ISSN 1725-2407

doi:10.3000/17252407.C_2011.011.deu

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 11

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

54. Jahrgang
14. Januar 2011


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

IV   Informationen

 

INFORMATIONEN DER ORGANE, EINRICHTUNGEN UND SONSTIGEN STELLEN DER EUROPÄISCHEN UNION

 

Europäische Kommission

2011/C 011/01

Mitteilung der Kommission — Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit ( 1 )

1

 


 

(1)   Text von Bedeutung für den EWR

DE

 


IV Informationen

INFORMATIONEN DER ORGANE, EINRICHTUNGEN UND SONSTIGEN STELLEN DER EUROPÄISCHEN UNION

Europäische Kommission

14.1.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 11/1


MITTEILUNG DER KOMMISSION

Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit

(Text von Bedeutung für den EWR)

2011/C 11/01

INHALTSVERZEICHNIS

1.

Einleitung

1.1.

Zweck und Anwendungsbereich

1.2.

Allgemeine Grundsätze für die Prüfung nach Artikel 101

1.2.1.

Artikel 101 Absatz 1

1.2.2.

Artikel 101 Absatz 3

1.3.

Aufbau dieser Leitlinien

2.

Allgemeine Grundsätze für die wettbewerbsrechtliche Würdigung des Informationsaustauschs

2.1.

Definition und Geltungsbereich

2.2.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

2.2.1.

Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

2.2.2.

Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung

2.2.3.

Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

2.3.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

2.3.1.

Effizienzgewinne

2.3.2.

Unerlässlichkeit

2.3.3.

Weitergabe an die Verbraucher

2.3.4.

Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

2.4.

Beispiele

3.

Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung

3.1.

Definition

3.2.

Relevante Märkte

3.3.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

3.3.1.

Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

3.3.2.

Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

3.3.3.

Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

3.4.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

3.4.1.

Effizienzgewinne

3.4.2.

Unerlässlichkeit

3.4.3.

Weitergabe an die Verbraucher

3.4.4.

Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

3.4.5.

Zeitpunkt der Prüfung

3.5.

Beispiele

4.

Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion

4.1.

Definition und Geltungsbereich

4.2.

Relevante Märkte

4.3.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

4.3.1.

Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

4.3.2.

Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

4.3.3.

Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

4.4.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

4.4.1.

Effizienzgewinne

4.4.2.

Unerlässlichkeit

4.4.3.

Weitergabe an die Verbraucher

4.4.4.

Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

4.5.

Beispiele

5.

Einkaufsvereinbarungen

5.1.

Definition

5.2.

Relevante Märkte

5.3.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

5.3.1.

Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

5.3.2.

Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

5.3.3.

Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

5.4.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

5.4.1.

Effizienzgewinne

5.4.2.

Unerlässlichkeit

5.4.3.

Weitergabe an die Verbraucher

5.4.4.

Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

5.5.

Beispiele

6.

Vermarktungsvereinbarungen

6.1.

Definition

6.2.

Relevante Märkte

6.3.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

6.3.1.

Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

6.3.2.

Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

6.3.3.

Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

6.4.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

6.4.1.

Effizienzgewinne

6.4.2.

Unerlässlichkeit

6.4.3.

Weitergabe an die Verbraucher

6.4.4.

Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

6.5.

Beispiele

7.

Vereinbarungen über Normen

7.1.

Definition

7.2.

Relevante Märkte

7.3.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

7.3.1.

Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

7.3.2.

Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

7.3.3.

Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

7.4.

Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

7.4.1.

Effizienzgewinne

7.4.2.

Unerlässlichkeit

7.4.3.

Weitergabe an die Verbraucher

7.4.4.

Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

7.5.

Beispiele

1.   EINLEITUNG

1.1.   Zweck und Anwendungsbereich

1.

Diese Leitlinien enthalten die Grundsätze für die Prüfung von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen über horizontale Zusammenarbeit („horizontale Vereinbarungen“) nach Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (1) („Artikel 101“). Eine horizontale Zusammenarbeit liegt vor, wenn tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber eine Vereinbarung schließen. Diese Leitlinien gelten auch für horizontale Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern, also zum Beispiel zwischen zwei Unternehmen, die auf demselben Produktmarkt, aber verschiedenen räumlichen Märkten tätig sind, ohne potenzielle Wettbewerber zu sein.

2.

Horizontale Vereinbarungen können erheblichen wirtschaftlichen Nutzen bringen, vor allem wenn sie komplementäre Tätigkeiten, Fähigkeiten oder Vermögenswerte zusammenführen. Horizontale Zusammenarbeit kann ein Mittel sein, Risiken zu teilen, Kosten zu sparen, Investitionen zu steigern, Know-how zu bündeln, die Produktqualität und -vielfalt zu verbessern und Innovation zu beschleunigen.

3.

Horizontale Vereinbarungen können aber auch zu Wettbewerbsproblemen führen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Parteien vereinbaren, Preise oder Produktionsmengen festzulegen oder Märkte aufzuteilen, oder wenn die Zusammenarbeit die Parteien in die Lage versetzt, Marktmacht zu behalten, zu erlangen oder auszubauen, und sie sich dadurch wahrscheinlich in Bezug auf Preise, Produktionsmenge, Innovation oder Produktvielfalt und -qualität negativ auf den Markt auswirken wird.

4.

Während die Kommission anerkennt, dass horizontale Vereinbarungen Nutzen bringen können, muss sie doch dafür sorgen, dass der wirksame Wettbewerb aufrechterhalten bleibt. Artikel 101 ist der rechtliche Rahmen für eine ausgewogene Prüfung, bei der sowohl die wettbewerbsbeschränkenden als auch die wettbewerbsfördernden Auswirkungen berücksichtigt werden.

5.

In diesen Leitlinien wird ein analytische Rahmen für die üblichsten Formen von horizontalen Vereinbarungen abgesteckt; behandelt werden Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen, Produktionsvereinbarungen einschließlich Zuliefer- und Spezialisierungsvereinbarungen, Einkaufsvereinbarungen, Vermarktungsvereinbarungen, Normenvereinbarungen einschließlich Standardbedingungen und Informationsaustausch. Dieser Rahmen stützt sich in erster Linie auf rechtliche und wirtschaftliche Kriterien, anhand deren eine horizontale Vereinbarung und das Umfeld, in dem sie geschlossen wird, untersucht werden können. Wirtschaftliche Kriterien wie die Marktmacht der Parteien und andere Merkmale der Marktstruktur sind zentrale Elemente in der Ermittlung der voraussichtlichen Auswirkungen einer horizontalen Vereinbarung und damit für die Prüfung nach Artikel 101.

6.

Diese Leitlinien gelten für die üblichsten Formen von horizontalen Vereinbarungen ungeachtet des durch sie bewirkten Integrationsgrads; sie gelten nicht für Vorgänge, die einen Zusammenschluss im Sinne von Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (2) („Fusionskontrollverordnung“) darstellen, wie zum Beispiel ein Gemeinschaftsunternehmen, das auf Dauer alle Funktionen einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt („Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen“) (3).

7.

Horizontale Zusammenarbeit kann in unterschiedlichen Arten und Formen vorkommen – angesichts einer solchen Vielfalt und der jeweiligen Marktbedingungen kann in diesen Leitlinien nicht auf jedes mögliche Szenario eingegangen werden. Dennoch werden diese Leitlinien Unternehmen als Hilfestellung dienen, wenn sie ihre jeweiligen horizontalen Vereinbarungen auf Vereinbarkeit mit Artikel 101 prüfen. Diese Kriterien sind jedoch nicht als „Checkliste“ zu verstehen, die systematisch in jedem Fall anwendbar ist. Vielmehr muss jeder Fall anhand des jeweiligen Sachverhalts geprüft werden, was eine flexible Anwendung dieser Leitlinien erforderlich macht.

8.

Die in diesen Leitlinien dargelegten Kriterien gelten für horizontale Vereinbarungen für Waren und Dienstleistungen (nachstehend gemeinsam „Produkte“ genannt). Diese Leitlinien ergänzen die Verordnung (EG) Nr. […] der Kommission vom […] über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (4) („FuE Gruppenfreistellungsverordnung“) und die Verordnung (EG) Nr. […] der Kommission vom […] über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen die Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen (5) („Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen“).

9.

Obwohl in diesen Leitlinien auf Kartelle Bezug genommen wird, sind sie nicht als Orientierungshilfe dafür gedacht, was nach der Beschlusspraxis der Kommission und nach Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ein Kartell darstellt und was nicht.

10.

Der Begriff „Wettbewerber“ bezeichnet in diesen Leitlinien sowohl tatsächliche als auch potentielle Wettbewerber. Zwei Unternehmen gelten als tatsächliche Wettbewerber, wenn sie auf demselben relevanten Markt tätig sind. Ein Unternehmen gilt als potenzieller Wettbewerber eines anderen Unternehmens, wenn wahrscheinlich ist, dass es ohne die Vereinbarung im Falle eines geringen aber anhaltenden Anstiegs der relativen Preise innerhalb kurzer Zeit (6) die zusätzlichen Investitionen tätigen oder sonstigen Umstellungskosten auf sich nehmen würde, die erforderlich wären, um in den relevanten Markt einzutreten, auf dem das andere Unternehmen tätig ist. Diese Prüfung muss auf einer realistischen Grundlage erfolgen, die rein theoretische Möglichkeit eines Marktzutritts reicht nicht aus (siehe Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft) (7) („Bekanntmachung über die Marktabgrenzung“).

11.

Unternehmen, die Teil ein und desselben „Unternehmens“ im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 sind, werden in diesen Leitlinien nicht als Wettbewerber angesehen. Artikel 101 gilt nur für Vereinbarungen zwischen unabhängigen Unternehmen. Übt ein Unternehmen bestimmenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen aus, so bilden beide eine einzige wirtschaftliche Einheit und sind folglich Teil desselben Unternehmens (8). Dasselbe gilt für Schwesterunternehmen, d. h. Unternehmen, über die dieselbe Muttergesellschaft bestimmenden Einfluss ausübt. Sie werden folglich nicht als Wettbewerber angesehen, selbst wenn beide auf demselben relevanten sachlichen und räumlichen Markt tätig sind.

12.

Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf unterschiedlichen Ebenen der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind, d. h. vertikale Vereinbarungen, werden grundsätzlich in der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (9) („Gruppenfreistellungsverordnung über vertikale Beschränkungen“) und den Leitlinien für vertikale Beschränkungen (10) behandelt. Vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, zum Beispiel Vertriebsvereinbarungen, können jedoch ähnliche Auswirkungen auf den Markt haben und ähnliche Wettbewerbsprobleme aufwerfen wie horizontale Vereinbarungen. Sie fallen deshalb unter diese Leitlinien (11). Sollte es notwendig sein, solche Vereinbarungen auch nach der Gruppenfreistellungsverordnung über vertikale Beschränkungen und den Leitlinien für vertikale Vereinbarungen zu prüfen, wird dies im jeweiligen Kapitel dieser Leitlinien ausdrücklich festgelegt. Andernfalls sind nur diese Leitlinien auf vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern anwendbar.

13.

Horizontale Vereinbarungen können verschiedene Stufen der Zusammenarbeit betreffen, so zum Beispiel Forschung und Entwicklung („FuE“) und die Produktion und/oder die Vermarktung von Ergebnissen. Auch solche Vereinbarungen fallen in der Regel unter diese Leitlinien. Wenn diese Leitlinien zur Prüfung einer solchen integrierten Zusammenarbeit herangezogen werden, sind in der Regel alle Kapitel zu den verschiedenen Aspekten der Zusammenarbeit für die Prüfung relevant. Wird in den einschlägigen Kapiteln dieser Leitlinien jedoch differenziert, zum Beispiel bei geschützten Bereichen („Safe Harbours“) oder bei der Frage, ob bei einem bestimmten Verhalten normalerweise von einer bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkung ausgegangen wird, so ist für die gesamte Zusammenarbeit der Teil des Kapitels heranzuziehen, der den eigentlichen Schwerpunkt der integrierten Zusammenarbeit behandelt (12).

14.

Zwei Faktoren sind besonders wichtig, wenn der Schwerpunkt einer integrierten Zusammenarbeit bestimmt werden soll: erstens der Ausgangspunkt der Zusammenarbeit und zweitens der Grad der Integration der verschiedenen miteinander kombinierten Funktionen. Der Schwerpunkt einer horizontalen Vereinbarung, die sowohl eine gemeinsame FuE als auch die gemeinsame Erstellung von Ergebnissen umfasst, wäre somit normalerweise die gemeinsame FuE, da es zu der gemeinsamen Produktion nur dann kommt, wenn die gemeinsame FuE erfolgreich verläuft. Dies setzt voraus, dass die Ergebnisse der gemeinsamen FuE für die spätere gemeinsame Produktion maßgeblich sind. Der Schwerpunkt wäre ein anderer, wenn sich die Parteien ohnehin, d. h. unabhängig von der gemeinsamen FuE, an einer gemeinsamen Produktion beteiligt hätten oder wenn die Vereinbarung zwar eine vollständige Integration im Bereich der Produktion, aber nur eine Teilintegration einiger FuE-Tätigkeiten vorsähe. In diesem Fall wäre die gemeinsame Produktion der Schwerpunkt der Zusammenarbeit.

15.

Artikel 101 gilt nur für horizontale Vereinbarungen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen können. Den in diesen Leitlinien ausgeführten Grundsätzen über die Anwendbarkeit von Artikel 101 liegt deshalb die Annahme zugrunde, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten durch eine horizontale Vereinbarung erheblich beeinträchtigt werden kann.

16.

Die in diesen Leitlinien erläuterte Prüfung nach Artikel 101 erfolgt unbeschadet einer etwaigen parallelen Anwendung des Artikels 102 auf horizontale Vereinbarungen (13).

17.

Diese Leitlinien lassen die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Anwendung von Artikel 101 auf horizontale Vereinbarungen unberührt.

18.

Diese Leitlinien ersetzen die Leitlinien der Kommission zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (14) von 2001 und gelten nicht, wenn wie im Falle bestimmter Vereinbarungen in den Bereichen Landwirtschaft (15), Verkehr (16) und Versicherungen (17) sektorspezifische Regeln anwendbar sind. Die Kommission wird die Anwendung der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung und der Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen sowie die Anwendung dieser Leitlinien anhand der Informationen, die sie von Marktteilnehmern und nationalen Wettbewerbsbehörden erhält, aufmerksam verfolgen und diese Leitlinien gegebenenfalls im Lichte künftiger Entwicklungen und neuer Erfahrungen anpassen.

19.

Die Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (18) („Allgemeine Leitlinien“) enthalten allgemeine Erläuterungen zur Auslegung von Artikel 101. Die vorliegenden Leitlinien sind deshalb in Verbindung mit den Allgemeinen Leitlinien zu lesen.

1.2.   Allgemeine Grundsätze für die Prüfung nach Artikel 101

20.

Die Prüfung nach Artikel 101 erfolgt in zwei Schritten. Im ersten Schritt wird nach Artikel 101 Absatz 1 geprüft, ob eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, die geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt oder tatsächliche bzw. potenzielle (19) wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat. Nach Artikel 101 Absatz 3 werden dann in einem zweiten Schritt, der nur erfolgt, wenn festgestellt wurde, dass eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 wettbewerbsbeschränkend ist, die wettbewerbsfördernden Auswirkungen dieser Vereinbarung ermittelt, die zudem darauf geprüft werden, ob sie gegebenenfalls die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen (20). Diese Abwägungsprüfung erfolgt ausschließlich in dem von Artikel 101 Absatz 3 gesteckten Rahmen (21). Wenn die wettbewerbsfördernden Auswirkungen die wettbewerbsbeschränkenden nicht überwiegen, ist die betreffende Vereinbarung nach Artikel 101 Absatz 2 automatisch nichtig.

21.

Die Prüfung horizontaler Vereinbarungen und die Prüfung horizontaler Zusammenschlüsse haben bei der Prüfung der potenziellen wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen gewisse Gemeinsamkeiten, insbesondere wenn es um Gemeinschaftsunternehmen geht. Häufig ist die Trennungslinie zwischen Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen, die unter die Fusionskontrollverordnung fallen, und Nichtvollfunktionsgemeinschaftsunternehmen, die nach Artikel 101 geprüft werden, haarfein. Deshalb können ihre Auswirkungen recht ähnlich sein.

22.

In bestimmten Fällen werden Unternehmen von staatlicher Seite ermutigt, horizontale Vereinbarungen zu schließen, um im Wege der Selbstregulierung ein staatspolitisches Ziel zu erreichen. Jedoch bleiben diese Unternehmen weiterhin Artikel 101 unterworfen, wenn ein nationales Gesetz sich darauf beschränkt, selbständige wettbewerbswidrige Verhaltensweisen der Unternehmen zu veranlassen oder zu erleichtern (22). Mit anderen Worten: Der Umstand, dass Behörden eine horizontale Vereinbarung gutheißen, bedeutet nicht, dass sie nach Artikel 101 zulässig ist (23). Nur wenn den Unternehmen ein wettbewerbswidriges Verhalten durch nationale Rechtsvorschriften vorgeschrieben wird oder diese einen rechtlichen Rahmen bilden, der selbst jede Möglichkeit für ein Wettbewerbsverhalten seitens der Parteien ausschließt ist Artikel 101 nicht anwendbar (24). In einem solchen Fall findet nämlich die Wettbewerbsbeschränkung nicht, wie diese Vorschriften voraussetzen, ihre Ursache in selbständigen Verhaltensweisen der Unternehmen und diese sind vor jeglichen Konsequenzen eines Verstoßes gegen den genannten Artikel geschützt (25). Jeder Fall muss nach Faktenlage und anhand der in den vorliegenden Leitlinien dargelegten Grundsätze geprüft werden.

1.2.1.   Artikel 101 Absatz 1

23.

Artikel 101 Absatz 1 verbietet alle Vereinbarungen, die eine Wettbewerbsbeschränkung (26) bezwecken oder bewirken.

i)   Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

24.

Eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung liegt vor, wenn die Beschränkung ihrem Wesen nach geeignet ist, den Wettbewerb im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 zu beschränken (27). Sobald der wettbewerbswidrige Zweck einer Vereinbarung festgestellt worden ist, müssen deren tatsächliche oder potenzielle Auswirkungen auf den Markt nicht mehr geprüft werden (28).

25.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist bei der Prüfung des wettbewerbswidrigen Zwecks einer Vereinbarung insbesondere auf deren Inhalt und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Ferner kann die Kommission die Absicht der Parteien in ihrer Prüfung berücksichtigen, selbst wenn dieser Aspekt für die Entscheidung, ob eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, nicht ausschlaggebend ist (29). Weitere Erläuterungen zum Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung befinden sich in den Allgemeinen Leitlinien.

ii)   Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

26.

Wenn eine horizontale Vereinbarung keine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, ist zu prüfen, ob sie spürbare wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat. Dabei sind die tatsächlichen wie auch die potenziellen Auswirkungen zu berücksichtigen. Es muss also zumindest wahrscheinlich sein, dass eine Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat.

27.

Eine Vereinbarung hat dann wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1, wenn sie eine tatsächliche oder wahrscheinliche spürbare negative Auswirkung auf mindestens einen Wettbewerbsparameter des Marktes (zum Beispiel Preis, Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt, Innovation) hat. Vereinbarungen können solche Auswirkungen haben, wenn sie den Wettbewerb zwischen den Parteien der Vereinbarung oder zwischen einer der Parteien und Dritten spürbar verringern. Die Vereinbarung muss die Parteien – entweder durch in der Vereinbarung festgelegte Pflichten, die das Marktverhalten von mindestens einer Partei regeln, oder durch Einflussnahme auf das Marktverhalten mindestens einer Partei durch Veränderung ihrer Anreize – in ihrer Entscheidungsfreiheit einschränken (30).

28.

Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen auf dem relevanten Markt sind dann wahrscheinlich, wenn in hinreichendem Maße davon auszugehen ist, dass die Parteien aufgrund der Vereinbarung in der Lage wären, gewinnbringend den Preis zu erhöhen oder Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt oder Innovation zu reduzieren. Dies wird von mehreren Faktoren abhängen, so zum Beispiel von Art und Inhalt der Vereinbarung, inwieweit die Parteien einzeln oder gemeinsam einen gewissen Grad an Marktmacht haben oder erlangen und die Vereinbarung zur Begründung, Erhaltung oder Stärkung dieser Marktmacht beiträgt oder es den Parteien ermöglicht, ihre Marktmacht auszunutzen.

29.

Ob eine horizontale Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat, ist vor dem Hintergrund des tatsächlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Umfelds zu prüfen, in dem der Wettbewerb ohne die Vereinbarung und sämtliche damit mutmaßlich verbundenen Beschränkungen stattfindet, d. h. ohne die zum Zeitpunkt der Prüfung bestehende Vereinbarung (falls diese bereits umgesetzt wird) bzw. ohne die geplante Vereinbarung (wenn sie noch nicht umgesetzt ist). Zum Nachweis tatsächlicher oder potenzieller wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen muss also der Wettbewerb zwischen den Parteien und der Wettbewerb seitens Dritter berücksichtigt werden, insbesondere der tatsächliche oder potenzielle Wettbewerb, der ohne die Vereinbarung stattgefunden hätte. Nicht berücksichtigt werden bei diesem Vergleich etwaige durch die Vereinbarung erzeugte potenzielle Effizienzgewinne, da diese nur bei der Prüfung nach Artikel 101 Absatz 3 untersucht werden.

30.

Folglich werden horizontale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, die das Projekt oder die Tätigkeit, das /die Gegenstand der Vereinbarung ist, nach objektiven Kriterien nicht unabhängig voneinander durchführen könnten (zum Beispiel aufgrund begrenzter technischer Möglichkeiten der Parteien), normalerweise keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben, es sei denn, die Parteien hätten das Projekt mit weniger spürbaren Wettbewerbsbeschränkungen durchführen können (31).

31.

Allgemeine Erläuterungen zum Begriff der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung befinden sich in den Allgemeinen Leitlinien. Die vorliegenden Leitlinien enthalten weitere Ausführungen zur wettbewerbsrechtlichen Prüfung horizontaler Vereinbarungen.

Art und Inhalt der Vereinbarung

32.

Art und Inhalt einer Vereinbarung ergeben sich unter anderem aus dem Gebiet und Zweck der Zusammenarbeit, der Wettbewerbsbeziehung zwischen den Parteien und dem Umfang, in dem sie ihre Tätigkeiten zusammenlegen. Diese Faktoren bestimmen, in welcher Hinsicht eine horizontale Vereinbarung wettbewerbsrechtlich bedenklich sein könnte.

33.

Horizontale Vereinbarungen können den Wettbewerb in unterschiedlicher Weise beschränken. Die Vereinbarung kann

exklusiv sein, weil sie die Möglichkeiten der Parteien einschränkt, als unabhängige Wirtschaftsbeteiligte oder als Partei bei konkurrierenden Vereinbarungen miteinander oder mit Dritten zu konkurrieren;

die Parteien verpflichten, Vermögenswerte in einem solchen Umfang einzubringen, dass ihre Entscheidungsfreiheit spürbar beeinträchtigt wird, oder

die finanziellen Interessen der Parteien in einer Weise berühren, dass ihre Entscheidungsfreiheit spürbar beeinträchtigt wird. Sowohl die Finanzbeteiligungen im Rahmen der Vereinbarung als auch die Finanzbeteiligungen an anderen Parteien der Vereinbarung sind für die Prüfung von Belang.

34.

Eine mögliche Folge solcher Vereinbarungen ist, dass der Wettbewerb zwischen den Parteien der Vereinbarung zurückgeht. Die Wettbewerber können sich zudem die Tatsache, dass der Wettbewerbsdruck aufgrund der Vereinbarung abnimmt, zunutze machen und möglicherweise gewinnbringend ihre Preise erhöhen. Der Rückgang dieses Wettbewerbsdrucks kann zu Preissteigerungen auf dem relevanten Markt führen. Für die wettbewerbsrechtliche Würdigung der Vereinbarung ist es wichtig, ob die Parteien der Vereinbarung hohe Marktanteile haben, ob sie in engem Wettbewerb stehen, ob die Möglichkeiten der Kunden, den Anbieter zu wechseln, begrenzt sind, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Wettbewerber ihr Angebot erhöhen, sollten die Preise steigen, und ob eine der Parteien der Vereinbarung ein wichtiger Wettbewerber ist.

35.

Eine horizontale Vereinbarung kann auch

zur Offenlegung strategischer Informationen führen und damit die Wahrscheinlichkeit einer Koordinierung zwischen den Parteien innerhalb oder außerhalb des Bereichs der Zusammenarbeit erhöhen und/oder

zu einer erhebliche Angleichung der Kosten (d. h. des Anteils der für alle Parteien anfallenden variablen Kosten) führen, so dass die Beteiligten die Marktpreise und ihre Produktion einfacher koordinieren können.

36.

Eine erhebliche Angleichung der Kosten die durch eine horizontale Vereinbarung herbeigeführt wird, kann den Parteien nur erlauben die Marktpreise und ihre Produktion einfacher zu koordinieren wenn sie eine entsprechende Marktmacht haben und bestimmte für diese Koordinierung förderliche Marktmerkmale vorliegen, wenn auf den Bereich der Zusammenarbeit ein hoher Anteil der variablen Kosten der Beteiligten in einem bestimmten Markt entfallen und wenn die Parteien ihre Tätigkeiten in dem Bereich der Zusammenarbeit in einem erheblichen Umfang zusammenlegen. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn sie ein wichtiges Zwischenprodukt gemeinsam herstellen oder einkaufen oder einen Großteil ihres Gesamtoutputs eines Endprodukts gemeinsam herstellen oder vertreiben.

37.

Eine horizontale Vereinbarung kann also die Entscheidungsfreiheit der Parteien einschränken und folglich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie ihr Verhalten koordinieren, um ein Kollusionsergebnis zu erzielen; sie kann aber auch Parteien n, die sich schon vorher untereinander abstimmten, die Koordinierung erleichtern und Stabilität und Wirksamkeit der Koordinierung erhöhen, indem sie die Koordinierung entweder festigt oder es den Parteien ermöglicht, noch höhere Preise zu verlangen.

38.

Einige horizontale Vereinbarungen, zum Beispiel Produktionsvereinbarungen oder Normenvereinbarungen, können auch Anlass zu Bedenken wegen möglicher wettbewerbswidriger Marktverschließung gegenüber Wettbewerbern geben.

Marktmacht und andere Markteigenschaften

39.

Marktmacht ist die Fähigkeit, die Preise über einen gewissen Zeitraum hinweg gewinnbringend oberhalb des Wettbewerbsniveaus oder die Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt bzw. Innovation für einen gewissen Zeitraum gewinnbringend unterhalb des Wettbewerbsniveaus zu halten.

40.

Auf Märkten mit Fixkosten müssen die Unternehmen ihre Preise oberhalb der variablen Produktionskosten festsetzen, um eine wettbewerbsfähige Investitionsrendite zu erzielen. Die Tatsache an sich, dass Unternehmen ihre Preise oberhalb der variablen Kosten festsetzen, ist daher noch kein Hinweis darauf, dass der Wettbewerb auf dem jeweiligen Markt nicht gut funktioniert und Unternehmen über genügend Marktmacht verfügen, um die Preise oberhalb des Wettbewerbsniveaus festzusetzen. Marktmacht im Rahmen von Artikel 101 Absatz 1 liegt dann vor, wenn der Wettbewerbsdruck nicht ausreicht, um Preise, Produktionsmenge, Produktqualität und -vielfalt sowie Innovation auf Wettbewerbsniveau zu halten.

41.

Die Begründung, Erhaltung oder Stärkung von Marktmacht kann aus überragenden Fertigkeiten, Weitblick oder Innovation erwachsen. Sie kann auch die Folge reduzierten Wettbewerbs zwischen den Parteien untereinander oder zwischen einer der Parteien und Dritten sein, zum Beispiel weil die Vereinbarung zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung gegenüber Wettbewerbern führt, weil die Kosten der Wettbewerber erhöht und damit ihre Möglichkeiten begrenzt werden, mit den Vertragsparteien wirksam in den Wettbewerb zu treten.

42.

Marktmacht ist ein graduelles Phänomen. Das Maß an Marktmacht, ab dem Vereinbarungen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bewirken, gegen Artikel 101 Absatz 1 verstoßen, ist geringer als das – beträchtliche – Maß an Marktmacht, ab dem eine beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 102 festgestellt werden kann.

43.

Ausgangspunkt für die Untersuchung der Marktmacht ist die Stellung der Parteien in den von der Zusammenarbeit betroffenen Märkten. Hierzu müssen die relevanten Märkte anhand der in der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes verwendeten Methode abgegrenzt werden. Für bestimmte Arten von Märkten (zum Beispiel Einkaufs- oder Technologiemärkte) enthalten diese Leitlinien zusätzliche Regeln.

44.

Ist der gemeinsame Marktanteil der Parteien niedrig, ist es unwahrscheinlich, dass die horizontale Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben wird, und ist eine weitere Untersuchung in der Regel nicht erforderlich. Wann ein „gemeinsamer Marktanteil“ als „niedrig“ anzusehen ist, richtet sich nach der Art der untersuchten Vereinbarung; die jeweils anzuwendenden Schwellen sind den jeweiligen Kapiteln dieser Leitlinien zu entnehmen und generell der Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 EG-Vertrag nicht spürbar beschränken (32) („De-Minimis-Bekanntmachung“). Wenn eine von nur zwei Parteien einen unbedeutenden Marktanteil hält und nicht über bedeutende Ressourcen verfügt, dann ist in der Regel auch ein hoher gemeinsamer Marktanteil nicht als Anzeichen für eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung am Markt zu werten (33). Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher horizontaler Vereinbarungen und der von ihnen je nach Marktverhältnissen verursachten Wirkungen ist es nicht möglich, eine allgemein verbindliche Marktanteilsschwelle zu nennen, oberhalb derer davon ausgegangen werden kann, dass die Marktmacht ausreicht, um wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen zu verursachen.

45.

Je nach Marktstellung der Parteien und Konzentration des Marktes sind auch andere Faktoren wie die langfristige Stabilität der Marktanteile, Marktzutrittsschranken, die Wahrscheinlichkeit eines Marktzutritts sowie die Nachfragemacht der Abnehmer/Anbieter zu berücksichtigen.

46.

Normalerweise legt die Kommission bei ihrer wettbewerbsrechtlichen Prüfung die aktuellen Marktanteile zugrunde (34). Vor dem Hintergrund eines Austritts, Zutritts oder der Expansion auf dem relevanten Markt können jedoch auch hinreichend gesicherte künftige Entwicklungen berücksichtigt werden. Die Verwendung historischer Daten bietet sich an, wenn die Marktanteile in der Vergangenheit stark schwankten, zum Beispiel wenn der Markt durch seltene Großaufträge gekennzeichnet ist. Die bisherige Entwicklung der Marktanteile kann nützliche Informationen über den Wettbewerbsprozess und die voraussichtliche künftige Bedeutung der einzelnen Wettbewerber liefern, weil sie beispielsweise Auskunft darüber gibt, ob Unternehmen Marktanteile gewonnen oder verloren haben. Die Kommission bewertet die Marktanteile grundsätzlich im Kontext der wahrscheinlichen Marktbedingungen, berücksichtigt also zum Beispiel, ob der Markt sehr dynamisch oder die Marktstruktur aufgrund von Innovation oder Wachstum instabil ist.

47.

Ist ein Marktzutritt relativ leicht möglich, ist normalerweise nicht zu erwarten, dass eine horizontale Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat. Damit ein Marktzutritt genügend Wettbewerbsdruck auf die Parteien einer horizontalen Vereinbarung ausübt, muss er nachweislich wahrscheinlich sein, sowie zeitnah und in ausreichendem Maße erfolgen können, um potenzielle wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen der horizontalen Vereinbarungen zu verhindern oder aufzuheben. Die Analyse des Marktzutritts kann durch bestehende horizontale Vereinbarungen beeinflusst werden. Die wahrscheinliche oder mögliche Beendigung einer horizontalen Vereinbarung kann sich auf die Wahrscheinlichkeit eines Marktzutritts auswirken.

1.2.2.   Artikel 101 Absatz 3

48.

Die Prüfung bezweckter oder bewirkter Wettbewerbsbeschränkungen nach Artikel 101 Absatz 1 ist lediglich eine Seite der Untersuchung. Die andere Seite ist die Prüfung der wettbewerbsfördernden Auswirkungen wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Artikel 101 Absatz 3. Der allgemeine Ansatz für die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 wird in den Allgemeinen Leitlinien vorgestellt. Wird im Einzelfall eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 nachgewiesen, kann Artikel 101 Absatz 3 geltend gemacht werden. Nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (35) obliegt die Beweislast den Unternehmen, die sich auf die Ausnahmeregelung nach Artikel 101 Absatz 3 berufen. Die von den Unternehmen vorgetragenen Sachargumente und vorgelegten Beweise müssen es deshalb der Kommission ermöglichen, zu der Überzeugung zu gelangen, dass das Eintreten eines objektiven Vorteils für den Wettbewerb hinreichend wahrscheinlich ist oder nicht (36).

49.

Die Ausnahmeregelung von Artikel 101 Absatz 3 gilt nur, wenn zwei positive und zwei negative Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

Die Vereinbarung trägt zur Verbesserung der Produktion bzw. des Vertriebs oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts bei, d. h., sie führt zu Effizienzgewinnen.

Die Beschränkungen sind unerlässlich, um diese Ziele, d. h. die Effizienzgewinne, zu erreichen.

Verbraucher müssen in angemessener Weise an den erwachsenden Vorteilen beteiligt werden, d. h., die durch die unerlässlichen Beschränkungen erreichten Effizienzgewinne einschließlich der qualitativen Effizienzgewinne müssen in ausreichendem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, damit diese zumindest für die beschränkenden Wirkungen der Vereinbarung entschädigt werden. Es genügt folglich nicht, wenn nur den Parteien der Vereinbarung Effizienzgewinne entstehen. Für die Zwecke dieser Leitlinien bezeichnet der Begriff „Verbraucher“ alle potenziellen bzw. tatsächlichen Kunden der Parteien der Vereinbarung (37).

Die Vereinbarung eröffnet den Parteien nicht die Möglichkeit, für einen wesentlichen Teil der betroffenen Produkte den Wettbewerb auszuschalten.

50.

Im Bereich der horizontalen Vereinbarungen gibt es Gruppenfreistellungsverordnungen nach Artikel 101 Absatz 3 für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen (38) und für Spezialisierungsvereinbarungen (einschließlich gemeinsamer Produktion) (39). Diese Gruppenfreistellungsverordnungen basieren auf der Annahme, dass aus der Zusammenlegung komplementärer Fähigkeiten oder Vermögenswerte im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen oder Spezialisierungsvereinbarungen erhebliche Effizienzgewinne erzielt werden können. Dies kann auch bei anderen Arten horizontaler Vereinbarungen der Fall sein. Bei der Analyse der Effizienzgewinne einer Vereinbarung nach Artikel 101 Absatz 3 geht es folglich vor allem darum festzustellen, welche komplementären Fähigkeiten und Vermögenswerte jede Partei in die Vereinbarung einbringt, und zu prüfen, ob die entstehenden Effizienzgewinne die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllen.

51.

Aus horizontalen Vereinbarungen können sich in verschiedener Weise Komplementaritäten ergeben. Im Rahmen einer Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung können verschiedene Forschungskapazitäten zusammengelegt werden, so dass die Parteien bessere Produkte billiger produzieren und die Zeit bis zur Marktreife verkürzen können. Eine Produktionsvereinbarung kann den Parteien Größen- oder Verbundvorteile ermöglichen, die sie einzeln nicht erreichen könnten.

52.

Sehen horizontale Vereinbarungen keine Zusammenlegung komplementärer Fähigkeiten oder Vermögenswerte vor, sind Effizienzgewinne zugunsten der Verbraucher weniger wahrscheinlich. Derartige Vereinbarungen können die Duplizierung bestimmter Kosten mindern, zum Beispiel indem bestimmte Fixkosten vermieden werden. Allerdings ist es generell weniger wahrscheinlich, dass bei den Fixkosten Einsparungen an die Verbraucher weitergegeben werden als bei den variablen oder den Grenzkosten.

53.

Weitere Erläuterungen zur Anwendung der Kriterien von Artikel 101 Absatz 3 durch die Kommission enthalten die Allgemeinen Leitlinien.

1.3.   Aufbau dieser Leitlinien

54.

In Kapitel 2 werden zunächst einige allgemeine Grundsätze für die wettbewerbsrechtliche Würdigung des Informationsaustauschs dargelegt, die für alle Arten von horizontalen Vereinbarungen gelten, die einen Informationsaustausch beinhalten. Die danach folgenden Kapitel sind jeweils einer Art von horizontaler Vereinbarung gewidmet. In jedem dieser Kapitel werden der in Abschnitt 1.2 dargelegte analytische Rahmen sowie die für den Informationsaustausch dargelegten allgemeinen Grundsätze auf die jeweilige Art von Zusammenarbeit angewandt.

2.   ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE FÜR DIE WETTBEWERBSRECHTLICHE WÜRDIGUNG DES INFORMATIONSAUSTAUSCHS

2.1.   Definition und Geltungsbereich

55.

Dieses Kapitel dient als Anleitung für die wettbewerbsrechtliche Prüfung des Informationsaustauschs. Es gibt unterschiedliche Formen des Informationsaustauschs: erstens den direkten Datenaustausch zwischen Wettbewerbern, zweitens den indirekten Austausch über eine gemeinsame Einrichtung (zum Beispiel Wirtschaftsverband) oder über einen Dritten, wie zum Beispiel ein Marktforschungsinstitut oder über die Lieferanten oder Einzelhändler der Unternehmen.

56.

Informationen werden in verschiedensten Zusammenhängen ausgetauscht. So gibt es Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und abgestimmte Verhaltensweisen bezüglich des Informationsaustauschs, deren wichtigste wirtschaftliche Funktion im Informationsaustausch selbst liegt. Ein Informationsaustausch kann aber auch Teil einer anderen Art der horizontalen Vereinbarung sein (zum Beispiel Austausch bestimmter Kosteninformationen zwischen den Parteien einer Produktionsvereinbarung). Die letztgenannte Art des Informationsaustauschs sollte deshalb mit der Prüfung der jeweiligen horizontalen Vereinbarung einhergehen.

57.

Der Informationsaustausch ist ein gemeinsames Merkmal vieler Wettbewerbsmärkte und bringt verschiedene Arten von Effizienzgewinnen hervor. Durch ihn können Informationsasymmetrien (40) behoben werden, was die Märkte effizienter macht. Unternehmen können häufig ihre interne Effizienz durch Benchmarking verbessern, anhand der bewährten Praxis anderer Unternehmen. Die gemeinsame Nutzung von Informationen kann Unternehmen u. a. dabei helfen, durch Lagerreduzierung Kosten zu sparen, verderbliche Waren schneller an den Verbraucher zu liefern oder auf Nachfrageschwankungen besser zu reagieren. Der Informationsaustausch kann auch dem Verbraucher unmittelbar zugute kommen, weil sich die Suchkosten verringern und die Auswahl sich vergrößert.

58.

Aber insbesondere in Situationen, in denen der Austausch von Marktinformationen Unternehmen Aufschluss über die Marktstrategien ihrer Wettbewerber geben kann, sind auch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen zu befürchten (41). Das Wettbewerbsergebnis des Informationsaustauschs richtet sich nach den Eigenschaften des Marktes (zum Beispiel Konzentration, Transparenz, Stabilität, Symmetrie, Komplexität), auf dem er stattfindet, und nach der Art der ausgetauschten Informationen, da sich dadurch das Umfeld des relevanten Marktes so verändern kann, dass er koordinierungsanfällig wird.

59.

Zudem kann die Verbreitung von Informationen unter den Wettbewerbern eine Vereinbarung, eine abgestimmte Verhaltensweise oder einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung insbesondere mit dem Zweck der Preis- oder Mengenfestsetzung darstellen. Diese Arten des Informationsaustauschs werden normalerweise als Kartelle angesehen und mit Geldbußen geahndet. Ein Informationsaustausch kann zudem die Durchführung eines Kartells erleichtern, indem er die Unternehmen in die Lage versetzt zu beobachten, ob die Kartellmitglieder sich an die vereinbarten Modalitäten halten. Diese Arten des Informationsaustauschs werden in Verbindung mit dem Kartell geprüft.

Abgestimmte Verhaltensweisen

60.

Ein Informationsaustausch kann nur dann nach Artikel 101 geprüft werden, wenn er eine Vereinbarung, eine abgestimmte Verhaltensweise oder einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung begründet oder Teil davon ist. Das Vorliegen einer Vereinbarung, einer abgestimmten Verhaltensweise oder eines Beschlusses einer Unternehmensvereinigung sagt nichts darüber aus, ob die Vereinbarung, die abgestimmte Verhaltensweise oder der Beschluss einer Unternehmensvereinigung eine Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 darstellt. Nach Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichnet der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt (42). Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, die zur Feststellung von aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen herangezogen werden, verlangen nicht die Ausarbeitung eines konkreten Plans; sie sind vielmehr im Sinne des Grundgedankens des AEUV zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Binnenmarkt betreiben und welche Konditionen er seiner Kundschaft anbieten will (43).

61.

Dies entzieht den Unternehmen nicht das Recht, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen. Es schließt jedoch jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen Wettbewerbern aus, die bezweckt oder bewirkt, dass Wettbewerbsbedingungen entstehen, die im Hinblick auf die Art der Waren oder erbrachten Dienstleistungen, die Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht den normalen Bedingungen dieses Marktes entsprechen (44). Es schließt ferner jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen Wettbewerbern aus, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Wettbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht, wodurch leichter ein Kollusionsergebnis auf dem Markt herbeigeführt werden könnte (45). Der Informationsaustausch kann somit eine abgestimmte Verhaltensweise darstellen, wenn er die strategische Ungewissheit (46) auf dem Markt verringert und – wenn die ausgetauschten Daten strategisch relevant sind – damit die Kollusion erleichtert. Der Austausch strategischer Daten zwischen Wettbewerbern kommt folglich einer Abstimmung gleich, weil er die Unabhängigkeit des Verhaltens der Wettbewerber auf dem Markt verringert und Wettbewerbsanreize mindert.

62.

Eine abgestimmte Verhaltensweise kann auch vorliegen, wenn nur ein Unternehmen gegenüber einem oder mehr Wettbewerbern strategische Informationen offenlegt und dieser/diese dies akzeptiert/akzeptieren (47). Die Offenlegung könnte zum Beispiel in Form von Schriftverkehr, E-Mails, Telefongesprächen oder Treffen erfolgen. Dabei ist es unerheblich, ob nur ein Unternehmen seine Wettbewerber einseitig über das beabsichtigte Marktverhalten informiert oder ob alle beteiligten Unternehmen sich gegenseitig von ihren jeweiligen Erwägungen und Absichten unterrichten. Wenn nur ein einziges Unternehmen seinen Wettbewerbern strategische Informationen über seine künftige Geschäftspolitik preisgibt, verringert sich dadurch für alle Beteiligten die Ungewissheit über das künftige Marktgeschehen, und es entsteht die Gefahr einer Verringerung des Wettbewerbs und eines kollusiven Verhaltens unter ihnen (48). So ist es wahrscheinlich, dass die bloße Anwesenheit bei einer Sitzung (49), in der ein Unternehmen seine Preispläne gegenüber seinen Wirtschaftsbeteiligten offenlegt, auch dann unter Artikel 101 fällt, wenn nicht ausdrücklich eine Preiserhöhung vereinbart wird (50). Erhält ein Unternehmen strategische Daten von einem Wettbewerber (in einer Sitzung, per Post oder elektronisch), wird davon ausgegangen, dass es die Informationen akzeptiert und sein Markverhalten entsprechend angepasst hat, es sei denn, es erklärt ausdrücklich, dass es die Daten nicht bekommen will (51).

63.

Handelt es sich um eine einseitige Bekanntmachung eines Unternehmens, die auch echt öffentlich ist, zum Beispiel in einer Zeitung, liegt im Allgemeinen keine abgestimmte Verhaltensweise im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 vor (52). Je nach Sachlage kann allerdings im Einzelfall die Möglichkeit des Vorliegens einer abgestimmten Verhaltensweise nicht ausgeschlossen werden; so zum Beispiel in Fällen, in denen auf eine solche Bekanntmachung Bekanntmachungen anderer Wettbewerber folgen, nicht zuletzt weil sich strategische Reaktionen von Wettbewerbern auf öffentliche Bekanntmachungen anderer Wettbewerber, die zum Beispiel eine Anpassung eigener früherer Bekanntmachungen an diejenigen der Wettbewerber mit einbeziehen könnten, als Strategie zur Verständigung über die Koordinierungsmodalitäten erweisen könnten.

2.2.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

2.2.1.   Grundlegende kartellrechtliche Bedenken  (53)

64.

Wenn festgestellt wurde, dass eine Vereinbarung, eine abgestimmte Verhaltensweise oder ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung besteht, ist es notwendig, die wichtigsten wettbewerbsrechtlichen Bedenken im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch zu untersuchen.

Kollusionsergebnis

65.

Indem der Austausch strategischer Informationen die Transparenz auf dem Markt künstlich erhöht, kann er koordiniertes (d. h. abgestimmtes) Wettbewerbsverhalten der Unternehmen erleichtern und letztlich wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben. Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen:

66.

Denkbar ist erstens, dass Unternehmen sich durch den Austausch von Informationen auf Koordinierungsmodalitäten verständigen, was auf dem Markt zu einem Kollusionsergebnis führen kann. Der Informationsaustausch kann dazu beitragen, dass Unternehmen ähnliche Erwartungen hinsichtlich der Unsicherheiten auf dem Markt entwickeln. Auf dieser Grundlage können die Unternehmen sich dann auf die Modalitäten der Koordinierung ihres Wettbewerbsverhaltens verständigen, ohne die Koordinierung ausdrücklich vereinbaren zu müssen. Vor allem der Austausch von Informationen über geplantes künftiges Verhalten dürfte Unternehmen eine solche Verständigung ermöglichen.

67.

Zweitens kann der Informationsaustausch aber auch dadurch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen zur Folge haben, dass er die innere Stabilität eines Kollusionsergebnisses auf dem Markt erhöht. Dies kann insbesondere dadurch geschehen, dass er den beteiligten Unternehmen die Überwachung von Abweichungen erleichtert. Der Informationsaustausch kann nämlich die Markttransparenz so weit erhöhen, dass die kolludierenden Unternehmen ausreichend überwachen können, ob andere Unternehmen vom Kollusionsergebnis abweichen, und folglich wissen, wann sie Vergeltungsmaßnahmen ergreifen müssen. Sowohl beim Austausch aktueller als auch beim Austausch historischer Daten kann es sich um einen solchen Überwachungsmechanismus handeln. Dies kann entweder die Unternehmen in die Lage versetzen, ein Kollusionsergebnis auf Märkten zu erreichen, auf denen ihnen dies andernfalls nicht möglich gewesen wäre, oder es kann die Stabilität eines bereits bestehenden Kollusionsergebnisses auf dem Markt weiter ausbauen (siehe Beispiel 3, Rdnr. 107).

68.

Drittens kann ein Informationsaustausch auch dadurch zu wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen führen, dass er die äußere Stabilität eines Kollusionsergebnisses auf dem Markt erhöht. Ein Informationsaustausch, der den Markt hinreichend transparent macht, kann es kolludierenden Unternehmen erleichtern zu überwachen, wo und wann andere Unternehmen in den Markt einzutreten versuchen, und die kolludierenden Unternehmen so in die Lage versetzen, gezielt gegen den neuen Marktteilnehmer vorzugehen. Dies mündet logisch in die in Randnummern 69 bis 71 dargelegten Bedenken wegen wettbewerbswidriger Marktverschließung. Sowohl beim Austausch aktueller als auch beim Austausch historischer Daten kann es sich um einen solchen Überwachungsmechanismus handeln.

Wettbewerbswidrige Marktverschließung

69.

Informationsaustausch erleichtert nicht nur die Kollusion, sondern kann auch zu wettbewerbswidriger Marktverschließung führen (54).

70.

Ein exklusiver Informationsaustausch könnte zur einer wettbewerbswidrigen Verschließung des Marktes führen, auf dem der Informationsaustausch stattfindet. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Austausch sensibler Geschäftsinformationen die nicht am Informationsaustausch beteiligten Wettbewerber wettbewerblich deutlich schlechter stellt als die beteiligten Unternehmen. Diese Art der Marktverschließung ist nur dann möglich, wenn die betreffenden Informationen für den Wettbewerb von großer strategischer Bedeutung sind und einen beträchtlichen Teil des relevanten Marktes betreffen.

71.

Es ist nicht auszuschließen, dass ein Informationsaustausch auch Dritte auf einem verbundenen Markt vom Markt ausschließen kann. Indem zum Beispiel die an einem Informationsaustausch beteiligten Parteien (zum Beispiel vertikal integrierte Unternehmen) auf einem vorgelagerten Markt durch den Informationsaustausch genügend Marktmacht erlangen, können sie den Preis eines wesentlichen Inputs für einen nachgelagerten Markt erhöhen. Dadurch können sie die Kosten ihrer nachgelagerten Konkurrenten in die Höhe treiben, was letztlich zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung auf dem nachgelagerten Markt führen kann.

2.2.2.   Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung

72.

Ein Informationsaustausch, der Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Markt zum Ziel hat wird als eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung angesehen. Bei der Prüfung des wettbewerbsbeschränkenden Zwecks eines Informationsaustauschs stellt die Kommission insbesondere ab auf den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem er stattfindet (55). Sie wird deshalb prüfen, ob der Informationsaustausch seinem Wesen nach geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken (56).

73.

Im Falle des Austauschs von Informationen über die individuellen Absichten eines Unternehmens in Bezug auf sein künftiges Preis- oder Mengenverhalten (57) ist die Wahrscheinlichkeit besonders groß, dass es zu einem Kollusionsergebnis kommt. Wenn Wettbewerber sich über ihre diesbezüglichen Absichten informieren, könnten sie ein gemeinsames höheres Preisniveau erreichen, ohne Gefahr zu laufen, Marktanteile einzubüßen oder während des Zeitraums der Anpassung an die neuen Preise einen Preiskrieg zu riskieren (siehe Beispiel 1 Randnummer 105). Es ist zudem weniger wahrscheinlich, dass Informationsaustausch über zukünftige Absichten, zum Zwecke der Wettbewerbsförderung erfolgt, als dies für den Austausch von aktuellen Informationen der Fall ist.

74.

Der Austausch unternehmensspezifischer Daten über geplantes künftiges Preis- oder Mengenverhalten unter Wettbewerbern sollte deshalb als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung betrachtet werden (58), (59). Ferner würde der private Austausch von Informationen über individuelle Absichten oder künftige Preise zwischen Wettbewerbern normalerweise als Kartell angesehen und mit Geldbußen geahndet, weil Kartelle im Allgemeinen Preis- oder Mengenfestsetzungen bezwecken. Ein Informationsaustausch, der ein Kartell darstellt, verstößt nicht nur gegen Artikel 101 Absatz 1, sondern erfüllt höchstwahrscheinlich auch nicht die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3.

2.2.3.   Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

75.

Die voraussichtlichen Auswirkungen eines Informationsaustauschs auf den Wettbewerb müssen in jedem Einzelfall geprüft werden, da das Ergebnis der Prüfung von einer Reihe fallspezifischer Faktoren abhängt. Bei der Prüfung der wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen sind die voraussichtlichen Auswirkungen des Informationsaustauschs der Wettbewerbssituation gegenüberzustellen, die ohne den fraglichen Informationsaustausch bestanden hätte (60). Ein Informationsaustausch hat dann wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1, wenn es wahrscheinlich ist, dass er spürbare negative Auswirkungen auf mindestens einen Wettbewerbsparameter wie Preis, Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt oder Innovation haben wird. Ob ein Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat oder nicht, hängt sowohl von den wirtschaftlichen Bedingungen auf den relevanten Märkten als auch von den Eigenschaften der ausgetauschten Informationen ab.

76.

Bestimmte Marktbedingungen erleichtern die Koordinierung und erhöhen die innere oder die äußere Stabilität (61). Ein Informationsaustausch kann auf solchen Märkten mehr wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben als auf Märkten, auf denen andere Bedingungen herrschen. Aber auch wenn die Marktbedingungen so beschaffen sind, dass eine Koordinierung vor dem Informationsaustausch nur schwer aufrechtzuerhalten wäre, kann der Informationsaustausch die Marktbedingungen so verändern, dass eine Koordinierung nach dem Austausch möglich wird, weil sich zum Beispiel die Transparenz des Marktes erhöht, seine Komplexität sich verringert und Instabilitäten aufgefangen bzw. Asymmetrien ausgeglichen werden. Deshalb ist es wichtig, die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen des Informationsaustauschs sowohl vor dem Hintergrund der ursprünglichen Marktbedingungen zu prüfen als auch im Hinblick auf die Frage, wie der Informationsaustausch diese Bedingungen ändert. Hierzu gehört auch die Prüfung der charakteristischen Eigenschaften des betreffenden Systems, insbesondere seines Zwecks, der Zugangsvoraussetzungen und der Bedingungen der Teilnahme am Informationsaustausch. Es ist auch notwendig, die Häufigkeit des Informationsaustausches, die Art der ausgetauschten Informationen (zum Beispiel, ob es öffentliche oder vertrauliche, zusammengefasste oder detaillierte, historische oder aktuelle Angaben sind) und die Bedeutung der Information für die Preisfestsetzung sowie den Umfang oder die Bedingungen der Leistung (62). Die folgenden Faktoren sind für diese Prüfung von Bedeutung.

i)   Marktmerkmale

77.

Auf hinreichend transparenten, konzentrierten, nicht-komplexen, stabilen und symmetrischen Märkten ist es eher wahrscheinlich, dass Unternehmen ein Kollusionsergebnis erzielen. Auf solchen Märkten können sich die Unternehmen auf Modalitäten der Koordinierung verständigen und Verstöße erfolgreich überwachen und ahnden. Durch einen Informationsaustausch könnten Unternehmen jedoch auch in anderen Marktsituationen Kollusionsergebnisse erzielen, in denen dies ohne Informationsaustausch nicht möglich wäre. Der Informationsaustausch kann also ein Kollusionsergebnis befördern, indem er die Transparenz des Marktes erhöht, seine Komplexität reduziert, Instabilitäten auffängt und Asymmetrien ausgleicht. In diesem Zusammenhang hängt das Wettbewerbsergebnis eines Informationsaustauschs nicht nur von den ursprünglichen Eigenschaften des Marktes (zum Beispiel Konzentration, Transparenz, Stabilität, Komplexität) ab, auf dem dieser Austausch erfolgt, sondern auch davon, wie die Art der ausgetauschten Informationen diese Eigenschaften verändern kann (63).

78.

Kollusionsergebnisse sind auf transparenten Märkten wahrscheinlicher als auf intransparenten. Transparenz kann eine Kollusion erleichtern, denn sie ermöglicht es den Unternehmen, sich über die Koordinierungsmodalitäten zu verständigen, und/oder die innere und äußere Stabilität der Kollusion zu erhöhen. Der Informationsaustausch ist der Transparenz zuträglich und kann damit Unsicherheiten in Bezug auf die strategischen Wettbewerbsvariablen (zum Beispiel Preise, Produktionsmenge, Nachfrage, Kosten) begrenzen. Je geringer die Markttransparenz vor dem Informationsaustausch ist, desto größer kann der Beitrag sein, den der Informationsaustausch zur Erzielung eines Kollusionsergebnisses leistet. Die Wahrscheinlichkeit von wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen ist bei einem Informationsaustausch, der wenig zur Transparenz auf dem Markt beiträgt, geringer als bei einem Informationsaustausch, der die Transparenz deutlich erhöht. Ausschlaggebend für die Feststellung der Wahrscheinlichkeit von wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen ist also sowohl der Transparenzgrad vor dem Informationsaustausch als auch die Veränderung der Transparenz durch den Informationsaustausch. Der Transparenzgrad vor dem Informationsaustausch hängt unter anderem von der Anzahl der Marktteilnehmer und der Art der Transaktionen ab, die von öffentlichen Transaktionen bis zu vertraulichen bilateralen Verhandlungen zwischen Käufern und Verkäufern alles umfassen können. Um die Veränderung des Transparenzgrads auf dem Markt bewerten zu können, muss vor allem festgestellt werden, inwieweit die verfügbaren Informationen es den Unternehmen gestatten, Rückschlüsse auf die Handlungen ihrer Wettbewerber zu ziehen.

79.

Enge Oligopole können ein Kollusionsergebnis auf dem Markt begünstigen, denn wenige Unternehmen können sich leichter auf Koordinierungsmodalitäten verständigen und Abweichungen überwachen. Außerdem dürfte ein Kollusionsergebnis zwischen wenigen Unternehmen auch stabiler sein. Sind mehr Unternehmen an einer Koordinierung beteiligt, kann aus einer Abweichung größerer Nutzen gezogen werden, weil durch Preisunterbietung ein größerer Marktanteil gewonnen werden kann. Gleichzeitig ist der Nutzen eines Kollusionsergebnisses geringer, denn wenn mehr Unternehmen beteiligt sind, sinkt der Anteil am Ertrag des Kollusionsergebnisses. Im Rahmen enger Oligopole wirkt sich der Informationsaustausch deutlich wettbewerbsbeschränkender aus als in weniger engen Oligopolen; auf stark fragmentierten Märkten hat er wahrscheinlich noch geringere wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen. Durch mehr Transparenz oder andere koordinationsbegünstigende Veränderungen des Marktumfelds kann der Informationsaustausch jedoch die Koordinierung und Überwachung von mehr Unternehmen untereinander erleichtern, als dies ansonsten möglich wäre.

80.

Auf einem komplexen Markt könnte es sich für Unternehmen als schwierig erweisen, ein Kollusionsergebnis zu erzielen. Der Informationsaustausch kann ein solches komplexes Umfeld jedoch in gewissem Maße vereinfachen. In einem komplexen Marktumfeld ist normalerweise ein umfassenderer Informationsaustausch notwendig, um sich auf die Koordinierungsmodalitäten zu verständigen und Abweichungen zu überwachen. So ist es zum Beispiel leichter, für den Preis eines einzigen homogenen Produkts ein Kollusionsergebnis zu erzielen, als für viele Preise auf einem Markt mit einer Vielzahl von differenzierten Produkten. Es ist jedoch denkbar, dass Unternehmen, die die mit der Herbeiführung eines Kollusionsergebnisses für eine Vielzahl von Preisen zu bewältigenden Schwierigkeiten umgehen wollen, Informationen austauschen, um einfache Preisregeln (zum Beispiel Preispunkte) einzuführen.

81.

Kollusionsergebnisse sind wahrscheinlicher, wenn die Angebots- und Nachfragebedingungen relativ stabil sind (64). In einem instabilen Umfeld kann ein Unternehmen möglicherweise nur schwer erkennen, ob seine Verkaufseinbußen auf eine generell niedrige Nachfrage zurückzuführen sind oder auf einen Wettbewerber, der besonders niedrige Preise anbietet. Deshalb ist es schwer, auf Dauer ein Kollusionsergebnis zu erzielen. In diesem Kontext können eine stark schwankende Nachfrage, starkes inneres Wachstum einiger Unternehmen am Markt oder häufiger Marktzutritt neuer Unternehmen ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die gegenwärtige Lage nicht so stabil ist, dass eine Koordinierung wahrscheinlich ist (65). In bestimmten Situationen kann der Informationsaustausch zur Stabilisierung des Marktes beitragen und auf diese Weise ein Kollusionsergebnis auf dem Markt ermöglichen. Außerdem könnte auf Märkten, auf denen Innovation von Bedeutung ist, eine Koordinierung schwieriger zu erreichen sein, weil besonders wichtige Innovationen einem Unternehmen erhebliche Vorteile gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen könnten. Damit ein Kollusionsergebnis Bestand haben kann, sollten ausgeschlossen sein, dass die Reaktionen von Außenstehenden (zum Beispiel derzeitigen und künftigen, nicht an der Koordinierung beteiligten Wettbewerbern und Kunden) das erwartete Kollusionsergebnis gefährden können. Bestehen Marktzutrittsschranken, ist es in diesem Zusammenhang wahrscheinlicher, dass auf dem Markt dauerhaft ein Kollusionsergebnis erzielt werden kann.

82.

Ein Kollusionsergebnis ist in symmetrischen Marktstrukturen eher wahrscheinlich. Wenn Unternehmen in Bezug auf Kosten, Nachfrage, Marktanteile, Produktpalette, Kapazitäten usw. homogen sind, ist es eher wahrscheinlich, dass sie sich auf Koordinierungsmodalitäten verständigen, weil ihre Anreize stärker aufeinander abgestimmt sind. Durch Informationsaustausch kann jedoch in manchen Fällen auch in heterogeneren Marktstrukturen ein Kollusionsergebnis möglich werden. Der Informationsaustausch könnte Unternehmen bewusst machen, wo Unterschiede zwischen ihnen bestehen, und ihnen helfen, Mittel zu finden, um ihrer Heterogenität im Rahmen der Koordinierung gerecht zu werden.

83.

Die Stabilität eines Kollusionsergebnisses hängt auch davon ab, welchen Stellenwert die Unternehmen künftigen Gewinnen beimessen. Je höher die Unternehmen die kurzfristigen durch Unterbietung erzielbaren Gewinne gegenüber allen künftigen mit dem Kollusionsergebnis erzielbaren Gewinnen bewerten, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie in der Lage sein werden, sich überhaupt auf ein Kollusionsergebnis zu einigen.

84.

Aus diesem Grund ist ein Kollusionsergebnis unter Unternehmen, die langfristig auf demselben Markt tätig sind, wahrscheinlicher, weil sie ein größeres Interesse an einer Koordinierung haben. Wenn ein Unternehmen weiß, dass es mit anderen auf lange Sicht interagieren wird, bestehen für dieses Unternehmen mehr Anreize, das Kollusionsergebnis zu erzielen, da die künftigen Gewinne aus dem Kollusionsergebnis mehr wert sein werden als die kurzfristigen Gewinne, die es erzielen könnte, wenn es abwiche, d. h., bevor die anderen Unternehmen die Abweichung bemerken und Vergeltungsmaßnahmen ergreifen.

85.

Damit ein Kollusionsergebnis Bestand haben kann, müssen die Beteiligten wissen, dass bei Abweichung ernstzunehmende, rasche Vergeltungsmaßnahmen drohen. Kollusionsergebnisse haben keinen Bestand auf Märkten, auf denen die Folgen einer Abweichung nicht schwerwiegend genug sind, um die an einer Koordinierung beteiligten Unternehmen davon zu überzeugen, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, sich an die Modalitäten des Kollusionsergebnisses zu halten. So kann es auf Märkten, die sich durch potenzielle Großaufträge auszeichnen, schwierig sein, einen hinreichend wirksamen Abschreckungsmechanismus zu schaffen, weil der Nutzen einer zeitlich günstigen Abweichung groß, sicher und unmittelbar ausfallen mag, während die Nachteile aufgrund einer Bestrafung nur gering und ungewiss sein mögen und erst zeitlich versetzt eintreten. Die Glaubwürdigkeit des Abschreckungsmechanismus hängt auch davon ab, ob die anderen an der Koordinierung beteiligten Unternehmen ein Interesse an Vergeltungsmaßnahmen haben, d. h. ausgehend von ihren kurzfristigen Verlusten aufgrund eines Preiskriegs gegenüber ihrem potenziellen langfristigen Gewinn, wenn sie eine Rückkehr zum Kollusionsergebnis bewirken können. So haben Unternehmen möglicherweise mehr Möglichkeiten, Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn sie auch über vertikale Geschäftsbeziehungen verbunden sind, die sie sich für Strafandrohungen zunutze machen können.

ii)   Merkmale des Informationsaustauschs

Strategische Informationen

86.

Tauschen Wettbewerber strategische Daten aus, d. h. Daten, die die strategische Ungewissheit auf dem Markt verringern, fällt dies wahrscheinlich eher unter den Artikel 101 als der Austausch anderer Datenarten. Die Weitergabe strategischer Daten kann wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, weil sie die Entscheidungsfreiheit der Parteien einschränkt, indem sie deren Wettbewerbsanreize reduziert. Strategische Informationen können sich beziehen auf Preise (zum Beispiel aktuelle Preise, Preisnachlässe, -erhöhungen, -senkungen und Rabatte), Kundenlisten, Produktionskosten, Mengen, Umsätze, Verkaufszahlen, Kapazitäten, Qualität, Marketingpläne, Risiken, Investitionen, Technologien sowie FuE-Programme und deren Ergebnisse. Strategisch am wichtigsten sind im allgemeinen Preis- und Mengeninformationen, gefolgt von Informationen über die Kosten und die Nachfrage. Wenn Unternehmen jedoch im FuE-Bereich miteinander konkurrieren, sind es die Technologiedaten, die für den Wettbewerb von größter strategischer Relevanz sind. Ob die Daten strategisch brauchbar sind, hängt auch von ihrer Aggregation, ihrem Alter, dem Marktkontext und der Häufigkeit des Austauschs ab.

Marktabdeckung

87.

Ein Informationsaustausch wird dann wahrscheinlich wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, wenn die an dem Austausch beteiligten Unternehmen einen hinreichend großen Teil des relevanten Marktes abdecken. Andernfalls könnten die nicht am Informationsaustausch beteiligten Unternehmen die beteiligten in ihrem wettbewerbswidrigen Verhalten disziplinieren. So könnten die nicht am Informationsaustauschsystem beteiligten Unternehmen beispielsweise die äußere Stabilität eines Kollusionsergebnisses erschüttern, indem sie ihre Preise unterhalb des koordinierten Preisniveaus festsetzen.

88.

Was ein „hinreichend großer Teil des relevanten Markts“ ist, lässt sich nicht theoretisch festlegen, sondern hängt von den konkreten Fakten jedes Einzelfalls und der Art des jeweiligen Informationsaustauschs ab. Erfolgt hingegen der Informationsaustausch im Rahmen einer anderen Art von horizontaler Vereinbarung und geht er nicht über das Maß hinaus, das zu deren Umsetzung erforderlich ist, ist eine Marktabdeckung, die unterhalb der in dem einschlägigen Kapitel dieser Leitlinien, der betreffenden Gruppenfreistellungsverordnung (66) oder der De-Minimis-Bekanntmachung für die fragliche Art von Vereinbarung festgelegten Marktanteilsschwellen liegt, in der Regel nicht so groß, als dass der Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben könnte.

Aggregierte/unternehmensspezifische Daten

89.

Im Falle des Austauschs echter aggregierter Daten, d. h. von Daten, die nur mit hinreichender Schwierigkeit Rückschlüsse auf individuelle unternehmensspezifische Daten zulassen, sind wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen viel weniger wahrscheinlich als beim Austausch unternehmensspezifischer Daten. Die Sammlung und Veröffentlichung von aggregierten Marktdaten (wie Verkaufsdaten, Daten über Mengen oder über Kosten der Vorleistungen und Komponenten) durch Berufsverbände und Unternehmen, die Marktdaten liefern kann sowohl Anbietern als auch Kunden zu Gute kommen, da sie ihnen erlaubt, sich ein deutlicheres Bild der Wirtschaftslage in einem Bereich zu machen. Diese Datensammlung und Veröffentlichung kann Marktteilnehmern ermöglichen, in bessere Kenntnis individuelle Entscheidungen zu treffen, um ihre Strategie in effizienter Weise den Marktbedingungen anzupassen. Im Allgemeinen ist es wenig wahrscheinlich, dass der Austausch aggregierter Daten zu wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen führt, außer im Falle eines solchen Austauschs in einem engen Oligopol. Dagegen erleichtert der Austausch individueller Daten die Verständigung auf dem Markt und Bestrafungsstrategien, denn er ermöglicht es den koordinierenden Unternehmen, abweichende Unternehmen und neue Marktteilnehmer zu identifizieren. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch der Austausch aggregierter Daten auf Märkten mit besonderen Merkmalen ein Kollusionsergebnis begünstigen können. So können Mitglieder eines sehr engen, stabilen Oligopols, die aggregierte Daten austauschen, und feststellen, dass der Marktpreis unter ein bestimmtes Niveau fällt, automatisch davon ausgehen, dass ein Unternehmen vom Kollusionsergebnis abgewichen ist und können auf dem gesamten Markt Vergeltungsmaßnahmen auslösen. Mit anderen Worten: Um eine Kollusion stabil zu halten, müssen Unternehmen nicht immer wissen, wer abgewichen ist; es mag ausreichen, zu wissen, dass jemand abgewichen ist.

Alter der Daten

90.

Der Austausch historischer Daten wird kaum zu einem Kollusionsergebnis führen, da diese Daten wahrscheinlich keinen Aufschluss über das künftige Verhalten der Wettbewerber geben und nicht zu einem gemeinsamen Verständnis des Marktes führen (67). Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass der Austausch historischer Daten die Überwachung von Abweichungen erleichtert, denn je älter die Daten sind, desto weniger nützlich sind sie, um Abweichungen rasch zu entdecken, so dass kein ernstzunehmendes Risiko prompter Vergeltungsmaßnahmen besteht (68). Es gibt keine festgelegte Schwelle, ab der Daten zu historischen Daten werden, d. h., alt genug sind, um kein Wettbewerbsrisiko mehr darzustellen. Ob es sich bei Daten wirklich um historische Daten handelt, hängt von den besonderen Merkmalen des relevanten Marktes und insbesondere davon ab, wie häufig in der betreffenden Branche Neuverhandlungen über Preise stattfinden. So können Daten als historisch gelten, wenn sie um ein Mehrfaches älter sind als die durchschnittliche branchenübliche Laufzeit von Verträgen, sofern letztere Aufschluss über Preisneuverhandlungen geben. Der Punkt, an dem Daten zu historischen Daten werden, hängt ferner vom Datentyp, der Aggregation, der Häufigkeit des Datenaustauschs und den Merkmalen des relevanten Marktes (zum Beispiel dessen Stabilität oder Transparenz) ab.

Häufigkeit des Informationsaustauschs

91.

Häufiger Informationsaustausch, der sowohl eine bessere Kenntnis des Marktes als auch die Überwachung von Abweichungen ermöglicht, erhöht die Gefahr eines Kollusionsergebnisses. Auf weniger stabilen Märkten kann ein häufigerer Informationsaustausch als auf stabilen Märkten nötig sein, damit ein Kollusionsergebnis begünstigt wird. Auf Märkten mit langen Vertragslaufzeiten (die ein Anhaltspunkt dafür sind, dass nur selten Preisneuverhandlungen stattfinden) könnte deshalb schon ein weniger häufiger Informationsaustausch für ein Kollusionsergebnis ausreichen. Dagegen würde ein weniger häufiger Informationsaustausch auf Märkten, auf denen die Verträge kurze Laufzeiten haben und auf häufige Preisverhandlungen schließen lassen, nicht für ein Kollusionsergebnis ausreichen (69). Die Häufigkeit mit der Informationen ausgetauscht werden müssen, um ein Kollusionsergebnis zu begünstigen, hängt jedoch von Art, Alter und Aggregation der Daten ab (70).

Öffentliche/nicht öffentliche Informationen

92.

Der Austausch echter öffentlicher Informationen dürfte kaum einen Verstoß gegen Artikel 101 darstellen (71). Echte öffentliche Informationen sind Informationen, zu denen alle Wettbewerber und Kunden (im Hinblick auf die Zugangskosten) gleichermaßen leicht Zugang haben. Informationen sind nur dann echte öffentliche Informationen, wenn es für Kunden und nicht am Austauschsystem beteiligte Unternehmen nicht teurer ist, sich diese Informationen zu beschaffen, als für die am Informationsaustausch beteiligten Unternehmen. Folglich würden Wettbewerber Daten, die sie ebenso leicht vom Markt beziehen könnten, normalerweise nicht untereinander austauschen, so dass in der Praxis der Austausch echter öffentlicher Daten unwahrscheinlich ist. Dagegen handelt es sich, auch wenn der Datenaustausch unter Wettbewerbern im sogenannten „öffentlichen Bereich“ stattfindet, nicht um echte öffentliche Daten, wenn die mit der Beschaffung der Daten verbundenen Kosten so hoch sind, dass sie Unternehmen und Kunden davon abhalten, sich diese Informationen zu beschaffen (72). Auch wenn es möglich ist, die Informationen auf dem Markt, zum Beispiel von Kunden, zu erhalten, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass es sich um Marktdaten handelt, die für Wettbewerber ohne weiteres zugänglich sind (73).

93.

Selbst wenn die Informationen öffentlich zugänglich sind (zum Beispiel von Regulierungsbehörden veröffentlichte Informationen), könnte ein zusätzlicher Informationsaustausch zwischen den Wettbewerbern den Wettbewerb beschränken, wenn dadurch die Ungewissheit auf dem Markt verringert wird. In diesem Fall könnte es die über den Informationsaustausch erhaltene marginale Zusatzinformation sein, die auf dem Markt den Ausschlag dafür gibt, dass es zu einem Kollusionsergebnis kommt.

Öffentlicher/nicht öffentlicher Informationsaustausch

94.

Ein Informationsaustausch ist dann wirklich öffentlich, wenn die ausgetauschten Daten (im Hinblick auf die Zugangskosten) allen Wettbewerbern und Abnehmern gleichermaßen zugänglich gemacht werden (74). Die Tatsache, dass Informationen öffentlich ausgetauscht werden, kann die Wahrscheinlichkeit eines Kollusionsergebnisses auf dem Markt allerdings so weit reduzieren, dass nicht am Informationsaustausch beteiligte Unternehmen, potenzielle Wettbewerber und Kunden in der Lage sind, die potenziellen wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen in Grenzen zu halten (75). Es kann aber nicht vollkommen ausgeschlossen werden, dass selbst der Austausch echter öffentlicher Informationen Kollusionsergebnisse auf dem Markt begünstigen kann.

2.3.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

2.3.1.   Effizienzgewinne  (76)

95.

Informationsaustausch kann zu Effizienzgewinnen führen. So können Unternehmen aufgrund von Informationen über die Kosten der Wettbewerber effizienter arbeiten, wenn sie ihre eigene Leistung an der besten Praxis in der Branche messen und entsprechende interne Anreizsysteme entwickeln.

96.

In bestimmten Situationen kann der Informationsaustausch den Unternehmen außerdem helfen, ihre Produktion auf nachfragestarke Märkte auszurichten (aufgrund von Nachfrageinformationen) oder Low-Cost-Unternehmen zuzuweisen (aufgrund von Kosteninformation). Die Wahrscheinlichkeit dieser Effizienzgewinne hängt von den Markteigenschaften ab, zum Beispiel davon, ob Firmen um Preise oder Mengen konkurrieren oder welche Ungewissheit auf dem Markt besteht. Manche Formen des Informationsaustauschs können in diesem Kontext beträchtliche Kosteneinsparungen ermöglichen, wenn sie zum Beispiel helfen, unnötige Lagerbestände abzubauen oder eine schnelle Auslieferung verderblicher Ware in Gebieten mit hoher Nachfrage bzw. deren Reduzierung in Gebieten mit niedriger Nachfrage ermöglichen (Beispiel 6, Rdnr. 110).

97.

Auch der Austausch von Verbraucherdaten zwischen Unternehmen auf Märkten mit asymmetrischen Informationen über Verbraucher kann Effizienzgewinne erzeugen. So ist die Aufzeichnung vergangenen Verbraucherverhaltens bei Unfällen oder Kreditausfällen für Verbraucher ein Anreiz, ihre Risikoexposition in Grenzen zu halten. Zudem ermöglicht ein solcher Austausch den Unternehmen festzustellen, welche Verbraucher geringere Risiken tragen und in den Genuss niedrigerer Preise kommen sollten. In diesem Zusammenhang kann ein Informationsaustausch auch ein Kunden-Lock-In lockern und damit den Wettbewerb fördern. Schließlich ist zu bedenken, dass die Informationen grundsätzlich je nach vertraglicher Beziehung variieren und die Verbraucher im Falle eines Wechsels zu einem anderen Wettbewerber die mit diesen Informationen verbundenen Vorteile verlieren würden. Beispiele für derartige Effizienzgewinne finden sich im Banken- und Versicherungssektor, in dem häufig Informationen über Kundenverzug und Risikomerkmale ausgetauscht werden.

98.

In manchen Fällen kann der Austausch von Daten über frühere und aktuelle Marktanteile sowohl den Unternehmen als auch den Verbrauchern Vorteile bringen, denn die Unternehmen können diese Informationen gegenüber den Verbrauchern als Qualitätsbeweis ihrer Produkte verwenden. In Fällen unvollständiger Informationen über die Produktqualität verschaffen sich die Verbraucher häufig auf indirektem Wege Informationen über die relativen Produkteigenschaften wie Preise und Marktanteile (so verwenden sie zum Beispiel Bestsellerlisten vor dem Bücherkauf).

99.

Ein echter öffentlicher Informationsaustausch kann für die Verbraucher auch dadurch von Vorteil sein, dass er ihnen hilft, eine fundierte Entscheidung zu treffen (und die Suchkosten senkt). Dadurch profitieren die Verbraucher am ehesten von dem öffentlichen Austausch aktueller Daten, weil diese für ihre Kaufentscheidungen am wichtigsten sind. Ein öffentlicher Austausch von Informationen über aktuelle Inputpreise kann die Suchkosten von Unternehmen verringern, ein Umstand, der Verbrauchern normalerweise in Form niedrigerer Endpreise zugutekommt. Dass ein solcher unmittelbarer Verbrauchernutzen durch den Austausch von Informationen über künftige Preisentscheidungen entsteht, ist weniger wahrscheinlich, weil Unternehmen, die ihre Preisfestsetzungsabsichten ankündigen, ihre Preise wahrscheinlich noch einmal ändern, bevor die Verbraucher auf der Grundlage dieser Informationen tatsächlich kaufen. Die Verbraucher können sich im Allgemeinen nicht auf die Absichten von Unternehmen verlassen, wenn sie ihre Ausgaben planen. Unternehmen können allerdings, zum Beispiel wenn sie wiederholt mit Verbrauchern in Kontakt stehen und diese sich auf die Preisankündigungen verlassen oder wenn Kunden Vorbestellungen aufgeben können, in gewissem Maße so diszipliniert werden, dass sie sich an ihre Preisankündigungen halten. In solchen Fällen kann der Austausch von zukunftsbezogenen Informationen die Ausgabenplanung von Verbrauchern erleichtern.

100.

Der Austausch aktueller und historischer Daten führt mit größerer Wahrscheinlichkeit zu Effizienzgewinnen als der Austausch von Informationen über Absichten. Dennoch kann unter bestimmten Umständen die Ankündigung von Absichten auch Effizienzgewinne erzeugen. So können Unternehmen überflüssigen, kostspieligen Aufwand und Ressourcenverschwendung vermeiden, wenn sie zum Beispiel schon früh wissen, wer einen Forschungswettlauf gewinnt (77).

2.3.2.   Unerlässlichkeit

101.

Wettbewerbsbeschränkungen, die über das Maß hinaus gehen, das zur Verwirklichung der Effizienzgewinne durch einen Informationsaustausch notwendig ist, erfüllen nicht die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3. Um die Voraussetzung der Unerlässlichkeit zu erfüllen, müssen die Parteien nachweisen, dass die Daten in Bezug auf Gegenstand, Aggregation, Alter und Vertraulichkeit sowie die Häufigkeit und Tragweite des Austauschs so beschaffen sind, dass sie nur mit den Risiken verbunden sind, die im Hinblick auf die Verwirklichung der geltend gemachten Effizienzgewinne unerlässlich sind. Außerdem sollte der Austausch keine anderen Informationen betreffen als die Variablen, die für die Erzielung der Effizienzgewinne relevant sind. So wäre für Benchmarking-Zwecke ein Austausch unternehmensspezifischer Daten normalerweise nicht unerlässlich, weil zum Beispiel aggregierte Informationen in Form eines Unternehmensrankings die geltend gemachten Effizienzgewinne genauso gut und mit geringerem Risiko eines Kollusionsergebnisses hervorbringen können (Beispiel 4). Schließlich ist es grundsätzlich unwahrscheinlich, dass der Austausch von unternehmensspezifischen zukunftsbezogenen Daten unerlässlich ist, vor allem, wenn er Preise und Mengen betrifft.

102.

Gleichermaßen wird ein Informationsaustausch im Rahmen horizontaler Vereinbarungen die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 wahrscheinlich eher erfüllen, wenn er nicht über das zur Verwirklichung des wirtschaftlichen Zwecks der Vereinbarung erforderliche Maß hinausgeht (zum Beispiel die gemeinsame Nutzung der für eine FuE-Vereinbarung erforderlichen Technologie oder der Austausch von Kostendaten im Rahmen einer Produktionsvereinbarung).

2.3.3.   Weitergabe an die Verbraucher

103.

Durch unerlässliche Beschränkungen erzielte Effizienzgewinne müssen in dem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen eines Informationsaustauschs überwiegen. Je weniger Marktmacht die an dem Informationsaustausch beteiligten Parteien haben, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Effizienzgewinne an die Verbraucher in einem Maße weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen.

2.3.4.   Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

104.

Die Kriterien des Artikels 101 Absatz 3 sind nicht erfüllt, wenn die am Informationsaustausch beteiligten Unternehmen die Möglichkeit haben, den Wettbewerb für einen beträchtlichen Teil der betroffenen Produkte auszuschalten.

2.4.   Beispiele

105.

Austausch der geplanten Preise als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung

Beispiel 1

Sachverhalt: Ein Verband von Busunternehmen in Land X verbreitet unternehmensspezifische Informationen über die für die Zukunft geplanten Preise ausschließlich an die Mitgliedsunternehmen. Die Information betreffen u. a. den geplanten Fahrpreis und die Strecke, für die der Preis gilt, und mögliche Beschränkungen, die in Verbindung mit diesem Preis gelten, zum Beispiel Verbrauchergruppen, die eine Fahrkarte zu diesem Preis kaufen können, Notwendigkeit einer Anzahlung oder eines Mindestaufenthalts, zulässiger Verkaufszeitraum (Anfangs- und Enddatum) und zulässiger Verwendungszeitraum (erster und letzter Geltungstag) für Fahrkarten mit diesem Preis.

Analyse: Dieser Informationsaustausch, der auf Beschluss einer Unternehmensvereinigung erfolgt, betrifft Preisabsichten von Wettbewerbern. Er ist ein sehr effizientes Mittel, wenn ein Kollusionsergebnis erzielt werden soll, und stellt somit eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung dar, da es den Unternehmen freisteht, die im Verband selbst angekündigten Preise zu ändern, sobald sie erfahren, dass ihre Wettbewerber beabsichtigen, höhere Preise zu verlangen. Auf diese Weise können die Unternehmen gemeinsam ein höheres Preisniveau erreichen, ohne Marktanteileinbußen zu riskieren. So kann Busunternehmen A heute für Reisen ab dem nächsten Monat höhere Preise für die Strecke von Stadt 1 zu Stadt 2 ankündigen. Da diese Information allen anderen Busunternehmen zugänglich ist, kann A dann abwarten, wie seine Wettbewerber auf diese Preisankündigung reagieren. Wenn ein Wettbewerber, zum Beispiel Unternehmen B, auf derselben Strecke die Preise an dasselbe Niveau anpasst, würde die Ankündigung von A unverändert bestehen bleiben und später wahrscheinlich auch umgesetzt werden. Sollte hingegen Unternehmen B seine Preise nicht auf dasselbe Niveau anheben, könnte Unternehmen A seine Fahrpreise immer noch korrigieren. Die Anpassung würde so lange fortgesetzt, bis alle Unternehmen auf einem gemeinsamen höheren, aber wettbewerbswidrigen Preisniveau konvergieren. Dieser Informationsaustausch dürfte kaum die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 erfüllen. Der Informationsaustausch ist auf Wettbewerber beschränkt, d. h., die Kunden der Busunternehmen haben keinen direkten Nutzen.

106.

Austausch aktueller Preise mit ausreichenden Effizienzgewinnen für die Verbraucher

Beispiel 2

Sachverhalt: Ein nationales Fremdenverkehrsamt und ein Busunternehmen in einem kleinen Land X vereinbaren, Informationen über die aktuellen Preise von Busfahrkarten über eine frei zugängliche Website auszutauschen (anders als in Beispiel 1, Rdnr. 105, können die Verbraucher bereits Fahrkarten zu den ausgetauschten Preisen und Konditionen kaufen; es handelt sich also nicht um für die Zukunft geplante Preise, sondern um die aktuellen Preise jetziger und künftiger Dienstleistungen). Die Informationen betreffen u. a. den geplanten Fahrpreis und die Strecke, für die der Preis gilt, und mögliche Beschränkungen, die in Verbindung mit diesem Preis gelten, zum Beispiel Verbrauchergruppen, die eine Fahrkarte zu diesem Preis kaufen können, Notwendigkeit einer Anzahlung oder eines Mindestaufenthalts, zulässiger Verwendungszeitraum (erster und letzter Geltungstag) für Fahrkarten mit diesem Preis. Busreisen in Land X gehören nicht zu demselben relevanten Markt wie Zug- und Flugreisen. Es wird unterstellt, dass es sich bei dem relevanten Markt um einen konzentrierten, stabilen und vergleichsweise wenig komplexen Markt handelt und die Preisbildung durch den Informationsaustausch transparent wird.

Analyse: Bei diesem Informationsaustausch handelt es sich nicht um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. Die Unternehmen tauschen sich über die aktuellen, nicht über die künftigen Preise aus, denn sie verkaufen effektiv bereits Fahrkarten zu diesen Preisen (anders als in Beispiel 1, Rdnr. 105). Deshalb ist dieser Informationsaustausch wahrscheinlich ein weniger geeignetes Instrument, um einen Orientierungspunkt für die Koordinierung zu bestimmen. Angesichts der Marktstruktur und der strategischen Relevanz der Daten wird dieser Informationsaustausch aber wahrscheinlich ein wirksamer Mechanismus sein, um bei dieser Marktkonstellation zu erwartende Abweichungen von einem Kollusionsergebnis zu überwachen. Deshalb könnte dieser Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben. Auch wenn die Möglichkeit, Abweichungen zu überwachen, gewisse wettbewerbswidrige Auswirkungen haben könnte, ist dennoch wahrscheinlich, dass die durch den Informationsaustausch erzielten Effizienzgewinne in einem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Hinblick auf Wahrscheinlichkeit und Ausmaß weniger schwer wiegen. Anders als in Beispiel 1, Rdnr. 105, ist der Informationsaustausch öffentlich, und die Verbraucher können wirklich Fahrkarten zu den ausgetauschten Preisen und Konditionen kaufen. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass dieser Informationsaustausch für die Verbraucher von unmittelbarem Nutzen ist, indem er ihre Suchkosten verringert und ihre Auswahlmöglichkeiten verbessert und damit letztlich auch den Preiswettbewerb stimuliert. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 erfüllt sind.

107.

Aktuelle aus den ausgetauschten Informationen ableitbare Preise

Beispiel 3

Sachverhalt: Die Luxushotels in der Hauptstadt des Landes A arbeiten in einem engen, nicht komplexen, stabilen Oligopol mit weitgehend homogenen Kostenstrukturen und bilden somit einen von anderen Hotels getrennten relevanten Markt. Sie tauschen direkt unternehmensspezifische Informationen über aktuelle Belegungsquoten und Einnahmen aus. In diesem Fall können die Parteien aus den ausgetauschten Informationen die aktuellen Preise direkt ableiten.

Analyse: Solange dieser Informationsaustausch kein verdecktes Mittel ist um Informationen über künftige Absichten auszutauschen handelt es sich nicht um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, weil die Hotels lediglich Gegenwartsdaten austauschen und keine Informationen über für die Zukunft geplante Preise oder Mengen. Der Informationsaustausch könnte jedoch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben, weil das Wissen um die tatsächlich praktizierten Preise es für die Unternehmen wahrscheinlich leichter machen würde, ihr Wettbewerbsverhalten zu koordinieren (Abstimmung). Er würde aller Wahrscheinlichkeit nach dazu verwendet werden, Abweichungen vom Kollusionsergebnis zu überwachen. Der Informationsaustausch erhöht die Transparenz auf dem Markt, denn obwohl die Hotels normalerweise ihre Preislisten veröffentlichen, bieten sie doch nach Preisverhandlungen oder für Frühbucher und Gruppen eine Reihe von Nachlässen vom Listenpreis an. Deshalb handelt es sich bei der marginalen Zusatzinformation, die zwischen den Hotels nichtöffentlich ausgetauscht wird, um sensible Geschäftsinformationen, d. h. um Informationen von strategischem Nutzen. Dieser Austausch wird ein Kollusionsergebnis auf dem Markt wahrscheinlich begünstigen, weil die beteiligten Parteien ein enges, nichtkomplexes und stabiles Oligopol bilden und langfristig in einer Wettbewerbsbeziehung stehen (wiederholte Interaktion). Außerdem sind die Kostenstrukturen der Hotels weitgehend homogen. Und schließlich können weder die Verbraucher noch der Marktzutritt eines neuen Marktteilnehmers das wettbewerbswidrige Verhalten der etablierten Unternehmen begrenzen, da die Verbraucher geringe Nachfragemacht haben und die Marktzutrittsschranken hoch sind. In diesem Fall könnten die Parteien wahrscheinlich nicht nachweisen, dass der Informationsaustausch Effizienzgewinne erzeugt, die in einem solchen Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbswidrigen Auswirkungen überwiegen. Infolgedessen ist es unwahrscheinlich, dass die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 erfüllt sind.

108.

Benchmarking-Vorteile – Die Kriterien des Artikels 101 Absatz 3 sind nicht erfüllt

Beispiel 4

Sachverhalt: Drei große Unternehmen mit einem Marktanteil von insgesamt 80 % auf einem stabilen, nicht komplexen, konzentrierten Markt mit hohen Zutrittsschranken tauschen häufig und direkt in nicht öffentlicher Weise untereinander Informationen über einen wesentlichen Teil ihrer individuellen Kosten aus, um nach eigenen Angaben ihre Leistungsfähigkeit mit der ihrer Wettbewerber zu vergleichen und auf diese Weise effizienter zu werden.

Analyse: Bei diesem Informationsaustausch handelt es sich grundsätzlich nicht um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. Deshalb müssen seine Auswirkungen auf den Markt geprüft werden. Wegen der Marktstruktur, der Tatsache, dass die ausgetauschten Informationen einen großen Anteil der variablen Kosten der Unternehmen betreffen, der individualisierten Präsentation der Daten und der weitreichenden Abdeckung des relevanten Marktes wird dieser Informationsaustausch ein Kollusionsergebnis wahrscheinlich begünstigen und damit auch wettbewerbswidrige Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben. Es ist unwahrscheinlich, dass die Kriterien des Artikels 101 Absatz 3 erfüllt sind, denn die geltend gemachten Effizienzgewinne könnten mit weniger wettbewerbsbeschränkenden Mitteln erreicht werden, zum Beispiel durch Erhebung, Anonymisierung und Aggregation der Daten durch einen Dritten in einer Art Unternehmensranking. Da die Parteien in diesem Fall außerdem ein sehr enges, nichtkomplexes und stabiles Oligopol bilden, könnte schließlich sogar der Austausch aggregierter Daten ein Kollusionsergebnis auf dem Markt begünstigen. Dies wäre allerdings sehr unwahrscheinlich, wenn dieser Informationsaustausch auf einem nichttransparenten, fragmentierten, instabilen und komplexen Markt stattfände.

109.

Echte öffentliche Informationen

Beispiel 5

Sachverhalt: Vier Unternehmen, denen sämtliche Tankstellen in einem großen Land A gehören, tauschen per Telefon ihre aktuellen Benzinpreise aus. Sie behaupten, dieser Informationsaustausch könne keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen haben, weil die Informationen öffentlich seien und an jeder Tankstelle auf großen Schildern bekanntgegeben würden.

Analyse: Bei den per Telefon ausgetauschten Preisdaten handelt es sich nicht um echte öffentliche Informationen, weil beträchtliche Zeit- und Transportkosten aufgebracht werden müssten, um dieselben Informationen auf andere Weise zu erhalten. Es müssten weite Strecken zurückgelegt werden, um Preisangaben von den Preistafeln der Tankstellen im ganzen Land zu sammeln. Die Kosten hierfür können theoretisch jedoch hoch sein, so dass die Information im Grunde nur durch den Informationsaustausch beschafft werden können. Außerdem ist der Austausch systematisch und deckt den gesamten relevanten Markt ab, bei dem es sich um ein enges, nichtkomplexes, stabiles Oligopol handelt. Deshalb wird er wahrscheinlich ein Klima gegenseitiger Sicherheit über die Preispolitik der Wettbewerber schaffen und auf diese Weise ein Kollusionsergebnis wahrscheinlich begünstigen. Infolgedessen könnte dieser Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben.

110.

Effizienzgewinn in Form einer besseren Bedienung der Nachfrage

Beispiel 6

Sachverhalt: Es gibt fünf Hersteller von frischem Karottensaft in Flaschen auf dem relevanten Markt. Die Nachfrage nach diesem Produkt schwankt stark und ist von Ort zu Ort und zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich. Der Saft muss nach der Produktion innerhalb eines Tages verkauft und verbraucht werden. Die Hersteller vereinbaren die Gründung eines unabhängigen Marktforschungsunternehmens, das täglich aktuelle Informationen über die nicht verkauften Saftmengen in jeder Verkaufsstelle erhebt und diese dann in der nächsten Woche in aggregierter Form (je Verkaufsstelle) auf seiner Website veröffentlicht. Die veröffentlichten Statistiken ermöglichen es den Herstellern und den Einzelhändlern, die Nachfrage besser vorherzusehen und das Produkt besser zu positionieren. Vor Aufnahme des Informationsaustauschs meldeten die Einzelhändler große Mengen verdorbener Säfte und reduzierten deshalb ihre Safteinkäufe bei den Herstellern, d. h., der Markt funktionierte nicht effizient. Dies hatte zur Folge, dass die Nachfrage in bestimmten Zeiträumen und Gebieten häufiger nicht gedeckt wurde. Dank des Informationsaustauschsystems, das eine bessere Vorhersage von Über- und Unterangebot ermöglicht, nehmen die Fälle ungedeckter Verbrauchernachfrage stark ab und die auf dem Markt verkaufte Saftmenge zu.

Analyse: Obwohl der Markt relativ konzentriert und die ausgetauschten Daten aktuell und strategisch relevant sind, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass dieser Austausch ein Kollusionsergebnis begünstigen würde, weil ein solches Ergebnis auf einem derart instabilen Markt ohnehin unwahrscheinlich wäre. Selbst wenn durch den Austausch eine gewisse Gefahr wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen besteht, werden diese potenziellen wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen wahrscheinlich durch die Effizienzgewinne infolge des erhöhten Angebots an Orten mit hoher Nachfrage und des geringeren Angebots an Orten mit geringer Nachfrage aufgewogen. Die Informationen werden öffentlich und in aggregierter Form ausgetauscht, was weniger Risiken für den Wettbewerb birgt, als ein nicht öffentlicher Austausch individueller Daten. Der Informationsaustausch geht deshalb nicht über das für die Behebung des Marktversagens erforderliche Maß hinaus. Daher ist anzunehmen, dass dieser Informationsaustausch die Kriterien des Artikels 101 Absatz 3 erfüllt.

3.   VEREINBARUNGEN ÜBER FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG

3.1.   Definition

111.

Form und Geltungsbereich von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (FuE-Vereinbarungen) sind sehr unterschiedlich. Sie reichen vom Outsourcing bestimmter FuE-Anstrengungen über die gemeinsame Verbesserung bestehender Technologien bis zur Zusammenarbeit bei Forschung, Entwicklung und Marketing völlig neuer Produkte. Mögliche Formen sind die Vereinbarung einer Zusammenarbeit oder ein gemeinsam kontrolliertes Unternehmen. Dieses Kapitel gilt für sämtliche Formen von FuE-Vereinbarungen, einschließlich miteinander verbundener Vereinbarungen über die Produktion oder die Vermarktung der FuE-Ergebnisse.

3.2.   Relevante Märkte

112.

Bei der Abgrenzung der relevanten Märkte für die Würdigung der Auswirkungen einer FuE-Vereinbarung müssen zunächst die Produkte, Technologien oder FuE-Anstrengungen ermittelt werden, von denen der größte Wettbewerbsdruck auf die Parteien ausgehen wird. Am einen Ende des Spektrums möglicher Fälle kann die Innovation zu Produkten oder Technologien führen, die auf einem bestehenden Produkt- oder Technologiemarkt mit anderen im Wettbewerb stehen. Dies ist unter anderem bei Forschung und Entwicklung, die kleine Verbesserungen oder Abwandlungen, zum Beispiel neue Modelle bestimmter Produkte zum Ziel hat, der Fall. Hier betreffen mögliche Auswirkungen den Markt für bestehende Produkte. Am anderen Ende des Spektrums kann die Innovation zu einem völlig neuen Produkt führen, für das ein eigener neuer Produktmarkt entsteht (zum Beispiel ein neuer Impfstoff für eine vorher unheilbare Krankheit). Viele Fälle liegen jedoch zwischen diesen beiden Extremen, d. h. aus den Innovationsanstrengungen gehen Produkte oder Technologien hervor, die im Laufe der Zeit bestehende Produkte oder Technologien ersetzen (wie zum Beispiel die CD die Schallplatte ersetzt hat). Bei einer sorgfältigen Prüfung dieser Fälle sind sowohl die bestehenden Märkte als auch die Auswirkungen der Vereinbarung auf die Innovation zu berücksichtigen.

Bestehende Produktmärkte

113.

Geht es bei der Zusammenarbeit um Forschung und Entwicklung zur Verbesserung bestehender Produkte, so bilden die bestehenden Produkte und ihre nahen Substitute den von der Zusammenarbeit betroffenen relevanten Markt (78).

114.

Zielen die FuE-Anstrengungen auf eine wesentliche Änderung bestehender Produkte oder gar auf neue Produkte, die bestehende Produkte ersetzen, ab, so kann die Substitution der bestehenden Produkte unvollkommen sein oder erst langfristig erfolgen. Es kann daher der Schluss gezogen werden, dass die alten und die möglicherweise neu entstehenden Produkte nicht demselben relevanten Markt angehören (79). Der Markt für bestehende Produkte kann jedoch betroffen sein, wenn es wahrscheinlich ist, dass die Bündelung der FuE-Anstrengungen zum Beispiel wegen des Austauschs wettbewerbsrelevanter Informationen über den Markt für bestehende Produkte dazu führt, dass die Parteien als Anbieter bestehender Produkte ihr Verhalten koordinieren.

115.

Betrifft die Forschung und Entwicklung eine wichtige Komponente eines Endprodukts, so kann nicht nur der Markt für diese Komponente, sondern auch der bestehende Markt für das Endprodukt für die Prüfung von Bedeutung sein. Wenn zum Beispiel Automobilhersteller bei der Forschung und Entwicklung für einen neuen Motorentyp zusammenarbeiten, kann der Automobilmarkt von dieser Zusammenarbeit betroffen sein. Der Markt für die Endprodukte ist für die Prüfung jedoch nur von Belang, wenn es sich bei der Komponente, die Gegenstand der Forschung und Entwicklung ist, um einen technisch oder wirtschaftlich wesentlichen Bestandteil dieser Endprodukte handelt und wenn die Parteien der FuE-Vereinbarung hinsichtlich der Endprodukte über Marktmacht verfügen.

Bestehende Technologiemärkte

116.

Die FuE-Zusammenarbeit kann sich über die Produkte hinaus auch auf die entsprechende Technologie erstrecken. Werden die Rechte des geistigen Eigentums getrennt von den Produkten vermarktet, auf die sie sich beziehen, so muss auch der relevante Technologiemarkt abgegrenzt werden. Technologiemärkte bestehen aus dem geistigen Eigentum, für das Lizenzen erteilt werden, und seinen nahen Substituten, d. h. anderen Technologien, die die Kunden stattdessen nutzen könnten.

117.

Für die Abgrenzung von Technologiemärkten gelten die gleichen Grundsätze wie für die Abgrenzung von Produktmärkten (80). Ausgehend von der Technologie, die von den Parteien vermarktet wird, sind die anderen Technologien zu ermitteln, zu denen die Kunden als Reaktion auf eine geringe, nicht nur vorübergehende Erhöhung der relativen Preise überwechseln könnten. Sobald diese Technologien ermittelt sind, können die Marktanteile berechnet werden, indem man die Lizenzeinnahmen der Parteien durch die Gesamtheit der Lizenzeinnahmen aller Lizenzgeber dividiert.

118.

Die Stellung der Parteien auf dem Markt für die bestehende Technologie ist als Prüfungskriterium von Bedeutung, wenn die FuE-Zusammenarbeit auf eine erhebliche Verbesserung einer bestehenden Technologie oder auf eine neue Technologie abzielt, die die bestehende Technologie wahrscheinlich ablösen wird. Der Marktanteil der Parteien kann bei dieser Prüfung jedoch nur als Ausgangspunkt dienen. Auf Technologiemärkten muss dem potenziellen Wettbewerb besondere Bedeutung beigemessen werden. Wenn Unternehmen, die derzeit keine Lizenzen für ihre Technologie erteilen, potenzielle neue Anbieter auf dem Technologiemarkt sind, könnten sie die Möglichkeiten der Parteien beschränken, die Preise für ihre Technologie gewinnbringend zu erhöhen. Dieser Aspekt kann auch unmittelbar bei der Berechnung der Marktanteile berücksichtigt werden, indem diese anhand der Umsätze ermittelt werden, die mit den Produkten, die die lizenzierte Technologie enthalten, auf nachgelagerten Produktmärkten erzielt werden (siehe Randnummern 123 bis 126).

Wettbewerb im Bereich der Innovation (FuE-Anstrengungen)

119.

Die FuE-Zusammenarbeit kann nicht nur den Wettbewerb auf bestehenden Märkten, sondern auch den Wettbewerb im Bereich der Innovation und auf neuen Produktmärkten beeinträchtigen. Dies ist der Fall, wenn die FuE-Zusammenarbeit auf die Entwicklung neuer Produkte oder Technologien abzielt, die eines Tages bestehende Produkte bzw. Technologien ersetzen könnten oder die für einen neuen Verwendungszweck entwickelt werden und deshalb nicht bestehende Produkte ersetzen, sondern eine völlig neue Nachfrage schaffen sollen. Die Auswirkungen auf den Wettbewerb im Bereich der Innovation sind erheblich, können aber in einigen Fällen durch die Analyse des tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbs auf bestehenden Produkt- bzw. Technologiemärkten nicht hinreichend gewürdigt werden. Hier sind je nach Art des in einer Branche stattfindenden Innovationsprozesses zwei Szenarien zu unterscheiden.

120.

Im ersten Szenario, das zum Beispiel in der pharmazeutischen Industrie anzutreffen ist, ist der Innovationsprozess so strukturiert, dass bereits in der Anfangsphase konkurrierende FuE-Pole ausgemacht werden können. Konkurrierende FuE-Pole sind FuE-Anstrengungen, die auf ein neues Produkt oder eine neue Technologie gerichtet ist, und die Substitute für diese Forschung und Entwicklung, d. h. FuE-Anstrengungen mit ähnlichem Zeitplan, die auf die Entwicklung von Substituten für die im Rahmen der Zusammenarbeit entwickelten Produkte oder Technologien abzielen. In diesem Fall kann geprüft werden, ob nach Abschluss der Vereinbarung eine ausreichende Anzahl von FuE-Polen übrigbleibt. Ausgangspunkt ist die Forschung und Entwicklung der Parteien. Anschließend sind ernstzunehmende konkurrierende FuE-Pole zu ermitteln. Bei der Prüfung, ob es sich um ernstzunehmende Wettbewerber handelt, sind die folgenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Art, Bereich und Umfang anderer FuE-Anstrengungen, Zugang zu Finanz- und Humanressourcen, Know-how/Patenten oder anderen spezifischen Vermögenswerten sowie Zeitplan und Fähigkeit zur Verwertung der Ergebnisse. Ein FuE-Pol ist kein ernstzunehmender Wettbewerber, wenn er zum Beispiel hinsichtlich des Zugangs zu Ressourcen oder des Zeitplans nicht als nahes Substitut für die FuE-Anstrengungen der Parteien angesehen werden kann.

121.

Die Zusammenarbeit kann nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die Innovation selbst haben, sondern auch einen neuen Produktmarkt beeinträchtigen. Es wird häufig schwierig sein, die Auswirkungen auf einen solchen Markt direkt zu prüfen, der ja per definitionem noch nicht besteht. Die Analyse solcher Märkte wird daher häufig indirekt im Rahmen der Analyse des Wettbewerbs im Bereich der Innovation vorgenommen werden. Es kann jedoch notwendig sein, die Auswirkungen bestimmter Aspekte der Vereinbarung, die über die FuE-Phase hinausgehen, auf einen solchen Markt direkt zu prüfen. Eine FuE-Vereinbarung, die die gemeinsame Produktion und Vermarktung auf dem neuen Produktmarkt umfasst, kann zum Beispiel anders geprüft werden als eine reine FuE-Vereinbarung.

122.

Im zweiten Szenario sind die Innovationsarbeiten einer Branche nicht so klar strukturiert, dass FuE-Pole ausgemacht werden können. Sofern keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, versucht die Kommission in diesem Fall nicht, die Auswirkungen einer FuE-Zusammenarbeit auf die Innovation zu ermitteln, sondern beschränkt ihre Prüfung vielmehr auf die bestehenden Produkt- und/oder Technologiemärkte, die mit der betreffenden FuE-Zusammenarbeit verbunden sind.

Berechnung der Marktanteile

123.

Bei der Berechnung der Marktanteile für die Zwecke der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung und dieser Leitlinien ist zwischen bestehenden Märkten und dem Wettbewerb im Bereich der Innovation zu unterscheiden. Ausgangspunkt zu Beginn einer FuE-Zusammenarbeit ist der bestehende Markt für die Produkte, die durch die zu entwickelnden Produkte verbessert, ausgetauscht oder ersetzt werden können. Zielt die FuE-Vereinbarung nur auf die Verbesserung oder Verfeinerung bestehender Produkte ab, so umfasst dieser Markt die unmittelbar von der Forschung und Entwicklung betroffenen Produkte. Die Marktanteile können somit anhand des Absatzwerts der bestehenden Produkte berechnet werden.

124.

Zielt die Forschung und Entwicklung jedoch auf die Ersetzung eines bestehenden Produkts ab, so wird das neue Produkt im Erfolgsfall zum Substitut des bestehenden Produkts. Um die Wettbewerbsstellung der Parteien zu ermitteln, können die Marktanteile auch hier anhand des Absatzwerts der bestehenden Produkte berechnet werden. Deshalb wird in der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung für die Freistellung in diesen Fällen der Anteil am relevanten Markt für die Produkte, die durch die Vertragsprodukte verbessert, ausgetauscht oder ersetzt werden können (81), zugrunde gelegt. Eine Vereinbarung fällt nur unter die FuE-Gruppenfreistellungsverordnung, wenn dieser Marktanteil höchstens 25 % beträgt (82).

125.

Bei den Technologiemärkten besteht eine mögliche Vorgehensweise darin, die Marktanteile auf der Grundlage des Anteils jeder Technologie an der Gesamtheit der Lizenzeinnahmen zu berechnen, womit der Anteil der Technologie an dem Markt dargestellt wird, auf dem konkurrierende Technologien lizenziert werden. Dies dürfte häufig jedoch eine eher theoretische, nicht sehr praktische Möglichkeit sein, weil genaue Angaben über Lizenzgebühren fehlen, Lizenzen gebührenfrei ausgetauscht werden usw. Ein alternativer Ansatz besteht darin, die Marktanteile auf dem Technologiemarkt anhand der Umsätze mit den Waren oder Dienstleistungen zu berechnen, die auf den nachgelagerten Produktmärkten die lizenzierte Technologie enthalten. Dabei werden sämtliche Umsätze auf dem relevanten Produktmarkt berücksichtigt, unabhängig davon, ob das Produkt eine lizenzierte Technologie enthält oder nicht (83). Auch auf diesem Markt darf der Anteil (unabhängig von der Berechnungsmethode) höchstens 25 % betragen, wenn die Rechtsvorteile der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung gelten sollen.

126.

Zielt die Forschung und Entwicklung auf die Entwicklung eines Produkts ab, das eine völlig neue Nachfrage schaffen soll, so können die Marktanteile nicht anhand der Umsätze berechnet werden. Es können lediglich die Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb im Bereich der Innovation analysiert werden. Deshalb werden diese Vereinbarungen in der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung als Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern behandelt und unabhängig vom Marktanteil für die Dauer der gemeinsamen Forschung und Entwicklung und einen zusätzlichen Zeitraum von sieben Jahren ab dem Tag des ersten Inverkehrbringens des Produkts freigestellt (84). Der Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung kann jedoch entzogen werden, wenn die Vereinbarung den Wettbewerb im Bereich der Innovation ausschaltet (85). Nach Ablauf der sieben Jahre können die Marktanteile anhand des Absatzwerts berechnet werden, wobei die 25 %-Schwelle anwendbar wird (86).

3.3.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

3.3.1.   Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

127.

Die FuE-Zusammenarbeit kann den Wettbewerb auf verschiedene Weise beschränken. Erstens kann sie zu geringerer oder langsamerer Innovation führen, so dass weniger oder schlechtere Produkte später auf den Markt kommen, als dies ohne sie der Fall wäre. Zweitens kann die FuE-Zusammenarbeit auf Waren- oder Technologiemärkten den Wettbewerb zwischen den Parteien außerhalb des Geltungsbereichs der Vereinbarung erheblich schwächen oder eine wettbewerbswidrige Koordinierung auf diesen Märkten wahrscheinlich machen und damit höhere Preise zur Folge haben. Das Problem der Marktverschließung kann nur im Falle einer Zusammenarbeit auftreten, an der wenigstens ein Unternehmen mit einem erheblichen Grad an Marktmacht bei einer Schlüsseltechnologie (der nicht auf Marktbeherrschung hinauslaufen muss) beteiligt ist, sofern die ausschließliche Verwertung der Ergebnisse vereinbart wurde.

3.3.2.   Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

128.

Bei einer FuE-Vereinbarung handelt es sich um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, wenn sie nicht wirklich gemeinsame Forschung und Entwicklung betrifft, sondern als Mittel zur Bildung eines verschleierten Kartells für verbotene Praktiken wie Preisfestsetzung, Produktionsbeschränkung oder Marktaufteilung genutzt wird. Eine FuE-Vereinbarung, die die gemeinsame Verwertung möglicher künftiger Ergebnisse umfasst, beschränkt allerdings nicht notwendigerweise den Wettbewerb.

3.3.3.   Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

129.

Die meisten FuE-Vereinbarungen fallen nicht unter Artikel 101 Absatz 1. Dies gilt vor allem für Vereinbarungen über die FuE-Zusammenarbeit in einem eher frühen Stadium, weit entfernt von der Verwertung möglicher Ergebnisse.

130.

Zudem hat die FuE-Zusammenarbeit zwischen nicht konkurrierenden Unternehmen im Allgemeinen keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen (87). Die Wettbewerbsbeziehungen zwischen den Parteien müssen im Rahmen der betroffenen bestehenden Märkte und/oder der betroffenen Innovation untersucht werden. Wenn die Parteien aufgrund objektiver Faktoren, zum Beispiel wegen ihrer begrenzten technischen Möglichkeiten, alleine nicht in der Lage wären, die notwendige Forschung und Entwicklung durchzuführen, hat die FuE-Vereinbarung in der Regel keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen. Dies gilt zum Beispiel für Unternehmen, die Fähigkeiten, Technologien und sonstige Ressourcen in die Zusammenarbeit einbringen, die einander ergänzen. Die Frage des potenziellen Wettbewerbs muss auf einer realistischen Grundlage geprüft werden. So können Parteien nicht nur deshalb als potenzielle Wettbewerber eingestuft werden, weil die Zusammenarbeit sie in die Lage versetzt, die FuE-Tätigkeiten durchzuführen. Entscheidend ist vielmehr, ob jede Partei für sich über die erforderlichen Mittel (Vermögenswerte, Know-how und sonstige Ressourcen) verfügt.

131.

Das Outsourcing von zuvor selbst durchgeführter Forschung und Entwicklung ist eine besondere Form der FuE-Zusammenarbeit. Bei dieser Fallgestaltung wird die Forschung und Entwicklung häufig von spezialisierten Unternehmen, Forschungsinstituten oder Hochschulen durchgeführt, die an der Verwertung der Ergebnisse nicht beteiligt sind. Solche Vereinbarungen umfassen in der Regel einen Transfer von Know-how und/oder eine die möglichen Ergebnisse betreffende Alleinbelieferungsklausel, was aber wegen der Komplementarität der zusammenarbeitenden Parteien keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat.

132.

Eine FuE-Zusammenarbeit, die nicht die gemeinsame Verwertung möglicher Ergebnisse im Wege der Lizenzerteilung, der Produktion und/oder des Marketings umfasst, hat selten wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1. Reine FuE-Vereinbarungen können nur dann Wettbewerbsprobleme verursachen, wenn sich der Innovationswettbewerb spürbar verringert, so dass nur eine begrenzte Zahl von ernstzunehmenden konkurrierenden FuE-Polen übrigbleibt.

133.

Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen von FuE-Vereinbarungen sind nur wahrscheinlich, wenn die an der Zusammenarbeit beteiligten Parteien über Marktmacht auf den bestehenden Märkten verfügen und/oder wenn sich der Wettbewerb im Bereich der Innovation spürbar verringert.

134.

Es gibt keine absolute Schwelle, bei deren Überschreiten davon ausgegangen werden kann, dass eine FuE-Vereinbarung Marktmacht begründet oder aufrechterhält und damit wahrscheinlich wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat. FuE-Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern fallen jedoch unter die FuE-Gruppenfreistellungsverordnung, sofern deren gemeinsamer Marktanteil höchstens 25 % beträgt und die übrigen Voraussetzungen für die Anwendung der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung erfüllt sind.

135.

Vereinbarungen, die nicht unter die FuE-Gruppenfreistellungsverordnung fallen, weil der gemeinsame Marktanteil der Parteien 25 % überschreitet, müssen keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen haben. Je stärker jedoch die gemeinsame Stellung der Parteien auf den bestehenden Märkten ist und/oder je mehr der Wettbewerb im Bereich der Innovation beschränkt wird, desto wahrscheinlicher sind wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen der FuE-Vereinbarung (88).

136.

Ist die Forschung und Entwicklung auf die Verbesserung oder Verfeinerung bestehender Produkte oder Technologien gerichtet, so sind Auswirkungen auf die relevanten Märkte für diese bestehenden Produkte bzw. Technologien möglich. Auswirkungen auf Preise, Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt oder Innovation auf den bestehenden Märkten sind jedoch nur wahrscheinlich, wenn die Parteien gemeinsam eine starke Stellung innehaben, der Marktzutritt schwierig ist und nur wenige andere Innovationsanstrengungen zu erkennen sind. Außerdem sind Auswirkungen auf den Wettbewerb bei Endprodukten – wenn überhaupt – nur in sehr begrenztem Umfang zu erwarten, wenn die Forschung und Entwicklung ausschließlich eine relativ unbedeutende Vorleistung für das Endprodukt betrifft.

137.

Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen reinen FuE-Vereinbarungen und Vereinbarungen über eine umfassendere Zusammenarbeit, die verschiedene Stufen der Verwertung der Ergebnisse (zum Beispiel Lizenzerteilung, Produktion, Marketing) umfasst. Wie in Randnummer 132 erwähnt, haben reine FuE-Vereinbarungen nur selten wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1. Dies gilt insbesondere für Forschung und Entwicklung, die eine begrenzte Verbesserung bestehender Produkte oder Technologien zum Ziel hat. Umfasst in einem solchen Fall die FuE-Zusammenarbeit lediglich die gemeinsame Verwertung im Wege der Erteilung von Lizenzen an Dritte, so sind beschränkende Auswirkungen wie zum Beispiel eine Marktverschließung unwahrscheinlich. Sind jedoch die gemeinsame Produktion der geringfügig verbesserten Produkte oder Technologien und/oder das Marketing in die Zusammenarbeit einbezogen, so müssen deren Auswirkungen auf den Wettbewerb genauer untersucht werden. Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen in Form von höheren Preisen oder geringerem Output auf bestehenden Märkten sind eher wahrscheinlich, wenn starke Wettbewerber beteiligt sind.

138.

Ist die Forschung und Entwicklung auf völlig neue Produkte oder Technologien gerichtet, für die ein eigener neuer Markt entsteht, so sind Auswirkungen auf Preise und Output auf bestehenden Märkten eher unwahrscheinlich. Die Prüfung muss sich dann auf Innovationsbeschränkungen zum Beispiel bei der Qualität und Vielfalt möglicher künftiger Produkte bzw. Technologien oder der Geschwindigkeit der Innovation konzentrieren. Derartige beschränkende Auswirkungen können entstehen, wenn zwei oder mehr der wenigen an der Entwicklung des neuen Produkts beteiligten Unternehmen ihre Zusammenarbeit in einer Phase aufnehmen, in der sie einzeln jeweils kurz vor der Einführung des neuen Produkts stehen. Solche Auswirkungen sind in der Regel eine unmittelbare Folge der Vereinbarung zwischen den Parteien. Die Innovation kann sogar durch eine reine FuE-Vereinbarung beschränkt werden. Im Allgemeinen ist es jedoch unwahrscheinlich, dass eine FuE-Zusammenarbeit bei völlig neuen Produkten wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat, es sei denn, es besteht nur eine begrenzte Zahl ernstzunehmender alternativer FuE-Pole. Diese Grundannahme ändert sich nicht wesentlich, wenn auch die gemeinsame Verwertung der Ergebnisse oder sogar gemeinsames Marketing vereinbart wird. In diesen Fällen kann die gemeinsame Verwertung nur dann wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, wenn Marktverschließung bei Schlüsseltechnologien eine Rolle spielt. Derartige Probleme treten allerdings nicht auf, wenn die Parteien Lizenzen an Dritte erteilen, die diese in die Lage versetzen, wirksam mit ihnen zu konkurrieren.

139.

Viele FuE-Vereinbarungen werden zwischen den beiden in Randnummern 137 und 138 geschilderten Sachlagen angesiedelt sein. Sie können sich also auf die Innovation und auf bestehende Märkte auswirken. Somit können sowohl die bestehenden Märkte als auch die Wirkung auf die Innovation für die Bewertung der gemeinsamen Stellung der Parteien, des Konzentrationsgrads, der Zahl der Anbieter/innovativen Unternehmen und der Marktzutrittsbedingungen von Bedeutung sein. In einigen Fällen können wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen in Form von höheren Preisen oder geringerer Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt oder Innovation auf bestehenden Märkten und in Form von negativen Folgen für die Innovation durch Verlangsamung der Entwicklung auftreten. Wenn zum Beispiel wichtige Wettbewerber auf einem bestehenden Technologiemarkt zusammenarbeiten, um eine neue Technologie zu entwickeln, mit der eines Tages bestehende Produkte ersetzt werden könnten, kann diese Zusammenarbeit die Entwicklung der neuen Technologie verlangsamen, sofern die Parteien auf dem bestehenden Markt über Marktmacht verfügen und auch in Forschung und Entwicklung eine starke Stellung innehaben. Eine ähnliche Wirkung ist möglich, wenn der größte Anbieter auf einem bestehenden Markt mit einem viel kleineren oder sogar nur potenziellen Wettbewerber zusammenarbeitet, der kurz vor der Einführung eines neuen Produkts/einer neuen Technologie steht, die die Stellung des etablierten Anbieters gefährden könnte.

140.

Vereinbarungen können auch unabhängig von der Marktmacht der Parteien nicht unter die FuE-Gruppenfreistellungsverordnung fallen. Dies gilt beispielsweise für Vereinbarungen, die den Zugang zu den Ergebnissen der FuE-Zusammenarbeit für eine Partei unverhältnismäßig stark beschränken (89). Die FuE-Gruppenfreistellungsverordnung enthält eine Ausnahme von dieser Regel für Hochschulen, Forschungsinstitute und spezialisierte Unternehmen, die Forschung und Entwicklung als Dienstleistung erbringen und sich nicht mit der gewerblichen Verwertung der Ergebnisse der Forschung und Entwicklung befassen (90). Dennoch können Vereinbarungen, die nicht unter die FuE-Gruppenfreistellungsverordnung fallen, die ausschließliche Zugangsrechte für die Zwecke der Verwertung vorsehen und unter Artikel 101 Absatz 1 fallen, die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllen, vor allem, wenn diese Rechte angesichts des Marktes, der Risiken und des Umfangs der für die Verwertung der Ergebnisse der Forschung und Entwicklung erforderlichen Investitionen wirtschaftlich unerlässlich sind.

3.4.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

3.4.1.   Effizienzgewinne

141.

Viele FuE-Vereinbarungen führen – mit oder ohne gemeinsame Verwertung möglicher Ergebnisse – durch Bündelung komplementärer Fähigkeiten und Vermögenswerte zu Effizienzgewinnen und damit zu einer schnelleren Entwicklung und Vermarktung verbesserter oder neuer Produkte und Technologien, als dies ohne Vereinbarung der Fall wäre. FuE-Vereinbarungen können auch eine größere Verbreitung von Wissen zur Folge haben, was wiederum Innovationen befördern kann. Zudem können FuE-Vereinbarungen Kostensenkungen ermöglichen.

3.4.2.   Unerlässlichkeit

142.

Wettbewerbsbeschränkungen, die weiter gehen, als zur Erzielung der mit einer FuE-Vereinbarung angestrebten Effizienzgewinne notwendig ist, erfüllen nicht die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3. Bei Vorliegen der in Artikel 5 der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung aufgeführten Beschränkungen kann es weniger wahrscheinlich sein, dass nach einer Einzelfallprüfung festgestellt wird, dass die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt sind. Die Parteien einer FuE-Vereinbarung werden daher im Allgemeinen nachweisen müssen, dass diese Beschränkungen für die Zusammenarbeit unerlässlich sind.

3.4.3.   Weitergabe an die Verbraucher

143.

Durch unerlässliche Beschränkungen erzielte Effizienzgewinne müssen in einem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen der FuE-Vereinbarung überwiegen. Zum Beispiel müssen die Vorteile der Markteinführung neuer oder verbesserter Produkte die Nachteile in Form von Preiserhöhungen oder anderen wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen. Im Allgemeinen ist es eher wahrscheinlich, dass eine FuE-Vereinbarung Effizienzgewinne erzeugt, die den Verbrauchern Vorteile bringen, wenn die FuE-Vereinbarung zur Bündelung komplementärer Fähigkeiten und Vermögenswerte führt. Die Parteien einer Vereinbarung können zum Beispiel über unterschiedliche Forschungskapazitäten verfügen. Wenn dagegen die Fähigkeiten und Vermögenswerte der Parteien sehr ähnlich sind, dürfte die FuE-Vereinbarung vor allem zur Folge haben, dass eine oder mehrere der Parteien Forschung und Entwicklung ganz oder teilweise einstellen. Für die Parteien der Vereinbarung würden dadurch zwar (feste) Kosten wegfallen, es ist aber unwahrscheinlich, dass sich daraus Vorteile ergeben, die an die Verbraucher weitergegeben werden könnten. Und je mehr Marktmacht die Parteien haben, desto weniger wahrscheinlicher ist es, dass sie die Effizienzgewinne in einem Maße an die Verbraucher weitergeben, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen.

3.4.4.   Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

144.

Die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 können nicht erfüllt sein, wenn die Vereinbarung den Parteien die Möglichkeit eröffnet, für einen beträchtlichen Teil der betreffenden Produkte oder Technologien den Wettbewerb auszuschalten.

3.4.5.   Zeitpunkt der Prüfung

145.

Die Prüfung nach Artikel 101 Absatz 3 erfolgt in dem konkreten Zusammenhang der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und auf der Grundlage des zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebenen Sachverhalts. Wesentliche Änderungen des Sachverhalts werden bei der Prüfung berücksichtigt. Die Ausnahmeregelung des Artikels 101 Absatz 3 findet Anwendung, solange die vier Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt sind, und findet keine Anwendung mehr, wenn dies nicht mehr der Fall ist. Bei der Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 nach diesen Grundsätzen müssen die verlorenen Erstinvestitionen (sunk investment) der Parteien berücksichtigt werden sowie der Zeitraum und die Wettbewerbsbeschränkungen, die erforderlich sind, um eine leistungssteigernde Investition vorzunehmen und ihre Kosten zu amortisieren. Eine Anwendung von Artikel 101 ohne angemessene Berücksichtigung der vorausgegangenen Investitionen ist nicht möglich. Das Risiko, vor dem die Parteien stehen, und die verlorenen Investitionen, die zur Umsetzung der Vereinbarung vorgenommen werden müssen, können somit bewirken, dass die Vereinbarung nicht unter Artikel 101 Absatz 1 fällt bzw. die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 für den Zeitraum erfüllt, der erforderlich ist, um die Investitionskosten zu amortisieren. Sollte für die sich aus der Investition ergebende Erfindung irgendeine Form von Exklusivität gelten, die den Parteien nach Vorschriften zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums gewährt wird, so wird der Amortisierungszeitraum für diese Investition im Allgemeinen nicht über den Exklusivitätszeitraum nach diesen Vorschriften hinausgehen.

146.

In einigen Fällen ist die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung ein irreversibles Ereignis. Wenn die Vereinbarung einmal umgesetzt ist, kann die Ausgangslage nicht wiederhergestellt werden. In diesen Fällen muss die Prüfung allein anhand des zum Zeitpunkt der Umsetzung gegebenen Sachverhalts erfolgen. So kann es zum Beispiel im Falle einer FuE-Vereinbarung, in deren Rahmen die Parteien übereinkommen, ihre jeweiligen Forschungsarbeiten einzustellen und ihre Kapazitäten zusammenzulegen, technisch und wirtschaftlich objektiv unmöglich sein, ein einmal aufgegebenes Projekt wieder aufzunehmen. Die Prüfung der wettbewerbswidrigen und der wettbewerbsfördernden Auswirkungen der Vereinbarung, die individuellen Forschungsprojekte einzustellen, muss daher zu dem Zeitpunkt erfolgen, an dem die Umsetzung abgeschlossen ist. Wenn die Vereinbarung zu diesem Zeitpunkt mit Artikel 101 vereinbar ist, zum Beispiel. weil eine ausreichende Zahl konkurrierender FuE-Projekte von Dritten betrieben wird, bleibt die Übereinkunft der Parteien, ihre eigenen Projekte aufzugeben, mit Artikel 101 vereinbar, selbst wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Drittprojekte nicht erfolgreich sind. Artikel 101 kann jedoch auf andere Teile der Vereinbarung anwendbar sein, für die sich die Frage der Irreversibilität nicht stellt. Wenn eine Vereinbarung zum Beispiel neben der gemeinsamen Forschung und Entwicklung auch die gemeinsame Verwertung umfasst, kann Artikel 101 auf diesen Teil der Vereinbarung anwendbar sein, sofern sie aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Marktentwicklungen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat und die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 nicht (mehr) erfüllt, wobei die verlorenen Ex-ante-Investitionen angemessen zu berücksichtigen sind.

3.5.   Beispiele

147.

Auswirkungen gemeinsamer Forschung und Entwicklung auf Innovationsmärkte/neue Produktmärkte

Beispiel 1

Sachverhalt: A und B sind die führenden Unternehmen auf dem unionsweiten Markt für die Herstellung bestehender elektronischer Bauelemente. Beide haben einen Marktanteil von 30 %. Sie haben beide erhebliche FuE-Investitionen zur Entwicklung elektronischer Miniaturkomponenten vorgenommen und erste Prototypen entwickelt. Nunmehr beschließen sie, ihre FuE-Arbeiten zu bündeln und ein Joint Venture für die Vervollständigung von Forschung und Entwicklung und die Herstellung der Komponenten zu gründen, die an die Muttergesellschaften verkauft werden, von denen sie wiederum getrennt auf den Markt gebracht werden. Der übrige Markt verteilt sich auf kleine Unternehmen, die nicht über ausreichende Ressourcen für die notwendigen Investitionen verfügen.

Analyse: Elektronische Miniaturkomponenten mögen zwar auf einigen Gebieten mit den bestehenden Komponenten im Wettbewerb stehen, sind im Wesentlichen jedoch eine neue Technologie, weshalb die diesem künftigen Markt gewidmeten Forschungspole untersucht werden müssen. Ist das Joint Venture erfolgreich, so wird es nur einen Weg zu der entsprechenden Herstellungstechnologie geben, während A und B getrennt mit eigenen Produkten wahrscheinlich die Marktreife erreichen könnten. Die Vereinbarung beschränkt somit die Produktvielfalt. Die gemeinsame Produktion dürfte auch den Wettbewerb zwischen den Parteien der Vereinbarung unmittelbar beschränken und sie dazu verleiten, sich über Output, Qualität oder andere wettbewerbsrelevante Parameter zu verständigen. Dadurch würde der Wettbewerb beschränkt, auch wenn jede Partei die Produkte selbst vermarktet. Die Parteien könnten zum Beispiel die Produktion des Joint Ventures beschränken, so dass eine geringere Menge von Waren auf den Markt kommt, als wenn jede Partei selbst über ihren Output entschieden hätte. Das Joint Venture könnte den Parteien auch einen hohen Verrechnungspreis in Rechnung stellen, so dass die Inputkosten der Parteien steigen, was höhere Preise auf nachgelagerten Märkten zur Folge haben könnte. Die Parteien haben auf dem bestehenden nachgelagerten Markt einen großen gemeinsamen Marktanteil, der übrige Markt verteilt sich auf eine Vielzahl kleiner Anbieter. Dieses Verhältnis dürfte auf dem neuen nachgelagerten Produktmarkt noch ausgeprägter sein, da die kleineren Wettbewerber nicht in neue Komponenten investieren können. Es ist daher ziemlich wahrscheinlich, dass die gemeinsame Produktion den Wettbewerb beschränkt. Darüber hinaus dürfte sich der Markt für elektronische Miniaturkomponenten in Zukunft zu einem Duopolmarkt entwickeln, auf dem in hohem Maße eine Angleichung der Kosten stattfindet und sensible Geschäftsinformationen zwischen den Parteien ausgetauscht werden. Daher könnte auch eine ernste Gefahr wettbewerbswidriger Koordinierung bestehen, die zu einem Kollusionsergebnis auf diesem Markt führt. Dass die FuE-Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat, ist daher wahrscheinlich. Mit der Vereinbarung könnten zwar Effizienzgewinne in Form einer schnelleren Einführung der neuen Technologie erzielt werden, die Parteien wären jedoch auf der FuE-Ebene keinem Wettbewerb ausgesetzt, so dass sich für sie der Anreiz erheblich verringert, die Einführung der neuen Technologie zu beschleunigen. Wenn auch einige dieser Bedenken dadurch ausgeräumt werden könnten, dass sich die Parteien verpflichten, Dritten zu zumutbaren Bedingungen Lizenzen für das wesentliche Know-how zur Herstellung von Miniaturkomponenten zu erteilen, erscheint es unwahrscheinlich, dass auf diese Weise sämtliche Bedenken ausgeräumt und die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt werden können.

Beispiel 2

Sachverhalt: Das kleine Forschungsunternehmen A, das keine eigene Marketingorganisation unterhält, hat mit einer neuen Technologie eine pharmazeutische Substanz entdeckt und patentieren lassen, mit der neue Wege zur Behandlung einer bestimmten Krankheit beschritten werden können. A geht eine FuE-Vereinbarung mit dem großen Arzneimittelhersteller B ein, dessen Produkte bisher für die Behandlung dieser Krankheit verwendet worden sind. B verfügt über kein vergleichbares Fachwissen und FuE-Programm und wäre auch nicht in der Lage, entsprechendes Fachwissen innerhalb einer angemessenen Frist aufzubauen. Bei den bestehenden Produkten hält B einen Marktanteil von rund 75 % in sämtlichen Mitgliedstaaten, seine Patente laufen jedoch in den nächsten fünf Jahren aus. Es gibt zwei weitere Forschungspole bei anderen Unternehmen, die sich ungefähr in der gleichen Entwicklungsphase befinden und die gleiche neue Grundlagentechnologie anwenden. B wird umfangreiche Geldmittel und Know-how für die Produktentwicklung bereitstellen und den künftigen Zugang zum Markt ermöglichen. Für die Laufzeit des Patents erhält B eine Lizenz als Alleinhersteller und Alleinvertriebshändler für das neue Produkt. Es wird erwartet, dass das Produkt in fünf bis sieben Jahren auf den Markt gebracht werden kann.

Analyse: Das Produkt gehört voraussichtlich einem neuen relevanten Markt an. Die Partner bringen komplementäre Ressourcen und Fähigkeiten in die Zusammenarbeit ein, und die Wahrscheinlichkeit, dass das Produkt auf den Markt kommt, nimmt erheblich zu. Zwar dürfte B auf dem bestehenden Markt eine erhebliche Marktmacht haben, die aber in Kürze abnehmen wird. Die Vereinbarung wird nicht zu einem Verlust von Forschung und Entwicklung bei B führen, da das Unternehmen auf diesem Forschungsgebiet nicht über Fachwissen verfügt, und wegen des Vorhandenseins weiterer Forschungspole besteht kein Anreiz, die FuE-Anstrengungen zu verringern. B wird die Verwertungsrechte während der verbleibenden Patentlaufzeit benötigen, um die erforderlichen umfangreichen Investitionen tätigen zu können, außerdem hat A keine eigenen Marketingressourcen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben wird. Und selbst wenn solche Auswirkungen festgestellt würden, wären wahrscheinlich die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt.

148.

Gefahr der Marktverschließung

Beispiel 3

Sachverhalt: Das kleine Forschungsunternehmen A, das keine eigene Marketingorganisation unterhält, hat eine neue Technologie entdeckt und patentieren lassen, die den Markt für ein bestimmtes Produkt tiefgreifend verändern wird, auf dem der Hersteller B ein weltweites Monopol besitzt, da kein Wettbewerber mit seiner derzeitigen Technologie konkurrieren kann. Es gibt zwei weitere Forschungspole bei anderen Unternehmen, die sich ungefähr in der gleichen Entwicklungsphase befinden und die gleiche neue Grundlagentechnologie anwenden. B wird umfangreiche Geldmittel und Know-how für die Produktentwicklung bereitstellen und den künftigen Zugang zum Markt ermöglichen. Für die Laufzeit des Patents erhält B eine ausschließliche Lizenz für die Nutzung der Technologie und verpflichtet sich im Gegenzug, nur die Entwicklung der Technologie von A zu finanzieren.

Analyse: Das Produkt gehört voraussichtlich einem neuen relevanten Markt an. Die Partner bringen komplementäre Ressourcen und Fähigkeiten in die Zusammenarbeit ein, und die Wahrscheinlichkeit, dass das Produkt auf den Markt kommt, nimmt erheblich zu. Die Tatsache, dass B eine Verpflichtung in Bezug auf die Technologie von A eingeht, könnte es jedoch wahrscheinlich machen, dass die beiden konkurrierenden Forschungspole ihre Projekte aufgeben, da die weitere Finanzierung schwierig sein könnte, nachdem sie den wahrscheinlichsten potenziellen Abnehmer für ihre Technologie verloren haben. In einem solchen Fall sind potenzielle Wettbewerber künftig nicht in der Lage, die Monopolstellung von B anzugreifen. Die marktverschließende Wirkung der Vereinbarung würde dann wahrscheinlich als wettbewerbsbeschränkende Auswirkung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 angesehen. Um für die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 in Betracht zu kommen, müssten die Parteien nachweisen, dass die gewährte Ausschließlichkeit unerlässlich ist, um die neue Technologie auf den Markt zu bringen.

Beispiel 4

Sachverhalt: Unternehmen A verfügt auf dem Markt, dem ein von ihm hergestelltes verkaufsstarkes Arzneimittel („Blockbuster“) angehört, über Marktmacht. Das kleine Unternehmen B, das pharmazeutische Forschung und Entwicklung betreibt und pharmazeutische Wirkstoffe herstellt, hat ein neues Verfahren entdeckt und zum Patent angemeldet, mit dem der Wirkstoff des Blockbuster-Arzneimittels von A wirtschaftlicher hergestellt werden könnte, und versucht, dieses Verfahren für die industrielle Produktion weiterzuentwickeln. Das Stoffpatent für den Wirkstoff des Blockbuster-Arzneimittels läuft in weniger als drei Jahren aus, mehrere Verfahrenspatente für das Arzneimittel werden dann noch weitergelten. B ist der Auffassung, dass das von ihm entwickelte Verfahren die bestehenden Verfahrenspatente von A nicht verletzt und die Produktion einer generischen Version des Blockbuster-Arzneimittels möglich ist, sobald das Stoffpatent erloschen ist. B könnte das Produkt selbst herstellen und/oder interessierten Dritten, zum Beispiel Generikaherstellern oder A, Lizenzen für das Verfahren erteilen. Vor Abschluss seiner Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet schließt B jedoch eine Vereinbarung mit A, nach der A einen finanziellen Beitrag zu dem von B durchgeführten FuE-Projekt leistet und im Gegenzug eine ausschließliche Lizenz für die Patente erwirbt, die B im Zusammenhang mit dem FuE-Projekt erlangt. Auch zwei unabhängige Forschungspole entwickeln ein nicht patentverletzendes Verfahren für die Herstellung des Blockbuster-Arzneimittels, es ist aber noch nicht abzusehen, ob sie die Phase der industriellen Produktion erreichen werden.

Analyse: Das von B zum Patent angemeldete Verfahren ermöglicht nicht die Herstellung eines neuen Produkts, sondern verbessert lediglich ein bestehendes Herstellungsverfahren. Unternehmen A verfügt auf dem bestehenden Markt, dem sein Blockbuster-Arzneimittel angehört, über Marktmacht. Diese würde zwar erheblich geschwächt, wenn tatsächlich Generikahersteller als konkurrierende Anbieter in den Markt einträten, die ausschließliche Lizenz schließt aber Dritte vom Zugang zu dem von Unternehmen B entwickelten Verfahren aus, verzögert möglicherweise die Markteinführung von Generika (nicht zuletzt, weil das Produkt noch durch Verfahrenspatente geschützt ist) und beschränkt somit den Wettbewerb im Sinne von Artikel 101 Absatz 1. Da Unternehmen A und B potenzielle Wettbewerber sind und der Anteil von Unternehmen B an dem Markt, dem das Blockbuster-Arzneimittel angehört, mehr als 25 % beträgt, findet die FuE-Gruppenfreistellungsverordnung keine Anwendung. Die mit dem neuen Herstellungsverfahren erzielten Kosteneinsparungen bei A überwiegen die Wettbewerbsbeschränkung allerdings nicht. Außerdem ist die ausschließliche Lizenz für die Einsparungen im Produktionsprozess nicht unerlässlich. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Vereinbarung die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt.

149.

Auswirkungen der FuE-Zusammenarbeit auf dynamische Produkt- und Technologiemärkte und die Umwelt

Beispiel 5

Sachverhalt: Zwei Mechanik-Unternehmen, die Fahrzeugteile herstellen, vereinbaren die Bündelung ihrer FuE-Arbeiten in einem Joint Venture, um die Produktion und Leistung einer bestehenden Komponente zu verbessern. Die Produktion dieser Komponente hätte auch positive Auswirkungen auf die Umwelt, denn die damit ausgerüsteten Fahrzeuge würden weniger Kraftstoff verbrauchen und dementsprechend weniger CO2 ausstoßen. Die Unternehmen legen ihr bestehendes Technologie-Lizenzgeschäft in diesem Bereich zusammen, werden jedoch die Komponenten weiter getrennt herstellen und verkaufen. Der Marktanteil der beiden Unternehmen auf dem Erstausrüstermarkt der Union beträgt 15 % bzw. 20 %. Es gibt zwei weitere wichtige Wettbewerber sowie mehrere interne Forschungsprogramme großer Fahrzeughersteller. Auf dem Weltmarkt für die Erteilung von Lizenzen für die entsprechende Technologie halten die Parteien, gemessen an den erzielten Einnahmen, einen Anteil von 20 % bzw. 25 %; es gibt noch zwei andere wichtige Technologien für dieses Produkt. Der Produktzyklus der Komponente beträgt in der Regel zwei bis drei Jahre. In jedem der vergangenen fünf Jahre wurde von einem der führenden Unternehmen eine neue oder verbesserte Version eingeführt.

Analyse: Da die FuE-Arbeiten beider Unternehmen nicht auf ein völlig neues Produkt abzielen, sind sowohl der Markt für die bestehenden Komponenten als auch der Markt für die Erteilung von Lizenzen für die entsprechende Technologie heranzuziehen. Der gemeinsame Anteil der Parteien am Erstausrüstermarkt (35 %) und vor allem am Technologiemarkt (45 %) ist relativ hoch. Die Parteien werden die Komponenten jedoch weiter getrennt herstellen und verkaufen. Ferner gibt es mehrere konkurrierende Technologien, die regelmäßig verbessert werden. Außerdem sind auch die Fahrzeughersteller, die derzeit keine Lizenzen für ihre Technologien erteilen, potenzielle neue Anbieter auf dem Technologiemarkt und schränken somit die Möglichkeiten der Parteien ein, die Preise gewinnbringend zu erhöhen. Wenn das Joint Venture den Wettbewerb im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 beschränken würde, wären wahrscheinlich auch die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt. Bei der Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3 wäre zu berücksichtigen, dass den Verbrauchern der niedrigere Kraftstoffverbrauch zugutekommt.

4.   VEREINBARUNGEN ÜBER DIE GEMEINSAME PRODUKTION

4.1.   Definition und Geltungsbereich

150.

Form und Geltungsbereich von Produktionsvereinbarungen sind sehr unterschiedlich. Die Produktion kann von nur einer Partei oder von zwei oder mehr Parteien übernommen werden. Die Unternehmen können gemeinsam in einem Joint Venture produzieren, also einem gemeinsam kontrollierten Unternehmen, das eine oder mehrere Produktionsanlagen betreibt, oder in einer lockereren Form der Zusammenarbeit bei der Produktion wie Zuliefervereinbarungen, mit denen eine Partei (der „Auftraggeber“) eine andere Partei (den „Zulieferer“) mit der Herstellung einer Ware betraut.

151.

Es gibt verschiedene Arten von Zuliefervereinbarungen. Horizontale Zuliefervereinbarungen werden zwischen Unternehmen geschlossen, die auf demselben Produktmarkt tätig sind, unabhängig davon, ob es sich um tatsächliche oder um potenzielle Wettbewerber handelt. Vertikale Zuliefervereinbarungen werden zwischen Unternehmen geschlossen, die auf verschiedenen Stufen des Marktes tätig sind.

152.

Zu den horizontalen Zuliefervereinbarungen gehören Vereinbarungen über die einseitige und die gegenseitige Spezialisierung sowie Zuliefervereinbarungen zur Produktionsausweitung. Vereinbarungen über die einseitige Spezialisierung sind Vereinbarungen zwischen zwei auf demselben sachlich relevanten Markt bzw. denselben sachlich relevanten Märkten tätigen Parteien, mit denen sich die eine Vertragspartei verpflichtet, die Produktion bestimmter Produkte ganz oder teilweise einzustellen oder von deren Produktion abzusehen und diese Produkte von der anderen Partei zu beziehen, die sich ihrerseits verpflichtet, diese Produkte zu produzieren und zu liefern. Vereinbarungen über die gegenseitige Spezialisierung sind Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr auf demselben sachlich relevanten Markt bzw. denselben sachlich relevanten Märkten tätigen Parteien, mit denen sich zwei oder mehr Parteien auf der Grundlage der Gegenseitigkeit verpflichten, die Produktion bestimmter, aber unterschiedlicher Produkte ganz oder teilweise einzustellen oder von deren Produktion abzusehen und diese Produkte von den anderen Parteien zu beziehen, die sich ihrerseits verpflichten, diese Produkte zu produzieren und zu liefern. Im Falle von Zuliefervereinbarungen zur Produktionsausweitung betraut der Auftraggeber den Zulieferer mit der Produktion einer Ware, stellt jedoch gleichzeitig weder seine eigene Produktion der Ware ein noch begrenzt er sie.

153.

Diese Leitlinien gelten für alle Formen von Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion und von horizontalen Zuliefervereinbarungen. Unter bestimmten Voraussetzungen können Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion sowie Vereinbarungen über die einseitige und die gegenseitige Spezialisierung unter die Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen fallen.

154.

Vertikale Zuliefervereinbarungen sind nicht Gegenstand dieser Leitlinien. Sie können unter die Leitlinien für vertikale Beschränkungen und unter bestimmten Voraussetzungen unter die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Beschränkungen fallen. Zudem kann auf sie die Bekanntmachung der Kommission vom 18. Dezember 1978 über die Beurteilung von Zulieferverträgen nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages (91) („Bekanntmachung über die Beurteilung von Zulieferverträgen“) Anwendung finden.

4.2.   Relevante Märkte

155.

Um die Wettbewerbsbeziehungen zwischen den zusammenarbeitenden Parteien untersuchen zu können, müssen zunächst die von der Zusammenarbeit in der Produktion unmittelbar betroffenen Märkte abgegrenzt werden, d. h. die Märkte, denen die gemäß der Produktionsvereinbarung hergestellten Produkte angehören.

156.

Eine Produktionsvereinbarung kann auch Spillover-Effekte auf Märkten haben, die Nachbarn des von der Zusammenarbeit unmittelbar betroffenen Marktes sind, zum Beispiel auf vor- oder nachgelagerten Märkten (den „Spillover-Märkten“) (92). Die Spillover-Märkte dürften relevant sein, wenn die Märkte voneinander abhängig sind und die Parteien auf dem Spillover-Markt eine starke Stellung innehaben.

4.3.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

4.3.1.   Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

157.

Produktionsvereinbarungen können zu einer unmittelbaren Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Parteien führen. Produktionsvereinbarungen und insbesondere Produktions-Joint-Ventures können die Parteien dazu verleiten, Produktionsmengen und Qualität, die Preise, zu denen das Joint Venture seine Produkte verkauft, oder andere wettbewerbsrelevante Parameter direkt anzugleichen. Dadurch kann der Wettbewerb beschränkt werden, auch wenn die Parteien die Produkte unabhängig voneinander vermarkten.

158.

Produktionsvereinbarungen können auch zu einer Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens der Parteien als Anbieter führen und höhere Preise oder geringere Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt oder Innovation, also ein Kollusionsergebnis zur Folge haben. Sofern die Parteien über Marktmacht verfügen und die Marktmerkmale eine solche Koordinierung begünstigen, kann dies insbesondere dann der Fall sein, wenn die Angleichung der Kosten der Parteien (d. h. der Anteil der variablen Kosten, die den Parteien gemein sind) aufgrund der Produktionsvereinbarung einen Grad erreicht, der ihnen ein Kollusionsergebnis ermöglicht, oder wenn die Vereinbarung einen Austausch sensibler Geschäftsinformationen vorsieht, der zu einem Kollusionsergebnis führen kann.

159.

Produktionsvereinbarungen können darüber hinaus zu einer wettbewerbswidrigen Verschließung eines verbundenen Marktes gegenüber Dritten führen (zum Beispiel eines nachgelagerten Marktes, der von Vorleistungen des Marktes, für den die Produktionsvereinbarung geschlossen wird, abhängig ist). Wenn zum Beispiel gemeinsam produzierende Parteien genügend Marktmacht auf einem vorgelagerten Markt erlangen, können sie den Preis einer wesentlichen Komponente für einen nachgelagerten Markt erhöhen. Auf diese Weise können sie die gemeinsame Produktion nutzen, um die Kosten ihrer Konkurrenten auf nachgelagerten Märkten in die Höhe zu treiben und sie letztlich vom Markt zu verdrängen. Dies wiederum würde die Marktmacht der Parteien auf den nachgelagerten Märkten stärken und sie möglicherweise in die Lage versetzen, die Preise oberhalb des Wettbewerbsniveaus zu halten oder den Verbrauchern auf andere Weise zu schaden. Derartige Wettbewerbsprobleme können unabhängig davon auftreten, ob die Parteien der Vereinbarung auf dem Markt, auf dem die Zusammenarbeit stattfindet, Wettbewerber sind. Damit diese Form der Marktverschließung wettbewerbswidrige Auswirkungen hat, muss jedoch mindestens eine der Parteien auf dem Markt, für den die Gefahr der Verschließung festgestellt wird, eine starke Stellung innehaben.

4.3.2.   Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

160.

Vereinbarungen, mit denen Preise festgesetzt, die Produktion beschränkt oder Märkte oder Kunden aufgeteilt werden, sind im Allgemeinen bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. Für Produktionsvereinbarungen gilt dies jedoch nicht, sofern

die Parteien den unmittelbar unter die Produktionsvereinbarung fallenden Output vereinbaren (zum Beispiel die Kapazität oder das Produktionsvolumen eines Joint Ventures oder die Menge der Outsourcing-Produkte), vorausgesetzt, dass die übrigen Wettbewerbsparameter nicht ausgeschaltet werden, oder

in einer Produktionsvereinbarung, die auch den gemeinsamen Vertrieb der gemeinsam hergestellten Produkte umfasst, die gemeinsame Festsetzung der Verkaufspreise für diese Produkte, aber auch nur für diese Produkte vorgesehen ist, vorausgesetzt, dass diese Beschränkung für die gemeinsame Produktion erforderlich ist, dass also andernfalls kein Anreiz für die Parteien bestünde, die Produktionsvereinbarung überhaupt zu schließen.

161.

In diesen beiden Fällen sind die wahrscheinlichen wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 zu prüfen. Dabei wird die Vereinbarung über den Output oder die Preise nicht getrennt gewürdigt, sondern unter Berücksichtigung aller Auswirkungen, die die Produktionsvereinbarung insgesamt auf den Markt hat.

4.3.3.   Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

162.

Ob die Wettbewerbsprobleme, die Produktionsvereinbarungen aufwerfen können, tatsächlich auftreten, hängt von den Merkmalen des Marktes ab, für den die Produktionsvereinbarung geschlossen wird, sowie von der Art und der Marktabdeckung der Zusammenarbeit und des Produkts, die sie betrifft. Diese Variablen bestimmen die wahrscheinlichen Auswirkungen einer Produktionsvereinbarung auf den Wettbewerb und damit die Anwendbarkeit von Artikel 101 Absatz 1.

163.

Ob es wahrscheinlich ist, dass eine Produktionsvereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat, hängt von der Situation ab, die ohne die Vereinbarung und alle damit mutmaßlich verbundenen Beschränkungen bestehen würde. Bei Produktionsvereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf den Märkten, auf denen die Zusammenarbeit stattfindet, miteinander im Wettbewerb stehen, sind wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen daher nicht wahrscheinlich, wenn infolge der Zusammenarbeit ein neuer Markt entsteht, d. h. wenn die Vereinbarung die Parteien in die Lage versetzt, eine neue Ware oder Dienstleistung einzuführen, was den Parteien aufgrund objektiver Faktoren, zum Beispiel wegen ihrer technischen Möglichkeiten, andernfalls nicht möglich gewesen wäre.

164.

In einigen Branchen, in denen die Produktion den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit bildet, kann selbst eine reine Produktionsvereinbarung wesentliche Elemente des Wettbewerbs ausschalten und dadurch den Wettbewerb zwischen den Parteien der Vereinbarung unmittelbar beschränken.

165.

Eine Produktionsvereinbarung kann aber auch zu einem Kollusionsergebnis führen oder eine wettbewerbswidrige Marktverschließung zur Folge haben, indem die Marktmacht der Unternehmen zunimmt, ihre Kosten sich stärker angleichen oder sensible Geschäftsinformationen ausgetauscht werden. Dagegen ist eine unmittelbare Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Parteien, ein Kollusionsergebnis oder eine wettbewerbswidrige Marktverschließung unwahrscheinlich, wenn die Parteien der Vereinbarung auf dem Markt, für den die wettbewerbsrechtlichen Bedenken geprüft werden, keine Marktmacht haben. Nur mit Marktmacht können sie die Preise gewinnbringend oberhalb des Wettbewerbsniveaus halten oder die Produktmenge, -qualität oder -vielfalt gewinnbringend unterhalb des Niveaus halten, das der Wettbewerb bestimmen würde.

166.

In Fällen, in denen ein Unternehmen mit Marktmacht auf einem Markt mit einem potenziellen neuen Wettbewerber, zum Beispiel einem Anbieter desselben Produkts auf einem benachbarten geografischen Markt oder Produktmarkt zusammenarbeitet, kann die Vereinbarung die Marktmacht des etablierten Unternehmens stärken. Dies kann wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, wenn auf dem Markt des etablierten Unternehmens kaum Wettbewerb besteht und der drohende Marktzutritt eine wichtige Quelle von Wettbewerbsdruck ist.

167.

Bei Produktionsvereinbarungen, die Vermarktungsfunktionen wie gemeinsamen Vertrieb oder gemeinsames Marketing umfassen, ist die Gefahr wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen größer als bei Vereinbarungen, die lediglich die gemeinsame Produktion betreffen. Im Falle gemeinsamer Vermarktung liegt die Zusammenarbeit näher am Verbraucher und umfasst in der Regel die gemeinsame Festsetzung von Preisen und Verkaufszahlen, also die Praktiken mit den höchsten Risiken für den Wettbewerb. Bei Vereinbarungen über den gemeinsamen Vertrieb gemeinsam hergestellter Produkten ist jedoch die Wahrscheinlichkeit einer Wettbewerbsbeschränkung geringer als bei eigenständigen Vereinbarungen über den gemeinsamen Vertrieb. Außerdem ist bei einer Vereinbarung über den gemeinsamen Vertrieb, die die Vereinbarung über die gemeinsame Produktion erst ermöglicht, eine Wettbewerbsbeschränkung weniger wahrscheinlich, als wenn sie nicht für die gemeinsame Produktion erforderlich wäre.

Marktmacht

168.

Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen einer Produktionsvereinbarung sind unwahrscheinlich, wenn die Parteien der Vereinbarung auf dem Markt, für den eine Wettbewerbsbeschränkung geprüft wird, keine Marktmacht haben. Ausgangspunkt der Prüfung, ob Marktmacht vorliegt, ist der Marktanteil der Parteien. Anschließend werden in der Regel der Konzentrationsgrad und die Zahl der Anbieter auf dem Markt sowie andere dynamische Faktoren wie potenzielle Marktzutritte und Veränderungen bei den Marktanteilen geprüft.

169.

Unterhalb eines bestimmten Marktanteils ist es unwahrscheinlich, dass ein Unternehmen Marktmacht besitzt. Deshalb fallen Vereinbarungen über die einseitige oder die gegenseitige Spezialisierung sowie Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion mit bestimmten integrierten Vermarktungsfunktionen (zum Beispiel gemeinsamer Vertrieb) unter die Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen, sofern sie zwischen Parteien mit einem gemeinsamen Anteil an den relevanten Märkten von nicht mehr als 20 % geschlossen werden und die übrigen Voraussetzungen für die Anwendung der Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen erfüllt sind. Auch bei horizontalen Zuliefervereinbarungen zur Produktionsausweitung ist es in den meisten Fällen unwahrscheinlich, dass Marktmacht besteht, wenn die Parteien der Vereinbarung einen gemeinsamen Marktanteil von nicht mehr als 20 % haben. Liegt der gemeinsame Marktanteil der Parteien nicht über 20 %, so ist es ohnehin wahrscheinlich, dass die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt sind.

170.

Liegt der gemeinsame Marktanteil der Parteien jedoch über 20 %, so müssen die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen geprüft werden, da die Vereinbarung dann nicht unter die Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen bzw. in den unter Randnummer 169, Sätze 3 und 4 genannten geschützten Bereich („safe harbour“) für horizontale Zulieferverträge zur Ausweitung der Produktion fällt. Ein geringfügig höherer Marktanteil als nach der Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen oder für den in Randnummer 169, Sätze 3 und 4 genannten geschützten Bereich zulässig lässt jedoch nicht automatisch auf einen stark konzentrierten Markt schließen, der ein wichtiges Prüfungselement darstellt. Ein gemeinsamer Marktanteil der Parteien von etwas mehr als 20 % kann auf einem mäßig konzentrierten Markt auftreten. Dass eine Produktionsvereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat, ist im Allgemeinen auf einem konzentrierten Markt wahrscheinlicher als auf einem nicht konzentrierten Markt. Desgleichen kann eine Produktionsvereinbarung auf einem konzentrierten Markt die Gefahr eines Kollusionsergebnisses erhöhen, selbst wenn die Parteien nur einen mäßigen gemeinsamen Marktanteil haben.

171.

Auch bei hohem Marktanteil der Parteien der Vereinbarung und starker Marktkonzentration kann die Gefahr wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen gering sein, wenn der Markt dynamisch ist, d. h. wenn es Marktzutritte gibt und sich die Marktstellung häufig verändert.

172.

Für die Prüfung, ob die Parteien einer Produktionsvereinbarung Marktmacht haben, sind auch die Zahl und die Intensität der Verbindungen (zum Beispiel weitere Vereinbarungen über Zusammenarbeit) zwischen den Wettbewerbern auf dem Markt von Bedeutung.

173.

Für die wettbewerbsrechtliche Würdigung der Vereinbarung ist es wichtig, ob die Parteien der Vereinbarung hohe Marktanteile haben, ob sie in engem Wettbewerb miteinander stehen, ob die Möglichkeiten der Kunden für einen Anbieterwechsel begrenzt sind, ob es unwahrscheinlich ist, dass Wettbewerber im Falle einer Preissteigerung ihr Angebot erweitern, und ob eine der Parteien der Vereinbarung ein wichtiger Wettbewerber ist.

Unmittelbare Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Parteien

174.

Der Wettbewerb zwischen den Parteien einer Produktionsvereinbarung kann auf verschiedene Weise unmittelbar beschränkt sein. Die an einem Produktions-Joint-Venture beteiligten Parteien könnten zum Beispiel die Produktion des Joint Ventures beschränken, so dass eine geringere Menge von Waren auf den Markt kommt, als wenn jede Partei selbst über ihren Output entschieden hätte. Wenn die wichtigsten Merkmale in der Produktionsvereinbarung festgelegt werden, können dadurch die wesentlichen Elemente des Wettbewerbs zwischen den Parteien ausgeschaltet und letztlich wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen verursacht werden. Ein anderes Beispiel wäre, dass das Joint Venture den Parteien einen hohen Verrechnungspreis in Rechnung stellt, so dass die Inputkosten der Parteien steigen, was höhere Preise auf nachgelagerten Märkten zur Folge haben könnte. Für die Wettbewerber könnte es gewinnbringend erscheinen, ihre Preise ebenfalls zu erhöhen, so dass auch sie zu höheren Preisen auf dem relevanten Markt beitragen.

Kollusionsergebnis

175.

Die Wahrscheinlichkeit eines Kollusionsergebnisses hängt von der Marktmacht der Parteien und den Merkmalen des relevanten Marktes ab. Ein Kollusionsergebnis kann insbesondere (aber nicht nur) dann entstehen, wenn die Produktionsvereinbarung eine Kostenangleichung oder einen Informationsaustausch zur Folge hat.

176.

Eine Produktionsvereinbarung zwischen Parteien mit Marktmacht kann wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, wenn die Angleichung ihrer Kosten (d. h. der Anteil der variablen Kosten, die den Parteien gemein sind) ein Niveau erreicht, das ihnen eine Kollusion ermöglicht. Maßgebend sind die variablen Kosten des Produkts, mit dem die Parteien der Produktionsvereinbarung miteinander im Wettbewerb stehen.

177.

Ein Kollusionsergebnis infolge einer Produktionsvereinbarung ist eher wahrscheinlich, wenn den Parteien bereits vor Abschluss der Vereinbarung ein hoher Anteil der variablen Kosten gemein ist, so dass der weitere Zuwachs (d. h. die Produktionskosten für das der Vereinbarung unterliegende Produkt) den Ausschlag für das Vorliegen eines Kollusionsergebnisses geben kann. Bei hohem Zuwachs kann die Gefahr eines Kollusionsergebnisses auch bei ursprünglich geringer Kostenangleichung groß sein.

178.

Die Angleichung der Kosten erhöht die Gefahr eines Kollusionsergebnisses nur, wenn auf die Produktionskosten ein großer Teil der betreffenden variablen Kosten entfällt. Dies ist beispielsweise nicht der Fall, wenn die Zusammenarbeit Produkte mit hohen Vermarktungskosten betrifft. Ein Beispiel wären neue oder heterogene Produkte, die ein aufwändiges Marketing erfordern oder hohe Transportkosten mit sich bringen.

179.

Ein anderer Fall, in dem die Angleichung der Kosten zu einem Kollusionsergebnis führen kann, wäre, dass die Parteien die gemeinsame Produktion eines Zwischenprodukts vereinbaren, auf das ein großer Teil der variablen Kosten des Endprodukts entfallen, mit dem die Parteien auf dem nachgelagerten Markt miteinander im Wettbewerb stehen. Die Parteien könnten die Produktionsvereinbarung nutzen, um den Preis für diese gemeinsame wichtige Vorleistung für ihre Produkte auf dem nachgelagerten Markt zu erhöhen. Dies würde den Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt schwächen und wahrscheinlich zu höheren Endpreisen führen. Der Gewinn würde vom nachgelagerten auf den vorgelagerten Markt verschoben und dann von den Parteien im Rahmen des Joint Ventures geteilt.

180.

Ebenso erhöht die Angleichung der Kosten die von einer horizontalen Zuliefervereinbarung ausgehenden Gefahren für den Wettbewerb, wenn auf die Vorleistung, die der Auftraggeber vom Zulieferer bezieht, ein großer Teil der variablen Kosten des Endprodukts entfällt, mit dem die Parteien miteinander im Wettbewerb stehen.

181.

Negative Auswirkungen des Informationsaustauschs werden nicht getrennt gewürdigt, sondern unter Berücksichtigung der Gesamtauswirkungen der Vereinbarung. Eine Produktionsvereinbarung kann wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, wenn sie einen Austausch strategisch wichtiger Geschäftsinformationen umfasst, der zu einem Kollusionsergebnis oder einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung führen kann. Ob es wahrscheinlich ist, dass der Informationsaustausch im Rahmen einer Produktionsvereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat, sollte nach Maßgabe des Kapitels 2 geprüft werden.

182.

Wenn der Informationsaustausch nicht über den Austausch der Daten hinausgeht, die für die gemeinsame Produktion der unter die Produktionsvereinbarung fallenden Waren erforderlich sind, dürfte der Informationsaustausch, selbst wenn er wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat, eher die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllen, als wenn er über das für die gemeinsame Produktion erforderliche Maß hinausgeht. In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass die sich aus der gemeinsamen Produktion ergebenden Effizienzgewinne die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen der Koordinierung des Verhaltens der Parteien überwiegen. Dagegen ist es weniger wahrscheinlich, dass die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt sind, wenn im Rahmen einer Produktionsvereinbarung Daten ausgetauscht werden, die für die gemeinsame Produktion nicht erforderlich sind, zum Beispiel Informationen über Preise und Verkaufszahlen.

4.4.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

4.4.1.   Effizienzgewinne

183.

Produktionsvereinbarungen können den Wettbewerb fördern, wenn sie zu Effizienzgewinnen in Form von Kosteneinsparungen oder besseren Produktionstechnologien führen. Indem sie gemeinsam produzieren, können Unternehmen Kosten einsparen, die sie anderenfalls vervielfachen würden. Ferner können sie zu niedrigeren Kosten produzieren, wenn die Zusammenarbeit sie in die Lage versetzt, die Produktion dann zu erhöhen, wenn die Grenzkosten bei steigendem Output, d. h. aufgrund von Größenvorteilen sinken. Die gemeinsame Produktion kann den Unternehmen auch bei der Verbesserung der Produktqualität helfen, wenn sie Fähigkeiten und Know-how in die Zusammenarbeit einbringen, die einander ergänzen. Außerdem kann die Zusammenarbeit die Unternehmen in die Lage versetzen, eine größere Vielfalt an Produkten anzubieten, die sie sich andernfalls nicht leisten oder nicht herstellen könnten. Wenn die gemeinsame Produktion es den Parteien ermöglicht, die Zahl der Produkttypen zu erhöhen, kann sie durch Verbundvorteile auch Kosteneinsparungen mit sich bringen.

4.4.2.   Unerlässlichkeit

184.

Wettbewerbsbeschränkungen, die weiter gehen, als zur Erzielung der mit einer Produktionsvereinbarung angestrebten Effizienzgewinne notwendig ist, erfüllen nicht die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3. So werden zum Beispiel Beschränkungen, die den Parteien in einer Produktionsvereinbarung für ihr Wettbewerbsverhalten hinsichtlich des Outputs außerhalb der Zusammenarbeit auferlegt werden, in der Regel nicht als unerlässlich angesehen. Ebenso können gemeinsam festgesetzte Preise nicht als unerlässlich gelten, wenn die Produktionsvereinbarung keine gemeinsame Vermarktung umfasst.

4.4.3.   Weitergabe an die Verbraucher

185.

Durch unerlässliche Beschränkungen erzielte Effizienzgewinne müssen in Form von niedrigeren Preisen, höherer Produktqualität oder größerer Produktvielfalt in einem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen. Effizienzgewinne, die nur den Parteien zugutekommen, oder Kosteneinsparungen, die auf einer Verringerung des Outputs oder einer Aufteilung des Marktes beruhen, sind keine ausreichende Grundlage für die Erfüllung der Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3. Wenn die Parteien der Produktionsvereinbarung Einsparungen bei ihren variablen Kosten erzielen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sie an die Verbraucher weitergeben, größer, als wenn sie ihre Fixkosten verringern. Und je mehr Marktmacht die Parteien haben, desto weniger wahrscheinlicher ist es, dass sie die Effizienzgewinne in einem Maße an die Verbraucher weitergeben, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen.

4.4.4.   Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

186.

Die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 können nicht erfüllt sein, wenn die Vereinbarung den Parteien die Möglichkeit eröffnet, für einen beträchtlichen Teil der betreffenden Produkte den Wettbewerb auszuschalten. Dies ist auf dem relevanten Markt, dem die unter die Zusammenarbeit fallenden Produkte angehören, und auf den möglichen Spill-over-Märkten zu prüfen.

4.5.   Beispiele

187.

Angleichung der Kosten und Kollusionsergebnisse

Beispiel 1

Sachverhalt: Die Unternehmen A und B, die das Produkt X anbieten, beschließen, ihre bestehenden, veralteten Produktionsanlagen zu schließen und eine größere, moderne und effizientere Produktionsanlage zu errichten, die von einem Joint Venture betrieben werden soll und über eine höhere Kapazität verfügen wird als die alten Anlagen von A und B zusammen. Die Wettbewerber, deren Anlagen voll ausgelastet sind, planen keine solchen Investitionen. A und B haben einen Marktanteil von 20 % bzw. 25 %. Ihre Produkte sind in einem bestimmten Segment des konzentrierten Marktes die nächsten Substitute. Der Markt ist transparent und befindet sich in Stagnation, es gibt keine Marktzutritte, und die Marktanteile sind über längere Zeit stabil geblieben. Die Produktionskosten stellen bei A und B einen großen Teil der variablen Kosten für X dar. Die Kosten und die strategische Bedeutung der Vermarktung sind im Vergleich zur Produktion gering: Die Kosten für Marketing sind niedrig, da es sich um eine homogene, eingeführte Ware handelt, und der Transport ist kein ausschlaggebender Wettbewerbsfaktor.

Analyse: Wenn die Unternehmen A und B alle oder den größten Teil ihrer variablen Kosten teilen, könnte diese Produktionsvereinbarung zu einer unmittelbaren Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Parteien führen. Sie könnte die Parteien dazu verleiten, die Produktion des Joint Ventures zu beschränken, so dass eine geringere Menge von Waren auf den Markt kommt, als wenn jede Partei selbst über ihren Output entschieden hätte. Angesichts der Kapazitätsengpässe bei den Wettbewerbern könnte diese Beschränkung höhere Preise zur Folge haben.

Selbst wenn die Unternehmen A und B nicht den größten, sondern nur einen erheblichen Teil ihrer variablen Kosten teilen würden, könnte diese Produktionsvereinbarung zu einem Kollusionsergebnis zwischen A und B führen und dadurch mittelbar den Wettbewerb zwischen den beiden Parteien ausschalten. Wie wahrscheinlich dies ist, hängt nicht nur von der Angleichung der (in diesem Fall hohen) Kosten, sondern auch von den Merkmalen des relevanten Marktes wie Transparenz, Stabilität und Konzentrationsgrad ab.

In beiden oben genannten Fällen ist es bei der Marktkonstellation in diesem Beispiel wahrscheinlich, dass das Produktions-Joint-Venture der Unternehmen A und B wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 auf dem Markt für X hätte.

Die Ersetzung zweier kleinerer, alter Produktionsanlagen durch eine größere, moderne und effizientere Anlage kann dazu führen, dass das Joint Venture zum Vorteil der Verbraucher größere Mengen zu niedrigeren Preisen produziert. Die Produktionsvereinbarung kann die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 aber nur erfüllen, wenn die Parteien durch substantiierten Vortrag den Nachweis erbringen, dass die Effizienzgewinne in einem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen.

188.

Verbindungen zwischen Wettbewerbern und Kollusionsergebnisse

Beispiel 2

Sachverhalt: Die Unternehmen A und B gründen ein Joint Venture für die Produktion des Produkts Y. Der Anteil der Unternehmen A und B am Markt für Y beträgt jeweils 15 %. Es gibt drei weitere Anbieter auf diesem Markt, nämlich die Unternehmen C, D und E mit einem Marktanteil von 30 %, 25 % bzw. 15 %. Unternehmen B betreibt bereits mit Unternehmen D eine gemeinsame Produktionsanlage.

Analyse: Der Markt ist durch sehr wenige Anbieter und eher symmetrische Strukturen gekennzeichnet. Mit der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen A und B würde eine zusätzliche Verbindung auf dem Markt geschaffen und damit die Konzentration verstärkt, da auch Unternehmen D mit A und B verbunden würde. Diese Zusammenarbeit würde wahrscheinlich die Gefahr eines Kollusionsergebnisses erhöhen und damit wahrscheinlich wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben. Die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 könnten nur im Falle erheblicher Effizienzgewinne, die in einem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen, erfüllt sein.

189.

Wettbewerbswidrige Verschließung eines nachgelagerten Marktes

Beispiel 3

Sachverhalt: Unternehmen A und B gründen ein Joint Venture, das ihre gesamte Produktion des Zwischenprodukts X übernimmt. Die Produktionskosten für X machen 70 % der variablen Kosten des Endprodukts Y aus, mit dem A und B auf dem nachgelagerten Markt miteinander im Wettbewerb stehen. Der Anteil von A und B am Markt für Y beträgt jeweils 20 %, es gibt nur wenige Marktzutritte, und die Marktanteile sind über längere Zeit stabil geblieben. Unternehmen A und B decken nicht nur ihren eigenen Bedarf an X, sondern verkaufen X auch auf dem Handelsmarkt, an dem sie einen Anteil von jeweils 40 % haben. Auf dem Markt für X bestehen hohe Zutrittsschranken, und die vorhandenen Hersteller sind fast voll ausgelastet. Auf dem Markt für Y gibt es zwei weitere wichtige Anbieter mit einem Marktanteil von jeweils 15 % und mehrere kleinere Wettbewerber. Mit der Vereinbarung werden Größenvorteile erzielt.

Analyse: Über das Produktions-Joint-Venture könnten die Unternehmen A und B die Lieferungen der wesentlichen Vorleistung X an ihre Wettbewerber auf dem Markt für Y weitgehend kontrollieren. Dies würde den Unternehmen A und B die Möglichkeit eröffnen, die Kosten ihrer Konkurrenten durch künstliche Erhöhung der Preise für X oder durch Verringerung des Outputs in die Höhe zu treiben. Dies könnte zu einer Verschließung des Marktes für Y gegenüber den Wettbewerbern von A und B führen. Wegen der wahrscheinlichen wettbewerbswidrigen Verschließung des nachgelagerten Marktes ist es wahrscheinlich, dass die Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat. Dass die mit dem Produktions-Joint-Venture erzielten Größenvorteile die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen, ist unwahrscheinlich, so dass die Vereinbarung aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt.

190.

Spezialisierungsvereinbarung als Marktaufteilung

Beispiel 4

Sachverhalt: die Unternehmen A und B stellen beide die Produkte X und Y her. Der Anteil von Unternehmen A am Markt für X beträgt 30 %, sein Anteil am Markt für Y 10 %. Der Anteil von Unternehmen B am Markt für X beträgt 10 %, sein Anteil am Markt für Y 30 %. Zur Erzielung von Größenvorteilen schließen sie eine Vereinbarung über die gegenseitige Spezialisierung, nach der Unternehmen A nur noch X und Unternehmen B nur noch Y produziert. Sie beliefern sich nicht gegenseitig mit der Ware, so dass Unternehmen A nur X und Unternehmen B nur Y verkauft. Die Parteien behaupten, sie würden durch diese Spezialisierung dank der Größenvorteile Kosten einsparen und durch die Konzentration auf ein einziges Produkt ihre Produktionstechnologien verbessern, was zu qualitativ besseren Produkten führen werde.

Analyse: Hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb auf dem Markt kommt diese Spezialisierungsvereinbarung einem Hardcore-Kartell nahe, bei dem die Parteien den Markt unter sich aufteilen. Daher bezweckt die Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung. Da die geltend gemachten Effizienzgewinne in Form von Größenvorteilen und verbesserten Produktionstechnologien einzig und allein mit der Marktaufteilung zusammenhängen, ist es unwahrscheinlich, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen, so dass die Vereinbarung nicht die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllen würde. Wenn das Unternehmen A oder das Unternehmen B glaubt, dass es effizienter wäre, sich auf ein einziges Produkt zu konzentrieren, kann es einseitig beschließen, nur noch X oder nur noch Y zu produzieren, ohne gleichzeitig mit dem anderen Unternehmen zu vereinbaren, dass dieses sich auf die Produktion des anderen Produkts konzentriert.

Die Analyse würde anders ausfallen, wenn die Unternehmen A und B einander mit dem Produkt belieferten, auf das sie sich konzentrieren, so dass beide X und Y verkaufen. In diesem Falle könnten A und B noch auf beiden Märkten preislich konkurrieren, vor allem wenn auf die Produktionskosten (die durch die Produktionsvereinbarung zu gemeinsamen Kosten werden) kein wesentlicher Teil der variablen Kosten ihrer Produkte entfiele. Maßgebend sind in diesem Zusammenhang die Vermarktungskosten. Eine Beschränkung des Wettbewerbs durch die Spezialisierungsvereinbarung wäre somit unwahrscheinlich, wenn es sich bei X und Y um weitgehend heterogene Produkte mit einem sehr hohen Anteil an Marketing- und Vertriebskosten (zum Beispiel 65–70 % der Gesamtkosten) handelte. In diesem Szenario wäre die Gefahr eines Kollusionsergebnisses nicht hoch, und die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 wären möglicherweise erfüllt, sofern die Effizienzgewinne in einem Maße an die Verbraucher weitergegeben würden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen.

191.

Potenzielle Wettbewerber

Beispiel 5

Sachverhalt: Unternehmen A produziert das Endprodukt X, Unternehmen B produziert das Endprodukt Y. X und Y stellen zwei getrennte Produktmärkte dar, auf denen A bzw. B über große Marktmacht verfügt. Beide Unternehmen verwenden Z als Vorleistung für die Produktion von X bzw. Y, und beide produzieren Z ausschließlich für den Eigenbedarf. X ist ein Produkt mit niedriger Wertschöpfung, für das Z eine wesentliche Vorleistung ist (X ist eine recht einfache Verarbeitung von Z). Y ist ein Produkt mit hoher Wertschöpfung, für das Z eine von vielen Vorleistungen ist (auf Z entfällt nur ein geringer Teil der variablen Kosten für Y). Die Unternehmen A und B vereinbaren, Z gemeinsam zu produzieren, und erzielen dadurch bescheidene Größenvorteile.

Analyse: Die Unternehmen A und B sind hinsichtlich X, Y und Z keine tatsächlichen Wettbewerber. Da es sich bei X aber um eine einfache Verarbeitung der Vorleistung Z handelt, könnte Unternehmen B wahrscheinlich leicht in den Markt für X eintreten und damit die Stellung von Unternehmen A auf diesem Markt angreifen. Der Anreiz für Unternehmen B, dies zu tun, könnte durch die Vereinbarung über die gemeinsame Produktion von Z gemindert werden, da die gemeinsame Produktion Anlass für „Prämienzahlungen“ sein könnte, die die Wahrscheinlichkeit verringern, dass Unternehmen B das Produkt X verkauft (da A wahrscheinlich die Kontrolle über die Menge von Z hat, die B von dem Joint Venture bezieht). Die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen B ohne die Vereinbarung in den Markt für X eingetreten wäre, hängt jedoch von der erwarteten Rentabilität des Markteintritts ab. Da X ein Produkt mit niedriger Wertschöpfung ist, wäre ein Markteintritt möglicherweise nicht rentabel und damit für Unternehmen B ohne die Vereinbarung unwahrscheinlich. Da die Unternehmen A und B bereits über Marktmacht verfügen, ist es wahrscheinlich, dass die Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat, sofern die Vereinbarung tatsächlich die Wahrscheinlichkeit verringert, dass Unternehmen B in den Markt von Unternehmen A, also den Markt für X eintritt. Die mit der Vereinbarung erzielten Effizienzgewinne in Form von Größenvorteilen sind bescheiden, so dass es unwahrscheinlich ist, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen.

192.

Informationsaustausch im Rahmen einer Produktionsvereinbarung

Beispiel 6

Sachverhalt: Die Unternehmen A und B, die ein hohes Maß an Marktmacht besitzen, beschließen, gemeinsam zu produzieren, um effizienter zu werden. Im Rahmen ihrer Vereinbarung tauschen sie heimlich Informationen über ihre künftigen Preise aus. Die Vereinbarung umfasst nicht den gemeinsamen Vertrieb.

Analyse: Dieser Informationsaustausch macht ein Kollusionsergebnis wahrscheinlich und dürfte eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 bezwecken. Dass er die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt, ist unwahrscheinlich, da der Austausch der Informationen über die künftigen Preise der Parteien für die gemeinsame Produktion und die Erzielung der entsprechenden Kosteneinsparungen nicht unerlässlich ist.

193.

Swaps und Informationsaustausch

Beispiel 7

Sachverhalt: Die Unternehmen A und B produzieren beide Z, einen chemischen Grundstoff. Z ist ein homogenes Produkt, das nach einer europäischen Norm hergestellt wird, die keine Produktvarianten zulässt. Die Produktionskosten sind ein erheblicher Kostenfaktor für Z. Der Anteil der Unternehmen A und B am Unionsmarkt für Z beträgt 20 % bzw. 25 %. Auf dem Markt für Z gibt es vier weitere Hersteller mit Marktanteilen von 20 %, 15 %, 10 % und 10 %. Die Produktionsanlage von Unternehmen A befindet sich im Mitgliedstaat X in Nordeuropa, die Produktionsanlage von Unternehmen B im Mitgliedstaat Y in Südeuropa. Obwohl die Kunden von Unternehmen A zum größten Teil in Nordeuropa ansässig sind, hat A auch einige Kunden in Südeuropa. Das gleiche gilt für Unternehmen B, der einige Kunden in Nordeuropa hat. Derzeit beliefert Unternehmen A seine südeuropäischen Kunden mit Z, das in seiner Produktionsanlage in X hergestellt und dann per Lkw nach Südeuropa transportiert wird. Entsprechend beliefert Unternehmen B seine nordeuropäischen Kunden mit Z, das in Y hergestellt und dann ebenfalls per Lkw nach Nordeuropa transportiert wird. Die Transportkosten sind recht hoch, aber nicht so hoch, dass die Lieferungen von Unternehmen A nach Südeuropa und die Lieferungen von Unternehmen B nach Nordeuropa unrentabel wären. Die Kosten für den Transport von X nach Südeuropa sind niedriger als die Kosten für den Transport von Y nach Nordeuropa.

Die Unternehmen A und B kommen zu dem Schluss, dass es effizienter wäre, wenn das Unternehmen A Z nicht mehr von Mitgliedstaat X nach Südeuropa und das Unternehmen B Z nicht mehr von Mitgliedstaat Y nach Nordeuropa transportieren würde, wollen aber gleichzeitig ihre jeweiligen Kunden auf jeden Fall behalten. Zu diesem Zweck beabsichtigen die Unternehmen A und B, eine Swap-Vereinbarung zu treffen, nach der sie eine vereinbarte Jahresmenge Z bei der Anlage der anderen Partei kaufen können, um das erworbene Z an diejenigen ihrer Kunden zu verkaufen, deren Standort näher an der Anlage der anderen Partei liegt. Um einen Kaufpreis ermitteln zu können, bei dem keine Partei gegenüber der anderen bevorzugt wird und der den unterschiedlichen Produktionskosten der Parteien und ihren unterschiedlichen Einsparungen bei den Transportkosten Rechnung trägt, und um beiden Parteien eine angemessene Marge zu sichern, vereinbaren sie, einander ihre wichtigsten Kosten in Bezug auf Z (d. h. die Produktions- und die Transportkosten) offenzulegen.

Analyse: Die Tatsache, dass die Wettbewerber A und B für einen Teil ihrer Produktion einen Swap vornehmen, ist an sich noch kein Anlass für wettbewerbsrechtliche Bedenken. In der geplanten Swap-Vereinbarung zwischen den Unternehmen A und B ist jedoch der Austausch der Produktions- und der Transportkosten beider Parteien in Bezug auf Z vorgesehen. Zudem haben die Unternehmen A und B zusammen eine starke Stellung auf einem relativ konzentrierten Markt für einen homogenen Grundstoff inne. Daher ist es wegen des umfassenden Informationsaustauschs über einen wesentlichen Wettbewerbsparameter in Bezug auf Z wahrscheinlich, dass die Swap-Vereinbarung zwischen den Unternehmen A und B wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben wird, da sie zu einem Kollusionsergebnis führen kann. Mit der Vereinbarung werden zwar erhebliche Effizienzgewinne in Form von Kosteneinsparungen für die Parteien erzielt, jedoch sind die sich aus der Vereinbarung ergebenden Wettbewerbsbeschränkungen dafür nicht unerlässlich. Die Parteien könnten ähnliche Kosteneinsparungen erzielen, indem sie sich auf eine Preisformel einigen, die nicht die Offenlegung ihrer Produktions- und Transportkosten erfordert. In ihrer derzeitigen Form erfüllt die Swap-Vereinbarung daher nicht die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3.

5.   EINKAUFSVEREINBARUNGEN

5.1.   Definition

194.

Gegenstand dieses Kapitels sind Vereinbarungen über den gemeinsamen Einkauf von Produkten. Der gemeinsame Einkauf kann über ein gemeinsam kontrolliertes Unternehmen oder ein Unternehmen erfolgen, an dem viele andere Unternehmen Minderheitsbeteiligungen halten, oder im Rahmen einer vertraglichen Regelung oder lockererer Formen der Zusammenarbeit („gemeinsame Einkaufsregelungen“). Ziel gemeinsamer Einkaufsregelungen ist in der Regel, Nachfragemacht zu schaffen, die zu niedrigeren Preisen oder qualitativ besseren Produkten oder Dienstleistungen für die Verbraucher führen kann. Nachfragemacht kann jedoch unter bestimmten Umständen auch Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken geben.

195.

Gemeinsame Einkaufsregelungen können sowohl horizontale als auch vertikale Vereinbarungen enthalten. In diesen Fällen ist eine Analyse in zwei Stufen erforderlich. Zunächst müssen die horizontalen Vereinbarungen zwischen den gemeinsam einkaufenden Unternehmen anhand der in diesen Leitlinien beschriebenen Grundsätze gewürdigt werden. Ergibt diese Würdigung, dass die gemeinsame Einkaufsregelung keinen Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken gibt, müssen auch die anschließend geschlossenen vertikalen Vereinbarungen geprüft werden. Diese Prüfung wird nach den Vorschriften der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Beschränkungen und der Leitlinien für vertikale Beschränkungen erfolgen.

196.

Eine übliche Form der gemeinsamen Einkaufsregelung ist die „Allianz“, eine Unternehmensvereinigung, die von einer Gruppe von Einzelhändlern für den gemeinsamen Einkauf von Produkten gegründet wird. Die horizontalen Vereinbarungen zwischen den Mitgliedern der Allianz oder die Beschlüsse der Allianz müssen zunächst als Vereinbarung über horizontale Zusammenarbeit nach diesen Leitlinien geprüft werden. Nur wenn nach dieser Prüfung keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken bestehen, müssen die relevanten vertikalen Vereinbarungen zwischen der Allianz und einzelnen Mitgliedern sowie zwischen der Allianz und den Anbietern gewürdigt werden. Diese Vereinbarungen fallen unter bestimmten Voraussetzungen unter die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Beschränkungen. Bei vertikalen Vereinbarungen, die nicht unter diese Gruppenfreistellungsverordnung fallen, wird nicht davon ausgegangen, dass sie rechtswidrig sind; sie sind jedoch einer Einzelprüfung zu unterziehen.

5.2.   Relevante Märkte

197.

Zwei Märkte können von gemeinsamen Einkaufsregelungen betroffen sein: erstens die unmittelbar von der gemeinsamen Einkaufsregelung betroffenen Märkte, d. h. die relevanten Einkaufsmärkte, und zweitens die Verkaufsmärkte, d. h. die nachgelagerten Märkte, auf denen die Parteien der gemeinsamen Einkaufsregelung als Verkäufer tätig sind.

198.

Die Definition der relevanten Einkaufsmärkte stützt sich auf die in der Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes beschriebenen Grundsätze und den Begriff der Substituierbarkeit zur Ermittlung des Wettbewerbsdrucks. Der einzige Unterschied zur Definition der „Verkaufsmärkte“ besteht darin, dass die Substituierbarkeit aus der Sicht des Angebots und nicht der Sicht der Nachfrage zu definieren ist. Mit anderen Worten: Bei der Ermittlung des Wettbewerbsdrucks auf die Einkäufer sind die Alternativen der Anbieter ausschlaggebend. Diese Alternativen könnten zum Beispiel durch die Untersuchung der Reaktion der Anbieter auf eine geringe, nicht nur vorübergehende Preissenkung ermittelt werden. Sobald der Markt abgegrenzt ist, kann der Marktanteil als Prozentsatz der Einkäufe der Parteien am Gesamtabsatz des eingekauften Produkts oder der eingekauften Produkte auf dem relevanten Markt berechnet werden.

199.

Sind die Parteien darüber hinaus Wettbewerber auf einem oder mehreren Verkaufsmärkten, so sind diese Märkte ebenfalls für die Prüfung relevant. Die Verkaufsmärkte sind nach der in der Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes beschriebenen Methode abzugrenzen.

5.3.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

5.3.1.   Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

200.

Gemeinsame Einkaufsregelungen können wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen auf den Einkaufsmärkten und/oder auf nachgelagerten Verkaufsmärkten haben, zum Beispiel höhere Preise, geringere Produktionsmenge, Produktqualität oder -vielfalt, oder Innovation, Marktaufteilung oder wettbewerbswidrige Verschließung des Marktes für andere mögliche Einkäufer.

201.

Wenn Wettbewerber auf nachgelagerten Märkten einen erheblichen Teil ihrer Produkte zusammen einkaufen, kann sich für sie der Anreiz für einen Preiswettbewerb auf den Verkaufsmärkten erheblich verringern. Falls die Parteien dort über einen erheblichen Grad an Marktmacht verfügen (der nicht auf Marktbeherrschung hinauslaufen muss), ist es wahrscheinlich, dass die mit der gemeinsamen Einkaufsregelung erzielten niedrigeren Einkaufspreise nicht an die Verbraucher weitergegeben werden.

202.

Verfügen die Parteien über einen erheblichen Grad an Marktmacht auf dem Einkaufsmarkt (Nachfragemacht), so besteht die Gefahr, dass sie Anbieter zwingen, die Palette oder die Qualität der angebotenen Produkte zu verringern, was wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben könnte, zum Beispiel Qualitätsrückgang, Nachlassen von Innovationsanstrengungen oder letzten Endes ein suboptimales Angebot.

203.

Die Nachfragemacht der Parteien der gemeinsamen Einkaufsregelung könnte genutzt werden, um den Markt für konkurrierende Einkäufer zu verschließen, indem ihr Zugang zu effizienten Anbietern beschränkt wird. Dies ist am wahrscheinlichsten, wenn die Zahl der Anbieter begrenzt ist und auf der Angebotsseite des vorgelagerten Marktes Zutrittsschranken bestehen.

204.

Im Allgemeinen ist es jedoch weniger wahrscheinlich, dass gemeinsame Einkaufsregelungen Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken geben, wenn die Parteien auf den Verkaufsmärkten nicht über Marktmacht verfügen.

5.3.2.   Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

205.

Bei einer gemeinsamen Einkaufsregelung handelt es sich um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, wenn sie nicht wirklich den gemeinsamen Einkauf betrifft, sondern als Mittel zur Bildung eines verschleierten Kartells für verbotene Praktiken wie Preisfestsetzung, Produktionsbeschränkung oder Marktaufteilung genutzt wird.

206.

Vereinbarungen, mit denen unter anderem Einkaufspreise festgesetzt werden, können eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 bezwecken (93). Dies gilt jedoch nicht, wenn die Parteien einer gemeinsamen Einkaufsregelung sich über die Einkaufspreise einigen, die den Anbietern auf der Grundlage der gemeinsamen Einkaufsregelung für unter den Liefervertrag fallende Produkte gezahlt werden können. In diesem Fall sind die wahrscheinlichen wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 zu prüfen. Dabei wird die Vereinbarung über die Einkaufpreise nicht getrennt gewürdigt, sondern unter Berücksichtigung aller Auswirkungen, die die Einkaufsvereinbarung auf den Markt hat.

5.3.3.   Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

207.

Gemeinsame Einkaufsregelungen, die keine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken, müssen in ihrem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang auf ihre tatsächlichen und wahrscheinlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb geprüft werden. Die Analyse der wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen einer gemeinsamen Einkaufsregelung muss die negativen Auswirkungen auf den Einkaufs- und auf den Verkaufsmärkten umfassen.

Marktmacht

208.

Es gibt keine absolute Schwelle, bei deren Überschreiten davon ausgegangen werden kann, dass eine gemeinsame Einkaufsregelung Marktmacht begründet, so dass sie wahrscheinlich wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat. In den meisten Fällen ist es jedoch unwahrscheinlich, dass Marktmacht besteht, wenn die Parteien der gemeinsamen Einkaufsregelung sowohl auf den Einkaufsmärkten als auch auf den Verkaufsmärkten einen gemeinsamen Marktanteil von nicht mehr als 15 % haben. Liegt der gemeinsame Anteil der Parteien an beiden Märkten nicht über 15 %, so ist es ohnehin wahrscheinlich, dass die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt sind.

209.

Überschreitet ein Marktanteil diese Schwelle auf einem oder beiden Märkten, so heißt dies nicht automatisch, dass die gemeinsame Einkaufsregelung wahrscheinlich wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat. Eine gemeinsame Einkaufsregelung, die nicht in diesen geschützten Bereich fällt, muss eingehend auf ihre Auswirkungen auf den Markt geprüft werden, unter anderem unter Berücksichtigung von Faktoren wie Marktkonzentration und mögliche Gegenmacht starker Anbieter.

210.

Nachfragemacht kann unter bestimmten Umständen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben. Wettbewerbswidrige Nachfragemacht ist wahrscheinlich, wenn eine gemeinsame Einkaufsregelung einen hinreichend großen Teil des Gesamtvolumens eines Einkaufsmarkts betrifft, so dass der Zugang zu dem Markt für konkurrierende Einkäufer verschlossen werden könnte. Ein hohes Maß an Nachfragemacht könnte mittelbar die Produktmenge, -qualität und -vielfalt auf dem Verkaufsmarkt beeinflussen.

211.

Für die Prüfung, ob die Parteien einer gemeinsamen Einkaufsregelung Marktmacht haben, sind auch die Zahl und die Intensität der Verbindungen (zum Beispiel weitere Einkaufsvereinbarungen) zwischen den Wettbewerbern auf dem Markt von Bedeutung.

212.

Wenn jedoch konkurrierende Einkäufer zusammenarbeiten, die nicht auf demselben relevanten Verkaufsmarkt tätig sind (zum Beispiel Einzelhändler, die auf verschiedenen räumlichen Märkten verkaufen und nicht als potenzielle Wettbewerber angesehen werden können), sind wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen der gemeinsamen Einkaufsregelung unwahrscheinlich, es sei denn, es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Parteien ihre Stellung auf den Einkaufsmärkten nutzen könnten, um die Wettbewerbsstellung anderer Unternehmen auf ihren jeweiligen Verkaufsmärkten zu beeinträchtigen.

Kollusionsergebnis

213.

Gemeinsame Einkaufsregelungen können zu einem Kollusionsergebnis führen, sofern sie die Koordinierung des Verhaltens der Parteien auf dem Verkaufsmarkt erleichtern. Dies kann der Fall sein, wenn sie durch den gemeinsamen Einkauf ein hohes Maß an Kostenangleichung erzielen, vorausgesetzt, die Parteien verfügen über Marktmacht und die Marktmerkmale begünstigen eine Koordinierung.

214.

Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen sind eher wahrscheinlich, wenn ein erheblicher Teil der variablen Kosten der Parteien der gemeinsamen Einkaufsregelung auf dem relevanten nachgelagerten Markt gemeinsame Kosten sind. Dies gilt zum Beispiel, wenn Einzelhändler, die auf denselben relevanten Einzelhandelsmärkten tätig sind, einen erheblichen Teil der Produkte, die sie weiterverkaufen, gemeinsam einkaufen. Ferner kann dies der Fall sein, wenn konkurrierende Hersteller und Verkäufer eines Endprodukts einen großen Teil ihrer Vorleistungen gemeinsam einkaufen.

215.

Für die Umsetzung einer gemeinsamen Einkaufsregelung kann der Austausch sensibler Geschäftsinformationen zum Beispiel über Einkaufspreise und -mengen erforderlich sein. Der Austausch dieser Informationen kann die Koordinierung hinsichtlich der Verkaufspreise und des Outputs erleichtern und damit zu einem Kollusionsergebnis auf den Verkaufsmärkten führen. Die Spillover-Effekte des Austauschs sensibler Geschäftsinformationen können zum Beispiel minimiert werden, wenn die Daten im Rahmen einer gemeinsamen Einkaufsregelung zusammengestellt, aber nicht an die Parteien weitergegeben werden.

216.

Negative Auswirkungen des Informationsaustauschs werden nicht getrennt gewürdigt, sondern unter Berücksichtigung der Gesamtauswirkungen der Vereinbarung. Ob es wahrscheinlich ist, dass der Informationsaustausch im Rahmen einer gemeinsamen Einkaufsregelung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat, sollte nach Maßgabe des Kapitels 2 geprüft werden. Wenn der Informationsaustausch nicht über den Austausch der Daten hinausgeht, die für den gemeinsamen Einkauf der unter die gemeinsame Einkaufsregelung fallenden Produkte erforderlich sind, dürfte der Informationsaustausch, selbst wenn er wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat, eher die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllen, als wenn er über das für den gemeinsamen Einkauf erforderliche Maß hinausgeht.

5.4.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

5.4.1.   Effizienzgewinne

217.

Mit gemeinsamen Einkaufsregelungen können erhebliche Effizienzgewinne erzielt werden. Insbesondere können sie zu Kosteneinsparungen, zum Beispiel niedrigeren Einkaufspreisen oder geringeren Transaktions-, Transport- und Lagerkosten führen und dadurch Größenvorteile erleichtern. Ferner können gemeinsame Einkaufsregelungen qualitative Effizienzgewinne mit sich bringen, indem sie Anbieter zu Innovationen und zur Markteinführung neuer oder verbesserter Produkte veranlassen.

5.4.2.   Unerlässlichkeit

218.

Wettbewerbsbeschränkungen, die weiter gehen, als zur Erzielung der mit einer Einkaufsvereinbarung angestrebten Effizienzgewinne notwendig ist, erfüllen nicht die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3. Die Verpflichtung, ausschließlich im Rahmen der Zusammenarbeit einzukaufen, kann in bestimmten Fällen unerlässlich sein, um das für die Erzielung von Größenvorteilen erforderliche Volumen zu erreichen. Eine solche Verpflichtung muss jedoch im Einzelfall geprüft werden.

5.4.3.   Weitergabe an die Verbraucher

219.

Durch unerlässliche Beschränkungen erzielte Effizienzgewinne, zum Beispiel Kosteneinsparungen oder qualitative Verbesserungen in Form der Markteinführung neuer oder verbesserter Produkte, müssen in einem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen der gemeinsamen Einkaufsregelung überwiegen. Kosteneinsparungen oder andere Effizienzgewinne, die nur den Parteien der gemeinsamen Einkaufsregelung zugutekommen, reichen folglich nicht aus. Die Kosteneinsparungen müssen an die Verbraucher, also die Kunden der Parteien weitergegeben werden. Um ein besonderes Beispiel zu nehmen, kann diese Weitergabe in Form von niedrigeren Preisen auf den Verkaufsmärkten erfolgen. Wenn die Einkäufer zusammen über Marktmacht auf den Verkaufsmärkten verfügen, ist es nicht wahrscheinlich, dass niedrigere Einkaufspreise, die mit der bloßen Ausübung von Nachfragemacht erzielt wurden, an die Verbraucher weitergegeben werden, so dass die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 nicht erfüllt sind. Und je mehr Marktmacht die Parteien auf den Verkaufsmärkten haben, desto weniger wahrscheinlicher ist es, dass sie die Effizienzgewinne in einem Maße an die Verbraucher weitergeben, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen.

5.4.4.   Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

220.

Die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 können nicht erfüllt sein, wenn die Vereinbarung den Parteien die Möglichkeit eröffnet, für einen beträchtlichen Teil der betreffenden Produkte den Wettbewerb auszuschalten. Dies muss sowohl für die Einkaufs- als auch für die Verkaufsmärkte geprüft werden.

5.5.   Beispiele

221.

Gemeinsamer Einkauf kleiner Unternehmen mit bescheidenen gemeinsamen Marktanteilen

Beispiel 1

Sachverhalt: 150 kleine Einzelhändler schließen eine Vereinbarung zur Gründung einer gemeinsamen Einkaufsorganisation. Sie verpflichten sich, ein Mindestvolumen über die Organisation einzukaufen, auf das rund 50 % der Gesamtkosten jedes Einzelhändlers entfallen. Die Einzelhändler können über die Organisation mehr als das Mindestvolumen einkaufen und dürfen auch außerhalb ihrer Zusammenarbeit einkaufen. Sie haben einen gemeinsamen Anteil von 23 % am Einkaufs- wie am Verkaufsmarkt. Die Unternehmen A und B sind ihre zwei großen Wettbewerber. Unternehmen A hat am Einkaufs- wie am Verkaufsmarkt einen Anteil von 25 %, Unternehmen B einen Anteil von 35 %. Es bestehen keine Schranken, die die übrigen kleineren Wettbewerber daran hindern würden, ebenfalls eine Einkaufsgruppe zu bilden. Die 150 Einzelhändler erzielen durch den gemeinsamen Einkauf über die Einkaufsorganisation erhebliche Kosteneinsparungen.

Analyse: Die Einzelhändler haben eine bescheidene Stellung auf dem Einkaufs- und dem Verkaufsmarkt. Ferner führt die Zusammenarbeit zu gewissen Größenvorteilen. Obwohl die Einzelhändler ein hohes Maß an Kostenangleichung erzielen, ist es unwahrscheinlich, dass sie Marktmacht auf dem Verkaufsmarkt besitzen, da dort die Wettbewerber A und B präsent sind, von denen jeder einzelne größer ist als die gemeinsame Einkaufsorganisation. Eine Koordinierung des Verhaltens der Einzelhändler und ein sich daraus ergebendes Kollusionsergebnis sind daher unwahrscheinlich. Damit ist auch unwahrscheinlich, dass die Gründung der gemeinsamen Einkaufsorganisation wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat.

222.

Kostenangleichung und Marktmacht auf dem Verkaufsmarkt

Beispiel 2

Sachverhalt: Zwei Supermarktketten schließen eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einkauf von Produkten, auf die rund 80 % ihrer variablen Kosten entfallen. Auf den relevanten Märkten für die verschiedenen Produktgruppen liegt der gemeinsame Marktanteil der Parteien zwischen 25 % und 40 %. An dem relevanten Verkaufsmarkt haben sie einen gemeinsamen Anteil von 60 %. Es gibt vier weitere bedeutende Einzelhändler mit einem Marktanteil von je 10 %. Mit einem Marktzutritt ist nicht zu rechnen.

Analyse: Es ist wahrscheinlich, dass diese Einkaufsvereinbarung den Parteien die Möglichkeit eröffnet, ihr Verhalten auf dem Verkaufsmarkt zu koordinieren, was ein Kollusionsergebnis zur Folge hätte. Die Parteien haben Marktmacht auf dem Verkaufsmarkt, und die Einkaufsvereinbarung führt zu einer erheblichen Kostenangleichung. Zudem ist ein Marktzutritt unwahrscheinlich. Der Anreiz für die Parteien, ihr Verhalten zu koordinieren, wäre noch stärker, wenn sie bereits vor Abschluss der Vereinbarung ähnliche Kostenstrukturen gehabt hätten. Auch ähnliche Margen der Parteien würden die Gefahr eines Kollusionsergebnisses weiter erhöhen. Durch die Vereinbarung entsteht ferner das Risiko, dass durch zurückhaltende Nachfrage der Parteien und damit infolge geringerer Mengen die Verkaufspreise auf dem nachgelagerten Markt steigen. Aus diesen Gründen ist es wahrscheinlich, dass die Einkaufsvereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat. Auch wenn mit der Vereinbarung mit großer Wahrscheinlichkeit Effizienzgewinne in Form von Kosteneinsparungen erzielt werden, ist es wegen der erheblichen Marktmacht der Parteien auf dem Verkaufsmarkt unwahrscheinlich, dass sie in einem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Einkaufsvereinbarung die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt.

223.

Parteien, die auf verschiedenen räumlichen Märkten tätig sind

Beispiel 3

Sachverhalt: Sechs große Einzelhändler aus verschiedenen Mitgliedstaaten gründen eine Einkaufsgemeinschaft, um gemeinsam mehrere Markenprodukte aus Hartweizenmehl einzukaufen. Die Parteien dürfen andere, ähnliche Markenprodukte auch außerhalb ihrer Zusammenarbeit einkaufen. Fünf von ihnen bieten zusätzlich ähnliche Eigenmarkenprodukte an. Die Mitglieder der Einkaufsgemeinschaft haben einen gemeinsamen Anteil von rund 22 % am relevanten unionsweiten Einkaufsmarkt. Auf dem Einkaufsmarkt gibt es drei weitere ähnlich große Unternehmen. Der Anteil der Parteien der Einkaufsgemeinschaft an den nationalen Verkaufsmärkten, auf denen sie tätig sind, beträgt jeweils zwischen 20 % und 30 %. Keine von ihnen ist in einem Mitgliedstaat präsent, auf dem ein anderes Mitglied der Gemeinschaft tätig ist. Die Parteien sind keine potenziellen neuen Anbieter auf den Märkten der anderen Parteien.

Analyse: Die Einkaufsgemeinschaft wird in der Lage sein, auf dem Einkaufsmarkt mit den anderen bestehenden großen Unternehmen zu konkurrieren. Die Verkaufsmärkte sind (nach Umsatz und räumlicher Ausdehnung) erheblich kleiner als der unionsweite Einkaufsmarkt, und auf diesen Märkten könnten einige Mitglieder der Gemeinschaft über Marktmacht verfügen. Auch wenn die Mitglieder der Einkaufsgemeinschaft einen gemeinsamen Anteil von mehr als 20 % am Einkaufsmarkt haben, ist eine Koordinierung des Verhaltens oder eine Kollusion der Parteien auf den Verkaufsmärkten unwahrscheinlich, da sie auf den nachgelagerten Märkten weder tatsächliche noch potenzielle Wettbewerber sind. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Einkaufsgemeinschaft wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt.

224.

Informationsaustausch

Beispiel 4

Sachverhalt: Die drei konkurrierenden Hersteller A, B und C betrauen eine unabhängige gemeinsame Einkaufsorganisation mit dem Einkauf des Produkts Z, bei dem es sich um ein Zwischenprodukt handelt, das die drei Parteien bei der Herstellung des Endprodukts X verwenden. Die Kosten für Z sind kein wesentlicher Kostenfaktor bei der Herstellung von X. Auf dem Verkaufsmarkt für X steht die gemeinsame Einkaufsorganisation mit den Parteien nicht im Wettbewerb. Alle für den Einkauf erforderlichen Informationen (zum Beispiel Qualitätsvorgaben, Mengen, Liefertermine, Höchsteinkaufspreise) werden nur der gemeinsamen Einkaufsorganisation, nicht aber den anderen Parteien offengelegt. Die gemeinsame Einkaufsorganisation handelt die Einkaufspreise mit den Anbietern aus. Der gemeinsame Anteil von A, B und C am Einkaufs- wie am Verkaufsmarkt beträgt 30 %. Auf diesen Märkten gibt es sechs Wettbewerber, von denen zwei einen Marktanteil von 20 % haben.

Analyse: Da zwischen den Parteien kein direkter Informationsaustausch stattfindet, ist es unwahrscheinlich, dass die Übermittlung der für den Einkauf erforderlichen Angaben an die gemeinsame Einkaufsorganisation zu einem Kollusionsergebnis führt. Es ist daher unwahrscheinlich, dass der Informationsaustausch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 hat.

6.   VERMARKTUNGSVEREINBARUNGEN

6.1.   Definition

225.

Vermarktungsvereinbarungen regeln die Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern in Bezug auf den Verkauf, den Vertrieb oder die Verkaufsförderung ihrer untereinander austauschbaren Produkte. Der Geltungsbereich dieser Vereinbarungen kann je nach den von ihnen erfassten Vermarktungsfunktionen stark variieren. Am einen Ende des Spektrums steht die gemeinsame Verkaufsvereinbarung, die zur gemeinsamen Festlegung sämtlicher mit dem Verkauf eines Produkts verbundenen geschäftlichen Gesichtspunkte einschließlich des Preises führt. Am anderen Ende stehen Vereinbarungen, die nur ganz bestimmte Vermarktungsfunktionen wie Vertrieb, Kundendienst oder Werbung regeln.

226.

Zu diesen auf bestimmte Aspekte beschränkten Vereinbarungen zählen insbesondere Vertriebsvereinbarungen. Diese fallen in der Regel unter die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Beschränkungen und die dazugehörigen Leitlinien für vertikale Beschränkungen, es sei denn, die Parteien sind tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber. Sind die Parteien Wettbewerber, so gilt die Gruppenfreistellungsverordnung über vertikale Beschränkungen nur dann für nicht gegenseitige vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, wenn a) der Anbieter zugleich Hersteller und Händler von Waren ist, der Abnehmer dagegen Händler, jedoch kein Wettbewerber auf der Herstellungsebene, oder b) der Anbieter ein auf mehreren Handelsstufen tätiger Dienstleister ist, der Abnehmer dagegen Waren oder Dienstleistungen auf der Einzelhandelsstufe anbietet und auf der Handelsstufe, auf der er die Vertragsdienstleistungen bezieht, kein Wettbewerber ist (94).

227.

Vereinbaren die Wettbewerber, ihre untereinander austauschbaren Produkte auf gegenseitiger Grundlage (insbesondere auf unterschiedlichen räumlichen Märkten) zu vertreiben, so besteht in bestimmten Fällen die Möglichkeit, dass die Vereinbarungen eine Aufteilung der Märkte bezwecken oder bewirken oder dass sie zu einem Kollusionsergebnis führen. Das Gleiche kann auf nicht gegenseitige Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern zutreffen. Gegenseitige Vereinbarungen und nicht gegenseitige Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern müssen deshalb zunächst nach den weiter in diesem Kapitel ausgeführten Grundsätzen geprüft werden. Führt diese Prüfung zu der Schlussfolgerung, dass die in Rede stehende Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern des Vertriebssektors grundsätzlich akzeptiert werden kann, so müssen in einer weiteren Prüfung die in derartigen Vereinbarungen enthaltenen vertikalen Beschränkungen untersucht werden. Diese Würdigung sollte anhand der in den Leitlinien für vertikale Beschränkungen niedergelegten Grundsätze erfolgen.

228.

Vereinbarungen, bei denen sich die gemeinsame Vermarktung auf eine andere, ihr vorgelagerte Art der Zusammenarbeit (zum Beispiel gemeinsame Herstellung oder gemeinsamer Einkauf) bezieht, sind von reinen Vermarktungsvereinbarungen zu unterscheiden. Für die Analyse von Vermarktungsvereinbarungen, die sich auf verschiedene Stufen der Zusammenarbeit beziehen, ist es notwendig, den Schwerpunkt der Zusammenarbeit festzustellen, gemäß Randnummern 13 und 14.

6.2.   Relevante Märkte

229.

Für die Prüfung des Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Parteien müssen zunächst die von der Zusammenarbeit unmittelbar betroffenen sachlich und räumlich relevanten Märkte (d. h. die Märkte, denen die von der Vereinbarung betroffenen Produkte angehören) definiert werden. Da sich eine Vermarktungsvereinbarung auf einem Markt auch auf das Wettbewerbsverhalten der Parteien auf einem benachbarten Markt auswirken kann, der eng mit dem direkt von der Zusammenarbeit betroffenen Markt verbunden ist, muss gegebenenfalls der benachbarte Markt ebenfalls definiert werden. Dieser kann horizontal oder vertikal mit dem von der Zusammenarbeit betroffenen Markt verbunden sein.

6.3.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

6.3.1.   Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

230.

Vermarktungsvereinbarungen können den Wettbewerb in mehrerer Hinsicht beeinträchtigen. Erstens und dies ist das offensichtlichste, können Vermarktungsvereinbarung zu Preisfestsetzung führen.

231.

Zweitens können Vermarktungsvereinbarungen mit Beschränkungen der Produktionsmengen einhergehen, da die Parteien vereinbaren können, in welchen Mengen sie das Produkt auf den Markt bringen, wodurch sie das Angebot einschränken.

232.

Drittens können Vermarktungsvereinbarungen von den Parteien für eine Marktaufteilung oder Zuweisung von Aufträgen oder Kunden missbraucht werden, zum Beispiel wenn sich die Produktionsstätten der Parteien in unterschiedlichen räumlichen Märkten befinden oder wenn es sich um gegenseitige Vereinbarungen handelt.

233.

Ferner können Vermarktungsvereinbarungen den Austausch von Informationen über innerhalb oder außerhalb der Zusammenarbeit angesiedelte Aspekte oder über die Angleichung der Kosten (insbesondere bei Vereinbarungen ohne Preisfestsetzung) begünstigen, was wiederum zu einem Kollusionsergebnis führen könnte.

6.3.2.   Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

234.

Bei Vermarktungsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern ist wettbewerbsrechtlich die Festsetzung von Preisen besonders kritisch. Mit Vereinbarungen, die auf den gemeinsamen Verkauf beschränkt sind, sollen in der Regel die Preise konkurrierender Hersteller oder Dienstleister aufeinander abgestimmt werden. In diesem Falle wird nicht nur der Preiswettbewerb zwischen den Parteien in Bezug auf untereinander austauschbare Produkte ausgeschaltet, sondern auch die Produktmenge, die insgesamt von den Parteien im Rahmen des Systems der Zuteilung von Bestellungen zu liefern ist, wird möglicherweise beschränkt. Der Zweck derartiger Vereinbarungen besteht deshalb eher in einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1.

235.

Diese Einschätzung gilt auch für Vereinbarungen nicht ausschließlicher Art, nach denen die Parteien die Produkte grundsätzlich auch selbst verkaufen dürfen, solange davon ausgegangen werden kann, dass die Vereinbarung insgesamt zu einer Abstimmung der von den Parteien verlangten Preise führt.

236.

Des Weiteren besteht aus kartellrechtlicher Sicht die Gefahr, dass Vertriebsvereinbarungen zwischen Parteien, die auf verschiedenen räumlichen Märkten tätig sind, als Mittel zur Marktaufteilung missbraucht werden könnten. Nutzen die Parteien eine gegenseitige Vertriebsvereinbarung, um tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerb untereinander durch gezielte Zuteilung von Märkten oder Kunden auszuschalten, ist es wahrscheinlich, dass mit der Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt wird. Bei Vereinbarungen ohne Bestimmungen über Gegenseitigkeit besteht ein geringeres Risiko der Marktaufteilung. Bei derartigen Vereinbarungen muss allerdings geprüft werden, ob sie die Grundlage für ein beiderseitiges Einvernehmen bilden, nicht in den Markt der jeweils anderen Partei einzutreten.

6.3.3.   Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

237.

Eine Vermarktungsvereinbarung ist in der Regel wettbewerbsrechtlich unbedenklich, wenn sie objektiv erforderlich ist, um einer Partei den Eintritt in einen Markt zu ermöglichen, auf dem sie sich alleine oder in einer Gruppe, die kleiner als die an der Zusammenarbeit beteiligte ist, nicht hätte behaupten können (zum Beispiel aufgrund der mit dem Markteintritt verbundenen Kosten). Eine spezifische Anwendung dieses Grundsatzes wären Konsortialvereinbarungen, die es den beteiligten Unternehmen erlauben, sich an Vorhaben zu beteiligen, die sie alleine nicht bewältigen könnten. Da es sich bei den Vertragspartnern einer Konsortialvereinbarung folglich nicht um potenzielle Wettbewerber für die Projektdurchführung handelt, liegt keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 vor.

238.

Desgleichen bezwecken nicht alle gegenseitigen Vertriebsvereinbarungen eine Wettbewerbsbeschränkung. Je nach Sachlage können sich bestimmte gegenseitige Vertriebsvereinbarungen dennoch nachteilig auf den Wettbewerb auswirken. Bei der Prüfung dieser Art von Vereinbarung ist vor allem die Frage zu stellen, ob sie für die Parteien tatsächlich erforderlich ist, um in den Markt der jeweils anderen Partei(en) eintreten zu können. Nur in diesem Fall verursacht die Vereinbarung keine horizontalen Wettbewerbsprobleme. Schränkt die Vereinbarung allerdings die Entscheidungsfreiheit einer der Parteien in Bezug auf den Eintritt in den Markt der anderen Partei(en) ein, weil der betreffenden Partei der Anreiz an einem Markteintritt genommen wird, so sind wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen wahrscheinlich. Gleiches gilt für nicht gegenseitige Vereinbarungen, bei denen allerdings das Risiko wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen weniger ausgeprägt ist.

239.

Außerdem kann eine Vertriebsvereinbarung, die vertikale Beschränkungen enthält (zum Beispiel Beschränkungen des passiven Verkaufs, Preisbindung bei Weiterverkauf usw.), wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben.

Marktmacht

240.

Vermarktungsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern können nur dann wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, wenn die Parteien über ein gewisses Maß an Marktmacht verfügen. In den meisten Fällen ist es unwahrscheinlich, dass Marktmacht besteht, wenn die Parteien gemeinsam einen Marktanteil von nicht mehr als 15 % halten. Liegt der gemeinsame Marktanteil der Parteien nicht über 15 %, ist es wahrscheinlich, dass die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt sind.

241.

Beträgt der gemeinsame Marktanteil der Parteien mehr als 15 %, so fällt die Vermarktungsvereinbarung nicht mehr unter die Gruppenfreistellung von Randnummer 240 und muss sie auf ihre voraussichtlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb geprüft werden.

Kollusionsergebnis

242.

Eine Vermarktungsvereinbarung, die keine Preisfestsetzung beinhaltet, kann wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, wenn sie den Parteien eine Angleichung der variablen Kosten auf einem Niveau ermöglicht, das zu einem Kollusionsergebnis führen könnte. Dies wäre bei einer Vermarktungsvereinbarung dann der Fall, wenn bereits vor Abschluss der Vereinbarung ein hoher Anteil der variablen Kosten der Parteien gemeinsam ist, so dass der weitere Zuwachs (d. h. die Vermarktungskosten für das Produkt, das Gegenstand der Vereinbarung ist) den Ausschlag für ein Kollusionsergebnis geben kann. Bei hohem Zuwachs kann das Risiko eines Kollusionsergebnisses sogar bei einem ursprünglich niedrigen Angleichungsniveau hoch sein.

243.

Die Wahrscheinlichkeit eines Kollusionsergebnisses hängt von der Marktmacht der Parteien und den Merkmalen des relevanten Marktes ab. Eine Angleichung der Kosten kann das Risiko eines Kollusionsergebnisses nur dann erhöhen, wenn die Parteien über Marktmacht verfügen und wenn die Vermarktungskosten einen hohen Teil der variablen Kosten für das betreffende Produkt ausmachen. Dies ist beispielsweise bei homogenen Produkten nicht der Fall, da für sie die Produktion der größte Kostenfaktor ist. Eine Angleichung der Vermarktungskosten erhöht jedoch das Risiko eines Kollusionsergebnisses, wenn sich die Vermarktungsvereinbarung auf Produkte bezieht, deren Vermarktung aufgrund hoher Vertriebs- oder Marketingkosten sehr teuer ist. Folglich können gemeinsame Werbungs- und Verkaufsförderungsvereinbarungen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, wenn diese Kosten einen wichtigen Kostenfaktor ausmachen.

244.

Eine gemeinsame Vermarktung beinhaltet in der Regel den Austausch sensibler Geschäftsdaten, insbesondere Angaben zur Marketingstrategie und zu den Preisen. In den meisten Vermarktungsvereinbarungen ist für die Umsetzung der Vereinbarung ein gewisser Informationsaustausch erforderlich. Deshalb muss geprüft werden, ob der Informationsaustausch zu einem Kollusionsergebnis in Bezug auf die Geschäftstätigkeiten der Parteien innerhalb und außerhalb der Kooperation führen könnte. Negative Auswirkungen des Informationsaustauschs werden nicht getrennt gewürdigt, sondern unter Berücksichtigung der Gesamtauswirkungen der Vereinbarung.

245.

Wenn die Parteien zum Beispiel im Rahmen einer gemeinsamen Werbungsvereinbarung Preisinformationen untereinander austauschen, kann dies hinsichtlich des Verkaufs der gemeinsam beworbenen Produkte zu einem Kollusionsergebnis führen. Ein Austausch derartiger Informationen, der im Rahmen einer Vereinbarung über gemeinsame Werbung erfolgt, geht ohnehin über das für die Umsetzung einer solchen Vereinbarung erforderliche Maß hinaus. Die voraussichtlichen wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen eines Informationsaustausches im Rahmen von Vermarktungsvereinbarungen hängen von den Merkmalen des Marktes und der Art der ausgetauschten Daten ab und sollten auf der Grundlage der Ausführungen in Kapitel 2 geprüft werden.

6.4.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

6.4.1.   Effizienzgewinne

246.

Mit Vermarktungsvereinbarungen können erhebliche Effizienzgewinne erzielt werden. Welche Effizienzgewinne bei der Prüfung, ob eine Vermarktungsvereinbarung die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt, zu berücksichtigen sind, hängt von der Art der Geschäftstätigkeit und von den Kooperationsparteien ab. Eine Festsetzung von Preisen ist nur dann zu rechtfertigen, wenn sie für die Integration anderer Marketingfunktionen erforderlich ist und durch diese Integration erhebliche Effizienzgewinne entstehen. Durch den gemeinsamen Vertrieb können – insbesondere für kleinere Hersteller – erhebliche Effizienzgewinne erzielt werden, die aus Größen- oder Verbundvorteilen erwachsen.

247.

Bei den Effizienzgewinnen muss es sich nicht um Einsparungen handeln, die sich aus dem Wegfall der unmittelbar mit dem Wettbewerb verbundenen Kosten ergeben, sondern um Effizienzgewinne, die aus der Zusammenlegung wirtschaftlicher Tätigkeiten hervorgehen. Eine Senkung der Transportkosten, die lediglich das Ergebnis einer Kundenzuteilung ist, aber keine Integration des logistischen Systems beinhaltet, kann deshalb nicht als Effizienzgewinn im Sinne von Artikel 101 Absatz 3 angesehen werden.

248.

Effizienzgewinne müssen von den Parteien der Vereinbarung nachgewiesen werden. Ein wichtiger Faktor ist dabei, dass die Vertragsparteien in erheblichem Umfang Kapital, Technologie oder sonstige Vermögenswerte einbringen. Kosteneinsparungen aufgrund niedrigerer Doppelaufwendungen im Bereich der Ressourcen und Anlagen wären ebenfalls zulässig. Besteht die gemeinsame Vermarktung jedoch nur in einer Verkaufsstelle und werden keine Investitionen vorgenommen, so handelt es sich wahrscheinlich um ein verschleiertes Kartell, das als solches kaum die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllen dürfte.

6.4.2.   Unerlässlichkeit

249.

Wettbewerbsbeschränkungen, die weiter gehen, als es für die Erzielung der mit einer Vermarktungsvereinbarung angestrebten Effizienzgewinne notwendig ist, erfüllen nicht die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3. Die Frage der Unerlässlichkeit ist insbesondere bei jenen Vereinbarungen wichtig, die eine Festlegung von Preisen und eine Marktaufteilung beinhalten, was nur unter außergewöhnlichen Umständen als unerlässlich angesehen werden kann.

6.4.3.   Weitergabe an die Verbraucher

250.

Durch unerlässliche Beschränkungen erzielte Effizienzgewinne müssen in dem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen der Vermarktungsvereinbarung überwiegen. Dies kann über niedrigere Preise, höhere Produktqualität oder ein breiteres Angebot geschehen. Je mehr Marktmacht die an dem Informationsaustausch beteiligten Parteien haben, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Effizienzgewinne an die Verbraucher in einem Maße weitergegeben werden, das sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen. Liegt der gemeinsame Marktanteil der Parteien unter 15 %, so ist es wahrscheinlich, dass etwaige nachgewiesene Effizienzgewinne, die durch die Vereinbarung erzielt werden, in ausreichendem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden.

6.4.4.   Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

251.

Die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 können nicht als erfüllt gelten, wenn die Vereinbarung den Parteien die Möglichkeit eröffnet, für einen beträchtlichen Teil der betreffenden Produkte den Wettbewerb auszuschalten. Dies ist auf dem relevanten Markt, dem die unter die Zusammenarbeit fallenden Produkte angehören, und auf möglichen Spill-over-Märkten zu prüfen.

6.5.   Beispiele

252.

Gemeinsame Vermarktungsvereinbarungen, die für den Marktzutritt erforderlich sind

Beispiel 1

Sachverhalt: Vier gewerbliche Wäschereien in einer großen Stadt nahe der Grenze zu einem anderen Mitgliedstaat mit einem Anteil von jeweils 3 % am gesamten Wäschereimarkt dieser Stadt kommen überein, eine gemeinsame Marketingfirma zu gründen, die ihre Dienstleistungen bei institutionellen Kunden (zum Beispiel Hotels, Krankenhäuser und Büros) anbieten soll. Ansonsten konkurrieren sie weiterhin alleine und unabhängig um Einzelkunden vor Ort. Da institutionelle Kunden ein neues Nachfragesegment bilden, entwickeln sie einen gemeinsamen Markennamen, vereinbaren einen gemeinsamen Preis und gemeinsame Standardbedingungen (u. a. Reinigung und Auslieferung binnen höchstens 24 Stunden) und Lieferpläne. Sie richten eine gemeinsame Anrufzentrale ein, bei der die institutionellen Kunden die Abholung und/oder Auslieferung der Wäsche vereinbaren. Sie stellen eine Empfangsperson (für die Anrufzentrale) und mehrere Fahrer ein. Des Weiteren investieren sie in Lieferwagen sowie in Markenwerbung, um ihre Sichtbarkeit zu verbessern. Die Vereinbarung senkt zwar nicht komplett ihre eigenen Infrastrukturkosten (da sie ihre eigenen Geschäfte behalten und nach wie vor um Einzelkunden vor Ort konkurrieren), bringt ihnen jedoch Größenvorteile und ermöglicht es ihnen, anderen Kundengruppen umfassendere Dienstleistungen anzubieten (u. a. längere Geschäftszeiten und einen größeren Lieferradius). Das Vorhaben kann nur dann rentabel durchgeführt werden, wenn alle vier der Vereinbarung beitreten. Der Markt ist hoch fragmentiert, und kein Wettbewerber hat mehr als 15 % des Marktes.

Analyse: Obwohl der gemeinsame Marktanteil der Parteien unter 15 % liegt, könnte Artikel 101 Absatz 1 in diesem Fall Anwendung finden, da die Vereinbarung eine Preisfestsetzung beinhaltet. Allerdings wäre den Parteien, ob als einzelner Wettbewerber oder in Zusammenarbeit mit weniger als vier Parteien, so wie es derzeit für die Vereinbarung vorgesehen ist, der Zutritt zum Markt für Wäschereidienste für institutionelle Kunden verwehrt. Deshalb wäre die Vereinbarung als solche – ungeachtet der in diesem Fall für die Verkaufsförderung der gemeinsamen Marke und den Erfolg als unerlässlich betrachtete Preisfestsetzung – wettbewerbsrechtlich unbedenklich.

253.

Vermarktungsvereinbarung mit mehr als für den Marktzutritt eigentlich erforderlichen Parteien

Beispiel 2

Sachverhalt: Es liegt derselbe Sachverhalt wie in Beispiel 1 Rdnr. 252, vor, wobei ein wichtiger Unterschied besteht: Das Vorhaben hätte auch mit nur drei, anstatt der vier tatsächlich an dem Kooperationsvorhaben beteiligten Parteien rentabel durchgeführt werden können.

Analyse: Obwohl der gemeinsame Marktanteil der Parteien unter 15 % liegt, findet Artikel 101 Absatz 1 in diesem Fall Anwendung, da die Vereinbarung eine Preisfestsetzung beinhaltet und von weniger als vier Parteien hätte durchgeführt werden können. Die Vereinbarung muss deshalb nach Artikel 101 Absatz 3 geprüft werden. Die Vereinbarung eröffnet Effizienzgewinne, da die Parteien fortan für ein neues Kundensegment bessere Dienstleistungen in größerem Umfang anbieten können (was die Parteien alleine, ohne die Vereinbarung nicht hätten leisten können). Da der gemeinsame Marktanteil der Parteien weniger als 15 % beträgt, ist es wahrscheinlich, dass sie etwaige Effizienzgewinne in ausreichendem Maße an die Verbraucher weitergeben. Des Weiteren muss geprüft werden, ob die mit der Vereinbarung verbundenen Beschränkungen für die Erzielung von Effizienzgewinnen unerlässlich sind und ob die Vereinbarung den Wettbewerb ausschalten könnte. Da das Ziel der Vereinbarung in einer umfassenderen Dienstleistungspalette (einschließlich der bislang nicht angebotenen Auslieferung) für ein neues Kundensegment besteht und unter einer gemeinsamen Marke und zu gemeinsamen Standardbedingungen angeboten werden soll, kann die Preisfestsetzung als unerlässlich für die Verkaufsförderung der gemeinsamen Marke und folglich für den Erfolg des Vorhabens und für die angestrebten Effizienzgewinne betrachtet werden. Außerdem kann angesichts der Marktfragmentierung eine Ausschaltung des Wettbewerbs aufgrund der Vereinbarung ausgeschlossen werden. Die Tatsache, dass sich vier Parteien an der Vereinbarung beteiligen (obwohl streng genommen drei Parteien ausreichen würden), verspricht Kapazitätssteigerungen und trägt gleichzeitig dazu bei, dass im Falle mehrerer institutioneller Kunden deren Nachfrage im Einklang mit den Standardbedingungen (zum Beispiel Einhaltung der Auslieferfristen) nachgekommen werden kann. Die Effizienzgewinne als solche dürften somit die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen aufgrund einer Verringerung des Wettbewerbs zwischen den Parteien überwiegen, so dass die Vereinbarung die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 wahrscheinlich erfüllt.

254.

Gemeinsame Internet-Plattform

Beispiel 3

Sachverhalt: Einige kleine Fachgeschäfte eines Mitgliedstaates schließen sich einer Internetplattform an, über die Obst-Geschenkkörbe angeboten, verkauft und ausgeliefert werden. Es gibt mehrere Konkurrenten, die ebenfalls Internetplattformen betreiben. Die Finanzierung der laufenden Kosten für die Plattform und der gemeinsamen Markenwerbung erfolgt über einen monatlich zu entrichtenden Betrag. Die Kunden bestellen und bezahlen über die Website, auf der eine große Auswahl an Geschenkkörben abgebildet ist. Anschließend wird die Bestellung an das Fachgeschäft weitergeleitet, das sich am nächsten zu der Auslieferungsadresse befindet. Dieses Fachgeschäft trägt die Kosten für die Zusammenstellung des Geschenkkorbs und die Auslieferung an den Kunden. Es erhält 90 % des auf der Internetplattform angegebenen und für alle beteiligten Fachgeschäfte geltenden Verkaufspreises. Die restlichen 10 % fließen in die gemeinsame Verkaufsförderung und die laufenden Kosten der Internetplattform. Außer dem monatlichen Beitrag gibt es für ein Fachgeschäft, das sich der Plattform anschließen möchte, innerhalb eines jeweiligen nationalen Hoheitsgebiets keine weiteren Auflagen. Zudem können Fachgeschäfte, die eine eigene Website betreiben, Obst-Geschenkkörbe auch unter eigenem Namen über das Internet vertreiben (was sie auch tun), so dass sie außerhalb der Zusammenarbeit weiterhin als Einzelanbieter miteinander im Wettbewerb stehen. Kunden, die über die Plattform bestellen, wird die Lieferung des Geschenkkorbs am selben Tag zugesichert und die Möglichkeit gegeben, die von ihnen gewünschte Lieferzeit auszuwählen.

Analyse: Obwohl sich die Vereinbarung nur auf den gemeinsamen und zudem über einen ganz bestimmten Vertriebskanal (in diesem Fall eine Internetplattform) erfolgenden Verkauf einer bestimmten Produktart bezieht und sie somit in ihrer Anwendung begrenzt ist, ist es wahrscheinlich, dass sie aufgrund der in der Vereinbarung vorgesehenen Preisfestsetzung zu einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung führt. Deshalb muss die Vereinbarung nach Artikel 101 Absatz 3 geprüft werden. Die Vereinbarung ermöglicht Effizienzgewinne, zum Beispiel ein größeres Angebot und einen besseren Service sowie geringere Suchkosten, was den Verbrauchern zugutekommt und die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen der Vereinbarung aufwiegen dürfte. Da die an der Zusammenarbeit beteiligten Fachgeschäfte nach wie vor die Möglichkeit haben, als eigenständige Unternehmen ihre Produkte sowohl über ihre Geschäfte als auch über das Internet anzubieten und somit miteinander in Wettbewerb zu treten, könnte die Preisfestsetzung als unerlässlich für die Verkaufsförderung des Produkts (Verbraucher, die das Produkt über die Internetplattform erwerben, wissen nicht, bei wem sie den Obst-Geschenkkorb kaufen, und möchten nicht mit vielen unterschiedlichen Preisen konfrontiert werden) und folglich auch für die Erzielung der Effizienzgewinne betrachtet werden. Da keine anderen Beschränkungen vorliegen, erfüllt die Vereinbarung die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3. Da außerdem die anderen Internetplattformen existieren und die Beteiligten auch weiterhin entweder über ihre Geschäfte oder über das Internet miteinander konkurrieren, wird der Wettbewerb nicht ausgeschaltet.

255.

Vertriebs-Jointventures

Beispiel 4

Sachverhalt: Unternehmen A und B sind in zwei unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig und stellen Fahrradreifen her. Ihr Anteil am Unionsmarkt für Fahrradreifen beträgt zusammengenommen 14 %. Sie beschließen, ein Jointventure (mit eingeschränkten Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit) zu gründen, über das sie ihre Reifen Fahrradherstellern anbieten wollen; außerdem vereinbaren sie, ihre gesamte Produktion über dieses Gemeinschaftsunternehmen zu verkaufen. Die Produktions- und Transportinfrastrukturen der beiden Parteien bleiben getrennt. Die Parteien versprechen sich aus der Vereinbarung erhebliche Effizienzgewinne, die im Wesentlichen auf Größenvorteilen beruhen, da die Parteien in der Lage sein werden, der Nachfrage ihrer bestehenden und ihrer potenziellen neuen Kunden nachzukommen und besser mit aus Drittländern eingeführten Reifen zu konkurrieren. Das Jointventure handelt die Preise aus und weist die Bestellung dem am nächsten gelegenen Werk zu; auf diese Weise können bei der Auslieferung an die Kunden Transportkosten eingespart werden.

Analyse: Obwohl der Marktanteil der beiden Parteien insgesamt unter 15 % liegt, fällt die Vereinbarung unter Artikel 101 Absatz 1. Es handelt sich hier um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, da die Vereinbarung eine Kundenzuweisung und eine Preisfestsetzung durch das Jointventure beinhaltet. Die geltend gemachten Effizienzgewinne erwachsen weder aus der Integration wirtschaftlicher Tätigkeiten noch aus gemeinsamen Investitionen. Das Jointventure hätte einen sehr begrenzten Wirkungskreis und würde nur als Schnittstelle für die Weiterleitung von Bestellungen an die jeweiligen Produktionsstätten dienen. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass etwaige Effizienzgewinne in einem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen der Vereinbarung überwiegen. Die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 wären somit nicht erfüllt.

256.

Abwerbeverbot in Vereinbarungen über die Auslagerung (Outsourcing) von Dienstleistungen

Beispiel 5

Sachverhalt: Die Unternehmen A und B sind Wettbewerber in der Branche für gewerbliche Gebäudereinigung. Beide haben einen Marktanteil von 15 %. Es gibt weitere Wettbewerber mit Marktanteilen zwischen 10 % und 15 %. Unternehmen A hat beschlossen, sich fortan ausschließlich auf Großkunden zu konzentrieren, da die Bedienung von Groß- und Kleinkunden eine unterschiedliche Arbeitsorganisation erfordert. Deshalb wird das Unternehmen keine Verträge mehr mit Kleinkunden schließen. Zudem haben A und B eine Outsourcing-Vereinbarung unterzeichnet, der zufolge Unternehmen B direkt die Reinigungsdienste für die Kleinkunden von A (ein Drittel der Kundenbasis von A) übernimmt. Da A jedoch seine vertraglichen Beziehungen mit diesen Kleinkunden auf keinen Fall verlieren will, wird es seine vertraglichen Beziehungen zu den Kleinkunden aufrechterhalten, auch wenn die Reinigungsdienste von B erbracht werden. Damit B die Outsourcing-Vereinbarung erfüllen kann, muss A die Namen der Kleinkunden, die Gegenstand der Vereinbarung sind, an B weitergeben. Da A befürchtet, B könnte diese Kunden durch kostengünstigere Angebote abwerben (und somit Unternehmen A umgehen), besteht A darauf, eine Klausel in die Vereinbarung aufzunehmen, die das Abwerben von Kunden verbietet („Abwerbeverbot“). Nach dieser Klausel darf B nicht mit eigenen Angeboten für die direkte Erbringung von Dienstleistungen an die Kleinkunden, die Gegenstand der Outsourcing-Vereinbarung sind, herantreten. Darüber hinaus vereinbaren A und B, dass B selbst dann, wenn sich diese Kleinkunden von sich aus an B wenden, keine Dienstleistungen direkt für diese erbringen darf. Ohne das Abwerbeverbot hätte A die Outsourcing-Vereinbarung mit B oder einem anderen Unternehmen nicht unterzeichnet.

Analyse: Die Outsourcing-Vereinbarung schaltet Unternehmen B als unabhängigen Anbieter von Gebäudereinigungsdiensten für die Kleinkunden von Unternehmen A aus, da es für diese Kunden nicht mehr möglich ist, in ein direktes Vertragsverhältnis mit Unternehmen B einzutreten. Diese Kunden machen allerdings nur ein Drittel der Kundenbasis des Unternehmens A, d. h. 5 % des Marktes, aus. Sie können sich nach wie vor an die Wettbewerber der Unternehmen A und B wenden, auf die 70 % des Marktes entfällt. Für Unternehmen A wird es folglich nicht möglich sein, seinen Kunden, die Gegenstand der Outsourcing-Vereinbarung sind, höhere Preise in Rechnung zu stellen. Des Weiteren ist es unwahrscheinlich, dass die Outsourcing-Vereinbarung zu einem Kollusionsergebnis führt, da die Unternehmen A und B gemeinsam nur über einen Marktanteil von 30 % verfügen und mit mehreren anderen Unternehmen im Wettbewerb stehen, die über ähnlich große Marktanteile verfügen wie sie. Angesichts der Tatsache, dass sich die Dienstleistungserbringung für Groß- und für Kleinkunden in gewisser Hinsicht unterscheidet, ist die Gefahr von Spill-over-Effekten der Outsourcing-Vereinbarung auf das Verhalten der Unternehmen A und B im Wettbewerb um Großkunden sehr gering. Infolgedessen ist es unwahrscheinlich, dass die Outsourcing-Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben wird.

7.   VEREINBARUNGEN ÜBER NORMEN

7.1.   Definition

Vereinbarungen über Normen

257.

Vereinbarungen über Normen bezwecken im Wesentlichen die Festlegung technischer oder qualitätsbezogener Anforderungen an bestehende oder zukünftige Produkte, Herstellungsverfahren, Dienstleistungen und Methoden (95). Vereinbarungen über Normen erstrecken sich über unterschiedliche Bereiche wie die Normierung unterschiedlicher Ausführungen oder Größen eines Produkts oder technische Spezifikationen in Produkt- oder Dienstleistungsmärkten, bei denen die Kompatibilität und Interoperabilität mit anderen Produkten oder Systemen unerlässlich ist. Auch die Bedingungen des Zugangs zu einem bestimmten Gütezeichen oder der Genehmigung durch eine Regulierungsbehörde kann als Norm angesehen werden. Vereinbarungen, in denen Normen für die Umweltleistung von Produkten oder Herstellungsverfahren festgelegt sind, sind ebenfalls Gegenstand dieses Kapitels.

258.

Die Vorbereitung und Ausarbeitung technischer Normen als Teil der Ausübung hoheitlicher Befugnisse fallen nicht unter diese Leitlinien (96). Die nach der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (97) anerkannten europäischen Normenorganisationen unterliegen insoweit dem Wettbewerbsrecht, als sie als Unternehmen oder Unternehmensvereinigung im Sinne der Artikel 101 und 102 AEUV betrachtet werden können (98). Normen, die sich auf die Berufsausübung beziehen (zum Beispiel Vorschriften über den Zugang zu einem freien Beruf) sind nicht Gegenstand dieser Leitlinien.

Standardbedingungen

259.

In einigen Branchen verwenden Unternehmen Standardverkaufsbedingungen, die entweder von einem Wirtschaftsverband oder aber direkt von den Wettbewerbern ausgearbeitet worden sind (nachstehend „Standardbedingungen“ genannt) (99). Derartige Standardbedingungen fallen dann unter diese Leitlinien, wenn es sich um Standardbedingungen für den Kauf oder Verkauf von Waren und Dienstleistungen handelt, die zwischen Wettbewerbern und Verbrauchern (und nicht zwischen Wettbewerbern) für untereinander austauschbare Produkte vereinbart wurden. Ist in einer Branche die Verwendung von Standardbedingungen gängig, kann dies de facto eine Angleichung der Kauf- bzw. Verkaufsbedingungen in der Branche zur Folge haben (100). Branchen, in denen Standardbedingungen eine wichtige Rolle spielen, sind der Bankensektor (zum Beispiel Kontobedingungen) und die Versicherungsbranche.

260.

Bei Standardbedingungen, die von einem einzelnen Unternehmen ausschließlich für eigene Zwecke für Verträge mit Zulieferern oder Kunden ausgearbeitet wurden, handelt es sich nicht um horizontale Vereinbarungen; sie sind folglich nicht Gegenstand dieser Leitlinien.

7.2.   Relevante Märkte

261.

Vereinbarungen über Normen können sich auf vier möglichen Märkten auswirken, die in Übereinstimmung mit der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft abgegrenzt werden können. Die Normung kann sich erstens auf die Produkt- und Dienstleistungsmärkte auswirken, auf die sich die Normen beziehen. Zweitens beinhaltet die Normung die Technologiewahl und werden die Rechte des geistigen Eigentums getrennt von den Produkten vermarktet, auf die sie sich beziehen, so kann sich die Norm auf den entsprechenden Technologiemarkt auswirken (101). Drittens kann der Markt für die Festsetzung von Normen betroffen sein, wenn mehrere Normenorganisationen oder Vereinbarungen bestehen. Viertens kann sich eine Normung gegebenenfalls auf einen eigenständigen Markt für die Prüfung und Zertifizierung auswirken.

262.

Bei Standardbedingungen zeigen sich die Auswirkungen in der Regel auf den nachgelagerten Märkten, auf denen Unternehmen, die mit Standardbedingungen arbeiten, über den Verkauf ihres Produkts an ihre Kunden miteinander konkurrieren.

7.3.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 1

7.3.1.   Grundlegende kartellrechtliche Bedenken

Vereinbarungen über Normen

263.

Vereinbarungen über Normen wirken sich in der Regel sehr positiv auf die Wirtschaft aus (102), indem sie unter anderem die wirtschaftliche Durchdringung im Binnenmarkt fördern und zur Entwicklung neuer, besserer Produkte/Märkte und besserer Lieferbedingungen beitragen. Folglich bewirken Normen in der Regel einen stärkeren Wettbewerb und niedrigere Output- und Verkaufskosten, was den Volkswirtschaften insgesamt zugutekommt. Normen leisten einen Beitrag zur Aufrechterhaltung und Verbesserung von Qualität, sind eine Informationsquelle und gewährleisten Interoperabilität und Kompatibilität (und wirken somit wertsteigernd für die Verbraucher).

264.

Normung kann unter bestimmten Umständen jedoch auch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, da sie potenziell den Preiswettbewerb beeinträchtigen und Produktionsmengen, Märkte, Innovation und technische Entwicklung einschränken oder kontrollieren kann. Dies geschieht im Wesentlichen über drei Wege, und zwar durch eine Verringerung des Preiswettbewerbs, die Marktverschließung gegenüber innovativen Technologien und den Ausschluss oder die Diskriminierung bestimmter Unternehmen, indem ihnen effektiv der Zugang zu der Norm verwehrt wird.

265.

Wenn Unternehmen sich im Rahmen der Normung in wettbewerbswidriger Weise absprechen, kann dies erstens den Preiswettbewerb auf den betreffenden Märkten verringern oder ausschließen und ein Kollusionsergebnis auf dem Markt begünstigen (103).

266.

Zweitens können Normen, mit denen detaillierte technische Spezifikationen für eine Ware oder Dienstleistung festgelegt werden, die technische Entwicklung und Innovation behindern. In der Entwicklungsphase einer Norm können auch andere Technologien für die Aufnahme in die Norm in Frage kommen. Sobald aber eine bestimmte Technologie ausgewählt und die Norm festgelegt worden ist, kann für konkurrierende Technologien und Unternehmen eine Zutrittsschranke bestehen, so dass sie potenziell vom Markt ausgeschlossen sind. Außerdem können Normen, die vorschreiben, dass für die betreffende Norm ausschließlich eine bestimmte Technologie zu verwenden ist, oder die die Entwicklung anderer Technologien hemmen, weil die Mitglieder der Normenorganisation ausschließlich eine bestimmte Norm verwenden dürfen, dieselbe Wirkung haben. Die Gefahr der Einschränkung von Innovation steigt, wenn ein oder mehr Unternehmen in ungerechtfertigter Weise vom Normungsprozess ausgeschlossen werden.

267.

Im Zusammenhang mit Normen, die Rechte des geistigen Eigentums (104) betreffen, können theoretisch drei Hauptgruppen von Unternehmen mit unterschiedlichen Interessen an der Normung ausgemacht werden (105): erstens gibt es ausschließlich auf vorgelagerten Märkten angesiedelte Unternehmen, die nur in der Entwicklung und Vermarktung von Technologien tätig sind. Lizenzeinnahmen sind ihre einzige Einnahmequelle und ihr Anreiz besteht darin, die Lizenzgebühren zu maximieren; zweitens gibt es auf nachgelagerten Märkten angesiedelte Unternehmen, deren Waren und Dienstleistungen ausschließlich auf Technologien beruhen, die von anderen Unternehmen entwickelt wurden. Sie selbst sind nicht Inhaber der entsprechenden Rechte des geistigen Eigentums. Lizenzgebühren sind für sie ein Kostenfaktor und keine Einnahmequelle und ihr Anreiz besteht für sie darin, Lizenzgebühren zu verringern oder zu vermeiden. Ferner gibt es vertikal integrierte Unternehmen, die sowohl Technologien entwickeln als auch Produkte verkaufen. Ihre Interessenlage ist vielfältig. Einerseits können diese Unternehmen Lizenzeinnahmen aus ihren Rechten des geistigen Eigentums erzielen. Andererseits müssen sie eventuell an andere Unternehmen Lizenzgebühren für Rechte des geistigen Eigentums zahlen, die für die betreffende Norm wesentlich sind. Sie könnten deshalb Lizenzen für ihre eigenen wesentlichen Rechte des geistigen Eigentums gegen Lizenzen anderer Unternehmen tauschen (sogenanntes „cross-licensing“).

268.

Drittens kann Normung wettbewerbswidrige Folgen haben, wenn bestimmte Unternehmen am effektiven Zugang zu den Ergebnissen des Normungsprozesses (zum Beispiel der Spezifikation und/oder den für die Einführung der Norm wesentlichen Rechten des geistigen Eigentums) gehindert werden. Wenn einem Unternehmen der Zugang zum Normungsergebnis entweder gänzlich verwehrt oder nur zu prohibitiven oder diskriminierenden Bedingungen gewährt wird, besteht die Gefahr wettbewerbswidriger Auswirkungen. In einem System, in dem potenziell relevante Rechte des geistigen Eigentums vorab offengelegt werden, wird die Gewährung des Zugangs zu der Norm wahrscheinlicher, weil die Beteiligten erfahren können, welche Technologien durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt sind. So können die Beteiligten sowohl die potenziellen Auswirkungen auf den Endpreis des Normungsergebnisses berücksichtigen (eine nicht durch Rechte des geistigen Eigentums geschützte Technologie dürfte zum Beispiel positive Auswirkungen auf den Endpreis haben) als auch die Bereitschaft des Rechteinhabers zur Lizenzierung der Technologie ausloten, falls diese in die Norm aufgenommen würde.

269.

Mit Gesetzen zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums und mit dem Wettbewerbsrecht werden dieselben Ziele (106) – Innovationsförderung und Förderung des Verbraucherwohls – verfolgt. Rechte des geistigen Eigentums beleben den Wettbewerb, weil sie Unternehmen dazu bewegen, in neue und verbesserte Produkte und Verfahren zu investieren. Rechte des geistigen Eigentums sind deshalb im Allgemeinen wettbewerbsfördernd. Allerdings könnte ein Teilnehmer, der Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums ist, die für die Einführung einer Norm benötigt werden, im Normungskontext auch die Kontrolle über die Nutzung einer Norm erlangen. Wenn eine Norm eine Marktzutrittsschranke darstellt, könnte ein Unternehmen den Produkt- oder Dienstleistungsmarkt, auf den sich die betreffende Norm bezieht, kontrollieren. Dies würde es Unternehmen wiederum ermöglichen, sich wettbewerbswidrig zu verhalten, zum Beispiel durch Hold-ups nach Annahme der Norm, entweder indem sie sich der Lizenzierung der benötigten Rechte des geistigen Eigentums verweigern oder übermäßige Erträge erzielen, weil sie von den Anwendern überhöhte (107) Lizenzgebühren verlangen und dadurch den effektiven Zugang zu der Norm verhindern. Selbst wenn die Festlegung einer Norm die Marktmacht von Inhabern von Rechten des geistigen Eigentums, die für eine Normen benötigt werden, begründen oder vergrößern kann, wird nicht unterstellt, dass die Inhaberschaft oder die Ausübung dieser Rechte dem Besitz oder der Ausübung von Marktmacht gleichkommt. Die Frage der Marktmacht kann nur im Einzelfall geprüft werden.

Standardbedingungen

270.

Standardbedingungen können zu wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen führen, indem sie Produktangebot und Innovation einschränken. Wenn ein großer Teil der Branche Standardbedingungen verwendet und auch in einzelnen Fällen nicht von diesen abweicht (oder nur in Ausnahmefällen besonders hoher Nachfragemacht von diesen abweicht), haben die Kunden keine andere Wahl, als die Standardbedingungen zu akzeptieren. Das Risiko einer Einschränkung der Auswahlmöglichkeiten und Innovation würde allerdings nur dann bestehen, wenn in den Standardbedingungen der Anwendungsbereich des Endprodukts festgelegt ist. Bei typischen Verbrauchsgütern schränken die allgemeinen Verkaufsbedingungen weder die Innovation des tatsächlichen Produkts noch die Qualität und Vielfalt des Produkts ein.

271.

Je nach inhaltlicher Ausgestaltung könnten Standardbedingungen das Risiko bergen, dass sie sich auf die kommerziellen Bedingungen für das Endprodukt auswirken. So besteht durchaus eine große Gefahr, dass Standardbedingungen, die sich auf Preise beziehen, den Preiswettbewerb beeinträchtigen.

272.

Wenn zudem Standardbedingungen branchenübliche Praxis werden, könnte sich der Zugang zu diesen Bedingungen für den Marktzutritt als entscheidend erweisen. Wird der Zugang zu den Standardbedingungen verweigert, bestünde die Gefahr einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung. Solange allen, die Zugang zu den Standardbedingungen wünschen, dieser Zugang nicht verwehrt wird, ist eine wettbewerbswidrige Marktverschließung unwahrscheinlich.

7.3.2.   Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen

Vereinbarungen über Normen

273.

Vereinbarungen, die eine Norm als Teil einer umfassenderen restriktiven Vereinbarung verwenden, wodurch der tatsächliche oder potenzielle Wettbewerb ausgeschlossen werden soll, bezwecken eine Wettbewerbsbeschränkung. Zu dieser Gruppe gehören zum Beispiel Vereinbarungen, mit der ein nationaler Herstellerverband eine Norm setzt und Druck auf Dritte ausübt, keine Produkte auf den Markt zu bringen, die mit dieser Norm nicht übereinstimmen, oder solche, bei denen die Hersteller des etablierten Produkts kollusiv handeln, um neue Technologien von einer bestehenden Norm (108) auszuschließen.

274.

Vereinbarungen, die den Wettbewerb beschränken sollen, indem vor Annahme einer Norm wesentliche Rechte des geistigen Eigentums oder die restriktivsten Lizenzregelungen offengelegt werden, um letztendlich gemeinsame Preise entweder für nachgelagerte Produkte oder für substituierbare Technologien oder substituierbares geistiges Eigentum festzulegen, werden als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung betrachtet (109).

Standardbedingungen

275.

Vereinbarungen, die Standardbedingungen als Teil einer breiteren restriktiven Vereinbarung verwenden, mit der der tatsächliche oder potenzielle Wettbewerb ausgeschlossen werden soll, bezwecken eine Wettbewerbsbeschränkung So würde es sich beispielsweise im Falle eines Wirtschaftsverbands, der einem neuen Marktteilnehmer den Zugang zu seinen Standardbedingungen verweigert, obwohl die Anwendung dieser Bedingungen für den Marktzutritt entscheidend sind, um eine solche bezweckte Wettbewerbsbeschränkung handeln.

276.

Bei Standardbedingungen mit Bestimmungen, die sich direkt auf Kundenpreise auswirken (zum Beispiel Preisempfehlungen oder Rabatte), handelt es sich ebenfalls um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung.

7.3.3.   Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen

Vereinbarungen über Normen

Den Wettbewerb normalerweise nicht beschränkende Vereinbarungen

277.

Vereinbarungen über Normen, die keine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken, müssen in ihrem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang auf ihre tatsächlichen und wahrscheinlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb geprüft werden. Wenn keine Marktmacht besteht (110), können Normenvereinbarungen keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen haben. Solche Auswirkungen sind deshalb in Fällen, in denen wirksamer Wettbewerb zwischen mehreren freiwillig vereinbarten Normen herrscht, sehr unwahrscheinlich.

278.

Für Normenvereinbarungen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie Marktmacht entstehen lassen, zeigen die Randnummern 280 bis 286 auf, unter welchen Voraussetzungen sie normalerweise in den Anwendungsbereich von Artikel 101 Absatz 1 fallen.

279.

Die Nichteinhaltung der in diesem Abschnitt dargelegten Grundsätze führt nicht zu der Annahme, dass eine Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 vorliegt. Dennoch müssen die Beteiligten selbst prüfen, ob die Vereinbarung unter Artikel 101 Absatz 1 fällt und ob die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 gegebenenfalls erfüllt sind. In diesem Zusammenhang wird anerkannt, dass es verschiedene Normungsmodelle gibt und dass ein Wettbewerb innerhalb dieser Modelle sowie der Modelle untereinander zu den positiven Aspekten einer Marktwirtschaft gehören. Deshalb steht es Normenorganisationen nach wie vor frei, andere als die in den Randnummern 280 bis 286 beschriebenen Regeln und Verfahren festzulegen, sofern sie nicht gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen.

280.

Ist die Möglichkeit der uneingeschränkten Mitwirkung am Normungsprozess gegeben und das Verfahren für die Annahme der betreffenden Norm transparent, liegt bei Normenvereinbarungen, die keine Verpflichtung zur Einhaltung  (111) der Norm enthalten und Dritten den Zugang zu der Norm zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen gewähren, keine Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 vor.

281.

Damit eine uneingeschränkte Beteiligung gewährleistet ist, müsste durch die Regeln der Normenorganisationen sichergestellt sein, dass sich alle Wettbewerber auf den von der Norm betroffenen Märkten am Normungsprozess beteiligen können. Die Normenorganisationen sollten die Stimmrechte in einem objektiven und diskriminierungsfreien Verfahren zuweisen sowie gegebenenfalls objektive Kriterien für die Auswahl der für den Standard relevanten Technik anwenden.

282.

Die einschlägigen Normenorganisationen sollten durch Verfahren, die es den Akteuren ermöglichen, sich über die anstehende, laufende oder abgeschlossene Normungsarbeit zu informieren, Transparenz gewährleisten.

283.

Des Weiteren müssen die Regeln der Normenorganisationen den effektiven Zugang zu der Norm zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen gewährleisten  (112).

284.

Bei einer Norm, die Rechte des geistigen Eigentums betrifft, erhöht sich durch ein klares, ausgewogenes und auf Rechte des geistigen Eigentums ausgelegtes Konzept  (113), das auf die betreffende Branche und den Bedarf der jeweiligen Normenorganisation zugeschnitten ist, die Wahrscheinlichkeit, dass die Umsetzer der Norm auch tatsächlich Zugang zu der Norm erhalten.

285.

Zur Gewährleistung eines tatsächlichen Zugangs zu der Norm müsste das Konzept für Rechte des geistigen Eigentums auch vorsehen, dass die Beteiligten (wenn ihre Rechte des geistigen Eigentums Bestandteil der Norm werden sollen) eine unwiderrufliche schriftliche Verpflichtung abgeben müssen, Dritten zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen Lizenzen für diese Rechte zu erteilen („FRAND-Selbstverpflichtung“)  (114). Diese Selbstverpflichtung sollte vor Annahme der Norm abgegeben werden. Gleichzeitig sollte das Konzept für Rechte des geistigen Eigentums den Inhabern der entsprechenden Rechte ermöglichen, gewisse Technologien von dem Normungsprozess und damit von der Lizenzangebotspflicht auszuschließen, vorausgesetzt, dieser Ausschluss erfolgt zu einem frühen Zeitpunkt der Normentwicklung. Um die Wirksamkeit einer FRAND-Selbstverpflichtung zu gewährleisten, sollten alle teilnehmenden Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums, die eine solche Verpflichtung eingegangen sind, sicherstellen müssen, dass auch Unternehmen, an die sie ihre Rechte des geistigen Eigentums (einschließlich des Rechts zur Lizenzerteilung) übertragen, an diese Verpflichtung gebunden sind. Dies könnte beispielsweise mittels einer entsprechenden Klausel zwischen Käufer und Verkäufer geregelt werden.

286.

Das Konzept für Rechte des geistigen Eigentums müsste Mitglieder zur gutgläubigen Offenlegung derjenigen Rechte des geistigen Eigentums verpflichten, die für die Anwendung einer in Ausarbeitung befindlichen Norm erforderlich sein könnten. Dadurch könnte die Branche fundierte Entscheidungen hinsichtlich der Wahl der Technologie treffen und so zu dem Ziel des Normzugangs beitragen. Die Verpflichtung zur Offenlegung könnte in einer laufenden Offenlegung während der Entwicklung der Norm sowie in angemessenen Bemühungen bestehen, darüber zu informieren, welche ihrer bestehenden oder beantragten Rechte des geistigen Eigentums für die anvisierte Norm in Betracht kämen (115). Es reicht auch aus, wenn Beteiligte erklären, dass sie bei einer bestimmten Technologie wahrscheinlich Rechte des geistigen Eigentums geltend machen werden (dies kann ohne Nennung der Ansprüche oder des Verwertungszwecks geschehen). Da die Gefahr einer Beschränkung des Zugangs nicht besteht, wenn es sich um eine Normenorganisation handelt, die mit gebührenfreien Lizenzen arbeitet, ist die Offenlegung von Rechten des geistigen Eigentums in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung.

FRAND-Selbstverpflichtung

287.

Die FRAND-Selbstverpflichtung soll sicherstellen, dass die für eine Norm wesentliche patentierte Technologie den Anwendern dieser Norm zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen zugänglich ist. So können die Inhaber dieser Rechte durch die FRAND-Selbstverpflichtungen insbesondere davon abgehalten werden, dass sie die Anwendung einer Norm erschweren, indem sie die Lizenzerteilung ablehnen oder unfaire bzw. unangemessene (d. h. überhöhte) Gebühren verlangen, nachdem sich die Branche der Norm angeschlossen hat, und/oder indem sie diskriminierende Lizenzgebühren verlangen.

288.

Zur Einhaltung von Artikel 101 durch eine Normenorganisation ist es nicht erforderlich, dass diese selbst überprüft, ob die Lizenzierung nach dem FRAND-Grundsatz erfolgt. Die Beteiligten müssen selbst prüfen, ob die Lizenzbedingungen und insbesondere die erhobenen Gebühren die FRAND-Voraussetzungen erfüllen. Deshalb müssen sich die Beteiligten bei den betreffenden Rechten des geistigen Eigentums vorab über die Bedeutung einer FRAND-Selbstverpflichtung im Klaren sein, und zwar insbesondere hinsichtlich ihrer Möglichkeit, die Gebühren frei festzulegen.

289.

Im Falle eines Rechtsstreits wird bei der wettbewerbsrechtlichen Prüfung, ob im Rahmen der Normung unfaire oder unzumutbare Gebühren für den Zugang zu Rechten des geistigen Eigentums verlangt wurden, untersucht, ob die Gebühren in einem angemessenen Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert der Rechte des geistigen Eigentums stehen (116). Grundsätzlich gibt es dafür mehrere Prüfmethoden. Prinzipiell eignen sich kostenbezogene Methoden in diesem Kontext eher weniger, da es schwierig ist, die Kosten einzuschätzen, die mit der Entwicklung eines bestimmten Patents oder von Patentbündeln verbunden sind. Stattdessen könnten die Lizenzgebühren, die das betreffende Unternehmen in einem Wettbewerbsumfeld für die einschlägigen Patente in Rechnung stellt, bevor die Branche an die Norm gebunden ist (ex ante), mit jenen verglichen werden, die der Branche in Rechnung gestellt werden, nachdem die Norm für sie bindend geworden ist (ex post). Dies setzt voraus, dass der Vergleich in kohärenter und verlässlicher Weise vorgenommen werden kann (117).

290.

Eine weitere Methode wäre die Einholung eines unabhängigen Expertengutachtens, in dem der objektive Stellenwert der Rechte des geistigen Eigentums und deren Notewendigkeit für die betreffende Norm untersucht werden. In einem geeigneten Fall könnten auch vorab im Rahmen eines bestimmten Normungsprozesses offengelegte Angaben zu den r Lizenzbedingungen herangezogen werden. Dies setzt wiederum voraus, dass der Vergleich in kohärenter und verlässlicher Weise vorgenommen werden kann. Auch die bei vergleichbaren Normen für dasselbe Recht des geistigen Eigentums geltenden Gebührensätze können als Orientierung für die FRAND-Gebührensätze dienen. Diese Leitlinien enthalten keine vollständige Liste aller in Frage kommenden Methoden für die Prüfung, ob überhöhte Lizenzgebühren verlangt werden.

291.

Von diesen Leitlinien unberührt bleibt die Möglichkeit der Beteiligten, die zuständigen Zivil- und Handelsgerichte zur Beilegung von Streitfällen betreffend die Höhe der FRAND-Gebührensätze anzurufen.

Prüfung der Wirkung von Normenvereinbarungen

292.

Bei der kartellrechtlichen Prüfung einer Vereinbarung über Normen muss die anzunehmende Auswirkung der Norm auf die betreffenden Märkte betrachtet werden. Die folgenden Erwägungen gelten für alle Normenvereinbarungen, die auf den Grundsätzen der Randnummern 280 bis 286 basieren.

293.

Ob Normenvereinbarungen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, kann davon abhängen, ob die Beteiligten weiterhin die Freiheit haben, andere Normen oder Produkte zu entwickeln, die nicht der vereinbarten Norm entsprechen (118). Wenn die Normenvereinbarung die Beteiligten zum Beispiel dazu verpflichtet, nur Waren herzustellen, die die Norm erfüllen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit wettbewerbswidriger Auswirkungen erheblich und kann unter bestimmten Umständen zu einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung führen (119). Zugleich werfen Normen, die lediglich untergeordnete Aspekte oder Bestandteile des Endprodukts betreffen, wahrscheinlich geringere wettbewerbsrechtliche Bedenken auf als umfassendere Normen.

294.

Zu den zentralen Punkten der Prüfung, ob eine bestimmte Vereinbarung wettbewerbsbeschränkend ist, gehört ferner der Aspekt des Zugangs zu der Norm. Ist das Ergebnis einer Norm (d. h. die Spezifikation zur Einhaltung der Norm und gegebenenfalls die für die Einführung der Norm wesentlichen Rechte des geistigen Eigentums) gar nicht oder nur unter diskriminierenden Bedingungen für Mitglieder oder Dritte (d. h. Unternehmen, die nicht Mitglied der jeweiligen Normenorganisation sind) zugänglich, kann dies zu einer Diskriminierung, Abschottung oder Segmentierung von Märkten nach ihrem räumlichen Anwendungsbereich führen und damit den Wettbewerb beschränken. Bei mehreren konkurrierenden Normen oder in Fällen, in denen wirksamer Wettbewerb zwischen den genormten und den nicht genormten Lösungen herrscht, hat eine Zugangsbeschränkung dagegen nicht notwendigerweise wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen.

295.

Ist die Mitwirkung am Normungsprozess insofern offen, als sich alle von der Norm betroffenen Wettbewerber (und/oder Akteure) auf dem Markt an der Wahl und Ausarbeitung der Norm beteiligen können, werden wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen unwahrscheinlicher, weil den Unternehmen die Möglichkeit der Einflussnahme bei der Wahl und Ausarbeitung der Norm nicht genommen wird (120). Je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Norm sich auf den Markt auswirkt, und je größer ihr potenzieller Anwendungsbereich desto wichtiger ist es, gleichen Zugang zum Normungsprozess zu ermöglichen. Wenn sich aus dem jeweiligen Tatbestand jedoch ergibt, dass zwischen mehreren Normen und Normenorganisationen Wettbewerb herrscht (wobei die Norm nicht unbedingt branchenweit angewandt werden muss), liegen möglicherweise keine spürbaren wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen vor. Auch hat die Vereinbarung wahrscheinlich keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 zur Folge, wenn die Annahme der Norm wegen des Fehlens einer Begrenzung der Anzahl der Beteiligten nicht möglich wäre (121). Unter bestimmten Umständen können potenziell negative Auswirkungen einer eingeschränkten Mitwirkung beseitigt oder zumindest begrenzt werden, und zwar wenn die Akteure über den Stand der Arbeiten informiert und dazu konsultiert werden (122). Je transparenter das Annahmeverfahren für eine Norm ist, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass bei der endgültigen Norm die Interessen aller Akteure berücksichtigt sind.

296.

Um die Auswirkungen einer Normenvereinbarung prüfen zu können, sollten die Marktanteile der auf der betreffenden Norm basierenden Waren und Dienstleistungen berücksichtigt werden. Möglicherweise ist es nicht immer möglich, frühzeitig mit Bestimmtheit festzustellen, ob eine Norm in der Praxis von einem großen Teil der Branche angenommen werden wird oder ob sie nur von einem geringen Teil der Branche verwendet wird. In vielen Fällen bieten sich die Marktanteile der Unternehmen, die sich an der Entwicklung der Norm beteiligen, als Richtwert an, um den voraussichtlichen Marktanteil der Norm zu schätzen (diese Unternehmen dürften in der Regel ein Interesse an der Einführung der Norm haben) (123). Da sich die Wirksamkeit von Normenvereinbarung jedoch häufig proportional zum Anteil der an der Festlegung und/oder Anwendung der Norm beteiligten Branche verhält, lassen hohe Anteile der Parteien an den von der Norm betroffenen Märkten nicht unbedingt den Schluss zu, dass die Norm wahrscheinlich wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat.

297.

Normenvereinbarungen, die eindeutig tatsächliche oder potenzielle Mitglieder diskriminieren, könnten zu Wettbewerbsbeschränkungen führen. Werden durch eine Normenvereinbarung zum Beispiel ausdrücklich nur Unternehmen des vorgelagerten Marktes (also Unternehmen, die nicht auf dem nachgelagerten Markt tätig sind) ausgeschlossen, könnte dies zu einem Ausschluss potenziell besserer Technologien führen.

298.

Was Normenvereinbarungen mit anderen Arten der Offenlegung von Rechten des geistigen Eigentums als den in Randnummer 286 genannten betrifft, müsste im Einzelfall geprüft werden, ob das betreffende Offenlegungsmodell (zum Beispiel eines, das die Offenlegung von Rechten des geistigen Eigentums nicht vorschreibt, sondern nur dazu anregt) effektiv Zugang zu der Norm gewährt. Es muss mit anderen Worten geprüft werden, ob bei der Wahl einer Technologie und der damit verbundenen Rechte des geistigen Eigentums in einem bestimmten Kontext eine fundierte Entscheidung in der Praxis nicht durch das Offenlegungsmodell verhindert wird.

299.

Normenvereinbarungen, die eine vorherige Offenlegung der restriktivsten Lizenzbedingungen verlangen, stellen grundsätzlich keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 dar. Deshalb ist es wichtig, dass Parteien, die an der Wahl einer Norm beteiligt sind, umfassend informiert werden, und zwar nicht nur über die zur Auswahl stehenden technischen Optionen und die damit verbundenen Rechte des geistigen Eigentums, sondern auch über die voraussichtlichen Kosten dieser Rechte. Sieht das von einer Normenorganisation entworfene Konzept zum Schutz von Rechten des geistigen Eigentums also vor, dass Rechteinhaber ihre restriktivsten Lizenzbedingungen (einschließlich der höchsten Lizenzgebühren, die sie verlangen würden) vor Annahme der Norm offenlegen, würde dies keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben (124). Eine solche unilaterale vorherige Offenlegung der restriktivsten Lizenzbedingungen böte den Normenorganisationen die Möglichkeit, eine fundierte Entscheidung zu treffen, bei der sie nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch in preislicher Hinsicht die Vor- und Nachteile der verschiedenen in Rede stehenden Technologien berücksichtigen könnten.

Standardbedingungen

300.

Die Vereinbarung und Anwendung von Standardbedingungen müssen in einem geeigneten wirtschaftlichen Kontext und unter Berücksichtigung der Lage auf dem relevanten Markt untersucht werden, wenn geprüft werden soll, ob die Standardbedingungen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben könnten.

301.

Solange (über einen Wirtschaftsverband oder direkt) eine uneingeschränkte Beteiligung der Wettbewerber auf dem relevanten Markt an der tatsächlichen Festlegung von Standardbedingungen gewährleistet ist und es sich um nicht verbindliche und uneingeschränkt zugängliche Standardbedingungen handelt, ist (unter dem in den Randnummern 303, 304, 305 und 307 erläuterten Vorbehalt) nicht damit zu rechnen, dass derartige Vereinbarungen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben.

302.

Zugängliche und nicht verbindliche Standardbedingungen für den Verkauf von Verbrauchsgütern oder Dienstleistungen haben somit (in der Annahme, dass sie sich nicht auf den Preis auswirken) in der Regel keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen, da es unwahrscheinlich ist, dass sie sich negativ auf Produktqualität, Produktvielfalt oder Innovation auswirken. Es gibt jedoch zwei allgemeine Ausnahmen, bei denen eine eingehendere Prüfung angezeigt ist.

303.

Erstens könnten Standardbedingungen für den Verkauf von Verbrauchsgütern oder Dienstleistungen, in denen der Anwendungsbereich des verkauften Produkts festgelegt ist, so dass ein höheres Risiko einer Einschränkung des Produktangebots besteht, zu wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 führen, wenn ihre allgemeine Anwendung de facto wahrscheinlich zu einer Abstimmung führen würde. Dies könnte der Fall sein, wenn Standardbedingungen aufgrund ihrer allgemein gängigen Anwendung de facto zu einer Einschränkung von Innovation und Produktvielfalt führen. Ein solcher Fall könnte vorliegen, wenn die Standardbedingungen in Versicherungsverträgen den Kunden in seiner praktischen Wahl zentraler Vertragselemente (zum Beispiel abgedeckte Standardrisiken) einschränken würden. Selbst wenn die Verwendung von Standardbedingungen nicht vorgeschrieben ist, könnten sie den Wettbewerbern den Anreiz nehmen, auf der Grundlage von Produktvielfalt mit den anderen Wettbewerbern zu konkurrieren.

304.

Bei der Prüfung, ob das Risiko besteht, dass die Standardbedingungen sich wahrscheinlich wettbewerbsbeschränkend auswirken, indem das Produktangebot eingeschränkt wird, sollten Faktoren wie der auf dem Markt bestehende Wettbewerb berücksichtigt werden. Gibt es beispielsweise eine große Zahl kleinerer Wettbewerber, scheint das Risiko einer Einschränkung des Produktangebots geringer, als wenn es nur einige große Wettbewerber gibt (125). Die Marktanteile der bei der Festlegung der Standardbedingungen beteiligten Unternehmen könnten ebenfalls einen gewissen Aufschluss darüber geben, wie wahrscheinlich es ist, dass die Standardbedingungen positiv angenommen oder dass sie von einem Großteil des Markts angewandt werden. In diesem Zusammenhang ist jedoch nicht nur zu prüfen, ob die Standardbedingungen wahrscheinlich von einem Großteil des Markts angewandt werden, sondern auch, ob die Standardbedingungen nur einen Teil des Produkts oder aber das gesamte Produkt abdecken (je kleiner der Anwendungsbereich der Standardbedingungen ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie insgesamt zu einer Beschränkung des Produktangebots führen). In Fällen, in denen es ohne Standardbedingungen nicht möglich wäre, ein bestimmtes Produkt anzubieten, wären wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 sehr unwahrscheinlich. Das Produktangebot würde in einem solchen Fall durch das Festlegen von Standardbedingungen eher ausgeweitet und nicht eingeschränkt.

305.

Zweitens können sich die Standardbedingungen, selbst wenn in ihnen nicht der tatsächliche Anwendungsbereich des Endprodukts festgelegt ist, aus anderen Gründen als entscheidender Teil des Geschäfts mit dem Kunden erweisen. Ein Beispiel wäre das Online-Shopping, bei dem das Kundenvertrauen eine maßgebliche Rolle spielt (Vertrauen in die Sicherheit der verwendeten Zahlungssysteme, die Verlässlichkeit der Beschreibung der angebotenen Produkte, die Klarheit und Transparenz der Preisbildungsregeln, das Rückgaberecht usw.). Dass es für Kunden schwierig ist, all diese Elemente getrennt zu prüfen, entscheiden sie sich für die gängigsten Verfahren; Standardbedingungen, die die vorgenannten Aspekte abdecken, könnten deshalb sehr schnell eine De-facto-Norm werden, die Unternehmen erfüllen müssten, um auf dem Markt erfolgreich zu sein. Auch wenn diese Standardbedingungen nicht verbindlich sind, würden sie sich zu einer De-facto-Norm entwickeln, die in ihren Auswirkungen einer verbindlichen Norm sehr nahe käme und entsprechend untersucht werden müsste.

306.

Ist die Verwendung von Standardbedingungen zwingend, müssen sie auf ihre Auswirkungen auf Produktqualität, Produktvielfalt und Innovation geprüft werden (insbesondere, wenn die Standardbedingungen für den gesamten Markt verbindlich sind).

307.

Sollten die (verbindlichen oder nicht verbindlichen) Standardbedingungen zudem Bestimmungen enthalten, bei denen es wahrscheinlich ist, dass sie sich in Bezug auf Preise negativ auf den Wettbewerb auswirken (zum Beispiel Bestimmungen über Rabattarten), würden sie wahrscheinlich wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben.

7.4.   Kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 Absatz 3

7.4.1.   Effizienzgewinne

Vereinbarungen über Normen

308.

Mit Normenvereinbarungen werden oft erhebliche Effizienzgewinne erzielt. So kann durch unionsweite Normen die Marktintegration erleichtert und den Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Waren und Dienstleistungen in allen Mitgliedstaaten anzubieten, was für die Verbraucher ein größeres Produktangebot und niedrigere Preise bedeutet. Normen, durch die technische Interoperabilität und Kompatibilität geschaffen werden, erweisen sich häufig als wettbewerbsfördernd, weil sie die Technologien verschiedener Unternehmen zusammenführen und verhindern helfen, dass Abnehmer an einen bestimmten Anbieter gebunden sind. Darüber hinaus tragen Normen zu niedrigeren Transaktionskosten für Verkäufer und Käufer bei. Außerdem können Qualitäts-, Sicherheits- und Umweltnormen für Produkte den Verbrauchern ihre Wahl erleichtern und einen Beitrag zu mehr Produktqualität leisten. Auch für die Innovation spielen Normen eine wichtige Rolle. So verkürzen sie die Zeit bis zur Markteinführung einer neuen Technologie und fördern die Innovationstätigkeit, indem sie den Unternehmen die Möglichkeit geben, auf bereits vereinbarten Lösungen aufzubauen.

309.

Um im Falle von Normenvereinbarungen Nutzen aus diesen Effizienzgewinnen zu ziehen, müssen potenziellen neuen Marktteilnehmern die für die Normanwendung erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen (126).

310.

Die Verbreitung einer Norm kann durch die Verwendung von Gütesiegeln und Logos verbessert werden, die die Normerfüllung belegen und den Kunden dadurch Sicherheit geben. Prüfungs- und Zertifizierungsvereinbarungen gehen über das Hauptziel der Normierung hinaus und stellen normalerweise eine eigene Vereinbarung und einen eigenen Markt dar.

311.

Während die Auswirkungen auf die Innovationstätigkeit in jedem Einzelfall untersucht werden müssen, ist es bei Normen, die auf horizontaler Ebene die Kompatibilität zwischen verschiedenen Technologieplattformen sicherstellen, allerdings wahrscheinlich, dass durch sie Effizienzgewinne entstehen.

Standardbedingungen

312.

Aus der Anwendung von Standardbedingungen können wirtschaftliche Vorteile erwachsen, unter anderem für die Verbraucher, für die der Vergleich der gebotenen Konditionen und die Entscheidung, gegebenenfalls zu einem anderen Anbieter zu wechseln, einfacher werden. Standardbedingungen ermöglichen Effizienzgewinne (zum Beispiel in Form geringerer Transaktionskosten) und können in bestimmten Branchen (insbesondere in jenen mit komplexen Verträgen) den Marktzutritt erleichtern. Standardbedingungen können auch die Rechtssicherheit für die Vertragsparteien erhöhen.

313.

Je mehr Wettbewerber es auf einem Markt gibt, desto größer sind die Effizienzgewinne, die in Bezug auf einen erleichterten Vergleich der angebotenen Bedingungen erzielt werden.

7.4.2.   Unerlässlichkeit

314.

Wettbewerbsbeschränkungen, die weiter gehen, als es für die Erzielung der durch eine Normenvereinbarung oder Standardbedingungen möglichen Effizienzgewinne notwendig ist, erfüllen nicht die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3.

Vereinbarungen über Normen

315.

Bei der Bewertung von Normenvereinbarungen müssen einerseits ihre anzunehmende Auswirkung auf die betreffenden Märkte und andererseits der Umfang der Beschränkungen, die möglicherweise über das Ziel hinausgehen, Effizienzgewinne zu erzeugen, berücksichtigt werden (127).

316.

Die Beteiligung an der Normierung sollte normalerweise allen Wettbewerbern auf dem Markt/den Märkten, für den/die die Norm gilt, offenstehen, es sei denn, die Parteien weisen nach, dass dies ineffizient wäre, oder es sind anerkannte Verfahren für die kollektive Interessenvertretung vorgesehen (128).

317.

Vereinbarungen über Normen sollten sich in der Regel nur auf das erstrecken, was zur Erfüllung ihres Zwecks – sei es technische Interoperabilität und Kompatibilität oder ein bestimmtes Qualitätsniveau – erforderlich ist. Liegt in bestimmten Fällen nur eine technologische Lösung im Interesse der Verbraucher oder der Wirtschaft insgesamt, so sollte die Normsetzung diskriminierungsfrei erfolgen. Technologieneutrale Normen können unter bestimmten Umständen größere Effizienzgewinne ermöglichen. Werden substituierbare Rechte des geistigen Eigentums (129) als wesentlicher Bestandteil einer Norm einbezogen und die Nutzer der Norm gleichzeitig gezwungen, mehr für diese Rechte des geistigen Eigentums zu zahlen, als technisch notwendig wäre, so geht dies über das Maß hinaus, das für die Erzielung der angestrebten Effizienzgewinne notwendig wäre. Ebenso würde die Einbeziehung substituierbarer Rechte des geistigen Eigentums als wesentlicher Bestandteil einer Norm und die gleichzeitige Beschränkung der Nutzung der betreffenden Technologie auf diese bestimmte Norm (d. h. eine ausschließliche Nutzung) den Wettbewerb zwischen Technologien einschränken und wäre zudem nicht notwendig, um die angestrebten Effizienzgewinne zu erzielen.

318.

Beschränkungen in Normenvereinbarungen, die eine Norm für eine Branche verbindlich machen und ihre Verwendung verpflichtend vorschreiben, sind im Prinzip nicht unerlässlich.

319.

Ebenso gehen Normenvereinbarungen, die bestimmten Einrichtungen das ausschließliche Recht übertragen, die Normkonformität zu prüfen, über das primäre Ziel der Normierung hinaus und könnten den Wettbewerb ebenfalls beschränken. Die Ausschließlichkeit kann jedoch für einen bestimmten Zeitraum gerechtfertigt sein, um zum Beispiel die Anlaufkosten zu amortisieren (130). Die Normenvereinbarung sollte in diesem Fall angemessene Schutzklauseln vorsehen, um mögliche sich aus der Ausschließlichkeit ergebende Wettbewerbsrisiken zu minimieren. Dies betrifft unter anderem die Zertifizierungsgebühr, die zumutbar sein und in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten der Konformitätsprüfung stehen muss.

Standardbedingungen

320.

In der Regel ist es nicht vertretbar, Standardbedingungen als für die Branche oder für die Mitglieder eines Wirtschaftsverbands, der diese Standardbedingungen festgelegt hat, für verbindlich und obligatorisch zu erklären. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass in bestimmten Fällen für verbindlich erklärte Standardbedingungen für die Erzielung der mit ihnen angestrebten Effizienzgewinne unerlässlich sind.

7.4.3.   Weitergabe an die Verbraucher

Vereinbarungen über Normen

321.

Effizienzgewinne, die durch unerlässliche Beschränkungen erzielt wurden, müssen in einem solchen Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen der Normenvereinbarung oder der Standardbedingungen überwogen werden. Bei der Prüfung, ob die Effizienzgewinne auch tatsächlich an die Verbraucher weitergegeben werden, wird insbesondere darauf geachtet, mit welchen Verfahren gewährleistet wird, dass die Interessen der Normenanwender und der Endkunden geschützt sind. Fördern Normen die technische Interoperabilität und Kompatibilität und/oder den Wettbewerb zwischen neuen und bereits eingeführten Produkten, Dienstleistungen und Verfahren, so kann davon ausgegangen werden, dass die betreffende Norm den Verbrauchern zugutekommt.

Standardbedingungen

322.

Das Risiko wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen wie auch die Wahrscheinlichkeit sich ergebender Effizienzgewinne steigen mit wachsenden Marktanteilen der Unternehmen und mit dem Umfang, in dem Standardbedingungen angewendet werden. Deshalb gibt es keinen allgemeinen geschützten Bereich („safe harbour“), für den erklärt werden kann, dass kein Risiko wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen besteht, oder für den grundsätzlich die Annahme zulässig wäre, dass Effizienzgewinne in einem Maße an die Verbraucher weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen.

323.

Bestimmte, durch die Verwendung von Standardbedingungen entstehende Effizienzgewinne sind zwangsläufig zum Vorteil der Verbraucher, zum Beispiel bessere Vergleichsmöglichkeiten auf einem Markt, der erleichterte Wechsel zu einem anderen Anbieter und die Rechtssicherheit der Klauseln in den Standardbedingungen. Bei anderen möglichen Effizienzgewinnen (zum Beispiel niedrigere Transaktionskosten) ist im Einzelfall und unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Bedingungen zu prüfen, ob eine Weitergabe dieser Effizienzgewinne an die Verbraucher wahrscheinlich ist.

7.4.4.   Keine Ausschaltung des Wettbewerbs

324.

Ob eine Normenvereinbarung den Parteien möglicherweise die Ausschaltung des Wettbewerbs ermöglicht, hängt davon ab, welche Quellen des Wettbewerbs auf dem Markt bestehen, wie viel Wettbewerbsdruck diese auf die Parteien ausüben und wie sich wiederum die Vereinbarung auf diesen Wettbewerbsdruck auswirkt. Während Marktanteile ein wichtiger Anhaltspunkt bei einer solchen Prüfung sind, kann das Ausmaß der verbleibenden Quellen tatsächlichen Wettbewerbs nicht allein anhand der Marktanteile ermessen werden, es sei denn, eine Norm hat sich in der betreffenden Branche als De-facto-Norm durchgesetzt (131). In letzterem Fall könnte der Wettbewerb ausgeschaltet werden, wenn Dritten effektiv der Zugang zu dieser Norm verwehrt ist. Verwendet ein Großteil einer Branche Standardbedingungen, könnte dies dazu führen, dass mit diesen Bedingungen eine De-facto-Norm geschaffen wird, so dass die vorgenannten wettbewerbsrechtlichen Bedenken auch hier bestehen würden. Betreffen die Norm oder die Standardbedingungen jedoch nur einen begrenzten Teil des Produkts oder der Dienstleistung, ist es unwahrscheinlich, dass der Wettbewerb ausgeschaltet wird.

7.5.   Beispiele

325.

Festsetzung von Normen, die Wettbewerber nicht erfüllen können

Beispiel 1

Sachverhalt: Eine Normenorganisation vereinbart und veröffentlicht Sicherheitsstandards, die in der betreffenden Branche weitverbreitet sind. Die Branche ist umfassend in die Festlegung der Norm eingebunden. Vor der Annahme der Norm entwickelt ein neuer Marktteilnehmer ein Produkt, das in Bezug auf Leistung und funktionale Anforderungen technisch gleichwertig ist, und von dem technischen Ausschuss der Normenorganisation anerkannt wird. Die technischen Spezifikationen der Sicherheitsnorm sind allerdings ohne objektive Begründung so formuliert, dass weder dieses spezifische Produkt noch andere neue Produkte die Norm erfüllen.

Analyse: Bei dieser Normenvereinbarung sind wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 wahrscheinlich, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt. Die Mitglieder der Normenorganisation haben die Norm ohne objektive Begründung so formuliert, dass die Produkte von Wettbewerbern, die sich auf dieselben technologischen Lösungen stützen und eine gleichwertige Leistung erbringen können, die Norm nicht erfüllen. Eine solche Vereinbarung, die nicht auf diskriminierungsfreier Grundlage festgelegt wurde, begrenzt bzw. verhindert Innovation und Produktvielfalt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Art und Weise, in der die Norm aufgesetzt ist, höhere Effizienzgewinne erzielt als eine neutral formulierte Norm.

326.

Nicht verbindliche und transparente Normen, die für einen großen Teil des Marktes gelten

Beispiel 2

Sachverhalt: Mehrere Unterhaltungselektronikhersteller mit erheblichen Marktanteilen vereinbaren, eine neue Norm für ein DVD-Nachfolgeprodukt zu entwickeln.

Analyse: Vorausgesetzt, dass a) es den Herstellern weiterhin freisteht, andere neue Produkte herzustellen, die nicht der neuen Norm entsprechen, b) eine uneingeschränkte und transparente Beteiligung an der Normsetzung gewährleistet ist und c) die Normenvereinbarung den Wettbewerb ansonsten nicht einschränkt, liegt wahrscheinlich kein Verstoß gegen Artikel 101 Absatz 1 vor. Vereinbaren die Parteien, nur noch Produkte nach der neuen Norm herzustellen, dann würde die Vereinbarung die technische Entwicklung einschränken, innovationshemmend wirken und die Parteien am Verkauf anderer Produkte hindern und somit zu wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 führen.

327.

Normenvereinbarung ohne Offenlegung der Rechte des geistigen Eigentums

Beispiel 3

Sachverhalt: Eine private Normenorganisation für die Normierung im Informations- und Kommunikationstechnologiesektor vertritt im Bereich Rechte des geistigen Eigentums einen Ansatz, der die Offenlegung von Rechten des geistigen Eigentums, die für die künftige Norm erforderlich sein könnten, weder notwendig macht noch fördert. Die Normenorganisation hat insbesondere deswegen bewusst entschieden, eine solche Verpflichtung nicht aufzunehmen, da in der Regel alle für die künftige Norm möglicherweise relevanten Technologien bereits durch zahlreiche Rechte des geistigen Eigentums geschützt sind. Daher kam die Normenorganisation zu dem Schluss, dass eine Verpflichtung zur Offenlegung der Rechte des geistigen Eigentums zum Einen nicht den Vorteil mit sich bringen würde, dass die Beteiligten eine Lösung wählen könnten, die keine oder nur wenige Rechte des geistigen Eigentums umfassen würde, und zum Anderen zu zusätzlichen Kosten bei der Prüfung der Frage führen würde, ob die Rechte des geistigen Eigentums entscheidend für die künftige Norm sein könnten. Dieser von der Normenorganisation vertretene Ansatz zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums erfordert jedoch von allen Beteiligten, sich zu FRAND-Bedingungen zur Lizenzierung aller Rechte des geistigen Eigentums zu verpflichten, die in die künftige Norm einfließen müssten. Dieses Konzept zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums sieht jedoch eine Freistellungsmöglichkeit vor, wenn Inhaber eines bestimmten Rechts dieses von der pauschalen Lizenzierungsverpflichtung ausnehmen wollen. In der betreffenden Branche gibt es mehrere im Wettbewerb stehende Normenorganisationen. Die Mitwirkung in der Normenorganisation steht allen Akteuren der Branche frei.

Analyse: In vielen Fällen würde sich eine Verpflichtung zur Offenlegung von Rechten des geistigen Eigentums wettbewerbsfördernd auswirken, indem der Wettbewerb zwischen Technologien vorab verstärkt wird. Grundsätzlich ermöglicht es eine solche Verpflichtung den Mitgliedern einer Normenorganisation, den Umfang der einfließenden Rechte des geistigen Eigentums an einer bestimmten Technologie zu berücksichtigen, wenn sie zwischen im Wettbewerb stehenden Technologien entscheiden (oder, wenn möglich, eine Technologie zu wählen, die nicht durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt ist). Der Umfang der zu berücksichtigenden Rechte des geistigen Eigentums, die für eine Technologie gelten, hat oft direkte Auswirkungen auf die Zugangskosten zu der Norm. In diesem speziellen Zusammenhang scheinen jedoch alle verfügbaren Technologien durch (zahlreiche) Rechte des geistigen Eigentums geschützt zu sein. Daher hätte eine Offenlegung der Rechte des geistigen Eigentums nicht die positive Wirkung, dass die Mitglieder den Umfang der einzubeziehenden Rechte des geistigen Eigentums berücksichtigen können, wenn sie sich für eine Technologie entscheiden, da unabhängig davon, welche Technologie ausgewählt wird, sie wahrscheinlich durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt ist. Die Offenlegung der Rechte des geistigen Eigentums würde wahrscheinlich nicht dazu beitragen, einen wirksamen Zugang zu der Norm zu gewährleisten; dieser wird in diesem Szenario ausreichend durch die Pauschalverpflichtung sichergestellt, alle Rechte des geistigen Eigentums, die für die künftige Norm erforderlich sein könnten, zu FRAND-Bedingungen in Lizenz zu vergeben. Eine Verpflichtung zur Offenlegung der Rechte des geistigen Eigentums könnte in diesem Kontext sogar zu Mehrkosten für die Beteiligten führen. Die nicht erfolgende Offenlegung von Rechten des geistigen Eigentums könnte unter diesen Umständen sogar zu einer schnelleren Annahme einer Norm führen, was im Fall mehrerer im Wettbewerb stehender Normenorganisationen wichtig sein könnte. Daraus folgt, dass die Vereinbarung wahrscheinlich keine wettbewerbsschädigenden Auswirkungen hat.

328.

Normen in der Versicherungsbranche

Beispiel 4

Sachverhalt: Eine Gruppe von Versicherungsgesellschaften einigt sich auf nicht verbindliche Normen für die Installation bestimmter Sicherheitsvorkehrungen (d. h. Bestandteile und Anlagen, die zur Verhinderung oder Verringerung von Verlusten konzipiert wurden, und aus diesen Elementen gebildete Systeme). Die nicht verbindlichen Normen der Versicherungsgesellschaften wurden a) vereinbart, um eine bestimmte Lücke zu schließen und die Versicherer beim Risikomanagement zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, risikoadäquate Versicherungsprämien anzubieten, b) mit den Montageunternehmen (oder deren Stellvertretern), die in den betroffenen Mitgliedstaaten solche Sicherheitsvorkehrungen installieren, erörtert, um deren Meinung vor der endgültigen Formulierung der Norm zu hören und c) von den einschlägigen Dachverbänden der Versicherungsgesellschaften in einem eigenen Bereich ihrer Websites veröffentlicht, damit sie für alle Unternehmen, die die betroffenen Sicherheitsvorkehrungen einbauen, und interessierten Dritte leicht zugänglich sind.

Analyse: Der Normierungsprozess ist transparent, und interessierte Dritte können an der Normsetzung teilnehmen. Das Ergebnis ist leicht zugänglich, da es auf zumutbarer und diskriminierungsfreier Grundlage allen, die dies wünschen, zugänglich gemacht wird. Wenn die Norm keine negativen Auswirkungen auf den nachgelagerten Markt hat (indem bestimmte Montageunternehmen durch sehr spezifische oder ungerechtfertigte Anforderungen an die Installation ausgeschlossen würden), ist es unwahrscheinlich, dass sie zu wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen führt. Aber selbst wenn die Normen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hätten, schienen die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt. Die Normen würden den Versicherern helfen festzustellen, inwieweit solche Installationen das einschlägige Risiko mindern und Verluste verhindern würden; entsprechend könnten sie dann das Risikomanagement vornehmen und risikoadäquate Versicherungsprämien anbieten. Außerdem würden die Normen, solange der Vorbehalt bezüglich des nachgelagerten Marktes berücksichtigt ist, den Montageunternehmen Effizienzgewinne bringen, da alle Versicherungsgesellschaften von dem Unternehmen die Einhaltung ein und derselben Normen verlangen würden. Derartige Normen würden den Verbrauchern den Wechsel zu einem anderen Versicherer erleichtern. Darüber hinaus könnten sich diese Normen für kleinere Versicherungsunternehmen, die nicht über die Kapazitäten für separate Überprüfungen verfügen, als vorteilhaft erweisen. In Bezug auf die anderen Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 besteht der Eindruck, dass die nicht verbindlichen Normen nicht über das hinausgehen, was für die Erzielung der fraglichen Effizienzgewinne erforderlich ist, dass die sich daraus ergebenden Vorteile an die Verbraucher weitergegeben werden (einige der Normen würden den Verbrauchern sogar direkt zugutekommen) und dass die Beschränkungen nicht zu einer Ausschaltung des Wettbewerbs führen würden.

329.

Umweltnormen

Beispiel 5

Sachverhalt: Fast alle Waschmaschinenhersteller vereinbaren mit Unterstützung einer öffentlichen Einrichtung, keine Waschmaschinen mehr herzustellen, die bestimmte Umweltnormen (zum Beispiel für Energieeffizienz) nicht erfüllen. Die Parteien versorgen 90 % des Marktes. Auf die Produkte, die mit dieser Vereinbarung vom Markt genommen werden, entfällt ein großer Anteil des Gesamtabsatzes. Sie werden durch umweltfreundlichere, jedoch teurere Produkte ersetzt. Außerdem führt die Vereinbarung indirekt zu Outputeinbußen bei Dritten (zum Beispiel bei Stromversorgern und Anbietern von Bauteilen, die in die auslaufenden Produkte eingebaut wurden). Ohne die Vereinbarung hätten die Parteien ihre Produktion nicht umgestellt und keine Anstrengungen unternommen, um die umweltfreundlicheren Produkte zu vermarkten.

Analyse: Die Vereinbarung verschafft den Parteien die Kontrolle über die Produktion; sie betrifft einen maßgeblichen Anteil ihres Absatzes und der Gesamtproduktionsmengen, während sie gleichzeitig den Output Dritter verringert. Zum einen wird die Produktvielfalt, die zum Teil auf die Umweltschutzmerkmale des Produkts ausgerichtet ist, eingeschränkt und zum anderen werden die Preise wahrscheinlich steigen. Aus diesen Gründen ist es wahrscheinlich, dass die Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben wird. Die Einbeziehung der Behörde ist für die Bewertung der Vereinbarung unerheblich. Neuere und umweltfreundlichere Produkte sind allerdings technisch anspruchsvoller; so bieten sie qualitative Verbesserungen, zum Beispiel in Form von mehr Waschprogrammen. Darüber hinaus ergeben sich für den Käufer dieser Waschmaschinen Kosteneinsparungen aufgrund niedrigerer Betriebskosten (geringerer Verbrauch an Wasser, Strom und Waschmittel). Diese Kosteneinsparungen werden auf Märkten erzielt, die nicht zum relevanten Markt der Vereinbarung gehören. Dennoch können diese Einsparungen berücksichtigt werden, da die Märkte, auf denen die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen und die Effizienzgewinne entstehen, miteinander verbunden sind und die Gruppe der Verbraucher, die von den Wettbewerbsbeschränkungen betroffen wären und von den Effizienzgewinnen profitieren würden, im Wesentlichen dieselben sind. Die Effizienzgewinne überwiegen die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen (höherer Preis). Alternativen zu der Vereinbarung erweisen sich als ungewisser und weniger kosteneffizient, wenn es um die Erbringung der gleichen Nettovorteile geht. Für die Parteien kommen in wirtschaftlicher Hinsicht für die Herstellung von Waschmaschinen, die den vereinbarten Umweltschutzmerkmalen entsprechen, verschiedene technische Mittel in Frage, wobei es weiterhin auch Wettbewerb bei den anderen Produktmerkmalen gibt. Daher dürften die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt sein.

330.

Normen, die von staatlicher Seite befürwortet werden

Beispiel 6

Sachverhalt: Aufgrund der neuesten Erkenntnisse einer staatlich finanzierten Forschungsgruppe, die sich in einem Mitgliedstaat mit dem für bestimmte verarbeitete Nahrungsmittel empfohlenen Fettgehalt befasste, vereinbaren mehrere große nahrungsmittelverarbeitende Unternehmen desselben Landes im Rahmen offizieller Gespräche, die bei einem Verband der Branche stattfinden, Richtwerte für den Fettgehalt dieser Erzeugnisse festzulegen. In diesem Mitgliedstaat werden 70 % aller verarbeiteten Nahrungsmittel von den an der Vereinbarung beteiligten Parteien verkauft. Die Initiative der Parteien wird durch eine nationale Informationskampagne unterstützt, die von der Forschungsgruppe finanziert wird und die über die Gefahren eines zu hohen Fettgehalts in verarbeiteten Nahrungsmitteln aufklärt.

Analyse: Obwohl es sich um empfohlene Richtwerte handelt, deren Einhaltung freiwillig ist, dürften sie aufgrund der großen Verbreitung im Zuge der nationalen Informationskampagne von allen nahrungsmittelverarbeitenden Unternehmen des betreffenden Mitgliedstaats zugrunde gelegt werden, so dass sie sich de facto für die verarbeitende Nahrungsmittelindustrie als allgemein akzeptierter Höchstwert für Fett durchsetzen werden. Dadurch könnte die den Verbrauchern auf dem Produktmarkt zur Verfügung stehende Produktpalette eingeschränkt werden. Die Parteien werden jedoch weiterhin in der Lage sein, mit einer Reihe anderer Produktmerkmale (zum Beispiel Preis, Produktgröße, Qualität, Geschmack, andere Ernährungswerte, Salzgehalt, Ausgewogenheit der Zutaten und Markenname) mit ihren Produkten auf dem Markt zu konkurrieren. Außerdem könnte sich der Wettbewerb bezüglich des Fettgehalts in dem Produktangebot verschärfen, wenn sich die Wettbewerber darum bemühen, Produkte mit dem niedrigsten Fettgehalt anzubieten. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben wird.

331.

Offener Prozess zur Normierung von Produktverpackungen

Beispiel 7

Sachverhalt: Die wichtigsten Hersteller eines sich schnell wandelnden Konsumguts auf einem wettbewerbsbestimmten Markt eines Mitgliedstaats – sowie die Hersteller und Vertreiber in anderen Mitgliedstaaten, die das Produkt in dem betreffenden Mitgliedstaat verkaufen („Importeure“) – vereinbaren mit den wichtigsten Verpackungslieferanten, eine freiwillige Initiative ins Leben zu rufen, um die Größe und Form der in diesem Mitgliedstaat verkauften Produktverpackung zu normieren. Derzeit gibt es zahlreiche Verpackungsgrößen und -materialen, die sich innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten und von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden, da Verpackungskosten keinen hohen Anteil an den Gesamtproduktionskosten ausmachen und die Umstellungskosten für Verpackungshersteller keine Rolle spielen. Eine europäische Norm für diese Verpackungen gibt es nicht, noch ist eine beantragt. Die Vereinbarung wurde von den Beteiligten freiwillig eingegangen, um auf den Druck der mitgliedstaatlichen Regierungen zu reagieren, dass Umweltschutzziele zu erfüllen sind. Die betreffenden Hersteller und Importeure erzielen 85 % des Produktabsatzes in diesem Mitgliedstaat. Durch die freiwillige Initiative könnte ein Verkaufsprodukt mit einheitlicher Größe für diesen Mitgliedstaat geschaffen werden, für das weniger Verpackungsmaterial benötigt wird, das in der Verkaufsauslage weniger Platz einnimmt, mit niedrigeren Transport- und Verpackungskosten verbunden ist und durch den reduzierten Verpackungsabfall umweltfreundlicher ist. Außerdem entstehen den Herstellern niedrigere Recyclingkosten. Die Norm schreibt nicht vor, welche Verpackungsmaterialien zu verwenden sind. Die Normenspezifikationen wurden von den Herstellern und Importeuren offen und transparent vereinbart; der Entwurf für die Normenspezifikationen wurde mit genügend Vorlauf vor der Annahme auf eine brancheninterne Website zur öffentlichen Diskussion gestellt. Die endgültigen Spezifikationen wurden ebenfalls auf der Website eines Branchenhandelsverbands veröffentlicht, die für alle potenziellen neuen Marktteilnehmern zugänglich ist, auch wenn sie kein Verbandsmitglied sind.

Analyse: Auch wenn die Einhaltung der Vereinbarung freiwillig ist, so wird die Norm de facto wahrscheinlich eine branchenübliche Praxis werden, da alle Beteiligten zusammen in diesem Mitgliedstaat einen hohen Marktanteil an dem Produkt haben und auch Einzelhändler von den Regierungen bestärkt werden, Verpackungsmüll zu reduzieren. Theoretisch könnte die Vereinbarung zu Marktzutrittsschranken und möglicherweise zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung in dem Mitgliedstaat führen. Dies wäre insbesondere für die Importeure des betreffenden Produkts ein Risiko, da sie das Produkt gegebenenfalls umpacken müssten, um die De-facto-Norm zu erfüllen und das Produkt in dem Mitgliedstaat verkaufen zu können, wenn die in anderen Mitgliedstaaten verwendete Verpackungsgröße die Norm nicht erfüllt. In der Praxis ist es jedoch unwahrscheinlich, dass es zu hohen Marktzutrittsschranken und einer Marktverschließung kommt, da a) die Einhaltung der Vereinbarung freiwillig ist, b) die Norm gemeinsam mit wichtigen Importeuren offen und transparent vereinbart wurde, c) die Umstellungskosten niedrig sind und d) neue Marktteilnehmer, Importeure und alle Verpackungslieferanten zu den technischen Einzelheiten der Norm Zugang haben. So werden die Importeure schon in der frühen Entwicklungsphase über die möglichen Verpackungsänderungen unterrichtet und im Rahmen der offenen Konsultation über den Normentwurf die Möglichkeit zur Stellungnahme haben, bevor die Norm angenommen wird. Die Vereinbarung dürfte daher keine spürbaren wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben.

In diesem Fall dürften allerdings die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt sein: i) Die Vereinbarung wird durch die geringeren Transport- und Verpackungskosten zu quantitativen Effizienzgewinnen führen, ii) durch die auf dem Markt bestehenden Wettbewerbsbedingungen werden diese Kosteneinsparungen wahrscheinlich an die Kunden weitergegeben, iii) die Vereinbarung umfasst nur minimale Beschränkungen, die notwendig sind, um die Verpackungsnorm zu erzielen, und wird wahrscheinlich nicht zu einer spürbaren Marktverschließung führen, und iv) für einen wesentlichen Teil des betreffenden Produkts wird der Wettbewerb nicht ausgeschaltet.

332.

Geschlossener Prozess zur Normierung von Produktverpackungen

Beispiel 8

Sachverhalt: Die Situation ist dieselbe wie in Beispiel 7 Randnummer 331, mit dem Unterschied, dass die Norm nur zwischen den Herstellern des sich schnell wandelnden Konsumguts mit Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat, die einen Anteil von 65 % am Produktabsatz in dem Mitgliedstaat haben, vereinbart wird, es keine offene Konsultation zu den angenommenen Spezifikationen mit detaillierten Normen zu den zu verwendenden Verpackungsmaterialen gab und die Spezifikationen der freiwilligen Norm nicht veröffentlicht wurden. Dadurch hatten Hersteller in anderen Mitgliedstaaten höhere Umstellungskosten als die heimischen Hersteller.

Analyse: Ebenso wie in Beispiel 7 Randnummer 331 wird die Norm, auch wenn die Vereinbarung freiwillig ist, de facto wahrscheinlich eine branchenübliche Praxis werden, da auch die Einzelhändler von den Regierungen dazu angehalten werden, Verpackungsmüll zu reduzieren, und die einheimischen Hersteller einen Anteil von 65 % am Produktabsatz im betreffenden Mitgliedstaat haben. Da die betroffenen Hersteller in den anderen Mitgliedstaaten nicht konsultiert wurden, haben sie gegenüber den heimischen Herstellern höhere Umstellungskosten. Die Vereinbarung könnte daher zu Marktzutrittsschranken führen und für Verpackungslieferanten, neue Marktteilnehmer und Importeure – die nicht am Normierungsprozess beteiligt waren – möglicherweise zu einer wettbewerbswidrigen Marktverschließung führen, da sie das Produkt gegebenenfalls umpacken müssten, um die De-facto-Norm zu erfüllen und das Produkt in dem Mitgliedstaat verkaufen zu können, weil die in anderen Mitgliedstaaten verwendete Verpackungsgröße die Norm nicht erfüllt.

Im Gegensatz zu Beispiel 7 Randnummer 331 war der Normierungsprozess in diesem Fall nicht offen und transparent. Insbesondere hatten neue Marktteilnehmer, Importeure und Verpackungslieferanten nicht die Möglichkeit, zu der vorgeschlagenen Norm Stellung zu nehmen, und hatten bis zu einem späten Zeitpunkt möglicherweise nicht einmal Kenntnis davon, so dass sie vielleicht nicht einmal die Möglichkeit haben, ihr Produktionsverfahren zu ändern oder den Zulieferer schnell zu wechseln. Des Weiteren können neue Marktteilnehmer, Importeure und Verpackungslieferanten vielleicht nicht in Wettbewerb treten, wenn die Norm nicht bekannt oder schwer zu erfüllen ist. Hierbei ist insbesondere von Bedeutung, dass die Norm detaillierte Spezifikationen zu den zu verwendenden Verpackungsmaterialien umfasst, die neue Marktteilnehmer, Importeure und Verpackungszulieferer nur unter Schwierigkeiten erfüllen können, da die Konsultation und der Normierungsprozess nicht erfolgt offen sind. Daher könnte die Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 bezwecken. Diese Schlussfolgerung gilt unbeschadet der Tatsache, dass die Vereinbarung eingegangen wurde, um mit dem Mitgliedstaat vereinbarte Umweltschutzziele zu erzielen.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 in diesem Fall erfüllt wären. Auch wenn die Vereinbarung durch geringere Transport- und Verpackungskosten zu ähnlichen quantitativen Effizienzgewinnen wie in Beispiel 7 Randnummer 331 führen würde, so ist nicht zu erwarten, dass die geschlossene und private Natur der Normenvereinbarung und die Nichtveröffentlichung der detaillierten Spezifikationen zu den zu verwendenden Verpackungsmaterialen unerlässlich sind, um die mit der Vereinbarung angestrebten Effizienzgewinne zu erzielen.

333.

Nicht verbindliche, offene Standardbedingungen, die in Verträgen mit Endkunden verwendet werden

Beispiel 9

Sachverhalt: Ein Stromversorgerverband legt nicht verbindliche Standardbedingungen für Stromlieferungen an Endkunden fest. Die Ausarbeitung dieser Standardbedingungen erfolgte in transparenter und diskriminierungsfreier Weise. Sie enthalten unter anderem Angaben zum Einspeisepunkt, zum Standort der Anschlussstelle und zur Anschlussspannung, Bestimmungen zur Versorgungszuverlässigkeit sowie die Verfahren für die Abrechnung zwischen den Vertragsparteien (zum Beispiel was geschieht, wenn der Kunde den Stromzähler nicht abliest und dem Stromanbieter keine Angaben über seinen Verbrauch übermittelt?). Die Standardbedingungen enthalten keine Angaben zu Preisen, d. h. sie enthalten keine empfohlenen Preise oder anderen Preisklauseln. Jedes in dieser Branche tätige Unternehmen kann selbst entscheiden, ob es die Standardbedingungen verwendet oder nicht. Rund 80 % der Verträge mit Endkunden auf dem relevanten Markt stützen sich auf diese Standardbedingungen.

Analyse: Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Standardbedingungen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben. Selbst wenn sie in der Branche üblich sind, scheinen sie keine spürbaren negativen Auswirkungen auf Preise, Produktqualität oder Produktvielfalt zu haben.

334.

Standardbedingungen für Verträge zwischen Unternehmen

Beispiel 10

Sachverhalt: Bauunternehmen eines bestimmten Mitgliedstaats haben nicht verbindliche, offene Standardbedingungen vereinbart, die ein Auftragnehmer seinen Kostenvoranschlägen beifügen kann. Vorgesehen ist ein Formblatt für den Kostenvorschlag, dem auf die Baubranche zugeschnittene Standardbedingungen beigefügt sind. Gemeinsam bilden diese Unterlagen den Bauvertrag. Abgedeckt sind Aspekte wie Vertragsabschluss, allgemeine Pflichten des Auftragnehmers und des Kunden sowie preisunabhängige Zahlungsbedingungen (zum Beispiel eine Klausel, der zufolge der Auftragnehmer das Recht hat, die Arbeiten aufgrund ausbleibender Zahlungen auszusetzen), Versicherungen, Dauer, Übergabe und Mängel, Haftungsbeschränkungen und Kündigung. Im Gegensatz zu Beispiel 9 Randnummer 333 würden diese Standardbedingungen häufig für Verträge zwischen Unternehmen Anwendung finden, von denen eines auf dem vorgelagerten und das andere auf dem nachgelagerten Markt tätig wären.

Analyse: Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Standardbedingungen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 haben. Normalerweise würde der Kunde in der Wahl des Endprodukts, in diesem Fall der Bauarbeiten, nicht eingeschränkt werden. Andere wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen sind unwahrscheinlich. Einige der genannten Klauseln (Übergabe und Mängel, Vertragskündigung usw.) sind häufig gesetzlich geregelt.

335.

Standardbedingungen, die den Produktvergleich erleichtern

Beispiel 11

Sachverhalt: Ein nationaler Verband der Versicherungsbranche verbreitet nicht verbindliche, standardisierte Bedingungen für Versicherungen für Wohngebäude. Die Bedingungen enthalten weder Angaben zu den vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Versicherungsprämien noch Hinweise dazu, bis zu welcher Höhe das Risiko abgedeckt ist oder wie hoch die Selbstbeteiligung ist. Sie schreiben keine globale Deckung eingeschlossen für Risiken vor, denen eine große Anzahl von Versicherungsnehmern nicht gleichzeitig ausgesetzt ist, und verpflichten den Versicherungsnehmer nicht, unterschiedliche Risiken bei demselben Versicherer zu versichern. Während der größte Teil der Versicherungsgesellschaften standardisierte Versicherungsbedingungen verwendet, enthalten die Verträge nicht immer dieselben Konditionen, da diese an die Bedürfnisse des einzelnen Versicherungsnehmers angepasst werden; es gibt folglich keine De-facto-Norm für Versicherungsprodukte. Die standardisierten Versicherungsbedingungen ermöglichen es den Verbrauchern und den Verbraucherverbänden, die Versicherungen der verschiedenen Versicherungsgesellschaften miteinander zu vergleichen. Ein Verbraucherverband war an der Ausarbeitung der standardisierten Versicherungsbedingungen beteiligt. Sie sind für alle neuen Marktteilnehmer gleichermaßen zugänglich.

Analyse: Diese standardisierten Versicherungsbedingungen betreffen die Zusammensetzung des endgültigen Versicherungsprodukts. Sollten die Marktbedingungen und andere Faktoren erkennen lassen, dass das Risiko einer Einschränkung der Produktvielfalt bestehen könnte, die darauf zurückzuführen ist, dass Versicherungsgesellschaften solche standardisierten Versicherungsbedingungen verwenden, ist es dennoch wahrscheinlich, dass eine solche mögliche Einschränkung durch gleichzeitig erwachsende Effizienzgewinne überwogen würde (so kann der Kunde etwa die von den Versicherungsgesellschaften gebotenen Bedingungen besser miteinander vergleichen). Solche Vergleiche wiederum erleichtern den Wechsel zwischen Versicherungsgesellschaften und beleben somit den Wettbewerb. Der Wechsel zwischen Anbietern sowie der Markteintritt von Wettbewerbern stellen einen Vorteil für die Verbraucher da. Die Tatsache, dass eine Verbraucherorganisation an dem Prozess beteiligt war, erhöht in bestimmten Fällen die Wahrscheinlichkeit, dass derartige Effizienzgewinne, die nicht automatisch den Verbrauchern zugutekommen, an diese weitergegeben werden. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass die standardisierten Versicherungsbedingungen die Transaktionskosten senken und den Versicherungsgesellschaften den Eintritt in einen anderen räumlichen Markt und/oder einen anderen Produktmarkt erleichtern. Da die Beschränkungen zudem nicht über das zur Erzielung der angestrebten Effizienzgewinne erforderliche Maß hinauszugehen scheinen und der Wettbewerb nicht ausgeschaltet werden würde, ist es wahrscheinlich, dass die Voraussetzungen von Artikel 101 Absatz 3 erfüllt sind.


(1)  Mit Wirkung vom 1. Dezember 2009 ist an die Stelle des Artikel 81 EG-Vertrag der Artikel 101 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) getreten. Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 101 AEUV sind im Wesentlichen identisch. Im Rahmen dieser Verordnung sind Bezugnahmen auf Artikel 101 AEUV als Bezugnahmen auf Artikel 81 EG-Vertrag zu verstehen, wo dies angebracht ist. Der AEUV hat auch bestimmte terminologische Änderungen wie zum Beispiel die Ersetzung von „Gemeinschaft“ durch „Union“ und von „Gemeinsamer Markt“ durch „Binnenmarkt“ mit sich gebracht. Die Terminologie des AEUV wird in dieser Verordnung durchgängig verwendet.

(2)  ABl. L 24 vom 29.1.2004, S. 1.

(3)  Siehe Artikel 3 Absatz 4 der Fusionskontrollverordnung Bei der Beurteilung, ob es sich um ein Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen handelt, prüft die Kommission, ob das Gemeinschaftsunternehmen in operativer Hinsicht selbstständig ist. Das bedeutet nicht, dass es unabhängig von seinen Muttergesellschaften strategische Entscheidungen treffen könnte (siehe Konsolidierte Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. C 95 vom 16.4.2008, S. 1, Nummern 91-109; „Konsolidierte Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen“). Hinweis: Wenn die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, die einen Zusammenschluss im Sinne von Artikel 3 der Fusionskontrollverordnung darstellt, eine Abstimmung des Wettbewerbsverhaltens von weiterhin unabhängigen Unternehmen bezweckt oder bewirkt, so wird diese Abstimmung nach Artikel 101 AEUV (siehe Artikel 2 Abs 4 der Fusionskontrollverordnung) geprüft.

(4)  ABl. L […] vom […], S. […].

(5)  ABl. L […] vom […], S. […].

(6)  Was unter „kurzer Zeit“ zu verstehen ist, hängt von der Sachlage im konkreten Fall, dem rechtlichen und ökonomischen Kontext und insbesondere davon ab, ob das betreffende Unternehmen Partei der Vereinbarung ist oder ob es sich um ein drittes Unternehmen handelt. Im ersten Fall, d. h., wenn geprüft wird, ob die Partei einer Vereinbarung als potenzieller Wettbewerber oder als Dritter anzusehen ist, würde die Kommission normalerweise unter „kurzer Zeit“ einen längeren Zeitraum fassen als im zweiten Fall, d. h., wenn geprüft wird, inwieweit ein Dritter Wettbewerbsdruck auf die Parteien einer Vereinbarung ausüben kann. Damit ein Dritter als potenzieller Wettbewerber gelten kann, müsste der Marktzutritt so rasch geschehen, dass die Aussicht auf einen potenziellen Marktzutritt das Verhalten der Parteien der Vereinbarung und anderer Marktteilnehmer beeinflusst. Aus diesen Gründen gilt nach der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung und der Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen (siehe Fußnoten und) ein Zeitraum von höchstens drei Jahren als „kurze Zeit“.

(7)  ABl. C 372 vom 9.12.1997, S. 5, Rdnr. 24; siehe auch Dreizehnter Bericht über die Wettbewerbspolitik, Nummer 55 und Entscheidung der Kommission in der Sache IV/32.009, Elopak/Metal Box-Odin (ABl. L 209 vom 8.8.1990, S. 15).

(8)  Siehe z. B. Rs. C-73/95, Viho, Slg. 1996, I-5457, Rdnr. 51. Im Falle 100 %iger Tochtergesellschaften kann von bestimmendem Einfluss der Muttergesellschaft auf die Tochtergesellschaft ausgegangen werden; siehe z. B. Rs. 107/82, AEG, Slg. 1983, S. 3151, Rdnr. 50; Rs. C-286/98 P, Stora, Slg. 2000, I-9925, Rdnr. 29; Rs. C-97/08 P, Akzo, Slg. 2009, I- 8237, Rdnrn. 60 ff.

(9)  ABl. L 102 vom 23.4.2010, S. 1.

(10)  ABl. C 130 vom 19.5.2010, S. 1.

(11)  Dies gilt nicht, wenn Wettbewerber eine nicht gegenseitige vertikale Vereinbarung treffen und i) der Anbieter zugleich Hersteller und Händler von Waren ist, der Abnehmer dagegen Händler, jedoch kein Wettbewerber auf der Herstellungsebene, oder ii) der Anbieter ein auf mehreren Handelsstufen tätiger Dienstleister ist, der Abnehmer dagegen Waren oder Dienstleistungen auf der Einzelhandelsstufe anbietet und auf der Handelsstufe, auf der er die Vertragsdienstleistungen bezieht, keine mit diesen im Wettbewerb stehenden Dienstleistungen erbringt. Solche Vereinbarungen werden ausschließlich auf der Grundlage der Gruppenfreistellungsverordnung und der Leitlinien für vertikale Vereinbarungen geprüft; siehe Artikel 2 Absatz 4 der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen.

(12)  Dieser Test gilt nur für die Beziehung zwischen den unterschiedlichen Kapiteln dieser Leitlinien, nicht aber für die Beziehung zwischen den verschiedenen Gruppenfreistellungsverordnungen. Der Anwendungsbereich einer Gruppenfreistellungsverordnung ergibt sich aus deren eigenen Bestimmungen.

(13)  Siehe Rs. T-51/89, Tetra Pak I, Slg. 1990, II-309, Rdnrn. 25 ff. und Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen (ABl. C 45 vom 24.2.2009, S. 7, nachstehend „Erläuterungen zu Artikel 102“ genannt).

(14)  ABl. C 3 vom 6.1.2001, S. 2. Diese Leitlinien enthalten im Gegensatz zu den Horizontalen Leitlinien von 2001 kein eigenes Kapitel über „Umweltschutzvereinbarungen“. Die schwerpunktmäßig im früheren Kapitel über Umweltschutzvereinbarungen thematisierte Normensetzung im Umweltbereich wird in diesen Leitlinien in angemessenerer Form im Kapitel über Normsetzung behandelt. Je nach den wettbewerbsrechtlichen Fragen, die „Umweltschutzvereinbarungen“ aufwerfen, sind sie nach dem jeweils einschlägigen Kapitel dieser Leitlinien (d. h. Vereinbarungen über FuE, Produktion, Einkauf oder Normung) zu prüfen.

(15)  Verordnung (EG) Nr. 1184/2006 des Rates vom 24. Juli 2006 zur Anwendung bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen (ABl. L 214 vom 4.8.2006, S. 7).

(16)  Verordnung (EG) Nr. 169/2009 des Rates vom 26.Februar 2009 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs (ABl. L 61 vom 5.3.2009, S. 1); Verordnung (EG) Nr. 246/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Seeschifffahrtsunternehmen (Konsortien) (ABl. L 79 vom 25.3.2009, S. 1); Verordnung (EG) Nr. 823/2000 der Kommission vom 19. April 2009 zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Seeschifffahrtsunternehmen (Konsortien) (ABl. L 100 vom 20.4.2000, S. 24); Leitlinien für die Anwendung von Artikel 81 des EG-Vertrags auf Seeverkehrsdienstleistungen (ABl. C 245 vom 26.9.2008, S. 2).

(17)  Verordnung (EU) Nr. 267/2010 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor (ABl. L 83 vom 31.3.2010, S. 1).

(18)  ABl. C 101 vom 27.4.2004, S. 97.

(19)  Nach Artikel 101 Absatz 1 sind sowohl tatsächliche als auch potenzielle wettbewerbswidrige Auswirkungen verboten, siehe z. B. Rs. C-7/95, John Deere, Slg. 1998, I-3111, Rdnr. 77; Rs. C-238/05, Asnef-Equifax, Slg. 2006, I-11125, Rdnr. 50.

(20)  Siehe verbundene Rs. C-501/06 P u.a., GlaxoSmithKline, Slg. 2009, I-9291, Rdnr. 95.

(21)  Rs. T-65/98, Van den Bergh Foods, Slg. 2003, II-4653, Rdnr. 107; Rs. T-112/99, Métropole télévision (M6) et al., Slg. 2001, II-2459, Rdnr. 74. In der Rs. T-328/03, O2, Slg. 2006, II-1231, Rdnrn. 69 ff. befand das Gericht, dass die wettbewerbsfördernden und die wettbewerbswidrigen Aspekte einer Beschränkung nur im Rahmen von Artikel 101 Absatz 3 gegeneinander abgewogen werden dürfen.

(22)  Urteil vom 14. Oktober 2010 in der Rs. C-280/08 P, Deutsche Telekom, noch nicht im Slg. veröffentlicht, Rdnr. 82 und die darin zitierte Rechtsprechung.

(23)  Siehe Rs. C-198/01, CIF, Slg. 2003, I-8055, Rdnrn. 56-58; verbundene Rs. T-217/03 und T-245/03, FNCBV, Slg. 2006, II-4987, Rdnr. 92; Rs. T-7/92, Asia Motor France II, Slg. 1993, II-669, Rdnr. 71 und Rs. T-148/89, Tréfilunion, Slg. 1995, II-1063, Rdnr. 118.

(24)  Siehe Rs. C-280/08 P, Deutsche Telekom, Rndnrn. 80-81. Diese Möglichkeit wurde eng ausgelegt; siehe z. B. die verbundene Rs. 209/78 et al., Van Landewyck, Slg. 1980, S. 3125, Rdnrn. 130-134; verbundene Rs. 240/82 et al., Stichting Sigarettenindustrie, Slg. 1985, S. 3831, Rdnrn. 27-29; verbundene Rs. C-359/95 P und C-379/95 P, Ladbroke Racing, Slg. 1997, I-6265, Rdnrn. 33 ff.

(25)  Zumindest solange kein Beschluss über die Aufhebung der mitgliedstaatlichen Vorschrift ergangen und rechtskräftig geworden ist; siehe C-198/01, CIF, Rdnrn. 54 ff.

(26)  Für die Zwecke dieser Leitlinien ist unter „Wettbewerbsbeschränkung“ auch die Verhinderung und Verfälschung des Wettbewerbs zu verstehen.

(27)  Siehe z. B. Rs. C-209/07, BIDS, Slg. 2008, I-8637, Rdnr. 17.

(28)  Siehe z. B. verbundene Rs. C-501/06 P et al., GlaxoSmithKline, Rdnr. 55; Rs. C-209/07, BIDS, Rdnr. 16; Rs. C-8/08 P, T-Mobile Netherlands, Slg. 2009, I-4529, Rdnrn. 29 ff; Rs. C-7/95 P, John Deere, Rdnr. 77.

(29)  Siehe verbundene Rs. C-501/06 P u.a., GlaxoSmithKline, Rdnr. 58; Rs. C-209/07, BIDS, Rdnrn. 15 ff.

(30)  Siehe Rs. C-7/95 P, John Deere, Rdnr. 88; Rs. C-238/05, Asnef-Equifax, Rdnr. 51.

(31)  Siehe auch Rdnr. 18 der Allgemeinen Leitlinien.

(32)  ABl. C 368 vom 22.12.2001, S. 13.

(33)  Sind mehr als zwei Parteien beteiligt, muss der gemeinsame Marktanteil aller kooperierenden Wettbewerber beträchtlich höher sein als der Marktanteil des größten unter ihnen.

(34)  Zur Berechnung der Marktanteile siehe die Bekanntmachung über die Marktabgrenzung, Rdnrn. 54-55.

(35)  ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1.

(36)  Siehe verbundene Rs. C-501/06 P u.a., GlaxoSmithKline, Rdnrn. 93-95.

(37)  Rdnr. 84 der Allgemeinen Leitlinien enthält Näheres zum Begriff des Verbrauchers.

(38)  FuE-Gruppenfreistellungsverordnung.

(39)  Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen.

(40)  Die Wirtschaftstheorie über Informationsasymmetrien beschäftigt sich mit der Studie von Transaktionen in denen eine Partei über mehr Informationen verfügt als die andere Partei.

(41)  Siehe Rs. C-7/95 P, John Deere, Rdnr. 88.

(42)  Siehe z. B. Rs. C-8/08 P, T-Mobile Netherlands, Rdnr. 26 verbundene Rs. C-89/85 u.a., Wood Pulp, Slg. 1993, 1307, Rdnr. 63.

(43)  Siehe Rs. C-7/95 P, John Deere, Rdnr. 86.

(44)  Siehe Rs. C-7/95 P, John Deere, Rdnr. 87.

(45)  Rs. 40/73 et al., Suiker Unie, Slg. 1975, 1663, Rdnrn. 173 ff.

(46)  Strategische Ungewissheit auf dem Markt entsteht, weil diverse Kollusionsergebnisse möglich sind und weil Unternehmen vergangene und aktuelle Handlungen von Wettbewerbern und Marktneulingen nicht vollumfänglich beobachten können.

(47)  Siehe z. B. verbundene Rs. T-25/95 u.a., Cimenteries CBR/Kommission, Slg. 2000, II-491, Rdnr. 1849: „Der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise setzt die Existenz gegenseitiger Kontakte voraus. Diese Voraussetzung der Gegenseitigkeit ist erfüllt, wenn ein Konkurrent seine Absichten oder sein künftiges Verhalten auf dem Markt einem anderen auf dessen Wunsch mitteilt oder dieser die Mitteilung zumindest akzeptiert.“

(48)  Schlussanträge der Generalanwältin Kokott, Rs. C-8/08 P, T-Mobile Netherlands, Slg. 2009, I-4529 Rdnr. 54.

(49)  Siehe Rs. C-8/08, T-Mobile Netherlands, Rdnr.: 59: „Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass eine einzige Kontaktaufnahme wie diejenige, um die es im Ausgangsverfahren geht, je nach Struktur des Marktes grundsätzlich ausreichen kann, um es den beteiligten Unternehmen zu ermöglichen, ihr Marktverhalten abzustimmen und so eine praktische Zusammenarbeit zu erreichen, die an die Stelle des Wettbewerbs und die mit ihm verbundenen Risiken tritt.“

(50)  Siehe verbundene Rs. T-202/98 u.a., Tate & Lyle/Kommission, Slg. 2001, II-2035, Rdnr. 54.

(51)  Rs. C-199/92 P, Hüls, Slg. 1999, I-4287, Rdnr. 162; Rs. C-49/92 P, AnicPartezipazioni, Slg. 1999, I-4125, Rdnr. 121.

(52)  Dies gilt nicht für Fälle, in denen in einer Bekanntmachung zur Kollusion aufgefordert wird.

(53)  Mit der Formulierung „Grundlegende kartellrechtliche Bedenken“ soll verdeutlicht werden, dass die nachfolgende Beschreibung der wettbewerbsrechtlichen Bedenken weder abschließend noch erschöpfend ist.

(54)  Zu den wettbewerbsrechtlichen Bedenken im Zusammenhang mit Marktabschottung, die vertikale Vereinbarungen aufwerfen können, siehe Rdnrn. 100 ff. der Leitlinien für vertikale Beschränkungen.

(55)  Siehe z. B. verbundene Rs. C-506/06 P u.a., GlaxoSmithKline, Rdnr. 58 Rs. C-209/07, BIDS, Rdnrn. 15 ff.).

(56)  Siehe auch Allgemeine Leitlinien, Rdnr. 22.

(57)  Informationen betreffend geplantes Mengenverhalten wären z. B. Angaben zu Verkaufs- und Marktanteilszielen, künftigen Geschäftsgebieten oder Verkäufen an bestimmte Kundenkreise.

(58)  Zum Begriff „geplantes künftiges Preisverhalten“ siehe Beispiel 1. In besonderen Fällen, wenn Unternehmen sich verpflichten, ihr Angebot künftig zu Preisen zu verkaufen, die sie vorab öffentlich bekanntgemacht haben (und folglich nicht mehr ändern können), würden solche öffentlichen Bekanntmachungen künftiger individueller Preise oder Mengen nicht als Absichten und somit normalerweise nicht als geeignet angesehen werden, Wettbewerbsbeschränkungen zu bezwecken. Dies wäre z. B. der Fall bei häufiger Interaktion und besonderen Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden, weil es z. B. wichtig sein kann, dass die Kunden zukünftige Preise im Voraus erfahren oder weil sie bereits zu diesen Preisen vorab Bestellungen aufgeben können. Der Grund dafür ist, dass der Informationsaustausch in diesen Situationen ein aufwendigeres Mittel zur Erreichung eines Kollusionsergebnisses auf dem Markt darstellt als der Austausch von Informationen über Absichten und wahrscheinlich eher aus wettbewerbsfördernden Beweggründen geschieht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine allgemeine Preisverpflichtung gegenüber Kunden notwendigerweise wettbewerbsfördernd ist. Sie könnte im Gegenteil weniger Möglichkeiten einer Abweichung von einem Kollusionsergebnis bieten und dieses dadurch stabiler machen.

(59)  Die Tatsache, dass die öffentliche Bekanntmachung von beabsichtigten individuellen Preisen möglicherweise Effizienzgewinne erzeugt und die an einem solchen Austausch beteiligten Unternehmen sich auf Artikel 101 Absatz 3 berufen könnten, bleibt davon unberührt.

(60)  Siehe Rs. C-7/95 P, John Deere/Kommission, Rdnr. 76.

(61)  Ein Informationsaustausch kann den Wettbewerb in ähnlicher Weise wie ein Zusammenschluss beschränken, wenn er eine Koordinierung auf dem Markt wirksamer, stetiger und wahrscheinlicher macht; Rs. C-413/06 P, Sony, Slg. 2008, I-4951, Rdnr. 123, in der der Gerichtshof die vom Gericht in der Rs. T-342/99, Airtours, Slg. 2002, II-2585, Rdnr. 62, entwickelten Kriterien bestätigt.

(62)  Rs. C-238/05, Asnef-Equifax, Rdnr. 54.

(63)  In Rdnr. 78 bis 85 werden nicht alle relevanten Eigenschaften genannt. Es kann durchaus noch andere Markteigenschaften geben, die für bestimmte Formen des Informationsaustauschs von Bedeutung sind.

(64)  Rs. T-35/92, John Deere/Kommission, Slg. 1994, II-957, Rdnr. 78.

(65)  Siehe Entscheidung der Kommission in den Sachen IV/31.370 und 31.446, UK Agricultural Tractor Registration Exchange (ABl. L 68 vom 13.3.1992, S. 19), Rdnr. 51, und Rs. T-35/92, John Deere/Kommission, Rdnr. 78 Absolute Stabilität der Marktanteile und Abwesenheit ausgeprägten Wettbewerbs sind aber keine notwendigen Voraussetzungen.

(66)  Für den Informationsaustausch im Kontext von FuE-Vereinbarungen gilt nach der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung ein geschützter Bereich von 25 %, wenn er nicht das für die Durchführung der Vereinbarung erforderliche Maß überschreitet. Für die Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen gilt ein geschützter Bereich von 20 %.

(67)  Die Erhebung historischer Daten kann auch für den Beitrag eines Branchenverbands zur Überprüfung der staatlichen Politik bestimmt sein.

(68)  So vertrat die Kommission in der Vergangenheit die Auffassung, dass der Austausch individueller Daten, die älter sind als ein Jahr, als Austausch historischer Daten und somit als nicht wettbewerbsbeschränkend im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 anzusehen ist, während Informationen, die weniger als ein Jahr alt sind, als „jung“ erachtet wurden; Entscheidung der Kommission in der Sache IV/31.370, UK Agricultural Tractor Registration Exchange, Rdnr. 50; Entscheidung der Kommission in der Sache IV/36.069, Wirtschaftsvereinigung Stahl (ABl. L 1 vom 3.1.1998, S. 10, Rdnr. 17).

(69)  Allerdings könnten sporadische Verträge die Wahrscheinlichkeit einer ausreichend schnellen Vergeltungsmaßnahme verringern.

(70)  Je nach Struktur des Marktes und Gesamtkontext des Austauschs kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass schon ein einziger Informationsaustausch grundsätzlich ausreicht, um den beteiligten Unternehmen eine Abstimmung ihres Marktverhaltens zu ermöglichen (d. h. sich auf Koordinierungsmodalitäten zu verständigen) und so eine praktische Zusammenarbeit zu erreichen, die an die Stelle des Wettbewerbs und die mit ihm verbundenen Risiken. Siehe Rs. C-8/08 P, T-Mobile Netherlands, Rdnr. 59.

(71)  Verbundene Rs. T-191/98 u.a., Atlantic Container Line (TACA), Slg. 2003. II-3275, Rdnr. 1154. Dies trifft nicht zu, wenn der Informationsaustausch einem Kartell dient.

(72)  Die Tatsache, dass die an dem Austausch beteiligten Unternehmen die Daten vorab öffentlich bekanntgegeben haben (z. B. in einer Tageszeitung oder auf ihrer Website), bedeutet im Übrigen nicht unbedingt, dass ein anschließender nicht öffentlicher Datenaustausch nicht gegen Artikel 101 verstoßen würde.

(73)  Siehe verbundene Rs. T-202/98 u.a., Tate & Lyle/Kommission, Rdnr. 60.

(74)  Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass Kunden eine kostengünstige Datenbank angeboten wird, wobei diese selbst Daten beigesteuert haben und ihnen dadurch Kosten entstanden sein dürften.

(75)  Um feststellen zu können, ob nicht am Informationsaustausch Beteiligte die aufgrund der Abstimmung erwarteten Ergebnisse gefährden könnten, ist es wichtig, etwaige Marktzutrittsschranken und die ausgleichende „Nachfragemacht“ auf dem Markt zu untersuchen. Erhöhte Transparenz gegenüber den Kunden kann die Wahrscheinlichkeit eines Kollusionsergebnisses entweder verringern oder erhöhen, weil sich Abweichungen angesichts einer höheren Preiselastizität der Nachfrage zwar eher lohnen, die Vergeltungsmaßnahmen aber auch härter ausfallen.

(76)  Die Erörterung potenzieller Effizienzgewinne durch den Informationsaustausch ist weder abschließend noch erschöpfend.

(77)  Solche Effizienzgewinne müssten gegenüber den potenziellen negativen Auswirkungen (z. B. eine die Innovation begünstigende Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt) abgewogen werden.

(78)  Siehe die Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes.

(79)  Siehe auch die Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 81 EG-Vertrag auf Technologietransfer-Vereinbarungen („Leitlinien für den Technologietransfer“), Rdnr. 33 (ABl. C 101 vom 27.4.2004, S. 2).

(80)  Siehe die Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes; siehe auch die Leitlinien für den Technologietransfer, Rdnrn. 19 ff.

(81)  Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe u der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung.

(82)  Artikel 4 Absatz 2 der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung.

(83)  Siehe auch die Leitlinien für den Technologietransfer, Rdnr. 23.

(84)  Artikel 4 Absatz 1 der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung.

(85)  Siehe die Erwägungsgründe 19, 20 und 21 in der Präambel der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung.

(86)  Artikel 4 Absatz 3 der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung.

(87)  Eine FuE-Zusammenarbeit zwischen Nichtwettbewerbern kann jedoch im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 marktverschließend wirken, wenn sie die ausschließliche Verwertung der Ergebnisse betrifft und zwischen Unternehmen vereinbart wird, von denen eines bei einer Schlüsseltechnologie über einen erheblichen Grad an Marktmacht verfügt (der nicht auf Marktbeherrschung hinauslaufen muss).

(88)  Dies gilt unbeschadet der Analyse potenzieller Effizienzgewinne, einschließlich derjenigen, die in der Regel bei öffentlich kofinanzierter Forschung und Entwicklung entstehen.

(89)  Siehe Artikel 3 Absatz 2 der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung.

(90)  Siehe Artikel 3 Absatz 2 der FuE-Gruppenfreistellungsverordnung.

(91)  ABl. C 1 vom 3.1.1979, S. 2.

(92)  Siehe auch Artikel 2 Absatz 4 der Fusionskontrollverordnung.

(93)  Siehe Artikel 101 Absatz 1 Buchstabe a, verbundene Rs. T-217/03 und T-245/03, French Beef, Rdnrn. 83 ff. und Rs. C-8/08, T-Mobile Netherlands, Rdnr. 37.

(94)  Artikel 2 Absatz 4 der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Beschränkungen.

(95)  Die Normierung kann unterschiedliche Formen annehmen, von der einvernehmlichen nationalen Festlegung von Normen durch die anerkannten europäischen oder nationalen Normenorganisationen, über Konsortien oder Foren bis hin zu Vereinbarungen zwischen einzelnen Unternehmen.

(96)  Siehe Rs. C-113/07, SELEX Sistemi Integrati SpA/Kommission, Slg. 2009, I-2207, Rdnr. 92.

(97)  ABl. L 204 vom 21.7.1998, S. 37.

(98)  Siehe Urteil vom 12. Mai 2010 in der Rs. T-432/05, EMC Development AB/Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht.

(99)  Solche Standardbedingungen können nur einen sehr kleinen Teil der Klauseln oder aber einen Großteil des endgültigen Vertrags ausmachen.

(100)  Gemeint ist eine Situation, in der eine (nicht rechtsverbindliche) Norm oder (nicht rechtsverbindliche) Standardbedingungen in der Praxis vom Großteil der Branche und/oder für den Großteil der Aspekte des Produkts/der Dienstleistung verwendet werden.

(101)  Siehe Kapitel 3 über Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung.

(102)  Siehe auch Rdnr. 308.

(103)  Je nachdem, wer an der Normung beteiligt ist, kommt es entweder auf der Anbieter- oder auf der Abnehmerseite des Marktes für das genormte Produkt zu Wettbewerbsbeschränkungen.

(104)  In diesem Kapitel werden mit dem Ausdruck „Rechte des geistigen Eigentums“ insbesondere Patente (mit Ausnahme nicht veröffentlichter Patentanträge) bezeichnet. Gibt jedoch ein anderes Recht des geistigen Eigentums dem Inhaber in der Praxis die Kontrolle über die Verwendung der Norm, so ist derselbe Grundsatz anzuwenden.

(105)  In der Praxis handelt es sich häufig um Mischformen.

(106)  Siehe Leitlinien für den Technologietransfer, Rdnr. 7.

(107)  Hohe Lizenzgebühren können nur als überhöht eingestuft werden, wenn die Voraussetzungen für den Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne des Artikels 102 AEUV und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erfüllt sind; siehe z. B. Rs. 27/76, United Brands, Slg. 1978, S. 207.

(108)  Siehe z. B. Entscheidung der Kommission in der Sache IV/35.691/E-4: – Fernwärmetechnik-Kartell, ABl. L 24 vom 30.1.1999, S. 1, in der der Verstoß gegen Artikel 101 zum Teil in der „Nutzung von Normen und Standards, um die Einführung einer neuen Technik, die eine Verringerung der Preise zur Folge hätte, zu verhindern oder zu verzögern“ bestand (Rndr. 147).

(109)  Diese Randnummer steht unilateralen und vorab offengelegten Angaben zu den restriktivsten Lizenzbedingungen, wie sie in Rdnr. 299 beschrieben sind, nicht entgegen. Ebenso wenig steht sie Patentpools, die nach den Grundsätzen der Leitlinien für den Technologietransfer gebildet werden, oder Beschlüssen entgegen, die die Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums, die für eine Norm notwendig sind, lizenzgebührenfrei zuzulassen wie in diesem Kapitel ausgeführt.

(110)  Siehe entsprechend Rdnrn. 39 ff. Zu Marktanteilen siehe auch Rdnr. 296.

(111)  Siehe auch Rdnr. 293.

(112)  So sollte z. B. effektiv Zugang zu der Normspezifikation gewährt werden.

(113)  Wie in den Randnummern 285 und 286 dargelegt.

(114)  FRAND kann auch gebührenfreie Lizenzen umfassen.

(115)  Um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, muss die gutgläubige Offenlegung nicht so weit gehen, dass von den Beteiligten verlangt wird, ihre Rechte des geistigen Eigentums mit der potenziellen Norm zu vergleichen und dann zusätzlich zu bestätigen, dass ihre Rechte des geistigen Eigentums für die geplante Norm nicht in Betracht kommen.

(116)  Siehe Rs. 27/76, United Brands, Rdnr. 250; siehe auch Rs. C-385/07 P, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland GmbH, Slg. 2009, I-6155, Rdnr. 142.

(117)  Siehe Rs. 395/87, Ministère public/Jean-Louis Tournier, Slg. 1989, 2521, Rdnr. 38; verbundene Rs. 110/88, 241/88 und 242/88, Francois Lucazeau/SACEM, Slg. 1989, 2811, Rdnr. 33.

(118)  Siehe Entscheidung der Kommission in der Sache IV/29.151 – Philips Video-Cassetterecorders, ABl. L 47 vom 18.2.1978, S. 42, Rdnr. 23: „Da es sich hierbei um Normen für die Herstellung von Geräten und Kassetten des VCR-Systems handelt, ergibt sich daraus die Verpflichtung der beteiligten Unternehmen, nur Kassetten und Geräte nach diesem von Philips lizenzierten System herzustellen und zu vertreiben. Diese Unternehmen waren danach gehindert, (…) zur Herstellung oder dem Vertrieb von anderen Video-Kassettensystemen (…) überzugehen (…). Darin lag eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 Buchstabe b (…)“.

(119)  Siehe Entscheidung der in der Sache IV/29.151 – Philips Video-Cassetterecorders, Rndr. 23.

(120)  In ihrer Entscheidung in der Sache IV/31.458 – X/Open Group, ABl. L 35 vom 6.2.1987, S. 36, vertrat die Kommission den Standpunkt, dass die wettbewerbsbeschränkende Mitgliedschaftspraxis selbst bei einer Veröffentlichung der angenommenen Normen dazu führte, dass Nichtmitglieder keinen Einfluss auf die Ergebnisse der Arbeit der Gruppe nehmen konnten und auch nicht das mit der Norm verbundene Know-how und technische Wissen erhielten, das die Mitglieder wahrscheinlich erwarben. Außerdem konnten Nichtmitglieder im Gegensatz zu den Mitgliedern die Norm nicht übernehmen, solange sie nicht angenommen war (siehe Rdnr. 32). Die Vereinbarung wurde deshalb unter den gegebenen Umständen als wettbewerbsbeschränkend im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 angesehen.

(121)  Auch in dem Fall, dass die Annahme der Norm durch einen ineffizienten Normungsprozess erheblich verzögert würde, könnten etwaige Effizienzgewinne anfängliche Beschränkungen nach Artikel 101 Absatz 3 überwiegen.

(122)  Siehe auch die Entscheidung der Kommission vom 14. Oktober 2009 in der Sache 39.416, Schiffsklassifikation. Die Entscheidung ist abrufbar unter: http://ec.europa.eu/competition/antitrust/cases/index/by_nr_78.html#i39_416.

(123)  Siehe Rdnr. 261.

(124)  Eine einseitige vorherige Offenlegung der restriktivsten Lizenzbedingungen sollte nicht als Deckmantel für eine gemeinsame Preisfestsetzung von nachgelagerten Produkten oder Ersatzrechten des geistigen Eigentums/Ersatztechnologien dienen, die wie in Randnummer 274 unterstrichen eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen.

(125)  Sollten bisherige Erfahrungen mit Standardbedingungen auf dem relevanten Markt zeigen, dass die Standardbedingungen nicht zu weniger Wettbewerb bei der Produktvielfalt geführt haben, könnte dies auch ein Hinweis darauf sein, dass dieselbe Art Standardbedingungen für ein verwandtes Produkt auch keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen hat.

(126)  Siehe Entscheidung der Kommission in der Sache IV/31.458, X/Open Group, Rdnr. 42 „Die Kommission erachtet die Bereitschaft der Gruppe, die Arbeitsergebnisse so schnell als möglich zugänglich zu machen, als einen wesentlichen Bestandteil ihrer Freistellungsentscheidung.“

(127)  In der Sache IV/29/151, Philips Video-Cassetterecorders führte die Einhaltung der VCR-Normen zu einem Ausschluss anderer, möglicherweise besserer Systeme. Bei der herausragenden Marktstellung von Philips war dieser Ausschluss besonders gravierend „[…] damit [wurden] den beteiligten Unternehmen Beschränkungen auferlegt, die nicht unerläßlich waren, um die obengenannten Verbesserungen zu erreichen. Die Verwendbarkeit der Video-Kassetten des VCR-Systems für die von anderen Herstellern stammenden Geräte wäre auch dann gesichert gewesen, wenn diese sich lediglich hätten verpflichten müssen, bei der Herstellung nach dem VCR-System die VCR-Normen einzuhalten.“ (Rdnr. 31).

(128)  Siehe Entscheidung der Kommission in der Sache IV/31.458, X/Open Group, Rdnr. 45 „Die Zielsetzungen der Gruppe könnten nicht erreicht werden, wenn Unternehmen, die sich für diese engagieren wollen, ein Anrecht darauf hätten, Mitglied zu werden. Dies würde praktische und logistische Schwierigkeiten für die Organisation der Arbeit mit sich bringen und möglicherweise bewirken, daß geeignete Vorschläge nicht berücksichtigt werden.“ Siehe auch die Entscheidung der Kommission vom 14. Oktober 2009 in der Sache 39.416, Schiffsklassifikation, Rdnr. 36: „[…] die Verpflichtungszusagen [schaffen] ein angemessenes Verhältnis zwischen der Aufrechterhaltung anspruchsvoller Kriterien für eine IACS-Mitgliedschaft einerseits sowie der Beseitigung unnötiger Hindernisse für eine IACS-Mitgliedschaft andererseits. Die neuen Kriterien gewährleisten, dass nur technisch geeignete KGs für eine IACS-Mitgliedschaft infrage kommen, wodurch verhindert wird, dass die Wirksamkeit und Qualität der IACS-Tätigkeiten durch zu milde Anforderungen für eine Mitwirkung bei IACS unzulässig beeinträchtigt wird. Gleichzeitig hindern die neuen Kriterien KGs, die technisch kompetent und hierzu bereit sind, nicht am Beitritt zur IACS.“

(129)  Technologien, die von den Nutzern/Lizenznehmern aufgrund der spezifischen Merkmale der Technologie und in Bezug auf ihren Zweck als untereinander austauschbar oder als Ersatz für eine andere Technologie betrachtet werden.

(130)  Siehe in diesem Zusammenhang die Entscheidung der Kommission in der Sache IV/34.179, 34.202, 216, Stichting Certificatie Kraanverhuurbedrijf und Federatie van Nederlandse Kraanverhuurbedrijven, ABl. L 312 vom 23.12.1995, S. 79, Rdnr. 23: „Das Verbot, Firmen ohne SCK-Zertifikat als Subunternehmer einzuschalten, schränkt die Handlungsfreiheit der zertifizierten Unternehmen ein. Die Frage, ob dieses Verbot als Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 zu beanstanden ist, muß unter den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesehen werden. Ginge das Verbot mit einem allen offenstehenden, unabhängigen und transparenten Zertifizierungssystem einher, das auch die Anerkennung gleichwertiger Garantien anderer Systeme beinhaltet, ließe sich argumentieren, daß es keine Wettbewerbsbeschränkungen bewirkt, sondern ausschließlich darauf ausgerichtet ist, die Qualität der zertifizierten Gegenstände oder Dienstleistungen vollständig zu gewährleisten.“

(131)  Mit De-facto-Norm wird eine Situation bezeichnet, in der eine (nicht rechtsverbindliche) Norm in der Praxis vom Großteil einer Branche verwendet wird.