Weiteren sollte sich der Schutz der Grundrechte nicht auf den Entwurf und die Erarbeitung von Instrumenten beschränken, sondern auch deren Umsetzung umfassen (8).
3.3 Eine wichtige neue Dimension: Rechtsverbindliche Verpflichtung zur Förderung der Grundrechte
3.3.1 Die Kommission muss nun Wege finden, wie sie die Grundrechte in ihrer Arbeit am besten schützen kann und wie die Grundrechte durch neue gezielte Initiativen am besten gefördert werden können.
3.3.2 Nach Artikel 51 Absatz 1 der Charta ist die Anwendung der Grundrechte zu fördern. Dieser Tatsache kommt nach Auffassung des EWSA erhebliche Bedeutung zu. Der Ausschuss stellt fest, dass die Kommission zwar in mancher Hinsicht auf die Förderung der Grundrechte eingeht, jedoch nicht die strategische Bedeutung dieser Verpflichtung betont. In der Strategie sollte diesem Aspekt mindestens dasselbe Maß an strategischer Richtungsweisung beigemessen werden wie der Verpflichtung zur Einhaltung der Grundrechte.
3.4 Die grundlegenden sozialen Rechte sind untrennbar mit den bürgerlichen und politischen Rechten verbunden und erfordern deshalb besondere strategische Aufmerksamkeit.
3.4.1 Unter Verweis auf die Bedeutung der Unteilbarkeit der Grundrechte, die in der Mitteilung sowie in verschiedenen Stellungnahmen (9) betont wird, stellt der EWSA fest, dass ein strategischer Ansatz im Hinblick auf die grundlegenden sozialen Rechte fehlt.
3.4.2 Angesichts der besonderen Bedeutung der grundlegenden sozialen Rechte (10) und ihrer langen Geschichte in der EU halten wir dies für nicht hinnehmbar. Bei der Entstehung der rechtsverbindlichen Charta, die mit der „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“ (1989) begann und auch Beiträge des EWSA (11) umfasste, wurde auch die Europäische Sozialcharta berücksichtigt, die mit dem Vertrag von Amsterdam in das Primärrecht der EU aufgenommen wurde (12). Dies zeigt, dass die grundlegenden sozialen Rechte, vor allem in ihrer „innovativsten“ Form im Kapitel „Solidarität“ (die als einer der Werte der Union anerkannt ist), besonderer und strategischer Aufmerksamkeit bedürfen.
3.4.3 Der EWSA hat bereits nachdrücklich auf die besondere Rolle des öffentlichen Dienstes bei der wirksamen Anwendung der Grundrechte hingewiesen (13). Darüber hinaus weist der Ausschuss nachdrücklich auf die Bedeutung der Rechte der „dritten Generation“ und der Grundsätze hin, die insbesondere mit Blick auf den Umwelt- und Verbraucherschutz in die Charta aufgenommen wurden. Diese Rechte und Grundsätze sollten durchgehend gewahrt und gefördert werden, auch bei der Planung und Umsetzung der Außen- und Handelspolitik.
3.4.4 Der EWSA ist der Auffassung, dass insbesondere das Primärrecht den Grundsatz der Gleichwertigkeit der grundlegenden sozialen Rechte gegenüber den wirtschaftlichen Freiheiten zu gewährleisten hat. Der EWSA verweist darauf, dass bereits im 3. Erwägungsgrund der Präambel und konkretisiert in Artikel 151 AEUV das Ziel „die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen“ festgehalten ist. Er fordert nachdrücklich, ein „Protokoll über sozialen Fortschritt“ in die Verträge aufzunehmen, um den Grundsatz der Gleichwertigkeit zwischen sozialen Grundrechten und wirtschaftlichen Freiheiten zu verankern und dadurch klarzustellen, dass weder wirtschaftliche Freiheiten noch Wettbewerbsregeln Vorrang vor sozialen Grundrechten haben dürfen und um eindeutig zu definieren, was das EU-Ziel der Verwirklichung sozialen Fortschritts bedeutet (14).
3.5 Die Gleichstellung, insbesondere von Männern und Frauen, muss gewährleistet sein, und sämtliche schutzbedürftigen Gruppen sind besonders zu berücksichtigen.
3.5.1 Da auf alle grundlegenden (sozialen) Rechte einzeln eingegangen werden muss, ist es gleichermaßen wichtig, ihre Einhaltung und Förderung in Bezug auf das Diskriminierungsverbot und das Gleichheitsgebot zu prüfen und zu gewährleisten. Dies ist besonders in Bezug auf die Gleichstellung von Mann und Frau von Bedeutung, die bereits zu den Zielen der Union gehört und in Artikel 23 der Charta niedergelegt ist. Außerdem sollte die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Tätigkeitsbereichen durchgehend berücksichtigt werden.
3.5.2 Beim Schutz der Grundrechte sind schutzbedürftige Gruppen besonders zu berücksichtigen. Der EWSA weist auf seine kürzlich verabschiedete Stellungnahme zu diesem Thema (15) hin und betont, dass Arbeits- und Sozialrechte, vor allem das Streikrecht (16), geschützt werden müssen. Darüber hinaus weist er nachdrücklich auf die Bedeutung des Europäischen Integrationsforums hin.
3.5.3 Nach Auffassung des EWSA müssen die Menschenrechte als universelle und unteilbare Rechte nicht nur der Bürger der Europäischen Union, sondern aller Menschen geschützt und gewährleistet werden. Das Europa der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit darf sich nicht auf jene Menschen beschränken, welche die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, sondern muss sich auf jede in der Europäischen Union ansässige Person erstrecken, da sonst der persönliche Geltungsbereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts mit den der Europäischen Union zu Grunde liegenden Rechten und Prinzipien, dem Diskriminierungsverbot, der gerechten und gleichen Behandlung und der Solidarität unvereinbar wäre (17). Die EU muss den aktiven Schutz der Grundrechte aller Menschen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, sicherstellen.
3.5.4 Es ist zu bekräftigen, dass die Grundrechte von Natur aus dynamisch sind, und es müssen neue Instrumente zum Schutz der Rechte geschaffen werden, die den gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechen. Der EWSA bekräftigt seine Auffassung, dass beispielsweise für die digitale Gesellschaft unter Wahrung von Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK) sowie Artikel 7 und 8 der Charta besondere Schutzmaßnahmen benötigt werden, denen durch neue Rechtsvorschriften Rechnung getragen werden könnte (18).
3.5.5 Ethnische Minderheiten, vor allem Roma, geraten zunehmend ins Visier von staatlichen und polizeilichen Maßnahmen. Die Kommission hat auf die Maßnahmen einiger EU-Mitgliedstaaten – wie im Bericht 2010 festgestellt – prompt reagiert, aber letztlich ohne Wirkung. Roma wurden ausgewiesen, obwohl Kollektivausweisungen nach der Charta ausdrücklich nicht zulässig sind. Die EU muss dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten derartige Maßnahmen einstellen.
3.6 Rechtsakte ohne Gesetzescharakter müssen eine stärkere strategische Bedeutung erlangen.
3.6.1 In der Mitteilung finden sich nur sehr wenige Verweise auf Rechtsakte ohne Gesetzescharakter. Angesichts der großen Spannweite der EU- und vor allem der Kommissionsmaßnahmen auf politischem und finanziellem Gebiet erfordert dieser wichtige Aspekt einen strategischen Ansatz, damit die Verpflichtungen der Charta in diesen Bereichen, und zwar auch in sensiblen Politikbereichen wie z.B. im Handel mit Drittländern, umgesetzt werden. In der Strategie sollten auch mögliche Unterlassungen und (fehlerhaftes) Verhalten berücksichtigt werden.
3.7 Auf EU-Ebene gelten die Verpflichtungen der Charta für alle Institutionen, Agenturen und Einrichtungen, die jeweils einen eigenen konkreten Verantwortungsbereich haben.
3.7.1 Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass in der Mitteilung in mehreren Fällen Bezug auf die EU-Institutionen genommen wird. Allerdings wird dieser Aspekt nicht systematisch berücksichtigt. In Artikel 13 Absatz 1 EUV ist festgelegt, dass der institutionelle Rahmen der Union „zum Zweck hat, ihren Werten Geltung zu verschaffen, ihre Ziele zu verfolgen, ihren Interessen, denen ihrer Bürgerinnen und Bürger und denen der Mitgliedstaaten zu dienen sowie die Kohärenz, Effizienz und Kontinuität ihrer Politik und ihrer Maßnahmen sicherzustellen“. Die Kommission als Hüterin der Verträge muss gewährleisten, dass dazu ein schlüssiger und wirksamer Ansatz existiert. Andererseits sieht der EWSA seine besondere Aufgabe in Bezug auf den Schutz der Grundrechte darin, Hüter der Werte der Union zu sein.
3.7.2 Es liegt in der Zuständigkeit der Kommission, konkret zu überwachen und sicherzustellen, dass alle Agenturen und Einrichtungen, die ihr gegenüber rechenschaftspflichtig sind, die Grundrechte achten und fördern. Dies betrifft insbesondere OLAF, FRONTEX usw. Der EWSA hat seine Bedenken in Bezug auf FRONTEX in einigen kürzlich verabschiedeten Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht. Mit Besorgnis verweist der Ausschuss auf Praktiken der Regierungen der Mitgliedstaaten und der Agentur FRONTEX bei der Rückführung von Menschen, die internationalen Schutz benötigen könnten (19). Diese Aktionen, die an Häufigkeit und Ausmaß zugenommen haben, sollten äußerst transparent und verantwortungsbewusst durchgeführt werden. Der EWSA empfiehlt, dass FRONTEX und das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen kooperieren, um Menschenrechtsverstöße wirksam zu verhindern. Die Rückführung von Menschen in Länder oder Regionen, in denen ihre Sicherheit gefährdet ist, stellt eine klare Verletzung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung dar. Außerdem hat der EWSA vorgeschlagen, dass die FRONTEX-Bediensteten spezielle Schulungen erhalten, um höhere Standards beim Schutz der Grundrechte zu gewährleisten (20).
3.7.3 Alle anderen Institutionen müssen nach wie vor einen erheblichen Teil ihrer Kräfte der Ausarbeitung einer schlüssigen und wirksamen Strategie für die Achtung und Förderung der Grundrechte widmen und prüfen, inwieweit bereits verabschiedete Dokumente (21) im Einklang mit dieser Stellungnahme geändert werden sollten. Insbesondere der Rat muss seine konkrete Rolle als Plattform der Mitgliedstaaten zum Schutz und zur Förderung der Grundrechte gewissenhaft wahrnehmen.
3.8 Nationale Ebene
3.8.1 Da die Grundrechte eine Voraussetzung für die Aufnahme in die EU und eine grundlegende mit der Mitgliedschaft einhergehende Verpflichtung sind, kommt den Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle dabei zu, die Grundrechte wirksam in die Tat umzusetzen. Der EWSA begrüßt deshalb die Absicht der Kommission, einen Präventivansatz zu entwickeln und dabei zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Charta bei der Umsetzung der Rechtsvorschriften der Union achten. Es wird erforderlich sein, auf allen Regierungsebenen und in allen Bereichen der Politik und der Rechtsetzung eine Grundrechtskultur zu schaffen, die auf die Achtung und Förderung dieser Rechte ausgerichtet ist, und die besonderen Auswirkungen auf die Grundrechte während der Umsetzung zu prüfen und zu ermitteln. Um keine falschen Erwartungen zu wecken, sollte jedoch betont werden, dass die Mitgliedstaaten – obwohl sie im Übrigen durch die wesentlichen, in unterschiedlichem Maße ratifizierten internationalen Übereinkünfte zum Schutz der Rechte gebunden bleiben – nur insofern verpflichtet sind, die Rechte und Grundsätze der Charta zu wahren und zu fördern, als sie EU-Rechtsvorschriften umsetzen.
3.8.2 Der EWSA bestärkt die Kommission nachdrücklich darin, ihrer Aufgabe als Hüterin der Verträge wirksam nachzukommen und gegebenenfalls Vertragsverletzungsverfahren ohne Rücksicht auf politische Erwägungen einzuleiten. Im Hinblick auf den Schutz der Grundrechte ist das gegenwärtige Verfahren zu schwerfällig und in keiner Weise ausreichend. Angesichts der Bedeutung dieses Themas und der möglichen Gefahren für Leben, Sicherheit, Wohlergehen und Würde des Einzelnen muss die EU rasch, zeitnah und entschlossen handeln und sämtliche ihr übertragenen institutionellen Befugnisse unverzüglich wahrnehmen.
3.8.3 Der EWSA rät der Kommission nachdrücklich, bei den Vertragsverletzungsverfahren nicht jenen Fällen Vorrang einzuräumen, bei denen es um Grundsatzfragen geht oder die besonders weitreichende negative Auswirkungen für die Unionsbürger haben. Alle in der Charta verankerten Rechte, insbesondere die sozialen Rechte, haben denselben Stellenwert, und keine Institution, auch die Europäische Kommission nicht, hat das Recht und die Befugnis, bestimmte Rechte über andere zu stellen.
3.8.4 Nach Auffassung des EWSA sind einzelne Ausnahmen (opt-outs) für Mitgliedstaaten nicht hinnehmbar, da sie dazu führen können, dass der Schutz der in der EU-Grundrechtecharta verankerten Rechte der Bürger und Arbeitnehmer und die Durchsetzung dieser Rechte innerhalb der Europäischen Union erheblich beeinträchtigt wird. Die Kommission wie auch die anderen EU-Institutionen sollten prüfen, ob die Länder, die die Charta nach wie vor nicht anwenden, ermutigt werden könnten, sämtliche Verpflichtungen, die sich aus diesem Grundrechtsinstrument ergeben, uneingeschränkt anzuerkennen und jährlich über die Maßnahmen, die sie diesbezüglich ergreifen, sowie über jene Maßnahmen, die die betroffenen Mitgliedstaaten zur wirksamen Umsetzung der in der Charta verankerten Grundrechte treffen, Bericht zu erstatten.
3.9 Die Bedeutung anderer völkerrechtlicher Verpflichtungen wird unterschätzt.
3.9.1 In der Mitteilung wird an einigen Stellen auf andere völkerrechtliche Verpflichtungen verwiesen, aber auch dies nicht umfassend genug. In dieser Beziehung ist also ebenfalls ein strategischer Ansatz erforderlich. Dies erfordert insbesondere Artikel 53 der EU-Charta mit Blick auf den Mindestschutz, der in den UN-Pakten, der (revidierten) Europäischen Sozialcharta und schließlich der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährt wird, wie in Artikel 52 Absatz 3 niedergelegt. Das Mindestschutzniveau umfasst im Prinzip auch die Rechtsprechung anderer internationaler Gremien, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
3.10 Weitergehende Maßnahmen
3.10.1 Der EWSA hat die Bedeutung wirksamer Durchsetzungsmaßnahmen betont (22). Die Rolle des Gerichtshofs der Europäischen Union bei der Überwachung der Umsetzung der in der Charta niedergelegten Rechte muss gestärkt werden, auch mit Blick auf die einschlägigen Protokolle. Insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wiederum in Bezug auf die einschlägigen Protokolle, muss besser bekannt gemacht werden.
3.10.2 Zum effektiven Schutz der Menschenrechte sollten alle rechtsstaatlichen Standards in allen Mitgliedstaaten umfassend eingehalten sowie von der regelmäßigen Berichterstattung erfasst werden. Hierzu gehört insbesondere auch die Befugnis der Gerichte, Rechtsnormen und Maßnahmen der staatlichen Verwaltung einer übergeordneten gerichtlichen Instanz vorzulegen, um sie auf eine Verletzung der Grund- und Menschenrechte überprüfen zu lassen. In gleicher Weise sollte das Recht der Bürger garantiert werden, Grundrechtsverletzungen vor den zuständigen nationalen und europäischen Gerichten rügen zu können.
3.10.3 Die einschlägigen Strukturen müssen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet werden. Dies betrifft vor allem den EWSA selbst, die Kommission und alle übrigen EU-Institutionen. In der Mitteilung wird nicht konkret auf Maßnahmen zur Stärkung der institutionellen Kapazitäten eingegangen. Die Verfahren, mit denen die EU die Grundrechte schützt und die legislativen und politischen Verfahren stärkt, erfordern Zeit und erhebliche Ressourcen (z.B. Schulungen der Bediensteten). Aus der Mitteilung geht hervor, dass kein konkreter Plan für einen Übergang in diese Phase existiert. Der EWSA weist darauf hin, dass die meisten dieser politischen Ziele ohne ein deutliches und entschlossenes Eintreten für den Ausbau der Kapazitäten zumindest kurzfristig erheblich untergraben werden. Das betrifft die Kommission selbst (23), aber auch die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) (24). Deshalb sollte insbesondere die Grundrechteagentur gestärkt und in sämtliche Synergiemaßnahmen eingebunden werden. Darüber hinaus sollte die aktive Einbeziehung der nationalen Menschenrechtsausschüsse, der Bürgerbeauftragten und anderer Menschenrechtsaktivisten geplant werden.
3.11 Fördermaßnahmen
3.11.1 Die EU sollte sich bemühen, den Rechtsrahmen für die grundlegenden sozialen Rechte zu stärken. Dies erfordert den Beitritt der EU zur geänderten Europäischen Sozialcharta und ihren Protokollen. Den Mitgliedstaaten sollte die Union die Ratifizierung aller einschlägigen Instrumente der grundlegenden (sozialen) Rechte (einschließlich der Änderungsprotokolle sowie der Fakultativ- und Zusatzprotokolle) empfehlen. Ist eine Ratifizierung durch die EU nicht möglich, sollten alle Möglichkeiten, ihren Inhalt rechtsverbindlich zu machen, geprüft und genutzt werden.
3.11.2 Einbeziehung der Grundrechtsdimension bedeutet, dass jede Verwaltungseinheit nicht nur verpflichtet ist, die regelmäßigen (vor allem die legislativen) Tätigkeiten zu prüfen, sondern dass von ihr auch jährlich ein oder zwei konkrete Maßnahmen zur Förderung der Grundrechte erwartet werden. Außerdem sollte die „Grundrechts-Checkliste“ erweitert werden, wobei insbesondere die Verpflichtung zur Förderung der Grundrechte, die durchgängige Berücksichtigung der Gleichstellung von Frauen und Männern sowie die nachhaltige Entwicklung besonders zu berücksichtigen wären.
3.11.3 Die Kommission sollte mehr Projekte anstoßen, unter anderem auch zum Schutz von Menschenrechtsaktivisten. Sowohl die interne als auch die externe Zusammenarbeit sind zu verbessern. Der EWSA verweist auf seine Stellungnahme, in der er „fordert, dass die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in den politischen Maßnahmen der Europäischen Union einen größeren Stellenwert bekommen, und zwar durch Nutzung der ihr zur Verfügung stehenden geografischen und thematischen Instrumente, wie etwa das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR)“, durch die die Anerkennung des sozialen Dialogs als Priorität sichergestellt wurde (25). Die Kommission sollte zudem die Erfahrungen anderer internationaler Organisationen in Fragen des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte einholen.
3.11.4 Der EWSA ist besorgt darüber, wie wenig die Charta und die Grundrechte in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Deshalb sind erhebliche Anstrengungen erforderlich, um die Charta verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Sie ist ein Schlüsseldokument, und ihr Inhalt sollte bekannt gemacht werden und einen wesentlichen Bezugspunkt für die große Mehrheit der Europäer darstellen. Der EWSA empfiehlt, dass die Kommission ihre Anstrengungen zur Bewältigung dieser Aufgabe verstärkt. Im Mittelpunkt der diesbezüglichen Öffentlichkeitsarbeit sollte nicht die Verbreitung von Berichten stehen, sondern die Ergreifung aktiver Maßnahmen, damit die Charta zum Bezugsdokument für jeden Bürger der EU wird.
3.11.5 Der EWSA begrüßt zwar alle Aktivitäten, mit denen alle interessierten Gruppen, vor allem in den Rechtsberufen – u.a. auch durch Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten – eine spezielle Weiterbildung erhalten sollen und eine bessere Information der Bürger gewährleistet werden soll, doch ist dies nur ein Aspekt der erforderlichen Kommunikationsstrategie. Von entscheidender Bedeutung ist es, direkt mit der Öffentlichkeit kommunizieren zu können. Dies gilt umso mehr, wenn man an die Erfahrungen mit SOLVIT denkt, wo sich die Kommission aktiv um Informationen, auch von den einschlägigen Interessengruppen, bemüht. Ein solcher Ansatz ist auch in Bezug auf die Achtung der Grundrechte im Allgemeinen und der sozialen Rechte im Besonderen zu empfehlen.
3.12 Belastungstest
3.12.1 Die Wirksamkeit der Grundrechte ist in der Praxis nachzuweisen, insbesondere in Zeiten einer Wirtschaftskrise oder unter starkem politischen Druck. Der EWSA ist zutiefst besorgt angesichts der Ausbreitung politischer Positionen, die zu schweren Verstößen und zu Rückschlägen bei der Achtung und Förderung der Grundrechte führen können und dies in einigen Fällen auch tatsächlich bewirken.
3.12.2 Der Gerichtshof hat sich bereits mit wichtigen Grundrechtsfragen auseinandergesetzt, als er Vorschriften des Sekundärrechts, beispielsweise im Bereich des Diskriminierungsverbots (26) und des Datenschutzes (27) für ungültig erklärte und sich gegen nationale Rechtsvorschriften, nach denen gegen „illegal aufhältige Drittstaatsangehörige“ eine Freiheitsstrafe verhängt werden kann (28), aussprach.
3.12.3 Zudem nimmt der EWSA mit Sorge die Massenausweisungen von Roma, die Behandlung von Menschen ohne Ausweispapiere aus Nordafrika, Einschränkungen der Meinungsfreiheit, vor allem in den Medien, usw. zur Kenntnis. Sämtliche Rechtsvorschriften, die Ausnahmen oder Einschränkungen bei der Einhaltung grundlegender (sozialer) Rechte zulassen, z.B. das Recht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit, müssen konkret angegangen werden.
3.12.4 Infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise geraten die grundlegenden sozialen Rechte unter erheblichen Druck. Sämtliche Vereinbarungen, Konjunkturpläne sowie andere Maßnahmen der EU und/oder der Mitgliedstaaten dürfen keinesfalls gegen die grundlegenden (sozialen) Rechte verstoßen, beispielsweise das Recht auf Unterrichtung und Anhörung, das Recht auf Tarifverhandlungen und Kollektivmaßnahmen bei voller Autonomie der Sozialpartner oder öffentliche und soziale Dienste, sondern sollte diese vielmehr achten und fördern.
3.13 Zivilgesellschaft: der partizipative Aspekt sollte erheblich gestärkt werden.
3.13.1 In der Strategie wird allgemein festgestellt, dass die Auffassungen der interessierten Akteure berücksichtigt werden sollten. Der EWSA hat diesen für die Grundrechte wichtigen Aspekt in zahlreichen Stellungnahmen hervorgehoben (29). Der Begriff „interessierte Akteure“ ist weit genug gefasst, um alle Stellen einzuschließen. Für den EWSA ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, dass seine Rolle als beratende Einrichtung ausdrücklich berücksichtigt wird. Dies gilt auch für die Sozialpartner auf Ebene der Union (Artikel 152 AEUV).
3.13.2 Der einzelne insbesondere und die Zivilgesellschaft im Allgemeinen sind von der Frage der Umsetzung der Grundrechte in höchstem Maße betroffen. Die Interessengruppen müssen in sichtbarer Weise einbezogen werden. Sie müssen deshalb regelmäßig, umfassend und wirksam in diesen Prozess eingebunden werden.
3.13.3 Insbesondere der EWSA sollte einbezogen und regelmäßig sowie rechtzeitig konsultiert werden, vor allem zu dem von der Kommission zu erstellenden Jahresbericht. Als Hüter der Werte der EU und Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft ist der Ausschuss hervorragend geeignet, um Kontakte zur Zivilgesellschaft zu pflegen.
3.13.4 Der EWSA wird jährlich eine Stellungnahme über die Anwendung der Grundrechtecharta (unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Grundrechte), der sozialen Querschnittsklauseln (Art. 8, 9, 10 AEUV), und der sonstigen sozialpolitischen Bestimmungen des Vertrages von Lissabon (insbesondere Art. 145 bis 166 und 168 AEUV) sowie des Sekundärrechts und der sonstigen rechtlichen und politischen Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung und Förderung der Ziele und Vorgaben erarbeiten. Dabei wird er überprüfen und bewerten, inwiefern diese einen Beitrag zur grundrechtlichen und sozialpolitischen Entwicklung der EU leisten. Die Stellungnahme enthält ggf. auch Empfehlungen dazu, wie durch konkrete Maßnahmen die Ziele und Vorgaben besser erreicht werden könnten.
In einer dazu jeweils vor der Stellungnahme zu veranstaltenden Anhörung werden neben den Sozialpartnern und den VertreterInnen verschiedener Interessen auch andere, große, repräsentative Organisationen der Zivilgesellschaft aus dem Sozialbereich ihre spezifischen Stellungnahmen und Berichte einbringen können. Diese jährliche Stellungnahme des EWSA wird den RepräsentantInnen der EU-Institutionen insbesondere dem Europäischen Rat, dem Rat, dem EP, der Kommission, dem EuGH und der EZB zur Kenntnis gebracht und erläutert.
Weiter werden Konferenzen zur Überwachung der wirksamen Umsetzung der Charta veranstaltet. Mit ihrer Hilfe sollen ferner die Kontakte zur Grundrechteagentur gestärkt werden.
3.13.5 Der Jahresbericht ist ein nützliches Instrument zur Bewertung der politischen Fortschritte. Er sollte problemlos verfügbar sein. Der EWSA bestärkt die Kommission und die Agentur für Grundrechte darin, die Gelegenheit zu nutzen und die Zivilgesellschaft in die Erstellung des Berichts einzubeziehen sowie sich offen für eine unabhängige Überprüfung des Schutzes der Grundrechte innerhalb und außerhalb der EU zu zeigen. Der EWSA als Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft ist bereit, diesen Prozess zu unterstützen und seinen Beitrag zum Jahresbericht zu leisten. Im Jahresbericht müssen Fälle berücksichtigt werden, die aus verschiedenen Gründen nicht Gegenstand von Petitionen oder Rechtssachen werden. Insofern sollte der Bericht Beiträge verschiedener Menschenrechtsorganisationen umfassen und auf diesen beruhen.
3.13.6 Der EWSA erkennt zwar die Bedeutung des Jahresberichts an, ist jedoch der Auffassung, dass sich der erste Jahresbericht nicht konsequent auf sämtliche Grundrechte, die in der Charta niedergelegt sind, konzentriert. In dem Bericht wird im Abschnitt „Die wichtigsten Entwicklungen im Jahr 2010“ auf eine Reihe wichtiger Bereiche eingegangen, deren Auswahlkriterien allerdings nicht klar sind. Dieser selektive Ansatz trägt nicht dazu bei, etwaige Lücken bei der Umsetzung zu ermitteln, und könnte – was noch besorgniserregender ist – den Eindruck vermitteln, dass einigen Grundrechten Vorrang gegenüber anderen eingeräumt wird.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die transatlantischen Beziehungen und die internationale Förderung des europäischen Sozialmodells“, ABl. C 51/20 vom 17.2.2011.
(2) KOM(2011) 160 endg., angenommen am 30.3.2011.
(3) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Menschenrechte und europäische Einwanderungspolitik“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 29, Ziffer 4.2.3.
(4) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“, ABl. C 367 vom 20.12.2000, S. 26, Ziffer 3.1.3.
(5) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Stärkung des EU-Zusammenhalts und der EU-Koordination im Sozialbereich“, (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
(6) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 80, Ziffer 4.2.4.2
(7) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Menschenrechte und europäische Einwanderungspolitik“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 29, Ziffer 4.3.4.
(8) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Politik der EU zur Terrorismusbekämpfung“, (ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 91) - SOC/388, Ziffern 4.5.1-4.5.2.
(9) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“, ABl. C 367 vom 20.12.2000, S. 26, Ziffer 3.1.1; Stellungnahme des EWSA zum Thema „Errichtung einer Agentur für Grundrechte“, ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 37, Ziffer 2.1; Stellungnahme des EWSA zum Thema „Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 80, Ziffer 3.5.
(10) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“, ABl. C 367 vom 20.12.2000, S. 26, Ziffer 3.1.3.
(11) Stellungnahme des EWSA „Die sozialen Grundrechte der Europäischen Gemeinschaften“, ABl. C 126 vom 23.5.1989, S. 4.
(12) 5. Erwägung EUV und Artikel 151 Absatz 1 AEUV.
(13) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Menschenrechte und europäische Einwanderungspolitik“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 29, Ziffer 4.3.4.
(14) Stellungnahmen des EWSA „Sozialagenda“, ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 65, und zu „Die soziale Dimension des Binnenmarktes“, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 90.
(15) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Menschenrechte und europäische Einwanderungspolitik“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 29.
(16) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 80, Ziffer 4.1.9.
(17) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 80, Ziffer 3.5.
(18) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Verbesserung der digitalen Kompetenzen, Qualifikationen und Integration“, ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 9; Ziffer 7.
(19) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Der Zusatznutzen einer gemeinsamen europäischen Asylregelung“, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 17, Ziffer 4.19.
(20) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Mindestnormen/Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzstatus“, ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 85, Ziffer 4.2.1.9.
(21) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010, Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. Februar 2011.
(22) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“, ABl. C 367 vom 20.12.2000, S. 26, Ziffern 3.1.4 und 3.3.3.
(23) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 80, Ziffer 1.4; Stellungnahme des EWSA zum Thema „Menschenrechte und europäische Einwanderungspolitik“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 29, Ziffer 2.15.
(24) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 80, Ziffer 3.7; Stellungnahme des EWSA zum Thema „Errichtung einer Agentur für Grundrechte“, ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 37.
(25) Stellungnahme des EWSA „Europäisches Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR)“ (Initiativstellungnahme), Ziffer 1.1 und 1.2.
(26) Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 1. März 2011, Rechtssache C-236/09, Association belge des Consommateurs Test-Achats ASBL (Berücksichtigung des Kriteriums Geschlecht als Faktor für die Bewertung von Versicherungsrisiken).
(27) Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 9. November 2010, Rechtssachen C-92/09, C-92/09, Volker und Markus Schecke GbR (Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten - Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger von Agrarbeihilfen).
(28) Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 28. April 2011, Rechtssache C-61/11 PPU./. El Dridi (Nationale Regelung, die „eine Haftstrafe für illegal aufhältige Drittstaatsangehörige vorsieht, die sich weigern, eine Anordnung zum Verlassen des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats zu befolgen - Vereinbarkeit“).
(29) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“, ABl. C 367 vom 20.12.2000, S. 26, Ziffer 3.4; Stellungnahme des EWSA zum Thema „Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger“, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 80, Ziffer 4.3.
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/81 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010-2020: Erneuertes Engagement für ein barrierefreies Europa“
KOM(2010) 636 endg.
2011/C 376/15
Berichterstatter: Ioannis VARDAKASTANIS
Die Europäische Kommission beschloss am 13. Januar 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010-2020: Erneuertes Engagement für ein barrierefreies Europa“
KOM(2010) 636 endg.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 31. August 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 151 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der EWSA begrüßt die Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010-2020 (hier: „Strategie“) als aktives politisches Instrument zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (hier: „VN-Übereinkommen“) und der Verpflichtungen, die sich aus der Unterzeichung dieses Übereinkommens ergeben. Es handelt sich um eine förmliche Bestätigung des VN-Übereinkommens durch die EU und die Anerkennung seiner Rechtsverbindlichkeit. Der EWSA fordert die EU auf, als nächste und ebenso wichtige Schritte das Fakultativprotokoll zu ratifizieren und die Einhaltung des VN-Übereinkommens auf Ebene des derzeitigen und künftigen Sekundärrechts sicherzustellen. Der EWSA ist der Auffassung, dass mit dem VN-Übereinkommen ein eindeutiger Rahmen abgesteckt wird, der es Menschen mit Behinderungen erlaubt, zur Ausschöpfung ihres Potenzials beizutragen, wenn Teilhabe und Einbeziehung gewährleistet sind.
1.2 Der EWSA schlägt vor, die Umsetzung der Strategie mit der Umsetzung der Europa-2020-Strategie zu verknüpfen. Die Mitgliedstaaten sollten in ihre nationalen Reformprogramme konkrete Zielvorgaben für Menschen mit Behinderungen aufnehmen, um die Armuts-, Beschäftigungs- und Bildungssituation zu messen.
1.3 Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Antidiskriminierungsrichtlinie (1) auf der Grundlage von Artikel 19 AEUV (2). Unter der Voraussetzung, dass die Artikel über die Anerkennung einer Behinderung im Einklang mit des VN-Menschenrechtsübereinkommens geändert werden, fordert er die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament auf, umfassende und angemessene EU-Rechtsvorschriften zu erlassen, die den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen über den Beschäftigungsbereich hinaus ausweiten.
1.4 Der EWSA betont den Mehrwert der Anhörung und aktiven Beteiligung von Behindertenverbänden bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und Maßnahmen nach Artikel 4 Absatz 3 des VN-Übereinkommens und Artikel 11 des Vertrags über die Europäische Union (EUV). Die Sozialpartner können dabei auch eine wichtige Rolle spielen, wobei sie in ihren Verhandlungen Aspekten der Behinderungen stärker Rechnung tragen sollten. Der EWSA fordert die Umsetzung der am 25. März 2010 von den europäischen Sozialpartnern geschlossenen Rahmenvereinbarung über integrative Arbeitsmärkte und ersucht die Mitgliedstaaten, spezifische Finanzmaßnahmen zu ergreifen, um dazu beizutragen, dass Kollektivverhandlungen über Fragen der Behinderung geführt werden. Er unterstreicht, dass die Beschäftigungspolitik für Menschen mit Behinderungen auf die gesamte Arbeits- und Lebenssituation (life streaming) ausgerichtet sein muss, insbesondere auf lebensbegleitendes Lernen, Einstellung von Arbeitnehmern, Beschäftigungssicherheit und Wiederbeschäftigung, wobei die Vorschriften über staatliche Beihilfen weiterhin auf positive Weise anzuwenden sind. Er begrüßt und unterstützt auch die gemeinsamen Aktivitäten von Gewerkschaften und Verbänden, wie etwa die gemeinsame Konferenz von EGB und EEF.
1.5 Der EWSA ist der Auffassung, dass ein barrierefreies Europa durch die Annahme eines europäischen Rechtsakts über Barrierefreiheit erreicht werden muss, d.h. umfassender und verbindlicher Rechtsvorschriften zur Gewährleistung der Rechte von Menschen mit Behinderungen auf Freizügigkeit und Zugang zu Gütern, Dienstleistungen und gebauter Umwelt. Auf europäischer wie auch einzelstaatlicher Ebene sollten adäquate und effektive Durchsetzungs- und Überwachungsmechanismen ermittelt werden.
1.6 Die durchgängige Berücksichtigung der Barrierefreiheit wird zur Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftlichen Erholung der EU beitragen, indem sie neue Märkte für Hilfsmittel und Dienstleistungen sowie neue Arbeitsplätze entstehen lässt. Der EWSA begrüßt den im Rahmen der Strategie unterbreiteten Vorschlag, dass bis 2015 die vollkommene Barrierefreiheit der Websites des öffentlichen Sektors und der Websites, die grundlegende Dienstleistungen für Bürger bieten, gewährleistet werden soll.
1.7 Der EWSA ist der Ansicht, dass ein europäischer Mobilitätsausweis ein konkretes und wirksames Mittel zur Förderung der Freizügigkeit von Menschen mit Behinderungen wäre, da er ihnen den Zugang zu Dienstleistungen in der EU ermöglicht. Die Umsetzung der Strategie sollte dazu führen, dass der europäische Mobilitätsausweis in allen Mitgliedstaaten verwendet werden kann.
1.8 Der EWSA fordert die Achtung von Menschenwürde und Gleichheit bei der EU-Politikgestaltung. Er fordert zudem die Sensibilisierung der gesamten Gesellschaft – auch in der Familie – in Bezug auf Menschen mit Behinderungen, d.h. hinsichtlich der Achtung ihrer Rechte und Würde und der Bekämpfung ihrer Stereotypisierung u.a. in den Bereichen Beschäftigung und Bildung. Der EWSA ist überzeugt vom Mehrwert der Maßnahmen der EU zur Beseitigung von Unterschieden in den Lebensumständen von Menschen mit Behinderungen zwischen den Mitgliedstaaten, z.B. die Ermutigung aller Medieneinrichtungen, das Bewusstsein für die Fähigkeiten und Beiträge von Menschen mit Behinderungen zu fördern. Der EWSA empfiehlt die Erarbeitung von Behinderungsindikatoren zur Erhebung kohärenter Daten in allen persönlichen Lebensbereichen und zur Beobachtung der Zahl der Menschen mit Behinderungen, um die Ziele der Europa-2020-Strategie – Reduzierung von Schulabbruch, Armut und Arbeitslosigkeit – zu erreichen.
1.9 Der EWSA ist der Ansicht, dass ein Europäischer Ausschuss für Behindertenpolitik erforderlich ist, um eine strukturierte Verwaltung der Strategie sowie einen solideren und effizienteren Mechanismus zur Koordinierung und Überwachung der europäischen und einzelstaatlichen Umsetzung des VN-Übereinkommens gemäß seinem Artikel 33 Absatz 1 sicherzustellen. Der EWSA wird die Umsetzung auch fortlaufend aus- und bewerten.
1.10 Der EWSA kritisiert nachdrücklich die negativen Folgen der Finanzkrise für Menschen mit Behinderungen und deren Möglichkeiten, ihre Rechte wahrzunehmen. Er dringt auf die Unterstützung für Menschen mit Behinderungen in Krisenzeiten und warnt vor jeglichen Einschnitten bei den Sozialausgaben aufgrund von Sparmaßnahmen. Die europäischen Strukturfonds und anderen Finanzinstrumente sollten zu diesem Zweck wie auch zur Finanzierung der Umsetzung der Strategie und des VN-Übereinkommens genutzt werden. Es werden zusätzliche Instrumente benötigt, z.B. im Rahmen der Strukturfonds, wie etwa die Zweckbindung von Mitteln für Maßnahmen, die auf Menschen mit Behinderungen und andere schutzbedürftige Gruppen abzielen. Die künftige Kohäsionspolitik muss im Einklang mit dem VN-Übereinkommen stehen. Artikel 16 der derzeitigen Verordnung muss wirksam umgesetzt werden.
1.11 Der EWSA bekräftigt, dass alle Menschen – einschließlich Personen mit psychosozialen Behinderungen, intensiver Betreuung bedürftiger Personen, Kinder und Frauen mit Behinderungen – sämtliche Menschenrechte und Grundfreiheiten genauso uneingeschränkt in Anspruch nehmen können sollten wie ihre Mitbürger. Er anerkennt und unterstützt das Recht auf ein unabhängiges Leben und unterstreicht, dass der Übergang von der institutionellen zur wohnortnahen Betreuung gefördert werden muss.
1.12 Der EWSA empfiehlt, im mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 den Rechtstatus der Strategie und des VN-Übereinkommens in der EU anzuerkennen und die Finanzierung ihrer bereichsübergreifenden Berücksichtigung und Umsetzung zu ermöglichen. Dieser Rahmen muss den übergeordneten Zielen der Förderung der Grundrechte und der Integration von Menschen mit Behinderungen dienen und Investitionen zur Förderung von Antidiskriminierungs- und Zugänglichkeitsmaßnahmen vorsehen.
2. Einleitung
2.1 Die von der Europäischen Kommission im November 2011 vorgelegte Mitteilung ist ein grundlegendes politisches Instrument zugunsten von Menschen mit Behinderungen. Die Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen (hier: „Strategie“) umfasst acht wesentliche Aktionsbereiche: Zugänglichkeit, Teilhabe, Gleichstellung, Beschäftigung, allgemeine und berufliche Bildung, sozialer Schutz, Gesundheit und Maßnahmen im Außenbereich. Für jeden Bereich sind Schlüsselmaßnahmen im Zeitraum 2010-2015 geplant, nach dem neue Initiativen ausgearbeitet und die Strategie überprüft werden sollen. Ziel der Strategie ist es, die Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (hier: „VN-Übereinkommen“) zu fördern und die Mechanismen zur Umsetzung dieses Übereinkommens im Rahmen der EU-Politik – auch innerhalb der EU-Institutionen – festzulegen. Außerdem zeigt die Strategie auf, welche Unterstützung in den Bereichen Finanzierung, Forschung, Bewusstseinsbildung, Statistik und Datenerhebung erforderlich ist. Die Mitteilung wird durch zwei wichtige Dokumente flankiert: eine Liste der für 2010-2015 geplanten konkreten Maßnahmen (3) und ein Arbeitsdokument (4), in dem die Strategie im Lichte des VN-Übereinkommens erläutert wird.
2.2 Der EWSA fordert die Überprüfung und Weiterentwicklung des EU-Rechts zur wirksamen Umsetzung des VN-Übereinkommens.
2.3 Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU-Politik den mit dem VN-Übereinkommen eingeleiteten Paradigmenwechsel – von einer medizinischen Perspektive hin zu einer Menschenrechtsperspektive – widerspiegeln sollte, und verpflichtet sich, dieses Sozialmodellkonzept bei Behinderungsfragen anzuwenden.
2.4 Der EWSA empfiehlt, folgende Feststellung aus dem VN-Übereinkommen zu übernehmen: „Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können“ (5).
2.5 Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass jeder Mensch ein Recht auf Leben hat, und betont, dass Menschen mit Behinderungen dieses Recht ebenso wahrnehmen können müssen wie ihre Mitbürger.
2.6 Der EWSA beklagt die schwierigen Lebensumstände von Menschen mit Behinderungen, die mehrfacher Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, ethnischer oder sozialer Herkunft, genetischen Merkmalen, Sprache, Religion oder Weltanschauung, politischer oder sonstiger Anschauung, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen, Geburt, Alter, sexueller Orientierung oder einer anderen Eigenschaft ausgesetzt sind.
2.7 Der EWSA stellt fest, dass Menschen mit Behinderungen rund 16 % der EU-Bevölkerung ausmachen, d.h. 80 Mio. Menschen. Sie stellen ferner ein Sechstel der EU-Erwerbsbevölkerung wobei 75 % von ihnen, die eine Intensivbetreuung benötigen, keinen Zugang zur Beschäftigung haben. 38 % der Menschen mit Behinderungen im Alter zwischen 16 und 34 Jahren verdienen 36 % weniger als Menschen ohne Behinderung (6).
2.8 Der EWSA bekräftigt sein bereits mehrfach in Stellungnahmen bekundetes (7) Engagement für die Gleichstellung und Integration von Menschen mit Behinderungen bei der Umsetzung der Strategie und des VN-Übereinkommens wie auch der Maßnahmen der EU im auswärtigen Bereich.
2.9 Da es im Vergleich zu Nichtbehinderten nur halb so wahrscheinlich ist, dass Menschen mit Behinderungen eine Hochschulbildung erreichen, fordert der EWSA wirksame Maßnahmen gegen Schulabbruch.
2.10 Der EWSA fordert die Überprüfung der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, um des VN-Menschenrechtsübereinkommens zu entsprechen. Im Sinne des VN-Übereinkommens sollte bei der Anwendung und Umsetzung der Richtlinie die Verweigerung angemessener Vorkehrungen als eine Form der Diskriminierung angesehen werden. Der EWSA ersucht die Mitgliedstaaten, die Richtlinie ordnungsgemäß umzusetzen, sowie die Europäische Kommission, ihre Anwendung angemessen zu überwachen.
2.11 Der EWSA befürwortet den Einsatz der Strukturfonds zur Belebung der Konjunktur und zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts (8). In künftigen Rechtsvorschriften sollte an den Querschnittsprinzipien Nichtdiskriminierung und Barrierefreiheit festgehalten und der Mehrwert der Beteiligung von Behindertenverbänden in jeder Verfahrensphase (Konzipierung, Umsetzung, Verwaltung, Bewertung und Überwachung) anerkannt werden. Bestimmungen über Nichtdiskriminierung und Barrierefreiheit müssen in diesen Rechtsvorschriften als Kriterien verankert werden. Artikel 16 der derzeitigen Verordnung muss gestärkt und seine Um- und Durchsetzung durch die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten gewährleistet werden.
2.12 Ferner müssen angemessene Instrumente zur finanziellen Unterstützung (9) untersucht werden, z.B. die Zweckbindung von Mitteln für Maßnahmen, die auf Menschen mit Behinderungen (10) und andere schutzbedürftige Gruppen abzielen, um die Kohäsionspolitik auf einschlägige Prioritäten (11) auszurichten. Der EWSA hat bereits empfohlen, Mittel für spezifische Ziele im Bereich der sozialen Integration vorzusehen (12). Um die Unterstützung, die zur Umsetzung der Grundsätze des VN-Übereinkommens und der Strategie erforderlich ist, zu gewährleisten, sollte darüber hinaus die soziale Integration von Menschen mit Behinderungen insgesamt als Ausgabenkategorie aufgenommen werden.
2.13 Der EWSA bekräftigt, dass Kinder mit Behinderungen sämtliche Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen sollten wie alle anderen, und verweist auf das Übereinkommen über die Rechte des Kindes und die sich daraus ableitenden Verpflichtungen.
2.14 Der EWSA fordert einen Übergang von der institutionellen zur wohnortnahen Betreuung, um das Recht von Menschen mit Behinderungen auf ein unabhängiges Leben zu achten. EU-Mittel sollten nicht dazu eingesetzt werden, um Betreuungseinrichtungen zu bauen oder zu renovieren, sondern den Prozess des Übergangs von der institutionellen zur wohnortnahen Betreuung zu finanzieren, einschließlich der Umwandlung von Einrichtungen in wohnortnahe Dienste. Der EWSA betont die Notwendigkeit, angemessene Lebensstandards und das aktive Altern zu fördern.
3. Bewertung der Europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010–2020
3.1 Der EWSA ist der Auffassung, dass die Strategie die Ziele des VN-Übereinkommens teilweise widerspiegelt und dass die Aktionsbereiche der Strategie zutreffend ausgewählt sind und im Lichte dieses Übereinkommens ausgebaut werden sollten.
3.2 Der EWSA bedauert, dass die Gleichstellung von Mann und Frau in der Strategie kein Querschnittsthema ist. Er fordert, die behinderungsspezifischen Daten nach Geschlecht aufzuschlüsseln und in geschlechtsspezifischen Statistiken auch Frauen mit Behinderungen zu berücksichtigen. Der EWSA empfiehlt eine gleichstellungsorientierte Haushaltsplanung im Falle der EU-Finanzinstrumente im Rahmen der Behindertenpolitik. Die Gleichstellung von Mann und Frau sollte bei der Umsetzung der Strategie durchgängig berücksichtigt werden.
3.3 Der EWSA begrüßt, dass in der Strategie der Mangel an behinderungsspezifischen Daten angegangen wird, und fordert die Erarbeitung von Indikatoren, um die Beschäftigungs- und Armutsquoten von Menschen mit Behinderungen und deren Zugang zu Bildung zu messen.
3.4 Der EWSA verweist darauf, wie wichtig die im Abschnitt „Gesundheit“ der Strategie behandelte Vorsorge ist, stellt allerdings fest, dass die Strategie besser darauf ausgerichtet werden sollte, die Rechte der Menschen mit Behinderungen zu stärken, statt diese Rechte mit dem Vorsorgeaspekt zu vermischen.
3.5 Der EWSA begrüßt, dass der Barrierefreiheit und ihrer positiven Wirkung für die Gesellschaft (z.B. ältere Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität) in der Strategie ein hoher Stellenwert eingeräumt wird. Barrierefreie Unternehmen ziehen mehr Kunden an (15 % der Kunden). Neue Produkte schaffen neue Märkte und sind eine Quelle für nachhaltiges Wirtschaftswachstum (13). Der EWSA verweist auf die Entschließung des Rates, in der es heißt: „Barrierefreiheit stellt fraglos einen der Ecksteine einer integrativen, auf dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung beruhenden Gesellschaft dar“ (14).
3.6 Der EWSA spricht sich für die Nutzung der Strukturfonds zur angemessenen finanziellen Ausstattung der Strategie aus. Er empfiehlt insbesondere einen effizienteren Einsatz des Europäischen Sozialfonds (ESF) zur Förderung der Eingliederung in den Arbeitsmarkt sowie des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zur Erreichung eines hohen Maßes an Barrierefreiheit in Europa.
3.7 Der EWSA ist der Auffassung, dass die Strategie die Unabhängigkeit von Menschen mit Behinderungen durch mehr wohnortnahe und weniger institutionelle Betreuung stärker unterstützen sollte. EU-Mittel sollten eingesetzt werden, um die wohnortnahe Betreuung zu fördern und einen angemessenen Standard dieser Betreuung zu gewährleisten
3.8 Der EWSA weist darauf hin (13), dass die aktive Integration an den Arbeitsmarkt gebunden sein sowie ein angemessenes Einkommensniveau und einen Zugang zu hochwertigen sozialen Dienstleistungen gewährleisten muss, was sich auch in besseren Lebensbedingungen für arbeitsmarktferne Personen widerspiegeln sollte (15).
3.9 Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU als weltweit größter Geber von Außenhilfe mit gutem Beispiel vorangehen und die durchgängige Berücksichtigung von Behindertenfragen in ihrer Kooperationstätigkeit fördern sollte.
3.10 Der EWSA wirbt für einen integrativen Binnenmarkt und fordert die verpflichtende Berücksichtigung sozialer Aspekte im öffentlichen Auftragswesen (insbesondere der Förderung der Zugänglichkeit) durch die Annahme eines europäischen Rechtsakts über Barrierefreiheit sowie die Förderung von Beschäftigung, Nichtdiskriminierung und Qualität der sozialen Dienstleistungen. Er begrüßt den europäischen Normungsauftrag 473 (16) und fordert verbindliche Zugänglichkeitsstandards, um die Gesetzgebung im öffentlichen Auftragswesen - nach dem Vorbild der amerikanischen Rechtsvorschriften über Barrierefreiheit – zu unterstützen (17). Der EWSA anerkennt die Bedeutung des Dialogs zwischen Institutionen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bei der Festlegung solcher Normen (18). Angesichts seines begrenzten Erfolgs in der Praxis bedarf es in Zukunft jedoch eines besser strukturierten Mechanismus.
3.11 Der EWSA ermutigt das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Ausschuss der Regionen, beim Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen ehrgeizige Ziele zu stecken und eine angemessene Umsetzung des VN-Übereinkommens in der EU sicherzustellen.
4. Durchführung und Verwaltung
4.1 Der EWSA fordert eine strukturierte Verwaltung der Strategie durch einen europäischen Ausschuss für Behindertenpolitik als konkrete Möglichkeit zur Stärkung der bestehenden hochrangigen Gruppe „Behindertenfragen“ und als Koordinierungsmechanismus zur Umsetzung und Überwachung des VN-Übereinkommens gemäß seinem Artikel 33 Absatz 1.
4.2 Der EWSA hält nationale Ausschüsse für Behindertenpolitik für notwendig, um die Koordinierung zwischen der Strategie und dem VN-Übereinkommen auf einzelstaatlicher Ebene zu gewährleisten. Die nationalen Ausschüsse sollten die Einbeziehung der Behindertenverbände in den Koordinierungsprozess sowie Kontakte zu den nationalen Anlaufstellen und einschlägigen europäischen Akteuren sicherstellen.
4.3 Der EWSA ist der Auffassung, dass bei der Zusammensetzung des europäischen Ausschusses für Behindertenpolitik die Beteiligung von Behindertenvertretern und die Anhörung des EWSA und anderer Interessenträger und Organisationen von Menschen mit Behinderungen gewährleistet sein sollten.
4.4 Der EWSA verpflichtet sich, eine Führungsrolle bei der Förderung des VN-Übereinkommens, des ersten von der EU ratifizierten internationalen Menschenrechtsvertrags, zu übernehmen. Er spricht sich für die interne Umsetzung der Strategie und des VN-Übereinkommens aus. Er wird auch zur Bewusstseinsbildung beitragen, indem er Veranstaltungen organisiert wie etwa eine hochrangige Konferenz in Zusammenarbeit mit anderen EU-Institutionen und mit Behindertenverbänden.
4.5 Der EWSA fordert die angemessene Berücksichtigung von Artikel 33 Absätze 1 und 2 des VN-Übereinkommens, die unverzüglich und in Zusammenarbeit mit den Behindertenverbänden umgesetzt werden sollten. Der EWSA betont, dass dieser zentrale Aspekt in die unmittelbare Zuständigkeit des Generalsekretärs der Kommission fallen sollte und der Überwachungsmechanismus gänzlich unabhängig und pluralistisch sein muss.
4.6 Der EWSA verweist auf die Pflicht, Menschen mit Behinderungen und die sie vertretenden Organisationen gemäß Artikel 33 Absatz 3 des VN-Übereinkommens und Artikel 11 des EUV Union in die Umsetzung und Überwachung des VN-Übereinkommens, einschließlich der Strategie, einzubeziehen.
4.7 Der EWSA hält es für wichtig, die Umsetzung nationaler Maßnahmen im Rahmen der Strategie, die bis 2015 erfolgen soll, zu kontrollieren, indem dafür gesorgt wird, dass die Mitgliedstaaten Fortschrittsberichte vorlegen. Auch die Europäische Kommission sollte über die Errungenschaften auf europäischer Ebene Bericht erstatten. Die Umsetzung der Strategie sollte an die der Europa-2020-Strategie geknüpft werden. Die Mitgliedstaaten sollten in ihre nationalen Reformprogramme zwecks Einschätzung der Armuts-, Beschäftigungs- und Bildungssituation konkrete Zielvorgaben für Menschen mit Behinderungen aufnehmen.
4.8 Künftige Förderprogramme der Europäischen Kommission, die PROGRESS ersetzen, sollten die Beteiligung von Verbänden unterstützen, die Personen mit Mehrfachbehinderungen oder besonderen Beeinträchtigungen vertreten. Dies wird die Umsetzung des VN-Übereinkommens erleichtern.
4.9 Der EWSA fordert die einschlägigen Interessenträger, d.h. Gewerkschaften, Arbeitgeber, Dienstleister und Behindertenverbände, auf, sich innerhalb ihrer Zuständigkeits- und Aufgabenbereiche für die Verwirklichung der Strategie aktiv einzusetzen.
4.10 Der EWSA ist der Auffassung, dass sozialwirtschaftliche Akteure bei der Verbesserung der Lebenssituation und der Möglichkeiten von Menschen mit Behinderungen zum Zugang zu Beschäftigung, Waren und Dienstleistungen eine Schlüsselrolle zukommt.
4.11 Der EWSA fordert Gewerkschaften und Arbeitgeber auf, behinderungsspezifische Klauseln in ihren Kollektivverhandlungen zu berücksichtigen, um integrative Arbeitsmärkte und die Umsetzung der Strategie zu fördern. Die Mitgliedstaaten sollten spezifische Finanzierungsmaßnahmen ergreifen, um diese Verhandlungen zu unterstützen.
4.12 Der EWSA ist der Auffassung, dass die Strategie die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behindertenverbänden und den nationalen Wirtschafts- und Sozialräten fördern sollte, um zur Verwirklichung der Strategie auf einzelstaatlicher Ebene beizutragen.
4.13 Der EWSA fordert, die Bedürfnisse von Menschen, die eine Intensivbetreuung benötigen oder eine psychosoziale Behinderung aufweisen, in allen Bereichen der Strategie durchgängig zu berücksichtigen.
5. Überprüfung der Europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2015 und der neue Rahmen nach 2020
5.1 Der EWSA spricht sich dafür aus, die Strategie nach 2015 sorgfältig zu überprüfen und einen ambitionierten Katalog mit Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung und zur Gewährleistung von Gleichstellung in der EU nach 2015 zu erstellen.
5.2 Der EWSA plädiert für eine Revision der geltenden EU-Rechtsvorschriften und die systematische Berücksichtigung der Grundsätze des VN-Übereinkommens in neuen EU-Rechtsakten und -Maßnahmen.
5.3 Der EWSA unterstützt eine umfassende Überprüfung der Strategie bis 2013, um den Einklang mit den Bestimmungen des VN-Übereinkommens sicherzustellen und u.a. Aspekte wie das Recht auf Leben und die Anerkennung vor dem Gesetz abzudecken.
5.4 Der EWSA erachtet als Kernziele der Strategie die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen bei Beschäftigung, Bildung, Freizügigkeit und anderen wichtigen Lebensbereichen.
5.5 Der EWSA bekräftigt, dass er anzuhören ist, bevor die EU ihren Umsetzungsbericht dem VN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen übermittelt.
5.6 Der EWSA verweist darauf, wie wichtig kohärente Daten für die Politikgestaltung und eine angemessene Bewertung der Strategie sind, und fordert die Entwicklung behinderungsspezifischer Indikatoren auf EU-Ebene.
Erste Vorschläge für eine Liste neuer Strategiemaßnahmen nach 2015
5.7 Der EWSA wird die Umsetzung des europäischen Rechtsakts über Barrierefreiheit in den Mitgliedstaaten nach der Annahme des Legislativvorschlags der Europäischen Kommission durch das Europäische Parlament und den Rat als verbindlicher Rechtsakt aufmerksam verfolgen. Er fordert einen konkreten Plan, um alle EU-Institutionen (Infrastrukturen, Einstellungsverfahren, Sitzungen, Internetauftritte und Informationen) für Menschen mit Behinderungen barrierefrei zu gestalten.
5.8 Der EWSA betont, dass die behinderungsspezifischen Artikel des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Antidiskriminierungsrichtlinie geändert werden sollten, um dem VN-Übereinkommen Genüge zu tun, und fordert die Mitgliedstaaten auf, wirksame EU-Rechtsvorschriften anzunehmen, die den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen über den Beschäftigungsbereich hinaus ausweiten.
5.9 Der EWSA vertritt die Ansicht, dass der neue Maßnahmenkatalog für die Zeit nach 2015 auch Maßnahmen umfassen sollte, um der besondere Situation von Menschen mit psychosozialen Behinderungen, Frauen und Mädchen, Kindern und älteren Personen mit Behinderungen sowie Personen, die eine Intensivbetreuung benötigen, Rechnung zu tragen.
5.10 Der EWSA unterstreicht, dass Menschen mit Behinderungen das Recht auf Freizügigkeit uneingeschränkt wahrnehmen können müssen. Der EWSA befürwortet die Einführung eines europäischen Mobilitätsausweises auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung von behinderungsspezifischer Sachleistungen in allen EU-Ländern als Mittel, um es Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, sich in der gesamten EU ebenso frei zu bewegen wie andere Unionsbürger. Nach dem Vorbild des Parkausweises sollte die europäische Mobilitätskarte auch den Zugang zu verschiedenen Leistungen sicherstellen, die von zahlreichen öffentlichen und privaten Einrichtungen angeboten werden, z.B. Zugang zum öffentlichen Verkehr, zu Museen usw. Der EWSA erwartet konkrete Vorschläge für die Aufhebung von Hürden bei der Übertragbarkeit von Invaliditätsansprüchen sowie spezielle Unterstützungsdienstleistungen wie Sozialhilfe und Hilfsgeräten.
5.11 Der EWSA schlägt die Errichtung einer Beobachtungsstelle für Behindertenfragen vor, die die Situation von Menschen mit Behinderungen in der EU untersucht, vorbildliche Methoden verbreitet und die Politikgestaltung unterstützt.
5.12 Der EWSA fordert die Entwicklung und Umsetzung eines rechtsverbindlichen europäischen Qualitätsrahmens für wohnortnahe Dienste in den Mitgliedstaaten.
5.13 Der EWSA fordert nachdrücklich ein integratives allgemeines Bildungswesen. Er schlägt vor, in Grundschulen Gebärdensprache zu unterrichten und Lehrer anzustellen, die die Brailleschrift und andere entsprechende Methoden beherrschen, um Schüler mit Behinderungen zu unterstützen.
5.14 Der EWSA fordert die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen behinderungsspezifischen Beurteilungssystems, das auf einem Menschrechtsansatz beruht (19).
5.15 Der EWSA schlägt vor, die gleichberechtigte Anerkennung von Menschen mit Behinderungen vor dem Gesetz zu fördern. Der Europäische Gerichtshof und nationale Gerichte müssen zugänglich sein und alle geeigneten Maßnahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung ergreifen.
5.16 Der EWSA erinnert daran, dass das Wahlrecht ein im VN-Übereinkommen anerkanntes unveräußerliches Recht aller Menschen mit Behinderungen ist. Er weist alle betroffenen Institutionen darauf hin, dass die Wahrnehmung des aktiven und passiven Wahlrechts einzig von Alter und Staatsangehörigkeit einer Person abhängen darf. Der EWSA lehnt nachdrücklich und unmissverständlich die Idee ab, das Recht zu wählen oder bei Wahlen zu kandidieren, wegen einer Behinderung durch eine gerichtliche Anordnung oder auf andere Weise einschränken zu können. Der EWSA fordert alle EU-Institutionen und Mitgliedstaaten auf, diskriminierende Vormundschaftsgesetze abzuschaffen, um es Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, ihre politischen Rechte genauso wahrzunehmen wie ihre Mitbürger. Er legt Wert auf die Feststellung, dass angemessene Vorkehrungen in Bezug auf Wahlverfahren, -lokalitäten und -unterlagen unabdingbar sind, um das Recht auf Beteiligung an nationalen Wahlen und Europawahlen zu gewährleisten.
5.17 Der EWSA fordert einen Nachweis der Effizienz der bestehenden politischen Instrumente für die Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen. Zu diesem Zweck schlägt er die Finanzierung von Projekten, Studien und Forschungsarbeiten durch die EU vor.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) KOM(2008) 426 endg.
(2) AEUV: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Artikel 19 Absatz 1: „Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen der Verträge kann der Rat im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen“.
(3) KOM(2010) 1324 endg.
(4) KOM(2010) 1323 endg.
(5) Artikel 1 des VN-Übereinkommens: http://www.un.org/disabilities/default.asp?id=261
(6) http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/statistics/themes
(7) ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 8-15.
(8) ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 8-14.
(9) Ebenda.
(10) KOM(2010) 636 endg.
(11) ABl. C 234 vom 22.9.2005, S. 27-31, ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 92–95, ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 8–15, KOM(2010) 636 endg.
(12) ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 73-81, Ziffer 4.5.2.
(13) ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 8-15.
(14) Entschließung des Rates 2008/C 75/01.
(15) EUROFOUND.
(16) M/473 – Normungsauftrag an das Europäische Komitee für Normung (CEN), das Europäische Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC) und das Europäische Normungsinstitut für Telekommunikation (ETSI) zur Berücksichtigung des Konzepts „Design für alle“ in relevanten Normungsinitiativen.
(17) ABl. C 354, 28.12.2010, S. 8–15. Der Americans with Disabilities Act (ADA) ist ein Rechtsrahmen zum Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen im Beschäftigungsbereich, Verkehrswesen, öffentlichen Wohnwesen, und Nachrichtenwesen sowie bei Tätigkeiten der Regierung. Im ADA sind auch Anforderungen an Kommunikationsdienste festgelegt.
(18) Siehe die Standards, die derzeit bereits im Rahmen der Aufträge 376 und 420 umgesetzt werden, sowie folgende Links:
http://cms.horus.be/files/99909/MediaArchive/M420%20Mandate%20Access%20Built%20Environment.pdf
(19) Ein gemeinsames behinderungsspezifisches Beurteilungssystem basierend auf den Rechten gemäß dem VN-Übereinkommen und der Überarbeitung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF).
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/87 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts“
KOM(2011) 126 endg. — 2011/0059 (CNS)
und zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften“
KOM(2011) 127 endg. — 2011/0060 (CNS)
2011/C 376/16
Berichterstatter: Antonello PEZZINI
Der Rat beschloss am 26. April 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
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„Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts“ KOM(2011) 126 endg. — 2011/0059 (CNS) und |
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„Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften“ KOM(2011) 127 endg. — 2011/0060 (CNS). |
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 31. August 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21. und 22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 156 gegen 3 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) teilt die Auffassung der Kommission, dass im Bereich der Vermögensrechte internationaler Paare Unsicherheiten und Diskriminierungen beseitigt werden müssen, und erachtet die Annahme eines Legislativpakets, das aus zwei Verordnungen - einer für das Ehegüterrecht und einer für das Güterrecht eingetragener Partnerschaften - besteht, als angemessen.
1.2 Der EWSA ist der Auffassung, dass sämtliche einschlägige Rechtsvorschriften auf Rechtssicherheit, Planbarkeit, Vereinfachung und schnellem Zugang zur Gerichtsbarkeit, gerechten Lösungen, angemessenen Kosten und kurzen Fristen beruhen müssen, vorbehaltlich einzig der Ausnahmen, die im Zusammenhang mit der öffentlichen Ordnung stehen.
1.3 Der EWSA hält es für grundlegend, dass die jeweiligen Regelungen einen klaren und transparenten Schutz nicht nur der Rechte im Rahmen des Ehegüterrechts und des Güterrechts eingetragener Partnerschaften, sondern auch der Interessen und Rechte Dritter gewährleisten. In dieser Hinsicht sollte die Wahl der anwendbaren Rechtsvorschriften und der gerichtlichen Zuständigkeiten unbedingt zu dem Zeitpunkt erfolgen, zu dem die betreffende Verbindung eingegangen wird.
1.4 Der EWSA fragt sich in diesem Zusammenhang, ob es nicht möglich wäre, einen zusätzlichen optionalen Rechtsrahmen - das sog. 28. Regime - zu schaffen, der internationale Paare hinsichtlich ihres Güterstands und Güterrechts gleichermaßen schützen würde.
1.4.1 Darüber hinaus würde dadurch der Rückgriff auf das Schiedsverfahren erleichtert, was außergerichtlichen Einigungen Gültigkeit verschaffen würde.
1.5 Der EWSA betont erneut, dass die unmittelbare Vollstreckbarkeit der Beschlüsse gewährleistet werden muss, ohne weitere Verfahren einzuleiten, auch wenn diese vereinfacht würden, um die Kosten und Fristen für die Bürger und den Verwaltungsaufwand für die Rechtssysteme zu verringern.
1.6 Der EWSA empfiehlt die Schaffung eines Informations- und Schulungssystems für die zuständigen Gerichte wie auch für Juristen und Bürger in Form eines in sämtlichen Amtssprachen verfügbaren interaktiven Internetportals und eines Systems für den Austausch von beruflichen Kompetenzen und Fachwissen.
1.7 Der EWSA fordert die Schaffung eines europäischen Netzes nationaler Stellen für kostenlose rechtstechnische Unterstützung, die der Agentur für Grundrechte unterstellt sind, um zu gewährleisten, dass alle Paare ihre Rechte bewusst und sachkundig ausüben können.
1.8 Der EWSA betont, dass die verschiedenen Verfahren in den Bereichen Erbschaft, Scheidung, Trennung und Auflösung des gemeinsamen Güterstands auf den Zuständigkeitsbereich eines einzigen Gerichts konzentriert werden sollten.
1.9 Der EWSA empfiehlt schließlich mit Nachdruck, für die vollkommene Kohärenz der derzeit geltenden und er- bzw. überarbeiteten Regelungen zu sorgen, um einen einheitlichen, vereinfachten und für alle Unionsbürger zugänglichen güterrechtlichen Rahmen zu gewährleisten.
2. Bestehender Rechtsrahmen
2.1 Für den EWSA ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die Bürger frei zwischen allen Mitgliedstaaten verkehren und überall in der Europäischen Union ohne Nachteile und Unsicherheiten leben, eine Familie gründen und Eigentum erwerben können.
2.2 In den Verträgen und in der Grundrechtecharta der EU werden Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit, Zugang zu den Gerichten und Achtung der Grundrechte garantiert, insbesondere: Eigentumsrecht, Gleichheit vor dem Gesetz, Diskriminierungsverbot, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, (das nach einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistete) Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, und Recht auf ein unparteiisches Gericht.
2.3 Die zunehmende Mobilität der Bürger in der EU hat zu einer Zunahme der „internationalen“ Ehen und Partnerschaften zwischen Personen geführt, die nicht dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht in demselben Mitgliedstaat wohnhaft sind oder in einem Mitgliedstaat leben, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen.
2.4 Der EWSA ist sich der großen Bedeutung bewusst, die einer wirksamen Ausübung dieser Rechte in einem Raum ohne Binnengrenzen zukommt, und zwar ungeachtet der Form der Partnerschaft zwischen Bürgern aus verschiedenen Mitgliedstaaten und der Möglichkeit des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. Diese Situation geht häufig mit dem Besitz von beweglichem und/oder unbeweglichem Vermögen in mehr als einem Land der EU einher.
2.5 In Europa gibt es derzeit ungefähr 16 Mio. internationale Paare. Von den im Jahr 2007 geschlossenen 2,4 Mio. neuen Ehen wiesen 13 % (310 000) einen internationalen Aspekt auf. Ebenso waren unter den im selben Jahr eingetragenen 211 000 Partnerschaften in der EU 41 000 internationale Paare.
2.6 In fünf Ländern sind Eheschließungen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern möglich (seit 2001 in den Niederlanden, seit 2003 in Belgien, seit 2005 in Spanien, seit 2009 in Schweden und seit 2010 in Portugal), während die in 14 Mitgliedstaaten anerkannte „eingetragene Partnerschaft“ ein Rechtsinstitut neueren Datums ist (1). In all diesen 14 Ländern ist die eingetragene Partnerschaft von Personen gleichen Geschlechts zulässig, während die eingetragene Partnerschaft von Personen unterschiedlichen Geschlechts nur in Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden möglich ist.
2.7 Die Kommission befasste den EWSA im Jahr 2006 zum Grünbuch über die Regelung des Kollisionsrechts im Bereich des ehelichen Güterstands. Dabei befürwortete der Ausschuss grundsätzlich die Änderungen zur Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (2), mit denen die gerichtliche Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Ehesachen ausgeweitet wurden. Er legte nahe, dass diese Änderungen in diesem Bereich eine Verordnung über die Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen in Ehe- und Sorgerechtssachen ergänzen sollten. Der EWSA hatte sich zur gerichtlichen Zuständigkeit und zum anwendbaren Recht bereits anlässlich der Vorlage des Grünbuchs „Scheidungsrecht“ geäußert, zu dem er eine sehr ausführliche Stellungnahme erarbeitet hatte, auf die an dieser Stelle verwiesen wird (3).
2.8 Der EWSA hatte auch die Frage gestellt, ob das Problem der Aufteilung gemeinsamer Güter (bewegliche und unbewegliche Sachen und andere Vermögensrechte) getrennt behandelt werden sollte, wobei der Anwendungsbereich des von dieser Aufteilung erfassten Personenkreises auf unverheiratete Paare (die jedoch gemeinsame Kinder haben können) ausgedehnt würde.
2.9 Möglicherweise wäre es logischer gewesen, zum einen alle Folgen der Auflösung der ehelichen Verbindung zu behandeln und zum andern alle Folgen der Trennung nicht verheirateter Paare, die eine eingetragene Partnerschaft leben, zu regeln und dazu einen einheitlichen Rechtsrahmen zu erarbeiten.
2.10 Dies hätte wahrscheinlich die Klarheit und Verständlichkeit des anwendbaren Rechts verbessert sowie die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen vereinfacht, die häufig alle Bedingungen und Folgen der Scheidung bzw. Trennung in einem einzigen endgültigen Urteil regeln.
2.11 Aufgrund der Besonderheiten der Rechtsinstitute Ehe und eingetragene Partnerschaft und der rechtlichen Unterschiede zwischen diesen beiden Formen einer Verbindung hält es auch der Ausschuss für zweckmäßig, über zwei unterschiedliche Rechtsinstrumente zu verfügen: eines für die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts und eines für die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften.
2.12 Der EWSA wirft die Frage auf, ob es nicht zweckmäßig wäre, die umfassende Erarbeitung eines einheitlichen Instruments in Form einer europäischen zusätzlichen und optionalen Regelung („28. Regimes“) (4) zu erwägen, die - in Ehe oder eingetragener Partnerschaft lebende - Paare frei und ohne jede Diskriminierung in Anspruch nehmen können. Als Orientierungspunkt könnte hier das deutsch-französische Übereinkommen über die Schaffung eines gemeinsamen Ehegüterrechts dienen (5).
2.12.1 Güterfragen von Ehen und eingetragenen Partnerschaften werden häufig außergerichtlich geklärt. In diesem Falle sollten nach Auffassung des EWSA in das „28. Regime“ bestimmte Klauseln über die Gültigkeit außergerichtlicher Schiedsvereinbarungen (6) aufgenommen werden, was erhebliche Vorteile für die Unionsbürger hätte.
2.13 Beide Instrumente sollten nach Auffassung des EWSA Folgendes sicherstellen:
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Planbarkeit und Sicherheit des anwendbaren Rechts durch klare und einheitliche Vorschriften; |
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Kohärenz der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen und insbesondere im Familienrecht; |
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automatische Anerkennung der Entscheidungen und Vollstreckung durch ein vereinfachtes einheitliches Verfahren, mit dem der Verkehr der Urteile ohne Exequaturverfahren zur Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen gewährleistet wird; |
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Harmonisierung der Zuständigkeitsvorschriften und Bestimmung des anwendbaren Rechts durch eine einziges Gericht für alle Aspekte der Situation eines Paares, das eine entsprechende Wahl treffen sollte; |
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Schaffung eines Rechtsrahmens, der einheitlich strukturiert und leicht zugänglich ist, wobei zu diesem Zweck die Terminologie in sämtlichen Sachbereichen sowie alle Konzepte und Anforderungen an ähnliche Vorschriften in sämtlichen Sachbereichen vereinheitlicht und harmonisiert werden sollten (Rechtshängigkeit, Zuständigkeitsklauseln usw.). |
3. Vorschläge der Kommission
3.1 In ihrem „Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010 - Weniger Hindernisse für die Ausübung von Unionsbürgerrechten“ (7) macht die Kommission die Unsicherheiten im Bereich der Vermögensrechte internationaler Paare als eines der Haupthindernisse aus, das die Bürger bei der Ausübung ihrer Rechte im Alltag beeinträchtigt.
3.2 Die Vorschläge der Kommission stützen sich auf Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
3.3 Dem Rat wurden zwei Initiativen der Kommission vorgelegt, die das auf die Eigentumsrechte internationaler Paare anwendbare Recht berühren: Die erste betrifft die Bestimmung der Zuständigkeit, das anwendbare Recht und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts; die andere betrifft die gleichen Fragen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften.
3.4 Mit diesen Vorschlägen beabsichtigt die Kommission, Brücken zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen der EU zu schlagen und internationalen Paaren das Leben zu erleichtern, ohne das materielle Recht der Mitgliedstaaten im Bereich der Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft zu vereinheitlichen oder anzutasten, allerdings mit dem Ziel,
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internationalen verheirateten Paaren die Wahl des auf ihre gemeinsamen Güter anwendbaren Rechts im Falle des Todes eines Partners oder der Scheidung zu ermöglichen; |
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die Rechtssicherheit für eingetragene Partnerschaften mit internationalem Hintergrund zu erhöhen, indem die Güter in Partnerschaft lebender Personen grundsätzlich dem Recht des Landes unterworfen wird, in dem die Partnerschaft eingetragen wurde; |
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die Rechtssicherheit für internationale Paare (die in Ehe oder in eingetragener Partnerschaft leben) durch Einführung kohärenter Vorschriften zur Bestimmung des zuständigen Gerichts und des anwendbaren Rechts aufgrund einer Rangfolge objektiver Anknüpfungspunkte zu erhöhen; |
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die Planungssicherheit für internationale Paare durch Vereinfachung des Verfahrens zur EU-weiten Anerkennung von Entscheidungen und Urkunden und durch die Möglichkeit der Bürger, einem einzigen Gericht verfahrenseinleitende Schriftstücke zu übermitteln, zu erhöhen. |
3.5 Die Vorschläge sehen auch die Einrichtung einer Website im Rahmen des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen über bestehende Register im Bereich des Ehegüterrechts und nationaler Rechtsvorschriften vor.
3.6 Die Vorschläge erfordern die einstimmige Annahme durch den Rat der Europäischen Union nach Anhörung des Europäischen Parlaments.
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1 Der EWSA hält es für sinnvoll, dass die Wahl des auf Ehegatten anzuwendenden Rechts zum Zeitpunkt der Eheschließung erfolgt, wobei zu vermeiden ist, dass ein Recht gewählt wird, mit dem die Ehe keinerlei rechtliche Anknüpfungspunkte hat. Bei einer bereits bestehenden Ehe, für die keine Rechtswahl getroffen wurde, sollte indes im Einklang mit dem in der kürzlich verabschiedeten Verordnung „Rom III“ angewandten System eine Liste objektiver Anknüpfungspunkte vorgesehen werden, anhand derer das anzuwendende Recht bestimmt wird (8).
4.1.1 Nach Ansicht des EWSA würde durch die Einführung von Vorschriften, die den Ehegatten eine begrenzte Wahlmöglichkeit bei der Bestimmung des anzuwendenden Rechts lassen, die Rechtssicherheit erhöht und den Betroffenen ein gewisser Spielraum bei der Wahl des auf ihr Vermögen anzuwendenden Rechts gegeben, wobei zugleich der Schutz der Interessen Dritter gewährleistet würde.
4.1.2 Im Falle einer eingetragenen Partnerschaft wird das Recht des Staates gewählt, in dem die Partnerschaft eingetragen wird.
4.1.3 Der EWSA betont, dass gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und des im Kommissionsdokument KOM(2011) 126 endg. enthaltenden Vorschlags angemessene und klare Informationen über die Rechtswahl bereitgestellt werden müssen, um die Partner mit dem Scheidungsrecht und den Vorschriften über ihre vermögensrechtlichen Beziehungen vertraut zu machen.
4.1.4 Der EWSA sieht die Rechtssicherheit als Priorität an, weshalb er Bedenken hinsichtlich der Frage anmeldet, inwieweit die hinsichtlich des auf ihren Güterstand anzuwendenden Rechts getroffene Wahl eines Paares respektiert werden kann, wenn sein Vermögen nicht in dem Staat belegen ist, dessen Recht es gewählt hat.
4.1.4.1 Nach Auffassung des Ausschusses sollte zum Zeitpunkt der Eheschließung und der Trennung oder Scheidung eine ausgewogene Bewertung des Vermögens vorgenommen werden, um sowohl die Rechtssicherheit als auch das Recht der Ehegatten auf die Bewahrung des Werts ihres beweglichen und unbeweglichen Vermögens zu garantieren.
4.1.4.2 Der EWSA legt nahe, in allen Urkunden in Bezug auf die Vermögensgegenstände einen Verweis auf den ehelichen Güterstand aufzunehmen. Dies ist besonders wichtig, wenn Unternehmensanteile und -beteiligungen, Lebensversicherungen, Pensionsfonds usw. vorhanden sind.
4.1.5 Der EWSA fragt sich, welche Folgen für Dritte auftreten können, wenn das für den Güterstand gewählte anzuwendende Recht von dem des Ortes der tatsächlichen Belegenheit des Vermögens - u.U. außerhalb der EU - abweicht.
4.2 Der Ausschuss hält es für wichtig, durch Fortschritte bezüglich Kostensenkung und kürzere Fristen bei der Anerkennung von Entscheidungen und durch den Ausschluss der Möglichkeit, bei Gerichten in verschiedenen Mitgliedstaaten Rechtsmittel einzulegen, die Probleme im Zusammenhang mit der Anerkennung von Entscheidungen und Rechtsakten zu beseitigen.
4.3 Durch die Vorschriften über die Zuständigkeit bei güterrechtlichen Auseinandersetzungen würde die Zuständigkeit des mit einer Scheidung oder einem Nachlass befassten Gerichts auf mit güterrechtlichen Auseinandersetzungen zusammenhängende Fragen ausgeweitet. Hieraus würde sich für die Bürger eine größere Rechtssicherheit ergeben, da das für die Scheidung oder den Nachlass zuständige Gericht auch für die güterrechtliche Auseinandersetzung zuständig wäre.
4.3.1 Der Ausschuss zeigt sich besorgt über die Folgen der Fristen für die Anpassung der internen Rechtsvorschriften der einzelnen Staaten und das Datum des Inkrafttretens der Verordnungen in Bezug auf die Güterstände.
4.4 Der EWSA hält es für unerlässlich, den freien Verkehr der Entscheidungen dank ihrer automatischen Anerkennung in der gesamten Union und einer Vollstreckung durch ein vereinfachtes einheitliches Verfahren sicherzustellen und für die geforderte Kohärenz bei der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen zu sorgen.
4.5 Der EWSA ist der Ansicht, dass das allgemeine Ziel darin bestehen sollte, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der einheitlich strukturiert und leicht zugänglich ist; seines Erachtens sollte zu diesem Zweck die Terminologie in sämtlichen Sachbereichen sowie alle Konzepte und Anforderungen an ähnliche Vorschriften in sämtlichen Sachbereichen vereinheitlicht und harmonisiert werden (z.B. Rechtshängigkeit, Zuständigkeitsklauseln, gewöhnlicher Aufenthalt usw.).
4.6 Außerdem hält es der Ausschuss für wichtig, ohne Vorbehalt - abgesehen von die öffentliche Ordnung betreffenden und im Einklang mit der Grundrechtecharta stehenden Vorbehalten - im Einklang mit den Änderungen, die im Hinblick auf die zivil- und handelsrechtlichen Vorschriften im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vorgeschlagen wurden (9), die Anerkennung und die Vollstreckung der Entscheidungen sowie deren freien Verkehr im Binnenmarkt ohne Exequaturverfahren zu ermöglichen.
4.7 Der EWSA hält es auch für sinnvoll, dass ein einziges Gericht für die verschiedenen Verfahren zuständig ist: Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und güterrechtliche Auseinandersetzung. Die zuständigen Gerichte sind dieselben wie diejenigen, die in der Verordnung „Brüssel IIa“ genannt werden.
4.7.1 Der Ausschuss betont, wie wichtig es ist, Parallelverfahren und die Anwendung unterschiedlicher Sachrechte auf das Vermögen von Eheleuten oder eingetragenen Lebenspartnern zu vermeiden.
4.8 Der EWSA hält es für grundlegend wichtig, Schulungsmaßnahmen für die Bediensteten der zuständigen Behörden und für Juristen durchzuführen, die den neuen Rechtsrahmen im Bereich der Güterstände von Eheleuten oder eingetragenen Lebenspartnern werden anwenden müssen.
4.9 Die Eheleute oder eingetragenen Lebenspartner müssen angemessen darüber informiert werden, wie sich das gewählte Recht im Falle einer Vermögensübertragung auf ihr Vermögen auswirkt, vor allem wenn das gewählte Recht von dem des Ortes der tatsächlichen Belegenheit des Vermögens abweicht.
4.10 Im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Rates „Justiz und Inneres“ vom 24./25. Februar 2011„[ist] die Achtung der Grundrechte auch zu berücksichtigen […], wenn Rechtsakte erstellt werden, die keinem Gesetzgebungsverfahren unterliegen“ (10). Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Agentur für Grundrechte eine aktive Rolle dabei spielen kann und muss, die Partner technisch-juristisch zu unterstützen, damit sie ihre Rechte wirksam ausüben können.
5. Besondere Bemerkungen
5.1 Vorschläge zur Regelung des ehelichen Güterstands
5.1.1 Der Ausschuss stimmt der Begriffsbestimmung des ehelichen Güterstands zu, demzufolge dieser sowohl die Aspekte, die mit der Verwaltung des Vermögens der Eheleute im Alltag zusammenhängen, als auch die Aspekte, die bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung zum Tragen kommen, umfasst, ohne die Art dinglicher Rechte wie auch die Qualifikation der Sachen und Rechte und die Prärogativen der Inhaber solcher Rechte zu berühren, vorbehaltlich einzig der Ausnahmen im Sinne der öffentlichen Ordnung gemäß der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten.
5.1.2 Dem Ausschuss ist es ein ernstes Anliegen, dass im Bereich der Zuständigkeit Kohärenz gewährleistet wird zwischen den geltenden Regelungen gemäß Verordnung 1259/2010 (Scheidung oder Trennung), Verordnung 2201/2003 (Ehesachen) und den im vorliegenden Verordnungsvorschlag vorgesehenen Vorschriften (siehe Kapitel II, Artikel 4 und 5 sowie Kapitel III, Artikel 15 bis 18).
5.1.2.1 Nach Auffassung des EWSA könnten unterschiedliche Regelungen in den verschiedenen Fällen - deren Wahl im reinen Ermessen der Beteiligten liegt - zu übermäßiger Komplexität und möglicherweise zu konkurrierenden Zuständigkeiten führen, was erhebliche Belastungen in puncto Fristen und Kosten mit sich bringt. Nach Auffassung des Ausschusses ist es sinnvoll, die gerichtliche Zuständigkeit zum Zeitpunkt der Eheschließung festzulegen.
5.1.3 Nach Ansicht des Ausschusses muss der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Bereich des freien Verkehrs gerichtlicher Entscheidungen, Eintragungen und öffentlicher Urkunden im Bereich des Ehegüterrechts eventuelle weitere Verfahren, die über diese Vorschläge hinausgehen, ausschließen. Jedwedes Exequaturverfahren (siehe Verordnungen Brüssel I und II) würde zu Belastungen in puncto Kosten und Fristen führen.
5.1.4 In beiden Verordnungen sollte nach Auffassung des EWSA in Artikel 4 die Möglichkeit ausgeschlossen werden, die Ausdehnung der Zuständigkeit des Gerichts, das für die Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung der Ehe bzw. für die Aufhebung oder Ungültigerklärung einer eingetragenen Partnerschaft zuständig ist, auf güterrechtliche Fragen in Verbindung mit diesen Verfahren von einer Vereinbarung der Ehegatten bzw. Partner abhängig zu machen.
5.2 Vorschläge zur Regelung des Güterrechts eingetragener Partnerschaften
5.2.1 Nach Auffassung des EWSA muss den besonderen Eigenschaften eingetragener Partnerschaften Rechnung getragen werden, um die rechtlichen Folgen für eingetragene Partnerschaften bezüglich vermögensrechtlicher Beziehungen untereinander sowie gegenüber Dritten zu bestimmen.
5.2.2 In Bezug auf die Vorschriften in Kapitel III des Verordnungsvorschlags 127/2011 (eingetragene Partnerschaften) ist der EWSA der Ansicht, dass diese vorgeschlagenen Bestimmungen mit dem anzuwendenden Recht des Staates der Belegenheit dieses Vermögens kollidieren können.
5.2.3 Um die Garantien zum Schutz der Rechte der Angehörigen eingetragener Partnerschaften sowie von Dritten zu stärken und angesichts der bestehenden Unterschiede zwischen den Regelungen in den Ländern, die eingetragene Partnerschaften zulassen, wäre es sinnvoll, eine Harmonisierung der Informationssysteme, der Verfahren der Publizität und Geltendmachung der Rechte an Vermögenswerten der Partner, insbesondere bei Belegenheit des Vermögens in Ländern, die eine solche Regelung nicht kennen, durchzuführen.
5.3 Zugang zu Informationen über die güterrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten
5.3.1 Der EWSA betont, dass ein angemessener Zugang zu den Informationen - an erster Stelle für Ehegatten und Mitglieder eingetragener Partnerschaften, aber auch für die zuständigen Gerichte und Juristen - mittels praktischer Leitfäden und der Schaffung von Internetportalen in den Amtssprachen der EU sichergestellt werden muss.
5.3.2 Der Ausschuss hält ein Schulungsprogramm für Gerichte, Juristen und Nutzer, das von Maßnahmen zum Erfahrungsaustausch begleitet wird, für unerlässlich. Damit sollen eine angemessene Verbreitung beruflicher Kompetenzen sowie Kenntnisse über die entsprechenden einzelnen nationalen Rechtssysteme gewährleistet werden.
5.3.3 Der EWSA fordert den Aufbau eines europäischen Netzes einzelstaatlicher Stellen für die technisch-juristische Unterstützung, die der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte unterstehen. Damit soll eine bewusste Ausübung der Rechte der Partner im Bereich des Ehegüterrechts und des Güterrechts eingetragener Partnerschaften gewährleistet werden.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweden, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Vereinigtes Königreich.
(2) ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 71.
(3) ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 20.
(4) ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 26.
(5) Siehe: Französischer Ministerrat, 23. März 2011.
(6) Vorschlag des italienischen Justizministeriums; siehe auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache West Tankers (C-185/07, Ziffer 26) bezüglich der Gültigkeit der Schiedsklausel.
(7) Angenommen am 27. Oktober 2010.
(8) Siehe Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 vom 20. Dezember 2010, ABl. L 343 vom 29.12.2010, S. 10.
(9) Siehe KOM(2010) 748 endg.
(10) Siehe Schlussfolgerungen des Rates zur Rolle des Rates der Europäischen Union bei der Gewährleistung einer wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 24./25. Februar 2011.
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/92 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europäischer eGovernment-Aktionsplan 2011-2015 — Einsatz der IKT zur Förderung intelligent, nachhaltig und innovativ handelnder Behörden“
KOM(2010) 743 endg.
und der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Interoperabilisierung europäischer öffentlicher Dienste“
KOM(2010) 744 endg.
2011/C 376/17
Berichterstatter: Raymond HENCKS
Die Europäische Kommission beschloss am 15. bzw. 16. Dezember 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:
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„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europäischer eGovernment-Aktionsplan 2011–2015 — Einsatz der IKT zur Förderung intelligent, nachhaltig und innovativ handelnder Behörden“ KOM(2010) 743 endg. bzw. |
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„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Interoperabilisierung europäischer öffentlicher Dienste“ KOM(2010) 744 endg. |
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. September 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 161 gegen 1 Stimme bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der Aktionsplan, der Gegenstand dieser Stellungnahme ist, geht auf die eGovernment-Ministerkonferenz 2009 in Malmö zurück, auf der sich die zuständigen EU-Minister verpflichtet haben, grenzüberschreitende elektronische Behördendienste zu fördern, die besser zugänglich, interaktiv und personalisiert sind. Darüber hinaus gab es Verpflichtungen im Rahmen der im digitalen Agenda und der Europa-2020-Strategie.
1.2 Da die Kommission im Rahmen ihrer Zuständigkeit auf diesem Gebiet lediglich Bedingungen und Maßnahmen vorschlagen kann, die eine harmonische Entwicklung grenzüberschreitender elektronischer Behördendienste in der EU begünstigen, möchte der EWSA hervorheben, dass es letztlich Aufgabe der Mitgliedstaaten sein wird, die Einhaltung der in Malmö eingegangenen Verpflichtungen sicherzustellen.
1.3 Um Verwechslungen mit Diensten anderer Art zu vermeiden, schlägt der Ausschuss vor, hier von „grenzüberschreitenden öffentlichen elektronischen Behördendiensten“ in der EU und nicht von „europäischen öffentlichen Diensten“ zu sprechen.
1.4 Der EWSA unterstützt den von der Kommission vorgelegten Aktionsplan für nachhaltige und innovative elektronische Behördendienste, die stärker personalisierte und interaktive Dienstleistungen ermöglichen und besser den Bedürfnissen und Erwartungen der Nutzer Rechnung tragen, denen eine aktivere Rolle bei der Gestaltung der elektronischen öffentlichen Dienste zukommen muss.
1.5 Die Förderung elektronischer Behördendienste muss mit einer Reform der Verwaltung und ihrer Beziehungen zu den Nutzern einhergehen, was insbesondere die Unterstützung der Nutzer bei der elektronischen Erledigung von behördlichen Formalitäten betrifft.
1.6 Die EU und die Mitgliedstaaten müssen alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die digitale Gesellschaft allen Bevölkerungsgruppen - auch den benachteiligten - zugänglich zu machen, wie das in der Europa-2020-Strategie und in Artikel 9 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgesehen ist.
1.7 Im Hinblick auf die Interoperabilität, elektronische Signaturen und elektronische Identifizierung bestehen die Hindernisse oft im Fehlen einer grenzübergreifenden Rechtsgrundlage, divergierenden nationalen Rechtsvorschriften und der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten sich für untereinander inkompatible Lösungen entscheiden. Es bedarf einer guten und wirksamen multilateralen Steuerung der Systeme durch Menschen und angemessener Mittel.
1.8 Der Ausschuss unterstützt in einem europäischen Interoperabilitätsrahmen die Entwicklung einer gemeinsamen Vision und gemeinsamer Normen für die Schnittstellen und spricht sich für eine auf Open-source-Software basierende, offene Plattform für den Informations-, Erfahrungs- und Codes-Austausch aus, die Korrekturen und Änderungen ermöglichen und wegen der erforderlichen Interoperabilität vor allem offene Dateiformate anbieten muss. Die von bestimmten Verwaltungen (z.B. vom Zoll) gemachten Erfahrungen sollten genutzt werden, um auf technischer, semantischer und organisatorischer Ebene eine Interoperabilität der Systeme herzustellen, bevor diese miteinander verbunden werden, da dies die Garantie für die Umsetzung der Vereinbarungen und die Funktionsstabilität ist. Dazu müssen gemeinsame Regeln und solide Rechtsgrundlagen geschaffen werden.
1.9 Interoperabilität ist heute ein unumgängliches Konzept, jedoch nur für jene Dienste, für die dies sinnvoll erscheint. Ihre Verwirklichung ist ein sehr komplexes Unterfangen, bei dem zahlreiche Aktionen zusammengeführt werden und die Sicherheit des Datenaustausches durch technische Maßnahmen gewährleistet werden muss. Sie unterliegt zudem der Weiterentwicklung.
1.10 Vor Beginn des Datenaustausches sollte den Verwaltungen der Mitgliedstaaten eine Sortierung der Daten empfohlen werden, damit nur die Daten online verfügbar gemacht werden, für die ein elektronischer Austausch sinnvoll ist. Ausgangspunkt muss dabei die Einhaltung der bestehenden Vorschriften sein.
1.11 Die personenbezogenen Daten der Bürger Unternehmen und Verbände müssen geschützt und ihr Anspruch auf Löschung geachtet werden. Die Datensicherheit muss auf europäischer Ebene gewährleistet und garantiert werden, und zwar von der Konzipierung der Austauschverfahren an und auf der Ebene der Server, der Software, der Speicherung, des Austausches usw. Die eventuelle Weiterverwendung von Daten durch Dritte muss den gleichen Bestimmungen und Anforderungen unterliegen.
2. Förderung elektronischer Behördendienste
2.1 Seit 1993 bemüht sich die Europäische Union um eine Koordinierung der einzelstaatlichen Maßnahmen zur Förderung der digitalen Konvergenz und zur Bewältigung der mit der Informationsgesellschaft entstandenen Herausforderungen (Programme IDA, IDAI, IDAII, IDABC, ISA) (1), um einen europäischen Informationsraum mit erschwinglichen, sicheren und schnellen Breitbandverbindungen sowie vielseitigen und auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichteten Inhalten von hoher Qualität zu schaffen.
2.2 Die EU hat denn auch in zahlreichen Mitteilungen und Aktionsplänen die entsprechenden politischen Ausrichtungen festgehalten, von denen einige auf eine schnellere Einführung elektronischer Behördendienste mit fünf Prioritäten abstellen:
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Zugang für alle; |
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Erhöhung der Effizienz; |
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sichtbare eGovernmentdienste; |
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Schaffung zentraler Instrumente; |
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stärkere Bürgerbeteiligung an den demokratischen Entscheidungsprozessen. |
2.3 Der neue Aktionsplan ist Teil der digitalen Agenda. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die digitale Gesellschaft allen Bevölkerungsgruppen - auch den benachteiligten - zugänglich zu machen, wie das in der Europa-2020-Strategie und in Artikel 9 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgesehen ist.
3. Neue Initiativen der Kommission
3.1 Auf der fünften eGovernment-Ministerkonferenz 2009 in Malmö haben sich die Minister der EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, Europas Wettbewerbsfähigkeit durch besser zugängliche, interaktive und personalisierte elektronische Behördendienste zu fördern, wodurch Zeit und Geld gespart werden kann.
3.2 Die Kommission schlägt daher einen neuen Aktionsplan für elektronische Behördendienste vor, mit dem der auf der Konferenz in Malmö vorgebrachten Forderung in konkreter Form entsprochen werden soll und der zu zwei Kernzielen der digitalen Strategie für Europa beiträgt: die Mitgliedstaaten sollten ihren nationalen Interoperabilitätsrahmen bis 2013 an die jeweils geltenden europäischen Rahmen anpassen, und die Behörden sollen elektronische Verwaltungsdienste fördern, so dass bis 2015 50 % der Bürger und 80 % der Unternehmen elektronische Behördendienste nutzen.
3.3 Die im Aktionsplan 2011-2015 vorgesehenen 40 Maßnahmen betreffen vier Bereiche:
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A. |
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B. |
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C. |
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D. |
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3.4 Konkret sind im Aktionsplan folgende Maßnahmen vorgesehen:
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Es soll dafür Sorge getragen werden, dass an die Behörden übermittelte Informationen einmalig und sicher registriert werden können (und die gleichen Informationen nicht mehrmals an verschiedene Behörden übermittelt werden müssen); |
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Ausdehnung der Verwendung elektronischer Identifizierungssysteme (e-ID) auf die gesamte EU, um bestimmte grenzüberschreitende Formalitäten, z.B. für die Gründung eines Unternehmens im Ausland, einen Umzug oder die Verlagerung eines Gewerbes ins Ausland, die Übertragung von Rentenansprüchen ins Ausland oder die Einschreibung an einer ausländischen Schule oder Universität zu erleichtern; |
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Möglichkeit für die Bürger und die Unternehmen, die Bearbeitung ihres Verwaltungsvorgangs durch die Behörden in Echtzeit zu verfolgen, was zur Transparenz und Offenheit beiträgt; |
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Abstimmung der Dienste auf die konkreten Bedürfnisse der einzelnen Nutzer, zum Beispiel durch Gewährleistung einer sicheren und schnellen Übermittlung von Dokumenten und Informationen in digitaler Form; |
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Zulassung der Weiterverwendung von Daten durch Dritte, um die Entwicklung neuer Anwendungen und öffentlicher Dienste zu ermöglichen. |
4. Allgemeine Bemerkungen
Der EWSA schließt sich dem Standpunkt an, dass unbedingt nachhaltige und innovative elektronische Behördendienste sowie eine ungehinderte grenzübergreifende Interoperabilität gefördert werden müssen.
4.1 In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass die Hauptaufgabe der Kommission in diesem Bereich darin besteht, bessere Bedingungen für die Entwicklung elektronischer Behördendienste, d.h. vor allem solche Voraussetzungen wie Interoperabilität, elektronische Signaturen und elektronische Identifizierung zu schaffen und das Handeln der Mitgliedstaaten zu koordinieren, da sich ja die Regierungen der Mitgliedstaaten in der Erklärung von Malmö politisch verpflichtet haben, bei der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen eine zentrale Rolle zu übernehmen.
4.2 Der Ausschuss möchte vor allem darauf hinweisen, dass die von der Kommission in ihrer Mitteilung über die Interoperabilität verwendete Formulierung „europäische öffentliche Dienste“ unpassend und irreführend ist. Der EWSA hat in seiner Stellungnahme zu den „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse: Wie sollte die Zuständigkeitsverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten aussehen?“ (2) diejenigen öffentliche Dienstleistungen angesprochen, die nicht auf die einzelstaatliche oder kommunale Ebene beschränkt werden dürfen und als europäische Dienstleistungen von allgemeinem Interesse angesehen werden können. Grenzüberschreitende elektronische Behördendienste haben zwar aufgrund ihres grenzübergreifenden Charakters eine gewisse europäische Dimension, unterscheiden sich jedoch ihrem Wesen nach grundsätzlich von Dienstleistungen, die als europäische öffentliche Dienste bezeichnet werden könnten.
4.3 Der EWSA unterstützt die neue Strategie, d.h. den Übergang vom bisherigen, eher universellen Ansatz zu einem personalisierten Ansatz, der den Weg für stärker interaktive öffentliche Dienstleistungen ebnet, den Erwartungen und Forderungen der Nutzer besser gerecht wird. Dieses Konzept basiert auf einer neuen Generation offener, flexibler und nahtlos funktionierender elektronischer Behördendiensten auf kommunaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene.
4.4 Der Ausschuss begrüßt die von der Kommission eröffnete Möglichkeit, dass die Nutzer (Bürger, Unternehmen, NRO und von der Kommission anerkannte strukturierte Gremien für den Dialog) langfristig eine aktivere Rolle bei der Gestaltung der elektronischen öffentlichen Dienste übernehmen können.
4.5 Der Ausschuss unterstützt daher den von der Kommission vorgelegten neuen Aktionsplan, der schnellere und bessere Behördendienste für alle Beteiligten ermöglicht und der die Behörden dabei unterstützen wird, ihr Dienstleistungskonzept und ihre internen Verfahren zu überprüfen, um den neuen Anforderungen hinsichtlich Schnelligkeit, Verfügbarkeit und Einfachheit besser gerecht zu werden.
4.6 Man kann sich jedoch nicht des Eindrucks erwehren, dass die Nutzer nur all zu oft nicht wirklich im Mittelpunkt der Bestrebungen der Behörden stehen, sondern dass die elektronischen Behördendienste vielmehr nach den internen Verwaltungsstrukturen organisiert und nicht auf die Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet sind, was für die Nutzer in Zugangsproblemen, mangelnder Sichtbarkeit und uneinheitlicher Gestaltung zum Ausdruck kommt.
4.7 Der EWSA bedauert, dass die Kommission nicht auf die Frage des Datenschutzes und der Sortierung von Daten eingeht. Die einschlägige Verordnung aus dem Jahr 2001 muss vollständig umgesetzt werden, wobei ohne eine absolute Garantie der Vertraulichkeit, des Anspruchs auf Löschung und der Durchsetzbarkeit dieser Ansprüche keinerlei private Daten von Bürgern ausgetauscht werden dürfen. Der Ausschuss äußert Bedenken hinsichtlich der Weiterverwendung von Daten durch Dritte.
4.8 Die Bedeutung der technischen und computertechnischen Fragen darf nicht unterschätzt werden, da sie Voraussetzung für den Erfolg der Interoperabilität und der Datensicherheit sind: Interoperabilität der Verfahren, der semantischen Aspekte und der Organisationen. Elektronische Behördendienste müssen in einer Neuorganisation der Verwaltung und ihrer Beziehungen zu den Nutzern münden und können nur dann alle Beteiligten zufrieden stellende Ergebnisse hervorbringen, wenn sie nicht als Selbstzweck, sondern als Instrument für den Wandel konzipiert werden, bei dem Schulung, individuelle und kollektive Kontrolle und Kommunikation Hand in Hand gehen. Folglich kann es nicht darum gehen, Menschen durch Computertechnik zu ersetzen, sondern um die Freisetzung menschlicher Arbeitszeit, die für Aufgaben mit höherer Wertschöpfung verwendet werden kann, insbesondere um die Bürger beim Erlernen und Benutzen elektronischer Behördendienste zu unterstützen (3), dies um so mehr, als die Kommission feststellt, dass es bislang nur wenige grenzübergreifende elektronische Behördendienste gibt, und wenn solche Angebote bestehen, sie von der Mehrheit der EU-Bürger nur zögerlich angenommen werden.
4.9 Die Förderung der Nutzung elektronischer Behördendiensten steht zwangsläufig im Zusammenhang mit den Problemen der Konnektivität, der Computerkompetenzen und der digitalen Integration (3).
4.10 Ungeachtet der Tatsache, dass bereits zahlreiche elektronische Behördendienste zur Verfügung stehen, deren Qualität im Laufe der Jahre immer besser wird, äußert der Ausschuss doch Bedenken hinsichtlich der von der Kommission angestellten vergleichenden Bewertung elektronischer Behördendienste, da sich diese auf die Prüfung einer zu geringen Zahl von Diensten stützt und damit nicht repräsentativ ist. So ist die Portugal attestierte Verfügbarkeitsrate für elektronische Behördendienste von 100 % weit von der Realität entfernt. Es gilt jedoch festzuhalten, dass nicht für alle Behördendienste eine grenzüberschreitende Interoperabilität notwendig ist.
4.11 Gleichwohl geht es darum zu verhindern, dass aus der digitalen Kluft eine Kluft beim Zugang zu Behördendiensten erwächst. Einer der Gründe für die Vorbehalte der Bürger gegenüber der Verwendung elektronischer Behördendienste ist zweifellos das fehlende Vertrauen in die Datensicherheit und den Datenschutz. Der Ausschuss hält es daher für unabdingbar, dass eine echte demokratische Kontrolle der Verfahren und der Datenverwendung eingeführt und der europäische Datenschutzbeauftragte hinzugezogen wird. Anderenfalls würde sich der Ausschuss gegen eine Weiterverwendung von Daten durch Dritte aussprechen, wie sie die Kommission in der Erwartung vorschlägt, dass daraus neuartige Behördendienste entstehen. Der EWSA hält die Einsetzung eines beratenden Gremiums für elektronische Behördendienste mit Vertretern der EU, der nationalen Verwaltungen, der Sozialpartner und der Nutzer für nunmehr unerlässlich.
4.12 Der Ausschuss weist in diesem Zusammenhang erneut darauf hin, dass unbedingt ein mit den Vertretern der Zivilgesellschaft auszuhandelnder Kodex (Katalog zwingender Vorschriften) der Rechte der Nutzer digitaler Dienste aufgestellt werden muss.
4.13 Im Hinblick auf öffentliche Aufträge (dieser Bereich steht für ungefähr 18 % des BIP der EU bei Lieferungen, Leistungen und Bauaufträgen und bildet eines der 12 Schlüsselelemente der Binnenmarktakte) beträgt die Verfügbarkeit der elektronischen Auftragsvergabe in der Europäischen Union ungefähr 60 %, was weit hinter dem im ersten Aktionsplan i2010 angestrebten Ziel von 100 % zurückbleibt.
4.14 Der Ausschuss hat in seiner Stellungnahme (4) zum „Grünbuch zum Ausbau der e-Beschaffung in der EU“ die Schaffung eines Kontrollmechanismus empfohlen, um zumal die Fortschritte, Hindernisse, beschlossenen Abhilfemaßnahmen usw. in Bezug auf die Einführung von e-Beschaffung in den Mitgliedstaaten zu prüfen.
4.15 Der EWSA hat in der genannten Stellungnahme zudem erklärt, dass im Zuge der Umsetzung der e-Beschaffung die Mitgliedstaaten bei der Suche nach innovativen Lösungen zur Bewältigung von Problemen in Geschäftsprozessen und Sprachfragen unterstützt werden sollten. Die Kommission sollte hierbei nicht nur eine Führungsrolle übernehmen, sondern auch als Vorkämpfer im eigenen Hause Verfahren zur e-Beschaffung einführen.
4.16 Interoperabilität, elektronische Signaturen und elektronische Identifizierung sind zwar wirksame Instrumente zur Entwicklung grenzüberschreitender elektronischer Behördendienste, stoßen jedoch oft auf Hindernisse wie das Fehlen einer grenz- und sektorübergreifenden Rechtsgrundlage für Interoperabilität, divergierende nationale Rechtsvorschriften und die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten sich für untereinander inkompatible Lösungen entscheiden.
4.17 Es fehlt an gemeinsamen Infrastrukturen, Architekturen und Leitlinien, was immer mehr nicht interoperable Lösungen hervorbringen könnte. Um dem entgegenzuwirken, müssen eine gemeinsame Vision und gemeinsame Normen entwickelt werden.
4.18 Der Ausschuss unterstützt die Kommission in ihrem Interoperabilitätsbemühungen in den Bereichen vertrauenswürdiger Informationsaustausch, Interoperabilitätsarchitektur und Beurteilung der IKT-Implikationen neuer EU-Vorschriften im Rahmen der Europäischen Interoperabilitätsstrategie (EIS).
4.19 Der EWSA begrüßt zudem die Idee, dass der Europäische Interoperabilitätsrahmen (EIF) dazu genutzt werden soll, gemeinsam mit den Organisationen, die im Hinblick auf eine gemeinsame Erbringung elektronischer Behördendienste zusammenarbeiten wollen, eine Reihe gemeinsamer Elemente festzulegen wie ein Vokabular, Begriffe, Grundsätze, Leitlinien, Empfehlungen, Normen, Spezifikationen und Praktiken, wobei natürlich Vielsprachigkeit gefördert werden muss und die tägliche Aktualisierung dieser Elemente unverzichtbar ist.
4.20 Öffentliche Verwaltungen sollen sich beim Aufbau europäischer öffentlicher Dienste mit ihren Interoperabilitätsvereinbarungen auf bestehende formale Spezifikationen stützen oder – sofern es solche nicht gibt - mit den Gemeinschaften zusammenarbeiten, die auf dem gleichen Gebiet tätig sind. Sie sollen bei der Bewertung und Auswahl formaler Spezifikationen einen strukturierten, transparenten und objektiven Ansatz verfolgen.
4.21 Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, in Kürze eine Mitteilung zu veröffentlichen, in der den öffentlichen Verwaltungen Orientierungen für die Verknüpfung von IKT-Normung und öffentlichem Auftragswesen an die Hand gegeben werden, was offenbar ein wirksames Mittel ist, um den Zugang zum öffentlichen Auftragswesen in größerem Maße zu öffnen und die sich dabei ergebenden diversen Verwaltungsformalitäten zu erleichtern.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) ABl. C 249 vom 13.9.1993, S. 6; ABl. C 214 vom 10.7.1998, S. 33; ABl. C 80 vom 3.4.2002, S. 21; ABl. C 80 vom 30.3.2004, S. 83; ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 36.
(2) ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 65.
(3) ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 9.
(4) ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 99.
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/97 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ressourcenschonendes Europa — eine Leitinitiative innerhalb der Strategie Europa 2020“
KOM(2011) 21 endg.
2011/C 376/18
Berichterstatter: Lutz RIBBE
Die Europäische Kommission beschloss am 26. Januar 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ressourcenschonendes Europa — eine Leitinitiative innerhalb der Strategie Europa 2020“
KOM(2011) 21 endg.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. September 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 22. September) mit 120 gegen 13 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Zusammenfassung
1.1 Der EWSA begrüßt die Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“, hält sie aber für zu unkonkret. Angesichts der weltweiten Dimension wichtiger Umweltthemen verweist der Ausschuss auf seine Vorschläge für die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung 2012 und auf seine Arbeiten zum Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050 (1).
1.2 Er erwartet von der Kommission, dass in den 20 angekündigten Einzelinitiativen sehr genau beschrieben wird,
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was unter „Ressourceneffizienz“ genau zu verstehen ist; |
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was bereits mit technologischen Optimierungen erreicht werden kann bzw. |
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in welchen Sektoren es zum angekündigten „grundlegenden Umbau“ kommen muss, wie dieser jeweils aussehen soll und mit welchen Instrumenten man ihn zu erreichen gedenkt; |
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welche Verhaltensveränderungen bei Herstellern und Verbrauchern konkret für notwendig angesehen werden und wie diese beschleunigt werden können. |
1.3 Es steht völlig außer Zweifel, dass mit der EU-2020-Strategie entscheidende Weichen für eine nachhaltige und somit auch ressourceneffiziente Wirtschaft gestellt werden müssen. Dennoch bleibt eine Aufgabentrennung zwischen Nachhaltigkeitsstrategie und EU-2020-Strategie sinnvoll.
1.4 Die Einordnung der Ressourceneffizienzinitiative in die EU-2020-Strategie ist dem EWSA unverständlich. Er versteht diese vielmehr als eine Konkretisierung der im Jahr 2001 beschlossenen und 2006 revidierten Nachhaltigkeitsstrategie; allein schon deshalb, weil der zeitliche Zielhorizont weit über das Jahr 2020 hinausgeht. Der EWSA spricht sich für eine Wiederbelebung der Nachhaltigkeitsstrategie aus, die seines Erachtens von der Kommission vernachlässigt wird.
2. Vorbemerkung
2.1 Kurz bevor die Kommission den EWSA um die Erarbeitung dieser Stellungnahme zur „Leitinitiative Ressourcenschonendes Europa“ ersuchte, hatte das Präsidium des Ausschusses beschlossen, eine Initiativstellungnahme zum Stand und zur Situation der Nachhaltigkeitsstrategie der EU zu erarbeiten.
2.2 In den Gremien des EWSA wurde beschlossen, beide Themen in dieser Stellungnahme zusammenzufassen.
3. Ressourcenschonendes Europa - eine Leitinitiative innerhalb der Strategie Europa 2020
3.1 Die von der Kommission veröffentlichte und hier zu kommentierende „Leitinitiative Ressourcenschonendes Europa“ ist eine von sieben neuen Leitinitiativen, die die Kommission in den Rahmen der EU-2020-Strategie einordnet.
3.2 In der Mitteilung stellt die Kommission - nicht zum ersten Mal - dar, dass die derzeitige intensive Ressourcennutzung nicht nur die Erde ökologisch übermäßig belastet, sondern auch die Versorgungssicherheit bedroht, zumal die Schwellen- und Entwicklungsländer danach streben, einen vergleichbaren Wohlstand zu erreichen; einen Wohlstand, der auf nicht nachhaltigen Produktions- und Verbrauchsmustern beruht.
3.3 Im Rahmen dieser Leitinitiative sollen noch innerhalb des Jahres 2011 insgesamt 20 Einzelinitiativen veröffentlicht werden, die dazu beitragen sollen, ein ressourcenschonendes Europa aufzubauen. Dies kann nach Auffassung der Kommission nur „mit technologischen Verbesserungen, einem grundlegenden Umbau der Energie-, Industrie-, Landwirtschafts- und Verkehrssysteme und mit Verhaltensveränderungen bei Herstellern und Verbrauchern erreicht werden“.
3.4 Die Kommission stellt dar, dass „neue Produkte und Dienstleistungen sowie neue Methoden zur Verringerung des Ressourceneinsatzes“ benötigt werden und dass dazu koordinierte Maßnahmen ergriffen werden müssen, die politisches Gewicht haben müssen.
3.5 Zunächst müsse aber „schlüssig analysiert werden, warum bestimmte Ressourcen nicht effizient genutzt werden“, um dann einen „vielschichtigen und ganzheitlichen Ansatz (zu) verwirklichen, bei dem Synergien optimal genutzt und Kompromisse zwischen gegenläufigen Interessen unterschiedlicher Bereiche und zwischen gegenläufigen Maßnahmen gefunden werden“ müssen.
3.6 Übergeordnetes Ziel dieser Leitinitiative ist es, „auf eine einvernehmliche langfristige Vision“ hinzuwirken, die bis zum Jahr 2050 reicht und darstellt, wie eine emissionsarme Wirtschaft aussieht, wie das Energie- und Verkehrssystem umgestellt und wie „Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung“ abgekoppelt werden kann.
4. Allgemeine Bemerkungen zur Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ und zum Verhältnis zur Nachhaltigkeitsstrategie
4.1 Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission, die er für einen wichtigen, ja zentralen Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie hält, die aber diese nicht ersetzen kann.
4.2 Er stimmt mit der Kommission überein, dass im Rahmen der EU-2020-Strategie die Weichen für die Entwicklungen bis 2050 und darüber hinaus gestellt werden müssen. Er fragt sich allerdings, warum die Kommission diese Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ an die EU-2020-Strategie koppelt und sie nicht - was wesentlich sinnvoller wäre - als Konkretisierung der Nachhaltigkeitsstrategie kommuniziert. Allein die Tatsache, dass in der Kommissionsmitteilung häufiger über den Zeithorizont 2050 denn über das Jahr 2020 gesprochen wird, zeigt, dass es hier um eine Langfristaufgabe geht.
4.3 Die Aussage der Kommission, dass es sowohl technologischer Verbesserungen, einem grundlegenden Umbau der Energie-, Industrie-, Landwirtschafts- und Verkehrssysteme und Verhaltensveränderungen bei Herstellern und Verbrauchern bedarf, deckt sich mit der Position des EWSA, die dieser bereits in seiner Sondierungsstellungnahme vom 28.4.2004 zum Thema „Bewertung der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung“ gemacht hat. Der EWSA hat aber schon damals darauf hingewiesen, dass es für den Erfolg einer Nachhaltigkeitspolitik unabdingbar ist, möglichst konkret darzulegen, welche Veränderungen vonnöten sind und wie diese umgesetzt werden sollen.
4.4 Genau daran mangelt es in der Mitteilung. Sie ist zwar gut zu lesen, aber wenig konkret. Der EWSA hält es deshalb für zwingend, in den vorzulegenden 20 Einzelinitiativen sehr genau zu beschreiben, was sich wie ändern muss, wo genau Widerstände gegen Veränderungen zu erwarten sind und wie, mit welchen konkreten Maßnahmen, diese Widerstände überwunden werden sollen.
4.5 Dabei erscheint dem EWSA die von der Kommission vorgenommene Strukturierung in
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technologische Verbesserungen, |
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— |
grundlegenden Umbau und |
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Verhaltensänderungen bei Herstellern und Verbrauchern |
sehr nützlich zu sein. Die Kommission müsste folglich jeweils deutlich machen, was mit technologischen Verbesserungen möglich ist, wo diese an Grenzen stoßen, was dann letztlich einen grundlegenden Umbau in bestimmten Bereichen des Lebens und des Wirtschaftens nötig macht.
4.6 Zuvor bedarf es aber in der Tat der angesprochenen „schlüssigen Analyse“, warum heute immer noch so ineffizient mit Ressourcen umgegangen wird. Es wird als Mangel der Mitteilung angesehen, dass genau diese Analyse fehlt.
4.7 Die These der Kommission, dass Ressourcenineffizienz daraus resultiert, dass keine Informationen darüber vorliegen, was sie die Gesellschaft wirklich kostet, teilt der EWSA nur sehr bedingt. Denn die Kosten, z.B. des sich abzeichnenden Klimawandels, sind im sog. „Stern-Report“, die der Biodiversitätsverluste im „TEEB Bericht“, mehr als eindrucksvoll beschrieben. Dennoch hat sich noch nichts Grundlegendes geändert.
4.8 Die Gründe für die derzeitige Ineffizienz liegen vermutlich eher darin, dass
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a) |
es noch keinen wirklichen gesellschaftlichen Konsens über die Bewertung der derzeitigen Situation gibt („Was ist effizient/nicht effizient? Wie nachhaltig/nicht nachhaltig sind wir/ sind bestimmte Wirtschaftsbereiche heute wirklich?“); |
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b) |
ein hohes Maß an Unklarheit darüber herrscht, was nachhaltige Entwicklung, was „green economy“ oder eine „ressourceneffiziente Wirtschaft“ also konkret ist. Eine klare, allgemeingültige Aussage oder Definition, was dies jeweils für einzelne Politikbereiche bedeutet, existiert nicht; |
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c) |
es - je nach Interessenlage - völlig divergierende Auffassungen darüber gibt, was sich konkret sowohl quantitativ wie auch qualitativ ändern muss, wie sich folglich zukünftige Entwicklungen von den heutigen unterscheiden müssen und wie sie sich auf das tägliche Leben und Wirtschaften auswirken werden. |
4.9 Die Kommission hat recht, wenn sie in der Mitteilung schreibt, dass nicht nachhaltiges Wirtschaften heute zu dem Wohlstand führt, den viele Menschen genießen (und von dem andere ausgeschlossen sind). Die negativen Folgen nicht nachhaltigen Wirtschaftens werden mit voller Wucht erst die zukünftigen Generationen treffen und von diesen getragen werden müssen.
4.10 Dieses anzuerkennen und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, fällt sowohl der Politik, der Wirtschaft wie auch der Zivilgesellschaft schwer. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass sich kaum jemand vorstellen kann, wie ein „neuer Wohlstand“ mit beispielsweise nur einem Zehntel an Energieaufwand sichergestellt werden kann. Aus diesen Unsicherheiten resultieren Ängste und Verunsicherungen, mit denen sehr sensibel umgegangen werden muss (2).
Technische Optimierungen, ein grundlegender Umbau und Verhaltensänderungen
4.11 Gegen die in der Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ neu formulierten Ziele (80 bis 95 % CO2-Reduktion) erscheinen die bisher in der EU gesetzten quantitativen Ziele, beispielsweise den CO2-Ausstoß um 20 % bis zum Jahr 2020 zu mindern, harmlos zu sein. Denn 20 % Treibhausgaseinsparungen sind angesichts der noch vorhandenen technischen Ineffizienz des jetzigen Systems und angesichts neuer Technologien mit technischen Optimierungen vergleichsweise einfach realisierbar. Doch selbst bei der Umsetzung des bisherigen, eindeutig noch unzureichenden Zieles gab und gibt es vielfach „warnende“ Stimmen, die bereits mit den avisierten technischen Maßnahmen und Optimierungen die „Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft“ in Frage gestellt sehen. Die Folge: Nicht einmal das, was weitgehend ohne Konsumverzicht mit technischen Optimierungen machbar wäre, wird heute konsequent umgesetzt. Klar ist, dass der Widerstand gegen weitergehende Maßnahmen (Stichwort: grundlegender Umbau) noch massiver sein wird.
4.12 Der EWSA hält es für angezeigt, sehr deutlich darauf hinzuweisen, dass technische Effizienzoptimierungen zwar von großer Bedeutung sind, um Ziele zu erreichen. Allerdings dürfen selbst die ressourceneffizientesten Techniken nicht automatisch mit „Nachhaltigkeit“ gleichgesetzt werden. Dazu nur ein Beispiel: Die deutsche Automobilindustrie, die die von der Kommission vorgesehenen strengen Emissionsgrenzwerte (120 g CO2/km) erfolgreich zu verhindern wusste, ist stolz auf ihre neuen technischen Entwicklungen. Audi rühmt sich beispielsweise damit, dass der neue A7 (2,7 l Hubraum) mit seinen 180 PS Leistung „nur“ rund 6,8 l Diesel auf 100 km verbraucht (und somit 180 g CO2/km ausstößt). Vergleicht man dies mit den Werten, die früher in der entsprechenden Fahrzeugklasse emittiert wurden, ist dies sicher ein Effizienzfortschritt, doch mit Nachhaltigkeit hat dies nichts zu tun. Ein Audi A7 ist weder nachhaltig noch ressourceneffizient! Er ist kein Ausdruck einer neuen „green economy“, er ist vielmehr guter Beweis dafür, dass knappe Rohstoffe auch mit angeblich effizienten Techniken verbraucht werden können und dass es also einer gänzlich neuen Mobilitätspolitik für Menschen und Güter bedarf.
4.13 Der EWSA bedauert, dass die Kommission in der Leitinitiative die Auseinandersetzung mit der alles entscheidenden Frage, dass nämlich das heutige gesellschaftliche Wohlstandsmodell der westlichen Welt zu stark auf dem Einsatz billiger Energien und einem steigendem, oft ineffizienten Materialein- und -umsatz beruht, nur am Rande und in wenigen Sätzen führt.
4.14 Die Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“, besser noch: eine reaktivierte Nachhaltigkeitsstrategie müsste aber gerade auf diesen Sachverhalt viel stärker eingehen. In der Kommissionsmitteilung werden zwar an einigen Stellen „gegenläufige Interessen“ erwähnt, die einen ressourceneffizienteren Ansatz behindern, aber diese werden weder klar beschrieben noch wird deutlich gemacht, wie die Politik damit umzugehen gedenkt.
4.15 Wie schwierig allerdings der Umgang mit solchen gegenläufigen Interessen ist, zeigt sich derzeit gut in Deutschland, wo ein grundlegender Umbau der Energiewirtschaft beschlossen wurde, ohne dass das Ziel der CO2 Reduktion in Frage gestellt wird.
Der grundlegende Umbau
4.16 Die große Aufgabe, vor der wir stehen, besteht darin, den „grundlegenden Umbau“, die „neue“ Wirtschaft und folglich eine neue Wettbewerbsfähigkeit von Wirtschaft (auch im globalen Maßstab) zu beschreiben, zu entwickeln und umzusetzen. Die Zeiten billiger Energien und Rohstoffe gehen aufgrund deren Übernutzung dem Ende zu, und wir sind auch den zukünftigen Generationen gegenüber verpflichtet, diese knapp gewordenen Umweltgüter teilen zu lernen. Die Politik muss folglich viel deutlicher machen, dass in der Tat die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft, die auf billigen Energien und der Übernutzung der natürlichen Ressourcen beruht und die zudem die Umweltkosten externalisieren kann, auf Dauer absolut nicht zukunftsfähig ist. Es kann und darf gesellschaftspolitisch nicht um den Erhalt, sondern es muss um den Umbau einer solchen Wirtschaft gehen.
4.17 Dazu kann eine Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ gute Beiträge leisten, allein erreichen kann sie dies nicht. Denn mit der Frage der Ressourceneffizienz werden andere Aspekte der Nachhaltigkeit nicht beantwortet. Deshalb wurde die Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt, die den schrittweisen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbau Europas und dessen Kopplung an Fragen der Generationsgerechtigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit beschreiben und einleiten muss.
4.18 Der Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ gelingt es nicht einmal, den Begriff „Ressourceneffizienz“ zu definieren. Dies ist ein weiteres Manko, auf das der EWSA hinweisen möchte. Es wäre begrüßenswert, wenn für einzelne Produkte, Verfahren, Bereiche der jeweils als ressourceneffizient angesehene Stand der Technik genauer beschrieben und im Rahmen des sog. „top runner Prinzips“ gefördert würde. Mit der Kennzeichnung der Energieeffizienz beispielsweise von Kühlgeräten hat die KOM ja schon erste Schritte in diese Richtung getan.
4.19 Dass zur Umsetzung ressourceneffizienter Strukturen verschiedene Instrumente zum Einsatz kommen müssen, steht außer Zweifel. Eines davon ist die Produktpreisgestaltung, die nach Auffassung der Kommission eine wichtige Rolle spielen wird. Ihr Hinweis, man müsse „stärker auf eine angemessene Preisgestaltung und auf Preistransparenz hinwirken und die gesamten Kosten der Ressourcennutzung in die Preise einkalkulieren“, ist somit richtig. Diese Erkenntnis ist aber wahrlich keine neue Wissenserrungenschaft des Jahres 2011. Und es ist auch nicht neu, dass der EWSA immer wieder die entsprechende „Internalisierung externer Kosten“ gefordert hat. Nur: es geschieht viel zu wenig, was nicht nur an der Kommission und den Mitgliedstaaten, sondern auch am Widerstand von Teilen der Wirtschaft liegt, die daraus eben keinen Nutzen ziehen, sondern die im Gegenteil von dem eingeforderten grundlegendem Umbau „negativ“ betroffen sein würden. Der Politik muss es gelingen, diese Widerstände sukzessiv zu überwinden.
4.20 Um dies zu erreichen wäre es zwingend erforderlich darzulegen, wie man gedenkt, auf die „angemessene Preisgestaltung und Preistransparenz“ hinzuwirken. Entsprechende Hinweise fehlen allerdings in der Strategie.
5. Zusammenspiel von Politik und Zivilgesellschaft, von Ressourceneffizienz, Europa 2020 und Nachhaltigkeit. Oder: Good Governance ist notwendig
5.1 Wenn es mit der nachhaltigen Entwicklung, mit der Etablierung einer „green economy“ oder dem Umbau hin zu einer ressourceneffizienten Wirtschaft nur schleppend vorankommt, ist die Politik gut beraten, genau zu überlegen, woran dies liegt. Einige Antworten dazu sind dazu vom EWSA bereits oben angesprochen.
5.2 Langsam, sehr langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Veränderungen in unserem heutigen Wirtschaftssystem in der Tat „grundlegender“ Art sein müssen, damit wirklich von einer nachhaltigen Entwicklung gesprochen werden kann. Der EWSA begrüßt, dass in der Kommissionsmitteilung hierzu einige konkrete Zahlen genannt werden, beispielsweise, dass bis zum Jahr 2050 der CO2-Ausstoß in der EU um 80 % bis 95 % vermindert werden müsste. EU-Kommissionspräsident BARROSO hat, als erstmals diese Zielwerte genannt wurden, von einer „neuen industriellen Revolution“ gesprochen, vor der wir stehen bzw. die wir vollziehen müssen.
5.3 Der EWSA weist im Rahmen dieser anstehenden Diskussion abermals darauf hin, dass er eine grundlegende Debatte über den „Wachstumsbegriff“ für überfällig hält. Die entsprechenden Stellungnahmen des Ausschusses zum Thema „Beyond GDP“ sind der Kommission und dem Rat bekannt. Darin wird deutlich gemacht, dass die alte volkswirtschaftliche Formel „Wachstum ist Wohlstand“ heute nicht mehr funktioniert.
5.4 Im Rahmen der Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ als auch in der EU-2020-Strategie wird diese Auseinandersetzung aber leider nicht ausreichend geführt. Im Gegenteil: aus dem dort Geschriebenen kann der Eindruck entstehen, dass „Wachstum“ an sich ein Wert sei.
5.5 In der EU-2020-Strategie liest man: „Im Zentrum von Europa 2020“ stehen drei Schwerpunkte:
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„Intelligentes Wachstum - Entwicklung einer auf Wissen und Innovation gestützten Wirtschaft; |
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Nachhaltiges Wachstum - Förderung einer ressourcenschonenden, umweltfreundlicheren und wettbewerbsfähigeren Wirtschaft; |
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Integratives Wachstum - Förderung einer Wirtschaft mit hoher Beschäftigung und wirtschaftlichem, sozialem und territorialem Zusammenhalt. |
Diese drei Prioritäten wirken zusammen verstärkend und münden in die Vision der europäischen sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts.“
5.6 Der EWSA fragt sich, welches Signal Kommission und Rat mit solchen Formulierungen aussenden wollen: Soll die Gesellschaft dies so interpretieren, dass es früher Wachstum gab, das nicht auf Wissen und Innovation beruhte? War es nicht schon immer Ziel der Politik, hohe Beschäftigung und sozialen und territorialen Zusammenhalt zu fördern? Und führen diese diversen „Wachstumsphilosophien“ automatisch zur nachhaltigen Entwicklung? Wenn ja, wieso verwenden Kommission bzw. Europäischer Rat den Begriff „Nachhaltigkeit“ dann nicht mehr, warum wird die Vision einer „europäischen sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“ beschrieben, und nicht etwa die einer „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“?
5.7 So weiß die Kommission sehr genau, dass z.B. konsequenter Ressourcenschutz durchaus dazu beitragen kann, das Bruttoinlandsprodukt nicht zu erhöhen, sondern zu senken. Wenn alle konventionellen Glühbirnen durch das verfügte Verkaufsverbot durch Sparlampen ersetzt sind, wenn Gebäude konsequent isoliert und alle Energiesparmaßnahmen umgesetzt sind, wird beispielsweise der Energieverbrauch drastisch sinken; und somit das BIP. Deshalb weist der EWSA abermals darauf hin, dass
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„Wachstum“ neu definiert werden muss und |
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das BIP keine Einheit ist, die Auskunft über Glück, Wohlstand, Umweltsituation, Gesundheit oder soziale Gerechtigkeit gibt. |
Die neue industrielle „Revolution“ - eine Revolution der Verantwortlichkeit
5.8 Wenn Kommissionspräsident BARROSO von einer „neuen industriellen Revolution“ spricht, so hat er nur hinsichtlich der Radikalität möglicher Veränderungen recht. Die Zukunft verlangt ein neues Produktions- und Konsummodell. BARROSO weiß natürlich sehr genau, dass der Begriff „Revolution“ gesellschaftspolitisch völlig deplatziert ist und Ängste schüren kann. Revolutionen gehen von unterdrückten Mehrheiten aus, die eine inakzeptable Situation schnell und dauerhaft gegen „Machthaber“ verändern wollen.
5.9 In der Debatte um die nachhaltige Entwicklung bzw. um die Ressourceneffizienz stellt sich eine solche Situation aber nicht. Im Gegenteil: man kann keine unterdrückte Mehrheit ausmachen, die gegen machthaberische Strukturen rebellieren würde. Vielmehr gilt: es lebt sich doch ganz gut in einer Gesellschaft, die jedes Jahr so viel Öl verbraucht, wie in rund 5 Millionen Jahren entstanden ist, und die pro Jahr 10 000 mal mehr Arten auslöscht, als die Evolution es täte.
5.10 Somit stellt sich die Aufgabe und die Frage, wie ein kollektives Verantwortungsbewusstsein der heute Lebenden für die zukünftigen Generationen entwickelt werden kann, wie der Druck für wirkliche Veränderungen, die ggf. auch Verzicht bedeuten, aufzubauen ist.
5.11 Hier ist es von zentraler Bedeutung, dass die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft von Anfang an ausreichend in den Prozess integriert werden. Genau dies ist und war die bisherige Aufgabe der Nachhaltigkeitsstrategie der EU, die im Jahr 2001 in Göteborg verabschiedet wurde.
Zum Stand der Nachhaltigkeitsstrategie in der EU
5.12 Der EWSA hat seit vielen Jahren sehr aufmerksam und engagiert diese EU-Nachhaltigkeitsstrategie, die vom Europäischen Rat im Jahr 2001 verabschiedet wurde, begleitet. Von Beginn an hat der EWSA gefordert, gerade dieser langfristig ausgerichteten Strategie höchste Aufmerksamkeit zu schenken.
5.13 Der EWSA hat stets (und häufig) gefordert, dass die Nachhaltigkeitsstrategie den Bürgern, der Wirtschaft und den Verbänden, aber auch den Politikern klare Leitlinien und somit qualitative und quantitative Vorgaben machen sollte. Kurz- und mittelfristig zu treffende Entscheidungen sollten sich daran orientieren, und alle Politikbereiche der EU sollten auf die Zielvisionen der Nachhaltigkeitsstrategie ausgerichtet werden.
5.14 Ebenso häufig hat der EWSA aber beklagen müssen, dass seines Erachtens die Nachhaltigkeitsstrategie nicht nur viel zu unkonkret formuliert ist, sondern politisch auch stiefmütterlich behandelt wird.
5.15 Der Ausschuss hatte auch begrüßt, dass ihm der Europäische Rat in der revidierten Nachhaltigkeitsstrategie von 2006 eine besondere Rolle zugewiesen hat, nämlich explizit Beiträge zu den alle 2 Jahre von der EU-Kommission zu erarbeitenden Fortschrittsberichten zu liefern. 2007 und 2009 sind zwar von der Kommission entsprechende Fortschrittsberichte veröffentlicht worden, die der Ausschuss auch im Nachhinein kommentiert und bewertet hat; die eigentlich erbetenen Beiträge des EWSA wurden im Vorfeld der Erstellung dieser Berichte von der Kommission jedoch nicht eingeholt.
5.16 Der nächste Fortschrittsbericht müsste - bei Beibehaltung des vom Europäischen Rat beschlossenen 2-Jahres-Rhythmus - eigentlich in diesem Jahr publiziert werden; allerdings deutet alles darauf hin, dass dies nicht geschehen wird. Beiträge des EWSA sind bisher von der Kommission nicht angefordert worden.
5.17 Im „Arbeitsprogramm der Kommission für 2011“ (3) findet sich kein Hinweis darauf, dass die Kommission einen solchen Zwischenbericht vorlegen wird, wie überhaupt in dem 51-seitigen Papier die Nachhaltigkeitsstrategie nicht erwähnt wird. Es wird auf eine unglaubliche Fülle verschiedenster EU-Strategien Bezug genommen, nicht aber auf die Strategie zur nachhaltigen Entwicklung. Der EWSA bedauert dies zutiefst.
5.18 Um die Nachhaltigkeitsstrategie ist es also bemerkenswert ruhig geworden, zu ruhig, wie der EWSA meint. Viele der politischen Versprechen, die in der Nachhaltigkeitsstrategie abgegeben wurden, wie z.B. die Vorlage einer Liste umweltschädlicher Subventionen, wurden nicht eingehalten. Im tagespolitischen Geschäft geht es nur um die EU-2020-Strategie, die ihrerseits keinen wirklichen Bezug zur Nachhaltigkeitsstrategie herstellt.
5.19 Es ist ein denkbar schlechtes Signal an die Zivilgesellschaft, dass die Nachhaltigkeitsstrategie quasi nicht mehr politisch debattiert und kommuniziert wird. Der EWSA fragt sich, warum dies so ist und wie die Gesellschaft dies interpretieren soll. Die Kommission muss sich im Klaren darüber sein, dass der Eindruck entsteht, als ob die Vielzahl der Krisen (4) der letzten Monate und Jahre die Konzentration der Politik derart und ausschließlich erfordert haben, dass die Langfristpolitik dabei völlig in den Hintergrund gedrängt wurde.
5.20 Dabei fragen sich allerdings immer mehr Menschen - sehr zu Recht, wie der EWSA meint -, ob nicht diese in sehr unterschiedlichen Politikbereichen gehäuft auftretenden Krisen a) nicht miteinander verwoben und b) Ausdruck bzw. Konsequenz nicht nachhaltigen Wirtschaftens sind.
5.21 Den Bericht des Ratsvorsitzes „Überprüfung der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung (2009)“ (5) kann man durchaus so interpretieren, dass zumindest dem Rat klar ist, dass dies wohl so ist. Bereits im ersten Satz des Dokuments ist zu lesen: „Die derzeitigen Entwicklungen sind in vieler Hinsicht nicht nachhaltig; die Grenzen der Belastbarkeit der Erde werden überschritten und das soziale und wirtschaftliche Kapital steht unter Druck. Zwar wurde immer wieder festgestellt, dass hier Veränderungen notwendig sind, aber die Ergebnisse sind begrenzt.“ Der Bericht ist im Kern ein Plädoyer für die Strategie der nachhaltigen Entwicklung, die „ein langfristiges Konzept [ist] und […] einen übergeordneten politischen Rahmen zur Ausrichtung aller EU-Maßnahmen und -Strategien [bildet] … Das Problem besteht darin, dass gewährleistet wird, dass die Strategie für nachhaltige Entwicklung die Maßnahmen der EU […] wirklich beeinflusst und die Kohärenz zwischen kurz- und langfristigen Zielen und den einzelnen Sektoren […] sicherstellt.“
5.22 Der vom EWSA angemahnte und auch vom Rat für notwendig gehaltene übergeordnete politische Rahmen, den die EU-Nachhaltigkeitsstrategie bilden soll, existiert also z.Zt. höchstens noch als Anspruch in alten Dokumenten und in einigen Reden, aber nicht in der politischen Wirklichkeit. Weder die Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ noch die EU-2020-Strategie können diese Lücke füllen.
5.23 Der EWSA sieht die große Gefahr, dass die Bürger den Überblick verlieren. Nicht nur, weil mittlerweile völlig unklar geworden ist, welche Strategie nun existiert und bindend ist, sondern auch, weil ihn auch die Begriffe verwirren. So wird in der EU-2020-Strategie fortwährend von Wachstum in den unterschiedlichsten Formen gesprochen, aber die Begriffe „Nachhaltigkeit“ oder „nachhaltige Entwicklung“ tauchen nicht mehr auf.
5.24 Der EWSA hält es deshalb für angebracht, dass die Kommission einerseits sehr bald und sehr eindeutig erklärt, wie die Europa-2020-Strategie und die Nachhaltigkeitsstrategie miteinander verknüpft sind. Er spricht sich erneut dafür aus, die Nachhaltigkeitsstrategie neu zu beleben und die EU-2020-Strategie als extrem wichtiges Element zur Weichenstellung zum Umbau zentraler Wirtschaftsbereiche zu verstehen.
Brüssel, den 22. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Rio+20: Hin zu einer umweltverträglichen Wirtschaft und besserer Governance - Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft“ und Stellungnahme des EWSA zu dem „Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050“ (siehe Seite 110 dieses Amtsblatts).
(2) Der EWSA hat bereits im Jahr 2004 in seiner Sondierungsstellungnahme „Bewertung der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung“ (siehe Seiten 22-37 des Amtsblatts C 117, 30.4.2004) genau hierauf hingewiesen und die Kommission vergeblich darum gebeten, diesem Umstand besondere Bedeutung beizumessen.
(3) KOM(2010) 623 endg. vom 27.10.2010.
(4) Um nur einige zu nennen: Finanzkrise/Eurokrise, Energiekrise, Klimakrise, Biodiversitätskrise, Hungerproblematik.
(5) Siehe Ratsdokument 16818/09 vom 1.12.2009.
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/102 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Rio+20: Hin zu einer umweltverträglichen Wirtschaft und besserer Governance“
KOM(2011) 363 endg.
Beitrag der europäischen organisierten Zivilgesellschaft
2011/C 376/19
Berichterstatter: Hans-Joachim WILMS
Die Europäische Kommission beschloss am 20. Juni 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Rio+20: Hin zu einer umweltverträglichen Wirtschaft und besserer Governance“
KOM(2011) 363 endg.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. September 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 22. September) mit 141 gegen 2 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
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1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Meinung, dass von der VN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Rio 2012 ein deutliches Signal an die Weltgemeinschaft ausgehen muss, mit konkreten Vorschlägen für den Übergang zu einer Wirtschaftsordnung, die auf einem qualitativen wirtschaftlichen Wachstum gründet, das Armut und soziale Ungerechtigkeit abzubauen hilft und zugleich die natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen erhält. |
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1.2 |
Der Ausschuss begrüßt die Mitteilung der Kommission (1) als wichtigen Ausgangspunkt für eine gemeinsame Analyse und Positionierung der EU-Institutionen in Vorbereitung auf die Rio+20 Konferenz. Diesbezüglich verweist er auf seine Arbeiten im Rahmen der Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ und des Fahrplans für eine CO2-arme Wirtschaft bis 2050 (2). Vor diesem Hintergrund möchte der Ausschuss folgende Schwerpunkte setzen. |
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1.3 |
Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft in eine übergreifende Strategie der nachhaltigen Entwicklung eingebettet und gerecht gestaltet werden muss. Der Ausschuss begrüßt, dass auch die Kommission nun die soziale Dimension der nachhaltigen Entwicklung anspricht. Diesen Ansatz möchte der Ausschuss stärker betont sehen. Sozialer Zusammenhalt, Gerechtigkeit, auch im Sinne der Generationengerechtigkeit, und faire Umverteilung sowie Lösungen für soziale Probleme wie zunehmende Ungleichbehandlung, fehlender Zugang zu verschiedensten Ressourcen, Armut und Arbeitslosigkeit sind von grundlegender Bedeutung. |
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1.4 |
Der Ausschuss unterstützt die politischen Empfehlungen der IAO zu grünen Arbeitsplätzen und betont insbesondere, dass die Sozialpartner aktiv in den Wandel des Arbeitsumfelds eingebunden werden müssen. Des Weiteren unterstützt der Ausschuss voll und ganz die VN-Initiative zu Gunsten einer sozialen Grundsicherung (Social Protection Floor Initiative), mit der grundlegende soziale Rechte und Sozialtransfers sichergestellt sowie wesentliche Güter und Sozialdienste für alle zugänglich gemacht werden sollen. |
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1.5 |
Der Ausschuss begrüßt, dass die Kommissionsmitteilung gemeinsam von den für Umwelt und für Entwicklung zuständigen Kommissaren vorgelegt worden ist, womit eindeutig der Zusammenhang zwischen Umwelt, nachhaltiger Entwicklung und Entwicklungshilfe betont wird. Der Ausschuss setzt sich dafür ein, dass die Neudefinition der EU-Entwicklungshilfepolitik von dem Gedanken der nachhaltigen Entwicklung getragen wird und sich dies auch in der Ausrichtung der Hilfszahlungen bis hin zur Konzeption lokaler Entwicklungshilfeprojekte niederschlägt. |
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1.6 |
Der Ausschuss verurteilt aufs Schärfste, dass weltweit, vor allem in Entwicklungsländern, eine Milliarde Menschen Hunger leiden, was in völligem Widerspruch zur Verwirklichung des ersten Millenniums-Entwicklungsziels steht. Der Ausschuss ist der Überzeugung, dass die Gewährleistung des Zugangs zu Ressourcen, Nahrung und Energie zu den vorrangigen Punkten der globalen Nachhaltigkeitsagenda zählen muss. Für die Verwirklichung dieser Ziele ist die aktive Teilhabe der Zivilgesellschaft an der Politikgestaltung auf lokaler und nationaler Ebene unabdingbar, hierbei ist in den Entwicklungsländern auch insbesondere die Rolle der Frauen zu betonen. |
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1.7 |
Der Ausschuss ist überzeugt, dass politische Maßnahmen auf internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene mit einem breiten Spektrum an Politikinstrumenten erforderlich sind, um einen Übergang zu einer „grünen Wirtschaft“ zu gestalten. Dazu gehören insbesondere Maßnahmen, die sicherstellen, dass Marktpreise zutreffend ökologische Kosten widerspiegeln, sowie eine Ökologisierung der Finanzpolitik, die auf die Besteuerung des Ressourcenverbrauchs statt des Faktors Arbeit abstellt. Öffentliche Ausgabenprogramme sind daraufhin auszurichten, Investitionen in nachhaltige Technologien und Projekte zu fördern, und umweltschädliche Subventionen sind abzubauen, wobei die sozialen Auswirkungen angemessen zu berücksichtigen sind. Das öffentliche Beschaffungswesen muss zur Unterstützung umweltfreundlicher Produkte und Dienstleistungen genutzt werden. Maßnahmen zur besseren gegenseitigen Unterstützung des weltweiten Handels und nachhaltiger Entwicklung sind zu treffen. |
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1.8 |
Zur Messung der Fortschritte auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit müssen eindeutige Parameter festgelegt werden. Es sind Methoden zu entwickeln, wirtschaftlichen Fortschritt jenseits des BIP an der Verbesserung des menschlichen Wohlergehens und der Lebensqualität zu messen unter Berücksichtigung der Bekämpfung von Armut, Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen und der Erhaltung der natürlichen Umwelt. Unter Berücksichtigung seiner Stellungnahme „Jenseits des BIP – Messgrößen für nachhaltige Entwicklung“ (3) beabsichtigt der EWSA, noch vor der Rio+20-Konferenz, seinen Standpunkt dazu vorzulegen, wie die Zivilgesellschaft in die Entwicklung dieser Indikatoren einbezogen werden soll. |
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1.9 |
Vor diesem Hintergrund sollte auf der Rio+20-Konferenz ein Mandat zur „grünen Wirtschaft“ verabschiedet werden, das von den Vereinten Nationen zielstrebig verfolgt werden soll. Dieses Mandat sollte sechs Hauptpunkte umfassen:
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1.10 |
Die Ergebnisse der Arbeiten auf der Grundlage des vorgenannten Mandates sollen genutzt werden, um auf nationaler Ebene Aktionspläne und Strategien zum Übergang zu einer grünen Wirtschaft aufzustellen, wobei die jeweiligen nationalen Besonderheiten zu berücksichtigen sind. |
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1.11 |
Die Governance auf internationaler und VN-Ebene im Bereich der nachhaltigen Entwicklung und im Umweltbereich bedarf dringend einer besseren Integration und Verstärkung, um die notwendigen Schritte der Weltgemeinschaft für eine nachhaltige Entwicklung einzuleiten. Die Rio+20-Konferenz muss zur Schaffung eines soliden institutionellen Rahmens auf VN-Ebene genutzt werden. Das UNEP sollte gestärkt und institutionell fortentwickelt werden. Der Ausschuss ist außerdem der Auffassung, dass das Konzept eines Rates für nachhaltige Entwicklung, dem die politischen Führungsspitzen der VN-Staaten angehören und der direkt der Generalversammlung untersteht, geeignet ist, den Herausforderungen bei den notwendigen Schritten zur Absicherung einer nachhaltigen Entwicklung und zur Einführung einer grünen Wirtschaftsweise gerecht zu werden. |
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1.12 |
Ein erfolgreicher Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise setzt voraus, dass er von der Zivilgesellschaft akzeptiert und getragen wird. Der Ausschuss setzt sich daher nachdrücklich dafür ein, die Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft aktiv in die Vorbereitung und Nachbereitung der Rio+20-Konferenz einzubinden und zu gewährleisten, dass sie sich in den Verhandlungen auf der Konferenz und der Umsetzung der Ergebnisse wirksam Gehör verschaffen können. Die bisherigen Beteiligungsformen sind kritisch daraufhin zu überprüfen, ob sie diese Aufgabe effizient erfüllen. Der Ausschuss unterstützt bereits im Vorfeld der Rio+20-Konferenz aktiv diesen Prozess mit der Durchführung von Konferenzen mit der Zivilgesellschaft sowie durch Konsultationen mit Vertretern der europäischen Zivilgesellschaft und anderen Weltregionen. |
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1.13 |
Die Governance für nachhaltige Entwicklung sollte auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene ebenso wie auf Ebene des Unternehmensmanagements gestärkt werden. Dies setzt eine wirksame und institutionell abgesicherte Beteiligung der Zivilgesellschaft zu Themen und Projekten, die für die Ökologisierung der Wirtschaft und der nachhaltigen Entwicklung von Bedeutung sind, durch demokratische Prozesse und die Einrichtung von Dialogstrukturen voraus. Europa sollte seine positiven Erfahrungen aus der Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungsverfahren, dem öffentlichen Zugang zu Umweltinformationen und dem Zugang zu Gerichten auf der Basis des so genannten Aarhus-Übereinkommens in die Diskussion auf dem Rio+20-Gipfel einbringen und auf Verankerung ähnlicher Strukturen auf globaler Ebene drängen. |
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1.14 |
Um dem Interesse einer langfristigen Nachhaltigkeit verstärkt und mit rechtlicher Autorität Gehör zu verschaffen, unterstützt der Ausschuss die Initiative des World Future Council, auf VN- und nationaler Ebene die Institution eines „Ombudsmannes für künftige Generationen“ einzurichten. |
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1.15 |
Die EU und die Mitgliedstaaten sollten zunächst ihre eigenen Hausaufgaben zur nachhaltigen Entwicklung und der Umstellung auf eine grüne Wirtschaft erledigen. Auf die EU bezogen ist der Ausschuss der Überzeugung, dass die Verhandlungsposition der EU auf der Rio+20-Konferenz gestärkt wird, wenn sie ihrer historischen Verantwortung gerecht wird und sich selbst ambitionierte Ziele für eine nachhaltige Entwicklung setzt. In einigen Bereichen hat sie das bereits getan, in anderen müssen die Bemühungen gewaltig verstärkt oder auf den Weg gebracht werden. Der Ausschuss fordert Rat, Kommission und Europäisches Parlament dringend auf, für 2020 alle bestehenden Emissionsminderungsziele voll umzusetzen und zu prüfen, ob das für 2020 gesetzte Emissionsminderungsziel nicht auf 25 % erhöht werden sollte, um künftige Ziele kostenwirksam erreichen zu können und um den Weg für weitere globale Vereinbarungen zu bereiten. Zudem müssen alle erforderlichen Maßnahmen zur Verwirklichung des Ziels, die Energieeffizienz bis 2020 um 20 % zu erhöhen, unverzüglich in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Ganz allgemein sollte die EU die politischen Auswirkungen der Umstellung auf eine umweltfreundlichere Wirtschaft für eine nachhaltigere Entwicklung bei der Festlegung des neuen mehrjährigen Finanzrahmens, bei der Gestaltung ihrer wichtigsten Politikmaßnahmen wie Landwirtschafts-, Kohäsions-, Handels- und Entwicklungspolitik und bei der weiteren Durchführung der Europa-2020-Strategie berücksichtigen. Nach der Rio+20-Konferenz sollte die EU ihre Nachhaltigkeitsstrategie überarbeiten. |
2. Hintergrund
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2.1 |
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen nahm am 24. Dezember 2009 eine Entschließung an, 2012 eine Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung (UNCSD) in Rio abzuhalten. |
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2.2 |
Der EWSA hat im Jahr 2010 den Ansatz der EU in Bezug auf dieses bedeutende Ereignis erörtert und eine erste Stellungnahme zu diesem Thema im September 2010 abgegeben (4). Seitdem haben vorbereitende Treffen in New York und anderswo stattgefunden und die Europäische Kommission hat eine Mitteilung (KOM(2011) 363 endg.) zu möglichen Leitlinien der EU für die Verhandlungen auf den Rio+20-Gipfel vorgelegt. Aufbauend auf einer breiten Erörterung mit Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft entwickelt der EWSA in dieser Stellungnahme seine Positionen weiter und drängt darauf, eine Reihe von Punkten als Eckpfeiler in eine EU Verhandlungsstrategie für den Rio+20-Gipfel aufzunehmen. |
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2.3 |
Gemäß der Entschließung der Generalversammlung werden mit dieser Konferenz drei Ziele verbunden:
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2.4 |
Gegenwärtiger Stand: Obwohl in einigen Aspekten der nachhaltigen Entwicklung in den letzten 20 Jahren durchaus Fortschritte erzielt wurden, verschärft sich die Lage in vielen Bereichen:
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2.5 |
Neue und zukünftige Herausforderungen: Die wachsende Weltbevölkerung sowie steigende Erwartungen an den Lebensstandard und der zunehmende Rohstoffverbrauch führen zur Verknappung von Nahrungsmitteln, Energie und anderen natürlichen Ressourcen. Dies hat einen Anstieg der Preise sowie ernste soziale und politische Probleme zur Folge. |
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2.6 |
Eine angemessene Ernährungs-, Energie- und Ressourcensicherheit für alle Menschen gegenwärtig und für künftige Generationen in einer Welt mit steigendem Bevölkerungswachstum und begrenzten natürlichen Ressourcen gewährleisten bzw. erreichen zu wollen, ist eine der größten neuen Herausforderungen in den kommenden 100 Jahren. Im Ergebnis bedarf es eines qualitativen wirtschaftlichen Wachstums, das Armut und soziale Ungerechtigkeit abzubauen hilft und zugleich die natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen erhält. Die Schaffung der institutionellen Strukturen für die Bewältigung dieser Herausforderung sollte ein Schlüsselthema des Weltgipfels 2012 sein. |
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2.7 |
Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Regierungschefs sowie die Wirtschafts- und Finanzminister in den letzten drei Jahren stark beschäftigt. Diese akuten kurzfristigen Probleme dürfen jedoch nicht von den sich immer stärker manifestierenden Problemen der globalen Realwirtschaft und der dringlichen Notwendigkeit ablenken, die Weltwirtschaft in eine nachhaltigere, gerechtere und umweltfreundlichere Richtung zu lenken. Diese Umstellung ist selbst ein wichtiger Impulsgeber für neue Investitionen und Arbeitsplätze, sie sollte für mehr Gerechtigkeit, Zusammenhalt, Stabilität und Widerstandsfähigkeit sorgen. Sie kann einen Beitrag zur Lösung der derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten leisten. |
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2.8 |
Erneuertes politisches Engagement: Die Rio+20-Konferenz bietet eine entscheidende Gelegenheit, um einen Rahmen für diese Umstellung zu konzipieren und das notwendige politische Engagement auf hoher Ebene für die Bewerkstelligung dieses Wandels zu erreichen. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die Regierungschefs sich selbst mit diesen Fragen auseinandersetzen, an der Konferenz teilnehmen und sie zum Erfolg führen. Da die Umstellung der Weltwirtschaft das Schlüsselthema der Konferenz ist, müssen auch die für Finanzen, Umwelt und Entwicklung zuständigen Minister daran teilnehmen. |
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2.9 |
Nachhaltige Entwicklung ist auf zivilgesellschaftliche Initiativen und Beteiligung angewiesen. Die Zivilgesellschaft muss aktiv sowohl in die Vorbereitung des Gipfels als auch den Nachgang zu diesem und die Umsetzung der Ergebnisse eingebunden werden. Auf nationaler und internationaler Ebene sollten Dialogstrukturen geschaffen werden, um einen Dialog zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie zwischen der Zivilgesellschaft und politischen Entscheidungsträgern zu Themen in Zusammenhang mit der Ökologisierung der Wirtschaft und einer nachhaltigen Entwicklung zu ermöglichen. |
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2.10 |
Gemäß der Entschließung der Generalversammlung werden auf der Tagesordnung folgende zwei Themen stehen:
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2.11 |
Es wird nicht möglich sein, sich auf einem einzigen Gipfel auf alle Maßnahmen zu einigen, die weltweit für eine Ökologisierung der Wirtschaft und eine effizientere Förderung der nachhaltigen Entwicklung notwendig sind. Der Ausschuss ist daher der Auffassung, dass das vordringliche Ziel auf der Rio+20-Konferenz sein sollte, einen soliden institutionellen Rahmen innerhalb der Vereinten Nationen für die Durchführung der Beschlüsse, die dauerhafte Förderung einer nachhaltigen Entwicklung weltweit und die Umsetzung eines Aktionsprogramms für die Ökologisierung der Weltwirtschaft in den folgenden Jahren zu schaffen. |
3. Der institutionelle Rahmen – ein neuer Rat für nachhaltige Entwicklung
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3.1 |
Auf internationaler Ebene ist die VN-Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD) seit 19 Jahren für die Überwachung der Fortschritte bei der Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung weltweit verantwortlich. In ihrer gegenwärtigen Form ist sie jedoch nicht länger zielführend. Sie hat zwar einige Probleme korrekt analysiert, war jedoch nicht in der Lage, diesen mit substanziellen Maßnahmen zu begegnen. Es bedarf einer handlungsfähigeren Struktur innerhalb der Vereinten Nationen, um die großen globalen Nachhaltigkeitsfragen effizienter anzugehen. |
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3.2 |
Unter den verschiedenen Optionen zur Stärkung der institutionellen Struktur innerhalb der Vereinten Nationen befürwortet der Ausschuss das sich herauskristallisierende Konzept eines neuen Rates für nachhaltige Entwicklung, der direkt der Generalversammlung untersteht und die aktuellen Arbeiten des Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC) und der Kommission für nachhaltige Entwicklung, die diese derzeit getrennt verfolgen, zusammenführt und potenziert. |
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3.3 |
Diesem Rat sollten alle Länder der Welt angehören, vertreten durch ihre politischen Führungsspitzen. Der Rat soll globale Maßnahmen zu allen Aspekten der nachhaltigen Entwicklung und die Umstellung auf eine umweltfreundlichere Wirtschaft fördern sowie Maßnahmen zu neuen und zunehmend wichtigen Themen wie Ernährungs- und Energiesicherheit anstoßen. |
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3.4 |
Dieser neue Rat sollte eng mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammenarbeiten, die ihrerseits einen neuen Auftrag erhalten sollten, namentlich die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung als neuer Schwerpunkt ihrer Arbeit. |
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3.5 |
Das Umweltprogramm (UNEP) und das Entwicklungsprogramm (UNDP) der Vereinten Nationen sollten gestärkt werden, damit sie im Verbund aussagekräftigere Beiträge zur Umwelt- und Entwicklungsdimension der nachhaltigen Entwicklung ausarbeiten können. |
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3.6 |
Governance auf nationaler Ebene: Parallel zur Schaffung handlungsfähiger Strukturen auf VN-Ebene müssen die politischen Verantwortungsträger den Weltgipfel auch dazu nutzen, ihre eigenen nationalen Mechanismen zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung neu zu beleben. |
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3.7 |
Die nationalen Strategien für nachhaltige Entwicklung müssen neu aufgelegt und überarbeitet werden und umfassend durch die Wirtschaft und alle Kräfte der Zivilgesellschaft mitgetragen werden. Beratende Gremien wie die Räte für nachhaltige Entwicklung müssen mit angemessenen Ressourcen ausgestattet werden, um ihrer Rolle als Ideenfabrik und Treiber des Fortschritts gerecht werden zu können. |
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3.8 |
Governance auf regionaler und lokaler Ebene: Es gibt viele hervorragende Beispiele in der ganzen Welt dafür, was die nachgeordneten Gebietskörperschaften erreichen können. Auf diesem Weltgipfel sollten die besten Beispiele als Vorbild herausgestellt und nationale Regierungen dazu angehalten werden, ihre lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zu weiteren Fortschritten anzuhalten und sie dabei zu unterstützen. |
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3.9 |
Die Rolle der Wirtschaft und der Sozialpartner: Ausgehend von vorbildlichen Verfahrensweisen ist die Zeit gekommen, um bewährte nachhaltige Unternehmenspraktiken durch die Schaffung eines Rahmenabkommens über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen für Nachhaltigkeit und eines Rahmenabkommens für Rechenschaftspflicht auf der Grundlage von ISO 26000 umfassender zu fördern. Diesbezügliche Verhandlungen sollten auf dem Weltgipfel angestoßen werden. Sozialpartner sollen in diesem Prozess umfassend beteiligt werden. |
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3.10 |
Die Rolle der Zivilgesellschaft: Der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise kann nur gelingen, wenn die Zivilgesellschaft aktiv in diesen Prozess eingebunden ist. Dies setzt demokratische Prozesse sowie die Einrichtung von Dialogstrukturen zwischen der Zivilgesellschaft und den politischen Entscheidungsträgern voraus. Informationen über die Umwelt, über Fortschritte hin zu einer grüneren Wirtschaft und über weitere Aspekte der nachhaltigen Entwicklung müssen in allen Ländern allgemein zugänglich gemacht werden, damit eine sachkundige öffentliche Debatte über diese Schlüsselfragen stattfinden kann. In Europa hat das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (das so genannte Aarhus-Übereinkommen) aus dem Jahr 1998 erfolgreich zur Ausweitung und Verankerung der Rechte der Öffentlichkeit auf Information und zur Förderung der öffentlichen Teilhabe und des Zugangs zu Gerichten beigetragen. Auf dem Gipfel sollte die Formulierung vergleichbarer Übereinkommen in allen Regionen der Welt gefördert und der neue Rat für nachhaltige Entwicklung mit der Verfolgung dieses Ziels in einem globalen Rahmen beauftragt werden. |
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3.11 |
Ombudsmann für künftige Generationen: Die Bedürfnisse der künftigen Generationen sind ein grundlegender Aspekt der nachhaltigen Entwicklung; sie sind jedoch nicht in den relevanten Entscheidungsprozessen vertreten. Um diesem Umstand abzuhelfen und den langfristigen Interessen verstärkt und mit rechtlicher Autorität Gehör zu verschaffen, unterstützt der Ausschuss die Initiative des World Future Council (5), auf VN- und nationaler Ebene die Institution eines Ombudsmannes für künftige Generationen zu schaffen. |
4. Eine grüne Wirtschaft
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4.1 |
Derzeit ist die Funktionsweise der Weltwirtschaft nicht auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtet. Aus ökologischer Sicht fördert sie einen übermäßigen Verbrauch an natürlichen Ressourcen, ermöglicht Umweltverschmutzung und ist nicht in der Lage, den Klimawandel abzufedern; aus sozialer Sicht ist sie für große Arbeitslosigkeit und Armut sowie einen weit verbreiteten schlechten Gesundheitszustand und Bildungsmangel verantwortlich. |
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4.2 |
Eine Ökologisierung der Weltwirtschaft bedeutet eine Neuausrichtung ihrer Funktionsweise auf nachhaltigere Ergebnisse. Wirtschaftsziele müssen im Hinblick auf ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung überprüft werden. Sämtliche wirtschaftspolitischen Instrumente müssen so konfiguriert werden, dass sie die Wirtschaft auf nachhaltigere Entwicklungspfade lenken können. |
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4.3 |
Wirtschaftliches Wachstum war in der bisherigen wirtschaftlichen Entwicklung eine wichtige Voraussetzung, um den allgemeinen Lebensstandard zu steigern. Es muss auch künftig ein zentrales Ziel bleiben, insbesondere für sich entwickelnde Länder, in denen menschenwürdige Lebensbedingungen für alle erst noch zu schaffen sind. Eine grüne Wirtschaft ist darauf gerichtet, ökonomisches Wachstum von negativen Umweltauswirkungen abzukoppeln. Sie muss Element einer Strategie zur nachhaltigen Entwicklung sein, die auf ein qualitatives wirtschaftliches Wachstum abzielt, dass Armut und soziale Ungerechtigkeit abzubauen hilft und zugleich die natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen erhält. Die Umorientierung zu einer grünen Wirtschaft hat die grundlegenden Prinzipien Gerechtigkeit, Zusammenarbeit und gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung zu berücksichtigen. |
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4.4 |
Der Ausschuss erachtet es als positiv, dass in den internationalen Klimaverhandlungen nunmehr auch die soziale Dimension und der Aspekt der menschenwürdigen Arbeit bei der Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft berücksichtigt werden; dies ist in der gemeinsamen Vision für ein langfristiges globales Handeln im Cancún-Übereinkommen verankert. Er unterstützt die politischen Empfehlungen der IAO zu grünen Arbeitsplätzen und betont insbesondere, dass die Sozialpartner aktiv in den Wandel des Arbeitsumfelds eingebunden werden müssen. |
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4.5 |
Die Aufgabe der Ökologisierung der Wirtschaft ist sehr umfangreich und muss in vielen verschiedenen Bereichen angegangen werden:
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4.6 |
Auf der Rio+20-Konferenz sollte ein neues politisches Engagement zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und einer Umstellung auf eine grüne Wirtschaft überall auf der Welt beschworen werden. Die Konferenzteilnehmer sollten Grundsätze für eine Umstellung auf eine umweltfreundlichere Wirtschaft aufstellen. Außerdem sollten sie den verantwortlichen Organen der Vereinten Nationen das Mandat erteilen, ein aktionsorientiertes Arbeitsprogramm zu den Schlüsselfragen für die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung weltweit auszuarbeiten. |
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4.7 |
Mandat zur „grünen Wirtschaft“ für die Organe der Vereinten Nationen: Der Ausschuss schlägt vor, sechs Pfeiler oder Hauptpunkte in ein Mandat für die weitere Arbeit der Gremien der VN für nachhaltige Entwicklung aufzunehmen:
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4.8 |
Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben mannigfaltige Erfahrungen bei der Anwendung von Politikinstrumenten zur Förderung der Nachhaltigkeit gesammelt Die EU sollte daher diese Erfahrungen aktiv auf der internationalen Ebene einbringen. |
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4.9 |
Messung des Fortschritts auf dem Weg zu einer grüneren Wirtschaft: Es müssen eindeutige Parameter für die Messung der Fortschritte auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit festgelegt werden. Es sind Methoden zu entwickeln, wirtschaftlichen Fortschritt an der Verbesserung des menschlichen Wohlergehens und der Lebensqualität zu messen unter Berücksichtigung der Bekämpfung von Armut, Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen und der Erhaltung der natürlichen Umwelt. Insbesondere müssen Methoden vereinbart werden, um die Beanspruchung von verschiedenen Arten von Naturkapital in Boden, Wasser, Luft und den jeweiligen Ökosystemen durch Wirtschaftstätigkeit zu messen. |
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4.10 |
Auf dem Gipfel sollte ein Zeitplan für die Einrichtung eines Systems der Messung des Fortschritts auf dem Weg zur grünen Wirtschaftsweise vereinbart werden. |
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4.11 |
Der EWSA hatte bereits mit der Stellungnahme „Jenseits des BIP – Messgrößen für nachhaltige Entwicklung“ (6) Überlegungen hinsichtlich der Grenzen des BIP, möglicher Korrekturen und Ergänzungen wie auch zur Notwendigkeit der Erarbeitung neuer Kriterien angestellt, mit denen zusätzliche Indikatoren für Wohlergehen und (wirtschaftliche, soziale und ökologische) Nachhaltigkeit festgestellt werden können. Der EWSA beabsichtigt noch vor der Rio+20-Konferenz, seinen Standpunkt dazu vorzulegen, wie die Zivilgesellschaft in die Entwicklung dieser Indikatoren einbezogen werden soll. |
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4.12 |
Ordnungspolitische Maßnahmen: In der EU sind die Effizienznormen für viele verschiedene Erzeugnisse und Verfahren (insbesondere Energieeffizienznormen) durch die schrittweise Verschärfung der Mindestnormen über die Jahre immer höher angesetzt worden. Die EU sollte daher einen vergleichbaren Mechanismus für die Förderung einer solchen Entwicklung auf internationaler Ebene vorschlagen. Es ist möglicherweise auch angebracht, neue internationale Initiativen zum Chemikalienmanagement sowie zur Regelung der Auswirkungen von neuen sich entwickelnden Technologien, wie beispielsweise der Nanotechnologie zu entwickeln. |
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4.13 |
Nachhaltigkeitserziehung und Informationsaustausch: Einige Länder, Regionen, Städte, Unternehmen usw. haben in der Praxis bereits aufgezeigt, dass die Umstellung auf eine nachhaltige Entwicklung erfolgreich bewerkstelligt werden kann. |
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4.14 |
Europa hat Nachhaltigkeitserziehung und Informationskampagnen zu bewährten Verfahren und neuen Initiativen im Bereich Nachhaltigkeit aktiv gefördert. Die Erfahrungen hieraus sollten in die internationale Diskussion von Instrumenten für eine grüne Wirtschaft einfließen |
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4.15 |
Finanzpolitische Maßnahmen: Auf dem Gipfel sollten weitere Impulse für nationale und internationale Bemühungen zur Ökologisierung der Finanzpolitik gegeben werden, indem widersinnige Beihilfen abgeschafft werden und die Steuerpolitik so gestaltet wird, dass Beschäftigung erleichtert wird und Umweltbelastungen und der Verbrauch fossiler Brennstoffe und anderer natürlicher Ressourcen erschwert werden. Es ist außerdem an der Zeit, eine neue Initiative mit Blick auf eine international vereinbarte Besteuerung von Finanztransaktionen zu lancieren und die Einnahmen daraus für Investitionen in nachhaltige Entwicklung zu verwenden. |
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4.16 |
Investitionen in Forschung und Entwicklung: Die verantwortlichen Organe der Vereinten Nationen sollten damit beauftragt werden, zu identifizieren, in welchen Bereichen der Forschung und Entwicklung von Technologien und Instrumenten für eine grüne Wirtschaft eine Bündelung von FuE-Anstrengungen durch internationale Kooperationen nützlich wäre. Es ist wichtig, dass neue umweltfreundlichere Technologien zügig in der ganzen Welt eingesetzt werden. Die verantwortlichen Organe der Vereinten Nationen sollten insbesondere Hemmnisse für einen raschen Transfer dieser Technologien ermitteln und Möglichkeiten zu ihrem Abbau entwickeln. |
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4.17 |
Das öffentliche Beschaffungswesen kann ein wirkungsvolles Instrument sein, um Unternehmen zur Bereitstellung umweltfreundlicherer Erzeugnisse und Dienstleistungen anzuhalten. Europa verfügt über Erfahrungen bei der Anwendung des „grünen“ öffentlichen Beschaffungswesens unter Wahrung der Grundsätze des freien Handels in einem europäischen Rahmen. Die verantwortlichen Organe der Vereinten Nationen sollten insbesondere mit der weltweiten Förderung bewährter Verfahren in diesem Bereich beauftragt werden. |
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4.18 |
Investitionsflüsse – ein neuer Global Deal: Laut zuverlässigen Schätzungen beläuft sich der Gesamtinvestitionsbedarf für die Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft alleine im Energiesektor auf mehrere Billionen Euro in den kommenden 40 Jahren. Für weitere Aspekte der Nachhaltigkeitswende werden ebenfalls große Summen erforderlich sein. Die verantwortlichen Organe der Vereinten Nationen sollten damit beauftragt werden ein Forum zur Überwachung der wichtigsten globalen Investitionsflüsse zu bieten und zu ermitteln, wo diese erhöht oder umgelenkt werden müssen, um die Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft zu bewerkstelligen. |
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4.19 |
Die Kapazitäten der einzelnen Länder in Bezug auf natürliche, wirtschaftliche und Humanressourcen zur Bewerkstelligung der Nachhaltigkeitswende variieren stark. Eine der allerwichtigsten Herausforderungen für den Weltgipfel 2012 ist es, einem „Global Deal“ mehr Inhalt und Umfang zu geben, um öffentliche und private Ressourcen für Programme für Kapazitätenaufbau, Technologietransfer und nachhaltige Investitionen zu mobilisieren und die am wenigstens entwickelten Länder (LDC) und andere Entwicklungsländer auf faire Weise in ihren Anstrengungen zu unterstützen, mit der Nachhaltigkeitswende Schritt zu halten. Die verantwortlichen Organe der Vereinten Nationen sollten die Fortschritte bei der Einhaltung der finanziellen und sonstigen Verpflichtungen zur Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Nachhaltigkeitswende überwachen. |
5. Ziele in Schlüsselsektoren
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5.1 |
Das Konzept einer grüneren Wirtschaft wird sich auf alle wichtigen Wirtschaftssektoren auswirken. Sämtliche Sektoren müssen ihre Nutzung von Energie und den anderen natürlichen Ressourcen effizienter gestalten, die Auswirkungen von Verschmutzung und Abfallerzeugung verringern, der natürlichen Umwelt und der biologischen Vielfalt mehr Aufmerksamkeit widmen sowie Chancengleichheit und Gerechtigkeit sicherstellen. |
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5.2 |
Die internationalen Entwicklungsziele sind derzeitig auf die Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele ausgerichtet. Nach Ansicht des Ausschusses sollten im Zuge ihrer für 2015 geplanten Überarbeitung neue internationale Entwicklungsziele für den kommenden Zeitraum festgelegt werden, bei denen der nachhaltigen Entwicklung mehr Gewicht beigemessen wird. Auf dem Weltgipfel sollte dies als allgemeines Ziel angenommen und der neue Rat für nachhaltige Entwicklung mit der Vorlage spezifischer Vorschläge zu den Schlüsselsektoren beauftragt werden. In den folgenden Ziffern werden die Prioritäten in einigen der Schlüsselsektoren umrissen. |
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5.3 |
Energiesektor: Die Ökologisierung des Energiesektors ist die allergrößte Herausforderung im Rahmen des gesamten Projekts „grüne Wirtschaft“. |
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5.4 |
Die Umstellung auf eine grünere Wirtschaft erfordert einen radikalen Wandel des Energiesektors weg von fossilen Brennstoffen hin zu CO2-armen bzw. -freien Energiequellen wie erneuerbare Energieträger. Gleichzeitig müssen für einen wirtschaftlicheren und effizienteren Wandel sämtliche Sektoren erhebliche Anstrengungen unternehmen, um Energie effizienter zu nutzen und so den Anstieg der weltweiten Energienachfrage zu stoppen oder zu verringern. |
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5.5 |
Der Zugang zu sauberen, erschwinglichen und modernen Energiediensten ist für die Förderung einer nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung sowie die Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele unerlässlich. Laut internationaler Energie-Agentur sind mehr als 1,4 Mrd. Menschen weltweit ohne Stromzugang. Eine weitere Milliarde hat nur Zugang zu unzuverlässigen Energienetzen. Vor kurzem hat die VN-Generalversammlung 2012 zum „Internationalen Jahr der erneuerbaren Energie für alle“ ausgerufen. Dies bietet endlich die dringend notwendige Gelegenheit, die internationale Aufmerksamkeit stärker auf die Energiearmut sowie bezahlbare Lösungen und Unternehmensmodelle zu richten, die bereits bestehen und auf globaler Ebene Anwendung finden können. Der Ausschuss hat sich aktiv in die Debatte über nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Energie eingebracht und wird auch in Zukunft weiter Beiträge zu diesem wichtigen Thema leisten. |
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5.6 |
Viele Menschen haben immer noch keinen ausreichenden Zugang zu Energie (Energiearmut). Der Übergang zu umweltverträglichen Formen der Energieversorgung muss die ausreichende Versorgung mit Energie zu zumutbaren Preisen für ärmere Bevölkerungskreise als vorrangiges Ziel haben. |
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5.7 |
Landwirtschaft, biologische Vielfalt und natürliche Umwelt: Der Ausschuss verurteilt aufs Schärfste, dass weltweit, vor allem in Entwicklungsländern, eine Milliarde Menschen Hunger leiden, was in völligem Widerspruch zur Verwirklichung des ersten Millenniums-Entwicklungsziels steht. |
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5.8 |
Der Ausschuss fordert die Weltgemeinschaft auf, das Recht auf Ernährung auf internationaler und nationaler Ebene anzuerkennen, das Recht auf eigenes Land sowie auf Zugang zu Land und Wasser zu verbessern und den großflächigen Aufkauf von Land durch staatliche Akteure und private Investoren in Entwicklungsländern („land grabbing“) unter Kontrolle zu halten. |
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5.9 |
In vielen Teilen der Welt muss die Landwirtschaft aus dem Blickwinkel der grünen Wirtschaft, der Gewährleistung der Ernährungssicherheit für alle, der Erhaltung des Naturkapitals des Bodens und seiner Artenvielfalt sowie der Förderung der Ressourceneffizienz in diesem Bereich eingehend überdacht werden. Insbesondere die Wasserressourcen müssen besser verwaltet und geschützt werden. Es müssen neue Ziele für diese Bereiche festgelegt werden. |
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5.10 |
Der EWSA sieht den Schlüssel für eine nachhaltige Landwirtschaft in der Erhaltung einer quantitativ ausreichenden, qualitativ hochwertigen und regional differenzierten, flächendeckend betriebenen und naturverträglichen Nahrungsmittelerzeugung, die ländliche Räume schützt und pflegt, die Vielfalt und Unterscheidungsmerkmale der Produkte erhält und die vielfältigen und artenreichen Kulturlandschaften und die ländlichen Räume fördert (7). Obwohl weltweit eine höhere Biodiversität gefordert ist, lässt sich weiterhin ein Artenverlust feststellen. Auch andere Faktoren - Forstwirtschaft, Bergbau, Industrie sowie nicht zuletzt das Bevölkerungswachstum - bedrohen die Artenvielfalt. |
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5.11 |
Wirksame Maßnahmen für eine bessere und transparente Funktionsweise der Landwirtschaftsmärkte sind einzuleiten. Die Volatilität und unzumutbare Steigerung der Nahrungsmittelpreise muss bekämpft werden. Die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen zur Energieerzeugung darf nicht zu Lasten der globalen Nahrungsmittelversorgung gehen. Die sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln ist durch Vorratshaltung auf regionaler Ebene zu gewährleisten. Außerdem sollte eine stärkere Nutzung der Restbiomasse aus Landwirtschaft und Nahrungsmittelerzeugung angestrebt werden. |
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5.12 |
Die Rechte der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft sind durch die Umsetzung der bestehenden IAO-Übereinkommen sicherzustellen. Die aktive Teilhabe der Zivilgesellschaft bei der Durchführung von Nachhaltigkeitsprojekten auf lokaler und nationaler Ebene ist unabdingbar, hierbei ist in den Entwicklungsländern auch insbesondere die Rolle der Frauen zu betonen. |
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5.13 |
Meeresumwelt: Die Meeresumwelt ist gekennzeichnet durch Verschmutzung, Überfischung und Raubbau an anderen marinen Ressourcen. Die Konferenzteilnehmer sollten die verantwortlichen Organe der Vereinten Nationen mit der Einleitung eines neuen internationalen Prozesses beauftragen, um die bestehenden Mechanismen für den Schutz der Meeresumwelt zu stärken und zu koordinieren und Fischbestände und andere Meeresressourcen effektiver als unter den gegenwärtigen Regelungen zu schützen. |
6. Verantwortung zeigen
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6.1 |
Um glaubwürdig zu sein, muss die EU zunächst ihre eigenen Hausaufgaben in Sachen Nachhaltigkeit erledigen. |
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6.2 |
Die Mitgliedstaaten und die EU müssen
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Aktionsplan
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich vorgenommen, den Prozess hin zu der VN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung 2012 in Rio aktiv zu begleiten. Bereits während der Erarbeitung dieser Stellungnahme haben Anhörungen am 23. März 2011 und am 7. Juli 2011 stattgefunden.
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Nach der Verabschiedung der Stellungnahme wird sich der Berichterstatter aktiv darum bemühen, die EWSA-Position in den interinstitutionellen Dialog hin zu einer gemeinsamen EU-Position einzubringen. |
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Auf der Basis der verabschiedeten Stellungnahme wird der EWSA den Dialog mit der europäischen organisierten Zivilgesellschaft noch weiter ausbauen. Geplant sind gemeinsame Treffen mit der Liaison-Gruppe, mit Vertretern nationaler Wirtschafts- und Sozialräte, und darüber hinaus mit weiteren Organisationen und Netzwerken der Zivilgesellschaft, die ebenfalls im Prozess sind, ihre Positionen für die Rio+20-Konferenz zu definieren. Eine für Anfang 2012 geplante größere Konferenz des EWSA wird einen weiteren Meilenstein in diesem zivilgesellschaftlichen Diskussionsprozess darstellen. |
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Über den inner-europäischen Dialog hinaus behandelt der EWSA das Thema der Rio+20-Konferenz im Rahmen seiner Beziehungen zu Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft aus anderen Weltregionen, insbesondere mit Brasilien, dem Gastgeberland der Konferenz, China und Südafrika. Der Berichterstatter wird sich aktiv in diesen Dialog einbringen, um gemeinsame Schwerpunkte in den Zielen der organisierten Zivilgesellschaft aus verschiedenen Weltregionen zu definieren und diese Positionen im Juni 2012 in Rio de Janeiro einzubringen. Außerdem wird der Berichterstatter den EWSA im Diskussionsprozess über Rio+20 im Rahmen der Internationalen Vereinigung der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbaren Einrichtungen (AICESIS) vertreten. Neben der eigentlichen Konferenz sind für das nächste Jahr einige Treffen mit unseren internationalen Partnern in Rio geplant. |
Brüssel, den 22. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) KOM(2011) 363 endg.
(2) Siehe S. 110 dieses Amtsblatts.
(3) ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 53.
(4) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auf dem Weg zu einem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2012“, ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 65.
(5) http://www.futurejustice.org/action-the-campaign/?section=full#21.
(6) ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 53.
(7) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2013“, ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 35.
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22.12.2011 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/110 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050“
KOM(2011) 112 endg.
2011/C 376/20
Berichterstatter: Richard ADAMS
Mitberichterstatter: Josef ZBOŘIL
Die Europäische Kommission beschloss am 8. März 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050“
KOM(2011) 112 endg.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. September 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 22. September) mit 119 gegen 3 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Fahrplan der Kommission für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050 als Leitmotiv für die künftige Strategie und fordert alle europäischen Institutionen auf, ihn allen Maßnahmen und Strategien zur Verwirklichung der 2050-Ziele zugrunde zu legen. Diesbezüglich verweist der Ausschuss auf seine Arbeiten im Rahmen der Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ sowie auf seine Vorschläge für die VN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung (1).
1.2 Der Ausschuss fordert Rat, Kommission und Europäisches Parlament dringend auf, die umfassende Umsetzung aller bestehenden CO2-Ziele für 2020 sicherzustellen und zu prüfen, ob das für 2020 gesetzte Klimagasminderungsziel im Hinblick auf die Erreichung der vereinbarten Reduzierung um 80 bis 95 % bis 2050 auf der Grundlage der bei den COP-17-Verhandlungen erzielten Fortschritte und der voraussichtlichen Wirtschaftsentwicklung der EU nicht auf 25 % erhöht werden sollte.
1.3 Die EU sollte Reduktionsrichtziele für Klimagasemissionen von 40 % bis 2030 und 60 % bis 2040 festsetzen und diese mit rechtsverbindlichen Maßnahmen flankieren, um diese Verringerung auch wirklich zu erreichen. Derartige langfristige Richtziele sind notwendig, um Vorhersehbarkeit und Stabilität für Investoren und Entscheidungsträger zu gewährleisten.
1.4 Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, ein komplettes neues Maßnahmenpaket vorzulegen, um Anreize für die massiven Investitionen zu schaffen, die für die Verwirklichung dieser Ziele erforderlich sind. Dieses Maßnahmenpaket sollte eine Stärkung des EU-EHS als Instrument zur Kostenoptimierung beinhalten, um Investitionsentscheidungen in die richtige Richtung zu lenken, und des Weiteren
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die Energieeffizienz in allen Sektoren fördern; |
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die Verbraucher sensibilisieren und in die Lage versetzen, durch ihre Kaufkraft Güter und Dienstleistungen mit guter CO2-Bilanz zu fördern; |
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Investitionen in die notwendigen Infrastrukturen fördern; |
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den Aufbau von Kompetenzen und Kapazitäten in den Schlüsselsektoren unterstützen. |
1.5 Der Ausschuss fordert eine aktive Industriepolitik sowie koordinierte Forschung und Entwicklung, um die Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft zu unterstützen. Er befürwortet den Vorschlag von Fahrplänen als strategische Vision, um bei dieser Umstellung den Weg zu weisen, insbesondere in den Bereichen Stromerzeugung, Verkehr, Gebäudesektor, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft.
1.6 Die Zivilgesellschaft muss mittels eines strukturierten und dauerhaften Dialogs über die einzelnen strategischen Konzepte umfassend in diese Umstellung einbezogen werden.
2. Der Fahrplan
2.1 In dem Fahrplan bis 2050 werden Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen die EU eine Senkung der Treibhausgasemissionen in Höhe des vereinbarten Ziels von 80 bis 95 % gegenüber 1990 erreichen könnte, das im Februar 2011 vom Europäischen Rat als Ziel für die EU bestätigt wurde.
2.2 Im Hinblick darauf wird zunächst eine Reduzierung der EU-internen Treibhausgasemissionen um 80 % bis 2050 vorgeschlagen (was bedeutet, dass das höhergesteckte Ziel von 95 % über CO2-Ausgleich durch Zertifikate-Handel auf dem globalen Kohlenstoffmarkt erreicht werden müsste). Eine Verringerung der internen Emissionen gegenüber 1990 um 40 % bis 2030 bzw. um 60 % bis 2040 wäre der kostengünstigste Weg, und eine 25 %ige Senkung bis 2020 wird in diesem Zusammenhang als stimmiges Zwischenziel erachtet.
2.3 Für den Stromsektor soll dem Fahrplan zufolge der gesamte Strombedarf bis 2050 nahezu vollständig über CO2-arme Technologien gedeckt werden. Dazu werden erhebliche Investitionen in erneuerbare Energieträger und den Aufbau neuer intelligenter Netze in ganz Europa erforderlich sein; Impulsgeber wäre in erster Linie ein gestärktes Emissionshandelssystem (EHS).
2.4 Für den Verkehrssektor wird eine 60 %ige Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2050 angestrebt. Die Entwicklung von Biokraftstoffen muss gefördert werden, insbesondere für die Luftfahrt und schwere Nutzfahrzeuge, wobei in dem Fahrplan auch darauf hingewiesen wird, dass Probleme in Bezug auf Ernährungssicherheit und Umwelt mit dem Ausbau der Biokraftstoffgewinnung in Verbindung gebracht werden. Außerdem wird die Bedeutung der Entwicklung von nachhaltigeren Biokraftstoffen der zweiten und dritten Generation betont.
2.5 In Bezug auf die bebaute Umwelt werden die Bedeutung einer raschen Durchsetzung von Normen für die quasi Nullemission von Neubauten und die Herausforderungen in Verbindung mit der Verbesserung der Energieleistung von Bestandsgebäuden hervorgehoben.
2.6 Für die Industrie sind eine weitere Verbesserung der Energieeffizienz und eine Umstellung auf CO2-ärmere Produktionsverfahren vorgesehen. Es werden sektorspezifische Lösungen und zusätzliche sektorspezifische Fahrpläne erforderlich sein. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Maßnahmen zur CO2-Minderung energieintensive Industriesektoren nicht einfach dazu bewegen, ihre Tätigkeiten in Regionen zu verlagern, in denen es weniger einschlägige Vorschriften gibt (Stichwort Emissionsverlagerungen – „carbon leakage“).
2.7 In der Land- und Forstwirtschaft sind Energieeffizienzsteigerungen sowie Verfahren von Nöten, die die Kapazität von bewirtschafteten Böden zur Bindung und Speicherung von Kohlenstoff verbessern. Diesbezüglich sei auf Biomasse als potenzielle nachhaltige Energiequelle verwiesen, sofern ihre Auswirkungen ordnungsgemäß bewertet werden. Generell sind Lösungswege zu finden, um die steigende Nachfrage nach Lebensmitteln bzw. Biomasse mit den klimapolitischen Zielen in Einklang zu bringen.
2.8 Zur Verwirklichung all dieser Ziele sind zusätzliche öffentliche und private Investitionen in Höhe von rund 270 Mrd. EUR jährlich für die kommenden 40 Jahre erforderlich. Dies entspricht 1,5 % des BIP der EU pro Jahr bzw. 8 % des derzeitigen Investitionsniveaus in der EU und liegt somit deutlich unter dem Investitionsniveau in einigen Schwellenländern, die ernstlich bemüht sind, eine CO2-arme Wirtschaft auf den Weg zu bringen.
2.9 Zusätzliche öffentliche Investitionsmittel könnten aus den Erlösen der nächsten Versteigerungsrunde von Emissionszertifikaten im Rahmen des EHS kommen. Außerdem sollten sämtliche öffentliche Investitionsprogramme systematischer als Hebel für die Mobilisierung zusätzlicher Mittel des Privatsektors genutzt werden.
2.10 Weitere Vorteile der Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft sind u.a. die Verringerung der Abhängigkeit von Einfuhren fossiler Brennstoffe, Erhöhung der Energieversorgungssicherheit, Schaffung neuer Arbeitsplätze und Verbesserung der Luftqualität und der Gesundheit.
2.11 In der Mitteilung werden keine spezifischen neuen Maßnahmen vorgeschlagen. Es werden zahlreiche Bereiche genannt, in denen neue Strategien oder Politikinitiativen auf EU- und nationaler Ebene erforderlich sind, um den Wandel in den kommenden 40 Jahren zu bewerkstelligen. Der Fahrplan 2050 weist eine deutliche Veränderung auf: weg von verbindlichen Zielen, hin zu Maßnahmen. Auf diese Weise leitet er eine Debatte ein, in der die EU-Mitgliedstaaten entscheiden müssen, ob neue Ziele aufgestellt werden sollen oder nicht. Ausschlaggebende politische Entscheidungen sind zwischen „Top down“ vorgegebenen Zielen oder einer „Bottom up“ geleiteten technologischen Innovationspolitik zu treffen.
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 Der Fahrplan stützt sich auf bestimmte wirtschaftliche Modelle, um die kostengünstigsten Wege zur Verwirklichung der Klimagas-Emissionsreduktionsziele bis 2050 aufzuzeigen. Um das Vertrauen in die Methode zu sichern, müssen mehr Informationen über die Entwicklung dieser Modelle, die verwendeten Daten und die durchgeführten Sensitivitätstests bereitgestellt werden. Die Methodik erscheint jedoch bereits aufschlussreich genug, um die wichtigste Schlussfolgerung zu belegen: Das Investitionsniveau muss erheblich erhöht werden, um die Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft bis 2050 bewerkstelligen zu können.
3.2 Der Ausschuss befürwortet insbesondere die Schlussfolgerung, dass frühzeitige Fortschritte für die Kostenwirksamkeit von entscheidender Bedeutung sind. Frühzeitige Fortschritte können die Einführung wettbewerbsfähiger neuer Technologien beschleunigen, die dadurch wiederum kostengünstiger werden, und es werden teure, überflüssige Neuinvestitionen in kurzlebige kohlenstoffintensive Anlagen vermieden. Außerdem wird die für die erforderlichen Veränderungen notwendige wirtschaftliche Dynamik angekurbelt.
3.3 Ein Fahrplan ist nur dann sinnvoll, wenn er als Richtschnur für Maßnahmen dient. Die Nagelprobe für diesen Fahrplan ist es, wie weit er bei der politischen Gestaltungsarbeit und Entscheidungsfindung seitens der europäischen Schlüsselakteure in den Regierungen, dem Energiesektor und anderen grundlegenden Industrien sowie den individuellen Entscheidungen der Verbraucher als wesentliche Grundlage berücksichtigt wird.
3.4 Künftige politische, wirtschaftliche und technologische Veränderungen setzen ein gewisses Maß an Flexibilität auf dem gewählten konkreten Weg voraus, was aber nicht als Entschuldigung für Zögerlichkeit und Aufschub herhalten sollte. Der Fahrplan könnte als Grundlage für einen Konsens der wichtigsten Interessenträger in Bezug auf Art und Tempo der notwendigen Fortschritte und Umfang der erforderlichen Investitionen dienen, wobei angesichts der Ungewissheiten bezüglich zahlreicher vorhandener Energiequellen in Europa in den kommenden Jahren Investitionen zur Verbesserung der europäischen Versorgungssicherheit Priorität einzuräumen wäre.
3.5 Darüber hinaus sollte der Fahrplan zur Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit und bei den Verbrauchern für die Notwendigkeit dieses Übergangs zu einer CO2-armen Wirtschaft und die diesbezügliche Rolle jedes einzelnen beitragen. Dieser Übergang muss gerecht sein („Just Transition“), d.h. er darf niemanden diskriminieren und muss die Bürger bei ihrer Anpassung an die erforderlichen Veränderungen unterstützen.
3.6 Zahlreiche weitere Länder (einschl. China, die USA und Südkorea) investieren massiv in die Entwicklung und den Einsatz kohlenstoffarmer Technologien, um in diesem neuen industriellen Wachstumssektor die technische Führung zu übernehmen und Wettbewerbsvorteile zu erringen. Die Europäische Union muss sich unbedingt diesem industriellen Wettlauf stellen, wenn sie in dem Ringen um die Führungsrolle für eine umweltfreundlichere und CO2-arme Technologie nicht ins Hintertreffen geraten will.
3.7 Mit den bestehenden „20-20-20“-Zielen zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energieträger, zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Verringerung der CO2-Emissionen verfügt die EU bereits über konkrete Zielsetzungen für 2020. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass all diese Ziele auch wirklich erreicht werden. Der Ausschuss fordert daher Rat, Europäisches Parlament und Kommission erneut auf, umgehend zu prüfen, ob das für 2020 gesetzte Emissionsminderungsziel auf der Grundlage der bei den COP-17-Verhandlungen erzielten Fortschritte und der voraussichtlichen Wirtschaftsentwicklung der EU nicht auf mindestens 25 % angehoben werden sollte, um die für 2050 vereinbarte Verringerung um 80 % zu erreichen.
3.8 Es wäre natürlich wünschenswert, wenn diese Erhöhung Hand in Hand mit Fortschritten beim Abschluss eines allgemeinen Übereinkommens über neue Ziele im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen ginge. Das Fehlen eines derartigen allgemeinen Übereinkommens darf jedoch nicht als Vorwand dienen, um weitere Maßnahmen auf die lange Bank zu schieben, die die EU selbst zur Verwirklichung ihres langfristigen 2020-Ziels, zur Verbesserung ihrer Energieversorgungssicherheit und zur Wahrung ihrer Wettbewerbsposition im Rennen um grüne Technologien ergreifen muss.
3.9 Die EU sollte ferner schleunigst Reduktionsrichtziele für Klimagasemissionen von 40 % bis 2030 und 60 % bis 2040 festsetzen, um Investoren im Energiesektor und anderen Bereichen vorhersehbare Leitlinien an die Hand zu geben.
3.10 Die notwendigen Neuinvestitionen werden auf 270 Mrd. EUR jährlich beziffert – zwar eine beeindruckende Zahl, die aber nur 1,5 % des BIP der EU pro Jahr entspricht und deshalb machbar ist, sofern die richtigen steuerlichen und sonstigen Rahmenbedingungen geschaffen und aufrechterhalten werden. Der Ausschuss unterstützt die Forderung nach Stabilität und Vorhersehbarkeit dieses Rahmens, um angemessene Sicherheit für die notwendigen Investitionen zu gewährleisten.
3.11 Um die Ziele des Fahrplans zu erreichen, bedarf es sowohl der Zugkraft des Marktes (über einen wettbewerbsfähigen integrierten EU-Energiemarkt, die erforderliche Netzinfrastruktur und die Bepreisung von Kohlenstoff) als auch der von der Technologie ausgehenden Schubkraft (über Förderung von FuE, Demonstration und frühen Einsatz im Einklang mit dem SET-Plan (2)). Unterstützung für einen frühzeitigen und flächendeckenden Einsatz neuer, bahnbrechender kohlenstoffarmer Technologien ist besonders wichtig, um die Lernkurve und die Technologieübernahme zu beschleunigen. Bereits eingegangene Haushaltsverpflichtungen für diesen Bereich müssen aufrechterhalten werden.
3.12 Vor allem über Brückenfinanzierungen ist sicherzustellen, dass neue Technologien mit hohem europäischem Mehrwert und langfristig positiver wirtschaftlicher Amortisierungsrate nicht schon in frühen Entwicklungsphasen verkümmern. Die EU sollte
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die im Rahmen des SET-Plans weiterentwickelten Technologien über geeignete Kombinationen von Krediten und Zuschüssen finanziell unterstützen; |
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die vergaberechtlichen Bestimmungen an die Ziele des SET-Plans anpassen; |
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für eine konsequente Nutzung der Kohäsions- und den Strukturfonds zur Förderung kohlenstoffarmer Technologien in Infrastruktur- und sonstigen Vorhaben sorgen. |
3.13 In dem Fahrplan wird großes Gewicht auf das europäische Emissionshandelssystem (EU-EHS) zur Herbeiführung der erforderlichen Veränderungen und Investitionen gelegt. Das EHS sollte ursprünglich eine weltweite Vorbildfunktion übernehmen und in einem internationalen Emissionshandelssystem mit festen Emissionsobergrenzen („Cap-and-Trade“-System) aufgehen, in dessen Rahmen die zulässige Emissionsobergrenze im Einklang mit dem Ziel, die Erderwärmung auf 2 °C zu begrenzen, weltweit stetig herabgesetzt und ein globaler Preis für den Emissionshandel auf einem globalen Markt festgelegt werden sollte. Sobald sich dieser Preis durchgesetzt hätte, wäre er wiederum zu einem wichtigen Mittel für die erforderliche Investitionsverlagerung auf die kohlenstoffarmen Zukunftstechnologien geworden. In seiner derzeitigen Form ist das EU-EHS jedoch allein nicht in der Lage, den erforderlichen Investitionsschub in neue umweltfreundlichere Technologien auszulösen.
3.14 Der Ausschuss empfiehlt der Kommission daher, ein komplettes neues Maßnahmenpaket vorzulegen, um die erforderliche rasche Verlagerung der Investitionsprioritäten zu bewirken. Zu diesem Maßnahmenpaket gehört zweifelsohne eine Reform und Stärkung des EHS (das nun eher als europäische Maßnahme denn als weltweiter Vorreiter verstanden werden muss) in Verbindung mit einem spezifischen Ziel, umfangreiche Mittel für die Förderung von FuE und Einsatz neuer Technologien und unterstützender Infrastruktur zu beschaffen; ferner sollte es eine Reihe steuerlicher, regulierender und verbraucherorientierter Maßnahmen umfassen.
3.15 Ein komplettes Maßnahmenpaket
a)
Der Ausschuss empfiehlt eine gründliche Überarbeitung des EHS. Vier Bereiche sind besonders wichtig:
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es müssen Wege gefunden werden, die Kapazität des Systems zur Förderung von Innovation und Einsatz neuer kohlenstoffarmer Technologien entsprechend dem SET-Plan zu erhöhen. In diesem Sinn sollten Einnahmen aus der Versteigerung von Emissionszertifikaten in die Förderung von FuE, Demonstration und frühzeitigem Einsatz investiert werden; |
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das potenzielle Problem der Kohlenstoffverlagerung, d.h. der Verlagerung von Unternehmenstätigkeiten (insbesondere energieintensiver Branchen) in Drittländer, muss thematisiert werden. Da die Errichtung eines globalen Kohlenstoffmarkts gescheitert ist, ließen sich nun eventuell Grenzausgleichsmaßnahmen zur Anpassung der Preise rechtfertigen. Solange ein globaler Kohlenstoffmarkt nicht existiert, sollte die Kommission weitere Schritte zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ergreifen, die tatsächlich von der Emissionsverlagerung betroffen sind; |
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die erfassten Sektoren sollten überprüft werden (In früheren Stellungnahmen hat der Ausschuss die Einbeziehung des Luftfahrtsektors befürwortet und eine weitere Ausweitung auf die Seeschifffahrt gefordert.); |
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internationale Ausgleichsmechanismen zur Förderung kostengünstiger Emissionssenkungen in Entwicklungsländern sollten strenger gefasst und ausgeweitet werden (so dass sie nicht als Entschuldigung für unterlassene Emissionssenkungen in der EU vorgeschoben werden können). |
b)
Einige Bereiche wie beispielsweise Energieeffizienz reagieren kaum auf Preissignale. Es bedarf strengerer europäischer Maßnahmen, um verbindliche höhere Energieeffizienznormen für Wohn- und andere Gebäude, Pkw und andere Fahrzeuge und verschiedene Konsumgüter durchzusetzen. Der Ausschuss plädiert dringend für einen konsequenten Nachgang zur Energieeffizienzrichtlinie (KOM(2011) 109 endg.), nachdem diese eingehend auf ihren Wirkungsgrad überprüft wurde.
c)
Die Verbraucher müssen zur Mitwirkung an der Schaffung einer CO2-armen Gesellschaft durch den Kauf umweltfreundlicher Waren und Dienstleistungen insbesondere mittels folgender Maßnahmen motiviert werden:
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Verbesserung der Glaubwürdigkeit der Initiativen zur Umweltkennzeichnung und Harmonisierung der für sie geltenden Normen; |
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Förderung der Verfügbarkeit effizienter und nachhaltiger Verbraucherprodukte; |
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Stärkung des Energiebinnenmarktes. |
Die Verbraucher müssen davon überzeugt werden, dass sie in einer kohlenstoffarmen Zukunft eine Rolle zu spielen haben. Öffentlich-private Partnerschaften sollten gefördert werden.
d)
Europaweit sind umfangreiche Infrastrukturinvestitionen nötig, um neue kohlenstoffarme Technologien zu unterstützen und Interoperabilität, bspw. im Rahmen neuer intelligenter Stromversorgungsnetze, sicherzustellen und die Kohärenz der technischen Spezifikationen und einen optimalen Stromverbund zu gewährleisten. Die Kommission sollte eine Follow-up-Studie über Möglichkeiten ausarbeiten, wie die europaweite Infrastrukturentwicklung die Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft unterstützen kann und welche finanziellen und institutionellen Voraussetzungen hierfür gegeben sein müssen.
e)
Es ist sehr wichtig, schon im Vorfeld aus sozialem Blickwinkel zu analysieren, inwieweit die Branchen, die von der Umstellung auf kohlenstoffarme Technologien betroffen sind, expandieren oder schrumpfen werden, und umfassende sektorspezifische Instrumente und Maßnahmen für den Aufbau der erforderlichen Kompetenzen und Kapazitäten in den expandieren Branchen bzw. Umschulungs- oder andere Unterstützungsmaßnahmen für die Beschäftigten in den schrumpfenden Branchen vorzusehen, um so eine sozial gerechte Umstrukturierung zu gewährleisten.
f)
Neutrale Steuerreformen zur Erhöhung der Steuern auf fossile Brennstoffe (und andere natürliche Ressourcen) bei gleichzeitiger Förderung von Beschäftigung und Sozialschutz sind für die Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft von grundlegender Bedeutung. Das politische Klima ist zwar vielleicht noch nicht reif, um den früheren Vorschlag für eine europaweite CO2-Steuer wieder aufleben zu lassen, doch sollten derartige Reformen in den Mitgliedstaaten unbedingt gefördert werden. Der Ausschuss befürwortet den vor kurzem veröffentlichten Vorschlag für eine Finanztransaktionsteuer und fordert, die diesbezüglichen Einnahmen für die Förderung von Investitionen in eine CO2-arme Wirtschaft zu verwenden.
4. Bemerkungen zu spezifischen Sektoren
4.1 Stromsektor: Die Kosten für erneuerbare Energieträger sind in den letzten Jahren stetig gesunken. Nun müssen die Investitionen angeschoben werden, um diese Kosten auf ein wettbewerbsfähiges und erschwingliches Niveau zu senken. Gleichzeitig muss eine ausreichende Grundlast gewährleistet oder aber müssen Speicher- und Vertriebssysteme entwickelt werden, um die Probleme der Einspeisungsschwankungen bei Windenergie und Photovoltaik zu lösen.
4.2 Auch die Entwicklung eines Konzepts für ein intelligentes Netz auf europäischer Ebene ist für eine umfassendere Integration erneuerbarer Energieträger unverzichtbar. Die derzeitige Aufnahmekapazität des europäischen Stromnetzes für die schwankende Einspeisung aus erneuerbaren Energieträgern ist begrenzt und das System muss einen angemessenen Teil des Grundlaststroms aus nicht erneuerbaren Energieträgern (einschl. Kernkraft) beziehen. Intelligente und integrierte Netzsysteme (einschl. des Nachfragemanagements seitens Industrie und Privathaushalten) müssen erheblich ausgebaut und umfassende Speicherkapazitäten für leicht zugängliche Stromressourcen (Batterien, Pumpspeicher usw.) aufgebaut werden. Wenn Kernkraft und fossile Brennstoffe im Verbund mit CCS Teil der Lösung sein sollen, muss diese Frage offen angesprochen und gelöst werden, wahrscheinlich fall- oder länderspezifisch. Der Ausschuss hofft, dass diese Optionen in dem angekündigten Energiefahrplan bis 2050 eingehender analysiert werden und die Energieerzeugung und -verteilung in Europa besser koordiniert wird.
4.3 Investitionen in CO2-arme Technologien bedeuten eventuell die Beschleunigung der Investitionsrate über das Maß hinaus, dass der Markt für gewinnbringend erachtet. Hierfür sind öffentliche Mittel vor allem für Demonstration und frühen Einsatz erforderlich. Die Weiterentwicklung des SET-Plans ist für eine CO2-arme Wirtschaft unabdingbar.
4.4 Verkehrssektor: Der Ausschuss befürwortet den in der Mitteilung vertretenen Standpunkt in Bezug auf den Wandel im Verkehrssektor. Es gilt, die CO2-Leistung aller bestehenden Technologien zu optimieren. Gefördert werden müssen neue Technologien wie Elektrifizierung des Straßenverkehrs. Hinzu kommt die Förderung moderner Biokraftstoffe, die die Emissionen des vorhandenen Nutzfahrzeugbestands reduzieren und einen Schwerlastverkehr ohne fossile Kraftstoffe gestatten. Ebenso gefördert werden müssen die Verkehrsverlagerung auf einen effizienten öffentlichen Verkehr und nichtmotorisierte Verkehrsträger. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen das öffentliche Beschaffungswesen sowie Steuer- und Regulierungsmaßnahmen zur Bewerkstelligung dieser Umstellung nutzen. Die EU muss als wichtiger Koordinator und Impulsgeber auftreten und Ziele und Fristen für einige der erforderlichen spezifischen Veränderungen setzen.
4.5 Emissionsnormen für Pkw und andere Straßenfahrzeuge haben sehr wirksam zur Emissionssenkung beigetragen. Rechtsverbindliche Emissionsnormen geben der Automobil- und ihrer Zulieferindustrie größtmögliche Gewissheit. In früheren Stellungnahmen hat der Ausschuss sich zur stufenweisen Anhebung der Kraftstoffeffizienznormen für Straßenfahrzeuge geäußert und diesbezüglich schnellere Fortschritte gefordert (3). Hiermit bekräftigt er seine damaligen Empfehlungen.
4.6 Da der Effizienz von Verbrennungsmotoren physikalische Grenzen gesetzt sind, sollte sich die Kommission nun nach Meinung des Ausschusses die langfristige Perspektive des Fahrplans für den Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft zueigen machen und in Anbetracht der unverrückbaren Notwendigkeit, die durch den Straßenverkehr verursachten Emissionen zu senken, den Weg weisen und sich für die beschleunigte Entwicklung und den Einsatz von Nullemissionsfahrzeugen stark machen, die mit nachhaltig erzeugtem Wasserstoff oder anderen saubereren Energieträgern angetrieben werden.
4.7 Der Ausschuss hegt nach wie vor Bedenken, inwieweit ein Ausbau der Biokraftstoffe angezeigt und machbar ist, und stimmt der Europäischen Kommission darin zu, die Nutzung von Biokraftstoffen auf Nischen im Verkehrssektor zu beschränken, in denen die Elektrifizierung schwierig ist und sie zur Reduzierung der Emissionen des vorhandenen Fahrzeugbestands eingesetzt werden können. Dazu gehören auch Anstrengungen zur Entwicklung von CO2-effizienteren Biokraftstoffen der zweiten und dritten Generation.
4.8 Bebaute Umwelt: Die Fortschritte bei der Förderung von energieeffizienten Wohn- und anderen Gebäuden sind bislang viel zu schleppend vorangekommen. Der Anteil des Bestandsersatzes im Wohnungsbau ist niedrig, und deshalb müssen in diesem Sektor in erster Linie flächendeckende Programme zur Verbesserung der Energieeffizienz in bestehenden Gebäuden konzipiert und durchgeführt werden. Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, schnellstmöglich
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sobald machbar verbindliche Nullemissionsnormen für öffentliche und private Neubauten, und zwar Wohn- und sonstige Gebäude, vorzugeben, die Klimaschwankungen Rechnung tragen; |
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sofern machbar quantifizierte Ziele und Programme zur Erhöhung der Energieleistung aller bestehenden Gebäude festzulegen. |
4.9 Industrie: In Anbetracht der möglichen Folgen für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung müssen in dem Fahrplan die politischen Auswirkungen des vorgeschlagenen Wegs für die europäische Industrie klar aufgezeigt werden. Die aktuellen Ziele sollten einer umfassenden sektorspezifischen Bewertung unterzogen werden. Bei einigen Industrieverfahren (Stahl-, Zementerzeugung usw.) ist die Entstehung von Kohlendioxidemissionen durch die verwendeten chemischen Verfahren bedingt. Daher gibt es möglicherweise grundlegende Grenzen für die Treibhausgasreduzierung in diesen Sektoren, bis eine massive Ersetzung durch neue Produkte machbar ist oder neue Kohlenstoffabscheidungsverfahren zur Verfügung stehen. Deshalb müssen für jeden einzelnen Industriezweig sektorspezifische Analysen und Fahrpläne zur weiteren Senkung der Treibhausgasemissionen erstellt werden.
4.10 Der Ausschuss ersucht die Kommission um Klarstellung, ob eine Analyse sowie die Verringerung des CO2-Fußabdrucks von inländischen Erzeugnissen (oder von Exportgütern) Teil des Fahrplans sind. Die weltweiten Emissionen aus der Herstellung von Exportgütern ist von 4,3 Gt CO2 im Jahr 1990 (20 % der Gesamtemissionen) auf 7,8 Gt CO2 im Jahr 2008 gestiegen (26 % der Gesamtemissionen). Offensichtliche Kohlenstoffreduktionen in den Mitgliedstaaten können durch den nunmehrigen Import bislang in der EU erzeugter Güter zunichte gemacht werden. Für eine effektive Steuerung in diesem Bereich wären Grenzausgleichsmaßnahmen und -kontrollen sowie ein Wandel in den Verbrauchsmustern in der EU erforderlich, wobei beides äußerst heikle Themen sind.
4.11 Land- und Forstwirtschaft: Der Ausschuss pflichtet der Kommission bei, dass im Zuge der bevorstehenden Überarbeitung der GAP unter Berücksichtigung der zwischen 1990 und 2006 erreichten 20 %igen Emissionssenkung energieeffiziente und CO2-arme landwirtschaftliche Verfahren gefördert und land- und forstwirtschaftliche Verfahren zur Bindung und Speicherung von Kohlenstoff unterstützt werden sollten. Landwirte, die Teil kurzer lokaler Lieferketten sind, sollten unterstützt werden. Die Landwirtschaft bietet umfangreiche Möglichkeiten, CO2-Emissionen, die durch fossile Brennstoffe und nichterneuerbare Stoffe verursacht werden, zu reduzieren. In der Landwirtschaft lassen sich jedoch deutlich die Zielkonflikte erkennen, nämlich einerseits die Notwendigkeit einer Produktionsweitung, andererseits jedoch das Erfordernis, verstärkt Kohlenstoff im Boden und in der Biomasse zu binden. Die Frage, wie dieser Widerspruch gelöst werden soll, bleibt unbeantwortet. Eine steigende Nachfrage nach CO2-intensiven Lebensmitteln weltweit und eine verstärkte Nutzung von Biomasse stehen den Vorstellungen nach einer Verringerung von Düngemitteln, einer Ausweitung der CO2-Sequestrierung, der Vermeidung von Grünlandumbruch usw. nach Ansicht des Ausschusses diametral entgegen, und die vorgeschlagenen Maßnahmen räumen diesen Widerspruch nicht aus.
4.12 Abfall: Die EU-Abfallstrategie ist nach wie vor in erster Linie auf Abfallvermeidung, auf die Förderung von Wiederverwendung und -verwertung und auf die möglichst weitgehende Verhinderung von Verschmutzung und Bodenverschlechterung ausgerichtet. Die Kommission sollte nicht nur verschiedene Abfallbewirtschaftungsmethoden prüfen, sondern auch den Beitrag der Abfallbewirtschaftung und -behandlung zur Schaffung einer nachhaltigeren und CO2-armen Wirtschaft beleuchten. So sollte insbesondere die Nutzung von Abfall als erneuerbarer Brennstoff und der Einsatz von Deponiegas (Methan) zur Energieerzeugung untersucht werden.
Brüssel, den 22. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ressourcenschonendes Europa - eine Leitinitiative innerhalb der Strategie Europa 2020“ und Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Rio+20: Hin zu einer umweltverträglichen Wirtschaft und besserer Governance“ (siehe S. 102 dieses Amtsblatts).
(2) Strategieplan für Energietechnologie, siehe http://ec.europa.eu/energy/technology/set_plan/set_plan_en.htm.
(3) ABl C 44 vom 16.2.2008, S. 53.
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Amtsblatt der Europäischen Union |
C 376/116 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1927/2006 zur Einrichtung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung“
KOM(2011) 336 endg. — 2011/0147 (COD)
2011/C 376/21
Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 14. Juli bzw. 19. Juli 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 Absatz 3 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1927/2006 zur Einrichtung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung“
KOM(2011) 336 endg. — 2011/0147 (COD).
Angesichts der Tatsache, dass sich dieser Vorschlag darauf beschränkt, die vorübergehend geltende Ausnahmeregelung im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 546/2009, zu der sich der Ausschuss bereits in seiner am 24. März 2009 verabschiedeten Stellungnahme CESE 627/2009 (1) geäußert hat, zu verlängern, beschloss der Ausschuss auf seiner 474. Plenartagung am 21./22. September 2011 (Sitzung vom 21. September) mit 160 gegen 2 Stimmen bei 12 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.
Brüssel, den 21. September 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1927/2006 zur Einrichtung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung“ (KOM(2008) 867 endg. – COD 2008/0267), ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 103.