ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 224

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Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

51. Jahrgang
30. August 2008


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III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

445. Plenartagung am 28/29. Mai 2008

2008/C 224/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Ökologische Herstellungsverfahren

1

2008/C 224/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Gemeinschaft an einem von mehreren Mitgliedstaaten durchgeführten Forschungs- und Entwicklungsprogramm zur Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen durch den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)KOM(2007) 329 endg. — 2007/0116 (COD)

8

2008/C 224/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit SOLVABILITÄT IIKOM(2007) 361 endg. - 2007/0143 (COD)

11

2008/C 224/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Gemeinschaft an einem Forschungs- und Entwicklungsprogramm mehrerer Mitgliedstaaten zur Unterstützung von KMU, die Forschung und Entwicklung betreibenKOM(2007) 514 endg. — 2007/0188 (COD)

18

2008/C 224/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Stigmatisierung des unternehmerischen Scheiterns überwinden — für eine Politik der zweiten Chance — Umsetzung der Lissabonner Partnerschaft für Wachstum und BeschäftigungKOM(2007) 584 endg.

23

2008/C 224/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Internationale Beschaffungsmärkte

32

2008/C 224/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen

35

2008/C 224/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (kodifizierte Fassung) KOM(2008) 98 endg. — 2008/0049 (COD)

39

2008/C 224/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Grünbuch: Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der StadtKOM(2007) 551 endg.

39

2008/C 224/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission: Aktionsplan GüterverkehrslogistikKOM(2007) 607 endg.

46

2008/C 224/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem

50

2008/C 224/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Verhaltenskodex in Bezug auf ComputerreservierungssystemeKOM(2007) 709 endg. — 2007/0243 (COD)

57

2008/C 224/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm zum Schutz der Kinder bei der Nutzung des Internet und anderer KommunikationstechnologienKOM(2008) 106 endg. — 2008/0047 (COD)

61

2008/C 224/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie …/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom (…) über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und KraftfahrzeuganhängerKOM(2008) 100 endg. — 2008/0044 (COD)

66

2008/C 224/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Antworten auf die Herausforderung von Wasserknappheit und Dürre in der Europäischen UnionKOM(2007) 414 endg.

67

2008/C 224/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über ein Gemeinschaftssystem zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten FischereiKOM(2007) 602 endg. — 2007/0223 (CNS)

72

2008/C 224/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem

77

2008/C 224/18

Stellungnahme des Europäischen- Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. XXX/XXXX (gemeinsames Verfahren)KOM(2007) 872 endg. — 2008/0002 (COD)

81

2008/C 224/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Vereinfachung der Verfahren für das Auflisten und die Veröffentlichung von Informationen im Veterinär- und Tierzuchtbereich und zur Änderung der Richtlinien 64/432/EWG, 77/504/EWG, 88/407/EWG, 88/661/EWG, 89/361/EWG, 89/556/EWG, 90/427/EWG, 90/428/EWG, 90/429/EWG, 90/539/EWG, 91/68/EWG, 92/35/EWG, 92/65/EWG, 92/66/EWG, 92/119/EWG, 94/28/EG, 2000/75/EG, der Entscheidung 2000/258/EG sowie der Richtlinien 2001/89/EG, 2002/60/EG und 2005/94/EGKOM(2008) 120 endg. — 2008/0046 (CNS)

84

2008/C 224/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden (Neufassung)KOM(2008) 154 — 2008 /0060 (COD)

87

2008/C 224/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Die Arbeitsplatzqualität verbessern und die Arbeitsproduktivität steigern: Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2007-2012(KOM(2007) 62 endg.)

88

2008/C 224/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen — Vorteile und Potenziale bestmöglich nutzen und dabei den Schutz der Arbeitnehmer gewährleistenKOM(2007) 304 endg.

95

2008/C 224/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Modalitäten für die optimale Förderung der Mobilität junger Menschen in Europa

100

2008/C 224/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010)KOM(2007) 797 endg. — 2007/0278 (COD)

106

2008/C 224/25

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1719/2006/EG über die Einführung des Programms 'Jugend in Aktion' im Zeitraum 2007-2013KOM(2008) 56 endg. — 2008/0023 (COD)

113

2008/C 224/26

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1720/2006/EG über ein Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen LernensKOM(2008) 61 endg. — 2008/0025 (COD)

115

2008/C 224/27

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Vorteile und Nutzen des Euro: Zeit für eine Bewertung

116

2008/C 224/28

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und FinanzdienstleistungenKOM(2007) 747 endg. — 2007/0267 (CNS)

124

2008/C 224/29

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Beziehungen EU/Serbien: die Rolle der Zivilgesellschaft

130

DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

445. Plenartagung am 28/29. Mai 2008

30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ökologische Herstellungsverfahren“

(2008/C 224/01)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Ökologische Herstellungsverfahren“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Mai 2008 an. Berichterstatterin war Frau DARMANIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28/29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich alle Initiativen zur Entwicklung einer Gemeinschaftspolitik für nachhaltige Produktion und nachhaltigen Verbrauch, die in die anderen Gemeinschaftspolitikbereiche lückenlos integriert wird, mit dem Ziel:

die potenziellen Herausforderungen in Wettbewerbschancen für die EU-Industrie auf dem Weltmarkt umzuwandeln, indem umweltgerechte Produktionsmethoden auf der Grundlage „ökologischer“ Produkte und Dienstleistungen angewandt werden, die für die Verbraucher im gesamten Unionsgebiet leicht identifizierbar sind;

einen „grünen Markt“ zu entwickeln, damit solche Produkte und Dienstleistungen zuverlässigen gemeinsamen Definitionen entsprechen und in sämtlichen Mitgliedstaaten auch wirklich verfügbar sind;

die Unionsbürger zu sensibilisieren für einen verantwortungsbewussten und in stärkerem Maße „öko-intelligenten“ Verbrauch und für umweltverträglichere Verhaltensweisen durch entsprechend große Anstrengungen in den Bereichen Information, Ausbildung und Bildung ab der Grundschule;

die strategische Vorgehensweise zu stärken, um den Entscheidungsprozess der Unternehmer, Politiker, Verbraucher und Bürger zu beeinflussen und einen einheitlichen Gemeinschaftsrahmen zu gewährleisten, der eine Fragmentierung des Marktes verhindert, die durch uneinheitliche Vorschriften und irreführende Werbebotschaften in Bezug auf die ökologischen Qualitäten dieser Produkte und der entsprechenden Produktions- und Vertriebssysteme verursacht wird;

den Schutz der Verbraucherentscheidungen und die Einhaltung der Umweltvorschriften und der Konformität der vermarkteten Produkte mit den Erfordernissen der ökologischen Nachhaltigkeit durch die Erzeuger/Vertreiber zu gewährleisten;

zu gewährleisten, dass die Verantwortung für die Umsetzung der Politik zur Förderung des nachhaltigen Verbrauchs und die diesbezüglichen Entscheidungen von sämtlichen Gruppen und Organisationen der Zivilgesellschaft mitgetragen wird: Erzeuger, Vertreiber, Verbraucher, Lehrkräfte, öffentliche Verwaltungen, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, Sozialpartner.

1.2

Der Ausschuss empfiehlt, im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung und des nachhaltigen Verbrauchs für die Begriffe „ökologisches Produkt/ökologische Dienstleistung“ und „ökologischer Verbrauch“in der gesamten EU geltende und international akzeptierte Definitionen festzulegen, denen klare Umweltkriterien und -indikatoren sowie Normen zugrunde liegen, die innovative und verbesserungsfähige Entwicklungen ermöglichen.

1.3

Der Ausschuss ersucht die europäische Industrie und die Vertriebs- und Dienstleistungssysteme um eine klare Zusage, sich mit gestaffelten und überprüfbaren Zielvorgaben einem sektoralen integrierten Ansatz zu verpflichten: Dieser Ansatz sollte die drei Säulen der Nachhaltigkeit — ökologisch, ökonomisch, sozial — miteinander kombinieren und die Umweltanforderungen bereits ab der Phase der Produktkonzeption unter dem Blickwinkel des „Lebenszyklus“ berücksichtigen und immer höhere Zielvorgaben in Bezug auf Qualität, Innovation und Verbraucherzufriedenheit vorsehen.

1.4

Der Ausschuss empfiehlt den Unternehmen und öffentlichen und privaten Einrichtungen, die gemeinsame Nutzung der verfügbaren gemeinschaftlichen und nationalen Instrumente zu intensivieren, um die Forschungsanstrengungen für „saubere“ Technologien und Produkte zu maximieren.

1.5

Der Ausschuss betont, dass die technische Normung für ökologische Produkte und Produktionsverfahren unbedingt verstärkt und beschleunigt werden muss.

1.6

Der Ausschuss fordert, dass im gesamten Binnenmarkt Sicherheit in Bezug auf die Kriterien und Einheitlichkeit der Mindestanforderungen für die Systeme der Kennzeichnung ökologischer Produkte gewährleistet wird: So soll sichergestellt werden, dass in der gesamten EU die gleichen Voraussetzungen für ökologische Verbraucherentscheidungen, einheitliche Kontrollen und die Einhaltung des Grundsatzes des freien Verkehrs ökologischer Erzeugnisse gegeben sind, die diese Bezeichnung verdienen. Das europäische Umweltkennzeichen („Europäische Ökoblume“) sollte stärker verbreitet werden und neben nationalen und branchenspezifischen Kennzeichnungssystemen bestehen können.

1.7

Der Ausschuss erachtet es für wichtig, die „Produktdimension“ in den Umweltmanagementsystemen zu verstärken, um ihre Verbreitung bei den Produzenten und Vertreibern zu fördern und sie anpassungsfähiger zu machen an die Managementsysteme der lokalen Gebietskörperschaften und sie zu befähigen, Synergieeffekte mit anderen Instrumenten zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung in Gang zu setzen.

1.8

Nach Ansicht des Ausschusses sollte die Verbreitung von EMAS unterstützt werden; dies kann im Rahmen finanzieller und steuerlicher Maßnahmen, administrativer Erleichterungen, Förder- und Marketingmaßnahmen sowie durch die Anerkennung von EMAS als „Exzellenzstandard“ auch auf internationaler Ebene und das Ergreifen von Maßnahmen erfolgen, mit denen auch kleine Unternehmen einen leichteren und schrittweisen Zugang zu diesem System bekommen können.

1.9

Der EWSA erachtet es für grundlegend, dass die Leistung eines Produkts in ihrer Gesamtheit bewertet wird und zwar nicht nur anhand von Umweltkriterien, sondern auch auf der Grundlage anderer wichtiger Aspekte wie: seine Leistung für den Verbraucher und den Produzenten in Bezug auf Rentabilität, Sicherheit und Funktionalität und Umweltschutz, die rationelle Verwendung der Ressourcen und Materialien, Logistik, innovative Charakteristika, Marketing, seine Fähigkeit, die Wahlmöglichkeiten des Verbrauchers zu erweitern, sein Lebenszyklus und die sozialen Aspekte.

1.10

Er empfiehlt ferner die energische Weiterentwicklung der „grünen“ öffentlichen Auftragsvergabe (Green public procurementGPP) durch: Aufstellung technischer Spezifikationen für „grüne“ Produkte, angefangen bei solchen mit den größten Umweltauswirkungen; Aufnahme der Lebenszykluskosten des Produkts oder der Dienstleistung in das Leistungsverzeichnis; Verfügbarkeit einer entsprechenden Datenbank im Internet; Anpassung der EG-Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe durch Aufnahme von Verweisen auf Normen, EMS-Systeme, Umweltzeichen und Ökogestaltung; schließlich empfiehlt er die Veröffentlichung der nationalen Aktionspläne für die Ausschreibung grüner Aufträge.

1.11

Der Ausschuss bekräftigt, wie wichtig es ist, Artikel 153 des EG-Vertrags als Rechtsgrundlage zu verwenden, der seines Erachtens am besten geeignet ist, um ein hohes Verbraucherschutzniveau und die Wahrung ihrer Rechte auf vollständige, korrekte, angemessene, verständliche und rechtzeitige Information zu gewährleisten.

1.12

Ein denkbarer Weg könnte nach Auffassung des Ausschusses darin bestehen, im Interesse einer Selbstregulierung die Verhaltenskodizes weiter zu entwickeln, wie es in der Richtlinie 2005/29/EG vorgesehen ist, um die missbräuchliche Verwendung ökologischer Argumente in Werbebotschaften zu vermeiden. Auf diese Weise sollten Maßnahmen wie Ökosteuern und Vorschriften flankiert werden. Der EWSA empfiehlt, dass ökologische Aussagen auf einem vertrauenswürdigen und anerkannten Umweltkennzeichen beruhen sollten.

1.13

Neben Gerichtsverfahren, die für alle zugänglich sein sollten, sollten seines Erachtens außergerichtliche Kontroll- und Schlichtungsstellen in Verbraucherangelegenheiten geschaffen werden, die flexibel, effizient und kostengünstig sind und glaubwürdig handeln, um die Einhaltung der Umweltvorschriften für Produkte und die Konformität der vermarkteten Produkte mit den Prinzipien der ökologischen Nachhaltigkeit sicherzustellen.

1.14

Angesichts der uneinheitlichen Regelungen, die sowohl in Bezug auf das grundlegende Erfordernis der Verbraucherinformation als auch hinsichtlich der Anforderungen an ein nachhaltiges Produkt bestehen, fordert der Ausschuss mit Nachdruck, einen einheitlichen und klar definierten Rahmen in Gestalt einer „Europäischen Charta für nachhaltigen Verbrauch und nachhaltige Produktion im Binnenmarkt“ zu erarbeiten.

2.   Derzeitige Lage und Perspektiven

2.1

Mit dem gemeinschaftlichen System zur Vergabe eines Umweltzeichens (1) wird angestrebt, Produkte, die während ihrer gesamten Lebensdauer geringere Umweltauswirkungen haben, zu fördern und den Verbrauchern genaue und wissenschaftlich fundierte Informationen zur Verfügung zu stellen. Dieses Zeichen gilt nicht für Lebensmittel und Getränke, Arzneimittel und medizinische Geräte (2) und auch nicht für gefährliche oder schädliche (3) Produkte und Stoffe.

2.1.1

Gestaltung, Produktion, Vertrieb und Verbrauch umweltgerechter Produkte sind fester Bestandteil der EU-Umweltpolitik, wie sie im Sechsten Umweltaktionsprogramm (4) unter ihren Zielen und Prioritäten bis 2010 definiert wird. Dieses Programm, zu dem der Ausschuss wiederholt Stellung genommen hat, beschreibt detailliert die Interventionsmöglichkeiten, mit denen ein Beitrag zur Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsstrategie geleistet werden kann.

2.1.2

Unter den wichtigsten einschlägigen Gemeinschaftsinitiativen hat die integrierte Produktpolitik (IPP) (5), zu der sich der Ausschuss mehrfach geäußert hat (6), mittlerweile einen wichtigen Stellenwert; sie betrifft alle Produkte und Dienstleistungen, die sich auf die Umwelt auswirken.

2.1.3

Im Interesse einer effizienten integrierten Produktpolitik müssen die Hersteller dazu angeregt werden, umweltgerechtere Produkte zu fertigen, und die Verbraucher ermutigt werden, diese Produkte zu erwerben. Zu diesem Zweck können folgende Instrumente zum Einsatz kommen:

steuerliche Maßnahmen zur Förderung umweltfreundlicherer Produkte;

Berücksichtigung der Umweltbelange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (7);

Förderung des Denkens in Lebenszyklen;

Einbindung und Förderung der Anwendung freiwilliger Instrumente wie Umweltzeichen, EMAS (Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung), EPD (umweltbezogene Produkterklärung) — grüne öffentliche Auftragsvergabe etc.;

Bereitstellung der für eine „bewusste Produktwahl“ des Verbrauchers erforderlichen Informationen (Erwerb, Verwendung und Entsorgung).

2.1.4

Ein weiterer erfreulicher Fortschritt bestand in der Einführung eines neuen Regelungsrahmens für die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte, die in einer Rahmenrichtlinie aus dem Jahr 2005 geregelt wurde (8).

2.1.5

Bezüglich der Umsetzung sieht die Rahmenrichtlinie erste Vorschriften für 2008 vor: Derzeit werden Maßnahmen in Bezug auf 20 Produktgruppen untersucht (darunter Beleuchtungssysteme, Computer und Waschmaschinen); für 14 von ihnen (u.a. Beleuchtungssysteme für Straßen und Büros) sollen entsprechende Maßnahmen bis Ende 2008 festgelegt werden, während für andere, wie etwa private Beleuchtungssysteme, die Frist Ende 2009 abläuft.

2.1.6

Im Sechsten Umweltaktionsprogramm (9) werden fünf prioritäre strategische Aktionsbereiche vorgegeben: wirksamere Umsetzung des geltenden Umweltrechts; Einbeziehung der Umweltbelange in die anderen Politikbereiche; Zusammenarbeit mit dem Markt; Einbeziehung der Bürger bei gleichzeitiger Änderung ihres Verhaltens durch Stärkung der Nachfrage dieser Menschen sowie Berücksichtigung von Umweltbelangen bei Entscheidungen im Bereich der Raumplanung und -gestaltung.

2.1.7

Ganz allgemein weist die vom Europäischen Rat im Jahr 2006 überarbeitete EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung die „nachhaltige Produktion und Entwicklung“ als eine der grundlegenden Herausforderungen aus, die dadurch zu bewältigen sind, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung stärker mit dem Ökosystem in Einklang gebracht wird; sie schlägt diesbezüglich einen neuen Aktionsplan vor.

2.1.8

Der Bericht 2007 über die Umsetzung der Strategie (10) weist darauf hin, dass der nachhaltige Verbrauch und die nachhaltige Produktion kaum zuverlässig und flächendeckend messbar sind; auch wenn die Zahl nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen rasch zunimmt, ist die Zahl der mit einem Umweltzeichen versehenen Produkte immer noch begrenzt; das gilt auch für die Zahl der an EMAS mitwirkenden Unternehmen. Lediglich 10 Mitgliedstaaten haben nationale Aktionspläne für eine grüne öffentliche Auftragsvergabe verabschiedet, und lediglich 21 haben den Fahrplan für die Anwendung des Aktionsplans für Umwelttechnologien (ETAP) (11) fertig gestellt.

2.2

Andererseits wurden im Bereich der technischen Normung bereits vor langer Zeit Maßnahmen in die Wege geleitet, um die Umweltaspekte in die neuen technischen Normen aufzunehmen; so wurde innerhalb des CEN ein „Environmental Framework“ geschaffen, in dem sich die technischen CEN-Stellen mit spezifischen Umwelttechniken befassen. Sobald die Normung Bestandteil eines neuen Konzepts ist, begründet dieses die Konformitätsvermutung in Bezug auf die wesentlichen Anforderungen der entsprechenden EU-Richtlinie. Weitere einschlägige Fortschritte wurden ferner durch die Verabschiedung des Umweltmanagementsystems ISO 14001 erzielt.

2.3

Die Europäische Umweltagentur hat am 10. Oktober 2007 ihren vierten Bericht über „Die Umwelt in Europa“ (12) veröffentlicht und darin dem Thema „Verbrauch und nachhaltige Entwicklung“ ein ganzes Kapitel gewidmet.

2.4

Darüber hinaus hat die Kommission in ihrem Jahresbericht 2007 über den Stand der Umsetzung der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung den Akzent auf die Bedeutung des Klimawandels, der Öko-Innovationen, der Energieeffizienz, der erneuerbaren Energiequellen und der Energiemärkte gelegt.

2.5

Schließlich hat der Europäische Rat von Brüssel am 8./9. März 2007 den Themen Umwelt und Klimawandel besonderes Augenmerk geschenkt, während der Rat der Umweltminister im Februar 2007 betonte, dass sich die EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung und die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung ergänzen und dass die Lissabon-Strategie einen unverzichtbaren Beitrag zum vorrangigen Ziel der nachhaltigen Entwicklungsstrategie leistet. Er bekräftigte ferner, dass die Umweltbelange unbedingt in allen Politikbereichen berücksichtigt werden müssen. Diese Leitgedanken wurden auf dem Europäischen Rat im Dezember 2007 mit Nachdruck bekräftigt (13).

2.6

Im Arbeitsprogramm der Kommission 2008 (14) besteht eines der Hauptziele darin, die Bürger in den Mittelpunkt des Projekts Europa zu rücken. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme der sozialen Wirklichkeit bei gleichzeitiger Überprüfung des Binnenmarkts soll das Augenmerk konstant auf die Notwendigkeit gerichtet werden, dass die Unionsbürger den größtmöglichen Nutzen aus dem Binnenmarkt ziehen können.

2.7

Artikel 153 des EG-Vertrags, der vom EWSA mehrfach als Rechtsgrundlage eingefordert wurde (15), soll den Verbrauchern ein hohes Schutzniveau gewährleisten und ihr Recht auf vollständige (16), korrekte, klare, angemessene, verständliche, kompakte und rechtzeitige Informationen fördern.

2.7.1

Im Bereich des abgeleiteten Rechts wurden die Rechte der Verbraucher auf Information in der Richtlinie 2005/29/EG (17) geregelt, die sich auf „unlautere Geschäftspraktiken“ bezieht, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher schädigen. Im Anhang wird eine Reihe von Geschäftspraktiken aufgelistet, die unter allen Umständen als unlauter gelten, wie etwa „die Verwendung von Gütezeichen, Qualitätskennzeichen oder Ähnlichem ohne die erforderliche Genehmigung“.

2.8

Der Ausschuss ist indes überzeugt, dass auf Gemeinschaftsebene bestimmte uneinheitliche Regelungen in Bezug auf die grundlegenden Anforderungen an Verbraucherinformationen und nachhaltige Produkte bestehen; er hält es für wichtig, eine „Europäische Charta für nachhaltigen Verbrauch und nachhaltige Produktion im Binnenmarkt“ zu erarbeiten.

2.8.1

Sollte sich die Anwendung dieser Charta und der in der Richtlinie 2005/29/EG vorgesehenen Kodizes zur Selbstregulierung als nicht zufriedenstellend erweisen, müssten nach Ansicht des Ausschusses andere Möglichkeiten eruiert werden, wie z.B. eine lückenlosere Harmonisierung in diesem Bereich oder die Einführung einer unmittelbar wirksamen spezifischen Gemeinschaftsregelung.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss hält es für unverzichtbar, von klaren und eindeutigen Begriffsdefinitionen z.B. für „nachhaltiges Produkt“, „nachhaltige Gestaltung, Herstellung und nachhaltiger Vertrieb“, „nachhaltiger Verbrauch“ auszugehen, um im gesamten EU-Gebiet und im gesamten europäischen Wirtschaftsraum kontrollieren zu können, ob ein freiwilliger Rechts- und Regelungsrahmen auf EU-Ebene, der auf diese Definitionen Bezug nimmt, in den einzelnen Mitgliedstaaten/Regionen auch tatsächlich eingehalten wird.

3.2

Diese Definitionen, die allgemein auf internationaler Ebene akzeptiert werden, sind keine statischen Größen, sondern naturgemäß Gegenstand eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Gleichwohl sollten sie nach Ansicht des Ausschusses auf jeden Fall flankiert werden durch:

Ein Paket von Umweltindikatoren  (18), um die Entwicklung anhand von gestaffelten Schwellenwerten zu verfolgen, mit deren Hilfe der Grad der „Nachhaltigkeit“ von Herstellungsprozessen, Produkten und Dienstleistungen sowie von Vertriebssystemen bestimmt werden kann;

gemeinschaftliche technische Umweltnormen (möglichst in ISO-Form) unter vollständiger Einbeziehung der Umweltaspekte in den europäischen Normungsprozess, die — wie es der Ausschuss (19) bereits mehrfach betont hat — bei den Produkten, Herstellungsverfahren, Vertriebssystemen und Dienstleistungen entsprechend den Konformitätsvorschriften der einschlägigen Gemeinschaftsrichtlinien (20) zu beachten sind.

3.2.1

Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass die oben angeregten und mit entsprechenden Indikatoren und Normen versehenen Definitionen für eine effiziente Gemeinschaftspolitik grundlegend sind, die dem informierten Verbraucher nachhaltige Verhaltensweisen und Entscheidungen, die einer umweltfreundlichen Produktion entsprechen, ermöglicht.

3.3

Wie die Kommission selbst betont, „ist die europäische Industrie bereits gut gerüstet und kann auf ihrer starken Position auf dem Markt für neue Produkte, Dienstleistungen und Verfahren auf der Basis von Umwelttechnologien aufbauen. Zudem wächst bei den europäischen Unternehmen das Bewusstsein dafür, dass sie die Umweltverträglichkeit in ihre Konzepte für soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR) einbeziehen müssen“ (21).

3.3.1

Der Ausschuss stimmt mit den diesbezüglich skizzierten drei Handlungslinien überein: Förderung der Entwicklung und Vermarktung von kohlenstoffarmen und energieeffizienten Technologien, Produkten und Dienstleistungen; Schaffung eines dynamischen Binnenmarktes; Schaffung globaler Märkte für kohlenstoffsparende und energieeffiziente Technologien, Produkte und Dienstleistungen.

3.3.2

Der Ausschuss bekräftigt seinen bereits unlängst in einer Stellungnahme dargelegten Standpunkt: „Wissenschaftliche und technische Höchstleistungen und deren Umsetzung in wettbewerbsfähige Wirtschaftskraft sind die entscheidenden Voraussetzungen, um unsere Zukunft — z.B. bezüglich der Energie- und Klimaproblematik — zu sichern, unsere derzeitige Position im globalen Umfeld zu erhalten und zu verbessern, und um das europäische Sozialmodell nicht zu gefährden, sondern ausbauen zu können“ (22).

3.3.3

Nach Ansicht des Ausschusses bedarf es eines stärker integrierten Ansatzes, mit dem die bestehenden Schwierigkeiten und Hindernisse überwunden werden können — im Interesse einer gemeinsamen und koordinierten Nutzung sämtlicher auf europäischer, nationaler, regionaler, lokaler und seitens einzelner Wirtschaftsakteure aktivierbarer Finanzinstrumente (23) für die Entwicklung sauberer und effizienter Technologien und innovativer Anwendungen, mit denen höchst nachhaltige Prozesse, Produkte und Dienstleistungen verwirklicht werden können.

3.3.4

Seines Erachtens wäre zum Zwecke der Koordinierung und technischen Hilfe eine Gemeinschaftsinitiative zwischen sämtlichen Generaldirektionen notwendig, um die gemeinsame Nutzung der verfügbaren gemeinschaftlichen, europäischen und nationalen Instrumente zu optimieren und dadurch die Forschungs- und Innovationsanstrengungen zu maximieren, welche die Unternehmen und öffentlichen und privaten Einrichtungen im Rahmen des Europäischen Forschungs- und Innovationsraums zum Zwecke des Umweltschutzes unternehmen.

3.3.5

Wie bereits mehrfach vom EWSA (24), auf höchster Kommissionsebene, vom Rat und vom Europäischen Parlament bekräftigt wurde, ist es unerlässlich, den bürokratischen Verwaltungsaufwand der Unternehmen (zumal der KMU) abzubauen, um die wirtschaftlichen und sozialen Kräfte der Unternehmen freizusetzen und sie in die nachhaltige Modernisierung des Umfelds und der Produktions- und Organisationsstrukturen einfließen zu lassen.

3.4

Im Interesse der Steigerung umweltgerechter Produktionsverfahren hat die EU 1997 für Produkte die Umweltkennzeichnung eingeführt und sie später auf die Dienstleistungen ausgedehnt; im Laufe der Jahre hat sich diese Kennzeichnung immer weiter entwickelt. Gegenwärtig umfasst sie auch öffentliche, mehrere Kriterien erfüllende Kennzeichnungen, die für Produkt- und Dienstleistungsgruppen gelten (25).

3.4.1

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass diese Situation sowohl unter den Herstellern als auch und vor allem unter den europäischen Verbrauchern Verwirrung stiften kann und dieser Missstand behoben werden muss; und zwar durch Festlegung europaweit geltender gemeinsamer Mindestkriterien, denen zufolge eine obligatorische Registrierung und Prüfung der Kennzeichnung durch eine externe und unabhängige Zertifizierungsstelle erfolgen muss.

3.4.2

Europaweit verwendete Umweltkennzeichen sollten nicht in Konkurrenz zu den nationalen und branchenspezifischen Kennzeichen treten, die bei den Verbrauchern mitunter besser bekannt sind, sondern neben ihnen existieren. Außerdem sollte es auf internationaler Ebene eine Koordinierung von Kennzeichnungen geben, die ihren Erfolg unter Beweis gestellt haben, wie etwa der „Energy Star“.

3.4.3

Es ist von großer Bedeutung, dass die Kennzeichen verlässlich sind und die Verbraucher ihnen vertrauen. Aus diesem Grund sollte die Festlegung der Standards für derartige Kennzeichen und die Marktbeobachtung in der Regel unter Beteiligung aller interessierten Kreise erfolgen, damit das Vertrauen in die Kennzeichnung gestärkt wird.

3.4.4

Es wäre vielleicht sinnvoll, Produkte oder Dienstleistungen im Hinblick auf ihren CO2-Fußabdruck zu kennzeichnen.

3.5

Auch im Hinblick auf das freiwillige EMAS-System, das es den betroffenen Akteuren ermöglicht, zu zeigen, dass sie ihre Umweltleistung verbessern und sich für ein Gemeinschaftssystem für Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung entscheiden, wodurch sie ihre Bereitschaft zur Einhaltung der Umweltvorschriften und zum Engagement für ein ökologisches Betriebssystem zu erkennen geben, ist der Ausschuss der Ansicht, dass nach der Verabschiedung der ISO-Norm 14001 ein Ausbau der „Produktdimension“ in den Umweltmanagementsystemen möglich ist, um ihre Verbreitung bei den Herstellern und Vertreibern zu steigern, sie besser an das Prozessmanagement der lokalen Gebietskörperschaften anzupassen und es für die Aktivierung von Synergieeffekten mit anderen Instrumenten zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung offener zu machen.

3.5.1

Nach Auffassung des Ausschusses wäre es sinnvoll, die Verbreitung von EMAS durch finanzielle und steuerliche Maßnahmen, Erleichterungen und Verwaltungsmaßnahmen, Förder- und Marketingaktionen sowie durch die Anerkennung von EMAS als „Exzellenzstandard“ auch auf internationaler Ebene zu unterstützen. Außerdem sollten die KMU auch im Rahmen von Clustern die Möglichkeit eines leichteren, schrittweisen und graduellen Zugangs haben.

3.6

Es ist in den Augen des Ausschusses unumgänglich, einen „grünen Markt“ für Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, indem eine Reihe von Anreizen und Instrumenten geschaffen werden, die auf der Angebotsseite die Innovation ankurbeln und auf der Nachfrageseite die Verbraucher mit angemessenen Informationen oder Anreizen für den Kauf umweltgerechterer Produkte versorgen sollen.

3.6.1

Im Interesse eines wettbewerbsfähigen Binnenmarktes sollte die Leistung eines Produkts nicht nur anhand von Umweltkriterien, sondern auch auf der Grundlage anderer wichtiger Kriterien bewertet werden, wie u.a.: seine Wirtschaftsleistung für den Verbraucher und Produzenten, seine Sicherheit und Funktionalität, sein Energieaufwand, die Logistik, das Marketing, seine Gesundheits- und Innovationsmerkmale, seine Fähigkeit, die Wahlmöglichkeiten des Verbrauchers zu erweitern, sein Lebenszyklus und sein Entsorgungszyklus für die Reststoffe und schließlich die sozialen Aspekte.

3.6.2

Es ist unabdingbar, dass im Bereich der ökologischen Produktion und ökologischen Dienstleistungen ein echtes Engagement zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation an den Tag gelegt wird.

3.7

Eine grundlegende Bedeutung sollte nach Ansicht des Ausschusses der Entwicklung des technischen Normungsprozesses seitens des CEN, des CENELEC und des ETSI in Bezug auf die ökologische Nachhaltigkeit der Produkte (26) zukommen.

3.7.1

Der Ausschuss hat ferner bereits betont, dass „die Verwendung umwelttechnischer Normen nicht durch Entscheidungen von oben gefördert werden sollte, sondern auf einer breiten Akzeptanz umweltverträglicher Produkte beruhen muss und den Interessen und Bedürfnissen der Bürger und Verbraucher entsprechen sollte“ (27).

3.8

In Bezug auf die öffentlichen Auftragsvergabe sind die Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (28) sowie die Interpretierende Mitteilung der Kommission über das auf das Öffentliche Auftragswesen anwendbare Gemeinschaftsrecht und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge  (29) von Bedeutung.

3.8.1

Nach Ansicht des Ausschusses spielt die öffentliche Auftragsvergabe, die rund 16 % des Gemeinschafts-BIP ausmacht, eine grundlegende Rolle bei der Verbreitung ökologischerer Produkte und stößt Maßnahmen an, mit denen die öffentlichen Auftraggeber angehalten werden, die Möglichkeiten im Bereich der grünen öffentlichen Auftragsvergabe („Green Public Procurement“- GPP) zu nutzen.

3.8.2

Im Abschlussbericht 2006 zum GPP in Europa (30) werden u.a. folgende Haupthindernisse für ihre Verbreitung genannt: die höheren Kosten der „grünen Produkte“, vor allem mangels Angaben zu den Kosten in Bezug auf den „Lebenszyklus“; unzureichende Umweltkenntnisse, auch aufgrund des Fehlens einer angemessenen elektronischen und leicht zugänglichen Datenbank; unklare Spezifikationen und Vergabekriterien mit unpräzisen Definitionen und Normen für Ökoprodukte; fehlende Unterstützung seitens der Unternehmen und Politik; Mangel an Instrumenten, Informationen und Ausbildung.

3.8.3

Der Ausschuss empfiehlt daher: die Definition solider Kriterien für „grüne“ Produkte, die alle relevanten Umweltspezifikationen enthalten; die Aufnahme der Kosten des gesamten Lebenszyklus des Produkts oder der Dienstleistung ins Leistungsverzeichnis; die Bereitstellung einer „European GPP knowledge Database“ (31); die Aufnahme der Normungsanforderungen „ISO 14001“ oder von Umweltmanagementsystemen (EMS), Verweisen auf Umweltzeichen und umweltgerechte Gestaltung in die EG-Richtlinien über öffentliche Aufträge; die öffentliche Verbreitung der nationalen Aktionspläne für die Ausschreibung grüner Aufträge; Fokalisierung auf die Produkte mit den größten Umweltauswirkungen.

3.9

Auch der faire Handel ist in ganz Europa weit verbreitet. Der EWSA beschäftigt sich schon seit langem mit fairem und ethischem Handel, der eingehend in der Stellungnahme REX/196 (32) beleuchtet wurde. Seines Erachtens gehören sie zu den Schlüsselfaktoren für den Durchbruch des nachhaltigen Verbrauchs.

3.10

Ein Schlüsselelement des nachhaltigen Verbrauchs ist die Erziehung, und der EWSA dringt darauf, dass damit bereits in der Schule begonnen wird. Der Verbraucher muss darüber hinaus unmittelbar Zugang zu den Informationen über die gewählten Produkte und Dienstleistungen und über ihre entsprechenden Umweltauswirkungen haben. Außerdem muss diese Information so präsentiert werden, dass sie für den Verbraucher interessant erscheint und somit leicht nachvollziehbar und verständlich ist.

3.11

Der EWSA hält es für zweckmäßig, den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für nachhaltige Produktion und nachhaltigen Verbrauch zu konsolidieren und zu vereinfachen, um ihn für Verbraucher und Erzeuger verständlicher und leicht ausfindig zu machen. „Der Grundsatz 'Weniger und bessere Rechtsetzung' muss in konsolidierte und kohärente Umweltvorschriften umgesetzt werden, die für Rechtssicherheit und Transparenz bei der entsprechenden Ausrichtung des industriellen Wandels sorgen und auf einen besseren Schutz der natürlichen Ressourcen und der Umwelt und den Einsatz nachhaltiger und wettbewerbsfähiger technologischer Innovationen auf den Weltmärkten abstellen. Die KMU müssen in die Lage versetzt werden, die Kosten für die Einhaltung der Auflagen zu tragen, ohne dass ihr Wettbewerbsvorteil beeinträchtigt wird“ (33).

3.12

Auch mit Blick auf die Werbung für „grüne“ Produkte wäre es sinnvoll, die Gemeinschaftsmaßnahmen zur Verhinderung irreführender Werbung und unlauterer Geschäftspraktiken  (34) zu verstärken: Die Begriffe „Öko“ und „Bio“ werden häufig zu schlichten Marketinginstrumenten zur Steigerung des Absatzes solcher Produkte und Dienstleistungen degradiert, die sich in Wirklichkeit von den anderen nicht unterscheiden und keinen zusätzlichen Nutzen bieten.

3.12.1

In diesem Zusammenhang und im Interesse einer Selbstregulierung könnte sich die Entwicklung von Verhaltenskodizes, wie sie in der Richtlinie 2005/29/EG vorgesehen ist, als besonders wichtig erweisen, um die missbräuchliche Verwendung ökologischer Argumente in Werbebotschaften nach folgenden Kriterien zu verhindern:

Umweltwerbung darf die Sorge der Verbraucher um die Umwelt nicht missbräuchlich hervorrufen oder ihren diesbezüglichen Kenntnismangel ausnutzen;

Werbung darf nicht zu Verhaltensweisen anregen, die dem Umweltschutz schaden, oder derartige Verhaltensweisen auf unkritische Weise aufzeigen;

Werbung darf nicht über die Umweltauswirkungen des angepriesenen Produktes täuschen, und zwar weder durch irreführende Darstellung dieser Auswirkungen noch durch Verschleierung;

die positiven Umweltschutzmerkmale eines Produkts oder einer Dienstleistung dürfen nicht grundlos auf die übrigen Angebote des werbenden Unternehmens ausgedehnt werden;

sollten die Umweltqualitäten eines Produkts oder einer Dienstleistung von besonderen Nutzungs- oder Konsumbedingungen bzw. –modalitäten oder von besonderen Momenten seines/ihres Lebenszyklus abhängen, muss darauf in der Werbung unmissverständlich hingewiesen werden bzw. die Verbraucher müssen unmissverständlich aufgefordert werden, sich entsprechend zu informieren;

Umweltschutzargumente und -slogans in der Werbung dürfen nur auf der Grundlage objektiver technischer und wissenschaftlicher Kriterien verwendet werden. Im Falle einer Anfechtung muss der Werbende die erforderlichen Beweise für die Richtigkeit seiner Werbung mittels eines unabhängigen Gremiums oder Experten erbringen;

die Verweise auf die den angepriesenen Produkten zur Veränderung ihrer Umweltauswirkungen zugefügten oder entzogenen Inhaltsstoffe müssen klare und konkrete Aussagen über Art und Umfang dieser Auswirkungen machen;

die Verwendung von Zeichen oder Symbolen über Umweltauswirkungen darf nicht zu falschen oder irreführenden Annahmen hinsichtlich ihrer Bedeutung führen. Ebenso wenig dürfen sie zu falschen Assoziationen mit den offiziellen Umweltzeichen in Ländern, geografischen Gebieten oder Wirtschaftssektoren verleiten. Die Bescheinigungen und Zeichen dürfen nur zur Bekräftigung der Umweltmerkmale der angepriesenen Produkte in Bezug auf konkrete und nachprüfbare Aussagen im Einklang mit den Ausführungen unter dem viertletzten Spiegelstrich verwendet werden.

3.12.2

Nach Ansicht des Ausschusses gilt es darüber hinaus, außergerichtliche Kontroll- und Schlichtungsstellen in Verbraucherangelegenheiten zu fördern, die flexibel, effizient und kostengünstig sind und glaubwürdig handeln, um die Einhaltung der Produktumweltvorschriften und die Konformität der auf den Markt gebrachten nachhaltigen Produkte mit den Anforderungen der nachhaltigen Entwicklung, welche für die Wahl des Verbrauchers maßgeblich sind, sicherzustellen. Diese sollten Gerichtsverfahren, die für alle zugänglich sein sollten, nicht ersetzen.

3.13

Um das Recht der Verbraucher auf Verbrauch ökologischer Produkte zu schützen, hält es der Ausschuss für besonders wichtig, eine Europäische Charta für nachhaltigen Verbrauch und nachhaltige Produktion im Binnenmarkt zu erarbeiten. Diese Charta sollte u.a. folgende Elemente umfassen:

Gemeinsame Verantwortung für nachhaltigen Verbrauch aller Gruppen und Organisationen der Zivilgesellschaft: Erzeuger, Vertreiber, Verbraucher, Lehrkräfte, öffentliche Verwaltungen, Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen, Sozialpartner;

Einbeziehung der Politik für nachhaltigen Verbrauch und nachhaltige Produktion in die anderen relevanten EU-Politikbereiche, unter Anhörung der Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen, der Erzeuger-, Handels- und Vertriebsorganisationen und sonstiger Interessengruppen;

vorrangige Verantwortung der Industrie und der europäischen Erzeuger für die Optimierung der Verfügbarkeit des nachhaltigen Verbrauchs im gesamten Lebenszyklus des Produkts („von der Wiege bis zur Bahre“), des Vertriebs und der Dienstleistungen;

Verantwortung der Europäischen Union für die Bereitstellung eines einheitlichen, klaren, kohärenten und verständlichen Rahmens für alle einschlägigen EU-Rechtsvorschriften bei gleichzeitiger Hervorhebung der Verbraucherrechte und der benutzerfreundlichen und kostenfreien Instrumente für eine konkrete und zügige Geltendmachung dieser Rechte;

etwaige Elemente, welche die bestehenden Rechte ergänzen können und in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallen würden;

etwaige Elemente, welche die bestehenden Rechte ergänzen können und die im Zuge der Selbstregulierung (35) seitens der privaten Interessengruppen, der Verbraucherverbände (36) und der Umweltschutzorganisationen (37) sowie der Unternehmensvertreter erreicht werden können;.

Verantwortung der EU und der einzelstaatlichen Regierungen für die Förderung dynamischer, überprüfbarer und in ihrer Umsetzung eindeutiger Maßnahmen in folgenden Bereichen: umweltgerechte Gestaltung von Produktbereichen, zuverlässige Umweltzeichen in der gesamten EU, Verbreitung von Umweltmanagementsystemen, Erarbeitung und Unterstützung technisch fortschrittlicher und international anerkannter Umweltnormen, Vorschriften für technische Umweltspezifizierungen in den öffentlichen Aufträgen, Bekämpfung irreführender „grüner“ Werbung, fairer Handel und internationale Zusammenarbeit für nachhaltigen Verbrauch;

Beschleunigung von Forschung und technologischer Entwicklung und innovativen Anwendungen, welche die nachhaltige Produktion und den nachhaltigen Verbrauch betreffen, sowohl durch die öffentlichen Ausgaben auf gemeinschaftlicher und nationaler Ebene, als auch durch private Gelder im Rahmen des für den EFR (38) vorgegebenen Ziels, 3 % des BIP in FTE zu investieren;

Information, Erziehung und Bildung für sämtliche, an nachhaltigem Verbrauch interessierte Gruppen und Maßnahmen zum Kapazitätsaufbau in Verwaltungen und interessierten Organisationen;

Entwicklung von — öffentlich zugänglichen — Indikatoren, Methoden und Datenbanken, um die erzielten Fortschritte in Richtung eines auf allen Ebenen nachhaltigen Verbrauchs zu messen;

Förderung der Forschung über Verbraucherverhalten im Zusammenhang mit Umweltschäden, um herauszufinden, wie Verbrauchsmodelle nachhaltiger gestaltet werden können.

3.13.1

Angesichts der Dringlichkeit des Themas schlägt der EWSA vor, unter Beteiligung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission eine Konferenz über die Europäische Charta für nachhaltigen Verbrauch und nachhaltige Produktion im Binnenmarkt zu veranstalten.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Verordnung (EG) Nr. 1980/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Revision des gemeinschaftlichen Systems zur Vergabe eines Umweltzeichens.

(2)  Richtlinie 93/42/EWG.

(3)  Richtlinie 67/548/EWG.

(4)  KOM(2001) 31 endg.

(5)  KOM(2003) 302 endg. und Grünbuch KOM(2001) 68 endg.

(6)  ABl. C 80 vom 30.3.2004.

(7)  KOM(2002) 412 endg. vom 17.7.002 und Richtlinie 2004/18/ EG vom 31. März 2004.

(8)  Richtlinie 2005/32/EWG (ABl. L 191 vom 22.7.2005); Entscheidung 2000/729/EG; Entscheidung 2000/739/EG und Entscheidung 2000/731/EG (ABl. L 293 vom 22.11.2000).

(9)  ABl. L 242 vom 10.9.2002.

(10)  Report on the Sustainable Development Strategy 2007.

(11)  Vgl. Fußnote 18, insbesondere.

(12)  ISBN 978-92-9167-932-4- EUA, Kopenhagen, 2007.

(13)  Europäischer Rat von Brüssel am 14. Dezember 2007.

(14)  KOM(2007) 640 endg.

(15)  ABl. C 108 vom 30.4.2004.

(16)  ABl. C 175 vom 27.7.2007; ABl. C 44 vom 16.2.2008.

(17)  Richtlinie 2005/29/EG (ABl. L 149 vom 11.6.2005).

(18)  Vgl. United Nations (Hrsg.), Indicators of Sustainable Development. Framework and Methodologies, New York 1996.

(19)  ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 112; ABl. C 117 vom 30.4.2004; ABl. C 74 vom 23.3.2005.

(20)  Der CENELEC entwickelt seit 2006 eine online-Datenbank über die Umweltaspekte in den CENELEC-Normen.

Der CEN entwickelt seit Anfang 2007 ein entsprechendes Ausbildungsprogramm für die Aufnahme der Umweltaspekte in die CEN-Normen.

(21)  KOM(2007) 374 endg. vom 4.7.2007.

(22)  ABl. C 325 vom 30.12.2006.

(23)  Es gibt diesbezüglich zahlreiche europäische und internationale Instrumente (RP7, CIP, LIFE, STRUKTURFONDS, EIB, Initiative I2I, EUREKA-Programm, Programm LEED der OECD, Entwicklungsbank des Europarates (CEB) etc.), aber ihrer gemeinsamen Nutzung stehen unterschiedliche Modalitäten und Verfahren, zahlreiche zeitliche Abweichungen bei der Umsetzung sowie beträchtliche Schwierigkeiten des „simultaneous engineering“ (koordinierten Ablaufs) zwischen verschiedenen Arten von Maßnahmen entgegen.

(24)  Vgl. Stellungnahme ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 66, Berichterstatter: Herr PEZZINI.

(25)  Vgl. beispielsweise: die „Europäische Ökoblume“, die in ganz Europa Verwendung findet (http://europa.eu.int/comm/environment/ecolabel/index_en.htm), und den „Nordischen Schwan“, der vor allem in den skandinavischen Ländern verwendet wird (http://www.svanen.nu/Eng/default.asp). In Deutschland gibt es den „Blauen Umweltengel“ (http://blauer-engel.de/englisch/navigation/body_blauer_engel.htm), und aus den Niederlanden stammt das Kennzeichen „Faire Blumen“ (http://www.flowercampaign.org). Es gibt jedoch auch öffentliche, auf einen bestimmten Umweltaspekt abhebende Umweltkennzeichen wie den „Energy Star“. Auch eine private Kennzeichnung ist weit verbreitet, zum Beispiel die Biolabel des IFOAM-Programms (http://ec.europa.eu/environemt/emas/index_en.htm).

(26)  ABl. C 74 vom 23.3.2005.

(27)  Ebenda.

(28)  ABl. L 134 vom 30.4.2004.

(29)  KOM(2001) 274 endg. ABl.C 333 vom 28.11.2001.

(30)  Green Public Procurement in Europe 2006 — Conclusions and recommendations. Virage Milieu & Management bv, Korte Spaarne 31, 2011 AJ Haarlem, the Netherlands. http://europa.eu.int/comm/environment/gpp.

(31)  Auch mit Bezug auf die European Platform for Life-Cycle for the environmental performance of products, technologies and services.

(32)  Ethischer Handel und Verbrauchergarantiekonzepte, Berichterstatter: Herr ADAMS; ABl. C 28 vom 3.2.2006.

(33)  ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 66, Berichterstatter: Herr PEZZINI.

(34)  Richtlinie 2005/29/EG (ABl. L 149 vom 11.6.2005).

(35)  Vgl. die Ziffern 22 und 23 der Interinstitutionellen Vereinbarung — „Bessere Rechtsetzung“, ABl. C 321 vom 31.12.2003.

(36)  In Ziffer 3.5 der Stellungnahme CESE befasst sich der EWSA mit verschiedenen Merkmalen einer möglichen einheitlichen Definition für repräsentative Verbraucherverbände (ABl. C 185 vom 8.8.2006).

(37)  Der EWSA unterstützt die Förderung der Einbindung der Zivilgesellschaft in Fragen der nachhaltigen Entwicklung (Ziffer 4.2.6 der Stellungnahme ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 33.

(38)  EFR: Europäischer Forschungsraum.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Gemeinschaft an einem von mehreren Mitgliedstaaten durchgeführten Forschungs- und Entwicklungsprogramm zur Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen durch den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)“

KOM(2007) 329 endg. — 2007/0116 (COD)

(2008/C 224/02)

Der Rat beschloss am 10. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 169 und 172 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Gemeinschaft an einem von mehreren Mitgliedstaaten durchgeführten Forschungs- und Entwicklungsprogramm zur Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen durch den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Mai 2008 an. Berichterstatterin war Frau DARMANIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Vorschlag der Kommission, der die Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen durch den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien zum Ziel hat. Umgebungsunterstütztes Leben (AAL) bietet sich als ein mögliches Instrument an, die Lebensqualität nicht nur älterer Menschen, sondern all derjenigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht im eigenen Zuhause leben können, wirksam und vorrangig zu sichern.

1.2

Nach Überzeugung des Ausschusses sollte die Strategie für die einschlägige Forschung und Entwicklung im IKT-Bereich vor allem darauf abheben, dass die Bedürfnisse der Zielgruppe erkannt und erfüllt werden. Die Strategie sollte daher „von unten nach oben“ angelegt werden, indem zunächst die Bedürfnisse ausgelotet und dann geeignete Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen durchgeführt werden.

1.3

Wesentliche Interessenträger des umgebungsunterstützten Lebens sind die letztendlichen Nutzer dieser Technologie. Daher ist es nicht nur wichtig, ihre Bedürfnisse zu erkennen, sondern auch, sie im Umgang mit dieser Technologie zu schulen sowie in deren Design und Erprobung einzubinden.

1.3.1

Auch aus diesem Grund hält der Ausschuss die EU-Maßnahmen zugunsten von lebenslangem Lernen und eInclusion für wichtig. Die Europäische Kommission sollte das AAL-Programm und letztere Maßnahmen in einem integrierten Ansatz miteinander verknüpfen.

1.4

Bei dem AAL-Programm stechen zunächst vor allem die menschlichen und weniger die Forschungs- und Entwicklungs-Aspekte ins Auge. Es handelt sich um ein echtes Forschungsprogramm, in dessen Mittelpunkt allerdings Lebensumstände in zumeist kritischen Phasen stehen.

1.5

Wie im weiteren Verlauf ausgeführt, sollte das gemeinsame Programm AAL aus Sicht des Ausschusses auf folgende vier Aspekte ausgerichtet sein: die Nutzerbedürfnisse, die Nutzersicherheit; die Gesundheitsorganisationen und Wohlfahrtseinrichtungen (sowie die betreffenden Berufsfachverbände) und die eingesetzte Technologie.

1.6

Der Ausschuss betont, dass im Einklang mit internationalen Richtlinien ethische Grundsätze und der Schutz der Privatsphäre angemessen berücksichtigt werden müssen, und begrüßt, dass dieser Thematik in dem Kommissionsvorschlag Rechnung getragen wurde.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1

Die Europäische Kommission verfolgt mit ihrem Vorschlag folgende spezifische Ziele:

Förderung innovativer IKT-gestützter Produkte, Dienste und Systeme, um ein „gesundes“ Altern zu ermöglichen und so die Lebensqualität älterer Menschen zu erhöhen und die Gesundheits- und Sozialkosten zu senken;

Verbesserung der Bedingungen für eine industrielle Nutzung der Forschungsergebnisse durch Schaffung eines einheitlichen europäischen Rahmens für die Ausarbeitung gemeinsamer Konzepte, die Erleichterung der Lokalisierung gemeinsamer Lösungen und Kostensenkungen für Dienstleistungen;

Schaffung einer kritischen Masse auf EU-Ebene im Bereich der Forschung, Entwicklung und Innovation in Bezug auf Technologien und Dienste für Lebensqualität im Alter in der Informationsgesellschaft.

2.2

Die Europäische Kommission schließt mit diesem Vorschlag an den Aktionsplan „Wohltuendes Altern in der Informationsgesellschaft“ an, der als wesentlicher Baustein zur Bewältigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen angesehen wird, denen Europa aufgrund des demografischen Wandels gegenübersteht. Die Zahl der Menschen in der Altersgruppe von 65 bis 80 Jahren wird im Zeitraum 2010-2030 (1) voraussichtlich um fast 40 % ansteigen. IKT können älteren Menschen dabei helfen, ihre Lebensqualität zu erhöhen sowie länger ein selbstständiges Leben zu führen und gesund zu bleiben.

2.3

Die Europäische Kommission beabsichtigt, ein gemeinsames Sechs-Jahres-Programm zum umgebungsunterstützten Leben (AAL) als Ergänzung zu den Arbeiten zum Thema IKT und Altern innerhalb des Siebten Forschungsrahmenprogramms sowie des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) auf den Weg zu bringen. Für das gemeinsame Programm AAL werden für den Zeitraum 2008-2013 Mittel in Höhe von 300 Mio. EUR — und zwar zu gleichen Teilen von der Europäischen Union und den teilnehmenden Ländern — bereitgestellt.

2.4

Der Vorschlag für das gemeinsame Programm AAL stützt sich auf Artikel 169 EG-Vertrag, der eine Beteiligung der Europäischen Gemeinschaft an gemeinsamen Forschungsprogrammen mehrerer Mitgliedstaaten einschließlich der Beteiligung an den zur Durchführung der nationalen Programme geschaffenen Strukturen vorsieht. Für das gemeinsame Programm AAL wurde diese spezifische Rechtsgrundlage herangezogen, um die Forschung in diesem Bereich durch die grenzübergreifende Bündelung der Sachkompetenz effizienter zu gestalten, die Kofinanzierung dieser Forschungsarbeiten durch die Mitgliedstaaten zu sichern, einen einheitlichen Ansatz zu diesem Thema auf europäischer Ebene sicherzustellen und auf dem Binnenmarkt die Entwicklung echter interoperabler IKT-Lösungen für Lebensqualität im Alter zu gewährleisten.

3.   Hintergrund des Kommissionsvorschlags

3.1

Die Europäische Kommission verweist auf eine frühere Initiative nach Artikel 169 zu klinischen Tests in Afrika (Partnerschaft der Europäischen Länder und Entwicklungsländer zur Durchführung klinischer Studien, EDCTP), die die Bedeutung eines klaren mehrjährigen finanziellen Engagements der beteiligten Länder für das Projekt aufgezeigt hat. Das gemeinsame Programm AAL soll je zur Hälfte durch EU- und nationale Mittel finanziert werden.

3.2

Die Vorarbeiten für dieses Programm wurden im Rahmen einer spezifischen Unterstützungsmaßnahme „Umgebungsunterstütztes Leben (AAL)“ unter der Priorität „Technologien für die Informationsgesellschaft (TIG)“ im Sechsten Forschungsrahmenprogramm im Zeitraum 1. September 2004 — 31. Dezember 2006 durchgeführt. Das Konsortium setzte sich aus Partnern aus Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz zusammen, die den privaten wie auch den öffentlichen Sektor sowie eine Hochschuleinrichtung vertraten.

3.3

Der Rechtsträger für das gemeinsame Programm AAL ist der europäische AAL-Verein, dem derzeit Vertreter von 21 Ländern angehören. Da es sich um ein Programm mit Basis-Ansatz handelt, sind bereits zahlreiche Kontaktstellen in diesen Ländern eingerichtet worden.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss begrüßt die Initiative für das gemeinsame Programm AAL auf der Grundlage von Artikel 169 EG-Vertrag und insbesondere die Tatsache, dass diese Initiative den Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung in Europa voll und ganz Rechnung trägt.

4.1.1

Zur Verbesserung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts in den Mitgliedstaaten, die über keine ausreichende Infrastruktur für die Durchführung dieses Kommissionsvorschlags verfügen, wären „spezifische Aktionen“, wie sie beispielsweise in Artikel 159 EG-Vertrag genannt werden, erforderlich, um die großen regionalen Ungleichgewichte innerhalb der EU abzubauen.

4.2

Nach Ansicht des Ausschusses sollte diese Initiative nicht nur als Möglichkeit zur Konzipierung von Pilotsystemen, die als Modell dienen können, gesehen werden. Es ist sehr wichtig, eine ausreichende Bandbreite an Interessenträgern einzubinden, damit die Initiative dauerhaft greifen kann.

4.2.1

Interessenträger ist, allen voran, die letztendliche Zielgruppe des gemeinsamen Programms AAL, d.h. ältere Menschen, die dabei unterstützt werden sollen, länger ein selbstständiges Leben zu führen und so lange wie möglich zu Hause zu leben. Doch richtet sich das Programm nicht nur an ältere Menschen, sondern an alle Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen kein selbstständiges Leben in ihrem eigenen Zuhause führen können. Mit dieser Initiative muss sichergestellt werden, dass die Bedürfnisse dieser Interessenträger auch wirklich im Mittelpunkt der Forschung stehen.

4.3

Ein weiterer wichtiger Interessenträger sind die Gesundheits- und Wohlfahrtseinrichtungen, deren organisatorische Anforderungen in dieser Initiative ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Der Ausschuss empfiehlt, diesen Einrichtungen Möglichkeiten zum Austausch in Fragen wie Integration und Interoperabilität von Systemen mit anderen Akteuren zu eröffnen, um diese Initiative zum Erfolg zu führen.

4.4

Die Nutzer der im Rahmen dieser Initiative zu entwickelnden Systeme sollen tunlichst von Beginn an als zentrale Akteure in die Forschungsarbeit eingebunden werden. Die Konsortien sollten in ihrer Entwicklungsmethodologie nach Möglichkeit auf die partizipativ-nutzerorientierte Dimension (z.B. partizipatives Design) setzen, insbesondere zur Förderung einer hohen Anwenderfreundlichkeit von Geräten und Benutzeroberflächen. Nach Meinung des Ausschusses sollten dabei auch im Einklang mit internationalen Richtlinien ethische Grundsätze und der Schutz der Privatsphäre gewahrt werden.

4.5

Der Ausschuss befürwortet die in dem Entscheidungsvorschlag ausgesprochene Unterstützung für KMU und die Anerkennung von Wirtschaftsverbänden als wichtige Interessenträger, die innovative marktorientierte Unternehmensmodelle mit klaren Lösungswegen für die industrielle Nutzung unterstützen können. So sollte vor allem berücksichtigt werden, dass KMU insbesondere zu Forschungsarbeiten kürzerer Markteinführungszeit (ab 2 Jahren) mit beitragen können.

4.5.1

Ferner sollten die jeweilige technologische Anpassungsfähigkeit der KMU und ihr Potenzial anerkannt werden, manchmal rascher als größere Unternehmen oder Gesundheits- und Wohlfahrtseinrichtungen neue Technologien und Unternehmensmodelle auf den Markt zu bringen. Dieser Aspekt der KMU ist für das gemeinsame Programm AAL von besonderer Bedeutung. Eine konzertierte Partnerschaft zwischen großen Organisationen und KMU bringt daher Vorteile für beide Seiten.

4.6

Mit dem AAL-Programm wird das Ziel verfolgt, Menschen dabei zu helfen, länger zu Hause zu leben. Für die Verwirklichung dieses Ziels ist eine große Bandbreite an Sensoren, Schaltelementen, Benutzeroberflächen, Prozessoren und Kommunikationsgeräten erforderlich; diese können oftmals nur von vielen verschiedenen europäischen KMU produziert werden.

4.7

Der Ausschuss unterstützt interessenträgerübergreifende Maßnahmen im Rahmen dieser Initiative zur Förderung der multidisziplinären Vernetzung zwischen Technologie-Fachleuten, Ärzten und Mitarbeitern von Gesundheits- und Wohlfahrtseinrichtungen sowie insbesondere auch mit den Nutzern, d.h. den Menschen, die nach wie vor in ihren eigenen vier Wänden leben, sowie den professionellen Pflegekräften und Familienmitgliedern, die sie dort betreuen.

4.8

Im Hinblick auf ein europäisches Innovationssystem bietet diese Initiative Gelegenheit zur Konzipierung neuer Innovationsmodelle, die die Fortschritte bei offenen und interaktiven Innovationen widerspiegeln, die wiederum der Verknüpfung der Lissabon-Strategie mit einem neuen, stärker partizipativ-nutzerorientierten europäischen Innovationssystem förderlich sind.

4.9

Der Ausschuss bekräftigt, dass es von grundlegender Bedeutung ist, sämtlichen Einrichtungen in allen Mitgliedstaaten gleichberechtigten Zugang zu dieser Initiative zu geben.

4.10

Die EU-Mitgliedstaaten sollten dazu angehalten werden, sich in dieses gemeinsame Programm AAL einzubringen. Derzeit haben sich Österreich, Belgien, Zypern, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, die Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien und Schweden sowie Israel, Norwegen und die Schweiz auf die Koordinierung gemeinsamer Tätigkeiten im Rahmen des AAL-Programms verständigt.

4.11

Der Ausschuss sieht mit Sorge, dass einige Länder aufgrund der durch die Kofinanzierung der Forschung entstehenden Kosten nicht teilnehmen. Diesen Ländern sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, in jede Programmstufe einzusteigen, sobald sie die Programmanforderungen (in erster Linie die Kofinanzierungserfordernisse) erfüllen.

4.12

Der Ausschuss räumt ein, dass AAL zu Kosteneinsparungen im Sozialfürsorgesystem führen kann. Er möchte jedoch betonen, dass AAL vorrangig auf eine wirksame Verbesserung der Lebensqualität einer Bevölkerungsgruppe abstellt und nicht auf Kostensenkung, die lediglich eine erfreuliche Begleiterscheinung ist.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Aus Sicht des Ausschusses sollte das gemeinsame Programm AAL auf folgende drei Aspekte mit samt ihren spezifischen Merkmalen ausgerichtet sein: die Nutzer, die Gesundheitsorganisationen und die eingesetzte Technologie.

5.2

Interessenträger und auch Zielgruppe des gemeinsamen Programms AAL werden auch ältere Menschen sein. Im Mittelpunkt dieses Programms müssen die Bedürfnisse der Endnutzer stehen. Werden Nutzer in Forschungsumgebungen lediglich in die Erprobung neuer Forschungsergebnisse eingebunden und nicht in deren Entwicklung, führt dies bedauerlicherweise zu innovativen Lösungen, die nicht unbedingt den Bedürfnissen der Hauptnutzer gerecht werden. Diesen Anforderungen wie minimale Verhaltensänderung, Mobilität, Auswahlmöglichkeit, verbesserte Lebensqualität und Schutz der Privatsphäre sollten daher Rechnung getragen werden.

5.3

Ferner darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ältere Menschen möglicherweise zu den Bevölkerungsgruppen zählen, die am stärksten von eExclusion betroffen sind; daher müssen die digitale Kluft überwunden werden. Ein weiterer wichtiger Punkt sind Internetanschlüsse; es sollte dafür gesorgt werden, dass es in allen Regionen, insbesondere den Regionen im ländlichen Raum, leicht zugängliche und erschwingliche Internetanschlüsse gibt.

5.3.1

Kurz gesagt

kann die Technologie nicht den persönlichen Kontakt mit den Betreuungspersonen ersetzen;

muss der Schwerpunkt auf Vorbeugung und Selbstversorgung liegen;

muss die soziale Eingliederung eines der wichtigsten Ziele sein;

sollte das umgebungsunterstützte Leben in den Alltag der Bürger und in andere Dienstleistungen integriert werden;

sollte die eingesetzte Technologie angesichts der besonderen Umstände der Nutzer sicher und anwenderfreundlich sein.

5.3.2

Nach Überzeugung des Ausschusses sollte die AAL-Strategie daher „von unten nach oben“ angelegt werden. Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt sollten die Bedürfnisse der Nutzer, nicht die Technologie an sich sein. Im Wege einer Studie sollte das gesamte Spektrum an Bedürfnissen erfasst werden, u.a. Kontaktbedürftigkeit vor allem in zunehmendem Alter (Internet-Telefonie vom Typ Skype und E-Mail haben sich hier als wirksame und kostengünstige Möglichkeiten bewährt); fehlendes Interesse, mit dem raschen technischen Wandel Schritt halten zu wollen; Bereitschaft zur Nutzung der einschlägigen Technik. Außerdem sollten die Nutzer in die Konzipierung, Umsetzung und Bewertung dieser Technologien eingebunden sein.

5.4

Gesundheits- und Wohlfahrtseinrichtungen und ihre Mitarbeiter sowie die Familien der Nutzer sind letztlich diejenigen, die die IKT zur Betreuung pflegebedürftiger Menschen einsetzen. Sie müssen daher in die verschiedenen Forschungsetappen eingebunden sein, um sicherzustellen, dass das Endprodukt auch ihrer Arbeits- und Betriebsweise entspricht. Für die Einführung neuer Technologien für ein umgebungsunterstütztes Leben werden wohl organisatorische Änderungen erforderlich sein. Die Gesundheits- und Wohlfahrtseinrichtungen müssen zu derartigen Änderungen bereit sein und den Übergang zu diesen neuen Technologien so reibungslos wie möglich gestalten, um deren Potenzial auch wirklich auszuschöpfen.

5.4.1

Die Pflegekräfte sind auch im Rahmen von AAL ein wesentlicher Faktor im Sozialfürsorgeprozess. Ein Paradigmenwechsel sollte nicht nur auf organisatorischer Ebene, sondern auch auf Ebene des Pflegepersonals stattfinden, um sicherzustellen, dass diejenigen, die in direktem Kontakt mit den AAL-Nutzern stehen, den Umgang mit der einschlägigen Technik nicht nur beherrschen, sondern auch von ihrer Sinnhaftigkeit überzeugt sind, um das Vertrauen der Betroffenen in die AAL-Technik als Mittel zur Verbesserung der Lebensqualität fördern zu können.

5.4.2

Auch das Gesundheitssystem muss gründlich daraufhin überprüft werden, ob die organisatorischen Voraussetzungen für AAL sichergestellt sind und überdies die Gesundheits- und Wohlfahrtseinrichtungen auch eine wachsende Zahl an häuslichen Pflegefällen bewältigen können.

5.4.3

Im Zusammenhang mit der Annahme des AAL-Programms wird die Verbesserung der Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen Gesundheits- und Sozialfürsorgeeinrichtungen noch dringlicher. Auch hier kann Technik helfen, ausschlaggebend sind jedoch das Problembewusstsein und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit.

5.5

Systeme für ein umgebungsunterstütztes Leben werden voraussichtlich komplex sein; daher sollte deren Interoperabilität zu den wichtigsten Zielen des gemeinsamen Programms AAL zählen. Innovation und Technologie sollten breit gefächert, maßgeschneidert, integriert und proaktiv sein.

5.6

Die Europäische Kommission sollte für AAL und Konzepte wie das lebenslange Lernen einen integrierten Ansatz wählen. Schulungen in diesem Zusammenhang sollten insbesondere auf die Interessenträger der AAL-Programme ausgerichtet werden, da erst die Befähigung zum Umgang mit derartigen Technologien deren Erfolg garantieren.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe KOM(2007) 329 endg.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/11


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit SOLVABILITÄT II“

KOM(2007) 361 endg. - 2007/0143 (COD)

(2008/C 224/03)

Der Rat beschloss am 31. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 47 Absatz 2 und Artikel 251 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit — SOLVABILITÄT II“ (1)

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr ROBYNS DE SCHNEIDAUER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 67 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

Der EWSA zollt der Kommission Anerkennung für die straffe Neu- und Zusammenfassung vieler komplexer Richtlinien in einem einzigen Dokument unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Regeln für die überarbeiteten Teile der Regelung. Da sich der EU-Rechtsrahmen nicht allein auf eine Aufsichtspolitik konzentrieren darf, die sich mit dem Teil befasst, den das Kapital bei der Bereitstellung von Versicherungsdienstleistungen spielt, die für die Wirtschaft und die europäischen Bürger auch in vielen anderen Hinsichten von Bedeutung sind, behält sich der EWSA das Recht vor, zu gegebener Zeit seine Sichtweise zu neuen Aspekten der Beziehungen zwischen den Versicherungsnehmern und (Rück-Versicherern) zu äußern, insbesondere im Rahmen der kürzlichen Initiativen der Kommission zum Thema Finanzdienstleistungen für Privatkunden.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Harmonisierung der rechtlichen Aspekte der Beziehung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer voranzutreiben, die gegenwärtig im Rahmen der Arbeiten am „gemeinsamen Referenzrahmen“ unter Leitung der GD SANCO überprüft wird.

1.2

Der EWSA unterstützt weitgehend die Rahmenrichtlinie Solvabilität II der Kommission und begrüßt es, dass ihr ausführliche Konsultationen vorausgegangen sind. Der Ansatz der Kommission steht in Einklang mit den von ihr aufgestellten Grundsätzen der „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“. Aber bei den Konsultationen zu diesen Reformen muss auch den Gesichtspunkten der Beschäftigten und der Verbraucher die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden, die ebenfalls ein starkes Interesse an den Ergebnissen der Beratungen haben. Der EWSA fordert die Kommission auf, für solche Konsultationen entsprechende Foren wie etwa FINUSE zu entwickeln.

1.3

Der EWSA begrüßt den Ansatz, zur Bewertung der Solvenzkapitalanforderung an Versicherungsunternehmen auch die wirtschaftlichen Risiken heranzuziehen, und den Ansatz, die wirtschaftliche Gesamtbilanz auf der Grundlage einer vollständigen Bewertung des Betriebsvermögens und der Verbindlichkeiten in den Blick zu nehmen. Damit sollen die echten Risiken und die Risikominderungsstrategien der Unternehmen präzise erfasst werden. Dieser Ansatz ist nicht nur in ökonomischer Hinsicht korrekt, sondern hat auch den Vorteil, alle Möglichkeiten zur „regulatorischen Arbitrage“ zu verhindern und gleichzeitig für alle Versicherungsnehmer in Europa ein gleiches und angemessenes Schutzniveau sicherzustellen, unabhängig vom Rechtsstatus, der Größe oder dem Firmensitz eines Unternehmens.

1.4

Der EWSA begrüßt lebhaft die Einführung eines Drei-Säulen-Ansatzes für eine verantwortungsvolle Beaufsichtigung, der mit den für den Bankensektor aufgestellten Kapitalanforderungen von Basel II in Einklang steht und gleichzeitig die Besonderheiten der Versicherungsbranche berücksichtigt. Der EWSA betont die Bedeutung des neu hinzugefügten aufsichtlichen Überprüfungsverfahren und der qualitativen Anforderungen (Säule II) wie auch der Einführung von Grundsätzen für die Informationen für die Beaufsichtigung und Veröffentlichung (Säule III) zusätzlich zu der Festlegung der quantitativen risikoorientierten Kapitalanforderungen für eine angemessene systematische Aufsicht über die Versicherungsunternehmen.

1.5

Der EWSA begrüßt die Einführung eines Solvabilitätssystems, das auf zwei Anforderungen, nämlich der Solvenzkapitalanforderung (SCR) und der Mindestkapitalanforderung (MCR), beruht, die zwei unterschiedlichen Zwecken dienen. Mit der Solvenzkapitalanforderung wird als Zielgröße dasjenige Kapitalvolumen festgelegt, das ein Unternehmen bei normaler Geschäftstätigkeit aufweisen soll, während die Mindestkapitalanforderung denjenigen Kapitalumfang angibt, unterhalb dessen ultimative aufsichtliche Maßnahmen ausgelöst werden. Der EWSA würde eine Verordnung der Ebene II begrüßen, die weitere Klarheit über die Voraussetzungen für eine vereinfachte SCR-Berechnung (Art. 108) und zu den Umständen schüfe, die eine Forderung nach zusätzlichem Solvenzkapital auslösen würden.

1.6

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Berechnungen der Solvenzkapitalanforderung und der Mindestkapitalanforderung eng aneinander angeglichen werden und deshalb beide auf einem risikoorientierten Ansatz beruhen müssen, damit eine einwandfreie Durchführung des Spektrums von sich verschärfenden Aufsichtsmaßnahmen erfolgen kann und gewährleistet wird, dass sowohl das betreffende Versicherungsunternehmen als auch die Aufsichtsbehörden genügend Zeit erhalten, um Maßnahmen zur Lösung des Problems nach einem Verstoß gegen die Solvenzkapitalanforderung zu ergreifen.

1.7

Der EWSA begrüßt im Richtlinienvorschlag den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der es möglich macht, die Solvabilität-II-Regelung auf sämtliche Versicherungsunternehmen anzuwenden. Der EWSA würde auch hier eine Verordnung der Ebene II begrüßen, um diesen allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 28 Absatz 3) weiter zu klären, damit angemessene Anforderungen und ggf. Korrekturmaßnahmen genauer zugeschnitten werden können; dies darf allerdings nicht zu einer Regelungswut entarten. Der EWSA empfiehlt, diesen Grundsatz in der gesamten Union effizient und einheitlich anzuwenden und leistungsfähige Einspruchsverfahren gegen Verwaltungsakte oder in gerichtlichen Verfahren aufzustellen, damit er auch gewährleistet bleibt.

1.8

Der EWSA empfiehlt der Kommission nachdrücklich, die Vielfalt des Versicherungsmarktes aufrecht zu erhalten und die Rolle der kleinen und mittleren Versicherungsunternehmen wie auch der Gesellschaften auf Gegenseitigkeit und Versicherungsgenossenschaften zu berücksichtigen. Da viele von ihnen in Marktnischen operieren, hält es der EWSA für sehr wichtig, dass der Standardansatz flexibel bleibt, indem etwa eigene, aussagekräftigere Daten verwendet werden. Dabei muss die Möglichkeit für Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit genau geprüft werden, ihre Mitglieder zur Anhebung ihres Solvenzstatus aufzufordern, wie dies bereits in der Praxis geschieht.

1.9

Der EWSA sieht die Notwendigkeit der Beaufsichtigung von Versicherungsgruppen, deren Zahl zwar gering ist, die aber einen großen Anteil am Versicherungsmarkt in der EU in Händen halten. Der EWSA hält deshalb die Einführung der Gruppenaufsicht für einen wichtigen Schritt, der den für die Gruppenaufsicht zuständigen und den übrigen befassten Aufsichtsbehörden gestattet, das Risikoprofil einer Gruppe als ganzer besser zu verstehen. Eine optimale Harmonisierung und maximale Transparenz dieser Aufsichtsbehörden und eine klare Aufteilung der Kompetenzen unter ihnen ist empfehlenswert.

1.10

Der EWSA begrüßt die Einführung einer Regelung, die es Versicherungsruppen gestattet, ihr Kapitalmanagement auf Gruppenebene zu erleichtern, indem die Mobilität des Kapitals innerhalb der Gruppe verbessert wird und ein praktikables und transparentes System geschaffen wird, damit Gruppen von Diversifizierungseffekten auf Gruppenebene profitieren können, ohne die Höhe der Kapitalanforderung an die einzelnen Tochterunternehmen der Gruppe anzutasten. Es wird erforderlich sein, den konkreten Kapitalstock der einzelnen Tochterunternehmen in Betracht zu ziehen, da ein Teil davon lediglich gedeckt ist durch Absichtserklärungen, die Mitglieder der Gruppe zu unterstützen, anstatt durch verfügbare Barmittel oder gleichwertige sonstige Vermögensteile. Der EWSA merkt an, dass Diversifizierungseffekte in einer Gruppe nur im Rahmen der Verwendung des Standardverfahrens für die Berechnung der Solvenzkapitalanforderung anerkannt werden und dass der Vorschlag ermöglichen sollte, Diversifizierungseffekte auf Gruppenebene auch ohne Rückgriff auf die Unterstützung der Gruppe anzuerkennen.

1.11

Der EWSA empfiehlt eine Bewertung der Auswirkungen der vorgeschlagenen Option auf die Wettbewerbssituation auf lokaler Ebene und auf den Verbraucherschutz sowohl in normalen als auch in Krisensituationen, der nicht geringer sein darf als nach der gegenwärtigen Regelung, sowie eine Klärung der rechtlichen und praktischen Fragen einschließlich der Sicherheit von grenzüberschreitenden Finanztransfers zwischen verschiedenen Unternehmen innerhalb derselben Unternehmensgruppe, insbesondere etwaiger rechtlicher Auflagen auf nationaler Ebene bei Kapitaltransfers (Unterstützung innerhalb der Gruppe) an ein Tochterunternehmen in einem anderen Mitgliedstaat.

1.12

Der EWA erwartet von den Behörden der Ebene II, dass sie die Ergebnisse der vierten Phase der quantitativen Folgenabschätzung (QIS4) berücksichtigen, die sich zum Zeitpunkt der Annahme dieser Stellungnahme in Arbeit befindet.

1.13

Der EWSA dringt nachdrücklich auf eine gut aufeinander abgestimmte Umsetzung der Richtlinie ohne „übergenaue Umsetzung“ („gold-plating“) oder voneinander abweichende Politiken aufgrund von Optionen, die eine im ganzen Binnenmarkt einheitliche und systematische Politik verhindern würden.

1.14

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Berechenbarkeit der Aufsichtspraktiken zu gewährleisten, um den Versicherungsunternehmen die für ihre Risiko- und Solvenzpolitik erforderliche Sicherheit zu bieten.

1.15

Der EWSA sieht die Bedeutung solcher Elemente für die Solvabilität-II-Richtlinie wie etwa Risikominderungstechniken und den Austausch von zuverlässigen Daten zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherungspools. Denn sie erleichtern neuen oder kleinen Unternehmen den Zugang zum Markt und gestatten ihnen, ihre Leistungsfähigkeit zu erweitern und bei ihren Beiträgen die Risikomarge zu verringern. Deshalb ersucht der EWSA die Kommission, diesen Zusammenhang bei der Überarbeitung der Gruppenfreistellungsverordnung für die Versicherungsbranche zu berücksichtigen.

1.16

Der EWSA gratuliert der Kommission und den beteiligten Lamfalussy-Ausschüssen zu der führenden Rolle, die sie in diesem Reformvorhaben bei der Anwendung vorbildlicher Verfahren und der Sensibilisierungsarbeit im gesamten europäischen Versicherungsmarkt geleistet haben. Mit der vorgeschlagenen Richtlinie wird eine Referenzgröße für viele andere Rechtsvorschriften und Finanzdienstleistungsbereiche aufgestellt. Aber bei den Konsultationen zu diesen Reformen muss auch den Gesichtspunkten der Beschäftigten und der Verbraucher die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden, die ebenfalls ein starkes Interesse an den Ergebnissen der Beratungen haben. Der EWSA fordert die Kommission auf, für solche Konsultationen entsprechende Foren wie etwa FINUSE zu entwickeln.

1.17

Der EWSA legt der Kommission nahe, gemäß dem Grundsatz „gleiche Geschäfte, gleiche Regeln“ die Solvabilitätsvorschriften anderer Anbieter von vergleichbaren Finanzdienstleistungen ohne Ansehen ihrer Art auf den Stand der Solvabilität-II-Richtlinie zu bringen. Angesichts unberechenbarer Finanzmärkte darf den Verbrauchern oder Versicherungsnehmern nicht derselbe weitergehende Schutz vor Insolvenz vorenthalten werden. Gleiche Konditionen bezüglich der Solvenzkapitalanforderung sind auch für faire Wettbewerbsbedingungen auf dem Finanzmarkt unerlässlich.

1.18

Die Solvabilität-II-Grundsätze sollten den Referenzrahmen für die Einführung neuer Solvabilitätsnormen abgeben, z.B. im Rahmen der Überprüfung der Richtlinie zu Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (2) im Jahre 2008, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der Verpflichtungen der privaten Pensionskassen in der Europäischen Union.

2.   Einleitung

2.1

Mit dem vorliegenden Vorschlag für eine neue Rahmenrichtlinie betreffend die private Versicherungs- und die Rückversicherungstätigkeit, genannt SOLVABILITÄT II, soll eine überarbeitete Regelung eingeführt werden, die einen besseren Schutz der Versicherungsnehmer und Begünstigten bietet, die Integration des EU-Versicherungsmarkts vertieft und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Versicherungswirtschaft insgesamt wie auch der einzelnen Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen erhöht. Gleichzeitig wird mit dem Vorschlag eine Reihe von Versicherungs-Richtlinien in einer einzigen Richtlinie neu gefasst. Die neue Rahmenrichtlinie soll gleichermaßen für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen gelten.

2.2

Durch die ausführlichen und ständigen Konsultationen mit allen Beteiligten haben die Kommission und die Lamfalussy-Ausschüsse, in denen Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden vertreten sind, eine führende Rolle bei der Aufstellung von maßgeblichen Verfahren in einem globalen Umfeld, insbesondere im Bereich der Finanzdienstleistungen, eingenommen. Somit ist SOLVABILITÄT II eines der weltweit ausgefeiltesten Pakete an Solvabilitätsregelungen für die Versicherungsbranche und stellt Europa an die Spitze der meisten übrigen Rechtssysteme. Aber bei den Konsultationen zu diesen Reformen muss auch den Gesichtspunkten der Beschäftigten und der Verbraucher die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden, die ebenfalls ein starkes Interesse an den Ergebnissen der Beratungen haben. Der EWSA fordert die Kommission auf, für solche Konsultationen entsprechende Foren wie etwa FINUSE zu entwickeln.

3.   Hintergrund

3.1

Mit der vorgeschlagenen Rahmenrichtlinie zur Solvabilität soll die finanzielle Stabilität und Verlässlichkeit des europäischen Versicherungsmarktes verbessert werden. Dies dürfte sowohl zu einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der EU-Versicherungswirtschaft insgesamt wie auch der einzelnen Versicherer und Rückversicherer und zu größerer Sicherheit bei den Verbrauchern führen. Verlässliche Versicherungsmärkte sind für das soziale und wirtschaftliche Gefüge der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung.

3.2

Zunächst und in erster Linie sind Versicherungen ein Instrument zum individuellen oder gemeinschaftlichen Schutz. Versicherungsnehmer sind Privathaushalte, KMU, große Unternehmen, Verbände und Vereine sowie Behörden. Die Verbindlichkeiten der Versicherungsunternehmen bestehen gegenüber den eigentlichen Versicherungsnehmern wie auch gegenüber deren Familienangehörigen und gegen Dritte. Der EWSA hat besonders diese Auswirkung auf den Alltag der europäischen Bürger im Blick. Privatversicherungen haben nicht nur große Bedeutung auf dem Lebensversicherungsmarkt, sondern sind auch zu einem wichtigen Anbieter von Sparprodukten geworden. Versicherungen sind Bestandteil der Verwaltung der Sozialversicherungen wie etwa Renten und Pensionen (skandinavische Länder) und Arbeitsunfallversicherungen (BE, FI, PT) oder der nationalen Gesundheitssysteme (IE, NL), die häufig unter Einbeziehung der Vertreter der Arbeitnehmer erfolgt. Versicherungsunternehmen sind Leistungserbringer für die Beschäftigten, die für sie zunehmend an Bedeutung gewinnen — deshalb sind die Arbeitnehmer eine wichtige Interessengruppe. Aber Versicherungen bieten — zuweilen in Partnerschaften zwischen Rückversicherern und staatlichen Stellen — auch Schutz gegen neue Risiken wie Naturkatastrophen, Ernteausfälle oder Terrorismus.

3.3

Der Versicherungsmarkt ist ein wichtiger Impulsgeber für die Wirtschaft insgesamt, in dem er Initiativen unterstützt und Vertrauen aufbaut, aber er ist auch selbst ein beträchtlicher wirtschaftlicher Faktor, der in Europa Arbeitsplätze für knapp eine Million Erwerbstätige bietet (3). Die Kommission schätzt, dass die vorgeschlagene Richtlinie für die Versicherer und die Aufsichtsbehörden zusätzliche Investitionen von zwei bis drei Mrd. Euro zur Folge haben wird. Ein sehr großer Anteil dieser Investitionen wird voraussichtlich für Humanressourcen verwendet, indem dauerhafte und hoch qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden (u.a. für Risikomanager, Versicherungsmathematiker, IKT-Experten und Aufsichtsbeamte). Der EWSA ist der Auffassung, dass diese Investitionen allen Beteiligten, also auch den Verbrauchern und Versicherungsnehmern, zugute kommen sollten.

3.4

Zusätzlich zu diesen direkten Arbeitsplätzen kommen durch die Vertriebssysteme der Versicherungen über Versicherungsagenten und –broker und deren Angestellte eine weitere Million Arbeitsplätze hinzu.

Mit Investitionen, die eine Größenordnung von mehr als 6,5 Mrd. EUR erreichen (4), sind die Versicherer und Rückversicherer wichtige institutionelle Investoren. Als solche sind sie für die Umwandlung der individuellen Versicherungsbeiträge in einen Pool von Finanzanlagen im angemessenen Verhältnis zu den eingegangenen Risiken sowie für die mittel- und langfristige Sicherheit der Versicherungsnehmer und sonstigen Nutznießer zuständig.

3.5

Haushalte, KMU und größere Firmen, Verbände und Behörden entrichten Beiträge zu Lebensversicherungen (5) in Höhe von mehr als 5 % des BIP und zu Sachversicherungen in Höhe von mehr als 3 %. Selbst in gesättigten Märkten liegt die Wachstumsrate von Versicherungen meistens über derjenigen der Wirtschaft insgesamt. Die Investitionen der Versicherungsunternehmen machen mehr als 50 % des BIP (6) aus, davon die Hälfte in Anlagevermögen und Darlehen (7), während die gesamten Anlagen der Versicherer mit schwankendem Ertrag etwa ein Viertel der europäischen Kapitalmarktausstattung (8) ausmachen.

3.6

Auch wenn in letzter Zeit in der Versicherungsbranche zahlreiche Fusionen erfolgten, gibt es in Europa immer noch ca. 5 000 Versicherungsgesellschaften (9). So können etwa große Finanzgruppen in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Tochterunternehmen haben. Die Gruppen in der Versicherungswirtschaft sind nach unterschiedlichen Arten von Versicherungstätigkeiten strukturiert (Rückversicherungen, Lebens- und/oder Sachversicherungen, Versicherungsvermittlungen), oder aber in einem größeren Kontext nach Finanzdienstleistungen (Bankwesen — Bankversicherungen — Hypotheken). Darüber hinaus können sich die Gruppen aus Mutter- und Tochterunternehmen zusammensetzen oder Joint Ventures und Holdings usw. umfassen. Die 20 größten Gruppen sammeln etwa die Hälfte der europäischen Versicherungsbeiträge ein (10). Einen beträchtlichen Marktanteil haben auch — mit etwa 30 % des gesamten Beitragsaufkommens in Europa — Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit und genossenschaftliche Versicherungen (11).

3.7

Die gegenwärtige Finanzkrise, die durch die Praxis in den USA ausgelöst wurde, zweitklassige Hypothekendarlehen zu vergeben, ist ein Argument für solide und umfassende Solvenznormen, die Versicherungsunternehmen auch bei Engpässen in die Lage versetzen, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Dieses Ziel kann durch Vorschriften, Managementverfahren und Krisentestserreicht werden.

4.   Legislativer Ansatz

4.1

Die Kommission hat die Solvabilität-II-Richtlinie in Einklang mit dem Aktionsplan „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“ ausführlich und gründlich erarbeitet und dabei für die überarbeiteten Teile der Regelung geltenden Regeln berücksichtigt. Durch verschiedene Stufen von qualitativen und quantitativen Folgenabschätzungen und Konsultationen wurde vielen Anliegen der Versicherungswirtschaft und der Aufsichtsbehörden Rechnung getragen. Weiter gründliche Prüfungen und Konsultationen werden noch folgen.

4.2

Der Vorschlag der Kommission ist eine so genannte „Lamfalussy“-Richtlinie, die die Vier-Stufen-Struktur des „Lamfalussy“-Konzepts für Finanzdienstleistungen aufweist. Stufe 1 der Richtlinie umfasst die Grundsätze, welche die Grundlagen für die Umsetzung der Maßnahmen der Stufe 2 und die Anleitungen für die Konvergenz der Aufsichtspraktiken der Stufe 3 des Verfahrens abgeben. Mit diesem Ansatz soll die neue Regelung mit den künftigen technologischen und internationalen Entwicklungen des Marktes und mit den neuen Erfahrungen und Verfahrensweisen auf dem Gebiet der Rechnungslegung und der (Rück)Versicherung Schritt halten können. Ins Einzelne gehende Angaben zu den Berechnungen würden in der Richtlinie den eigentlichen Sinn dieses innovativen legislativen Verfahrens beeinträchtigen. Sie sind eher auf den Stufen 2 und 3 angebracht.

4.3

Die neue Regelung beruht auf drei „Säulen“, ähnlich den Eigenkapitalvorschriften für den Bankensektor nach „Basel II“, aber unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versicherungswirtschaft. Säule I (Artikel 74–142) legt die quantitativen finanziellen Anforderungen fest, Säule II (Artikel 27–34, 36–38, 40–49, 181–183) betrifft die Aufsicht und die qualitativen Anforderungen, und Säule III (Artikel 35, 50–55) behandelt die Informationen für die Beaufsichtigung und Veröffentlichung. Die drei Säulen sind nicht voneinander isoliert, sondern ergänzen sich gegenseitig zu Gunsten der Verwirklichung der Ziele der Regelung. Wechselwirkungen zwischen den Bestimmungen der verschiedenen Säulen sind gebührend zu beachten.

4.4

Die Überarbeitung der derzeitigen Solvabilitätsregelung wurde ferner dazu genutzt, 13 (Rück)Versicherungsrichtlinien in einem einzigen Dokument neu zu fassen, in das die neuen Solvabilitätsvorschriften aufgenommen werden. Es enthält eine Reihe von nur unwesentlichen Änderungen, um die Formulierung und Lesbarkeit der vorgeschlagenen Richtlinie zu verbessern. Hinfällig gewordene Artikel und Teile von Artikeln wurden gestrichen.

5.   Allgemeine Aspekte

5.1

In den vergangenen 30 Jahren wurde durch eine Reihe von EU-Richtlinien ein europäischer (Rück-)Versicherungsmarkt geschaffen, der gemeinsamen Regeln folgt, darunter den Grundsätzen der gegenseitigen Anerkennung und der Herkunftsstaatkontrolle. Es wurde ein Markt geschaffen, der auch für Unternehmen aus Drittstaaten offen ist und Versicherer aus der EU veranlasst hat, in außereuropäische Märkte zu expandieren, vor allem nach Nordamerika, Asien und in solche Staaten, die für eine spätere Mitgliedschaft in der EU in Betracht kommen.

5.2

Die vorgeschlagene Richtung weisende Solvabilitätsregelung stellt sicher, dass Versicherungsunternehmen finanziell solide sind und negativen Entwicklungen die Stirn bieten können, um ihre vertraglichen Zusagen gegenüber den Versicherungsnehmern einhalten und ein stabiles Finanzsystem gewährleisten zu können. Aber es muss betont werden, dass einen solchen erweiterten Schutz sämtliche Verbraucher von Finanzdienstleistungen verdienen. Zahlreiche Versicherungsanbieter wie etwa Betriebsrentenversicherer oder Spar- und Investitionsbanken unterliegen keiner vergleichbaren Regelung.

5.3

Harmonisierte Solvabilitätsregelungen schaffen Vertrauen, nicht nur bei den Verbrauchern, sondern auch bei den Aufsichtsstellen. Solches Vertrauen ist ein entscheidender Faktor für die konkrete Verwirklichung eines europäischen Marktes, der auf gegenseitiger Anerkennung und Herkunftsstaatkontrolle beruht. Die gegenwärtigen EU-Solvabilitätsregelungen (Solvabilität I) sind nicht mehr aktuell. Sie gehen nicht auf die jeweils besonderen Risiken von Unternehmen ein, die Versicherungsschutz anbieten, sondern stellen an Unternehmen mit unterschiedlichen Risikoprofilen die gleichen Solvabilitätsanforderungen. Ferner konzentrieren sich die gegenwärtigen Solvabilitätsregelungen vorwiegend auf die Einhaltung der finanziellen Anforderungen nach einem auf Regeln beruhenden Ansatz anstatt aufgrund eines guten Managements, und sie behandeln nicht die Gruppenaufsicht. Auch lässt der bestehende EU-Rechtsrahmen den Mitgliedstaaten zuviel Spielraum für nationale Regelungen, was die Wirksamkeit der Aufsicht über die multinationalen Tätigkeiten und faire Wettbewerbsbedingungen beeinträchtigt. Aufgrund dieser Probleme wurde die bestehende Richtlinie von der Branche sowie internationalen und branchenübergreifenden Entwicklungen überholt. Mit anderen Worten: Die im Richtlinienvorschlag festgelegten neuen Standards für die Solvabilität sind nur Spiegelbild einer Tendenz, die in verschiedenen Ländern von risikobewussten Unternehmen und Aufsichtsbehörden bereits verfolgt wird.

5.4

Im Gegensatz zum Solvabilität-I-Rahmen konzentriert sich die Reform mehr auf die konkrete Qualität des Risikomanagements in den Unternehmen und auf die Grundsätze und Ziele als auf die Vorschriften, die nicht die spezifischen Risikoprofile der Unternehmen berücksichtigen können.

Durch die Reform soll ferner die Aufsicht im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum vereinheitlicht werden.

5.5

Im Wesentlichen wird das neue System zunächst einmal Aufsichtsbehörden und Versicherungsunternehmen mit ausgefeilten Instrumenten zur Solvabilität ausstatten, damit nicht nur negative Folgen von Versicherungsrisiken wie etwa Überschwemmungen, Stürme oder schwere Autounfälle, sondern auch Markt- und Kreditrisiken sowie operative Risiken aufgefangen werden können. Anders als in der derzeit geltenden Richtlinie wird künftig von den Versicherern und Rückversicherern verlangt, Solvenzkapital im Verhältnis zu ihrem gesamten Verlustrisiko vorzuhalten, also nicht nur die quantitativen Elemente zu berücksichtigen, sondern auch die qualitativen Aspekte, die das Risiko eines Unternehmens beeinflussen.

5.6

Die neue Regelung beruht auf einem an wirtschaftlichen Risiken orientierten Ansatz, durch den sichergestellt werden soll, dass die echten Risikoprofile und Risikominderungstechniken widergespiegelt und Möglichkeiten für eine „regulatorische Arbitrage“ ausgeschaltet werden, durch die der Schutz der Versicherungsnehmer beeinträchtigt und geschwächt werden könnte. Dies bedeutet auch, dass die Kapitalanforderungen optimale Kapitalanlagen zulassen und Anreize für ein besseres internes Risikomanagement bieten.

5.7

Zweitens wird mit der Solvabilität-II-Richtlinie für die Ausbreitung von guten Verfahrensweisen in der Branche gesorgt und die Verantwortung des Managements der Versicherungsunternehmen für eine solide Risikosteuerung unterstrichen. Von ihm wird verlangt, dass es sich nachdrücklich auf die Ermittlung, Bewertung und Steuerung der Risiken konzentriert und auch künftige Entwicklungen wie etwa neue Wirtschaftspläne oder die Möglichkeit von Katastrophen berücksichtigt, die die finanzielle Leistungsfähigkeit der Unternehmen beeinflussen können. Ferner wird vom Management verlangt, dass es mit Hilfe der „internen Bewertung des Risikos und der Solvabilität“ den Kapitalbedarf unter Berücksichtigung aller Risiken überprüft, während im Rahmen des „aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens“ der Schwerpunkt der Aufsichtsbehörden von einer Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften und bloßen Kapitalkontrolle hin zu einer Bewertung der tatsächlichen Risikoprofile der Versicherer und der Qualität ihres Risikomanagements und der Governance-Systeme etwa durch Frühwarnsysteme und Belastungstests verlagert wird. Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit und Konvergenz der Aufsichtsorgane gefördert werden, z.B. durch eine Ausweitung der Aufgaben des Ausschusses der europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (CEIOPS), als ein Schritt zu einer vom EWSA unterstützten stärkeren Einheitlichkeit bei der Beaufsichtigung von Finanzdienstleitungen.

5.8

Ein dritter wichtiger Aspekt ist der Versuch, die Beaufsichtigung der Versicherungsgruppen durch eine „für die Gruppenaufsicht zuständige Behörde“ im Herkunftsland zu verbessern. Mit der Gruppenaufsicht soll gewährleistet werden, dass auch gruppenweite Risiken nicht übersehen werden und die Gruppen in die Lage versetzt werden, effizienter zu arbeiten und gleichzeitig allen Versicherungsnehmern ein hohes Schutzniveau zu bieten. Die „für die Gruppenaufsicht zuständige Behörde“ erhält besondere Zuständigkeiten, die in enger Zusammenarbeit mit den entsprechenden einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden auszuüben sind; sie erhält auch die Zuständigkeit für Entscheidungen über bestimmte Fragen. Lokale Aufsichtsstellen werden ermuntert, aktiv im Kollegium der Aufsichtsgremien mitzuwirken, soweit sie ein Mitentscheidungsrecht haben, in dem Anliegen zu einer Einigung zu gelangen. Dem entspricht ein anderer Ansatz, der verfolgt werden muss, um in der Lage zu sein, die ökonomischen Realitäten und das Risikodiversifizierungspotenzial solcher Gruppen zu erkennen.

5.9

Viertens wird mit der Solvabilität-II-Richtlinie mehr Transparenz und Objektivität eingeführt, was die Informationen sowohl der Unternehmen über ihre Finanzbedingungen und die damit verbundenen Risiken als auch über die aufsichtlichen Überprüfungsverfahren angeht. Gegenwärtig weichen zwischen den Mitgliedstaaten die Überprüfungsverfahren noch voneinander ab und lassen somit Raum für „regulatorische Arbitrage“. Sowohl für die europäische Politik auf diesem Gebiet als auch für die Versicherungsunternehmen, die auf neuen nationalen Märkten auftreten wollen, ist es wichtig, dass die Überprüfungsverfahren nicht nur objektiv und transparent, sondern auch berechenbar und gut dokumentiert sind.

6.   Eingehende Analyse

6.1   Finanzielle Anforderungen (Säule I)

(Artikel 74–142)

6.1.1

Für die Festlegung der quantitativen Anforderungen an die Versicherungsunternehmen legt die neue Regelung einen ganzheitlichen wirtschaftlichen Gesamtbilanzansatz zugrunde, wonach alle Vermögenswerte (12) und Verbindlichkeiten nach einem marktkonformen Ansatz bewertet und alle damit verbundenen quantifizierbaren Risiken ausdrücklich im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen bewertet werden. Durch eine bilanz- und marktwertgerechte Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten werden die Unternehmen objektiv und untereinander vergleichbar eingestuft. Auch wird damit sichergestellt, dass für jede inhärente Wahlmöglichkeit der korrekte Wert angegeben wird. Eine realistische vorausschauende Bewertung ist der wirksamste Schutz gegen Fehleinschätzungen, die zum Schaden der Rechte aller Beteiligten sein können.

6.1.2

Im Zusammenhang mit solchen Bewertungen wird der Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen, d.h. den Verbindlichkeiten gegenüber den Versicherungsnehmern und anderen Begünstigten, besondere Bedeutung beigemessen. Eine marktkonforme Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen erfolgt durch einen „besten Schätzwert“, d.h. dem gewichteten Mittelwert der wahrscheinlichen Gegenwartswerte künftiger Cash-flows unter Berücksichtigung des Zeitwerts des Geldes und einer Risikomarge. Mit diesem Ansatz soll gewährleistet werden, dass der Gesamtwert der versicherungstechnischen Rückstellungen dem Betrag entspricht, den Dritte heute erwartungsgemäß verlangen müssten, wenn sie die vertraglichen Rechte und Pflichten eines Unternehmens übernehmen wollten. Die Berechnungen müssen auf den von den Finanzmärkten gelieferten Informationen und allgemein zugänglichen Daten über Versicherungsrisiken beruhen und mit ihnen konsistent sein.

6.1.3

Bezüglich der Kapitalanforderungen stellt das neue Solvabilitätssystem zwei Vorschriften auf, nämlich die Solvenzkapitalanforderung und die Mindestkapitalanforderung, mit denen verschiedene Ziele verfolgt und die entsprechend berechnet werden.

6.1.4

Die Solvenzkapitalanforderung legt den Umfang des Kapitals fest, über das ein Versicherungsunternehmen bei üblicher Tätigkeit verfügen können muss. Bei geringerer Kapitaldecke wird die Aufsicht intensiviert. Dies gestattet ein schrittweise stärkeres Eingreifen der Aufsichtsbehörden, bevor das Kapital auf die Höhe der Mindestkapitalanforderung sinkt; dies bietet den Versicherungsnehmern und Begünstigten hinreichende Gewähr dafür, dass Zahlungen bei Fälligkeit geleistet werden. Versicherungstechnisch soll die Solvenzkapitalanforderung so ausgelegt und kalibriert werden, dass der entsprechende Kapitalstock einem Unternehmen erlaubt, auch unvorhergesehene Verluste auszugleichen; dabei wird von der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses in einem bestimmten Zeithorizont (0,5 % im Laufe eines Jahres) ausgegangen.

6.1.5

Mit der Mindestkapitalanforderung wird ein Kapitalvolumen festgelegt, bei dessen Unterschreitung die ultimativen aufsichtlichen Maßnahmen ausgelöst werden. Die Berechnung der Mindestkapitalanforderung muss einen ausreichenden Abstand gegenüber der Solvenzkapitalhöhe vorsehen, um genügend Raum für abgestufte Maßnahmen der Aufsichtsbehörden zu lassen.

6.1.6

In der Praxis berechnen Versicherungsunternehmen die Solvenzkapitalanforderung nach der Standardformel oder mithilfe eines eigenen internen Modells, das von den Aufsichtsbehörden zu genehmigen ist. Die Standardformel muss Risikominderungsverfahren und Diversifizierungseffekte ebenso angemessen widerspiegeln wie die Verlustausgleichsfähigkeit von Bilanzbestandteilen, die nicht zum verfügbaren Kapital gehören. Wegen des risikoorientierten Ansatzes der vorgeschlagenen Richtlinie kann ein betriebseigenes Modell — nach Genehmigung durch eine Aufsichtsbehörde — die Standardberechnung (teilweise oder vollständig) ersetzen, sofern es das Risikoprofil des Unternehmens besser darstellt. Dies ist ein wichtiger Anreiz für eine zuverlässige Erkennung und Steuerung der Risiken in den Unternehmen wie auch für die Fortbildung und Einstellung von hochqualifiziertem Personal.

6.1.7

Ein weiteres Element im Einklang mit dem Ziel, ein gutes internes Management zu fördern, ist die Anwendung des Grundsatzes der kaufmännischen Vorsicht bei der Investitionspolitik, der es gestattet, keine künstlichen Begrenzungen für Investitionen aufzustellen, der aber stattdessen hohe qualitative Standards und eine genaue Rechnungslegung für alle materiellen Risiken bei der Berechnung der Kapitalunterlegung verlangt.

6.1.8

In Anbetracht der Komplexität der Anforderungen muss darauf hingewiesen werden, dass der gegenwärtige Vorschlag Bestimmungen enthält, die für eine verhältnismäßige und praktikable Verwirklichung der Anforderungen der Säule I sorgen. Dies ist vor allem für kleine und mittlere Versicherungsunternehmen wichtig. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bezieht sich nicht auf die Größe, sondern auf die Art und Komplexität des Risikos, dem Unternehmen ausgesetzt sind. Solange das Risikoprofil der KMU demjenigen anderer Unternehmen gleicht, gelten auch für sie die vergleichbaren allgemeinen Grundsätze der kaufmännischen Vorsicht und deren Kunden und Begünstigte genießen dasselbe Schutzniveau.

6.2   Allgemeine Aufsichtsbefugnisse und qualitative Anforderungen (Säule II)

(Artikel 27-34, 36-38, 40-49, 181-183)

6.2.1

In dem Vorschlag der Kommission zum Thema „Solvabilität II“ werden Verfahren und Instrumente für die Beaufsichtigung und Prüfung festgelegt wie etwa die Aufsichtsbefugnisse und die Maßnahmen für eine Zusammenarbeit zwischen nationalen Aufsichtsbehörden sowie zugunsten der aufsichtlichen Konvergenz. Mit den Bestimmungen der Säule II werden auch qualitative Anforderungen an die Unternehmen gestellt, zum Beispiel an ihre ordnungsgemäße Geschäftsorganisation (Governance) und Effizienz ihrer internen Kontroll- und Risikosteuerungssysteme, ihrer versicherungsmathematischen Funktion, ihres internen Audits, der Einhaltung der Eignungsanforderungen und der Regelungen für Outsourcing.

6.2.2

Mit den Instrumenten für die Beaufsichtigung sollen solche Unternehmen ermittelt werden, deren finanzielle, organisatorische oder sonstige Merkmale ein höheres Risikoprofil zur Folge haben, die unter besonderen Umständen aufgefordert werden könnten, mehr Solvenzkapital vorzuhalten, als durch die Solvenzkapitalanforderung verlangt ist, oder Maßnahmen zur Verringerung des eingegangenen Risikos zu treffen.

6.2.3

Der erwähnte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt auch für das Aufsichtsverfahren. Die Aufsichtsbehörden müssen ihre Befugnisse unter Berücksichtigung der Größe, Art und Komplexität der Risiken der einzelnen Unternehmen wahrnehmen, um eine zu starke Belastung gerade derjenigen kleinen und mittleren Versicherungsunternehmen durch bürokratischen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, die ein nur ein geringes Risiko aufweisen.

6.2.4

Mit Solvabilität-II soll die qualitative Bewertung von Risikosituationen der Unternehmen durch die Aufsichtsbehörden verbessert werden. Es ist wichtig, dass die Aufsichtsbehörden bei ihren Maßnahmen und Entscheidungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten sowie bezüglich der unterschiedlichen Unternehmen und Zeitpunkte untereinander übereinstimmend handeln. Transparenz, Objektivität und Berechenbarkeit der aufsichtlichen Maßnahmen sind nicht hoch genug einzuschätzen. Besonders wichtig ist dies natürlich bei der Verwendung eigener Modelle der Unternehmen.

6.3   Informationen für die Beaufsichtigung und Veröffentlichung (Säule III)

(Artikel 35, 50-55)

6.3.1

Transparenz und Veröffentlichung der Informationen der Versicherungsunternehmen über ihre Finanzlage und Risiken dienen der Stärkung des Marktes und der Marktdisziplin. Versicherungsunternehmen legen den Aufsichtsbehörden diejenigen quantitativen und qualitativen Informationen vor, die diese zur Durchführung einer echten Kontrolle und Übersicht benötigen.

6.3.2

Die Harmonisierung der Informationen für die Beaufsichtigung und Veröffentlichung ist ein wichtiger Bestandteil der neuen Regelung, da dringend Bedarf an einer Konvergenz besteht, damit in ganz Europa Format und Inhalte der Informationen vergleichbar werden. Bei multinationalen Unternehmen ist dies besonders wichtig.

6.4   Gruppenaufsicht

(Artikel 210-268)

6.4.1

In den derzeitigen EU-Rechtsvorschriften wird die Gruppenaufsicht lediglich als eine Ergänzung zur Einzelaufsicht betrachtet. Denn bei der Beaufsichtigung eines Einzelunternehmens wird nicht berücksichtigt, ob das Rechtssubjekt Teil einer Gruppe ist (z.B. ein Tochterunternehmen). Zu einer Einzelaufsicht wird also lediglich noch eine Gruppenaufsicht hinzugefügt, allein zum Zweck, die Auswirkungen der Beziehungen im Unternehmen auf das Einzelunternehmen zu bewerten. Daraus folgt, dass in der gegenwärtigen EU-Solvabilitätsregelung die ökonomische Realität der Versicherungsgruppen nicht verkannt und übersehen wird, dass in vielen Fällen ein Risikomanagement eher auf Gruppen- als auf Einzelebene erfolgt. Mit dem Vorschlag „Solvabilität II“ wird ein angemessenerer Weg für die Beaufsichtigung von Gruppen eingeschlagen, indem — unter einer Reihe von Bedingungen — die Verfahren für die Einzel- und die Gruppenaufsicht geändert werden.

6.4.2

Für jede Versicherungsgruppe wird eine einzige für die Gruppenaufsicht zuständige Behörde benannt, die hauptverantwortlich für alle wichtigen Aspekte der Gruppenaufsicht ist (Solvabilität der Gruppe, gruppeninterne Geschäfte, Risikokonzentration, Risikomanagement und interne Kontrolle). Diese Behörde und die Einzelaufsichtsbehörden sind verpflichtet, grundlegende Informationen automatisch oder andere Informationen auf Anfrage auszutauschen, einander vor wichtigen Entscheidungen zu konsultieren und sich nach Kräften zu bemühen, zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen, auch wenn im Fall der Genehmigung des Gruppenmodells wie im Fall der Bankenverordnung die endgültige Entscheidung von der für die Gruppenaufsicht zuständigen Behörde getroffen wird. Damit soll erreicht werden, dass die Aufsichtsbehörden ein besseres Verständnis des Risikoprofils der gesamten Gruppe erhalten und folglich die Versicherungsnehmer bei jeder einzelnen Gesellschaft der Gruppe besser geschützt sind.

6.4.3

Neben einem verbesserten Konzept der Gruppenaufsicht wird mit dem Vorschlag eine innovative Unterstützungsregelung für Gruppen eingeführt. Gruppen, die ihr Kapitalmanagement auf Gruppenebene erleichtern wollen, können beantragen, nach der Regelung für die Unterstützung durch die Gruppe beaufsichtigt zu werden. Bei einer entsprechenden Genehmigung wird solchen Gruppen gestattet — unter genau festgelegten Bedingungen — einen Teil der Solvenzanforderung (nicht der Mindestkapitalanforderung) an die Tochterunternehmen durch eine Erklärung über die Unterstützung durch die Gruppe zu decken (finanzielle, rechtsverbindliche Verpflichtung des Mutterunternehmens gegenüber einem Tochterunternehmen, erforderlichenfalls Kapital zuzuschießen). Damit die Regelung über die Unterstützung durch die Gruppe wirksam werden kann, wurden einige wenige Ausnahmen von den Vorschriften für die Einzelbeaufsichtigung eingeführt. Sobald die Regelung in Kraft tritt, ist ein besonderes Verfahren bei Belastungen (Nichteinhaltung der Solvenzanforderung durch Einzelunternehmen) vorgesehen, mit koordinierten Maßnahmen zwischen den Behörden für die Einzel- und Gruppenaufsicht. Diese Regelung muss in der gesamten Union einheitlich angewandt werden.

6.4.4

Indem die Unterstützungsregelung für Gruppen gestattet, das Solvenzkapital der Tochterunternehmen irgendwo in der Gruppe vorzuhalten, gibt sie den Versicherungsgruppen ein praxisorientiertes und transparentes Mittel an die Hand, um von Diversifizierungseffekten profitieren zu können, während einzelne Tochterunternehmen Kapitalanforderungen ebenso erfüllen, als ob sie nicht Teil einer Gruppe wären. Aus diesen Gründen muss eine geeignete Aufsicht geschaffen werden, damit eine prompte Kapitalübertragung erfolgen kann, sobald sie erforderlich ist. Wurden Erklärungen zur Unterstützung durch die Gruppe abgegeben und in Anspruch genommen, ist dies sowohl vom Mutterunternehmen als auch vom betreffenden Tochterunternehmen öffentlich bekanntzumachen.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Der Vorschlag wurde später geändert und erhielt die Nummer KOM(2008) 119 endg. Die in der vorliegenden Stellungnahme angegebenen Artikel beziehen sich auf diese letzte Version des Richtlinienvorschlags.

(2)  Richtlinie 2003/41/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Juni 2003 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung.

(3)  Quelle: CEA — Europäischer Ausschuss der Versicherungsträger, European Insurance in Figures, 2007. Daten stammen von Ende 2006.

(4)  siehe Fußnote 2.

(5)  siehe Fußnote 2.

(6)  siehe Fußnote 2'.

(7)  siehe Fußnote 2.

(8)  siehe Fußnote 2.

(9)  siehe Fußnote 2.

(10)  siehe Fußnote 2.

(11)  Quelle: AISAM.

(12)  Die Vermögenswerte der EU-Versicherungsunternehmen bestehen hauptsächlich aus Schuldverschreibungen (37 %), Aktien (31 %) und Anleihen (15 %). Quelle: CEA — Europäischer Ausschuss der Versicherungsträger, European Insurance in Figures, 2007.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/18


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Gemeinschaft an einem Forschungs- und Entwicklungsprogramm mehrerer Mitgliedstaaten zur Unterstützung von KMU, die Forschung und Entwicklung betreiben“

KOM(2007) 514 endg. — 2007/0188 (COD)

(2008/C 224/04)

Der Rat beschloss am 11. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 172 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Gemeinschaft an einem Forschungs- und Entwicklungsprogramm mehrerer Mitgliedstaaten zur Unterstützung von KMU, die Forschung und Entwicklung betreiben“

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 25. September 2007 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) Herrn CAPPELLINI zum Hauptberichterstatter und verabschiedete einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), der die Ziele des gemeinsamen Programms EUROSTARS unterstützt, weist darauf hin, dass bei der Annahme neuer Maßnahmen und Programme im Rahmen der EU-Forschung, Entwicklung und Innovation zugunsten des konkreten Innovationsbedarfs der KMU die unterschiedlichen Kategorien, Größen und Branchen der KMU in Rechnung gestellt werden müssen.

1.2

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Mitgliedstaaten, das gemeinsame Programm EUROSTARS anzunehmen, mit dem die so genannten „Forschung und Entwicklung betreibenden KMU“ unterstützt werden sollen; allerdings sollte es für sämtliche KMU aus den beteiligten Staaten geöffnet werden, die bereit sind, sich an innovativen Prozessen zu beteiligen.

1.3

Der EWSA weist darauf hin, dass Instrumente für die Einbeziehung aller EUREKA-Mitgliedstaaten in das Programm entwickelt werden müssen, die nicht in das EUROSTARS-Programm einbezogen sind.

1.4

Der EWSA hat Bedenken wegen des Zulassungskriteriums zum EUROSTARS-Programm, durch das die Teilnahme auf solche FuE betreibenden KMU beschränkt wird, „die 10 % oder mehr ihres Vollzeitäquivalents oder Jahresumsatzes in Forschungsaktivitäten investieren“ (1). Selbst wenn diese Einschränkung lediglich für diejenigen FuE betreibenden KMU gilt, die ein Vorhaben vorschlagen (Projektleiter), beruht diese Begriffsbestimmung für FuE betreibende KMU auf kodifizierten Indikatoren, wodurch alle Arten von „Erfahrungswissen“ (2) ignoriert werden, wo doch häufig gerade hoch innovative Prozesse in starkem Maße auf „implizitem Wissen“ (tacit knowledge) (3) beruhen.

1.5

Deshalb bekräftigt der EWSA den Grundsatz, dass zugunsten eines fairen Wettbewerbs zwischen Projektvorschlägen die Vorhaben nach den Kriterien „hervorragende Qualität ihrer Inhalte“, „Managementkenntnisse für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten“ und „Kohärenz mit den Zielen des Programms“ ausgewählt werden müssen, ohne einen Großteil der innovativen KMU auszuschließen, die bereit sind, sich für das Programm EUROSTARS zu bewerben. Ferner sollten Mittel für Fortbildungsprogramme für Fachleute bereitstehen, in denen die effiziente Übertragung von Technologien aus der Forschung in marktfähige Erzeugnisse vermittelt wird.

1.6

Diesbezüglich fordert der EWSA, dass im Einklang mit den entsprechenden Verfahren des gemeinsamen Programms EUROSTARS eine spezifische Haushaltslinie für internationale Initiativen geschaffen wird, die von den Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit den Organisationen der KMU ergriffen werden, mit denen für weitere Kreise der KMU die für sie relevanten Ergebnisse der EUROSTARS-Vorhaben verbreitet werden. Eine weitere Möglichkeit, allen am Erfolg des EUROSTARS-Programms interessierten KMU mehr „Mitwirkung“ zu verleihen, wäre eine gemeinsame Datenbank und vielsprachige, branchenbezogene Plattformen im Internet, die von den KMU-Organisationen und den Sozialpartnern aufzustellen und zu fördern wären.

1.7

Der EWSA äußert nachdrücklich seine Bedenken bezüglich der Kriterien für die Festlegung der Beiträge der KMU zu den gesamten Projektkosten für FuE-Maßnahmen. Es muss klargestellt werden, dass so, wie die Dinge liegen, im Rahmen des gemeinsamen Programms EUROSTARS von den KMU insgesamt ein Beitrag von mindestens 50 % zu den FuE-bezogenen Projektkosten verlangt wird. Da durch dieses Kriterium viele marktorientierte KMU ausgeschlossen werden, sollte erwogen werden, diese Schwelle bei der Zwischenbewertung des Programms EUROSTARS auf 25 % zu senken (4).

1.8

Ferner sollten die Bedenken der EU-weiten und nationalen Organisationen der KMU und anderer Forschungsbeteiligter von den interessierten Mitgliedstaaten und ihren Behörden in den verschiedenen Phasen der Folgenbeaufsichtigung und Verbreitung der Ergebnisse berücksichtigt werden. Eine regelmäßige Überprüfung durch die EU-Beratergruppe für KMU und FuE könnte zu einem dauerhaften Instrument für die technische Beratung für die Mitgliedstaaten und andere Stellen auf EU- oder nationaler Ebene werden. Diesbezüglich könnte auch die Beobachtungsstelle Binnenmarkt des EWSA in Zusammenarbeit mit der Interessengruppe KMU als beratendes Mitglied in der Beratergruppe während der Phasen der Beaufsichtigung, Durchführung und Verbreitung dienen.

1.9

Der EWSA betont, dass das gemeinsame Programm EUROSTARS in transparenter und unbürokratischer Form durchgeführt werden muss, um den KMU den Erhalt von Informationen, die Mitwirkung und insbesondere die Beteiligung an den Folgemaßnahmen mit entsprechenden interessierten FuE-Einrichtungen zu erleichtern. Dementsprechend sollten die Projektmittel als Pauschale ausgezahlt werden; wo dies mit nationalen Programmen nicht vereinbar ist, sollte es einen einheitlichen Satz geben.

1.10

Zum Zwecke einer effektiven Durchführung des Programms EUROSTARS sollten die regionalen Innovationsnetzwerke dergestalt ausgebaut werden, dass sie den innovationswilligen KMU umfassende Dienstleistungen und einen echten Zugang zu den europäischen Finanzmitteln für FuE bieten können. So sollten zugunsten einer besseren Wahrnehmung der spezifischen Finanzierungsprogramme für Forschung und Entwicklung treibende KMU die Kontakte zwischen den EUREKA-Netzwerken, anderen vorhandenen öffentlich-privaten Einrichtungen und den KMU-Organisationen auf EU-, einzelstaatlicher und regionaler Ebene intensiviert und besser koordiniert werden. Von den Vertretungsorganen der KMU sollten eine Reihe von Veranstaltungen finanziert werden, mit denen die KMU und interessierte Organisationen über Zweck und Bedeutung der Innovationen und ihre Rolle in der künftigen EU aufgeklärt werden.

1.11

Die Ergebnisse der Projektauswahl nach KMU-Sektoren im Rahmen des EUROSTARS-Programms (5) sollten im Internet im EUREKA-Netzwerk veröffentlicht werden. Darüber hinaus sollte eine kurze Liste der förderfähigen Vorhaben mit stark innovativen Inhalten zugänglich gemacht werden, die keine Finanzierung erhielten. Sie könnte dazu dienen, nationalen öffentlichen oder privaten Investoren anzuzeigen, ob für das Programm weitere Finanzmittel erforderlich sind.

1.12

Eine effiziente Koordinierung zwischen den einzelstaatlichen Behörden, die für die KMU und denjenigen, die für FuE-Politik zuständig sind, sowie dem EUREKA-Programm muss schlüssig sein und den Bedürfnissen Rechnung tragen, die von den KMU-Organisationen und anderen Beteiligten (darunter auch private und öffentliche Forschungseinrichtungen) zum Ausdruck gebracht werden. Der EWSA fordert die interessierten europäischen Einrichtungen, die Mitgliedstaaten und die slowenische und französische Ratspräsidentschaft auf, sicherzustellen, dass die Koordination in Einklang mit den Erwartungen der KMU und den Programmzielen erfolgt.

1.13

Der EWSA drängte darauf, dass im Zusammenhang mit der Beteiligung der KMU an den FuE-Finanzierungsprogrammen und dem gemeinsamen Programm EUROSTARS die lange Zeitspanne von der Einreichung eines Vorschlags bis zur Genehmigung durch die EU verkürzt wird, um den KMU Anreize zu geben, Vorhaben zu beantragen.

1.14

Um die Inanspruchnahme der FuE-Finanzmittel durch die KMU zu verbessern und zu erweitern, sollte die EU die Möglichkeit prüfen, die den KMU im Abschnitt „Kooperation“ des 7. Forschungsrahmenprogramms zur Verfügung stehenden Mittel (und die den 15 % der Haushaltsmittel für die „Thematischen Prioritäten“ des FP6 entsprechen), die aber ungenutzt geblieben sind, auf das Programm „Kapazitäten“ (CRAFT usw.) zu übertragen, das präziser auf die KMU ausgerichtet ist.

1.15

Der EWSA möchte, dass der unverhältnismäßig große Verwaltungsaufwand für KMU, der bis auf das 10fache höher sein kann als bei Großunternehmen, stärker in den Blickpunkt rückt (6). Eine Senkung der Verwaltungskosten und eine Vereinfachung der Antragsverfahren für KMU, die sich an FuE-Programmen mit anderen europäischen und internationalen Partnern beteiligen möchten, wären ebenfalls wünschenswert. Ferner würde der EWSA gerne eine Lösung zur Frage der geistigen Eigentumsrechte und zum Europäischen Patent (7) sehen; die gegenwärtige Lage behindert Wettbewerb und Innovation in Europa. Der Zugang zum Patentsystem und geistige Eigentumsrechte (8) sind ebenfalls wichtige nichtmonetäre Aktiva für eine Konsolidierung von Partnerschaften zwischen Unternehmen, die sich an internationalen Vorhaben beteiligen.

2.   Vorgeschichte der Stellungnahme

2.1

In der Europäischen Charta für Kleinunternehmen, die im Jahr 2000 von den europäischen Staats- und Regierungschefs genehmigt wurde, hatte man sich darauf geeinigt, dass „kleine Unternehmen (...) als die Haupttriebfeder für Innovation, Beschäftigung sowie die soziale und lokale Integration in Europa anzusehen [sind]“ (9). Darüber hinaus kündigte die europäische Kommission im Oktober 2007 die Ausarbeitung einer „Regelung für kleine Unternehmen in Europa“ („Small Business Act“ for Europe) an (10), in der eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung der unternehmerischen Initiative, der Unternehmenskultur und des Zugangs zu Kompetenzen festgelegt werden sollen (11). Im Jahr 2008 will die Kommission auch eine Reihe von Initiativen für die KMU prüfen (12), um deren Mitwirkung an den EU-Programmen zu verbessern.

2.2

Von dieser Sachlage ausgehend wurde der Vorschlag für ein spezifisches gemeinsames Programm EUROSTARS gemacht. Das Programm auf der Rechtsgrundlage von Artikel 169 EGV, das die Forschungsmaßnahmen im Rahmen des 7. Forschungsprogramms (FP7) zugunsten der KMU ergänzt und zum Gegenstand hat, wurde gemeinsam von 22 EU-Mitgliedstaaten und fünf weiteren EUREKA-Staaten (Island, Israel, Norwegen, Schweiz und Türkei) auf den Weg gebracht und wird von EUREKA verwaltet. Derzeit zählt das EUROSTARS-Programm 30 Mitglieder: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Israel, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Zypern.

2.3

In das 7. Forschungsrahmenprogramm wurden viele Maßnahmen aufgenommen, die bei der Überprüfung des 6. Rahmenprogramms zum Zweck der Schließung der Kluft bei den Maßnahmen zugunsten der KMU vorgeschlagen worden waren (13). Das 7. Rahmenprogramm enthält eine Strategie für KMU mit qualitativen wie auch quantitativen Maßnahmen zur Stimulierung von Maßnahmen auf nationaler und regionaler Ebene und soll Industriecluster und -netzwerke schaffen, die gesamteuropäische Zusammenarbeit zwischen Kleinunternehmen unter Nutzung der Informationstechnologien verbessern, beispielhafte Kooperationsvereinbarungen verbreiten und die Zusammenarbeit zwischen Kleinunternehmen unterstützen (14).

2.4

Die 23 Mio. KMU, die in der EU eingetragen sind, machen 99 % aller Unternehmen aus und erwirtschaften 2/3 des europäischen Umsatzes; sie sind auch die entscheidenden Träger der nachhaltigen Entwicklung (15). Aber um wettbewerbsfähiger zu werden, müssen diese Unternehmen zusammengefasst und neu gruppiert werden, um als kohärente Gesamtheit eine kritische Masse zu bilden, sodass sie aus der Entwicklung spezifischer Risikokapital-Mittel, Wissenschaftsparks, Gründerzentren und regionalen Innovationspolitiken Nutzen ziehen können (16).

2.5

Ferner wurde im Bericht „Flash Eurobarometer“ betont, dass die KMU durch das Risiko vermeidende Verhalten der Europäer, denen es an Unternehmergeist mangele, behindert werden könnten (17). Es ist deshalb außerordentlich wichtig, das Berufsbild des Unternehmers aufzuwerten und das öffentliche Bewusstsein für seine Schlüsselrolle bei Innovationen, wirtschaftlichem Fortschritt und Wohlstand im Allgemeinen aufzuwerten. Die Ziele von Lissabon können nur durch ein verantwortungsbewusstes, tatkräftiges und ideenreiches Unternehmertum erreicht werden, das sich frei entfalten kann (18).

2.6

Aber mit den spezifischen Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Unterstützung der KMU ergreifen, werden nicht immer die internationale Forschungsarbeit und der Technologietransfer angeregt und unterstützt. Angesichts der Veränderungen auf den Märkten und der Internationalisierung der Wertschöpfungsketten müssen sich die europäischen KMU einem scharfen globalen Wettbewerb stellen, indem sie ständig Innovationen in einem immer breiteren internationalen Kontext betreiben. Mit dem gemeinsamen Programm EUROSTARS sollten solche KMU und öffentliche und/oder private Forschungseinrichtungen honoriert werden, die sich besonders um die Unterstützung von FuE-Vorhaben bemühen, deren Ergebnisse verbreiten und das Know-How übermitteln und den Zugang dazu freigeben. Vor allem sollte es solche Vorhaben unterstützen, die Einrichtungen und Gruppen und/oder einzelne KMU einbeziehen, die gewöhnlich in geringerem Grad teilnehmen oder nur schwierig Zugang zu solchen Programmen finden. Der EWSA weist darauf hin, dass es wichtig ist, den Beitrag des gemeinsamen EUROSTARS-Programms auf sämtliche EUREKA-Mitgliedstaaten auszudehnen, insbesondere auf solche, die erst kürzlich der EU beigetreten sind und von dem grenzüberschreitenden Ansatz besonders profitieren können.

2.7

Das gemeinsame Programm EUROSTARS zielt auf KMU, die Forschung und Entwicklung betreiben, und betont dabei vor allem marktbezogene FuE-Vorhaben und solche, die staatenübergreifend sind und sich auf mehrere Partner verteilen (mindestens zwei unabhängige Teilnehmer aus unterschiedlichen teilnehmenden Staaten). Ein wichtiger Aspekt des Programms ist sein basisorientierter Ansatz, der Forschung und Entwicklung treibende KMU zu Eigeninitiative und strategischen Geschäftsinnovationen anregt. Unter solchen Bedingungen behalten die KMU die Kontrolle und sind in der Lage, die Ergebnisse der laufenden Forschung in Einklang mit den kommerziellen Möglichkeiten zu beeinflussen.

3.   Ziele des Programms EUROSTARS

3.1

Die Mitwirkung an Forschungs- und Entwicklungsprogrammen gemäß Artikel 169 EGV bedeutet auch, dass die teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten ihre nationalen Forschungsprogramme integrieren, indem sie sich an einem gemeinsamen Forschungsprogramm beteiligen. Auf der Rechtsgrundlage von Artikel 169 hat die Kommission vier mögliche Initiativen bestimmt. Eine davon ist EUROSTARS, ein gemeinsames Forschungsprogramm für KMU und ihre Partner.

3.2

Das EUROSTARS-Programm besteht aus Vorhaben, die von einem oder mehreren KMU, die selbst Forschung und Entwicklung betreiben und in einem teilnehmenden Mitgliedstaat ansässig sind, vorgeschlagen werden. Vorhaben können in allen Bereichen der Wissenschaft und Technologie (allerdings zu zivilen Zwecken) angesiedelt sein. Sie müssen auf Zusammenarbeit beruhen, an der mindestens zwei teilnehmende Firmen aus zwei unterschiedlichen Staaten beteiligt sind, die am EUROSTARS-Programm mitwirken und verschiedene Aktivitäten im Zusammenhang mit Forschung, technologischer Entwicklung, Demonstration, Ausbildung und Verbreitung der entsprechenden Informationen verfolgen. Entsprechend der Art der KMU ist der Projektzyklus kurz bemessen. Vorhaben dürfen maximal drei Jahre dauern, und zwei Jahre nach Abschluss des Vorhabens sollte das Forschungsergebnis marktreif sein.

3.3

Das gemeinsame EUROSTARS-Programm kann eine beachtliche Hebelwirkung für die Gemeinschaftsfinanzierung ausüben: die Mitgliedstaaten sowie die fünf übrigen EUREKA-Staaten (Island, Israel, Norwegen, Schweiz und Türkei) steuern 300 Mio. EUR bei, die Gemeinschaft wird ein weiteres Drittel zum Beitrag der Mitgliedstaaten zulegen, womit ein Programmhaushalt mit 400 Mio. EUR an öffentlichen Mitteln steht. Geht man von Projektfinanzierungsbeteiligungen von 50-75 % aus, könnte EUROSTARS für die Dauer des Programms zwischen 133 Mio. und 400 Mio. EUR an zusätzlichen privaten Finanzmitteln mobilisieren (Hebelwirkung). Die erwartete Beteiligung wird unter Annahme eines durchschnittlichen Kostenbetrags pro EUROSTARS-Vorhaben von 1,4 Mio. EUR geschätzt. Bei einer durchschnittlichen Finanzierung von 50 %, einem öffentlichen Finanzbeitrag von 0,7 Mio. EUR pro Vorhaben und einem Gesamthaushalt von ca. 400 Mio. EUR können 565 Projekte finanziert werden.

3.4

Der Beitrag der Gemeinschaft schließt also die Finanzierungslücke in einer Frühphase der FuE, wenn die innovativen Maßnahmen noch sehr risikoreich sind und für private Investoren allein nicht attraktiv sind (19). Aber durch die Unterstützung der Gemeinschaft mit öffentlichen Investitionsmitteln zugunsten des EUROSTARS-Programms werden mehr FuE treibende KMU angeregt, Privatinvestitionen zu akquirieren, um innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.

3.5

Bezüglich der Finanzierung sollten Steuerbefreiungen für FuE-Investitionen in Mitgliedstaaten erwogen werden, wodurch selbst im ungünstigsten Fall Investoren angelockt werden könnten, die dann zumindest von diesen Steuervorteilen profitieren könnten. Der Vorteil für die KMU wäre eine alternative Finanzierungsform.

3.6

Allerdings gibt es die Befürchtung, dass ein Großteil der KMU von einer Teilnahme an der EU-Initiative zu Gunsten von Wettbewerbs fördernden Innovationen ausgeschlossen bleibt. Denn das Kriterium des Programms EUROSTARS für die Zulassung von Forschung treibenden KMU besagt, dass diejenigen KMU, die die Vorhaben vorschlagen, mindestens 10 % ihres Umsatzes oder ihres Vollzeitäquivalents für Forschungsaktivitäten aufwenden müssen. Doch selbst wenn diese Einschränkung nur für die federführenden Partner eines Projekts gilt, könnten dadurch viele Kleinunternehmen davon abgehalten werden, innovative Vorhaben vorzuschlagen. Infolgedessen kann es geschehen, dass das Programm lediglich bereits konsolidierte High-Tech-Unternehmen anzieht, die auch zu anderen, angemesseneren Finanzierungsformen Zugang hätten.

3.7

Ferner werden in einigen EU-Mitgliedstaaten die Kosten für FuE unter anderen Betriebskosten aufgeführt und können nicht separat ermittelt werden (20). Somit weist die von der OECD herangezogene Begriffsbestimmung für FuE-Indikatoren einige Unzulänglichkeiten auf, denn angewandt auf innovative Kleinunternehmen kann sie den Teil nicht erfassen, der als nicht-kodifiziertes Wissen bezeichnet wird und schwer zu beziffern ist (21).

3.8

Laut OECD werden ferner zum „High-Tech-Sektor“ solche Unternehmen gezählt, die mehr als 4 % ihres Umsatzes für FuE aufwenden. Nun erwirtschaftet dieser Sektor, auch in hoch entwickelten Volkswirtschaften, nur etwa 3 % des BIP; dies bedeutet, dass 97 % aller Wirtschaftsaktivitäten und die meisten innovativen Prozesse in solchen Sektoren stattfinden, die von der OECD als „Mid-Tech“ oder „Low-Tech“ definiert werden (22). Diese Zahlen zeigen, dass ein Großteil der innovativen Unternehmen ausgeschlossen ist, wenn der Zugang zum Aktionsprogramm auf solche mit einem 10 %-Anteil für FuE eingeschränkt wird; damit würde verhindert, dass auf der Grundlage dieser europäischen Initiative positive Einstellungen zu Innovationen ausgelöst würden.

3.9

Deshalb sollten nach Ansicht des EWSA die Projekte auf den Grundlagen Exzellenz und Übereinstimmung mit den Zielen des Programms ausgewählt und der 10 %-Anteil für FuE beseitigt werden.

3.10

Eine weitere Auflage des Programms EUROSTARS ist, dass die teilnehmenden KMU, die Forschung und Entwicklung betreiben, in der Lage sein müssen, den größeren Teil der FuE-Arbeit zu bewältigen. Die Zusammenarbeit mit anderen Partnern, die sowohl andere KMU, lokale Cluster, Großunternehmen, die die Ziele des Programms akzeptieren, Forschungseinrichtungen oder Universitäten sollte nicht ausgeschlossen werden. Unter den Begriff „Cluster“ sollte auch die Voraussetzung gefasst werden, dass FuE betreibende KMU in der Nähe von Hoch- und Fachhochschuleinrichtungen angesiedelt sind, damit der Austausch zwischen beiden Seiten zum gegenseitigen Nutzen erfolgen kann.

3.11

Bezüglich der entsprechenden Beiträge der innovativen KMU, die an dem Programm EUROSTARS teilnehmen, muss unbedingt klargestellt werden, dass es die FuE treibenden KMU sind, die gemeinsam wenigstens 50 % der FuE-Kosten eines Vorhabens tragen müssen. Mit einem solchen Kriterium dürften viele marktorientierte KMU ausgeschlossen werden. Deshalb sollte erwogen werden, diese Schwelle bei der Halbzeitbewertung des EUROSTARS-Programms auf 25 % zu senken (23).

3.12

Die Beziehung zu den sonstigen Finanzierungsinstrumenten innerhalb des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) muss weiter geklärt werden. Das Finanzierungsprogramm muss flexibler werden und sich stärker an die Bedürfnisse der KMU anpassen. Dabei müssen die positiven Erfahrungen mit den Garantiefonds für Forschung und Entwicklung berücksichtigt werden, um den Unternehmen eine längere Wirtschaftsperspektive zu ermöglichen.

3.13

Ein besserer Regelungsrahmen mit einer systematischen Konsultierung der Vertreterorganisationen der KMU und anderen Beteiligten würde Betriebskosten und Risiken senken, die Erträge erhöhen, den Risikokapitalfluss verstärken und das Funktionieren der Risikokapitalmärkte verbessern. Dies käme den innovativen KMU besonders zugute. Denn solche Finanzmittel ergänzen die öffentliche Unterstützung in den sehr frühen Phasen (Vorstufen), bevor Forschungsergebnisse in kommerzielle Vorhaben umgesetzt werden können.

3.14

Die Kommission hat sich verpflichtet, Maßnahmen zugunsten von mehr grenzüberschreitenden Investitionen von Risikokapitalfonds zu fördern (24). In Europa ist der Risikokapitalmarkt fragmentiert und umfasst gegenwärtig 27 verschiedene Operationsfelder. Dies beeinträchtigt sowohl die Beschaffung von Finanzmitteln als auch die Investitionstätigkeiten.

3.15

Es gibt also einen Bedarf an einem besseren Umfeld für Risikokapitalinvestitionen, und die Mitgliedstaaten müssen Anreize für private Investoren schaffen, sich an internationalen Forschungskooperationen zu beteiligen (25), und sie müssen Unterstützungs- und Beratungsdienste für KMU fördern, die Unternehmen dabei unterstützen, die Gründungsphase erfolgreich zu bestehen.

4.   Verbesserung der Koordination des gemeinsamen Programms EUROSTARS

4.1

Das Programm EUROSTARS zielt darauf ab, den KMU bei allen erforderlichen technischen, industriellen, rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für weit gespannte europäische Kooperationen unter den Mitgliedstaaten in den Bereichen angewandte Forschung und Innovation zu helfen. Es wird in der Folge die Chancen der FuE treibenden KMU erhöhen, neue und wettbewerbsfähige Erzeugnisse, Verfahren und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen.

4.2

Durch die Internationalisierung des Projekts kann Doppelarbeit bei Innovationen vermieden werden; sie bietet die Chance, eine gemeinsame Politik zu verfolgen und „Schnellverfahren“ einzuführen, um den bürokratischen Aufwand zu verringern (26). Mit Hilfe des EUROSTARS-Programms könnten viele KMU angeregt werden, die internationale Zusammenarbeit zu nutzen, vorausgesetzt, sie sind in der Lage, ein Projekt vorzuschlagen und selber zu führen. Aber eine Beteiligung an integrierten Projekten und dem Exzellenznetzwerk muss sorgfältig geplant werden, damit unter den Projektbeteiligten keine Ungleichgewichte entstehen.

4.3

Wie bei der Unterstützung für FuE muss auch geprüft werden, in welcher Weise die Regierungen Innovationen unmittelbarer unterstützen können, indem sie die richtige Infrastruktur zur Verfügung stellen. Es gibt eine sehr große Gemeinschaft von „Forschungseinrichtungen“, darunter auch Verbände oder Forschungsinstitute, deren Zweck es ist, Innovationen insbesondere von KMU zu fördern. Darüber hinaus gibt es Wissenschaftsparks und -shops, Gründerzentren, regionale und lokale staatliche Stellen und Organisationen für den Wissenstransfer. Diese Einrichtungen leisten wichtige Hilfe für junge KMU im High-Tech-Bereich, aber auch für traditionellere, die erwägen, sich auf innovationsorientierte Strategien umzustellen. Die slowenische und anschließend die französische Ratspräsidentschaft sollten beaufsichtigen, wie die Koordination des EUROSTARS-Programms auf Ebene der Union und der Mitgliedstaaten entfaltet werden kann, indem sie auf der optimalen Ebene gesteuert und Überschneidungen von Aufgaben und die Gefahr von Unklarheiten unter den bestehenden Institutionen vermieden werden.

4.4

Der EWSA hat bei mehreren Gelegenheiten empfohlen, einen erheblich größeren Teil der Mittel aus den EU-Strukturfonds für die Entwicklung von gemeinsamen wissenschaftlichen Infrastrukturen zu verwenden, die speziell auf KMU zugeschnitten sind. Die Verwendung von Finanzmitteln der Europäischen Investitionsbank zu diesem Zweck könnte ebenfalls von außerordentlichem Nutzen sein (27).

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  http://www.eurostars-eureka.eu/ (nur auf Englisch; Anm. d. Übers.).

(2)  Hartmut Hirsch-Kreinsen, „Low-Tech“ Innovations, Industry and Innovation. 02.2008.

(3)  Vorhaben PILOT: http://www.pilot-project.org.

(4)  A6-0064/2008 (Änderungsanträge zu dem Vorschlag der Kommission), Europäisches Parlament, Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, 2008.

(5)  http://ec.europa.eu/research/sme-techweb/index_en.cfm?pg=results

(6)  Models to reduce the disproportionate regulatory burden on SMEs. Europäische Kommission, Mai 2007, GD Unternehmen und Industrie. („Modelle zur Reduzierung der überproportionalen Belastung kleiner Unternehmen durch öffentliche Regulierung. Bericht der Sachverständigengruppe“).

(7)  The Cost Factor in Patent Systems, Université Libre de Bruxelles. Working Paper WP-CEB 06-002, Brussels 2006, siehe ab S. 17.

(8)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Vertiefung des Patentsystems in Europa. KOM (2007) 165 endg.

(9)  Europäische Charta für Kleinunternehmen. Feira (Portugal). Europäischer Rat vom 19./20. Juni 2000.

(10)  Kleine und mittlere Unternehmen — Schlüsselfaktoren für mehr Wachstum und Beschäftigung. Eine Halbzeitbewertung der zeitgemäßen KMU-Politik. KOM(2007) 592 endg. vom 4.10.2007.

(11)  Luc Hendrickx, „UEAPME expectations on the proposal for a European Small Business Act“, 14.12.2007.

(12)  http://ec.europa.eu/enterprise/entrepreneurship/sba_de.htm

(13)  ABl. C 234 vom 22.9.2005, S. 14 und Stellungnahme UEAPME, Position Paper on a successor to the 6th Framework Programme for R&D, 01/2005.

(14)  Eine Halbzeitbewertung der zeitgemäßen KMU-Politik. KOM(2007) 592 endg. vom 4.10.2007.

(15)  Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Die Finanzierung des Wachstums von KMU — Der besondere Beitrag Europas. KOM(2006) 349 endg. vom 29.6.2006.

(16)  Wissenschaft und Technologie: Schlüssel zur Zukunft Europas — Leitlinien für die Forschungsförderung der Europäischen Union. KOM(2004) 353 endg. vom 16.6.2004.

(17)  Beobachtungsnetz der europäischen KMU, Flash Eurobarometer 196, Mai 2007.

(18)  Investitionen in Wissen und Innovation. ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 8.

(19)  European Private Equity and Venture Capital Association, „Annual Survey of Pan-European Private Equity & Venture Capital Activity“ 2004.

(20)  „The 2007 EU R&D Investment Scoreboard“ (EU-Anzeiger für FuE-Investitionen der Industrie), S. 20, Gemeinsame Forschungsstelle (GFS) und Generaldirektion Forschung (GD RTD).

(21)  H. Hirsch-Kreinsen, „Low-Technology“: A forgotten sector in innovation policy, Faculty for Economics and Social Sciences, University of Dortmund, 15.3.2006; UAPME, „Towards an Innovation Policy for Crafts, Trades and SMEs“, 27.10.2004.

(22)  UEAPME, Towards an Innovation Policy for Crafts, Trades and SMEs, 27.10.2004.

(23)  Europäisches Parlament, Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, A6-0064/2008.

(24)  Kommission schlägt Maßnahmen für mehr grenzüberschreitende Investitionen von Risikokapitalfonds vor. IP/08/15, 7.1.2008.

(25)  Die Finanzierung des Wachstums von KMU — Der besondere Beitrag Europas. KOM(2006) 349 endg. vom 29.6.2006.

(26)  Vorschläge der Europäischen Kommission für Schnellmaßnahmen zur Verringerung der Verwaltungslasten im Jahr 2008. MEMO/08/152 vom 10.3.2008.

(27)  ABl. C 65, 17.3.2006; ABl. C 256 vom 27.10.2007, S.17.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/23


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Stigmatisierung des unternehmerischen Scheiterns überwinden — für eine Politik der zweiten Chance — Umsetzung der Lissabonner Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung“

KOM(2007) 584 endg.

(2008/C 224/05)

Die Europäische Kommission beschloss am 5. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Stigmatisierung des unternehmerischen Scheiterns überwinden — für eine Politik der zweiten Chance — Umsetzung der Lissabonner Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr MORGAN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 70 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Seit 2001 beschäftigt sich die Kommission mit den negativen Folgen des unternehmerischen Scheiterns. In diesem Zusammenhang hat sie insbesondere auf die Notwendigkeit von Verbesserungen im Bereich der Insolvenzverfahren hingewiesen. Angesichts ihrer begrenzten Kompetenzen in diesem Bereich konzentrierte sich die Kommission auf die Erhebung von Daten über die rechtlichen und sozialen Konsequenzen von Insolvenzen, die Festlegung und Verbreitung bewährter Praktiken und auf die Ausarbeitung von Frühwarninstrumenten als Mittel zum Abbau der insolvenzbedingten Stigmatisierung.

1.2

Der EWSA unterstützt das zentrale Anliegen der Kommission, dass die Stigmatisierung des unternehmerischen Scheiterns überwunden werden muss. Angemessene nationale Rahmenbedingungen für die unternehmerische Initiative sind von entscheidender Bedeutung für die volle Ausschöpfung des unternehmerischen Potenzials in der EU und für die Gründung dynamischer Unternehmen. Die in diesem Zusammenhang unerlässliche gesellschaftliche Anerkennung erfolgreicher Unternehmenstätigkeit sollte mit einer Politik der zweiten Chance für gescheiterte Unternehmer gekoppelt werden.

1.3

Die Kommission stellt zu Recht fest, dass die Phasen der Unternehmensgründung, des unternehmerischen Erfolgs — aber auch des unternehmerischen Scheiterns — zur Realität einer Marktwirtschaft gehören. Sie betont ganz richtig, dass vor dem Hintergrund der allgemein geringen gesellschaftlichen Wertschätzung sowie des fehlenden Verständnisses für unternehmerische Initiative Probleme eines Unternehmens oder unternehmerisches Scheitern weder in ausreichendem Maße als eine normale wirtschaftliche Entwicklung noch als eine Gelegenheit für einen Neustart aufgefasst werden. Die Europäische Union muss umdenken. Je mehr eine frühere Insolvenz als Scheitern stigmatisiert wird, desto größer kann das Risiko für jede neue Unternehmung sein, und dieses Risiko überträgt sich auf alle an der Unternehmung Beteiligten.

1.4

Das amerikanische Recht strebt eine ausgewogene Berücksichtigung der Interessen der Schuldner, Gläubiger und der Gesellschaft als Ganzes an. Nach Auffassung des EWSA sollten die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten so gefasst werden, dass ebenfalls ein solches Gleichgewicht erreicht wird. Insolvenz und unbezahlte Schulden können den Gläubigern enorme Probleme bereiten und sie ihrerseits in die Insolvenz treiben. Wenn ein Unternehmen von seinen Schulden entlastet wird, damit es die Chance für einen Neuanfang erhält, kann dies äußerst ungerecht gegenüber den Gläubigern sein. Durch die Insolvenzgesetze muss ein angemessenes Gleichgewicht hergestellt werden.

1.5

Für die Gesellschaft generell kann die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs des gesamten Unternehmens oder eines Teils des Unternehmens die beste Lösung sein. Bei einem potenziell rentablen Unternehmen werden alle Betroffenen davon profitieren, wenn das Unternehmen im Fall der Insolvenz von den Insolvenzverwaltern saniert werden kann und die Arbeitnehmer so weiterhin beschäftigt bleiben. Wenn ein von Insolvenz betroffener Unternehmer wieder unternehmerisch tätig wird, schafft er neue Arbeitsplätze. In jedem Fall kommen die Arbeitsplätze eindeutig der gesamten Gesellschaft zugute.

1.6

Viele Faktoren können zum Scheitern eines Unternehmens führen, auch dann, wenn ein Unternehmer die besten Absichten hat. Unter Umständen gelingt es in der Gründungsphase nicht, ein lebensfähiges Unternehmen zu schaffen. Auch über die Gründungphase hinaus kann ein fehlerhaftes Geschäftsmodell dazu führen, dass das Unternehmen keine Zukunft hat. Andererseits können auch potenziell rentable Unternehmen aufgrund von Fehlern der Unternehmer oder aus Gründen, auf die letztere keinen Einfluss haben, scheitern. Solche Unternehmen können und sollten von den Insolvenzverwaltern saniert und dabei möglichst viele Arbeitsplätze erhalten werden.

1.7

Es ist wichtig, zwischen dem Unternehmen und seinen Geschäftsführern zu unterscheiden. Womöglich gehen die Geschäftsführer in Konkurs, während ein Insolvenzverwalter das Unternehmen und seine Beschäftigten rettet. Wenn ein Unternehmen scheitert, kann es durchaus sein, dass die Unternehmer aufgrund der gegenüber den Banken geleisteten Sicherheiten in Konkurs gehen, auch wenn ihr persönliches Verhalten nicht betrügerisch war. Gerade für diese rechtschaffenen Unternehmer setzt sich die Kommission ein. Wenn sie ein gutes Unternehmen gegründet haben und dann aus Unerfahrenheit oder aufgrund unglücklicher Umstände einen Fehlschlag erleiden, haben sie eine zweite Chance verdient, denn die Wirtschaft braucht ihre Fähigkeiten. Andere wiederum, die aufgrund von Inkompetenz und mangelndem Weitblick scheitern, können der Wirtschaft wahrscheinlich wenig bieten, auch wenn sie Geldgeber finden. Nicht jeder von einer Insolvenz betroffene Unternehmer verdient eine zweite Chance.

1.8

Die Initiative der Kommission hat sich als Katalysator für gemeinschaftsweite Reformen erwiesen. Viele Mitgliedstaaten haben bereits die auf europäischer Ebene erfassten bewährten Praktiken und politischen Schlussfolgerungen als Inspiration genutzt. Etwa ein Drittel der Mitgliedstaaten haben Pläne zur Reform der einzelstaatlichen Insolvenzrechtsvorschriften vorgelegt. Allerdings müssen in beinahe der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten die ersten Schritte in diese Richtung erst noch erfolgen. Obgleich die Kommission in diesem Politikbereich nur eine begrenzte Zuständigkeit hat, fordert der EWSA sie dazu auf, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um die Finanzminister zum Handeln zu veranlassen. Nach Ansicht des Ausschusses sind die diesbezüglichen Fortschritte in den Mitgliedstaaten im Allgemeinen unbefriedigend.

1.9

Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich alle Ausführungen der Mitteilung hinsichtlich der Insolvenzgesetze, aber selbstverständlich vorbehaltlich der Einzelheiten der Gesetze, die letztendlich eingeführt werden. Hierzu gehören die formelle Anerkennung nicht betrügerischer Insolvenzen, die frühzeitige Schuldenentlastung sowie die Reduzierung des Umfangs der rechtlichen Einschränkungen, Aberkennung von Rechten und Verbote in Verbindung mit beschleunigten Gerichtsverfahren. Mittelfristig sollte das Ziel verfolgt werden, die Dauer der Verfahren auf höchstens zwölf Monate zu begrenzen.

1.10

Nach Auffassung des EWSA ist es unerlässlich, dass alle Mitgliedstaaten die Überprüfung ihrer Insolvenzgesetze schnellstmöglich abschließen. Außer den Gesetzesänderungen ist es äußerst wichtig, dass Insolvenzen von den Gerichten beschleunigt verhandelt werden. Das Verfahren muss gut organisiert werden. Diese Änderungen sind Kernstück des Programms der zweiten Chance.

1.11

Die aktive Unterstützung für gefährdete Unternehmen ist die zweite wichtige Aussage der Mitteilung. Dies ist nicht Teil des Programms der zweiten Chance an sich, sondern vielmehr ein Konzept zur Insolvenzvermeidung und Erhaltung von Unternehmen und Arbeitsplätzen. In Abschnitt 4 werden einige Beispiele vermeidbaren Scheiterns von Unternehmen angeführt. In diesem Zusammenhang zielen die Vorschläge der Mitteilung darauf ab, vermeidbare Insolvenzen durch Frühwarninstrumente, Bereitstellung vorübergehender finanzieller Unterstützung sowie fachliche Beratung abzuwenden.

1.12

Dieses Programm ist für die Mehrheit der KMU wenig praktikabel, da es kaum Mechanismen für eine vorausschauende Ermittlung insolvenzgefährdeter Unternehmen unter den zehntausenden von KMU in jedem Mitgliedstaat gibt. Dennoch sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, die bestehenden Möglichkeiten voll auszunutzen, wie z.B. in Frankreich die Nutzung der Mehrwertsteuerbehörden als Frühwarnsystem bei möglichen finanziellen Schwierigkeiten von Unternehmen. Schwerpunkte der Unterstützungsmaßnahmen sollten nach Auffassung der Kommission Insolvenzvorbeugung, fachliche Beratung sowie rechtzeitiges Eingreifen sein. Problematisch wird es, wenn Geschäftsführer nicht erkennen, dass ihr Unternehmen gefährdet ist. Die Regierungen der Mitgliedstaaten werden mit Berufsorganisationen der Wirtschaftsprüfer und KMU-Unterstützungsorganisationen zusammenarbeiten müssen, um proaktive, auf die jeweilige landesspezifische KMU-Kultur zugeschnittene Maßnahmen zu entwickeln.

1.13

Es liegt auf der Hand, dass sich die wichtigste Empfehlung der Mitteilung auf die Reform des Insolvenzrechts bezieht. Dies ist die entscheidende Maßnahme, ohne die die Politik der zweiten Chance nicht zustande kommen wird.

1.14

Einige der in der Mitteilung empfohlenen „weicheren“ Maßnahmen können ohne eine Änderung des Insolvenzrechts umgesetzt werden. Die anderen von der Kommission vorgeschlagenen nicht zwingenden Maßnahmen können nach Änderung der Insolvenzgesetze in Angriff genommen werden. Ohne Änderung der Insolvenzgesetze kann das Hauptanliegen der Mitteilung der Kommission aber nicht verwirklicht werden.

1.15

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass jeder Mitgliedstaat auf die Mitteilung reagieren und deren Vorschläge in seinen nationalen Plan zur Umsetzung der Lissabon-Strategie (Leitlinie 15) aufnehmen sollte.

2.   Einleitung

2.1

Seit 2001 beschäftigt sich die Kommission mit den negativen Folgen des unternehmerischen Scheiterns. In diesem Zusammenhang hat sie insbesondere auf die Notwendigkeit von Verbesserungen im Bereich der Insolvenzverfahren hingewiesen. Angesichts ihrer begrenzten Kompetenzen in diesem Bereich konzentrierte sich die Kommission auf die Erhebung von Daten über die rechtlichen und sozialen Konsequenzen von Insolvenzen, die Festlegung und Verbreitung bewährter Praktiken und auf die Ausarbeitung von Frühwarninstrumenten als Mittel zum Abbau der insolvenzbedingten Stigmatisierung.

2.2

Diese Maßnahmen haben sich als Katalysator für gemeinschaftsweite Reformen erwiesen. Viele Mitgliedstaaten haben bereits die auf europäischer Ebene erfassten bewährten Praktiken und politischen Schlussfolgerungen als Inspiration genutzt. Etwa ein Drittel der Mitgliedstaaten haben Pläne zur Reform der einzelstaatlichen Insolvenzrechtsvorschriften vorgelegt. In beinahe der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten müssen jedoch die ersten Schritte in diese Richtung erst noch erfolgen. Obgleich die Kommission in diesem Politikbereich nur eine begrenzte Zuständigkeit hat, fordert der EWSA sie dazu auf, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um die Finanzminister zum Handeln zu veranlassen. Nach Ansicht des Ausschusses sind die diesbezüglichen Fortschritte in den Mitgliedstaaten im Allgemeinen unbefriedigend.

TABELLE A: GEGENWÄRTIGE SITUATION IN DEN EINZELNEN MITGLIEDSTAATEN

Ja

Maßnahmen werden umgesetzt

(Ja)

Maßnahmen geplant/teilweise umgesetzt

Nein

Keine Maßnahmen

 

Informations-/Bildungsmaßnahmen

Gesamtstrategie

Verbreitung von Gerichtsbescheinigungen bezüglich nicht betrügerischer Insolvenzen

Reduzierung von Einschränkungen usw.

Verbesserte rechtliche Stellung für nicht betrügerische Konkursunternehmen

Kurze Entschuldungsfrist und/oder Schuldenerlass

Straffere Verfahren

Förderung von Unterstützungsmaßnahmen

Förderung von Vernetzungen

Gespräche mit dem Finanzsektor

Insgesamt Ja+(Ja)

Belgien

Nein

Nein

(Ja)

(Ja)

Ja

(Ja)

Nein

Nein

Nein

Nein

4

Bulgarien

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

0

Tschechische Republik

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

(Ja)

Nein

Nein

Nein

1

Dänemark

Nein

Nein

Nein

Ja

(Ja)

Ja

(Ja)

Nein

Nein

Nein

4

Deutschland

(Ja)

Nein

Nein

Ja

Ja

(Ja)

Nein

Nein

Nein

Nein

4

Estland

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

(Ja)

(Ja)

Nein

Nein

Nein

2

Irland

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Ja

Ja

Nein

Nein

Nein

2

Griechenland

Nein

Nein

Nein

Ja

(Ja)

(Ja)

Ja

Nein

Nein

Nein

4

Spanien

Nein

Nein

Nein

Nein

Ja

Ja

Ja

Nein

Nein

Nein

3

Frankreich

Nein

Nein

Nein

Nein

(Ja)

Nein

Ja

Nein

(Ja)

Nein

3

Italien

Nein

Nein

Nein

Ja

Ja

(Ja)

(Ja)

Nein

Nein

Nein

4

Zypern

Nein

Nein

(Ja)

(Ja)

Nein

(Ja)

(Ja)

Nein

Nein

Nein

4

Lettland

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

(Ja)

Nein

Nein

Nein

1

Litauen

Nein

Nein

Nein

Ja

(Ja)

Ja

(Ja)

Nein

Nein

Nein

4

Luxemburg

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Ja

Nein

Nein

1

Ungarn

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

0

Malta

Nein

Nein

Nein

(Ja)

(Ja)

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

2

Niederlande

(Ja)

Nein

Nein

Nein

(Ja)

(Ja)

Nein

Nein

Nein

(Ja)

4

Österreich

Nein

(Ja)

Nein

(Ja)

(Ja)

(Ja)

Ja

(Ja)

(Ja)

Nein

7

Polen

Nein

Nein

Nein

Nein

(Ja)

(Ja)

Ja

Nein

Nein

Nein

3

Portugal

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

0

Rumänien

Nein

Nein

Nein

(Ja)

(Ja)

Nein

Ja

Nein

Nein

Nein

3

Slowenien

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

(Ja)

Nein

Nein

Nein

Nein

1

Slowakei

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

0

Finnland

Nein

Nein

Nein

Ja

Nein

(Ja)

Ja

Ja

Nein

Nein

4

Schweden

Nein

Nein

Nein

Nein

Ja

(Ja)

Ja

Nein

Nein

Nein

3

Vereinigtes Königreich

Nein

Nein

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Nein

Nein

Nein

5

Insgesamt Ja+(Ja)

2

1

3

12

15

17

17

3

2

1

 

Vereinigte Staaten

Nein

Nein

Nein

Ja

(Ja)

Ja

Ja

Nein

Nein

Nein

4

2.3

Die Tabelle A wurde aus der Mitteilung übernommen. Die Spalten 4 bis 6 beziehen sich auf die Reform der Insolvenzgesetze. Es ist offenkundig, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Gesetzgebung sehr aktiv sind, während gleichzeitig ersichtlich ist, dass nur wenige Länder die überarbeiteten Gesetze in Kraft gesetzt haben. Würden sich die Gesamtzahlen unter den Spalten auf die in Kraft gesetzten Gesetze beziehen, müsste dort anstelle von 12 — 15 — 17 — 17 eher 6 — 6 — 5 — 10 stehen. Dies ist bezogen auf 27 Mitgliedstaaten ein spärliches Ergebnis. Zögerliches Handeln oder Untätigkeit schadet zweifellos der unternehmerischen Tätigkeit in den Mitgliedstaaten, da ein mögliches Scheitern als erhebliches Hindernis für Unternehmensgründungen gesehen wird, solange die erforderlichen Änderungen nicht vorgenommen werden.

2.4

Eine weitere Besonderheit der Tabelle besteht darin, dass in den sechs Spalten neben denjenigen, die die Gesetzgebung betreffen, fast keine Maßnahmen verzeichnet sind. Dies ist etwas verwunderlich, denn auch wenn die Insolvenzgesetze in den meisten Mitgliedsländern nicht geändert wurden, bestand doch die Möglichkeit, die anderen „weicheren“ Maßnahmen zu ergreifen.

2.5

Der EWSA hat die Kommission gebeten, zu Vergleichszwecken Daten für die USA zur Verfügung zu stellen, die den EU-bezogenen Angaben in der Tabelle entsprechen. Im Folgenden werden die Einträge für die USA in der Tabelle erläutert:

Reduzierung von Einschränkungen — Ja: In den USA findet keine der in der EU üblicheren Einschränkungen Anwendung (z.B. Verbot für Unternehmer, die von Insolvenz betroffen sind, als Geschäftsführer eines Unternehmens oder als Treuhänder tätig zu sein, Krediteinschränkungen für einmal gescheiterte Unternehmer). Artikel 525 des US-Insolvenzgesetzes (Federal Bankruptcy Code) regelt, dass Personen nicht allein auf der Grundlage eines laufenden oder früheren Insolvenzverfahrens gegen sie benachteiligt werden dürfen.

Verbesserte rechtliche Stellung — (Ja): Wie in den EU-Ländern wird bei Verfehlungen und betrügerischem Verhalten u.Ä. kein Schuldenerlass gewährt. Es gibt keine anderweitige „verbesserte rechtliche Stellung“.

Kurze Entschuldungsfrist — Ja: Es gibt keine spezielle Frist, innerhalb derer ein vom Konkurs betroffener Unternehmer den Insolvenzstatus beibehält, bevor er entschuldet wird.

Straffere Verfahren — Ja: Die häufigste von Einzelpersonen genutzte Form des Insolvenzverfahrens ist in Kapitel 7 geregelt und bezieht sich auf Liquidation oder Konkurs. Im Allgemeinen wird das Verfahren innerhalb von 3 bis 4 Monaten abgeschlossen. Als Schutz vor mehrfachen Insolvenzanträgen kann Kapitel 7 nicht auf Personen angewendet werden, die es bereits in den letzten 6 Jahren in Anspruch genommen hatten.

2.6

Das US-Insolvenzgesetz offenbart eine völlig andere Denkweise als diejenige, die in den meisten, wenn nicht sogar in allen EU-Mitgliedstaaten vorherrscht. Der in den meisten Mitgliedstaaten zurzeit vertretene rechtliche Standpunkt zeigt, wie weit man noch vom Verständnis der Problematik entfernt ist. Die Zeit, die zur Änderung der Insolvenzgesetze benötigt wird, offenbart, dass es die EU — salopp ausgedrückt — einfach „nicht begreift“. Ein Umdenken wird die Einführung neuer Gesetze beschleunigen. Ebenso werden ohne solch ein Umdenken auch die „weicheren“ Maßnahmen nie ergriffen.

2.7

Im 19. Jahrhundert wurde unternehmerisches Scheitern derart stigmatisiert, dass gescheiterte Unternehmer in den Selbstmord getrieben wurden. Obgleich es im 21. Jahrhundert weniger Suizide gibt, gilt ein Scheitern nach wie vor als gesellschaftlicher Makel. Die Unionsbürger müssen Unternehmer als Personen sehen, die eine äußerst nützliche Tätigkeit ausüben, auch wenn sie scheitern. Gewisse Misserfolge sind unvermeidbar. Fast drei Viertel (73,0 %) der 931 435 Unternehmen, die 1998 in den Wirtschaftsländern Spanien, Finnland, Italien, Luxemburg, Schweden und Großbritannien gegründet wurden, bestanden lediglich zwei Jahre. Knapp die Hälfte (49,1 %) dieser Unternehmen überlebten fünf Jahre bis 2003.

2.8

Die Kommission stellt zu Recht fest, dass die Phasen der Unternehmensgründung, des unternehmerischen Erfolgs — aber auch des unternehmerischen Scheiterns — zur Realität einer Marktwirtschaft gehören. Sie betont ganz richtig, dass vor dem Hintergrund der allgemein geringen gesellschaftlichen Wertschätzung sowie des fehlenden Verständnisses für unternehmerische Initiative Probleme eines Unternehmens oder unternehmerisches Scheitern weder in ausreichendem Maße als eine normale wirtschaftliche Entwicklung noch als eine Gelegenheit für einen Neustart aufgefasst werden. Die Europäische Union muss umdenken. Je mehr eine frühere Insolvenz als Scheitern stigmatisiert wird, desto größer kann das Risiko für jede neue Unternehmung sein, und dieses Risiko überträgt sich auf alle an der Unternehmung Beteiligten.

2.9

Das amerikanische Recht strebt eine ausgewogene Berücksichtigung der Interessen der Schuldner, Gläubiger und der Gesellschaft als Ganzes an. Nach Auffassung des EWSA sollten entsprechende Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erarbeitet werden, mit denen auch ein solches Gleichgewicht erreicht wird. Wie in Abschnitt 4 beschrieben, können Insolvenz und unbezahlte Schulden den Gläubigern enorme Probleme bereiten und sie ihrerseits in die Insolvenz treiben. Wenn ein Unternehmen von seinen Schulden entlastet wird, damit es die Chance für einen Neuanfang erhält, kann dies gegenüber den Gläubigern äußerst ungerecht sein. Durch die Insolvenzgesetze muss ein angemessenes Gleichgewicht angestrebt werden.

2.10

Für die Gesellschaft generell kann die Weiterführung des Geschäftsbetriebs des gesamten Unternehmens oder eines Teils des Unternehmens die beste Lösung sein. Wenn das Unternehmen potenziell lebensfähig ist, werden alle Betroffenen davon profitieren.

2.11

Den Interessen der Arbeitnehmer kann auf verschiedene Weise gedient werden. Für den Fall von Insolvenzen haben die Mitgliedstaaten die Insolvenzrichtlinie umgesetzt, die Zahlungen für die Arbeitnehmer vorsieht. Wenn ein insolventes Unternehmen von den Insolvenzverwaltern saniert werden kann, werden die Arbeitnehmer weiter beschäftigt. Wenn ein von Insolvenz betroffener Unternehmer wieder unternehmerisch tätig wird, schafft er neue Arbeitsplätze. In jedem Fall kommen die Arbeitsplätze eindeutig der gesamten Gesellschaft zugute.

3.   Wesentlicher Inhalt der Kommissionsmitteilung

3.1   Das öffentliche Image, die Ausbildung und die Medien

3.1.1

Der erste Schritt im Kampf gegen die negativen Auswirkungen von Insolvenzen besteht in einer öffentlichen Diskussion über dieses Thema. In der breiten Öffentlichkeit in der EU werden Insolvenzen häufig unabhängig von ihrer wahren Ursache im Bereich des Kriminellen angesiedelt. Hier könnten die Medien einen positiven Einfluss ausüben, indem sie diese falsche Wahrnehmung korrigieren. Es sind folgende Schlussfolgerungen zu ziehen:

a)

Der Nutzen eines unternehmerischen Neustarts sollte im Rahmen von Informationskampagnen und Bildungsprogrammen dargestellt werden. Dabei gilt es, herauszustellen, dass es durchaus zu einem normalen Lernprozess und den damit verbundenen Erkenntnissen gehört, sich mehrere Male auf dem Markt zu versuchen.

b)

Die Medien können die Aufgabe übernehmen, die irreführende Verknüpfung von Insolvenz und betrügerischem Verhalten zu bekämpfen und auf den Nutzen einer erneuten unternehmerischen Initiative hinzuweisen. Damit kann das Image von Unternehmern in der breiten Öffentlichkeit verbessert und der Wert ihrer Erfahrung hervorgehoben werden.

c)

Eine weitere Diskussion über dieses Thema unter Beteiligung aller relevanten Akteure kann dazu beitragen, die verschiedenen Facetten der mit dem unternehmerischen Scheitern verbundenen Stigmatisierung zu durchleuchten.

3.2   Die Rolle der Insolvenzgesetze

3.2.1

Der Versuch, nach einer Insolvenz einen unternehmerischen Neuanfang zu wagen, kann vom rechtlichen Standpunkt her zu einer Herausforderung werden. In vielen Ländern werden die Insolvenzgesetze unterschiedslos auf alle angewandt, unabhängig davon, ob die Insolvenz auf betrügerisches oder fahrlässiges Handeln zurückzuführen war oder ohne offensichtliches Verschulden des Eigentümers oder Geschäftsführers eingetreten ist, mit anderen Worten, ob es ein Fall von unverschuldeter Insolvenz war.

3.2.2

Für gescheiterte Unternehmer gelten zahlreiche gesetzlich festgelegte Einschränkungen, Verbote und Aberkennungen von Rechten allein auf der Grundlage eines laufenden Insolvenzverfahrens. Bei dem Automatismus dieser Haltung wird der Risikofaktor des unternehmerischen Alltags nicht berücksichtigt sowie der Überzeugung Ausdruck verliehen, dass ein gescheiterter Unternehmer in der Gesellschaft kein Vertrauen mehr verdient. In dieser Hinsicht ist ein radikales Umdenken in Bezug auf die Logik der Insolvenzgesetze in der EU notwendig. Die wichtigsten Schlussfolgerungen sind:

a)

Es ist von entscheidender Bedeutung, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen bei angemessenem Schutz der Interessen aller Parteien die Tatsache anerkannt wird, dass ein Unternehmer scheitern, aber auch einen Neustart wagen kann. Im Rahmen der Insolvenzgesetze sollte eine klare Unterscheidung bezüglich der rechtlichen Behandlung von betrügerischen und nicht betrügerischen Insolvenzen getroffen werden.

b)

Unternehmer, die ohne eigenes Verschulden in Konkurs gehen, sollten das Recht haben, eine formelle gerichtliche Bescheinigung darüber ausgestellt zu bekommen, dass kein betrügerisches Verhalten vorlag und die Insolvenz ohne ihr Verschulden entstand. Die entsprechende Bescheinigung ist öffentlich zugänglich zu machen.

c)

Im Insolvenzgesetz sollte eine Möglichkeit vorgesehen werden, unter Beachtung bestimmter Kriterien eine frühzeitige Entlastung von den verbleibenden Schulden zu gewähren.

d)

Der Umfang der rechtlichen Einschränkungen, Aberkennung von Rechten und Verbote sollte reduziert werden.

e)

Die Gerichtsverfahren sollten vereinfacht und beschleunigt werden, so dass der Wert der Konkursmasse vor der Neuverwendung der Ressourcen maximiert werden kann. In der Regel sollte die Dauer von Gerichtsverfahren auf höchstens ein Jahr begrenzt werden.

3.3   Aktive Unterstützung für gefährdete Unternehmen

3.3.1

Die mit einem unternehmerischen Scheitern verbundene Stigmatisierung ist eine der Ursachen dafür, dass viele KMU in schwieriger finanzieller Lage die Problematik verschweigen, bis es zu spät ist. Hier sind rechtzeitige Maßnahmen von entscheidender Bedeutung, und in vielen Fällen ist eine Sanierung der Liquidation des Unternehmens vorzuziehen. Die wichtigsten Schlussfolgerungen sind:

a)

Es ist zwar nicht möglich, Insolvenzen vollständig zu vermeiden. Durch eine frühzeitige Unterstützung rentabler Unternehmen wird jedoch die Anzahl der Insolvenzen auf ein Mindestmaß reduziert. Schwerpunkte der Unterstützungsmaßnahmen sollten Insolvenzvorbeugung, fachliche Beratung sowie rechtzeitiges Eingreifen sein.

b)

Der Aspekt der Verfügbarkeit der Unterstützung sollte besonders beachtet werden — gefährdete Unternehmen können sich kostspielige Beratung einfach nicht leisten.

c)

Es gilt, die von der EU und von den europäischen Wirtschaftverbänden angebotenen Netzwerke voll auszuschöpfen.

d)

Die Insolvenzgesetze sollten durch eine Option zur Förderung der Umstrukturierung und Sanierung von Unternehmen ergänzt werden, anstatt sich ausschließlich mit ihrer Abwicklung zu befassen.

3.4   Aktive Unterstützung für Unternehmer, die einen Neustart wagen

3.4.1

Die Haupthindernisse für Unternehmer, die in einem zweiten Anlauf ein Unternehmen gründen — das Fehlen von Ressourcen, Kenntnissen und psychologischer Unterstützung — werden im Rahmen der öffentlichen Förderung nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. Ein grundsätzliches Hindernis bei einer erneuten Unternehmensgründung ist das Fehlen der erforderlichen Ressourcen, insbesondere der finanziellen Mittel. Es sind folgende Schlussfolgerungen zu ziehen:

a)

Die zuständigen Behörden sollten für eine ausreichende finanzielle Unterstützung für erneute Unternehmensgründungen sorgen, indem Hindernisse für entsprechende öffentliche Finanzierungsprogramme beseitigt werden.

b)

Banken und Finanzinstitute sollten ihre sehr konservative Haltung gegenüber Restartern überdenken, die häufig auf der negativen Einschätzung ihrer Kreditwürdigkeit beruht. Die Kommission plant, dieses Thema auf die Agenda der Gesprächsrunde Banken-KMU zu setzen.

c)

Die EU-Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass die Namen der durch eine nicht betrügerische Insolvenz gescheiterten Unternehmen nicht auf den Listen nicht kreditwürdiger Bankkunden aufgeführt werden.

d)

Die für die Vergabe öffentlicher Aufträge Verantwortlichen sollten berücksichtigen, dass eine Benachteiligung der durch eine nicht betrügerische Insolvenz gescheiterten Unternehmer gemäß den Richtlinien über öffentliche Aufträge nicht zulässig ist.

e)

Für Restarter sollten geeignete psychologische und technische Unterstützung sowie spezielle Schulungen und Kurse zur Verfügung gestellt werden.

f)

Die zuständigen Behörden sollten Verbindungen zwischen potenziellen Restartern und Kunden, Geschäftspartnern und Investoren fördern, damit die speziellen Anforderungen der Restarter unterstützt werden können.

3.5

Zusammenfassend sei angemerkt, dass angemessene nationale Rahmenbedingungen für die unternehmerische Initiative von entscheidender Bedeutung für die volle Ausschöpfung des unternehmerischen Potenzials in der EU und für die Gründung dynamischer Unternehmen sind. Die in diesem Zusammenhang unerlässliche gesellschaftliche Anerkennung erfolgreicher Unternehmenstätigkeit sollte mit einer Politik der zweiten Chance für gescheiterte Unternehmer gekoppelt werden.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA unterstützt das zentrale Anliegen der Kommission, dass die Stigmatisierung des unternehmerischen Scheiterns überwunden werden muss. Die Kommission stellt zu Recht fest, dass die Phasen der Unternehmensgründung, des unternehmerischen Erfolgs — aber auch des unternehmerischen Scheiterns — zur Realität einer Marktwirtschaft gehören. Sie betont ganz richtig, dass vor dem Hintergrund der allgemein geringen gesellschaftlichen Wertschätzung sowie des fehlenden Verständnisses für unternehmerische Initiative Probleme eines Unternehmens oder unternehmerisches Scheitern weder in ausreichendem Maße als eine normale wirtschaftliche Entwicklung noch als eine Gelegenheit für einen Neustart aufgefasst werden.

4.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass zwar viele der Empfehlungen der Mitteilung unerlässlich sind, aber einige von ihnen nicht sehr überzeugend erscheinen. Die Vorbehalte des Ausschusses werden in verschiedenen Ziffern in Abschnitt 4 und 5 der Stellungnahme dargelegt.

4.3

Zweck und Ziel einer unternehmerischen Tätigkeit ist die Schaffung eines rentablen und entwicklungsfähigen Unternehmens. Unternehmer sind innovativ, um die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen, die entweder noch nicht oder noch nicht auf die effizienteste Weise erfüllt werden.

4.4

Ein Unternehmer kann Geschäftsmöglichkeiten erkennen, wie beispielsweise ein Londoner Unternehmer die Chance für ein Import- und Exportgeschäft zwischen dem Vereinigten Königreich und Indien sah, das auf den Bedarf in den beiden Ländern reagierte und eine Marktlücke füllte. Andere Unternehmen füllen Marktlücken beispielsweise durch die Eröffnung von Restaurants oder Friseursalons in Gemeinden, die diesbezüglich noch nicht gut versorgt sind.

4.5

Amazon ist ein hervorragendes Beispiel für eine effizientere Erfüllung von Bedürfnissen. Traditionelle Buchläden bestehen weiterhin für diejenigen, die Zeit und Lust zum Stöbern haben. Amazon geht auf die Bedürfnisse einer völlig anderen Käufergruppe ein.

4.6

Einige Unternehmer gründen Unternehmen, um Fortschritte in Wissenschaft und Technik nutzbar zu machen. Solche Unternehmen sind oft Ausgründungen aus Universitäten, Forschungsinstituten oder wissenschaftlichen Unternehmen. Vier Professoren der Universität London haben ein Unternehmen gegründet, das medizinische Bildanalysen mit Hilfe geschützter Software für bessere Methoden zur Messung der therapeutischen Wirkung von in Entwicklung befindlichen Medikamenten bietet. Die Software als geistiges Eigentum ist das Herzstück dieses Unternehmens. Einer der Professoren wurde zum geschäftsführenden Direktor ernannt und muss sich nun damit auseinandersetzen, ob er zum Unternehmer taugt oder nicht.

4.7

Um Erfolg zu haben, benötigt ein Unternehmer vor allem drei Dinge. Erstens muss er über die erforderlichen Kenntnisse oder Erfahrungen zur richtigen Einschätzung der Marktchancen und auch über das Know-How zur Umsetzung der Geschäftsidee verfügen, egal ob es sich nun um ein neues Restaurant, ein Online-Reisebüro oder einen Durchbruch bei einer wissenschaftlichen Anwendung handelt. Der erste Schritt in jedem Unternehmen besteht darin, die Machbarkeit der Idee zu beweisen und sie in die Tat umzusetzen. Dies bedeutet, ein Produkt oder eine Dienstleistung so weit zu entwickeln, dass sich Kunden bereit finden, den erforderlichen Preis zu zahlen, damit das Geschäft rentabel und kostendeckend wird. Viele Möchte-gern-Unternehmer scheitern in dieser Phase. Einige sind fähig, aus ihren Fehlern zu lernen und einen Neustart in Angriff zu nehmen. Andere dagegen schaffen das nicht.

4.8

Die zweite Voraussetzung ist die Finanzierung. Einige neu gegründete Unternehmen sind von Anfang an attraktiv genug für Investitionen von Risikokapitalgebern. Die meisten Risikokapitalgeber wollen aber erst dann einsteigen, wenn der Unternehmer seine Idee „realisiert“ hat. Zwar steht nunmehr das von der EIB angebotene Risikokapitalsystem zur Verfügung, aber auch dessen Kapazität wird begrenzt sein. Finanzierungen sind gewöhnlich nur in Tranchen oder über mehrere Finanzierungsrunden verfügbar. Wenn die erste Finanzierungsphase gute Ergebnisse hervorbringt, ist es viel leichter, eine Anschlussfinanzierung zu erhalten.

4.9

Sehr oft erfolgt die Finanzierung in der Gründungsphase eines Unternehmens durch Familienmitglieder und Freunde. Es stehen auch Bankdarlehen zur Verfügung, aber Banken benötigen Sicherheiten. Wenn das Unternehmen kein Vermögen hat, nehmen die Banken das Vermögen der Unternehmer als Sicherheit. Für den Unternehmer, die Familie und Freunde wird es dann heikel, wenn sie persönliche Sicherheiten geben. Diese Sicherheiten bestehen gewöhnlich über die Gründungsphase hinaus weiter, da private Unternehmen im Allgemeinen auf die Unterstützung von Banken angewiesen sind, bevor sie an die Börse gehen. Wenn die Bank die Sicherheiten einfordert, kann der Unternehmer möglicherweise das Dach über dem Kopf verlieren. Unter solchen Umständen können Steuer- und Sozialversicherungsverpflichtungen die Situation sogar noch mehr verschärfen.

4.10

In seiner Stellungnahme zum Thema „Steuerliche Förderung von FuE“ (1) ruft der Ausschuss die Mitgliedstaaten dazu auf, Privatpersonen, die in neue Unternehmen investieren, Steuervergünstigungen zu gewähren. Gerade solche Steueranreize könnten den Unternehmern die Kapitalisierung neuer Unternehmen erleichtern.

4.11

Nach der Gründungsphase hängt der Unternehmer von der dritten unverzichtbaren Komponente für den Erfolg ab, und zwar von einem lebensfähigen Geschäftsmodell. Dies ist der Schlüssel für die Aufwärtsentwicklung eines Unternehmens. Das Modell ist von einer Reihe von Faktoren abhängig, die die Situation des Unternehmens widerspiegeln. Die Verkaufseinnahmen abzüglich der Produktionskosten ergeben eine Bruttogewinnspanne, bei der nach Abzug der Kosten ein Gewinn vor Steuern übrig bleibt, der für die Bedienung der Zinsen und die Tilgung der Bankkredite ausreicht. Wenn ein Geschäftsmodell nicht funktioniert oder die Geschäftsführung des Unternehmens nicht über die notwendigen Fähigkeiten und Erfahrungen beim Verkaufsmanagement usw. verfügt, um es in Gang zu bringen, sind diejenigen, die Banksicherheiten gestellt haben, insolvenzgefährdet. Ein solcher Konkurs ist eindeutig eine Erfahrung, aus der man lernen kann. Wenn ein Unternehmer die Erfordernisse eines Geschäftsmodells begriffen hat, kann ein Neustart möglich sein.

4.12

Ursprünglich erfolgreiche Geschäftsmodelle sind stets durch Veränderungen in Bezug auf Personal, Kunden, Märkte, Technologien und Wettbewerber gefährdet. Nach einer erfolgreichen Finanzierung eines Unternehmens müssen die Unternehmer ständig auf den Wandel reagieren, insbesondere bei technologiebezogenen Unternehmen. Unternehmer, die an den Herausforderungen des Wandels scheitern, können durchaus aus ihrer Erfahrung lernen. Anderen wiederum, insbesondere geschäftsführenden Inhabern der zweiten oder dritten Generation, gelingt dies möglicherweise nicht.

4.13

Für die erfolgreiche Umsetzung des Geschäftsmodells ist die Rolle des Unternehmers und seines Teams von entscheidender Bedeutung. Insbesondere Finanzmanagementfähigkeiten sind unerlässlich. Es ist auch möglich, dass ein gutes Unternehmen übermäßig erfolgreich ist, über die eigenen Möglichkeiten hinaus Aufträge annimmt und so an einen Punkt gelangt, an dem es seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Dann kann es sein, dass es von seinen Gläubigern unter Zwangsverwaltung gestellt wird. Bei einem solchen Unternehmen können alle Möglichkeiten für einen erfolgreichen Neustart offen sein.

4.14

Eine andere finanzielle Falle kann sich auftun, wenn ein Hauptkunde seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt und die Rechnungen nicht mehr bezahlt, so dass der Unternehmer selbst in die Zahlungsunfähigkeit gerät und die Kündigung des Kredits durch die Bank droht. Nach den Statistiken der Kommission ist ein Viertel der Insolvenzen auf Zahlungsverzug zurückzuführen. Auch in einem solchen Fall kann ein Neustart tragfähig sein. Die prekäre Situation kleiner und junger Unternehmen ist den Regierungen der Mitgliedstaaten und der Kommission bewusst. Dieses Problem wird mit der Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr angegangen und wird auch in den künftigen Rechtsvorschriften für kleine Unternehmen („Small Companies Act“) berücksichtigt werden.

4.15

Einige Unternehmen scheitern nicht durch eigene Schuld, sondern durch unerwartete Ereignisse, wie etwa die Katastrophe des 11. September, oder extreme Witterungsverhältnisse. Die Folgen könnten aber durch den vorausschauenden Abschluss von Versicherungen abgefedert werden. Deshalb sollten Organisationen, die kleine Unternehmen unterstützen, Unternehmer über die Vorteile von Absicherungsinstrumenten informieren.

4.16

Alles in allem können zahlreiche Faktoren zum Scheitern eines Unternehmens führen, auch dann, wenn ein Unternehmer die besten Absichten hat. So kann es sein, dass es in der Gründungsphase nicht gelingt, ein lebensfähiges Unternehmen zu schaffen. Über die Gründungsphase hinaus kann ein fehlerhaftes Geschäftsmodell dazu führen, dass das Unternehmen keine Zukunft hat. Andererseits können auch potenziell rentable Unternehmen aufgrund von Fehlern der Unternehmer oder aus Gründen, auf die letztere keinen Einfluss haben, scheitern. Solche Unternehmen können und sollten von den Insolvenzverwaltern saniert und dabei möglichst viele Arbeitsplätze erhalten werden.

4.17

Es ist wichtig, zwischen dem Unternehmen und seine Geschäftsführern zu unterscheiden. Womöglich gehen die Geschäftsführer in Konkurs, während ein Insolvenzverwalter das Unternehmen und seine Beschäftigten retten kann. Wenn ein Unternehmen scheitert, kann es durchaus sein, dass die Unternehmer aufgrund der gegenüber den Banken geleisteten Sicherheiten in Konkurs gehen, auch wenn ihr persönliches Verhalten nicht betrügerisch war. Gerade für diese rechtschaffenen Unternehmer setzt sich die Kommission ein. Andere wiederum, die aufgrund von Inkompetenz und mangelnden Weitblicks scheitern, können der Wirtschaft wahrscheinlich wenig bieten, sogar wenn sie Geldgeber finden. Nicht jeder von Insolvenz betroffene Unternehmer verdient eine zweite Chance.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Das öffentliche Image, die Ausbildung und die Medien

5.1.1

Das aussagekräftigste Signal, das die Regierungen der Mitgliedstaaten der breiten Öffentlichkeit geben können, wird von der Änderung der Insolvenzgesetze ausgehen. Wenn das Gesetz eine zweite Chance für Unternehmer unmissverständlich fördert, wird sich dies auch in den Medienbotschaften widerspiegeln.

5.1.2

Regierungen können auch mit Organisationen und Institutionen zusammenarbeiten, die wiederum engen Kontakt zu den Unternehmen haben. Am deutlichsten eingebundene Institutionen sind Berufsorganisationen der Wirtschaftsprüfer, aber außerdem können auch Vertretungsverbände der KMU und der Einzelunternehmer beteiligt werden.

5.1.3

In der Mitteilung wird die Möglichkeit einer Auszeichnung für erfolgreiche Restarter genannt. Wenn die vorgenannten Organisationen solche Modelle aufgreifen würden, könnte dies in den Medien ein positives Echo hervorrufen.

5.2   Die Rolle der Insolvenzgesetze

5.2.1

Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich alle Ausführungen der Mitteilung hinsichtlich der Insolvenzgesetze, aber selbstverständlich vorbehaltlich der Einzelheiten der Gesetze, die letztendlich eingeführt werden. Diese Ausführungen sind ausführlich in Ziffer 3.2 dargelegt und beinhalten die formelle Anerkennung nicht betrügerischer Insolvenzen, die frühzeitige Schuldenentlastung sowie die Reduzierung des Umfangs der rechtlichen Einschränkungen, Aberkennung von Rechten und Verbote in Verbindung mit beschleunigten Gerichtsverfahren. Mittelfristig sollte das Ziel verfolgt werden, die Dauer der Verfahren auf höchstens zwölf Monate zu begrenzen.

5.2.2

Nach Auffassung des EWSA ist es unerlässlich, dass alle Mitgliedstaaten die Überprüfung ihrer Insolvenzgesetze schnellstmöglich abschließen. Außer den Gesetzesänderungen ist es äußerst wichtig, dass Insolvenzen von den Gerichten beschleunigt verhandelt werden. Das Verfahren muss gut organisiert werden. Diese Änderungen sind Kernstück des Programms der zweiten Chance.

5.3   Aktive Unterstützung für gefährdete Unternehmen

5.3.1

Dies ist die zweite wichtige Aussage der Mitteilung. Sie ist nicht Teil des Programms zur Förderung des Neustarts an sich. Es handelt sich vielmehr um ein Konzept zur Insolvenzvermeidung und Erhaltung von Unternehmen und Arbeitsplätzen. In diesem Zusammenhang zielt die Mitteilung darauf ab, vermeidbare Insolvenzen durch Frühwarninstrumente, Bereitstellung vorübergehender finanzieller Unterstützung sowie fachliche Beratung abzuwenden.

5.3.2

Das einzige Problem besteht darin, dass dieses Programm für die Mehrheit der KMU wenig praktikabel ist, da es kaum Mechanismen für eine vorausschauende Ermittlung gefährdeter Unternehmen unter den zehntausenden von KMU in jedem Mitgliedstaat gibt. Dennoch sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, die bestehenden Möglichkeiten voll auszuschöpfen, wie z.B. in Frankreich, wo die Mehrwertsteuerbehörden als Frühwarnsystem bei eventuellen finanziellen Schwierigkeiten von Unternehmen genutzt werden. Schwerpunkte der Unterstützungsmaßnahmen sollten nach Auffassung der Kommission Insolvenzvorbeugung, fachliche Beratung sowie rechtzeitiges Eingreifen sein. Problematisch wird es, wenn Geschäftsführer nicht erkennen, dass ihr Unternehmen gefährdet ist. Die Regierungen der Mitgliedstaaten werden mit den Berufsorganisationen der Wirtschaftsprüfer und KMU-Unterstützungsorganisationen zusammenarbeiten müssen, um proaktive, auf die jeweilige landesspezifische KMU-Kultur zugeschnittene Maßnahmen zu entwickeln.

5.3.3

Der EWSA ist sich der Schwierigkeiten, mit denen eine solche Unterstützung verbunden ist, voll und ganz bewusst. Ein staatliches Eingreifen entgegen den Marktkräften kann möglicherweise kontraproduktiv sein und die Marktdisziplin untergraben.

5.3.4

Bei Aktiengesellschaften besteht die doppelte Verpflichtung, dass die Finanzberichte fristgerecht eingereicht werden und die Wirtschaftsprüfer und die Geschäftsführung die Solidität und Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft bestätigen. Durch die Durchsetzung solcher Vorschriften für alle Unternehmen, insbesondere in Bezug auf das frühe Einreichen von Finanzberichten, könnte das Frühwarnsystem verbessert werden.

5.3.5

Der EWSA begrüßt die Fokussierung auf insolvenzgefährdete Unternehmen im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten, da daran die Aussicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen und die Kontinuität der Beschäftigung geknüpft ist.

5.4   Aktive Unterstützung für Unternehmer, die einen Neustart wagen

5.4.1

Während zwölf bis siebzehn Mitgliedstaaten ihr Insolvenzgesetz bereits geändert haben oder gerade ändern, sind praktisch keine Aktivitäten der Mitgliedstaaten hinsichtlich der diesbezüglichen Empfehlungen der Kommission zu verzeichnen.

5.4.2

Ursache für diese geringen Aktivitäten ist wiederum, dass ein Teil der Vorschläge als den Marktkräften zuwiderlaufend eingeordnet werden kann. Dies trifft insbesondere auf den Vorschlag zu, dass Banken weniger konservativ sein und die zuständigen Behörden Netze zur Förderung von Unternehmern, die einen Neuanfang wagen, einrichten sollten.

5.4.3

Es sollte möglich sein, diejenigen Vorschläge, die in den Zuständigkeitsbereich der Regierungen der Mitgliedstaaten fallen (öffentliche Finanzierungsprogramme, Zugang zu Darlehen und zu öffentlichen Aufträgen für Unternehmer, die durch eine nicht betrügerische Insolvenz gescheitert sind) noch vor der Änderung der Insolvenzgesetze ohne große Probleme umzusetzen.

5.4.4

Außerdem sollte es möglich sein, dass die Anbieter von Unternehmerschulungen bei Bedarf auch Schulungen für Restarter anbieten.

5.5   Andere Vorschläge der Kommission

5.5.1

Der EWSA begrüßt die neue Website der Kommission „Für eine Politik der zweiten Chance“ (http//ec.europa.eu/sme2chance). Sie wird besonders für Organisationen, die in die Initiativen der Politik der zweiten Chance der Mitgliedstaaten eingebunden sind, hilfreich sein.

5.5.2

In ihrer Frühjahrsveranstaltung 2009 zu den KMU möchte die Kommission den Neustart von Unternehmen und andere Themen der Politik der zweiten Chance zur Sprache bringen. Der Ausschuss geht davon aus, dass diese Initiative den „weichen“ Maßnahmen des Programms der zweiten Chance zusätzliche Impulse verleiht.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 10, 15.1.2008.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/32


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Internationale Beschaffungsmärkte“

(2008/C 224/06)

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 ersuchte Jean-Pierre JOUYET, Staatssekretär für europäische Angelegenheiten der Republik Frankreich, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des künftigen französischen Ratsvorsitzes um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

„Internationale Beschaffungsmärkte“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr MALOSSE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 70 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ruft die Europäische Kommission auf, ihre Ziele im Hinblick auf eine stärkere Öffnung der Beschaffungsmärkte weiterhin mit Nachdruck zu verfolgen und dabei den Grundsätzen Transparenz, Gleichbehandlung, soziale und ökologische Verantwortung Vorrang einzuräumen.

1.2

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, sich im Rahmen der Neuaushandlung des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement, GPA) entschieden gegen die protektionistischen Praktiken einiger Unterzeichnerländer dieses Übereinkommens auszusprechen.

1.3

In Bezug auf die öffentliche Entwicklungshilfe spricht sich der EWSA für eine schrittweise und auf Gegenseitigkeit beruhende Abschaffung der an Konditionen geknüpften Hilfe aus und vertritt die Ansicht, dass die wesentlichen Kriterien in diesem Fall Effizienz und Transparenz sein müssen.

1.4

Auf der Ebene der Europäischen Union plädiert der EWSA für mehr Transparenz und für moderne Bestimmungen über die Auftragsvergabe und die Angebotsbekanntmachung. In diesem Zusammenhang wird sich der Ausschuss jedem Versuch der Anhebung der in den EU-Richtlinien festgelegten Schwellenwerte widersetzen, da diese Garanten für Transparenz sind. Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Europäischen Kommission, da sie auf die Verbesserung der Transparenz bei unterhalb dieser Schwellenwerte liegenden Aufträgen abzielt.

1.5

Der EWSA befürwortet nicht die Einführung eines KMU-Quotensystems in der EU nach dem Vorbild des Small Business Act in den USA, erkennt jedoch den Nutzen eines europäischen „Fahrplans“ zu Gunsten von KMU und vor allem von Kleinstunternehmen an, der konkrete Projekte, Zeitvorgaben und ein Mehrjahresbudget umfasst und auf die Förderung von Innovation und Unternehmensgründungen insbesondere in den Schlüsselbereichen Energieeffizienz und Umweltschutz ausgerichtet ist.

1.6

Um die Umsetzung dieses „Fahrplans“ zu erleichtern, könnte dieser mit Informationsmaßnahmen, die sich auf die KMU als natürliche Vermittler stützen, mit transparenten und ausgewogenen Verfahren der Konsultation und mit einfachen europäischen Rechtsinstrumenten einhergehen.

1.7

Bei diesen konkreten Projekten und Maßnahmen sollte sooft wie möglich das Prinzip Think Small First (zuerst an die KMU-Dimensionen denken) Anwendung finden, zum Beispiel durch eine einzige Anlaufstelle für die Erledigung von Verwaltungsformalitäten. Das gilt im Hinblick auf die Entwicklung von Verwaltungsverfahren und –methoden, die der Größe und Art kleiner Unternehmen angepasst sind und dem Ziel einer Verringerung des Verwaltungsaufwands für diese Unternehmen gerecht werden.

2.   Einleitung

2.1

Der künftige französische Ratsvorsitz der Europäischen Union hat den EWSA mit offiziellem Schreiben des französischen Staatssekretärs für Europaangelegenheiten ersucht, eine Sondierungsstellungnahme zum Thema „Internationale Beschaffungsmärkte“ auszuarbeiten.

2.1.1

In diesem Ersuchen wird ausdrücklich auf die laufenden Verhandlungen zur Änderung des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) der Welthandelsorganisation (WTO) verwiesen, das 12 Staaten (1) und die Europäische Union unterzeichnet haben (darüber hinaus haben 18 weitere Länder einen Beobachterstatus).

2.1.2

Die französische Regierung hat sich nämlich im Herbst 2007 darüber beklagt, dass das Angebot der Europäischen Union zu großzügig ausfalle, wenn man bedenke, dass bestimmte Staaten (USA, Korea und Japan) den Zugang zu ihren öffentlichen Beschaffungsmärkten dadurch einschränken, dass sie einen bestimmten Anteil der öffentlichen Aufträge den KMU ihres Landes vorbehalten.

2.2

Die von mehreren Mitgliedstaaten unterstützte Haltung Frankreichs beinhaltete die Forderung, entweder den Zugang zu den öffentlichen Beschaffungsmärkten dieser Länder im Rahmen einer Neufassung des GPA zu verbessern oder in der Europäischen Union ähnliche Restriktionen zu Gunsten europäischer KMU einzuführen.

2.3

Derzeit sieht das GPA für öffentliche Aufträge ähnliche Schwellenwerte vor, wie sie auch für die Verpflichtungen gemäß den internen Richtlinien der Europäischen Union (2) gelten, womit die Unternehmen der 12 anderen GPA-Unterzeichnerstaaten de facto an allen öffentlich ausgeschriebenen Aufträgen in der EU, die über diesen Schwellenwerten liegen, teilnehmen können.

2.4

Der EWSA hat sich bereits zur Frage der Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Europäischen Union geäußert und dabei insbesondere die zu geringe länderübergreifende Beteiligung von Unternehmen an öffentlichen Aufträgen in der EU bedauert (3).

3.   Internationale Ebene

3.1

Auf der internationalen Ebene muss festgestellt werden, dass das öffentliche Beschaffungswesen der Europäischen Union der weltweiten Konkurrenz besonders offensteht. Das gilt auch für eine wachsende Zahl von Aufträgen, die im Rahmen der EU-Entwicklungszusammenarbeit mit Gemeinschaftsmitteln finanziert werden (die EU ist weltweit der größte Geber von Entwicklungshilfe). Der EWSA bedauert jedoch die Praxis der Mitgliedstaaten, die Entwicklungshilfe an die Vergabe von Aufträgen an Unternehmen aus dem Geberland zu knüpfen (4).

3.2

Einige unserer Partner haben unterschiedliche und vielfältige Schutzmechanismen eingeführt (so z.B. die „Buy American“-Bestimmungen oder das Gesetz „Small Business Act“ in den USA) sowie an Konditionen geknüpfte Hilfsprogramme zur Regel gemacht. Angesichts der Tatsache, dass viele Unternehmen in der EU, darunter auch KMU, in den Bereichen Hoch- und Tiefbau, alternative Energien, Umweltschutz u.a. Weltmarktführer sind, sollte die Öffnung der Beschaffungsmärkte für die internationale Konkurrenz als etwas für die EU Vorteilhaftes angesehen werden.

3.3

Der amerikanische „Small Business Act“ beinhaltet neben Fördermaßnahmen für KMU auch eine Bestimmung, wonach 25 % der von amerikanischen Bundesbehörden vergebenen Aufträge amerikanischen KMU vorbehalten sind.

3.4

Im Hinblick auf die Neuaushandlung des GPA-Übereinkommens vertritt der EWSA die Ansicht, dass bei einer Anwendung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit die EU nicht ähnliche protektionistische Maßnahmen ergreifen sollte wie ihre Konkurrenten, da das nicht dem allgemeinen Ziel der Öffnung der Beschaffungsmärkte dient, welches die Europäische Union verfolgen sollte.

3.5

Dieses Ziel sollte zudem nicht nur für die Unterzeichner des GPA-Übereinkommens gelten, sondern auch andere Länder einschließen, in denen die Vergabe öffentlicher Aufträge besonders wenig transparent und europäischen Unternehmen im Allgemeinen nicht zugänglich ist.

3.6

Der Vorschlag, bei Unternehmen aus Ländern mit protektionistischen Mechanismen Aufträge, die mit Gemeinschaftsmitteln finanziert werden, vorübergehend aus dem GPA-Geltungsbereich herauszunehmen, ist ein interessanter Gedanke, wie der EWSA bereits in früheren Stellungnahmen festgestellt hat.

3.7

Der EWSA unterstreicht, dass in den Verhandlungen auch der Frage der Einhaltung des Umweltschutzes und der in den ILO-Konventionen (sowie in den von den Sozialpartnern abgeschlossenen und in den jeweiligen Ländern geltenden Rahmen-, Branchen- und Firmentarifverträgen) verankerten sozialen Mindestnormen Rechnung zu tragen ist, was insbesondere für bilaterale Abkommen mit Ländern gilt, die das Kyoto-Protokoll oder die ILO-Konventionen nicht ratifiziert haben oder nicht oder schlecht umsetzen.

4.   In der Europäischen Union

4.1

In Anlehnung an das amerikanische Beispiel hat die Europäische Kommission angekündigt, dass sie möglicherweise eine europäische Rechtsvorschrift zu Gunsten von KMU (eine Art europäischen „Small Business Act“) vorschlagen wird, die die Beteiligung von KMU an öffentlichen Aufträgen fördern soll, in der allerdings keine KMU-Auftragsquote wie in den USA festgelegt würde. Grundsätzlich plane die Kommission zudem konkrete Maßnahmen zu Gunsten von KMU.

4.2

Die Frage der Festlegung von KMU-Quoten stellt sich in den EU gar nicht, wenn man sich vor Augen hält, dass (der Europäischen Kommission zufolge) rund 42 % des Gesamtvolumens aller öffentlichen Aufträge (Angaben für 2005) an Unternehmen vergeben wurden, die nach EU-Maßstab als KMU gelten (5).

4.3

In der Union geht es darum, die europaweite Dimension des Marktes zur Geltung zu bringen, um öffentliche Mittel besser einzusetzen. Trotz einer erheblichen Zunahme der Aufträge, die an in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen vergeben werden, beklagen die Unternehmen den Mangel an Transparenz und geeigneten Informationen für die Teilnahme an länderübergreifenden Aufträgen. Dies betrifft insbesondere die Aufträge, die unterhalb der in den EU-Richtlinien festgelegten Schwellenwerte liegen und deshalb nicht europaweit öffentlich ausgeschrieben werden müssen. Die Unternehmer bemängeln weiterhin, dass die Richtlinien durch ihre (in Bezug auf Fristen, Verzögerungen usw.) nicht immer transparente Umsetzung verkompliziert werden und häufig mit einzelstaatlichen Fachvorschriften einhergehen, die zu den anderen Vorschriften hinzukommen. Der EWSA anerkennt die Berechtigung von Vorschriften über das Beschaffungswesen, spricht sich jedoch für mehr Transparenz und Rechtssicherheit aus.

4.4

Der EWSA sieht in den Schwellenwerten, ab denen die Grundsätze des offenen Verfahrens, der Transparenz und Öffentlichkeit gelten, die bestmögliche Garantie dafür, dass die wirtschaftlichen Akteure und insbesondere Kleinstunternehmen eine Möglichkeit haben, an öffentlichen Aufträgen teilzuhaben. In der EU selbst sollten die Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit auch auf Aufträge unterhalb der Schwellenwerte Anwendung finden, die aufgrund der fehlenden Offenheit des Verfahrens oft Gegenstand von Klagen der KMU sind.

4.5

Die angedachte Einführung von Quoten nach amerikanischem Vorbild stößt bei den europäischen Unternehmerverbänden zwar nicht auf Zustimmung, doch die Verbände erkennen an, dass gezielte politische Begleitmaßnahmen erforderlich sind, was insbesondere für Aufträge unterhalb der in den EU-Richtlinien festgelegten Schwellenwerte und für Aufträge im Zusammenhang mit neuen Technologien, Energieeffizienz und Umweltschutz gilt.

4.6

Der EWSA unterstützt nachdrücklich einen „Fahrplan“ zu Gunsten der europäischen KMU, der eine Reihe genauer und verbindlicher Bestimmungen mit Zeitvorgaben und einen Finanzierungsplan umfassen sollte. Die zwanzigjährige EU-Politik der KMU-Förderung und insbesondere die Europäische Charta für Kleinunternehmen, die auf dem Ratsgipfel im Juni 2000 in Santa Maria da Feira angenommen wurde, sowie die Schlusserklärung der Europäischen Konferenz für Handwerk und Kleinunternehmen im April 2007 in Stuttgart bilden eine gute Grundlage für diesen Fahrplan.

4.7

Geeignete Bestimmungen sind z.B.:

4.7.1   Legislativvorschläge mit einem Zeitplan für die Annahme:

ein Verhaltenskodex für öffentliche Auftraggeber, mit dem die Öffnung der Vergabeverfahren für Kleinstunternehmen gefördert wird und der vorbildliche Praktiken für die Vereinfachung und Entschlackung der Vergabeverfahren enthält;

einheitliche europäische Mechanismen, wie das Gemeinschaftspatent oder das europäische Statut für kleine und mittlere Unternehmen (Initiativstellungnahme des EWSA zum Thema „Europäisches Rechtsstatut für KMU“ vom 21.3.2002), mit denen der EU-Rechtsrahmen vereinfacht und die „europäische Identität“ der Unternehmen gestärkt werden könnten;

die vom EWSA geforderte (6) Verschärfung der „Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Handelsverkehr“.

4.7.2   Informationsmechanismen für öffentliche Aufträge mit einem Zeitplan für die Umsetzung:

Förderung und Entwicklung von Informations- und Vermittlungssystemen für grenzüberschreitende öffentliche Aufträge und Vernetzung von Unternehmen unter Einsatz des neuen europäischen EEN-Netzes (Enterprise Europe Network) und durch Förderung lokaler Initiativen für den Zusammenschluss von KMU;

Förderung von Pilotprojekten für die elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge, Vernetzung von Unternehmen, Informationsportale und einheitliche Anlaufstellen für länderübergreifende öffentliche Aufträge auf der Grundlage der bestehenden und von den wirtschaftlichen Akteuren anerkannten Strukturen.

4.7.3   Aktionen auf europäischer Ebene mit angemessener Finanzierung

Einrichtung von Finanzierungsmechanismen zur Förderung der Beteiligung von KMU an öffentlichen Aufträgen in Form eines aus Strukturfondsmitteln finanzierten Fonds für Garantien, Bürgschaften und Kreditversicherungen;

Aufstellung europäischer Programme für Schulung und Demonstration in KMU in den Bereichen Energieeffizienz und Umweltschutz (vor allem in der Bauwirtschaft). Dieser neue Mechanismus könnte aus den nicht verwendeten Gemeinschaftsmitteln finanziert werden, die jedes Jahr an die Mitgliedstaaten zurücküberwiesen werden;

Ausdehnung der Mechanismen zur Förderung der Beteiligung von KMU an den Forschungsaktivitäten und -programmen der Europäischen Union (Beihilfen für Durchführbarkeitsstudien, Kooperationsforschung) und Anreize für die Mitgliedstaaten zur Einrichtung ähnlicher Mechanismen auf nationaler Ebene, insbesondere in technologierelevanten Sektoren einschließlich Verteidigung und Gesundheit.

4.7.4   Konsultations- und Vermittlungsverfahren

Überprüfung der Konsultations- und Evaluierungsverfahren der Europäischen Kommission, die oft dem realen europäischen Wirtschaftsgefüge, das zum großen Teil aus KMU besteht, nicht gerecht werden: Konsolidierung der Praxis, Auswirkungsanalysen für KMU zu erstellen, regelmäßigerer Rückgriff auf Sondierungsstellungnahmen des EWSA, stärkere Mitwirkung der repräsentativen Organisationen der Zivilgesellschaft;

Stärkung der Rolle des EEN-Netzes (Enterprise Europe Network) aus über 600 Schaltstellen mit Strukturen auf lokaler Ebene, das in der Europäischen Union von den wirtschaftlichen Akteuren vor Ort und den bestehenden Unternehmensverbänden anerkannt ist, mit dem Ziel der Entwicklung eines realen europäischen Netzes für die Frühwarnung, Vermittlung und Förderung für kleine und mittlere Unternehmen.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Hongkong (China), Island, Israel, Japan, Kanada, Korea, Liechtenstein, Aruba (Niederlande), Norwegen, die Schweiz, Singapur und die USA.

(2)  Richtlinien 2004/18/EG und 2004/17/EG vom 31.3.2004.

(3)  ABl. C 287 vom 22.9.1997.

(4)  Zur Frage von an Konditionen geknüpfter Entwicklungshilfe: Anne Maria La Chimia, „Effectiveness and legality issues in Development Aid Procurement for EU Member States“, European Current Law, März 2008.

(5)  ABl. C 241 vom 7.10.2002.

(6)  ABl. C 407 vom 28.12.1998.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in der durch den Beschluss 2006/512/EG geänderten Fassung in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Erster Teil“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in der durch den Beschluss 2006/512/EG geänderten Fassung in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Zweiter Teil“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in der durch den Beschluss 2006/512/EG geänderten Fassung in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Dritter Teil“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in der durch den Beschluss 2006/512/EG geänderten Fassung in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Vierter Teil“

KOM(2007) 741 endg. — 2007/0262 (COD)

KOM(2007) 824 endg. — 2007/0293 (COD)

KOM(2007) 822 endg. — 2007/0282 (COD)

KOM(2007) 71 endg. — 2008/0032 (COD)

(2008/C 224/07)

Der Rat beschloss am 21. Januar 2008, 24. Januar 2008 und 4. März 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in der durch den Beschluss 2006/512/EG geänderten Fassung in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Erster Teil“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in der durch den Beschluss 2006/512/EG geänderten Fassung in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Zweiter Teil“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in der durch den Beschluss 2006/512/EG geänderten Fassung in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Dritter Teil“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in der durch den Beschluss 2006/512/EG geänderten Fassung in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Vierter Teil“

Das Präsidium beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 11. Dezember 2007, 15. Januar 2008 und 11. März 2008 mit den Vorarbeiten.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai), Herrn PEZZINI zum Hauptberichterstatter, und verabschiedete einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Ergänzung des Komitologiesystems durch die Einführung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle und die vorgeschlagene Anpassung der vier Pakete von Richtlinien und Verordnungen an dieses Verfahren.

1.2

Der Ausschuss stellt fest, dass die von der Kommission vorgeschlagene dringende Modifizierung einiger Rechtsakte (1) im Einklang mit dem Beschluss 2006/512/EG und der gemeinsamen Erklärung bezüglich des Verzeichnisses der möglichst rasch anzupassenden Rechtsakte sowie der Aufhebung der Fristen für die Ausübung der Durchführungsbefugnisse der Kommission steht.

1.3

Der Ausschuss empfiehlt, die Verordnungen zur Anpassung von Rechtsakten an den Beschluss 2006/512/EG rechtzeitig vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon anzunehmen.

1.4

Der Ausschuss weist darauf hin, dass mit dem Vertrag von Lissabon durch die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten, delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten eine neue Normenhierarchie eingeführt wird, wobei Parlament und Rat gleichermaßen befugt sein werden, die Modalitäten für die Überwachung dieser Rechtsakte festzulegen.

1.5

Der Ausschuss betont die Bedeutung folgender Aspekte:

vollständige Beteiligung des EP;

rationalisierte und vereinfachte Verfahren;

umfassendere diesbezügliche Information des EP, sowohl für die Ausschüsse als auch bezüglich der den Ausschüssen vorgelegten Maßnahmen, und zwar in allen Phasen des Verfahrens;

die Bestätigung der Abschaffung der in einigen Rechtsakten enthaltenen zeitlichen Beschränkung der Durchführungsbefugnisse für Vorschriften, die nach dem Mitentscheidungsverfahren und dem Lamfalussy-Verfahren erlassen wurden.

1.6

Der Ausschuss bekräftigt, dass die Komitologieverfahren für die Bürgerinnen und Bürger der Union möglichst transparent und verständlich sein müssen, insbesondere für diejenigen, die durch die Rechtsakte unmittelbar betroffen sind.

1.7

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Bestimmungen von Artikel 8a des Vertrags von Lissabon strikt eingehalten werden müssen, wonach die Entscheidungen so bürgernah wie möglich zu treffen und die entsprechenden Informationen den Bürgerinnen und Bürgern und der Zivilgesellschaft voll zugänglich zu machen sind.

1.8

Schließlich fordert der Ausschuss, dass die Auswirkungen der Anwendung des neuen Verfahrens bewertet werden und dem Parlament, dem Rat und dem Ausschuss regelmäßig ein Bericht über die Wirksamkeit, Transparenz und Informationsverbreitung vorgelegt wird.

2.   Einführung

2.1

Am 17. Juli 2006 (2) änderte der Rat den Beschluss zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (3) durch Einführung einer neuen Verfahrensart, des so genannten Regelungsverfahrens mit Kontrolle. Danach kann der Gesetzgeber jetzt die Verabschiedung „quasi-legislativer“ Maßnahmen, d.h. von Maßnahmen allgemeiner Tragweite, mit denen nicht-wesentliche Bestimmungen von nach dem Mitentscheidungsverfahren angenommenen Basisrechtsakten geändert werden sollen, ablehnen, wenn er der Auffassung ist, dass der Entwurf über die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse hinausgeht, mit dem Ziel oder dem Inhalt dieses Rechtsakts unvereinbar ist oder gegen die Grundsätze der Subsidiarität oder Verhältnismäßigkeit verstößt.

2.2

Es handelt sich dabei um eine typische Bestimmung des Komitologiesystems, mit der die Verfahren festgelegt werden, nach denen die Kommission gemäß Artikel 202 EG-Vertrag die ihr übertragenen Befugnisse zur Umsetzung von Gesetzgebungsakten der Gemeinschaft ausübt, das heißt zur Umsetzung von Rechtsakten, die von Parlament und Rat bzw. nur vom Rat nach einem der im Vertrag vorgesehenen Legislativverfahren (Anhörung, Mitentscheidung, Zusammenarbeit, Zustimmung) erlassen wurden.

2.3

Die fünf Komitologie-Verfahren (Beratungsverfahren, Verwaltungsverfahren, Regelungsverfahren, Regelungsverfahren mit Kontrolle und Verfahren bei Schutzmaßnahmen) sind im Beschluss 1999/468/EG des Rates (in der durch den Beschluss 2006/512/EG geänderten Fassung) geregelt und sehen vor, dass die Kommission die Entwürfe der Durchführungsmaßnahmen mit Vertretern der nationalen Behörden besetzten Ausschüssen vorlegen muss.

2.4

Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission haben im Oktober 2006 eine gemeinsame Erklärung (4) angenommen, in der eine Reihe von bereits in Kraft befindlichen Rechtsakten aufgezählt werden, die prioritär mittels des neuen Verfahrens angepasst werden sollten. Zu begrüßen ist die Annahme des Beschlusses 2006/512/EG des Rates, mit dem ein neues Verfahren — das so genannte Regelungsverfahren mit Kontrolle — in den Beschluss 1999/468/EG aufgenommen wurde. Danach kann der Gesetzgeber eine Kontrolle über die Verabschiedung „quasi-legislativer“ Maßnahmen zur Umsetzung eines nach dem Mitentscheidungsverfahren angenommenen Rechtsakts ausüben.

2.5

Unbeschadet der Vorrechte der Rechtsetzungsbehörden erkennen das Europäische Parlament und der Rat an, dass die Grundsätze einer guten Rechtsetzung erfordern, dass der Kommission die Durchführungsbefugnisse ohne zeitliche Befristung übertragen werden. Wenn es erforderlich ist, eine Anpassung vorzunehmen, sind diese Organe jedoch der Ansicht, dass eine Klausel, durch die die Kommission ersucht wird, einen Vorschlag für die Änderung oder Aufhebung von Bestimmungen im Zusammenhang mit der Übertragung der Durchführungsbefugnisse vorzulegen, die durch den Gesetzgeber ausgeübte Kontrolle verstärken könnte.

2.6

Das neue Verfahren wird ab seinem Inkrafttreten auf die quasi-legislativen Maßnahmen angewandt, die in Rechtsakten vorgesehen sind, welche im Mitentscheidungsverfahren angenommen werden; dazu zählen auch die entsprechenden Maßnahmen zu Rechtsakten, die zukünftig im Bereich der Finanzdienstleistungen („Lamfalussy“-Rechtsakte (5)) ergriffen werden.

2.7

Damit das neue Verfahren auch für Rechtsakte gilt, die bereits in Kraft getreten sind und nach dem Mitentscheidungsverfahren erlassen wurden, müssen diese nach den geltenden Verfahren dahingehend angepasst werden, dass das Regelungsverfahren gemäß Artikel 5 des Beschlusses 1999/468/EG durch das Regelungsverfahren mit Kontrolle ersetzt wird, wenn Maßnahmen, auf die dieses letztere Verfahren Anwendung findet, erlassen werden müssen.

2.8

Im Dezember 2006 nahm die Kommission die entsprechenden 25 Vorschläge (6) an, zu denen der Ausschuss bereits Stellung genommen hat (7).

2.8.1

Ist in einem nach dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags erlassenen Basisrechtsakt vorgesehen, dass Maßnahmen von allgemeiner Tragweite angenommen werden, die eine Änderung von nicht wesentlichen Bestimmungen dieses Rechtsakts bewirken, einschließlich durch Streichung einiger dieser Bestimmungen oder Hinzufügung neuer nicht wesentlicher Bestimmungen, so werden diese Maßnahmen nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

2.8.2

Der Vertreter der Kommission legt einem Regelungskontrollausschuss, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt und in dem der Vertreter der Kommission den Vorsitz führt, einen Entwurf der Maßnahmen vor, die angenommen werden sollen.

2.8.3

Stehen die von der Kommission beabsichtigten Maßnahmen mit der Stellungnahme des Ausschusses im Einklang, so findet folgendes Verfahren Anwendung:

Die Kommission unterbreitet dem Europäischen Parlament und dem Rat unverzüglich den Entwurf von Maßnahmen zur Kontrolle.

Der Erlass dieses Entwurfs durch die Kommission kann vom Europäischen Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder oder vom Rat mit qualifizierter Mehrheit abgelehnt werden, wobei diese Ablehnung begründet sein muss.

Spricht sich das Europäische Parlament oder der Rat innerhalb von drei Monaten nach seiner Befassung gegen den Entwurf von Maßnahmen aus, so werden diese nicht von der Kommission erlassen. In diesem Fall kann die Kommission dem Ausschuss einen geänderten Entwurf von Maßnahmen unterbreiten oder einen Vorschlag für einen Rechtsakt auf der Grundlage des Vertrags vorlegen.

Hat sich nach Ablauf dieser Frist weder das Europäische Parlament noch der Rat gegen den Entwurf von Maßnahmen ausgesprochen, so werden sie von der Kommission erlassen.

2.8.4

Stehen die von der Kommission beabsichtigten Maßnahmen nicht mit der Stellungnahme des Ausschusses im Einklang oder liegt keine Stellungnahme vor, so findet folgendes Verfahren Anwendung:

Die Kommission unterbreitet dem Rat unverzüglich einen Vorschlag für die zu ergreifenden Maßnahmen und übermittelt diesen Vorschlag gleichzeitig dem Europäischen Parlament.

Der Rat befindet innerhalb von zwei Monaten nach seiner Befassung mit qualifizierter Mehrheit über diesen Vorschlag.

Spricht sich der Rat innerhalb dieser Frist mit qualifizierter Mehrheit gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen aus, so werden diese nicht erlassen. In diesem Fall kann die Kommission dem Rat einen geänderten Vorschlag unterbreiten oder einen Vorschlag für einen Rechtsakt auf der Grundlage des Vertrags vorlegen.

Beabsichtigt der Rat den Erlass der vorgeschlagenen Maßnahmen, so unterbreitet er diese unverzüglich dem Europäischen Parlament. Befindet der Rat nicht innerhalb der genannten Frist von zwei Monaten, so unterbreitet die Kommission dem Europäischen Parlament unverzüglich die Maßnahmen.

Der Erlass dieser Maßnahmen kann vom Europäischen Parlament innerhalb einer Frist von vier Monaten ab Übermittlung des Vorschlags mit der Mehrheit seiner Mitglieder abgelehnt werden, wobei diese Ablehnung darin begründet sein muss:

dass die vorgeschlagenen Maßnahmen über die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse hinausgehen

oder dass diese Maßnahmen mit dem Ziel oder dem Inhalt des Basisrechtsakts unvereinbar sind

oder dass sie gegen die Grundsätze der Subsidiarität oder Verhältnismäßigkeit verstoßen.

Spricht sich das Europäische Parlament innerhalb dieser Frist gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen aus, so werden diese nicht erlassen. In diesem Fall kann die Kommission dem Ausschuss einen geänderten Entwurf von Maßnahmen unterbreiten oder einen Vorschlag für einen Rechtsakt auf der Grundlage des Vertrags vorlegen.

Hat sich das Europäische Parlament nach Ablauf der genannten Frist nicht gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen ausgesprochen, so werden sie je nach Fall vom Rat oder von der Kommission erlassen.

2.9

Die vorliegenden Vorschläge für Verordnungen dienen der erforderlichen Anpassung von Rechtsakten, die bereits gemäß dem Verfahren nach Artikel 251 EG-Vertrag erlassen wurden, und betreffen in Übereinstimmung mit den geltenden Verfahren folgende Bereiche: Landwirtschaft, Beschäftigung, humanitäre Hilfe, Unternehmenspolitik, Umwelt, europäische Statistik, Binnenmarkt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Energie und Verkehr, Informationsgesellschaft.

3.   Die Vorschläge der Europäischen Kommission

3.1

Die Kommissionsvorschläge betreffen die Änderung von Verordnungen und Richtlinien (8), für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, um diese Rechtsakte an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in der durch den Beschluss 2006/512/EG geänderten Fassung anzupassen.

3.2

Dabei geht es gemäß den Prioritäten der Gemeinschaftspolitik auf dem Gebiet der besseren Rechtsetzung (9) im Prinzip lediglich darum, gemäß Artikel 251 EG-Vertrag die zur ordnungsgemäßen Anwendung des besagten Rechtsakts erforderlichen Anpassungen und Änderungen vorzunehmen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss befürwortet voll und ganz die im Vertrag von Lissabon vorgenommene Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Durchführungsakten, die eine Neudefinierung der delegierten Rechtsakte bewirkt, zur Vereinfachung und Rationalisierung der Rechtsetzungs- und Regulierungstätigkeit der Gemeinschaft (10) beiträgt und die demokratische parlamentarische Kontrolle der Durchführungsbefugnisse der Kommission ermöglicht.

4.2

Der Ausschuss begrüßt daher die Ergänzung des Komitologiesystems durch die Einführung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle, das es dem Rat und dem Parlament gestattet, die Durchführungsvorschriften zu kontrollieren und gegebenenfalls zu modifizieren, die die Kommission in den Fällen selbst festlegt, in denen ihr durch den Rechtsakt Durchführungsbefugnisse in einigen Bereichen eingeräumt werden, wobei sie jedoch nicht zu inhaltlichen Änderungen ermächtigt wird.

4.3

Der Ausschuss empfiehlt, die Verordnungen zur Anpassung der vier Pakete von Richtlinien und Verordnungen an den Beschluss 2006/512/EG rechtzeitig vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon anzunehmen.

4.4

Der Ausschuss weist darauf hin, dass mit dem Vertrag von Lissabon durch die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten, delegierten Rechtsakten and Durchführungsrechtsakten (11) eine neue Normenhierarchie eingeführt wird, wobei allerdings die aktuelle Terminologie (Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen/Beschlüsse) beibehalten wird. Parlament und Rat werden gleichermaßen befugt sein, die Modalitäten für die Überwachung von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten festzulegen (Komitologie) (12).

4.5

Der Ausschuss betont die Bedeutung folgender Aspekte:

vollständige Beteiligung des EP, das das Recht hat, eine Entscheidung in letzter Instanz abzulehnen;

Verringerung der Zahl und Komplexität der Komitologieverfahren;

umfassendere diesbezügliche Information des EP, sowohl für die Ausschüsse als auch bezüglich der den Ausschüssen vorgelegten Maßnahmen, und zwar in allen Phasen des Verfahrens;

ein Verfahren der Konsultation des EP durch den Rat, sobald dieser bei einem Konflikt zwischen der Kommission und den Fachausschüssen mit einem Entwurf für einen Durchführungsrechtsakt befasst wird;

eine stärkere Rolle für das EP durch ein Verfahren der Konzertierung zwischen Parlament und Rat bei ablehnender Stellungnahme des Parlaments,

die Bestätigung der Abschaffung der in einigen Rechtsakten enthaltenen zeitlichen Beschränkung der Durchführungsbefugnisse für Vorschriften, die nach dem Mitentscheidungsverfahren und dem Lamfalussy-Verfahren erlassen wurden.

4.6

Der Ausschluss bekräftigt seine Ansicht, „dass die Komitologieverfahren, an denen lediglich Vertreter der Europäischen Kommission sowie Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten beteiligt sind und die je nach der Art des eingesetzten Ausschusses der Umsetzung, Konsultation oder einer aus der Überwachung und Anwendung der Rechtsakte resultierenden Regelung dienen, für die Bürgerinnen und Bürger der Union transparenter und verständlicher sein müssen, insbesondere für diejenigen, die durch die Rechtsakte unmittelbar betroffen sind“ (13).

4.7

Der Ausschuss weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Bestimmungen von Artikel 8a des Vertrags von Lissabon strikt eingehalten werden müssen, wonach die Entscheidungen so bürgernah wie möglich zu treffen und die entsprechenden Informationen den Bürgerinnen und Bürgern und der Zivilgesellschaft voll zugänglich zu machen sind.

4.8

Schließlich ist es nach Ansicht des Ausschlusses erforderlich, dass die Auswirkungen der Anwendung des neuen Verfahrens bewertet werden und dem Parlament, dem Rat und dem Ausschuss regelmäßig ein Bericht über die Wirksamkeit, Transparenz und die benutzerfreundliche Verbreitung und Zugänglichkeit von Informationen über alle delegierten Rechtsakte der Gemeinschaft vorgelegt wird, damit eine Kontrolle dieses zwischen Regelung und Durchführung angesiedelten Verfahrens möglich ist.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2006) 901 endg. bis KOM(2006) 926 endg.

(2)  Beschluss 2006/512/EG (ABl. L 200 vom 22.7.2006).

(3)  Beschluss 1999/468/EG (ABl. L 184 vom 17.7.1999).

(4)  ABl. C 255 vom 21.10.2006.

(5)  Das so genannte Lamfalussy-Verfahren ist ein Beschlussfassungsverfahren für die Annahme und Umsetzung von Gesetzgebungsakten der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen (Wertpapiere, Banken und Versicherungen). Dieses Verfahren sieht insbesondere die Gliederung des Beschlussfassungsprozesses in vier Stufen vor:

Auf der ersten Stufe erfolgt die eigentliche Rechtsetzungstätigkeit (Erlass von Verordnungen oder Richtlinien nach dem Mitentscheidungsverfahren). In dieser Phase hört die Kommission bei Fragen im Zusammenhang mit dem Wertpapiersektor zunächst den Europäischen Wertpapierausschuss (ESC), der mit Vertretern aller Mitgliedstaaten besetzt ist, bevor sie entsprechende Legislativvorschläge vorlegt.

Auf der zweiten Stufe greifen die Durchführungsbestimmungen, welche die Kommission kraft der ihr im Basisrechtsakt übertragenen Befugnisse nach dem Regelungsverfahren (jetzt Regelungsverfahren mit Kontrolle) ausarbeitet. In dieser Phase holt die Kommission zunächst die technische Stellungnahme des Ausschusses der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) ein, der sich aus Vertretern der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden zusammensetzt, und legt dann dem Europäischen Wertpapierausschuss (ESC) einen Entwurf der Durchführungsbestimmungen vor, welcher ebenfalls dazu Stellung nimmt.

Auf der dritten Stufe des Entscheidungsverfahrens findet, soweit der Wertpapiersektor betroffen ist, im CESR eine Abstimmung informeller Art der Maßnahmen der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden für den Wertpapiersektor statt, um sicherzustellen, dass diese Aufsichtsbehörden sich die auf den ersten beiden Stufen angenommenen Bestimmungen einheitlich und kohärent zu Eigen machen.

Auf der vierten Stufe erfolgt schließlich die gesetzes- und verwaltungstechnische Umsetzung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten sowie die entsprechende Kontrolle durch die Europäische Kommission.

(6)  KOM(2006) 901 endg. bis KOM(2006) 926 endg.

(7)  Stellungnahme CESE 418/2007 vom 14.03.2007, Berichterstatter: Herr Retureau.

(8)  Siehe KOM(2007) 741 endg., S. 6, Allgemeine Liste.

(9)  Stellungnahme CESE 1068/2005 vom 28.09.2005, Berichterstatter: Herr Retureau, und Stellungnahme CESE 1069/2005 vom 6.10.2005, Berichterstatter: Herr Van Iersel.

(10)  Bericht des EP über den Vertrag von Lissabon, 18.02.2008, Berichterstatter: Richard Corbett (SPE, UK) und Íñigo Méndez de Vigo (EVP-DE, ES).

(11)  Artikel 249-249d AEUV.

(12)  Artikel 249b und 249c AEUV.

(13)  Stellungnahme ABl. C 161 vom 13.7.2007, S. 48, Berichterstatter: Herr Retureau.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2008) 98 endg. — 2008/0049 (COD)

(2008/C 224/08)

Der Rat beschloss am 22. April 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht“ (kodifizierte Fassung)

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 80 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Grünbuch: Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“

KOM(2007) 551 endg.

(2008/C 224/09)

Die Europäische Kommission beschloss am 25. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Grünbuch: Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 8. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr HERNÁNDEZ BATALLER, Mitberichterstatter Herr BARBADILLO LÓPEZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Im Bereich der Politik für städtische Mobilität müssen Prioritäten insbesondere hinsichtlich der Stadtplanung, der Informationsgesellschaft und der IKT, der bewährten Verfahrensweisen vor allem bei der Einrichtung von Fußgänger- und Fahrradzonen und der Einführung eines integrierten Infrastrukturkonzepts aufgestellt werden.

1.2

Der EWSA unterstützt die Kommission und hofft, dass sie Gemeinschaftsmaßnahmen zur Förderung der Mobilität und allem voran eines kollektiven Verkehrs, der einen hohen Qualitätsstandard und den Nutzern ein hohes Schutzniveau bietet, anstoßen wird, die Fahrradfahren und Zufußgehen begünstigen.

1.3

Dazu sind eine geeignete und kompakte Stadtplanung und eine Begrenzung der Nachfrage nach motorisiertem Individualverkehr anhand eines kohärenten und vernünftigen Raumordnungs- und Stadtplanungskonzepts erforderlich.

1.4

Unabhängig von der Annahme anderer Maßnahmen sollten die Richtlinien 85/377/EWG und 2001/42/EG im Sinne der in dieser Stellungnahme vorgetragenen Bemerkungen geändert werden.

1.5

Der EWSA befürwortet eine Förderung der „grünen Beschaffung“ bei der Vergabe von Aufträgen in Zusammenhang mit Infrastrukturen, die mit europäischen Programmen finanziert werden, sowie die Beseitigung der bestehenden Hemmnisse.

1.6

Die Schaffung einer Beobachtungsstelle für die nachhaltige Mobilität in der Stadt würde einen Mehrwert bringen, da sie Daten erheben und den Erfahrungsaustausch fördern könnte.

1.7

Der EWSA hält für die Harmonisierung der Kriterien zur Gebührenberechnung sowie der statistischen Daten einen allgemeinen Rahmen auf europäischer Ebene für erforderlich.

2.   Einführung

2.1

In den vergangenen Jahren ist das Verkehrsaufkommen sowohl in den Städten als auch außerorts allgemein stark gewachsen und es hat sich vielfach ein dramatischer Wandel im sog. Modal-Split ergeben: Immer mehr Fahrten werden mit Autos und real bzw. vergleichsweise immer weniger mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt.

2.2

Die Europäische Kommission hat im Jahr 2006 anlässlich der Vorlage der Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch (1) ihre Absicht bekundet, ein Grünbuch zum Nahverkehr vorzulegen, und hat in den vergangenen Monaten eine umfassende öffentliche Anhörung durchgeführt, in deren Verlauf sich auch der EWSA diesbezüglich geäußert hat (2).

2.2.1

Der EWSA hält ein Tätigwerden der Gemeinschaft im Bereich der städtischen Mobilität für notwendig und sinnvoll; die gemeinschaftliche Beschlussfassung (3) bringt einen europäischen Mehrwert, der sich in einer Vielzahl verbindlicher und nichtverbindlicher Maßnahmen niederschlagen kann.

3.   Der Inhalt des Grünbuchs: Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt

3.1

Die von der Kommission durchgeführte Anhörung hat bestätigt, dass hinsichtlich der Formulierung einer wirklichen europäischen Politik für die Mobilität in der Stadt hohe Erwartungen gehegt werden.

3.2

Die Mobilität in der Stadt überdenken bedeutet, die Nutzung aller Verkehrsträger zu optimieren und die Ko-Modalität zwischen den Verkehrsmitteln des kollektiven Verkehrs (Zug, Straßenbahn, U-Bahn, Bus, Taxi) und zwischen den verschiedenen Arten des Individualverkehrs (PKW, Motorrad, Fahrrad, Fußgänger usw.) zu organisieren.

3.3

Die Mobilität in der Stadt ist als wichtiges Element zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung anerkannt und hat maßgebliche Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung in der EU.

3.4

Der europäische Mehrwert kann unterschiedliche Gestalt annehmen: Förderung des Austauschs vorbildlicher Praktiken auf allen Ebenen (lokal, regional oder national); Flankierung der Ausarbeitung gemeinsamer Normen und gegebenenfalls Harmonisierung von Normen; finanzielle Unterstützung derjenigen, die sie am dringendsten benötigen; Förderung von Forschungsarbeiten, deren Anwendungen eine Verbesserung des Umweltschutzes und der Sicherheit der Mobilität ermöglichen; Vereinfachung der Rechtsvorschriften und, in bestimmten Fällen, Aufhebung geltender oder Einführung neuer Rechtsvorschriften.

3.5

In dem Grünbuch wird anhand von 25 Fragen dargelegt, wie die Herausforderungen der Schaffung eines flüssigen Verkehrs in der Stadt, grünerer Städte, eines intelligenteren, zugänglichen und sicheren Nahverkehrs und einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt angegangen werden können, und welche Ressourcen dafür erforderlich sind. Leider versäumt es die Kommission jedoch, eine Reihe konkreter vertikaler und horizontaler Maßnahmen zum Stadtverkehr vorzuschlagen.

4.   Antworten auf die im Grünbuch gestellten Fragen

Mit dieser Stellungnahme sollen alle Fragen der Kommission beantwortet werden.

4.1   Frage 1: Sollte ein Kennzeichnungssystem in Erwägung gezogen werden, um die Anstrengungen von Vorreiterstädten bei der Staubekämpfung und der Verbesserung der Lebensbedingungen anzuerkennen?

4.1.1

Nach Ansicht des EWSA könnte ein Kennzeichnungssystem eingerichtet werden, das den bereits vorhandenen Systemen Rechnung trägt und mit diesen vereinbar ist.

4.1.2

Es wäre sinnvoll, wenn die Kommission auf gemeinschaftlicher Ebene objektive Indikatoren für Leistung, Planung und Entwicklung aufstellen würde, wodurch ein harmonisierter Bezugsrahmen geschaffen würde.

4.1.3

Außerdem könnten freiwillige Qualitätslabels, wie sie beispielsweise im Bereich der Fremdenverkehrspolitik zum Einsatz kommen, anstelle von Anreizen vorgesehen werden.

4.1.4

In jedem Fall müssen sich die eingerichteten Systeme auf objektive und transparente Kriterien stützen und regelmäßig bewertet und gegebenenfalls überarbeitet sowie ausreichend beworben werden.

4.2   Frage 2: Welche Maßnahmen könnten getroffen werden, um Gehen und Radfahren als echte Alternativen zum Auto zu fördern?

4.2.1

In Anbetracht ihres Anteils an der Mobilität können Zufußgehen und Radfahren im Allgemeinen nicht als Alternative zum motorisierten Individualverkehr betrachtet werden, es sei denn, der Arbeitsplatz und der Wohnort liegen sehr dicht beieinander und die Wetterbedingungen sind entsprechend gut. Darüber hinaus ist Radfahren keine universelle Fortbewegungsmethode, da sie Personen mit eingeschränkter Mobilität, Menschen mit Behinderungen, Kinder und ältere Menschen ausschließt. In Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr könnten sich das Zufußgehen und Radfahren in einigen Städten jedoch zu gangbaren Alternativen entwickeln.

4.2.2

Die Gemeinden sollten nachhaltige Nahverkehrspläne ausarbeiten, die Fahrradwege einschließen, mit dem verbindlichen Ziel einer Verlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsmittel, die noch festzulegende europäische Mindestauflagen erfüllen. Diese Pläne sollten Konstellationen unzureichender Sicherheit für die Fußgänger angehen und Konfliktsituationen zwischen den einzelnen Verkehrsträgern vermeiden.

4.2.3

Zu diesem Zweck sollte ein quantitatives Ziel vorgegeben werden, um den Anteil des öffentlichen Personenverkehrs und des Rad- und Fußgängerverkehrs zu steigern. Werden solche Pläne nicht ausgearbeitet, sollte dies den Ausschluss von finanzieller Unterstützung aus Gemeinschaftsmitteln nach sich ziehen. Die Kommission sollte außerdem die in diesen Plänen enthaltenen Daten in Bezug auf Grünflächen und Fahrradwege prüfen.

4.3   Frage 3: Was könnte getan werden, um eine Verkehrsverlagerung zu nachhaltigen Verkehrsträgern in den Städten zu fördern?

4.3.1

Die Möglichkeiten hängen weitgehend von der Größe (Ausdehnung und Einwohnerzahl) der Stadt ab, denn es ist zu betonen, dass das Problem der Umweltverschmutzung auch auf eine unzulängliche Raumplanung zurückzuführen ist und nicht nur auf den Verkehr.

4.3.2

Prüfung des Problems und der möglichen Lösungen, die Raum- und Stadtplanung bieten; Einrichtung sicherer öffentlicher Parkplätze am Stadtrand; arterielles Netz von Sonderspuren für die Verkehrsmittel des kollektiven Verkehrs mit Anbindung an die unterschiedlichen Verkehrsträger (PKW-Parkplätze, Eisenbahn und U-Bahn) durch den Bau von Umsteigebahnhöfen, die die Intermodalität fördern, so dass das Umsteigen erleichtert wird, und die Verbesserung der Dienstleistungsqualität, um die kollektiven Verkehrsmittel für die Nutzer attraktiv zu machen.

4.3.3

Hinsichtlich des Güterverkehrs sollte die Kommission den Austausch vorbildlicher Praktiken im Bereich der Stadtlogistik fördern, wie beispielsweise der in der italienischen Stadt Siena angewandten Verfahrensweisen, wo Genehmigungen für den Güterverkehr ausschließlich mit zeitlicher Begrenzung erteilt werden.

4.4   Frage 4: Wie könnte die Nutzung umweltfreundlicher und energieeffizienter Technologien im Nahverkehr weiter ausgebaut werden?

4.4.1

Durch die Formulierung einer Steuerpolitik im Verkehrsbereich, die die Anschaffung, Einführung und Nutzung der neuen Technologien fördert, mit deren Hilfe sich die Umweltverschmutzung verringern und die Energieeinsparung steigern lässt.

4.4.2

Durch das Sammeln von Informationen über das Umweltverhalten der Städte: Berechnung der Emissionen der Verkehrsträger pro Einwohner und jährliche Kampagnen zur Bekanntmachung der Ergebnisse.

4.5   Frage 5: Wie könnte eine umweltbewusste gemeinsame Beschaffung gefördert werden?

4.5.1

Indem bei der Vergabe von Aufträgen in Zusammenhang mit Infrastrukturen, die mit europäischen Programmen finanziert werden, die „grüne Beschaffung“ gefördert wird und bestehende Hemmnisse ausgeräumt werden (4).

4.5.2

Auf Gemeinschaftsebene sollten gemeinsame Normen festgelegt bzw. bestehende Normen erforderlichenfalls harmonisiert werden.

4.6   Frage 6: Sollten für die Festlegung „grüner Zonen“ und damit zusammenhängender Verkehrsbeschränkungen Kriterien oder Leitlinien herausgegeben werden? Auf welche Weise lässt sich ihre Vereinbarkeit mit einem ungehinderten Verkehr am besten sicherstellen? Gibt es Probleme bei der grenzübergreifenden Durchsetzung lokaler Bestimmungen für „grüne Zonen“?

4.6.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Zugang zu diesen Zonen stark eingeschränkt werden sollte. Doch besteht Harmonisierungsbedarf, um zu vermeiden, dass durch unterschiedliche Bestimmungen die Bewegungsfreiheit der Menschen behindert und die Mobilität in der Stadt unnötig beeinträchtigt wird.

4.7   Frage 7: Wie könnte eine umweltfreundliche Fahrweise weiter gefördert werden?

4.7.1

Die umweltfreundliche Fahrweise sollte in gebührendem Maße in den vorgeschriebenen Programmen für die Grundausbildung und Weiterbildung der Fahrer berücksichtigt werden. Außerdem sollten den Unternehmen, die Vorkehrungen zur Kontrolle und Messung der Fahrweise treffen, Steuervergünstigungen gewährt werden. Die Richtlinie betreffend den Fahrunterricht könnte entsprechend angepasst werden.

4.8   Frage 8: Sollten bessere Informationsdienste für Fahrgäste/Reisende entwickelt und gefördert werden?

4.8.1

Ja, und zwar in Bezug auf die Sicherheit der Fahrgäste, die Warte- und die Fahrzeit, das Verhalten der Fahrgäste in Notfallsituationen sowie alle existierenden Verkehrsverbindungen und die entsprechenden Bedingungen.

4.9   Frage 9: Werden weitere Maßnahmen benötigt, um die Normung von Schnittstellen und die Interoperabilität von IVS-Anwendungen in Städten zu gewährleisten? Welche Anwendungen sollten bei diesen Maßnahmen Vorrang genießen?

4.9.1

Die verschiedenen Intelligenten Verkehrssysteme (IVS) sollten völlig miteinander kompatibel sein, so dass unterschiedliche Techniken eingesetzt werden können, insbesondere im Hinblick auf die verschiedenen Fahrausweise, was das Umsteigen erleichtern und den Zugang zu den Verkehrsmitteln beschleunigen würde, wodurch wiederum die Reisegeschwindigkeit der kollektiven Verkehrsmittel erhöht würde. Es ist wichtig, dass die IVS stets mit den technologischen Fortschritten Schritt halten, damit sie nicht innerhalb kurzer Zeit veralten und entsprechend amortisiert werden können.

Nach Ansicht des EWSA sollten die IKT dazu eingesetzt werden, den Verkehrsfluss und die Organisation der Transportabläufe zu verbessern.

4.10   Frage 10: Wie kann hinsichtlich IVS der Austausch von Informationen und vorbildlichen Praktiken zwischen allen Beteiligten verbessert werden?

4.10.1

Durch die Veröffentlichung eines digitalen Katalogs bewährter Praktiken im Bereich der IVS, der kontinuierlich aktualisiert wird und per Internet konsultiert werden kann.

4.11   Frage 11: Wie kann die Qualität des kollektiven Verkehrs in den Städten Europas verbessert werden?

4.11.1

Durch die Schaffung von Stellen zur Koordinierung der verschiedenen kollektiven Verkehrsdienste und die Einrichtung integrierter Preissysteme sowie die Forderung optimaler Verkehrsausrüstungen (umweltfreundlicher und für Personen mit eingeschränkter Mobilität geeignet), die Erhöhung der Zahl der Fahrten oder der Frequenz zur Verringerung der Wartezeit der Fahrgäste, die Einrichtung von Bussteigen (Verbesserung von Sicherheit, Komfort und Geschwindigkeit und geringerer Energieverbrauch, was weniger Umweltverschmutzung bedeutet), den Bau von Umsteigebahnhöfe zur Erleichterung des Umsteigens, eine bessere Ausbildung der in diesem Sektor Beschäftigten, eine bessere Information und stärkere Sensibilisierung der Nutzer, die Schaffung von Infrastrukturen zur richtigen Lenkung des Durchgangsverkehrs in den Städten, den Bau von Park & Ride-Anlagen und die Förderung ihrer Nutzung, eine Ampelschaltung, die den öffentlichen Verkehrsträgern Vorfahrt gewährt, und die Schaffung geeigneter Zonen für das sichere Ein- und Aussteigen der Fahrgäste.

4.11.2

Eine Methode, die sich hier als besonders wirksam erweisen würde, besteht darin, die Auswirkungen, die bestimmte Pläne, Programme und Projekte auf die Mobilität haben sollen, zu bewerten.

4.11.3

In diesem Zusammenhang sei auf das Urteil des EuGH (Rechtssache C-332/04) in Bezug auf die fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung bei einem Vorhaben zum Bau eines Einkaufs- und Freizeitzentrums im Stadtgebiet verwiesen: seine Auswirkung auf die Umwelt und die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung wurden an dem geschätzten Volumen der Nutzer individueller Verkehrsmittel festgemacht.

4.11.4

Daher könnte eine Änderung der geltenden Richtlinien in dreierlei Hinsicht erwogen werden:

4.11.4.1

In Anhang III der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten werden die Kriterien aufgeführt, die die Mitgliedstaaten anwenden müssen, um festzustellen, ob bestimmte Projekte erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.

Es wird vorgeschlagen, in Absatz 1 von Anhang III einen neuen Spiegelstrich mit einem ausdrücklichen Verweis auf die Zweckbestimmung der Mobilitätskarte (geschätzte Zahl der Nutzer der Anlagen, Wohnort usw.) hinzuzufügen.

4.11.4.2

Zweitens werden im Anhang die Angaben aufgeführt, die bei der Umweltverträglichkeitsprüfung vorgelegt werden müssen.

Der EWSA schlägt vor:

a)

einen neuen Spiegelstrich zu Absatz 4 von Anhang III hinzuzufügen oder den vorhandenen dritten Spiegelstrich so abzuändern, dass der Projektträger verpflichtet wird, spezifische Angaben zu den durch die üblichen Anlagennutzer verursachten verkehrsbedingten Emissionen zu machen;

b)

Absatz 5 von Anhang III so auszuweiten, dass nicht nur der Durchführung des Projekts Rechnung getragen wird, sondern auch dem späteren Betrieb der Anlagen und den Abhilfemaßnahmen in Bezug auf die verkehrsbedingten Emissionen im Zusammenhang mit diesen Anlagen.

Schließlich sollte Anhang III Absatz 1, 4 und 5 der Richtlinie 85/337/EWG in diesem Sinn geändert werden.

4.11.4.3

Drittens könnten in Bezug auf die Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme ähnliche Hinzufügungen (im Umweltbericht erforderliche zwingende Kriterien und Informationen in Bezug auf die Mobilität und die Verkehrsmittel) vorgenommen werden. Dementsprechend sollten die Auswirkungen der Pläne auf die Mobilität ausdrücklich in Anhang I Buchstabe f) und Anhang II Absatz 2 aufgenommen werden.

4.12   Frage 12: Sollte die Bereitstellung gesonderter Spuren für den kollektiven Verkehr gefördert werden?

4.12.1

Ja, dies ist eine unerlässliche Maßnahme, die sich stark auf die Mobilität auswirkt. Gesonderte Spuren oder Bahnsteige bedeuten höhere Sicherheit und Geschwindigkeit, weniger Staus und einen geringeren Energieverbrauch sowie einen größeren Komfort für die Fahrgäste. Diese Maßnahme trägt zur Schaffung von Anreizen für die PKW-Nutzer bei.

4.13   Frage 13: Besteht die Notwendigkeit, eine europäische Charta der Rechte und Pflichten der Fahrgäste im kollektiven Verkehr einzuführen?

4.13.1

Die Stärkung der Rechte und Pflichten der Fahrgäste ist wesentlich, um dafür zu sorgen, dass die Dienstleistungsqualität im kollektiven Verkehr verbessert wird (Häufigkeit, Pünktlichkeit, Komfort für sämtliche Fahrgastkategorien, Sicherheit, Preispolitik usw.). Der Ausschuss drängt darauf, dies zu tun, allerdings müssen dabei stets die Eigenschaften der einzelnen Verkehrsträger berücksichtigt werden, insbesondere derjenigen, die sich die Infrastrukturen mit anderen teilen.

4.13.2

Angesichts der Fragmentierung des einschlägigen Regelwerks in unterschiedliche Rechtsakte und für die einzelnen Verkehrsträger sollten sämtliche Rechte der Nutzer des kollektiven Verkehrs in einer „Charta der Rechte“ zusammengefügt werden, wobei genügend Spielraum gelassen werden sollte, damit die Charta von den Mitgliedstaaten und im Rahmen der Selbstregulierung durch Verhaltenskodizes (5), die von den Wirtschaftsakteuren und den Akteuren der Zivilgesellschaft (Verbraucher-, Umweltschutz- und Unternehmensverbänden, Gewerkschaften usw.) unterzeichnet werden, ergänzt werden kann. Der EWSA betont, wie wichtig der Dialog zwischen diesen Organisationen und den Unternehmen des kollektiven Verkehrs ist, insbesondere zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität.

Auf Gemeinschaftsebene sollten Maßnahmen ergriffen und durch entsprechende Maßnahmen der Mitgliedstaaten und der Organisationen der Zivilgesellschaft ergänzt werden, um die in den verschiedenen Rechtstexten verankerten Rechte neu zu formulieren und zu konsolidieren. Der EWSA hält flexible und einfache Mechanismen und Instrumente zur Durchsetzung der Nutzerrechte für erforderlich.

4.14   Frage 14: Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um Personen- und Güterverkehr in Forschung und städtischer Mobilitätsplanung besser zu integrieren?

4.14.1

Bei den Nahverkehrsplänen für die großstädtischen Ballungsgebiete muss sowohl dem Personen- als auch dem Güterverkehr Rechnung getragen werden, damit die Güterverteilung nicht die Mobilität der Personen beeinträchtigt.

4.14.2

Zu diesem Zweck muss die Überwachung von Be- und Entladungszonen personell verstärkt werden.

4.14.3

Schaffung von Mechanismen zur Vereinfachung und Beschleunigung der Systeme zur Meldung von Zuwiderhandlungen, so dass ein widerrechtlich abgestelltes Fahrzeug so rasch wie möglich aus der reservierten Zone entfernt und diese wieder genutzt werden kann.

4.14.4

Schaffung wirksamer Mechanismen zur Ahndung von Verstößen, vom Abschleppen des Fahrzeugs bis hin zur effektiven Eintreibung von Bußgeldern.

4.14.5

Informations- und Sensibilisierungskampagne für die Bürger mit dem Ziel, die Akzeptanz der Öffentlichkeit und deren Mitwirkung bei der Erfüllung der festgelegten Ziele zu erreichen. Zu den Zielen dieser Kampagne gehört es, die örtlichen Ladenbesitzer dazu zu bringen, bei der Überwachung der Be- und Entladezonen mitzuhelfen, indem ihnen klar gemacht wird, dass ein rechtswidriges Abstellen von Fahrzeugen in diesen Zonen ihrem Geschäft schaden kann.

4.14.6

Eine stärker im Einklang mit der zumeist für das Be- und Entladen tatsächlich benötigten Zeit stehende Begrenzung der in den entsprechenden Zonen erlaubten Parkzeit. Es könnte die Möglichkeit vorgesehen werden, eine Sondergenehmigung zur Verlängerung der erlaubten Parkzeit zu beantragen, um nicht bestimmte Transporte (z.B. Umzüge) zu benachteiligen, bei denen mehr Zeit zum Be- und Entladen der Waren erforderlich ist. Es könnten auch bestimmte „Zeitfenster“ für das Be- und Entladen vorgesehen werden.

4.15   Frage 15: Wie kann eine bessere Koordinierung zwischen dem Nah- und Regionalverkehr und der Flächennutzungsplanung erreicht werden? Welche Art von Organisationsstruktur könnte geeignet sein?

Durch eine angemessene Koordination in folgenden Bereichen:

a)

zwischen den zuständigen Stellen

Die Schaffung von Verkehrskoordinierungsstellen in einigen europäischen Städten hat mit großem Erfolg zur Koordination und Planung des Verkehrs in diesen Städten und zum Ausbau effizienter und leistungsfähiger Qualitätsdienstleistungen beigetragen.

Hinsichtlich der Koordination mit den anderen Verkehrsträgern muss für größere Transparenz bei der Aufteilung der Kosten auf die unterschiedlichen öffentlichen Verkehrsmittel gesorgt werden.

Die regionalen Verkehrsdienste sollten über die erforderlichen Infrastrukturen für den Anschluss an andere Verkehrsträger verfügen, um das Umsteigen zwischen den verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln zu erleichtern und so zu vermeiden, dass die Fahrgäste ein zusätzliches Verkehrsmittel nehmen müssen, um von einem Verkehrsträger zu einem anderen wechseln zu können.

b)

Koordination mit den Planungsinstrumenten

Die Mobilitätsfolgenabschätzung bei bestimmten Plänen und Vorhaben wurde bereits in dem einschlägigen Urteil des Gerichtshofs vom 16. März 2006 (Rechtssache C-332/04) gefordert: die Verpflichtung, eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen, ergab sich im Wesentlichen aus den erwarteten Auswirkungen auf die Mobilität. Dennoch ist dieses Kriterium noch nicht in positives Recht gefasst worden.

Folglich sollten die Vorschriften für die Umweltfolgenabschätzungen in zweierlei Hinsicht abgeändert werden, um u.a. die Auswirkungen des Plans oder Programms auf die Mobilität zu bewerten. Insbesondere werden Änderungen vorgeschlagen, die sich aus der Antwort auf Frage 11 ergeben.

Es muss eine kohärente strategische Raumordungspolitik betrieben werden, um eine rationelle Flächennutzung durch die regionalen Gebietskörperschaften sicherzustellen.

4.16   Frage 16: Welche weiteren Maßnahmen sollten ergriffen werden, um Städten zu helfen, die Herausforderungen bei der Straßenverkehrssicherheit und bei der persönlichen Sicherheit im Nahverkehr zu meistern?

4.16.1

Straßensicherheit: Auf europäischer Ebene sollten bewährte Praktiken und ein intensiverer und besser strukturierter Dialog mit den regionalen und lokalen Akteuren und den Mitgliedstaaten über die neuen Technologien, insbesondere IVS, gefördert werden, um die Sicherheit zu verbessern. Darüber hinaus sollte das Niveau der Fahrausbildung der in diesem Sektor Tätigen erhöht werden. Auch sollte die Ergreifung abschreckender Maßnahmen reguliert werden, damit nicht Verstöße im grenzüberschreitenden Verkehr ungestraft bleiben.

4.16.2

Persönlicher Schutz: Um vorbildliche Praktiken zu fördern, sollten die physische Präsenz der Polizei in den Verkehrsmitteln des kollektiven Verkehrs erhöht werden, vor allem nachts und auf Linien, die Viertel mit höherer Konfliktrate und sozialer Ausgrenzung bedienen; des Weiteren sollten die Informationstechnologien stärker eingesetzt und die Nutzer besser informiert werden.

4.17   Frage 17: Wie können Betreiber und Bürger besser über das Potenzial eines fortgeschrittenen Infrastrukturmanagements und fortgeschrittener Fahrzeugtechnologien für die Sicherheit informiert werden?

4.17.1

Durch die Sensibilisierung der Bürger mit Hilfe von Aufklärungs- und Informationskampagnen, insbesondere für Jugendliche. Außerdem durch Maßnahmen zur allgemeinen Verbreitung des Einsatzes von Geräten zur Durchsetzung der Regeln für alle Verkehrsteilnehmer in den Städten. Überhaupt hielte es der EWSA für besonders wichtig, dass Maßnahmen beschlossen werden, die darauf abzielen, den kulturellen Aspekt und die Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit bei sämtlichen Fragen betreffend die Mobilität in der Stadt zu stärken.

4.18   Frage 18: Sollten automatische Radarkameras entwickelt werden, die an das Stadtumfeld angepasst sind, und sollte ihr Einsatz gefördert werden?

4.18.1

In Abhängigkeit der damit verfolgten Ziele, die stets auf eine Verbesserung der Mobilität und Optimierung der Reisegeschwindigkeit ausgerichtet sein müssen. Hierbei sollten vorbildliche Praktiken gefördert werden, um die Sicherheit zu erhöhen, sowie der Einsatz intelligenter Systeme.

4.19   Frage 19: Ist die Videoüberwachung ein geeignetes Werkzeug zur Gewährleistung der Sicherheit im Nahverkehr?

4.19.1

Einbau von auf die neuen Technologien gestützten Notfallsystemen in die öffentlichen Verkehrsmittel, so dass im Falle von Vandalismus oder eines Unfalls die Notdienste alarmiert und über die Lage des Fahrzeugs informiert werden sowie Bild- und Tondaten übertragen werden können, die zeigen, was im Innern des Fahrzeugs passiert.

4.19.2

Es müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um eine Verletzung der Privatsphäre zu vermeiden, die ein persönliches Grundrecht ist.

4.20   Frage 20: Sollten alle Beteiligten zusammenarbeiten, um eine neue Mobilitätskultur in Europa zu schaffen? Könnte analog zum Modell der Europäischen Beobachtungsstelle für die Straßenverkehrssicherheit auch eine Europäische Beobachtungsstelle für die Mobilität in der Stadt eine nützliche Initiative darstellen, um diese Zusammenarbeit zu unterstützen?

4.20.1

Eine neue Kultur der Mobilität in der Stadt setzt die Zusammenarbeit der europäischen Institutionen, der einzelstaatlichen Behörden, der Regionen und der lokalen Gebietskörperschaften sowie der Organisationen der organisierten Zivilgesellschaft voraus.

4.20.2

Eine Beobachtungsstelle für die nachhaltige Mobilität in der Stadt wäre eine sinnvolle Initiative und würde einen Mehrwert bringen, da sie Daten erheben, die Veränderungen in der Verkehrsnachfrage mitverfolgen und den Erfahrungsaustausch fördern könnte. Außerdem würde sie dazu beitragen, die Kenntnisse über Mobilitätsprobleme zu verbessern und die geeigneten Maßnahmen zu deren Lösung zu ergreifen.

Auf europäischer Ebene sollten die Verfahren zur Messung städtischer Parameter harmonisiert werden, und der EWSA würde eine Vereinheitlichung der Kriterien auf diesem Gebiet begrüßen.

4.21   Frage 21: Wie könnten vorhandene Finanzinstrumente wie Struktur- und Kohäsionsfonds kohärent und besser genutzt werden, um einen integrierten und nachhaltigen Nahverkehr zu unterstützen?

4.21.1

Indem die Mobilität in der Stadt und die allmähliche Verlagerung hin zu sauberen Verkehrsmitteln des kollektiven Verkehrs (geringer Verbrauch, wenig Emissionen) als Ziel zur Verbesserung der Fonds vorgegeben und für eine größere Rentabilität pro investiertem Euro gesorgt wird.

Der EWSA spricht sich dafür aus, den Anteil der für Bildung und Forschung vorgesehenen Mittel zu erhöhen.

4.21.2

Es sollte aber auch der finanzielle Aufwand verringert werden, indem objektive Kriterien festgelegt werden, die es ermöglichen, die für die Gemeinschaft rentabelste Lösung zu wählen, um den Bürgern ein gut ausgebautes Verkehrssystem zu angemessenen Preisen zu bieten. Der Schwerpunkt sollte auf die Effizienz und die Erfüllung der Gemeinwohlverpflichtungen gelegt werden.

4.22   Frage 22: Wie könnten wirtschaftliche Instrumente, insbesondere marktgestützte Instrumente, einen umweltfreundlichen und energieeffizienten Nahverkehr unterstützen?

4.22.1

Durch grüne Klauseln in den Aufträgen zur Beschaffung von Ausrüstung im Rahmen von Infrastrukturvorhaben, die durch europäische Programme finanziert werden.

4.22.2

Eine weitere Möglichkeit wäre, die Kriterien aus dem Arbeitspapier „Umweltorientierte Beschaffung! Ein Handbuch für ein umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen“ (SEK(2004) 1050) in ein KOM-Dokument zu übernehmen und die grüne öffentliche Beschaffung von Verkehrsausrüstungen hinzuzufügen.

Der Markt für Pkw und Nutzfahrzeuge für die Personenbeförderung tendiert zu umweltschonenderen Fahrzeugen. Die Anschaffung sauberer Fahrzeuge (hinsichtlich Kraftstoff und Motorisierung) sollte begünstigt werden; der entsprechende finanzielle Aufwand der Käufer sollte durch eine differenzierte Behandlung ihres Fahrzeugs bei den politischen Konzepten für die Zufahrt zu den Stadtzentren honoriert werden.

4.23   Frage 23: Wie könnten gezielte Forschungsmaßnahmen dazu beitragen, stadttypische Einschränkungen in die Verkehrsentwicklung in der Stadt zu integrieren?

4.23.1

Durch eine eindeutige Festlegung der Art von Projekten, für die öffentliche Gelder der Gemeinschaft bezogen werden können, und indem die Erfüllung der Ziele dieser Projekte (innerhalb der vorgegebenen Frist) zur zwingenden Auflage (mit entsprechender Kontrolle) gemacht wird, so dass bei Nichterfüllung die gezahlten Mittel zurückverlangt werden können.

4.24   Frage 24: Sollten Städte darin bestärkt werden, Stadtmautgebühren zu erheben? Besteht die Notwendigkeit, einen allgemeinen Rahmen und/oder Leitlinien für Stadtmautgebühren festzulegen? Sollten die Erträge zweckgebunden zur Verbesserung des kollektiven Nahverkehrs verwendet werden? Sollten externe Kosten internalisiert werden

4.24.1

Es besteht Bedarf an einem allgemeinen Rahmen auf europäischer Ebene, der mittels der Harmonisierung der Kriterien zur Gebührenberechnung sowie der Bewertung eines zweckmäßigen Schwellenwerts für die Dichte des Kollektivverkehrsnetzes geschaffen werden sollte.

4.24.2

Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass die Gebühren- und Mautsysteme für den Zugang zu den Innenstädten dem allgemeinen Interesse dienen und zufrieden stellende unmittelbare Ergebnisse liefern, allerdings die einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen diskriminiert werden und sie auf soziale Schichten mit hohem Einkommen eine geringe abschreckende Wirkung ausüben.

Die lokalen Gebietskörperschaften müssen Maßnahmen ergreifen, um etwaige negative Auswirkungen auszugleichen, indem sie beispielsweise die Nutzung des kollektiven Verkehrs fördern oder vergünstigte Fahrscheine bereitstellen.

4.24.3

Eine Alternative mit „horizontalen Auswirkungen“ auf alle Einkommensschichten wäre eine „Mautstelle“ an den Zugangspunkten. Statt Geld zu verlangen, würde allerdings die verfügbare Quote der Kilometerleistung in der Stadt berechnet, die jedem Fahrer zugewiesen würde. Mit anderen Worten wird eine „Rationierung“ des Zugangs (Kilometer/Zeiteinheit) vorgeschlagen. Die im Stadtbereich im privaten Pkw zurückgelegten Strecken müssten also „selektiert“ und verwaltet werden. Allerdings ist zu bedenken, dass dies auch eine gewisse Diskriminierung auf der Grundlage des Wohnorts, des Herkunftsorts und des Fahrtziels mit sich bringt.

4.24.4

Natürlich bedeutete dies eine weitere „Ausweisung von Zonen“ zusätzlich zu der bereits vorgeschlagenen Ausweisung von „Zonen mit geringem Verkehrsaufkommen“, in denen der Verkehr praktisch auf die Verkehrsmittel des kollektiven Verkehrs und die Anwohner beschränkt würde.

4.25   Frage 25: Welchen Mehrwert könnte eine zielgerichtete europäische Unterstützung zur Finanzierung eines umweltfreundlichen und energieeffizienten Nahverkehrs längerfristig bieten?

4.25.1

Der Mehrwert ist enorm und lässt sich schwer berechnen, wenn wir sowohl psychische als auch physische gesundheitliche Faktoren und den Wert des Faktors Zeit für die Menschen (ein Aspekt, der von der erheblichen Länge der Zeit abhängt, die für den Weg von zu Hause zum Arbeitsplatz und zurück benötigt wird, die zusammen mit der Arbeitszeit eine ganze Reihe negativer Faktoren bewirkt) berücksichtigen.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2006) 314. Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament: Für ein mobiles Europa — nachhaltige Mobilität für unseren Kontinent. Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch der Europäischen Kommission von 2001.

(2)  Stellungnahme über „Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten“, Berichterstatter Herr Ribbe, ABl.C 168 vom 27.7.2007, S. 74.

(3)  Unter Berücksichtigung des Protokolls Nr. 30 des EG-Vertrags über die Anwendung des Subsidiaritäts- und des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Europäischen Kommmission vom 25. Oktober 1993.

(4)  EuGH — Rs. C-513/99 — Urteil vom 17. September 2002„Concordia Bus“ betr. die Berücksichtigung von Umweltschutzkriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

(5)  Siehe Stellungnahme zur Charta der Rechte der Energieverbraucher, ABl. C 151 vom 17.6.2008, Berichterstatter: Herr IOZIA.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission: Aktionsplan Güterverkehrslogistik“

KOM(2007) 607 endg.

(2008/C 224/10)

Die Europäische Kommission beschloss am 18. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission: Aktionsplan Güterverkehrslogistik“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 8. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 99 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet den Aktionsplan der Europäischen Kommission und möchte mit dem für 2010 geplanten Zwischenbericht befasst werden, um die erzielten Fortschritte zu bewerten und etwaige nach wie vor bestehende Probleme zu ermitteln.

1.2

Der Ausschuss unterschreibt, dass es durchaus lohnenswert ist, gesonderte Benchmarks für Umschlagterminals einschließlich Häfen und Flughäfen in enger Zusammenarbeit mit dem Sektor vorzunehmen. Durch eine Reihe ureigener europäischer Benchmarks, die Spielraum für eine weitere Spezifizierung auf lokaler Ebene lassen, kann in Anbetracht der unterschiedlichen Wesensmerkmale von Landterminals, Seehäfen, Flughäfen und Binnenhäfen bei den Benchmarks hinreichend differenziert werden.

1.3

Die Transportpreise für die einzelnen Verkehrsträger tragen ganz allgemein weder deren wirklichen Auswirkungen auf die Infrastruktur, die Umwelt und die Energieeffizienz noch den sozialen, territorialen und gesellschaftlichen Kosten in ausreichendem Maße Rechnung.

1.4

Mit den für dieses Benchmarking vorgesehenen Vergleichs- und Bewertungsinstrumenten müssen daher die bestehenden Transportketten auf der Grundlage ihrer Nachhaltigkeit verglichen werden, um die Einrichtung eines ausgewogenen Mechanismus zur Preisfestsetzung zu erleichtern und ein Regulierungssystem mit dem Ziel zu konzipieren, je nach Frachtart und zu Verfügung stehenden Verkehrsträgern eine Verlagerung auf effizientere und nachhaltigere Verkehrsträger im Logistikbereich zu erreichen.

1.5

Für eine Frachtlogistik, die den Anforderungen der Nutzer und der Gesellschaft insgesamt besser Rechnung trägt, müssen die bestehenden neuen Spitzentechnologien unbedingt schneller weiterentwickelt und umgesetzt werden. Ferner muss die Forschung intensiviert, dauerhaft in die Aus- und Weiterbildung sowie in die Berufsqualifikationen der Arbeitnehmer investiert und auch auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen hingewirkt werden. Gleichzeitig muss auch die Nutzung der bestehenden Infrastruktur optimiert und das vorhandene Human-, Material- und Finanzkapital im Logistik- und Verkehrsbereich besser eingesetzt werden. Die Berufsmöglichkeiten in dieser Sparte müssen aufgewertet und attraktiver gestaltet werden. Es bedarf auch neuer Investitionen, um die Eingliederung der neuen Mitgliedstaaten sowie die Mittelmeerpolitik und die Nachbarschaftspolitik der EU schneller voranzubringen. Darüber hinaus müssen die langfristigen Perspektiven in Bezug auf die Entwicklung der Nachfrage untersucht werden, um Investitionen zu tätigen, die sich auf sehr lange Sicht amortisieren werden.

1.6

Außerdem muss die aktive und passive Straßenverkehrssicherheit insbesondere in den Grenzregionen mit Drittstaaten gewährleistet werden.

1.7

Die Meeresgrenzen der EU erstrecken sich nunmehr bis zur Ostsee und zum Schwarze Meer an der Mündung der Donau — eine Verkehrsachse, die neubelebt werden muss. In der EU werden 90 % des Handels mit Drittländern sowie 40 % des Binnenhandels in den Häfen abgewickelt, und die Hafenlogistik erlebt einen enormen Aufschwung. Es sind allerdings noch zahlreiche Verbesserungen erforderlich. So müssen insbesondere die Anbindungen der Häfen an das Hinterland modernisiert werden, um für eine größere Verkehrsträgervielfalt zu sorgen und die Nutzung des Intermodalverkehrs zu fördern. Ferner müssen Umschlagtechnik und -organisation verbessert werden. Außerdem muss eine ausgewogenere Auslastung der einzelnen Häfen angestrebt werden; Häfen und Landplattformen müssen sich auch besser ergänzen.

1.8

Der Ausschuss begrüßt den Einsatz neuer Technologien, die angewandte Forschung zu sämtlichen verbesserungsfähigen Aspekten der einzelnen Verkehrsträger (Infrastruktur, Transport- und Umschlagsausstattung, Arbeitsorganisation und -bedingungen usw.), den aktiven Beitrag zur Ausarbeitung technischer Normen und von Kommunikations- und Nachrichtenstandards zur Verbesserung der Ko-Modalität und des Verkehrsflusses insgesamt sowie eine bessere „Koppelung“ von Produktionssteigerung und Handel einerseits und Verkehr andererseits, der unweigerlich weiter anwachsen wird. Hocheffiziente Logistikketten sind diesbezüglich von grundlegender Bedeutung.

1.9

Die Forschungsarbeiten zu Motorentechnik und deren Energieeffizienz, zu Kraftstoffen nichtfossilen Ursprungs für Kraftfahrzeuge im Individual- wie auch im öffentlichen Personen- und Güterverkehr müssen fortgeführt werden.

1.10

Für die städtische Verkehrslogistik sind dringend Maßnahmen sowie eine Intensivierung der Anstrengungen erforderlich, um das langsame Ersticken der Wirtschaft in den Großstädten und die erheblichen Effizienzeinbußen zu verhindern, die auf Staus zurückzuführen sind, in denen Bewohner wie Unternehmen unproduktiv und umweltschädlich Zeit verlieren. Es bedarf eines umfassenden Ansatzes für die Städte, der den Anforderungen des Individual- und des öffentlichen Personen- und Güterverkehrs Rechnung trägt, um eine ausgewogenere Straßenauslastung zu erreichen und den Abwanderungstrend der Bevölkerung und zahlreicher Betriebe ins Umland sowie in weiter entfernt gelegene Gebiete umzukehren.

1.11

Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Intermodalität stehen im Mittelpunkt des Aktionsplans. Der vorgeschlagene Fahrplan zeigt deutlich, wie dringend eine derartige Politik umgesetzt werden muss. Die Europäische Kommission setzt daher in ihren Vorschlägen auf Zusammenarbeit und Dialog. Diese Option muss sich jedoch erst als durchführbar erweisen. Ihr Erfolg hängt von den Akteuren auf dem Weltverkehrsmarkt und ihrer Anpassungsfähigkeit an diese seitens der Zivilgesellschaft immer lauter vorgebrachten Forderungen ab.

2.   Die Vorschläge der Europäischen Kommission

2.1   Einleitung

2.1.1

Am 28. Juni 2006 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Mitteilung mit dem Titel „Güterverkehrslogistik in Europader Schlüssel zur nachhaltigen Mobilität“  (1), in der die Bedeutung der Logistik für einen nachhaltigeren, saubereren und wirklich umweltfreundlichen Verkehr aufgezeigt wurde. Im Anschluss an diese Mitteilung wurde ein Konsultationsverfahren eingeleitet mit dem Ziel, einen europäischen Aktionsplan für die Güterverkehrslogistik (2) auszuarbeiten. Dieser wurde am 18. Oktober 2007 veröffentlicht.

2.1.2

Die Europäische Kommission beabsichtigte, die „logistische Perspektive“ in die europäische Verkehrspolitik einzubringen, um die wiederkehrenden Engpässe zu verringern, den Energieverbrauch zu senken, die Nutzung der Ko-/Multi-Modalität der Infrastrukturen und Verkehrsträger zu verbessern, den Umweltschutz zu stärken, die schädlichen Auswirkungen zu reduzieren und die kontinuierliche Weiterbildung der im Verkehr tätigen Arbeitnehmer zu fördern.

2.1.3

Der Ausschuss soll nun eine Stellungnahme zu diesem Aktionsplan abgeben, der konkrete Ziele sowie einen Zeitplan für deren Umsetzung enthält. Mit diesem Aktionsplan soll ferner der Einsatz der neuen Informationstechnologien gefördert werden, um die Verkehrslogistik für Güter (Einzelfracht, Pakete, Container) effizienter zu gestalten. Außerdem werden ein freiwilliges Zertifizierungssystem für die Arbeitnehmer im Logistiksektor, sowie die für diesen Industriezweig notwendigen Berufsqualifikationen und Ausbildung vorgeschlagen, um die Mobilität der betreffenden Arbeitnehmer zu fördern.

2.1.4

Wie die Europäische Kommission bereits 2006 betont hat, kann aufgrund unzureichender einschlägiger Daten kaum ein zuverlässiges Bild des europäischen Logistikmarkts gezeichnet werden. Allgemein wird angenommen, dass die Logistikkosten 10 bis 15 % der Kosten für das beförderte Produkt ausmachen.

2.1.5

In ihrer Mitteilung schlug die Kommission die Schaffung eines europäischen Rahmens für die Güterverkehrslogistik und Maßnahmen in verschiedenen Bereichen vor. In dem Aktionsplan werden die Details festgelegt und als — sehr kurze — Frist für die Verwirklichung der Zeitraum 2008-2012 vorgegeben:

Ermittlung und Beseitigung von Engpässen;

Einsatz fortgeschrittener Informations- und Kommunikationstechnologien IKT (für Ortung und Verfolgung) über GALILEO, des Systems zur Fernidentifizierung und -verfolgung LRIT, des Flussinformationssystems RIS, des automatischen Schiffsidentifizierungssystems AIS, des Systems für den Austausch von Seeverkehrsinformationen SafeSeaNet sowie der Telematikanwendungen für den Schienenverkehr (TAF) und des europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems (ERTMS); Einführung „intelligenter“ Technologien wie die Entwicklung und Normung der Funkerkennung (RFID) (3);

universelle Nachrichten- und Kommunikationsstandards;

Forschung (7. Forschungsrahmenprogramm);

Interoperabilität und Verbundfähigkeit;

Ausbildung qualifizierter Arbeitnehmer im Logistiksektor;

europäisches „Benchmarking“, allerdings müssen die Indikatoren und die Methodologie erst festgelegt werden;

Infrastrukturmaßnahmen: Wartung der vorhandenen Infrastruktur und optimale Infrastrukturnutzung; eventuell neue Investitionen, insbesondere in die Spitzentechnologien;

Dienstqualität durch sozialen Dialog sowie eine geeignete Form der Zusammenarbeit und der Regulierung;

Förderung und Vereinfachung von multimodalen Verkehrsketten sowie der entsprechenden Verladenormen.

2.1.6

Mit dem 2007 veröffentlichten Aktionsplan sollen die in der ersten Kommissionsmitteilung angestrebten Ziele in ein detaillierteres Programm mit einem Zeitplan für deren Umsetzung umgemünzt werden.

2.1.7

In ihrer Mitteilung (4) „Für ein mobiles EuropaNachhaltige Mobilität für unseren Kontinent“ (5) — die eine Halbzeitbilanz zum sowie eine Überarbeitung des Verkehrsweißbuchs der Europäischen Kommission von 2001 beinhaltet — bekräftigte die Europäische Kommission das Konzept der „intelligenten Mobilität“, die die Verkehrslogistik und die intelligenten Verkehrssysteme (IVS) umfasst. In ihrem Aktionsplan kommt sie unmittelbar auf dieses Thema zurück.

2.2   Elektronisches Güterverkehrssystem (eFreight) und intelligente Verkehrssysteme (IVS)

2.2.1

Die allgemeine Nutzung der bestehenden und künftigen intelligenten Verkehrssysteme kann zu einer grundlegenden Verbesserung der Güterverkehrslogistik führen, birgt allerdings noch Probleme, die zuvor gelöst werden müssen, namentlich Normung, Nutzerkompetenz, Hindernisse rechtlicher oder anderer Natur für die Entmaterialisierung der Dokumente, Datenschutz und Schutz der Privatsphäre.

2.2.2

Die Einrichtung eines elektronischen Güterverkehrssystems (eFreight) führt letztlich zum Aufbau eines „Internets der Dienste“ (die Frachtgüter — Einzelfracht, Pakete oder Container — können mittels passiven oder aktiven, über ein Radiofrequenz-Lesegerät aktivierten „kommunizierenden Etiketten“ individualisiert, benannt und identifiziert werden); dieses neue „Internet der Dienste“ ermöglicht die Automatisierung und Vereinfachung der Frachtdatenübertragung (Ortung, Informationen über Frachtart und -volumen, Zollinformationen usw.). Es gilt, die bestehenden Systeme im Hinblick auf die Schaffung dieser neuen Art von Internet einzusetzen, das auf der Identifizierung von Objekten beruht.

2.2.3

Die Europäische Kommission plant für 2008 eine große Forschungsinitiative auf der Grundlage eines Zeitplans für die Verbreitung der intelligenten Verkehrssysteme und der für die Verkehrslogistik notwendigen Technologien.

2.3   Ausblick

2.3.1

Mit diesem Aktionsplan sollen durch die Verbesserung der Effizienz Probleme wie Überlastung, Umweltverschmutzung, Lärmbelästigung, CO2-Emissionen und Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen angegangen werden, die den Erfolg dieses Aktionsplanes gefährden würden. Begleitet werden müssen diese Maßnahmen durch eine gemeinsam mit den Mitgliedstaaten ausgearbeitete Langfristperspektive, damit eine gemeinsame Grundlage für Investitionen in die Güterverkehrssysteme von morgen geschaffen wird.

2.3.2

Die Europäische Kommission wird im Jahr 2010 über die erzielten Forschritte und die Durchführung des Aktionsplans Bericht erstatten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Die EU-Erweiterung, die zunehmende Globalisierung des Handels, das Entstehen neuer Wirtschaftsmächte (nicht nur China) und die Unternehmensverlagerungen sind wichtige Faktoren für die Handelsentwicklung. Der Handel wächst schneller als die Herstellung. In ihrem Verkehrsweißbuch aus dem Jahr 2001 hat die Europäische Kommission eine Entkoppelung von Verkehrsnachfrage und Wirtschaftswachstum vorgeschlagen. Die Überlegungen zu diesem Punkt müssen erneut aufgegriffen werden, um zumindest wieder eine „Koppelung“ oder „Parallelität“ zwischen diesen Bereichen herzustellen. Die Logistik kann im Rahmen des sog. überarbeiteten Verkehrsweißbuchs aus dem Jahr 2006 (6) unter Einbindung der verschiedenen Verkehrsträger und -akteure (für die Verwaltung der Verkehrsströme zuständige Akteure, Verkehrsunternehmer, Nutzer, nationale, EU- und internationale Behörden) und gestützt auf die neuen Informations-, Verpackungs- und Umschlagtechnologien ein entscheidendes Element für einen rationelleren und effizienteren Güterverkehr sein.

3.2

Für die weltweiten Logistikketten müssen sowohl die physischen als auch die elektronischen Verbindungen zwischen den einzelnen Modalsystemen voll integriert sein, um den effizientesten Verkehrsträger oder die effizienteste Kombination von Verkehrsträgern zu nutzen und die Logistik zu verbessern. Zu diesem Zweck müssen im „Zieldreieck“ Wirtschaft — Soziales — Umwelt (einschl. in Bezug auf die Verringerung des Energieverbrauchs) Effizienzziele festgelegt werden, die es gleichzeitig zu erreichen gilt.

3.3

Die Verkehrsplanung braucht meistens eine lange Vorlaufzeit und erfordert die Zusammenarbeit zahlreicher Akteure. Die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur und Logistikplattformen werden auf lange Sicht getätigt und sind sehr kostenintensiv, vor allem in See- und Binnenschifffahrts- sowie in Flughäfen, aber auch in so genannten „Trockenhäfen“ oder in Umschlageinrichtungen für den kombinierten Verkehr. Es sind jedoch genau diese Plattformen, die die größten Probleme mit sich bringen und für die rasch verlässliche und dauerhafte Lösungen gefunden werden müssen. Daher muss nach Ansicht des Ausschusses die bestehende Infrastruktur optimal genutzt werden; ein Informations- und Erfahrungsaustausch könnte sich hierfür als sehr sinnvoll erweisen. Die optimale Nutzung der bestehenden Infrastruktur und der Einsatz von Spitzentechnologien allein reichen allerdings nicht aus, es bedarf auch einer mittel- und langfristigen Planung für neue Investitionen.

3.4

Neue Infrastrukturen mit langer Lebensdauer dürfen nur dann gebaut werden, wenn erwiesenermaßen auf lange Sicht auch wirklich ein diesbezüglicher Bedarf besteht und wenn es keine Alternativlösung im Wege der Ko-Modalität gibt, beispielsweise über andere bestehende Infrastrukturen. Die Schiene kann beispielsweise eine Alternative zur Erweiterung eines bestehenden Straßennetzes oder dem Bau neuer Straßen sein. Alle Akteure der Logistikkette, d.h. die EU-Institutionen, die nationalen und regionalen Behörden, die Vertreter von Industrie und Vertrieb und sonstiges verladendes Gewerbe, die Logistik- und Verkehrsunternehmer sowie die Sozialpartner, müssen an der hierfür erforderlichen Planung mitwirken. Die betroffene Wirtschaft wie auch die Bevölkerung müssen in die verschiedenen im Vorfeld stattfindenden Debatten und Konsultationen zu diesen Fragen eingebunden werden; ihren Standpunkten ist sorgsam Rechnung zu tragen.

3.5

Diese Planung muss dauerhafte Partnerschaften zeitigen, die den nachhaltigen Fortbestand der Infrastrukturen (in wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Hinsicht) gewährleisten können. Sie muss sich in das Europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK) einreihen und dazu beitragen, die Investitionen in den Verkehr besser mit den Industrie- und Handelstätigkeiten sowie den Raum- und Städteplanungsprogrammen zu strukturieren, zu koordinieren und zu festigen (in erster Linie zur Vorbeugung eines „Wildwuchses“ an Logistikplattformen, voreiliger und kostspieliger Unternehmensverlagerungen sowie einerseits der Überlastung einiger Verkehrsachsen und Gebiete und andererseits des Niedergangs und der Abgeschnittenheit anderer Gebiete durch das gänzliche oder teilweise Fehlen von Anbindungen).

3.6

Die vorgeschlagenen neuen Frachtnormen müssen darauf abheben, einen eventuellen Umschlag in Bezug auf manövrierfähiges Maximalgewicht und Abmessungen zu erleichtern. Allerdings dürfen sie angesichts der Probleme, die darauf zurückzuführen sind, dass der Güterlandverkehr mehr oder weniger ausschließlich über die Straße abgewickelt wird, diese Normen keinesfalls zu Überladung führen, die wiederum Infrastrukturschäden und eine verminderte Straßenverkehrssicherheit zur Folge haben könnte. Diese Frachtnormen müssen vielmehr die Co-Modalität fördern.

3.7

Bezüglich des Vorschlags aus dem Jahr 2003 betreffend eine neue freiwillige intermodale Ladeeinheit wiederholt der Ausschuss zusammenfassend seinen Standpunkt, dass die Kombination von Ladeeinheiten mit unterschiedlichen Abmessungen ein logistischer Alptraum ist. Die seinerzeit angeführten beiden Hindernisse (Abmessungen der Stellgerüste und die Ungewissheit über die Träger der Kosten dieses Systems) führen allein schon zu dem Schluss, dass dieses System nicht benutzt werden wird. Hinzu kommen noch ernste Bedenken auf Seiten der Binnenschifffahrt und des Kraftverkehrsgewerbes.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss würde es begrüßen, wenn die Europäische Kommission ihn mit dem Bericht befassen würde, den sie 2010 über die Durchführung des Aktionsplans und mögliche Probleme bei seiner Umsetzung vorlegen will.

4.2

Das „Internet der Dinge“ ist sicherlich ein Instrument zur Verbesserung der Effizienz der Verkehrslogistik und der den Kunden angebotenen Dienste. Der Ausschuss hinterfragt jedoch angesichts der Erfahrungen mit dem „Internet der Namen“ die Kontrollverfahren und -instrumente, die für die „Benennung“ eingerichtet werden müssten; aus historischen Gründen unterliegt das „Internet der Namen“ der Endkontrolle durch das US-amerikanische Handelsministerium (USDoC). Der Ausschuss befürwortet die Option einer europäischen Governance für die Domain-Bezeichnungen und die Datenbankverwaltung sowie bei der Festlegung von technischen Normen.

4.2.1

Die Aufnahme der Logistikentwicklung in die überarbeitete Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung seitens der Europäischen Union ist zu begrüßen. Angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit fordert der Ausschuss die Europäische Kommission jedoch auf, die bei der Umsetzung der neuen Technologien, insbesondere in Bezug auf GALILEO, entstandenen Verzögerungen umgehend aufzuholen.

4.3

Nach Meinung des Ausschusses sollte das „Internet der Dinge“ aufgrund seiner wirtschaftlichen Bedeutung und der Tatsache, dass der Handel mehrheitlich auf interregionaler Ebene erfolgt, auf dem Grundsatz der Multipolarität beruhen (z.B. regionale oder nachgeordnete Benennungsgremien) und nicht unter die Endkontrolle einer einzigen Behörde, die noch dazu nicht einmal in der EU ansässig ist, gestellt werden.

4.4

Ferner muss klar und deutlich auf die Probleme in Bezug auf den Schutz der Privatsphäre und die Vertraulichkeit im Geschäftswesen im Zusammenhang mit der Diversifizierung der Informationsinstrumente im Rahmen der Förderung intelligenter Verkehrssysteme und der damit verbundenen Informationstechnologien hingewiesen werden, die eingerichtet werden, um Informationen über den Inhalt der Fracht (dabei sind auch die zoll- und versicherungstechnischen Auswirkungen zu berücksichtigen), das Durchsickern von Informationen an Kriminelle vor allem in Drittstaaten, die Verfolgung der Fracht („Track & Trace“), ihren Sender und Empfänger sowie eventuelle Zwischenstellen zu erhalten.

4.5

Dies gilt insbesondere für die Feinlogistik im Zusammenhang mit dem elektronischen Geschäftsverkehr.

4.6

Der Ausschuss befürwortet, dass die Europäische Kommission den Beruf des Güterverkehrslogistikers durch ein Definitions- und Zertifizierungssystem für Logistikunternehmen modernisieren und vorbildlicher gestalten will. Allerdings muss dies auch wirklich einen zusätzlichen Nutzen bringen.

4.7

Der Ausschuss begrüßt ferner, dass die Europäische Kommission die Aufstellung eines Verzeichnisses der Mindestqualifikationen und Ausbildungsanforderungen in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern vorschlägt. Er fordert, dass die erforderlichen Qualifikationen und Schulungen im Zuge des lebenslangen Lernens weiterentwickelt werden und den wissenschaftlichen Fortschritten Rechnung tragen müssen. Es ist ferner zu begrüßen, dass die Europäische Kommission die gegenseitige Anerkennung dieser freiwilligen Befähigungsnachweise vorsieht.

4.8

Die Steigerung der Logistikleistung durch den verstärkten Einsatz neuer Technologien, die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren, den Erfahrungsaustausch, die Formulierung von Mindestqualifikationen und Ausbildungsanforderungen sowie die Co-Modalität ist unverzichtbar. Der Ausschuss betont jedoch, dass diese Fortschritte ihre positiven Auswirkungen erst dann in vollem Umfang entfalten können, wenn der Verkehrs- und der Logistiksektor Gegenstand eines intra- und intermodalen Ausgleichs sowie eines „kontrollierten Wettbewerbs“ sind, wie dies von der Europäischen Kommission in ihrem Verkehrsweißbuch 2001 gefordert wurde. Dies impliziert eine entsprechende Neuberechnung der Beförderungskosten sowie eine echte Harmonisierung der intra- und intermodalen Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMTRIADIS


(1)  KOM(2006) 336 endg.

(2)  KOM(2007) 607 endg.

(3)  Siehe die Sondierungsstellungnahme des Ausschusses zum Thema „Funkfrequenzkennzeichnung (RFID)“ (Berichterstatter: Herr Morgan), ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 66, sowie die Arbeiten der Konferenz von Lissabon am 15./16. November 2007 (siehe Website des portugiesischen Ratsvorsitzes).

(4)  KOM(2006) 314 endg. vom 22. Juni 2006.

(5)  Siehe die einschlägigen Stellungnahmen des Europäischen Wirtschaft- und Sozialausschusses zum Verkehrsweißbuch „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft“ (KOM(2001) 370 endg. vom 12.9.2001) und zur Halbzeitbilanz „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Für ein mobiles EuropaNachhaltige Mobilität für unseren KontinentHalbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch der Europäischen Kommission von 2001“ (KOM(2006) 314 endg. vom 22.6.2006).

(6)  Für ein mobiles Europa — Nachhaltige Mobilität für unseren Kontinent: Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch der Europäischen Kommission von 2001; KOM(2006) 314 endg. vom 22.6.2006.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/50


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, der Richtlinie 2002/19/EG über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung und der Richtlinie 2002/20/EG über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste“

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten, der Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation und der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung der Europäischen Behörde für die Märkte der elektronischen Kommunikation“

KOM(2007) 697 endg. — 2007/0247 (COD).

KOM(2007) 698 endg. — 2007/0248 (COD).

KOM(2007) 699 endg. — 2007/0249 (COD).

(2008/C 224/11)

Die Europäische Kommission beschloss am 10. Dezember 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, der Richtlinie 2002/19/EG über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung und der Richtlinie 2002/20/EG über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste“

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten, der Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation und der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung der Europäischen Behörde für die Märkte der elektronischen Kommunikation“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 8. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr HERNÁNDEZ BATALLER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 80 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt die Ziele der Kommission: größtmöglicher Nutzen für die Nutzer auf den Märkten der elektronischen Kommunikation, Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen oder -beschränkungen, Förderung wirksamer Investitionen in die Infrastruktur und Förderung der Innovation sowie eine effiziente Funkfrequenz- bzw. Nummernverwaltung und -nutzung.

1.2

Wegen des hohen Niveaus der technischen Innovation und der sehr dynamischen Märkte im Bereich der elektronischen Kommunikation hält der EWSA das Regulierungsmodell des Rechtsrahmens für die elektronische Kommunikation und die vorgeschlagenen Änderungen für ausreichend. Die Grundsätze für diese Änderungen lauten:

1.2.1

Dezentrale Regulierung in den Mitgliedstaaten, bei der die nationalen Behörden für die Beaufsichtigung der Märkte nach gemeinsamen Grundsätzen und Verfahren zuständig sind. Gestärkt werden zudem die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden (NRB), ihr Tagesgeschäft und ihre Ermessensfreiheit, indem sichergestellt wird, dass sie über einen eigenen Haushalt und ausreichende personelle Mittel verfügen; überdies werden ihre Durchsetzungsbefugnisse gestärkt, um die effiziente Anwendung des Regulierungsrahmens zu verbessern.

1.2.2

Konsolidierung des Binnenmarktes, indem der Kommission auf transnationalen Märkten, die über die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten hinausreichen, bestimmte Befugnisse eingeräumt werden.

1.2.3

Verbesserung der Kohärenz der Rechtsvorschriften durch Aktualisierung bestimmter Einzelbestimmungen zur Angleichung an die Technologie- und Marktentwicklung sowie durch Streichung überholter oder überflüssiger Bestimmungen.

1.2.4

Aufstellung einer Strategie für eine effiziente Frequenzverwaltung als wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Informationsraum.

1.2.5

In Ausnahmefällen die Funktionstrennung, die mit vorheriger Zustimmung der Kommission von den NRB auferlegt werden kann, um die Bereitstellung vollständig gleichwertiger Zugangsprodukte für alle nachgelagerten Betreiber zu gewährleisten, einschließlich der nachgelagerten Bereiche des vertikal integrierten Betreibers selbst.

1.2.6

Das Ziel einer zuverlässigen und effizienten Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze. Dazu sollte die Europäische Behörde zur Harmonisierung geeigneter technischer und organisatorischer Sicherheitsmaßnahmen beitragen, indem sie sachkundigen Rat gibt.

1.2.7

Stärkung der Verbraucherrechte bezüglich bestimmter vertraglicher Aspekte, der Transparenz und Veröffentlichung von Informationen, der Verfügbarkeit von Telefon-, Auskunft- und Notdiensten und der Übertragbarkeit von Nummern. Ungeregelt bleiben dagegen andere Aspekte wie der Kundendienst, Mindestvorgaben für die Qualität, Klauseln über Vertragsstrafen und die Fälle von kombinierten Verträgen über Kommunikationsdienste und Endgeräte, weshalb die Vorschläge nicht dem im Vertrag verankerten hohen Verbraucherschutzniveau gerecht werden.

1.2.8

Verbesserung des Schutzes der Privatsphäre und des Datenschutzes, wobei die Vorschläge allerdings nicht weit genug gehen, zum Beispiel was den Schutz vor Spam angeht, der nach Ansicht des EWSA unbedingt auf dem Prinzip der ausdrücklichen und vorherigen Zustimmung des Verbrauchers zum Erhalt von Werbebotschaften beruhen muss.

1.3

Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich, dass die Endgeräte in den Anwendungsbereich des Regulierungsrahmens aufgenommen wurden, was zu einer verbesserten Barrierefreiheit für Nutzer mit Behinderungen führen wird. Ebenfalls befürwortet wird die Festlegung verbindlicher Maßnahmen für behinderte Endnutzer, um deren Zugang zu Universaldiensten, öffentlich zugänglichen Telefondiensten, einschließlich Notdiensten, Verzeichnisauskunftsdiensten und Teilnehmerverzeichnissen sicherzustellen, wobei dieser Zugang dem den anderen Endnutzern eingeräumten Zugang gleichwertig sein muss; Unterstützung finden auch weitere besondere Maßnahmen.

1.4

Die Vereinfachung und Verringerung des Verwaltungsaufwands und der entsprechenden Kosten ist ein wichtiger Aspekt; durch die größere Flexibilität bei der Frequenzverwaltung werden die Verwaltungsverfahren vereinfacht und die Frequenznutzung durch die Betreiber erleichtert. Die von den Mitgliedstaaten zu gewährenden Ausnahmen technischer Art und umfangreicheren Ausnahmeregelungen für im allgemeinen Interesse liegende Ziele (z.B. kulturelle und sprachliche Vielfalt, Meinungsfreiheit, Pluralismus der Medien, Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts und Schutz des menschlichen Lebens) hält der EWSA für notwendig, wobei die technischen, sozialen, kulturellen und politischen Erfordernisse aller Mitgliedstaaten entsprechend den im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht erlassenen nationalen Rechtsvorschriften berücksichtigt werden müssen.

1.5

Die Einrichtung einer Europäischen Behörde für die Märkte der elektronischen Kommunikation als von der Kommission unabhängige Einrichtung, welche die Befugnisse der nationalen Regulierungsbehörden (NRB) stärkt, kann positive Ergebnisse bringen, da dadurch eine funktionierende Partnerschaft zwischen der Kommission und den NRB in Fragen ermöglicht wird, bei denen eine Abstimmung auf europäischer Ebene erforderlich ist: Marktdefinition, Analyse von Problemen und entsprechende Abhilfe, Harmonisierung der Frequenznutzung und Definition länderübergreifender Märkte.

2.   Einleitung

2.1

Im Jahre 2002 wurde eine Reform des Telekommunikationsmarktes beschlossen, die zur Festlegung eines neuen Rechtsrahmens für die elektronische Kommunikation führte. Dieser Rechtsrahmen erstreckt sich auf alle satellitengestützten und terrestrischen — einschließlich fester und drahtloser — Netze und umfasst die Rahmenrichtlinie, die Zugangsrichtlinie, die Genehmigungsrichtlinie, die Universaldienstrichtlinie und die Datenschutzrichtlinie mit den Bestimmungen für den Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten in diesem Bereich.

2.2

Dieser Gemeinschaftsrahmen zur Regulierung elektronischer Kommunikationsdienste und -netze wurde entwickelt, um neuen Betreibern den Zugang zu bestehenden Infrastrukturen zu erleichtern, Investitionen in alternative Infrastrukturen zu fördern und den Verbrauchern ein größeres Angebot und niedrigere Preise zu bieten.

2.3

Das Regulierungsmodell des Rechtsrahmens beruht auf dem Grundsatz der dezentralen Regulierung in den Mitgliedstaaten, bei dem die nationalen Behörden für die Beaufsichtigung der Märkte nach gemeinsamen Grundsätzen und Verfahren zuständig sind.

2.4

Dieser Regulierungsrahmen sieht ein Mindestmaß an Harmonisierung vor und überlässt die Festlegung der Durchführungsmaßnahmen den Nationalen Regulierungsbehörden (nachstehend NRB) bzw. den Mitgliedstaaten.

2.5

Gemäß der Rahmenrichtlinie wird das Ziel festgelegt, die Vorabregulierung der Märkte schrittweise in dem Maße zu verringern, wie sich der Wettbewerb in diesem Sektor entwickelt. Dies erfolgt durch eine Empfehlung der Kommission, in der diejenigen Produkt- und Dienstleistungsmärkte festgelegt werden, die eine Vorabregulierung rechtfertigen können.

2.5.1

Eine Vorabintervention zur Regulierung soll für mehr Wettbewerb auf den Einzelhandelsmärkten sorgen und ist daher immer auf Vorteile für die Verbraucher ausgerichtet. Wegen der sich weiterentwickelnden Produkt- und Dienstleistungsmerkmale und der sowohl nachfrage- als auch angebotsseitigen Substitutionsmöglichkeiten kann sich die Definition der „relevanten Märkte“ mit der Zeit ändern, wie in der Empfehlung der Kommission vom 17. Dezember 2007 (1) festgestellt wurde.

3.   Vorschläge der Kommission

3.1

Die Kommission hat eine umfassende Änderung der geltenden EU-Rechtsvorschriften über die elektronische Kommunikation (nachstehend der „Regulierungsrahmen“) durch die Vorlage des folgenden Bündels von Vorschlägen auf den Weg gebracht:

zwei Richtlinienvorschläge: einer zur Änderung der Rahmenrichtlinie (der Zugangs- und der Genehmigungsrichtlinie) und der andere zur Änderung der Universaldienstrichtlinie und der Datenschutzrichtlinie;

einen Vorschlag für eine Verordnung zur Einrichtung der Europäischen Behörde für die Märkte der elektronischen Kommunikation (nachstehend die „Behörde“).

3.2

Im Wesentlichen soll mit diesen Vorschlägen der „geänderte“ europäische Regulierungsrahmen für die elektronische Kommunikation definiert und an die Bedürfnisse der nationalen Regulierungsbehörden sowie der Betreiber und Verbraucher der Produkte und Dienstleistungen angepasst werden.

3.3

Es geht um die Festlegung eines kohärenten „geänderten Rechtsrahmens“ für die digitale Wirtschaft, die sich die Vorteile zunutze macht, die mit der Vollendung des Binnenmarktes verbunden sind. Die Vorschläge umfassen folgende Aspekte:

3.4

Vorschlag zur Änderung der Rahmenrichtlinie, der Genehmigungsrichtlinie und der Zugangsrichtlinie:

a)

Im Zusammenhang mit der Frequenzverwaltung wird gewährleistet, dass die Mitgliedstaaten die Beteiligten konsultieren, wenn eine Ausnahme von den Grundsätzen der Technologie- und Dienstneutralität in Erwägung gezogen wird, und zwar auch dann, wenn Ziele von allgemeinem Interesse verfolgt werden.

b)

Die Einheitlichkeit der einschlägigen Rechtsvorschriften wird gestärkt durch Rationalisierung einiger Verfahrenselemente bei der Marktüberprüfung, einschließlich der Möglichkeit der Kommission, eine Marktanalyse zu übernehmen, falls eine NRB bei der Erfüllung ihrer Pflichten erheblich in Verzug ist.

c)

Die Netzsicherheit und -integrität wird vervollkommnet durch die Stärkung der bestehenden Pflichten und durch Ausdehnung der Integritätsanforderungen über Telefonnetze hinaus auf Mobilfunk- und IP-Netze.

d)

Die für die Beteiligten bestehenden rechtlichen Garantien werden gestärkt durch Festlegung verschiedener Kriterien für die Unabhängigkeit der NRB, die Möglichkeit von Rechtsbehelfen gegen die Entscheidungen der NRB sowie die Möglichkeit der Aufhebung von NRB-Maßnahmen bei einem dringenden Erfordernis, eine schwerwiegende und nicht wieder gutzumachende Schädigung zu verhindern.

e)

Die Bedürfnisse bestimmter benachteiligter Gruppen werden berücksichtigt, indem technische Anforderungen für Endgeräte in den Regulierungsrahmen aufgenommen werden, was zu einer verbesserten Barrierefreiheit für Nutzer mit Behinderungen führt, und indem die Ziele der NRB im Hinblick auf die Nutzergruppen älterer Menschen und Personen mit besonderen sozialen Bedürfnissen auf den neuesten Stand gebracht werden.

f)

Die NRB erhalten die Befugnis, mit vorheriger Zustimmung der Kommission eine Funktionstrennung aufzuerlegen.

g)

Es wird ein gemeinsames Auswahlverfahren festgelegt.

h)

Schließlich werden die Durchsetzungsbefugnisse der NRB gestärkt, die es ihnen ermöglichen, besondere Bedingungen an Allgemeingenehmigungen zu knüpfen, um die Zugänglichkeit für behinderte Nutzer zu gewährleisten, das Urheberrecht und Rechte an geistigem Eigentum zu schützen und um die Notfallkommunikation der Behörden gegenüber privaten Nutzern sicherzustellen.

3.5

Der Vorschlag zur Änderung der Vorschriften über den Universaldienst, die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre sowie die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz baut auf den Fortschritten auf, die durch den legislativen Ansatz der Kommission in diesem Sektor bereits erreicht wurden.

3.5.1

Dabei wird anerkannt, dass der Wettbewerb allein nicht ausreicht, um die Bedürfnisse aller Bürger zu befriedigen und die Rechte der Nutzer zu schützen, weshalb der Universaldienst, die Nutzerrechte und der Schutz personenbezogener Daten durch besondere Bestimmungen geschützt werden sollen.

3.5.2

Angestrebt wird insbesondere eine stärkere Preistransparenz und die Veröffentlichung der Informationen für die Endbenutzer, wobei die Betreiber verpflichtet werden, vergleichbare, angemessene und aktuelle Informationen in leicht zugänglicher Form zu veröffentlichen, und die NRB die Befugnis erhalten, diese Verpflichtungen von den Betreibern einzufordern.

3.5.3

Vorgesehen sind Maßnahmen zur Gewährleistung der Nummernübertragbarkeit, die den Verbrauchern einen Anbieterwechsel erleichtern (dazu wird festgelegt, dass die Nummernübertragung nicht länger als ein Werktag dauern darf, und die NRB werden ermächtigt, Maßnahmen der Anbieter, welche den Nutzer von einem Anbieterwechsel abschrecken sollen, zu verhindern). Die Auflagen in Bezug auf Angaben zum Anruferstandort für Notdienste werden ausgedehnt, zum Beispiel durch die Verpflichtung zur Übermittlung von Informationen an die angerufenen Notrufdienste usw.

3.5.4

Die bloße Möglichkeit der Mitgliedstaaten, besondere Maßnahmen für behinderte Nutzer zu ergreifen, wird durch eine ausdrückliche diesbezügliche Verpflichtung ersetzt; zudem können die NRB von den Betreibern die Veröffentlichung von für Nutzer mit Behinderungen relevanten Informationen verlangen.

3.5.5

Die NRB werden ermächtigt, Mindestvorgaben für die den Endnutzern angebotene Qualität der Netzübertragungsdienste festzulegen, um dadurch eine Verschlechterung der Dienstqualität zu verhindern, und die Endkundentarife zu beobachten, wenn keine Unternehmen als Universaldienstbetreiber benannt wurden.

3.5.6

Überdies wird sichergestellt, dass den Endnutzern Sicherheitsverletzungen, die zum Verlust oder zur Gefährdung personenbezogener Daten der Nutzer führen, mitgeteilt werden, und dass sie über vorhandene/empfohlene Vorkehrungen aufgeklärt werden, wie sie mögliche Schäden so gering wie möglich halten können.

3.5.7

Im Einklang damit steht das Verbot des Einsatzes von Spähprogrammen und anderer Schadsoftware, und zwar unabhängig von der Art der Installation im Gerät des Nutzers, und die verstärkte Bekämpfung unerbetener Werbung (Spam) durch die Möglichkeit, dass Internet-Diensteanbieter gegen Spam-Versender rechtlich vorgehen.

3.6

Hervorzuheben ist schließlich auch der Vorschlag zur Einrichtung der Europäischen Behörde. Diese wird gegenüber dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig sein, einen Regulierungsrat aus den Leitern der NRB aller EU-Mitgliedstaaten umfassen und die Gruppe Europäischer Regulierungsstellen (ERG) (2) ersetzen.

3.6.1

Diese „Behörde“ berät die Kommission bei bestimmten Entscheidungen, wird als EU-Fachzentrum für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste fungieren und die Aufgaben der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) übernehmen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt die Vorschläge der Kommission, insoweit damit Lösungen angestrebt werden, die den Erfordernissen der Regulierung und Steuerung des europaweiten Marktes der elektronischen Kommunikation entsprechen.

4.1.1

Der Ausschuss befürwortet die von der Kommission verfolgten Ziele, die Telekommunikationsmärkte stärker für den Wettbewerb zu öffnen und Investitionen in Hochgeschwindigkeitsnetze (für alle Technologien, d.h. Fest- und Mobilfunknetze und satellitengestützte Netze) zu fördern (3) sowie stärker auf das Internet der Zukunft, sprich das Internet der Dinge und semantischen Verknüpfungen zu setzen und im Zuge der Digitalisierung der audiovisuellen Dienste eine optimierte Frequenzverwaltung im Binnenmarkt sicherzustellen. Dies liegt im gemeinsamen Interesse der Verbraucher und Unternehmen, die hochwertige und leistungsfähige Telekommunikationsnetze und -dienste brauchen.

4.1.2

Der Ausschuss stellt fest, dass der bisher für den Telekommunikationssektor geltende Rechtsrahmen unter anderem Folgendes ermöglicht hat:

substanzielle Fortschritte im Hinblick auf stärker geöffnete und dynamischere Märkte, wie die Kommission in ihrem Zwischenbericht „Elektronische Kommunikation in Europa — Regulierung und Märkte 2006 (12. Bericht)“ bilanziert;

die Bekämpfung der starken Ungleichzeiten zwischen den einzelnen Betreibern sowie der Vorzugsbehandlung der ehemaligen staatlichen Monopole.

4.2

Zu begrüßen ist ferner die Tatsache, dass die in den Vorschlägen enthaltenen Rechtsvorschriften auf den gesamten Bereich der elektronischen Kommunikation und damit auf alle damit verbundenen Übertragungsnetze und Dienstleistungen ausgedehnt wurden.

4.3

Neben den bereits genannten Verbesserungen bei Fragen rein technischer Natur bzw. bei Verwaltungsaspekten sind auch die umfassenden Bestimmungen zu erwähnen, mit denen die Rechte der Nutzer von elektronischen Kommunikationsdiensten gestärkt und den Betreibern verfahrens- und verwaltungsrechtliche Garantien eingeräumt werden sollen (Recht der Betroffenen auf Anhörung, Pflicht zur Begründung der Entscheidungen, Erlass einstweiliger Maßnahmen und Rechtsbehelfe). Mit der Einführung dieser Garantien wird die EU dem in Artikel 41 ihrer Grundrechtecharta vorgesehenen Recht auf eine gute Verwaltung gerecht.

4.4

Der EWSA befürwortet insbesondere die Berücksichtigung von Forderungen, die er in früheren Stellungnahmen vorgebracht hat und die folgende Aspekte betreffen:

die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, besondere Maßnahmen für behinderte Nutzer zu ergreifen (4), um die Ziele der Europäischen Charta der Grundrechte und des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu erreichen;

die allgemeinen Grundsätze der Frequenzverwaltung, da das Frequenzspektrum im öffentlichen Interesse liegt und aus wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und umweltrelevanter Sicht und unter Berücksichtigung der Technologie- und Dienstneutralität zu verwalten ist, um die kulturelle und sprachliche Vielfalt, die Meinungsfreiheit, den Pluralismus der Medien zu gewährleisten und dabei die technischen, sozialen, kulturellen und politischen Bedürfnisse aller Mitgliedstaaten zu berücksichtigen (5).

4.4.1

Zur Gewährleistung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt gehört es auch, dass in E-Mails die mit diakritischen Zeichen versehenen Buchstaben einer Sprache oder die kyrillischen, griechischen oder anderen besonderen Buchstaben nicht unleserlich werden. Das Versenden von SMS mit solchen Buchstaben darf nicht teurer sein.

4.5

Ferner befürwortet der Ausschuss die Vorschläge der Kommission zu folgenden Aspekten:

a)

Vereinfachung des Verfahrens zur Marktanalyse, wodurch der Verwaltungsaufwand der NRB und die Verwaltungskosten der Betreiber verringert werden können;

b)

Verbesserung der Netzsicherheit und -integrität, um eine zuverlässige Nutzung der elektronischen Kommunikation zu gewährleisten;

c)

Stärkung der Unabhängigkeit der NRB durch Begrenzung der Möglichkeiten einer Beeinflussung der NRB-Tagesgeschäfte durch andere öffentliche Stellen und indem sichergestellt wird, dass die NRB über einen eigenen unabhängigen Haushalt und ausreichende personelle Mittel verfügen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Zweck der Kommissionsvorschläge ist einerseits der Erlass von „Maßnahmen zur Annäherung“ der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation und andererseits die Schaffung einer neuen supranationalen Einrichtung. Deshalb weist der EWSA nachdrücklich darauf hin, dass ausschließlich Artikel 95 EG-Vertrag als Rechtsgrundlage für diese Maßnahmen herangezogen werden sollte.

5.1.1

Dieser Artikel bietet zweifellos eine geeignete und ausreichende Rechtsgrundlage, um die angestrebten Ziele bzw. ihre Verwirklichung zu begründen (6), doch — wie der EuGH in seiner Rechtsprechung feststellt — muss die Kommission dafür sorgen, dass die für diesen Zweck erlassenen Maßnahmen sich auch tatsächlich auf die einzelstaatlichen Rechtsordnungen auswirken (und damit deren Änderung bewirken) und auf Gemeinschaftsebene alle jene Aspekte genau regeln, welche für die Stellung der Verbraucher und Benutzer der elektronischen Kommunikation Vorteile bringen, ebenso wie die in den Vorschlägen vorgesehenen rechtlichen und verfahrensrechtlichen Garantien (7).

5.1.2

Kurz gesagt darf der künftige supranationale Rechtsrahmen für diesen Bereich keine bloße Verschönerung der geltenden EU-Rechtsbestimmungen über die elektronische Kommunikation sein.

5.1.3

Diese Bemerkung trifft auch auf die Schaffung der „Behörde“ zu, die in dem Maße eine Daseinsberechtigung haben wird, wie es ihr gelingt, zur einheitlichen und wirksamen Anwendung der vorgeschlagenen Vorschriften beizutragen, für die sie aufgrund der ihr zugewiesenen Aufgaben prinzipiell zuständig ist.

5.1.4

Die Einrichtung dieser Behörde steht im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip, denn das derzeitige System der Zusammenarbeit:

a)

ist kaum strukturiert und es mangelt ihm an effizienten Mechanismen, was zu einer Fragmentierung des Binnenmarktes führt;

b)

garantiert keine gleichen Bedingungen für die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassenen Betreiber, und

c)

verhindert die Erzielung der Vorteile, welche der Wettbewerb und grenzübergreifende Dienste für die Verbraucher bringen würden.

5.1.5

Zugleich steht die Schaffung der Behörde auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang, da sie die Mittel bereitstellt für eine funktionierende Partnerschaft zwischen der Kommission und den nationalen Regulierungsbehörden in Fragen, bei denen eine Abstimmung auf europäischer Ebene erforderlich ist.

5.2

Die Behörde sollte als alleiniges Forum für die Zusammenarbeit der NRB bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben innerhalb des Rechtsrahmens dienen.

5.2.1

Der EWSA will die vorgesehene Bewertung der Funktionsweise der Behörde abwarten, bevor er sich dazu äußert, ob sie transparent, verantwortlich und unabhängig arbeitet. Außerdem wurden die Befugnisse der NRB durch eine solide und transparente Verankerung im Gemeinschaftsrecht gestärkt.

5.3

In Bezug auf den legislativen Ansatz des vorgeschlagenen Rechtsrahmens ist die Zweckmäßigkeit der Anwendung sektorspezifischer Kriterien neben den Prinzipien und Regeln des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt anzuerkennen (8). Ein solches Vorgehen ist besonders angezeigt für diesen Sektor, den die Behörden vorab regulieren müssen, was komplizierte wirtschaftliche Analysen des relevanten Marktes beinhaltet — eine Methode, die in anderen Sektoren des Binnenmarktes nicht erforderlich ist (9).

5.3.1

Der EWSA unterstützt das im Regulierungsrahmen festgelegte Ziel, die Vorabregulierung der Märkte schrittweise in dem Maße zu verringern, wie sich der Wettbewerb in diesem Sektor entwickelt. Die Kommission tut dies bereits in Ansätzen, so zum Beispiel in ihrer Empfehlung vom 17. Dezember 2007. Der EWSA hofft, dass die dynamische Entwicklung des Marktes der elektronischen Kommunikation, die sich weiterentwickelnden Produkt- und Dienstleistungsmerkmale und die Substitutionsmöglichkeiten derartige Interventionsmaßnahmen überflüssig machen können.

5.3.2

Der EWSA sieht in der Funktionstrennung eine Maßnahme mit Ausnahmecharakter, die nur eingeschränkt angewendet werden sollte. Die Funktionstrennung darf nur von NRB und mit vorheriger Zustimmung der Kommission auferlegt werden, die dazu die Stellungnahme der neuen Behörde einholen muss.

5.3.3

Eine derartige Abhilfemaßnahme kann gerechtfertigt sein, wenn auf mehreren der betreffenden Märkte eine tatsächliche Nichtdiskriminierung wiederholt nicht erreicht werden konnte und es dort innerhalb einer zumutbaren Frist geringe oder keine Aussichten auf einen Wettbewerb bei der Infrastruktur gibt, nachdem zuvor auf eine oder mehrere für angebracht erachtete Abhilfemaßnahmen zurückgegriffen wurde.

5.4

In den vorgeschlagenen sektorspezifischen Bestimmungen bleiben jedoch eine Reihe von relevanten Fragen ausgespart, die einerseits effiziente und transparente Anwendung der Kriterien des freien Wettbewerbs zwischen Netzbetreibern bzw. Diensteanbietern auf dem europaweiten Markt und andererseits bestimmte substanzielle Aspekte der Rechte der Nutzer betreffen.

5.5

Zunächst muss die Reichweite des Begriffs der „nationalen Sicherheit“ geklärt werden, der in Artikel 3a Absatz 2 des EU-Vertrags (in der durch den Vertrag von Lissabon geänderten Fassung) verwendet wird, wobei den Mitgliedstaaten „die alleinige Verantwortung“ für den Schutz der nationalen Sicherheit eingeräumt wird.

5.5.1

Durch diese Anerkennung von nicht geregelten Befugnissen entsteht ein großer Ermessensspielraum für Festlegung der Fälle und Maßnahmen, die aus Gründen der nationalen Sicherheit Ausnahmen von der Anwendung der von der Kommission vorgeschlagenen sektorspezifischen Vorschriften und Grundsätze sowie des Wettbewerbsrechts begründen können.

5.5.2

Derzeit gibt es einzelstaatliche Rechtsvorschriften für den Sektor der elektronischen Kommunikation, wonach die Festlegung der Telekommunikationsnetze, -dienste, -einrichtungen und -geräte, die von wesentlicher Bedeutung für die nationale Verteidigung und den Schutz der öffentlichen Sicherheit sind, im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt (10). In diesem Zusammenhang weist der EWSA darauf hin, dass das bei der Umsetzung des „Galileo“-Projekts angewandte Verfahren hier ein nützlicher Bezugspunkt sein kann.

5.6

Zur Gewährleistung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts bei der Einrichtung neuer Netzinfrastrukturen und insbesondere bei der Schaffung der neuen Generation von Kommunikationsnetzen müssen die Behörden in der Lage sein, unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts und der Grundsätze der Demokratie den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und ein hohes Beschäftigungsniveau zu fördern und so eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung zu erreichen, damit sich ein technologisch hoch entwickelter Markt für die elektronische Kommunikation herausbilden kann.

5.6.1

Die Interventionsmaßnahmen müssen dazu dienen, mit öffentlichen Mitteln — insbesondere mit Finanzmitteln der lokalen Gebietskörperschaften — die künftige Entfaltung der Kommunikationsnetze der neuesten Generation zu fördern und sicherzustellen, dass die Technologieneutralität nicht beeinträchtigt bzw. im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eine unnötige Doppelung der Netzressourcen vermieden wird.

5.7

Bezüglich der Frage, inwieweit die Rechte der Nutzer durch den von der Kommission vorgeschlagenen Regulierungsrahmen beeinträchtigt werden, wird darauf hingewiesen, dass unter bestimmten Umständen eine spezifische Untersuchung über die Gewährleistung des Rechts auf Zugang zu Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erfolgen muss (11). Dieses Recht ist nicht nur in Artikel 36 der EU-Grundrechtecharta verankert, sondern wird auch in Artikel 16 des EU-Vertrags und im Protokoll Nr. 9 zu den Verträgen geregelt werden. Diese spezifische Untersuchung sollte sich auch auf den Schutz des freien Wettbewerbs erstrecken, der nicht als besonderes Ziel der EU in Artikel 3 des Vertrags von Lissabon aufgelistet, sondern ebenfalls Gegenstand einer Ad-hoc-Regelung nach dem Vorbild des Protokolls über den Binnenmarkt und den Wettbewerb im Anhang zu den Verträgen sein wird.

5.7.1

Der EWSA begrüßt zwar die Tatsache, dass in dem Vorschlag über den Universaldienst die Einrichtung eines Konsultationsmechanismus in den Mitgliedstaaten vorgesehen ist, der sicherstellt, dass in ihrem Entscheidungsprozess die Interessen der Verbraucher gebührend berücksichtigt werden, er bedauert allerdings, dass in keiner Bestimmung auf die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft bei dieser Konsultation und Beteiligung Bezug genommen wird. Dies gilt insbesondere für die Einbeziehung in die Beschlussfassung durch die zuständigen supranationalen Organe, welche geeignete Maßnahmen beschließen, die eine effiziente EU-weite Umsetzung garantieren.

5.7.2

Im Hinblick auf den materiellen Bereich des Universaldienstes wartet der Ausschuss den von der Kommission für dieses Jahr angekündigten diesbezüglichen Vorschlag ab, um sich dann definitiv dazu zu äußern. Vorläufig bekräftigt (12) er die Grundsätze, die seines Erachtens nach Anwendung finden sollten, nämlich:

a)

die Verfügbarkeit der Dienste zu gerechten, angemessenen und erschwinglichen Preisen;

b)

der rasche öffentliche Zugang zu den fortgeschrittenen Breitband-Informations- und Telekommunikationsdiensten in allen Regionen;

c)

der einkommens- und standortunabhängige Zugang aller Verbraucher mit Anspruch auf Tarifanpassung;

d)

ein gerechter und nicht diskriminierender Beitrag aller Anbieter von Telekommunikationsdiensten zur Erhaltung und Weiterentwicklung des Universaldienstes;

e)

das Vorhandensein spezifischer, abschätzbarer und ausreichender Mechanismen zur Aufrechterhaltung und Ausdehnung des Universaldienstes in Abhängigkeit von der technischen und sozialen Entwicklung;

f)

die für den Schutz des öffentlichen Interesses durch die NRB notwendigen ergänzenden Grundsätze;

g)

die Einrichtung eines „Forums“ und einer „Telekommunikationsbeobachtungsstelle“ auf Gemeinschaftsebene, um die Standpunkte der betroffenen wirtschaftlichen und sozialen Akteure und der anderen Organisationen der Zivilgesellschaft zu berücksichtigen.

5.7.3

In Bezug auf den Universaldienst sollten in der Richtlinie folgende Aspekte behandelt werden:

a)

die notwendige Regelung des Kundendienstes der Betreiber und Anbieter einschließlich der Befugnis zur Einführung von verbindlichen Qualitätsnormen für den Kundendienst, wenn sich die Dienstqualität verschlechtert;

b)

die Definition von Vertragsstrafen, um hier für mehr Rechtssicherheit zu sorgen;

c)

Vertragsänderungen;

d)

Mindestqualitätsvorgaben für bestimmte Aspekte, wobei die NRB ermächtigt werden, ggf. Mindestqualitätsstandards für die Dienste festzusetzen;

e)

Einzelverbindungsnachweise (detaillierte Telefonabrechnungen) und Dienste mit höheren Gebühren, wobei grundsätzlich festgelegt werden sollte, dass alle Dienste, die keine elektronische Kommunikation darstellen, in den Rechnungen gesondert ausgewiesen werden müssen;

f)

kombinierte Verträge über Kommunikationsdienste und Endgeräte, für die mehr Transparenz bei der Vertragsgestaltung erforderlich ist.

5.7.4

Der im Vorschlag zum Universaldienst vorgesehene verstärkte Verbraucherschutz garantiert den Verbrauchern nicht vollständig das in Artikel 153 EG-Vertrag festgelegte hohe Verbraucherschutzniveau, da die Bestimmungen nicht das Recht der Teilnehmer vorsehen, einen bestehenden unbefristeten Vertrag mit Netzbetreibern oder Anbietern von Kommunikationsdiensten ohne Vertragsstrafe aufzulösen.

5.7.5

Der Vorschlag enthält jedoch Aspekte, die den Verbraucherschutz verbessern, so z.B.:

transparente, aktuelle und vergleichbare Informationen über Tarife und die Art der angebotenen Dienste;

die Änderung der Verordnung 2006/2004 zur Erleichterung der internationalen Zusammenarbeit bei der Verhinderung von unerwünschten Praktiken wie Phishing  (13), Internetstalking und Spoofing.

5.8

Hinsichtlich des Datenschutzes bei der elektronischen Kommunikation stellt der Ausschuss fest, dass der Vorschlag einen Fortschritt gegenüber den geltenden Vorschriften darstellt, und fordert die Kommission auf, die Vertraulichkeit der Kommunikation und des damit verbundenen Datenverkehrs über öffentlich zugängliche elektronische Kommunikationsnetze und -dienste zu stärken und dabei den vom EuGH in seiner Rechtsprechung (14) genannten Kriterien zu folgen.

5.8.1

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die im Zusammenhang mit der elektronischen Kommunikation stehenden Grundrechte wie der Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten, das Kommunikationsgeheimnis und die Vertraulichkeit sowie bestimmte kommerzielle Aspekte des geistigen Eigentums besser geregelt werden.

5.8.2

In Bezug auf die Sicherheit (15) müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Netzsicherheit (16) und die Verwendung hinreichend zuverlässigen Verschlüsselungsmaterials zu gewährleisten und so den Schutz der Privatsphäre zu stärken.

5.8.3

Der Ausschuss begrüßt die Anwendung des in dieser Richtlinie vorgesehenen Schutzes auf öffentliche Kommunikationsnetze, die Datenerfassungs- und Identifizierungsgeräte (z.B. kontaktlos arbeitende RFID-Geräte) unterstützen (17).

5.9

Bezüglich unerbetener Werbung (Spam) bekräftigt (18) der EWSA seine Ansicht, dass hier die Bestimmungen unbedingt auf dem Prinzip der ausdrücklichen und vorherigen Zustimmung des Verbrauchers zum Erhalt von Werbebotschaften beruhen müssen, da dem Recht, keine solche unerbetene Werbung zu erhalten, Vorrang einzuräumen ist. Dazu müssen alle erforderlichen Maßnahmen vorgesehen werden, um die Durchsetzung dieses Prinzips zu gewährleisten, wobei gegebenenfalls wirksame, abschreckende und angemessene Sanktionen festzulegen sind.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. L 344 vom 28.12.2007, S. 65.

(2)  Die ERG wurde durch den Beschluss 2002/627/EG der Kommission vom 29.7.2002, geändert durch den Beschluss 2004/641/EG der Kommission vom 6.12.2007, eingerichtet (ABl. L 323 vom 8.12.2007, S. 43).

(3)  Siehe Stellungnahme ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 50, Berichterstatter: Herr RETUREAU.

(4)  Sondierungsstellungnahme zum Thema „Künftige Rechtsvorschriften zur eAccessibility“, ABl. C 175, 27.7.2007, S.91-95.

(5)  ABl. C 151 vom 17.6.2008, S. 25.

(6)  Urteil des EuGH vom 2.5.2006, Rechtssache C-436/03.

(7)  Ebenda, Begründungserwägungen 44 und 45.

(8)  Siehe BAVASSO, A: „Electronics Communications: A New Paradigm for European Regulation“, CML Rev. 41, 2004, S. 110 ff.

(9)  De STREEL, A: „The Integration of Competition Law Principles in the New European Regulatory Framework for Electronics Communications“, World Competition, 26, 2003, S. 497.

(10)  Für eine genauere Analyse dieser Fragen wird verwiesen auf: MOREIRO GONZÁLEZ, Carlos J.: „Las cláusulas de Seguridad Nacional“. Iustel, 207, S. 26-31 und 53-64.

(11)  Siehe Stellungnahmen CESE 267/2008, verabschiedet am 14.2.2008, Berichterstatter: Herr HENCKS.

(12)  Stellungnahme des EWSA, verabschiedet auf der Plenartagung am 28. Februar/1. März 2001. ABl. C 139 vom 11.5.2001, S. 15.

(13)  Eine Form des Betrugs, bei der versucht wird, ohne Zustimmung des Benutzers an die Zugangsdaten für dessen Bankkonten zu gelangen, sich so Zugang zum Konto zu verschaffen und Geld abzuzweigen.

(14)  Siehe insbesondere Urteil des EuGH vom 29.1.2008 in der Rechtssache C-275/06.

(15)  Der EWSA erarbeitet derzeit die Stellungnahme (INT/417) DT R/CESE 80/2008 über die Bekämpfung von Betrug und Fälschung im bargeldlosen Zahlungsverkehr.

(16)  Siehe Stellungnahme zum Thema „Sicherheit der Netze und Informationen“, Berichterstatter: Herr RETUREAU, ABl. C 48 vom 21.2.2002, S.20.

(17)  Siehe Stellungnahme zum Thema „Funkfrequenzkennzeichung (RFID)“, Berichterstatter: Herr MORGAN, ABl. C 256 vom 27.10.2007, S.66.

(18)  Siehe Stellungnahme des Ausschusses, verabschiedet auf der Plenartagung am 24./25. Januar 2001. ABl. C 123 vom 25.4.2001, S. 53.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Verhaltenskodex in Bezug auf Computerreservierungssysteme“

KOM(2007) 709 endg. — 2007/0243 (COD)

(2008/C 224/12)

Der Rat beschloss am 5. Dezember 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 71 und Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Verhaltenskodex in Bezug auf Computerreservierungssysteme“

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 8. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr MCDONOGH.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 75 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt und befürwortet die Empfehlungen der Europäischen Kommission, ist allerdings der Ansicht, dass sie um folgende Punkte ergänzt werden sollten:

1.1

Es gilt, die Veräußerung sämtlicher Anteile von Mutterunternehmen an CRS (Computerreservierungssystemen) in der EU verbindlich vorzuschreiben und Maßnahmen zu ergreifen, um direkte bzw. indirekte Investitionen von Luftfahrtunternehmen in CRS auch in Zukunft zu unterbinden.

1.2

Die Bestimmungen für Mutterunternehmen sind beizubehalten, bis diese ihre CRS-Anteile veräußert haben.

1.3

Die Bestimmungen über die Anzeigeneutralität müssen aufgehoben werden. Eine Hauptanzeige ist aufgrund der unterschiedlichen Präferenzen und Verfahrensweisen der Individual- und Geschäftsreisenden in der Praxis nur in begrenztem Maße zweckdienlich; außerdem werden die Neutralitätsbestimmungen im Online-Reisebuchungswesen selten eingehalten bzw. wird dieses vom Verhaltenskodex erst gar nicht erfasst.

1.4

Die Anzeige der Tarife muss in allen Schritten sämtliche Gebühren, Abgaben und Zuschläge einschl. CRS-Gebühren enthalten. Ferner muss die Transparenz der Fluginformationen gewährleistet werden, insbesondere bei irreführenden Praktiken wie Code-Sharing, so dass für den Kunden klar ersichtlich ist, welche Luftfahrtunternehmen an dem betreffenden Flug beteiligt sind.

1.5

Die Reisebüros und Luftfahrtunternehmen müssen die Verwendung und den Verkauf von MIDT-Daten („Market Information Data Tapes“ — Marketingdatenbänder) frei mit den CRS verhandeln dürfen.

1.6

Die Datenschutzbestimmungen, insbesondere in Bezug auf die in den PNR-Daten („Passenger Name Record“ — Fluggastdatensätze) enthaltenen Informationen über Dritte und nicht nur den Reisenden selbst, müssen gestärkt werden.

1.7

Ferner muss der Datenschutz im Rahmen des Verhaltenskodex auch wirklich durchgesetzt werden und insbesondere im Zusammenhang mit der Übertragung von personenbezogenen Daten seitens der Luftfahrtunternehmen an Drittländer (an Unternehmen und Regierungsbehörden) von der EU garantiert und in Form von bilateralen Verträgen mit diesen Drittländern anstelle von rechtlich unverbindlichen Vereinbarungen anerkannt werden.

1.8

Es müssen neue Bestimmungen aufgenommen werden, gemäß der ausnahmslos alle von CRS-Abonnenten (einschl. Luftfahrtunternehmen, die das Hosting ihrer PNR-Datenbank an CRS-Betreiber übertragen haben, sowie Reisebüros, Reiseveranstalter und Verkehrsunternehmen) erstellten PNR-Daten durch die Datenschutzbestimmungen des Verhaltenskodex geschützt werden.

1.9

Die Bestimmung, dass abonnierte Nutzer ihre Verträge mit CRS-Betreibern unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist kündigen können, ist aufzuheben.

1.10

Die CRS müssen offiziell als für die Datenverarbeitung Verantwortlicher anerkannt werden, und zwar nicht nur für Flug- und Bahnreisedaten, sondern auch für Hotel-, Bus-, Fähr-, Versicherungs- und weitere in ihrem System zur Verfügung stehende Daten.

1.11

Es gilt, den Eintritt neuer CRS-Betreiber auf den Markt und somit den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Systemverkäufern zu fördern. Abonnierte Nutzer und Verbraucher kämen dann in den Genuss besserer Dienstleistungen, ausgefeilterer Technologie und einer wettbewerbsorientierteren Preispolitik.

1.12

Eisenbahnunternehmen müssen dazu angehalten werden, ihre Inhalte über CRS anzubieten; es gilt, derartige umweltfreundlichere Verkehrsträger in der EU zu fördern.

2.   Einführung

2.1

Am 15. November 2007 schlug die Europäische Kommission die Überarbeitung der Verordnung (EWG) Nr. 2299/89 über einen Verhaltenskodex im Zusammenhang mit computergesteuerten Buchungssystemen vor. Mit dieser Verordnung sollte unlauterem Verhalten in einem speziellen Markt vorgebeugt werden, für den die allgemeinen Wettbewerbsvorschriften nicht ausreichen würden. Zum damaligen Zeitpunkt waren Computerreservierungssysteme (CRS) die einzige Möglichkeit für Kunden, Fluginformationen abzurufen; allerdings waren die CRS in Besitz und unter Kontrolle der Luftfahrtunternehmen.

2.2

Über CRS können Reisedaten gespeichert, abgerufen und verbreitet sowie Reisen gebucht werden.

2.2.1

Derzeit gibt es vier CRS: SABRE, Galileo, Worldspan und Amadeus. Abgesehen von Amadeus (in europäischen Besitz) sind sie allesamt US-amerikanische Unternehmen. Galileo und Worldspan haben zwar 2007 fusioniert, arbeiten aber nach wie vor als getrennte Unternehmen.

2.3

Die Ausgangslage für CRS hat sich jedoch erheblich verändert.

2.3.1

Die meisten Luftfahrtunternehmen -mit Ausnahme von Air France, Lufthansa und Iberia (1) — haben ihre Anteile an CRS veräußert.

2.3.2

Mit dem Eintritt in die Internet-Ära sind CRS nicht mehr die einzige Flugbuchungsmöglichkeit. Da sich das Internet in allen EU-Mitgliedstaaten immer weiter durchsetzt (2) und die Online-Reisebuchungstechnologie immer ausgereifter wird, wird die Bedeutung von CRS als wichtigste Zugangsmöglichkeit zu Reisedaten weiter zurückgehen.

2.4

In den Vereinigten Staaten wurde der CRS-Markt 2004 auf der Grundlage dereguliert, dass Mutterunternehmen sämtliche Anteile an CRS veräußerten. Die Buchungsgebühren sind seither um 20-30 % gesunken. Die EU-Luftfahrtunternehmen können nur schwer mit ihren US-amerikanischen Konkurrenten mithalten, da sie keine günstigeren Verträge mit CRS-Betreibern aushandeln dürfen.

2.5

Aufgrund des Verhaltenskodex wird der europäische CRS-Markt nach wie vor von einem Oligopol beherrscht, und die Verhandlungsstärke der wichtigsten Akteure ist unausgewogen. CRS verfügen über Absatzsicherheit und haben in den Beziehungen zu den Reisebüros die Oberhand, wohingegen die Luftfahrtunternehmen ihre Verhandlungsposition durch den Ausbau ihrer Online-Vertriebskapazitäten gestärkt haben.

2.6

Mit Ausnahme der Bestimmung für Mutterunternehmen werden die allgemeinen Wettbewerbsvorschriften der EU als ausreichend erachtet, um in Ermangelung sektorspezifischer Vorschriften Missbrauch wie Preisabsprachen vorzubeugen.

3.   Bemerkungen

3.1   Mutterunternehmen

3.1.1

Luftfahrtunternehmen, die Anteile an CRS halten, werden als „Mutterunternehmen“ bezeichnet. Die Aufhebung der Bestimmungen für Mutterunternehmen wäre zu riskant, da drei der größten europäischen Luftfahrtunternehmen (Iberia, Lufthansa und Air France) einen erheblichen Anteil an Amadeus halten. Die Gefahr unlauteren Verhaltens ist zu groß, und die beherrschende Stellung auf den einheimischen Märkten ist nach wie vor eine echte Bedrohung für andere CRS und Luftfahrtunternehmen, die keine CRS-Anteile halten (so genannte „nicht teilnehmende“ Luftfahrtunternehmen).

3.1.2

Die EU sollte allen Luftfahrtunternehmen verbieten, jetzt und künftig Besitzanteile an CRS zu halten.

3.1.3

Eine völlige Trennung zwischen CRS und Luftfahrt- bzw. anderen Verkehrsunternehmen wird letztlich Absprachen oder unlauteres Wettbewerbsverhalten seitens der Mutterunternehmen unmöglich machen. Dann kann der Verhaltenskodex auch durch die Aufhebung der zahlreichen in diesem Kommmissionsvorschlag enthaltenen Sicherheitsbestimmungen für Mutterunternehmen noch weiter vereinfacht werden. Der Reisevertriebsmarkt insgesamt würde von einer derartigen Entwicklung profitieren, da CRS und Luftfahrtunternehmen auf gleicher Augenhöhe miteinander konkurrieren würden, ohne dass Missbrauch zu vermuten oder befürchten steht.

3.1.4

Bis zur Erfüllung dieser Bedingungen müssen die spezifischen Bestimmungen von Artikel 10 für Mutterunternehmen in Kraft bleiben, um jedwedes unlautere Verhalten dieser Luftfahrtunternehmen zu unterbinden.

3.2   Anzeigeneutralität für Online- und traditionelle Reisebüros

3.2.1

Mit dem Verhaltenskodex wird sichergestellt, dass die CRS-Fluganzeigen neutral sind und die Reihung der Flüge ohne Gewichtung bzw. Diskriminierung vorgenommen wird. Reisebüros müssen ihre Kunden über verfügbare Flüge nach der Flugdauer, beginnend mit der kürzesten, informieren (in der Reihenfolge „Non-Stop“-Flüge — Direktflüge — Flüge mit Umsteigen). Die Kunden können jedoch eine Anzeige der Ergebnisse gemäß ihren individuellen Anforderungen verlangen.

3.2.2

Die Beibehaltung der Anzeigeneutralität auf dem heutigen Markt ist wirkungslos, insbesondere da die Neutralitätsbestimmungen auf Online-Vertriebskanäle wie die Internetportale von Luftfahrtunternehmen und Selbstbuchungstools für Unternehmen keine Anwendung finden.

3.2.3

Aufgrund der Marktnachfrage steht den Kunden weiterhin Zugang zu allen Luftfahrtunternehmen offen; selbst über Online-Reisebüros wie Lastminute.com und eBookers, die im Besitz von CRS sind, werden in der Regel alle buchbaren Flüge sämtlicher Luftfahrtunternehmen — wenn auch in gewichteter Reihenfolge — angezeigt.

3.2.4

Websites zum Vergleich von Reiseangeboten (3) bieten Luftfahrtunternehmen oder Reisebüros die Möglichkeit, gegen entsprechende Bezahlung an erster Stelle der Suchergebnisse aufgelistet zu werden, ungeachtet des Tarifs oder der Flugzeiten. Der Kunde kann die Flüge nach einer Reihe von Kriterien anzeigen, z.B. Gesamtpreis, Abflugzeit, Luftfahrtunternehmen oder Gesamtflugdauer. Ihm wird daher keineswegs der Zugang zu neutralen Informationen verwehrt, da sämtliche Informationen nach wie vor zur Verfügung stehen; er wird letztlich immer die Wahl treffen, die seinen Anforderungen am besten entspricht.

3.2.5

Die Anzeige von Flügen für Firmenkunden erfolgt in der Regel gemäß den Dienstreise-Bedingungen des Unternehmens, den Tarifen und den Luftfahrtunternehmen und weniger gemäß dem Aspekt der Neutralität.

3.2.6

Durch die Abschaffung der Anzeigeneutralität könnten sich Luftfahrtunternehmen die „Spitzenränge“ in den Suchergebnissen in den CRS-Anzeigen „erkaufen“. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass kleinere Luftfahrtunternehmen dadurch erhebliche Marktanteile verlieren würden — und zwar aus den bereits oben erwähnten Gründen: Der Kunde wird seine Buchung immer gemäß seinen Reiseanforderungen und nicht anhand der Reihenfolge der Suchergebnisse vornehmen. Als Vergleich könnten hier die Suchergebnisse in Google angeführt werden: Auch hier steht die Information kostenlos zur Verfügung, bestimmte Anbieter können jedoch für ihren Rang in der Suchergebnisliste zahlen. Warum sollten für die Reiseindustrie daher andere Bestimmungen gelten?

3.2.7

Daher sollte Artikel 5 über Anzeigen aufgehoben werden. Diese Informationen bedürfen keinerlei Regulierung, da eine faire Darstellung der verfügbaren Reiseinformationen aufgrund des Spiels der Marktkräfte und der Verbraucherkompetenz sichergestellt ist.

3.2.8

Es ist im Interesse des Verbrauchers, dass die Tarife so transparent wie möglich sein und bereits bei der Anzeige der ursprünglichen Suchergebnisse sämtliche Abgaben, Gebühren und Zuschläge einschl. der CRS-Gebühren enthalten müssen. Auf diese Weise werden Luftfahrtunternehmen von irreführenden Anzeigen abgehalten, in denen Zuschläge erst in einer fortgeschrittenen Etappe des Buchungsverfahrens aufgelistet werden.

3.3   MIDT-Vorschriften

3.3.1

MIDT-Daten enthalten detaillierte Informationen über die allgemeinen Buchungstätigkeiten von Reisebüros und Luftfahrtunternehmen. Diese Informationen werden von CRS zusammengeführt und an Luftfahrtunternehmen verkauft. MIDT-Daten geben Luftfahrtunternehmen wertvolle Wettbewerbsinformationen an die Hand, einschl. Buchungen, Gewinne und Reiseplanungsmuster von Reisebüros.

3.3.2

Für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Luftfahrtunternehmen und Reisebüros, auch im Interesse des Verbrauchers, würde eine direkte oder indirekte Verschleierung der Identität von Reisebüros dem Markt insgesamt zu Gute kommen. Da MIDT aber auch über andere Quellen wie den Internationalen Luftverkehrsverband IATA zugänglich sind, sollte abonnierten Nutzern in Ermangelung einer Regelung das Recht eingeräumt werden, die Verwendung dieser Daten mit den CRS zu verhandeln, da es immerhin um wertvolle Informationen geht.

3.3.3

Artikel 7 sollte dahingehend ergänzt werden, dass Luftfahrtunternehmen und abonnierte Nutzer die Kaufbedingungen für MIDT-Daten frei mit CRS verhandeln dürfen.

3.4   Vorschriften für bei CRS abonnierte Nutzer

3.4.1

Mit den geltenden Verordnungen sollen die Reisebüros geschützt werden, wird ihnen doch die Möglichkeit eingeräumt, ihre Verträge mit CRS-Betreibern unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist zu kündigen.

3.4.2

Der Ausschuss empfiehlt die Aufhebung von Artikel 6 Absatz 2 und somit die Einführung freier Verhandlungen zwischen den Interessenträgern ohne jedwede Regulierung.

3.5   Hosting-Vereinbarungen

3.5.1

Das Hosting sollte nicht Gegenstand von CRS-Verträgen sein, um eine Bevorzugung der gehosteten Luftfahrtgesellschaften, insbesondere Mutterunternehmen, zu vermeiden. Veräußern Mutterunternehmen ihre Anteile an CRS, kann diese Bestimmung aufgehoben werden.

3.6   Datenschutz

3.6.1

Bei Flug-, Bahn-, Hotel- oder Mietwagenbuchungen bzw. anderweitigen reisebezogenen Reservierungen sowie Abschluss einer Versicherung erstellen CRS ein PNR-Dokument. Die darin enthaltenen Informationen sind hochsensibel, weshalb sie Gegenstand strenger Vorschriften über den Schutz der Privatsphäre sein sollten. In den PNR-Daten werden u.a. der Namen des Reisenden, seine Anschrift, sein Geburtsdatum sowie weitere persönliche Angaben, die seine Religionszugehörigkeit offen legen können (z.B. die Bestellung von koscherem Essen), detaillierte Angaben zu der Person, die den Flugschein bezahlt, Kreditkartendetails, Angaben zu Freunden, Familienangehörigen oder Arbeitskollegen, die den gleichen Flug buchen, sowie der Name des Reisebüros und dessen Anschrift erfasst. Im Falle von Firmenkunden werden oftmals Codes zu den PNR-Daten hinzugefügt, aus denen hervorgeht, welcher Abteilung bzw. welchem Mitarbeiter die Kosten in Rechnung gestellt werden bzw. ob der Reisende einer Gewerkschaft angehört. Auf diese Weise kann ein äußerst detailliertes Profil des Reisenden, aber auch von Drittpersonen erstellt werden, die an der Buchung beteiligt sind. Die EU muss den Schutz dieser personenbezogenen Daten gemäß den Bestimmungen des Verhaltenskodex sicherstellen.

3.6.2

CRS verstoßen systematisch gegen die Bestimmungen des Verhaltenskodex zum Schutz der Privatsphäre bei

a)

der Übertragung von Daten aus der EU in Drittländer;

b)

der Verarbeitung personenbezogener Daten ohne Zustimmung der betroffenen Person;

c)

der Verarbeitung von Daten, die in die Verantwortung der CRS fallen, zu anderen Zwecken als zu Buchungen.

3.6.3

Es wird auch gegen die Richtlinie 95/46/EG (die die Bestimmungen zum Schutz der Privatsphäre ergänzt) verstoßen, in der verankert ist, dass ein CRS als für die Datenverarbeitung Verantwortlicher die Einwilligung der betroffenen Person über die Offenlegung personenbezogener Daten erhalten muss und diese nicht an ein Drittland übermittelt werden dürfen, sofern dieses kein vergleichbares Datenschutzniveau gewährleistet. In den Vereinigten Staaten bestehen keine derartigen Datenschutzvorschriften; die Regierung und die Unternehmen können daher Profile auf der Grundlage von Reisedaten aus der EU erstellen. Diese Daten können außerdem dauerhaft gespeichert werden. Ein Beispiel ist das US-amerikanische APIS-Schema (Advance Passenger Information System), in dem Daten über Reisende aus der EU von der US-amerikanischen Regierung im Zusammenhang mit der Erteilung der Einreisegenehmigung verarbeitet werden.

3.6.4

Die Datenschutzbestimmungen müssen gezielt in Bezug auf alle in den PNR-Daten erfassten Personen, d.h. nicht nur die Reisenden selbst, verschärft werden.

3.6.5

Ferner muss der Datenschutz im Rahmen des Verhaltenskodex auch wirklich durchgesetzt werden und insbesondere im Zusammenhang mit der Übertragung von in den PNR-Daten enthaltenen personenbezogenen Daten seitens der CRS an Drittländer von der EU garantiert und in Form von bilateralen Verträgen mit diesen Drittländern anerkannt werden. Die geltenden Vereinbarungen zwischen den Vereinigten Staaten und der EU sind nicht durchsetzbar und rechtlich nicht bindend.

3.6.6

Es muss eine neue Bestimmung aufgenommen werden, gemäß der ausnahmslos alle von CRS-Abonnenten (einschl. Luftfahrtunternehmen, die das Hosting ihrer PNR-Datenbank an CRS-Betreiber übertragen haben, sowie Reisebüros, Reiseveranstalter, Verkehrsunternehmen und jedweder weitere Buchungsmechanismus im Zusammenhang mit CRS) erstellte PNR-Daten durch die Datenschutzbestimmungen des Verhaltenskodex geschützt werden.

4.   Schlussfolgerungen — nächste Schritte

4.1

Mit der Vereinfachung des Verhaltenskodex soll ein den Gegebenheiten besser angepasstes Wirtschaftsumfeld geschaffen werden, in dem die CRS miteinander in Bezug auf Tarife und Dienstleistungsqualität konkurrieren und gleichzeitig sichergestellt wird, dass die Interessen der Verbraucher oberste Priorität genießen.

4.2

Das Ausmaß der auf dieser Preisbildungsfreiheit beruhenden inhaltlichen Konsolidierung (z.B. neue Eisenbahnunternehmen oder Billigfluglinien) sollte ebenfalls aufmerksam verfolgt werden. Die Aufnahme von Eisenbahnunternehmen und Billigfluglinien in CRS bedeutet für Reiseziele in Kurz- und Mittelstreckenentfernung günstigere Preise für die Kunden (und eine größere Bandbreite an Reiseoptionen). Dies könnte dazu führen, dass teilnehmende Luftfahrtunternehmen in den Preis-Konkurrenzkampf einsteigen und ganz allgemein die Tarife mittel- und langfristig senken, was wiederum für die Kunden, die auf CRS-Betreiber für Reiseinformationen angewiesen sind, ein zentraler Vorteil sein könnte.

4.3

Die Aufnahme von Bahnreise-Informationen in die CRS-Anzeigen sollte gefördert werden, da dies einer der Schlüsselfaktoren für die Verminderung der luftfahrtbedingten Umweltauswirkungen ist und zur Förderung umweltfreundlicherer Verkehrsträger beiträgt.

4.4

Die Auswirkungen der Abschaffung der Anzeigeneutralität müssen überwacht werden. Die Marktkräfte sollten etwaigem wettbewerbswidrigem Verhalten — auch seitens Mutterunternehmen — begegnen. Dieser Verhaltenskodex sollte nicht dahingehend regulierend wirken, dass über die CRS eine einzige, konsolidierte und neutrale Informationsquelle geschaffen wird; dies wird aufgrund der sich ändernden Marktbedingungen, insbesondere Internet, immer unbedeutender.

4.5

Die vorgeschlagenen Änderungen des Verhaltenskodex sollten auch im Hinblick auf ihre sozioökonomischen Auswirkungen auf KMU, einschl. Luftfahrtunternehmen und Reisebüros, überwacht werden, die angesichts der neuen Flexibilität auf dem CRS-Markt anfällig sein könnten.

4.6

Die EU muss die Bürger für die Verwendung personenbezogener Daten in den Buchungsaufzeichnungen sensibilisieren, denn diese wissen oftmals nicht, dass es derartige CRS-Systeme überhaupt gibt — und noch weniger, was mit den von diesen CRS verarbeiteten personenbezogenen Daten geschieht. Ohne dieses Wissen ist das in dem Verhaltenskodex verankerte Recht der betroffenen Personen auf Zugang zu ihren persönlichen Daten sinnlos. Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass ein Reisender seine persönlichen Daten bei einem CRS einsehen will, da er schlicht und einfach gar nicht weiß, wie diese Daten verarbeitet werden. Wenn er es nämlich wüsste, würde er ihrer Verwendung wohl kaum zustimmen.

4.7

Interessenträger, die nicht direkt Teil des Reisevertriebssystems sind wie Verbraucherschutzorganisationen und Datenschutzexperten, sollten stärker in das Konsultationsverfahren eingebunden werden. Auf diese Weise kann ein ausgewogeneres Bild des CRS-Marktes in der EU ermittelt werden.

4.8

Die Fortschritte der Online-Reisetechnologie müssen analysiert werden. CRS und andere Reiseunternehmen, die diese Technologien einsetzen, haben erhebliche Verbesserungen der Funktionen in den Bereichen Verfügbarkeit, Buchung und Buchungsnachgang erzielt. Diese Verbesserungen in der Webtechnologie stärken die Verbraucherschutzkompetenz und werden möglicherweise auch weitere rechtliche Änderungen nach sich ziehen.

4.9

In weiteren technologischen Entwicklungen haben Luftfahrtunternehmen in den Vereinigten Staaten eine direkte Zusammenarbeit mit Reisebüros (unter Umgehung der CRS) aufgebaut; dies bedeutet weitere Veränderungen der CRS-Landschaft. Die Kunden, Reisebüros und Luftfahrtunternehmen sind immer weniger auf CRS angewiesen, sie gewinnen sogar immer mehr an Marktmacht.

4.10

Der Eintritt neuer Marktteilnehmer sollte gefördert werden. Durch eine Verstärkung des Wettbewerbs innerhalb des Oligopols in der EU wird der CRS-Markt angespornt. Seit der Deregulierung hat eine neue Generation von CRS-Betreibern auf dem US-amerikanischen Markt (4) Fuß gefasst. Dank des Einsatzes neuer Technologien können sie sehr attraktive und kostengünstigere Dienste für Luftfahrtunternehmen anbieten.

4.11

Es gilt, die Auswirkungen der niedrigeren Vertriebskosten sowohl auf dem Binnenmarkt als auch auf den weltweiten Märkten in Bezug auf die Tarife und die Wettbewerbsposition im Konkurrenzkampf mit den US-amerikanischen Luftfahrtunternehmen zu bewerten.

4.12

Der Verhaltenskodex sollte in zwei bis drei Jahren überprüft werden, um die Position der Mutterunternehmen, die Umsetzung der Datenschutzbestimmungen und die Marktbedingungen zu untersuchen und Anhörungen mit zusätzlichen Interessengruppen durchzuführen, ehe eine weitere Überarbeitung in Betracht gezogen wird.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Diese Luftfahrtunternehmen halten gemeinsam 46,4 % an Amadeus.

(2)  Derzeit liegt die Durchsatzrate bei 50 % für alle EU-Mitgliedstaaten.

(3)  Z.B. Kelkoo (http://www.kelkoo.fr).

(4)  Z.B. G2 Switchworks und Farelogix, die auch als GNE („GDS New Entrants“) bezeichnet werden.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/61


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm zum Schutz der Kinder bei der Nutzung des Internet und anderer Kommunikationstechnologien“

KOM(2008) 106 endg. — 2008/0047 (COD)

(2008/C 224/13)

Der Rat beschloss am 7. April 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 153 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm zum Schutz der Kinder bei der Nutzung des Internet und anderer Kommunikationstechnologien“

Am 11. März 2008 beauftragte das Präsidium des Ausschusses die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft mit den Vorarbeiten.

Aufgrund der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) Frau SHARMA zur Hauptberichterstatterin und verabschiedete einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss spricht der Kommission seine Anerkennung für die Arbeit aus, die sie bereits im Bereich des Kinderschutzes in Bezug auf „Online-Technologien“ geleistet hat (1). Er verweist vor allem darauf, dass die Öffentlichkeit dank der Kampagnen von Sozialpartnern, insbesondere der NGO, und der jährlich von der Kommission durchgeführten „Tage des sicheren Internets“ immer stärker auf dieses Problem aufmerksam wird.

1.2

Der EWSA hat zu diesen Fragen zahlreiche Stellungnahmen erarbeitet (2). Darüber hinaus empfiehlt er einen internationalen partnerschaftlichen Ansatz, der Folgendes fördert:

1.2.1

eine weltweite gemeinsame Nutzung von Daten und einen Gedankenaustausch zwischen den einzelnen Regierungen, den Strafverfolgungsbehörden, den Meldestellen („Hotlines“), den Banken, Finanzinstituten und Kreditkartenfirmen, den Beratungsstellen gegen Kindesmissbrauch und Kinderwohlfahrtverbänden sowie der Internet-Branche;

1.2.2

eine EU- und/oder internationale „Taskforce“, die vierteljährlich zusammentritt, um die gemeinsame Nutzung von Daten und den Austausch von Fachwissen und bewährten Praktiken zwischen den Akteuren, einschließlich der Meldestellen, Strafverfolgungsbehörden, Regierungen und insbesondere der weltweiten Internet-Industrie, zu erleichtern;

1.2.3

die Festlegung und Förderung eines Modells für internationale und europäische vorbildliche Verfahrensweisen zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern via Internet mit Hilfe der Meldestellen;

1.2.4

eine Überprüfung sämtlicher bereits bestehender und künftiger Meldestellen vor dem Hintergrund der derzeitigen anerkannten bewährten Praktiken und eine Bewertung der Leistung der Meldestellen anhand neuer Modelle für empfehlenswerte Verfahrensweisen;

1.2.5

die Straffung der künftigen Programmressourcen und Mittelzuweisung in Anbetracht der Ergebnisse der Meldestellenüberprüfung;

1.2.6

die Mitwirkung der Meldestellen am europäischen Datenbankprojekt;

1.2.7

die Förderung von Partnerschaften zwischen den Meldestellen und anderen einschlägigen Organisationen mit nationalen Domain-Namen-Registern zur Löschung von Domain-Namen, die den sexuellen Missbrauch von Kindern propagieren oder Zugang zu derartigen Inhalten bieten;

1.2.8

gemeinsame Anstrengungen zur Sensibilisierung für das problematische „Grooming“ und „Cyber-Bullying“ (3) und ggf. die Erstattung von Meldung bei der entsprechenden Strafverfolgungsbehörde und bei Kinderschutzorganisationen;

1.2.9

die Einführung von Verfahren zur Unterstützung der Analytiker und derer, die in den Meldestellen mit dem Sichten der Bilder beschäftigt sind;

1.2.10

den Vergleich und die Angleichung der in diesem Bereich in den Mitgliedstaaten bestehenden Rechtsrahmen;

1.2.11

die Einrichtung einer Netzanlaufstelle auf Ebene der Kommission, die als unabhängiger Prüfer fungiert, die Forschungsarbeiten aufeinander abstimmt und überprüft, inwieweit das Programm durchgeführt wird und die Empfehlungen umgesetzt werden;

1.2.12

die Einrichtung eines jährlichen Expertenforums für einen verstärkten Wissenstransfer;

1.2.13

die Einrichtung eines Jugendforums zur Einbeziehung der Ansichten und Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen in die Forschung und die künftige Programmdurchführung;

1.2.14

die proaktive, kooperative Nutzung von Finanzierungswegen, wie z.B. der Programme Daphne und „Safer Internet“;

1.2.15

das Knüpfen von Kontakten zu den entsprechenden US-Behörden, um in den USA die Bereithaltung von Inhalten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern darstellen, einzudämmen und einen aktiven transatlantischen Datenaustausch aufzubauen.

1.3

Durch einen partnerschaftlichen Ansatz werden eine Bündelung der Fachkenntnisse, die Verbreitung von Wissen und die Finanzierung sichergestellt. Vor allem werden die Akteure und Sozialpartner in die generellen Anstrengungen der EU zur Reduzierung illegaler Online-Inhalte und zur Beschränkung des Zugangs zu solchen Inhalten eingebunden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Die Internet- und Kommunikationstechnologien (im Folgenden „Online-Technologien“ genannt) (4) wurden als Mittel zur Kommunikation für Akademiker und Forscher erdacht und konzipiert, werden jedoch nun fast überall auf der Welt in Privathaushalten, Schulen, Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen eingesetzt.

2.2

Kinder sind zunehmend aktive Nutzer der Online-Technologien. Neben den Vorteilen der Interaktivität und Mitwirkung im Online-Umfeld setzen sie sich aber ernsten Gefahren aus:

a)

direkte Schädigung, etwa als Opfer sexuellen Missbauchs, der durch Fotos, Filme oder Tondateien dokumentiert und dann online verbreitet wird (Material über Kindesmissbrauch);

b)

eine zeitlich unbegrenzte Fortführung des sexuellen Missbrauchs des Opfers durch wiederholtes Ansehen von Aufzeichnungen ihres Missbrauchs aufgrund einer ausgedehnten Online-Verbreitung und der weltweiten Verfügbarkeit;

c)

direkte Kontaktaufnahme durch potenzielle Täter, die sich mit den Kindern anfreunden, um sie sexuell zu missbrauchen („Grooming“);

d)

Opfer von Schikanen im Online-Umfeld („Cyber-bullying“).

2.3

Zu den sonstigen Entwicklungen gehören (siehe Anhang 1) (5):

a)

die rasche und dynamische Weiterentwicklung des neuen technologischen Umfelds, das zunehmend von einer digitalen Konvergenz, schnelleren Übertragungskanälen, dem mobilen Internet, Web 2.0, Wi-Fi-Zugang und anderen neuen Inhaltsformaten und technischen Online-Diensten geprägt ist;

b)

die Anerkennung des äußerst geringen Alters der zu Opfern gewordenen Kinder und der hochgradigen Schwere des sexuellen Missbrauchs, unter dem sie leiden;

c)

die Klarstellung des Ausmaßes des Problems im Hinblick auf öffentlich zugängliche Websites, auf denen der sexuelle Missbrauch von Kindern dargestellt wird, d.h. Festlegung eines konkreten „erreichbaren“ Ziels von jährlich ca. 3 000 weltweit betriebenen Websites, die Zugang zu Hunderttausenden von Bildern bieten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen;

d)

gemäß jüngsten Daten über die in den verschiedenen Regionen betriebenen Netze für den sexuellen Missbrauch von Kindern wird diese Art von Inhalt zum Großteil in den USA bereitgestellt;

e)

jüngsten Daten zufolge wechseln die Betreiber von Websites mit Online-Inhalt über den sexuellen Missbrauch von Kindern regelmäßig die Host-Firma und das Land, damit sie nicht aufgespürt werden und die Website gelöscht wird, und erschweren dadurch Ermittlungen im Rahmen der Strafverfolgung auf rein nationaler Ebene;

f)

mangelnde Bemühungen der Domain-Namen-Register auf internationaler Ebene um die Löschung von Domains, die den sexuellen Missbrauch von Kindern propagieren oder Zugang zu derartigen Inhalten bieten;

g)

der weiterhin bestehende und sich möglicherweise verstärkende „Generationskonflikt“ im Hinblick auf die Nutzung der Online-Technologien durch junge Menschen und deren Risikowahrnehmung im Unterschied zu der Einstellung der Erwachsenen gegenüber der Nutzung dieser Technologien;

h)

die Verbreitung von Material über den sexuellen Missbrauch von Kindern ließe sich einschränken, wenn die Dienstleistungsanbieter freiwillig einzelne URLs sperren würden;

i)

der Nutzen nationaler Empfehlungen in Bezug auf Online-Tools wie Filterprodukte, Sicherheitseinstellungen für Suchmaschinen u.Ä.

2.4

Der Schutz der Internet-Nutzer, insbesondere der Kinder, vor illegalen und schädlichen Inhalten und Verhaltensweisen im Internet und die Eindämmung der Verbreitung illegaler Inhalte sind daher Themen, die politische Entscheidungsträger und Gesetzgeber, Unternehmen, Endnutzer, insbesondere aber Eltern, Betreuer und Erzieher regelmäßig beschäftigen.

2.5

Aus rechtlicher Sicht gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Begriff „illegal“ einerseits und dem Begriff „schädlich“ andererseits, denn sie erfordern unterschiedliche Methoden, Strategien und Instrumente. Was als illegal gilt, kann sich von Land zu Land unterscheiden, wird im jeweils geltenden nationalen Recht unterschiedlich definiert und fällt in den Tätigkeitsbereich von Strafverfolgungsbehörden, anderen staatlichen Stellen und den mit den entsprechenden Befugnissen ausgestatteten Meldestellen.

2.6

Der EWSA dringt darauf, dass die legislative Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf der nationalen Ebene durchgeführt und durchgesetzt wird, wobei zumindest folgende Fragen im Einklang mit dem Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität (6) zu klären sind:

a)

eine Definition dessen, was unter Material über den sexuellen Missbrauch von Kindern zu verstehen ist;

b)

die Festlegung einer Altersgrenze von 18 Jahren für die Definition von „Kind“ im Zusammenhang mit Material über sexuellen Kindesmissbrauch;

c)

eine Bestimmung, dass der Besitz und das Ansehen/Herunterladen von Online-Material über den sexuellen Missbrauch von Kindern ein Delikt ist, das mit einer Haftstrafe geahndet wird.

2.7

Zwar wurden europaweit einige Normen in Form verschiedener Empfehlungen und Richtlinien aufgestellt, mit denen Rechtsfragen geklärt wurden, aber es sollte überprüft werden, ob sie in allen Mitgliedstaaten in die Praxis umgesetzt wurden.

2.8

„Schädliche“ Inhalte sind solche, die Eltern, Lehrer oder andere Erwachsene als für Kinder möglicherweise schädlich ansehen. Solche Inhalte werden von Land zu Land und von Kulturkreis zu Kulturkreis unterschiedlich definiert und reichen von Pornografie und Gewalt über Rassismus, Fremdenhass, Hassreden und Hassmusik bis hin zu Themen wie Selbstverstümmelung, Anorexie und Selbstmord. Der EWSA räumt ein, dass es schwierig ist, internationale Partnerschaften zur Eindämmung dieses Materials zu gründen, ist aber der Ansicht, dass auf nationaler Ebene Anstrengungen unternommen werden könnten, um stärker auf Instrumente, Methoden und technische Möglichkeiten für den Schutz der Kinder vor solchem Material aufmerksam zu machen.

2.9

Die EU spielt seit 1996 eine Vorreiterrolle beim Schutz der Kinder im Online-Umfeld. Die aufeinander folgenden Programme zur sichereren Nutzung des Internet (Safer Internet-Aktionsplan 1999-2004, Safer Internet plus 2005-2008) waren wichtige Bestandteile der Arbeit in diesem Bereich. Die Kommission legte eine Mitteilung über die Durchführung des Programms „Mehr Sicherheit im Internet“ im Zeitraum 2005-2006 vor (7). Darüber hinaus bestätigte eine von April bis Juli 2007 durchgeführte Folgenabschätzung (8), dass sich die ergriffenen Maßnahmen als wirksam erwiesen haben, machte gleichzeitig aber auch deutlich, dass diese an die neu entstehenden Internet-Technologien und die dynamische Kriminalität auf diesem Gebiet angepasst werden müssen.

2.10

Ziel des neuen Programms ist die Förderung der sichereren Nutzung des Internet und anderer Kommunikationstechnologien, insbesondere durch Kinder, und die Bekämpfung illegaler Inhalte und gesetzeswidrigen und schädlichen Verhaltens im Online-Umfeld. Hiermit werden die Zusammenarbeit und der Austausch von Erfahrungen und vorbildlichen Verfahren auf allen Ebenen zu Fragen des Schutzes der Kinder bei der Internet-Nutzung gefördert, was den Nutzen eines Tätigwerdens auf EU-Ebene deutlich macht.

2.11

Das Programm umfasst vier Handlungsbereiche, in denen jeweils die internationale Zusammenarbeit als fester Bestandteil gefördert werden soll:

a)

Verringerung illegaler Inhalte und Bekämpfung schädlichen Verhaltens im Online-Umfeld,

b)

Förderung eines sichereren Online-Umfelds,

c)

Sensibilisierung der Öffentlichkeit,

d)

und Aufbau einer Wissensbasis.

2.12

Der EWSA vermisst jedoch Definitionen und eine rechtliche Klärung in Bezug auf die Begriffe „schädlich“ und „Verhalten“, insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung in nationales Recht. Außerdem ist eine weitergehende Klarstellung der Rolle der Meldestellen erforderlich, die keine Ermittlungen gegen Verdächtige anstellen und auch nicht die hierfür erforderlichen Befugnisse besitzen (siehe Anhang 2) (9).

3.   Ein internationales Modell

3.1

Das Internet gehört nicht großen multinationalen Konzernen, die den Inhalt kontrollieren, oder wird von solchen verwaltet. Es besteht aus Hunderten von Millionen von Seiten, die von einer Vielzahl von Personen veröffentlicht werden, was eine Überwachung oder Kontrolle illegaler Inhalte erschwert. Die Verfügbarkeit illegaler Inhalte kann jedoch durch Maßnahmen auf lokaler Ebene (Privathaushalte) bis hin zur nationalen und internationalen Ebene (einschließlich Internet) reduziert werden, wenn alle Akteure zusammenarbeiten.

3.2

Die Internet Watch Foundation ermittelte einen Bestand von 2 755 Websites mit Kindesmissbrauchsinhalten, die 2007 weltweit betrieben wurden; 80 % dieser Websites werden kommerziell betrieben, wobei die Betreiber regelmäßig die Host-Firma und die Region wechseln, um nicht entdeckt zu werden (10). Diese Taktik in Verbindung mit dem komplexen multinationalen Charakter der Straftaten bedeutet, dass nur eine geeinte weltweite Reaktion unter Einbeziehung der Strafverfolgungsbehörden, der Regierungen und der internationalen Internet-Branche eine wirksame Ermittlung dieser Websites, ihres Inhalts und der dahinter stehenden Organisationen ermöglichen wird.

3.3

Nach Ansicht des EWSA ist ein partnerschaftlicher Ansatz erforderlich, um die Kinder zu schützen. Die gesellschaftlichen Akteure, einschließlich Regierung, Internet-Industrie, Strafverfolgungsbehörden, Kinderschutzorganisationen, Unternehmen, Arbeitnehmervertretungen, NGO einschließlich Verbraucherschutzorganisationen und die Öffentlichkeit müssen zusammenarbeiten, um auf die Gefahren und Risiken aufmerksam zu machen, während gleichzeitig den jungen Menschen die Möglichkeit gegeben werden muss, aus den Vorteilen dieses revolutionären Hilfsmittels, über das sie Kontakte knüpfen können, das ihnen beim Lernen hilft und mit dem die Innovation gefördert wird, Nutzen zu ziehen.

3.4

Dank des Internet hat sich die Lebensqualität vieler Menschen, insbesondere aber der jungen Leute, der älteren Menschen sowie der Menschen mit Behinderungen, verbessert. Es ist ein einzigartiges Kommunikationsmittel und dient heutzutage mehr und mehr als „soziales Netz“. Der Wandel im Lebensstil, im Familienleben und bei den Beschäftigungsmustern hat dazu geführt, dass die Menschen mehr Zeit auf sich gestellt oder allein verbringen. Daher ist der Schutz der Nutzer, vor allem der gefährdeten Gruppen — insbesondere Kinder -, eine Priorität, die nicht einzig und allein der Verantwortung der Erziehungsberechtigten überlassen werden kann.

3.5

Die Entstehung neuer Technologien und Dienstleistungen ist der Schlüssel zu Innovation und Wachstum der Unternehmen in der ganzen Welt. Häufig begreifen die jungen Menschen als Erste die Möglichkeiten und greifen diese Innovationen auf. Mit dem Fortschritt kommt aber auch der Missbrauch, was zunehmend Anlass zur Sorge gibt. Die Selbstkontrollorgane der Industrie und der Beteiligten kennen sich gut mit diesen Technologien aus und haben die Möglichkeit, Gegenmaßnahmen zur Bekämpfung dieses Missbrauchs zu entwickeln. Der Austausch von Wissen, die Sensibilisierung und die Aufklärung der Verbraucher darüber, wie sie Websites melden können, und, soweit möglich, eine Verteilung der Finanzmittel zur Missbrauchsbekämpfung sind, insbesondere wenn es um Kindesmissbrauch geht, eine grundlegende Pflicht und Teil der sozialen Verantwortung der Unternehmen der Internet-Industrie.

3.6

Über Ausmaß und Umfang des Problems der Online-Verbreitung von Inhalten über den sexuellen Missbrauch von Kindern kann nur gemutmaßt werden. Wie im Bericht der Kommission eingeräumt wird, fehlt es jedoch an EU-weiten statistischen Daten. Es sollten Anstrengungen unternommen werden, um die Bewegungen und Aktivitäten der Websites zu verfolgen, die mit der Verbreitung von Inhalten über den sexuellen Missbrauch von Kindern in Verbindung gebracht werden, damit den zuständigen Stellen und den internationalen Strafverfolgungsbehörden die erforderlichen Informationen zur Löschung derartiger Inhalte und zur Ermittlung derjenigen, die sie verbreiten, an die Hand gegeben werden können.

3.7

Diese Organisationen müssen auf nationaler Ebene geschaffen werden und in regelmäßigen Zusammenkünften mit der Europäischen Kommission Strategien erarbeiten. Eine auf EU-Ebene eingerichtete Plattform, in der die Internet-Branche, staatliche Stellen, Banken, Finanzinstitute und Kreditkartenfirmen, NGO sowie Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten sind, könnte ein wertvolles Mittel für eine rasche EU-weite Analyse und Ergreifung von Maßnahmen sein, wobei Informationen über die EU hinaus verbreitet werden könnten, um die Zusammenarbeit der internationalen Strafverfolgungsbehörden zu erleichtern.

3.8

Es sollte ein jährliches „Expertentreffen“ auf EU-Ebene in Bezug auf die technischen Entwicklungen, die psychosozialen Faktoren und die Strafverfolgung gefördert werden, um den Wissensaustausch zu intensivieren. Die Schlussfolgerungen dieser Treffen würden allen EU-Mitgliedstaaten und den Plattformmitgliedern übermittelt, damit sie auf nationaler und lokaler Ebene angepasst, integriert oder herangezogen werden können.

3.9

Die Einrichtung einer „Netzanlaufstelle“ auf Kommissionsebene, die nicht nur europa-, sondern weltweit Nachforschungen über Projekte anstellt, wäre hilfreich für die Plattform, um einen aktuellen Wissensstand sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass das Wissen, einschließlich der Statistiken, sachdienlich ist, so dass wirkungsvolle Methoden verbreitet würden, die zur Bekämpfung der Probleme dienen und rasch aktiven Partnern weitergegeben werden könnten. Außerdem würden in den Aufgabenbereich der Netzanlaufstelle Besuche und Überwachungsmaßnahmen fallen. Darüber hinaus könnte die Anlaufstelle als unabhängiger Prüfer der Meldestellen fungieren und Anträge für neue Projekte prüfen, um Doppelarbeit zu vermeiden und eine effektive und effiziente Nutzung der Mittel zu gewährleisten. Ferner könnte sie Partnerschaften anregen. Der Zweck der Netzanlaufstelle würde darin bestehen, auf neue Herausforderungen zu reagieren, sobald sie auftreten.

3.10

Die Einrichtung eines „Jugendforums“ könnte sich als sinnvoll erweisen, um junge Menschen einzubeziehen und Informationen an die sozialen Netze, die von schutzbedürftigen Gruppen genutzt werden, weiterzugeben. Jugendliche haben ihre eigene Sprache und wollen sich nicht bevormunden lassen, nehmen aber Ratschläge von Gleichaltrigen in ihrem sozialen Umfeld an. Es gilt, die „Rechte des Kindes“ zu berücksichtigen, daher müssen junge Leute in den Prozess einbezogen werden.

3.11

Es ist ein wirkungsvolles Modell erforderlich, bei dem sich die Akteure verpflichten, für die Anpassung an weltweit neu aufkommende Formen der Internet-Kriminalität erforderliche Informationen und Kenntnisse auszutauschen.

4.   Leitlinien für die Arbeit der Meldestellen

4.1

Ein Modell für empfehlenswerte Vorgehensweisen der Meldestellen:

4.1.1

Für die Bewertung illegaler Online-Inhalte ausgebildete und anerkannte Meldestellenanalytiker;

4.1.2

Meldestellenanalytiker mit Erfahrung in der Suche nach möglicherweise illegalen Online-Inhalten;

4.1.3

ein überzeugender partnerschaftlicher Ansatz unter Einbeziehung aller wichtigen nationalen Akteure, einschließlich staatlicher Behörden, Banken, Finanzinstitute und Kreditkartenfirmen, Strafverfolgungsbehörden, Familienhilfsorganisationen, Kinderschutzorganisationen und insbesondere der Internet-Industrie;

4.1.4

ko- und selbstregulierende Meldestellen, die eine überzeugende erfolgreiche Partnerschaft mit der nationalen Internet-Industrie führen und einen Verhaltenskodex einhalten;.

4.1.5

weltweite „Meldung und Löschung“ illegaler Online-Inhalte, die von nationalen Host-Firmen bereitgestellt werden;

4.1.6

Mitwirkung an dem Vorhaben einer zentralen europäischen Datenbank über URL mit Inhalten, in denen der sexuelle Missbrauch von Kindern dargestellt wird;

4.1.7

Bemühungen um eine Zusage nationaler Internet-Unternehmen, anhand einer dynamischen Liste Websites, in denen der sexuelle Missbrauch von Kindern dargestellt wird, auf Netzebene zu sperren, um Nutzer vor einem versehentlichen Aufrufen dieser Websites zu schützen;

4.1.8

die Meldestellen sollten umfassende Websites in der jeweiligen Landessprache betreiben, die ein einfaches, anonymes Meldeverfahren anbieten und für Fragen, die nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, wie „Grooming“ und „Cyber-Bullying“, deutliche Weiterleitungshinweise zu telefonischen Beratungsdiensten und anderen einschlägigen Organisationen enthalten;

4.1.9

Sensibilisierung für die Aufgabe der Meldestellen und damit zusammenhängende Fragen;

4.1.10

Austausch von Daten, Ermittlungsergebnissen und Fachwissen auf europäischer und internationaler Ebene;

4.1.11

Mitwirkung an europäischen und internationalen Partnerschaften mit Akteuren zum Austausch von Daten, Ermittlungsergebnissen und Ideen, um dem länderübergreifenden Charakter dieser Straftaten entgegenzuwirken;

4.1.12

Maßnahmen auf europäischer und internationaler Ebene zur Löschung von Internet-Inhalten, in denen der sexuelle Missbrauch von Kindern dargestellt wird, und Ermittlung derjenigen, die sie bereitstellen, unabhängig davon, wo in der Welt dieser Inhalt gehostet wird;

4.1.13

Unterstützung nationaler und internationaler Stellen, die eingerichtet werden, um diese Websites international zu bekämpfen und die Zusammenarbeit zwischen multinationalen Strafverfolgungsbehörden zu erleichtern;

4.1.14

Verbreitung von Leitlinien an Arbeitgeber, Lehrer, Organisationen, Eltern und Kinder, z.B. analog zum Schulungsprogramm ThinkuKnow des Child Exploitation and Online Protection Centre (CEOP) der britischen Polizei;

4.1.15

Sensibilisierung der Internet-Nutzer, insbesondere in Partnerschaft mit nationalen Internet-Unternehmen und eventuell mit deren finanzieller Unterstützung;

4.1.16

die Organisationen sollten Mitglied des internationalen Verbands der Internet-Meldestellen (INHOPE) sein, damit der internationale Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen Meldestellen und Industrie zur Löschung der Inhalte führt (11);

4.1.17

die Meldeverfahren müssen einfach sein, die individuelle Anonymität des Meldenden gewährleisten und eine rasche Bearbeitung erlauben;

4.1.18

die Meldestellenbetreiber müssen mit geeigneten Abläufen für die Unterstützung und Beratung der Analytiker sorgen, die mit der Sichtung und Bearbeitung der Daten beschäftigt sind.

4.2

Darüber hinaus sollten die Meldestellen:

a)

Partnerschaften mit ihren nationalen Domain-Namen-Registerfirmen eingehen, um sicherzustellen, dass Domains, die regelmäßig Zugang zu Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern bieten oder Bezeichnungen tragen, die zu sexuellen Handlungen mit Kindern auffordern, ermittelt und gelöscht werden;

b)

nationale Internet-Unternehmen um eine freiwillige Finanzierung auf Selbstregulierungsbasis ersuchen, da diese vom Meldemechanismus, dem Dienst „Meldung und Löschung“ und den dynamischen Listen gesperrter Websites der Meldestelle profitieren;

c)

die Sperrung von Websites, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, durch die Internet-Branche im betreffenden Land fördern oder erleichtern;

d)

den Aufbau guter Beziehungen zwischen Meldestellen und telefonischen Beratungsdiensten, die eine Weiterleitung zu Opferhilfsorganisationen bieten, fördern, um zusätzlich die Aufmerksamkeit für relevante, aktuelle Fragen zu erhöhen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der Kommissionsvorschlag lässt eine Reihe von Fragen offen:

a)

Wer wird die vorgeschlagenen Maßnahmen koordinieren und mit welcher Qualifikation?

b)

Wie werden die Kriterien für die einzelnen Bereiche festgelegt? Viele bereits bestehende Programme würden mehr als ein Kriterium der vorgeschlagenen Wissensdatenbank erfüllen (12).

c)

Wer wählt die geeigneten Kandidaten aus?

d)

Wer ist für die kontinuierliche Bewertung und Vernetzung dieser Projekte zuständig?

5.2

Werden die oben aufgeführten Fragen beantwortet, so müsste das Rad nicht neu erfunden werden, es würde Doppelarbeit vermieden und eine effektive und effiziente Nutzung der Mittel sichergestellt. Vor allem muss gewährleistet werden, dass sachkundige Fachleute aktiv und in enger Zusammenarbeit mit beratenden oder staatlichen Mitarbeitern in die Initiative eingebunden werden. Dies würde auch für den oben erwähnten Vorschlag gelten, eine „Netzanlaufstelle“ auf Ebene der Europäischen Kommission einzurichten, die Nachforschungen über derartige Projekte anstellt, sich mit ihnen vertraut macht, Besuche abstattet und die Kontakte aufrechterhält.

5.3

Die Kommission sollte Möglichkeiten einer proaktiven, kooperativen Nutzung von Finanzierungswegen, wie z.B. der Programme Daphne und „Safer Internet“, prüfen.

5.4

Schließlich fordert der Ausschuss die Kommission auf, die Bedeutung und Auswirkung folgender Aspekte zu betonen:

EU-weite Übernahme des Melde- und Löschverfahrens durch die Meldestellen und die Internet-Industrie für Inhalte, durch die Kinder sexuell missbraucht werden;

breitere Akzeptanz der Initiative zum Schutz der Internet-Nutzer durch die Sperrung des Zugangs zu URL, über die Inhalte in Bezug auf den sexuellen Missbrauch von Kindern verbreitet werden;

weltweite Anstrengungen der Domain-Namen-Register und zuständigen Behörden zur Löschung von Domains, die mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern in Verbindung stehen.

5.5

Dank der genannten Maßnahmen würden arglose Internet-Nutzer weniger häufig an schockierende und illegale Bilder geraten, durch eine Beschränkung des Zugangs zu Bildern über den sexuellen Missbrauch von Kindern würde vermieden, dass sie immer wieder aufs Neue zum Opfer werden, und der Zugang zu solchen Inhalten und deren Bereitstellung für Personen, die auf der Suche nach solchen Bildern sind, sowie die Verbreitung von Bildern an Internet-Nutzer durch kriminelle Organisationen zum Zwecke wirtschaftlicher Gewinne würde unterbunden.

5.6

Wichtig ist, dass durch die Umsetzung der Maßnahmen denen, die hinter der Verbreitung von Inhalten, in denen der sexuelle Missbrauch von Kindern dargestellt wird, stehen, das Geschäft zunehmend erschwert wird. Zwar machen es die kriminelle Dynamik und die technische Versiertheit der Täter schwer, dieses Problem komplett zu beseitigen, aber je aufwändiger, riskanter und kurzlebiger das Platzieren solcher Inhalte im Internet gemacht wird, umso weniger dürfte dies als ein einfacher Weg zur Erlangung eines finanziellen Gewinns oder eines sonstigen Vorteils erachtet werden.

5.7

Jüngste Daten über den Umfang und das Ausmaß des Problems der Websites (nicht einzelner Bilder oder URL) über sexuellen Kindesmissbrauch sind ein Ansporn für die weitere Bekämpfung bis zur völligen Unterbindung. Mit der Festlegung konkreter Ziele kann jetzt gezeigt werden, wie wirkungsvoll ein Datenaustausch, ein Engagement auf höchster internationaler Ebene und ein positives und erfolgreiches, gemeinsames Vorgehen in internationaler Partnerschaft für die drastische Verringerung der Zahl Kindesmissbrauch darstellender Websites wäre.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Für die Zwecke dieser Stellungnahme bezeichnet der Begriff „Online-Technologien“ alle Technologien, die für den Zugang zum Internet genutzt werden, sowie sonstige Kommunikationstechnologien. In einigen Fällen können Inhalte und Dienste sowohl über das Netz („online“) als auch ohne Netzverbindung („offline“) genutzt werden, z.B. bei Videospielen. Beide Möglichkeiten können aus Sicht des Kinderschutzes von Belang sein.

(2)  „Illegale Inhalte/Internet“, ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 32, und „Sicherere Nutzung des Internet“, ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 136.

(3)  Grooming: Unmittelbare Kontaktaufnahme durch potenzielle Täter, die sich mit Kindern anfreunden, um sie sexuell zu missbrauchen; Cyber-Bullying: Schikanen und Ausübung psychologischen Drucks im Online-Umfeld.

(4)  Siehe Fußnote 1.

(5)  Dieser Anhang ist nur in Englisch verfügbar und liegt der elektronischen Fassung der Stellungnahme im Internet bei.

(6)  Europarat, Übereinkommen über Computerkriminalität, SEV-Nr. 185, vom 23.11.2001, http://conventions.coe.int/Treaty/en/treaties/Html/185.htm.

(7)  Mitteilung der Europäischen Kommission über die Durchführung des mehrjährigen Gemeinschaftsprogramms zur Förderung der sichereren Nutzung des Internet und neuer Online-Technologien (Mehr Sicherheit im Internet), KOM(2006) 661 endg.

(8)  http://ec.europa.eu/saferinternet.

(9)  Dieser Anhang ist nur in Englisch verfügbar und liegt der elektronischen Fassung der Stellungnahme im Internet bei.

(10)  Britische Hotline für die Meldung illegaler Inhalte, insbesondere weltweit ins Internet gestellter Inhalte über Kindesmissbrauch und in Großbritannien ins Netz gestellter, strafrechtlich öbszöner Inhalte und zu Rassenhass aufstachelnder Inhalte. Siehe Anhang 1 und Anhang 2. (Diese Anhänge sind nur in Englisch verfügbar und liegen der elektronischen Fassung der Stellungnahme im Internet bei.)

(11)  Von September 2004 bis Dezember 2006 bearbeitete INHOPE 1,9 Mio. Meldungen, davon stammten 900 000 aus der Öffentlichkeit und 160 000 wurden zwecks Ergreifung von Maßnahmen an Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet.

(12)  Zum Beispiel würde das Vorhaben „Prevention Project“ von Innocence in Danger mehr als eines der Kriterien erfüllen. Es gibt viele weitere solcher Beispiele.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/66


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie …/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom (…) über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger“

KOM(2008) 100 endg. — 2008/0044 (COD)

(2008/C 224/14)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 16. April 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie …/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom (…) über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger“

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 85 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/67


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Antworten auf die Herausforderung von Wasserknappheit und Dürre in der Europäischen Union“

KOM(2007) 414 endg.

(2008/C 224/15)

Die Europäische Kommission beschloss am 18. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Antworten auf die Herausforderung von Wasserknappheit und Dürre in der Europäischen Union“

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2008 an. Berichterstatter war Herr BUFFETAUT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 97 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Frage der Wasserknappheit und Dürre darf nicht nur aus dem Blickwinkel des Umweltschutzes, sondern muss auch als grundlegender Aspekt im Zusammenhang mit einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum in Europa und als Problem von strategischer Bedeutung gesehen werden.

1.2

Menschen, Familien benötigen Wasser zum Leben, doch ist diese Ressource auch für zahlreiche Wirtschaftssektoren von entscheidender Bedeutung, angefangen bei der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie, die von der lebenden Natur abhängen.

1.3

Die Kommissionsmitteilung veranschaulicht die Dringlichkeit des Problems und enthält zahlreiche Orientierungen für die Bekämpfung von Wasserknappheit und Dürre sowie für Möglichkeiten zur Anpassung an neue Gegebenheiten.

1.4

Der Klimawandel, dessen Problematik sich Wissenschaftler wie Bürger gleichermaßen bewusst sind, könnte die Lage noch verschärfen; daher sollten die von der Europäischen Kommission geforderten Maßnahmen umgehend in die Tat umgesetzt werden.

1.5

Die Ausgangslage in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten, und zwar im Norden und im Süden, im Osten und im Westen, ist natürlich unterschiedlich, doch sind letztlich alle Mitgliedstaaten betroffen; so werden nunmehr sogar auch in den skandinavischen Ländern sommerliche Dürreperioden verzeichnet.

1.6

Daher dürfen diese unterschiedlichen Voraussetzungen der Annahme einer konzertierten Politik auf europäischer Ebene und der Durchführung von praktischen, auf die konkrete Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten abgestimmten Maßnahmen nicht im Wege stehen, denn es gibt keine Patentlösung für die gesamte Europäische Union.

1.7

Der Ausschuss fordert daher eine umfassende und systematische Begleitung der Maßnahmen, die aufgrund dieser Kommissionsmitteilung durchgeführt werden.

1.8

In Bezug auf den Wassertarif betont der Ausschuss, dass die Preispolitik sich als ineffizient herausstellen kann, so lange ein Großteil des entnommenen Wassers weder gemessen noch erfasst wird. Er empfiehlt der Europäischen Kommission daher, den Mitgliedstaaten eine Definition von Wassernutzungsumfang und -zwecken als wünschenswert vorzuschlagen.

1.9

Der Ausschuss fordert die Einrichtung eines europäischen Internetportals mit den Plänen der Wassereinzugsgebiete, in dem die lokalen Gebietskörperschaften beispielhafte Vorlagen für die Erstellung ihrer Bewirtschaftungspläne finden und mehr Informationen einholen können.

1.10

Betreffend die Aufteilung der für Wasserpolitik zur Verfügung stehenden Mittel könnte die Europäische Kommission die Höhe der Fördermittel am Kriterium der rationellen Wassernutzung und der Schonung der Wasserressourcen ausrichten, um verantwortungslos handelnde lokale Gebietskörperschaften zum Umdenken zu bringen, ohne dabei jedoch diejenigen Regionen zu bestrafen, die bereits dahingehende Anstrengungen unternehmen.

1.11

Im Interesse einer Verbesserung der Dürrerisikosteuerung sollte die Europäische Union die Interoperabilität der Feuervorbeugungs- und -bekämpfungsmaßnahmen im Rahmen des Gemeinschaftsmechanismus für den Katastrophenschutz fördern.

1.12

Im Rahmen der Überlegungen zu den Wasserversorgungsinfrastrukturen empfiehlt der Ausschuss, die Möglichkeit einer unterirdischen Wasserspeicherung und der Rückführung des gespeicherten Wassers in das Grundwasser zu untersuchen. Die Idee von Wassertransfers innerhalb eines Mitgliedstaates ist nicht grundsätzlich abzulehnen, doch müssten derartige Transfers genau geregelt werden, um jedweder Wasserverschwendung vorzubeugen. Die Ressource Wasser muss stets im Sinne der größtmöglichen Einsparungen verwaltet werden; hierfür müssen die fortgeschrittensten Techniken zur Verbrauchssteuerung eingesetzt werden (1).

1.13

Für eine rationelle Wassernutzung schlägt der Ausschuss die Einführung der „intelligenten“ Messung (sog. Smart Metering) und der daran angepassten Abrechnung vor. Er betont außerdem die Bedeutung der Umsetzung bewährter Verfahren in der Landwirtschaft und empfiehlt die Förderung der Aufforstung, der Heckenpflanzung in den Regionen, in denen dies sinnvoll und machbar ist, sowie der nachhaltigen Dränung und Bewässerung im Rahmen der Politik zugunsten des ländlichen Raums. Zwar werden schrittweise Fortschritte bei der effizienten Wassernutzung in der Landwirtschaft erzielt, doch müssen diese u.a. durch die Modernisierung und sparsamen Einsatz der Sprüh- und Bewässerungsanlagen noch weiter vorangebracht werden. Diesbezüglich muss auch die Forschung intensiviert und die Nutzung der neuen Technologien in der Landwirtschaft verstärkt werden. Er verweist ferner darauf, dass individuelle Privatsysteme für Wassereinsparung, -wiederverwertung und -aufbereitung insbesondere für dünn besiedelte Gebiete durchaus ein interessanter Ansatz sein können.

1.14

In Bezug auf die Erweiterung des Wissens und die Verbesserung der Datenerhebung schlägt der Ausschuss die Einrichtung eines Internetportals vor, in dem die über weltweite Modelle des IPCC ermittelten Klimaparameter abrufbar wären und den lokalen und regionalen Akteuren online zur Verfügung stehen würden.

2.   Inhalt der Kommissionsmitteilung

2.1

Europa — und zwar nicht mehr nur die wenigen seit langem mit diesem Problem konfrontierten Regionen, sondern der gesamte Kontinent — wird nicht mehr von Wasserknappheit und immer häufiger auftretenden Dürreperioden verschont. Der Anteil der Flusseinzugsgebiete in der Europäischen Union, die unter starkem Wassermangel leiden, könnte von derzeit 19 % bis 2070 auf 39 % ansteigen. Süd-, Mittel- und Osteuropa wären besonders stark betroffen.

2.2

Die Zahl der von Dürre betroffenen Gebiete und Menschen hat sich in den letzten dreißig Jahren um 20 % erhöht. Diese Dürreperioden fordern nicht nur Menschenleben, sondern haben auch einen wirtschaftlichen Preis. So hat die Dürreperiode 2003 die europäische Wirtschaft mindestens 8,7 Mrd. EUR gekostet. Untersuchungen zur weltweiten Wassernutzung zeigen ein sehr unterschiedliches Bild. So verbraucht ein US-Amerikaner täglich 600 Liter Wasser, ein Europäer 250 bis 300, ein Jordanier 40 und ein Afrikaner 30 Liter! Angesichts der drohenden Wasserknappheit muss jeder einzelne sein Verhalten ändern, doch muss in den Bereichen angesetzt werden, in denen die größten Auswirkungen erzielt werden können. Die Landwirtschaft ist der größte Wasserverbraucher (71 % des entnommenen Wassers), gefolgt von der Industrie (20 %) und den Privathaushalten (9 %) (2).

2.3

Die Europäische Kommission schlägt als Antwort auf das Ersuchen des Rates (Umwelt) von Juni 2006 daher eine Reihe strategischer Optionen auf europäischer Ebene vor:

Festlegung des richtigen Wassertarifs;

sachgemäßere Zuteilung von Wasser und wasserwirtschaftsbezogenen Finanzmitteln;

Finanzierung einer sachgemäßen Wassernutzung;

Aufstellung von Plänen zur Dürrerisikosteuerung;

optimierte Nutzung des Europäischen Solidaritätsfonds und des Gemeinschaftsmechanismus für den Katastrophenschutz;

Förderung wassersparender Technologien und Verfahren;

Einrichtung eines europaweiten Informationssystems zur Wasserknappheit und Dürre;

Forschung und Möglichkeiten technologischer Entwicklung (F&TE).

2.4

Die Europäische Kommission möchte so das Fundament für eine wirksame Strategie zur Förderung eines rationellen Umgangs mit Wasser legen, die sich in die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und ihre Bemühungen zur Ankurbelung der europäischen Wirtschaft einreiht.

2.5

Der Europäische Rat (3) hat betont, dass die Frage der Wasserknappheit und Dürre nicht nur auf europäischer, sondern auch internationaler Ebene in unterschiedlicher Weise angegangen werden muss, und auf die Notwendigkeit verwiesen, die Wasser-Rahmenrichtlinie in ihrer Gesamtheit umzusetzen.

2.6

Der Rat hat die Europäische Kommission ferner ersucht, die Umsetzung dieser Mitteilung zu begleiten und die EU-Strategie in diesen Bereichen bis 2012 zu überprüfen und auszugestalten.

2.7

Der Ausschuss sieht daher keinen Anlass, eine weitere, redundante Analyse beizusteuern, sondern möchte vielmehr die aufgezeigten Lösungswege erörtern und ergänzen sowie konkrete Vorschläge und Empfehlungen darlegen.

2.8

Die Problematik der Wasserknappheit und Dürre in der Europäischen Union berührt zahlreiche Politikbereiche. So könnten je nach Fall innerhalb der Europäischen Kommission die Generaldirektionen AGRI, ENV oder REGIO zuständig sein, da diese Thematik die Landwirtschaft, die Wasserpolitik, den Klimawandel, das Krisenmanagement und die Einrichtung eines europäischen Katastrophenschutzes betrifft. Die Europäische Kommission sollte dafür Sorge tragen, dass die Wasserproblematik in allen Politikbereichen berücksichtigt wird.

3.   Allgemeine Bemerkungen

Die Bemerkungen des Ausschusses lehnen sich an die Struktur der Kommissionsmitteilung an.

3.1   Wassertarif

3.1.1

Die Überlegungen der Europäischen Kommission folgen den Vorgaben der Wasser-Rahmenrichtlinie (WRR). Die Europäische Kommission bringt ihr Bedauern darüber zum Ausdruck, dass die Marktinstrumente noch nicht in vollem Umfang genutzt wurden, und betont, dass tarifpolitische Vorkehrungen völlig wirkungslos verpuffen können, wenn der größte Teil der Wasserentnahme von den Behörden nicht einmal gemessen oder registriert wird.

3.1.2

Außerdem haben zahlreiche Mitgliedstaaten strikte Definitionen für die verschiedenen Arten der Wassernutzung und Wassernutzer festgelegt. Einige Mitgliedstaaten haben die Definition der Wassernutzer sehr eng angelegt (Trinkwasserversorgung und -aufbereitung) und andere Nutzungsarten wie Bewässerung, Schifffahrt, Wasserkraft, Überschwemmungsschutz usw. ausgeklammert und haben somit die Möglichkeiten für eine volle Kostendeckung und eine wirksame Bepreisung der verschiedenen Wassernutzungsarten eingeschränkt.

3.1.3

Der Ausschuss schlägt daher vor, dass die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten, die allzu strikte Definitionen für Wassernutzung und Wassernutzer gewählt haben, dazu anhält, ihre Vorgehensweise zu überdenken, beispielsweise auf der Grundlage einer Liste von Wassernutzungsarten, anhand derer sie die Nichtberücksichtigung der einen oder anderen Nutzungsart rechtfertigen müssten. Die Festlegung von Kriterien für die Hierarchisierung der Wassernutzungsarten wäre sinnvoll und auch der Einführung eines intelligenten Tarifsystems förderlich.

3.1.4

Der Ausschuss schlägt ferner die Konzipierung eines Forschungsprogramms in angewandter Wirtschaftswissenschaft vor, um ein Modell der Finanzströme und des gesellschaftlichen Nutzens für die verschiedenen Wassernutzungsarten und Wasserkreisläufe auf Ebene eines herkömmlichen Flusseinzugsgebiets zu erstellen.

3.1.5

Es bedarf einer wirtschaftlichen Analyse der Kosten und Vorteile, die allen Wirtschaftssektoren und Verbrauchern, Nutzern und Steuerzahlern im Zusammenhang mit der Wassernutzung entstehen, um eine aufgeklärte Debatte über einen angemessenen Wassertarif führen zu können.

3.1.6

Der Ausschuss warnt die Europäische Kommission außerdem, dass einige Mitgliedstaaten aufgrund der zu eng gefassten Definition der Wassernutzung die Kosten für den Schutz dieser Ressource zugunsten der Nutzer in Landwirtschaft und Industrie vor allem auf die städtischen Verbraucher abwälzen. Im Falle einer Erhöhung der Preise für die Nutzer in der Landwirtschaft sollte ein gerechter Wassertarif angestrebt werden.

3.1.7

Der Ausschuss betont ferner, dass Tarife, die einen Anreiz für das Wassersparen bieten sollen, so angelegt sein müssen, dass ihre Wirkung nicht durch die Kosten des damit verbundenen Verwaltungsaufwands verringert wird. Eine gute Netzwartung und die Bekämpfung von Leckverlusten, aufgrund derer manchmal Wassermengen in unannehmbarer Größenordnung verschwendet werden, bieten das größte Einsparungspotenzial. Der Ausschuss weist außerdem darauf hin, dass die Tarifgestaltung allein keinesfalls das Allheilmittel sein kann und dass der Erlass von Rechtsvorschriften in Situationen, in denen eine Entscheidung zwischen den verschiedenen Wassernutzungsarten getroffen werden muss, durchaus gerechtfertigt ist.

3.1.8

Ist die Wassernachfrage zu nicht landwirtschaftlichen Zwecken saisonabhängig (dies ist häufig in Urlaubsorten der Fall), wäre ein zweigliedriger Tarif angebracht, da er für eine gerechtere Aufteilung der Systemfixkosten zwischen den ortsansässigen Verbrauchern und den Urlaubsgästen sorgt.

3.2   Eine sachgemäßere Zuteilung von Wasser und wasserwirtschaftsbezogenen Finanzmitteln

3.2.1

Die Europäische Kommission hält fest, dass die wirtschaftliche Erschließung bestimmter Flusseinzugsgebiete sich nachteilig auf die Verfügbarkeit von Wasser auswirken kann, und betont, dass ein besonderes Augenmerk auf Einzugsgebiete mit fast ständigen Wasserproblemen oder wiederkehrender Wasserknappheit gerichtet werden muss.

3.2.2

Der Ausschuss fordert die Einrichtung eines europäischen Internetportals, das von der Europäischen Umweltagentur und/oder der Europäischen Kommission verwaltet wird und konkrete Beispiele für Bewirtschaftungspläne für Flusseinzugsgebiete insbesondere für die lokalen Gebietskörperschaften und die betroffenen zuständigen Behörden bietet.

3.2.3

Die Akteure vor Ort könnten in diesem Internetportal Methoden, Ziele, Lösungsansätze und wirtschaftliche Daten finden und so bei der Ausarbeitung ihrer eigenen Pläne erhebliche Zeiteinsparungen erzielen.

3.2.4

Die Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Wasservorräte sind hinlänglich bekannt. Es gilt, eine effizientere Wassernutzung zu fördern und insbesondere auf eine nachhaltige Bewässerung und Dränung zu setzen (z.B. Tröpfchenmethode). Der Gesundheitscheck der GAP 2008 muss genutzt werden, um die Probleme des hohen Wasserbedarfs noch stärker in den verschiedenen GAP-Instrumenten zu berücksichtigen. So könnte der Wille zu einer völligen Entkoppelung an eine Erhöhung der Fördermittel für die Wasserbewirtschaftung im Rahmen der Programme für die Entwicklung des ländlichen Raums gebunden werden. Außerdem sollten spezifische Instrumente für die Dürrerisikosteuerung in der Landwirtschaft eingerichtet werden.

3.2.5

Die Europäische Kommission könnte ihrerseits ganz allgemein die Höhe der Fördermittel am Kriterium der rationellen Wassernutzung und der Schonung der Wasserressourcen ausrichten (beispielsweise in einem Rahmen von 5 bis 10 Prozent des Höchstfördersatzes), insbesondere in Bezug auf den Kohäsionsfonds. Dieses Kriterium, das zum Zeitpunkt der Prüfung eines Vorhabens oder seiner Ausschreibung (im Falle eines Baus) ausdrücklich dargelegt würde, wäre auf Initiative der Behörde, der die EU-Finanzhilfe gewährt wird, innerhalb von fünf Jahren nach Verwirklichung des Vorhabens einer Auditprüfung zu unterziehen. Die zusätzliche Finanzhilfe würde als „Belohnung“ für die erzielte Leistung auf die Investitionsrückzahlungskosten angerechnet.

3.2.6

Nach Meinung des Ausschusses ist der Ansatz, die Gesamtkosten für Vorhaben für die Trinkwasserversorgung oder -reinigung in Grenzen zu halten, in wirtschaftlicher Hinsicht und im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung gut gewählt. Unter Gesamtkosten ist der tatsächliche Nettoinvestitionsbetrag sowie die Kosten für Betrieb, Wartung und Erneuerung über einen langen Zeitraum zu verstehen.

3.2.7

Insbesondere die Europäische Kommission sollte daher im Interesse der Verbreitung bewährter Verfahren für die rationelle Wassernutzung und die Schonung der Wasserressourcen Vorhaben fördern, die diesem Ansatz entsprechende Auswahl- und Garantiekriterien aufweisen.

3.2.8

Mit dieser Vorgehensweise wird der Wunsch der Europäischen Kommission unterstützt, in erster Linie Maßnahmen zur Einsparung und rationellen Nutzung der Ressource Wasser zu fördern. Diese Maßnahmen müssen im Einklang mit den Maßnahmen zur Förderung von Biokraftstoffen, für deren Herstellung wiederum Wasser benötigt wird, stehen.

3.3   Verbesserte Dürrerisikosteuerung

3.3.1

Die Europäische Kommission möchte den Austausch von nachahmenswerten Beispielen fördern.

3.3.2

Nach Ansicht des Ausschuss sollten Satelliten eingesetzt werden, um jedes Frühjahr als Ergänzung zu den lokalen Wetteranalysen eine Kartierung des Dürrerisikos, der Agrarverluste und der Brandgefahr zu erstellen. Hierfür sollten auch die bereits bestehenden Daten der Bewirtschaftungspläne für Flusseinzugsgebiete genutzt werden, die dann Landwirten oder deren Verbänden zum Zwecke der Risikosteuerung zur Verfügung stünden.

3.3.3

Es ist zwar wünschenswert, nicht mehr nur Krisenmanagement zu betreiben, sondern das Dürrerisiko auch zu steuern, doch kann ersteres noch weiter verbessert werden, wie die Situation in Griechenland während der verheerenden Feuersbrunst im Sommer 2007 verdeutlicht hat. Die EU könnte die Interoperabilität der Feuervorbeugungs- und -bekämpfungsmaßnahmen, die Normung der Ausrüstung, die Verwendung von Spezialcontainern für Dieselpumpen und die Durchführung gemeinsamer Brandschutzübungen erleichtern und fördern. Dies wäre ein konkreter Anwendungsbereich für den Gemeinschaftsmechanismus für den Katastrophenschutz.

3.3.4

Die von der Europäischen Kommission angesprochene Möglichkeit der Nutzung des Solidaritätsfonds der EU — in geänderter und angepasster Form — zur Abfederung der Folgen von schweren Dürreperioden ist selbstverständlich in Betracht zu ziehen. Es wäre außerdem sinnvoll, Versicherungen zum Schutz vor den Folgen von Dürreperioden vorzusehen, insbesondere für Landwirte, die die ersten Opfer sind.

3.4   Planung zusätzlicher Wasserversorgungsinfrastrukturen

3.4.1

Die Europäische Kommission denkt hier an gemeinschaftliche Infrastrukturen. Allerdings könnten in einigen Fällen auch Einzelinitiativen ins Auge gefasst werden, wobei allerdings eine Hierarchie der Wassernutzung in den Vordergrund zu rücken ist.

3.4.2

In der Mitteilung werden die Umleitung von Wasserströmen von einem Einzugsgebiet in ein anderes, der Bau neuer Wasserdämme bzw. kleiner Staudämme unter sehr strengen Auflagen sowie die Aufbereitung von Abwasser und die Entsalzung genannt. In Bezug auf die Wasseraufbereitung liegt das Problem in der Ansammlung von Schadstoffen im Verlauf der Aufbereitungszyklen. Daher wäre es sinnvoll, ein Forschungsprogramm zur Entwicklung eines Modells für die Schadstoffkonzentration nach mehrmaliger Aufbereitung aufzulegen bzw. zu fördern, um Kriterien für die Stabilisierung der Wasserqualität zu ermitteln und bestimmen zu können, wann die Schadstoffkonzentration an die Grenzen des Selbstreinigungsvermögens des Systems stößt.

3.4.3

Die Entsalzung wirft zum einen Energie- und zum anderen Umweltprobleme aufgrund der Nebenprodukte und des anfallenden Salzkonzentrats auf.

3.4.4

Es könnte ein Programm für Meerwasserentsalzung durch Solarenergie in einer Reihe von Kleinanlagen in Betracht gezogen werden, durch die den Entwicklungsländern, die mit Dürre zu kämpfen haben, technologische Unterstützung von europäischer Seite geboten würde.

3.4.5

Ganz allgemein sollten die Forschung und die Entwicklung neuer Techniken zur Wassereinsparung bzw. zur Erholung der Grundwasserstände (z.B. neue Straßenbeläge in städtischen Gebieten) sowie die Biotechnologien gefördert werden, mit denen weniger wasserintensive Kulturen für die Landwirtschaft konzipiert werden können.

3.4.6

Darüber hinaus sollte auch die Möglichkeit einer unterirdischen Wasserspeicherung und der Rückführung des gespeicherten Wassers in das Grundwasser untersucht werden. Es sollten Pilotprojekte ausgewählt und Normen für das gespeicherte Wasser festgelegt werden, die erfüllbar sind und gleichzeitig den Schutz des Unterbodens ermöglichen. In Anbetracht der Grundwasserverschmutzung müssen sowohl Quantität als auch Qualität des Grundwassers berücksichtigt werden. Diesbezüglich sollte ein besonderes Augenmerk auf die sehr wasserintensiven Industrietätigkeiten gerichtet werden, die einerseits das Grundwasser „anzapfen“ und es andererseits auch zu verschmutzen drohen.

3.4.7

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission ferner auf, die Möglichkeiten interregionaler Wassertransfers zu untersuchen. Die Umleitung von Wasserströmen von einem wasserreichen in ein wasserarmes Gebiet kann — auch aus europäischer Sicht — wünschenswert sein, beispielsweise um die Selbstversorgung der Landwirtschaft in einem unter Wassermangel leidenden Gebiet sicherzustellen, sofern das Wasser dort effizient und sparsam genutzt wird. Mit technischen, gebührenbezogenen und rechtlichen Maßnahmen muss allerdings dafür gesorgt werden, dass nicht über das Ziel hinausgeschossen wird und die solidarische Unterstützung eines bestimmten Tätigkeitsbereichs nicht dazu führt, dass die Wassernutzung in anderen, nicht prioritären Bereichen zunimmt.

3.4.8

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass mögliche Maßnahmen zur Abflussregulierung von Flüssen zwischen den Drittländern und den Mitgliedstaaten der EU, durch die ein gemeinsamer Fluss über die Außengrenze der EU hinweg verläuft, abgestimmt werden müssen.

3.5   Förderung wassersparender Technologien und Verfahren

3.5.1

Nach Ansicht der Europäischen Kommission kann die Nutzung wassersparender Technologien noch erheblich verbessert werden. Neben der Bekämpfung der — in Bezug auf einige Netze erheblichen — Leckverluste und der Wasserverschwendung eröffnet auch die Modernisierung der Wasserbewirtschaftungsverfahren interessante Perspektiven.

3.5.2

Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen sind durchaus zu begrüßen (Standards für wasserführende Geräte, Wassereffizienz von Gebäuden, Leistungsindikator, Anpassung der wirtschaftlichen Tätigkeiten an die Bedingungen der Wasserknappheit usw.).

3.5.3

Auch wenn hierfür Investitionen insbesondere in separate Rohrleitungsnetze und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen erforderlich sind, sollte die Verwendung von Grauwasser ebenso in Betracht gezogen werden wie die systematischere Sammlung von Regenwasser.

3.5.4

Ein technischer Ansatz scheint vielversprechend: die „intelligente“ Messung (sog. Smart Metering) und die daran angepasste Abrechnung. Die Technologie für die Messung und Fernauslesung der Verbrauchsdaten eröffnet die Möglichkeit der Einführung unterschiedlicher Tarife, wie bei der Stromversorgung. Der Verbraucher könnte somit einen Tarif wählen, der nicht nur seiner Situation entspricht, sondern auch Einsparungen ermöglicht: saisonabhängiger Tarif, Dauertarif, Schwachlasttarif usw.

3.5.5

Für den Schutz der Ressource Wasser sowie die Bekämpfung von Überschwemmungen, Erosion und der damit einhergehenden Verschmutzung sollten im Rahmen der Politik zum Schutz des ländlichen Raums die Aufforstung und die Heckenpflanzung in den Regionen ausdrücklich gefördert werden, in denen dies machbar und sinnvoll ist, sowie weiterhin Kulturpflanzen angebaut werden. Mittels modernster geografischer Erfassungstechniken könnte die Notwendigkeit der Pflanzung neuer Hecken ermittelt sowie überprüft werden, ob diese Hecken auch wirklich gepflanzt wurden. Im Siebten Forschungsrahmenprogramm sollte die landwirtschaftliche Grundlagenforschung mit dem Ziel gefördert werden, dürreresistentere Kulturen zu entwickeln.

3.5.6

In Bezug auf Agrarverfahren sollte ferner eine nachhaltige Dränung und Bewässerung sowie ganz allgemein der Einsatz der besten verfügbaren Techniken gefördert werden. In den Entwässerungsgräben müsste insbesondere an den Überquerungsstellen für dezentrale Wasserretention gesorgt werden, um die Konzentration von Oberflächenabfluss und die damit einhergehende Erosion und Verschmutzung zu bremsen und die Versickerung zu fördern. Diese zweifelsfrei erforderlichen Reinigungsmaßnahmen müssten gemeinsam mit Experten abgeklärt werden.

3.6   Förderung einer wassersparfreundlichen Kultur in Europa

3.6.1

Die Vorschläge der Europäischen Kommission müssen uneingeschränkt befürwortet werden: Zertifizierung und Etikettierung sind der richtige Weg zur Förderung eines sparsamen Wassergebrauchs. Allerdings ist bei der Etikettierung Vorsicht geboten: Umweltlabel haben Hochkonjunktur, und es besteht die Gefahr, dass die Information unter einer Etikettierungslawine begraben wird.

3.6.2

Die organisierte Zivilgesellschaft insgesamt, Sozialpartner und Verbände, sollten ebenso wie die Akteure im Aus- und Weiterbildungsbereich alles daran setzen, um zur Verfestigung dieser neuen wassersparfreundlichen Kultur beizutragen. In fachlicher Hinsicht dürfen bei der Ausbildung von Technikern und bei der Verbreitung neuer Technologien nicht die alten Fehler — insbesondere im Bereich der städtischen Wasserwirtschaft — wiederholt werden.

3.6.3

Das Angebot an Vorrichtungen zur Sammlung von Regenwasser und Wiederaufbereitung von Grauwasser für Einzelhaushalte wird immer größer. Dies ist auf das Entstehen einer wassersparfreundlichen Kultur zurückzuführen, die die Europäische Kommission anstrebt. Allerdings darf der durchaus gerechtfertigte Wunsch nach Einsparungen nicht zu einer individualistischen Suche nach Autarkie führen, die die öffentlichen Wasserversorgungs- und -aufbereitungsdienste technisch und wirtschaftlich unterminieren würde, die ihrerseits maßgeblich für erhebliche Verbesserungen in den Bereichen Hygiene und Lebenserwartung gesorgt haben und dies nach wie vor tun. Denn in unserer entwickelten Gesellschaft ist in Vergessenheit geraten, dass Wasser zwar lebensnotwendig ist, gleichzeitig aber auch todbringend sein kann.

3.6.4

Individuelle Privatsysteme für Wassereinsparung, -wiederverwertung und -aufbereitung können für dünn besiedelte Gebiete durchaus ein interessanter Ansatz sein. In den Städten ist ihr wirtschaftlicher und sozialer Nutzen weniger augenscheinlich, es sei denn, das — auch privat — gesammelte Brauchwasser wird von den öffentlichen Versorgern aufbereitet und verwertet.

3.7   Mehr Wissen und eine verbesserte Datenerhebung

3.7.1

Nach Meinung der Europäischen Kommission sind verlässliche Daten über das Ausmaß und die Auswirkungen von Wasserknappheit und Dürre für die Entscheidungsfindung auf allen Ebenen unabdingbar. Der Vorschlag, einen europäischen Jahresbericht vorzulegen und die Dienste der Globalen Umwelt- und Sicherheitsüberwachung (GMES) zur Erhebung weltraumgestützter Daten und als Überwachungsinstrument zur Unterstützung wasserpolitischer Maßnahmen auszuschöpfen, ist zu begrüßen. Die Hochschulen und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen sollten dazu angehalten werden, Studien zu Wasserfragen, zum Ressourcenschutz oder zu Möglichkeiten zur Förderung der Entwicklung neuer Technologien durchzuführen.

3.7.2

Die Kriterien für die Bestandsaufnahme in den in der Wasser-Rahmenrichtlinie vorgesehenen Verzeichnissen der Wasserkörper müssen vereinheitlicht werden. In der Praxis sind die Berichte der Mitgliedstaaten sowohl in Bezug auf die Größe der erfassten Flusseinzugsgebiete als auch den Umfang der Daten über Wasserqualität und Biodiversität sehr unterschiedlich.

3.7.3

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission daher auf, die Arbeiten der Fachausschüsse für die Verfolgung der Umsetzung der Wasser-Rahmenrichtlinie anzuspornen und die Fortschritte der Mitgliedstaaten in Form von Übersichten zu veröffentlichen, um die Arbeiten voranzubringen und ihre Übereinstimmung zu fördern.

3.7.4

In Erwartung einheitlicher und qualitativ hochwertiger Bilanzen und Aktionspläne sollten die Bemühungen realistischerweise auf die meist gefährdeten Gebiete ausgerichtet werden. Diese Gebiete könnten auf Initiative der Mitgliedstaaten — allerdings auf der Grundlage gemeinsamer Kriterien (Wassermangel und Festlegung des geografischen Raums) — festgelegt werden.

3.7.5

Die lokalen und regionalen Akteure könnten stärker für das Risiko von Wasserknappheit und ganz allgemein die Auswirkungen des Klimawandels sensibilisiert werden, wenn die Informationen über Klimatrends möglichst weit verbreitet würden.

3.7.6

Im Hinblick darauf schlägt der Ausschuss konkret die Einrichtung eines Internetportals (das eventuell in das Wasser-Informationssystem für Europa (WISE) integriert sein könnte) vor, in dem die über weltweite Modelle des Weltklimarats (IPCC) ermittelten Klimaparameter wie Niederschlag, Verdunstung, Temperatur, Windgeschwindigkeit und Sonneneinstrahlung abrufbar wären (im Sinne der Projekte PRUDENCE oder ENSEMBLES, allerdings mit einer systematischeren Flächendeckung sowie unter Bereitstellung geografischer und digitaler Daten).

3.7.7

Die online zur Verfügung stehenden Daten sollten auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt und jährlich aktualisiert werden. Diese Aufgabe sollte einer Gruppe europäischer Labors übertragen werden, die Mitglieder des IPCC sind.

3.7.8

Die Europäische Union könnte die Entwicklung dieses Internetportals finanzieren; über ein geringes Entgelt für das Downloaden der Daten könnten die Forschungsarbeiten der Labors unterstützt werden, die zur Entwicklung der Modelle beitragen.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Die öffentliche Anhörung und der Studienbesuch in Murcia am 3. April 2008 haben gezeigt, dass derartige Techniken für einen vernünftigen und zweckmäßigen Umgang mit Wasser bereits bestehen. Außerdem tragen Aufforstungsmaßnahmen und der Anbau von Kulturpflanzen zur Bekämpfung der Wüstenbildung bei.

(2)  Quelle: „Atlas pour un monde durable“, Michel Barnier, Edition Acropole.

(3)  Tagung des Europäischen Rates vom 14. Dezember 2007 in Brüssel, Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Nr. 16616/1/07 REV1, S. 17).


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/72


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über ein Gemeinschaftssystem zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei“

KOM(2007) 602 endg. — 2007/0223 (CNS)

(2008/C 224/16)

Der Rat beschloss am 4. Dezember 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates über ein Gemeinschaftssystem zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2008 an. Berichterstatter war Herr SARRÓ IPARRAGUIRRE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 70 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

In der Erwägung, dass die fortgesetzte Ausübung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei („IUU-Fischerei“) eine ganzheitliche Antwort erfordert, die sich auf ein wirkungsvolles Regelungsinstrument gründet, das auf die gesamte Lieferkette — vom Fang bis zum Verkauf — wirkt, ist der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss der Auffassung, dass der Vorschlag für eine Verordnung grundsätzlich das zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der IUU-Fischerei notwendige Regelwerk enthält. Er unterstützt deshalb den Vorschlag, denn die vorgeschlagenen Maßnahmen stärken die Stellung der Gemeinschaft als Flaggenstaat, Hafenstaat, Staat des Inverkehrbringens und Staat des Eigentümers.

1.2

Aus Sicht des Ausschusses beruht der Erfolg dieses Verordnungsvorschlags auf vier Pfeilern:

Bestreben der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der IUU-Fischerei;

Zusammenwirken der Mitgliedstaaten;

internationale Zusammenarbeit;

kontinuierliche, beständige Arbeit an seiner Umsetzung.

1.3

Ohne die Gemeinschaftsflotte vom Geltungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung ausnehmen zu wollen, ist der Ausschuss der Auffassung, dass in der vorgeschlagenen Verordnung klarer zwischen der IUU-Fischerei, die von Fischereifahrzeugen aus Drittstaaten ausgeübt wird, die in dieser Hinsicht nicht unter der Kontrolle des Flaggenstaates stehen, und anderen illegalen Fangtätigkeiten von Schiffen unter Gemeinschaftsflagge unterschieden werden sollte, die einen Verstoß gegen die Gemeinsame Fischereipolitik darstellen und die gegenwärtig durch die Rechtsakte geregelt sind, die aus der Verordnung (EWG) Nr. 2847/93 (1) abgeleitet sind.

1.4

Die Umsetzung aller vorgeschlagenen Kontroll- und Inspektionsmaßnahmen wird von den Mitgliedstaaten einen deutlich höheren Mitteleinsatz und administrativen Aufwand und einen Ausbau der behördlichen Kontrolleinrichtungen verlangen. Deshalb fordert der Ausschuss die Kommission nachdrücklich auf, dem Rechnung zu tragen, um dem letztendlichen Erfolg keinen Abbruch zu tun, und dringt darauf, dass sie in jedem Fall ausreichende Vorsichtsmaßnahmen trifft, damit die Anwendung der vorgeschlagenen Verordnung den Unternehmen, deren Fischereifahrzeuge legale Fischereitätigkeiten ausüben, keine höheren Betriebskosten verursacht.

1.5

Außerdem dürfen die vorgeschlagenen Maßnahmen in keinem Fall eine Beeinträchtigung des legalen Handelsverkehrs zur Folge haben, durch die ein Handelshemmnis entsteht, das den Normen des Welthandels widerspricht.

1.6

Aus Sicht des Ausschusses geht aus dem Verordnungsvorschlag nicht in ausreichender Klarheit hervor, auf welche Weise die Behörde des Flaggenstaates die von der Europäischen Gemeinschaft verlangte Fangbescheinigung zu validieren hat. Der Ausschuss geht davon aus, dass die Validierung auf elektronischem Wege durchzuführen ist; er ist der Auffassung, dass die Art und Weise der Validierung sowohl für Schiffe, die frischen Fang mit sich führen, als auch für solche, die tiefgekühlte Fischereierzeugnisse transportieren, in der vorgeschlagenen Verordnung unmissverständlich erläutert werden sollte.

1.7

Aus Sicht des Ausschusses muss die Kontrolle der Fischereifahrzeuge aus Drittstaaten in allen „bezeichneten Häfen“ der einzelnen Mitgliedstaaten in ähnlicher Weise erfolgen. Er ist des Weiteren der Auffassung, dass im Wortlaut der vorgeschlagenen Verordnung klarer zum Ausdruck kommen sollte, dass Inspektionen sowohl auf See als auch an Land und aus der Luft vorgenommen werden.

1.8

Der EWSA bekräftigt seinen bereits in früheren Stellungnahmen zum Ausdruck gebrachten Standpunkt hinsichtlich der Stellung der Europäischen Fischereiaufsichtsagentur, die eine bedeutsame Rolle bei der Koordinierung, Begleitung und Kontrolle der IUU-Fischerei spielen sollte. Dazu muss die Agentur finanziell und personell besser ausgestattet werden.

1.9

Der Ausschuss befürwortet eine Angleichung der Höhe der Strafen für Drittlandsschiffe in allen EU-Mitgliedstaaten. Desgleichen vertritt er die Ansicht, dass im Fall der Nichteinhaltung durch nichtkooperierende Staaten die Möglichkeit nicht ausschließlich fischereibezogener Sanktionen erwogen werden sollte.

1.10

Der Ausschuss ist in jedem Fall der Ansicht, dass die Verfahren, durch die ein Schiff zum IUU-Schiff und ein Staat zum nichtkooperierenden Staat erklärt wird, stärkere Garantien enthalten müssen, insbesondere das Recht auf Verteidigung, und dass sie auf solide Beweise zu stützen sind, um zu vermeiden, dass von den Mitgliedstaaten erlassene Maßnahmen später von den Gerichten wieder aufgehoben werden.

2.   Einleitung

2.1

Die Europäische Gemeinschaft kämpft seit nunmehr über zehn Jahren gegen die illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei („IUU-Fischerei“). Den Kern ihrer Politik bildet dabei seit 2002 ein gemeinschaftlicher Aktionsplan zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der IUU-Fischerei in der Gemeinschaft selbst sowie auf regionaler und internationaler Ebene (2).

2.2

Das Europäische Parlament erklärte 2005 in seiner Entschließung (3) zu der Umsetzung des gemeinschaftlichen Aktionsplans, dass die Europäische Union ihre Bemühungen zur Bekämpfung der IUU-Fischerei ausweiten und verstärken müsse.

2.3

Auch wenn diese Politik signifikante Fortschritte gebracht hat, ist die IUU-Fischerei noch nicht aus der Welt geschafft. Nach Auffassung der Kommission erfordert ihr Fortbestehen eine dringende und entschlossene Antwort der Europäischen Union.

2.4

Im vorigen Jahr hat die Kommission konsequenterweise eine weitere Mitteilung (4)„über eine neue Strategie der Gemeinschaft zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei“ vorgelegt.

2.5

Nach umfangreichen Konsultationen im vergangenen Jahr, an denen auch der EWSA aktiv beteiligt war (5), hat die Kommission den jetzigen Vorschlag für eine Verordnung (6) vorgelegt, die folgende Handlungsfelder umfasst:

bessere Kontrolle der Legalität der Tätigkeit von Fischereifahrzeugen aus Drittstaaten, die Fischereihäfen der EU anlaufen, und ihrer Fänge;

bessere Kontrolle der Einhaltung von Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen durch mit anderen Verkehrsträgern als Fischereifahrzeugen in die Gemeinschaft eingeführte Fischereierzeugnisse aus Drittstaaten;

Schließung des EU-Marktes für Erzeugnisse der IUU-Fischerei;

Vorgehen gegen IUU-Tätigkeiten von EU-Staatsangehörigen außerhalb des Gebietes der Gemeinschaft;

Verbesserung der gesetzlichen Möglichkeiten zur Ermittlung von IUU-Fischereitätigkeiten;

Einführung wirkungsvoller Sanktionen für schwere Verstöße gegen die Fischereivorschriften;

Verbesserung der Maßnahmen zur Bekämpfung der IUU-Fischerei im Rahmen regionaler Fischereiorganisationen;

Unterstützung der Politik und der Instrumente von Entwicklungsländern zur Bekämpfung der IUU-Fischerei;

besseres Zusammenwirken der Behörden der Mitgliedstaaten untereinander und zwischen diesen und Drittstaaten in den Bereichen Monitoring, Kontrolle und Überwachung.

2.6

Dem Vorschlag liegt die Überlegung zugrunde, dass eine wirksame Strategie zur Bekämpfung der IUU-Fischerei umfassend sein und alle Facetten des Problems über die gesamte Lieferkette abdecken sollte.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hält angesichts der besorgniserregenden ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen der IUU-Fischerei ein entschiedenes Vorgehen der Europäischen Union für notwendig und unterstützt die Kommission daher grundsätzlich.

3.2

Die geltenden Gemeinschaftsvorschriften über eine Kontrollregelung für die Gemeinsame Fischereipolitik (7) sehen zwar ein umfassendes System zur Kontrolle der Legalität der Fänge von Fischereifahrzeugen der Gemeinschaft vor; diese Regelung erlaubt jedoch kein vergleichbares Maß an Kontrolle und Sanktionsverhängung für Fischereierzeugnisse, die von Schiffen aus Drittstaaten gefangen und in die Gemeinschaft eingeführt werden.

3.3

Diese Lücke eröffnet eine Hintertür zum EU-Binnenmarkt, dem weltgrößten Markt und wichtigsten Importeur von Fischereierzeugnissen, für die IUU-Fischerei, die von inner- und außergemeinschaftlichen Wirtschaftsakteuren betrieben wird, die auf diese Weise höhere Gewinne erzielen. Der Ausschuss hält es daher für angemessen, dass sich die vorgeschlagene Verordnung auf IUU-Fangtätigkeiten von Fischereifahrzeugen aus Drittstaaten konzentriert, ohne die Gemeinschaftsflotte von deren Anwendungsbereich nach Artikel 1 Absatz 4 auszunehmen.

3.4

Mit dem vorliegenden Verordnungsvorschlag wird eine neue Kontrollregelung eingeführt, die für sämtliche IUU-Fangtätigkeiten und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten gilt, die in den unter die Hoheitsgewalt oder die Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaates fallenden Gebieten oder Meeresgewässern bzw. von Fischereifahrzeugen der Gemeinschaft oder von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ausgeübt werden. Unbeschadet der Gerichtsbarkeit des betreffenden Flaggen- oder Küstenstaates gilt sie, ebenso wie es die Gemeinsame Fischereipolitik von der Gemeinschaftsflotte verlangt, auch für IUU-Fangtätigkeiten, die von Drittlandsschiffen auf hoher See oder in den unter die Gerichtsbarkeit eines Drittlandes fallenden Gewässern durchgeführt werden.

3.5

Ohne die Gemeinschaftsflotte vom Geltungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung ausnehmen zu wollen, ist der Ausschuss der Auffassung, dass in der vorgeschlagenen Verordnung klarer zwischen der IUU-Fischerei, die von Fischereifahrzeugen aus Drittstaaten ausgeübt wird, die in dieser Hinsicht nicht unter der Kontrolle des Flaggenstaates stehen, und anderen illegalen Fangtätigkeiten von Schiffen unter Gemeinschaftsflagge unterschieden werden sollte, die einen Verstoß gegen die Gemeinsame Fischereipolitik darstellen und die gegenwärtig durch die Rechtsakte geregelt sind, die aus der zuvor genannten Verordnung (EWG) Nr. 2847/93 abgeleitet sind.

3.6

Mit dem Verordnungsvorschlag soll darüber hinaus eine Regelung eingeführt werden, die eine angemessene Kontrolle der Lieferkette der in die Gemeinschaft eingeführten Fischereierzeugnisse gewährleistet. Nach Ansicht des Ausschusses dürfen die vorgeschlagenen Maßnahmen in keinem Fall eine Beeinträchtigung des Handelsverkehrs, die ein Hemmnis für den legalen Handel bilden kann, zur Folge haben.

3.7

Der EWSA spricht der Kommission seine Anerkennung für die Ausarbeitung dieses Verordnungsvorschlags aus. Er ist klar, hat einen sehr umfassenden Geltungsbereich, ermöglicht die Kontrolle illegaler Fischereitätigkeiten auf gemeinschaftlicher und internationaler Ebene und sieht sofortige Durchsetzungsmaßnahmen und wirksame, angemessene und abschreckende Strafen für natürliche Personen, die einen schweren Verstoß gegen die Verordnung begehen, oder juristische Personen, die für einen schweren Verstoß verantwortlich sind, vor. Allerdings ist er der Ansicht, dass im Fall der Nichteinhaltung durch nichtkooperierende Staaten auch die Möglichkeit erwogen werden sollte, andere als fischereibezogene Sanktionen gegen diese nichtkooperierenden Staaten zu verhängen.

3.8

Der Verordnungsvorschlag sollte nach Ansicht des Ausschusses inhaltlich anders gegliedert werden: Kapitel IV „Gemeinschaftliches Warnsystem“ und Kapitel V „Identifizierung als Schiffe, die IUU-Fischerei betreiben“ sollten direkt auf Kapitel I folgen.

3.9

In Kapitel III Artikel 13 Ziffer 1 sollte außerdem ausdrücklich festgelegt werden, dass die Einfuhr von Erzeugnissen der IUU-Fischerei sowohl auf dem Seeweg als auch auf dem Land- und Luftweg verboten ist.

3.10

Aus Sicht des Ausschusses liegt die große Schwierigkeit für die Anwendbarkeit des Verordnungsvorschlags darin, dass er der völligen Einmütigkeit und Unterstützung der Mitgliedstaaten und eines effektiven Netzes mitwirkender internationaler Partner bedarf.

3.11

Nach Auffassung des Ausschusses wird die Umsetzung aller Maßnahmen der Kontrolle und Inspektion sowohl in den Häfen als auch auf See, der Maßnahmen zur Bescheinigung, Überwachung und Überprüfung von Schiffen und Fängen sowie zur Kontrolle der Einfuhren auf dem Land-, See- und Luftweg von den Mitgliedstaaten einen deutlich höheren Mitteleinsatz und administrativen Aufwand und einen Ausbau der behördlichen Kontrolleinrichtungen verlangen, weswegen er die Kommission nachdrücklich auffordert, dem im Verordnungsvorschlag Rechnung zu tragen, um dem letztendlichen Erfolg keinen Abbruch zu tun.

3.12

In diesem Sinne fordert der Ausschuss die Kommission auf, ausreichende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, damit die Anwendung der vorgeschlagenen Verordnung den Unternehmen, deren Fischereifahrzeuge legale Fischereitätigkeiten ausüben, keine höheren Betriebskosten verursacht.

3.13

Insgesamt vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen die Stellung der Gemeinschaft als Flaggenstaat, Hafenstaat, Staat des Inverkehrbringens und Staat des Eigentümers stärken.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Verordnungsvorschlag ist nach bisheriger Prüfung und bei ordnungsgemäßer, beständiger und kontinuierlicher Anwendung durchaus geeignet, die Europäische Union als führende Kraft bzw. Vorbild im weltweiten Kampf gegen die IUU-Fischerei zu situieren.

4.2

Die Verordnung enthält zunächst allgemeine Bestimmungen zur Anwendung und behandelt danach direkt die Kontrolle von Fischereifahrzeugen aus Drittstaaten in Gemeinschaftshäfen. Hervorhebenswert ist das Verbot der Umladung zwischen Schiffen aus Drittstaaten und Fischereifahrzeugen der Gemeinschaft in Gemeinschaftsgewässern. Dieses Verbot erstreckt sich auch auf ein auf See vorgenommenes Umladen der Fänge von Drittlandsschiffen auf Fischereifahrzeuge der Gemeinschaft in außergemeinschaftlichen Gewässern.

4.3

Der EWSA begrüßt das Verbot von Umladungen auf See, das er mehrfach bei der Kommission angemahnt hat, weil diese Praktik die IUU-Fischerei stark begünstigt.

4.4

In der Verordnung wird klar festgelegt, dass Drittlandsschiffe nur „bezeichnete Häfen“ in der EU anlaufen dürfen, die zuvor von den Mitgliedstaaten benannt werden, und dies auch nur bei Erfüllung einer Reihe von Auflagen: Voranmeldung und Genehmigung, Vorlage einer validierten Fangbescheinigung und Inspektion. Fischereischiffe aus Drittstaaten, die die Erfordernisse und Bestimmungen der Verordnung nicht erfüllen, dürfen keinen Gemeinschaftshafen anlaufen, von diesen Häfen keine Hafendienstleistungen erhalten und dort keine Anlandungen, Umladungen oder Verarbeitung an Bord vornehmen.

4.5

Die Überprüfung der Voranmeldung und der Fangbescheinigung und die Hafeninspektionen sind eingehend und minuziös dargelegt und nehmen damit im Regelwerk der Verordnung einen besonderen Platz ein.

4.6

Im Hinblick auf die Überprüfung der Fangbescheinigungen, die 72 Stunden vor der Ankunft im Hafen zu übermitteln sind, geht der Ausschuss davon aus, dass die Validierung der Bescheinigungen von der validierenden Behörde auf elektronischem Wege durchzuführen ist. Aus Sicht des Ausschusses geht aus dem Verordnungsvorschlag nicht in ausreichender Klarheit hervor, auf welche Weise die Bescheinigungsvalidierung erfolgen soll. Darüber hinaus spricht sich der Ausschuss dafür aus, dass die Europäische Kommission eindeutig festschreibt, in welchen Fällen Ausnahmen von dieser 72-Stunden-Frist möglich sind.

4.7

Der Ausschuss unterstützt die von der Kommission für die Kontrolle von Fischereifahrzeugen aufgestellten Grundsätze und mahnt die Einmütigkeit der Mitgliedstaaten hinsichtlich einer gleichmäßigen Anwendung in allen „bezeichneten Häfen“ an.

4.8

Verstöße gegen die Verordnung, bei denen ein Fischereifahrzeug eines Drittstaates erwiesenermaßen in IUU-Tätigkeiten verwickelt war, bewirken das Verbot der Anlandung, Umladung oder Verarbeitung des Fangs an Bord, die Einleitung einer Untersuchung und gegebenenfalls die Verhängung der im nationalen Recht des Mitgliedstaates vorgesehenen Strafen. Im Fall eines schweren Verstoßes sieht der Verordnungsvorschlag die Anwendung sofortiger Durchsetzungsmaßnahmen vor.

4.9

Durch diese rigorose Kontrolle von Drittlandsschiffen, die derselben Kontrolle wie Fischereifahrzeuge der Gemeinschaft unterliegen, soll festgestellt werden, welche Fischereierzeugnisse aus Fangtätigkeiten der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei stammen. Die neue Verordnung untersagt die Einfuhr solcher Fischereierzeugnisse in die Gemeinschaft.

4.10

Der EWSA hält die Inspektion von Einfuhren im gesamten Gemeinschaftsgebiet für notwendig. Kapitel III sollte daher auch die Inspektion von Behältern einschließen, die auf dem Land- oder Luftweg in die Europäische Gemeinschaft eingeführt werden. In dieser Hinsicht sollte auch ein Mindestprozentsatz jährlich zu inspizierender Behälter festgelegt werden.

4.11

Gemäß der Verordnung können die Mitgliedstaaten im Fall des Verbots der Einfuhr von Fischereierzeugnissen, die nach den Bestimmungen der Verordnung als Erzeugnisse der IUU-Fischerei gelten, jeweils unter Wahrung des Rechts zur Rechtsmitteleinlegung den Fang konfiszieren und darüber nach Maßgabe ihrer einzelstaatlichen Vorschriften verfügen.

4.12

Zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Verordnung in allen Belangen, die die Einfuhr oder die Wiederausfuhr von Fischereierzeugnissen oder ggf. das Verbot ihrer Einfuhr betreffen, wird festgelegt, dass die Kommission Vereinbarungen über die Verwaltungszusammenarbeit mit Flaggenstaaten treffen kann.

4.13

Das System, das die Kommission mit dieser Verordnung errichten will, erfordert eine umfassende Zusammenarbeit auf internationaler Ebene zwischen der Europäischen Union und den Flaggenstaaten, den mit einer regionalen Fischereiorganisation kooperierenden Staaten und den regionalen Fischereiorganisationen selbst. Als Konsequenz dieser Zusammenarbeit sind des Weiteren die Staaten zu bestimmen, die als nichtkooperierend eingestuft werden; für sie enthält die Verordnung ebenfalls eigene Bestimmungen.

4.14

Die erste innergemeinschaftliche Konsequenz dieser internationalen Zusammenarbeit ist die Schaffung eines gemeinschaftlichen Warnsystems, das die Marktbeteiligten und die Mitgliedstaaten warnt, sobald aus Sicht der Gemeinschaft begründete Zweifel an der Beachtung der geltenden Rechtsvorschriften, Verordnungen und internationalen Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen durch Fischereifahrzeuge oder Fischereierzeugnisse bestimmter Drittländer bestehen.

4.15

Die Mitteilung löst eine gemeinschaftliche und internationale Überwachung sowohl der Einfuhren, die den Warnhinweis veranlasst haben, als auch der ihnen vorausgegangenen Einfuhren sowie der Fischereifahrzeuge, auf die sich die Warnung erstreckt, aus. Wenn die vorgenommenen Ermittlungen, Inspektionen und Nachforschungen den Verdacht bestätigen, dass es sich um IUU-Fangtätigkeiten handelt, nimmt die Kommission u.a. das/die betreffende(n) Schiff(e) in eine Gemeinschaftsliste der IUU-Schiffe auf.

4.16

In der Verordnung wird klar festgelegt, dass die Zusammenstellung und Analyse aller Informationen über IUU-Fangtätigkeiten von der Kommission selbst oder einer von ihr benannten Stelle vorgenommen wird.

4.17

Der EWSA ist der Ansicht, dass sich für diese Aufgabe die Europäische Fischereiaufsichtsagentur anbietet, die personell und finanziell besser ausgestattet werden muss.

4.18

Die Verordnung geht sehr ausführlich auf das ganze Procedere für die Erstellung, den Inhalt, die Aktualisierung und die Veröffentlichung der Gemeinschaftsliste der IUU-Schiffe ein; Fischereifahrzeuge, die in von regionalen Fischereiorganisationen geführte Listen von IUU-Schiffen aufgenommen wurden, werden automatisch in die Gemeinschaftsliste der IUU-Schiffe übernommen. Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission, anstatt gemeinschaftliche Fischereifahrzeuge automatisch in diese Liste aufzunehmen, sich erst vergewissern, dass die betreffenden Mitgliedstaaten nicht die in Artikel 26 der vorgeschlagenen Verordnung geforderten wirksamen Maßnahmen ergriffen haben.

4.19

Der EWSA hält das in der Verordnung vorgeschlagene Procedere für korrekt, denn dadurch wird Ernst mit der Aufnahme von Schiffen und nichtkooperierenden Staaten in die Listen der IUU-Fischerei gemacht; dabei werden in Bezug auf die Maßnahmen, die für Schiffe und Staaten gelten, die in IUU-Fangtätigkeiten verwickelt sind, alle Rechte auf Vorabinformation und Verteidigung garantiert. Dennoch ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Verfahren, durch die ein Schiff zum IUU-Schiff und ein Staat zum nichtkooperierenden Staat erklärt wird, stärkere Garantien enthalten müssen, insbesondere das Recht auf Verteidigung, und dass sie auf solide Beweise zu stützen sind, um zu vermeiden, dass von den Mitgliedstaaten erlassene Maßnahmen später von den Gerichten wieder aufgehoben werden.

4.20

Da die Aufnahme eines Staates in die Liste der nichtkooperierenden Staaten schwerwiegende Konsequenzen haben kann und die Erfordernisse dieser Verordnung für alle Staaten in gleichem Maße gelten müssen, hält es der Ausschuss für vollkommen richtig, dass die Kommission den Entwicklungsländern Unterstützung bietet, damit sie den Erfordernissen hinsichtlich der Begleitung, Kontrolle und Überwachung der Fangtätigkeiten nachkommen können.

4.21

Der Ausschuss sieht in dem satellitengestützten Schiffsüberwachungssystem (VMS) ein wichtiges Hilfsmittel für die Verfolgung von IUU-Fangtätigkeiten. Damit ein Land wieder aus der Liste nichtkooperierender Staaten gestrichen werden kann, sollte daher nach Ansicht des Ausschusses zwingend von ihm verlangt werden, all seine Fischereifahrzeuge mit VMS auszurüsten.

4.22

Der Ausschuss befürwortet die harten Maßnahmen, die die Verordnung für Schiffe und nichtkooperierende Staaten vorsieht, die an IUU-Fangtätigkeiten beteiligt sind.

4.23

Die Verordnung verbietet es auch den eigenen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die IUU-Fischerei in irgendeiner Weise zu unterstützen oder sich daran zu beteiligen, und untersagt jegliche Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Chartern, der Ausfuhr oder dem Verkauf von Fischereifahrzeugen, die in der Gemeinschaftsliste der IUU-Schiffe verzeichnet sind.

4.24

Am Ende der Verordnung werden schwere Verstöße definiert. Für die Mitgliedstaaten gelten einheitliche Vorgaben für den Mindestbetrag, den das Höchststrafmaß sowohl für natürliche als auch für juristische Personen haben muss; vorgesehen sind weiterhin sofortige Durchsetzungsmaßnahmen und Begleitstrafen, um die Fortsetzung des Verstoßes zu verhindern und es den zuständigen Behörden zu ermöglichen, den betreffenden Verstoß zu untersuchen.

4.25

Der Ausschuss befürwortet eine Angleichung der Höhe der Strafen für Drittlandsschiffe in allen EU-Mitgliedstaaten.

4.26

Im Sinne einer Vereinfachung des Gemeinschaftsrechts will die Kommission die wesentlichen, im Rahmen der regionalen Fischereiorganisationen, denen die Gemeinschaft angehört, erlassenen Kontroll-, Inspektions- und Durchsetzungsbestimmungen in den Verordnungsvorschlag übernehmen und damit deren Geltungsbereich auf alle im Regelungsbereich einer dieser Organisationen liegenden Gewässer ausweiten.

4.27

Nach Meinung des EWSA sollte die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit prüfen, die Verordnung auf die Süßwasserfischerei auszudehnen.

4.28

Der EWSA sieht in dem von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung ein sehr nützliches Instrument zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei. Die Verwirklichung dieses Ziels bedarf fortgesetzter, beständiger Anstrengungen. In dieser Hinsicht kommt es aus Sicht des Ausschusses ganz besonders auf ein gutes Zusammenspiel der Mitgliedstaaten an.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Verordnung (EWG) Nr. 2847/93 des Rates vom 12.10.1993.

(2)  KOM(2002) 180 endg. vom 28.5.2002 und Schlussfolgerungen des Rates vom 7.6.2002.

(3)  Entschließung des Europäischen Parlaments Nr. 2006/2225 vom 15.2.2007.

(4)  KOM(2007) 601 endg. vom 17.10.2007.

(5)  Der EWSA veranstaltete am 30.1.2007 eine Konferenz zum Thema „Flaggenstaatpflichten“.

(6)  „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über ein Gemeinschaftssystem zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei“ (2007/0223 (CNS)).

(7)  Verordnung (EWG) Nr. 2847/93 des Rates vom 12.10.1993.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/77


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates zum Schutz empfindlicher Tiefseeökosysteme vor den schädlichen Auswirkungen von Grundfanggeräten“ und der

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über destruktive Praktiken der Hochseefischerei und den Schutz empfindlicher Tiefseeökosysteme“

KOM(2007) 605 endg. — 0227/0224 (CNS)

KOM(2007) 604 endg.

(2008/C 224/17)

Der Rat beschloss am 4. Dezember 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates zum Schutz empfindlicher Tiefseeökosysteme vor den schädlichen Auswirkungen von Grundfanggeräten“

Gemäß dem am 7. November 2005 unterzeichneten Protokoll über die Zusammenarbeit beschloss die Europäische Kommission am 17. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über destruktive Praktiken der Hochseefischerei und den Schutz empfindlicher Tiefseeökosysteme“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2008 an. Berichterstatter war Herr ESPUNY MOYANO, Mitberichterstatter war Herr ADAMS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 101 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet die allgemeine politische Ausrichtung des Verordnungsvorschlags und der Mitteilung der Kommission, ist jedoch der Auffassung, dass die vorgeschlagene Verordnung in Bezug auf Inhalt, Effizienz und Wirkung verbessert werden könnte, wenn die in Teil 4 und 5 dieser Stellungnahme dargelegten Empfehlungen darin einfließen.

2.   Einführung

2.1

In den letzten Jahren wurde deutlich, dass Tiefseeökosysteme eine besonders große Artenvielfalt aufweisen und zahlreichen Meerespflanzen und -tieren als Lebensraum dienen können. Sie gehören zu den letzten noch bestehenden Großökosystemen der Erde. Kaltwasserriffe, Seeberge, Korallen, hydrothermale Quellen und Schwammriffe sind zunehmend durch menschliche Tätigkeiten gefährdet. Tiefseeökosysteme haben ein weitaus weniger produktives Lebensumfeld als Flachwasserökosysteme und brauchen daher unter Umständen Jahrhunderte, um sich zu regenerieren. So können menschliche Tätigkeiten wie die Kohlenwasserstoffexploration, das Verlegen von Kabeln, die Abfallverkippung und die Befischung mit bestimmten Grundfanggeräten (1) negative Auswirkungen haben. Kaltwasserkorallen sind auch auf Festlandsockeln in gemäßigten Breiten zu finden (2).

2.2

Die Grundfischerei erfordert hochspezialisierte Fanggeräte, die bei sandigem oder schlammigem Meeresboden in der Regel ohne bedeutende schädigende Einwirkungen verwendet werden können. Bestimmte Fanggeräte sind jedoch bauartbedingt schwer und stabil, so dass sie Lebensräume in empfindlichen Tiefseeökosystemen erheblich beeinträchtigen und gewachsene, größtenteils nicht wiederherzustellende Strukturen, insbesondere Korallen, zerstören können.

2.3

Wie es bei Umweltbelangen von weltweiter Tragweite häufig der Fall ist, wurde davon ausgegangen, dass dieses Problem nur dann umfassend geregelt werden kann, wenn auf globaler Ebene ausgewogene, wirksame und durchsetzbare Maßnahmen getroffen werden. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat die Probleme im Zusammenhang mit bestimmten Praktiken der Hochseefischerei seit 2004 immer wieder erörtert. So wurde am 8. Dezember 2006 die Resolution 61/105 über nachhaltige Fischerei angenommen, mit der für die Grundfischerei auf hoher See zuständige Staaten und Organisationen nachdrücklich dazu aufgefordert wurden, im Sinne einer Regulierung solcher Fischereitätigkeiten aktiv zu werden, damit empfindliche Meeresökosysteme vor Schaden bewahrt werden (3).

2.4

In dieser Stellungnahme werden zwei Vorlagen der Kommission zum Schutz empfindlicher Tiefseeökosysteme behandelt. Die erste (KOM(2007) 604) erläutert die allgemeine politische Ausrichtung im Einzelnen und beschreibt, welche konkreten Maßnahmen die EU treffen sollte und woran sich diese orientieren sollten. Dabei wird von den Empfehlungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ausgegangen, die nach eingehender Behandlung des Themas durch die VN-Generalversammlung (4) und unter maßgeblicher Mitwirkung der EU entwickelt wurden. Bei der zweiten Vorlage (KOM(2007) 605), die als unmittelbare gesetzgeberische Antwort zu sehen ist, handelt es sich um einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates, die für Fischereifahrzeuge der EU gelten soll, die in nicht unter die Regelungskompetenz einer regionalen Fischereiorganisation fallenden Hochseegebieten tätig sind.

2.5

Auf lange Sicht entspricht es sowohl dem Interesse der Wirtschaft als auch der Umweltschützer, Lebensräume auf dem Meeresboden zu bewahren, um die langfristige Nachhaltigkeit der Fischbestände sowie die Erhaltung und den Schutz der marinen Artenvielfalt zu gewährleisten.

3.   Zusammenfassung des allgemeinen Ansatzes (KOM 604) und des spezifischen Verordnungsvorschlags (KOM 605) der Kommission

3.1

Die beiden zentralen Rahmenelemente für die Bewirtschaftung der Grundfischerei auf hoher See sind die vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung eines geplanten Fanggebiets als Vorbedingung für die Zulassung einzelner Fischereitätigkeiten und der Nachweis, dass keine erheblichen Beeinträchtigungen entstehen, als Bedingung für eine Fortsetzung der Fischereitätigkeit. Zur Flankierung dieser Maßnahmen muss die Forschung und Datenerhebung verbessert werden, um zu ermitteln, wo sich bekanntlich oder wahrscheinlich empfindliche Ökosysteme befinden und welche ökologische Dynamik sie aufweisen.

3.2

Eine besonders zweckdienliche Maßnahme besteht darin, räumliche Absperrungen bzw. besondere Bewirtschaftungsgebiete vorzusehen. Dies würde durch einvernehmlichen Beschluss im Rahmen einer regionalen Fischereiorganisation geschehen. Außerhalb regionaler Fischereiorganisationen ist es Sache der einzelnen Staaten, unter ihrer Flagge fahrenden Fischereifahrzeugen entsprechende Schutzmaßnahmen aufzuerlegen.

3.3

Mit der vorgeschlagenen Verordnung wird die Grundfischerei auf hoher See strengen Kontrollen unterworfen. Dies soll im Zuge von Maßnahmen geschehen, die mit jenen vergleichbar sind, die bereits von in den Gewässern des nordwestlichen und südlichen Pazifiks und in der Antarktis Hochseefischerei betreibenden Staaten angenommen wurden und die in regionalen Fischereiorganisationen im nördlichen und südöstlichen Atlantik, in der Antarktis und im Mittelmeer zur Annahme vorgelegt wurden.

3.4

Während der drei Jahre andauernden Verhandlungen über das Thema in der Generalversammlung der Vereinten Nationen erhielt die Kommission viele unterschiedliche Anregungen seitens der Mitgliedstaaten sowie aus Wirtschaftskreisen und Umweltschutzorganisationen. Sie setzte auf ein Regelungskonzept (im Gegensatz zu einem Verbot), das von den Flaggenstaaten über regionale Fischereiorganisationen umgesetzt und in dem Fall, dass ihre Fischereifahrzeuge in Hochseegebieten operieren, in denen derzeit keine regionale Fischereiorganisation besteht, von den Flaggenstaaten selbst zur Anwendung gebracht werden sollte.

3.5

In dem Vorschlag wird die Bewirtschaftung der Tiefseefischerei größtenteils den EU-Mitgliedstaaten überlassen und an die Erteilung einer speziellen Fangerlaubnis geknüpft. Wenn ein Fischereifahrzeug einen Antrag auf Erteilung einer speziellen Fangerlaubnis stellt, muss es einen detaillierten Fangplan vorlegen, in dem das voraussichtliche Fanggebiet, die Zielart(en), die Tiefe, in der gefischt wird, und das bathymetrische Profil des Meeresbodens in dem Gebiet anzugeben sind. Daraufhin werden der Fangplan und dessen potenzielle Auswirkungen auf empfindliche marine Ökosysteme von den zuständigen Behörden auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Informationen geprüft.

3.6

Darüber hinaus sieht der Vorschlag einige klare Beschränkungen vor. Der Einsatz von Grundfanggeräten in mehr als 1 000 m Tiefe soll verboten werden. Trifft ein Fischereifahrzeug auf ein empfindliches marines Ökosystem, muss es den Fang unverzüglich einstellen und darf seine Fangtätigkeiten erst wieder aufnehmen, wenn das Fahrzeug mindestens fünf Seemeilen von dem betreffenden Ort entfernt ist. Die zuständigen Behörden sollten über die genaue Lage des angetroffenen empfindlichen marinen Ökosystems informiert werden und können daraufhin beschließen, das Gebiet für die Fischerei mit Grundfanggeräten zu sperren. Auch wird vorgeschrieben, dass alle Fischereifahrzeuge satellitengestützte Schiffsüberwachungssysteme (VMS-Systeme) verwenden und wissenschaftliche Beobachter an Bord nehmen müssen.

3.7

Die Mitgliedstaaten müssen der Kommission alle sechs Monate über die Durchführung der Verordnung Bericht erstatten. Anschließend übermittelt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat bis Juni 2010 einen Bericht, in den Vorschläge für gegebenenfalls erforderliche Änderungen einfließen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet die allgemeine politische Ausrichtung der Kommissionsvorlagen, da diese mit den Standpunkten im Einklang steht, die der EWSA in seiner früheren Stellungnahme zur Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt (NAT/334) zum Ausdruck gebracht hat.

4.2

In den letzten Jahren hat der EWSA die positiven und problematischen Aspekte im Zusammenhang mit den Zielen der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) im Rahmen verschiedener Stellungnahmen (5) untersucht und sich mit der Frage beschäftigt, wie die aquatischen Ressourcen vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Entwicklung und unter ausgewogener Berücksichtigung ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Gesichtspunkte nachhaltig genutzt werden können. All diesen Aspekten sollte bei der Betrachtung des von der Kommission vorgelegten Verordnungsvorschlags Rechnung getragen werden.

4.3

Sowohl in der Mitteilung als auch in dem Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen zur Abschätzung der Folgen der vorgeschlagenen Verordnung heißt es, dass die Verordnung gegenwärtig nur für EU-Grundschleppnetzfischer gilt, die ihre Fangtätigkeiten im Südwestatlantik außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Argentiniens ausüben.

4.4

Diese Fangtätigkeiten werden von rund 30 Fischereifahrzeugen der Gemeinschaft im Südwestatlantik betrieben, wo aufgrund des langjährigen Disputs zwischen dem Vereinigten Königreich und Argentinien über die Falklandinseln noch keine regionale Fischereiorganisation eingerichtet wurde. Die einschlägigen Fischereitätigkeiten lassen sich wie folgt beschreiben:

Der als Hochseefischerei geltende Anteil der Fangtätigkeiten wird auf dem Festlandsockel und der oberen Neigung des patagonischen Schelfgebiets betrieben. Diese Fischereitätigkeiten werden seit 25 Jahren ausgeübt, und sowohl die Fischereiindustrie als auch Wissenschaftler versichern, dass das Fanggebiet unverändert geblieben ist und sich auf dieselben sandigen und flachen Grundgebiete erstreckt. Zwei Fischarten werden gefangen: Kurzflossenkalmar (Illex) und gewöhnlicher Kalmar (Loligo) sowie Hecht (Merlucius hubsi). Keine dieser Arten wird als Tiefseefisch eingeordnet: Eine solche Klassifizierung beruht entweder auf dem Kriterium der Tiefe (6) (nun von der FAO abgelehnt) oder auf biologischen Gesichtspunkten (lange Lebensdauer, späte Geschlechtsreife, langsames Wachstum oder geringe Fruchtbarkeit (7)), was gegen zusätzliche Schutzmaßnahmen spricht (8). Somit richten sich diese Fangtätigkeiten ohne wesentliche Beifänge auf Fischarten mittlerer und hoher Produktivität und werden in Gebieten durchgeführt, in denen sich nach derzeitigem Kenntnisstand keine besonders empfindlichen Ökosysteme befinden.

Die beschriebenen Fangtätigkeiten begannen mit von der EU finanzierten Versuchsfischereikampagnen, die ursprünglich einer Umverteilung der Gemeinschaftsflotte dienen sollten. Bei diesen Kampagnen waren Beobachter an Bord, und der Europäischen Kommission dürften diesbezüglich umfassende Informationen vorliegen.

Darüber hinaus finanzierte die Kommission Bewertungsstudien, und Spanien führte über das spanische ozeanographische Institut (IEO) während des gesamten Zeitraums ein Programm durch, in dessen Rahmen wissenschaftliche Beobachter an Bord genommen wurden, um zusätzlich zu anderen Informationen fortlaufend über diese Fangtätigkeiten Bericht zu erstatten (9).

Es werden nur in minimalem Umfang andere als die Zielarten gefangen (Beifänge), größtenteils Rosa Kingklip bzw. Meeraal (Genipterus blacodes) und Zackenbarsch (rock cod); bei letzterer handelt es sich um eine nicht kommerziell genutzte Art, bei der derzeit Bestrebungen bestehen, sie auf dem Gemeinschaftsmarkt einzuführen.

Sämtliche Fischereifahrzeuge der Gemeinschaft operieren mit einer speziellen, von den einzelnen Mitgliedstaaten erteilten Fangerlaubnis und werden per Satellit überwacht (VMS). Zudem verfügen 20 % der Flotte über wissenschaftliche Beobachter an Bord.

Sowohl der Fang von Kopffüßern (Cephalopoda), d.h. Kurzflossenkalmaren und gewöhnlichen Kalmaren, sowie von Hechten wird in zwei kleinen Hochseegebieten betrieben, die Teil eines viel größeren Fischereigebiets sind, zu dem die ausschließliche Wirtschaftszone Argentiniens und Uruguays sowie das von der Regierung der Falklandinseln kontrollierte Gebiet gehören, wo rund 100 Fischereifahrzeuge aus Argentinien und Drittländern (10) sowie von den Falklandinseln tätig sind.

Von den Tiefseearten, die in Anhang I und II der Verordnung (EG) Nr. 2347/2002 des Rates mit spezifischen Zugangsbedingungen und einschlägigen Bestimmungen für die Fischerei auf Tiefseebestände (11) aufgelistet werden, ist nur der Wrackbarsch (Polyprion americanus) in patagonischen Gewässern heimisch, doch wurden weder vom IEO noch von der Gemeinschaftsflotte Fänge dieser Fischart verzeichnet.

Die durch die Tätigkeit dieser Fischereifahrzeuge geschaffenen Arbeitsplätze und der daraus resultierende Wohlstand konzentrieren sich auf eine Gemeinschaftsregion, die in hohem Maße von der Fischerei abhängig ist (12).

4.5

In Anbetracht dessen schlägt der EWSA vor, dass dieses (geografisch genau definierte) Gebiet von den Bestimmungen der vorgeschlagenen Verordnung ausgenommen werden sollte, sofern die derzeit durchgeführte umfassende ozeanographische Untersuchung des Gebiets abschließend ergibt, dass sich dort nachweislich keine empfindlichen marinen Ökosysteme befinden.

4.6

Ferner ist der EWSA der Auffassung, dass durch den Verordnungsvorschlag der Kommission keine effiziente Anwendung und Harmonisierung der entsprechenden Regelungen durch die Mitgliedstaaten sichergestellt wird. Daher fordert der EWSA die Kommission auf, sich stärker um die Koordinierung und die Gewährleistung einer effizienten Durchführung der Verordnung durch die Mitgliedstaaten zu bemühen.

4.7

Nach Ansicht des EWSA sollte die Kommission zusätzlich zu den von den Mitgliedstaaten durchgeführten Folgenprüfungen unabhängige wissenschaftliche Bewertungen anregen. Zu diesem Zweck sollte sie die erforderlichen Mittel zur Finanzierung dieser Bewertungen bereitstellen.

4.8

Und schließlich weist der EWSA darauf hin, dass die FAO derzeit eine Reihe internationaler Leitlinien für die Bewirtschaftung der Tiefseefischerei auf hoher See ausarbeitet, und schlägt vor, dass die Kommission die daraus resultierenden Schlussfolgerungen berücksichtigt.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass in Artikel 1 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags auf Fischereifahrzeuge der Gemeinschaft Bezug genommen werden sollte, die in noch unberührten, bisher ungenutzten Fanggründen auf hoher See mit Grundfanggeräten Fischereitätigkeiten ausüben, und dass in diesem Artikel die Empfehlungen aus Ziffer 4.5 dieser Stellungnahme berücksichtigt werden sollten.

5.2

Nach Ansicht des EWSA ist die Begriffsbestimmung „empfindliches marines Ökosystem“ in Artikel 2 des Verordnungsvorschlags schwammig und unklar, was zu Problemen bei der Auslegung führen könnte. Die aktuellen Arbeiten der FAO könnten für eine Klarstellung hilfreich sein.

5.3

In Bezug auf Artikel 4 Absatz 5 gibt der EWSA zu bedenken, dass jegliche Änderungen der Fangpläne auch überprüft werden sollten, um sicherzustellen, dass keine erheblichen Beeinträchtigungen entstehen — d.h., dass die Änderungen wirklich den bei der Prüfung der Auswirkungen festgestellten Problemen Rechnung tragen. Ferner befürchtet der EWSA, dass die geplante Regelung nicht flexibel genug sein wird, um den Fangtätigkeiten gerecht zu werden, die stark variieren können und schwer vorhersehbar sind.

5.4

Nach Auffassung des EWSA könnte auch Artikel 5 zu Unklarheiten führen, da darin nicht zwischen dem Verlust der Gültigkeit und der Entziehung einer Fangerlaubnis unterschieden wird. Bei der speziellen Fangerlaubnis handelt es sich um eine behördliche Genehmigung, deren Gültigkeit an die Einhaltung der Verfahrensweisen geknüpft ist, die von der zuständigen Behörde für ihre Erteilung gefordert werden; sie behält ihre Gültigkeit, solange sie nicht von dieser Behörde ausgesetzt oder entzogen wird. Die Behörde sollte den Inhaber der Fangerlaubnis ausdrücklich über deren Entziehung bzw. Aussetzung in Kenntnis setzen und ihm die Möglichkeit geben, sich dazu zu äußern. Daher schlägt der EWSA folgenden Wortlaut vor: „Die spezielle Fangerlaubnis gemäß Artikel 3 Absatz 1 wird entzogen, wenn die Fischereitätigkeiten zu irgendeinem Zeitpunkt von dem gemäß Artikel 4 Absatz 1 vorgelegten Fangplan abweichen.“

5.5

Somit sollte der zweite Satz von Artikel 5 Absatz 2 wie folgt lauten: „Die zuständigen Behörden prüfen diese Änderungen und dürfen die Gültigkeitskriterien der Fangerlaubnis nur dann ändern, wenn die Änderungen keine Verlagerung der Fangtätigkeiten in Gebiete nach sich ziehen, in denen empfindliche marine Ökosysteme vorkommen oder vorkommen könnten.“

5.6

Laut Artikel 6 ist der Einsatz von Grundfanggeräten in mehr als 1 000 m Tiefe verboten. Nach Ansicht des EWSA sollte diese Bestimmung gestrichen werden, da keine ausreichenden wissenschaftlichen Beweise zur Bekräftigung einer solchen Beschränkung vorliegen, wie aus den Beratungen der FAO über die internationalen Leitlinien für die Bewirtschaftung der Tiefseefischerei auf hoher See hervorging. Dass gegenwärtig keine Flotte in Tiefen von mehr als 1 000 m operiert, muss nicht heißen, dass solche Fischereitätigkeiten durch die Verordnung künftig verhindert werden sollten, solange sie dem Grundsatz der Nachhaltigkeit genügen. Wie die Kommission selbst anerkennt, wird eine solche Maßnahme auch nicht in der Resolution 61/105 der VN-Generalversammlung empfohlen.

5.7

Der EWSA zeigt sich über die mangelnde Eindeutigkeit von Artikel 8 der vorgeschlagenen Verordnung besorgt. Es scheint keineswegs gewährleistet zu sein, dass sämtliche Gebiete, in denen sich empfindliche Ökosysteme befinden oder wahrscheinlich befinden könnten, für die Fischerei mit Grundfanggeräten gesperrt werden. Der Artikel sieht für Mitgliedstaaten, die wahrscheinliche empfindliche Gebiete identifiziert haben, keine eindeutige Verpflichtung vor, diese Gebiete für die unter ihrer Flagge fahrenden Schiffe zu sperren.

5.8

In Artikel 10 wird (wie auch in Artikel 5) der Verlust der Gültigkeit einer Fangerlaubnis mit ihrer Rücknahme bzw. Entziehung durcheinander gebracht. Daher schlägt der EWSA folgenden Wortlaut für Artikel 10 Absatz 1 vor: „Bei Verstoß gegen den Fangplan gemäß Artikel 4 Absatz 1 unter anderen als den in Artikel 5 Absatz 2 genannten Umständen wird die für das betreffende Fischereifahrzeug erteilte spezielle Fangerlaubnis entzogen. Fangtätigkeiten, die nach dem Zeitpunkt der Entziehung der speziellen Fangerlaubnis ausgeführt werden, gelten als Fischfang ohne Fangerlaubnis […].“

5.9

In Bezug auf Artikel 12, der die Zuteilung von Beobachtern für alle Fischereifahrzeuge vorsieht, ist der EWSA der Auffassung, dass diese Maßnahme unverhältnismäßig, unnötig und in einigen Fällen nicht durchsetzbar ist, da nicht alle Fischereifahrzeuge über die Möglichkeit zur Unterbringung einer zusätzlichen Person an Bord verfügen. Auch würden dadurch die Betriebskosten für die Unternehmen weiter in die Höhe getrieben. Insgesamt gehen wissenschaftliche Gremien davon aus, dass ein bestimmter Anteil an Beobachtern an Bord ausreicht, um die genannten Ziele zu erreichen.

5.10

Bezüglich Artikel 14 würde der EWSA zudem empfehlen, dass die Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament bis zum 30. Juni 2009 — und nicht, wie bisher in dem Artikel vorgesehen, bis zum 30. Juni 2010 — einen Bericht vorlegt. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen ist übereingekommen, 2009 die Umsetzung ihrer Resolution aus dem Jahr 2006 zu überprüfen, und es wäre für die Kommission von Bedeutung, ihren Bericht rechtzeitig vor dieser Überprüfung durch die VN-Generalversammlung vorzulegen.

5.11

Der EWSA hält den Zeitrahmen für das Inkrafttreten (am siebten Tag nach der Veröffentlichung der Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Union) für nicht ausreichend, um es den Fischereifahrzeugen zu ermöglichen, Fangpläne vorzulegen und diese von der Kommission prüfen und genehmigen zu lassen, und schlägt deshalb vor, eine vernünftige, realistische Frist zu setzen, damit den Verpflichtungen nachgekommen werden und die Fangerlaubnis durch die Kommission erteilt werden kann.

5.12

Abschließend ist der EWSA der Ansicht, dass in die Verordnung eine Bestimmung oder ein Artikel aufgenommen werden sollte, wonach eine Prüfung vorgenommen werden muss, um zu gewährleisten, dass im Zuge der Regulierung der Fischereitätigkeiten die langfristige Nachhaltigkeit der Fischbestände und die Erhaltung von Beifangarten sichergestellt werden. Ersteres wird in der Resolution der VN-Generalversammlung gefordert, und beide Aspekte sind Verpflichtungen, die aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1995 über die Erhaltung der Fischbestände in der Hochseefischerei erwachsen.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Dazu gehören u.a. Grundschleppnetze, Dredgen, Stellnetze, Grundleinen sowie Reusen und Fallen. Siehe Friewald, A., Fosså, J. H., Koslow, T., Roberts, J. M. 2004. Cold-water coral reefs. UNEP-WCMC, Cambridge, Vereinigtes Königreich.

(2)  Idem.

(3)  Resolution 61/105 der Generalversammlung der Vereinten Nationen, Ziffern 83-86.

(4)  Resolution 59/25 (2004) und insbesondere 61/105 (Ziffern 80-95) vom 8. Dezember 2006.

(5)  NAT/264 — Verordnung zum Europäischen Fischereifonds (ABl. C 267 vom 27.10.2005); NAT/280 — Verordnung über finanzielle Maßnahmen der Gemeinschaft zur Durchführung der Gemeinsamen Fischereipolitik und im Bereich des Seerechts (ABl. C 65 vom 17.3.2006), NAT/316 (ABl. C 318 vom 23.12.2006), NAT/333 (ABl. C 168 vom 20.7.2007), NAT/334 — Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt (ABl. C 97 vom 28.4.2007); NAT/364 — Verordnung zur Einführung einer gemeinschaftlichen Rahmenregelung für die Erhebung, Verwaltung und Nutzung von Daten im Fischereisektor und Unterstützung wissenschaftlicher Gutachten zur Durchführung der Gemeinsamen Fischereipolitik(ABl. C 10 vom 15.1.2008).

(6)  Daten, die von Beobachtern des spanischen ozeanographischen Instituts erhoben wurden und sich mit den Satelliteninformationen aus Bordschreibern decken, verdeutlichen, dass die Fangtätigkeiten der spanischen Grundschleppnetzfischflotte auf hoher See im patagonischen Schelfgebiet zu über 95 % in Tiefen von weniger als 400 m stattfinden.

(7)  Studie von Koslow u. A., veröffentlicht im Journal of Marine Science des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES): J. A. Koslow, G. W. Boehlert, J. D. M. Gordon, R. L. Haedrich, P. Lorance and N. Parin, 2000. Continental Slope and deep-sea fisheries: implications for a fragile ecosystem.

(8)  Siehe Erwägungsgrund 10 des Verordnungsvorschlags.

(9)  Siehe Ziffer 2.2 des Arbeitspapiers der Kommissionsdienststellen.

(10)  Korea, Japan, China, Taiwan und Uruguay.

(11)  ABl. L 351 vom 28.12.2002, S. 6.

(12)  Aus von der galizischen Regionalregierung veröffentlichten Input-Output-Tabellen zur Fischkonservenindustrie in Galizien geht hervor, dass von den 74 Wirtschaftszweigen der galizischen Volkswirtschaft 61 von der Fischerei abhängig sind.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/81


Stellungnahme des Europäischen- Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. XXX/XXXX (gemeinsames Verfahren)“

KOM(2007) 872 endg. — 2008/0002 (COD)

(2008/C 224/18)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 30. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. XXX/XXXX (gemeinsames Verfahren)“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2008 an. Berichterstatter war Herr ESPUNY MOYANO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 71 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hält es für notwendig und zweckmäßig, die Rechtsvorschriften über neuartige Lebensmittel zu aktualisieren, da dies zu besserer Lebensmittel- und Rechtssicherheit führen würde. Er unterstützt daher den Vorschlag der Kommission, auch wenn seiner Meinung nach einige Vorschläge berücksichtigt werden sollten.

1.2

Der EWSA begrüßt, dass auf der Website der Kommission eine spezielle Seite eingerichtet werden soll, die die Positivliste der genehmigten Lebensmittel enthält und von den Verbrauchern und Unternehmern konsultiert werden kann. Er möchte die Kommission jedoch darauf aufmerksam machen, dass diese spezielle Seite — wenn sie wirklich von Nutzen sein soll — unter all den anderen Internetseiten der Kommission leicht auffindbar sein und klare Erläuterungen enthalten muss.

1.3

Da in der Verordnung zwischen zwei Kategorien von neuartigen Lebensmitteln unterschieden wird (je nachdem, ob sie aus einem EU-Mitgliedstaat stammen oder nicht), schlägt der EWSA vor, die Positivliste der zugelassenen Lebensmittel ebenfalls in zwei Teile zu gliedern, um dadurch den Zugang und das Verständnis der Verbraucher und Unternehmer zu erleichtern.

1.4

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Bemühungen der Unternehmen im Bereich FuEuI im Einklang mit dem Schutz des geistigen Eigentums der Unternehmen von einem angemessen Schutz der bereitgestellten Daten durch die Behörde begleitet sein müssen.

1.5

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Termin für die Bewertung (vor dem 11. Januar 2015) zu weit in der Zukunft liegt.

1.6

Der EWSA ist der Meinung, dass die Aussage „Lebensmittel, die ... in der Gemeinschaft nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden“ zu unscharf ist und zu Fehlern, Verwirrung und Fehlpraktiken führen kann.

1.7

Der EWSA stellt fest, dass keinerlei System oder Frist für die Revision der Liste vorgesehen ist, und schlägt daher vor, in der Verordnung einen Mechanismus festzulegen, um sie bei Bedarf überarbeiten zu können.

1.8

Der EWSA fragt sich, ob die Frist für die im Bedarfsfall von der EFSA vorgenommenen Bewertung ausreichend bemessen ist.

2.   Zusammenfassung des Vorschlags der Kommission

2.1

Die europäische Verordnung über neuartige Lebensmittel stammt ursprünglich aus dem Jahr 1997. Mittlerweile hat es sich jedoch als notwendig erwiesen, einige Aspekte dieser Verordnung zu aktualisieren und abzuändern.

2.2

Ziel ist es, die Effizienz, Transparenz und Umsetzung eines Systems von Zulassungen zu verbessern, das die Sicherheit neuartiger Lebensmittel gewährleistet und ein gemeinsames Verfahren für die wissenschaftliche Bewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) enthält, durch das die Verwaltungslast reduziert und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gesteigert wird.

2.3

Mit dem Vorschlag der Kommission werden einheitliche Vorschriften über das Inverkehrbringen neuartiger Lebensmittel in der Gemeinschaft festgelegt, um ein hohes Niveau beim Schutz der menschlichen Gesundheit und der Verbraucherinteressen zu gewährleisten und gleichzeitig das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen.

2.4

Lebensmittelzusatzstoffe, Lebensmittelaromen, Extraktionslösungsmittel, Lebensmittelenzyme, Vitamine und Mineralstoffe sowie genetisch veränderte Futtermittel sind vom Geltungsbereich des Verordnungsvorschlags ausdrücklich ausgeschlossen, da sie durch ein eigenes, bereits etabliertes Verfahren geregelt werden.

2.5

In dem Vorschlag werden „neuartige Lebensmittel“ definiert als

Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 in der Gemeinschaft nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden;

Lebensmittel pflanzlichen oder tierischen Ursprungs, bei denen die betreffenden Pflanzen oder Tiere mittels einer nicht herkömmlichen Zuchtmethode gezüchtet wurden, die vor dem 15. Mai 1997 nicht angewandt wurde; und

Lebensmittel, bei deren Herstellung ein neues, vor dem 15. Mai 1997 nicht übliches Produktionsverfahren angewandt wird und bei denen dieses Produktionsverfahren wesentliche Veränderungen ihrer Zusammensetzung bewirkt, was ihren Nährwert, ihren Metabolismus oder ihren Gehalt an unerwünschten Stoffen beeinflusst.

2.6

Der Verordnungsvorschlag enthält ferner noch weitere Definitionen von grundlegenden Begriffen wie „herkömmliche Lebensmittel aus einem Drittland“ und „Nachweis der sicheren Verwendung als Lebensmittel“.

2.7

Es wird festgelegt, dass nur solche neuartigen Lebensmittel in der EU in Verkehr gebracht werden dürfen, die in die Gemeinschaftsliste aufgenommen werden und folgende Anforderungen erfüllen:

Sie dürfen auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse keine Sicherheitsbedenken aufweisen;

sie dürfen den Verbraucher nicht irreführen;

sie dürfen sich gegenüber herkömmlichen Lebensmitteln, die sie ersetzen sollen, vom Nährwert her nicht nachteilig für den Verbraucher auswirken.

2.8

Diese Anforderungen gelten sowohl für die Aufnahme von durch neue Zuchtmethoden oder neue Produktionsprozesse erzeugten neuartigen Lebensmitteln als auch von herkömmlichen Lebensmitteln aus Drittländern, die als neuartige Lebensmittel erachtet werden. In beiden Fällen müssen unbedingt die entsprechenden Vorschriften eingehalten und das etablierte Verfahren (an dem die Kommission, EFSA und die Mitgliedstaaten teilnehmen) befolgt werden.

2.9

Die Kommission ihrerseits wird (in Zusammenarbeit mit der EFSA) Instrumente und fachliche Anleitung bereitstellen, um den Lebensmittelunternehmern und insbesondere den KMU bei der Bearbeitung der Zulassungsanträge zur Seite zu stehen.

2.9.1

Darüber hinaus kann die Kommission aus Gründen der Lebensmittelsicherheit auf der Grundlage eines Gutachtens der EFSA eine Überwachung nach dem Verkehrbringen vorschreiben (Artikel 11).

2.10

Der Vorschlag zielt darauf ab, die Einhaltung des Rechts auf Datenschutz zu gewährleisten (Artikel 12), und legt fest, dass die nationalen Behörden für den Fall von Verstößen gegen die Gemeinschaftsbestimmungen den geeigneten Sanktionsrahmen abstecken (Artikel 13).

2.11

Der Kommission wird vom Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette unterstützt, und schließlich wird eine Frist für die Bewertung der Umsetzung dieser Verordnung (2015) gesetzt, um gegebenenfalls die notwendigen Änderungen vornehmen zu können.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Zentralisierung des Bewertungs- und des Zulassungsverfahrens

3.1.1

Mit dem Vorschlag wird ein zentralisierter Rahmen für die Bewertung und Zulassung neuartiger Lebensmittel geschaffen, der durch die EFSA (wissenschaftliche Bewertung) und die Kommission (Zulassung) in die Praxis umgesetzt wird. Mit Hilfe dieses Modells, das eine Bewertung durch die EFSA vorsieht (Artikel 10), soll dazu beigetragen werden, die Sicherheit neuartiger Lebensmittel in der EU auf einheitliche Weise zu gewährleisten und die von den Unternehmen zu erfüllenden Formalitäten zu vereinfachen, um das Tempo der Zulassung neuartiger Lebensmittel in der EU zu beschleunigen. Insgesamt werden dadurch indirekt das Interesse der Unternehmen an der Entwicklung neuartiger Lebensmittel und ihre Investitionen in diesem Bereich gefördert.

3.2   Notwendigkeit eines zentralisierten Verfahrens für die Zulassung neuartige Lebensmittel, das die Sicherheit dieser Lebensmittel gewährleistet und die Zulassungsformalitäten erleichtert

3.2.1

Mit der Veröffentlichung der Verordnung über neuartige Lebensmittel wurde ein neues, für den freien Verkehr von sicheren Lebensmitteln notwendiges Instrument in das Gemeinschaftsrecht eingegliedert.

3.2.2

Im Laufe der Jahre sind im Zuge der Anwendung der Verordnung einige Aspekte zu Tage getreten, die unbedingt verbessert werden müssen, um so das hohe Niveau des Schutzes der Gesundheit und des Wohlergehens der Bürger, den freien Warenverkehr sowie die Festlegung effizienter Zulassungsmechanismen zu gewährleisten, die den Unternehmen Innovationen ermöglichen.

3.2.3

Mit dem Vorschlag werden zwei Zulassungsverfahren festgelegt, je nachdem, um welche neuartigen Lebensmittel es sich handelt: das Verfahren für herkömmliche Lebensmittel aus Drittländern, die erstmals in der Europäischen Union in Verkehr gebracht werden sollen, und das Verfahren für neuartige Lebensmittel, die durch nicht herkömmliche Zuchtmethoden oder über neue Produktionsprozesse erzeugt wurden.

3.2.4

Für die erste Art von Lebensmitteln (Artikel 8) muss das bisher bestehende Zulassungsverfahren vereinfacht werden, indem der Nachweis über ihre sichere Verwendung über längere Zeit (eine Generation) im Drittland erbracht und bestätigt wird, dass diese vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Durch dieses Mitteilungsverfahren werden die Anforderungen, die herkömmliche Lebensmittel aus Drittländern bisher erfüllen mussten, um in der Europäischen Union in Verkehr gebracht zu werden, großenteils vereinfacht.

3.2.5

Für die zweite Art von Lebensmitteln (neuartige Lebensmittel, die durch nicht herkömmliche Zuchtmethoden oder neue Produktionsprozesse erzeugt wurden), auf die sich die Aktivitäten der europäischen Lebensmittelindustrie im Bereiche FuE konzentrieren, ist eine einheitliche Sicherheitsbewertung durch die EFSA sowie ein klares, einfaches und effizientes Verfahren (Artikel 19) erforderlich, um die bisher langwierige Zulassungsprozedur zu beschleunigen. Trotz der Bedeutung dieses Aspekts wird das Verfahren, das in diesen Fällen zu befolgen ist, in dem Vorschlag insofern nicht umfassend herausgearbeitet, als auf das einheitliche Verfahren für die Zulassung von Lebensmittelzusatzstoffen, Lebensmittelenzymen und Lebensmittelaromen verwiesen wird. Diese Verweis auf das (in der EU noch nicht verabschiedete) einheitliche Zulassungsverfahren für Lebensmittelzusatzstoffe, Lebensmittelenzyme und Lebensmittelaromen scheint ein interessanter Vorschlag zu sein, über dessen Tragweite jedoch offenbar noch nicht hinreichend nachgedacht worden ist.

3.2.6

Die Zentralisierung (EFSA und Europäische Kommission) der Bewertung und Zulassung neuartiger Lebensmittel ist unerlässlich; es muss jedoch auch ein einfaches, klares, effizientes und detailliertes Verfahren mit Fristen (nach Vorbild des Mitteilungsverfahrens für herkömmliche Lebensmittel aus Drittländern) eingeführt werden, um neuartige, durch nicht herkömmliche Zuchtmethoden oder neue Produktionsprozesse erzeugte Lebensmittel zuzulassen, die das Kernstück der Innovationstätigkeit der Lebensmittelindustrie bilden.

3.2.7

Dieses Verfahren könnte Gegenstand dieses Vorschlags oder eines anderen Regelwerks sein; in beiden Fällen muss der Vorschlag jedoch alle notwendigen Einzelheiten erhalten, damit der Unternehmer weiß, welche Formalitäten es zu befolgen gilt, um die entsprechenden Zulassungen zu erhalten.

3.2.8

Der Vorschlag muss hinreichend klar und vollständig sein, damit sie die Unternehmer anwenden können, unbeschadet der Tatsache, dass die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise entsprechende Leitlinien erarbeitet (Artikel 9).

3.3   Gemeinschaftslisten

3.3.1

Die Initiative, Listen zu erstellen (Artikel 5, 6 und 7), in die die neuartigen Lebensmittel aufgenommen werden, wird zu einer besseren Verbraucherinformation und zu mehr Rechtssicherheit für die Unternehmer beitragen. Dieses auf Listen beruhende Modell ist an sich nichts Neues, da solche Listen immer häufiger verwendet werden (wie u.a. beispielsweise die Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel oder die Verordnung über den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen zu Lebensmitteln). Im Falle von herkömmlichen Lebensmitteln aus Drittländern scheint das Modell im Vorschlag relativ gut herausgearbeitet worden zu sein (Inhalt der Liste, Veröffentlichung auf der Website der GD SANCO), was bei den anderen neuartigen Lebensmitteln jedoch nicht der Fall ist (so ist z.B. nicht bekannt, ob der Inhalt der Liste auf der Website der GD SANCO veröffentlicht wird). Hierzu sollten deshalb nähere Angaben gemacht werden.

3.4   Schutz des geistigen Eigentums

3.4.1

Für die Entwicklung neuartiger Lebensmittel sind ein solides Engagement der Unternehmen und entsprechende Investitionen in FuE erforderlich, und deshalb brauchen sie nicht nur einfache, zügige und wirtschaftlich machbare Verfahren, sondern müssen ihre Kenntnisse und Entwicklungen auch auf eine Weise geschützt werden, die ihrer Wettbewerbsfähigkeit nicht abträglich ist. Der Umfang des Datenschutzes, auf den die Unternehmen dem Vorschlag zufolge Anspruch haben, wird nicht eindeutig definiert (es wird ausschließlich auf die Zulassungen Bezug genommen und darauf, was mit den Anträgen geschieht, die letztlich abgelehnt werden usw.).

3.4.2

Die Ausstattung der künftigen Verordnung mit einem Instrument wie dem Datenschutz wird es den Unternehmen ermöglichen, sich in Bezug auf die wirtschaftlichen und personellen Ressourcen, die sie für Neuentwicklungen einsetzen, größere Sicherheit zu verschaffen und den Datenschutz als ein Instrument zu sehen, das ihnen den notwendigen Schutz verleiht, um in einem anspruchsvolleren Markt mit immer anspruchsvolleren Kunden weiterhin Innovationen zu tätigen und immer wettbewerbsfähiger zu sein.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/84


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Vereinfachung der Verfahren für das Auflisten und die Veröffentlichung von Informationen im Veterinär- und Tierzuchtbereich und zur Änderung der Richtlinien 64/432/EWG, 77/504/EWG, 88/407/EWG, 88/661/EWG, 89/361/EWG, 89/556/EWG, 90/427/EWG, 90/428/EWG, 90/429/EWG, 90/539/EWG, 91/68/EWG, 92/35/EWG, 92/65/EWG, 92/66/EWG, 92/119/EWG, 94/28/EG, 2000/75/EG, der Entscheidung 2000/258/EG sowie der Richtlinien 2001/89/EG, 2002/60/EG und 2005/94/EG“

KOM(2008) 120 endg. — 2008/0046 (CNS)

(2008/C 224/19)

Der Rat beschloss am 11. April 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Vereinfachung der Verfahren für das Auflisten und die Veröffentlichung von Informationen im Veterinär- und Tierzuchtbereich und zur Änderung der Richtlinien 64/432/EWG, 77/504/EWG, 88/407/EWG, 88/661/EWG, 89/361/EWG, 89/556/EWG, 90/427/EWG, 90/428/EWG, 90/429/EWG, 90/539/EWG, 91/68/EWG, 92/35/EWG, 92/65/EWG, 92/66/EWG, 92/119/EWG, 94/28/EG, 2000/75/EG, der Entscheidung 2000/258/EG sowie der Richtlinien 2001/89/EG, 2002/60/EG und 2005/94/EG“

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz am 21. April 2008 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) Herrn NIELSEN zum Hauptberichterstatter und verabschiedete einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) anerkennt die von der Kommission festgestellte Notwendigkeit einer Angleichung und Vereinfachung der Verfahren für die Auflistung und Veröffentlichung von Informationen im Veterinär- und Tierzuchtbereich. Die geltenden Regeln für die Auflistung, Aktualisierung, Übermittlung und Veröffentlichung von Informationen sollten daher so schnell wie möglich geändert werden.

1.2

Es sollte nach wie vor den Mitgliedstaaten obliegen, die Informationen aufzulisten und sie den anderen Mitgliedstaaten sowie der Öffentlichkeit im Allgemeinen zur Verfügung zu stellen. Die Angleichung und Vereinfachung sollte nach dem Regelungsverfahren erfolgen, und dieses neue Verfahren sollte um der Klarheit und Kohärenz willen auch den Tierzuchtbereich umfassen.

1.3

Der Kommissionsvorschlag ist indessen von unnötiger Umständlichkeit und bürokratischer Schwerfälligkeit. Die angestrebte Vereinfachung und Angleichung müsste schneller und einfacher auf den Weg gebracht werden können, wenn der Kommission die gewünschte Rechtsgrundlage und das Mandat zur Durchführung der Vereinfachung und Angleichung in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten — unter Anwendung des Regelungsverfahrens — direkt gegeben würden. Der Zweck des Vorschlags kann auf diese Weise sowohl rascher als auch unmittelbarer erreicht werden, sodass die Verfahren für die Auflistung, Aktualisierung, Übermittlung und Veröffentlichung der Informationen zügig umgesetzt werden können. Außerdem sollten die Informationen auf den Internetportalen der Mitgliedstaaten leichter zugänglich und für alle verständlich sein.

1.4

Dies gilt umso mehr, als allgemein der erklärte Wunsch nach einem einfacheren, überschaubareren EU-Regelwerk besteht und nicht zuletzt die Kommission ihre Absicht bekundet hat, einen gemeinsamen Rechtsrahmen für den Veterinärbereich im Zusammenhang mit der neuen Tiergesundheitsstrategie auszuarbeiten, welche vorsieht, dass die Veterinär- und Tierzuchtregelungen der EU in einem Rechtsakt vereint werden. Wenn die Richtlinie in der jetzt vorgeschlagenen Form zur Durchführung gelangt, wird diese Zusammenführung der Rechtsakte in einem Gesamtrahmen schon in wenigen Jahren eine Wiederaufnahme der gesamten Problematik notwendig machen, wobei erneut zeitraubende Änderungen in der Gesetzgebung und Verwaltungspraxis der Mitgliedstaaten unumgänglich sein werden.

1.5

Darüber hinaus ist es in diesem Zusammenhang notwendig, die Verfahren für die Zulassung der Sammelstellen und die Aktualisierung der einschlägigen Informationen so rasch wie möglich zu präzisieren; das Gleiche gilt für die Anforderungen, die an die nationalen Referenzlaboratorien gestellt werden.

2.   Hintergrund

2.1

Der Handel mit lebenden Tieren und Zuchtmaterial in der EU erfordert die Zulassung und Kontrolle der betroffenen Einrichtungen, Betriebe, Anlagen und Zuchtverbände (im Folgenden als „relevante Einrichtungen“ bezeichnet) (1). Dabei ist von größter Bedeutung, dass ein ausreichendes Sicherheitsniveau eingehalten und das Risiko einer Ausbreitung ansteckender Nutztierkrankheiten vermieden wird. Die „relevanten Einrichtungen“ müssen deshalb eine Reihe von Bedingungen einhalten und von den Mitgliedstaaten zum innergemeinschaftlichen Handel mit lebenden Tieren und Zuchtmaterial zugelassen sein, darunter nicht zuletzt Genmaterial von Tieren wie Sperma und Embryonen.

2.2

Das gemeinschaftliche Regelwerk im Veterinärbereich ist im Laufe der Zeit durch den sukzessiven Erlass einer beträchtlichen Anzahl von Rechtsakten zustande gekommen. Infolgedessen gibt es unterschiedliche Verfahren für die Registrierung der „relevanten Einrichtungen“ in den Mitgliedstaaten sowie für die Auflistung, Aktualisierung, Übermittlung und Veröffentlichung der einschlägigen Informationen. Dies erschwert den einzelstaatlichen Behörden, den betroffenen Verbänden und den Betrieben die praktische Verwendung der Informationen. In manchen Fällen fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die einschlägigen Berichte.

2.3

Ziel des Vorschlags ist die Angleichung und Vereinfachung der Vorschriften im Regelungsverfahren (2), was administrative Erleichterungen mit sich bringen wird, da die Regeln für die Registrierung, Auflistung, Aktualisierung, Übermittlung und Veröffentlichung systematischer, kohärenter und einheitlicher sein werden. Formal erfordert dies die Änderung von 20 Richtlinien und einer Entscheidung (3). Im Interesse der Klarheit und Kohärenz sollte dieses neue Verfahren nach Ansicht der Kommission auch im Tierzuchtbereich und für Zuchtverbände gelten, die in den Mitgliedstaaten zur Führung oder Erstellung von Herdbüchern oder Zuchtbüchern zugelassen sind, sowie für den Handel mit Sportpferden und die Teilnahme an Pferdesportveranstaltungen.

2.4

Auch die „Einrichtungen“ in Drittländern müssen beim Export von Sperma und Embryonen in die EU eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllen. Kontrolliert wird dies von den Behörden des jeweiligen Drittstaates, eventuell nach Veterinärinspektionen durch die Gemeinschaft. Wenn die von dem Drittland vorgelegten Informationen Bedenken erregen, werden in Übereinstimmung mit der Richtlinie 97/78/EG Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Aus Gründen der Klarheit und Kohärenz sollte dieses Verfahren laut Kommission auch für Behörden in Drittländern gelten, die zur Führung von Herdbüchern oder Zuchtbüchern gemäß den tierzüchterischen Gemeinschaftsvorschriften zugelassen sind.

2.5

Laut Kommissionsvorschlag sollte die Zuständigkeit für die Erstellung und Aktualisierung der Listen der nationalen Referenzlaboratorien und anderer zugelassener Laboratorien im Gegensatz zur bisherigen Situation bei den Mitgliedstaaten liegen, wohingegen die Kommission weiterhin für die Erstellung und Veröffentlichung der Listen in Drittländern zugelassener Laboratorien zuständig sein will. Schließlich wird im Interesse der Kontinuität im Zusammenhang mit serologischen Tests zur Kontrolle der Wirksamkeit von Tollwutimpfstoffen (4) die Ergreifung von Übergangsmaßnahmen vorgeschlagen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Die EU-Vorschriften im Veterinär- und Tierzuchtbereich sind außerordentlich umfassend und komplex, was an der Komplexität der Krankheiten, der Notwendigkeit einer zuverlässigen Prävention und Überwachung und der sukzessiven Ausarbeitung dieser Vorschriften im Zuge der Entwicklung liegt. Der Ausbruch und die Ausbreitung von Seuchen, die Nutztiere befallen, kann erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen haben, weshalb es von entscheidender Bedeutung ist, dass die Vorschriften optimal handhabbar sind und die zuständigen Behörden perfekt funktionieren. Hinzu kommt das in der ganzen Welt gestiegene Risiko aufgrund der ständig zunehmenden Weltbevölkerung, des Drucks auf die Nutztiererzeugung, des stärkeren Handelsverkehrs und der intensiveren internationalen Beziehungen überhaupt; außerdem bringt der Klimawandel eine Veränderung der geographischen Ausbreitung der Krankheiten mit sich.

3.2

Nach Ansicht des EWSA besteht daher unbestreitbar die Notwendigkeit, die beabsichtigte Vereinfachung und Angleichung der Vorschriften für die Auflistung, Aktualisierung, Übermittlung und Veröffentlichung der Informationen so rasch wie möglich umzusetzen. Das angestrebte Ziel kann aber seiner Auffassung nach schneller und auf viel einfachere Weise erreicht werden, indem die bestehenden Bestimmungen über die Erfassung und Veröffentlichung von Informationen aus den einschlägigen Rechtsakten entfernt und durch einen einzigen Rechtsakt ersetzt werden, der der Kommission die nötige Rechtsgrundlage und Befugnis verschafft, um die Vereinfachung und Angleichung unter Anwendung des Regelungsverfahrens so rasch wie möglich einzuleiten und durchzuführen. Das Ergebnis ist das gleiche, nur fällt in diesem Fall die zeitraubende administrative Umsetzung über die Gesetze und die Verwaltungspraxis der Mitgliedstaaten weg.

3.3

Der derzeitige Vorschlag der Kommission beinhaltet nämlich die Einfügung neuer Bestimmungen in alle 21 Rechtsakte mit wiederholten Verweisen auf neue Bestimmungen, die wiederum auf die Anwendung des Regelungsverfahrens verweisen. Es erscheint übertrieben umständlich, dass die Verfahrensregeln erst aus den Verweisen in jedem einzelnen der 21 Rechtsakte hervorgehen sollen und danach die Durchführungsbestimmungen in den einzelstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der 30 EWR-Staaten abgewartet werden müssen. Erst dann hat die Kommission die erforderlichen Durchführungsbefugnisse in Händen, und die konkrete Ausarbeitung gemeinsamer Regeln unter Anwendung des Regelungsverfahrens kann beginnen.

3.4

Dieses Argument hat umso mehr Gewicht, als erklärtermaßen der allgemeine Wunsch nach einer einfacheren und überschaubareren Gesetzgebung besteht und nicht zuletzt die Kommission selbst den Vorschlag gemacht hat, den gemeinsamen Rechtsrahmen im Veterinärbereich im Zusammenhang mit der neuen Tiergesundheitsstrategie auszuarbeiten, die eine Zusammenführung aller Rechtsakte, die den Veterinär- und den Tierzuchtbereich betreffen, in einem gemeinsamen Rahmen beinhaltet (5). Es wäre zeitsparender und einfacher, die geltenden Bestimmungen direkt durch die gewünschte Ermächtigung der Kommission in Form eines einschlägigen Rechtsakts zu ersetzen, sodass die Arbeit schnellstmöglich beginnen kann und nicht erst die Einführung geänderter Vorschriften im Zuge der Umsetzung der 21 Rechtsakte in einzelstaatliches Recht abgewartet werden muss, denn dies würde Verzögerungen und administrative Komplikationen mit sich bringen.

3.5

Der EWSA vertritt also die Ansicht, dass Rat und Kommission die Gelegenheit ergreifen sollten, den für den Veterinär- und Tierzuchtbereich geplanten gemeinsamen Rechtsrahmen zu nutzen. Vergeben sie diese Chance, dann müssen die Vorschriften bei der geplanten Zusammenführung erneut überarbeitet werden, was für die Mitgliedstaaten administrative Komplikationen bedeutet, da sie wiederum ihre Gesetze und ihre Verwaltungspraxis revidieren müssen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Die Kommission verwendet in ihrem Vorschlag durchgängig den Terminus „Auflistung“, was den Eindruck erweckt, als sei dies vereinbart. Im Mittelpunkt des Vorschlags steht aber die Frage nach den Verfahren für die Auflistung, Aktualisierung, Übermittlung und Veröffentlichung der betreffenden Informationen und die Festlegung eines Musterformats für diese Informationen im Rahmen des Regelungsverfahrens.

4.2

Um den Zugang zu den Informationen auf den Internetportalen der Mitgliedstaaten zu erleichtern und sie allgemein verständlich zu machen, muss die Kommission schnellstmöglich mit der Klärung der technischen Aspekte und der Ausarbeitung des Musterformats beginnen. Außerdem ist es wichtig, vom Internetportal der Kommission einen deutlich erkennbaren Link zu den Informationen zu legen, die von den Mitgliedstaaten erarbeitet und aktualisiert werden. Wird dies versäumt, so besteht die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten die Informationen weiterhin unterschiedlich darstellen, so dass sie von den Behörden und anderen Akteuren in der Praxis nur schwer verwendet werden können.

4.3

Ferner ist es notwendig, die Verfahren für die Zulassung der Sammelstellen und die Aktualisierung der Informationen über zugelassene Sammelstellen zu präzisieren. So ist die Unsicherheit in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften für das Entladen der Tiere auf langen Transporten darauf zurückzuführen, dass die Informationen über geeignete Sammelstellen unvollständig sind. Was die Art und die Anzahl der Tiere betrifft, die in den Sammelstellen untergebracht werden können, sind die Vorschriften oft irreführend.

4.4

Es fehlt an einer Begründung für den Vorschlag der Kommission, den Mitgliedstaaten die Zulassung der Referenzlaboratorien zu überlassen. Dahinter verbirgt sich vermutlich der Wunsch der Kommission, sich Arbeit zu ersparen, wobei die Verpflichtung der Mitgliedstaaten in diesem Fall auch zweckmäßig ist. Es bedarf jedoch baldmöglichst einer Präzisierung der Anforderungen, die die einzelstaatlichen Referenzlaboratorien u.a. im Hinblick auf internationale Normen für die labortechnische Ausrüstung, die Qualitätssicherung und die Methoden erfüllen müssen.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Hierunter fallen u.a.:

Staatliche Laboratorien, denen bestimmte Aufgaben in Verbindung mit gefährlichen, ansteckenden Nutztierkrankheiten obliegen (Überwachung, Testmethoden, Notfall-Einsatzbereitschaft, Anwendung von Reagenzien, Test von Impfstoffen usw.)

Besamungsstationen für Rinder und Schweine, Spermadepots, Samenbanken, Embryo-Entnahmeeinheiten oder Embryo-Erzeugungseinheiten

Zuchtorganisationen und -verbände, die zum Führen oder Einrichten von Herd- oder Zuchtbüchern offiziell zugelassen sind

Alle Arten zugelassener Sammelstellen für Rinder, Schweine, Ziegen und Schafe, Geflügelzuchtbetriebe

Zugelassene Händler und registrierte Betriebe, die von diesen in Zusammenhang mit ihrem Unternehmen genutzt werden.

(2)  Das Regelungsverfahren beruht auf den Artikeln 5 und 7 des Ratsbeschlusses 1999/468/EG vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse.

(3)  Richtlinien 64/432/EWG, 77/504/EWG, 88/407/EWG, 88/661/EWG, 89/361/EWG, 89/556/EWG, 90/427/EWG, 90/428/EWG, 90/429/EWG, 90/539/EWG, 91/68/EWG, 92/35/EWG, 92/65/EWG, 92/66/EWG, 92/119/EWG, 94/28/EG, 2000/75/EG, 2001/89/EG, 2002/60/EG, 2005/94/EG und Entscheidung 2000/258/EG.

(4)  Entscheidung 2000/258/EG des Rates vom 20. März 2000 zur Bestimmung eines spezifischen Instituts, das für die Aufstellung der Kriterien für die Normung der serologischen Tests zur Kontrolle der Wirksamkeit der Tollwutimpfstoffe verantwortlich ist, u.a. des Tests, der den derzeit eingesetzten IF-Test bzw. die einzelstaatlichen Vorschriften ersetzen kann.

(5)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie den Ausschuss der Regionen über eine neue Tiergesundheitsstrategie für die Europäische Union (2007-2013) — „Vorbeugung ist die beste Medizin“, KOM (2007) 539 endg.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/87


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden (Neufassung)“

KOM(2008) 154 — 2008 /0060 (COD)

(2008/C 224/20)

Der Rat beschloss am 8. April 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 251 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden (Neufassung)“

Da der Ausschuss den Inhalt des Vorschlags befürwortet und seine Ansichten zu dem Thema bereits in verschiedenen Stellungnahmen (CES 522/84, verabschiedet am 23.5.1984 (1), CES 633/92, verabschiedet am 26.05.1992 (2), CES 230/94, verabschiedet am 23.2.1994 (3), CES 1385/96, verabschiedet am 27.11.1996 (4), CESE 1599/2003, verabschiedet am 10.12.2003 (5)) ausgeführt hat, beschloss er auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai 2008) mit 85 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Stellungnahmen vertreten hat.

Die Stellungnahme des Ausschusses zu den Regelungsverfahren mit Kontrolle wird derzeit erarbeitet [KOM(2007) 741 endg., KOM(2007) 822 endg., KOM(2007) 824 endg. und KOM(2008) 71 endg.].

 

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  EWSA-Stellungnahme zu dem „Vorschlag des Rates für eine Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden“, ABl. C 206 vom 6.8.1984, S. 7.

(2)  EWSA-Stellungnahme zu dem „Vorschlag des Rates zur ersten Änderung der Richtlinie 88/344/EWG vom 13. Juni 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden“, ABl. C 223 vom 31.8.1992, S. 23.

(3)  EWSA-Stellungnahme zu dem „Vorschlag des Rates zur zweiten Änderung der Richtlinie 88/344/EWG vom 13. Juni 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden“, ABl. C 133 vom 16.5.1994, S. 21.

(4)  EWSA-Stellungnahme zu dem „Vorschlag des Rates zur dritten Änderung der Richtlinie 88/344/EWG vom 13. Juni 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden“, ABl. C 66 vom 3.3.1997, S. 3.

(5)  EWSA-Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden“, ABl. C 80 vom 30.3.2004, S. 45.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/88


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Die Arbeitsplatzqualität verbessern und die Arbeitsproduktivität steigern: Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2007-2012“

(KOM(2007) 62 endg.)

(2008/C 224/21)

Die Europäische Kommission beschloss am 21. Februar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Die Arbeitsplatzqualität verbessern und die Arbeitsproduktivität steigern: Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2007-2012“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2008 an. Berichterstatterin war Frau CSER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 80 gegen 20 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Den EU-Bürgern als Arbeitnehmern ein gesundes und sicheres Arbeitsumfeld zu bieten, ist eine unerlässliche Voraussetzung für die Ziele der erneuerten Lissabon-Strategie, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Zusammen mit nationalen Rechtsvorschriften liefert das Gemeinschaftsrecht die Gewähr für die Erhaltung der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz. Dies gilt es mit der Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2007-2012 in die Praxis umzusetzen.

1.2

Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sollten als Grundvoraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum und Produktivität angesehen werden. Fehlen diese Voraussetzungen, dann steigen die Kosten beträchtlich an, die nicht nur die Unternehmen und Arbeitskräfte zu tragen haben, sondern die gesamte Gesellschaft. Diese Kosten müssen genauer analysiert werden, so dass deutlich wird, in welchem Maße eine unzureichende Sicherheit am Arbeitsplatz und eine schlechte Arbeitsumgebung allen Betroffenen finanziell schaden und damit die Produktivität einschränken.

1.3

Der EWSA begrüßt das Ziel, die Zahl der Arbeitsunfälle um 25 % zu verringern; ein vergleichbares Ziel sollte auch für die Verringerung der Berufskrankheiten aufgestellt werden. Besondere Aufmerksamkeit sollte arbeitsbedingten Krebserkrankungen geschenkt werden. Ein spezifischer Aktionsplan mit messbaren Zielen und glaubwürdigen und Vergleiche ermöglichenden Meldemechanismen sollte eingeführt, überprüft und angepasst werden.

1.4

Die Rechte der Arbeitnehmer müssen geachtet und tatsächlich angewendet werden, wobei neuen Beschäftigungsformen Rechnung zu tragen ist und dafür gesorgt werden muss, dass sich die Rechtsvorschriften und somit auch die Kontrollen auf sämtliche Arbeitnehmer erstrecken, und zwar unabhängig vom Charakter der jeweiligen Tätigkeit oder des konkreten Arbeitsverhältnisses: Andernfalls würde dies einer Verletzung der Grundrechte gleichkommen.

1.5

Der EWSA stimmt zu, dass eine ordnungsgemäße Durchführung der EU-Rechtsvorschriften vor allem mittels der Entwicklung und Durchführung nationaler Strategien gewährleistet werden sollte.

1.6

Besondere Zielgruppen bedürfen besonderer Regelungen, politischer Maßnahmen und Unterstützungen: Arbeitnehmer mit Behinderungen, Frauen, ältere Arbeitnehmer, junge Arbeitnehmer und Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund.

1.7

Zur Umsetzung der Strategie und zu deren Überwachung sind spezielle Mindeststandards für die Zahl der Arbeitsinspektoren notwendig, um bei gemeinschaftlichen wie nationalen Überprüfungen und Kontrollen (1) ein wirksames und einheitliches Vorgehen zu erreichen.

1.8

Die Personalstärke des Ausschusses hoher Arbeitsaufsichtsbeamter (SLIC) und der einschlägigen zuständigen nationalen und EU-Stellen darf nicht nur nicht reduziert werden, sondern ist entsprechend der gestiegenen Zahl der Arbeitnehmer bzw. der Bevölkerung in der erweiterten EU zu erhöhen.

1.9

Es kommt darauf an, dass die Mitgliedstaaten den sozialen Dialog auf gemeinschaftlicher, nationaler und lokaler Ebene und auf Arbeitgeberebene fördern, weil er ein unerlässliches Instrument für die Herbeiführung der dem einzelnen Arbeitnehmer garantierten Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz ist.

1.10

Es gilt, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu verstärken. Insbesondere müssen auch in der Haushaltspolitik der EU notwendige budgetäre Vorkehrungen getroffen werden, um eine systematische und effektive Umsetzung der Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten.

1.11

Durch Koordinierung der einzelnen gemeinschaftlichen Politikfelder müssen zum Zweck der Schaffung einer Kultur der Risikovorbeugung Schulungsprogramme auf den Weg gebracht bzw. intensiviert werden, die auf lokalen, regionalen und nationalen Erfahrungen aufbauen. Der Risikoprävention muss in Bildungsprogrammen bereits ab dem Kindergarten sowohl im Bereich der Grundbildung als auch der Berufsausbildung Rechnung getragen werden, und es ist für eine Abstimmung der Maßnahmen mit der Politik im Bereich öffentliche Gesundheit zu sorgen.

1.12

Maßgebend für den Erfolg der Präventionsmaßnahmen sind der Stellenwert, den die Frage der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz einnimmt, die Gremien, die für die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz verantwortlich sind, sowie die Personen, denen der Schutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz obliegt. Die Schulungen in Sachen Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz müssen dem neuesten Stand entsprechen. Zielgruppen sind dabei Führungskräfte und Personen, die für Fragen der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zuständig sind. Sie müssen angemessen geschult werden und ausreichend Zeit zur Verfügung haben, damit sie ihre Verantwortung für die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz wahrnehmen können, und sie müssen die Möglichkeit haben, Einfluss auszuüben, beispielsweise auf die Entwicklung der Arbeitsprozesse. Den Sozialpartnern kommt in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu, da sie Abkommen schließen und deren praktische Umsetzung am Arbeitsplatz gewährleisten.

1.13

Die KMU, bei denen mehr als 80 % der Arbeitnehmer beschäftigt sind, sind hinsichtlich ihrer Finanzquellen und ihrer Möglichkeiten sehr stark benachteiligt und anfällig. Daher sollten diese Unternehmen besondere Unterstützung erhalten, wenn sie sich im Gegenzug dazu verpflichten, einen sozialen Dialog zu führen und die im Bereich Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz geschlossenen Sozialabkommen einzuhalten.

1.14

Mit der sich rasch verändernden neuen Organisation der Arbeit und den neuen Technologien treten neue Risikofaktoren auf, für die auf Gemeinschaftsebene Antworten gefunden werden müssen. Laut dem wissenschaftlichen Ausschuss für Grenzwerte berufsbedingter Exposition gegenüber chemischen Arbeitsstoffen (SCOEL) sollten gesundheitsbedingte Grenzwerte für die berufsbedingte Exposition angenommen werden. Der Ausschuss begrüßt, dass die Sozialpartner durch ihre Abkommen zu Stress und Gewalt und Mobbing einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der psychischen Gesundheit der Arbeitnehmer geleistet haben. Diese Abkommen sollten auf nationaler Ebene umgesetzt werden.

1.15

Die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR) ist als Methode zu begrüßen, kann aber die derzeitigen und noch zu schaffenden Rechtsvorschriften nicht ersetzen.

1.16

Die einzelnen gemeinschaftlichen Politikfelder lassen sich — insbesondere in Anbetracht der Globalisierung — nicht auf dem Gebiet der Europäischen Union allein umsetzen. Eine gerechte Globalisierung und menschenwürdige Arbeit für alle Arbeitnehmer bieten die Garantie dafür, dass die gemeinschaftlichen Ziele auch auf internationaler Ebene durchgesetzt werden. Die Organe und Einrichtungen der EU müssen darauf hinwirken, dass die ILO-Abkommen von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Im Rahmen der Lissabon-Strategie wurde von den Mitgliedstaaten anerkannt, dass die Arbeitsschutzpolitik in hohem Maße zu Wirtschaftswachstum und Beschäftigung beiträgt (2). Die Verbesserung der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz ist auch Teil des europäischen Sozialmodells. Die zurückliegenden Jahre waren durch die Notwendigkeit geprägt, das Vertrauen der Bürger wiederherzustellen und wieder ihre Zustimmung zu gewinnen (3).

2.2

Eine engagierte und sensible Sozialpolitik trägt nicht nur zu mehr Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit bei, sondern fördert auch den sozialen Zusammenhalt und somit den gesellschaftlichen Frieden und die politische Stabilität, ohne die eine nachhaltige, dauerhafte Entwicklung nicht möglich ist. Mit anderen Worten: Die Sozialpolitik ist ein Produktivitätsfaktor (4). Daher sind Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz keine bloßen Ziele an sich und amortisieren sich Ausgaben für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz nicht nur auf lange Sicht, sondern beeinflussen auch ausgesprochen positiv die Wirtschaftsleistung.

2.3

Das Arbeitsumfeld ist von herausragender Bedeutung für die Gesundheit, da der erwachsene Mensch ein Drittel seines Lebens am Arbeitsplatz verbringt. Ein gefährliches und ungesundes Arbeitsumfeld führt zum Verlust von 3-5 % des Bruttoinlandsprodukts. Sowohl die Prävention als auch die Ausgaben der öffentlichen Hand im Gesundheitsbereich und die mit der Berufstätigkeit verbundenen Gesundheitsausgaben müssen als Investition angesehen werden. In Anbetracht der demografischen Veränderungen ist eine nachhaltige Entwicklung (5) anzustreben; für Europa ist es wichtig, dass mehr Investitionen getätigt und mehr gesundheitsfreundliche Arbeitsplätze geschaffen werden.

2.4

Es muss weiter an der Entwicklung eines umfassenden Rahmens für den Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz gearbeitet werden, der EU-weit korrekt angewandt werden muss, wobei noch nicht angemessen abgedeckte benachteiligte Gruppen, die ihre Rechte im Zusammenhang mit der Sicherheit am Arbeitsplatz nur schwer durchsetzen können, eingeschlossen werden sollten, dies schließt insbesondere die Arbeitnehmer ein, die einen Arbeitsplatz mit hohem Gefahrenpotenzial haben und diejenigen mit unsicheren oder aufgrund des Versuchs der Erlangung kurzfristiger Wettbewerbsvorteile gefährdeten Beschäftigungsverhältnissen.

2.5

Die Förderung von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sowie deren stetige Gewährleistung ist eine der Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung und den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer. Außerdem ist dies wirtschaftlich. Eines der wichtigsten Mittel hierfür ist die Prävention. Die Prävention als der Weg, auf dem sich eine Investition am besten bezahlt macht, bringt in Verbindung mit angemessenen Sicherheitsstandards an jedem Arbeitsplatz auch für die großen Gesundheits- und sozialen Versorgungssysteme sowie hinsichtlich der Unfallversicherungsprämien der Unternehmen oder anderer, mit den Folgen von Arbeitsunfällen direkt oder indirekt zusammenhängender Kosten langfristig eine erhebliche Amortisierung bzw. Kosteneinsparung. Die Qualität der Präventivleistungen und die Schulung der Arbeitnehmer in Sachen Gesundheit und Sicherheit, bessere und effizientere Sicherheitsnormen, eine fachgerechte und kontinuierliche Kontrolle und die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern — dies sind die wesentlichen und zudem miteinander zusammenhängenden Elemente der Herstellung von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.

2.6

Im PROGRESS-Programm wird erklärt, dass es das Hauptziel der europäischen Sozialpolitik sei, die Arbeitsbedingungen ständig zu verbessern und die Arbeitnehmer und ihre Interessenvertretungen anzuhören und in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Ein sozialer Dialog sämtlicher Branchen auf Gemeinschaftsebene sollte gleiche Rechte in allen Mitgliedstaaten garantieren. An die im Wege des sozialen Dialogs getroffenen Vereinbarungen (z.B. im Bereich Telearbeit, Bekämpfung von Gewalt am Arbeitsplatz und arbeitsbedingter Stress) muss — unabhängig vom Charakter der jeweiligen Tätigkeit oder des konkreten Arbeitsverhältnisses — mit wirksamen Folgemaßnahmen angeknüpft werden. Festzustellen ist darüber hinaus, dass es bei den Angestellten des öffentlichen Dienstes, obwohl ihnen das Instrument des sozialen Dialogs zur Verfügung steht, große Ungleichheit in den rechtlichen Regelungen und auch in der Praxis gibt. Ein spezielles institutionelles Merkmal des sozialen Dialogs ist die Mitwirkung eines ständigen Arbeitnehmervertreters an der regelmäßigen Beobachtung und Handhabung der Risiken für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.

2.7

Der EWSA empfiehlt, dass die Mitgliedstaaten ernsthaft erwägen, Verstöße gegen die Vorschriften zu sanktionieren und die Ausgaben für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz zu analysieren, da die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten für die gesamte Gesellschaft eine Belastung darstellen und auch die Produktivität und somit die Wettbewerbsfähigkeit beeinflussen.

2.8

Trotz der in den letzten Jahren beobachtbaren allgemeinen Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz, sowohl in Bezug auf die Zahl als auch den Schweregrad der Unfälle und Berufskrankheiten, haben sich die Gefahren am Arbeitsplatz nicht gleichmäßig verringert. In bestimmten Branchen, Beschäftigtengruppen und Arten von Unternehmen gibt es weiterhin Anlass zur Sorge, da hier die Daten weit über dem Durchschnitt liegen (6). Die Auswertung hat ergeben, dass bei den nationalen Programmen bestimmte benachteiligte Gruppen von Arbeitnehmern, wie z.B. die Scheinselbständigen, nicht berücksichtigt werden. Dies muss geändert werden.

2.9

Obwohl durch die frühere Strategie die Möglichkeit zur Entwicklung einer Kultur der Prävention gegeben war, wurde dies nicht überall umgesetzt. Insbesondere KMU sollten eine stärkere regelmäßige finanzielle Unterstützung erhalten, vorausgesetzt, sie verpflichten sich im Gegenzug zur Einhaltung der im Bereich Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz geschlossenen Sozialabkommen.

2.10

Der EWSA regt an, im Zusammenhang mit Inspektionen darauf hinzuweisen, dass Unternehmen die Verantwortung tragen, auf eigene Initiative innerbetriebliche Kontrollen durchzuführen.

2.11

Um die Gemeinschaftspolitik und die Gemeinschaftsvorschriften auf nationaler Ebene erfolgreich umzusetzen, muss deren Anwendung in nationalem Rahmen abgesichert und kontrolliert werden. Der EWSA begrüßt, dass die Mitgliedstaaten über die Umsetzung der Richtlinien regelmäßig Bericht erstatteten.

2.12

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gemeinschaftsstatistik über öffentliche Gesundheit und über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz (KOM(2007) 46 endg.) und hebt erneut nachdrücklich die Bedeutung gemeinsamer Definitionen und Systeme zur Anerkennung von Unfällen und Krankheiten hervor (7). Eine einheitliche rechtliche Regelung sowie die Erhebung relevanter und differenzierter Daten ist erforderlich, um Normen und Maßstäbe zu erhalten.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

In der Mitteilung der Kommission wird für den Zeitraum 2007-2012 das Ziel ausgegeben, in Fortführung der Gemeinschaftsstrategie 2002-2006 gemäß der Rahmenrichtlinie 89/391/EWG als Grundlage für die Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz die Arbeitsqualität zu verbessern und die Arbeitsproduktivität zu steigern.

3.2

Die Umsetzung und die Auswirkungen der Zielstellungen der Strategie 2002-2006 wurden in einem Bericht dargelegt (8). In den genannten Zeitraum fiel der Beitritt von zehn neuen Mitgliedstaaten. Mangels statistischer Daten und Angaben umfasst dieser Bericht nicht die Lage in den zehn neuen Mitgliedstaaten. Auch wurde die neue Strategie auf der Grundlage der Daten von 1999 entworfen. Der EWSA äußert daher sein tiefes Bedauern, dass die Kommission ungeachtet der Tatsache, dass der Strategiezeitraum zum Zeitpunkt des Beitritts bereits zur Hälfte verstrichen war, die Möglichkeit einer gleitenden Planung und einer entsprechenden Änderung der Strategie nicht genutzt hat.

3.3

Es ist erfreulich, dass ein Ziel der Gemeinschaftsstrategie darin besteht, die Arbeitsunfälle um 25 % zu senken. Zur Erreichung dieses Ziels werden ein spezifischer Aktionsplan mit messbaren Zielen und Indikatoren und glaubwürdigen und Vergleiche ermöglichenden Meldemechanismen sowie Überwachungsmechanismen erforderlich sein. Außerdem müssen die internen Ursachen für Arbeitsunfälle, beispielsweise Zeitdruck und kurze Lieferfristen, sowie ihre externen Ursachen berücksichtigt werden, wie beispielsweise durch häuslichen Stress hervorgerufene Unaufmerksamkeit. Neben den Arbeitsunfällen ist es ebenso wichtig, sich mit den Berufskrankheiten zu befassen, die relativ gesehen zahlreicher sind. Ein erster Schritt zur Prävention muss in der Anerkennung der Berufserkrankungen und in der Aktualisierung ihrer Definition bestehen. Werden die Ursachen für Erkrankungen rechtzeitig erkannt, besteht die Möglichkeit, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um sie abzustellen. Deshalb sollte ein konkretes Ziel auch für die Zahl der Personen, die unter Gefahrenbedingungen arbeiten (was sich entscheidend auf die Zahl der künftigen Berufskrankheiten auswirkt), sowie die Zahl der Berufskrankheiten aufgestellt werden.

3.4   Rechtsvorschriften und Kontrollen

3.4.1

Der EWSA hebt die Notwendigkeit einer ausgewogenen Gesundheits- und Sicherheitsstrategie hervor, die legislative und nichtlegislative Maßnahmen umfasst, je nachdem, welche im Hinblick auf die praktische Umsetzung am wirkungsvollsten sind. Besonders sinnvoll wäre es, sich auf neue und veränderte Arbeitsbedingungen zu konzentrieren. Es muss systematisch untersucht werden, wie sich diese Veränderungen auf die Gesundheit und die Sicherheit auswirken. Auf der Grundlage von Forschungen sollte geprüft werden, ob geeignete Maßnahmen für weit verbreitete und sehr umfangreiche Veränderungen der Arbeitsumstände und –bedingungen zu erarbeiten sind, insbesondere im Hinblick auf ein schnelleres Arbeitstempo und eine höhere Arbeitsintensität. Der Ausschuss macht darauf aufmerksam, dass alle Arbeitnehmer über dieselben Rechte verfügen und dies auf EU- und einzelstaatlicher Ebene respektiert werden muss.

3.4.2

Junge Menschen, Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund, Frauen, ältere Arbeitnehmer und Menschen mit Behinderungen bedürfen bei der Umsetzung der neuen Strategie besonderer Regelungen und Unterstützung durch die Politik, weil sie die Gruppen sind, die am Arbeitsplatz dem größten Risiko bzw. am stärksten der Gefahr von Unfällen und Berufskrankheiten ausgesetzt sind. Fehlende Ausbildung und Umschulung und auch mangelhafte Informationen, nachlässige Einweisung in die Arbeit, fehlende Führung und unzureichende Sprachkenntnisse sind jeweils mit Gefahren verbunden. Im Fall der Arbeitsmigranten sind Sprachkenntnisse von besonderer Bedeutung für Prävention und Information, und das Postulat der Gleichbehandlung muss befolgt werden.

3.4.3

Die Koordinierung und Kontrolle der Richtlinien erfordert eine entsprechende materielle und personelle Ausstattung. Im Ausschuss hoher Arbeitsaufsichtsbeamter (SLIC) ist jedoch trotz der EU-Erweiterung von 2004 ein Personalabbau geplant. Eine Reduzierung der Zahl der Mitglieder in diesem Ausschuss wäre ebenfalls nicht zweckmäßig. Auch im zuständigen Referat der Kommission sind nur 26 Personen tätig, 4-5 von ihnen beschäftigen sich mit der Umsetzung der Rechtsvorschriften. Dies wurde bereits im Jahr 2002 vom EWSA beanstandet, obwohl es damals nur 15 Mitgliedstaaten gab, mittlerweile sind es 27. Hier sind unbedingt Verbesserungen vorzunehmen. Des Weiteren sollte ein Abbau der Stellen für Aufsichtsbeamte auf einzelstaatlicher Ebene verhindert werden.

3.4.4

Das vorrangige Ziel sollte es sein, die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften durchzusetzen. Die zuständigen Behörden sollten im Hinblick auf die sowohl von den Arbeitgebern als auch den Arbeitnehmern im Bereich Gesundheitsschutz und Sicherheit zu erfüllenden Pflichten verstärkt Kontrollen durchführen. Über die allgemeine und berufliche Bildung und einen leichter zugänglichen Rechtsrahmen sollte ein höheres Bewusstsein für den Arbeitsschutz geschaffen werden.

3.4.5

Die nationalen Arbeitsaufsichtsbehörden könnten über die Kontrolle der Arbeitsschutzvorschriften hinaus eine positive Rolle spielen, indem sie die Arbeitgeber beraten und Konsultationen durchführen. Um die Wirksamkeit und Unabhängigkeit der Tätigkeit der nationalen Arbeitsaufsichtsbehörden zu gewährleisten, sind entsprechende Mittel erforderlich.

3.4.6

Der Ausschuss hoher Arbeitsaufsichtsbeamter (SLIC) beschloss bereits 2002, die Wirksamkeit von Kontrollen am Arbeitsplatz zu verbessern, denn eines der wichtigsten Instrumente ist die Erarbeitung von Kennziffern, mit denen die Qualität der Kontrollen gemessen werden kann. In einer früheren Stellungnahme wurde dies auch vom EWSA unterstützt (9). Der EWSA stimmt mit den Feststellungen des SLIC überein, unterstützt dessen Vorschläge und bemängelt daher, dass diese keinen Eingang in die Strategie gefunden haben.

3.5   Umsetzung und einzelstaatliche Strategien

3.5.1

Der soziale Dialog über Fragen des Arbeitsschutzes muss vorangebracht werden, hierzu sind auf europäischer Ebene Maßnahmen vonnöten, die von den Sozialpartnern zu entwickeln sind. Die Kandidatenländer sollten über den Europäischen Sozialfonds oder durch Partnerschaften zwischen alten und neuen Mitgliedstaaten unterstützt werden, auch finanziell. In Kandidatenländern oder angehenden Kandidatenländern wurden die Umsetzung der Rechtsvorschriften und die Stärkung der Kontrollen am Arbeitsplatz in Angriff genommen.

3.5.2

Ärzte und Fachkräfte des Gesundheitswesens haben einen aufmerksamen Blick, was das Erkennen von durch die Arbeitsumgebung verursachten Symptomen angeht, doch muss hier die im Allgemeinen kostenintensive Lage des Gesundheitswesens in Betracht gezogen werden. Den Arbeitnehmern dürfen die Kosten der Vorbeugung von Krankheiten nicht aufgebürdet werden, da sonst viele von ihnen aus finanziellen Gründen ihre Krankheit vernachlässigen und so später höhere Heilungskosten verursachen könnten. Im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung bieten Arbeitgeber eine Vielzahl von gemeinsam mit ihren Arbeitnehmern erarbeiteten Maßnahmen an, die zu einer gesunden Lebensweise der Arbeitnehmer beitragen. Dazu zählen beispielsweise kostenlose Reihenuntersuchungen ebenso wie Programme zur Raucherentwöhnung, Beratungen über gesunde Ernährung und Bewegung, sowie Stressprävention (10).

3.5.3

In der Strategie werden Maßnahmen zur Förderung der Rehabilitation und Wiedereingliederung von Arbeitnehmern gefordert, die wegen Berufserkrankung oder Invalidität vom Arbeitsmarkt verdrängt wurden. Der EWSA stimmt mit den Vorstellungen der Kommission überein, jedoch sind die hierfür notwendigen Finanzquellen durch die Gemeinschaftspolitik nicht abgesichert.

3.5.4

Der EWSA schließt sich der Auffassung der Kommission an, dass bei der Einbindung von Arbeitsschutzfragen in andere Politikbereiche der EU noch große Kraftanstrengungen erforderlich sind, etwa in Bezug auf Maßnahmen, die zusammen mit öffentlichen Gesundheitssystemen zu erarbeiten sind.

3.5.5

Im Interesse von Synergien und konkreten Ergebnissen befürwortet der EWSA die Tätigkeit der mehrere Organisationseinheiten umfassenden einschlägigen Gruppe der Generaldirektion für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit.

3.6   Vorbeugung, Aus- und Weiterbildung

3.6.1

Die Entwicklung des Schutzes von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz auf Mitgliedstaatsebene ist fester Bestandteil der allgemeinen Gesundheitskultur. Sie liegt im Interesse der Mitgliedstaaten. Darüber hinaus ist es nicht nur im Interesse der Arbeitnehmer, sondern auch ihre Pflicht, dass sie kontinuierlich an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. Die Arbeitgeber sind wesentliche Akteure bei der Gestaltung und Entwicklung der nationalen Kultur, indem sie stets ihrer Informationspflicht nachkommen und mit den Arbeitnehmern zusammenarbeiten. In dieser Hinsicht sind auch die Tarifverträge ein wichtiges Instrument.

3.6.2

Der EWSA erinnert die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner an die Bedeutung von Prävention und Aus- und Weiterbildung und an ihre Verantwortung auf diesem Gebiet. Bereits im Kindergarten, in der Grundschule, in der Berufsausbildung, in der höheren Schulbildung und der Erwachsenenbildung sowie in der Weiterbildung sollte eine Unterrichtseinheit über Gesundheitsschutz und Sicherheit eingeführt bzw. gefördert werden.

3.6.3

Im Unterricht, bei der Aus- und Weiterbildung muss den verschiedenen Zielgruppen Rechnung getragen werden; der EWSA begrüßt die Einbindung des lebenslangen Lernens in die neue Strategie und in die Präventionskonzeption.

3.6.4

An allgemeinbildenden Schulen und bei Umschulungen spielt der Arbeitsschutz im Allgemeinen keine Rolle, daher begrüßt der EWSA die Einbindung des lebenslangen Lernens in die neue Strategie und in die Präventionskonzeption.

3.6.5

Der EWSA empfiehlt, im Fall kritischer Arbeitsplätze, an denen die meisten Unfälle und Berufskrankheiten auftreten, in den nationalen Strategien bei der Ermittlung der Gefahren bzw. im Rahmen der Prävention den neuen Risiken besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Zusammenstellung von Registern mit branchenspezifischen Daten wäre ebenfalls hilfreich.

3.6.6

Nach Auffassung des Ausschusses stellen die Erkrankungen auf Grund von krebserregenden Faktoren im Arbeitsumfeld ein wichtiges Problem dar. Allein im Jahr 2006 wurden in den 25 EU-Mitgliedstaaten 2,3 Millionen neue Krebserkrankungen verzeichnet; sie sind nunmehr die Hauptursache für vorzeitige Todesfälle. Schätzungsweise rund 9,6 % aller auf Krebserkrankungen zurückzuführender Todesfälle hängen mit den Arbeitsbedingungen zusammen (11). Aus diesem Grund fordert der Ausschuss die Mitgliedstaaten dazu auf, konkrete Schritte einzuleiten, um die Zahl der krebserregenden Substanzen ausgesetzten Arbeitnehmer drastisch zu reduzieren.

3.6.7

Der EWSA hält die Entwicklung der Gesundheitskultur allgemein für gerechtfertigt, um ein gesundheitsbewussteres Verhalten seitens der Arbeitnehmer zu erreichen. Hierzu muss nicht nur von den Arbeitgebern Hilfe geboten werden, sondern es müssen auch Wege der Unterstützung auf Gemeinschafts- und Mitgliedstaatsebene vorgeschlagen und die Arbeitnehmer über die Rechte aufgeklärt werden, die sie nach verschiedenen Rechtsnormen haben, seien es internationale (ILO), gemeinschaftliche (EU) oder nationale.

3.6.8

Sowohl auf gemeinschaftlicher als auch auf nationaler Ebene muss bewusst eine Präventionspolitik entwickelt und aus dem Haushalt bzw. vonseiten der Sozialversicherung finanzielle Unterstützung gewährt werden. Zur Stärkung der Präventionskultur muss eine umfassende präventive Sichtweise entwickelt werden. Es ist sicherzustellen, dass alle Arbeitnehmer Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen haben, um die Risikoanfälligkeit bestimmter Gruppen zu verringern. Dies ist von herausragender Bedeutung für Arbeitnehmer, die wegen des veränderten Charakters der Beschäftigungsverhältnisse ohne eigenes Verschulden aus Arbeitsschutzschulungen, Gesundheitsuntersuchungen am Arbeitsplatz, Präventions- und Kontrollmaßnahmen herausfallen.

3.6.9

Der EWSA empfiehlt, dem Einfluss der Massenmedien besondere Aufmerksamkeit zu schenken, um die breite Öffentlichkeit besser darüber zu informieren, wie wichtig es ist, die Vorschriften über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz einzuhalten. Des Weiteren sollten die Initiativen der Europäischen Kommission, der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA), der ILO und der Gewerkschaften besser genutzt werden (beispielsweise der Internationale Gedenktag für verletzte und tödlich verunglückte Arbeitnehmer).

3.7   Neue Gefahren

3.7.1

Der EWSA schlägt vor, neue Arbeitsplatzrisiken, wie arbeitsbedingten Stress oder neue schwierige Arbeitsbedingungen, mit wissenschaftlichen Methoden zu erfassen. Die psychosozialen und körperlichen Auswirkungen neuer Arbeitsbereiche und Arbeitsumstände auf die Arbeitnehmer sind mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, hierzu müssen neue Indikatoren und Kennziffern erarbeitet werden. Nach Auffassung des EWSA sollten Fachärzte für Arbeitsmedizin eine Ausbildung erhalten, die sie befähigt, bei den Arbeitnehmern die durch ihre Arbeitsbedingungen hervorgerufenen mentalen Belastungen und die sich daraus ergebenden Probleme zu diagnostizieren.

3.7.2

Der EWSA befürwortet, dass die Kommission von den Arbeitnehmern ein gesundheitsbewussteres Verhalten erwartet, doch wird dies unmöglich sein, wenn die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Es gibt Verträge mit unsicherer bzw. befristeter Laufzeit und zu hohe tatsächliche Arbeitszeiten; es herrscht ständiger Stress, ausgelöst durch die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes; es fehlen Kenntnisse und Informationen über Arbeitnehmerrechte, und darüber hinaus ist eine Benachteiligung von Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund bei der Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitswesens festzustellen; dies steht guten Verhaltensweisen im Wege.

3.7.3

Die EU hat mit ihrer Strategie für Wohlbefinden am Arbeitsplatz 2002-2006 die Aufgaben zur Schaffung stress- und depressionsfreier Arbeitsplätze mit Blick auf das körperliche Wohlergehen nicht gelöst. Der EWSA bedauert dies und fordert die Kommission auf, konkrete Empfehlungen auszuarbeiten.

3.8   Gesundheitsschutz auf internationaler Ebene

3.8.1

Die Union trägt nicht nur für ihre eigenen Bürger Verantwortung, sondern auch für die Arbeitsbedingungen und -umstände der jenseits ihrer Grenzen lebenden Bürger. Wie bereits in der vorausgegangenen Strategie formuliert, muss auch in der Außenhandels- und der Entwicklungspolitik auf die Einhaltung grundlegender Arbeitsrechte geachtet werden, was selbst dann gelten sollte, wenn man sich damit auf diesem Gebiet in Widerspruch zu den Grundsätzen des freien Marktes begibt (12).

3.8.2

Im Bereich der internationalen Politik sollte für die Übernahme der ILO-Regelungen und -Empfehlungen und die Erfolge der EU, wie z.B. REACH, geworben werden. Es müssen Maßnahmen und Rechtsvorschriften entwickelt werden, die Gefahren und Erkrankungen verringern helfen, die von Asbest, krebserregenden Substanzen oder Silizium ausgehen.

3.8.3

Bei staatlichen oder öffentlichen Aufträgen sollte von den Mitgliedstaaten denjenigen Firmen beispielgebend der Vorzug gegeben werden, die die Vorschriften zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz bei ihren Beschäftigten einhalten (wie in der Strategie zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2002-2006 vorgeschlagen).

3.8.4

Jeder EU-Mitgliedstaat muss aufgefordert werden, die bestehenden ILO-Konventionen zu ratifizieren.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Nötig ist mindestens ein Kontrolleur je 10 000 Arbeitnehmer (in vielen EU-Mitgliedstaaten sind es weniger).

(2)  Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 26.9.2007 zum Thema „Nachhaltige Arbeitsproduktivität in Europa“. Berichterstatterin: Frau KURKI (ABl. C 10 vom 15.01.2008). http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:010:0072:0079:DE:PDF.

(3)  Siehe KOM(2005) 33 endg. und Erklärung des Europäischen Rats vom März 2007. http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/en/ec/93135.pdf.

(4)  So Anne-Marie SIGMUND in: „Das europäische Sozialmodell“, gemeinsame Konferenz des EWSA und der ILO, 26./27. Juni 2006.

(5)  Siehe ILO: Demographic change — Facts, Scenarios and policy responses (Demografischer Wandel — Fakten, Szenarien und politische Lösungen) (April 2008).

(6)  Im Bauwesen liegt die Unfallrate im Verhältnis zum Durchschnitt anderer Bereiche doppelt so hoch. Die Zahlen für den Dienstleistungssektor deuten auf eine steigende Tendenz hin, die gründlicher untersucht werden muss. Auch im Gesundheits- und Bildungswesen ist ein Anstieg zu verzeichnen. Dies hängt vor allem mit Gewalt, Stress und muskuloskeletalen Störungen (MSD) zusammen.

(7)  Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 25.10.2007 zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz“, Berichterstatter: Herr RETUREAU (ABl. C 44 vom 16.02.2008). http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:044:0103:0105:EN:PDF.

(8)  SEK(2007) 214.

(9)  Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 17.7.2002 zu der Mitteilung der Kommission: „Anpassung an den Wandel von Arbeitswelt und Gesellschaft: eine neue Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2002-2006“. Berichterstatter: Herr ETTY (ABl. C 241 vom 7.10.2002). http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2002:241:0100:0103:EN:PDF.

(10)  Link zur Homepage des Europäischen Netzwerkes zur Betrieblichen Gesundheitsförderung: http://www.enwhp.org/index.php?id=4 .

(11)  Studie, Hämäläinen P., Takala J., im Auftrag der ILO.

http://osha.europa.eu/OSH_world_day/occupational_cancer/view?searchterm=occupational %20cancer.

(12)  Siehe Jukka TAKALA, PE 390.606v01-00.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, auf die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 2.4

Es muss weiter an der Entwicklung eines Ein umfassenden r Rahmens für den Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz gearbeitet werden, der EU-weit korrekt angewandt und überwacht werden muss, wurde bereits geschaffen. wobei noch nicht angemessen abgedeckte Dies gilt insbesondere für benachteiligte Gruppen, die ihre Rechte im Zusammenhang mit der Sicherheit am Arbeitsplatz nur schwer durchsetzen können, eingeschlossen werden sollten, dies schließt insbesondere sowie die Arbeitnehmer ein, die einen Arbeitsplatz mit hohem Gefahrenpotenzial haben und diejenigen mit unsicheren oder aufgrund des Versuchs der Erlangung kurzfristiger Wettbewerbsvorteile gefährdeten Beschäftigungsverhältnissen.“

Begründung

Selbst erklärend.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 41, Nein-Stimmen: 45, Stimmenthaltungen: 10

Ziffer 3.3

„Es ist erfreulich, dass ein Ziel der Gemeinschaftsstrategie darin besteht, die Arbeitsunfälle um 25 % zu senken. Zur Erreichung dieses Ziels werden ein spezifischer Aktionsplan mit messbaren Zielen und Indikatoren und glaubwürdigen und Vergleiche ermöglichenden Meldemechanismen sowie Überwachungsmechanismen erforderlich sein. Außerdem müssen die internen Ursachen für Arbeitsunfälle, beispielsweise Zeitdruck und kurze Lieferfristen, sowie ihre externen Ursachen berücksichtigt werden, wie beispielsweise durch häuslichen Stress hervorgerufene Unaufmerksamkeit. Neben den Arbeitsunfällen ist es ebenso wichtig, sich mit den Berufskrankheiten zu befassen, die relativ gesehen zahlreicher sind. Ein erster Schritt zur Prävention muss in der Anerkennung der Berufserkrankungen und in der Aktualisierung ihrer Definition bestehen. Werden die Ursachen für Erkrankungen rechtzeitig erkannt, besteht die Möglichkeit, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um sie abzustellen. Deshalb sollte ein konkretes Ziel auch für die Zahl der Personen, die unter Gefahrenbedingungen arbeiten (was sich entscheidend auf die Zahl der künftigen Berufskrankheiten auswirkt), sowie die Zahl der Berufskrankheiten aufgestellt werden.“

Begründung

Selbst erklärend.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 46, Nein-Stimmen: 48, Stimmenthaltungen: 12


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/95


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen — Vorteile und Potenziale bestmöglich nutzen und dabei den Schutz der Arbeitnehmer gewährleisten“

KOM(2007) 304 endg.

(2008/C 224/22)

Die Europäische Kommission beschloss am 13. Juni 2007 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen — Vorteile und Potenziale bestmöglich nutzen und dabei den Schutz der Arbeitnehmer gewährleisten“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2008 an. Berichterstatterin war Frau LE NOUAIL MARLIERE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 116 gegen 1 Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Die Kommission veröffentlichte die vorgenannte Mitteilung am 13. Juni 2007. Sie bewertet darin die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten und die von diesen ergriffenen Maßnahmen bezüglich der Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen in der Europäischen Union und macht Verbesserungsvorschläge für die Durchführung der Richtlinie 96/71/EG.

Mit der Richtlinie 96/71/EG soll die Ausübung der Grundfreiheit der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen nach Artikel 49 EG-Vertrag durch Dienstleistungserbringer mit der nötigen Gewährleistung eines angemessenen Maßes an Schutz der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer, die zur Erbringung dieser Dienstleistungen zeitweise in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, in Einklang gebracht werden.

Die Kommission definiert einen Arbeitnehmer als „entsandt“, wenn dieser von seinem Arbeitgeber in einen Mitgliedstaat geschickt wird, um dort im Rahmen der Ausführung vertraglich vereinbarter Dienstleistungen zu arbeiten. Diese grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung impliziert die Entsendung von Arbeitnehmern in einen anderen Mitgliedstaat als den, in dem sie gewöhnlich tätig sind; hierdurch entsteht eine spezielle Kategorie von Arbeitnehmern, die so genannten „entsandten Arbeitnehmer“. Allerdings wurde den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum bezüglich der Interpretation dieser Definition gelassen.

Diese Mitteilung schließt sich inhaltlich an die beiden Mitteilungen (1) an, die Leitlinien entsprechend der Richtlinie 96/71/EG enthielten, die vorsah, dass die Kommission bis 16. Dezember 2001 den Text erneut zu prüfen hatte, um dem Rat etwaige notwendige Änderungen vorzuschlagen.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hatte eine Stellungnahme verabschiedet (2), in der er die Kommission insbesondere aufforderte, „einen neuen Bericht vorzulegen, der folgende Feststellungen ermöglicht:

Besteht eine wirkliche Transparenz der Rechte?

Sind die Rechte der Arbeitnehmer gewährleistet?

Wird die Mobilität der Arbeitnehmer durch die Anwendung der sich aus der Umsetzung dieser Richtlinie in den Mitgliedstaaten ergebenden Bestimmungen mit Blick auf die Risiken einer protektionistischen Abschottung des Arbeitsmarkts eingeschränkt oder gefördert?

Werden Wettbewerbsverzerrungen im Hinblick auf den freien Dienstleistungsverkehr vermieden?

Haben kleine Unternehmen ordnungsgemäßen und ausreichenden Zugang zu den für die Durchführung der umgesetzten Richtlinie erforderlichen Informationen?“

Des Weiteren befürwortete der Ausschuss „eine eingehendere Analyse in Richtung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure, eine Prüfung, wie die Information der Arbeitnehmer und der Unternehmen verbessert werden kann, die Förderung von Netzwerken lokaler, regionaler oder grenzübergreifender Verbindungsbüros mittels einer Bestandsaufnahme bewährter Praktiken beim Austausch von Informationen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber sowie eine juristische Bewertung der Vorschriften, um zu prüfen, ob der Rechtsrahmen der Mitgliedstaaten sowie die Informationen über die geltenden Tarifverträge vor dem Hintergrund der Erweiterung verständlich und zugänglich genug und aktuell sind.“

1.   Allgemeine Bemerkungen

1.1

Diese Mitteilung beruht auf einer dritten Bewertung, die viele Jahre nach der in der Richtlinie vorgesehenen Frist (16. Dezember 2001) fertig gestellt und in der die Übernahme und Umsetzung in den Mitgliedstaaten berücksichtigt wurde, was ein Zeichen für die Besonderheit dieses Bereichs ist, der nicht nur eine rechtliche, technische und wirtschaftliche Komponente aufweist, sondern vor allem soziale und menschliche Aspekte berührt, die eine Bewertung, Umsetzung und Kontrolle nicht leicht machen. Die Richtlinie mit ihrer sehr stark juristischen Ausrichtung beinhaltet Interpretationen und Interpretationsmöglichkeiten auf mehreren Ebenen hinsichtlich der Umsetzungen und Rechtssprechungen, die für die tatsächliche Lage der Unternehmen, der entsandten Arbeiter und der Arbeitsaufsicht wenig geeignet sind. Darauf haben die Sozialpartner und die lokalen und nationalen Verwaltungen in den Anhörungen des Europäischen Parlaments hingewiesen. Das Parlament hat mehrere Empfehlungen ausgesprochen (3), insbesondere die, dass die Sozialpartner besser berücksichtigt und verstärkt einbezogen werden sollten, ohne sich jedoch zu der Art und Weise zu äußern, wie dies geschehen solle.

1.2

Aus Sicht des Ausschusses können Freiheiten, die als gleichrangig gelten, nämlich die persönlichen Freiheiten und die Dienstleistungsfreiheit, auch in der Wirklichkeit gleichbehandelt werden, wenn sichergestellt wird, dass die Richtlinie Garantien für die Wahrung eines bedeutsamen Maßes an Schutz der Rechte entsandter Arbeitnehmer enthält und ein fairer Wettbewerb unter gleichen Bedingungen zwischen allen Dienstleistungserbringern möglich ist. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Umsetzung des freien Dienstleistungsverkehrs nicht auf Kosten bestimmter Arbeitnehmergruppen erfolgen darf. Auch wenn neuere Urteile (4) als in diese Richtung weisend interpretiert werden können, so erinnert der Ausschuss an die ILO-Übereinkommen Nr. 87 und 98 über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, die vorsehen, dass die Festlegung des Sozialrechts unter Berücksichtigung der üblichen Verfahren zur Gestaltung ebendiesen Rechts erfolgen muss, einschließlich von Kollektivverhandlungen auf Unternehmens- oder sonstiger Ebene und in so diversen Bereichen wie der Festlegung von Mindestlöhnen in einer Branche oder einem Unternehmen. Da die Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG in den üblichen Rahmen der Rechtsgestaltung in einem bestimmten Mitgliedstaat eingriff, sollte die Kommission das internationale Recht entsprechend der Auslegung der Ad-hoc-Kontrollorgane und die von allen Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Primärrecht ratifizierten Arbeitsnormen durchsetzen.

1.3

Heute schlägt die Kommission neben dieser neuen Mitteilung die Verabschiedung einer Empfehlung (5) durch den Rat vor, die eine verbesserte Verwaltungszusammenarbeit, ein Informationsaustauschsystem und einen Austausch bewährter Verfahren beinhaltet.

1.4

Angesichts all dieser neuen Vorschläge betont der Ausschuss, dass sich die Kommission auf dem richtigen Weg befindet, insbesondere durch den Vorschlag einer verbesserten Verwaltungszusammenarbeit und der Schaffung eines Systems für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, mithilfe dessen Informationen über das Arbeitsrecht, das für die entsandten Arbeitnehmer auf dem Gebiet des Einsatzlandes gilt, sowie die bestehenden Kollektivvereinbarungen verbreitet werden können. Des Weiteren sollen die Arbeitnehmer und Erbringer von Dienstleistungen Zugang zu diesen Informationen in anderen Sprachen als lediglich in der oder den Amtssprachen des Landes erhalten, in denen die Dienstleistungen erbracht werden, es sollen Verbindungsbüros mit benannten Ansprechpartnern eingerichtet, die Sozialpartner in den hochrangigen Ausschuss einbezogen werden usw.

1.5

Allerdings hat die Kommission die Bewertung der Maßnahmen zur Umsetzung und Durchführung in den Mitgliedstaaten lediglich in englischer Sprache vorgelegt, wodurch sich der Nutzen dieser Bewertung für die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner auf allen Ebenen in engen Grenzen hält. Der Ausschuss spricht sich dafür aus, dass die Kommission die besonderen Aspekte (Mobilität, freier Verkehr) dieser Thematik berücksichtigt und sich darum bemüht, das beigefügte Dokument (6) in mindestens drei Sprachen zu veröffentlichen, darunter in einer südeuropäischen romanischen und in einer slawischen Sprache zusätzlich zum Englischen. Die Sprachenfrage stellt sich in jedem Falle, und wenn die neuen Bestimmungen den gewünschten Effekt erzielen sollen, so sollte nach Meinung des Ausschusses insbesondere zur Information der in erster Linie betroffenen Sozialpartner, aber auch für das System für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten eine angemessene Sprachenregelung angewandt werden. Der Ausschuss verweist auf seine Stellungnahme zur Umsetzung der Strategie der Kommission in Bezug auf Mehrsprachigkeit und auf die neue, auf Ersuchen der Kommission erarbeitete Sondierungsstellungnahme (7) und wird auf die Frage der notwendigen Kommunikation und Information hinsichtlich der Umsetzung der Bestimmungen bezüglich der Entsendung von Arbeitnehmern zurückkommen, die u.a. die institutionelle Kommunikation umfasst.

1.6

Allgemeine Beschaffenheit des Informationssystems und Besonderheit der Sozialregister:

1.7

Die Kommission schlägt vor, dass jene Kontrollmaßnahmen im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern, die sie für überflüssig hält, aufgehoben werden, wobei ein angemessener Schutz der entsandten Arbeitnehmer gewährleistet bleiben soll. Die Kommission betont in ihrer Mitteilung, dass sie nicht vorhabe, die Sozialschutzmodelle in den Mitgliedstaaten in Frage zu stellen, sondern dass sie in Anbetracht eines Teils der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bestimmte Kontrollmaßnahmen insofern für ungerechtfertigt halte, als sie über das für den sozialen Schutz der Arbeitnehmer notwendige Maß hinausgehen.

1.8

Der Ausschuss unterstreicht den Mangel an Kohärenz, wenn vorgeschlagen wird, die Pflicht zur Führung von Sozialregistern in den Mitgliedstaaten, in denen die Dienstleistungen erbracht werden, abzuschaffen. Durch ein Informationsaustauschsystem können zwar Auskünfte über die geltenden Gesetze und die Rechte und Pflichten der Erbringer von Dienstleistungen und der Arbeitnehmer gegeben werden, es erlaubt jedoch nicht die individuelle Überwachung offener Rechte im Bereich des Sozialschutzes, die unmittelbar und langfristig gelten, wie Kranken-, Unfall-, Renten- und Sozialversicherung, noch ermöglicht es zu kontrollieren, ob Sozialabgaben und Steuern an das Land, in dem die Dienstleistung ausgeführt wird, gemäß dem dort geltenden Arbeitsrecht abgeführt werden. Der Ausschuss rät daher von der Abschaffung der Register ab.

1.9

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Ziele der Richtlinie 96/71/EG auch zehn Jahre nach ihrem Inkrafttreten noch nicht ganz erreicht sind. Innerhalb Europas bestehen weiterhin unterschiedliche Ansätze in Bezug auf die Art und den Umfang des Sozialschutzes der entsandten Arbeitnehmer, sowohl für EU-Bürger als auch für Drittstaatsangehörige.

1.10

Die Kommission bemerkt in ihrem jüngsten Grünbuch „Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, dass Schwarzarbeit insbesondere im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitnehmern ein besonders beunruhigendes und hartnäckig weiter bestehendes Phänomen der heutigen Arbeitsmärkte ist, das auch Wettbewerbsverzerrungen und die Ausbeutung von Arbeitnehmern nach sich zieht (8). Im Grünbuch fordert die Kommission angemessene Durchsetzungsmechanismen, um die Funktionstüchtigkeit der Arbeitsmärkte zu gewährleisten, Verstößen gegen das Arbeitsrecht der Einzelstaaten vorzubauen und den Sozialschutz von Arbeitnehmern zu bewahren.

1.11

Der Ausschuss betont, dass die Wirtschafts- und Sozialpartner der Bauindustrie die Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG besonders aufmerksam verfolgen, sowohl aufgrund der Fälle von Sozialdumping als auch wegen damit einhergehenden möglichen Wettbewerbsverzerrungen, von denen diese Branche bei grenzüberschreitender Entsendung von Arbeitnehmern besonders betroffen ist (9). Unter diesen Voraussetzungen sind den Besonderheiten der Bauindustrie angepasste Kontrollmaßnahmen sehr wichtig, um die betroffenen — sowohl heimischen als auch entsandten — Arbeitnehmer zu schützen. In Anbetracht dieser Situation sollten die Pläne der Kommission nicht dazu führen, dass Kontrollmechanismen, die sich in den Mitgliedstaaten über eine lange Zeit bewährt haben, geschwächt werden. Andernfalls würde die Kommission ihrer erklärten Absicht, die Sozialmodelle in den Mitgliedstaaten unangetastet zu lassen, widersprechen.

1.12

Der Ausschuss unterstreicht die Auffassung des EP, die Kommission solle bei ihrer Interpretation der Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der Bewertung einer Vereinbarkeit von bestimmten Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht Maß halten (10).

2.   Besondere Bemerkungen

2.1

Was die Verpflichtung angeht, bestimmte Dokumente in der Sprache des Empfängermitgliedstaates vorzuhalten, hält die Kommission die Verpflichtung zur Übersetzung für unvereinbar mit dem freien Verkehr von Dienstleistungen. Der EuGH hat hingegen in seiner Entscheidung (C-490/04) vom 18. Juli 2007 festgestellt, dass diese umstrittene Verpflichtung im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht steht.

2.2

In einem anderen Fall zitiert die Kommission den EuGH dahingehend, dass automatisch und bedingungslos anwendbare Maßnahmen, die sich auf eine allgemeine Vermutung des Betrugs oder Missbrauches durch eine Person oder ein Unternehmen stützen, eine ungerechtfertigte Beschränkung des freien Verkehrs von Dienstleistungen darstellen (11). Der Ausschuss bezweifelt, dass dieser Spruch des Gerichtshofes auf Maßnahmen gemäß der Richtlinie 96/71/EG anzuwenden ist, da die Mitgliedstaaten in deren diesbezüglicher Bestimmung aufgefordert werden, „geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie vorzusehen“. Aus dieser Bestimmung ist keine allgemeine Betrugsvermutung abzuleiten. Hier wird im Gegenteil festgestellt, dass der eigentliche Inhalt dieser Richtlinie ausgehöhlt würde, wenn die Mitgliedstaaten die Einhaltung der Entsendebestimmungen nicht mit angemessenen Maßnahmen durchsetzen könnten.

3.   Verstärkte Zusammenarbeit als Lösung für die bestehenden Probleme bei der Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG

3.1

Der Ausschuss bemerkt positiv, dass die Kommission klar zum Ausdruck bringt, dass es bei der länderübergreifenden Verwaltungszusammenarbeit derzeit erhebliche Mängel und Handlungsbedarf gibt, und ist überzeugt, dass ein auf guter Zusammenarbeit beruhender Informationsfluss zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten zur Bewältigung der Probleme beitragen kann, die aus den mit der praktischen Umsetzung der Entsenderichtlinie verbundenen Schwierigkeiten entstehen, insbesondere auch was die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften betrifft.

3.2

Der Ausschuss ist jedoch nicht der Auffassung, dass eine verstärkte Zusammenarbeit Kontrollmaßnahmen in den Einzelstaaten überflüssig machen könnte. Die im Rahmen der Richtlinie 96/71/EG eingeführten Kooperationsmechanismen haben sich bisher als unwirksam erwiesen; durch sie konnte nicht gewährleistet werden, dass der Sozialschutz für die Arbeitnehmer durch alle einzelstaatlichen Maßnahmen in gleicher Weise und in gleichem Ausmaß gewährt wird.

3.3

Diese Feststellung ist für die Bauindustrie von besonderer Bedeutung. In dieser Branche sind präventive Kontrollen auf den Baustellen unabdingbar, um ermitteln zu können, inwieweit die Rechte von entsandten Arbeitnehmern gewahrt werden.

3.4

Die Rückübertragung der Verantwortlichkeit für die Kontrollen auf den Mitgliedstaat der Herkunft würde zu unerwünschten Verzögerungen beim Schutz der Arbeitnehmerrechte führen. Dies ist einer der Gründe, warum der EuGH in der oben genannten Entscheidung vom 18. Juli 2007 den Mitgliedstaaten das Recht zuerkannt hat, weiterhin vorzuschreiben, dass bestimmte Dokumente in der Sprache des Aufnahmestaates auf den Baustellen vorzuhalten sind. Der Ausschuss spricht sich gegen die Abschaffung dieser Verpflichtung aus und empfiehlt stattdessen, die Aussagekraft der Angaben bezüglich der Einstellung und Beschäftigung im Falle der entsandten Arbeitnehmer dadurch zu erhöhen, dass die Pflicht zur Bereitstellung dieser Angaben aufrechterhalten wird, die für die Kontrollen der Arbeitsverwaltungen, der Berufsbildungs- und der Sozialversicherungseinrichtungen im Aufnahme- und im Herkunftsland benötigt werden. In einem erweiterten Binnenmarkt und in Anbetracht einer noch auszubauenden Arbeitnehmermobilität wird die Notwendigkeit künftig zunehmen, dass die Daten jedes Unternehmens und jedes Arbeitnehmers effektiv zugänglich sind.

3.5

Die Angaben, die zur Feststellung der erworbenen Rentenansprüche bzw. der Arbeitsschutzrechte (Werften, Chemie, Landwirtschaft usw.) benötigt werden, könnten leichter zusammengetragen und überprüft werden, wenn im Sinne der Transparenz eine Reihe zusätzlicher Einträge registriert würden, etwa zum Herkunftsland, dem Unternehmen sowie den Sozialdiensten und -einrichtungen.

3.6

Der Ausschuss ist weiters der Ansicht, dass die Probleme, die sich aus der praktischen Umsetzung der Entsenderichtlinie ergeben, nicht bilateral von den Mitgliedstaaten alleine gelöst werden können. Anzudenken ist daher die Einrichtung einer Stelle in Europa, die bei der grenzüberschreitenden Behördenkooperation im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern als Drehscheibe, Schaltstelle, Katalysator und Informationsstelle fungiert. Von dieser Stelle sollte auch periodisch ein Bericht darüber erstellt werden, welche Probleme aufgetreten sind und welche Maßnahmen zu deren Lösung vorgeschlagen werden.

4.   Empfehlungen der Kommission zur besseren Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG

4.1

Der Ausschuss begrüßt die Tatsache, dass die Kommission vorhat, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und in Zusammenarbeit sowohl mit den Gewerkschaften als auch mit den Arbeitgebern einen hochrangigen Ausschuss einzusetzen. Dadurch sollen der Austausch und die Ermittlung von bewährten Verfahrensweisen wie auch eine genaue Untersuchung und die Lösung von Problemen, die den grenzübergreifenden Vollzug von zivil- und verwaltungsrechtlichen Sanktionen im Zusammenhang mit Entsendungen erschweren, gefördert werden. Er hebt hervor, dass die europäischen Sozialpartner der einzelnen Branchen bisher am umfassendsten an der Überwachung und Umsetzung beteiligt sind und daher ausdrücklich einbezogen werden, d.h. von Anfang an und offiziell einen Sitz in diesem Ausschuss haben sollten. Im Übrigen haben sie ihrem Anliegen auf europäischer Ebene in einer gemeinsamen Erklärung Ausdruck verliehen. Der Ausschuss unterstützt die Kommission in diesem Ansatz aufgrund der bisherigen Erfahrungen, greift jedoch nicht dem Umfang der gewünschten Teilnahme der europäischen Sozialpartner verschiedener Branchen vor.

4.2

Dieser hochrangige Ausschuss sollte sicherstellen, dass den Mitgliedstaaten nicht de facto Bedingungen aufgezwungen werden, die normalerweise die Beteiligung des — einzelstaatlichen oder europäischen — Gesetzgebers erforderlich machen würden. Dies bedeutet, dass die notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG innerhalb der EU nicht ausreichend harmonisiert sind, ein Missstand, zu dessen Beseitigung dieser Ausschuss beitragen könnte.

4.3

Schließlich begrüßt der Ausschuss, dass die Kommission die Entschließungen des Europäischen Parlaments zur Entsendung von Arbeitnehmern voll und ganz berücksichtigt, insbesondere diejenige bezüglich der Anerkennung der Beteiligung der Sozialpartner; er schlägt vor, ihre Erfahrung zu nutzen, und zwar auch durch eine Aufstockung der Mittel zur Verbreitung von Beispielen bewährter Verfahrensweisen.

4.4

Zur Gewährleistung gleicher Rechte für alle Arbeitnehmer müsste die Europäische Kommission die Bemühungen fördern, Maßnahmen zur Verbesserung der Kontrollen und der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu ergreifen.

5.   Ungelöste Probleme

5.1   Scheinselbstständigkeit

5.1.1

Mit Besorgnis weist der Ausschuss auf das Problem hin, das mit der Aufdeckung von „scheinselbstständigen Arbeitnehmern“ und ihrer rechtlichen Neueinstufung verbunden ist, wenn es um Personen geht, die außerhalb oder innerhalb des Mitgliedstaats, in dem der Tatbestand festgestellt wird, wohnhaft sind, oder — in gewisser Weise — wenn es sich um eine verdeckte Entsendung handelt. Er fordert die Kommission auf, rechtliche und praktische Mittel zu untersuchen, die Abhilfe schaffen können. Es kommt vor, dass entsandte Arbeitnehmer dazu angehalten werden, als Selbständige aufzutreten, obwohl sie ausschließlich von einem einzigen Auftraggeber abhängen, wenn sie nicht gar weder als entsandt noch als selbständig gemeldet sind. Sie werden auch in gefährlichen Berufen eingesetzt, bei denen der Sozialschutz gerade angesichts der Art der Tätigkeit umfassend sein müsste.

5.1.2

Die einzelstaatlichen Gesetze sollten nicht nur klare und brauchbare Definitionen enthalten, sondern auch eindeutige Vorschriften über die Haftbarkeit bei vorgetäuschter Selbständigkeit bzw. vorgetäuschter Entsendung, um wirksam durchzusetzen, dass die ordnungsgemäße Bezahlung des Mindestlohnes, der Geldbußen, Steuern und Sozialabgaben zugunsten des Arbeitnehmers und der Allgemeinheit eingefordert und von den Behörden wirksam überprüft werden kann, dass der Gewinn aus missbräuchlichen Praktiken minimiert und die wirtschaftlichen Sanktionen gegen diejenigen verschärft werden, die gegen die Richtlinie verstoßen, indem geheime Absprachen zwischen Unternehmen und scheinselbständigen Auftragnehmern getroffen werden, um sich den Sozialversicherungspflichten zu entziehen.

5.2   Unteraufträge und Haftbarkeit

5.2.1

Auf der Ebene der Mitgliedstaaten wird das Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung des General- oder Hauptunternehmens für die Unterauftragnehmer von einigen nationalen oder branchenspezifischen Verbänden befürwortet. Dieses Prinzip hat Eingang in die nationale Gesetzgebung gefunden und verdient, als bewährtes Verfahren erwähnt zu werden. Im Bericht des Europäischen Parlaments (12) werden einige Vorteile für entsandte Arbeitnehmer, die unter eine Regelung der gesamtschuldnerischen Haftung fallen, hervorgehoben. In ihrer Mitteilung vertritt die Kommission die Auffassung, dass die Frage, ob die subsidiäre Haftung der Hauptunternehmen ein wirksames und verhältnismäßiges Instrument zur besseren Überwachung und Durchsetzung der Befolgung des Gemeinschaftsrechts sein könnte, eingehender geprüft und diskutiert werden sollte. Das Europäische Parlament hat sich seinerseits für solche Bestimmungen ausgesprochen.

5.2.2

Aufgrund verschiedener praktischer Erfahrungen ist allgemein bekannt, dass die Entsenderichtlinie bisweilen durch lange Ketten von Unteraufträgen in Verbindung mit dem Einsatz grenzübergreifender Dienstleistungserbringer umgangen wird.

5.2.3

Die Mitteilung spricht davon, dass die Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern die Probleme der länderübergreifenden Durchsetzung von Vorschriften (Strafen, Geldbußen, gesamtschuldnerische Haftung) eingehend prüfen wird. Die Kommission kommt damit der beständigen Forderung des Europäischen Parlaments nach, eine Rechtssetzungsinitiative über gesamtschuldnerische Haftung einzuleiten, um die Möglichkeiten zur Umgehung der gemäß der Entsenderichtlinie von den Mitgliedstaaten erlassenen oder in Tarifverhandlungen vereinbarten Bestimmungen zu minimieren. Der Ausschuss bittet, über die Ergebnisse dieser Prüfung informiert zu werden.

6.   Schlussfolgerungen

6.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die Initiativen, die die Europäische Kommission dem Rat vorgeschlagen hat, äußert jedoch Bedenken hinsichtlich deren einseitiger Betrachtungsweise, in der es vorrangig um die Beseitigung von vermeintlichen Beschränkungen oder Behinderungen für Unternehmen geht, die Arbeitnehmer grenzüberschreitend entsenden. Der Durchsetzungsmöglichkeit der durch die Entsenderichtlinie geschützten Arbeitnehmeransprüche muss aus Sicht des Ausschusses — vor dem Hintergrund der bekannten Mängel bei der Überwachung der Arbeitsbedingungen, bei der grenzüberschreitenden Verwaltungszusammenarbeit und bei der Vollstreckung von Bußgeldern — jedoch der selbe Stellenwert zukommen. Insbesondere äußert der Ausschuss Bedenken bezüglich der Abschaffung der Pflicht zur Führung von Sozialregistern in den Mitgliedstaaten, in denen die Dienstleistungen erbracht werden. Der Ausschuss ruft den Rat dazu auf, die vorgeschlagene Empfehlung bezüglich einer verbesserten Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, eines besseren Zugangs der Erbringer von Dienstleistungen und der entsandten Arbeitnehmer zu Informationen in mehreren Sprachen sowie eines Austauschs von Informationen und bewährten Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten innerhalb eines dreigliedrigen hochrangigen Ausschusses anzunehmen, der Vertreter der Mitgliedstaaten sowie der europäischen und nationalen Wirtschafts- und Sozialpartner umfasst, da dadurch die Richtlinie 96/71/EG gestärkt und den Schutz der entsandten Arbeitnehmer im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit gefördert wird.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2003) 458 „Die Durchführung der Richtlinie 96/71/EG in den Mitgliedstaaten“ und KOM(2006) 159 vom 4. April 2006„Leitlinien für die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen“.

(2)  Stellungnahme des EWSA vom 31.3.2004 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Durchführung der Richtlinie 96/71/EG in den Mitgliedstaaten“, Berichterstatterin: Frau Le Nouail Marlière (ABl. C 112 vom 30. April 2004).

(3)  Zuletzt in der Entschließung B6-0266/2007 vom 11. Juli 2007.

(4)  Rechtssache C — 341/05 Laval gegen Svenska.

(5)  Empfehlung der Kommission vom [..] zur Verbesserung der Verwaltungszusammenarbeit in Bezug auf die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (IP/08/514).

(6)  SEK(2008) 747.

(7)  Sondierungsstellungnahme des EWSA zum Thema „Mehrsprachigkeit“, Berichterstatterin: Frau Le Nouail-Marlière, in Vorbereitung.

(8)  Grünbuch, KOM(2006) 708 endg., Ziffer 4.f., S. 16ff.; Stellungnahme des EWSA vom 30.5.2007 zu dem „Grünbuch — Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, Berichterstatter: Herr Retureau (ABl. C 175 vom 27. Juli 2007).

(9)  Siehe insbesondere: Jan Cremers, Peter Donders, Hrsg., „The free movement of workers in the European Union“, European Institute for Construction Labour Research, sowie Werner Buelen, EFBH, Autor.

Andere Branchen sind ebenfalls von Sozialdumping betroffen, jedoch sind die dortigen Entsendebedingungen nicht Gegenstand dieser Richtlinie. Siehe Stellungnahme des EWSA „Grenzüberschreitende Beschäftigung in der Landwirtschaft“, Berichterstatter: Herr Siecker (CESE 1698/2007) sowie „Beschäftigungslage in der Landwirtschaft“, Berichterstatter: Herr Wilms (CESE 1699/2007).

(10)  Entschließung B6-0266/2007 des Europäischen Parlaments vom 11. Juli 2007.

(11)  Ziffer 3.2 der Mitteilung.

(12)  Bericht des Europäischen Parlaments zur sozialen Verantwortung von Unternehmen: Eine neue Partnerschaft (2006/2133(INI)), Bericht des Europäischen Parlaments über die Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG zum Thema Entsendung von Arbeitnehmern (2006/2038(INI)) und der vom Europäischen Parlament verabschiedete Bericht (A6-0247/2007) über ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, in dem die Kommission dazu aufgefordert wird, „Regelungen über gemeinsame Haftung und Einzelhaftung für General- oder Hauptunternehmen zu erlassen, um Missbrauch bei der Untervergabe und beim Outsourcing von Arbeitnehmern entgegenzuwirken und einen transparenten und wettbewerbsfähigen Markt für alle Unternehmen auf der Grundlage gleicher Bedingungen im Hinblick auf die Einhaltung der Arbeitsnormen und Arbeitsbedingungen zu schaffen; fordert insbesondere die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, auf europäischer Ebene eindeutig festzulegen, wer für die Einhaltung des Arbeitsrechts und für die Entrichtung der Lohnnebenkosten, Sozialversicherungsbeiträge und Steuern in einer Kette von Subunternehmen zuständig ist“. Ein praktisches Beispiel ist der Bau des Hauptgebäudes des Ministerrates (Justus Lipsius) in Brüssel in den 1990er Jahren. Zu einem bestimmten Zeitpunkt waren auf der Baustelle 30 bis 50 Unterauftragnehmer tätig, und deren Auflistung war noch nicht einmal erschöpfend. Ein weiteres Beispiel ist die Renovierung des Berlaymont-Gebäudes (Hauptsitz der Europäischen Kommission), wo ein auf die Beseitigung von Asbest spezialisiertes deutsches Unternehmen etwa 110 portugiesische Arbeitnehmer durch einen Unterauftrag beschäftigte, die für ihre Aufgabe überhaupt nicht ausgebildet waren und unter erschreckenden Umständen arbeiteten. Weitere praktische Fälle sind in folgender Studie zu finden: „The free movement of workers“, CLR Studies 4 (2004), p. 48-51, Cremers and Donders eds.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/100


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Modalitäten für die optimale Förderung der Mobilität junger Menschen in Europa“

(2008/C 224/23)

In seinem Schreiben vom 25. Oktober 2007 ersuchte Herr JOUYET, Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten der Republik Frankreich, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgender Vorlage:

„Modalitäten für die optimale Förderung der Mobilität junger Menschen in Europa“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 117 gegen 4 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt das Interesse des künftigen französischen Ratsvorsitzes und seine Unterstützung im Hinblick auf die Mobilität junger Menschen in Europa. Bereits auf seiner Tagung im Dezember 2000 in Nizza hatte der Rat der Europäischen Union eine Entschließung angenommen, die 42 Maßnahmen zur Förderung und Begünstigung der Mobilität junger Menschen umfasste. Jahre später und im Rahmen eines neuen Ratsvorsitzes der französischen Republik stellen wir erneut ein Interesse daran fest, die Mobilitätsprobleme unserer jüngeren Mitbürger zu lösen.

1.2

Aus Sicht des Ausschusses besteht das größte Problem der Europäischen Union in Bezug auf die transnationale Mobilität der jungen europäischen Bürger sowohl in einem offensichtlichen Mangel an Lösungen für die Probleme, die bereits bei zahlreichen Gelegenheiten beschrieben wurden, als auch in der Schwierigkeit, die zur Lösung dieser Mobilitätsprobleme beschlossenen Maßnahmen umzusetzen. Die Liste der festgestellten Probleme ist ebenso umfassend wie die Reihe der zu ihrer Lösung ergriffenen Maßnahmen. Deshalb geht es unseres Erachtens nicht darum, nach den Hindernissen für die Mobilität zu suchen und eine Liste von Fördermaßnahmen aufzustellen, sondern darum, das Problem von Grund auf anzugehen. Das heißt, wir müssen uns fragen, was bereits unternommen worden ist und was noch zu tun ist. Außerdem müssen die Ergebnisse bewertet werden.

1.3

Deshalb ist es nach Ansicht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses nicht nötig, zusätzliche Sachverständigen- oder hochrangige Gruppen einzurichten, da sie sich mit Sicherheit nur erneut mit Fragen befassen würden, die schon zuvor behandelt wurden. Nach Auffassung des Ausschusses ist es jedoch nötig, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die Mitglieder der verschiedenen im Bereich der Mobilität tätigen Generaldirektionen der Kommission umfasst, um eine Analyse der Situation vorzunehmen und auf systematische Weise folgende Aspekte anzusprechen:

Benennung der bereits bei früheren Gelegenheiten ermittelten und beschriebenen Hindernisse;

Bestandsaufnahme der wirksamen Maßnahmen, die auf europäischer Ebene bereits ergriffen wurden, um diese Hindernisse zu beseitigen (Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Entschließungen, Empfehlungen usw.);

Ermittlung der zuvor beschriebenen noch ungelösten Probleme, die jedoch aufgrund des Erlasses irgendeines Rechtsakts gerade gelöst werden;

Ermittlung der bereits beschriebenen Probleme, für die noch keine Lösungsansätze vorhanden sind;

Identifizierung der vorgeschlagenen Maßnahmen, die bisher weder berücksichtigt noch von den Mitgliedstaaten angewendet wurden.

1.4

Ebenso müsste bei der Bestimmung der Situation junger Menschen auf systematische Weise vorgegangen werden, indem diese in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Situation oder Problematik in verschiedene Zielgruppen eingeteilt werden. Diese Maßnahme würde es ermöglichen, die Probleme verschiedener Gruppen junger Menschen im Detail zu verstehen, um auf selektive Weise spezifische Maßnahmen zugunsten dieser Gruppen zu ergreifen. Auf diese Weise würden die Effizienz und Wirksamkeit gesteigert werden, da nicht nur generelle Entscheidungen getroffen würden.

1.5

Insbesondere folgende Gruppen müssten Gegenstand dieser Analyse sein:

Studenten;

junge Menschen, die ihre Hochschul- oder Berufsausbildung abgeschlossen haben und ihre erste Beschäftigung aufnehmen;

Schüler alternierender Berufsbildungsprogramme;

Künstler;

junge Freiwillige;

Jungunternehmer;

Jugendliche ohne finanzielle Einkünfte;

junge Paare, die das Familienleben mit dem Ausbildungs- oder Berufsleben vereinbaren müssen;

junge Menschen, die unter sozialer Ausgrenzung leiden;

junge Menschen, die eine Beschäftigung suchen, und junge Menschen in den ersten Jahren ihrer Beschäftigung.

1.6

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Ansicht, dass es nicht unbedingt nötig ist, weitere Hindernisse zu ermitteln und nach Lösungen zu suchen, sondern dass möglichst schnell geeignete Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen, damit all das, was bereits ausführlich über die Mobilität gesagt wurde, in Form von Lösungen für die Mobilitätsprobleme der europäischen Jugendlichen Gestalt annimmt.

1.7

Die Einbindung aller Interessengruppen in die Förderung der Mobilität junger Menschen und eine offensivere Durchführung der verschiedenen europäischen Maßnahmen in diesem Bereich können die Grundlage für eine deutliche Änderung der aktuellen Situation sein.

2.   Einführung

2.1   Anlass für diese Sondierungsstellungnahme

2.1.1

Anlass für diese Stellungnahme war das Schreiben des Staatssekretärs für Europäische Angelegenheiten des Außenministeriums der Republik Frankreich an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss. Am 25. Oktober 2007 ersuchte der französische Staatssekretär den Ausschuss um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema „Modalitäten für die optimale Förderung der Mobilität junger Menschen in Europa“ . Diese Stellungnahme wurde im Hinblick auf den französischen Ratsvorsitz im zweiten Semester 2008 angefordert.

2.1.2

Gleichzeitig hat sich das für allgemeine und berufliche Bildung zuständige Kommissionsmitglied für die Einrichtung einer hochrangigen Sachverständigengruppe zur Förderung der Mobilität der Europäer eingesetzt. Die hochrangige Gruppe, deren Ziel darin besteht, die nötigen Maßnahmen zu entwickeln, um den Austausch von Jugendlichen zu intensivieren, die Unterstützung bei der Mobilität im Rahmen der Berufs- und Erwachsenenbildung zu verbessern und die Mobilität von jungen Künstlern, Jungunternehmern und Freiwilligen zu erhöhen, nahm ihre Arbeit am 24. Januar 2008 auf und plant, ihre Arbeiten Mitte des Jahres mit einem Strategiebericht abzuschließen.

2.2   Mobilität in der Europäischen Union. Mehr als nur ein Recht auf Freizügigkeit

2.2.1

Die Mobilität ist ein Recht, das in Artikel 18 des EG-Vertrags verankert ist. Dieses Recht findet gemäß den Bestimmungen der Artikel 149 Absatz 4 und 150 Absatz 4 des EG-Vertrags auch Anwendung auf die Bereiche der allgemeinen und beruflichen Bildung. Deshalb hat die Europäische Union und haben insbesondere die Mitgliedstaaten die Pflicht, die zur Gewährleistung dieses Rechts auf Freizügigkeit nötigen Maßnahmen zu ergreifen, ganz gleich, ob aus Gründen der Arbeit, der Ausbildung, eines Volontariats oder einfach der Freizeitgestaltung.

2.2.2

Ursprünglich war die Freizügigkeit von Arbeitnehmern — eine der vier Grundfreiheiten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft neben dem freien Verkehr von Waren, Kapital und Dienstleistungen — die Grundlage für die Mobilität der Staatsangehörigen der einzelnen Mitgliedstaaten. Um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, wurden wichtige Fortschritte im Bereich der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften — insbesondere in Bezug auf die Sozialleistungen — erzielt, die auch die Familien dieser Arbeitnehmer betreffen, wenn diese in einen anderen Mitgliedstaat der EU ziehen. Später, als die Gemeinschaftsprogramme in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung und Forschung umgesetzt wurden, traten zahlreiche weitere Hindernisse für die transnationale Mobilität zu Tage.

2.2.3

Im Laufe der Jahre wurde in zahlreichen Dokumenten verschiedener Art auf die bestehenden Hindernisse für die Mobilität hingewiesen, und es wurden Lösungen vorgeschlagen, beschrieben und in einigen Fällen in die Praxis umgesetzt, durch die es möglich wurde, die Hindernisse für die Freizügigkeit und den Aufenthalt von Unionsbürgern außerhalb ihrer Herkunftsländer zu beseitigen.

2.2.4

Dennoch konnte im Laufe der Zeit beobachtet werden, dass die ermittelten Hindernisse und gemachten Vorschläge nicht immer dazu beigetragen haben, die Schranken abzubauen und die Probleme im Hinblick auf die Freizügigkeit und die Mobilität zu beseitigen. Es ist festzustellen, dass in den verschiedenen Dokumenten der europäischen Institutionen immer wieder auf die gleichen Probleme hingewiesen wird und sogar wiederholt Maßnahmen vorgeschlagen werden, die bereits zuvor vorgeschlagen wurden, ohne in vielen Fällen jemals in die Praxis umgesetzt worden zu sein.

2.2.5

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist sich bewusst, dass bestimmte Probleme im Bereich der Mobilität nach komplexen Lösungen verlangen. Jedoch haben wir in bestimmten Fällen auch festgestellt, dass die Bereitwilligkeit zur Lösung dieser Probleme nicht der Bedeutung entspricht, die die Beseitigung der administrativen oder juristischen Mobilitätshindernisse für die Bürger hat.

2.2.6

Aus juristischer Sicht ist die Wahrscheinlichkeit, dass die ergriffenen Maßnahmen die Mobilitätsprobleme auch tatsächlich lösen, unmittelbar von dem verwendeten Rechtsinstrument abhängig. Je häufiger zum Beispiel auf Empfehlungen oder Entschließungen zurückgegriffen wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht in allen Mitgliedstaaten Anwendung finden. Wenn die Kommission gelegentlich sogar den Europäischen Gerichtshof bemühen muss, damit der Inhalt einer Richtlinie in einzelstaatliches Recht umgesetzt wird, um wie viel weniger werden oftmals einfache Empfehlungen nicht berücksichtigt und bleiben deshalb die empfohlenen Maßnahmen wirkungslos.

2.2.7

Es ist zwar richtig, dass die rechtlichen Hindernisse im Laufe der Zeit anderen Hindernissen praktischer Art gewichen sind, die mit Sprachkenntnissen, der Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen zur Ausübung der Mobilität, den nötigen Informationen, dem Interesse der jungen Menschen usw. in Verbindung stehen. Aber Tatsache ist auch, dass in Bezug auf andere praktische Aspekte, die gleichzeitig rechtlicher Art sind — wie die Anerkennung von Qualifikationen — in der Union noch viel getan werden muss.

2.2.8

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sowohl auf Ersuchen der europäischen Institutionen als auch auf eigene Initiative wiederholt Stellungnahmen zu diesem wichtigen Thema abgegeben, das das Leben der Unionsbürger unmittelbar betrifft. In seinen Stellungnahmen hat er das Vorhandensein von Hindernissen jeglicher Art festgestellt oder bekräftigt und zahlreiche Lösungsmöglichkeiten unterstützt oder selbst vorgeschlagen. Aus diesem Grund wird er als Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft weiterhin aktiv an der Lösung der Probleme arbeiten, mit denen die Unionsbürger bei der Ausübung ihres Rechts auf Mobilität innerhalb der Europäischen Union konfrontiert sind.

3.   Mobilitätshindernisse in der Europäischen Union. Analyse der Situation

3.1

Das Grünbuch „Allgemeine und berufliche Bildung, Forschung: Hindernisse für die grenzüberschreitende Mobilität“ (1) ist eine Zusammenstellung von Hintergründen, Hindernissen und möglichen Lösungen in Bezug auf die Mobilität derjenigen, die sich zu Bildungszwecken innerhalb der Union bewegen. Der EWSA gab eine entsprechende Stellungnahme (2) ab, in der er zusätzlich zu den in dem Grünbuch enthaltenen Lösungen noch weitere Lösungsansätze lieferte. Von der erwähnten Stellungnahme möchten wir folgende Beobachtung besonders hervorheben: „Die rein technischen Aspekte der Vertragsbestimmungen wurden effizienter umgesetzt als die 'menschlichen' Aspekte, so dass im Laufe der Zeit ein Regelwerk entstanden ist, mit dem sich Waren innerhalb der Binnengrenzen leichter bewegen können als Personen. Nach Ansicht des Ausschusses muss ein politischer Kompromiss erzielt werden, der dem Europa der Bürger tatsächlich zu mehr Gestalt verhilft“.

3.2

Einige der beschriebenen Probleme sind bereits gelöst worden, andere werden zurzeit noch gelöst und wiederum andere bestehen mit gleicher oder neuer Ausprägung fort. Zu diesen Problemen gehörten Hindernisse im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht, der Anerkennung von Qualifikationen, der territorialen Beschränkung von Stipendien, den Steuerfragen der einzelnen Mitgliedstaaten, dem Sozialschutzsystem usw. Neben diesen juristischen Problemen traten ebenso Hindernisse auf, die auf Kultur- und Sprachbarrieren und den Mangel an verfügbaren Informationen über das Aufnahmeland und das dortige Alltagsleben usw. zurückzuführen waren. Zweifelsohne Probleme, die auch heute noch in vielen Fällen vorhanden sind.

3.3

Am 14. Dezember 2000 wurde auf dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates in Nizza eine Entschließung über den Aktionsplan zur Förderung der Mobilität (3) verabschiedet. Die Entschließung schließt sich an die Schlussfolgerungen des Gipfeltreffens des Europäischen Rates im März 2000 in Lissabon an, in denen auf die Dringlichkeit hingewiesen wurde, die Hindernisse für die Mobilität der Bürger innerhalb der Europäischen Union zu beseitigen, um einen wirklichen europäischen Wissensraum zu schaffen. Die besagte Entschließung umfasst 42 Maßnahmen, die das Ziel haben, die Mobilitätshindernisse zu beseitigen.

3.3.1

Die 42 Maßnahmen können unter folgenden Zielen zusammengefasst werden:

Annahme einer europäischen Strategie zur Förderung der Mobilität;

Ausbildung von Personen, die die Mobilität in Europa fördern;

Entwicklung der Mehrsprachigkeit;

besserer Zugang zu Informationen über Mobilität;

Kartierung der Mobilität;

Überlegungen zur Finanzierung der Mobilität;

Demokratisierung der Mobilität, damit sie unter finanziellen und sozialen Gesichtspunkten für alle zugänglich wird;

Schaffung neuer Mobilitätsformen;

Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Personen, die eine Mobilitätsmöglichkeit wahrnehmen;

Vereinfachung des Mobilitätskalenders;

angemessener Status für Personen, die eine Mobilitätsmöglichkeit wahrnehmen;

Entwicklung des Systems zur Anerkennung der Abschlüsse und Ausbildungen;

Anerkennung der gewonnenen Erfahrungen;

Valorisierung der Mobilitätszeiten.

3.3.2

Zu den vorrangigen Maßnahmen der Entschließung gehören:

Entwicklung der Mehrsprachigkeit;

Schaffung eines Portals, das den Zugriff auf die verschiedenen europäischen Informationsquellen im Bereich Mobilität eröffnet;

Anerkennung von Mobilitätszeiten in Diplomstudiengängen;

Ausbildung von Mobilitätsakteuren, die in der Lage sind, Beratungs- und Betreuungsaufgaben wahrzunehmen und Mobilitätsprojekte auszuarbeiten;

Erarbeitung und Verabschiedung einer Qualitätscharta;

Durchführung einer vollständigen Bestandsaufnahme von Mobilitätsmöglichkeiten und bewährten Praktiken beim Austausch;

Verknüpfung der von den einzelnen Akteuren angebotenen Finanzierungsmöglichkeiten im Bereich Mobilitätsförderung.

3.4

Die erste Empfehlung, die vom Europäischen Parlament und dem Rat verabschiedet wurde, um die Tätigkeiten der Gemeinschaft im Bereich der Mobilität zu begünstigen, war die Empfehlung 2001/613/EG über die Mobilität von Studierenden, in der Ausbildung stehenden Personen, Freiwilligen, Lehrkräften und Ausbildern in der Gemeinschaft (4). Zu dieser Empfehlung gab der EWSA seine entsprechende Stellungnahme (5) ab, aus der wir folgende Beobachtung besonders hervorheben möchten: „Zur Verwirklichung der europäischen Integration im Sinne eines Europas der Bürger und zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist es eine Voraussetzung, dass Mobilität weitgehend ungehindert wahrgenommen werden kann“.

3.4.1

In dieser Empfehlung werden die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert:

die rechtlichen und administrativen Hindernisse für die Mobilität zu beseitigen;

Sprachbarrieren durch das Erlernen von mindestens zwei Sprachen zu verringern;

die verschiedenen Formen der finanziellen Unterstützung zu fördern, indem sie die Übertragbarkeit von Stipendien erleichtern;

einen europäischen Raum der Qualifikationen zu fördern;

den Zugang zu jeglicher Art von nützlichen Informationen zu erleichtern.

3.4.2

Darüber hinaus wird eine Reihe von speziellen Maßnahmen für Studenten, Auszubildende, Freiwillige, Lehrer und Ausbilder vorgeschlagen.

3.5

In seiner Initiativstellungnahme (6) zum „Weißbuch Jugendpolitik“ äußert sich der EWSA zum Thema Mobilität folgendermaßen: „Derzeit bleibt […] [dieses Recht] aus vielfältigen Gründen für die meisten Jugendlichen Theorie: Mangel an Möglichkeiten und Ressourcen, mangelnde Anerkennung der Bedeutung der Mobilität an sich und der durch sie erworbenen Fähigkeiten, Chancenungleichgewicht, sozialer und kultureller Widerstand gegen das Konzept der Mobilität sowie rechtliche und verwaltungstechnische Hindernisse. Besondere Aufmerksamkeit sollte daher den Verwaltungshemmnissen gewidmet werden, die in den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Sozialversicherung […], die Besteuerung, Niederlassungsrechte und die Anerkennung von Fähigkeiten bestehen, die formell oder über nicht-formelle bzw. informelle Bildungswege erworben wurden“.

3.6

Obwohl die europäischen Institutionen zahlreiche Anstrengungen unternommen haben, um die Probleme zu lösen, auf die bereits in dem Grünbuch hingewiesen wurde — wie z.B. die Probleme, die die Mobilität der jungen Menschen im Allgemeinen, der Lehrer, Ausbilder und Forscher einschränken — und trotz der mit dem Aktionsplan für Mobilität bewiesenen guten Absichten, lässt sich feststellen, dass einige dieser Probleme nach wie vor vorhanden sind.

3.7

Dennoch lassen sich einige Beispiele für rechtliche Lösungen für die bestehenden Probleme anführen. Dazu gehören:

3.7.1

Angenommenen Rechtsakte:

Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (7);

Richtlinie 1408/71 und die sie ersetzende Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (8);

Entscheidung Nr. 2241/2004/EG über ein einheitliches gemeinschaftliches Rahmenkonzept zur Förderung der Transparenz bei Qualifikationen und Kompetenzen (Europass) (9);

Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (10);

Empfehlung 2006/961/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur transnationalen Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu Zwecken der allgemeinen und beruflichen Bildung: Europäische Qualitätscharta für Mobilität (11);

Empfehlung 3662/07 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (12).

3.7.2

Maßnahmen die zurzeit in Vorbereitung sind:

Europäisches Leistungspunktesystem für die Berufsbildung;

Anerkennung der im Rahmen freiwilliger Aktivitäten erworbenen Kompetenzen (13);

eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit (14).

3.8

Der EWSA hat in seinen entsprechenden Stellungnahmen seine Meinung zu den verschiedenen Aspekten geäußert, die die Mobilität der Unionsbürger im Allgemeinen und die der Jugendlichen im Besonderen betreffen. Konkret beobachten wir einen Entscheidungsprozess, in dessen Rahmen die Mobilitätsprobleme junger Menschen in Europa gelöst werden sollen, wobei jedoch einige sehr wichtige Aspekte im Hinblick auf das angestrebte Ziel — nämlich die Förderung und Begünstigung der Mobilität — wenig konkret bleiben.

3.9

Abschließend darf nicht vergessen werden, dass den Bürgern bereits bestimmte Instrumente zur Verfügung stehen, deren Anwendung unterstützt und deren Funktionsweise verbessert werden kann. Zum Beispiel lässt sich hier EURES, das Europäische Portal zur beruflichen Mobilität, nennen. Seine Datenbanken müssten leichter zugänglich gemacht und regelmäßig aktualisiert werden, es müsste ein Follow-up der zur Verfügung gestellten Informationen durchgeführt werden, die manchmal zu knapp ausfallen, und dieses Portal bzw. Netz muss für den Bürger greifbar sein.

3.10

In diesem Zusammenhang sollte man sich in den Institutionen der Union vielleicht fragen, in welchem Maße die europäischen Jugendlichen über die verschiedenen bestehenden Initiativen zur Förderung ihrer Mobilität informiert sind. Wer weiß, was der EUROPASS, der YOUTHPASS oder die Europäische Qualitätscharta ist? Verbreiten die Mitgliedstaaten ihr Wissen ausreichend? Welche Mobilitätsprogramme kennen die jungen Menschen neben dem ERASMUS-Programm? Das Wissen über die verschiedenen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu verbreiten ist, nach Ansicht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, eine weitere Form, um die Mobilitätshindernisse zu beseitigen.

4.   Die transnationale Mobilität junger Menschen in Europa. Standpunkt des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

4.1

Nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses besteht das hauptsächliche Hindernis für die Mobilität der jungen Europäer darin, dass die schon so häufig aufgezeigten Probleme nicht gelöst werden und die schon oftmals vorgeschlagenen Lösungsmaßnahmen nicht richtig koordiniert werden.

4.2

Wir sind der Ansicht, dass es wichtiger ist, die Anstrengungen darauf zu konzentrieren, die bereits vorgeschlagenen Maßnahmen in die Praxis umzusetzen, als erneut Sachverständigengruppen zu bilden, die wieder die gleichen Hindernisse aufzeigen, die bereits beschrieben wurden und noch zu lösen sind.

4.3

Damit soll jedoch nicht gesagt werden, dass es nicht nötig wäre, erneut auf die vorhandenen Schwierigkeiten hinzuweisen, mit denen die europäischen Jugendlichen konfrontiert sind, wenn sie an Mobilitäts- und Austauschmöglichkeiten im Zusammenhang mit den Programmen für lebenslanges Lernen (15), Erasmus Mundus (16), Jugend in Aktion (17) und Kultur (18), teilnehmen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss betrachtet es lediglich als vorrangig, im Vorfeld eine Bestandsaufnahme durchzuführen. Zwischendurch ist innezuhalten und aktiv über die Situation nachzudenken, in der wir uns im Hinblick auf dieses überaus wichtige Thema befinden, das die jungen Menschen in Europa so direkt betrifft.

4.4

Nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses ist es nötig, eine Koordinationsgruppe einzurichten, die Mitglieder der verschiedenen in diesem Bereich tätigen Generaldirektionen der Kommission umfasst und deren Aufgabe darin bestehen sollte, eine umfassende Analyse der Situation mit folgenden grundsätzlichen Zielsetzungen vorzunehmen:

Benennung der bereits bei früheren Gelegenheiten ermittelten und beschriebenen Hindernisse;

Bestandsaufnahme der konkreten Maßnahmen, die auf europäischer Ebene bereits ergriffen wurden, um diese Hindernisse zu beseitigen (Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Entschließungen, Empfehlungen usw.);

Ermittlung der zuvor beschriebenen noch ungelösten Probleme, die jedoch aufgrund des Erlasses irgendeines Rechtsakts gerade gelöst werden;

Benennung der bereits beschriebenen Probleme, für die noch keine Lösungsansätze vorhanden sind. Identifizierung der vorgeschlagenen Maßnahmen, die bisher weder berücksichtigt noch von den Mitgliedstaaten umgesetzt wurden.

4.5

Wenn diese allgemeine Analyse abgeschlossen ist, müsste die Situation der jungen Menschen auf systematische Weise bestimmt werden, indem die Jugendlichen in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Situation oder Problematik in verschiedene Zielgruppen eingeteilt werden, wie es bereits in Ziffer 1.5 der Schlussfolgerungen dieses Dokuments erwähnt wurde.

4.6

Mit Hilfe dieser Analyse und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Hintergründe der verschiedenen genannten Gruppen vollkommen unterschiedlich sind, lassen sich die Tätigkeiten der europäischen Institutionen und Mitgliedstaaten auf die Annahme von spezifischeren und somit weniger allgemein gehaltenen Maßnahmen ausrichten. Auf diese Weise ließe sich die Wirksamkeit der Maßnahmen steigern, und die Mobilitätsprobleme könnten effizienter gelöst werden.

4.7

In seiner Eigenschaft als Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft und als beratendes Organ mit weitreichenden Erfahrungen bei der Analyse und Lösung von Problemen im Zusammenhang mit der Mobilität im Allgemeinen und der Verbesserung der Arbeitsmarktsituation junger Menschen im Konkreten (19) bietet der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Kommission seine Zusammenarbeit an, um die oben genannten Ziele zu erreichen. Die Mobilität junger Arbeitskräfte sollte durch spezifische Maßnahmen gefördert werden, deren Wirkung durch Bestimmungen, die für alle Bürger hinsichtlich der Übertragbarkeit von Rechten gelten, noch gesteigert würde. Die Erfahrungen des Ausschusses und seine Nähe zur Gesellschaft machen ihn in diesem Bereich zum notwendigen Gesprächspartner.

4.8

Doch ist sich der Ausschuss bewusst, dass zurzeit Maßnahmen angenommen werden, um konkrete Probleme zu lösen, die noch vor Jahren wirkliche rechtlich-administrative Hindernisse für die Mobilität darstellten, und dass diese Hindernisse immer weiter in den Hintergrund treten. Aber ebenso muss er darauf hinweisen, dass weiterhin große Hindernisse bestehen, von denen als repräsentativstes Beispiel die Anerkennung und Validierung von Wissen und Fähigkeiten zu nennen ist. Der Europäische Qualifikationsrahmen kann eine Lösung für dieses Problem bieten. Jedoch wurde bereits in der damals vom EWSA zu diesem Thema erarbeiteten Stellungnahme (20) auf die Schwierigkeiten bei dessen Umsetzung hingewiesen.

4.9

Neben dem bereits Gesagten wird der EWSA, ganz im Sinne einer rein konstruktiven Kritik, von der seine Stellungnahmen stets geleitet werden, grundsätzlich alle Handlungen unterstützen, die zur Beseitigung der Hindernisse bei der Ausübung des Rechts auf Mobilität und Freizügigkeit dienen. Manchmal treten diese Hindernisse jedoch in Form von Situationen auf, die nicht in den rechtlich-administrativen Bereich fallen. In diesem Zusammenhang erwähnen lassen sich zum einen Probleme wie unzureichende finanzielle Ressourcen junger Menschen, durch die deren Teilnahme an Mobilitätsprogrammen zum Teil verhindert wird, und zum anderen Schwierigkeiten beim Fremdsprachenerwerb, die eine unüberwindliche Hürde für den Zugang zu anderen Ländern darstellen können, sowie die Ungewissheit darüber, was den Jugendlichen in dem Aufnahmeland erwartet, über das er unter Umständen noch nicht einmal das Nötigste weiß. Dies sind Probleme, zu deren Lösung keine bedeutenden Rechtsvorschriften nötig sind, sondern Handlungskompetenz gefragt ist. In Dokumenten wie dem Aktionsplan zur Förderung der Mobilität sind bereits Vorschläge für Maßnahmen aufgenommen worden, die der Entwicklung von Mehrsprachigkeit und finanziellen Partnerschaften, der Demokratisierung der Mobilität durch Bereitstellung der nötigen finanziellen Mittel, der Verbesserung der Aufnahme der jungen Menschen und der Zuerkennung eines angemessenen Status für diese Personen dienen.

4.10

Abschließend möchte der EWSA noch einmal Folgendes betonen: Es ist nicht unbedingt nötig, weitere Hindernisse zu ermitteln und nach neuen Lösungen zu suchen, sondern es müssen möglichst schnell geeignete Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit all das, was bereits ausführlich über die Mobilität gesagt wurde, tatsächlich Gestalt annimmt. Die Einbindung aller Interessengruppen in die Verwirklichung der Mobilität für junge Menschen und eine engagiertere Umsetzung der verschiedenen europäischen Maßnahmen in diesem Bereich können die Grundlagen für eine deutliche Änderung der aktuellen Situation sein.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(96) 462 endg.

(2)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 26.2.1997 zu dem „Grünbuch über Allgemeine und berufliche Bildung — Forschung: Hindernisse für die grenzüberschreitende Mobilität“, Berichterstatter: Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO (ABl. C 133 vom 28.4.1997), Ziffer 3.1.2.

(3)  ABl. C 371 vom 23.12.2000.

(4)  ABl. L 215 vom 9.8.2001.

(5)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 27.4.2000 zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Mobilität von Studierenden, in der Ausbildung stehenden Personen, jungen Freiwilligen, Lehrkräften und Ausbildern in der Gemeinschaft“, Berichterstatterin: Frau HORNUNG-DRAUS (ABl. C 168 vom 16.6.2000).

(6)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 29.11.2000 zum „Weißbuch Jugendpolitik“, Berichterstatterin: Frau HASSETT (ABL. C 116 vom 20.4.2001).

(7)  ABl. L 158 vom 30.4.2004.

(8)  ABl. L 166 vom 30.4.2004.

(9)  ABl. L 390 vom 31.12.2004.

(10)  ABl. L 255 vom 30.9.2005.

(11)  ABl. L 394 vom 30.12.2006.

(12)  PE-CONS 3663/07.

(13)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 13.12.2006 zum Thema „Freiwillige Aktivitäten, ihre Rolle in der europäischen Gesellschaft und ihre Auswirkungen“, Berichterstatterin: Frau KOLLER, Mitberichterstatterin: Frau ZU EULENBURG (ABL. C 325 vom 30.12.2006).

(14)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 26.10.2006 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“, Berichterstatterin: Frau LE NOUAIL-MARLIÈRE (ABl. C 324 vom 30.12.2006).

(15)  ABl. L 327 vom 24.11.2006.

(16)  ABl. L 345 vom 31.12.2003.

(17)  ABl. L 327 vom 24.11.2006.

(18)  ABl. L 372 vom 27.12.2006.

(19)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 12.3.2008 zum Thema „Die Rolle der Sozialpartner bei der Verbesserung der Lage junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt“, Berichterstatter: Herr SOARES, Mitberichterstatterin: Frau PÄÄRENDSON, CESE 500/2008.

(20)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 30.5.2007 zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen, Berichterstatter: Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO (ABl. C 175 vom 27.7.2007).


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/106


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010)“

KOM(2007) 797 endg. — 2007/0278 (COD)

(2008/C 224/24)

Der Rat beschloss am 30. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010)“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr PATER; Mitberichterstatterin Frau KOLLER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 116 Ja-Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Standpunkte des EWSA

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Vorschlag der Kommission, das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung auszurufen. Mit dieser wichtigen Initiative kann die Gesellschaft für die in Europa nach wie vor bestehende Armut und Ausgrenzung sensibilisiert sowie Unterstützung für wirksame Methoden zur Bekämpfung dieser Phänomene gewonnen werden.

1.2

Der EWSA begrüßt den facettenreichen Ansatz zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, die sich nicht nur auf den Fortbestand relativer Einkommensunterschiede reduzieren lassen. Um wirksam die Botschaft zu vermitteln, dass Armut und soziale Ausgrenzung auf einem so wohlhabenden Kontinent wie Europa unduldbare Zustände sind und um die für ihre wirksame Bekämpfung notwendige Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen, sollten sich die Veranstaltungen im Rahmen des Europäischen Jahres 2010 auf Armutsindikatoren stützen, die die Bandbreite der tatsächlichen materiellen Not, ihren Umfang und ihr Ausmaß wiedergeben sowie die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern der EU berücksichtigen.

1.3

Die Themen des Europäischen Jahres 2010 sollten klar, sorgfältig ausgewählt und bereichsübergreifend sein. Zur Reduzierung von Armut und sozialer Ausgrenzung durch berufliche und soziale Mobilisierung müssen zunächst mehr und bessere soziale Unterstützungssysteme und -programme geschaffen werden. Sozialpolitik ist somit ein wirklich produktiver Faktor. Da die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung im Interesse jedes einzelnen Bürgers liegt, sollten alle ihren Beitrag zur Erreichung dieses Ziels leisten. Das soll jedoch keinesfalls verdecken, dass die Aufgabe, den Kampf gegen Armut und Marginalisierung zu führen, in erster Linie bei der Politik und somit den staatlichen und nachgelagerten Institutionen sowie allen gesellschaftlichen Akteuren liegt.

1.4

Das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung sollte Gelegenheit bieten, die Notwendigkeit einer Modernisierung und Stärkung des europäischen Sozialmodells und die sich daraus ergebenden Folgen in der Gesellschaft stärker bekannt zu machen. Die aktive soziale Eingliederung ist angesichts der weltweiten Finanz- und Nahrungsmittelkrise, der Globalisierung und des demografischen Wandels in Europa für die Wahrung und den Fortbestand des Zusammenhalts und der Solidarität in einer Gesellschaft unverzichtbar. Sie setzen jedoch voraus, dass viele Europäer ihren bisherigen Lebensstil ändern. Die Angst vor unsicheren Arbeitsverhältnissen geht um. Die Veranstaltungen im Rahmen des Europäischen Jahres sollten dazu genutzt werden, die Öffentlichkeit in stärkerem Maße für die Unterstützung dieser Reformen zu gewinnen.

1.5

Das Europäische Jahr 2010 sollte auch als Plattform für eine öffentliche Debatte über die Möglichkeiten dienen, wie sozialer Zusammenhalt bei zunehmenden Einkommensunterschieden in Europa gewahrt und gefördert werden kann. Innovative und integrierte Antworten vonseiten der Politik sind hier gefragt.

Der EWSA weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein erfolgreicher Kampf gegen Armut und Ausgrenzung ein Mitwirken vieler Politikbereiche erfordert. So muss auch die faire Verteilung des erarbeiteten Wohlstands viel stärker als bisher auch auf EU-Ebene zu einem bestimmenden politischen Ziel gemacht werden.

So sollte in den im vorliegenden Vorschlag für einen Beschluss dargelegten Zielen für das Jahr zur Armutsbekämpfung auch besser zum Ausdruck kommen, welche Bedeutung einer aktiven Politik zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung bei der Erreichung der Wachstums- und Beschäftigungsziele der EU zukommt (1).

Voraussetzung für deren Wirksamkeit ist die kontinuierliche Einbindung der Sozialpartner und zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie die aktive Einbeziehung und Beteiligung von Bürgern bei der Weiterentwicklung der lokalen Gemeinwesen.

1.6

Der EWSA ist der Meinung, dass die operationelle Seite der geplanten Initiative gut durchdacht ist. Besonders erwähnenswert ist die Tatsache, dass der Vorschlag den landesspezifischen Charakteristika durch enge Zusammenarbeit mit Sozialpartnern und anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen sowie direkter Beteiligung der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Personen gebührend Rechnung trägt.

1.7

Der Ausschuss würdigt die Tatsache, dass für die Verwirklichung der Ziele des Europäischen Jahres zur Armutsbekämpfung mehr Finanzmittel veranschlagt wurden, als dies bislang bei einem EU-Projekt dieser Art der Fall war. Angesichts des Umfangs der geplanten Maßnahmen spricht er sich jedoch für eine Aufstockung dieser Finanzmittel aus.

2.   Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags

2.1

Mit dem Beschluss, das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung auszurufen, soll ein Beitrag geleistet werden zur Verwirklichung des in der Lissabon-Strategie festgelegten und in der zweiten Sozialpolitischen Agenda 2005-2010 (2) bekräftigten Ziels, die Beseitigung der Armut „entscheidend voranzubringen“.

2.2

Die im Rahmen dieses Jahres zu ergreifenden Maßnahmen werden schwerpunktmäßig folgende Ziele beinhalten: (1) Anerkennung des Rechts der von Armut und sozialer Ausgrenzung Betroffenen auf ein Leben in Würde und auf Teilhabe an der Gesellschaft, (2) Identifizierung, d.h. Übernahme einer Mitverantwortung für die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung durch jeden Einzelnen, (3) Zusammenhalt, d.h. die Überzeugung, dass der Erhalt des gesellschaftlichen Zusammenhalts im Interesse aller ist, sowie (4) Engagement, d.h. Bekräftigung des politischen Willens der EU, die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung als prioritäres Ziel anzusehen.

2.3

Zu den auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen zählen Treffen und Konferenzen, Informations- und Werbekampagnen sowie Forschungsarbeiten und Berichte. Diese Maßnahmen sollten alle Stakeholder einbeziehen und die Möglichkeit bieten, dass die Bedürfnisse und Ansichten der von Armut und Ausgrenzung Betroffenen zur Sprache gebracht und angehört werden.

2.4

Für die Umsetzung von Maßnahmen im Rahmen dieses Jahres sind 17 Mio. EUR aus dem EU-Haushalt vorgesehen. Aufgestockt durch den geplanten finanziellen Beitrag der öffentlichen und privaten Einrichtungen der Mitgliedstaaten kann sich die Summe von 26,175 Mio. EUR ergeben.

3.   Allgemeine Anmerkungen zu dem Ziel des Vorhabens

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission, der bei entsprechender Umsetzung dazu beitragen kann, das Bewusstsein in der Gesellschaft zu schärfen und die öffentliche Diskussion über eine entschlossene und wirksame Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu beleben.

3.2

Der EWSA sieht das Thema des Jahres als wichtig und aktuell an. Es wird nicht nur in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, sondern deren Bewusstsein auch dauerhaft schärfen. Der EWSA unterstützt die allgemeinen und besonderen Ziele, die spezifischen Themen des Jahres sowie die vorgeschlagenen Methoden für ihre Umsetzung. Die folgenden Anmerkungen sollen dazu beitragen, das Europäische Jahr in der Öffentlichkeit besser bekannt zu machen und seine politische Wirkung zu stärken.

3.3

Voraussetzung für den Schutz und die Verbesserung der Lebensqualität aller Europäer ist ihre Überzeugung, dass Armut und soziale Ausgrenzung im relativ wohlhabenden Europa wirksam bekämpft werden müssen. Die Veranstaltungen im Rahmen des Europäischen Jahres sollten diese Überzeugung der Europäer aller gesellschaftlichen und ökonomischen Schichten stärken.

3.4

Die Veranstaltungen sollten daher auf den Erkenntnissen und den Erfahrungen beruhen, die seit der Festlegung der Europäischen Strategie zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung durch den Europäischen Rat von Nizza im Jahr 2000 gesammelt werden konnten. Synergien mit Veranstaltungen anderer Organisatoren, wie etwa dem Europarat in Zusammenhang mit dem Bericht der Hochrangigen Task Force zum sozialen Zusammenhalt im 21. Jahrhundert (3) oder den Vereinten Nationen in Zusammenhang mit der jährlichen Begehung des 17. Oktober — dem Internationalen Tag zur Bekämpfung von Armut, sollten sichergestellt werden.

3.5

Der EWSA weist darauf hin, dass eine Reihe von Themen, die in früheren Stellungnahmen (4) behandelt wurden, im Rahmen der Veranstaltungen zum Europäischen Jahr wieder aufgegriffen werden sollten:

Förderung einer modernisierten Sozialpolitik als echten Produktionsfaktor zur beruflichen Mobilisierung der arbeitsfähigen Bevölkerung und zur sozialen Mobilisierung der Bevölkerung insgesamt;

Modernisierung des Europäischen Sozialmodells im weiteren Sinne, dahingehend, dass die neuen Herausforderungen in den Bereichen Beschäftigung, soziale Eingliederung und Armutsbekämpfung sowie die sozialen Folgen der Globalisierung gemeistert werden und ein „für alle seine Bürger demokratisches, umweltfreundliches, wettbewerbsfähiges, solidarisches, sozial inklusives und wohlfahrtsstaatliches Europa“ (5) gewahrt werden kann.

Notwendigkeit effektiverer politischer Maßnahmen, die auf die Eingliederung diskriminierter oder anderweitig benachteiligter Gruppen, insbesondere der von Armut bedrohten und in unsicheren Verhältnissen Beschäftigten, in den Arbeitsmarkt abzielen (6).

Notwendigkeit einer offenen öffentlichen Debatte und Förderung einer Modernisierungsrichtung hin zur Mobilisierung von Arbeitskräften und sozialer Beteiligung; der EWSA hält in seiner Stellungnahme fest: „Wenn das europäische Sozialmodell bei der Gestaltung der europäischen Gesellschaft von morgen von Nutzen sein soll, muss es ein dynamisches Modell sein, das für Herausforderungen, Veränderung und Reform offen ist“ und bemerkt ferner dass „der Bestand des europäischen Sozialmodells […] von der Unterstützung abhängen [wird], die ihm die EU-Bürger entgegenbringen, und von dem inneren Gefühl, das ihnen dafür vermittelt werden kann“ (7);

deutliche Schwerpunktsetzung auf lokale Maßnahmen, Sozialpartner, Einbeziehung der Zivilgesellschaft sowie Förderung und Wertschätzung von Bürgerengagement, insbesondere bei der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung;

Notwendigkeit umfassender Ansätze über die traditionelle Beschäftigungs- und Sozialpolitik hinaus hin zu einer Wirtschafts-, Bildungs-, Regional-, Kultur und Infrastrukturpolitik, die eigens die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung im Blick hat;

Anerkennung der Tatsache, dass Männer und Frauen von Armut in unterschiedlichem Maße betroffen sind sowie Konzipierung einer entsprechende Sozialpolitik;

Notwendigkeit einer wirksameren Methode der offenen Koordinierung auf europäischer Ebene im Bereich Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung;

Einbettung von Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung in den internationalen Kontext, insbesondere durch die Förderung von Grundrechten am Arbeitsplatz und Normen für menschenwürdige Arbeit in der ganzen Welt.

Im folgenden Text werden einige für die Veranstaltungen des Europäischen Jahres besonders wichtige Aspekte dieser Überlegungen weiterentwickelt.

3.6

In diesem Jahr sollte die Aufmerksamkeit auf mögliche positive Maßnahmen gerichtet werden:

Bekämpfung der Schwarzarbeit;

aktive Maßnahmen zugunsten der beruflichen Wiedereingliederung;

Investitionen in beschäftigungswirksame Tätigkeiten der Industrie und des Dienstleistungssektors sowie die Bewertung der möglichen negativen oder erschwerenden Auswirkungen, insbesondere;

die künftigen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum während und nach dem Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung;

die Auswirkungen auf die Energie- und Nahrungsmittelsituation der am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen oder derer, die in Armut oder großer Armut leben.

4.   Wirksamere Übermittlung der Botschaft

4.1

In dem Beschluss zur Ausrufung des Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung wird hervorgehoben, dass 78 Millionen Menschen in der EU, d.h. 16 % der Bevölkerung von Armut, bedroht sind. Der EWSA ist der Auffassung, dass im Hinblick auf eine wirksame Übermittlung der politischen Botschaft des Europäischen Jahres neben dem geläufigen Indikator zur relativen Einkommensarmut auch andere Armutsindikatoren herangezogen werden sollten, um die Dauerhaftigkeit von Armut und die tatsächliche Notlage, unter der viele Europäer noch immer leiden, aufzuzeigen. Auch die Veranstaltungen im Rahmen des Europäischen Jahres sollten folglich einen umfassenden Satz von Indikatoren relativer und absoluter Armut heranziehen, um die breite Öffentlichkeit für die Situationen, die sich dahinter verbergen, zu sensibilisieren und ihr das Gefühl für die Unduldsamkeit der Situation zu vermitteln.

4.2

Der Ausschuss macht ferner darauf aufmerksam, dass die verwendeten Indikatoren das Problem der Armut und sozialen Ausgrenzung „beschreiben“ sollen. In Zusammenhang mit den Herausforderungen für den sozialen Zusammenhalt in der EU und die sich daraus ergebende Modernisierung des europäischen Sozialmodells ist darauf zu achten, dass diese Indikatoren auch von ausgewogenen politischen Maßnahmen begleitet werden, zu denen eine gerechtere Einkommensverteilung und eine angemessen finanzierte und verwaltete Flexicurity-Politik auf dem Arbeitsmarkt ebenso gehören wie die aktive soziale Integration. Ein solches „dynamisches Modell“ der Sozial- und Beschäftigungspolitik hat der EWSA in seiner entsprechenden Stellungnahme (8) vorgeschlagen.

4.3

Nach Ansicht des EWSA hat die Kommission zu Recht erkannt, dass die Vielschichtigkeit von Armut und sozialer Ausgrenzung angemessene Maßnahmen erfordert. In ihrer Mitteilung zur Europäischen Sozialagenda 2005-2010, in der die Mitgliedstaaten unter anderem dazu angehalten werden sollten, die Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung auszubauen, abzustimmen und zu vereinfachen, ergänzte die Kommission ganz zu Recht den Indikator für relative Armut um den Indikator für dauerhafte Armut (9). Mit ihrem späteren Vorschlag, auch die Bereiche Sozialschutz, Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege in diese verstärkte Koordination einzubeziehen, weist die Kommission zugleich darauf hin, dass den „Indikatoren zur Messung von Benachteiligung“ (10) größere Bedeutung beigemessen werden muss.

4.4

Im Hinblick auf das oben Gesagte ist der Ausschuss der Ansicht, dass der Beschluss zur Ausrufung eines Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 sich auf Armutsindikatoren stützen sollte, die das Ausmaß der Benachteiligung, die Bereiche, in denen sie auftritt, und ihre Schwere besser erfassen. Die arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Maßnahmen der EU und der einzelnen Mitgliedstaaten, die sich an von extremer oder absoluter Armut bedrohte oder bereits betroffene Einzelpersonen bzw. Kreise richten, würden auf diese Weise breitere Wahrnehmung und Unterstützung in der Gesellschaft finden (11).

5.   Die wichtigsten Themen des Jahres und geplante Maßnahmen

5.1

Armut ist ein vielschichtiges Phänomen, dessen Risiken in der Gesellschaft ungleich verteilt sind. Vor allem bei Kombination mit anderen Risikofaktoren werden bestimmte Gruppen besonders armutsanfällig.

5.2

Armut steht in der Regel in Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit, insbesondere mit Langzeitarbeitslosigkeit. Aus diesem Grund, so heißt es im Gemeinsamen Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2007, sei „ein Arbeitsplatz der beste Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung ...“ (12). Darüber hinaus wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass dies nicht der einzige Schutz sein kann. Das Phänomen der unter der Armutsgrenze lebenden Erwerbstätigen macht dies mehr als deutlich.

5.3

Armut kann auch in Zusammenhang stehen mit geringer Qualifikation, mit fehlender Qualifikation für einen zur Verfügung stehenden Arbeitsplatz oder mit Qualifikationen, die für einen qualifizierten Arbeitsplatz mit entsprechender Bezahlung nicht ausreichend sind. Diese Risiken bestehen insbesondere für junge Menschen, insbesondere frühe Schulabbrecher sowie ältere Arbeitnehmer.

5.4

Auch durch ungenügend strukturierte Regelungen für die Einkommenssicherung, die für die Arbeitssuche auf dem regulären Arbeitsmarkt demotivierend wirken und letztlich Menschen auch im hohen Alter zu Armut verurteilen, können Menschen in die Armutsfalle geraten.

5.5

Ebenfalls ein Risikofaktor kann die Familienstruktur sein: Alleinverdiener, vor allem Alleinerziehende oder Familien mit drei oder mehr Kindern sind dem Armutsrisiko ausgesetzt. Eine Familienauflösung oder der Verlust des Arbeitsplatzes und damit verbunden der Verlust eines Hauses ist eine potentiell risikoreiche Situation.

5.6

Gleichermaßen gehören Personen mit schwacher Gesundheit (z.B. altersbedingt), eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten, Menschen mit Behinderungen, insbesondere bei geringer Qualifikation sowie Drogenabhängige zu den Gruppen, die einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt sind.

5.7

Gefährdet sind auch Personen, die in Randlagen oder anderen benachteiligten Regionen leben.

5.8

Eine besondere Gruppe bilden in diesem Zusammenhang Migranten und ethnische Minderheiten, die oft nicht über ausreichende soziale und sprachliche Fähigkeiten verfügen und/oder sich nur bedingt kulturell integrieren und überdies Opfer von Diskriminierungen sein können.

5.9

Die oben aufgeführten Beispiele zeigen das Ausmaß des Problems und die Schwierigkeit wirksamer politischer Gegenmaßnahmen. Um Armut und soziale Ausgrenzung deutlich zu reduzieren, müssen die Behörden auf allen Ebenen in ihren Anstrengungen von den Sozialpartnern, den Organisationen der Zivilgesellschaft und den einzelnen Bürgern unterstützt werden. Zugleich tritt hier auch ein Paradox zutage: wenn alle arbeitsfähigen Personen vornehmlich durch Beschäftigung sozial integriert werden sollen, um so einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum Europas zu leisten und die Folgen des Bevölkerungsrückgangs zu mildern, so werden eher mehr als weniger und auch bessere Unterstützungssysteme und -programme gebraucht. Diese beiden Themen sollten während des Europäischen Jahres im Vordergrund stehen.

5.10

Der Ausschuss ist der Meinung, dass die allgemeinen Ziele, die speziellen Ziele und die Themenbereiche für Maßnahmen des Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung Ausdruck der Suche nach einem neuen Gleichgewicht zwischen dem gesellschaftlichen Erfordernis der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit und dem individuellen Sicherheitsbedürfnis sind. Eine solche Anpassung ist notwendig aufgrund der Globalisierung, des demografischen Wandels, des technischen Fortschritts und der Entwicklungen auf dem europäischen Arbeitsmarkt; sie impliziert auch bedeutende Veränderungen im Lebensstil vieler Europäer. Überdies müssen die Arbeitsmarkt- und die Sozialpolitik modernisiert und verbessert werden, um den notwendigen Wandel zu ermöglichen und den Menschen ein nachhaltiges, angemessen verwaltetes und finanziertes Sicherheitsnetz zu bieten. Während manche Menschen von den neuen Arbeitsmärkten und Mobilisierungsprogrammen profitieren, nehmen andere diese als Bedrohung für ihren gesellschaftlichen und beruflichen Status wahr. Nach Ansicht des EWSA sollten die Veranstaltungen im Rahmen des Europäischen Jahres sich mit diesen ernstzunehmenden Sorgen befassen (13).

5.11

Im Hinblick auf die Menschen, die von Arbeitslosigkeit und/oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, lassen sich durch die gegenwärtige stärkere Gewichtung beruflicher Aktivierungsmaßnahmen für alle arbeitsfähigen Personen deren Fähigkeiten zum Wohle der Allgemeinheit nutzen und kann ihrem individuellen Bedürfnis nach beruflichem und sozialem Aufstieg Rechnung getragen werden (14). Neben einer angemessenen Einkommensunterstützung wird einem besseren allgemeinen Zugang zu sozialen Dienstleistungen, insbesondere Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie Maßnahmen für eine möglichst lange Erhaltung ihrer Gesundheit, immer mehr Bedeutung beigemessen. Um jedoch von diesen Möglichkeiten zu profitieren, ist weitaus mehr individuelle Aktivität, Initiative, geistige Anstrengung und Zusammenarbeit mit verschiedenen Unterstützungssystemen erforderlich als je zuvor. Es besteht ein enormer Bedarf, den Menschen den Sinn dieser Maßnahmen und der Anstrengungen, die sie erfordern, zu erläutern, um so die Akzeptanz seitens der breiten Öffentlichkeit zu gewinnen (15). Die Veranstaltungen im Rahmen des Jahres zur Bekämpfung und sozialer Ausgrenzung sollten hierzu einen Beitrag leisten. In den im vorliegenden Vorschlag für einen Beschluss dargelegten Zielen für das Jahr zur Armutsbekämpfung sollte besser zum Ausdruck kommen, welche Bedeutung einer aktiven Politik zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung bei der Erreichung der Wachstums- und Beschäftigungsziele der EU zukommt (16). Es sollte im Rahmen der Veranstaltungen des Europäischen Jahres besser vermittelt und überzeugend dargelegt werden, dass eine Modernisierung und Verbesserung der Sozialpolitik zu einem besseren Funktionieren des Arbeitsmarktes und somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt. Das Gleiche gilt für die Erkenntnis, dass angemessene Einkommenssicherungsmaßnahmen denjenigen zugute kommen, die von Arbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, als sie die verschiedenen Belastungen, durch die diese Personen vom offiziellen Arbeitsmarkt ferngehalten werden, zu reduzieren helfen. Diese Maßnahmen tragen zugleich zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft bei.

5.12

Der vorliegende Vorschlag für einen Beschluss enthält bisweilen Feststellungen, die präzisiert werden sollten.

5.13

Zu den von einem hohen Armuts- und/oder Ausgrenzungsrisiko betroffenen Gruppen werden „Kinder, Alleinerziehende, [..], Migranten und Angehörige ethnischer Minderheiten, Behinderte, Obdachlose, Strafgefangene, Frauen und Kinder, die Opfer von Gewalt geworden sind, sowie schwer Drogenabhängige“ (17) gezählt, ohne dass dies näher erläutert würde. Dies kann nach Ansicht des EWSA kontraproduktiv sein. Die genannten Gruppen bei einer solchen Formulierung umfassen sowohl Personen, die vom Armutsrisiko betroffen sind, als auch jene, die nicht von diesem Risiko betroffen sind. Wie bereits erwähnt, ist es in der Regel mangelnde Qualifikation und/oder ein ungünstiges Verhältnis Familienmitglieder/Verdiener, durch die diese Personengruppen einem Armutsrisiko ausgesetzt sind.

6.   Sozialer Zusammenhalt vor dem Hintergrund anhaltender und zunehmender Einkommensunterschiede

6.1

Im Rahmen des Europäischen Jahres 2010 kann außerdem der Anstoß für eine öffentliche Debatte darüber gegeben werden, welche Probleme für die gesellschaftliche Solidarität und den sozialen Zusammenhalt im Zuge der Umgestaltung Europas zu einer wissensbasierten Gesellschaft und Wirtschaft bestehen bzw. zu erwarten sind, und wie der demografische Wandel zu bewältigen ist (18). Überlegungen dieser Art sind insofern besonders notwendig, als Europa über die Mittel verfügt, um Armut und soziale Ausgrenzung entscheidend zu reduzieren.

6.2

Indes verfügen zu viele Jugendliche bei ihrem Schulabgang nicht über die Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten, die für eine erfolgreiche Berufslaufbahn in der neuen Wirtschaft erforderlich sind. Wirksame Gegenmaßnahmen sind erforderlich, um nicht nur deren soziale Ausgrenzung abzufangen, sondern auch um die Nachfrage der Wirtschaft nach qualifizierten Arbeitnehmern zu befriedigen. Überdies ist in Europa eine zunehmende Zweiteilung des Arbeitsmarktes in ein hochqualifiziertes und gut bezahltes Segment einerseits und ein gering qualifiziertes und schlecht bezahltes Segment andererseits und entsprechende Einkommensunterschiede zu beobachten. Eine von der europäischen Bevölkerung akzeptierte Vision ist zu entwickeln, wie soziale Gerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt gewahrt und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der EU in der globalen Wirtschaft aufrechterhalten werden kann.

6.3

Sozialer Zusammenhalt wird nur durch auf Behördenebene konzipierte Maßnahmen ohne ergänzende Initiativen der Bürgerinnen und Bürger selbst nicht gewährleistet werden. So wie der Europäische Rat von Nizza im Jahr 2000 die Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Organisationen als Schlüssel für eine erfolgreiche Kräftemobilisierung zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung anerkannt hat, sollte nach Auffassung des EWSA auch die Bedeutung des individuellen Engagements aller Bürger beim Aufbau lokaler Gemeinschaften anerkannt und während dieses Jahres weiter gefördert werden. In diesem Zusammenhang sollte vermittelt werden, dass Bürgerengagement im Interesse jedes einzelnen Mitglieds der Gemeinschaft liegt — unabhängig vom jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Status.

6.4

Der EWSA weist auf seine Stellungnahme zu freiwilligen Aktivitäten hin, in der unter anderem betont wird, dass „die Regierungen der Mitgliedstaaten […] dazu angeregt werden [sollten], eine eigene Freiwilligenpolitik und eine Strategie zu entwerfen, wie freiwillige Tätigkeiten direkt gefördert und anerkannt werden können. Im Rahmen dieser nationalen Freiwilligenpolitik sollte auch die Rolle einer Infrastruktur für freiwillige Aktivitäten beleuchtet werden“ (19). Menschen, die gerne ihre Zeit und ihre Fähigkeiten der Gemeinschaft, in der sie leben, zur Verfügung stellen wollen, sollen zumindest nicht durch rechtliche oder bürokratische Hindernisse davon abgehalten werden (20). Obwohl der EWSA noch immer der Auffassung ist, dass für die freiwillige Tätigkeit ein eigenes europäisches Jahr ausgerufen werden sollte, sind wichtige Aspekte des Bürgerengagements auch während der Veranstaltungen des Europäischen Jahres 2010 herauszustellen.

6.5

Der EWSA weist nachdrücklich darauf hin, dass die Veranstaltungen im Rahmen des Europäischen Jahres nicht den Eindruck vermitteln dürfen, dass bei der gegenwärtig geförderten Politik der Flexicurity und der aktiven Eingliederung, nur die Arbeitgeber, die Regierungen und diejenigen Personen, die Nutznießer von Arbeitsmarkt- und Sozialschutzprogrammen sind, Anstrengungen unternehmen müssen, um Arbeitslosigkeit und Armut zu entkommen (und somit einen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt zu leisten). Stattdessen sollte verdeutlicht werden, dass jeder einzelne Bürger hier Verantwortung trägt.

6.6

Der näheren Überlegung wert wäre zudem der Aspekt, dass bei fortdauernden oder gar wachsenden Einkommensunterschieden die Wahrung des sozialen Zusammenhalts auch durch die Entwicklung von qualitativ hochwertigen öffentlichen Räumen erleichtert werden kann (städtische Räume, Schulen, Hochschulen, Bibliotheken, Parks, Erholungsgebiete), in denen Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Status' gerne zusammenkommen und ihre Zeit verbringen.

6.7

Die hier skizzierten neuen Herausforderungen und Zwickmühlen für den sozialen Zusammenhalt und die Politik werden größtenteils in den allgemeinen Zielen berücksichtigt, die in dem vorliegenden Vorschlag für einen Beschluss dargelegt werden. Sie müssten jedoch deutlicher zum Ausdruck gebracht werden, um im Rahmen des geplanten Europäischen Jahres den Anstoß für eine sinnvolle gesellschaftliche Debatte zu geben. Die hier skizzierten möglichen Maßnahmen zur Förderung des sozialen Zusammenhalts können eine Ergänzung darstellen zu der Debatte 2010 über die Konzepte der aktiven sozialen Eingliederung und der wirksamen arbeitsmarktpolitische Maßnahmen.

7.   Die Sozialpolitik im weitesten Sinne

7.1

Nach Auffassung des EWSA kann mithilfe des vorgeschlagenen Europäischen Jahres und insbesondere des Artikels über den Inhalt der Maßnahmen aufgezeigt und verdeutlicht werden, dass die Verwirklichung des in der Lissabon-Strategie verankerten Ziels, bis zum Jahr 2010 die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung bedeutend voranzutreiben, vielschichtiger Maßnahmen bedarf (21).

7.2

Im Rahmen der Aufklärungskampagnen des Europäischen Jahres sollte darum bei der Bevölkerung der einzelnen Mitgliedstaaten u.a. ein Bewusstsein für jene Faktoren geschaffen werden, die für das künftige Ruhegehalt relevant sind und zu Maßnahmen angeregt werden, die im Ruhestand einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen.

7.3

Nach Auffassung des EWSA muss im Laufe dieses Europäischen Jahres auch geprüft werden, wie die Europäische Zentralbank ihre ihr im Vertrag verliehenen Befugnisse nutzen und zur Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung beitragen könnte.

7.4

Nach Auffassung des EWSA muss darauf hingewiesen werden, dass soziale Ausgrenzung durch politische Maßnahmen reduziert werden könnte, die über die traditionellen Bereiche Arbeitsmarkt und Sozialschutz hinausgehen, etwa im Bereich der Raumplanung, um die Bildung von Armutsghettos zu verhindern, oder auch im Verkehrsbereich, um geographische Hindernisse für die soziale Mobilität zu verringern, und im Bereich der Wirtschaftspolitik, um Randzonen zum Aufschwung zu verhelfen, ebenso wie im Bereich der Sicherung der Daseinsvorsorge und der Verteilungspolitik, um die seit Jahren zu beobachtende Tendenz zu einem immer weiteren Auseinanderfallen von Arm und Reich umzukehren.

7.5

In diesem Zusammenhang verweist der EWSA auch auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, die sich nach der EU-Erweiterung noch verschärft haben. Wie in einer der Studien festgestellt wurde, sind „die ‚Ärmsten‘ in den ‚reichen Ländern‘ weniger von materieller Entbehrung betroffen […] als die ‚Reichsten‘ in den ‚armen Ländern‘“ (22). Dies zeigt deutlich, dass wirksame Maßnahmen für den sozioökonomischen Zusammenhalt und die Reduzierung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Unterschiede innerhalb der EU notwendig sind, um materielle Not und Ausgrenzung zu verringern. Hierdurch würden sich wiederum neue Möglichkeiten ergeben, die Methode der offenen Koordinierung der EU-Sozialpolitik weiter zu entwickeln (23). Diesem Gesichtspunkt könnten bei den Veranstaltungen im Rahmen des Europäischen Jahres besondere Aufmerksamkeit und weitere Überlegungen gewidmet werden.

8.   Bemerkungen zur Durchführung des geplanten Projekts

8.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass die praktische Durchführung des Europäischen Jahres gut durchdacht ist, da dabei die einzelstaatlichen Prioritäten angemessen berücksichtigt werden und konkrete Fragen (z.B. die heikle Frage der beruflichen und gesellschaftlichen Integration von Migranten und ethnischen Minderheiten) besondere Beachtung finden sollen. Wichtig ist auch die vorgesehene enge Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und Organisationen der Zivilgesellschaft.

8.2

Durch die Hervorhebung der Mitwirkung der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft an der Durchführung der Maßnahmen des Europäischen Jahres wird unterstrichen, dass diese unentbehrlich sind bei der Umsetzung der Sozialagenda der Lissabon-Strategie, die im Jahr 2000 mit der Festlegung der Europäischen Strategie zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung durch den Europäischen Rat von Nizza festgeschrieben wurde. Umso mehr müssen die behördlichen Maßnahmen heute ergänzt, angepasst und mithilfe von Initiativen, die von der Basis ausgehen, gestärkt werden. Wichtig ist es ferner, dass bei der Konzipierung und Umsetzung der Sozialpolitik auch jene Menschen angemessen zu Wort kommen, an die sich diese Politik richtet. Deshalb wurden diese Organisation zu Recht aufgefordert, sich aktiv an der Verwirklichung der Ziele des Europäischen Jahres 2010 zu beteiligen.

8.3

Der Ausschuss würdigt die Tatsache, dass für die Verwirklichung der Ziele des Europäischen Jahres zur Armutsbekämpfung mehr Finanzmittel veranschlagt wurden, als dies bislang in der EU bei einem Projekt dieser Art der Fall war. Der EWSA ist aber der Auffassung, dass die wirksame Umsetzung der im Anhang zum vorliegenden Vorschlag aufgeführten Maßnahmen mehr finanzielle Ressourcen erfordern wird, und spricht sich für eine Aufstockung des für die Maßnahmen des Europäischen Rates vorgesehen Betrags aus.

8.4

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass bei der Konzipierung und Durchführung der Maßnahmen des Europäischen Jahres die unterschiedlichen Erfahrungen berücksichtigt werden, die Frauen und Männer mit Armut und sozialer Ausgrenzung machen.

8.5

Nach Ansicht des EWSA sollten die im Anhang aufgelisteten Prioritäten für das Europäische Jahr um den Punkt „Armut von Arbeitnehmern in prekären Beschäftigungsverhältnissen“ ergänzt werden. Die Problematik behinderter Menschen sollte hingegen gesondert behandelt und nicht in direktem Zusammenhang mit anderen gefährdeten Gruppen genannt werden.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe zum Beispiel die EWSA-Stellungnahme vom 18.1.2007 zum Thema „Der Zustand der europäischen Gesellschaft — eine Bestandsaufnahme“, Ziffer 2.2, Berichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 93 vom 27.4.2007) und die EWSA-Stellungnahme vom 13.7.2005 zu der „Mitteilung der Kommission — Sozialpolitische Agenda“, Ziffer 6.1, Berichterstatterin: Frau ENGELEN-KEFER (ABl. C 294 vom 25.11.2005).

(2)  Siehe Mitteilung der Kommission „Sozialpolitische Agenda“, KOM(2005) 33 endg. vom 9. Februar 2005, Ziffer 2.2, S. 9.

(3)  „Towards an Active, Fair and Socially Cohesive Europe“ — Bericht der Hochrangigen Task Force zum Sozialen Zusammenhalt im 21. Jahrhundert, Europarat, Straßburg 26. Oktober 2007, TFSC (2007) 31 E.

(4)  EWSA-Stellungnahme vom 13.7.2005 zu der „Mitteilung der Kommission — Sozialpolitische Agenda“, Berichterstatterin: Frau ENGELEN-KEFER (ABl. C 294 vom 25.11.2005); EWSA-Stellungnahme vom 29.5.2005 zum Thema „Armut unter Frauen in Europa“, Berichterstatterin: Frau KING (ABl. C 24 vom 31.1.2006); EWSA-Stellungnahme vom 6.7.2006 zum Thema „Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“, Berichterstatter: Herr EHNMARK (ABl. C 309 vom 16.12.2006); EWSA-Stellungnahme vom 13.12.2006 zum Thema „Freiwillige Aktivitäten, ihre Rolle in der europäischen Gesellschaft und ihre Auswirkungen“, Berichterstatterin: Frau KOLLER, Mitberichterstatterin: Gräfin ZU EULENBURG (ABl. C 325 vom 30.12.2006); EWSA-Stellungnahme vom 18.1.2007 zum Thema „Der Zustand der europäischen Gesellschaft — eine Bestandsaufnahme“, Berichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 93 vom 27.4.2007); EWSA-Stellungnahme vom 25.10.2007 zum Thema „Verschuldung und soziale Ausgrenzung in der Überflussgesellschaft“, Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ (ABl. C 44 vom 16.2.2008); EWSA-Stellungnahme vom 13.12.2007 zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Solidarität zwischen den Generationen fördern“, Berichterstatter: Herr JAHIER (ABl. C 120 vom 16.5.2008).

(5)  EWSA-Stellungnahme vom 6.7.2006 zum Thema „Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“, Ziffer 2.1.2.5. Berichterstatter: Herr EHNMARK (ABl. C 309 vom 16.12.2006).

(6)  EWSA-Stellungnahme vom 12.7.2007 zum Thema „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)“ (Initiativstellungnahme), Berichterstatter: Herr GREIF (ABl. C 256 vom 27.10.2007).

(7)  Siehe EWSA-Stellungnahme vom 6.7.2006 zum Thema „Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“, Ziffer 1.8 und 1.9, Berichterstatter: Herr EHNMARK (ABl. C 309 vom 16.12.2006).

(8)  EWSA-Stellungnahme vom 6.7.2006 zum Thema „Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“, Ziffer 2.4. Berichterstatter: Herr EHNMARK (ABl. C 309 vom 16.12 2006).

(9)  Der Indikator für dauerhafte Armut bezeichnet den Anteil von Personen, die während mindestens zwei der drei vergangenen Jahre von relativer Armut betroffen waren (Definition nach Eurostat).

(10)  Mitteilung der Kommission: „Zusammen arbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union“, KOM(2005) 706 endg. vom 22. Dezember 2005, Ziffer 3.5, S. 9.

(11)  In seinen Stellungnahmen zieht der EWSA häufig spezifischere Beschreibungen von Armut heran, indem er z.B. auf Gruppen von Menschen hinweist, die „mit Entbehrungen und starken Benachteiligungen leben müssen“ (EWSA-Stellungnahme vom 13.12.2007 zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Solidarität zwischen den Generationen fördern, Ziffer 2.5, Berichterstatter: Herr JAHIER, ABl. C 120 vom 16.5.2008), auf „anhaltende Armut“ (EWSA-Stellungnahme vom 29.9.2005 zum Thema „Armut unter Frauen in Europa“, Ziffer 1.7, Berichterstatterin: Frau KING, ABl. C 24 vom 31.1.2006), auf „Armut qualitativ betrachtet“, die bedeutet, dass „die für die Befriedigung der wesentlichen Bedürfnisse des Einzelnen notwendigen materiellen Ressourcen nicht bzw. nicht in ausreichendem Umfang vorhanden sind“ (EWSA-Stellungnahme vom 25.10.2007 zum Thema „Verschuldung und soziale Ausgrenzung in der Überflussgesellschaft“, Ziffer 3.1.3, Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ, ABl. C 44 vom 16.2.2008). In einer seiner Stellungnahmen empfiehlt der Ausschuss der Kommission sogar nachdrücklich, „die Definition von Armut zu überprüfen, da diese lediglich die offenkundigen Ursachen herausstreicht, das Ausmaß der Armut von Frauen und die Auswirkungen dieser Armut aber unterschätzt“ (EWSA-Stellungnahme vom 29.9.2005 zum Thema „Armut unter Frauen in Europa“, Ziffer 2.1, Berichterstattern: Frau KING, ABl. C 24 vom 31.1.2006). Diese Unzulänglichkeit des relativen Armutsindikators trifft natürlich nicht nur auf Frauenarmut, sondern auf Armut generell zu.

(12)  „Gemeinsamer Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2007“, Europäische Kommission (Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaft, 2007), S. 45.

(13)  EWSA-Stellungnahme vom 6.7.2006 zum Thema „Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“, v.a. Ziffern 1.6-1.8; 2.3.1-2.3.5. Berichterstatter: Herr EHNMARK (ABl. C 309 vom 16.12.2006) sowie EWSA-Stellungnahme vom 18.1.2007 zum Thema „Der Zustand der europäischen Gesellschaft — eine Bestandsaufnahme“, v.a. Ziffer 2.4. Berichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 93 vom 27.4.2007).

(14)  Der Bericht „Die soziale Lage in der Europäischen Union 2005-2006: Das Gleichgewicht zwischen den Generationen in einem älter werdenden Europa“, Europäische Kommission, (Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaft: 2007), S. 17, fasst als Fazit der Untersuchung über die Lebenszufriedenheit zusammen, dass „der Arbeitsplatz für die Lebenszufriedenheit eine weit wichtigere Rolle [spielt] als das mit seiner Hilfe erzielte Einkommen“.

(15)  „Die Bürger mit ins Boot nehmen“ — dies war eine der zentralen Empfehlungen in der EWSA-Stellungnahme vom 6.7.2006 zum Thema „Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“, Ziffer 2.6. Berichterstatter: Herr EHNMARK (ABl. C 309 vom 16.12.2006).

(16)  Siehe zum Beispiel die EWSA-Stellungnahme vom 18.1.2007 zum Thema „Der Zustand der europäischen Gesellschaft — eine Bestandsaufnahme“, Ziffer 2.2. Berichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 93 vom 27.4.2007) und die EWSA-Stellungnahme vom 13.7.2005 zu der Mitteilung der Kommission — Sozialpolitische Agenda, Ziffer 6.1. Berichterstatterin: Frau ENGELEN-KEFER (ABl. C 294 vom 25.11.2005).

(17)  Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010), [KOM(2007) 797 endg., 2007/0278 (COD)], 12.12.2007, Präambel, Ziffer (11), S. 9.

(18)  In seiner Stellungnahme vom 6.7.2006 zum Thema „Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“, Ziffer 2.4.5, Berichterstatter: Herr EHNMARK (ABl. C 309 vom 16.12.2006), befasste sich der EWSA mit einigen „sozialen Auswirkungen der Wissensrevolution“ und schlug vor, diese mithilfe des sozialen Dialogs anzugehen.

(19)  EWSA-Stellungnahme vom 13.12.2006 zum Thema „Freiwillige Aktivitäten, ihre Rolle in der europäischen Gesellschaft und ihre Auswirkungen“, Ziffer 1.2; Berichterstatter: Frau KOLLER, Mitberichterstatterin: Gräfin zu EULENBURG (ABl. C 325 vom 30.12.2006).

(20)  In der EWSA-Stellungnahme vom 13.12.2007 zur der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Solidarität zwischen den Generationen fördern“ werden die Vorteile von Bürgerengagement auch durch ältere Menschen hervorgehoben und mehr Untersuchungen zum Thema aktives Älterwerden gefordert, Ziffer 4.5, Berichterstatter: Herr JAHIER (ABl. C 120 vom 16.5.2008).

(21)  Die Lissabon-Strategie läuft zwar 2010 aus, bildet jedoch bei der Konzipierung von Programmplanungsdokumenten und konkreten Maßnahmen auf nationaler und gemeinschaftlicher Ebene einen festen Bezugspunkt. Obwohl noch keine diesbezügliche Entscheidung getroffen wurde, ist — in welcher Form auch immer — mit einer Fortführung der Lissabon-Strategie nach 2010 zu rechnen, insbesondere da die Beschäftigungs- und Sozialziele der Strategie bis 2010 nicht vollends erreicht werden.

(22)  Anne-Catherine Guio, „Materielle Entbehrung in der EU“ in „Statistik kurz gefasst: Bevölkerung und soziale Bedingungen“, 21/2005, Eurostat, S. 9.

(23)  EWSA-Stellungnahme vom 18.1.2007 zum Thema „Der Zustand der europäischen Gesellschaft — eine Bestandsaufnahme“, Ziffern 2.7, 5.3. Berichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 93 vom 27.4.2007).


30.8.2008   

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C 224/113


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1719/2006/EG über die Einführung des Programms 'Jugend in Aktion' im Zeitraum 2007-2013“

KOM(2008) 56 endg. — 2008/0023 (COD)

(2008/C 224/25)

Der Rat beschloss am 6. März 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1719/2006/EG über die Einführung des Programms 'Jugend in Aktion' im Zeitraum 2007-2013“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr CZAJKOWSKI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 78 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Standpunkt des EWSA

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Initiative der Kommission zur Änderung des Verfahrens für die Zuweisung von Projektfördermitteln sowie zur Änderung des Verwaltungsverfahrens des Programms „Jugend in Aktion“, denn mit diesen Änderungen soll eine schnellere Verteilung der Fondsmittel auf diejenigen, die eine Förderung durch das Programm beantragt haben, erreicht werden.

1.2

Der EWSA befürwortet die Aufgabe des ursprünglichen Verfahrens, da die Verlängerung der Entscheidungsfrist, der langwierige Prozess der Projektbewertung und die Überprüfung der Daten durch den Programmausschuss und die nationalen Agenturen bestenfalls zu Verspätungen, schlimmstenfalls aber zu immensen finanziellen Problemen, zum Konkurs eines Teils der Organisationen, die Förderanträge gestellt haben, oder auch zur Nichtnutzung der verfügbaren Mittel führen.

2.   Einleitung

2.1

Das durch den Beschluss Nr. 1719/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates eingeführte Programm „Jugend in Aktion“ für den Zeitraum 2007-2013 ist ein Programm der Europäischen Union, das sich auf den Bereich der nichtformalen Bildung bezieht. Es richtet sich hauptsächlich an diejenigen, für die die nichtformale Bildung die einzige Möglichkeit der persönlichen Entwicklung sowie des Erwerbs von Kenntnissen und Fähigkeiten, die in der modernen Welt unerlässlich sind, darstellt.

2.2

Hauptziele des Programms sind die Überwindung von Barrieren, Vorurteilen und Klischees unter Jugendlichen, die Unterstützung ihrer Mobilität und die Förderung ihres staatsbürgerlichen Engagements, verstanden als eine Form des dynamischen Lernens. Das Programm ermöglicht die Teilfinanzierung von Initiativen zur Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Es regt dazu an, auf lokaler Ebene gesellschaftlich aktiv zu werden, und trägt zu mehr Toleranz bei. Es bietet Anreize für unterschiedliche Aktionen, die die Idee eines geeinten Europas fördern.

2.3

Die Verantwortung für die erfolgreiche Durchführung des Programms „Jugend in Aktion“ trägt letztlich die Europäische Kommission. Sie ist für die kontinuierliche Verwaltung der Finanzmittel und die Festlegung der Prioritäten, Ziele und Kriterien des Programms zuständig. Darüber hinaus lenkt und überwacht sie die gesamte Umsetzung des Programms, die Maßnahmen zur Fortführung der Projekte und die Bewertung des Programms auf europäischer Ebene.

2.4

Zu den Aufgaben der Europäischen Kommission zählen auch die umfassende Beaufsichtigung und Koordinierung der Tätigkeiten der nationalen Agenturen, d.h. der Büros, die in jedem am Programm teilnehmenden Land von den für Jugendangelegenheiten zuständigen Stellen benannt bzw. eingerichtet wurden. Die Kommission arbeitet mit den nationalen Agenturen eng zusammen und überwacht deren Arbeit.

2.5

Die EU-Mitgliedstaaten und die übrigen Programmländer beteiligen sich an der Verwaltung des Programms „Jugend in Aktion“, insbesondere mittels des Programmausschusses, für den sie Vertreter bestellen. Die zuständigen Behörden dieser Länder ernennen zudem nationale Agenturen und überwachen — gemeinsam mit der Europäischen Kommission — die Tätigkeit dieser Agenturen.

2.6

Das Programm „Jugend in Aktion“ wird im Wesentlichen dezentral umgesetzt, um eine möglichst enge Zusammenarbeit mit den Empfängern und eine Anpassung an die Merkmale der verschiedenartigen Systeme und Bedingungen, unter denen die Jugendlichen in den einzelnen Ländern leben, zu gewährleisten. In jedem Programmland wird eine nationale Agentur benannt. Diese sind für die Propagierung und Durchführung des Programms auf einzelstaatlicher Ebene zuständig und fungieren als Bindeglied zwischen der Kommission, den nationalen, regionalen und lokalen Projektträgern und den Jugendlichen selbst.

2.7

Projektträger, die Fördermittel erhalten möchten, müssen einen Antrag im Rahmen eines von der nationalen Agentur festgelegten und veröffentlichten Verfahrens zur Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen stellen. In diesem Rahmen trifft die Kommission danach Entscheidungen über die Auswahl der Anträge auf Zuerkennung von Fördermitteln. Als Durchführungsmaßnahmen des Programms unterliegen diese einem besonderen Verfahren auf interinstitutioneller Ebene.

2.8

In den von ihm angenommenen Rechtsakten überträgt der Rat der Kommission die Befugnisse zur Durchführung der Vorschriften, die er erlässt, und kann die Ausübung dieser Befugnisse von bestimmten Bedingungen abhängig machen, die als Komitologie- bzw. Ausschussverfahren bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um die obligatorische Anhörung eines Ausschusses zu den im Basisrechtsakt festgelegten Durchführungsmaßnahmen. Noch bevor diese Anhörung zustande kommt, verfügt die Kommission jedoch bereits formell über die Mittel, die für diese Projekte vorgesehen sind. Der Ausschuss, der die Projekte bewertet, setzt sich aus Vertreten der Mitgliedstaaten zusammen und wird von einem Vertreter der Kommission geleitet.

2.9

Es gibt verschiedene Arten des Komitologieverfahrens. Im Basisrechtsakt, der die Durchführungsbefugnisse der Kommission festlegt, kann geregelt werden, in welchen Fällen die verschiedenen Verfahren im Rahmen der Umsetzung der Durchführungsmaßnahmen zur Anwendung kommen.

3.   Vorschläge angesichts der neuen Situation

3.1

Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission zur Änderung des Verfahrens für die Zuweisung von Projektfördermitteln und zur Änderung des Verwaltungsverfahrens. Die Kontrollbefugnis im Hinblick auf die Durchführung im Mitentscheidungsverfahren angenommener Rechtsakte ermöglicht es dem Europäischen Parlament, gegebenenfalls Einwände gegen von der Kommission vorgesehene Maßnahmen zu erheben. Sie ist nicht nur ein Element, das ihm eine Verantwortung für die Projekte gibt, sondern auch eine Sicherheitsvorkehrung im Mitentscheidungsverfahren.

3.2

Das Parlament verfügt über eine Frist von einem Monat, um Maßnahmenentwürfe vor ihrer formellen Annahme durch die Kommission zu prüfen. Die Kommission ergreift die für die Durchführung des Programms erforderlichen Maßnahmen gemäß den im Beschluss des Rates festgelegten Verfahren.

3.3

Gegenwärtig gilt das im Programm „Jugend in Aktion 2007-2013“ vorgesehene Verwaltungsverfahren für sämtliche Entscheidungen, die sich auf die Zuweisung von Fördermitteln in erheblicher Höhe, auf politische brisante Projekte oder Unterstützungszahlungen, die 1 Mio. EUR übersteigen, wie auch auf kleinere Projekte beziehen.

3.4

Die Kommission schlägt vor, dass Beschlüsse über kleinere Projekte mit einem Gesamtvolumen unter 1 Mio. EUR nicht dem Komitologieverfahren unterliegen sollten. Im Gegenzug will die Kommission den Programmausschuss sowie das Europäische Parlament über alle Auswahlentscheidungen unterrichten, die nicht dem Verwaltungsverfahren unterliegen würden. Der EWSA unterstützt voll und ganz diese an den Rat und das Europäische Parlament gerichtete Erklärung.

3.5

Der Ausschuss begrüßt die Entscheidung, dieses Verfahren im Falle kleinerer Projekte nicht mehr anzuwenden, da die Verlängerung der Entscheidungsfrist, der langwierige Prozess der Projektbewertung und die Überprüfung der Daten durch den Programmausschuss und die nationalen Agenturen bestenfalls zu Verspätungen, schlimmstenfalls aber zu immensen finanziellen Problemen, zum Konkurs eines Teils der Organisationen, die Förderanträge gestellt haben, oder auch zur Nichtnutzung der verfügbaren Mittel führen.

3.6

Angesichts der von den nationalen Agenturen zur Verfügung gestellten statistischen Informationen weist der EWSA darauf hin, dass die große Mehrheit der Antragsteller kleine Organisationen, Vereine und Stiftungen sind, für die das ganze Verfahren und Warten auf das Ergebnis so kosten- und zeitaufwändig sind, dass das Interesse am Programm auf lange Sicht abnehmen dürfte. Die mit der Nutzung des Programms verbundenen Verwaltungskosten könnten sich künftig auf die finanzielle Ausstattung des Programms negativ auswirken.

3.7

Der EWSA billigt die Argumentation der Kommission und ihre stichhaltige Analyse des Anhörungsverfahrens in diesem Zusammenhang. Die Projekte werden normalerweise bereits sehr kurze Zeit nach ihrer Aufstellung umgesetzt. Deshalb kann ein mindestens zwei bis drei Monate dauernder Konsultationsprozess die Durchführung zahlreicher Projekte gefährden, was einen negativen Einfluss auf die Effizienz des Programms insgesamt hat.

3.8

Der EWSA stellt auch mit Genugtuung fest, dass der Programmausschuss einer Änderung seiner Geschäftsordnung zugestimmt hat, um die Anhörungsfristen für Auswahlentscheidungen, die dem Beratungsverfahren unterliegen, zu verringern. Der Programmausschuss arbeitet nun im schriftlichen Verfahren und hat fünf Tage Zeit, um zu den ihm vorgelegten Auswahlentscheidungen Stellung zu nehmen. Parallel hierzu hat das Europäische Parlament einer befristeten Änderung seiner Arbeitsmodalitäten zugestimmt, wodurch der Zeitraum für die Ausübung der Kontrollbefugnis im letzten Sommerzeitraum von einem Monat auf fünf Tage verkürzt wurde. Diese Lösungen haben es der Kommission ermöglicht, das Verfahren für die Auswahl der zu verwirklichenden Projekte zu beschleunigen; allerdings gelten sie als Ad-hoc-Lösungen.

3.9

Im Lichte der zuvor angeführten Argumente sollte das gegenwärtige Beratungsverfahren abgeschafft und — entsprechend der vorgenannten Erklärung der Kommission — durch eine unverzügliche Unterrichtung des Programmausschusses und des Europäischen Parlaments über die von der Kommission getroffenen Auswahlentscheidungen ersetzt werden.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.8.2008   

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Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1720/2006/EG über ein Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens“

KOM(2008) 61 endg. — 2008/0025 (COD)

(2008/C 224/26)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 6. März 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1720/2006/EG über ein Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2008 an. Berichterstatterin war Frau LE NOUAIL MARLIÈRE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 80 Stimmen bei 1 Gegenstimme folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Ausschuss unterstützt sowohl den gewählten Ansatz als auch den vorgelegten Vorschlag und empfiehlt der Kommission, den Programmausschuss und das Europäische Parlament umgehend über ihre Beschlüsse zu unterrichten, die sie gemäß des neu in den Beschluss 1720/2006/EG, Artikel 9 eingefügten Absatzes 1a trifft.

2.   Vereinfachung der Verfahrensregeln bezüglich der Gewährung von Beihilfen im Rahmen bestimmter mehrjähriger Programme

2.1

Dieser Vorschlag gehört zu vier Vorschlägen, durch die die Bestimmungen bezüglich der Gewährung von Beihilfen geringen Umfangs, die im Rahmen von vier mehrjährigen Programmen für den Zeitraum 2007-2013 festgelegt wurden, gelockert werden sollen:

das Programm „Jugend in Aktion“;

das Programm „Kultur“;

das Programm „Europa der Bürgerinnen und Bürger“

und schließlich das „Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens“.

2.2

Gemäß den Bestimmungen des Ausschussverfahrens (Komitologie) des Artikels 202 des EG-Vertrags überträgt der Rat der Kommission unter Hinzuziehung eines Programmausschusses, der sich ausschließlich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt und dessen Vorsitz von der Kommission wahrgenommen wird, bestimmte Zuständigkeiten für die Durchführung der vom Rat selbst im Mitentscheidungsverfahren mit dem Europäischen Parlament beschlossenen Aktionen und konsultiert das Europäische Parlament bezüglich der Umsetzung dieser im Mitentscheidungsverfahren verabschiedeten Gesetzgebungsakte. Die Kommission stellte allerdings fest, dass es zum Zeitpunkt der Festlegung der vier Programme der Wille des Gesetzgebers war, nur jene Zuweisungsentscheidungen dem Verfahren der Komitologie („Verfahren der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit“) zu unterziehen, bei denen es sich um umfangreiche Zuschüsse handelt (über 1 Mio. EUR für multilaterale Projekte und Netze) oder die politisch heikel sind (politische Zusammenarbeit und Innovation).

2.3

Die Kommission hatte sich verpflichtet, den Programmausschuss sowie das Europäische Parlament unverzüglich über alle Auswahlentscheidungen zu unterrichten, die nicht im Verwaltungsverfahren getroffen werden sollten. Diese interinstitutionelle Vereinbarung ist in einer Erklärung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament festgeschrieben.

2.4

Der Wille des Gesetzgebers wurde in dem Beschluss 1720/2006/EG nicht korrekt wiedergegeben: Sämtliche Auswahl- und Zuweisungsentscheidungen auch geringeren Umfangs wurden dem für die Komitologie vorgesehenen Beratungsverfahren unterzogen.

2.5

Die Konsultation des Programmausschusses und des Europäischen Parlaments besteht darin, dem Programmausschuss die Auswahlentscheidungen zur Prüfung zu unterbreiten, dessen Stellungnahme zur Kenntnis zu nehmen und das Parlament davon zu unterrichten, welches wiederum der Kommission seine Zustimmung übermitteln muss. Dieses Beratungsverfahren und der Versand schriftlicher Antworten haben zu bedeutenden Verzögerungen bei der Auszahlung von Finanzhilfen geführt und könnten zur Folge haben, dass eine Reihe von Projekten gefährdet und die Wirksamkeit der Jahresprogramme entscheidend beeinträchtigt wird.

2.6

Bisher wurden zwischen der Kommission, dem Programmausschuss und dem Europäischen Parlament „Ad-hoc-Vereinbarungen“ getroffen, um die Verzögerungen bei der Prüfung von Auswahlentscheidungen der Kommission bezüglich der Finanzmittelzuteilung zu verringern.

2.7

Die Kommission vertritt indes die Ansicht, dass zeitlich gebundene Lösungen nicht weiter verfolgt werden können und schlägt vor, die bei Einführung der Programme aufgestellten Regeln zu überarbeiten. Die Verpflichtung, die Auswahlentscheidungen über Zuwendungen von geringer Höhe dem Konsultationsprozess zu unterziehen, sollte abgeschafft werden und der Kommission sollte das Recht eingeräumt werden, Auswahlentscheidungen über Finanzmittelzuteilungen ohne Mitwirken eines Ausschusses zu treffen. Diese Verpflichtung sollte durch ein vereinfachtes Informationsverfahren ersetzt werden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Diese Vorschläge dürften es ermöglichen, das Funktionieren der vier mehrjährigen Programme in den Bereichen Bildung, Jugend und Kultur zu verbessern.

3.2

Der Ausschuss hat bereits in früheren Stellungnahmen die Kommission aufgefordert, den Zugang zu Programmen und Finanzmitteln für Projekte zu vereinfachen und sich an die Mitgliedstaaten zu wenden, um diese anzuregen, die Organisationen bei der Festlegung der jährlichen Leitlinien zu konsultieren, die Zuteilungsfristen zu verkürzen und die Durchführung von Projekten insbesondere durch zu lange Fristen nicht zu gefährden — dadurch können sogar Machbarkeitsstudien hinfällig werden, da sie zu lange vor der Umsetzung eines Projekts durchgeführt wurden.

4.   Besondere Bemerkungen

In Anbetracht der unter den Ziffern 9, 11, 15 und 17 des von der Kommission vorgeschlagenen Beschlusses angeführten Begründungen hebt der Ausschuss im Sinne der Transparenz, der guten Governance und der Information der Öffentlichkeit den Wunsch hervor, dass die Kommission ihre erklärte Absicht umsetze und den Programmausschuss und das Europäische Parlament unverzüglich über Beschlüsse unterrichtet, die sie entsprechend dem geänderten Beschluss 1720/2006/EG Artikel 9 Absatz 1a trifft.

Der Ausschuss empfiehlt den neuen Artikel 9 Absatz 1a wie folgt zu ändern: „Entscheidungen über die Vergabe von Finanzhilfen auf Grundlage dieses Beschlusses trifft die Kommission ohne Mitwirkung eines Ausschusses und setzt den Programmausschuss und das Europäische Parlament hierüber unverzüglich in Kenntnisrrichtet, …“

Der Ausschuss stellt fest, dass die Kommission diesen Zusatz nicht vorschlägt, weil sie der Ansicht ist, dieser ändere den Sinn des Vorschlags so stark, dass er den Regeln der Komitologie nach Artikel 202 EGV nicht mehr ausreichend entspreche, und die Begründung des Beschlusses bindend genug sei.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.8.2008   

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Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorteile und Nutzen des Euro: Zeit für eine Bewertung“

(2008/C 224/27)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Vorteile und Nutzen des Euro: Zeit für eine Bewertung“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 30. April 2008 an. Berichterstatter war Herr BURANI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 130 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Zehn Jahre nach Einführung der einheitlichen Währung hält es der EWSA für zweckmäßig, eine Bilanz der Vorteile und Nutzeffekte zu ziehen, die die neue Währung für die Bürger und Unternehmen gehabt hat, und zwar nicht nur in ökonomischer und währungstechnischer Hinsicht — eine Aufgabe, der sich Ökonomen, Politiker und Kommentatoren in den Medien gewidmet haben — sondern auch vom Standpunkt der Verbraucher aus. Mit anderen Worten: ein Jahrzehnt der Erfahrungen hat gezeigt, dass der Euro seinen Wert hat und dass seine Einführung Europa gestattet, auf der Weltbühne mit einer hochgeschätzten und soliden Währung präsent zu sein. Aber wie nehmen die Verbraucher diese einheitliche Währung wahr?

1.2

Zunächst geht dieses Dokument von einer zusammenfassenden Analyse der durch die Einführung des Euro bewirkten Vorteile aus: ein Panorama, das Licht und Schatten aufgrund der Weltkonjunktur zeigt; Schwerpunkt sind also die Ergebnisse der regelmäßigen Erhebungen unter den Bürgern durch Eurobarometer, um zu ermitteln, wie die erzielten Vorteile von den europäischen Bürgern eingeschätzt werden.

1.3

In vielen Ländern sind die Ergebnisse positiv, aber in einigen anderen erklärt ein hoher Prozentsatz der Befragten noch immer, dass er die Verwendung des „neuen“ Geldes für schwierig halte, die Preise noch in die alte nationale Währung umrechne, den Euro für die Preissteigerungen verantwortlich mache und nur zur Hälfte daran glaube, dass die einheitliche Währung unterm Strich für das Wirtschaftswachstum vorteilhaft sei. Das heißt, aus den Erhebungen geht hervor, dass der Euro in der Öffentlichkeit nicht immer und nicht in allen Ländern einen befriedigenden Erfolg erreicht hat.

1.4

In einer ersten Reaktion auf diese Ergebnisse könnte man die Objektivität oder Bedachtheit der Antworten bezweifeln: diesen Ansatz lehnt der EWSA ab. Anstatt sich über den Erfolg zu freuen, sollte man sich darum bemühen, die tiefer liegenden Gründe für die ablehnenden Einstellungen zu verstehen und sich fragen, was zur Beseitigung der objektiven oder subjektiven Gründe für die Unzufriedenheit getan werden kann.

1.5

Eine objektiv gerechtfertigte Sicht kann durch gezielte politische Maßnahmen oder Vorkehrungen beseitigt oder abgemildert werden, wie zum Beispiel durch verbesserte Zahlungssysteme oder geeignete Maßnahmen zur Zügelung des Preisanstiegs, die allerdings mit den Grundsätzen des freien Marktes und des Wettbewerbs in Einklang stehen müssen.

1.6

Schwieriger ist es, wo es um subjektive Wahrnehmungen geht: hier muss bei allem Respekt für die Meinungen die Frage nach den tieferen Gründen für die negativen Einstellungen gestellt werden. Eine Kommunikationsstrategie ist sicherlich erforderlich, aber bei ihrer Durchführung müssten die verschiedenen nationalen und sozialen Sensibilitäten der jeweiligen Öffentlichkeit, an die sie sich richtet, beachtet werden.

1.7

Die Eurobarometer-Erhebungen haben gezeigt, wie groß die Unterschiede zwischen den nationalen Einstellungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten sind: dies ist Grund genug, um Lösungen nach einheitlichen Mustern zurückzuweisen. Genauer betrachtet, zeigen sich große Unterschiede in der Sichtweise je nach sozialer Schicht und Bildungsabschluss. Folglich müssen Kommunikationsstrategien so zielgerichtet sein, dass die eingesetzten Mittel ein maximales Ergebnis erzielen.

1.8

Es muss allerdings betont werden, dass eine Kommunikationsstrategie zugunsten des Euro alleine nicht genügt, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Die durchgeführte Analyse legt hinreichend nahe, dass der Euro häufig als Symbol für Europa wahrgenommen wird: Gegenstand der Abneigung ist also für manche nicht der Euro als solcher, sondern vielmehr die europäische Idee selbst. Dies führt zu der Überlegung, dass eine Kommunikationsstrategie zugunsten des Euro Teil eines langfristigen politischen Konzepts mit langem Atem sein muss, das erst dann verwirklicht ist, wenn das europäische Gefühl von den Bürgern so weit verinnerlicht wurde, dass es den Euroskepsis überwiegt.

1.9

Das Konzept eines Europas, das nicht nur als wirtschaftliche, sondern auch als politische und soziale Einheit verstanden wird, ist allerdings von einer schrittweisen Annäherung der Lebensstandards unter den Zeichen der Gleichheit, der Zusammenarbeit und des sozialen Friedens abhängig; ein Ziel, das nur verwirklicht werden kann, wenn den Bürgern konkrete Sachverhalte vorgelegt werden. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wird keine Kommunikationskampagne Erfolg haben.

1.10

Wichtigster Ansatzpunkt zur Steigerung der Akzeptanz des Euro wäre daher eine Wirtschafts- und Sozialpolitik in der EU, welche Beschäftigung und Einkommen fördert sowie ein angemessenes Sozialschutzsystem bietet. Erst dann werden die Bürger das Projekt „Europa“ zu schätzen wissen und damit auch den Euro akzeptieren.

1.11

Der EWSA ist sich seiner Verantwortung und Aufgabe bewusst: als Ausdrucksform der Sozialpartner ist er eine Institution der Bürger, Arbeitnehmer und Wirtschaftsakteure. Dies verlangt eine konkrete Zusammenarbeit bei den zu beschließenden Initiativen, und wenn nötig, auch mit Maßnahmen vor Ort. Dabei sind besonders die Beziehungen zu den entsprechenden Einrichtungen auf einzelstaatlicher Ebene und die Arbeiten der einzelnen Mitglieder des EWSA in ihren europäischen und nationalen Organisationen von Nutzen.

2.   Hintergrund

2.1

Sechs Jahre nach Einführung des Euro hält es der EWSA für zweckmäßig, eine Bilanz der Auswirkungen zu ziehen, die die neue Währung für die Bürger in den Ländern in der Eurozone gehabt hat. Dies scheint eine einfache Aufgabe zu sein, gibt es doch zu diesem Thema eine umfangreiche Sekundärliteratur aus zahlreichen Quellen: Kommission, EZB, EP, Universitäten, Forschungseinrichtungen, Fachpublikationen und Presse, Wissenschaftler und Sozialpartner.

2.2

Es besteht allerdings der Eindruck, dass der größte Teil der Arbeiten zu diesem Thema das Ergebnis einseitiger Erfahrungen und Sichtweisen oder von indirekten Schlüssen aus verschiedenen und mitunter gegensätzlichen Meinungen sind. Mit einem derartigen Ansatz wird man zwar den demokratischen Regeln gerecht, der Kern der Probleme geht jedoch manchmal in den von den jeweiligen Umständen diktierten Einzelfragen und zu oft in den unterschiedlichen Positionen innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten unter.

2.3

Nach Ansicht des Ausschusses sind Fortschritte hier nur dann wirklich möglich, wenn man vorurteilsfrei auf die Realität blickt. Ausgehend von der Feststellung, dass der Euro im Großen und Ganzen ein unbestreitbarer Erfolg ist, muss untersucht werden, warum er noch heute von einem mehr oder weniger beträchtlichen Teil der Öffentlichkeit kritisch gesehen wird; es müssen die Gründe für diese Kritik gesucht und soweit wie möglich Lösungen vorgeschlagen werden. Es sollen damit keine großartigen neuen Entdeckungen gemacht oder etwa der Eindruck erweckt werden, man wolle neue Öffentlichkeitskampagnen ins Leben rufen. Das Ziel dieses Dokuments fällt bescheidener aus: es soll eine neue Debatte über altbekannte Probleme anstoßen.

3.   Vorgehensweise

3.1

Eingangs werden zunächst ausgehend von bereits erhobenen Daten und den allgemein akzeptierten offiziellen Meinungen die Vorteile des Euro aufgezählt. Es folgt eine kritische Untersuchung dieser mittels Feldstudien erhobenen Ergebnisse und Meinungen und abschließend eine eigene Analyse der Gründe für die Kritik und die weniger positiven Urteile über die Währung. Gegebenenfalls unterbreitete Vorschläge verstehen sich wie gesagt als Grundlage für weitergehende Überlegungen.

3.2

Als wichtigste Quelle wurde vor allem das Flash Eurobarometer Nr. 193 „The eurozone, 5 years after the introduction of euro coins and banknotes — Analytical report“ (Fünf Jahre Euro-Banknoten und Euro-Münzen — Analysebericht) vom November 2006 konsultiert. Die Umfrage wurde vom Gallup-Institut durchgeführt und vom Eurobarometer-Team der Generaldirektion ECFIN der Europäischen Kommission organisiert und geleitet. Es wurden auch Fachleute im jüngsten Euro-Land Slowenien (seit 2007), und in den der Währung 2008 beigetretenen Ländern Malta und Zypern befragt. Auf Befragungen in Ländern, die nicht Mitglied des Eurogebiets sind, wurde bewusst verzichtet, denn unter dem Gesichtspunkt dieser Untersuchung sind nur die Erfahrungen der unmittelbar Betroffenen bedeutsam.

3.3

Die Daten werden durch die im September 2007 in den neuen Mitgliedstaaten durchgeführte Eurobarometerumfrage (1) ergänzt: In mehreren Fällen können hier aus der Gegenüberstellung der „Erfahrungen“ mit den „Erwartungen“ nützliche Erkenntnisse gewonnen werden.

4.   Die Vorteile des Euro gemäß den Umfrageergebnissen und offiziellen Meinungen

4.1

Nach der Literatur aus Gemeinschaftsquellen und den Verfechtern der gemeinsamen Währung hat der Euro eine Reihe von Vorteilen und Nutzeffekten mit sich gebracht, die im Folgenden als Anhaltspunkte aufgezählt werden sollen. Die Liste führt nicht die — bereits wohlbekannten — Motive mit auf, und auch keine kritischen Bemerkungen, die ggf. in dem Abschnitt über die Wahrnehmungen der Bürger aufgegriffen werden.

4.2

Ein unkritisches Verzeichnis der Vorteile und Nutzeffekte umfasst folgende Aspekte:

Europäische Identität: der Euro ist dazu der wichtigste konkrete Faktor;

der Euro ist ein Instrument für den internationalen Preisvergleich und ein wettbewerbsförderndes Element;

Wechselkursrisiken und währungsbedingte Transaktionskosten entfallen;

Beseitigung der Möglichkeit, Währungsabwertungen als Hebel für wettbewerbliche Maßnahmen zu verwenden und/oder Handelsstrategien nach Abwertungsszenarien zu gestalten;

besserer Schutz der Länder der Eurozone vor externen Störungen;

der Euro hat mäßigende Wirkung auf die Inflation und die Zinssätze, wozu auch in gewissem Maß das Absinken der Inflationsrisikoprämien beigetragen hat;

der Euro ist Faktor für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung im Rahmen der Strategie von Lissabon;

die vorrangige Rolle Europas im Währungsbereich und Bestätigung des Euro als Reservewährung;

der Euro ist zu einem Stabilitätsfaktor in der Weltwirtschaft geworden;

der Euro hat den Tourismus und arbeitsbedingte Standortwechsel, vor allem in der Eurozone, sehr erleichtert und preiswerter gemacht.

4.3

Neben diesen Vorteilen, die kaum bestritten werden, abgesehen von einigen Abschattierungen, um sie weniger prinzipiell erscheinen zu lassen, stehen die möglicherweise strittigen Aspekte bezüglich einer „starken“ Währung.

4.4

Hier muss man ohne Umschweife feststellen, dass eine starke Währung Vorteile für einige und Nachteile für andere aufweist. Es kommt jedoch auf den volkswirtschaftlichen Nettonutzen an, der beim Euro außer Frage steht. Gewünscht wird auch eine stabile Währung, und der Euro ist eine, denn er steht für eine stabile Wirtschaft, die wächst, trotz der konjunkturellen Erschütterungen. Sein außenwirtschaftlicher Wert hängt von Ereignissen ab, deren Auswirkungen sich durch geeignete wirtschaftspolitische und geldpolitische Maßnahmen abmildern, nicht jedoch ganz ausschalten lassen.

5.   Vorteile und Nutzen des Euro aus der Sicht der Bürger

5.1

Der Euro als Barzahlungsmittel: Sieben Jahre nach Einführung des Euro ist es überraschend, dass 41 % der Befragten erklären, sie hätten einige oder große Schwierigkeiten bei der Verwendung der gemeinsamen Währung. Dieser Prozentsatz nimmt zwar allmählich ab, ist aber immer noch beträchtlich. In der Umfrage wird die Art dieser Probleme nicht konkretisiert. Es sei jedoch der Hinweis gestattet, dass die negative Einstellung eher emotional als rational begründet ist, wenn man bedenkt, dass die große Mehrheit (je nach Land 63 % bis 93 %) erklärt, keine Probleme bei der Erkennung der Münzen und Geldscheine zu haben. Als wahrscheinlich gilt, dass diejenigen, die erklären, Probleme mit dem Euro zu haben, zu einem nicht unbedeutenden Teil dieselben sind, die die Einführung der gemeinsamen Währung nicht mit Wohlwollen gesehen haben, und dass sie zum Teil sozial schwachen Schichten angehören. Auf jeden Fall lässt sich die Antwort bezüglich der Schwierigkeiten statistisch nur schwer mit derjenigen bezüglich der Verwendung vereinbaren.

5.1.1

Diese Zweifel verstärken sich noch, wenn man die Antworten mit der im September 2007 in den neuen Mitgliedstaaten durchgeführten Befragung vergleicht: dort hatten etwa zwei Drittel der Befragten Euro-Geldscheine und -Münzen bereits gesehen und 44 % hatten sie verwendet. Es ist kaum nachvollziehbar, wie in den Euro-Ländern 41 % der Befragten, die seit fast zehn Jahren mit dieser Währung vertraut sind, erklären können, dass sie Schwierigkeiten damit hätten, während das in den neuen Mitgliedstaaten nicht der Fall ist, wo 44 % der Befragten den Euro verwenden (oder verwendet haben), ohne Probleme zu nennen.

5.1.2

Mit rein kommunikativen Maßnahmen kann man keine Änderungen an derartigen Einstellungen herbeiführen. Wenn es offenbar nur relativ geringe (oder sogar minimale) Schwierigkeiten gibt, sollten zielgerichtete Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene angestrebt werden. In diesem Zusammenhang spielt eher die Bildung als die Kommunikation eine entscheidende Rolle. Sollten sich die vermeintlichen Schwierigkeiten aber am Ende als klammheimlicher Ausdruck einer Abneigung gegen alles, was mit Europa zu tun hat, entpuppen, würden spezifische Maßnahmen zu keinem Ergebnis führen. Eine Änderung in den Einstellungen würde sich dann nur mit der wachsenden Akzeptanz des Europagedankens einstellen.

5.2

Der Euro als Grundlage zur Preisberechnung und Faktor für Konsumentscheidungen: Von Anfang an hatte man vorhergesehen, dass ein gewisser (je nach Land mehr oder weniger großer) Teil der Bevölkerung weiter in der alten Landeswährung denken würde. Die Umfrageergebnisse bestätigen diese Vorhersagen: Nach wie vor beziehen sich 40 % der Verbraucher bei der Preisberechnung immer oder manchmal auf ihre Landeswährung, sei es beim Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs oder bei größeren Anschaffungen.

5.2.1

Hinsichtlich der Konsumentscheidungen gibt es immer noch einen hohen Anteil (59 %) von Menschen, die sich in ihrer Kaufentscheidung vom Euro negativ oder positiv beeinflussen lassen. Doch die Zahl jener, die in der gemeinsamen Währung ein neutrales Element sehen, steigt allmählich (von 31 % im Jahr 2003 auf 41 % im Jahr 2006). Es sinken zugleich die Prozentzahlen jener, die nach eigenen Angaben weniger kaufen aus Angst, zu viel auszugeben (von 39 auf 33 %), bei gleich bleibendem Anteil jener, die erklären, zu viel auszugeben, weil ihnen der Wert der Währung nicht bewusst ist (26 % gegenüber 25 %).

5.2.2

Die beiden hier betrachteten Aspekte — Bezugnahme auf die Landeswährung und der Euro als neutrales Element — haben nicht unbedingt etwas miteinander zu tun, und es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der in beiden Fällen etwa gleiche Prozentanteil (ungefähr 40 %) sich auf die gleiche Bevölkerungsgruppe bezieht.

5.3

Die Zweckmäßigkeit der doppelten Preisauszeichnung und die Verbraucherpräferenzen: Bei zwei verschiedenen Umfragen antworteten die Befragten auf die Frage, ob die doppelte Preisauszeichnung nützlich und von den Verbrauchern erwünscht sei, in übereinstimmender Weise: Eine deutliche Mehrheit (circa 60 %) hält eine solche Maßnahme nach einem angemessenen Übergangszeitraum weder für nützlich noch für notwendig. Es sei darauf hingewiesen, dass der Anteil der Gegner der doppelten Preisauszeichnung mit der Zeit allmählich angestiegen ist, was eindeutig darauf hinweist, dass die gemeinsame Währung Eingang in das Alltagsleben der Menschen findet (oder bereits gefunden hat, wenn man den optimistischeren Interpretationen glaubt).

5.3.1

Die Antworten der Bürger auf die Frage nach der doppelten Preisauszeichnung kommen nicht überraschend, wenn man die seit Einführung des Euro vergangene Zeit bedenkt. Dieser Aspekt muss jedoch von den Ländern, die zuletzt dem Eurogebiet beigetreten sind (Slowenien, Zypern und Malta), und von jenen, deren Beitritt bevorsteht (baltische Staaten und die Slowakei) in den Vordergrund gerückt werden. Die im November 2007 durchgeführte Eurobarometer-Umfrage macht die großen Ängste vor Preiserhöhungen in der Folge der Euro-Einführung deutlich. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die doppelte Preisauszeichnung in positiver Weise abschreckend wirken kann, sofern sie von Kontrollen und abschreckenden Maßnahmen begleitet wird, was in den ersten Euro-Ländern nicht immer der Fall war. Die Kommission hat dazu vor kurzem Stellung bezogen: die doppelte Preisauszeichnung wird für sechs Monate Vorschrift sein, aber nicht länger als ein Jahr lang fortgeführt werden.

5.4

Geldscheine und Münzen: Aus der Befragung über die derzeitige Stückelung der Banknoten und Münzen geht hervor, dass bei den Geldscheinen offensichtlich kein Handlungsbedarf besteht, während ein beträchtlicher Teil der Befragten (der jedoch von 80 % in Finnland und Deutschland bis 33-35 % in Irland und Italien schwankt) sich aus Gründen der Bequemlichkeit und Einfachheit im Zahlungsverkehr dafür ausspricht, die Palette der in Umlauf befindlichen Münzen durch Abschaffung der 1- und 2-Cent-Stücke zu verringern. Andererseits befürchtet die Mehrheit, dass die Abschaffung der niedrigsten Nominalwerte zum Anstieg der Preise beitragen könnte. Diese Befürchtung ist auch in den Ländern, die mehrheitlich die Abschaffung dieser Münzen wünschen, weit verbreitet.

5.4.1

Die Erfahrungen haben gezeigt, dass ein Großteil der Preiserhöhungen im Einzelhandel im Zuge der Euro-Einführung oder in der Zeit danach hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass bei der Umrechnung von Preisen auch Dezimalstellen unter 5 aufgerundet wurden. Für diesen Trick nutzte man die geringe Kontrolle der Behörden und jener Verbraucher, welche den Wert der kleinen Münzen als vernachlässigbar einschätzten. Diese Praktiken wurden insbesondere in Ländern festgestellt, deren frühere Landeswährung einen geringen Stückwert besaß (z.B. Italien). Nach Ansicht des EWSA ist die Abschaffung der 1- und 2-Cent-Münzen in keiner Weise ratsam. Der von einigen Marktsektoren angeführten Bequemlichkeit steht das Interesse der Allgemeinheit entgegen.

5.5

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Frage der Verwendung von Euro zur Bezahlung durch Reisende in Ländern außerhalb des Euro-Gebiets. Im Durchschnitt haben über 50 % der Befragten erklärt, bei Reisen in Länder außerhalb des Eurogebiets in größerem oder geringerem Maße Euro verwendet zu haben. Dieser Anteil schwankt jedoch je nach Land erheblich und reicht von 72 % der befragten Griechen bis zu 38 % bei den Finnen. Erfreulich ist die Tatsache, dass die gemeinsame Währung aufgrund ihres Prestiges und der Zahl ihrer Benutzer in vielen Ferienländern gern gesehenes Zahlungsmittel ist.

5.5.1

Allerdings ist hier aus Gründen der Vorsicht ein Vergleich zwischen dem Vorteil, bei Auslandsreisen kein Geld tauschen zu müssen, und den Kosten dafür ratsam. Eine Überprüfung vor Ort zeigt, dass in den meisten Fällen der bei der Bezahlung im Handel in Drittstaaten angesetzte Euro-Wechselkurs deutlich ungünstiger ist als der offizielle Wechselkurs. Dieser Aspekt wurde weder in der Umfrage noch von den Befragten erwähnt, was klar darauf hindeutet, dass die Betroffenen die Umtauschkosten als sekundär betrachten oder gar nicht bemerken.

5.6

Das Kapitel zur gewöhnlichen Verwendung der gemeinsamen Währung schließt mit der wichtigsten Frage, nämlich wie der Euro von den Bürgern insgesamt bewertet wird. Bringt er mehr Vorteile oder mehr Nachteile? Die Untersuchung der Antworten zu dem Aspekt ist von größter Bedeutung für die künftigen Kommunikationsstrategien. Aus ihr ergibt sich überdies die Notwendigkeit, Überlegungen zu den Gemeinschaftsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Euro sowie zu den Beziehungen zwischen den einzelstaatlichen Regierungen und ihren Bürgern anzustellen.

5.6.1

Der Prozentsatz von Bürgern, welche die Einführung des Euro als vorteilhaft werten, lag bei der letzten Umfrage bei 48 % und damit deutlich niedriger als bei den Ergebnissen von September 2002 (59 %), was umso aussagekräftiger — und Besorgnis erregender — ist, als die Tendenz stetig steigt. Ein kleiner, konstanter Teil der Bürger vertritt die Meinung, dass der Übergang zur neuen Währung keine Auswirkungen hatte (7-8 %), während die gegenteilige Meinung weiter zunimmt (von 29 auf 38 %).

5.6.2

Bei der länderspezifischen Untersuchung der positiven Antworten landen Irland (75 %), Finnland (65 %) und Luxemburg (64 %) auf den ersten Plätzen, das heißt Länder mit beträchtlichem Wirtschaftswachstum. Negative Antworten dagegen wurden vorwiegend in Italien (48 %) gegeben, gefolgt von Griechenland (46 %) und Deutschland (44 %), während Frankreich knapp über dem Mittelwert liegt (51 %). Es ist daher Vorsicht geboten im Hinblick auf die Versuchung, zwischen der positiven Bewertung des Euro und dem Wirtschaftswachstum einen direkten Zusammenhang herzustellen. Es stimmt zwar, dass sich unter den Ländern mit positiveren Meinungen jene mit einem zufriedenstellenden Wachstum und unter denen mit negativeren Einstellungen Länder mit schwachen Wachstum (Italien und Griechenland) befinden, doch gibt es in den beiden größten Ländern des Eurogebiets — Deutschland und Frankreich — relativ negative Meinungen bei gleichzeitig guten Wachstumsraten.

5.6.2.1

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass hier der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Untersuchung liegt: wie bereits in Ziffer 5.1.1 angedeutet wurde, wäre zu untersuchen, inwieweit ein Zusammenhang zwischen der Zustimmung zum Euro als Währung und der Akzeptanz der Europäischen Union besteht; denkbar ist auch ein Zusammenhang mit der Konjunktur, die vereinfachend mit dem Euro gleichgesetzt würde. Mit anderen Worten gibt es bei der Bewertung des Euro als Währung möglicherweise eine emotionale bzw. ideologische Komponente, die mit der Währung an sich überhaupt nichts zu tun hat.

5.6.3

Die Gründe für ein schwaches Wirtschaftswachstum sind vielfältig, treten oftmals gleichzeitig auf und stehen miteinander in Wechselwirkung. Neben geldpolitischen Gründen (Inflationsrate, Wechselkurse und Zinssätze) gehören Aspekte wie Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit, Lohnniveau, Konsumverhalten, Zahlungsbilanz, sozialer Friede, Haushaltsdefizit und andere dazu. Diese komplexe Materie ist Gegenstand von Diskussionen zwischen Politikern, Wirtschaftsexperten und Sozialpartnern. Der Durchschnittsbürger hat hingegen tendenziell eine vereinfachte Sichtweise und konzentriert sich auf den Aspekt, der sein tägliches Leben am meisten bestimmt: das Geld.

5.6.4

In Fachkreisen gibt es die Tendenz, das schwache Wirtschaftswachstum auf die Geldpolitik zurückzuführen, die nach Ansicht einiger Wirtschaftswissenschaftler und Parteien für die fehlende Resistenz der Wechselkurse gegenüber einem Anstieg verantwortlich ist und nicht für eine ausreichende Förderung von Wachstum und Beschäftigung durch geeignete zinspolitische Maßnahmen sorgt. Es ist dies nicht der Ort, um diese Frage zu debattieren, doch auch in diesem Fall nimmt die Öffentlichkeit den Euro als Ursache der Probleme wahr.

5.6.5

Die Kritik am Euro, die insbesondere für Länder mit einem schwachen Wirtschaftswachstum typisch ist, lässt sich in einem gewissen Maße auch in Ländern mit einem stärkeren Wachstum beobachten. In letzteren wird die ablehnende Haltung dadurch verschärft, dass schon vor der Euroeinführung bestimmte Teile der Bevölkerung die Abschaffung ihrer starken und renommierten Währung mit großer Zurückhaltung aufnahmen, weil sie ein Symbol des nationalen Ansehens und der nationalen Identität war. Diese Gründe werden auch heute noch in Ländern angeführt, die sich gegen die Euroeinführung entschieden haben.

5.7

Die Analyse der den Euro befürwortenden Stimmen belegt eindeutig die Triftigkeit der Annahmen in Ziffer 5.6.3 und 5.6.4 (2). Die größte Zustimmung findet der Euro unter den Bevölkerungsschichten, die in allen soziodemographischen Studien als die besser informierten eingestuft werden: Männer befürworten den Euro mehr als Frauen, Selbständige und Angestellte mehr als Arbeiter und Arbeitslose, Jugendliche mehr als ältere Menschen, Stadtbewohner mehr als Landbewohner, Akademiker mehr als weniger gebildete Bevölkerungsgruppen. Besser informiert zu sein, bedeutet größere Reife und Kritikfähigkeit.

5.7.1

Es wäre allzu simpel anzunehmen, dass sich die ablehnende Haltung gegenüber dem Euro durch bloße Kommunikationsmaßnahmen überwinden ließe. Die entsprechenden Entscheidungen müssen jedoch im Lichte der besonderen Situation eines jeden Mitgliedstaates bewertet werden. In einigen Ländern ist die Information sogar zu effizient, allerdings oft eher kritisch. Parteien und manchmal auch Regierungen haben hier einen entscheidenden Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung. Es handelt sich dabei nicht um Desinformation, sondern um eine Kommunikation auf der Grundlage von Überzeugungen, die in einer Demokratie respektiert werden müssen. Es besteht allerdings der Eindruck, dass die Mehrheit der Euro-Befürworter überzeugender, energischer und ausdrücklicher für die gemeinsame Währung eintreten sollte.

5.7.2

Eine Kampagne zur Unterstützung des Euro, die sich vorwiegend auf politische, wirtschaftliche oder geldpolitische Gründe stützt, hätte jedoch wahrscheinlich nur einen schwachen Einfluss auf die Öffentlichkeit. Durch die Hervorhebung der praktischen bürgernahen Aspekte könnte mehr Zustimmung für den Euro gewonnen werden. Diese Art von Kommunikation stößt sicherlich auf mehr Resonanz, da sie das tägliche Leben eines jeden Bürgers betrifft, ohne dass auf abstrakte Grundsätze eingegangen werden muss. Mit anderen Worten ist dies ein einfacher, aber nicht oberflächlicher Ansatz. Die öffentlichen Stellen sind für diese Art von Kommunikation am wenigsten geeignet. Deshalb sollten die Wirtschaftsakteure und die Sozialpartner für das Problem sensibilisiert werden und die Kommunikationsarbeit übernehmen. Sie sind dem Bürger näher und haben sicherlich eine größere Überzeugungskraft.

5.7.3

Das von den Befürwortern in erster Linie genannte Argument praktischer Art ist der Tourismus: Auslandsreisen sind nun einfacher und billiger (insbesondere in Länder der Eurozone, aber auch in Drittstaaten). Hinzu kommt die Möglichkeit eines Preisvergleichs  (3). Die Reise- und Immobilienagenturen, die Reiseveranstalter im Allgemeinen und die Emittenten von Zahlungskarten könnten bei ihrer Arbeit diesen „Vorteil“, und insbesondere den Wegfall von Wechselkursgebühren und die Sicherheit der in Rechnung gestellten Kosten in den Vordergrund stellen. Der Finanzsektor spielt eine wichtige Rolle, da aufgrund der jüngsten Entwicklungen im Bereich der Geldüberweisungen (Europäischer Zahlungsverkehrsraum) die Zahlungen in der Eurozone ebenso sicher, schnell und gebührenfrei sind wie Inlandsüberweisungen. Erforderlich ist jedoch eine aufmerksame Überwachung durch die zuständigen Behörden, damit eine strenge Einhaltung der Regeln durch den Finanzsektor sichergestellt werden kann.

5.7.4

Weniger offensichtlich ist auf den ersten Blick das dritte (in der Reihenfolge ihrer Bedeutung) von den Euro-Befürwortern genannte Argument: die Stärkung des Ansehens Europas. Dieses allgemeine und theoretische Argument muss Gegenstand einer breit angelegten Maßnahme allgemeiner Natur sein.

5.8

Noch interessanter erscheint jedoch die Prüfung der Argumente der Euro-Skeptiker. Die überwiegende Mehrheit der Bürger (81 % im Jahre 2006, kontinuierlich steigend) gibt dem Euro die Schuld für die steigenden Preise. Diese Einstellung zeichnete sich noch vor der Einführung der Einheitswährung ab. Schon damals wurde befürchtet, dass die Waren- und Dienstleistungsanbieter (und insbesondere der Handel) von der Umrechnung der nationalen Währung profitieren und die Preise unrechtmäßig aufrunden und anheben würden. Die Kommission versicherte, dass dies nicht der Fall sein würde. Die Regierungen leisteten einen Beitrag durch die Förderung von Vereinbarungen mit dem Handel. Die Verbraucherschutzorganisationen mahnten zur Obacht.

5.8.1

Die konkreten Folgen gehören nunmehr zur jüngsten Geschichte: In einigen Ländern wurden die Vereinbarungen eingehalten (der EWSA ist der Meinung, dass dabei Österreich als beispielhaft erwähnt werden sollte), in anderen weniger und in manchen beinahe überhaupt nicht. Wer die Verantwortung hierfür trägt, soll nicht hier und jetzt erörtert werden. Fest steht jedoch, dass in vielen Ländern der Preisanstieg gerade mit der Euroeinführung begann. Deshalb entstand der allgemeine Eindruck, dass der Preisanstieg durch den Euro „verursacht“ wurde. Dieser Eindruck hält bis heute noch an und verfestigt sich mehr und mehr in Ermangelung einer Kommunikation, die das Problem in der richtigen Optik wiedergeben würde: Der Euro bot für manche eine gute Profitmöglichkeit, ist und bleibt aber an und für sich ein „neutrales“ Instrument. Ein Versuch, dies zu vermitteln, wurde nicht unternommen, bzw. hatte nur sehr schwache Auswirkungen.

5.8.2

Auf die anschließenden Preisanstiege hat der Euro keinen Einfluss gehabt. Nach ihrer Einführung und Konsolidierung wurde die Währung zur Maßeinheit und nicht zur Ursache der Entwicklung auf dem Markt. Die Inflation, das Wechselkursverhältnis oder die Spekulationen wurden nicht vom Euro beeinflusst und wären auch im Falle der einzelnen nationalen Währungen zu Tage getreten — bisweilen sogar in einem größeren Ausmaß als im Falle des Euro. In Bezug auf diesen sowie den in der vorhergehenden Ziffer genannten Aspekt muss ein für alle Mal Klarheit geschaffen werden. Dieses Argument, das für die Ausräumung der nach wie vor bestehenden Skepsis und Abneigung gegenüber dem Euro ausschlaggebend ist, muss deutlich zur Sprache kommen und bei der Kommunikation unter Beteiligung der Sozialpartner, der Regierungen und der Kommission im Vordergrund stehen.

5.8.3

Ein anderes Argument, das in einem gewissen Maße mit den vorhergehenden Ausführungen zusammenhängt, ist die Preiskonvergenz, die Behauptung also, dass der Euro zu einer weitreichenden Preiskonvergenz in der Eurozone beitragen würde, und zwar dank der zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten entstehenden Konkurrenz und des Drucks vonseiten der Verbraucher, die nun endlich in der Lage sein würden, Preisvergleiche anzustellen. Diese Annahme war Gegenstand der Kampagne vor der Euroeinführung und eines ihrer starken Argumente. Die Kampagne war im Übrigen so beschaffen, dass sie möglicherweise überzogene Erwartungen geweckt hat, denn das begrenzte Ausmaß dieser Konvergenz wurde nicht präzisiert. Es wurde nämlich nicht gesagt, dass die Ausgaben, die für den Verbraucher bei weitem wichtiger sind und die er am unmittelbarsten spürt, nämlich die Preise für vor Ort hergestellte und konsumierte Waren und Dienstleistungen, nicht von dieser Konvergenz betroffen sein würden.

5.8.4

Die Umfrage scheint diesen Eindruck zu bestätigen: 68 % der Befragten sind der Meinung, dass der Euro nicht zur Preiskonvergenz beigetragen habe (45 %) bzw. „wissen es nicht“ (23 %). 32 % der Befragten sind gegenteiliger Meinung. In diesem Teil der Untersuchung fehlt jedoch eine wesentliche Kenntnis: Es ist nicht bekannt, ob die Antwort intuitiv bzw. emotional begründet ist oder auf direkten Erfahrungen (Auslandsreisen, grenzüberschreitender Kauf von Waren oder Dienstleistungen) beruht. In der Kommunikationskampagne müssen die Erwartungen im Hinblick auf die Preiskonvergenz zurückgeschraubt und die Gründe dafür genannt werden, warum diese Konvergenz beschränkt ist. Zudem sollte herausgearbeitet werden, dass die Tatsache, dass in anderen Bereichen als den vor Ort hergestellten und konsumierten Waren und Dienstleistungen keine oder kaum eine Preiskonvergenz eingetreten ist, mit Faktoren zusammenhängt, die nichts mit der gemeinsamen Währung zu tun haben, nämlich dem Prinzip von Angebot und Nachfrage, den Transportkosten oder der Besteuerung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Euro in den Bereichen, wo dies möglich war, zur Preiskonvergenz beigetragen hat. Ein Preisgefälle wird aber auch hier in Europa fortbestehen, so wie dies in den Vereinigten Staaten der Fall ist, wo es ja seit jeher eine einheitliche Währung gibt.

6.   Die politischen Aspekte

6.1

Die große Mehrheit der Befragten (75 %) ist der Auffassung, dass der Euro als internationale Währung eine wichtige Rolle spielt. Ein weitaus geringerer Anteil der Befragten ist jedoch am Wechselkurs interessiert, obwohl er ungefähr einschätzen kann, wie stark der Euro gegenüber dem Dollar ist. Ein nahezu gleicher bzw. etwas höherer Prozentsatz (78 %) vertritt die Auffassung, dass der Euro keinerlei Einfluss auf die eigene Identität als Europäer hatte. Die Auswertung der Antworten nach Mitgliedstaat gibt Anlass zu Überlegungen und einer gewissen Perplexität: Die Länder, in denen der Euro als wichtiger Faktor für die Wahrnehmung der europäischen Identität angesehen wird, sind Irland (56 %), mit großem Abstand gefolgt von Italien (28 %) und Luxemburg (19 %). Die niedrigsten Prozentzahlen finden sich in den Niederlanden, in Griechenland, Deutschland und Österreich (10-14 %).

6.1.1

Als Versuch einer Erklärung, die jedoch nur für einige Länder zutrifft, ließe sich anführen, dass Italien, dessen nationale Währung einer Reihe von Schwankungen ausgesetzt war, zu jenen Ländern gehört, in denen der Euro als Faktor der europäischen Identität anerkannt wird, während u.a. in Deutschland, das stolz auf seine starke und stabile Währung war, eine negativere Einstellung zum Euro verzeichnet wird. In anderen Ländern kommen unterschiedliche Gründe und Wahrnehmungen zum Tragen: Informationsmangel, Gleichgültigkeit, geringeres Interesse an einem Europa, das eine prestigeträchtige Währung einführt. Der letztgenannte Aspekte scheint in einer in mancher Hinsicht überraschenden Tatsache seine Bestätigung zu finden: In allen Ländern, auch den Eurobefürwortern, ist eine große Mehrheit der Befragten der Ansicht, dass sich der Euro in keiner Weise auf die Wahrnehmung der europäischen Identität ausgewirkt hat.

6.1.2

Es ist anzumerken, dass der Euro zwar seine Bedeutung auf der internationalen Bühne unter Beweis gestellt hat, jedoch Jahre nach seiner Einführung immer noch nicht als Faktor und Symbol der europäischen Identität wahrgenommen wird. Da diese Stimmung auf vielfältigen individuellen Wahrnehmungen beruht, ist es unmöglich, spezifische Kampagnen durchzuführen, die auf einen Einstellungswandel der Bürger abzielen. Ein solcher Wandel kann nur schrittweise erfolgen, indem die Gründe für eine solche Einstellung beseitigt werden. Mit anderen Worten wird der Euro erst dann zum Symbol der europäischen Identität, wenn die Bürger die Tatsache, „Europäer“ zu sein, verinnerlicht haben.

6.2

Anlass zum Optimismus gibt die Antwort auf die Frage, ob mit einer Erweiterung der Eurozone um die neuen Mitgliedstaaten zu rechnen ist. Rund 80 % der Befragten (bzw. über die Hälfte in allen Ländern) hält dies für sicher bzw. wahrscheinlich. Die EWSA sieht in dieser Antwort ein Zeichen für das Vertrauen in die Attraktivität des Euro, die es nicht gäbe, wenn der Euro tatsächlich als politisch schwach und mit negativen Folgen verbunden eingeschätzt würde.

7.   Koordinierung der Wirtschaftspolitiken und der Stabilitätspakt

7.1

Es wäre zweckmäßig, diese Fragen, die von wesentlicher Bedeutung und konzeptioneller Art sind, in einem gesonderten Kapitel zu erörtern. Der EWSA hat diesen Aspekten zudem zahlreiche Stellungnahmen gewidmet und behält es sich vor, sich demnächst erneut damit zu beschäftigen. An dieser Stelle reicht es aus, anzumerken, dass rund die Hälfte aller Befragten weiß, dass die Wirtschaftspolitiken auf gemeinschaftlicher Ebene koordiniert werden. Die Mehrheit von ihnen ist jedoch der Ansicht, dass dieser Koordinierung nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Aus der länderspezifischen Analyse geht hervor, dass sowohl beim Kenntnisstand als auch bei den daraus resultierenden Bewertungen erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern bestehen. Die Objektivität, mit der die Befragten die Wirtschaftslage im eigenen Land beurteilen, ist auffallend: Die Bürger der Länder mit einer positiven Wirtschaftsentwicklung sind sich dieser bewusst, und auch umgekehrt gestehen Personen aus Ländern mit einer schwierigen Wirtschaftslage diese ohne Zögern ein.

7.2

In Bezug auf den Stabilitätspakt entsprechen der Kenntnisstand und die Unterschiede auf nationaler Ebene in etwa den Kenntnissen über die Wirtschaftspolitik. Drei Viertel der Befragten stimmt allerdings darin überein, dass der Stabilitätspakt einen starken und stabilen Euro gewährleistet. Es ist symptomatisch, dass der größte Prozentsatz jener, die anderer Meinung sind, aus Ländern stammt, die einen Preisanstieg verzeichnen, für den implizit der Euro verantwortlich gemacht wird.

7.3

Aus der Umfrage geht demnach offenbar hervor, dass allgemein die Überzeugung herrscht, der Euro sei für die Wirtschaftslage und den Preisanstieg bzw. bisweilen auch für die positive Wirtschaftsentwicklung in den einzelnen Ländern verantwortlich — je nach der besonderen (nationalen) Sichtweise des Einzelnen. Es sollte herausgestellt werden, dass die Wirtschaft der Eurozone den Euro vor Störungen schützt, von denen sonst jedes Land für sich und in einem stärkeren Ausmaß betroffen wäre. Es muss sich jeder Bürger die Frage stellen, wie es ohne die Euro-Einführung um die Wirtschaft in seinem Land bestellt wäre. Welche Volkswirtschaft hätte allein und auf sich gestellt den externen Problemen die Stirn bieten können, welche in den letzten Jahren aufgetreten sind und die Weltwirtschaft jederzeit wieder treffen können?

8.   Die neuen Mitgliedstaaten

8.1

Es ist nicht möglich, die analytischen Überlegungen betreffend die Euro-Länder und die 11 neuen Mitgliedstaaten, darunter die drei zuletzt beigetretenen Länder, sowie die Staaten mit einer mehr oder weniger kurzfristigen Beitrittsperspektive in einem einzigen Dokument zusammenzufassen. Aus der Untersuchung der Antworten auf bestimmte Schlüsselfragen der Umfrage vom September 2007 können jedoch nützliche Schlüsse für künftige Maßnahmen im Hinblick auf die Akzeptanz der gemeinsamen Währung gezogen werden.

8.2

Die Meinungsumfrage zu den Folgen der Euro-Einführung auf nationaler Ebene zeigt, dass ein großer Teil der Bürger (53 %) dazu eine positive Einstellung hat, während 33 % sich gegen den Euro aussprechen und 15 % mit „weiß ich nicht“ antworten (4). Die Frage nach der Euro-Einführung im Allgemeinen ergab ein sehr ähnliches Durchschnittsergebnis. In beiden Fällen schwankt der Anteil der Befürworter und Gegner zwischen den einzelnen Ländern erheblich. So reicht der Anteil der Gegner von 55 % in Lettland bis 18 % in Rumänien. Die negative Einstellung ist in den Ländern mit einer geringen Bevölkerungszahl grundsätzlich stärker ausgeprägt.

8.2.1

Vergleicht man diese Daten mit denen der Euro-Länder (siehe Ziffer 5.6), dann zeigt sich in letzteren ein geringerer Anteil an Befürwortern. Der EWSA nimmt dies mit einer gewissen Verwunderung zur Kenntnis, stellt jedoch fest, dass diese Angabe, sofern sie wirklich der Realität entspricht, wahrscheinlich eher mit dem verbreiteten Missmut gegenüber der Europäischen Union als mit einer besonderen Ablehnung der gemeinsamen Währung zusammenhängt (siehe Ziffer 5.6.2).

8.3

Die aus der Sicht der Verbraucher wichtigste unbekannte Größe sind die Auswirkungen der Euro-Einführung auf die Preise: drei Viertel der Befragten befürchten einen Preisanstieg, während 11 % im Euro ein neutrales Element sehen und 6 % ein Sinken der Preise erwarten. Diese Daten müssen mit denen der Länder der Eurozone (siehe Ziffer 5.1) verglichen werden. Dort machen mehr als 80 % der Befragten die gemeinsame Währung für die gestiegenen Preise verantwortlich. Dies ließe den Schluss zu, dass die gemachten Erfahrungen die Befürchtungen jener, welche den Euro noch nicht eingeführt haben, bestätigen. Diese Behauptung wäre jedoch nicht nur stark vereinfachend, sondern auch irreführend, denn in allen Ländern Europas und der ganzen Welt sind die Preise gestiegen und steigen noch immer. Es wäre interessant zu untersuchen, welche Gründe in Ermangelung des Euros in den andern Ländern für den Preisanstieg verantwortlich gemacht werden.

8.4

Aus den Antworten auf die Frage zu den positiven Auswirkungen der Euro-Einführung geht hervor, dass die große Mehrheit der Befragten erwartet, dass die gemeinsame Währung ein nützliches Zahlungsmittel auf Reisen im Ausland ist, den Kauf von Waren und Dienstleistungen in anderen Ländern ermöglicht, einen Preisvergleich erleichtert und die Umtauschkosten erspart. Ein geringerer Anteil glaubt, dass der Euro ihr Land vor internationalen Krisen schützen wird. Alle diese Erwartungen entsprechen den Vorteilen, die die Bürger in den jetzigen Euro-Ländern wahrgenommen haben, was — selbst den hartnäckigsten Gegnern — beweist, dass die Erwartungen nicht enttäuscht wurden.

8.5

Zu Fragen, die nicht so unmittelbar wahrgenommen werden, fallen die Antworten nicht ganz so entschieden positiv aus, wobei ein großer Anteil mit „weiß nicht“ antwortet. Dies zeigt deutlich, dass die Bürger bei Problemen, die sie nicht so unmittelbar wahrnehmen, entweder vorsichtiger oder überhaupt nicht antworten. Aus diesem Blickwinkel betrachtet sind die Ergebnisse überaus positiv: 66 % sind der Meinung, dass der Euro die Position Europas in der Welt stärken wird, und rund die Hälfte glaubt, dass er die Preisstabilität sichert, Wachstum und Beschäftigung fördert, solide öffentliche Finanzen gewährleistet. Auf die Frage, ob niedrigere Zinssätze erwartet werden, fallen die Antworten jedoch differenzierter aus: je ein Drittel antwortet mit „ja“, „nein“ bzw. „weiß nicht“.

8.6

Die Schlüsselfrage nach dem politischen Wert betrifft die Wahrnehmung des Euro als Faktor für die Herausbildung eines europäischen Bewusstseins. 53 % der Befragten haben dies bejaht, während 35 % mit Nein antworteten. Diese Ziffer allein ist schon erfreulich, doch ist sie noch positiver, wenn man bedenkt, dass die Frage 2004 von 47 % bejaht und 45 % verneint wurde. Vergleicht man diese Daten mit den Ergebnissen der Umfrage in den Euro-Ländern (siehe Ziffer 6.1), ergeben sich Zweifel. Mehr als drei Viertel der Befragten in der Eurozone hat nämlich erklärt, dass der Euro ihre Wahrnehmung der Europäischen Identität in nichts verändert hat.

9.   Schlusserwägungen

9.1

Die Eurobarometer-Umfragen untersuchen die Einstellungen der Bürger zum Euro und deren Entwicklung über einen längeren Zeitraum. Zu Einzelfragen können die Einschätzungen von Umfrage zu Umfrage unterschiedlich ausfallen. Einzelmaßnahmen zur Korrektur bestimmter Tendenzen könnten sich allerdings als unzureichend — wenn nicht gar kontraproduktiv — erweisen, wenn man den politischen Gesamtwert des Vorhabens außer acht lässt, das ein bedeutender Politiker einmal geistreich als „Euro-Diplomatie“ bezeichnet hat.

9.2

Es besteht kein Zweifel daran, dass ein beträchtlicher Teil der Öffentlichkeit sowohl in den Euro-Ländern als auch in den neuen Mitgliedstaaten nach wie vor erhebliche Vorbehalte gegenüber der gemeinsamen Währung hegt. Aus allen Antworten auf die einzelnen Fragestellungen gewinnt man jedoch den Gesamteindruck, dass sich hinter den negativen Antworten sehr oft eine Ablehnung des Europagedankens verbirgt. Anders gesagt, nicht der Euro an sich wird in Frage gestellt, sondern vielmehr das, wofür der Euro aus der Sicht der Bürger steht: ein politisches Projekt, das sie sich noch nicht zu Eigen gemacht haben oder vielleicht sogar ablehnen und das in einer von oben verordneten Währung zum Ausdruck kommt.

9.3

Die Ursachen für die Ablehnung des Europagedankens — und des Euro als seines konkreten Symbols — sind vielfältig. Dazu zählt unter anderem auch, dass es in jedem Land — ungeachtet der offiziellen Haltung der Regierungen — politische Bewegungen und Teile der Medien gibt, die in Opposition zum Projekt „Europa“ stehen. Nicht selten verteidigen sogar die Regierungen selbst eindeutig unpopuläre Maßnahmen, indem sie die gemeinsame Währung oder ihr zu Grunde liegende Regeln dafür verantwortlich machen. Es lässt sich nur schwer sagen, inwieweit diese Einstellungen wirklich auf Ablehnung oder schlicht und einfach auf Opportunismus zurückzuführen sind. Fest steht, dass keine europäische politische Maßnahme möglich ist, wenn sich diejenigen, die die Macht ausüben — Regierungen, Parteien, Medien — diese Maßnahme nicht zu Eigen machen.

9.4

Der organisierten Zivilgesellschaft kommt bei dieser Strategie eine entscheidende Rolle zu: Sie bildet eine Querschnittskraft, die im unmittelbaren Kontakt zu den Bürgern steht. Sie kann Druck von unten nach oben in die Machtebenen und zugleich Druck von oben auf die Bürger ausüben. Sie hat damit eine privilegierte und gleichzeitig sehr verantwortungsvolle Position inne, die sie nur dann erfolgreich ausüben kann, wenn sie über die einzelnen politischen Positionen und nationalen Zugehörigkeiten hinweg am gleichen Strang zieht. Der EWSA ist die einzige europäische Institution, die ein solches Profil hat, und er ist fest entschlossen, seiner Rolle in Zusammenarbeit mit der Kommission und den Sozialpartnern der Mitgliedstaaten gerecht zu werden.

9.5

Es mangelt nicht an Argumenten, auf denen das Vorhaben, den Bürgern den Euro und damit den Europagedanken näher zu bringen, aufbauen könnte: das wirtschaftliche Gewicht der Eurozone, die in der ganzen Welt getätigten Anlagen in Euro, seine zunehmende Verbreitung als Reservewährung, der Schutz vor Turbulenzen im Finanzsektor, die Preisstabilität und sein Beitrag zum Schutz der Kaufkraft. Auf Einwände könnte man mit einer Gegenfrage antworten: Ein jeder sollte sich fragen, was in seinem eigenen Land geschehen wäre, wenn die nationale Währung allein vor den Turbulenzen der Vergangenheit und Gegenwart gestanden hätte, vor Krisen, die auch in der Zukunft nicht unwahrscheinlich sind.

9.6

Wichtigster Ansatzpunkt zur Steigerung der Akzeptanz des Euro wäre jedenfalls eine Wirtschafts- und Sozialpolitik in der EU, welche Beschäftigung und Einkommen fördert sowie ein angemessenes Sozialschutzsystem bietet. Erst dann werden die Bürger das Projekt „Europa“ zu schätzen wissen und damit auch den Euro akzeptieren.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Introduction of the euro in the new member States, Flash Eurobarometer 207, the Gallup Organization, Oktober 2007.

(2)  In Ermangelung spezifischer länderbezogener soziodemographischer Analysen ist es nicht möglich, zu der Annahme in Ziffer 5.6.4 Stellung zu nehmen.

(3)  Diese von 30 % der Befragten genannte Begründung bezieht sich wahrscheinlich auf den nationalen Markt, kann jedoch entsprechend auch auf die Eurozone ausgeweitet werden.

(4)  Aufgrund gerundeter Zahlen ergibt die Gesamtsumme nicht genau 100 %.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/124


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen“

KOM(2007) 747 endg. — 2007/0267 (CNS)

(2008/C 224/28)

Der Rat beschloss am 18. Dezember 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 30. April 2008 an. Berichterstatter war Herr ROBYNS DE SCHNEIDAUER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 98 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Zusammenfassung und Empfehlungen

1.

Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, die Mehrwertsteuerregelungen für Finanz- und Versicherungsdienstleistungen an die Anforderungen des Binnenmarktes anzupassen. Der Ausschuss begrüßt insbesondere die diesbezügliche Zusammenarbeit zwischen den direkt Beteiligten (1) wie auch die öffentliche Konsultation, die über das Internet veranstaltet wurde. Doch bei künftigen Mehrwertsteuer-Revisionen empfiehlt der EWSA die unmittelbare Einbeziehung aller interessierten Kreise in das Rechtsetzungsverfahren.

2.

Der EWSA stimmt darin zu, dass die Vorschläge ein entscheidender Schritt zu einem modernen und wettbewerbsfähigen MwSt-Rahmen für Versicherungs- und Finanzdienstleistungen sind. Allerdings würde der Ausschuss einen gründlicheren rechtlichen Ansatz begrüßen, um die noch vorhandenen Auslegungsschwierigkeiten und ungelösten Probleme zu beseitigen. Es kann nicht genug betont werden, dass die Europäische Kommission bei der Entwicklung von Mehrwertsteuer-Vorschriften für Versicherungs- und Finanzdienstleistungen sehr sorgfältig vorgehen muss. Die Interessen beider Sektoren und ihrer Kunden, insbesondere der Privatkunden, dürfen nicht aufs Spiel gesetzt werden. Denn neben dem Sachverhalt, dass zwei Wirtschaftszweige betroffen sind, die für ein gutes Funktionieren der Wirtschaft insgesamt und folglich für die Schaffung von Arbeitsplätzen für viele europäische Bürger von entscheidender Bedeutung sind, handelt es sich auch um ein sehr fachspezifisches Gebiet, das keinen Spielraum für bloße Mutmaßungen zulässt. Da eines der wichtigsten Anliegen die Rechtssicherheit und Verringerung des Verwaltungsaufwands für die Wirtschaftsbeteiligten und die einzelstaatlichen Steuerbehörden ist, muss der Sinn der Formulierungen unmissverständlich sein.

3.

Was die Frage der Mehrwertsteuer-Neutralität angeht, ist der EWSA über die Einführung von Kostenteilungsregelungen und die Erweiterung der Option für eine Besteuerung erfreut. Er ist davon überzeugt, dass diese Instrumente bei präzisen Formulierungen und der entsprechenden Umsetzung die Auswirkungen der versteckten Mehrwertsteuer auf die Kosten der Versicherungs- und Finanzdienstleister verringert werden können. Dies würde nicht nur die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit des Sektors verbessern, sondern auch der Schaffung von Arbeitsplätzen oder ihrem Erhalt in der Union zugute kommen. Da es das Ziel ist, mehr Mehrwertsteuer-Neutralität und gleiche Wettbewerbsbedingungen auf dem Versicherungs- und Finanzdienstleistungsmarkt zu schaffen, stellen sich noch eine Reihe von Herausforderungen. Vor allem sind weitere Klärungen und eindeutigere Definitionen für eine Reihe von Steuerbefreiungen und Konzepte wie etwa dem „spezifischen und wesentlichen Charakter“ von befreiten Dienstleistungen sowie des Geltungsbereichs von steuerbefreiten Mittlerdiensten erforderlich. Eine annehmbare Lösung dürfte darin bestehen, den Geltungsbereich der Kostenteilungsregelungen auf möglichst viele Wirtschaftsbeteiligte auszudehnen und unangebrachte Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Option für eine Besteuerung zu vermeiden. Schließlich muss auch geprüft werden, wie vermieden werden kann, dass die MwSt zusätzlich zu anderen vergleichbaren Steuern erhoben wird; dies gilt etwa für solche Dienstleistungen, auf die bereits spezifische inländische Steuern — wie vor allem die Versicherungssteuer — erhoben werden, und für die der Dienstleister die Option für eine Mehrwertbesteuerung wählt. Denn andernfalls würden die Interessen der Verbraucher beeinträchtigt.

Begründung

1.   Hintergrund: Ein wettbewerbsfähigerer Binnenmarkt für Versicherungs- und Finanzdienstleistungen (2)

1.1

Nach den derzeitigen MwSt-Vorschriften sind die Versicherungsnehmer bei den meisten Versicherungs- und Finanzdienstleistungen von der Mehrwertsteuer (MwSt) befreit. Doch bildet dies ungebührliche Hindernisse für die Verwirklichung eines integrierten, offenen, effizienten und wettbewerbsfähigen Binnenmarktes für die Finanz- und Versicherungsdienstleister. Dabei stehen zwei Probleme im Vordergrund (3).

1.2

Erstens sind die für MwSt-Zwecke festgelegten Definitionen der Steuerbefreiungen für Versicherungs- und Finanzdienstleistungen veraltet. Zudem gibt es keine klare Abgrenzung zwischen steuerbefreiten und zu versteuernden Dienstleistungen und kein gemeinschaftsweit akzeptiertes Verfahren zur Festlegung der erstattungsfähigen Vorsteuer. Deshalb gibt es keine in sämtlichen Mitgliedstaaten einheitlich angewandten Ausnahmen. Folglich hat in den vergangenen Jahren die Anzahl der Rechtsfälle, die dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt wurden, erheblich zugenommen. Deshalb müssen die Rechtslücken geschlossen und die Regeln für MwSt-Befreiungen für Versicherungs- und Finanzdienstleistungen geklärt werden. Denn es ist sinnvoll — so sieht es auch die Kommission — für künftige Entwicklungen im Finanzdienstleistungssektor offen zu bleiben.

1.3

Das zweite Problem ist die fehlende Neutralität der Mehrwertsteuer. Die Versicherungs- und Finanzdienstleister können die MwSt, die sie für erworbene Waren und Dienstleistungen zum Betrieb ihrer Wirtschaftstätigkeit entrichten (Vorsteuer), im Allgemeinen nicht erstattet erhalten. Dies ist bei Geschäften außerhalb der Finanzwelt anders: dort ist die Vorsteuer kein Kostenfaktor, weil sie den Verbrauchern (daher Verbrauchssteuer) in Rechnung gestellt und dann an den Staat weitergegeben wird, ohne die eigenen Einkünfte zu tangieren. Für die Finanzämter der Mitgliedstaaten ist die MwSt eine wichtige Einkommensquelle, aber die Unternehmen leiden unter der sich akkumulierenden Wirkung. Die „versteckte“, nicht erstattungsfähige Mehrwertsteuer wird zu einem Bestandteil der Kosten der Versicherungs- und Finanzdienstleistungen. Letzten Endes erhöhen sich dadurch insgesamt die Kosten für Waren und Dienstleistungen für den Verbraucher (4).

1.4

Im Rahmen des allgemeinen Trends zur Integration der europäischen Finanzmärkte und des globalen Wettlaufs um verbesserte Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit entwickeln die Versicherungs- und Finanzdienstleister neue Geschäftsmodelle. Dies gestatten ihnen, zentrale interne Dienst- und Serviceleistungen in so genannte Exzellenzzentren auszugliedern, die diese Funktionen horizontal für ganze Unternehmensgruppen ausüben. Solche Geschäftsmodelle lassen eine spürbar bessere Nutzung des Know-how und der Investitionen zu, das heißt, führen zu qualitativ hochwertigeren Produkten bei niedrigeren Kosten. Dies führt zu dem Problem, dass zusätzliche Kosten entstehen, wenn solche Dienste mit Mehrwertsteuer belegt werden, die von den Finanz- und Versicherungsunternehmen zu entrichten sind, woraus sich der vorgenannte Akkumulierungseffekt ergibt.

1.5

Ziel der Überarbeitung des MwSt-Rechts ist einerseits eine aktualisierte und einheitlichere Anwendung der MwSt-Vorschriften, wodurch mehr Rechtssicherheit geschaffen und der Verwaltungsaufwand für die Wirtschaftsakteure und die Verwaltungen verringert wird. Um das Problem der mangelnden Mehrwertsteuerneutralität zu beheben, soll mit dem Vorschlag (MwSt-Richtlinie) andererseits den Versicherungs- und Finanzdienstleistern angeboten werden, die Kosten für die nicht abzugsfähige MwSt in der Weise aufzufangen, dass sie wählen können, ob sie ihre Dienste als mehrwertsteuerpflichtige anbieten und nicht erstattungsfähige Mehrwertsteuern vermeiden; dies soll durch eine Präzisierung und Ausweitung der Steuerbefreiungen für Kostenteilungsregelungen (auch grenzüberschreitende) erfolgen.

2.   Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem: der rechtliche Ansatz (5)

2.1

Seit mehr als 30 Jahren gab die sechste Mehrwertsteuerrichtlinie (77/388/EG) die Grundlage für den gemeinsamen europäischen Rahmen für die Mehrwertsteuer ab. Doch haben zahlreiche Änderungen ihre Lektüre kompliziert und den Zugang auch für Juristen erschwert. Am 1. Januar 2007 trat eine neue Mehrwertsteuerrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft in Kraft (2006/112/EWG), mit der die Verständlichkeit, logische Kohärenz und Vereinfachung verbessert wurde, ohne jedoch inhaltliche Änderungen vorzunehmen.

2.2

Im Rahmen ihrer Bestrebungen, die Steuervorschriften für Finanzierungs- und Versicherungsdienstleister zu modernisieren und zu vereinfachen, schlug die Europäische Kommission im November 2007 eine weitere Änderung des EU-Mehrwertsteuerrechts vor (6). Diese Vorschläge sind Bestandteil der Strategie der Kommission zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds (KOM(2006) 690 Abschnitt 66). Mit den neuen Begriffsdefinitionen soll auch mehr Kohärenz mit den Binnenmarktvorschriften (z.B. bei Investmentfonds, Kredit-Rating, Derivaten) hergestellt werden.

2.3

Der vorliegende Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem für die Versicherungs- und Finanzdienstleistungen sieht Änderungen an Artikel 135 Absatz 1 Buchstabe a) bis g) und Artikel 137 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 der MwSt-Richtlinie 2006/112/EG vor. Er geht mit einem Vorschlag für eine MwSt-Verordnung (7) einher, der Bestimmungen zur Umsetzung der einschlägigen Artikel der Richtlinie des Rates 2006/112/EG vom 28. November 2006 zum gemeinsamen MwSt-System für Finanz- und Versicherungsdienstleistungen enthält. So werden diejenigen Finanz-, Versicherungs-, Verwaltungs- und Vermittlungstätigkeiten aufgeführt, die für Vorsteuerbefreiungen infrage bzw. nicht infrage kommen sowie die Dienstleistungen, die spezifische und wesentliche Eigenschaften der steuerbefreiten Dienstleistung aufweisen und deshalb eine eigenständige steuerbefreite Dienstleistung darstellen. Wegen der Komplexität der Finanzdienstleistungen und Versicherungsmärkte und der ständigen Entwicklung neuer Produkte ist die Aufzählung nicht erschöpfend.

3.   Anhörung interessierter Kreise und Folgenabschätzung (8)

3.1

Von 2004 bis 2007 gab es Konsultationen mit den interessierten Kreisen; darüber hinaus hatte die Europäische Kommission eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben. Alle Beteiligten bekräftigten, dass eine Überarbeitung der MwSt-Regelungen für den Versicherungs- und Finanzdienstleistungssektor dringend erforderlich sei. Die dazu erwogenen Optionen wurden ausführlich in der Folgenabschätzung der GD TAXUD dargestellt (9).

3.2

Im Jahr 2004 fand in Dublin ein Fiscalis-Seminar für die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten statt. Dort wurden verschiedene Problembereiche der Wirtschaftsbeteiligten erörtert, insbesondere die Entwicklungen auf dem Binnenmarkt und dem Weltmarkt, die vor allem das Phänomen des Outsourcing erklären. 2005 wurde der Dialog mit den wichtigsten Beteiligten weiter intensiviert. Regelmäßige Kontakte wurden mit Vertretungsorganen wie der Europäischen Bankenvereinigung (FBE), dem Europäischen Versicherungsausschuss (CEA), dem Internationalen Versicherungsvermittlerverband (BIPAR) und dem Europäischen Verband der Investment-Mangement-Wirtschaft (EFAMA) sowie mit Fachberatern und anderen interessierten Kreisen gepflegt.

3.3

Im Anschluss an das erste Fiscalis-Seminar gab die GD TAXUD bei einem unabhängigen Sachverständigen eine Untersuchung in Auftrag, um zu einem besseren Verständnis der wirtschaftlichen Folgen der Mehrwertsteuerbefreiung bei Versicherungs- und Finanzdienstleistungen zu gelangen (10). Der Abschlussbericht wurde der Kommission im November 2007 vorgelegt; er enthielt u.a. folgende Schlussfolgerungen (11):

a)

Die EU-Finanzinstitutionen sind weniger profitabel als die entsprechenden Einrichtungen in anderen hoch entwickelten Wirtschaftsregionen wie etwa den USA. Die europäischen Finanzinstitutionen leiden stärker unter der eingeflossenen — nicht erstattungsfähigen und sich akkumulierenden — Mehrwertsteuer, die ihre Kosten erhöht;

b)

es liegt auf der Hand, dass wegen der unterschiedlichen Auslegungen der MwSt-Richtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten, welche Finanzdienstleistungen steuerbefreit sind oder nicht, die Wirtschaftsbeteiligten bei ihren ökonomischen Entscheidungen erheblicher Rechtsunsicherheit ausgesetzt sind. Dies spielt eine große Rolle bei der Frage, welche Arbeitsbereiche ausgegliedert (outsourced) werden sollen und welche nicht;

c)

unterschiedliche Auslegungen in den Urteilen des EuGH und unterschiedliche Berechnungen der Rückerstattungsquoten werden als Quelle für Verzerrungen betrachtet, die zur mangelnden MwSt-Neutralität beitragen. Die Untersuchung schloss mit der Feststellung, dass die geltende MwSt-Behandlung der Finanzdienstleistungen mittelfristig eine „Quelle für unfaire Wettbewerbsvorteile“ werden und die „Verwirklichung des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen verhindern“ werde.

3.4

Nach weiteren Konsultationen mit den Mitgliedstaaten und der Generaldirektion MARKT wurde das Grundlagendokument TAXUD 1802/09 verfasst und im Mai 2006 auf der Steuerkonferenz in Brüssel mit Beteiligten und Mitgliedstaaten erörtert. In diesem Arbeitsdokument werden die wichtigsten Probleme und möglichen technischen Maßnahmen zu ihrer Lösung dargestellt.

3.5

Vom 9. Mai 2006 bis zum 9. Juni 2006 wurde eine offene Konsultation über das Internet durchgeführt. Dazu gingen bei der Europäischen Kommission 82 Antworten ein (12). Die Beiträge der Beteiligten in der öffentlichen Konsultation über Finanz- und Versicherungsdienstleistungen führten zu drei zentralen Schlussfolgerungen: erstens muss eine Reform unabhängig davon, welche Optionen für die Modernisierung der Mehrwertsteuerregelung für Versicherungs- und Finanzdienstleistungen gewählt werden, zu mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit führen und den Verwaltungsaufwand für die Dienstleister, Unterauftragnehmer, Mittler und Kunden verringern. Zweitens haben die Wirtschaftsbeteiligten aus der Versicherungs- und Finanzdienstleistungsbranche zwar im Wesentlichen dieselben Anliegen, aber setzen u.U. ihre Prioritäten zur Lösung der Probleme unterschiedlich. Drittens unterscheidet sich das Interesse der Wirtschaftsakteure an den Diensten zwischen Unternehmen (B2B) erheblich von ihrem Interesse an den Dienstleistungen von Unternehmen für Verbraucher (B2C).

3.6

Im Juni 2007 wurden auf der Webseite der Generaldirektion die Dokumente mit ersten Entwürfen der Rechtsvorschriften veröffentlicht, die anschließend in mehreren Sitzungen mit allen Beteiligten gründlich erörtert wurden. Am 31. Juli 2007 fand eine Diskussionsrunde mit allen an der Mehrwertsteuer Interessierten statt. Am 28. November 2007 nahm die Europäische Kommission die vorgenannten Vorschläge und die Folgenabschätzung an und veröffentlichte sie.

3.7

In der Folgenabschätzung werden von der GD TAXUD voraussichtliche Folgen des Vorschlags für die privaten Verbraucher, die Kunden aus der Wirtschaft, die europäischen Versicherungs- und Finanzdienstleister und die einzelstaatlichen Steuerbehörden aufgeführt. Diese Bewertung erfolgt vor allem auf der Grundlage der Ergebnisse der Untersuchung zum Verständnis der wirtschaftlichen Folgen der Mehrwertsteuerbefreiung für Versicherungs- und Finanzdienstleistungen (13). Abhängig von verschiedenen Faktoren — etwa dem üblichen MwSt-Satz, der geltenden Mehrwertsteuerbehandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen, der Wechselwirkung mit anderen Steuern wie der Lohnsteuer und den Folgen für die Sozialversicherungs- und Arbeitslosenbeiträge usw. — werden sich die Auswirkungen auf die Haushalte der Mitgliedstaaten voraussichtlich unterschiedlich gestalten. Gleichwohl können nach der PWC-Studie (14) folgende Prognosen aufgestellt werden (15):

3.7.1

Auswirkungen auf die Haushalte der Privat- und Wirtschaftskunden: Derzeit sind die Versicherungs- und Finanzdienstleistungen von der MwSt befreit. Eine erweiterte Möglichkeit, sich für eine Besteuerung zu entscheiden, sollte auf keinen Fall zu einer Erhöhung der Endkosten der Finanzdienstleister für die Verbraucher führen. Bei Finanzdienstleistungsgeschäften ist die nicht erstattungsfähige MwSt auf den Produktpreis eine so genannte „versteckte Steuer“. Mit der Möglichkeit, sich für eine Besteuerung zu entscheiden, würde diese versteckte Steuer entfallen, was wiederum den Wirtschaftsteilnehmern gestatten würde, effizienter zu werden und somit ihre Produkte zu niedrigeren Preisen anzubieten. Dasselbe gilt für Kostenteilungsregelungen. Dies ist allerdings nur eine Annahme aufgrund der Erfahrungen mit der Option zugunsten einer Besteuerung, wie sie in Staaten wie etwa Belgien gemacht wurden. Es sind weitere Untersuchungen erforderlich, um genauer zu ermitteln, welche konkreten Auswirkungen die Option zugunsten einer Besteuerung in den verschiedenen Marktsegmenten auf die Geschäftsmodelle und Kosten der Finanzprodukte haben würde. Die privaten Verbraucher müssen die günstigste Option genießen und dürfen keine Nachteile aus der Anwendung der MwSt auf andere Marktsegmente erleiden.

3.7.1.1

Es dürfte allerdings äußerst unwahrscheinlich sein, dass mit der Option zugunsten einer Besteuerung den Kunden aus der Wirtschaft Nachteile erwachsen, denn prinzipiell erhalten sie die Vorsteuer zurück. Die möglichen Folgen für die Haushalte der Privatkunden für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Option zugunsten einer Besteuerung auch auf Unternehmen/Verbraucher-Geschäfte angewandt wird, sind weniger klar. Da Privatkunden die Mehrwertsteuer nicht absetzen können, könnte insbesondere bei der Zahlung der Versicherungsbeiträge das Problem auftreten, dass die MwSt zusätzlich zu anderen vergleichbaren Steuern anfällt. Gegenwärtig werden solche Beiträge mit einzelstaatlichen Steuern und parafiskalischen Abgaben in Rechnung gestellt, die allein deshalb bestehen, weil die nationalen Finanzämter keine Mehrwertsteuer auf Versicherungsdienstleistungen erheben dürfen. Wie sich die Folgen auswirken, hängt jedoch auch davon ab, in welchem Umfang die Finanz- und Versicherungsdienstleister die Option zugunsten einer Besteuerung auch gegenüber Privatkunden nutzen werden.

3.7.2

Auswirkungen auf die Beschäftigung: Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die finanziellen Auswirkungen nicht nur die Höhe des MwSt-Aufkommens betreffen. Dem EWSA liegt sehr daran, dass steuerliche Lösungen wie die Option auf Besteuerung oder Kostenteilungsregelungen dazu beitragen, wichtige Wirtschaftszweige in die Mitgliedstaaten zu locken oder sie dort zu halten. Denn einerseits garantiert dies unmittelbar Arbeitsplätze im Versicherungs- und Finanzierungssektor, andererseits aber auch mittelbar Arbeitsplätze in anderen Bereichen in den Mitgliedstaaten. Indirekt können Arbeitsplätze entstehen in Bereichen wie etwa der IKT oder bei den Anbietern von Outsourcing-Diensten, aber auch bei Lieferanten von Waren und Dienstleistungen an die Finanzierungs- und Versicherungsgesellschaften (z.B. Hardware, Sicherheitsdienste, Catering, Baufirmen und Immobiliengesellschaften usw.). Die Vorschläge müssen so gestaltet sein, dass sie die europäischen Unternehmen davon abhalten, ihre Geschäftstätigkeiten in Länder außerhalb der Europäischen Union zu verlagern; wenn sie zielgerichtet konzipiert und umgesetzt werden, können die neuen Vorschriften ein attraktives Argument für Unternehmen sein, ihre Geschäftstätigkeiten in der EU zu konzentrieren oder dorthin zu verlagern. Diese Überlegungen beruhen auf Analysen üblichen Wirtschaftsverhaltens, die die Bedeutung des lokalen Wissens und der Kontrollketten vor Ort berücksichtigen. Gleichwohl kann damit nicht garantiert werden, dass europäische Unternehmen in Zukunft ihre Aktivitäten nicht doch aus der EU verlagern. Deshalb ist der EWSA sehr auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Qualität der Arbeitsplätze bedacht.

3.7.3

Voraussichtliche Folgen für die europäischen Versicherungs- und Finanzierungsunternehmen: Die Europäische Kommission erwartet, dass sich mit der Klärung der Definitionen von steuerbefreiten Versicherungs- und Finanzdienstleistungen die Befolgungskosten verringern. Gegenwärtig müssen die Unternehmen die Auslegung der Befreiung mit jedem Mitgliedstaat einzeln abstimmen und sind häufig darauf angewiesen, sich an den Europäischen Gerichtshof zu wenden. Dies ist nicht allein mit großen Kosten verbunden, sondern auch ein Hindernis für die europäische Integration und die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Eine kohärente Interpretation würde bedeutet, dass die Auslegung in einem Mitgliedstaat auch in jedem anderen gültig ist. Ferner gestatten die leichteren Möglichkeiten von Kostenteilungsregelungen und Optionen zur Besteuerung den Finanzierungs- und Versicherungsunternehmen, die Auswirkungen der nicht erstattungsfähigen Mehrwertsteuer auf ihre interne Kostenstruktur besser zu steuern; damit erhöht sich die Profitabilität der Versicherungs- und Finanzdienstleister, wodurch sie auf dem Weltmarkt besser konkurrieren und die Kapital- und Versicherungskosten für die europäische Wirtschaft und die Verbraucher insgesamt senken können.

3.7.4

Auswirkungen auf die Haushalte der nationalen Steuerverwaltungen: Die Kommission ist davon überzeugt, dass größere Rechtssicherheit das Steuerrecht der Mitgliedstaaten stärkt und die Möglichkeiten für aggressive Steuerplanung verringert. Auch würde sich der Verwaltungsaufwand für die einzelstaatlichen Finanzbehörden wegen der klareren Ausnahmeregelungen verringern. Allerdings kann bei einer konsistenteren Anwendung von Ausnahmeregelungen nicht ausgeschlossen werden, dass einige Mitgliedstaaten bestimmte Dienstleistungen, die sie derzeit als steuerpflichtig eingestuft haben, von der Steuer befreien müssen, und umgekehrt. Aber nach einer gründlichen Bewertung nimmt die Kommission an, dass der Gesamteffekt auf die Steueraufkommen nur geringfügig oder sogar neutral sein wird. Ertragreichere Versicherungs- und Finanzierungsunternehmen dürften mehr direkte Steuern zahlen und somit in die nationalen Haushalte einzahlen. Ferner dürfte ein Großteil der MwSt, die aufgrund von Kostenteilungsregelungen theoretisch verloren ginge, auch derzeit gar nicht erhoben werden, weil die Wirtschaftsakteure diesen Kostenfaktor minimieren, indem sie ihre Arbeitsabläufe durch geeignete, aber komplizierte und verwaltungsmäßig aufwändige organisatorische Maßnahmen zentralisieren.

3.7.4.1

Doch hält es die Europäische Kommission für schwierig, die Folgen dieser Mehrwertsteuerlösungen einzuschätzen. Viel wird davon abhängen, wie die Finanzierungs- und Versicherungsunternehmen auf diese Änderungen reagieren werden. Bei der Kostenteilung hängt die Verringerung des Steueraufkommens davon ab, ob diese Regelungen bereits in Kraft sind und der Mehrwertsteuer unterliegen oder nicht. Falls die neuen Bestimmungen die Versicherungs- und Finanzdienstleister dazu veranlassen, effizienz-orientierte Regelungen zu treffen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten, ergeben sich keine MwSt-Verluste. Falls solche Regelungen bereits bestehen und der Mehrwertsteuer unterliegen, was sehr unwahrscheinlich ist, dann dürfte es allerdings wegen der umfangreicheren Befreiungen Aufkommenseinbußen geben. Bei den Änderungen bezüglich der Option für eine Besteuerung wird bei den Geschäften von Unternehmen zu Unternehmen (B2B) ein verringertes Steueraufkommen zu erwarten sein, da Unternehmerkunden im allgemeinen die Mehrwertsteuer, die sie zahlen, zurückerhalten können. Andererseits würde eine Besteuerung von Geschäften zwischen Unternehmen und Privatkunden (B2C) das Steueraufkommen theoretisch erhöhen. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht sicher, in welchem Umfang die Versicherungs- und Finanzdienstleister wirklich die Option für eine Besteuerung bei Finanz- und Versicherungsgeschäften gegenüber Privatkunden (B2C) wählen werden. Zunächst müssten Finanzinstitute und Versicherungsgesellschaften sicher sein, dass sie in der Lage sind, ihre Effizienz so weit zu steigern, dass sie Privatkunden die MwSt in Rechnung stellen können, ohne dass sich die Kosten für diese Kunden erhöhen.

4.   Bemerkungen zu den Versicherungs- und Finanzdienstleistungen

4.1

Der EWSA unterstützt voll und ganz die Europäische Kommission in ihrem ehrgeizigen Vorhaben, die Mehrwertsteuerregelungen für Versicherungs- und Finanzdienstleistungen an die Erfordernisse des modernen Marktes anzupassen. Die Vorschläge haben das klare Ziel, die wichtigsten Anliegen der Finanzierungs- und Versicherungswirtschaft und ihrer Kunden zu regeln; der dazu gewählte Ansatz, eine Richtlinie mit Durchführungsbestimmungen in einer Verordnung, erscheint stimmig und kohärent.

4.2

Aber der EWSA ermuntert die Europäische Kommission, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten weiterhin an der Klarstellung einer Reihe von Begriffsbestimmungen zu arbeiten, um dem zentralen Anliegen größerer Rechtssicherheit rundum gerecht zu werden. Was die Begriffsbestimmungen für Finanzdienstleistungen angeht, so hat der Ausschuss Bedenken zu einigen Formulierungen in den Vorschlägen, beispielsweise 'Gewährung von Krediten', wie sie in Artikel 135 Ziffer 2 der MwSt-Richtlinie und in Artikel 15 der MwSt-Verordnung definiert wird. Diese Begriffsbestimmungen sind nicht ganz präzise und erscheinen allzu einschränkend. Zum Beispiel ist nur ganz allgemein von „Geldverleihgeschäften“ die Rede, anscheinend, ohne in besonderer Weise auf die verschiedenen vorhandenen oder entstehenden Arten von Finanzierungsgeschäften, etwa auch solche, die Wertpapiere umfassen, einzugehen. Denn es werden lediglich Geldverleihgeschäfte erfasst; der Verleih anderer Werte, wie etwa Wertpapierverleihgeschäfte, wird nicht ausdrücklich behandelt; stattdessen wird auf andere Steuerbefreiungen verwiesen. Aber es ist nicht deutlich, welche dieser anderen Befreiungen sich zum Beispiel auf Wertpapierverleihgeschäfte beziehen könnten. Deshalb empfiehlt der EWSA, weitere Klarstellungen in Betracht zu ziehen, die auch Weiterentwicklungen im Finanzdienstleistungssektor zulassen, wie dies auch die Kommission beabsichtigt.

4.3

Dieselbe Empfehlung gilt auch für den Verordnungsvorschlag. Der EWSA legt nahe, weiter daran zu arbeiten, damit sichergestellt wird, dass die in der Verordnung aufgestellte Liste der Beispiele völlig klar und eindeutig ist. Der Ausschuss versteht, dass in einer Verordnung theoretisch keine erschöpfende Liste von Begriffsbestimmungen aufgeführt werden kann, aber er ist über die Gefahr von Missverständnissen und die noch unbekannten praktischen Folgen für solche Versicherungs- und Finanzdienstleistungen besorgt, die in der Liste nicht ausdrücklich erwähnt werden.

4.4

Es sollte darüber nachgedacht werden, wie mehr Rechtssicherheit im Hinblick auf die Kategorien Zahlungsdienste, Derivate, Wertpapiere und Aufsichtsdienste sowie für den Geltungsbereich der Steuerbefreiungen für bestimmte Dienste bei der Verwaltung von Investmentfonds geschaffen werden kann. In Bezug auf Dienstleistungen, die „die spezifischen und wesentlichen Eigenschaften der steuerbefreiten Dienstleistung“ aufweisen, hält der EWSA eine weitere Klärung der Begriffe „spezifisch“ und „wesentlich“ für erforderlich (16). Die Vorschläge lassen nicht immer ausreichend klar erkennen, welche Verwaltungsmaßnahmen konkret als „spezifisch“ und „wesentlich“ betrachtet werden, und das Verzeichnis scheint nicht ganz kohärent sein, da Dienstleistungen, die derselben Wertschöpfungskette angehören, anscheinend zuweilen unterschiedlich behandelt werden.

4.5

Bei der Definition der „Mittlertätigkeit“ sind die Begriffe „Vertragsparteien“ und „standardisierte Leistung“ zu klären (17). Die „Mittlertätigkeit“ sollte auch in die Definition der Dienstleistungen mit den „spezifischen und wesentlichen Eigenschaften der steuerbefreiten Dienstleistung“ aufgenommen werden (18). Andernfalls würden die Mittler nicht länger unter gleichen Wettbewerbsbedingungen operieren können. Dies stünde auch im Gegensatz zu der neuen Philosophie der vorgeschlagenen Steuerbefreiungen, die die Dienstleistung und nicht den Dienstleister oder die Mittel, mit denen sie erbracht wird, im Auge haben.

4.6

Besondere Aufmerksamkeit sollte Dienstleistungen wie Pensionen und Renten zukommen, die beide Steuerbefreiung genießen, aber unter verschiedenen Kategorien. Denn je nach Vorhandensein oder nicht eines Risikos fallen sie unter „Versicherung“ (19) oder unter „Finanzeinlage“ (20). Dabei besteht das Problem, dass das Konzept der entsprechenden Dienstleistungen (der internen Verwaltungsabläufe) separat und voneinander abweichend entwickelt wird (21). Dies hat zum Ergebnis, dass die betreffenden Gesamtprodukte unter zwei verschiedene MwSt-Kategorien von „spezifischen und wesentlichen Dienstleistungen“ fallen, je nachdem, unter welche steuerbefreite Dienstleistung sie eingeordnet werden.

4.7

Der EWSA begrüßt die Erweiterung des Rechts der Unternehmer, für eine Besteuerung der Bank- und Versicherungdienstleistungen zu optieren und Kostenteilungsregelungen einzuführen, um die Auswirkungen von „versteckten“ Mehrwertsteuern zu verringern. Aber er befürchtet, dass die strikten Bedingungen für die Möglichkeit, für die Kostenteilung zu optieren, und die begrenzte Anzahl an Dienstleistungen, die in einer MwSt-neutralen Kostenteilungsregelung erbracht werden können, in der Praxis den möglichen Nutzen der Kostenteilungen auf eine sehr geringe Anzahl von Fällen einschränkt.

4.8

Eine allgemeine Einführung von MwSt-Gruppenbestimmungen (nach denen Unternehmensgruppen für MwSt-Zwecke als ein einziger Steuerzahler behandelt werden — was bereits nach der geltenden MwSt-Richtlinie möglich ist, allerdings nur als Option) mit geeigneten Vorkehrungen gegen Missbrauch könnte sich als eine geeignetere und flexiblere Lösung erweisen, die es den Wirtschaftsakteuren gestatten würde, zentrale Aufgabenbereiche zu integrieren, ohne zusätzliche Mehrwertsteuern entrichten zu müssen. Aber der EWSA weiß, dass es unter den Mitgliedstaaten derzeit keine einstimmige Unterstützung für die Einführung von Regelungen für Mehrwertsteuer-Gruppen gibt und dass auch die Kommission Vorbehalte hat. Sie ist also kurzfristig anscheinend keine Lösung.

4.9

Der EWSA begrüßt die Einführung der Möglichkeit, für eine allgemeine Besteuerung zu optieren, die für Versicherungsdienstleistungen derzeit nicht gilt. Die Vorteile einer solchen Option liegen für Geschäfte zwischen Unternehmen klar auf der Hand, wo der Kunde die MwSt erstattet erhält. Aber der EWSA befürchtet, dass mit den neuen Rechtsvorschriften eine zusätzliche Besteuerung aufkommen könnte, die auch Auswirkungen auf den Haushalt der privaten Verbraucher hätte, die die Mehrwertsteuer nicht erstattet erhalten. Unabhängig davon, nach welchem Recht Versicherungsverträge abgeschlossen sind, unterliegen sie in demjenigen Mitgliedstaat, in dem das Risiko versichert ist, indirekten Steuern und parafiskalischen Abgaben auf die Versicherungsbeiträge. Die Höhe dieser Besteuerung ist zwischen den Mitgliedstaaten und auch den Versicherungszweigen (Lebensversicherung, Kraftfahrzeugversicherung usw.) recht unterschiedlich. Deshalb stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer EU-weiten Koordinierung. Der EWSA bezweifelt, dass Versicherungsunternehmen — besonders bei Geschäften mit Privatkunden — die Option für eine Besteuerung wählen werden, solange die einzelstaatlichen Steuerbehörden auf Versicherungsbeiträge noch andere Steuern erheben. Andererseits hält es der EWSA für unwahrscheinlich, dass die einzelstaatlichen Behörden ihre Versicherungssteuern aufgeben oder zumindest im entsprechenden Verhältnis verringern würden, da dies zu Aufkommenseinbußen in den Mitgliedstaaten führen würde. Dies ist ein Problem, das zweifellos noch behandelt werden muss.

4.10

Bezüglich der Option für eine Besteuerung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen würde der EWSA ein System begrüßen, das es den Unternehmen gestattet, entweder für eine Besteuerung je Geschäftsvorgang zwischen Unternehmen, je Kunde oder je vorher festgelegten Geschäftsvorgängen oder Kunden zu wählen. Auch würde er begrüßen, wenn die Unternehmen die Vorsteuer auf steuerbare Ausgangsleistungen zurückerhalten könnten. Damit würde bei Geschäftsvorgängen zwischen Unternehmen eine optimale MwSt-Neutralität geschaffen. Allerdings muss dann ab 2012 eine einheitliche Durchführung dieser Optionen garantiert und den Mitgliedstaaten die Möglichkeit verwehrt werden, unterschiedliche Bedingungen für die Inanspruchnahme der MwSt-Option aufzustellen. Denn wenn die Option für eine Besteuerung nicht auf vergleichbare Weise erfolgt, dürften zwischen den Mitgliedstaaten und den Wirtschaftsbeteiligten Wettbewerbsverzerrungen auftreten.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Diese Beteiligten sind die Finanzierungs- und Versicherungsunternehmen und die einzelstaatlichen Steuerbehörden.

(2)  MEMO/07/519, „Modernisierung der MwSt-Vorschriften für die Finanz- und Versicherungsdienstleistungen — Häufig gestellte Fragen“, Brüssel, 28. November 2007, S. 1-4.

(3)  KOM(2007) 747 endg., „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates, Begründung“, Brüssel, 28. November 2007, S. 2-4.

(4)  BATTIAU, P., (2005), „Letter from Brussels. VAT in the Finance Sector“, in: The Tax Journal, 28. November 2005, S. 11-14.

(5)  KOM(2007) 747 endg., „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates, Begründung“, S. 2–4, Brüssel, 28. November 2007.

(6)  KOM(2007) 747 endg.: „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen“.

(7)  KOM(2007) 746 endg.: „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen“.

(8)  KOM(2007) 747 endg., „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates, Begründung“, S. 2-6, Brüssel, 28. November 2007.

(9)  SEC(2007) 1554: Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen „Accompanying document to the Proposal for a Council Directive amending Directive 2006/112/EC on the common system of value added tax, as regards the treatment of insurance and financial services — Impact Assessment“, Brüssel, 28. November 2007, S. 1–61.

(10)  Price Waterhouse Coopers, Tender No Taxud/2005/AO-006, „Study to increase the Understanding of the Economic Effects of the VAT Exemption for Financial and Insurance Services“, Brüssel, 2006, S. 1-369.

(11)  SEC(2007) 1554, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen „Accompanying document to the Proposal for a Council Directive amending Directive 2006/112/EC on the common system of value added tax, as regards the treatment of insurance and financial services: Impact Assessment“, Brüssel, 28. November 2007, S. 12-13.

(12)  Das Dokument zur öffentlichen Konsultation (Konsultationspapier zur Modernisierung der Mehrwertsteuerpflichten für Finanzdienstleistungen und Versicherungsleistungen) und eine ausführliche Zusammenfassung der Standpunkte der Auskunftgebenden (Summary of Results — Public Consultation on Financial and Insurance Services — (nur auf Englisch)) finden sich unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/common/consultations/tax/article_2447_de.htm.

(13)  Price Waterhouse Coopers, Tender No Taxud/2005/AO-006, „Study to increase the Understanding of the Economic Effects of the VAT Exemption for Financial and Insurance Services“, Brüssel, 2006, S. 162-174.

(14)  Siehe Fußnote 10.

(15)  MEMO/07/519, „Modernising VAT rules applied on Financial and Insurance services — Frequently Asked Questions“, Brüssel, 28. November 2007, S. 2-4.

(16)  Siehe Artikel 135 Absatz 1 Buchstabe a) der vorgeschlagenen MwSt-Richtlinie und Artikel 14 Absatz 1 der vorgeschlagenen MwSt-Verordnung.

(17)  Siehe Artikel 135 a Absatz 9 der vorgeschlagenen MwSt-Richtlinie und Artikel 10 Absatz 1 und 2 der vorgeschlagenen MwSt-Verordnung.

(18)  Siehe Artikel 135 Absatz 1 Buchstabe a) der vorgeschlagenen MwSt-Verordnung.

(19)  Siehe Artikel 2 Absatz 1 der vorgeschlagenen MwSt-Verordnung.

(20)  Siehe Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe h) der vorgeschlagenen MwSt-Verordnung.

(21)  Siehe Artikel 14 und 17 der vorgeschlagenen MwSt-Verordnung.


30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/130


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Beziehungen EU/Serbien: die Rolle der Zivilgesellschaft“

(2008/C 224/29)

Mit Schreiben vom 18. Juli 2007 ersuchten die Kommissionsmitglieder WALLSTRÖM und REHN den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema

„Beziehungen EU/Serbien: die Rolle der Zivilgesellschaft“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 5. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr KALLIO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 74 gegen 9 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen der Stellungnahme

1.1

Empfehlungen an die Organe und Einrichtungen der EU

Unterstützung der serbischen Regierung bei der Erarbeitung einer Strategie zur Entwicklung der Zivilgesellschaft (1);

verstärkte Unterstützung — auch in finanzieller Hinsicht — der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Serbien, um die Unabhängigkeit des NGO-Bereichs von der Regierung zu gewährleisten und um die Nachhaltigkeit von Projekten sicherzustellen, die von den Organisationen der Zivilgesellschaft betrieben werden;

angemessenere und effizientere finanzielle Förderung mit kürzeren Verfahren zur Bearbeitung und Entscheidung über die Förderanträge. Dies gilt auch für die neue, von der Europäischen Kommission eingerichtete Fazilität zur Förderung der Entwicklung der Zivilgesellschaft und des zivilgesellschaftlichen Dialogs. Die Förderung sollte einem breiten Spektrum von interessierten Organisationen zur Verfügung stehen und flexibel an ihre Bedürfnisse angepasst werden;

Unterscheidung zwischen NGO und Sozialpartnern im Hinblick auf die Erarbeitung und Verabschiedung von Förderstrategien;

Unterstützung von Programmen zum Aufbau von Kapazitäten bei den Sozialpartnern, um deren Fähigkeit zu einem wirksamen sozialen Dialog zu verbessern;

systematische Unterstützung für Projekte der Organisationen der Zivilgesellschaft, mit denen die Idee der europäischen Integration in der gesamten Gesellschaft gefördert wird. Eine systematische Debatte zu den Themen rund um die europäische Integration sollte alle gesellschaftlichen Kräfte umfassen, darunter auch die Zivilgesellschaft. Geprüft werden sollte u.a. die Förderung einer breiteren Palette von Aktivitäten im Rahmen des nationalen Konvents über die Europäische Union in Serbien, in dem Regierungsstellen ebenso vertreten sind wie Organisationen der Zivilgesellschaft;

Unterstützung von Vorhaben zum Transfer von Wissen und Erfahrungen von den EU-Mitgliedstaaten nach Serbien. Der Beitrag der „neuen“ Mitgliedstaaten Mittel- und Osteuropas könnte hier besonders nützlich sein. Die Bedeutung von Partnerschaftsprojekten sollte von den Einrichtungen der Europäischen Union stärker anerkannt und unterstützt werden. Durch die neu eingerichtete Fazilität zur Förderung der Entwicklung der Zivilgesellschaft und des zivilgesellschaftlichen Dialogs könnten derartige Aktivitäten unterstützt werden;

Möglichkeit für die Vertreter der zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Serbien, die EU-Einrichtungen zu besuchen und kostenfrei an Konferenzen und Veranstaltungen der EU teilzunehmen;

Stärkung der Unterstützung regionaler Netze der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Westbalkan und Entwicklung regionaler Programme. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Intensivierung des Dialogs zwischen den serbischen und kosovarischen (2) zivilgesellschaftlichen Organisationen gewidmet werden, um das Kommunikationsdefizit zwischen den Regierungen in Serbien und Kosovo (2) abzubauen;

Aufrechterhaltung eines systematischen Dialogs mit anderen Gebern, um die zivilgesellschaftlichen Organisationen in Serbien und den Ländern des westlichen Balkans insgesamt gezielt, effizient, wirksam und rechtzeitig zu unterstützen;

stärkere Außenwirkung der Delegation der Europäischen Kommission in der Wahrnehmung der Vertreter der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Bürger Serbiens;

Aufbau eines systematischen und strukturierten Dialogs zwischen den Vertretern der Zivilgesellschaft und der Delegation der Europäischen Kommission in Serbien, damit eine direkter Zugang zu Informationen über die Lage der Zivilgesellschaft in Serbien geschaffen wird;

regelmäßige Sitzungen mit Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen, um auf ihre Erwartungen und Bedürfnisse flexibler zu reagieren.

1.2

Empfehlungen an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss

Einrichtung eines Gemischten Beratenden Ausschusses (GBA) zwischen dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den serbischen Organisationen der Zivilgesellschaft, um den zivilen und sozialen Dialog in Serbien zu fördern und zu unterstützen. In Ermangelung einer geeigneten Rechtsgrundlage — und zwar des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) — wird dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss empfohlen, bis zur Unterzeichnung und Ratifizierung eines solchen Abkommens einen Stellvertreterausschuss mit gleicher Aufgabe ins Leben zu rufen;

Durchführung eines Weiterbildungs- und Austauschprogramms für die Sozialpartner in Serbien im Rahmen des neuen Programms der Europäischen Kommission (GD Erweiterung) für den zivilgesellschaftlichen Dialog (People to People): Der EWSA könnte Studienbesuche in der EU (insbesondere in Brüssel) für Vertreter der serbischen Organisationen der Zivilgesellschaft arrangieren;

Möglichkeit für die Vertreter der zivilgesellschaftlichen Organisationen Serbiens, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zu besuchen und sich mit seiner Tätigkeit vertraut zu machen.

1.3

Empfehlungen an den serbischen Staat

Rasche Verabschiedung des Gesetzes über Vereinigungen der Zivilgesellschaft und der damit verbundenen Rechtsvorschriften, insbesondere über die Besteuerung;

Entwicklung einer Strategie für den Aufbau der Zivilgesellschaft als Grundlage für eine lebensfähige zivilgesellschaftliche Struktur, die Voraussetzung für die demokratische Reife einer Gesellschaft ist. Die Strategie sollte in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen der Zivilgesellschaft erarbeitet werden;

Führung eines systematischen Dialogs über zivilgesellschaftlichen Themen mit den Vertretern der Zivilgesellschaft. Die Haltung der Regierung gegenüber der Zivilgesellschaft sollte integrativer gestaltet werden;

Schaffung von Anreizen — darunter finanzieller Art — für die Zivilgesellschaft, um ihre Entwicklung und die Nachhaltigkeit ihrer Tätigkeiten zu fördern. Ein transparenter Plan zur finanziellen Förderung, durch den Organisationen der Zivilgesellschaft Zuschüsse aus dem Staatshaushalt beantragen können, sollte entwickelt werden;

Förderung und Aufrechterhaltung eines regelmäßigen trilateralen sozialen Dialogs, um ein ordnungsgemäßes Funktionieren des serbischen Wirtschafts- und Sozialrats im Einklang mit den rechtlichen Bestimmungen zu gewährleisten. Die Arbeitsgrundlage des Wirtschafts- und Sozialrats sollte die regelmäßige Teilnahme aller betroffenen Ministerien an den Sitzungen dieses Gremiums sein;

Gewährleistung einer korrekten und wirksamen Umsetzung der Visaerleichterungs- und Rückübernahmeabkommen mit der EU sowie Durchführung der notwendigen Reformen, um die Liberalisierung der Visapolitik weiter fortzusetzen. Der visumfreie Reiseverkehr ist sehr wichtig für die Intensivierung der Kontakte zwischen den Organisationen der Zivilgesellschaft Serbiens und ihren Pendants in der Europäischen Union.

1.4

Empfehlungen an die Organisationen der Zivilgesellschaft in Serbien

Einrichtung einer institutionellen Plattform für regelmäßige Treffen und den Gedankenaustausch;

Verbesserung der Management-Fähigkeiten der Vertreter der zivilgesellschaftlichen Organisationen durch ihre Teilnahme an verschiedenen Weiterbildungsprogrammen;

verstärkte Teilnahme von Vertretern nationaler und ethnischer Minderheiten an Projekten, die von den Organisationen der Zivilgesellschaft Serbiens entwickelt werden;

stärkere Hervorhebung der regionalen Zusammenarbeit, gegebenenfalls dadurch, dass man sich bemüht, von den zivilgesellschaftlichen Organisationen in den EU-Mitgliedstaaten, insbesondere denen in Mittel- und Südosteuropa, zu lernen und mit ihnen zusammenzuarbeiten;

Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Medien und des öffentlichen Bildes der zivilgesellschaftlichen Organisationen durch Hervorhebung ihrer Vorhaben und Erfolge.

1.5

Empfehlungen an die Organisationen der serbischen und kosovarischen (3) Zivilgesellschaft

Energische Anstrengungen zur Pflege und/oder Verbesserung der Zusammenarbeit und der persönlichen Kontakte zwischen den Organisationen der Zivilgesellschaft in Kosovo (3) und Serbien.

2.   Hintergrund der Stellungnahme

2.1   Die Ziele der EU im Westbalkan und in Serbien

Der Westbalkan ist ein wichtiges außenpolitisches Schwerpunktgebiet der EU. Das Hauptanliegen der EU im Westbalkan ist die Verbesserung von Stabilität und Wohlstand in der Region. Die Vorbereitung der Westbalkanländer auf die EU-Mitgliedschaft ist gleichermaßen ein wichtiges Ziel. Um es zu erreichen, wird das spezifische Instrument für Heranführungshilfe eingesetzt.

Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess (SAP) wurde ins Leben gerufen, um den Ländern der Region auf dem Weg in die EU zu helfen. Die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) gilt als ein Meilenstein auf dem Weg zur EU-Vollmitgliedschaft. Bis Mai 2008 hatten fünf von sechs Ländern des Westbalkans ein SAA unterzeichnet. Während Kroatien bereits mit der EU Beitrittsverhandlungen führt, hat das Kandidatenland Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien noch keine Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Serbien hat sein SAA am 29. April 2008 in Luxemburg unterzeichnet. Die Verhandlungen mit Bosnien-Herzegowina sind abgeschlossen, das Abkommen wurde paraphiert, jedoch noch nicht unterzeichnet.

2.2   Die Lage und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft in Serbien

2.2.1   Die besondere Rolle der NGO

Die Organisationen der Zivilgesellschaft und insbesondere die NGO haben eine wichtige Rolle beim Sturz des Milošević-Regimes gespielt, gelang es ihnen doch, einen bedeutenden Teil der Bevölkerung für den demokratischen Wandel zu mobilisieren. Seit 2000 vollzieht sich in den NGO ein Wandel: Programme, Ziele und Prioritäten dieser Organisationen werden neu definiert. Da sich die Republik Serbien in einer schwierigen Phase des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbruchs befindet, kommt den NGO, insbesondere jenen, die sich mit der Demokratisierung und den Menschenrechten beschäftigen, im Prozess der Demokratisierung der serbischen Gesellschaft eine besondere Bedeutung zu. Einen grundlegenden Beitrag leisteten einige NGO insbesondere während der vergangenen Präsidentschaftswahlen im Januar und Februar 2008. Darüber hinaus waren die NGO in bedeutendem Maße daran beteiligt, die europäischen Werte zu verbreiten und Serbien der EU näher zu bringen.

2.2.2   Die Notwendigkeit eines Dialogs mit der Zivilgesellschaft

Vor diesem Hintergrund sollte besonders auf die Notwendigkeit eines intensiven Dialogs zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen und der serbischen Regierung hingewiesen werden. Es wurden zwar verschiedene Formen der Konsultation (4) zwischen der Regierung und zivilgesellschaftlichen Organisationen eingeführt, doch von einem systematischen zivilgesellschaftlichen Dialog kann in Serbien noch nicht die Rede sein. Der Aufbau eines solchen Dialogs läge indes im Interesse der gesamten serbischen Gesellschaft und der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Besonderen, und auch im Interesse der EU, da eine lebensfähige und starke Zivilgesellschaft eine Voraussetzung für die erfolgreiche Integration in die EU ist.

3.   Politische Entwicklungen in Serbien

3.1   Die gegenwärtige politische Lage

Seit dem Jahr 2000, als eine demokratische und proeuropäische Regierung das Regime des früheren Präsidenten Slobodan Milošević ablöste, musste Serbien den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbruch verkraften. Der schwierige wirtschaftliche Wandel, die Frage des endgültigen Status Kosovos (5) sowie die populistische Verwertung nationaler Vorurteile und Klischees durch bestimmte führende Politiker hat zur Radikalisierung der politischen Landschaft Serbiens beigetragen. Dies traf nicht nur auf die Opposition, sondern in gewissem Umfang auch auf die scheidende Regierung unter Premierminister Vojislav Koštunica zu. Der Anteil der Medien an diesem Prozess darf nicht vergessen werden, da die meisten Journalisten und Moderatoren bei weitem nicht unabhängig berichten. Bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen wurde der amtierende Präsident Boris Tadić wiedergewählt, der den gemäßigten Flügel der serbischen Politik vertritt. Dennoch führten die andauernde Instabilität der Regierungskoalition und Spannungen zwischen der Demokratischen Partei Serbiens von Vojislav Koštunica und der Demokratischen Partei von Boris Tadić, die nach der Erklärung der Unabhängigkeit Kosovos (5) im Februar 2008 eskalierten, zum Rücktritt von Ministerpräsident Koštunica. Am 11. Mai 2008 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt.

3.2   Die politischen Beziehungen zur EU, Russland und den Nachbarstaaten

Für die EU-Integration ist die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, der Bedingungen für die Teilnahme am Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess (SAP) und der anderen von der EU festgelegten Bedingungen und Voraussetzungen erforderlich. Serbien hat zwar nicht alle diese Bedingungen und Voraussetzungen erfüllt, bei den Verhandlungen mit der EU über das SAA und bei der Umsetzung der erforderlichen Reformen allerdings gute Verwaltungskapazitäten unter Beweis gestellt. Im November 2007 hat die EU das SAA mit Serbien paraphiert. Die Unterzeichnung des SAA wurde allerdings durch die fehlende Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ) torpediert. Um Möglichkeiten schnellerer Fortschritte zu auszuloten, beschloss die EU, eine Task-Force einzusetzen. Des Weiteren forderte die Europäische Kommission Serbien auf, sein Engagement für engere Beziehungen zur EU zu bekräftigen (6). Die Zusammenarbeit mit dem IStGHJ ist nach wie vor — auch nach der Unterzeichnung des SAA — eine der wichtigsten Vorbedingungen für den Ausbau der Beziehungen EU-Serbien. Ein weiterer wichtiger Faktor für die künftige Gestaltung dieser Beziehungen ist die Frage, inwieweit es der serbischen Regierung gelingen wird, das Thema des endgültigen Status Kosovos (5) vom Prozess der europäischen Integration zu trennen.

Die Beziehungen zwischen Serbien und Russland werden immer enger. Grund dafür ist zum Teil die Kosovo (5) -Frage, in der die Russische Föderation die Position Serbiens kontinuierlich unterstützt hat. Auf der anderen Seite ist auch in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ein Aufschwung festzustellen — der bemerkenswerteste Ausdruck dieser Entwicklung ist das zunehmende Interesse russischer Investoren an der serbischen Wirtschaft.

Die Beziehungen Serbiens zu seinen Nachbarstaaten können nicht als durchweg befriedigend bezeichnet werden, obwohl in den letzten Jahren gewisse Verbesserungen erzielt werden konnten. Die Beziehungen Serbiens zu den benachbarten EU-Staaten Bulgarien, Ungarn und Rumänien sind hingegen ausgezeichnet. Gleiches gilt für die Beziehungen zu Montenegro und zu der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien. Mit Kroatien verbindet Serbien ein gutes Verhältnis, wenngleich es immer noch ungelöste Fragen gibt, beispielsweise die Frage der Rückkehr von Flüchtlingen nach Kroatien. Die Beziehungen zu Bosnien und Herzegowina werden weitgehend durch die Sonderbeziehungen zwischen Serbien und der Republika Srpska bestimmt. Die größten Spannungen treten natürlich in den Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo (5) auf, insbesondere seit dessen Unabhängigkeitserklärung.

3.3   Die Rolle Serbiens bei der Stabilisierung und der Entwicklung im Balkanraum

Serbien ist ein bedeutendes Land auf dem Westbalkan und ein wichtiger Partner der EU in der Region. Aufgrund der Beteiligung der serbischen Führung und der serbischen Armee an allen Balkankriegen der 90er Jahre hat Serbien in der Region einen relativ schlechten Ruf. Der einzige Weg zur Verbesserung des Ansehens in der Region besteht in der Verbesserung gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu allen Nachbarn und der aktiven Beteiligung an verschiedenen regionalen Initiativen mit der Unterstützung der EU.

4.   Die wirtschaftliche Entwicklung in Serbien

4.1   Die gegenwärtige Lage der Wirtschaft in Serbien

Infolge der politischen und wirtschaftlichen Isolation — eine ursächliche Folge der Politik des Milošević-Regimes — verlangsamte sich die wirtschaftliche Entwicklung des Landes über weite Strecken der 90er Jahre. Seit dem Jahr 2000 kann die Wirtschaft Serbiens jedoch als typische Wirtschaft im Übergang bezeichnet werden, die nachhaltig wächst (5,7 % im Jahr 2006 verglichen mit 6,2 % 2005). Der Anstieg des BIP wird durch einen Rückgang der Teuerungsrate begleitet, die 2007 auf 10 % fiel (7). Die unbestreitbaren wirtschaftlichen Vorzüge Serbiens sind das große Marktpotenzial des Landes, seine günstige geographische Lage, der zollfreie Zugang zu den Märkten Südosteuropas, der EU, Russlands und der USA sowie qualifizierte und geschulte Arbeitnehmer.

4.2   Der Privatisierungsprozess

Im Vergleich zum EU-Durchschnitt fällt der relativ kleine Anteil der Privatwirtschaft ins Auge. Auf sie entfallen nur 55 % der Gesamtproduktion und 60 % aller Arbeitsplätze (8). Dieser relativ kleine Anteil der Privatwirtschaft beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit der serbischen Wirtschaft, und zwar insbesondere in der Produktion und bei den Dienstleistungen. Eine weitere Privatisierung und Umstrukturierung staatlicher Betriebe und öffentlicher Unternehmen ist daher für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Serbiens unabdingbar.

4.3   Die wichtigsten Wirtschaftszweige Serbiens

Die Hauptwirtschaftszweige Serbiens sind (in absteigender Bedeutung) der Dienstleistungssektor, die Industrie, die Landwirtschaft und die Bauwirtschaft. Den Angaben der Serbischen Investitions- und Exportförderungsagentur (SIEPA) zufolge sind die dynamischsten Wirtschaftszweige die Landwirtschaft, die IT-Branche, die Holzverarbeitungsindustrie, die Möbelherstellung, Energie, die Automobilindustrie, die Textilindustrie, Elektronik und die pharmazeutische Industrie (9).

4.4   Außenhandel

Die Europäische Union ist der größte Handelspartner Serbiens. Zu den zehn wichtigsten Exportpartnern Serbiens gehören sechs EU-Mitgliedstaaten. Der wichtigste Handelspartner Serbiens ist jedoch die benachbarte Republik Bosnien und Herzegowina. Größter Importpartner Serbiens ist Russland (10).

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit Serbiens mit seinen Nachbarn und die Handelsbeziehungen dürften von der Umsetzung des neuen Mitteleuropäischen Freihandelsabkommens profitieren, das von den Ländern des Westbalkans und der Republik Moldau 2006 unterzeichnet wurde. Die Schaffung einer Freihandelszone im Westbalkan war eine der Prioritäten im Heranführungsprozess.

4.5   Ausländische Direktinvestitionen und die größten Investoren in der serbischen Wirtschaft

Die investitionsfreundliche serbische Politik hat die Aufmerksamkeit zahlreicher ausländischer Investoren auf sich gezogen. 2006 verzeichnete Serbien das größte Gesamtvolumen ausländischer Direktinvestitionen in der Region (3,4 Mrd. EUR) (11). Die meisten Investitionen flossen in Finanzdienstleistungen, Handel, herstellendes Gewerbe, Immobilien, öffentliche Verwaltung und Verkehr. Unter den größten Investoren rangieren hauptsächlich die EU-Staaten, wobei Griechenland den ersten Platz belegt (12).

Trotz der Zunahme der Investitionen hat der serbische Markt immer noch ein großes Potenzial für eine weitere Entwicklung auf diesem Gebiet.

5.   Die gegenwärtige Lage und die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft

5.1   Gemeinsame Probleme und Herausforderungen

Es können drei Hauptprobleme ausgemacht werden: steuerlicher Status, Stadt-Land-Gefälle sowie zunehmende Konkurrenz statt Kooperation.

Ein großes Problem ist die Tatsache, dass das serbische Steuerrecht nicht zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und gewinnorientierten Organisationen unterscheidet. Dementsprechend werden die Organisationen der Zivilgesellschaft wie Kleinunternehmen behandelt und müssen Spendengelder versteuern. Nur wenige von ihnen sind von MwSt-Pflichten befreit. Zudem bietet die derzeitige Steuerpolitik des serbischen Staates keinerlei Anreize oder Vergünstigungen für Spenden an zivilgesellschaftliche Organisationen.

Ein weiteres Problem liegt in der fortbestehenden Kluft zwischen Stadt und Land. Die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen sind entweder in Belgrad oder zwei bis drei anderen Großstädten angesiedelt, während es auf dem Lande wenig Erfahrung mit ihnen gibt. Das führt dazu, dass die Zivilgesellschaft und die Tätigkeit ihrer Organisationen kaum in das Bewusstsein der Bevölkerung dringen.

Das dritte Problem besteht darin, dass zivilgesellschaftliche Organisationen zunehmend miteinander konkurrieren anstatt zu kooperieren, was zu Spannungen und zu einer Schwächung ihrer Position gegenüber den serbischen Behörden führt.

5.2   Zusammenarbeit mit serbischen Behörden: fehlender zivilgesellschaftlicher Dialog

Die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen werden von der serbischen Regierung immer noch nicht als Partner gesehen, was insbesondere für diejenigen gilt, die sich vor allem mit bestimmten heiklen Fragen (z.B. Kriegsverbrechen, Massengräbern usw.) beschäftigen. Die Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen mit der serbischen Regierung und mit Gebietskörperschaften wird ad hoc geregelt, da die Regierung offenbar kein Interesse an einer festen Partnerschaft mit diesen Organisationen hat. Das ist einerseits auf das Fehlen von Rechtsvorschriften zurückzuführen, welche das Verhältnis zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Regierung regeln, und anderseits auf den fehlenden politischen Willen, die Organisationen der Zivilgesellschaft enger in Konsultationen und in die Ausarbeitung ausgewählter Strategiedokumente einzubeziehen. Weiterhin muss betont werden, dass die serbische Regierung im Umgang mit zivilgesellschaftlichen Organisationen ziemlich selektiv vorgeht.

5.3   Die Sozialpartner

5.3.1   Der soziale Dialog

Obwohl ein wirksamer sozialer Dialog eine der Voraussetzungen für die erfolgreiche Umgestaltung der Wirtschaft bildet, ist die Rolle der Sozialpartner in der serbischen Gesellschaft nach wie vor relativ schwach ausgeprägt. Mit Inkrafttreten der neuen Arbeitsgesetzgebung im Jahre 2005 erlosch der allgemein gültige Tarifvertrag. Das trifft auch auf alle vor 2001 geschlossenen Branchentarifverträge zu. Eine weitere Umwälzung in Zusammenhang mit den neuen Rechtsbestimmungen ist, dass die Regierung nicht mehr am Abschluss des neuen allgemein gültigen Tarifvertrags beteiligt ist; sie spielt jedoch weiterhin eine aktive Rolle beim Abschluss gewisser branchenspezifischer und spezieller Tarifverträge. Die repräsentativen Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbände, die nun für die Aushandlung des neuen allgemeinen Tarifvertrags verantwortlich sind, konnten bislang noch zu keiner Einigung gelangen. Der Abschluss dieses neuen allgemein gültigen Tarifvertrags ist daher eine der wichtigsten Vorbedingungen für die Verbesserung des sozialen Dialogs in der serbischen Gesellschaft.

Der Wirtschafts- und Sozialrat der Republik Serbien wurde 2005 durch ein entsprechendes Gesetz ins Leben gerufen und ist die institutionelle Plattform für die trilateralen Verhandlungen. Allerdings hat dieser WSR mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen, was sich negativ auf seine Tätigkeiten ausgewirkt hat. An erster Stelle ist der Mangel an Mitteln zu nennen. Trotz der zunehmenden finanziellen Förderung aus dem Staatshaushalt wirkt sich der Finanzmangel negativ auf die Arbeit des Sekretariats aus und hindert den Rat daran, eine geeignete Anzahl von Arbeitsgruppen einzurichten und regelmäßig Veranstaltungen zu organisieren. Ein weiteres Problem ist die unregelmäßige Teilnahme der Vertreter der Sozialpartner an den Sitzungen des WSR, mit dem Ergebnis, dass Gesetzesentwürfe im Parlament ohne Beratung im WSR verabschiedet werden.

5.3.2   Die serbischen Arbeitgeberorganisationen

Der Serbische Arbeitgeberverband (UPS) ist die wichtigste nationale Interessenvertretung der Arbeitgeber. Im Gegensatz zu den Gewerkschaften pflegt der serbische Arbeitgeberverband eine gute Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Beschäftigung und Sozialpolitik. Er wirkt regelmäßig an den Aktivitäten des serbischen Wirtschafts- und Sozialrats mit. Ungeachtet dessen schwächt die Tatsache, dass die größten in Serbien tätigen Unternehmen keine Mitglieder im UPS sind, die Legitimität dieser Organisation im sozialen Dialog. Der UPS nimmt an der Arbeit des Arbeitgeberforums Südosteuropas und des Internationalen Arbeitgeberverbandes teil. Die internationale Dimension der Tätigkeit des UPS wird sich verstärken, da er einen Beobachterstatus bei BusinessEurope erhalten hat. Im Juni 2008 soll der UPS auch in den Unternehmerdachverband des Mittelmeerraums aufgenommen werden.

5.3.3   Die gegenwärtige Lage und die Rolle der Gewerkschaften

Der Gewerkschaftssektor ist sehr heterogen. Es gibt in Serbien alles in allem über 20 000 Gewerkschaften, und zwar auf allen Ebenen, vom Einzelunternehmen bis zur landesweiten Organisation. Die meisten gehören den beiden größten Gewerkschaftsverbänden Serbiens an, der Vereinigten unabhängigen Branchengewerkschaft Nezavisnost („Unabhängigkeit“) und der Gemeinschaft der unabhängigen Gewerkschaften Serbiens (SSSS). Es mangelt oft an gemeinsamen Aktionen. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die mangelnde Zusammenarbeit der einzelnen Gewerkschaften. Obwohl die Rolle der Gewerkschaften in Serbien als relativ schwach zu bezeichnen ist, zeigt ihre Teilnahme an Tarifverhandlungen im öffentlichen Sektor und in den öffentlichen Unternehmen, dass ihre Bedeutung für die Stärkung des sozialen Dialogs nicht übersehen werden darf. Was die internationalen Aktivitäten der serbischen Gewerkschaften anbelangt, sind sowohl Nezavisnost als auch SSSS Mitglieder im Internationalen Bund freier Gewerkschaften und nehmen am Balkanforum des Europäischen Gewerkschaftsbunds teil.

5.4   Die Situation innerhalb der Interessengruppen

5.4.1   Unbefriedigende rechtliche Rahmenbedingungen

Ungeachtet der Erklärungen, welche die verschiedenen serbischen Regierungen seit 2000 abgegeben haben, und ihrer Verpflichtungen, ein neues Gesetz über bürgerschaftliche Vereinigungen zu verabschieden, sind die Arbeit von gemeinnützigen Organisationen sowie deren Beziehungen zum serbischen Staat nach wie vor nicht gesetzlich geregelt. Der rechtliche Status zivilgesellschaftlicher Organisationen wird durch das Staatsgesetz über Vereinigungen der Bürgerschaft, soziale und politische Organisationen bestimmt, das bereits zur Zeit der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien erlassen wurde, und durch das Gesetz der Republik (Serbien) über soziale Organisationen und bürgerschaftliche Vereinigungen aus dem Jahr 1982, das 1989 überarbeitet wurde (13).

Im Jahr 2006 nahm die serbische Regierung einen Gesetzesentwurf über zivilgesellschaftliche Vereinigungen an. Dieser Gesetzesentwurf, der mit den Standpunkten der Vertreter der zivilgesellschaftlichen Organisationen abgestimmt wurde, wartet noch auf seine Verabschiedung im Parlament. Er enthält Vereinfachungen im Hinblick auf das Verfahren zur behördlichen Eintragung zivilgesellschaftlicher Vereinigungen und sieht vor, dass zivilgesellschaftliche Organisationen Immobilien und andere Vermögenswerte erwerben und dazu Mitgliedsbeiträge, freiwillige Beiträge, Spenden und Schenkungen verwenden können. Zudem sieht der Gesetzentwurf vor, dass die zentralstaatliche Regierung und die Gebietskörperschaften den zivilgesellschaftlichen Organisationen Zuschüsse und Zuwendungen gewähren können. Das Gesetz über zivilgesellschaftliche Vereinigungen würde jedoch nicht alle Probleme hinsichtlich des rechtlichen und wirtschaftlichen Status zivilgesellschaftlicher Vereinigungen lösen. Dafür ist eine ganze Palette von zusätzlichen Gesetzesvorschriften notwendig.

5.4.2   Die Rolle und der Einfluss der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), Bauern- und Verbraucherverbände

Die Vertreter der KMU und Bauernverbände leiden unter den gleichen Problemen wie die Gewerkschaften: kontraproduktive Zersplitterung und Konkurrenz untereinander. Dadurch können sie keine einflussreichen und starken Interessengruppen bilden. Aufgrund der weit verbreiteten Korruption haben einige Organisationen einen besseren Zugang zu den staatlichen Behörden als andere. Ein weiterer Faktor, der diese Interessengruppen teilt, ist ihre politische Affinität und ihr geografischer Standort. Verbraucherorganisationen gibt es zwar in geringerer Anzahl als KMU- oder Bauernverbände, sie haben jedoch im Großen und Ganzen ähnliche Probleme.

5.4.3   Die NGO in der serbischen Gesellschaft

Die regierungsunabhängigen Organisationen in Serbien erstarkten in der zweiten Hälfte der 90er Jahre nach dem Ende des Bosnien-Kriegs. Die NGO spielten beim Sturz des Milošević-Regimes im Jahr 2000 eine entscheidende Rolle, als sie die Bürger mobilisierten und an den Verhandlungen mit der Opposition gegen Milošević teilnahmen. Mit der Kampagne „Izlaz 2000“ (Exit 2000) setzten sich mehrere NGO erfolgreich für Wahlen ein und demonstrierten so die Bedeutung des NGO-Sektors für den Prozess des demokratischen Wandels.

Seit dem Jahr 2000 hat sich die Stellung der NGO in der serbischen Gesellschaft geändert. Der NGO-Sektor durchläuft derzeit einen Prozess der Umgestaltung. Darüber hinaus legen einige NGO wegen des schleppenden Reformtempos, das hinter den im Jahr 2000 geweckten Erwartungen zurückbleibt, nur ein geringes Engagement an den Tag. Ein weiteres Problem ist die Uneinigkeit der NGO im Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit der Regierung. Während einige Organisationen weiter in stetiger Opposition zur Regierung stehen, suchen andere nach Wegen für eine Zusammenarbeit mit ihr. Die Schwächung des NGO-Sektors hängt in gewissem Maße auch mit der Tatsache zusammen, dass einige führende Köpfe dieser Organisationen nach 2000 in die Politik gegangen sind. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass einige NGO ihre Tätigkeit zwar verstärkt haben, ein wesentlicher Teil von ihnen jedoch die Kriterien hinsichtlich einer größere Professionalität und Spezialisierung nicht erfüllt hat und mit großen Problemen zu kämpfen hatte. Als Beispiele für die positive Entwicklung können insbesondere die Umweltschutzorganisationen genannt werden.

Die wirtschaftlichen Probleme sind ausschlaggebend, da sie die grundsätzliche Lebensfähigkeit der NGO betreffen. Die Organisationen erhalten nur für eine begrenzte Zahl von Projekten und für einen beschränkten Zeitraum Finanzmittel, die zumeist von ausländischen Gebern stammen. Folglich können sich viele von ihnen nicht spezialisieren und müssen sich verschiedenster Projekte mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten annehmen. Das beeinträchtigt nicht nur ihre wahrgenommene Professionalität, sondern erschwert ihnen auch, die grundlegenden, ihre Existenz bedrohenden Probleme zu überwinden.

6.   Die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisation im EU-Integrationsprozess

6.1   Die Organisationen der Zivilgesellschaft und der Prozess der europäischen Integration

Eine Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen in Serbien engagiert sich bereits an vorderster Front, um das öffentliche Bewusstsein für die Fragen der EU und die europäische Integration zu sensibilisieren. Durch öffentliche Informationsveranstaltungen und Seminare, die Verteilung von Informationsblättern und sonstigen Materialien über die EU und damit verbundene Themen leisten die Organisationen der Zivilgesellschaft insbesondere in ländlichen und weniger entwickelten Gebieten einen Beitrag zu der Informationskampagne über die EU. Obwohl die Ansichten der Organisationen der Zivilgesellschaft zuweilen auseinander gingen — etwa bezüglich der Hervorhebung der vollen Zusammenarbeit Serbiens mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien als eine der Vorbedingungen für die Wiederaufnahme der SAA-Verhandlungen im Frühjahr 2007 — vertraten sie doch während der Präsidentschaftswahlen im Januar und Februar 2008 einen gemeinsamen Standpunkt. Die überwiegende Mehrheit der zivilgesellschaftlichen Organisationen stimmte für die europäische Perspektive Serbiens und sorgte so für eine höhere Wahlbeteiligung.

Die engere Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und anderen Interessengruppen würde daher zu einer besseren Vorbereitung der serbischen Bevölkerung auf einen EU-Beitritt führen. Ein stärkeres Engagement der zivilgesellschaftlichen Organisationen für einen substanziellen Dialog mit der Regierung setzt allerdings mehr Transparenz und die regelmäßige Übermittlung von relevanten Dokumenten und Informationen voraus.

6.2   Die Organisationen der Zivilgesellschaft in der regionalen Zusammenarbeit

Die Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit und gute Beziehungen mit den Nachbarländern sind eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration in die EU. Die Organisationen der Zivilgesellschaft spielen bereits eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der Beziehungen und der Überbrückung der Kluft zwischen den Ländern der Region. In diesem Zusammenhang kann die verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Organisationen der serbischen und kroatischen Zivilgesellschaft als äußerst positives Beispiel angeführt werden. Durch die Verbesserung der Zusammenarbeit untereinander und durch gemeinsame Vorhaben werden die Organisationen der Zivilgesellschaft besser vorbereitet sein, um sich den regionalen Problemen zu stellen und diese zu bewältigen. Außerdem könnte eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Organisationen der Zivilgesellschaft auf Regionalebene ein Beispiel für die Politiker in der Region sein. Obwohl sich die Kontakte der Organisationen der Zivilgesellschaft von Jahr zu Jahr weiterentwickeln, ist die gegenwärtige Lage alles andere als befriedigend, was vor allem mit den fortbestehenden politischen Hindernissen und den knappen Finanzmitteln — und auch mit den spärlich fließenden EU-Geldern — zusammenhängt. Hier könnte die Unterstützung von regionalen Basisinitiativen eine Möglichkeit für die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen in dieser Region sein.

6.3   Die internationalen Tätigkeiten und Beziehungen der serbischen Zivilgesellschaft

Durch die Einbeziehung der Organisationen der serbischen Zivilgesellschaft in gemeinsame Projekte mit Partnerorganisation aus der Region und aus anderen Teilen der Welt können die persönlichen Kontakte verbessert und die während des Krieges unterbrochenen Beziehungen neu geknüpft werden. Im Hinblick auf dieses Ziel konnten auf vielen Gebieten gewisse Fortschritte verzeichnet werden. Zusammenarbeit und Vernetzung wurden insbesondere von den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich mit den Menschenrechten, dem Umweltschutz beschäftigen, sowie von Frauenverbänden entwickelt. Für eine stärkere Entwicklung der Zivilgesellschaft und ihrer Organisationen wird insbesondere auch auf die positiven Ergebnisse der Zusammenarbeit zwischen serbischen Vereinigungen und ihren Partnerorganisation aus den neuen EU-Mitgliedstaaten verwiesen.

Die Einbindung der Organisationen der Zivilgesellschaft in außenpolitische Aktivitäten darf nicht unterschätzt werden. Die intensivere Zusammenarbeit zwischen der offiziellen und der öffentlichen Diplomatie kann zur Aufwertung der serbischen Außenpolitik beitragen und den Prozess der europäischen Integration positiv beeinflussen.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Nach der Definition des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses umfasst der Begriff „Zivilgesellschaft“ Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sowie weitere Nichtregierungsorganisationen und Interessengruppen.

(2)  Kosovo im Sinne der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats.

(3)  Kosovo im Sinne der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats.

(4)  Regelmäßige Konsultationen mit Organisationen der Zivilgesellschaft fanden in mehreren Bereichen — europäische Integration, Armutsbekämpfung oder Jugendpolitik — und seitens verschiedener Regierungsstellen und Behörden — Präsidialamt Serbiens, Serbisches Büro für Europäische Integration, Ministerium für Soziales und Beschäftigung, Serbische Handelskammer, Ständige Konferenz der Städte und Gemeinden — statt.

(5)  Kosovo im Sinne der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats.

(6)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Westlicher Balkan: Stärkung der europäischen Perspektive, 5.3.2008, KOM(2008) 127 endg.

(7)  Serbische Nationalbank, www.nbs.yu.

(8)  Serbien/Fortschrittsbericht 2007 (englisch), Europäische Kommission, Brüssel, 6.11.2007, .SEK (2007) 1435.

(9)  Serbische Investitions- und Exportförderungsagentur (SIEPA), www.siepa.sr.gov.yu.

(10)  Statistisches Jahrbuch Serbiens 2006, www.webzrs.statserb.sr.gov.yu; Angaben der Europäischen Kommission www.ec.europa.eu/trade/issues/bilateral/data.htm.

(11)  www.wiiw.at/e/serbia.html.

(12)  Southeast Europe Investment Guide 2007, www.seeurope.net/files2/pdf/ig2007/Serbia-pdf.

(13)  Zdenka Milivojević: „Civil Society in Serbia. Suppressed during the 1990s — gaining legitimacy and recognition after 2000. Civicus Civil Society Index Report for Serbia“, Belgrad, 2006.