ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 120

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

51. Jahrgang
16. Mai 2008


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

440. Plenartagung vom 12./13. Dezember 2007

2008/C 120/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem

1

2008/C 120/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 80/181/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Einheiten im MesswesenKOM(2007) 510 endg. — 2007/0187 (COD)

14

2008/C 120/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Geräuschpegel in Ohrenhöhe der Fahrer von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern (kodifizierte Fassung) KOM(2007) 588 endg. — 2007/0205 (COD)

15

2008/C 120/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Grünbuch: Marktwirtschaftliche Instrumente für umweltpolitische und damit verbundene politische ZieleKOM(2007) 140 endg. — SEK(2007) 388.

15

2008/C 120/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Grenzüberschreitende Beschäftigung in der Landwirtschaft

19

2008/C 120/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Beschäftigung in der Landwirtschaft

25

2008/C 120/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Rolle der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung

29

2008/C 120/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von SchiffenKOM(2007) 269 endg.

33

2008/C 120/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Anpassung an den Klimawandel in Europa — Optionen für Maßnahmen der EUKOM(2007) 354 endg.

38

2008/C 120/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Wein und zur Änderung bestimmter VerordnungenKOM(2007) 372 endg. — 2007/0138 (CNS)

42

2008/C 120/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Zukunftsperspektiven der Landwirtschaft in Gebieten mit bestimmten naturbedingten Nachteilen (Berg- und Inselgebiete sowie Regionen in äußerster Randlage)

47

2008/C 120/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 998/2003 über die Veterinärbedingungen für die Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken hinsichtlich der Verlängerung des ÜbergangszeitraumsKOM(2007) 572 endg. — 2007/0202 (COD)

49

2008/C 120/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem

50

2008/C 120/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Auswirkungen der Territorialität der Steuervorschriften auf den industriellen Wandel

51

2008/C 120/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Auswirkungen der europäischen Umweltschutzvorschriften auf den industriellen Wandel

57

2008/C 120/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Solidarität zwischen den Generationen fördern KOM(2007) 244 endg.

66

2008/C 120/17

Stellungnahme zu dem Vierten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen ZusammenhaltKOM(2007) 273 endg.

73

2008/C 120/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Migration und Entwicklung: Chancen und Herausforderungen

82

2008/C 120/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau: Welche Rolle kommt der organisierten Zivilgesellschaft zu?

89

2008/C 120/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Umsetzung der Lissabon-Strategie: Sachstand und Zukunftsperspektiven

96

2008/C 120/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren (kodifizierte Fassung)KOM(2007) 587 endg.

100

DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

440. Plenartagung vom 12./13. Dezember 2007

16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten“

und dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten“

und dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung 3052/95/EG“

KOM(2007) 37 endg. — 2007/0029 (COD)

KOM(2007) 53 endg. — 2007/0030 (COD)

KOM(2007) 36 endg. — 2007/0028 (COD)

(2008/C 120/01)

Der Rat beschloss am 14. März 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 und Artikel 133 Absatz 3 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten“und

„Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten“

Der Rat beschloss am 2. April 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 und Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung 3052/95/EG“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 21. November 2007 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember) mit 68 gegen 2 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss ist voll und ganz davon überzeugt, dass die umfassende Anwendung des im Vertrag verankerten und in zahlreichen Urteilen des EuGH bekräftigten Grundsatzes des freien Warenverkehrs gewährleistet sein muss, damit Erzeugnisse, die rechtmäßig in einem Mitgliedstaat vermarktet werden, problemlos im gesamten EU-Gebiet vermarktet werden können.

1.2

Nach Auffassung des Ausschusses ist es von vordringlicher Bedeutung, Sicherheit, Transparenz und Effizienz im Handel durch die Beseitigung von Mehrfachkontrollen und -untersuchungen sowie die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für Verbraucher, Bürger und Unternehmen zu gewährleisten und die aktive und einheitliche Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften für die Bereiche Produktsicherheit mittels Koordinierung und verstärkter Marktüberwachung zu garantieren.

1.3

Der Ausschuss betont, dass der freie Warenverkehr einer der wichtigsten Motoren für die Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des europäischen Binnenmarkts ist und dass die Konkretisierung und Modernisierung der Bedingungen für die Vermarktung sicherer Qualitätsprodukte für die Verbraucher, die Unternehmen und die Unionsbürger von zentraler Bedeutung sind.

1.4

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Modernisierung und Vereinfachung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für Waren angesichts folgender objektiver Aspekte unaufschiebbar ist:

bei der Anwendung und Durchführung der Vorschriften des Vertrags treten Probleme auf;

es gibt keinen kohärenten Ansatz für das Marktüberwachungssystem in den Mitgliedstaaten;

die mit der Konformitätsbewertung und dem rechtlichen Schutz für die CE-Kennzeichnung betrauten Stellen weisen Defizite auf;

Unternehmen, Verwaltungen und Bürger verfügen nur über lückenhafte Kenntnisse bezüglich ihrer Rechte und Pflichten.

1.5

Der Ausschuss befürwortet die Initiative der Kommission für ein Maßnahmenpaket, insofern folgende Punkte umfassend realisiert werden können:

die wirkungsvolle und einheitliche Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung;

den Ausbau der Marktüberwachung;

ein gemeinsames europäisches Akkreditierungssystem, das als eine öffentliche Dienstleistung von allgemeinem Interesse verstanden wird;

einheitliche Kompetenzniveaus der akkreditierten Zertifizierungsstellen;

strengere Auswahlkriterien und harmonisierte Auswahlverfahren für Konformitätsbewertungen;

stärkere Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden auf kontinuierlicher und systematischer Basis;

ein verstärkter rechtlicher Schutz der CE-Kennzeichnung, um Verwirrungen aufgrund einer Vielzahl von Kennzeichnungen zu vermeiden;

die umfassende Festlegung und Definition der Verantwortung aller Akteure, die Waren in Verkehr bringen;

ein einheitlicherer Regelungsrahmen und mehr Kohärenz zwischen den bestehenden Bestimmungen mit erhöhter Konformität und möglichst geringem Verwaltungsaufwand;

die Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit sämtlicher in Verkehr gebrachter Produkte;

die umfassende Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Zertifizierungsverfahren und den damit verbundenen Aufwand, insbesondere mit Blick auf kleinere Unternehmen und Erzeugnisse, die nicht in Serie oder in begrenzter Stückzahl hergestellt werden;

die umfassende Teilhabe aller Marktakteure und insbesondere der Verbraucher;

die ausdrückliche Einräumung von außergerichtlichen Schlichtungsverfahren, deren Fristen und Aufwand auf das unerlässliche Minimum reduziert sind.

1.6

Für den Ausschuss ist es von vorrangiger Bedeutung, dass in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung ein erhöhtes Maß an Transparenz und Sicherheit bei der Anwendung der gemeinschaftlichen Verfahren gewährleistet wird, und zwar mittels

der Umkehrung der Beweislast und der Möglichkeit, bei nationalen Gerichten Rechtsmittel einzulegen;

der Möglichkeit außergerichtlicher Einigungen in Streitfragen mithilfe der einzelstaatlichen Produktinfostellen, auch über das Internet;

kürzerer gerichtlicher und außergerichtlicher Verfahrensfristen;

Aufbau leistungsfähiger und kompetenter nationaler Strukturen für eine zeitnahe Beweiserhebung, auch im Zuge von Dringlichkeitsverfahren;

einer aktiven Rolle der nationalen Normungseinrichtungen bei der Erarbeitung eines Online-Handbuchs zur Recherche bestehender Vorschriften in der gesamten EU.

1.7

Der Ausschuss ist mit den Grundprinzipien der Vorschläge einverstanden, die sich aus den positiven Erfahrungen mit dem „neuen Konzept“ in Verbindung mit dem globalen Konzept bei der Konformitätsbewertung ergeben. Sie sollten im gesamten aktuellen und künftigen EU-Recht allgemein angewandt werden und alle Aspekte der vermarkteten Produkte betreffen, insbesondere in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz.

1.8

Der Ausschuss betont, dass alle Wirtschaftsakteure, die an der Versorgungs- und Verteilungskette beteiligt sind, geeignete Maßnahmen ergreifen und zu gleichen Teilen Verantwortung übernehmen müssen, um zu gewährleisten, dass nur normkonforme Produkte vermarktet werden — unabhängig von der Frage, ob diese Wirtschaftsakteure Hersteller, bevollmächtigte Vertreter oder Importeure sind.

1.9

Die Rückverfolgbarkeit der Produkte muss — im Sinne einer wirkungsvollen Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften — die eindeutige Bestimmung der Verantwortlichkeit der Wirtschaftsakteure, die Waren auf dem europäischen Markt in Verkehr bringen, ermöglichen.

1.10

Nach Auffassung des Ausschusses sollte auch die Problematik der Vermarktung von Erzeugnissen über das Internet berücksichtigt werden, da die Online-Vermarktung noch nicht umfassend geregelt ist.

1.11

Der Ausschuss hält klarere Angaben für unerlässlich, um den derzeitigen Rahmen des neuen Konzepts mit Blick auf folgende Aspekte zu verbessern:

Verpflichtungen für die Wirtschaftsakteure, die gerechtfertigt, verhältnismäßig und frei von kostspieligen bürokratischen oder verwaltungstechnischen Hindernissen sind;

eine wirksamere Marktüberwachung und stärker übereinstimmende Kompetenzniveaus der für die Konformitätsbewertung benannten Stellen, um ein Maximum an Unparteilichkeit und Effizienz im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Hersteller zu gewährleisten.

1.12

Der Ausschuss stimmt mit der Kommission darin überein, dass der Status und die Bedeutung der CE-Kennzeichnung mittels Eintragung als Kollektivmarke rechtlich gestärkt werden muss. Dies ermöglicht es den Behörden, rasch aktiv zu werden und gegen Missbrauch vorzugehen.

1.13

Der Ausschuss unterstreicht die zentrale Rolle, die der Prozess der technischen Normung in diesem Bereich spielt: Das neue Konzept basiert nämlich auf einer engen Verknüpfung zwischen den wesentlichen gesetzlichen Anforderungen und den europäischen technischen Standards, die unterstützt und zur Geltung gebracht werden müssen.

1.14

Das — als öffentliche Dienstleistung von allgemeinem Interesse verstandene — europäische Akkreditierungssystem muss zum einen die umfassende Anerkennung der Ergebnisse der Konformitätsbewertungen sicherstellen und sinnlose Mehrfachbewertungen vermeiden; zum anderen muss es auf international anerkannten Standards und auf eindeutigen Definitionen basieren.

1.15

Die Bestimmungen der Verordnung bezüglich der Akkreditierungsstellen müssen für alle Akkreditierungsstellen und die von ihnen erbrachten Leistungen im EWR gelten, und zwar unabhängig von der Art der für ihre Kunden durchgeführten Konformitätsbewertung.

1.16

Diese Bestimmungen müssen Folgendes gewährleisten:

einen kohärenten Korpus eindeutiger und transparenter gemeinsamer Begriffsbestimmungen, die den internationalen Standards entsprechen und die bei allen Richtlinien des neuen Konzepts und produktbezogenen Richtlinien (1) angewandt werden sollten, auch bei den Richtlinien zur Bewertung der Konformität und von Einrichtungen, die mit der Konformitätsbewertung befasst sind;

die Funktionsfähigkeit als Akkreditierungssystem in öffentlicher Zuständigkeit, das nicht Gegenstand des kommerziellen Wettbewerbs sein darf;

die allgemeine Einbeziehung aller einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften, ohne Ausnahmen, weder für Sicherheit und Gesundheit, noch für den Umweltschutz;

die generelle Gültigkeit für alle akkreditierungspflichtigen Aktivitäten, auch für die Justierung, unabhängig davon, ob eine solche Akkreditierung zum Zwecke der gesetzlich erforderlichen Konformitätsbewertung oder aufgrund privater vertraglicher Vereinbarungen erfolgt;

die nationalen Akkreditierungsstellen müssen die Standards in puncto Kompetenz und Unparteilichkeit wahren, indem sie regelmäßig an einer Beurteilung unter Gleichrangigen (peer evaluation) teilnehmen, die unter der Aufsicht aller am Akkreditierungsverfahren Beteiligten durchgeführt wird.

1.17

Der Ausschuss erachtet es für erforderlich, eine eindeutige Rechtsgrundlage für die Europäische Kooperation für Akkreditierung (EA) zu schaffen, deren Funktionen ausgebaut und besser definiert werden sollten: Alle nationalen Akkreditierungsstellen müssen sich an der EA beteiligen, um Äquivalenz, Transparenz, Zuverlässigkeit und Wirksamkeit zu gewährleisten. Ferner muss das EA-Netzwerk von den Mitgliedstaaten unterstützt werden.

1.18

Da die Akkreditierungsstellen zeigen müssen, dass das ihnen entgegengebrachte Vertrauen gerechtfertigt ist, sollten sie nach Auffassung des Ausschusses einen Nachweis über die erfolgreiche Teilnahme am Beurteilungsverfahren unter Gleichrangigen (peer review) erbringen.

1.19

Außerdem ist nach Auffassung des Ausschusses die Beteiligung aller betroffenen Akteure wichtig, und sie sollten in den Akkreditierungsstellen vertreten sein. Diese Bestimmung sollte integraler Bestandteil der neuen Verordnung sein.

1.20

Der Ausschuss ist diesbezüglich der Auffassung, dass die Verbraucherrechte im Binnenmarkt besser be- und anerkannt sein müssen, wofür geeignete Maßnahmen vorzusehen sind.

1.21

Bei der Marktüberwachung müssen auch diejenigen Produkte berücksichtigt werden, die unter die Produktsicherheitsrichtlinie fallen, da zahlreiche Produkte sowohl für die gewerbliche Nutzung als auch für die Verwendung durch den Endverbraucher bestimmt sind. Der Ausschuss hält übrigens das derzeitige System für den schnellen Informationsaustausch RAPEX, das eine wirksame Unterstützung bei der Marktüberwachung darstellt, für voll und ganz gerechtfertigt

1.22

Es ist notwendig, dass die Zollbehörden im Rahmen eines europäischen Netzwerks mit den Marktüberwachungsstellen zusammenarbeiten, um wirkungsvolle Kontrollen der Produkte zu gewährleisten, bevor diese frei auf dem europäischen Binnenmarkt zirkulieren können.

1.23

Auch aus diesem Grunde müssen die Zollbehörden über qualifiziertes Personal und entsprechende finanzielle Mittel und Befugnisse verfügen, damit sie die ihnen anvertrauten Aufgaben wirksam erledigen können. Sie müssen auch über die geeigneten Mittel für ein schnelles Eingreifen bei saisonalen Produkten oder bei Produkten mit zeitlich begrenzter Vermarktung verfügen.

1.24

Schließlich muss nach Auffassung des Ausschusses in der Verordnung eindeutig spezifiziert werden, dass auch die aufgrund nachweislicher Konformitätsmängel ergriffenen Maßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen haben.

2.   Einleitung

2.1

Der Binnenmarkt für Waren ist nicht nur der wichtigste Katalysator für das Wachstum in der Europäischen Union, er beeinflusst auch in erheblichem Maße die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt. Wie der Ausschuss mehrfach betonte, ist „ein Faktor, der an Bedeutung gewonnen hat, (…) die Globalisierung, die sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance darstellt. Die Herausforderung kann nur gemeistert werden, wenn das Potenzial des Binnenmarktes ausgeschöpft wird“ (2).

2.2

Der freie Warenverkehr ist ein zentraler Stützpfeiler des Binnenmarktes: Dank der Anwendung der Artikel 28-30 des Vertrags (3) wurden bei der Harmonisierung technischer Bestimmungen auf Gemeinschaftsebene große Fortschritte erzielt und technische Handelshemmnisse beseitigt, insbesondere mittels der Richtlinien des „neuen Konzepts“ (die auch als CE-Kennzeichnungsrichtlinien bezeichnet werden).

2.3

Vor allem in den nicht harmonisierten Produktbereichen sind jedoch Unzulänglichkeiten bezüglich Anwendung und Durchsetzung der Bestimmungen des EG-Vertrags zutage getreten: nationale technische Vorschriften führen — vor allem für KMU — zu beträchtlichen Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs in der EU, der Rechtsrahmen für den Warenverkehr ist noch zu bruchstückhaft und die Mitgliedstaaten haben kein kohärentes Konzept für die Marktüberwachung.

2.4

Der Ausschuss hat bereits betont, dass „die Mitgliedstaaten eine hohe Verantwortung für die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Umsetzung der EU-Maßnahmen in das einzelstaatliche Recht und deren Durchsetzung“ tragen und wie wichtig es ist, „dass der sich daraus ergebende Regelungsrahmen auf einzelstaatlicher Ebene für die Unternehmen, Arbeitnehmer, Konsumenten und sämtliche Akteure der Zivilgesellschaft inhaltlich ausgewogen und gleichzeitig so einfach wie möglich gestaltet ist“ (4).

2.5

Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich die Ziele, größere Transparenz und Wirksamkeit der Normen anzustreben und die Vermarktungsbedingungen für sichere Qualitätsprodukte auszubauen und zu modernisieren, um Folgendes zu gewährleisten:

hohe Anforderungen an Sicherheit und Qualität der nationalen und importierten Produkte und eine größere Wahlfreiheit auf der Grundlage zuverlässiger Konformitätsbewertungen für die Verbraucher;

Sicherheit, Klarheit und Kohärenz der Rechtsvorschriften und einen einheitlichen Rechtsrahmen für Industrieprodukte; entsprechend schlanke Regelungen, die eine Anpassung an die technologische Entwicklung ermöglichen; einen tatsächlich freien Warenverkehr ohne ungerechtfertigte technische Hemmnisse, aufwändige Verwaltungskontrollen und zusätzliche Tests für den Zugang zu den einzelnen nationalen Märkten für die Hersteller;

und Gesundheits- und Umweltschutz, die Beseitigung kostspieliger und unnötiger Verwaltungsformalitäten, die praktische Erfahrung eines greifbaren, bürgernahen und „ergebnisorientierten Europa“ auf der Grundlage Qualitätsparametern als zentraler Bestandteil der Unionsbürgerschaft für die Bürger.

2.6

Der Ausschuss hat in seiner Stellungnahme zu dem Thema „Binnenmarktstrategie — Vorrangige Aufgaben 2003-2006“ (5) darauf hingewiesen, dass „Der Handel mit Drittstaaten (…) schneller zu(nahm) als der Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Ein Grund hierfür liegt im Scheitern der gegenseitigen Anerkennung, die den Verbrauchern Vertrauen in die in einem anderen Staat hergestellten Produkte geben sollte. Die Mitgliedstaaten sollten den jeweils anderen Systemen vertrauen. Ein solides Rechtssystem, hohe und transparente Qualitätsstandards und Initiativen im Bereich der Verbrauchererziehung sind die besten Voraussetzungen, um den Warenhandel zwischen den Mitgliedstaaten zu erhöhen.“

2.7

Der Ausschuss hat außerdem hervorgehoben, dass die Verbraucherrechte im Binnenmarkt nicht hinreichend bekannt sind und — insbesondere für die Länder in Randlage und die unlängst beigetretenen Mitgliedstaaten — mehrfach auf diesen Mangel und die Art und Weise hingewiesen (6), in der diesbezügliche Wissenslücken von öffentlichen Einrichtungen auf nationaler und lokaler Ebene häufig ausgenutzt werden.

2.8

Der Ausschuss weist ferner darauf hin, dass ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts in erster Linie durch die folgenden im Jahr 2007 von der Binnenmarktbeobachtungsstelle ausgemachten Probleme verhindert wird:

die Unsicherheit der Wirtschaftsakteure und einzelstaatlichen Verwaltungen bezüglich ihrer Rechte und Pflichten beim Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung;

der Mangel an einem ausreichenden Maß an Vertrauen, Transparenz und Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung und der Akzeptanz von Zertifizierungen sowie des freien Warenverkehrs, um in puncto Konformitätsbewertungen, Akkreditierungssysteme, Marktüberwachung und Transparenz und Schutz der CE-Kennzeichnung einen klareren Rahmen zu schaffen;

der Mangel an kohärenten Maßnahmen zur Gewährleistung hoher Standards und optimaler allgemeiner Anforderungen im Bereich Sicherheit und Gesundheit bei den zu vermarktenden Produkten.

2.9

Der Ausschuss hat bereits mit Bedauern festgestellt, „dass nach vielen Jahren europäischer Integration noch längst nicht alle Mitgliedstaaten EU-Recht und -Politik angemessen politisch und administrativ in die Gestaltung ihrer Politik eingebunden haben, obwohl sie sich in einer Reihe von Bereichen zu einer gemeinsamen Politik und zur Durchführung gemeinsamer Entscheidungen verpflichtet haben“ (7).

2.10

Ferner ist es nach Auffassung des Ausschusses „unbedingt erforderlich, dass europäische Angelegenheiten auf nationaler Ebene effektiv und transparent gehandhabt werden, da 25 Mitgliedstaaten mit ihrer eigenen Verwaltungskultur und -tradition denselben gemeinsamen Besitzstand achten müssen, was bedeutet, dass sie bei der Rechtsetzung, Umsetzung, Durchführung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts ähnliche Anforderungen zu erfüllen haben“ (8).

2.11

Laut Kok-Bericht (9) wird „der freie Warenverkehr in der EU weiterhin durch eine ganze Palette lokaler Vorschriften behindert, die häufig willkürlich angewandt werden und eindeutig dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zuwiderlaufen“ (10).

2.12

Aufgrund obenstehender Ausführungen hält es der Ausschuss — mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit der europäischen Integration, den Schutz der Verbraucher und der Bürger sowie die Entwicklung der europäischen Unternehmen — für absolut vordringlich,

die umfassende Anwendung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs zu gewährleisten, der im Vertrag verankert ist und in zahlreichen Urteilen des Europäischen Gerichtshofes bestätigt wurde, damit die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig vermarkteten Produkte ohne Probleme im gesamten Unionsgebiet verkauft werden können;

die Sicherheit, Transparenz und Effizienz des Handels zu gewährleisten, Mehrfachkontrollen und —untersuchungen zu beseitigen und ein hohes Maß an Schutz für Verbraucher, Bürger und Unternehmen zu garantieren;

Unsicherheiten, das Übermaß an Rechtsvorschriften und rechtliche Inkohärenz sowie die unnötige Komplexität bei den Konformitätsbewertungen von Produkten zu beseitigen: diese sollten angemessen, renommiert, unabhängig und unparteiisch sein und einem gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für Industrieprodukte entsprechen;

mittels Koordinierung und Ausbau der Marktüberwachungsaktivitäten die aktive und einheitliche Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften im Bereich der Produktsicherheit zu gewährleisten;

die CE-Kennzeichnung zur Geltung zu bringen, zu stärken und besser zu schützen. Diese sollte ein veritabler „Konformitätsnachweis“ sein, der — unter Wahrung der im Gemeinschaftsrecht festgelegten Sicherheits- und Qualitätsstandards — zum freien Warenverkehr im gesamten Unionsgebiet berechtigt.

3.   Die Kommissionsvorschläge

3.1

Die Kommission geht von der Feststellung aus, dass der Binnenmarkt noch nicht vollendet sei:

nationale technische Vorschriften behindern immer noch in erheblichem Maße den Warenverkehr in der Gemeinschaft. Wie angegeben (11), haben in einer Untersuchung mehr als ein Drittel aller Unternehmer auf Probleme infolge technischer Vorschriften in einem anderen Mitgliedstaat hingewiesen, und ca. die Hälfte hat entschieden, die eigenen Erzeugnisse an diese Vorschriften anzupassen;

ein Übermaß an Gemeinschaftsvorschriften führt zu Inkohärenz und Komplexität: verschiedene Definitionen für das gleiche Produkt, Überlappungen bei Konformitätsbewertungsverfahren; unterschiedliche Konformitätsbewertungseinrichtungen, ein stark fragmentierter rechtlicher Bezugsrahmen mit einer Unzahl unterschiedlicher Vorschriften und Verfahren;

die Informationen und Kenntnisse über die eigenen Rechte im Bereich Binnenmarkt sowohl seitens der Verbraucher und Bürger, als auch seitens der KMU sind noch unzureichend, während bei der Ausübung dieser Rechte nach und nach neue Hindernisse und neue aufwändige Verwaltungsformalitäten entstehen.

3.2

Zwecks Bewältigung dieser Probleme legt die Kommission folgende Dokumente vor:

eine Verordnung (KOM(2007) 36 endg.) zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung 3052/95/EG;

einen Beschluss (KOM(2007) 53 endg.) über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten. Gleichzeitig soll die CE-Kennzeichnung durch die Registrierung als Gemeinschaftskollektivmarke rechtlich geschützt werden;

eine Verordnung (KOM(2007) 37 endg.) über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten.

3.3

Der Verordnungsvorschlag (KOM(2007) 36 endg.), mit dem das gegenwärtige Verfahren der gegenseitigen Information aufgehoben werden soll, behandelt einige Aspekte des nicht harmonisierten Sektors:

ein neues Verfahren für die mitgliedstaatlichen Behörden, die eine neue technische Vorschrift erlassen möchten und der Auffassung sind, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nicht anwenden zu können;

die Festlegung auf Gemeinschaftsebene der Rechte und Pflichten einzelstaatlicher Behörden und der Unternehmen, die in einem Mitgliedstaat ein Produkt, das bereits in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig vermarktet wird, verkaufen möchten;

Einrichtung einer oder mehrerer „Produktinfostellen“ in allen Mitgliedstaaten mit der Aufgabe, Informationen über die anzuwendenden technischen Vorschriften und die zuständigen Behörden/Einrichtungen zu geben; ferner wird die Möglichkeit vorgesehen, diese Produktinfostellen in einem Telematiknetz für den Informationsaustausch — im Rahmen interoperabler Behördendienste (IDABC) — miteinander zu verknüpfen.

3.4

Mit dem Vorschlag für einen Beschluss (KOM(2007) 53 endg.) soll ein gemeinsamer kohärenter Rechtsrahmen für künftige sektorale Rechtsvorschriften mit folgenden Bestandteilen geschaffen werden:

harmonisierte Begriffsbestimmungen, einheitliche Verpflichtungen für die Wirtschaftsakteure, Kriterien für die Auswahl der Konformitätsbewertungsstellen und Kriterien für die nationalen notifizierenden Stellen sowie Vorschriften für das Notifizierungsverfahren;

Regeln für die Auswahl der Art der Konformitätsbewertungsverfahren und eine Reihe harmonisierter Verfahren, um belastende Überlappungen zu vermeiden;

eine einheitliche Definition für die CE-Kennzeichnung (mit entsprechenden Zuständigkeiten und Schutzrechten) als Gemeinschaftskollektivmarke für die Richtlinien, in denen sie bereits vorgesehen ist;

ein Informations- und Marktüberwachungsverfahren in Erweiterung des mit der Produktsicherheitsrichtlinie eingeführten Systems;

harmonisierte Bestimmungen für künftige Schutzklauselmechanismen als Ergänzung zu den Marktüberwachungsverfahren.

3.5

Mit dem Verordnungsvorschlag (KOM(2007) 37 endg.) werden die geltenden Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung verstärkt, damit nicht konforme Produkte rasch erkannt und vom Markt genommen werden können. Hauptziel des Vorschlags ist es, den freien Warenverkehr im harmonisierten Sektor zu gewährleisten mittels:

Stärkung der europäischen Kooperation, damit die Akkreditierung bei der ordnungsgemäßen Durchführung gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften wirkungsvoll als letzte Kontrollinstanz fungieren kann;

Errichtung eines Regelungsrahmens für die Anerkennung einer bereits bestehenden Einrichtung, der Europäischen Kooperation für Akkreditierung (EA), so dass das ordnungsgemäße Funktionieren einer strengen Beurteilung unter Gleichrangigen (peer evaluation) seitens der nationalen Akkreditierungsstellen (12) gewährleistet ist;

eines gemeinschaftlichen Rahmens für Marktüberwachung und -kontrolle bei Produkten, die aus Drittländern auf den Binnenmarkt gelangen, der eine engere Zusammenarbeit zwischen den internen Behörden und den Zollbehörden, den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden, falls Produkte in mehr als einem Mitgliedstaat in Verkehr sind, gewährleisten;

Anwendung standardisierter und klarer Vorschriften in allen Sektoren, rechtlicher Stabilität und Kohärenz, Entlastung durch Reduktion der Auflagen bei der Konformitätsbewertung im Vorfeld der Vermarktung;

eines finanziellen Beitrags der Gemeinschaft für: sektorale Akkreditierungsprogramme, die Tätigkeiten des zentralen Sekretariats der EA, die Konzeption und Koordinierung von Marktüberwachungsprojekten sowie für Ausbildungsprogramme und den Austausch von nationalen Beamten unter Einschluss der Zollbehörden.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss ist voll und ganz davon überzeugt, dass der freie Warenverkehr einer der wichtigsten Motoren für die Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum des europäischen Binnenmarkts ist, und dass die Stärkung und Modernisierung der Vermarktungsbedingungen für sichere Qualitätsprodukte für Verbraucher, Unternehmen und Unionsbürger zentrale Bedeutung hat.

4.2

Der Binnenmarkt für Waren hat in den letzten 50 Jahren zu einer ständigen Annäherung der europäischen Volkswirtschaften geführt: der Handel zwischen den Mitgliedstaaten der EU-27 beträgt heute zwei Drittel des gesamten Handelsvolumens der EU.

4.3

Artikel 28 und 30 des EG-Vertrags (13) und ihre Umsetzung, der Prozess der Harmonisierung der technischen Vorschriften des alten und des neuen Konzepts und die korrekte Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung sind die zentralen Stützen der Entwicklung des innergemeinschaftlichen Handels.

4.4

Die Schwierigkeiten bei der Anwendung und Durchführung der Bestimmungen des Vertrags, das Fehlen kohärenter Marktüberwachungssysteme der Mitgliedstaaten, die Defizite der Konformitätsbewertungsstellen sowie der Stellen zum Schutz der CE-Kennzeichnung, die Inkohärenz und Komplexität der europäischen Regelungen, die sich häufig überlappen und mit einer Vielzahl verschiedener Verfahren einhergehen sowie mangelndes Wissen über die eigenen Rechte und Pflichten seitens der Unternehmer, Verwaltungen und Bürger sind der Grund dafür, dass sich die Modernisierung und Neuordnung der Gemeinschaftsvorschriften im Bereich der Waren nicht mehr aufschieben lässt.

4.5

Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Kommission nachdrücklich, wie er im Übrigen bereits mehrfach in seinen Stellungnahmen zum Binnenmarkt (14) deutlicht gemacht hat, und unterstützt die Vorschläge, sofern die in der vorliegenden Stellungnahme vorgebrachten Punkte aufgegriffen werden.

4.6

Nach Auffassung des Ausschusses müssten bei der Bewertung der vorgeschlagenen Initiativen die vier folgenden grundlegenden Kriterien angelegt werden, damit sich diese in die bestehenden Gemeinschaftsregelungen einfügen:

der Grad der Transparenz, Vereinfachung, Zuverlässigkeit, Rechtssicherheit und Verständlichkeit für die Zielgruppen in der Gemeinschaft, d. h. die Verbraucher, Unternehmen, öffentlichen Verwaltungen und der einzelne Bürger;

der Grad der Übereinstimmung mit den anderen Zielen und Politiken der Union;

das Kommunikations- und Informationsniveau bezüglich der Rechte und Pflichten der verschiedenen betroffenen gemeinschaftlichen Akteure;

der erhöhte Verwaltungsaufwand und die damit einhergehenden Belastungen, vor allem für kleinere Akteure wie Verbraucher, KMU und den einzelnen Bürger.

4.7

Nach Ansicht des Ausschusses ermöglichen die Kommissionsvorschläge erhebliche Fortschritte, da sie Folgendes beinhalten:

Bestimmungen für die Stärkung der Marktüberwachung;

ein einheitliches Akkreditierungssystem;

einheitliche Kompetenzniveaus der akkreditierten Zertifizierungsstellen;

strengere Auswahlkriterien und harmonisierte Auswahlverfahren bei den Konformitätsbewertungen;

stärkere Zusammenarbeit und größerer Informationsaustausch zwischen den einzelstaatlichen Behörden;

Stärkung des rechtlichen Schutzes der CE-Kennzeichnung als Gemeinschaftskollektivmarke.

4.8

Der Ausschuss ist vollkommen damit einverstanden, dass die Qualität des Akkreditierungssystems für die notifizierten Stellen zu verbessern ist, und dass striktere Kriterien für die Benennung, Verwaltung und Überwachung dieser Stellen aufgestellt werden müssen. Diese müssen sich in einen Rechtsrahmen einfügen, der die Kohärenz, Vergleichbarkeit und Überwachung dieses dezentralen Systems sowie seine Zuverlässigkeit gewährleistet und das gegenseitige Vertrauen stärkt.

4.9

Das Marktüberwachungssystem muss vor allem angesichts der zunehmenden Globalisierung über einen gemeinsamen Rechtsrahmen verfügen, um die wirksame und kohärente Anwendung der Vorschriften im gesamten Unionsgebiet zu gewährleisten.

4.10

Wie der Jahresbericht 2006 für RAPEX (15), das Schnellwarnsystem für gefährliche Verbraucherprodukte belegt, muss verhindert werden, dass nicht konforme und möglicherweise gefährliche Produkte auf den Markt gelangen.

4.11

In Bezug auf die CE-Kennzeichnung — die als Konformitätskennzeichnung und nicht als Qualitätssiegel verstanden wird — ist es für den Ausschuss von zentraler Bedeutung, das Vertrauen in die Konformitätskennzeichnungen wiederzuerlangen. Der Eigenwert der CE-Kennzeichnung muss wiedergewonnen werden, um mögliche Zuwiderhandlungen verfolgen und den Rechtschutz für ein Element gewährleisten zu können, das für das Rechtssystem aller Richtlinien des „neuen Konzepts“, die inzwischen mehr als 20 Produktionsbereiche betreffen, von grundlegender Bedeutung ist.

4.12

Was den gegenwärtigen Rechtsrahmen betrifft, hält der Ausschuss die Inkohärenzen und Überschneidungen der Vorschriften und die Rechtsunsicherheit für die vielleicht offensichtlichste Schwachstelle des ganzen Systems, was mit schweren Nachteilen insbesondere für Verbraucher, KMU, die einzelnen Bürger und die Zivilgesellschaft insgesamt einhergeht.

4.13

Die Vielzahl sukzessiv erlassener Rechtsvorschriften und die mangelnde Kohärenz zwischen den Initiativen mit anderen Zielsetzungen und in anderen Politikbereichen der EU haben zu einem übermäßigen bürokratischen Aufwand und zu zeitlicher Belastung geführt, die mit dem effektiven Start der verschiedenen Verfahren verbunden sind. Dies hatte vor allem für Verbraucher, KMU und Einzelpersonen besonders negative Auswirkungen.

4.14

Der Ausschuss unterstützt deshalb ausdrücklich den Vorschlag für einen gemeinsamen Bezugsrahmen für die Vermarktung der Produkte (16). Dieser Rahmen sollte gemeinsame Definitionen, Verfahren und Elemente für die künftige Neufassung und Anpassung der einzelnen Richtlinien enthalten, damit die Mängel des derzeitigen Rechtsrahmens behoben und unnötiger bürokratischer Aufwand beseitigt werden kann.

4.15

Der Ausschuss erachtet es für notwendig, ein praktisches Online-Handbuch für die Vermarktung von Produkten auf dem europäischen Binnenmarkt (17) zu realisieren, in dem alle Vorschriften und Verfahren benutzerfreundlich aufgeführt werden und horizontal sowie nach Wirtschaftszweigen geordnet mitsamt den entsprechenden Rechten und Pflichten, Zugangsbedingungen, Fristen und Startkosten dargestellt werden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Der Vorschlag für eine Verordnung (KOM(2007) 36 endg.) zum „Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung“ und den „Produktinfostellen“

5.1.1

Der in Artikel 28 und in Artikel 30 des Vertrags vorgesehene Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ist eines der Schlüsselelemente des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt. Nach 50 Jahren ist es — angesichts sukzessiver Erweiterungen der EU und einer zunehmenden Globalisierung der Märkte — nach Auffassung des Ausschusses erforderlich, seine Rolle und seinen Schutz zu stärken, größere Rechtssicherheit und Einheitlichkeit bei der Anwendung der Vorschriften zu gewährleisten und seine Möglichkeiten für die Wirtschaftsakteure und europäischen Unternehmen sowie für die einzelstaatlichen Behörden voll zur Geltung zu bringen.

5.1.2

Der Kommissionsvorschlag bedeutet einen begrüßenswerten Fortschritt in dieser Hinsicht, da er:

ein Verfahren für das Beantragen von Ausnahmen vom allgemeinen Grundsatz bietet;

einen gemeinsamen Rahmen von Rechten und Pflichten für die nationalen Behörden und die Unternehmen festlegt;

ein System für Informationsaustausch und Verwaltungszusammenarbeit im Bereich nationaler Bestimmungen empfiehlt.

5.1.3

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass jedoch nach wie vor folgende problematische Bereiche bestehen, die einer Präzisierung bedürfen:

die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung kann nicht getrennt werden vom gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Marktüberwachungsmechanismen, die von ausschlaggebendem Gewicht sind für: den Zugang eines Produkts zum europäischen Binnenmarkt; die Wirksamkeit der Konformitätsbewertungsverfahren; die Rolle der Testlabors und die Kompetenzen der Zertifizierungsstellen und Normungsgremien;

im aktuellen Verordnungsvorschlag spielt die Kommission eine weniger wichtige Rolle als in der Entscheidung 3052/95/EG vorgesehen;

die Verfahren zur Verwaltungszusammenarbeit werden auf die vertikale Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und nationalen Behörden beschränkt, wohingegen die Entwicklung einer horizontalen Zusammenarbeit zwischen Verwaltungsbehörden — wie z. B. zwischen den Produktinfostellen — wichtig erscheint;

es fehlt der Verweis auf Konfliktlösungsmechanismen wie z. B. SOLVIT (18), der es den Unternehmen ermöglichen würde, direkt ein rasches und erprobtes Verfahren beantragen zu können;

die Umkehr der Beweislast auch für Produkte aus Drittstaaten, die von europäischen Importeuren auf dem Binnenmarkt in Verkehr gebracht werden;

die Einführung einer Positivliste für Produkte, die sich als besonders schwierig erweisen kann, da der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung für alle Produkte gilt, die nicht unter die harmonisierten Rechtsvorschriften fallen.

5.1.4

Nach Auffassung des Ausschusses sollten die Rechtsgrundlagen des Vertrages, die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung verankern, im Text explizit genannt werden. Dadurch würde deutlich gemacht, dass der Schutz vorgebrachter nationaler Erfordernisse nur die Ausnahme sein kann.

5.1.5

Der Ausschuss hält es für vordringlich, ein hohes Niveau an Transparenz, Rechtssicherheit und Vereinfachung bei der Anwendung und Durchführung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zu gewährleisten mittels:

der Beweislastumkehr für die nationale Behörden, die von diesem Grundsatz abweichen möchten, mit einfachen Verfahren und überschaubaren Fristen, zur transparenteren und schnelleren Lösung kontroverser Fälle;

der Möglichkeit, bei nationalen Gerichten Rechtsmittel einzulegen, ohne dass dies mit übermäßigen Kosten, Fristen und Anstrengungen verbunden ist;

der Möglichkeit der außergerichtlichen Streitbeilegung mittels Verfahren, deren Wirksamkeit in der EU belegt ist;

größerer und besserer Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, auch durch gemeinsame Informations- und Bildungskampagnen für Unternehmen, Verbraucher und Verwaltungen;

kürzerer Verfahrensfristen: nach einer begründeten schriftlichen Mitteilung der nationalen Behörden sollten die Unternehmen 20 Tage für das Vorbringen ihrer Gegenargumente und die Möglichkeit haben — sollte sich der Konflikt nicht innerhalb bestimmter Fristen lösen lassen —, sich an die nationalen Gerichte des potenziellen Markts zu wenden;

europäischer Vernetzung und Aufnahme in die EU-Website der Produktinfostellen, die in allen Mitgliedstaaten eingerichtet werden sollen, um ein angemessenes Informations- und Kommunikationsniveau bezüglich der Rechte und Pflichten zu gewährleisten.

5.1.6

Der Ausschuss hält es für sinnvoll, die Fristen für die Beratungen bei einem Einspruch zu beschränken, sodass der Streitfall in erster Instanz beigelegt werden kann.

5.1.7

Die Mitgliedstaaten müssen leistungsfähige und kompetente technische Strukturen aufbauen, die auch ein Dringlichkeitsverfahren beinhalten, um das für Ausnahmen vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gemäß Artikel 30 des Vertrags erforderliche Beweismaterial rasch vorlegen zu können. Dieser Artikel „ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen zu treffen, wenn diese durch ein allgemeines, nicht wirtschaftliches Interesse begründet sind (öffentliche Sittlichkeit, öffentliche Ordnung, öffentliche Sicherheit, Schutz von Gesundheit und Leben von Menschen und Tieren, Erhaltung der Pflanzenwelt, Schutz der nationalen Reichtümer und Schutz des industriellen und kommerziellen Eigentums)“ (19).

5.1.8

Die Produktinfostellen sollten im Sinne eines ersten Versuchs zur Konfliktbeilegung auch die SOLVIT-Verfahren einsetzen, um es den Unternehmen — sollten ihre Waren auf Grenzhindernisse stoßen — zu ermöglichen, auf dieses außergerichtliche Verfahren der Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten mit einer Reaktionszeit von maximal 10 Wochen zurückzugreifen (20).

5.1.9

Nach Auffassung des Ausschusses müssen die Produktinfostellen eine proaktive Rolle spielen, indem sie praktische Verfahrensleitfäden bereitstellen und nationale Websites aufbauen, die europaweit vernetzt und auch über das Portal der Europäischen Union zugänglich gemacht werden sollten. Diese könnten enthalten: die Entscheidungen bereits gelöster Fälle; die Liste der Produkte, für die der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gilt; sowie eine — mit dem EDV-Netz für den Datenaustausch zwischen den Produktinfostellen verknüpfte Datenbank bezüglich der Interoperabilitätsmuster im Rahmen von IDABC (21) für potenzielle Nutzer.

5.1.10

Die Vorbereitung und Inbetriebnahme solcher Instrumente darf nicht fakultativ sein, sondern muss im Vorschlag als Verpflichtung vorgesehen werden. Die Produktinfostellen sollten in Zusammenarbeit mit der Kommission regelmäßig gemeinsame Informationsveranstaltungen und gemeinsame Weiterbildungsmaßnahmen für Wirtschaftsakteure, Beamte der Verwaltungs- und Zollbehörden sowie für die Verbraucher durchführen mit dem Zweck, die im Vertrag verankerten Rechte und Pflichten angemessen zu verbreiten und zu erläutern.

5.1.11

Ferner sollte ein Online-Handbuch vorbereitet werden, mit dem sich alle Vorschriften, die in der EU bestehen und derzeit in Kraft sind, gemäß einem horizontalen Schema sowie nach Wirtschaftszweigen geordnet ermitteln lassen.

5.1.12

Es erscheint weder sinnvoll, eine Positivliste der von der Verordnung betroffenen Produkte aufzustellen, noch ist es angezeigt, das in der Produktsicherheitsrichtlinie vorgesehene Dringlichkeitsverfahren auszuschließen.

5.1.13

Die Kommission muss die Funktionsweise der Notifizierungsmechanismen unmittelbar überwachen: folglich muss vorgeschrieben werden, dass die Mitgliedstaaten eine Kopie jeder Notifizierung übermitteln und einen Jahresbericht über die aufgrund der Verordnung ergriffenen Maßnahmen erstellen, damit die Kommission dem Parlament, dem Rat und dem EWSA — BBS einen diesbezüglichen Bericht vorlegen kann.

5.2   Der Vorschlag für einen Beschluss (KOM(2007) 53 endg.) über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten und die CE-Kennzeichnung

5.2.1

Der Ausschuss begrüßt die Grundsätze des Vorschlags, die auf den positiven Erfahrungen bei der Konformitätsbewertung mit dem neuen Konzept in Verbindung mit dem globalen Konzept (22) basieren. Diese Grundsätze sollten in gegenwärtigen und künftigen Rechtsverordnungen der Gemeinschaft allgemein angewandt werden und alle Aspekte der vermarkteten Produkte umfassen, insbesondere mit Blick auf Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz. Das Grundprinzip des Binnenmarkts, die Nichtdiskriminierung von Wirtschaftsakteuren, muss in den Vorschriften beachtet und von den Mitgliedstaaten vorbehaltlos angewandt werden.

5.2.2

Der Ausschuss betont, wie wichtig es ist, dass „alle Wirtschaftsakteure, die Teil der Liefer- und Vertriebskette sind, (…) die erforderlichen Maßnahmen ergreifen (sollten), um zu gewährleisten, dass sie nur Produkte auf dem Markt bereitstellen, die mit den geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmen“ (23), unabhängig davon, ob es sich um Hersteller, autorisierte Händler oder Importeure handelt (24).

5.2.3

Die Rückverfolgbarkeit der Produkte ist von grundlegender Bedeutung, um die Verantwortung der Wirtschaftsakteure, die Produkte auf den europäischen Markt bringen, zu ermitteln und die effektive Wirksamkeit aller einschlägigen europäischen Vorschriften sicherzustellen, und sollte nicht, wie von der Kommission vorgeschlagen, bezüglich der Konformitätspflicht „auf bestimmte Kontrollen beschränkt bleiben“ (25).

5.2.4

In Bezug auf den Gegenstand und Geltungsbereich des Beschlusses ist der Ausschuss der Auffassung, dass die dort aufgeführten Ausnahmen vermieden werden sollten, und dass der gemeinsame Rahmen für die Vermarktung der Produkte — im Einklang mit den in der untenstehenden Ziffer 5.3.3 vorgebrachten Bemerkungen zum Vorschlag für eine Verordnung über das europäische Akkreditierungssystem und die Marktüberwachungsmechanismen — für alle einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften gelten sollte und Ausnahmen weder im Bereich der Sicherheit und Gesundheit, noch des Umweltschutzes zulassen sollte. Der neue Rahmen muss auf den gesamten Korpus gemeinschaftlicher Vorschriften für diesen Bereich angewandt werden, ohne auf eine mögliche allgemeine Überprüfung jeder einzelnen Richtlinie oder Verordnung zu warten.

5.2.5

Angesichts der Tatsache, dass einige Richtlinien für dieselben Produkte unterschiedliche Definitionen verwenden, sind die Begriffsbestimmungen in Kapitel 1 für die Marktoperateure von zentraler Bedeutung.

5.2.6

Der Ausschuss hält folgendes für unerlässlich:

klarere Angaben über die Verpflichtungen der Wirtschaftsakteure zur Verbesserung des gegenwärtigen Rahmens des neuen Konzepts;

eine wirksamere Marktüberwachung;

einheitlichere Kompetenzniveaus der notifizierten Stellen für die Konformitätsbewertung.

5.2.7

Die Verpflichtungen für die wirtschaftlichen Akteure müssen gerechtfertig, verhältnismäßig und nicht mit übermäßigen bürokratischen und verwaltungsspezifischen Kosten verbunden sein. Dies gilt sowohl für Stichproben von in Verkehr befindlichen Produkten und das Beschwerdeverzeichnis (Artikel 7 Absatz 4 Unterabsatz 2), als auch für die Meldepflicht, die auf die in der Produktsicherheitsrichtlinie definierten gefährlichen Produkte beschränkt sein sollte.

5.2.7.1

Das europäische Akkreditierungssystem muss sich durch Verhältnismäßigkeit der von den Konformitätsbescheinigungsstellen eingesetzten Mittel auszeichnen, die für KMU sowie für nicht in Serie bzw. in begrenzter Stückzahl hergestellte Produkte geeignete Verfahren anwenden müssen.

5.2.8

Der Ausschuss betont, dass sich die notifizierten Stellen im gesamten EWR durch Kompetenz, Unparteilichkeit und Effizienz auszeichnen müssen, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Hersteller gewährleisten zu können: Es ist erforderlich, dass — im Einklang mit der Akkreditierungspflicht laut der in Ziffer 3 ff. genannten Richtlinie — die Bewertung für die Akkreditierung von den nationalen Akkreditierungsstellen durchgeführt und von der notifizierenden Stelle akzeptiert wird, um unnötige und kostspielige Doppelungen zu vermeiden.

5.2.9

Bei den Konformitätsbewertungsverfahren sollte das Modul A zur internen Fertigungskontrolle als Standardverfahren bevorzugt werden, das besser der Tatsache gerecht wird, dass der Hersteller oder der Importeur in den EWR in jedem Fall die volle Verantwortung für sein Produkt trägt. Ferner sollte die Wahlmöglichkeit für verschiedene vereinfachte Module — insbesondere für KMU und für in begrenzter Stückzahl hergestellte Produkte — bestehen.

5.2.10

Das Kernstück der Vorschriften ist die Regelung für die CE-Kennzeichnung, mit der die Konformität des Produkts mit den einschlägigen Vorschriften zertifiziert werden soll. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, den Schutz dieser Kennzeichnung zu stärken und gegen Missbrauch mit geeigneten und angemessenen — auch strafrechtlichen — Sanktionen vorzugehen. Wie bereits in früheren Regelungen wird in der neuen Regelung bekräftigt, dass die mit der CE-Kennzeichnung bescheinigte Konformität des Produkts den Hersteller nicht von der Verpflichtung entbindet, für eventuelle, durch schadhafte Produkte verursachte Schäden aufzukommen.

5.2.11

Der Ausschuss unterstützt voll und ganz die Auffassung, dass der Verlust des Vertrauens in die CE-Kennzeichnung einen Vertrauensverlust des gesamten Systems bedeutet und auch Marktüberwachungsbehörden, Hersteller, Prüflabors und Zertifizierungsstellen betrifft und schließlich auch die Angemessenheit der gesamten auf dem neuen Konzept beruhenden Rechtsvorschriften in Zweifel zieht (26).

5.2.12

Der Status und die Bedeutung der CE-Kennzeichnung laut Beschluss 93/465/EWG (27) lassen sich am besten dadurch heben, dass eine umfassende Reform der Kennzeichnung angestrebt wird, die folgende Punkte berücksichtigt:

Verdeutlichung, dass es nicht als System zur Kennzeichnung oder zur Etikettierung für den Verbrauch (28) — auch nicht als Garantie für Qualität, Zertifizierung oder Anerkennung durch Dritte — anzusehen und zu verwenden ist, sondern ausschließlich als Konformitätserklärung und technische Dokumentation, die Hersteller oder Importeure in voller Eigenverantwortung und in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Produkts gegenüber den Behörden und Verbrauchern erbringen müssen;

Rationalisierung der verschiedenen Konformitätsbewertungsverfahren;

Stärkung des Rechtsschutzes der CE-Kennzeichnung mittels Registrierung als Kollektivmarke. Dies soll es den Behörden im Missbrauchsfalle ermöglichen, rasch einzugreifen und Abhilfe zu schaffen, aber die Möglichkeit zusätzlicher einzelstaatlichen Kennzeichnungen beibehalten;

Stärkung der Marktüberwachungsmechanismen und der Zollkontrollen an den Grenzen;

Start einer Untersuchung seitens der Hersteller und Verbraucher bezüglich der positiven und negativen Auswirkungen eines eventuellen freiwilligen Verhaltenskodex auf die Wirksamkeit der Vielfalt an Qualitätssiegeln sowie europäischen und nationalen — fakultativen und obligatorischen — Kennzeichnungen und ihrer Beziehung zur CE-Kennzeichnung.

5.2.13

Was die Marktüberwachungsmechanismen betrifft wird mit Blick auf die allgemeinen Aspekte auf Ziffer 5.3.13 ff. verwiesen. Der Ausschuss betont jedoch wie wichtig es ist, dass die Kommission nicht nur in allen Fällen konformer Produkte, die indes Gefahren für Sicherheit und Gesundheit bergen, sondern auch bei allen Fällen formaler Nichtkonformität gemäß Artikel 38 des Beschlusses beteiligt wird.

5.2.14

Der Ausschuss unterstreicht die zentrale Rolle, die der Prozess der technischen Normung in dem gesamten Bereich spielt, zumal das neue Konzept auf einer engen Verbindung zwischen gesetzlichen Mindestanforderungen und europäischen technischen Standards beruht, die unterstützt und zur Geltung gebracht werden müssen. Sollte folglich ein formaler Einwand gegen eine harmonisierte Norm (29) bestehen, muss das betreffende Normierungsgremium unverzüglich informiert werden, damit sie dies im Prozess der Normenerarbeitung entsprechend berücksichtigt.

5.3   Der Vorschlag für eine Verordnung (KOM(2007) 37 endg.) über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung

5.3.1

Der Ausschuss hält die Vorschläge zur Errichtung eines europäischen Akkreditierungssystems für begrüßenswert, das auf gegenseitigem Vertrauen und Zusammenarbeit basiert, insofern sowohl für die Wirtschaftsakteure als auch für die öffentliche Behörden bindende Regelungen aufgestellt werden. Damit soll gewährleistet werden, dass alle auf den Markt gebrachten Produkte erhöhten Anforderungen des Schutzes der Sicherheit und Gesundheit gerecht werden und dabei allen europäischen Verbrauchern und Wirtschaftsakteuren dasselbe Maß an Operabilität und Regelung — in einem vereinfachten Rahmen ohne großen Verwaltungsaufwand — gewährleistet wird.

5.3.2

Das europäische Akkreditierungssystem muss gewährleisten, dass die Konformitätswertungsergebnisse allgemein anerkannt und unnötige Mehrfachbewertungen vermieden werden. Damit das System international akzeptiert wird, muss die Kompetenz von Konformitätsbewertungsstellen auf international anerkannten Standards basieren, und die Bestimmungen der Begriffe „Konformitätsbewertung“, „Konformitätsbewertungsstelle“, „Benennung von Konformitätsbewertungsstellen“ und „Notifizierung“ müssen explizit in die Verordnung aufgenommen werden.

5.3.3

Die Bestimmungen der Verordnung müssen für alle Akkreditierungsstellen und die von ihnen im EWR erbrachten Dienste gültig sein, unabhängig von der Art der für die jeweiligen Kunden erbrachten Konformitätsbewertung. Sie müssen Folgendes gewährleisten:

einen kohärenten Korpus gemeinsamer klarer und eindeutiger Begriffsbestimmungen, die den internationalen Standards entsprechen und in allen Richtlinien des neuen Konzepts und in den produktspezifischen Richtlinien angewandt werden, auch in den Rechtsvorschriften bezüglich Konformitätsbewertung und Konformitätsbewertungsstellen;

die Funktionsfähigkeit des Akkreditierungssystems, das nicht dem gewerblichen Wettbewerb ausgesetzt sein darf, in öffentlicher Zuständigkeit;

die allgemeine Gültigkeit der gesamten gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften in diesem Bereich, ohne Ausnahmen in puncto Sicherheit und Gesundheit sowie Umweltschutz. Aufgrund der zunehmenden Komplexität des Gemeinschaftsrechts in diesem Gebiet müssen die neuen Bestimmungen für die Hersteller, sowohl in der EU als auch in Drittstaaten, einen einheitlichen Bezugsrahmen darstellen;

die allgemeine Anwendung auf alle akkreditierungspflichtigen Aktivitäten einschließlich Justierung, unabhängig davon, ob diese Akkreditierung im Zuge der gesetzlich vorgeschriebenen Konformitätsbewertung oder zur Erfüllung vertraglicher Vereinbarungen beantragt wurde;

die Gewährleistung der Kompetenzstandards und der Unparteilichkeit seitens der nationalen Akkreditierungsstellen, indem sie an einer Beurteilung unter Gleichrangigen (peer evaluation) teilnehmen, die unter der Aufsicht aller am Akkreditierungsprozess beteiligten Akteure durchgeführt wird;

ein ausgewogenes Kosten-Nutzen-Verhältnis, Verhältnismäßigkeit, Zuverlässigkeit und gegenseitiges Vertrauen im einheitlichen Akkreditierungssystem, sowohl für den reglementierten als auch für den nichtreglementierten Bereich.

5.3.4

Die Bestimmung des Begriffs „Akkreditierung“ sollte geändert werden und auch Aktivitäten der Justierung, Prüfung, Zertifizierung und Inspektion sowie weitere Tätigkeiten zur Konformitätsbewertung umfassen.

5.3.5

Ferner sollte zwecks einer einheitlichen Reglementierung des Bereichs, die auch alle Verfahren der Konformitätsbewertung, der Qualitätssicherung, der Justierung und der Durchführung von Versuchen nach ISO 43 zu umfassen hat, keine Ausnahmen vorgesehen werden. Alle Akkreditierungsstellen und alle von ihnen im EWR erbrachten Dienste sollten dem Gültigkeitsbereich der Verordnung unterliegen, unabhängig von der für die jeweiligen Kunden geleisteten Art der Konformitätsbewertung.

5.3.6

Die nationalen Akkreditierungsstellen sollten, wie in Artikel 4 Absatz 6 vorgeschlagen, nicht gewinnorientiert arbeiten. Die gegenwärtige Formulierung droht jedoch die Bildung von Grundkapital zu verhindern, das solide finanzielle Verhältnisse zur Erbringung von Qualitätsdiensten gewährleisteten soll. Nach Auffassung des Ausschusses sollten die nationalen Akkreditierungsstellen als nicht gewinnorientierte Einrichtungen arbeiten, in dem Sinne, dass sie Überschüsse, wie mit der DIN EN ISO/IEC 17011 (30) international vereinbart, nicht verteilen müssen.

5.3.7

Das System der Europäischen Kooperation für Akkreditierung (EA) sollte als die höchste Bewilligungsebene gelten und folglich als öffentliche Dienstleistung von allgemeinem Interesse nicht dem Wettbewerb unterliegen. Der Ausschuss begrüßt die Bestimmung, dass die Mitgliedstaaten über eine einzige nationale Akkreditierungsstelle verfügen müssen, deren Kompetenz, Objektivität und Unparteilichkeit einer Beurteilung unter Gleichrangigen (peer review) unterliegt. Davon sind unter bestimmten Bedingungen (31) kleinere Mitgliedstaaten ausgenommen, wenn sie auf die nationale Akkreditierungsstelle eines angrenzenden Mitgliedstaates zurückgreifen möchten.

5.3.8

Der Ausschuss erachtet es für notwendig, für die EA, deren Rolle gestärkt und genauer bestimmt werden muss, eine eindeutige Rechtsgrundlage zu schaffen: Alle nationalen Akkreditierungsstellen müssen der EA angeschlossen sein, um Äquivalenz, Transparenz, Zuverlässigkeit und Wirksamkeit zu gewährleisten. Das EA-Netz muss von den Mitgliedstaaten unterstützt werden.

5.3.9

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Akkreditierungsstellen zur weiteren Stärkung der EA von ihr betriebene multilaterale Abkommen unterzeichnen müssen. Außerdem sollten die in der Verordnung vorgesehenen Finanzierungsmechanismen nicht nur die EA betreffen, sondern auf Maßnahmen zur Unterstützung der Marktüberwachung und zur gemeinsamen Weiterbildung der verschiedenen beteiligten nationalen Verwaltungen erweitert werden.

5.3.10

Zur Erleichterung und Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarkts und zur Steigerung des ihm entgegengebrachten Vertrauens muss nach Auffassung des Ausschusses die in Artikel 9 Absatz 1 vorgesehene Beurteilung unter Gleichrangigen im Rahmen der EA organisiert und gemäß harmonisierter Bestimmungen im Rahmen der EA durchgeführt werden. Die Ergebnisse der Beurteilung unter Gleichrangigen müssen veröffentlicht und allen Mitgliedstaaten sowie der Kommission mitgeteilt werden.

5.3.11

Da die Akkreditierungsstellen aktiv zeigen müssen, dass das ihnen entgegengebrachte Vertrauen gerechtfertigt ist, müssen diese nach Ansicht des Ausschusses einen Nachweis über ihre erfolgreiche Teilnahme an der Beurteilung unter Gleichrangigen erbringen.

5.3.12

Der Ausschuss erachtet ferner die Teilhabe der interessierten Parteien für wichtig: sie sollten an den Akkreditierungsstellen beteiligt werden; diese Bestimmung sollte in die neue Verordnung aufgenommen werden.

5.3.13

Der Ausschuss unterstreicht die Bedeutung äquivalenter, kohärenterer und effizienter Marktüberwachungsmechanismen der Mitgliedstaaten im Zuge der gemeinschaftlichen Rechtsharmonisierung, die auch die Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit umfasst. Es ist eine Neuausrichtung der Vorschriften im Bereich der allgemeinen Produktsicherheit — der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG — und anderer einschlägiger Richtlinien erforderlich, um die umfassende Anwendung des Grundsatzes „besserer Rechtssetzung“ auf das Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten. Die Tätigkeit der Marktüberwachung muss auch die Produkte betreffen, die unter die Produktsicherheitsrichtlinie fallen, da zahlreiche Produkte sowohl für die wirtschaftliche Weiterverwendung, als auch für den Verbraucher verkauft werden. Der Ausschuss hält den in Artikel 13 Absatz 1 aufgeführten Ausschluss vom Geltungsbereich der Produktsicherheitsrichtlinie daher für nicht gerechtfertigt: Dieser sorgt für Verwirrung und macht die Arbeit der Wirtschaftsakteure komplizierter, anstatt zu größerer Kohäsion in der Binnenmarktüberwachung zu führen.

5.3.14

Der Ausschuss hält dafür das gegenwärtige System zum raschen Informationsaustausch RAPEX (32) für voll und ganz gerechtfertigt, das einen effizienten Beitrag zur Marktüberwachung darstellt. Es muss jedoch von den Mitgliedstaaten und den Zoll- und Verwaltungsbehörden einheitlicher und koordinierter eingesetzt werden.

5.3.15

Es ist notwendig, dass die Zollbehörden in europäischer Vernetzung mit den Behörden der Marktüberwachung zusammenarbeiten, um effiziente Kontrollen der Produkte zu gewährleisten, bevor diese auf den europäischen Binnenmarkt gebracht werden. Dafür müssen die Zollbehörden über qualifizierte Humanressourcen, entsprechende Finanzmittel und Befugnisse verfügen, um den ihnen anvertrauten Aufgaben wirkungsvoll nachzukommen.

5.3.16

Die Mechanismen der Marktüberwachung und der Zollkontrolle müssen insbesondere über rasche Interventionsmöglichkeiten verfügen mit Blick auf saisonale Produkte oder kurzzeitig vertriebene Artikel im Zusammenhang mit Sonderverkäufen, die häufig unter kurzlebigen Phantasienamen verkauft werden. Die Behörden müssen für solche Fälle über Befugnisse und Mittel für ein rasches Eingreifen verfügen, und die gemeinschaftlichen Importeure müssen uneingeschränkt dafür Sorge tragen, dass sie den grundlegenden Anforderungen der EU in puncto Sicherheit und Umweltschutz gerecht werden.

5.3.17

Schließlich ist nach Auffassung des Ausschuss in der Verordnung unmissverständlich vorzusehen, dass über die Vorgaben in Artikel 9 Absatz 1 hinaus die bei mangelndem Beleg der Konformität zu ergreifenden Maßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass Artikel 17 entsprechend geändert werden sollte.

Brüssel, den 13. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Im EU-Recht werden in den verschiedenen produktspezifischen Rechtsvorschriften, die Aspekte wie z. B. umweltbewusstes Design, Produktsicherheit, Produkthaftung, Abfallentsorgung, Energieeffizienz usw. betreffen, unterschiedliche Begriffsbestimmungen für die selben Sachverhalte verwandt. Dies führt insbesondere dann, wenn für ein Produkt verschiedene Richtlinien gelten, zu Verwirrung bei den Wirtschaftsakteuren.

(2)  ABl. C 93 vom 27.4.2007, „Überprüfung des Binnenmarktes“, Berichterstatter: Herr CASSIDY.

(3)  Siehe auch Artikel 94 und 95 EGV.

(4)  ABl. C 309 vom 16.12.2006, Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft, Berichterstatter: Herr CASSIDY.

(5)  ABl. C 234 vom 30.9.2003, Berichterstatter: Herr CASSIDY.

(6)  ABl. C 208 vom 3.9.2003, Berichterstatter: Herr PEZZINI.

(7)  ABl. C 325 vom 30.12.2006, Berichterstatter: Herr Van IERSEL.

(8)  Ebenda, Ziffer 2.4.

(9)  „Die Herausforderung annehmen“, Bericht der Hochrangigen Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim KOK, November 2004 — Europäische Kommission.

(10)  SEK(2007) 113 vom 14.2.2007.

(11)  Zweiter Zweijahresbericht über die Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im Binnenmarkt, KOM(2002) 419 endg.

(12)  Derzeit gibt es in der EU ca. 1 700 notifizierte Stellen.

(13)  Siehe auch Artikel 94 und 95 des Vertrags.

(14)  Auflistung der unlängst vom EWSA erarbeiteten Stellungnahmen zu den Themen Vereinfachung, Bessere Rechtsetzung und Prioritäten des Binnenmarkts:

(1)

Überprüfung des Binnenmarktes, Berichterstatter: Herr CASSIDY, ABl. C 93 vom 27.4.2007;

(2)

Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der RegionenUmsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds (KOM(2005) 535 endg.), Berichterstatter: Herr CASSIDY, ABl. C 309 vom 16.12.2006;

(3)

Sondierungsstellungnahme vom 28.9.2005 auf Ersuchen des britischen Ratsvorsitzes zum Thema Bessere Rechtsetzung, Berichterstatter: Herr RETUREAU, ABl. C 24 vom 31.1.2006;

(4)

Initiativstellungnahme vom 28.9.2005 zum Thema Möglichkeiten einer besseren Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts, Berichterstatter: Herr van IERSEL, ABl. C 24 vom 31.1.2006;

(5)

Stellungnahme vom 31.3.2004 zu der Mitteilung der Kommission Aktualisierung und Vereinfachung des Acquis communautaire, (KOM(2003) 71 endg.), Berichterstatter: Herr RETUREAU, ABl. C 112 vom 30.4.2004;

(6)

Initiativstellungnahme vom 26.3.2003 zum Thema Vereinfachung, Berichterstatter: Herr SIMPSON, ABl. C 133 vom 6.6.2003;

(7)

Sondierungsstellungnahme vom 21.3.2002 zu der Mitteilung der Kommission — Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds (KOM(2001) 726 endg.), Berichterstatter: Herr WALKER, ABl. C 125 vom 27.5.2002;

(8)

Initiativstellungnahme vom 29.11.2001 zum Thema Vereinfachung, Berichterstatter: Herr WALKER, ABl. C 48 vom 21.2.2002;

(9)

Initiativstellungnahme vom 19.10.2000 zum Thema Vereinfachung der Binnenmarktvorschriften (BBS), Berichterstatter: Herr VEVER, ABl. C 14 vom 16.1.2001;

(10)

Ergänzende Stellungnahme vom 7.4.2005 zum Thema Die Prioritäten des Binnenmarkts 2005-2010, Berichterstatter: Herr CASSIDY, ABl. C 255 vom 14.10.2005;

(11)

Stellungnahme vom 16.7.2003 zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen BinnenmarktstrategieVorrangige Aufgaben 20032006 (KOM(2003) 238 endg.), Berichterstatter: Herr CASSIDY, ABl. C 234 vom 30.9.2003;

(12)

Informationsbericht zum Thema Vereinfachung;

(13)

Informationsbericht vom 11.1.2005 zum Thema Aktueller Stand der Koregulierung und der Selbstregulierung im Binnenmarkt, Berichterstatter: Herr VEVER (CESE 1182/2004 fin).

(15)  RAPEX-Bericht 2006 der Europäischen Kommission, http://ec.europa.eu/rapex. Der am 19. April 2007 vorgelegte Bericht belegt eine im Laufe der letzten Jahre steigende Anzahl von Meldungen. Die Zahl der Meldungen von Verbraucherprodukten außer Lebensmitteln in Europa, die eine ernste Gefahr für die Sicherheit darstellen, hat sich bei einem Anstieg von 388 auf 924 Fälle von 2004 bis 2006 mehr als verdoppelt. 2006 betrug der Anstieg gegenüber 2005 32 % und konzentrierte sich auf folgende Produktkategorien: Spielwaren, Elektrogeräte, Kraftfahrzeuge, Beleuchtungsgeräte und Kosmetika, die folgende Risiken bargen: Verletzung, Stromschlag, Brand/Verbrennung, Ersticken/Verschlucken und chemisches Risiko.

(16)  Der gemeinsame Bezugsrahmen sollte auch die Dienstleistungen betreffen, die mit der Vermarktung der Produkte immer enger verbunden sind.

(17)  Vgl. Ziffer 5.1.11.

(18)  http://ec.europa.eu/solvit/

(19)  Europäisches Parlament: Kurzdarstellungen 3.2.1 — Der freie Warenverkehr. Letzte Aktualisierung: 22.10.2001.

http://www.europe-info.de/facts/de/3_2_1.htm

(20)  SEC(2007) 585. Arbeitsdokument der Kommission — Solvit 2006 Report: Development and Performance of the Solvit network in 2006 vom 30.4.2007.

Alle EU-Mitgliedstaaten neben Norwegen, Island und Liechtenstein haben eine SOLVIT-Stelle eingerichtet, in den meisten Ländern im Rahmen der Außen- oder Wirtschaftsministerien.

Diese Stellen arbeiten direkt zusammen mithilfe einer Online-Datenbank, um die von Bürgern und Unternehmen gemeldeten Fälle rasch und pragmatisch zu lösen. Die Vorschriften für die Zusammenarbeit im Rahmen von SOLVIT sind in einer Empfehlung der Kommission aus dem Jahr 2001 enthalten, die in den Schlussfolgerungen des Rates angenommen wurde. Solvit ist seit 2002 in Funktion. Über die Empfehlung hinaus haben die SOLVIT-Stellen im Dezember 2004 eine Reihe gemeinsamer Qualitäts- und Leistungsstandards festgelegt, um im gesamten Netz einen Dienst mit hohem Qualitätsstandard zu gewährleisten.

(21)  ABl. C 80 vom 30.3.2004, Berichterstatter: Herr PEZZINI.

(22)  Mit dem globalen Konzept wurde ein modularer Ansatz eingeführt, bei dem das Verfahren der Konformitätsbewertung in eine Reihe von Vorgängen, sogenannte Module, unterteilt wird, die sich aufgrund der Entwicklungsphase des Produkts (z. B.: Planung, Prototyp, umfassende Produktion), der Art der Bewertung (Überprüfung der Dokumentation, Typengenehmigung, Qualitätssicherung) und demjenigen, der die Bewertung durchführt (Hersteller oder Dritter) unterscheiden.

Das globale Konzept wurde mit dem Beschluss 90/683/EWG des Rates abschließend geregelt, der durch den Beschluss 93/465/EWG ersetzt und aktualisiert wurde: beide Beschlüsse enthalten allgemeine Vorgaben und detaillierte Verfahrensweisen für die Konformitätsbewertung, die in den Richtlinien des neuen Konzepts zu verwenden sind.

(23)  Erwägungsgrund (14) des Vorschlags für einen Beschluss, KOM(2007) 53 endg.

(24)  Einschließlich der Importeure sogenannter „No-name-Produkte“ aus Drittländern, die nur für kurze Zeit und häufig unter Phantasienamen auf den Markt gebracht werden nach dem Prinzip „abkassieren und verschwinden“.

(25)  Erwägungsgrund (17) des Vorschlags für einen Beschluss, KOM(2007) 53 endg.

(26)  „The role and significance of the CE marking“, Draft Certif. Doc 2005-11 der Europäischen Kommission vom 30. August 2005.

(27)  Beschluss 93/465/EWG Beschluss über die Module: Mit der CE-Kennzeichnung wird Konformität mit allen Verpflichtungen bescheinigt, die der Hersteller in Bezug auf das Erzeugnis aufgrund der Gemeinschaftsrichtlinien hat, in denen ihre Anbringung vorgesehen ist.

(28)  Dokument der Europäischen Verbraucherorganisation BEUC 298/2007 vom 5.6.2007 zum Thema „Internal Market package for goods“ (Paket für den freien Warenverkehrs im Binnenmarkt). Anhörung von Jim MURRAY im Europäischen Parlament am 5.6.2007.

(29)  Artikel 14 des Vorschlags für einen Beschluss, KOM(2007) 53 endg.

(30)  ISO/IEC 17011, The accreditation body shall have the financial resources, demonstrated by records and/or documents, required for the operation of its activities (Die Akkreditierungsstelle muss über die für den Betrieb ihrer Geschäftstätigkeit erforderlichen finanziellen Ressourcen verfügen und diese in Aufzeichnungen oder Dokumenten darlegen. Die Akkreditierungsstelle muss über eine Beschreibung ihrer Einkunftsquelle(n) verfügen.).

(31)  Artikel 6 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags KOM(2007) 37 endg.

(32)  Außer RAPEX sind zu erwähnen: das Schnellwarnsystem RASFF für den Lebensmittelbereich; das System SARR für Humankrankheiten und das System ADNS für Tierkrankheiten. Vgl. Beschluss 2004/478/EG und Verordnung 2230/2004/EG.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigen konnten, wurden abgelehnt:

Ziffer 5.2.12

Am Ende des 1. Unterpunkts anfügen:

„—

Verdeutlichung, dass es nicht als System zur Kennzeichnung oder zur Etikettierung für den Verbrauchauch nicht als Garantie für Qualität, Zertifizierung oder Anerkennung durch Dritteanzusehen und zu verwenden ist, sondern ausschließlich als Konformitätserklärung und technische Dokumentation, die Hersteller oder Importeure in voller Eigenverantwortung und in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Produkts gegenüber den Behörden und Verbrauchern erbringen müssen. Da die CE-Kennzeichnung keine Garantie für Qualität, Zertifizierung oder Anerkennung durch Dritte gewährt, reicht es aus, die CE-Kennzeichnung in den Begleitpapieren anzugeben und nicht auf dem Produkt selbst anzubringen;“

Begründung

Laut geltenden Bestimmungen müssen alle Einzelprodukte, z. B. Spielzeuge, mit der CE-Kennzeichnung versehen werden. Das bedeutet, dass der Verbraucher nicht darüber informiert wird, dass ein Produkt besser ist als das andere. Es bedeutet (nur), dass das Produkt den Sicherheitsstandards entspricht, um überhaupt vermarktet werden zu können. Der Verbraucher erwartet, dass alle im Laden vorhandenen Produkte auch verkauft werden dürfen.

Sucht der Verbraucher nach Sportausrüstungen wie bspw. Rollschuhen und/oder Skateboards, so ist keine CE-Kennzeichnung erforderlich, wenn das Produkt für Kinder mit einem Gewicht von mehr als 20 kg bestimmt ist. Sie stehen möglicherweise nebeneinander auf dem Regal, und der Verbraucher denkt, dass die Produkte mit CE-Kennzeichnung besser seien als die anderen.

Zahlreiche Umfragen im Zeitablauf haben ergeben, dass Verbraucher die CE-Kennzeichnung nicht verstehen oder durch sie irregeführt werden. Zu den geläufigen Missverständnissen gehören: die Produkte verfügen über eine bestimmte Qualität (und sind nicht nur sicher), wurden durch Dritte getestet oder wurden in der EU hergestellt.

Es ist durchaus verständlich, dass die Verbraucher das System nicht verstehen. Nicht alle Lebensmittelprodukte müssen mit einer besonderen Kennzeichnung versehen werden, auch wenn sie gemeinschaftlichen Bestimmungen und Richtlinien entsprechen müssen. Nach Auffassung der europäischen Verbraucherorganisationen BEUC und ANEC ist es ausreichend, wenn die CE-Kennzeichnung für die Prüfung durch die zuständigen Behörden — gleichsam als Sicherheitspass für den Markt — in den Begleitpapieren angegeben wird.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 24 Nein-Stimmen: 27 Stimmenthaltungen: 10

Ziffer 5.2.12

Neuen 6. Unterpunkt hinzufügen:

„—

die Kommission, Hersteller und Verbraucher dazu bewegen, die Schaffung eines echten Systems zur Kennzeichnung der Produktqualität zu erwägen, das auf einer Zertifizierung durch Dritte beruht und über die in den Richtlinien aufgeführten elementaren Sicherheitsbestimmungen hinausgeht.“

Begründung

Bei einer solchen Diskussion könnte die Schaffung von Standards geprüft werden, die nicht nur sicherheitsrelevante Aspekte, sondern auch Anforderungen in puncto Qualität, Umwelt und ethische Werte betreffen, um einigen Herstellern — wenn sie dies wünschen sollten — eine Prüfung ihrer Produkte zu ermöglichen, die auch über Sicherheitsaspekte hinausgehende Anforderungen berücksichtigt.

Sollte dieser Änderungsantrag angenommen werden, ist auch Ziffer 1 „Schlussfolgerungen und Empfehlungen“ entsprechend zu ändern (z. B. mittels eines neuen 8. Unterpunkts in Ziffer 1.5.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 25 Nein-Stimmen: 29 Stimmenthaltungen: 12


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/14


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 80/181/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Einheiten im Messwesen“

KOM(2007) 510 endg. — 2007/0187 (COD)

(2008/C 120/02)

Der Rat beschloss am 26. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 80/181/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Einheiten im Messwesen“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 21. November 2007 an. Berichterstatter war Herr CASSIDY.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 114 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt den Vorschlag vorbehaltlos.

1.2

Gemäß der geltenden Richtlinie wären „zusätzliche Angaben“ in nicht-metrischen Einheiten nach 2009 nicht mehr zulässig. Bleibt es bei diesem Auslaufdatum, würde dies für alle im transatlantischen Handel tätigen EU-Unternehmen einen Kostenaufwand bedeuten.

1.3

Die geltende Richtlinie verpflichtet das Vereinigte Königreich und Irland außerdem, einen Zeitpunkt für das Auslaufen ihrer Ausnahmeregelungen festzusetzen, die ihnen die Verwendung der Einheiten Pint, Meile und Feinunze erlauben.

1.4

Die Europäische Kommission schlägt nun vor, auf das Festlegen solcher Zeitpunkte zu verzichten und keine neuen Auslauffristen mehr vorzusehen.

1.5

Die Richtlinie macht als gesetzliche Maßeinheiten in der EU die metrischen Einheiten verbindlich, auch SI-Einheiten genannt nach dem 1960 von der Generalkonferenz für Maß und Gewicht erarbeiteten „Système International d'Unités“. Die EU ist zwar nicht Unterzeichnerin der Internationalen Meterkonvention, wohl aber alle ihre Mitgliedstaaten. Im Zuge der regelmäßigen Anpassung der SI-Einheiten an den technischen Fortschritt schlägt die Europäische Kommission vor, die neue SI-Einheit für die katalytische Aktivität (katal) und das entsprechende Symbol in die Richtlinie aufzunehmen.

1.6

Der EWSA befürwortet den Vorschlag der Kommission als Teil der Bemühungen zur Vereinfachung und Verbesserung der Gesetzgebung und begrüßt es, dass die Kommission auf die Bedeutung der „Subsidiarität“ für Irland und das Vereinigte Königreich Rücksicht nimmt.

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Geräuschpegel in Ohrenhöhe der Fahrer von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2007) 588 endg. — 2007/0205 (COD)

(2008/C 120/03)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 24. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Geräuschpegel in Ohrenhöhe der Fahrer von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern“ (kodifizierte Fassung)

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 135 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Grünbuch: Marktwirtschaftliche Instrumente für umweltpolitische und damit verbundene politische Ziele“

KOM(2007) 140 endg. — SEK(2007) 388.

(2008/C 120/04)

Die Europäische Kommission beschloss am 28. März 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Grünbuch Marktwirtschaftliche Instrumente für umweltpolitische und damit verbundene politische Ziele“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 31. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr RIBBE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember) mit 48 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Der EWSA nimmt die mit großer zeitlicher Verzögerung erfolgte Veröffentlichung des Grünbuchs über marktwirtschaftliche Instrumente im Umweltschutz zur Kenntnis.

1.2

Er teilt Darlegungen über die unterschiedlichen fiskalischen und ökologischen Wirkungen unterschiedlicher marktwirtschaftlicher Instrumente im Umweltschutz (Steuern, Abgaben, Gebühren, Subventionen, Rechte/Zertifikatslösungen etc.).

1.3

Der EWSA stellt fest, dass marktwirtschaftliche Instrumente längst Bestandteil des politischen Handelns sind. Es geht deshalb nicht mehr um das „Ob“, sondern das „Wie“ der Nutzung von marktwirtschaftlichen Instrumenten.

1.4

Wie die Kommission zu Recht feststellt, sind marktwirtschaftliche Instrumente eine gute Möglichkeit, kosteneffektive Lösungen im Umweltschutz zu erreichen, sie sind aber kein Allheilmittel. Folglich müsste das Verhältnis und Zusammenspiel von beispielsweise Ge- und Verboten, Ordnungsrecht und marktwirtschaftlichen Instrumenten (wie Steuern, Gebühren, gezielte Subventionen und handelbare Genehmigungen) Gegenstand der politischen Debatte und des Grünbuchs sein. Doch hier bietet das Grünbuch der Kommission viel zu wenig Orientierung, was der EWSA bedauert.

1.5

Der Ausschuss ersucht deshalb die Kommission, die mit dem Grünbuch initiierte öffentliche Debatte zu nutzen, um an konkreten Beispielen die Möglichkeiten und Auswirkungen, aber auch die Grenzen unterschiedlicher Instrumente für den Umweltschutz darzustellen.

2.   Inhalt des Grünbuchs

2.1

Am 28. März 2007 legte die Kommission das bereits im Jahr 2004 angekündigte Grünbuch „Marktwirtschaftliche Instrumente für umweltpolitische und damit verbundene politische Ziele“ (1) vor, das Gegenstand dieser Stellungnahme ist.

2.2

Mit dem Grünbuch will die Kommission eine Debatte über den verstärkten Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente in der Gesellschaft eröffnen.

2.3

Die Kommission verweist im Grünbuch auf die auf europäischer Ebene mittlerweile vereinbarten Ziele im Bereich des Umweltschutzes, u. a. auf die neue Energie- und Klimaschutzpolitik, die nach ihrer Auffassung „nicht weniger als eine industrielle Revolution über die kommenden 10-15 Jahre“ repräsentiert.

2.4

Die Kommission macht deutlich, dass „ohne Interventionen der öffentlichen Hand … diese ehrgeizigen Ziele nicht zu erreichen (sind)“. Als umweltpolitisches Instrument sollten nach Vorstellung der Kommission in einem zunehmenden Maße marktwirtschaftliche Instrumente zum Einsatz kommen; sie sollen „einen wichtigen Teil der Anstrengungen darstellen, um wirkliche Veränderungen durch veränderte Anreize für Verbraucher und Unternehmen zu erreichen“.

2.5

Gleichwohl beschreibt die Kommission, dass marktwirtschaftliche Instrumente „kein Allheilmittel für sämtliche Probleme“ seien.

2.6

Als „marktwirtschaftliche Instrumente“ werden Steuern, Gebühren, gezielte Subventionen und handelbare Genehmigungen beschrieben.

Marktwirtschaftliche Instrumente als Mittel der Politik

2.7

Nach Ansicht der Kommission lässt sich der Einsatz marktbasierter Instrumente damit begründen, „dass sie Marktversagen kostenwirksam korrigieren können. Ein Marktversagen ist dann gegeben, wenn Märkte entweder gänzlich fehlen (beispielsweise haben Umweltgüter den Charakter öffentlicher Güter) oder wenn die wahren oder sozialen Kosten von Wirtschaftstätigkeit nicht hinreichend berücksichtigt werden“.

2.8

Als Vorteile werden genannt:

marktbasierte Instrumente berücksichtigen Unterschiede zwischen Unternehmen,

sie verbessern Preissignale, indem sie externen Kosten und Nutzen von Wirtschaftstätigkeit einen Wert zumessen,

sie bieten der Industrie mehr Flexibilität beim Hinarbeiten auf deren Ziele, so dass die Einhaltungskosten insgesamt sinken,

sie bieten Unternehmen auf längere Sicht einen Anreiz, technologische Innovationen einzuführen, um nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt weiter zu reduzieren („dynamische Effizienz“),

sie fördern Beschäftigung, wenn sie im Rahmen einer ökologischen Steuer- oder Finanzreform eingesetzt werden.

2.9

Die Kommission macht aber auch deutlich, dass marktwirtschaftliche Instrumente nicht nur dazu dienen, um umweltpolitische Ziele zu erreichen, „sondern vor allem, um Verzerrungen im Binnenmarkt zu vermeiden, die durch unterschiedliche Konzepte in den Mitgliedstaaten entstehen, um dafür zu sorgen, dass die Belastungen, die ein Sektor zu tragen hat, EU-weit die gleichen sind, und um potenziell nachteilige Wettbewerbseffekte in der EU zu überwinden“.

2.10

Sie weist ferner darauf hin, dass sich die unterschiedlichen marktwirtschaftlichen Instrumente in ihrer Wirkung unterscheiden. Mengenbezogene Systeme (wie handelbare Genehmigungen) bieten hinsichtlich der Erreichung spezifischer Ziele (wie Emissionsgrenzen) mehr Sicherheiten als rein preisbasierte Instrumente (wie z. B. Steuern). Letztere jedoch bieten mehr Sicherheit bezüglich der Kosten/des Preises und sind auch leichter zu handhaben.

2.11

Auf einen weiteren wichtigen Unterschied weist die Kommission außerdem hin: Steuern (und auch Gebühren) werden nicht nur potenziell als Lenkungsinstrument eingesetzt, sie generieren auch öffentliche Einnahmen; bei handelbaren Genehmigungen ist dies nur der Fall, „wenn sie von der öffentlichen Hand versteigert werden“.

2.12

Im Grünbuch wird auch auf das Thema „Wachstum und Beschäftigung“ eingegangen und Gründe für ökologische Steuerreformen beschrieben. Nachdem der Europäische Rat auf seinem Gipfel im Juni 2006 in der neuen Nachhaltigkeitsstrategie die Frage eines neuen, an Nachhaltigkeitskriterien orientierten Steuersystems angesprochen hatte, ohne allerdings konkreter zu werden, schreibt die Kommission nun: „Eine ökologische Steuerreform (ÖSR), bei der die Steuerlast von negativen Wohlfahrtseffekten (z. B. Besteuerung von Arbeit) auf positive Wohlfahrtseffekte (z. B. Besteuerung umweltschädigender Aktivitäten wie Ressourcenverbrauch oder Verschmutzung) verlagert wird, kann eine Win-Win-Option sowohl für die Umwelt als auch für die Beschäftigung darstellen  (2) . Gleichzeitig verlangt eine langfristige Steuerverlagerung relativ stabile Einnahmen aus der umweltbezogenen Steuerbemessungsgrundlage“.

2.13

Letztlich werden im Dokument einige Beispiele für bereits etablierte marktwirtschaftliche Instrumente gegeben (Energiebesteuerung, Eurovignette, lokale Gebührensysteme zur Entlastung der Innenstädte vom Verkehr) und eine Vielzahl von spezifischen bis sehr allgemein gehaltenen Fragen formuliert, die man an die Allgemeinheit richtet, um damit die gesellschaftliche Debatte anzustoßen.

2.14

Die Kommission sieht auch im Bereich des Schutzes der Artenvielfalt Möglichkeiten, marktwirtschaftliche Instrumente zu Nutzen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA hat sich häufig dafür ausgesprochen, die Palette politischer Handlungsinstrumente für den Umweltschutz optimal zu nutzen, wobei marktwirtschaftliche Instrumente eine wichtige Rolle spielen können. In dieser Absicht besteht also Konsens zwischen Ausschuss und Kommission.

3.2

Auch wenn der Ausschuss den dargelegten Argumenten folgen kann und diese für gut und richtig hält, hätte er sich vom Grünbuch, das ja eine lange Entstehungsgeschichte hatte und dessen Veröffentlichung immer wieder verschoben wurde, etwas mehr Klarheit hinsichtlich des zukünftig geplanten Einsatzes von marktwirtschaftlichen Instrumenten gewünscht. Der lange kommissionsinterne Abstimmungsprozess war vielleicht notwendig, für den politischen Gestaltungsprozess hat dieser aber noch keinen, für den WSA erkennbaren Nutzen gehabt.

3.3

Es hat vielmehr den Anschein, dass sich die politische Realität manchmal schneller entwickelt als der interne Abstimmungsprozess.

3.4

Der EWSA stellt fest, dass marktwirtschaftliche Instrumente im Umweltschutz längst Realität sind, auch wenn sie in den einzelnen Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich genutzt werden. Laut Eurostat resultieren beispielsweise durchschnittlich knapp 7 % aller Haushalteinnahmen in den EU-Mitgliedstaaten aus Einnahmequellen mit Umweltbezug.

3.5

Es kann also im Grünbuch und in der politischen Debatte folglich nicht um eine mögliche Einführung von marktwirtschaftlichen Instrumenten im Umweltschutz gehen. Nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ ist die Frage: In welchen Ausmaß, in welchem Verhältnis zu Ver- und Geboten und anderen Instrumenten sollen marktwirtschaftliche Instrumente genutzt werden?

3.6

Die Aussagen, die im Grünbuch gemacht werden, gehen allerdings nicht über das hinaus, was seit langem in den Unternehmen und den gesellschaftlichen Gruppen bekannt ist und dort diskutiert wird. Auch findet keine Auseinandersetzung mit der Frage statt, wer primär handelnde Partei sein muss. Bekanntlich ist die EU nicht für alle denkbaren Instrumente in gleichem Maße zuständig, bei steuerrechtlichen Fragen beispielsweise hat sie nur höchst eingeschränkte Kompetenzen. Ferner bleibt unklar, was politisch nach Vorlage dieses Grünbuchs geschehen soll, ob — wie es üblich ist — später ein Weißbuch folgt bzw. welche Konsequenzen gezogen werden sollen.

3.7

Das größte Manko ist, dass unklar bleibt, in welcher politischen Situation welchem Instrument von der Politik der Vorrang gegeben werden sollte. Die beabsichtigte Abgrenzung bzw. potenzielle Vernetzung beispielsweise von Ordnungsrecht und marktwirtschaftlichen Instrumenten bleibt unklar.

3.8

Der EWSA kann das Grünbuch folglich zwar wohlwollend zur Kenntnis nehmen, stellt aber fest, dass die gesellschaftliche Debatte um effektivere Instrumente in der Umweltpolitik mit größerem Engagement und anhand möglichst konkreter Beispiele geführt werden sollte, damit die beschriebenen ehrgeizigen Ziele der EU, z. B. im Bereich Klima- und Energiepolitik, auch wirklich Realität werden können.

3.9

Für den EWSA gilt dabei, dass die marktwirtschaftlichen Instrumente sich am Verursacherprinzip orientieren sollen und damit jenen, die die Umwelt aktiv schützen, Anreize bieten können.

4.   Besondere Anmerkungen des EWSA

4.1

Der EWSA hat stets betont, wie wichtig es sei, die sog. „externen Kosten“ zu internalisieren. Hier bieten sich, das beschreibt die Kommission selbst, marktwirtschaftliche Instrumente durchaus an. Es bedarf aber zunächst einer klaren politischen Entscheidung, wie hoch diese zu internalisierenden externen Kosten zu beziffern sind.

4.2

Das im Grünbuch beschriebene „marktwirtschaftliche“ Instrument der Eurovignette im Bereich des Straßenverkehrs ist ein gutes Beispiel dafür, dass das hinsichtlich der Integration externer Kosten als geeignet angesehene Instrument in der Realität bislang nur sehr halbherzig genutzt wird. Die Kommission schreibt selbst, dass „die durchschnittlichen Gebühren nur Infrastrukturkosten decken können und damit externe Kosten ausgeklammert sind“. Notwendig sind folglich Initiativen, um z. B. über die Eurovignette zukünftig die externen Kosten zu integrieren.

4.3

Der EWSA bittet Kommission, Rat und Parlament, marktwirtschaftliche Instrumente für den Umweltschutz nur dann als solche zu bezeichnen, wenn ein wirkliches Umweltziel dahinter steht und erkennbar ist. Bei der angesprochenen Eurovignette kann ein solches nur bedingt abgeleitet werden, da die externen Kosten ausgeklammert bleiben. Primär geht es bei der Eurovignette darum, die Infrastrukturkosten nicht ausschließlich aus öffentlichen Haushalten zu finanzieren, sondern die Nutzer direkt zu beteiligen. Natürlich gehen von einem solchen Ansatz indirekt auch Umweltwirkungen aus, wenn z. B. aufgrund der Erhöhung der Kosten der Nutzer beginnt, sich zu überlegen, ob er beispielsweise die Straße oder lieber die Schiene nutzen soll (oder gar eine Fahrt nicht antreten sollte). Aber erst, wenn die (Umwelt-) Kosten, die bislang „keinen Markt“ hatten und unberücksichtigt blieben, integriert werden, sollte man die Eurovignette als „Umweltinstrument“ ansehen.

4.4

Es ist also zunächst von Seiten der Politik nötig, darzulegen, was man mit einer bestimmten politischen Maßnahme überhaupt erreichen will. Erst nach der Definition des Ziels sollte die Diskussion um das geeignete Instrument erfolgen.

4.5

Auch durch den verstärkten Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente kommt die Politik folglich nicht um teilweise höchst schwierige, weil umstrittene Entscheidungen herum, ganz klare (umweltpolitische) Ziele wie Emissionsgrenzen etc. zu benennen. Genau daran hat es bislang häufig gemangelt. Marktwirtschaftliche Instrumente sind kein Ersatz für solche Entscheidungen, sondern — wie der Name schon sagt — Instrumente, um gesteckte politische Ziele zu erreichen.

4.6

Die Kommission muss so bald wie möglich die Unsicherheiten, die das Grünbuch hinterlässt, auflösen. Sie muss deutlich machen, welche Vorstellung sie hinsichtlich der zukünftigen Nutzung der unterschiedlichen politischen Instrumente hat. Der EWSA empfiehlt der Kommission daher, bereits im Rahmen der geplanten breiteren Erörterung des Themas an einigen praktischen Beispielen aus unterschiedlichen Politikbereichen, z. B. aus dem Bereich Energie und Verkehr, die verschiedenen möglichen politischen Handlungsoptionen (mit bzw. ohne marktwirtschaftliche Instrumente) durchzuspielen.

4.7

Dabei könnte sie z. B. sicher deutlich machen, dass man das Problem krebserregender Stoffe — um ein Beispiel zu nennen — nicht durch die Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente zu lösen gedenkt.

4.8

Interessant könnten marktwirtschaftliche Instrumente aber z. B. bei der aktueller werdenden Frage werden, wie man zukünftig kohlendioxidfreie Kohlekraftwerke etablieren will, wenn die Technik demnächst evtl. verfügbar sein wird. Will man sie dann als „Stand der Technik“ zwingend vorschreiben (also: Ordnungsrecht) oder will man sie über marktwirtschaftliche Instrumente in die Rentabilität bringen? Solche Fragestellungen sollten zukünftig stärker Gegenstand der gesellschaftlichen Debatte sein.

4.9

Wenn die Vernetzung bzw. Abgrenzung von Ordnungsrecht und marktwirtschaftlichen Instrumenten mit der Darstellung entsprechend konkreter Handlungsoptionen insgesamt deutlicher würde, würden vielleicht auch die im Grünbuch entsprechend angestellten Überlegungen für die Nutzung von marktwirtschaftlichen Instrumenten im Bereich der Erhaltung der Biodiversität verständlicher; dem EWSA erscheinen diese bislang noch wenig überzeugend, um wirklich Hoffnung darein setzen zu können, um den nach wie vor bedrohlichen Rückgang im Bereich der Biodiversität effektiv bekämpfen zu können.

4.10

Der Ausschuss hat bereits in seiner Stellungnahme zum „zweijährigen Fortschrittsbericht der neuen Nachhaltigkeitsstrategie“ (3) die Kommission aufgefordert, ihre sehr vage formulierten Überlegungen zu einem neuen, an Nachhaltigkeitsindikatoren orientierten Steuersystem zu konkretisieren. Laut Eurostat liegen die Einnahmen aus Steuern mit Umweltbezug bei ca. 7 %.

4.11

Eine Debatte um eine Verringerung der Besteuerung von Arbeit und eine entsprechende Kompensation der Mittel durch Einnahmen durch die Besteuerung umweltschädlicher Aktivitäten hält der EWSA für überfällig, sie sollte nach der Vorlage des Grünbuchs beschleunigt werden. Dabei muss aber auch deutlich werden, wie sich die EU entsprechende Veränderungen vorstellt, wo sie doch nach den EU-Verträgen nur einen höchst marginalen Einfluss auf die entsprechende Steuerpolitik der Mitgliedstaaten hat.

4.12

Für extrem wichtig hält es der EWSA, möglichst zeitnah die versprochene Übersicht über umweltschädliche Subventionen vorzulegen und diese Subventionen schnellstens zu streichen. Der Ausschuss sieht in umweltschädlichen Subventionen eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung und völlig inakzeptable Fehlallokation öffentlicher Mittel. Marktwirtschaftliche Instrumente zur Förderung des Umweltschutzes können erst dann richtig greifen, wenn umweltschädliche Subventionen vollständig abgebaut sind.

Brüssel, den 13. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2007) 140 endg. vom 28.3.2007.

(2)  Darauf ist die Kommission bereits 1993 in ihrem Weißbuch ‚Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung‘ — KOM(93) 700, Kapitel 10 — und später in ihrer Mitteilung zu einem europäischen Sozialmodell und in einem Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission zu den Zusammenhängen zwischen beschäftigungs- und umweltpolitischen Maßnahmen eingegangen — siehe KOM(2005) 525 und SEK(2005) 1530. Ex-post-Untersuchungen aus den nordischen Ländern sowie die Ergebnisse modellbasierter Studien zeigen die Existenz beider Arten positiver Effekte.

(3)  ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 76


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/19


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Grenzüberschreitende Beschäftigung in der Landwirtschaft“

(2008/C 120/05)

Das Plenum des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Grenzüberschreitende Beschäftigung in der Landwirtschaft“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 31. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr SIECKER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember) mit 104 gegen 3 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Arbeitsmigration in Europa ist wirtschaftlicher Natur und Folge der Freizügigkeit von Arbeitnehmern in einem Europa, in dem große Wohlstandsunterschiede zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten bestehen. Eine hohe Arbeitslosigkeit in einigen neuen Mitgliedstaaten und der Bedarf an billigen ungelernten Arbeitskräften in den 15 alten Mitgliedstaaten sorgen für einen anhaltenden Zustrom von Arbeitssuchenden.

1.2

2004 und 2007 wurden Übergangsregelungen vereinbart, mit denen die alten Mitgliedstaaten den Zustrom von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedstaaten steuern konnten. Einer der Gründe hierfür bestand in der Absicht der alten Mitgliedstaaten, zu verhindern, dass es durch einen zu großen Strom von Arbeitsmigranten zu Spannungen auf dem Arbeitsmarkt kommt, was wiederum einen Anstieg illegaler Beschäftigung nach sich ziehen könnte.

1.3

Die Übergangsregelungen haben dazu geführt, dass genau das eingetreten ist, was verhindert werden sollte. In ihrem Bericht über die Anwendung der Übergangsregelungen stellt die Europäische Kommission fest, dass Beschränkungen der legalen Arbeitsmöglichkeiten für Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedstaaten in der Praxis zu einer Ausweitung von Phänomenen wie Schwarzarbeit, Scheinselbstständigkeit, fiktiven Dienstleistungsverhältnissen und Unterverträgen geführt haben.

1.4

Die paradoxe Situation ist darauf zurückzuführen, dass in den alten Mitgliedstaaten großer Bedarf an Saisonarbeitskräften für die Landwirtschaft besteht, für den nicht genügend einheimische Arbeitssuchende gefunden werden können. Stattdessen gibt es genügend Arbeitsmigranten aus den neuen Mitgliedstaaten, die diese Arbeitsangebote annehmen wollen, wozu viele von ihnen jedoch aufgrund der Beschränkungen in den Übergangsregelungen nicht berechtigt sind. Der Zustrom von Arbeitskräften in die Landwirtschaft variiert je nach Herkunfts- und Aufnahmeland, je nach dem, ob in dem betreffenden Land Übergangsregelungen gelten und in welchem Umfang diese angewandt werden.

1.5

In dieser Situation gerät ein Teil der Branche in den Bereich der informellen Arbeit. Es ist schwierig, diesbezüglich genaue Angaben zu erhalten, da die drei beteiligten Gruppen aus jeweils unterschiedlichen Gründen kein Interesse daran haben, dass derlei Informationen öffentlich werden: Es handelt sich dabei um Arbeitgeber, die weniger als den gesetzlichen oder tariflichen Mindestlohn zahlen wollen, um Arbeitnehmer, die diese geringeren Löhne in Kauf nehmen, sowie um skrupellose Arbeitsvermittler, die dieses für sie recht einträgliche Geschäft aus Profitgier betreiben.

1.6

Viele dieser „Vermittler“ werben mit „Schleuderpreisen“, wobei dieser Preiskampf letztendlich zulasten der Arbeitsmigranten geht, die sich mit Einkommen begnügen müssen, die unter dem sozialen Minimum liegen. Außerdem kommt es vor, dass Arbeitgeber, die Saisonarbeiter anwerben, den Arbeitsvermittlern marktübliche Preise bezahlen, diese Vermittler jedoch weder Lohnsteuer noch Sozialabgaben abführen. Darüber hinaus stecken diese Vermittler regelmäßig einen Teil des Lohns der Arbeitsmigranten in die eigene Tasche. Es existieren Internetseiten mit Telefonnummern sowohl in Ost- wie in Westeuropa, über die selbstständige Arbeitnehmer angeboten werden, für die weder Steuern, Arbeitgeberanteile noch Sozialabgaben gezahlt werden müssen.

1.7

Diese Situation ist in mehrerer Hinsicht unerwünscht. Grundsätzlich müssen alle Arbeitsmigranten in jeder Hinsicht gleich behandelt werden wie die ansässigen Arbeitnehmer, mit denen sie zusammen arbeiten. Gleiche Arbeit muss gleich entlohnt und die Voraussetzungen für den Zugang zur sozialen Sicherheit müssen verbessert werden. Das ist nicht nur allein ein soziales Interesse der Arbeitnehmer, sondern auch ein wirtschaftliches Interesse der Arbeitgeber (gleiche Ausgangsbedingungen für einen fairen Wettbewerb) und ein finanzielles Interesse der Mitgliedstaaten (Steuer).

1.8

Der kürzlich vorgelegte Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen, sieht harmonisierte Sanktionen für Arbeitgeber, Präventivmaßnahmen sowie die Ermittlung bewährter Praktiken für die Verhängung von Sanktionen gegen Arbeitgeber und den Austausch dieser Vorgehensweisen zwischen den Mitgliedstaaten vor.

1.9

Solange die Beschränkungen für Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedstaaten noch nicht aufgehoben sind, spricht sich der EWSA dafür aus, dass die vorgeschlagene Richtlinie auch auf Arbeitgeber anwendbar ist, die Arbeitnehmer aus EU-Staaten, für die noch Beschränkungen gelten, illegal beschäftigen. Darüber hinaus muss die EU nach Ansicht des EWSA unbedingt sorgsam darauf achten, dass die Richtlinie nicht nur in allen Mitgliedstaaten in einzelstaatliches Recht um-, sondern in der Praxis auch durchgesetzt wird.

1.10

Eine eindeutige europäische Definition der Arbeitsbeziehung, in der deutlich zwischen der Annahme von Arbeit (der Leistung von Diensten) und dem Verrichten von Arbeiten im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses (dem Arbeitsvertrag) unterschieden wird, wäre für die Bekämpfung von Schwarzarbeit hilfreich. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat diesbezüglich eine klare Empfehlung abgegeben. Durch eine solche Definition würde redlichen Selbstständigen, die mehr anzubieten haben als billige ungelernte Arbeit, ein deutlicherer Platz im Arbeitssystem zugewiesen; Arbeitnehmer wiederum bekämen den Schutz, auf den sie ein Anrecht haben. Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission den Vorschlag einer Untersuchung dieser (Schein-)Selbstständigkeit durch die europäischen Sozialpartner in der Bauwirtschaft angenommen hat und dass sie diese Untersuchung auch finanziert.

1.11

Angesichts der Folgen, die die Beschränkungen der legalen Arbeitsmöglichkeiten haben, ist es vielleicht besser, im Zuge künftiger Erweiterungen der EU von Übergangsregelungen dieser Art abzusehen. Des Weiteren fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, zu prüfen, ob alle Beschränkungen für Arbeitnehmer aus den 12 Mitgliedstaaten, die 2004 und 2007 der EU beigetreten sind, aufgehoben werden können. Dies wird von einem Großteil der Sozialpartner in Europa befürwortet, sofern sowohl auf europäischer und nationaler Ebene als auch auf der Ebene der Sozialpartner konkrete Maßnahmen ergriffen werden, um die Gleichbehandlung von Arbeitsmigranten durchzusetzen.

2.   Einleitung

2.1

Laut der Lissabon-Strategie muss die EU künftig eine hochgradig wettbewerbsfähige wissensbasierte Wirtschaft sein, deren Produktion und Verbrauch auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit beruht und die über ein hohes Maß an sozialem Zusammenhalt verfügt.

2.2

Die EU ist gegenwärtig eine recht wettbewerbsfähige wissensbasierte Wirtschaft mit derzeit noch unzureichend nachhaltigen Produktions- und Verbrauchsmustern und einem sozialen Zusammenhalt, der sehr zu wünschen lässt.

2.3

Gegenstand dieser Stellungnahme ist insbesondere der letztgenannte Aspekt, der soziale Zusammenhalt. Die EU bringt der wirtschaftlichen Entwicklung und der nachhaltigen Entwicklung insbesondere der Produktion große Aufmerksamkeit entgegen. Die mangelnde politische Aufmerksamkeit für das dritte Standbein der Lissabon-Strategie führt dazu, dass der soziale Zusammenhalt nicht zu-, sondern abnimmt.

2.4

Die entsprechenden Folgen sind auf dem Arbeitsmarkt deutlich zu erkennen. Der Anteil der informellen Beschäftigung steigt, und eine Art von Arbeitnehmern ist wieder aufgetaucht, die man bis vor kurzem noch als seit langem ausgestorben wähnte, nämlich die der Tagelöhner.

2.5

Die neuen Tagelöhner bieten sich auf der Straße an, an Orten, die dafür bekannt sind, dass dubiose „Arbeitsvermittler“ dort Arbeitskräfte „anwerben“. Diese werden für einen Tag gemietet, ohne dass Lohnsteuer und Sozialabgaben für sie abgeführt werden. Ihr Arbeitstag dauert viel zu lang, ihr Stundenlohn fällt zu gering aus und sie werden in keiner Weise durch das Arbeitsrecht — so ein solches vorhanden ist — geschützt.

2.6

Bis vor einigen Jahren war der Arbeitsmarkt insbesondere für gering qualifizierte und ungelernte Arbeit einzelstaatlicher Größenordnung. Mit der EU-Erweiterung im Jahre 2004 ist dann ein europäischer Arbeitsmarkt für dieses Arbeitsmarktsegment entstanden. Infolge der Erweiterung von 2007 steigt das Angebot in diesem Bereich stark an, da jetzt auch Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien ihre Arbeitskraft anbieten.

2.7

Diese Tendenz ist besonders stark in der Landwirtschaft zu beobachten. Darüber hinaus finden gerade in diesem Wirtschaftszweig viele Arbeitssuchende ihre erste Anstellung fast immer im Ausland.

2.8

Durch diese Stellungnahme möchte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss dieses Problem auf die Tagesordnung der EU setzen, damit die betreffenden europäischen Einrichtungen gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern nach Lösungen für dieses große, drängende und leider an Umfang gewinnende Problem suchen können.

3.   Landwirtschaft

3.1

Mit Landwirtschaft wird die Gesamtheit wirtschaftlicher Tätigkeiten bezeichnet, durch die die natürliche Umwelt zur Erzeugung von Pflanzen und Tieren angepasst wird (1). Je nach Erzeugnis, Produktionsmethode und Wohlstandsniveau werden viele unterschiedliche Techniken — von der Arbeit mit einfachen Werkzeugen bis hin zum Einsatz großer Maschinen — angewendet, wobei die menschliche Arbeitskraft immer häufiger durch Maschinen ersetzt wird.

3.2

Die Landwirtschaft ist ein großer Wirtschaftszweig der EU; insgesamt wird eine Fläche von rund 160 Mio. Hektar landwirtschaftlich genutzt. In 11 Mio. landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten insgesamt 15 Mio. Menschen. Dabei handelt es sich zwar größtenteils um die Landwirte selbst und ihre Familienangehörigen, aber in etwa 1 Million Betrieben sind insgesamt 6,5 Mio. Arbeitnehmer beschäftigt. 4,5 Mio. davon arbeiten als Saisonarbeiter, wobei nicht bekannt ist, wie viele von ihnen in einem anderen als ihrem Herkunftsland arbeiten (2). Viele dieser Saisonarbeiter kommen aus Polen, Bulgarien und Rumänien.

3.3

Die Landwirtschaft lässt sich in verschiedene Tätigkeiten unterteilen: Viehzucht (Tierproduktion) und Aquakultur (Fischproduktion), Gartenbau (Zucht von kurzzyklischen Gewächsen wie Gemüse, Ziergewächsen, Obst und Champignons in kleinem Maßstab) und Ackerbau (unterscheidet sich vom Gartenbau dadurch, dass die Gewächse in größerem Maßstab angebaut werden und der Arbeitsaufwand geringer ist). Die kommerzielle Forstwirtschaft wird nicht überall in der EU zur Landwirtschaft gerechnet, in einigen Ländern wird sie als selbstständige Branche angesehen.

3.4

In der Landwirtschaft werden nicht nur Nahrungsmittel produziert, sondern in zunehmendem Maße auch andere Güter wie Blumen, Pelze, Leder, Biobrennstoffe (Biodiesel, Ethanol, Biogas, schnell wachsende Hölzer), Enzyme oder Fasern. Aus genetisch veränderten Pflanzen werden auch spezielle Arzneimittel hergestellt.

3.5

Die Landwirtschaft ist laut den Angaben sowohl der ILO (3) als auch von Eurofound (4) einer der gefahrträchtigsten Wirtschaftszweige für Arbeitnehmer. Insgesamt kommt es jährlich zu ca. 335 000 Arbeitsunfällen mit tödlichem Ausgang. Hiervon entfallen mehr als die Hälfte, nämlich 170 000 tödliche Unfälle, auf die Landwirtschaft.

4.   Formen informeller Arbeit

4.1

In der EU bestehen zahlreiche rechtliche Hindernisse, die die Formulierung einer eindeutigen Definition informeller Arbeit unmöglich machen. Praktiken, die in dem einen Land durchaus gängig sind (wo rechtlich nichts geregelt ist, muss auch nichts eingehalten werden), gelten in einem anderen Land als unüblich oder sogar als Verstoß gegen dort geltendes Recht.

4.2

Die Definition informeller Arbeit auf nationaler Ebene fällt je nach Mitgliedstaat unterschiedlich aus. Es geht hierbei um Tätigkeiten, die in den offiziellen Statistiken der formellen Wirtschaft nicht auftauchen. Zwar gibt es diesbezügliche Zahlen, die jedoch oftmals kaum aus einer einzigen Quelle stammen, nicht immer überprüfbar und somit auch nicht immer zuverlässig sind. Unwiderlegbar ist hingegen, dass es informelle Arbeit in großem Ausmaß gibt.

4.3

Quasi alle Definitionen informeller Arbeit auf nationaler Ebene heben nachdrücklich darauf ab, dass den steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen wird. Ebenso erwähnen nahezu alle Definitionen den Umstand, dass die Verpflichtungen in Bezug auf die soziale Sicherheit nicht eingehalten werden. Es ist daher umso erstaunlicher, dass die Vernachlässigung anderer Pflichten auf dem Gebiet des Arbeitsrechts (Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten, allgemein verbindliche Kollektivvereinbarungen) quasi nie Teil der nationalen Definitionen informeller Arbeit ist.

4.4

Informelle Arbeit wird von nicht gemeldeten Arbeitnehmern verrichtet, bei denen es sich nicht zwangsläufig um Arbeitsmigranten ohne Arbeits- und/oder Aufenthaltsgenehmigung handelt. Auch Personen, die im Besitz der erforderlichen Dokumente sind — oder diese nicht benötigen, weil sie in dem Land, in dem der Verstoß erfolgt, ansässig sind — arbeiten schwarz. Personen ohne gültige Papiere sind im Übrigen weniger geschützt und dadurch leichter auszubeuten als Personen mit gültigen Papieren. Schließlich haben Letztere im Gegensatz zu Ersteren auch Zugang zu formeller Arbeit.

4.5

Neben der herkömmlichen Form der Arbeit als abhängig Beschäftigter gibt es auch den „arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen“. Diese „Selbstständigen“ gelten als Unternehmer, für die weder Lohnsteuer noch Sozialabgaben gezahlt werden müssen. Sie sind selbst für deren Abführung zuständig.

4.6

Sie fallen auch nicht unter den arbeitsrechtlichen Schutz, wie er für Arbeitnehmer gilt. Für sie gelten weder Mindestlöhne noch eine Beschränkung der wöchentlichen Arbeitszeit oder gar Vorschriften zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. Es ist diesen Selbstständigen überlassen, zu den wie auch immer gearteten Tarifen und Bedingungen zu arbeiten, die sie mit ihren Auftraggebern vereinbaren.

4.7

Zunächst waren diese Selbstständigen erfahrene Berufstätige, die sich für besondere Berufe qualifiziert hatten. In der Regel brauchten sie Jahre, um das Niveau eines ausgelernten und ausgebildeten Fachmanns zu erreichen, das erforderlich war, um als Selbstständiger tätig sein zu können.

4.8

Als Folge von Outsourcing und der zunehmenden Ausgliederung von nicht zum Kerngeschäft gehörenden Aufgaben wird heute viel mehr als nur spezialisierte Arbeit nach außen vergeben. Ein kleiner Kern fest angestellten und gut geschulten Personals reicht aus, die Ausführung der zumeist einfacheren Arbeiten wird in zunehmendem Maße ausgegliedert und outgesourct. Der Bedarf für diese Art von Arbeit wird durch eine Schar neuer Selbstständiger gedeckt, die auf den Arbeitsmarkt strömen. Die wichtigste Spezialisierung eines Großteils der neuen Selbstständigen besteht in erster Linie im Angebot billiger, ungelernter Arbeit.

4.9

Hierbei handelt es sich in Wirklichkeit um eine Form der Scheinselbstständigkeit, die Ende der Achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts dazu diente, um Erwerbslose in Irland und dem Vereinigten Königreich loszuwerden. Damals beinhaltete die britische Gesetzgebung eine Reihe von Kriterien, anhand derer geprüft wurde, ob die Selbstständigen tatsächlich gewisse Bedingungen erfüllten. Eine dieser Bedingungen bestand darin, dass sie erfahrene Spezialisten in einem bestimmten Berufsbereich waren. Die damalige britische Regierung hat diese Prüfkriterien abgeschafft, wodurch sich auf einmal viel mehr Menschen als Selbstständige registrieren lassen und auf dem europäischen Festland arbeiten konnten, ohne dass das Arbeitsrecht in den betreffenden Mitgliedstaaten berücksichtigt werden musste (5).

4.10

Dies ist übrigens nicht mehr eine rein angelsächsische Erscheinung, z. B. hat ein Sprecher der polnischen Regierung auf einer Konferenz zum Thema Freizügigkeit von Arbeitnehmern berichtet, dass seine Regierung polnische Arbeitssuchende dazu aufrufe, sich als Selbstständige registrieren zu lassen (6). Dadurch können sie alle Einschränkungen für Arbeitnehmer — sofern überhaupt noch vorhanden — in den anderen Mitgliedstaaten umgehen und überall arbeiten. Der Status der Selbstständigkeit wird auf diese Weise systematisch und bewusst als Scheinkonstruktion benutzt, um gesetzlichen oder arbeitsrechtlichen Regelungen durch eine Zulieferkette zu entgehen. Durch Ausbeutungsverträge mit diesen Scheinselbstständigen, die oft von Vermittlungsbüros angeboten werden, wird auch die Einhaltung der Verpflichtungen in Bezug auf Lohnsteuer und soziale Sicherheit nach unten abgewälzt.

4.11

Auch in der Bauwirtschaft ist dieses Phänomen in großem Maßstab verbreitet, wobei in dieser Branche diesbezüglich bereits viel mehr Studien als in der Landwirtschaft durchgeführt wurden. Diese Branchen weisen große Gemeinsamkeiten auf; sie teilen nämlich insbesondere die drei wichtigsten Faktoren, die eine Branche für informelle Arbeit anfällig machen: harte körperliche Arbeit, die von zeitlich begrenzter Dauer ist und in erster Linie von Arbeitsmigranten verrichtet wird. Die Europäischen Sozialpartner in der Bauwirtschaft haben diese Gefahr inzwischen erkannt und bei der Europäischen Kommission finanzielle Unterstützung für eine Untersuchung des Phänomens der (Schein-)Selbstständigkeit in 18 Mitgliedstaaten beantragt. Die Kommission hat diesen Antrag genehmigt und der betreffende Vorschlag für eine Studie wird noch vor Ende dieses Jahres Gegenstand einer europaweiten Ausschreibung sein.

4.12

Da ein gesetzlicher europäischer Rahmen für die Arbeitsbeziehung bislang fehlt, gibt es eine Grauzone für dubiose Machenschaften rund um billige Arbeit. Dies bringt auf europäischer Ebene schwerwiegende negative Nebeneffekte mit sich. So stellt dann auch die Europäische Kommission in ihrem „Bericht über die Anwendung der im Beitrittsvertrag 2003 festgelegten Übergangsregelungen“ fest, dass „die Beschränkungen Bürger aus den EU-8-Staaten veranlasst haben könnten, andere Möglichkeiten einer Erwerbstätigkeit in den EU-15-Staaten zu suchen, was in einem außergewöhnlich hohen Zustrom entsandter oder scheinselbstständiger Arbeitnehmer zum Ausdruck kommt“ (7).

4.13

In demselben Bericht der Kommission heißt es: „Die Sozialpartner erklärten, die Migrationsströme aus den EU-8- in die EU-15-Mitgliedstaaten seien zwar gering, sie betonten jedoch nachdrücklich, dass eine Erosion der Arbeitsnormen und ein 'Sozialdumping' vermieden werden müssten. Sie wiesen weiter darauf hin, dass Beschränkungen der legalen Arbeitsmöglichkeiten zu einer Ausweitung von Phänomenen wie nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit, Scheinselbstständigkeit, fiktiven Dienstleistungsverhältnissen und Unterverträgen führten.“ Im darauf folgenden Absatz korrigiert die Kommission die Aussage, die Migrationsströme seien nicht sehr groß gewesen, indem sie anmerkt, dass „die tatsächlichen Migrationsströme in der erweiterten Union umfangreicher sein (können), als dies aus den hier vorgelegten Daten hervorgeht, da das Phänomen der nicht angemeldeten Erwerbstätigkeit von den amtlichen Statistiken nicht vollständig erfasst wird.“ Die Kommission stellt dann auch ganz allgemein fest, dass Einschränkungen des Arbeitsmarktzugangs zu einem Anstieg der Schwarzarbeit führen können.

4.14

Beispielsweise zählte der niederländische Gartenbau, der Landwirtschaftszweig mit den meisten Arbeitnehmern, im Jahr 1992 insgesamt 54 200 Vollzeitäquivalente (FTE). Knapp 87 % der Arbeitnehmer waren fest angestellt, rund 13 % waren auf andere Weise mit dem Unternehmen verbunden (Zeitarbeit oder -vertrag, (Schein-)Selbstständigkeit). 2005 waren mit 59 000 FTE rund 61 % der Arbeitnehmer fest angestellt, knapp 39 % auf andere Weise mit dem Unternehmen verbundenen. Allerdings muss beachtet werden, dass sich diese Zahlen auf die formelle Wirtschaft beziehen. Schätzungsweise arbeiteten in dieser Branche im Frühling 2007 noch einmal 40 000 FTE auf informelle Weise (8). Allerdings scheint der Anteil informeller Arbeit im Gartenbau stetig abzunehmen, seit die Beschränkungen für die Einwohner der 2004 beigetretenen Länder aufgehoben wurden.

5.   Arbeitsnormen unter Druck

5.1

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Einschränkung des Arbeitsmarktzugangs oftmals einen gegenteiligen Effekt hat. Die Einschränkung kann dazu führen, dass gesetzliche und arbeitsrechtliche Bestimmungen umgangen werden. Für Arbeitssuchende aus Rumänien und Bulgarien gelten in Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakei, Tschechien, Schweden, Finnland, Zypern und Slowenien bis 31. Dezember 2008 keine Beschränkungen; allerdings müssen sie sich in den drei letztgenannten Ländern registrieren lassen. In den anderen 15 Mitgliedstaaten gelten für Arbeitssuchende aus Rumänien und Bulgarien jedoch Beschränkungen (9). Für Arbeitssuchende aus den 10 Mitgliedstaaten, die der EU 2004 beigetreten sind, gelten ebenfalls noch Beschränkungen, allerdings in weniger Staaten und in geringerem Ausmaß als für Einwohner Bulgariens und Rumäniens (10).

5.2

Die Arbeitsmigration in der EU ist wirtschaftlicher Natur und Folge der Freizügigkeit von Arbeitnehmern in einer Europäischen Union, in dem große Wohlstandsunterschiede zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten bestehen. Eine hohe Arbeitslosigkeit in einigen neuen Mitgliedstaaten und der Bedarf an billigen ungelernten Arbeitskräften in den 15 alten Mitgliedstaaten sorgen für einen anhaltenden Zustrom von Arbeitssuchenden.

5.3

Viele dieser Arbeitssuchenden kommen in der Landwirtschaft unter, da dieser stark jahreszeitenabhängige Wirtschaftszweig in der Erntezeit großen, aber zeitlich begrenzten Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften hat. In diesem Wirtschaftszweig gibt es auch einen stärkeren Hang zu Sozialdumping als anderswo, was unter anderem daran liegt, dass es in einigen Mitgliedstaaten keine verbindlichen Tarifverträge für die Landwirtschaft gibt bzw. dass in mehreren Fällen die in der Landwirtschaft sehr wohl bestehenden Tarifverträge nicht allgemein verbindlich sind.

5.4

Saisonarbeit ist ein strukturelles Element der europäischen Landwirtschaft. Ohne den Einsatz flexibler Arbeitskräfte ist eine nachhaltige und effiziente Agrarproduktion nicht möglich. Die Saisonarbeit wird großteils von Arbeitsmigranten ausgeführt, was mitunter zu Problemen führt, durch die der soziale Zusammenhalt gefährdet wird.

5.5

Migranten, die im formellen Sektor arbeiten, sind häufig billiger als einheimische Arbeitnehmer, da der Arbeitgeber für sie verschiedene Abgaben nicht entrichten muss. Dies gilt z. B. für branchenspezifische Ausbildungsfonds und Rentenversicherungen. Die Migranten aus den 10 Mitgliedstaaten, die der EU 2004 beigetreten sind und für die in einigen der alten Mitgliedstaaten noch stets arbeitsmarktrechtliche Beschränkungen gelten, arbeiten oft teilweise schwarz, da nicht alle geleisteten Stunden der Steuer gemeldet werden. Migranten aus Bulgarien und Rumänien, für die noch mehr Beschränkungen gelten, sind in der Regel voll und ganz auf den informellen Sektor angewiesen. In diesem informellen Sektor werden nicht alle Arbeitsstunden entlohnt und viel zu niedrige Stundenlöhne gezahlt oder die Arbeitskräfte werden gezwungen, auf der Grundlage von Ausbeutungsverträgen Arbeit als (Schein-)Selbstständige anzunehmen.

5.6

Zu der in dieser Stellungnahme behandelten Problematik gibt es mehrere Übereinkommen der ILO. Es sind dies die Übereinkommen C97 (Wanderarbeiter, 1949), C143 (Wanderarbeitnehmer — ergänzende Bestimmungen, 1975), C181 (Private Arbeitsvermittler, 1997) und C184 (Arbeitsschutz in der Landwirtschaft, 2001). Die Übereinkommen C97 und C181 wurden von 17 der 27 Mitgliedstaaten der EU nicht ratifiziert. Das Übereinkommen C143 wurde von 22, C184 von 24 Mitgliedstaaten der EU nicht ratifiziert. Kein einziger der 27 derzeitigen EU-Mitgliedstaaten hat alle vier Übereinkommen ratifiziert (11). Außerdem hat die ILO 2006 eine Empfehlung betreffend das Arbeitsverhältnis abgegeben (12). Zentrales Element dieser Empfehlung ist eine Anpassung der innerstaatlichen Gesetzgebung aller Länder mit dem Ziel, eine deutliche und einheitliche Grenze zwischen Selbstständigen und Arbeitnehmern zu ziehen. Nur so kann der wachsenden Zahl betrügerischer Praktiken ein Ende bereitet werden, bei denen mittels vorgetäuschter Selbstständigkeit verschleiert wird, dass es sich bei den betreffenden Arbeitskräften in Wirklichkeit um Arbeitnehmer handelt (13).

6.   Wahrung der Arbeitsnormen

6.1

Grundsätzlich müssen alle Arbeitsmigranten in jeder Hinsicht gleich behandelt werden wie die einheimischen Arbeitnehmer, mit denen sie zusammen arbeiten. Gleiche Arbeit muss gleich entlohnt und die Voraussetzungen für den Zugang zur sozialen Sicherheit müssen verbessert werden. Das ist nicht nur allein ein soziales Interesse der Arbeitnehmer, sondern auch ein wirtschaftliches Interesse der Arbeitgeber (gleiche Ausgangsbedingungen für einen fairen Wettbewerb) und ein finanzielles Interesse der Mitgliedstaaten (Steuer). Dieser Grundsatz wird längst nicht überall angewandt. Anlässlich der Aufhebung der Übergangsregelungen für die Einwohner der 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten haben die Sozialpartner in den Niederlanden ihre Absicht bekundet, ab dem 1. Mai 2007 gemeinsam zu überprüfen, ob die sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Die öffentliche Verwaltung hat zugesagt, flankierende Maßnahmen zu ergreifen. Bisher hat dies noch nicht zu konkreten Ergebnissen geführt.

6.2

Es liegt ein Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen, vor (14). In diesem Vorschlag sind harmonisierte Sanktionen für Arbeitgeber und Präventivmaßnahmen sowie die Ermittlung bewährter Praktiken für die Verhängung von Sanktionen gegen Arbeitgeber und Austausch zwischen den Mitgliedstaaten vorgesehen.

6.3

Grund für diesen Vorschlag ist die hohe Anzahl illegal in der EU aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Schätzungen zufolge zwischen 4,5 und 8 Mio.). Das führt zu illegaler Beschäftigung; die Landwirtschaft gehört neben dem Bau-, dem Hotel- und Gaststättengewerbe sowie den Reinigungsdiensten zu den vier Branchen, in denen diese hauptsächlich vorkommt. Das EP und der Rat kommen in dem Vorschlag zu folgendem Schluss: „illegale Beschäftigung […] [verursacht] genau wie von EU-Bürgern geleistete“ Schwarzarbeit„, den öffentlichen Haushalten Verluste, kann einen Druck auf die Löhne bewirken, eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bewirken und den Wettbewerb zwischen Unternehmen verzerren; außerdem haben illegal Beschäftigte kein Anrecht auf Leistungen aus der Kranken- und Altersversicherung“.

6.4

Im Bericht der Kommission über die Anwendung der im Beitrittsvertrag 2003 festgelegten Übergangsregelungen (Zeitraum 1. Mai 2004 — 30. April 2006) weisen die europäischen Sozialpartner darauf hin, „dass Beschränkungen der legalen Arbeitsmöglichkeiten zu einer Ausweitung von Phänomenen wie nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit, Scheinselbstständigkeit, fiktiven Dienstleistungsverhältnissen und Unterverträgen führten“. Angesichts dieser Erfahrungen wäre es besser, alle Beschränkungen für Arbeitnehmer aus den 12 Mitgliedstaaten, die der EU 2004 bzw. 2007 beigetreten sind, aufzuheben, um gleiche Bedingungen für alle zu schaffen. Der überwiegende Teil der Sozialpartner in Europa befürwortet dies auch, vorausgesetzt dass sowohl durch die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten als auch durch die Sozialpartner konkrete Maßnahmen getroffen werden, um die Gleichbehandlung von Arbeitsmigranten zu überwachen.

6.5

Solange die Beschränkungen noch nicht aufgehoben sind, spricht sich der EWSA dafür aus, dass die vorgeschlagene Richtlinie über Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen, auch auf Arbeitgeber anwendbar ist, die Arbeitnehmer aus EU-Staaten, für die noch Beschränkungen gelten, illegal beschäftigen. Darüber hinaus muss die EU nach Ansicht des EWSA unbedingt sorgfältig darauf achten, dass die Richtlinie nicht nur in allen Mitgliedstaaten in einzelstaatliches Recht um-, sondern in der Praxis auch durchgesetzt wird.

6.6

Außerdem wird es durch die Richtlinie möglich, etwas gegen die großen Unterschiede zu unternehmen, die in Bezug auf die Intensität der Kontrollen sowie auf die Höhe des Strafmaßes zwischen den jeweiligen Mitgliedstaaten bestehen. Gegen einen Arbeitgeber in den Niederlanden, dem illegale Beschäftigung nachgewiesen wird, kann ein Bußgeld von maximal 6 700 EUR pro Arbeitnehmer verhängt werden. In Belgien sind es 20 000 EUR, in Luxemburg 50 000 EUR. Es gibt aber auch Mitgliedstaaten, in denen noch keine Sanktionen gegen Arbeitgeber bestehen, die sich der illegalen Beschäftigung schuldig machen.

6.7

Der Austausch vorbildlicher Verfahrensweisen ist für den Prozess, der zu mehr sozialem Zusammenhalt führen muss, unabdingbar. In der Anhörung in Plovdiv (15) wurden einige dieser Verfahrensweisen genannt, z. B.

die Einrichtung eines internationalen Gewerkschaftsrats in der österreichisch-ungarischen Grenzregion Burgenland (16). In diesem Gremium arbeiten Gewerkschaften aus Österreich und Ungarn zusammen, um darüber zu wachen, dass die grenzübergreifende Arbeit entsprechend den Rechtsvorschriften geregelt wird;

die Zertifizierung des so genannten „Gangmaster-Systems“ im Vereinigten Königreich (17). Durch strenge Kontrollen zertifizieren die Behörden rechtschaffende „Gangmasters“, also Anführer von Arbeitergruppen, die in der Landwirtschaft die wichtigsten Vermittler von Saisonarbeitskräften sind. Die ILO führt diese Maßnahme in ihren Veröffentlichungen ausdrücklich als gutes Vorbild an;

in Belgien haben die Sozialpartner in der Landwirtschaft ein praxistaugliches verwaltungstechnisches Kontrollsystem vereinbart, um informeller Arbeit vorzubeugen (18);

in den Niederlanden haben die Sozialpartner 2007 ein Zertifizierungssystem eingeführt, mit dem gewährleistet werden soll, dass die Sozial- und Arbeitsnormen bei Zeitarbeit eingehalten werden (19). Auch wenn dieses System noch nicht ganz ausgereift ist, so ist die zugrunde liegende Absicht dieser viel versprechenden Entwicklung begrüßenswert;

in Italien haben die Sozialpartner, der Arbeits- und der Landwirtschaftsminister im September 2007 ein umfangreiches Programm zur Eindämmung der Ausbreitung von informeller Arbeit und Scheinselbstständigkeit in der Landwirtschaft vereinbart (20);

die ILO hat Programme entwickelt, durch die die Tätigkeit privater Arbeitsvermittler reguliert werden kann und durch die verhindert werden soll, dass Arbeitsmigranten durch dubiose Vermittler Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit werden. Diese Programme richten sich u. a. an Gesetzgeber, Arbeitsaufsichten und Polizeidienste.

6.8

Die Situationen, die im Zusammenhang mit einigen dieser vorbildlichen Verfahrensweisen beschrieben werden, sind nicht ganz mit der Lage von Arbeitnehmern aus Bulgarien und Rumänien, die in den Staaten der ehemaligen EU-15 Arbeit suchen, zu vergleichen. Zum Beispiel fahren die ungarischen Arbeitnehmer, die im Burgenland beschäftigt sind, normalerweise jeden Abend nachhause zurück, während die rumänischen und bulgarischen Arbeitnehmer monatelang von zuhause weg sind. Auch hier gibt es — allerdings in viel geringerem Maße — noch Ausbeutung, die jedoch bei konsequenter Durchsetzung geltender Rechtsvorschriften leicht aufgedeckt und entsprechend sanktioniert werden kann. Es herrscht denn auch allgemein der Eindruck, dass die Bedingungen, unter denen die Menschen hier arbeiten, sozial vertretbar sind.

Brüssel, den 13. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  NACE-Code A.

(2)  www.agri-info.eu

(3)  International Labour Organisation, die internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf.

(4)  Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Dublin).

(5)  European Institute for Construction Labour Research.

(6)  FAFA, Konferenz zum Thema Freizügigkeit von Arbeitnehmern am 1. Juni 2006 in Oslo,

www.fafo.no

(7)  KOM(2006) 48 endg.

(8)  Productschap Tuinbouw, www.tuinbouw.nl

(9)  http://ec.europa.eu/employment_social/free_movement/enlargement_en.htm

(10)  http://ec.europa.eu/eures/home.jsp?lang=de

(11)  www.ilo.org/ilolex/english/convdisp1.htm

(12)  ILO (2006), Empfehlung betreffend das Arbeitsverhältnis, R198.

(13)  Amsterdam Institute of Advanced Labour Studies.

(14)  KOM(2007) 249 endg.

(15)  Plovdiv, Bulgarien 18.9.2007.

(16)  www.igr.at

(17)  www.gla.gov.uk

(18)  www.limosa.be, www.ksz.fgov.be/En/CBSS.htm

(19)  www.normeringarbeid.nl

(20)  www.lavoro.gov.it, www.lavoro.gov.it/NR/rdonlyres/7E345511-29CC-4D81-B502-225F85070D3C/0/new_n12ottobre07.pdf


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/25


STELLUNGNAHME des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Beschäftigung in der Landwirtschaft“

(2008/C 120/06)

Das Präsidium des Ausschusses beschloss am 13. März 2007 gemäß Artikel 29 A der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung, eine ergänzende Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Beschäftigung in der Landwirtschaft“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 31. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr WILMS.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember) mit 96 gegen 1 Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Mit der Mitteilung „Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten: Schließen der Beschäftigungslücke“ (1) hat die Kommission einen wichtigen Grundstein zur Diskussion über die Beschäftigung in der Landwirtschaft als ein wichtiger Faktor bei der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen in ländlichen Gebieten gelegt.

1.2

Der landwirtschaftliche Strukturwandel setzt sich fort. Betroffen sein werden davon hunderttausende Beschäftigte in der Landwirtschaft, die ihren Arbeitsplatz verlieren, bzw. deren Lebenssituation sich verändern wird. Ein wesentlicher Teil der Beschäftigung in der Landwirtschaft, nämlich die von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, und hier insbesondere die der saisonal Beschäftigten und der Wanderarbeiter, bleibt in der Mitteilung allerdings nahezu unberücksichtigt.

1.3

Dies ist bedauerlich vor dem Hintergrund der Bemühungen der Kommission anlässlich des Jahres der Mobilität der Arbeitnehmer (2006). Um die 4 Millionen Saison- und Teilzeitarbeitskräfte, davon ca. 2 Mio. Wanderarbeitskräfte, pro Jahr zeugen von der hohen Mobilität und Flexibilität im Sektor Landwirtschaft.

1.4

Die saisonale Beschäftigung, insbesondere im Obst- und Gemüsebau, ist ein strukturelles Element in der Landwirtschaft, ohne die eine effiziente und nachhaltige Landbewirtschaftung nicht stattfinden kann. Weil der saisonale Arbeitskräftebedarf häufig nicht durch örtliche Arbeitskräfte gedeckt werden kann, leisten die Wanderarbeitskräfte ihren Anteil zur Entwicklung der Landwirtschaft in Europa.

1.5

Die Produktion von gesunden Lebensmitteln ist ein wertvoller Beitrag für unsere Lebensgrundlagen. Dazu gehört auch eine gerechte Entlohnung.

1.6

Trotz einer hohen Arbeitslosenrate in vielen europäischen Regionen wird die Forderung nach zusätzlichen Saisonarbeitskräften aus Weißrussland, der Ukraine und anderen Ländern laut. Der Arbeitsmarkt in der EU muss sozial nachhaltig entwickelt werden, d. h. jeder muss eine Chance haben, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Diese Chancen werden durch zusätzliche billige Arbeitskräfte aus Drittländern eingeschränkt.

1.7

Die Wachstumsziele, die sich die Europäische Union gesetzt hat, sind nur durch fairen Wettbewerb zu erreichen. Die Beschäftigten in der Landwirtschaft sind unabhängig ihrer Herkunft in sämtlichen Belangen gleichzustellen.

1.8

Auf dem agrarischen Arbeitsmarkt herrscht eine hohe Mobilität. Dies entspricht den Zielen der Kommission. Allerdings dürfen den mobilen Arbeitskräften keine Nachteile erwachsen. Deshalb hat nach der politischen und wirtschaftlichen Integration auch die soziale Integration zu erfolgen. Der EWSA sieht kurzfristig folgende Handlungsbedarfe:

Für alle wandernden Arbeitskräfte in Europa sind Mindeststandards für die Arbeits- und Wohnverhältnisse zu regeln.

Wanderarbeitskräfte müssen durch ihre Arbeit einen umfassenden sozialen Schutz erhalten, dies gilt auch für den Erwerb von Ansprüchen für eine Altersrente.

Auch Saisonarbeitskräfte sind in Qualifizierungskonzepte zu integrieren.

Wanderarbeitskräfte müssen über die Arbeitsbedingungen und ihre Rechte Informationen erhalten.

1.9

In der europäischen Landwirtschaft fehlt es an Transparenz über den Umfang der Beschäftigung und die sozialen Standards. Dadurch entstehen Wettbewerbsverzerrungen. Ein Instrument, um wieder einen fairen Wettbewerb zu erreichen, ist die Zertifizierung der Betriebe nach sozialen Kriterien.

2.   Einleitung

Die Arbeit in der europäischen Landwirtschaft wird sich weiter verändern. Die Teilzeit- und Saisonbeschäftigung nimmt unter den abhängig Beschäftigten einen großen Teil ein. Die Wanderarbeitskräfte, die von ihrem Wohnort zu den Arbeitsplätzen reisen, unterliegen besonderen Bedingungen. An dieser Gesamtsituation wird sich in absehbarer Zeit grundsätzlich nichts Wesentliches ändern.

2.1   Entwicklung in der landwirtschaftlichen Saisonarbeit

2.1.1

Die Situation in der landwirtschaftlichen Arbeit war schon häufig Gegenstand von Stellungnahmen des EWSA. Die Diskussion über die Wander- und Saisonarbeit nimmt sowohl auf europäischer Ebene als auch in zahlreichen Mitgliedsländern an Bedeutung zu. In vielen Bereichen und Aktionen engagieren sich mittlerweile die drei Hauptakteure Arbeitgebervertreter, Gewerkschaften und politische bzw. administrative Vertreter in der Sache. Beispiele dafür:

Viele Agrargewerkschaften informieren mit mehrsprachigen Materialien über die Rechtslage in den Zielländern.

In einigen Ländern schließen die Sozialpartner angepasste Kollektivvereinbarungen für Wander- und Saisonarbeitskräfte ab.

Häufig werden rechtliche Beratungen für Wanderarbeitskräfte angeboten, insbesondere beim Abschluss von Arbeitsverträgen.

Einige Regierungen organisieren Runde Tische mit den Sozialpartnern zur Verbesserung der Situation der Saison- und Wanderarbeitskräfte.

Die Europäische Kommission nimmt sich nach Interventionen der Sozialpartner ebenfalls der Problematik an und fördert zunehmend Vorhaben der Sozialpartner im Bereich der Wanderarbeit sowohl auf europäischer Ebene als auch über ihre Fonds, z. B. bei der Verbesserung der Wohn- und Vermittlungssituation der Wanderarbeitskräfte.

2.1.2

Gefordert wurde wiederholt eine Beobachtungsstelle für Wander- und Saisonarbeit. Diese Forderung blieb jedoch ohne Wirkung. Gerade die Erhebung und Darstellung von nachvollziehbaren Daten der Beschäftigung in der Landwirtschaft und deren Auswertung sind eine wesentliche Grundlage für die Verbesserung der Situation der Arbeitskräfte.

2.2   Begriffsbestimmung

2.2.1

Die zögerliche Diskussion über das Thema landwirtschaftliche Saisonarbeit hat eine Ursache in der mangelnden Transparenz und der unzureichenden Darstellung der realen Situation. Immer noch liegen keine nachvollziehbaren detaillierten Zahlen über den Umfang der landwirtschaftlichen Saisonarbeit vor.

2.2.2

In der Landwirtschaft der Europäischen Union sind ca. 2 Millionen Arbeitskräfte als Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt. Um die 4 Millionen Personen sind prekär beschäftigt. Ein Teil davon ist teilzeitbeschäftigt, ein anderer Teil ist saisonal beschäftigt in einem Zeitraum von wenigen Tagen bis zu acht Monaten im Jahr. Ein großer Teil dieser Saisonarbeitskräfte sind Wanderarbeitskräfte, sie arbeiten nicht an ihrem Wohnort und müssen zu ihrem Arbeitsplatz häufig grenzüberschreitend wandern.

2.2.3

Bei der Analyse der Zahlen über die Beschäftigten gibt es umfangreichen Klärungsbedarf über die Abgrenzungen, z. B. der Betriebsgrößen, der Zuordnung zu den Branchen und Sektoren, insbesondere der Abgrenzung zum Gartenbau und der Dienstleistungslandwirtschaft.

3.   Dringlichkeit der Stellungnahme

3.1

Die Stellungnahme ist unter verschiedenen Gesichtspunkten dringlich:

a)

Mit der Stellungnahme zur Beschäftigungssituation im ländlichen Raum geht die Kommission detailliert auch auf die quantitative Entwicklung der Arbeit ein. Sie hebt hervor, dass trotz des geringen Anteils der landwirtschaftlichen Arbeit in ländlichen Regionen der Sektor von großer Bedeutung ist. Die Kommission erwartet bis zum Jahr 2014 einen Rückgang der Beschäftigung (als Vollzeitäquivalent) in der Landwirtschaft von derzeit 10 Millionen um 4-6 Millionen Beschäftigte (2 Mio. in EU-15, 1-2 Mio. in EU-15-25 und 1-2 Mio. in RO und BG).

b)

In der EU-15 wird sich die Zahl der in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer stabilisieren bzw. sogar — wie in der Bundesrepublik Deutschland (alte Bundesländer) — leicht ansteigen. In den Beitrittsländern wird auch noch ein Rückgang der Vollzeitbeschäftigten zu erwarten sein. Erkennbar ist, dass wenn sich dieser Trend fortsetzt, der Bedarf der Unternehmen nach saisonal Beschäftigten in den Regionen, in denen Obst und Gemüse angebaut wird, ansteigt.

c)

Prognostiziert wird mittlerweile für viele Länder ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, die z. B. in der Lage sind, in Unternehmen führende Funktionen einzunehmen oder die komplizierte Technik in den Betrieben zu bedienen,

d)

Mittlerweile klagen Unternehmen darüber, dass sie keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finden, die sie saisonal beschäftigen können. Erste Stimmen werden laut, nicht nur Beschäftigte innerhalb der EU freizügiger wandern zu lassen (Zulassung der Arbeitnehmerfreizügigkeit), sondern auch Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern vermehrt für saisonale Beschäftigung zuzulassen. Eine erste Öffnung hat Polen bereits vollzogen und Arbeitskräfte aus Weißrussland und der Ukraine zugelassen.

e)

Andererseits ist in vielen, gerade ländlichen Regionen noch eine hohe Arbeitslosigkeit vorhanden. Eine Strategie der Kommission besteht darin, die Mobilität der Arbeit zu erhöhen. Doch dazu müssen die angebotenen Arbeitsplätze attraktiv sein.

f)

Unbestritten ist, dass es bei der Wanderarbeit zu Konflikten und Problemen kommt.

g)

Unbestritten ist ebenfalls, dass es in der Landwirtschaft durch die Vegetationsperioden zu saisonal beschränkten Arbeitsspitzen kommt, also Arbeit vorhanden ist. Mit den Beschlüssen in der Lissabon-Strategie sollen Arbeitsplätze geschaffen werden, aber mit einem Qualitätsvorbehalt.

h)

Mit der Göteborg-Strategie haben sich die Mitgliedsländer auf die Ziele der nachhaltigen Entwicklung geeinigt. Die soziale Dimension ist dabei den wirtschaftlichen und ökologischen Zielen gleichrangig zu behandeln. Damit wird der Anspruch abgeleitet, auch wandernden Arbeitskräften gegenüber soziale Standards einzuhalten. Hier müssen die Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden. Die Wanderarbeitskräfte haben den Anspruch auf Gleichbehandlung, das Recht auf menschenwürdige Wohn- und Lebensbedingungen. Darüber hinaus sind sie vollständig in die sozialen Sicherungssysteme zu integrieren.

i)

Mit der Antidiskriminierungsinitiative der Europäischen Kommission steht auch eine Antidiskriminierungsdebatte um die Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen Beschäftigten an.

j)

Mit der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU verändern sich staatliche Handlungsmöglichkeiten. Damit erhöht sich die Konkurrenz sowohl zwischen den Arbeitnehmern als auch zwischen den Arbeitgebern.

k)

Die Diskussion um die Gemeinsame Agrarpolitik kann angesichts der von der Kommission prognostizierten Zahl von 4 bis 6 Mio. abwandernden Arbeitskräften auf eine qualitative Diskussion der Arbeit nicht verzichten. Die Situation der ständig Beschäftigten wird sich verändern, ein Facharbeitermangel wird prognostiziert, langfristig wird sich die Zahl der Arbeitnehmer stabilisieren.

4.   Aktuelle Probleme

4.1

Die Ursachen der Wanderarbeit liegen im Wesentlichen in den unterschiedlichen Lebensniveaus der europäischen Regionen. Die Abwanderung von Arbeitskräften führt langfristig in den Entsendeländern selbst zu einem Mangel an — insbesondere qualifizierten — Arbeitskräften. In diesen Regionen wird der Arbeitskräftemangel nicht durch eine Erhöhung des Einkommens oder eine Verbesserung des Bildungsstandes zu bekämpfen versucht, sondern durch die Anwerbung von Arbeitskräften aus noch ärmeren Regionen, künftig zunehmend außerhalb der Europäischen Union.

4.2

Dabei sind eine Ursache des Arbeitskräftemangels die bisweilen schwierigen und ungewohnten Arbeitsbedingungen in den Branchen. Wanderarbeitskräfte verhalten sich marktgerecht. Sie wandern auf dem freien Arbeitsmarkt dorthin, wo für sie die besten Bedingungen herrschen.

4.3

Immer wieder treten Probleme bei der Wanderarbeit auf:

Die Situation der wandernden Frauen in der Landwirtschaft muss stärkere Berücksichtigung finden. In vielen Ländern werden überwiegend Frauen angeworben. Das führt zu kulturellen und sozialen Problemen sowohl in den Zielländern als auch in den Entsendeländern.

Aufgrund der Anwendung der Übergangsregelungen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer infolge der Erweiterung 2004 und 2007 kommt es im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitskräften für Dienstleistungen zu Verstößen gegen das Arbeitsrecht. Dementsprechend liegt die Entlohnung manchmal unterhalb der gesetzlichen Mindestlöhne und oftmals unterhalb der tariflichen oder ortsüblichen Regelungen.

Trotz vieler Bemühungen und Initiativen seitens der Gewerkschaften gelingt es nicht, die Wanderarbeitskräfte über ihre Rechte aufzuklären. Viele Gesetze und Regeln der Zielländer werden nicht eingehalten. Dieses Ausnutzen der ausländischen Herkunft steht im krassen Widerspruch zu den Antidiskriminierungsbestrebungen der Europäischen Union.

Immer noch entstehen den Saisonbeschäftigten durch fehlende Beitragszeiten zur Sozialversicherung finanzielle Nachteile in ihrer sozialen Sicherung.

Für Saisonarbeitskräfte entfallen in der Regel Aufwendungen, die sich aus Kollektivvereinbarungen für die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte ergeben.

Die Unterkünfte für die Wanderarbeitskräfte lassen in fast allen Ländern zu wünschen übrig.

Eine weitere Entwicklung ist die Beschäftigung in der Landwirtschaft durch Zeitarbeitsfirmen. Auch wenn es schlechte Beispiele von Zeitarbeitsfirmen gibt, kann Zeitarbeit häufig sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer von Vorteil sein.

In Branchen mit einem hohen Anteil an kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen entsteht leicht illegale Beschäftigung. Häufig wird auch eine legale saisonale Beschäftigung genutzt, um nach Ablauf der Beschäftigungsfrist in anderen Branchen ohne gültige Papiere weiterzuarbeiten.

5.   Schlussfolgerungen und Handlungsrahmen

5.1   Allgemeiner politischer Rahmen

5.1.1

Der EWSA begrüßt die Anstrengungen der Kommission für mehr Beschäftigung in den ländlichen Räumen. Dazu gehört auch, weitere Anstrengungen zur Förderung der Transparenz in der Beschäftigung der Landwirtschaft vorzunehmen. Dazu gehört die statistische Erfassung der Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch eine breite Information der Beschäftigten über die in den jeweiligen Ländern herrschenden Arbeits- und Lebensbedingungen.

5.1.2

Die bisherige Agrarpolitik hat sich im wesentlichem auf die qualitativen und quantitativen Aspekte der Produkte bezogen. Wie die Arbeit der Beschäftigten gestaltet ist und wird, blieb weitgehend unberücksichtigt.

5.1.3

Die Ziele der Lissabon-Strategie und der Göteborg-Strategie sind weiter zu konkretisieren. Bei der Weiterentwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft muss die soziale Dimension neben der wirtschaftlichen und ökologischen Dimension Beachtung finden.

5.1.4

Vordringliches Ziel aller Akteure muss es sein, den europäischen Arbeitsmarkt von Ungleichgewichten zu befreien. Dies kann nicht dadurch erreicht werden, dass immer weitere billige Arbeitskräfte aus noch weiter entfernten Regionen nach Europa geholt werden. Zum europäischen Modell gehört insbesondere auch die Entwicklung eines gemeinsamen sozialen Lebens in Europa. Dazu gehören nicht Ghettos von Wanderarbeitskräften mit schlechten Lebens- und Wohnbedingungen, ohne kulturelle und soziale Einbindung in das lokale Leben.

5.1.5

Bei weiteren Untersuchungen und den sich daraus ergebenden Problemlösungsansätzen hat der Genderaspekt eine stärkere Rolle einzunehmen.

5.1.6

Noch stimmen die Bedingungen nicht! Es sind alle Akteure gefordert, ihren Beitrag zu leisten.

5.1.7

Wanderarbeitskräfte sind den örtlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gleichzustellen. Die Kommission hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihren Beitrag zu diesem Prozess zu leisten. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Formulierung von Mindeststandards. Diese Mindeststandards bilden eine gute Grundlage für eine breite Diskussion über die Qualität der Arbeit.

5.2   Aufgaben und Initiativen der Sozialpartner

5.2.1

Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Sozialpartner, im sozialen Dialog die Entwicklung der beruflichen Bildung in der Landwirtschaft und insbesondere die gegenseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen durch von Mitgliedsstaaten ermächtigte Instanzen zu fördern. Durch den europäischen „Agripass“, der derzeit entwickelt wird, soll die Mobilität der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte im europäischen Binnenmarkt gefördert werden. Der Agripass darf nicht zur Benachteiligung von Arbeitnehmern, die nicht im Besitz eines solchen Passes sind, führen, sondern sollte lediglich einen Anreiz für den Erwerb dieses Qualifikationsnachweises bieten.

5.2.2

Gleichzeitig können transparente Qualifizierungsabschlüsse die Mobilität und die Möglichkeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, in anderen Ländern zu arbeiten und sich niederzulassen, verbessern. Der EWSA begrüßt die Initiativen der Kommission bei der Unterstützung der Sozialpartner, einen Agripass einzuführen.

5.2.3

Gemeinsam mit der Europäischen Kommission und den Regierungen der jeweiligen Mitgliedstaaten sollen die Sozialpartner Konzepte gegen die illegale Beschäftigung entwickeln und umsetzen.

5.3   Gemeinsame Initiativen zur sozialen Sicherung

5.3.1

Die soziale Sicherung der saisonal Beschäftigten ist von besonderem Interesse. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die über mehrere Jahre saisonaler Beschäftigung nachgehen, dürfen in der sozialen Absicherung nicht anderen Beschäftigten gegenüber schlechter gestellt sein, dazu gehört insbesondere,

dass sie in das Rentensystem des Ziellandes integriert werden und ihre Rentenansprüche in vollem Umfang geltend machen können;

dass die Bestimmungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes eingehalten werden und die Wanderarbeitskräfte in ihrer Muttersprache über Risiken und Gefahren unterrichtet werden;

dass eine umfassende Krankenversicherung die Wanderarbeitskräfte absichert.

5.3.2

Die Arbeitnehmer müssen in ihrer Muttersprache über Gesetze, Übereinkünfte und Praktiken, z. B. bezüglich Löhnen und Gehältern, Organisationen, sozialer Sicherung, Steuern sowie Arbeitsschutzbedingungen, informiert werden. Gleichzeitig muss die EU die Rolle der Tarifpartner respektieren und darf nicht in Bereichen Rechtsvorschriften erlassen, die unter nationale Tarifvereinbarungen fallen.

5.4   Verbesserung der Lebens- und Wohnbedingungen von Wanderarbeitskräften

5.4.1

Wanderarbeitskräfte haben in ihrem Zielland das Recht auf eine menschenwürdige Unterkunft. Auf europäischer Ebene ist ein Rahmen zu entwickeln, in dem Grundstandards für die Unterkünfte von Wanderarbeitskräften festgelegt sind.

5.5   Qualitätssiegel Faire Saisonarbeit

5.5.1

Seit Jahren hat sich der Ausschuss in zahlreichen Stellungnahmen für ein nachhaltiges Wirtschaften ausgesprochen. Nachhaltiges Wirtschaften hat nicht nur eine ökologische Dimension, sondern betrifft auch betriebswirtschaftliche und soziale Aspekte. Ein nicht staatliches, freiwilliges Zertifizierungssystem für „Faire Saisonarbeit“ könnte den Wettbewerb gerechter gestalten. Kriterien für eine freiwillige Zertifizierung können sein:

die Zahlung von angemessenen Einkommen,

die Gestaltung des Arbeitsschutzes,

die Beteiligung der Arbeitnehmer an innerbetrieblichen Prozessen,

die arbeitsvertraglichen Regelungen,

die Unterbringung,

die Arbeitszeit.

Die Zertifizierung soll:

einen fairen Wettbewerb fördern,

interessierte Saisonarbeitskräfte über Unternehmen informieren und

Werbung für gute Unternehmenspraxis sein.

5.6   Verbreitung von „good practice“

5.6.1

In der europäischen Landwirtschaft gibt es eine Vielzahl an interessanten Vorhaben und Projekten zur Verbesserung der Mobilität in der Landwirtschaft und zur Verbesserung der Situation von saisonal Beschäftigten. Der EWSA fordert die Kommission auf, Maßnahmen zu ergreifen, die die „good-practice“-Erfahrungen auswerten und verbreiten.

Brüssel, den 13. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2006) 857 endg., „Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten: Schließen der Beschäftigungslücke“.


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/29


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung“

(2008/C 120/07)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 25./26. April 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die Rolle der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz (Beobachtungsstelle für nachhaltige Entwicklung) nahm ihre Stellungnahme am 27. November 2007 an. Berichterstatter war Herr HAKEN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 115 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung können mächtige und einflussreiche Akteure für die nachhaltige Entwicklung sein. Sie können unabhängigen Rat erteilen sowie den Dialog mit der Zivilgesellschaft und den betroffenen Akteuren zur nachhaltigen Entwicklung fördern.

1.2

Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung in den Mitgliedstaaten bieten ein breit gefächertes Spektrum: Während es in einigen Mitgliedstaaten keinen oder nur einen untätigen Nationalen Rat gibt, unterscheiden sich die funktionierenden Nationalen Räte grundlegend in Bezug auf Aufgabenbereich, Zusammensetzung, Unabhängigkeit, Ressourcen und auch die Resonanz auf ihre Arbeit.

1.3

Angesichts der positiven Erfahrungen in den Mitgliedstaaten, die über einen „starken“ Nationalen Rat für nachhaltige Entwicklung verfügen, fordert der Ausschuss alle Mitgliedstaaten auf, ihre Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung zu stärken bzw. „starke“ Räte überhaupt erst einzusetzen.

1.4

Der Ausschuss spricht folgende Empfehlungen in Bezug auf die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung aus:

Ihnen sollten Vertreter aller wichtigen Bereiche der Gesellschaft angehören.

Sie sollten in ausreichendem Maße regierungsunabhängig sein.

Sie sollten bei der Formulierung von Strategien für die nachhaltige Entwicklung und bei der Überwachung ihrer Durchführung eine wichtige Aufgabe erfüllen.

Sie sollten über eine ausreichende Finanzierung verfügen, damit sie einen echten Mehrwert in den Debatten und in der Beschlussfassung bieten können.

Sie sollten ihre Erfahrungen zusammentragen, bewährte Verfahren austauschen und einen offenen Dialog zwischen den Nationalen Räten führen, insbesondere durch die Stärkung des Netzwerks europäischer Beratungsgremien für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung.

2.   Hintergrund

2.1

Nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der heutigen Generation zu erfüllen, ohne jedoch die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Dies ist ein übergeordnetes Ziel der Europäischen Union, das für all ihre Politikbereiche und ihr Handeln maßgebend ist. Die nachhaltige Entwicklung stützt sich auf folgende Grundsätze: Demokratie, Gleichstellung von Männern und Frauen, Solidarität, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Grundrechte einschließlich der Freiheit und der Chancengleichheit aller.

2.2

Im Anschluss an die Rio-Konferenz der Vereinten Nationen im Jahr 1992 wurde die nachhaltige Entwicklung zu einer weltweit anerkannten politischen Thematik. Auf dieser Konferenz wurde auch die Idee zur Einrichtung beratender Gremien wie der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung aufgebracht. In der Agenda 21, die ebenfalls ein Ergebnis der Rio-Konferenz war, ist festgehalten, dass eine nationale Strategie für nachhaltige Entwicklung „mit möglichst großer Beteiligung entwickelt werden“ soll. In den Empfehlungen des Weltgipfels von Johannesburg 2002 wurde gleichsam die Forderung nach der Einrichtung von Räten für nachhaltige Entwicklung erhoben.

2.3

Auf EU-Ebene wurde die erste EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2001 in Göteborg beschlossen. Zur Konzipierung einer umfassenderen und effizienteren Strategie brachte die Europäische Kommission im Jahr 2004 eine Überarbeitung dieser Strategie auf den Weg; im Juni 2006 nahm der Rat schließlich die neue überarbeitete Strategie für nachhaltige Entwicklung für ein erweitertes Europa (1) an. Mit dieser neuen Strategie soll das langfristige Engagement der Union für die Verwirklichung des Ziels der nachhaltigen Entwicklung in die Tat umgesetzt werden.

2.4

Infolge der Empfehlungen der Vereinten Nationen und später dann auch der EU wurden in den 90er Jahren in zahlreichen Ländern Gremien mit der Bezeichnung „Nationale Räte für nachhaltige Entwicklung“ eingerichtet, deren Hauptaufgabe die wirksame Umsetzung der Agenda 21 sowie der Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung ist. In einigen Mitgliedstaaten wurden interministerielle Koordinierungsstellen eingerichtet, z. B. die ungarische Kommission für nachhaltige Entwicklung (1993), in anderen wiederum gemischte Gremien wie die finnische nationale Kommission für nachhaltige Entwicklung (1993) oder auch Räte, die sich aus Vertretern der Zivilgesellschaft zusammensetzen, beispielsweise der belgische Nationale Rat (1993) und der britische Runde Tisch zur nachhaltigen Entwicklung (1995). Später folgten weitere Mitgliedstaaten; manche der älteren Gremien wurden umstrukturiert, andere wurden letztlich aufgelöst.

2.5

In der neuen EU-Strategie heißt es: „Die Mitgliedstaaten sollten nationale Beratungsgremien für nachhaltige Entwicklung mit Beteiligung verschiedener Interessengruppen verstärken odersoweit diese Gremien noch nicht besteheneinrichten, um eine gezielte Debatte zu fördern, bei der Erarbeitung der nationalen Strategien für nachhaltige Entwicklung zu helfen und/oder zu den nationalen und europäischen Fortschrittsberichten beizutragen. Die nationalen Beratungsgremien für nachhaltige Entwicklung sollen die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Fragen der nachhaltigen Entwicklung verstärken und zu einer besseren Verknüpfung verschiedener Politikbereiche und Ebenen der Politikgestaltung beitragen, u. a. durch die Nutzung ihres Netzwerks europäischer Beratungsgremien für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung.“

2.6

In zahlreichen EU-Mitgliedstaaten wurde mittlerweile formell ein Nationaler Rat für nachhaltige Entwicklung eingerichtet. Angesichts der unterschiedlichen historischen Entwicklungen in den Mitgliedstaaten ist das Spektrum der nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung in der EU sehr breit gefächert. So gibt es in 24 Mitgliedstaaten irgendeine Form eines Rates für nachhaltige Entwicklung oder Umweltpolitik. In acht dieser Mitgliedstaaten wurde ein eigener Rat für nachhaltige Entwicklung eingerichtet, in sechs Mitgliedstaaten befassen sich Umwelträte, denen Interessenträger oder Experten angehören, mit dem Thema nachhaltige Entwicklung. Einige Mitgliedstaaten verfügen über Koordinierungsstellen der Regierung, so genannte Räte, wobei in einige auch Vertreter der Zivilgesellschaft eingebunden sind. Einige dieser Gremien sind allerdings untätig. In anderen Mitgliedstaaten, in denen die Regionen über umfassende Befugnisse verfügen, wurden zusätzlich zu den Nationalen Räten noch regionale Räte eingerichtet (2). Die schnelle Zunahme der Zahl an Nationalen Räten für nachhaltige Entwicklung zeigt, dass sie Potenzial aufweisen und einen Mehrwert für die politische Entscheidungsfindung und die Debatte in der breiten Zivilgesellschaft beisteuern könnten.

2.7

In dieser Stellungnahme sollen Rolle, Aufgabenbereich, Zusammensetzung, Ressourcen und Arbeitsmethoden der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung und vor allem die Einbindung der Zivilgesellschaft in ihre Arbeit erörtert werden. In gewissem Maße soll ferner die Wirksamkeit dieser Nationalen Räte bewertet werden, auch wenn nicht vergessen werden darf, dass eine derartige Bewertung stets subjektiv gefärbt ist. Diese Bewertung wird insbesondere anhand von Forschungsarbeiten des Netzwerks europäischer Beratungsgremien für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung sowie der Ergebnisse einer Umfrage vorgenommen, die der Ausschuss in Form eines Fragebogens bei einigen einschlägigen nationalen Anlaufstellen, Nationalen Räten für nachhaltige Entwicklung und Organisationen der Zivilgesellschaft durchgeführt hat. Ferner wurden Interviews mit zahlreichen Vertretern von Nationalen Räten für nachhaltige Entwicklung und der Zivilgesellschaft geführt.

3.   Übersicht über die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung

3.1

Aus der folgenden Übersicht über die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung ergibt sich ein breit gefächertes Bild.

Der Aufgabenbereich der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung

3.2

Es könnten vier Hauptaufgaben der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung ermittelt werden:

Beratung von Regierungsgremien (Hilfestellung bei der Formulierung von Strategien für die nachhaltige Entwicklung oder Erstellung von Berichten zu bestimmten Politikbereichen);

Überwachung der Fortschritte bei der Umsetzung der Strategien für nachhaltige Entwicklung oder bei der Verwirklichung bestimmter Ziele und „Watchdog“-Funktion;

Förderung des Dialogs mit und Anhörung der Zivilgesellschaft (Einbindung von Vertretern der Zivilgesellschaft in die Arbeiten der Nationalen Räte als deren Mitglieder und Förderung des Dialogs untereinander und mit Regierungsvertretern);

Vermittlung der nachhaltigen Entwicklung (Abhaltung öffentlicher Veranstaltungen und Veröffentlichung von einschlägigen Informationen im Internet, in den Medien usw.).

3.2.1

Diese vier Aufgaben werden nicht von allen Nationalen Räten für nachhaltige Entwicklung in den Mitgliedstaaten wahrgenommen. In einigen Mitgliedstaaten ist ihr Auftrag viel begrenzter; in anderen wiederum wurden die Nationalen Räte zwar mit diesen Aufgaben betraut, doch erfüllen sie diese nur teilweise oder gar nicht. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass einige Nationale Räte sehr selten (zwei- oder dreimal im Jahr) zusammentreten. Andere halten hingegen öfter Sitzungen ab und haben zusätzliche Arbeitsgruppen eingerichtet (wobei für ein bestimmtes Vorhaben eingesetzte Projektteams effizienter scheinen als statische, themengebundene Gruppen. In einigen Mitgliedstaaten wird den Nationalen Räten die Möglichkeit eingeräumt, sich zu einem frühen Zeitpunkt in die Gestaltung der nationalen Strategie für nachhaltige Entwicklung einzubringen, wohingegen in anderen Mitgliedstaaten diese Mitwirkung erst in einem späten Stadium erfolgt oder gar nicht gefragt ist. Auch die Zahl der von den Nationalen Räten erstellten Berichte ist unterschiedlich und reicht von null bis zehn pro Jahr. Die gut etablierten Nationalen Räte arbeiten auf regelmäßiger Basis mit den betroffenen Akteuren zusammen und halten öffentliche Veranstaltungen oder Sitzungen von Sachverständigen ab.

Größe und Zusammensetzung der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung

3.3

Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung unterscheiden sich auch in Bezug auf Größe und Zusammensetzung. Die Anzahl der Mitglieder variiert zwischen 15 in Deutschland und 78 in Belgien, 81 in Finnland sowie 90 in Frankreich. Die meisten Nationalen Räte zählen auch Vertreter der Zivilgesellschaft zu ihren Mitgliedern (Unternehmen, Gewerkschaften, NGO und Forschungseinrichtungen). Teilweise sind auch Ministerien vertreten. In manchen Mitgliedstaaten wird die Koordinierungsstelle der Regierung als „Rat“ bezeichnet, der auch eine kleine Zahl an betroffenen Akteuren angehören kann. Lokale und regionale Gebietskörperschaften sind oftmals ebenfalls vertreten. Einige Vertreter der Zivilgesellschaft haben ihren Unmut über die ungenügende Einbindung der Zivilgesellschaft in den Nationalen Rat für nachhaltige Entwicklung ihres Mitgliedstaates und in Fragen der nachhaltigen Entwicklung im Allgemeinen zum Ausdruck gebracht.

Grad der Unabhängigkeit

3.4

Da die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung von den Regierungen eingerichtet und finanziert werden, besteht in dieser Hinsicht eine gewisse „Abhängigkeit“. Um sowohl von den Regierungsbehörden als auch den Organisationen der Zivilgesellschaft anerkannt zu werden, müssen diese Nationalen Räte eine ausreichende Unabhängigkeit aufweisen, was einen schwierigen Balanceakt erfordert. Es gibt verschiedene Verfahren für die Besetzung; im Allgemeinen ernennt die Regierung die Mitglieder auf Vorschlag der in dem Nationalen Rat vertretenen Organisationen der Zivilgesellschaft. Ähnlich wird beim Personal der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung verfahren — in einigen Mitgliedstaaten werden die Mitarbeiter von Regierungsbehörden abgestellt. Dies kann jedoch den Grad der Unabhängigkeit der Nationalen Räte beeinträchtigen. Auch wird in einigen Nationalen Räten der Vorsitz von einem Regierungsmitglied wahrgenommen.

Ressourcen

3.5

Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung sind sowohl in Bezug auf die Human- als auch die Finanzressourcen sehr unterschiedlich ausgestattet. In Mitgliedstaaten, in denen das Sekretariat in einem Ministerium angesiedelt ist, gibt es teilweise nur einen Verwaltungsbeamten, der oftmals nicht die ganze Zeit für den Nationalen Rat arbeitet. Der Personalstand variiert von weniger als einem bis ca. 20 Mitarbeiter. Mit 58 Mitarbeitern ist der Nationale Rat für nachhaltige Entwicklung des Vereinigten Königreichs personalmäßig am besten ausgestattet. Nicht alle Nationalen Räte verfügen über einen eigenen Haushalt. Der zur Verfügung stehende Betrag liegt zwischen weniger als 0,1 bis ca. 1 Mio. EUR — mit Ausnahme des Nationalen Rates für nachhaltige Entwicklung des Vereinigten Königreichs, der mit einem Haushalt in Höhe von 5,5 Mio. EUR wirtschaftet.

Resonanz

3.6

Die Resonanz der Arbeiten der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung lässt sich nur schwer bewerten, allerdings können aus den eingegangenen Informationen einige Schlussfolgerungen gezogen werden. So sind offenbar in einigen Mitgliedstaaten, in denen die Nationalen Räte über ein starkes Mandat verfügen, zahlreiche der von den Nationalen Räten ausgesprochenen Empfehlungen in die Regierungsarbeit eingeflossen, insbesondere in die nationale Strategie für nachhaltige Entwicklung. Einige Nationale Räte verfügen über einen „guten Draht“ zu den Ministern und Ministerien und werden regelmäßig in die Politikgestaltung einbezogen. Andere werden jedoch auf Abstand gehalten. Einigen Nationalen Räten ist es gelungen, zahlreiche betroffene Akteure und die breite Öffentlichkeit zu erreichen, da ihre Veranstaltungen eine hohe Teilnahmequote verzeichnen, wodurch eine umfassende Teilhabe der Zivilgesellschaft an der nachhaltigen Entwicklung gewährleistet wird.

Bewertung

3.7

Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung können mächtige und einflussreiche Akteure für die nachhaltige Entwicklung sein. Sie können unabhängigen Rat erteilen und breit gefächerten Sachverstand bieten und sind in der Lage, den Dialog mit der Zivilgesellschaft und den betroffenen Akteuren zur nachhaltigen Entwicklung zu fördern. Sie können außerdem als wichtige Aufgabe die Überwachung der Fortschritte bei der Verwirklichung der längerfristigen Ziele im Bereich Nachhaltigkeit und eine zweckdienliche „Watchdog“-Funktion übernehmen.

3.8

Während es in einigen Mitgliedstaaten keinen oder nur einen untätigen Nationalen Rat gibt, unterscheiden sich die funktionierenden Nationalen Räte grundlegend in Bezug auf Aufgabenbereich, Zusammensetzung, Unabhängigkeit, Ressourcen und auch die Resonanz auf ihre Arbeit. Dies ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, u. a. Größe und politische Struktur des Mitgliedstaates, Stellenwert, der der nachhaltigen Entwicklung seitens der Regierung eingeräumt wird, Tradition der Einbindung der Zivilgesellschaft, das mögliche Bestehen weiterer Gremien, die den Aufgabenbereich des Nationalen Rates teilweise abdecken, die Bereitschaft der Regierung, sich Ratschläge erteilen zu lassen.

3.9

In einigen Mitgliedstaaten wird das Potenzial der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung nicht ausgeschöpft. In anderen scheint der Nationale Rat eher Augenwischerei zu sein als Ausdruck eines echten Interesses am Beitrag der Zivilgesellschaft. In zahlreichen Mitgliedstaaten sind die Nationalen Räte allerdings gut etabliert; sie können ihre Rolle erfüllen und finden echte Resonanz.

3.10

Die meisten Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung verfügen offenbar nicht über ausreichende Ressourcen, um die ihnen übertragenen Aufgaben wahrzunehmen. Es bedarf erheblicher Finanz- und Humanressourcen, um Daten zu sammeln, Maßnahmen und ihre Auswirkungen zu untersuchen, die Sitzungen der Nationalen Räte und öffentliche Veranstaltungen zu organisieren, fundierte Berichte zu erstellen und diese aktiv der Regierung und anderen Stellen zu vermitteln.

3.11

In einigen Mitgliedstaaten haben die Regierungen augenscheinlich einen sehr starken Einfluss, z. B. in Bezug auf die Ernennung der Mitglieder, die Zahl an Regierungsvertretern und die Mitarbeiter des Nationalen Rates. In diesem Fall besteht eine gewisse Gefahr, dass die Arbeit des Nationalen Rates vom Regierungsstandpunkt beeinflusst wird und es unwahrscheinlich ist, dass der Rat der Regierung dabei helfen kann, über kurzfristigere politische Interessen hinauszugehen und langfristigere Nachhaltigkeitsziele anzustreben.

3.12

Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung haben gemischte Erfahrungen bei der Förderung der Einbindung der Zivilgesellschaft in Fragen der nachhaltigen Entwicklung gemacht. Durch die Ermittlung bewährter Verfahren könnten sie europaweit diesbezüglich viel von einander lernen.

3.13

Zahlreiche Aspekte der nachhaltigen Entwicklung fallen in den geteilten Zuständigkeitsbereich der EU und der Mitgliedstaaten. Allerdings verfügen die meisten Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung nicht über ausreichende Voraussetzungen, um sich auf die europäischen Fragen zu konzentrieren oder Einfluss in Brüssel auszuüben. Diese Problematik wurde teilweise durch die Einrichtung des Netzwerks europäischer Beratungsgremien für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung angegangen, das sich immer mehr Gehör in Sachen nachhaltiger Entwicklung in Europa verschafft.

4.   Empfehlungen

4.1

Angesichts der positiven Erfahrungen in den Mitgliedstaaten, die über einen „starken“ Nationalen Rat für nachhaltige Entwicklung verfügen, fordert der Ausschuss alle Mitgliedstaaten auf, ihre Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung zu stärken bzw. „starke“ Räte überhaupt erst einzusetzen.

4.2

Da Zusammensetzung, Mandat und Aufgaben der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung je nach örtlichen Bedingungen und politischen Strukturen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind, empfiehlt der Ausschuss, dass die Mitgliedstaaten den folgenden allgemeinen Empfehlungen für die Schlüsselaspekte der Nationalen Räte große Aufmerksamkeit widmen.

4.2.1

Mitgliedschaft: Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung verfügen über mehr Einfluss und Glaubwürdigkeit, wenn ihnen Vertreter aller wichtigen Bereiche der Gesellschaft angehören, die sich mit der nachhaltigen Entwicklung befassen. Je breiter die Zusammensetzung der Räte gefächert ist, desto eher können Lösungen gefunden werden, die auf breite Akzeptanz stoßen.

4.2.2

Mandat und Vision: Für die Verwirklichung der Nachhaltigkeit müssen die politischen Entscheidungsträger eine langfristige Sichtweise entwickeln und die Bedürfnisse der künftigen Generationen wie auch der Erde insgesamt sowie unmittelbare und kurzfristige politische Überlegungen berücksichtigen. Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung können eine wichtige Rolle für die Vermittlung dieser auf lange Sicht angelegten Vision übernehmen. Damit sie diese Rolle allerdings wirksam wahrnehmen können, müssen ihre Mitglieder über Zielorientierung, Einfluss und Ansehen in der Gesellschaft verfügen; sie müssen in der Lage sein, einen unabhängigen Standpunkt einzunehmen und bestehende politische Maßnahmen und Praktiken in Frage zu stellen.

4.2.3

Unabhängigkeit: Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung könnten mehr Einfluss zur Sicherstellung einer nachhaltigeren Entwicklung ausüben, wenn sie in ausreichendem Maße regierungsunabhängig wären und heikle politische Fragen aufgreifen könnten, bei denen womöglich kurzfristigere politische Interessen mit langfristigeren Nachhaltigkeitserfordernissen kollidieren könnten.

4.2.4

Tragweite: Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung sollten bei der Formulierung von Strategien für die nachhaltige Entwicklung (und damit verbundenen Strategien) bereits zu einem frühen Zeitpunkt und bei der Überwachung ihrer Durchführung eine wichtige Aufgabe erfüllen. Das bedeutet, dass sie sich zu zahlreichen Nachhaltigkeitsfragen äußern, als da wären: Klimawandel, Energie- und Verkehrspolitik, Schutz der biologischen Vielfalt, ländliche Entwicklung und Landwirtschaft, nachhaltiges gesamtwirtschaftliches Management usw. Die Nationalen Räte sind wahrscheinlich am leistungsfähigsten, wenn sie in der Lage sind, sowohl den Ersuchen der Regierungen, spezielle Fragen zu untersuchen, nachzukommen als auch aus eigener Initiative andere Themen aufzugreifen, die ihrer Meinung nach wichtig sind.

4.2.5

Informationszugang: Um gute Arbeit zu leisten, müssen Nationale Räte für nachhaltige Entwicklung in die Lage versetzt werden, Zugang zu allen relevanten Daten sowie zu Informationen und konzeptionellen Erläuterungen der Regierung zu haben.

4.2.6

Förderung der Einbindung der Zivilgesellschaft in Fragen der nachhaltigen Entwicklung: Eine wichtige Aufgabe der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung ist es, die Bürger zu sensibilisieren. Sie können die zuständigen Stellen sinnvoll dabei unterstützen, die Dimension der nachhaltigen Entwicklung zum Bestandteil der Lehr- und Unterrichtspläne der formalen und informalen Bildung zu machen. Außerdem können sie ein breiteres Verständnis dieser Themen über die Medien fördern. Die Veröffentlichung eines jährlichen Nachhaltigkeitsberichts durch die Nationalen Räte könnte das Thema noch stärker ins Lampenlicht rücken und die öffentliche Debatte ankurbeln.

4.2.7

Ressourcen: Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, eine ausreichende Finanzierung der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung sicherzustellen, damit diese ihren Aufgaben nachkommen und einen echten Mehrwert in den Debatten und in der Beschlussfassung in Bezug auf Fragen der Nachhaltigkeit bieten können.

4.2.8

Europäisches Engagement: Der Ausschuss legt den Nationalen Räten für nachhaltige Entwicklung nahe, ihre Erfahrungen zusammenzutragen, bewährte Verfahren auszutauschen und einen offenen Dialog zwischen den Nationalen Räten zu führen, insbesondere durch die Stärkung des Netzwerks europäischer Beratungsgremien für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung. So würde ein starker europäischer Anwalt für nachhaltige Entwicklung entstehen.

4.3

Der Ausschuss spricht außerdem die Empfehlung aus, dass die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung ihre Fähigkeit ausbauen sollten, individuell wie auch als Gruppe mit den europäischen Institutionen in europäischen Aspekten der nachhaltigen Entwicklung aus Sicht der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten. Der Ausschuss — und insbesondere die Beobachtungsstelle für nachhaltige Entwicklung (BNE) — könnte einen nützlichen Beitrag zu einer stärkeren Einbindung der Nationalen Räte in Fragen der Nachhaltigkeit auf europäischer Ebene leisten. Der Ausschuss könnte eine regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Netzwerk europäischer Beratungsgremien für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung zu künftigen Fragen ins Auge fassen, europaweite vergleichende Studien zu derartigen Fragen unter besonderer Berücksichtigung des Beitrags und der Rolle der Zivilgesellschaft unterstützen und für bewährte Verfahren werben.

4.4

Der Ausschuss betont, dass eine breite Mitwirkung der Öffentlichkeit in Fragen der nachhaltigen Entwicklung auch außerhalb des Rahmens der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung wesentlich ist. Er fordert daher alle Entscheidungsträger auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene auf, Vertreter der Zivilgesellschaft in alle nachhaltigkeitsrelevanten politischen Beschlüsse einzubinden. Es gibt keinerlei Leitlinien mit Mindestnormen für bewährte Verfahren zur Einbindung der Bürger. Zur Förderung ihrer Partizipation sollten nach Ansicht des Ausschuss ein regelmäßiges Benchmarking oder die Auszeichnung bewährter Verfahren durchgeführt werden. Die Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung sollten auch um eine enge Zusammenarbeit mit den sonstigen Organisationen und Einrichtungen bemüht sein, die sich mit der nachhaltigen Entwicklung in ihren Mitgliedstaaten befassen, beispielsweise den nationalen Wirtschafts- und Sozialräten. Allerdings gibt es keine Zeitlinien für Mindestnormen an bewährten Verfahren zur Einbindung der Öffentlichkeit.

4.5

Abschließend betont der Ausschuss, dass die Arbeit der Nationalen Räte für nachhaltige Entwicklung nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Regierungen bereit sind, ihren Ratschlag anzuhören und anzunehmen und konkrete Maßnahmen ergreifen, um die nationale Politik auf Nachhaltigkeit auszurichten und die notwendigen Finanzmittel bereitzustellen.

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung, Schlussfolgerungen des Ratsvorsitzes vom 26. Juni 2006.

(2)  Siehe Quellenangaben am Ende der Stellungnahme.


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/33


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen“

KOM(2007) 269 endg.

(2008/C 120/08)

Die Europäische Kommission beschloss am 22. Mai 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 31. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr Adams.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen auf internationaler und regionaler Ebene, um derzeit übliche, nicht hinnehmbare Praktiken der Schiffsabwrackung so bald wie möglich zu ändern.

1.2

Gegenwärtig werden in der internationalen Schiffsabwrackindustrie die unterschiedlichsten Praktiken angewandt: Das Spektrum reicht von sicheren, gut kontrollierten Trockendock-Abwrackeinrichtungen bis hin zum Abwracken an Stränden, wo Schiffe in Handarbeit unter minimalen Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltschutzbedingungen zerlegt werden. Heutzutage endet die letzte Fahrt der meisten Handelsschiffe auf einem dieser Strände in Südasien. Weltweit herrscht ein großer Mangel an Schiffsabwrackkapazitäten, die dem Grundsatz der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit gerecht werden.

1.3

Dass eine Verschärfung der Situation eintreten wird, wenn in den kommenden Jahren „große Schiffsjahrgänge“ aufgrund der weltweiten Ausmusterung von Einhüllentankern außer Dienst gestellt werden, gibt aus Sicht des Ausschusses Anlass zur Sorge. Dazu trägt auch noch der derzeitige Rückstau von geschätzten 15 Millionen Leertonnen (LDT) (1) sowie die aktuelle Hochkonjunktur im Schiffbau bei. Ein großer Teil des zusätzlichen Abwrackbedarfs in den nächsten Jahren ist auf Maßnahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) zurückzuführen; die IMO wurde auf Veranlassung der EU tätig, die ihre Umwelt schützen will; von daher hat die EU hier eine klare Verantwortung zum Handeln.

1.4

Der Ausschuss stellt fest, dass einige Schiffseigner die Kosten für eine sichere, sachgemäße Abwrackung ausgemusterter Schiffe nicht in ihren Betriebskostenkalkulationen berücksichtigen, wenngleich zu sagen ist, dass ein großer Teil von ihnen (2) den diesbezüglichen Handlungsbedarf erkennt und zunehmend freiwillige Maßnahmen ergreift.

1.5

Der Ausschuss merkt außerdem an, dass es zwar EU-Rechtsvorschriften gibt, die eine Schiffsverbringung zum Zweck der Abwrackung an einen Ort, der nicht über adäquate Einrichtungen verfügt, untersagen, diese Vorschriften jedoch leicht umgangen werden können. Der EWSA hat sich mehrfach — aktuell in seiner Stellungnahme (3) vom März 2007 zum Grünbuch über „Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union“ — dafür ausgesprochen, dass die Mitgliedstaaten umgehend die internationalen Übereinkommen über Seeverkehrssicherheit und Umweltschutz ratifizieren und ihre ordnungsgemäße Durchsetzung sicherstellen.

1.6

Der Ausschuss räumt ein, dass die Abwrackung von Altschiffen eine komplexe Problematik ist, denn sie bringt den Entwicklungsländern, die niedrige Abwrackungskosten anbieten können, viele Arbeitsplätze und ist eine wichtige Rohstoffquelle für sie. Gleichzeitig ist sich der Ausschuss der strukturellen Armut sowie anderer sozialer und rechtlicher Probleme im südasiatischen Raum bewusst, die wesentlich für das Nichtvorhandensein oder die Missachtung selbst elementarster Arbeitsschutzstandards, Arbeits- und Umweltnormen verantwortlich sind.

Empfehlungen des EWSA

1.7

Ein wirkungsvolles internationales Prozedere für die Identifikation, die Kontrolle und die Abwrackung von Altschiffen sollte in der Regie der IMO geschaffen werden. Ein solches Verfahren muss durch angemessene Kontrollen, die denjenigen des Basler Übereinkommens vergleichbar sind, durchgesetzt werden und alle relevanten Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) umfassen, Ausnahmeregelungen ausschließen und verhindern, dass mit gefährlichen Reststoffen belastete Altschiffe in Länder verbracht werden, die keine Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens sind und die über unzureichende Abwrackeinrichtungen verfügen.

1.8

Bis dieses IMO-Übereinkommen umgesetzt wird, dürften jedoch noch Jahre vergehen, weshalb:

effektive Programme der Schiffseigner auf freiwilliger Basis zur Minderung der mit dem Abwracken verbundenen Probleme unterstützt und gefördert werden sollten;

die Europäische Union ihre bestehende Rechtsetzung eindeutig anwenden sollte, indem sie die Verordnung über die Verbringung von Abfällen durchsetzt. Es sollten umgehend Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass Hafenstaaten ein Schiff als „Altschiff“ einstufen dürfen und ein Leitfaden zur Klärung der Ausdrücke „zur Beseitigung bestimmt“ und „Ausfuhrstaat“ herausgegeben werden kann. Weiterhin fordert der EWSA die Kommission auf, unverzüglich zusätzliche Maßnahmen zu planen und umzusetzen, um Umgehungspraktiken zu unterbinden, wie etwa das Erfordernis einer Sicherheitsleistung für Schiffe, die älter als 25 Jahre sind oder als hochriskant eingestuft werden, und die Kopplung weiterer Schifffahrtsbeihilfen an die Verwendung „grüner“ Abwrackstätten und/oder Vorreinigungsmöglichkeiten;

die EU sollte eine durch Dritte vorzunehmende Zertifizierung und Betriebsprüfung für sichere und umweltgerechte Schiffsabwrackeinrichtungen entwickeln. Diese Forderung aus Schiffseignerkreisen ist als Beitrag zur Transparenz und zur Schaffung gleicher Bedingungen für alle zu verstehen.

1.9

Der EWSA spricht sich eindringlich dafür aus, bewährte Praktiken des Schiffsrecyclings und der Vorreinigung von gasförmigen und giftigen Abfallstoffen innerhalb der EU zu unterstützen. Ein Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten, sämtliche staatseigenen Schiffe einer solchen Behandlung zu unterziehen, und bindende Klauseln beim Altschiffverkauf an Dritte sind wesentliche erste Schritte zur Flankierung dieses Ansatzes. Durch die Vorreinigung von Schiffen vor der Ausfuhr kann ein Weg gewiesen werden, wie „sauberer“ Sekundärstahl nach Südasien gelangen kann, wo rege Nachfrage herrscht. Zu diesem Zweck sollte ein Leitfaden für die Vorreinigung der Schiffe ausgearbeitet werden.

1.10

Mit finanziellem und technischem Beistand für die Staaten Südasiens zur Verbesserung ihrer Abwrackeinrichtungen, sodass zumindest die Abwrackungen nicht mehr am Strand ausgeführt werden, sondern an der Pier oder im Trockendock, wo es Auffangvorrichtungen gibt, und durch die Bereitstellung besserer Sicherheitseinrichtungen und Anlagen zur anschließenden Abfallbehandlung könnten einige der gröbsten Missstände beseitigt werden.

1.11

Dem EWSA ist bewusst, dass durch wirkungsvolle Abhilfemaßnahmen zusätzliche Kosten entstehen. Er unterstützt die von der Kommission vorgeschlagenen Mechanismen zur Einkalkulierung dieser Kosten in die normalen Betriebskosten der Schiffe. Weitere Schritte werden insbesondere von der IMO und den Schiffseignern dahin gehend angemahnt, dass ein Recyclingfonds für jedes Schiff eingerichtet wird, der entweder im Laufe der Nutzungsdauer des Schiffs nach und nach eingezahlt oder in Form einer Sicherheitsleistung beim Stapellauf hinterlegt wird. Eine Reihe von Finanzinstituten wäre in der Lage, derartigen Maßnahmen Gestalt zu geben und sie umzusetzen. Kommt es nicht zur Schaffung eines solchen Fonds, sollte die EU regionale Lösungen, darunter Hafenstaatgebühren o.ä., prüfen.

1.12

Eine recyclingfreundliche Bauweise, die Bestandsaufnahme bestehender Gefahrenquellen und die möglichst weitgehende Vermeidung toxischen Materials schon beim Bau eines Schiffes würden sich langfristig positiv auswirken. Der Ausschuss begrüßt einschlägige Bemühungen der EU, der IMO sowie der Schiffseigner und der Werften.

2.   Einleitung

2.1

Der Hintergrund dieser Stellungnahme ist die Lage in der internationalen Schifffahrt und die Praxis der weltweiten Verbringung von Abfällen. Jedes Jahr werden zwischen 200 und 600 Hochseeschiffe abgewrackt, deren Stahl und sonstige Rohmaterialien der Wiedergewinnung zugeführt werden. Diese Arbeit wird überwiegend an den Stränden südasiatischer Staaten unter weitgehender Missachtung der Sicherheit der Arbeitnehmer und des Umweltschutzes ausgeführt. In den nächsten acht Jahren werden schätzungsweise 5,5 Mio. Tonnen gefährliche Stoffe aus Altschiffen — vor allem Ölschlamm, Öle, Anstriche, PVC und Asbest — in diesen Abwrackwerften anfallen.

2.2

Keine der Abwrackstätten auf dem indischen Subkontinent verfügt über Auffangeinrichtungen, die eine Verseuchung von Boden und Wasser verhindern, und die Abfallbehandlung entspricht in aller Regel nicht einmal den elementarsten Umweltnormen. Bedingt durch die niedrigen Sicherheitsstandards kommt es häufig zu Unfällen, wozu noch die langfristigen Gesundheitsrisiken für die Arbeiter kommen, die ohne ausreichende Schutzvorkehrungen mit toxischen Materialien arbeiten müssen (4).

2.3

Die Verbringung von Altschiffen aus Industrieländern in Entwicklungsländer unterliegt dem internationalen Abfallverbringungsrecht, und die Ausfuhr toxisch belasteter Schiffe aus der EU ist nach der EG-Abfallverbringungsverordnung untersagt. Jedoch werden durch die Veräußerung an Schiffsmakler und durch Ausflaggen Besitzverhältnisse und Haftungsfragen verschleiert, was die Durchsetzung der bestehenden Rechtsvorschriften erschwert und verantwortungslosen Reedern Schlupflöcher eröffnet, durch die sie sich ihrer Verantwortung entziehen können.

2.4

Ein Lösungsansatz dürfte der Ausbau von Kapazitäten in der EU sein. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, und diese Kapazitäten könnten zunächst für Kriegsschiffe und andere in staatlichem Besitz befindliche Schiffe eingesetzt werden. Dennoch dürfte von den bis 2020 abzuwrackenden, geschätzten 105 Millionen Leertonnen (LDT) wohl kaum mehr als ein Bruchteil bearbeitet werden können (5).

2.5

Mit dem Grünbuch werden somit intensiv Wege sondiert, wie die Standards in Übereinstimmung mit der erwähnten geltenden europäischen und internationalen Rechtsetzung kosteneffizient und umfassend angehoben werden können.

3.   Zusammenfassung des Grünbuchs

3.1

In seinen Schlussfolgerungen vom 20. November 2006 bezeichnete der Rat der Europäischen Union die umweltgerechte Abwrackung von Schiffen als eine Priorität der EU. Die Kommission hat ihre Position bereits im Juni 2006 im Grünbuch zur künftigen Meerespolitik der EU dargelegt (6); demnach soll die künftige europäische Meerespolitik internationale Initiativen für bindende Mindestnormen im Schiffsrecycling und die Schaffung „sauberer“ Recyclinganlagen unterstützen.

3.2

Im Grünbuch werden neue Ideen für die Fortsetzung und Vertiefung der Gespräche mit den Mitgliedstaaten und Interessenträgern vorgestellt, die Vorarbeit für künftiges Handeln geleistet sowie Antworten auf eine Reihe wichtiger Fragen gesucht, die die Kernprobleme aufzeigen.

3.3

Im Vordergrund steht der Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit; es geht keineswegs darum, das Geschäft mit dem Schiffsrecycling in großem Maßstab künstlich in die EU zurückzubringen und die Länder in Südasien einer wichtigen Einkommens- und Rohstoffquelle zu berauben. Letztendlich sollen weltweit nachhaltige Lösungen gefunden werden.

3.4

Die gegenwärtige Kapazität des umwelt- und gesundheitsgerechten Schiffsrecyclings beläuft sich weltweit auf höchstens 2 Millionen Tonnen pro Jahr, was 30 % des prognostizierten Gesamtverschrottungsbedarfs normaler Jahre entspricht. Die meisten dieser Betriebe — insbesondere in China, aber auch in einigen EU-Mitgliedstaaten — können nicht dieselben Schrottpreise bieten, da sie viel höhere Kosten als ihre Wettbewerber in Südasien haben. Diese und (alle anderen) Betriebe dürften schon bald unter Druck geraten, da bis 2015 schätzungsweise 1 300 Einhüllentanker infolge der Maßnahmen nach den Havarien der Tanker Erika und Prestige ausrangiert werden müssen (7). Große Sorge bereitet vor allem die Anwerbung gering qualifizierter Arbeitnehmer zur Bewältigung des stark zunehmenden Auftragsbergs, denn dies lässt eine abermalige Absenkung der Sicherheits- und Umweltstandards befürchten. Eine Nachfragespitze für Schiffsrecyclingkapazitäten wird für das Jahr 2010 erwartet, wenn rund 800 Einhüllentanker zur Verschrottung ausrangiert werden dürften. Daraus ergibt sich ein dringender Handlungsbedarf.

3.5   Die Rechtslage

Mit dem Basler Übereinkommen von 1989 liegt ein Rechtsrahmen vor, der die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle regelt. 1997 wurde das absolute Ausfuhrverbot für gefährliche Abfälle aus OECD-Ländern in Nicht-OECD-Länder („Basel-Verbot“) (8) in EU-Recht übernommen, wodurch es für die Mitgliedstaaten bindend wurde. Hat ein Schiff aber erst einmal die europäischen Gewässer verlassen, erweist sich die Anwendung dieses Ausfuhrverbots als sehr schwierig. Weitere verbindliche Vorschriften für die Schiffsabwrackung werden für den Entwurf der Konvention, die im IMO-Rahmen im Gespräch ist, angeregt, doch herrscht die Meinung vor, dass der größte Ansturm auf die Abwrackkapazitäten längst vorbei sein wird, ehe die Konvention in Kraft tritt.

3.6   Wirtschaftliche Aspekte der Schiffsabwrackung

Das Gros der Schiffe wird in Südasien abgewrackt, weil es aus verschiedenen wirtschaftlichen Gründen vorteilhaft ist. Die wichtigsten sind:

weniger oder unzureichend durchgesetzte Rechtsvorschriften in den Bereichen Abfall, Gesundheit und Sicherheit;

weitaus geringere Lohnkosten. Bei der Abwrackung am Strand kann kein schweres Gerät eingesetzt werden, weshalb die menschliche Arbeitskraft einer der größten Kostenpunkte bleibt;

der Auftragseingang ist unregelmäßig und uneinheitlich. Schiffe werden oft zu Zeiten niedriger Frachtraten außer Dienst gestellt, und sie unterscheiden sich nach Konstruktion und Zusammensetzung wesentlich;

in den OECD-Ländern gibt es so gut wie keinen Markt für Schrott und gebrauchte Schiffsausrüstungen, was mit den Auflagen zusammenhängt.

Im Kern stellt die Kommission fest, dass der Markt in Südasien aufgrund der extremen Externalisierung der Kosten funktioniert, mit höchst problematischen Folgen für die sozialen Bedingungen und die Umwelt.

3.7   Folgen für die Umwelt und soziale Auswirkungen

Die meisten Schiffsabwrackungen finden einfach auf Stränden statt, wo Schadstoffrückhaltung, Wiederaufarbeitung und Entsorgung Fremdwörter sind. Viele umweltschädliche Substanzen versickern im Erdreich oder im Sand oder sie werden ins Meer geschwemmt; die Verbrennung von Farben und Kunststoffbeschichtungen verpestet die Luft. Tödliche Explosionen sind nichts Ungewöhnliches, die Unfallziffern sind hoch und die Schutzmaßnahmen sind als vollkommen unzureichend zu bezeichnen. Viele Arbeiter ziehen sich irreversible chronische Krankheiten zu: Bei etwa 16 % der Arbeiter auf der indischen Abwrackstätte Alang, die mit Asbest umgehen, konnte Asbestose festgestellt werden. In Bangladesch kamen in den vergangenen 20 Jahren mehr als 400 Arbeiter bei Unfällen ums Leben, und mehr als 6 000 erlitten schwere Verletzungen (9).

3.8   Internationale Bestandsaufnahme

Seit 2005 arbeitet die IMO zusammen mit der ILO und dem UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) an verbindlichen internationalen Regeln für eine „saubere“ Schiffsabwrackung. Der Entwurf dieser Konvention befindet sich in der Verhandlungsphase und soll bis 2009 angenommen werden, dürfte allerdings erst Jahre später in Kraft treten. In diesem Entwurf werden Kriegsschiffe und Schiffe in staatlichem Besitz derzeit ausgenommen. Immer noch ungelöst sind Fragen über externe Nicht-IMO-Standards, grundlegende Normen für Schiffsrecyclinganlagen, Berichterstattungserfordernisse einschließlich der zwischenstaatlichen Notifizierung und Überwachungsmechanismen. Die Kommission sieht es als unwahrscheinlich an, dass die vorgeschlagene Konvention das Kontroll-, Rechtsdurchsetzungs- und Schutzniveau des Basler Übereinkommens erreichen wird.

3.9   Internationale Lösungen

Im Grünbuch wird davon ausgegangen, dass die beste mittel- bis langfristige Lösung darin zu sehen ist, die in Ausarbeitung befindliche IMO-Konvention zu unterstützen. Es besteht große Sorge, dass die Konvention nicht stark genug sein und zu spät kommen wird, um das Problem der abzuwrackenden Einhüllentankschiffe zu lösen, was eine Zwischenlösung erforderlich macht. Die Kommission schlägt daher Handlungsoptionen zur Verbesserung des Managements der Schiffsabwrackung in Europa vor, die so miteinander verzahnt sind, dass sie die Bemühungen auf internationaler Ebene flankieren — eine dringende Angelegenheit, da eine kritisch große Anzahl von Altschiffen schon in den nächsten Jahren zur Abwrackung anstehen wird.

3.10   Bessere Durchsetzung der europäischen Abfallverbringungsvorschriften

Neben der besseren Kooperation der Mitgliedstaaten und einer weiteren Präzisierung der Definition von Abfall und akzeptablen Recyclingmöglichkeiten gehört die bessere Rechtsdurchsetzung durch die für Abfallverbringung zuständigen Behörden und die Hafenbehörden in den europäischen Häfen dazu, wobei Schiffe ab einem gewissen Alter (z. B. 25 Jahre) oder Schiffe, bei denen Abwrackverdacht besteht, erfasst werden sollten. Zusätzlich muss die Registrierung von Altschiffen und die Zusammenarbeit mit wichtigen Drittländern (z. B. Ägypten aufgrund des Sueskanals) verbessert werden. Die Kommission schlägt zudem vor, das politische Augenmerk verstärkt auf die Abwrackung von Kriegsschiffen und anderer Schiffe im Staatsbesitz zu richten.

3.11   Stärkung der Abwrackkapazitäten in der EU

Da die Abwrackkapazitäten in der EU und den übrigen OECD-Ländern (insbesondere der Türkei) kaum für die in den nächsten 10 Jahren außer Dienst zu stellenden Kriegsschiffe und andere Schiffe im Staatsbesitz ausreichen werden, ist für die unmittelbare Zukunft ein gravierender Engpass bei den Kapazitäten für die geregelte Schiffsabwrackung zu erwarten. Doch die „grünen“ Abwrackbetriebe, die immerhin vorhanden sind, können nicht mit den Abwrackunternehmen Südasiens konkurrieren. Da bis zum Inkrafttreten wirkungsvoller internationaler Maßnahmen, die gleiche Bedingungen für alle schaffen, noch einige Zeit vergehen wird, regt die Kommission an, sich auf Maßnahmen für Schiffe im Staatsbesitz zu konzentrieren. Mitgliedstaaten, die beim Abwracken von Kriegsschiffen mit gutem Beispiel vorangehen, könnten dadurch helfen, die „grünen“ Kapazitäten auszulasten. Durch die Aufnahme einer vertraglichen Bestimmung über die Altschiffabwrackung beim Verkauf von Kriegsschiffen an Nicht-EU-Staaten kann diese Verantwortung entsprechend weitergegeben werden.

3.11.1

Bei der weitaus größeren Handelsflotte werden stärkere Handlungsimpulse nötig sein, um einen Wandel der derzeitigen Praktiken in der Schifffahrt herbeizuführen. So wäre beispielsweise ein Finanzierungssystem nötig, bei dem Schiffseigner und andere einen Beitrag zur sicheren und umweltfreundlichen Abwrackung von Schiffen weltweit leisten; dieser Gedanke wird nachstehend noch weiter ausgeführt.

3.12   Technische Hilfe, Technologietransfer und Weitergabe bewährter Praktiken an Recyclingstaaten

Trotz ernsthafter Bedenken hinsichtlich der sozialen Auswirkungen und der Umweltaspekte ist die Schiffsabwrackung ein wichtiger Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung verschiedener Länder Südasiens. Daher sollte in Erwägung gezogen werden, den Unternehmen dieser Länder durch technische Hilfe und wirkungsvolle rechtliche Maßnahmen bei der Modernisierung zu helfen. Gleichwohl wird erkannt, dass das Nichtvorhandensein oder die Nichtumsetzung elementarer Arbeits- und Umweltschutzmaßnahmen sehr stark mit der strukturellen Armut sowie mit anderen sozialen und rechtlichen Problemen verbunden ist. Um hier für eine dauerhafte Verbesserung zu sorgen, müsste jedwede Hilfe in einen größeren Zusammenhang eingebettet sein.

3.13   Förderung freiwilliger Maßnahmen

Schiffseigner wissen am besten, wie eine sichere Entsorgung gewährleistet werden kann, und so gibt es Beispiele für lobenswerte freiwillige Übereinkünfte zwischen europäischen Schiffseignern und Abwrackunternehmen, die Hilfen für Maßnahmen zur Modernisierung der Betriebe vorsehen. Kurzfristig wären auch positive Auswirkungen von der Förderung freiwilliger Verhaltenskodizes und Vereinbarungen zu erwarten, einschließlich der Vergabe von Auszeichnungen und einer Zertifizierung im Rahmen der sozialen Verantwortung der Unternehmen (10). Sozial verantwortliche Rechnungslegungspraktiken und freiwillige Vereinbarungen können sich als wirkungsvoll erweisen, wenn sie wohldurchdacht sind; sie wären jedenfalls der schnellste Weg zur Verbesserung der Situation. Zeigt sich aber, dass der Selbstverpflichtung keine praktischen Schritte folgen, könnten sich Rechtsetzungsinitiativen dennoch als unumgänglich erweisen.

3.14   Abwrackfonds

Die Frage ist, ob direkte Finanzhilfen für saubere Schiffsabwrackstätten in der EU oder für Schiffseigner, die ihre Schiffe zu „grünen“ Abwrackwerften schicken, sei es zur völligen Zerlegung oder zur Schadstoffbeseitigung, erwogen werden sollten. Dabei muss andererseits an die hohen Kosten solcher Hilfen und an die mögliche Unvereinbarkeit mit dem Verursacherprinzip gedacht werden. Deshalb wird im Grünbuch angeregt, die Einkalkulierung der nachhaltigen Abwrackung von Altschiffen in die Schiffsbetriebskosten zur üblichen Praxis zu machen.

3.14.1

Die Schaffung eines Fonds für die nachhaltige Schiffsabwrackung als verbindliches Element eines neuen internationalen Regelwerks für die Schiffsabwrackung über die IMO könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein. Der im Rahmen des MARPOL-Übereinkommens bestehende Ölverschmutzungsfonds ist diesbezüglich richtungsweisend.

3.15   Weitere Optionen

Eine Reihe weiterer Maßnahmen könnte sich für die Modernisierung der Schiffsabwrackungsindustrie kurz- und mittelfristig als hilfreich erweisen. Im Wesentlichen geht es dabei um:

a)

das Gemeinschaftsrecht, insbesondere zu Einhüllentankern;

b)

die Straffung der Beihilfen für die Schifffahrt unter Verknüpfung mit umweltgerechter Schiffsabwrackung;

c)

die Schaffung eines europäischen Zertifizierungssystems für umweltgerechte Schiffsabwrackung und Auszeichnungen für vorbildliches grünes Recycling;

d)

die Intensivierung der internationalen Forschungen zur Schiffsabwrackung.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Das Recycling von Schiffen erfolgt oftmals im Widerspruch zu international akzeptierten Standards des Arbeits- und Umweltschutzes.

4.2

Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die EU sicherstellt, dass die von ihr geschaffenen seeverkehrs- und sicherheitsrechtlichen Bestimmungen, beispielsweise für Einhüllentanker, nicht dazu führen, dass diese Gefahren schlicht in Entwicklungsländer exportiert werden, sondern dass dieses Problem durch die uneingeschränkte Umsetzung der Abfallverbringungsverordnung, die das Basler Übereinkommen einschließlich des als Basler Ausfuhrverbot bekannten Zusatzes und seiner Grundsätze umfasst, tatsächlich angegangen wird.

4.3

Neben der technischen und finanziellen Hilfe zur Verbesserung der Bedingungen auf den Schiffsabwrackstätten der Entwicklungsländer werden Finanzmittel benötigt, um verseuchte Böden und Gewässer und sonstige Schäden aus unkontrollierter Abwracktätigkeit zu sanieren. Es ist jedoch auch weiterhin darauf hinzuweisen, dass der Art von Problemen, die für die Lage vor Ort in den Entwicklungsländern kennzeichnend sind, nicht einfach durch die Bereitstellung von besserer Technik beizukommen ist.

4.4

Der EWSA teilt die Sorge der Kommission hinsichtlich dieser Problematik und befürwortet ihre aus einem umfassenden Maßnahmenbündel bestehende Herangehensweise. Da bei den Abwrackbetrieben und den dortigen Bedingungen — insbesondere in Bangladesch — ein dringender Verbesserungsbedarf besteht, sollten rasche Fortschritte bei der Festlegung der effizientesten Gestaltung von Hilfe, Rechtsrahmen und Anreizen anvisiert werden, damit die Vorschläge in Form eines Weißbuchs formuliert und geeignete Folgenabschätzungen initiiert werden können. Die Schifffahrtsindustrie ist sich ebenfalls der Notwendigkeit bewusst, dass die Gesundheits- und Sicherheitsstandards der Schiffsrecyclingwerften weltweit verbessert werden müssen (11), und zeigt sich hinsichtlich der Rolle der EU sowie ihrer Einflussnahme auf die IMO aufgeschlossen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Im Sinne der Klarheit und der Prägnanz wurden die besonderen Bemerkungen, die sich aus den Arbeiten des Ausschusses zu diesem Thema ergeben, zu praktischen Handlungspunkten verdichtet und im Abschnitt „Schlussfolgerungen und Empfehlungen“ am Anfang dieser Stellungnahme (Ziffer 1.1 bis 1.12) dargelegt.

Brüssel, den 13. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Europäische Kommission, GD Umwelt: „Ship Dismantling and Pre-cleaning of Ships“ Abschlussbericht, Juni 2007.

(2)  Mitglieder von ICS, BIMCO, ESCA, INTERTANKO, die zusammen einen großen Teil des globalen Schiffsbestands kontrollieren.

(3)  ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 50.

(4)  Bericht der Organisation „Young Power in Social Action“ (YPSA) von 2005 über Arbeitnehmer in der Schiffsabwrackungsindustrie.

(5)  Europäische Kommission, Generaldirektion Umwelt: „Ship Dismantling and Pre-cleaning of Ships“, Abschlussbericht, Juni 2007.

(6)  KOM(2006) 275 endg., Brüssel, 7.6.2006.

(7)  Verordnung (EG) Nr. 417/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Februar 2002 zur beschleunigten Einführung von Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstruktionsanforderungen für Einhüllen-Öltankschiffe und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2978/94 des Rates.

(8)  Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (ABl. Nr. L 30 vom 6.2.1993, S. 1) (ab 12.7.2007 ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1013/2006).

(9)  Bericht der Organisation „Young Power in Social Action“ (YPSA) über Arbeitnehmer in der Schiffsabwrackungsindustrie, 2005.

(10)  Beispielsweise wie von „Marisec“ (www.marisec.org/recycling) und dem Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft entwickelt.

(11)  „Ship Recycling — The Way Forward“, BIMCO, ECSA, INTERTANKO, INTERCARGO.


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/38


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Anpassung an den Klimawandel in Europa — Optionen für Maßnahmen der EU“

KOM(2007) 354 endg.

(2008/C 120/09)

Die Europäische Kommission beschloss am 29. Juni 2007 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Grünbuch der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Anpassung an den Klimawandel in Europa — Optionen für Maßnahmen der EU“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 27. November 2007 an. Berichterstatter war Herr OSBORN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 127 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1

Der Klimawandel ist eine der größten globalen Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels durch Begrenzung der Treibhausgasemissionen sind oberste Priorität. Ebenso wichtig ist jedoch, rechtzeitig die Anpassungen an die Veränderungen zu planen, die inzwischen unvermeidbar sind. Das Grünbuch bietet Europa in der Auseinandersetzung mit diesem Problem eine willkommene Grundlage.

1.2

Der EWSA empfiehlt, jetzt als Rahmen eine übergeordnete europäische Anpassungsstrategie zu schaffen, in der dann die Maßnahmen abgesteckt werden, die auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene sowie durch andere Akteure zu ergreifen sind.

1.3

Nach Ansicht des EWSA sollten bei der Erarbeitung der europäischen und nationalen Anpassungsstrategien folgende Kernpunkte berücksichtigt werden:

Die Strategien sollten die Planung zu allen im Grünbuch genannten Themen umfassen, darunter Küstenschutz, Hochwasser und Dürre, Wasserressourcen, Brände, öffentliche Gesundheit, Landwirtschaft und biologische Vielfalt, Flächennutzungs- und Infrastrukturplanung, Gebäude- und Bausektor etc.

Der Anpassungsnotwendigkeit sollte in künftigen Programmen ein bedeutend höherer Anteil am Haushalt der Europäischen Union eingeräumt werden, und sie sollte in die Kriterien der Bewertung von Programmen und Projekten aufgenommen werden.

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sollten umfangreiche neue und zusätzliche Mittel zur Unterstützung der Entwicklungsländer bei Anpassungsmaßnahmen bereitstellen.

Die Klimaschutz- und Anpassungsstrategien müssen aufeinander abgestimmt werden und einander ergänzen. Bei der Festlegung von Prioritäten sollten Risikobewertung und -management entscheidende Instrumente sein.

Die europäische Forschung zu den Auswirkungen des Klimawandels und der Anpassung an diesen muss erheblich verstärkt werden.

Die europäische Zivilgesellschaft einschl. der Verbraucher und der allgemeinen Öffentlichkeit sollte stärker eingebunden werden, um die Öffentlichkeit für die Probleme des Klimawandels sowie für die Verhaltensänderungen zu sensibilisieren, die für die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an die mittlerweile unvermeidbaren Veränderungen erforderlich sind.

Es sollte ein unabhängiges Gremium eingerichtet werden, um Fortschritte bei Klimaanpassungs- und -schutzmaßnahmen zu überwachen und notwendige Aktionen sowie die Umsetzung eingegangener Verpflichtungen anzumahnen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Klimawandel ist eine der größten globalen Herausforderungen im 21. Jahrhundert.

2.2

Bisher konzentrierten sich die weltweiten Bemühungen hauptsächlich auf Versuche der Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels durch Begrenzung der Treibhausgasemissionen. Es tritt jedoch immer deutlicher zutage, dass allein die bisherigen Emissionen zu einem erheblichen Anstieg der Erwärmung der Atmosphäre und der Meere in diesem Jahrhundert und darüber hinaus führen werden. Dies wird sich stark auf das Klima und auf wetterbedingte Ereignisse sowie auf die natürliche und physische Umwelt in der ganzen Welt auswirken. Aus diesem Grunde müssen wir stärker als bisher auf die unvermeidlichen Auswirkungen der Erderwärmung und des Klimawandels sowie die bestmögliche Anpassung an diese eingehen.

2.3

Solche Maßnahmen dürfen jedoch den Bemühungen um eine Begrenzung der Emissionen zur Eindämmung eines weiteren Klimawandels nicht zuwiderlaufen. Im Gegenteil, ein hinreichendes Verständnis dessen, wie kompliziert die Anpassung werden könnte, sollte alle in ihrer Entschlossenheit bestärken, erhebliche Emissionsminderungen zu erreichen. Ein weiterer unkontrollierter Emissionsanstieg würde die künftigen Generationen zu einer sehr viel kostspieligeren und schmerzlicheren Anpassung verdammen.

2.4

Die Klimaschutz- und Anpassungsstrategien müssen aufeinander abgestimmt werden und einander ergänzen. Es sind glaubwürdige und durchführbare Strategien für die Begrenzung der Treibhausgasemissionen auf annehmbare Niveaus oder Bereiche in realistischen Zeiträumen zu schaffen. In den Anpassungsstrategien muss aufgezeigt werden, wie sich die Welt am besten an das in den Klimaschutzzielen jeweils implizierte wahrscheinlichste, nicht vermeidbare Klimawandelausmaß anpassen kann. Bei der Festlegung des Maßnahmenumfangs und der Prioritätenfolge werden Risikobewertung und -management entscheidende Instrumente sein.

2.5

Das Grünbuch der Kommission gibt einen hilfreichen Überblick über viele der vom Klimawandel betroffenen Bereiche sowie die Art der Probleme, die sich auftun werden.

2.6

Nach Auffassung des EWSA spricht derzeit alles für die Schaffung einer übergeordneten europäischen Rahmenstrategie für die Behandlung des gesamten Spektrums an Anpassungsfragen und die Konzipierung der auf europäischer und nationaler Ebene sowie durch andere Akteure zu ergreifenden Maßnahmen.

2.7

Diese europäische Anpassungsstrategie sollte wiederum beinhalten, dass die Mitgliedstaaten in einer angemessenen Frist nationale Anpassungsstrategien entwickeln und anschließend regelmäßig über deren Umsetzung Bericht erstatten.

2.8

Eine europäische Anpassungsstrategie benötigt eine stabile außenpolitische Dimension, die klar aufzeigt, wie Europa anderen Teilen der Welt bei der Bewältigung ihrer Anpassungsprobleme zu helfen plant.

2.9

Europa wird starke und unabhängige institutionelle Verfahrensweisen benötigen, um die erforderliche Forschung und Überwachung durchzuführen und die zuständigen politischen Gremien darauf zu verpflichten, dass die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig ergriffen werden. Die Zivilgesellschaft muss umfassend in diese Arbeiten einbezogen werden.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der EWSA hält die im Grünbuch getroffene Auswahl an besonderen Maßnahmenbereichen für weitgehend zutreffend. In Anlehnung an das Grünbuch empfiehlt der EWSA, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten nun im Rahmen ihrer Gesamtstrategien konkrete Programme und Maßnahmen zu jedem dieser Themen entwickeln sollten. Es müssen Zeitrahmen und Pläne festgelegt und angemessene finanzielle Mittel bereitgestellt werden.

3.2

Hinsichtlich der meisten der Themen wird die Hauptverantwortung für die Organisation der erforderlichen Arbeiten bei den nationalen, regionalen und lokalen Behörden liegen. Der Europäischen Union dürfte jedoch eine wesentliche Rolle bei der Festlegung des Rahmens sowie der Anregung und Förderung der nationalen Anpassungsbemühungen zukommen. Der Ausschuss schlägt vor, dass die EU insbesondere in folgender Weise tätig werden sollte:

Umfassende Forschungs- und Überwachungstätigkeiten zwecks Erstellung präziserer Prognosen und Szenarien des voraussichtlichen Tempos und der absehbaren Auswirkungen des Klimawandels in den verschiedenen Teilen Europas und Koordinierung der Forschungsarbeiten, die in ganz Europa auf vielen verschiedenen Ebenen getrennt zu diesen Themen durchgeführt werden;

Entwicklung von Methodologien für Folgenabschätzungen und für die Erarbeitung geeigneter Anpassungsstrategien sowie Förderung des Austauschs von Erfahrungen und bewährten Verfahren auf diesem Gebiet;

Anregung der Erarbeitung nationaler, regionaler und lokaler Anpassungsstrategien und Durchführungspläne sowie Förderung der Verbreitung von bewährten Verfahren und Erfahrungen im Zusammenhang mit auf den verschiedenen Ebenen bereits durchgeführten Maßnahmen;

Ermittlung grenzüberschreitender Probleme, für deren Bewältigung die Koordinierung von Handlungen zwischen Nachbarstaaten oder in ganz Europa erforderlich sein könnte (z. B. Umsiedlung von Gemeinden oder Verlagerung landwirtschaftlicher bzw. anderer wirtschaftlicher Tätigkeiten; Schutz von Lebensräumen und biologischer Vielfalt; praktische Unterstützung bei großen Hochwasser- und Brandkatastrophen, bei Pandemien usw.);

Bewertung der unterschiedlichen wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels für verschiedene Teile der Europäischen Union und des Finanzierungsbedarfs für Anpassungsprogramme über die Kohäsions- und Strukturfonds;

Bewertung der unterschiedlichen Folgen des Klimawandels für private Haushalte und Einzelpersonen sowie für KMU und der Angemessenheit von Versicherungs- und Entschädigungsregelungen in der gesamten EU;

Ermittlung aller Bereiche, in denen europäische Rechtsvorschriften oder Initiativen von Nutzen sein könnten, z. B. durch Schaffung von Standards für die Bewertung potenzieller Auswirkungen des Klimawandels und geeigneter Maßnahmen.

4.   Bemerkungen zu spezifischen Themen

4.1

Küstenschutz: Der Meeresspiegel wird aufgrund der Eisschmelze ansteigen, während die Meere sich erwärmen. An einigen Orten wird es unter Umständen notwendig werden, physische Barrieren zum Schutz von Land und Siedlungen zu errichten oder zu verstärken. In anderen Gebieten könnten sich eine Rückverlegung der Hauptdeichlinien und die Wiederherstellung von Überflutungspoldern gekoppelt mit der Umsiedlung von Bewohnern gefährdeter Terrains als bessere Strategie erweisen.

4.2

Überflutungen: Der Klimawandel wird voraussichtlich wechselhaftere Witterungsverhältnisse zur Folge haben, bei denen sich längere Dürreperioden mit intensiveren Niederschlägen abwechseln, die aufgrund des verminderten Rückhaltevermögens der Böden zu Überflutungen führen. Um diese neuen Wetterbedingungen zu berücksichtigen, müssen die Hochwasserschutzpläne aktualisiert werden. In einigen Fällen werden neue Programme für bauliche Hochwasserschutzmaßnahmen erforderlich sein. In anderen Fällen sind eventuell entsprechende Überschwemmungsgebiete und Rückhalteräume zum Auffangen von Flutwasser zu schaffen oder wiederherzurichten. In solchen Gebieten können Einschränkungen von Bauvorhaben und Erwägungen von Umsiedlungen erforderlich werden.

4.3

Wasserressourcen und Wasserknappheit: Die Wasserressourcen sind bereits jetzt in einigen Teilen Europas knapp und die Wasserknappheit wird sich wahrscheinlich zuspitzen, da der Klimawandel zu längeren niederschlagsarmen Perioden und Dürreperioden führen wird. Eventuell werden Maßnahmen benötigt, um für die betroffenen Gebiete neue Wasserversorgungsquellen (z. B. durch Entsalzung oder Fernleitungen) zu erschließen und eine effizientere Wassernutzung sicherzustellen. Es müssen stärkere Anreize zur Förderung einer effizienteren Wassernutzung (auch über den Wasserpreis) geschaffen werden. Möglicherweise müssen Maßnahmen getroffen werden, die in den am stärksten betroffenen Gebieten von Tätigkeiten wie intensiver Landwirtschaft oder Tourismus abhalten. (Der EWSA erarbeitet derzeit eine separate ausführliche Stellungnahme zum Thema „Wasserknappheit und Dürre“).

4.4

Das Risiko und die Häufigkeit von Brandkatastrophen nehmen in Regionen wie Südeuropa, in denen das Klima heißer und trockener wird, bereits zu und werden bei fortschreitender Erwärmung weiter steigen. Schutzmaßnahmen und Reaktionskapazitäten müssen verstärkt und besser koordiniert werden. (Der EWSA erarbeitet derzeit eine separate ausführliche Stellungnahme zum Thema Katastrophenschutz und Umgang mit Naturkatastrophen).

4.5

Öffentliche Gesundheit: Der Klimawandel kann sich in vielfältiger Weise auf die öffentliche Gesundheit auswirken: Er kann eine starke Ausbreitung von Krankheitsüberträgern zur Folge haben, insbesondere die Verschiebung zahlreicher, bisher auf die tropischen Gebiete begrenzten Krankheiten in Richtung Norden. Temperaturextreme können auch unmittelbarere Auswirkungen haben. Für die Vorbereitung auf diese Veränderungen bedarf es einer geeigneten Planung.

4.6

Landwirtschaft: Die Landwirtschaft wird sehr stark vom Klimawandel betroffen sein. Temperaturveränderungen und neue Niederschlagsmuster werden Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Nutzbarkeit der Böden haben und zu großen Veränderungen bezüglich der erreichbaren Produktionsqualität und -quantität und somit der Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Agrarsysteme in verschiedenen Teilen Europas führen.

4.6.1

Im Rahmen der für 2008 anberaumten Generalüberprüfung der GAP sollte es möglich sein, die Landwirte durch weitere Änderungen zur Anpassung ihrer Bewirtschaftungspraktiken an die mittlerweile absehbaren klimatischen Veränderungen anzuhalten.

4.6.2

Die landwirtschaftliche Erforschung neuer Feldfruchtsorten und Anbaumethoden, die besser an die sich abzeichnenden Klimabedingungen angepasst sind, muss ausgeweitet werden. Ebenso sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die Voraussetzungen für die Viehzucht in den verschiedenen Teilen Europas und die Möglichkeiten der Bekämpfung der durch den Klimawandel bedingten Verbreitung von Krankheiten zu bewerten. (Der EWSA wird in Kürze eine separate ausführliche Stellungnahme zum Thema „Klimawandel und Landwirtschaft“ erarbeiten).

4.7

Biologische Vielfalt: Der Klimawandel wird sich tiefgreifend auf den Lebensraum von Pflanzen und Tieren in ganz Europa auswirken. In einigen Fällen werden bestimmte Arten in ihren veränderten Lebensräumen nicht mehr überleben können bzw. vom Aussterben bedroht sein. Einige Arten werden vielleicht auf natürliche Art erfolgreich in neue Lebensräume migrieren können. Andere werden Hilfe beim Wechsel ihres Lebensraums benötigen, wenn sie überleben sollen. Bestehende Strategien und Programme zur Erhaltung der Artenvielfalt müssen aktualisiert und Ressourcen für deren Umsetzung bereitgestellt werden, wenn dieser Wechsel ohne einen erheblichen Rückgang der Artenvielfalt vonstatten gehen soll.

4.8

Auch Bäume und Wälder werden durch den Klimawandel erheblich belastet. In einigen Gebieten werden bestimmte Arten nicht überleben können, in anderen Gebieten werden manche Arten auf einmal geeignete Lebensbedingungen vorfinden. Programme für Anpflanzung und Wiederaufforstung, Baumpflege und Forstmanagement müssen entsprechend angepasst werden.

4.9

Raum- und Flächennutzungsplanung: Bei der Stadt-, Verkehrs- und Infrastrukturplanung müssen die Veränderungen der Temperatur- und Wettermuster zunehmend berücksichtigt werden. Diese Überlegungen müssen in Konstruktionsstandards sowie in die berufliche Aus- und Fortbildung einfließen. Auch in den einzelnen Entwicklungsprogrammen und -projekten sind diese Auswirkungen des Klimawandels zu berücksichtigen. Die Folgenabschätzungsverfahren werden entsprechend angepasst werden müssen.

4.10

Gebäude: Der Gebäude- und Bausektor wird stark vom Klimawandel betroffen sein. Wir benötigen strengere Mindestanforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden, bessere Gebäudestandards usw. Informationen über bewährte Verfahren sowie Methoden, Material und Subventionen für die Sanierung älterer Gebäude und Neubauten zwecks Reduzierung des Energieverbrauchs und besserer Anpassung an sich ändernde Temperatur- und Witterungsbedingungen müssen auch für die Bürger besser zugänglich werden.

4.11

EU-Haushalt: Der EWSA empfiehlt, dass die Überschrift „Anpassungsmaßnahmen“ auch im Jahreshaushaltsplan für die Politikbereiche erscheinen sollte, in denen es sofortiger Investitionen bedarf (z. B. in den Bereichen Energie, Forschung, Landwirtschaft, Verkehr, Gebäudestandards, Katastrophenschutz, Schutz der biologischen Vielfalt, Gesundheitspolitik usw.). Der nächste Finanzrahmen sollte für Programme, die die Bereiche Klimaschutz und Anpassung an den Klimaschutz betreffen, einen bedeutend höheren Anteil der verfügbaren Mittel vorsehen. Die Mitgliedstaaten sollten in ihren nationalen Haushalten und Ausgabenprogrammen entsprechende Änderungen vornehmen.

4.12

Strukturfonds: Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung, der Kohäsionsfonds sowie das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) beinhalten Kriterien zur Unterstützung von Umweltprojekten, die Anpassung an den Klimawandel ist jedoch nicht explizit aufgeführt und auch die Folgenabschätzungen sind häufig unzureichend (viele Verkehrs- und Energieprojekte haben eindeutig schädliche Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima). Bei den nächsten Überprüfungen all dieser Programme sollte ein bedeutend größerer Anteil der verfügbaren Mittel für Maßnahmen zur Unterstützung des Klimaschutzes und der Anpassung an den Klimawandel eingeplant werden.

4.13

Die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) sollten den Klimawandel in ihre Haushaltsverfahren und Kriterien für die Bewertung von Projekten und Programmen integrieren.

4.14

Die Versicherungsindustrie interessiert sich sehr für den Klimawandel und bezieht ihn zunehmend in ihre Entscheidungen darüber ein, welche Risiken zu welchen Bedingungen versichert werden können. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten einen ständigen Dialog mit der Versicherungsindustrie institutionalisieren, um zu gewährleisten, dass der Versicherungssektor seiner Aufgabe der Unterstützung von Unternehmen und anderen Versicherungsnehmern bei der Anpassung an den Klimawandel im vollen Umfang gerecht wird.

4.15

Entwicklungsländer: Viele Entwicklungsländer werden größere Anpassungsprobleme als Europa und weniger Ressourcen zu ihrer Bewältigung haben. Einige der am wenigsten entwickelten Länder haben ursprünglich nur wenig zum Klimawandel beigetragen, werden jedoch zu den am stärksten betroffenen Ländern gehören und haben aus Gründen der Fairness und Gerechtigkeit einen besonders starken Anspruch auf Zusammenarbeit und Unterstützung. Sie werden auf die Hilfe und auf personelle, technische und finanzielle Ressourcen der entwickelten Länder angewiesen sein, um ihnen eine geeignete Anpassung zu ermöglichen. Europa sollte eine führende Rolle übernehmen, indem es zusätzliche Mittel für Anpassungsmaßnahmen in seinen gemeinschaftlichen und nationalen Entwicklungshilfeprogrammen bereitstellt und auch der internationalen Finanzgemeinschaft bei der Einstellung auf die Anpassungsherausforderungen behilflich ist.

4.16

Einige Teile der Welt werden aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels oder als Folge extremer Witterungsbedingungen immer ungeeigneter für menschliche Ansiedlungen (und im Extremfall sogar praktisch unbewohnbar) werden. Der Klimawandel kann zu wachsendem Migrationsdruck aus anderen Teilen der Welt nach Europa und zu Bevölkerungsverschiebungen innerhalb Europas führen. Die Entwicklungshilfeeinrichtungen und andere zuständige Regierungsstellen müssen in der Lage sein, den Entwicklungsländern beim rechtzeitigen Erkennen solcher Situationen sowie beim Planen der eventuell erforderlichen Umsiedlungsprogramme behilflich zu sein.

4.17

Der bisherige Wissensstand über die möglichen Auswirkungen und das voraussichtliche Tempo des Klimawandels auf nationaler und regionaler Ebene in Europa ist noch unvollständig, und für verbesserte und präzisere Prognosen bedarf es umfangreicher weiterer Forschung und Analyse. Die Europäische Umweltagentur könnte eine wichtige Rolle als Schaltstelle für die Koordinierung aller einschlägigen Arbeiten in den Bereichen Forschung, Überwachung, Analyse und Prognose und die Weitergabe der besten verfügbaren Informationen an Entscheidungsträger und andere für die Umsetzung von Anpassungsstrategien im Detail zuständige Personen übernehmen. Der EWSA ist bereit, seinen Beitrag für die Förderung eines tieferen und umfassenderen Verständnisses der Auswirkungen des Klimawandels in den verschiedenen Teilen Europas und der erforderlichen Anpassungsmaßnahmen zu leisten.

4.18

Die Zivilgesellschaft wird umfassend in den Anpassungsprozess an den Klimawandel eingebunden werden müssen. Regionen und Gemeinden, Unternehmen und Organisationen aller Art werden zunehmend vom Klimawandel betroffen sein und sind in die Maßnahmen einzubeziehen. Die Bürger und Organisationen aller Art benötigen ein tieferes Verständnis der Veränderungen, die in ihrem Leben und dem Leben ihrer Kinder bereits vonstatten gehen oder in Zukunft wahrscheinlich auf sie zukommen. Des Weiteren müssen sie viel besser begreifen, was Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel für sie impliziert. Die Vermittlung eines umfassenderen Wissens in diesem Bereich sollte immer mehr wesentlicher Bestandteil der Lehr- und Unterrichtspläne der formalen und informalen Bildung sein.

4.19

Der EWSA betont, wie wichtig es ist, die Zivilgesellschaft auf allen Ebenen einzubeziehen und die Verbraucher und die allgemeine Öffentlichkeit einzubinden. Er unterstützt vorbehaltlos den im Grünbuch unterbreiteten Vorschlag der Einrichtung sektorbezogener Arbeitsgruppen mit Vertretern verschiedener Interessengruppen, die bei der Erarbeitung der erforderlichen sektorbezogenen Maßnahmen behilflich sein sollen. Zu den wesentlichen Aufgaben solcher Gruppen sollte die Entwicklung von Verfahren zur Gefahreneinschätzung sowie zur Prüfung der Reaktionsbereitschaft von Organisationen und Gemeinschaften auf extreme Wetterereignisse und andere Katastrophen, die angesichts des fortschreitenden Klimawandels schwerwiegender sein und häufiger auftreten können, gehören.

4.20

Den regionalen und lokalen Behörden kommt eine wichtige Rolle bei der Koordinierung und Anregung von Aktivitäten auf regionaler und kommunaler Ebene sowie bei der Mobilisierung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit zu. Behörden aller Ebenen können auch durch eine entsprechende Gebäude- und Bauplanung sowie eine geeignete Beschaffungspolitik eine entscheidende Vorbildfunktion ausüben.

4.21

In dem Grünbuch wird die Schaffung einer Europäischen Beratergruppe für die Anpassung an den Klimawandel vorgeschlagen, der Vertreter der Zivilgesellschaft, politische Entscheidungsträger und Wissenschaftler angehören und die Entwicklung der Strategie sachkundig begleiten sollen. Der Ausschuss würde dies befürworten.

4.22

Nach Meinung des Ausschusses sollte in Betracht gezogen werden, ein unabhängiges Überwachungsgremium mit einem unabhängigen Vorsitzenden damit zu beauftragen, die Fortschritte der gesamten Klimawandelstrategie (Anpassung und Eindämmung) zu überprüfen. Dieses Gremium sollte regelmäßige Fortschrittsberichte veröffentlichen und frühzeitig warnen, wenn Maßnahmen gegenüber den eingegangenen Verpflichtungen und in Anbetracht der Erfordernisse der jeweiligen Situation in Verzug zu geraten drohen. Der EWSA beabsichtigt seinerseits ebenfalls, den Fortschritt in diesem Bereich regelmäßig zu überwachen.

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Wein und zur Änderung bestimmter Verordnungen“

KOM(2007) 372 endg. — 2007/0138 (CNS)

(2008/C 120/10)

Der Rat beschloss am 7. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 36 und 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Wein und zur Änderung bestimmter Verordnungen“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe nahm ihre Stellungnahme am 27. November 2007 an Berichterstatter war Herr KIENLE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 109 gegen 5 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt, dass die Europäische Kommission mit ihrem Entwurf zur Reform der Europäischen Weinmarktorganisation im Grundsatz die Beibehaltung einer weinspezifischen Marktorganisation vorschlägt. Er hätte sich gewünscht, dass die EU-Kommission mehr seiner Vorschläge, die er in seiner Stellungnahme vom 14.12.2006 zur „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische ParlamentAuf dem Weg zur Nachhaltigkeit im europäischen Weinsektor“  (1) entwickelt hatte, aufgegriffen hätte.

1.2

Der EWSA fordert erneut, dass das wichtigste Ziel der Reform sein muss, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Weine zu verbessern und Marktanteile zurückzugewinnen. Dabei sollte die Kommission bei der Reform und den Außenhandelsregelungen die Position des europäischen Weinsektors als Weltmarktführer stärker berücksichtigen.

1.3

Der EWSA unterstreicht, dass der Wein und der Weinbau wichtige und integrale Bestandteile der europäischen Kultur und Lebensart sind. Der Weinbau prägt in vielen europäischen Weinbauregionen das gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld. Der Ausschuss legt deshalb Wert darauf, dass sowohl bei den Zielen als auch bei den Maßnahmen nicht nur die ökonomischen Konsequenzen, sondern auch die Folgen für Beschäftigung, Sozialgefüge, Umwelt — insbesondere durch die Rodeprogramme — sowie Verbraucherschutz und Gesundheit bei der Reform bedacht werden. Dies erfolgt in dem Entwurf der EU-Kommission nur in unzureichender Weise.

1.4

Der EWSA weist darauf hin, dass der Weinbau in der Europäischen Union Existenzgrundlage für 1,5 Mio. überwiegend kleine Familienbetriebe ist und über 2,5 Mio. Arbeitnehmern zumindest saisonal Beschäftigung gibt. Daher achtet der Ausschuss besonders darauf, dass bei der Reform Maßnahmen bevorzugt werden, die sich positiv auf die Einkommen der Winzer und die Beschäftigungsmöglichkeiten im europäischen Weinbau auswirken.

1.5

Der EWSA erachtet den Vorschlag der Europäischen Kommission, den Wein erzeugenden Mitgliedstaaten jeweils einen nationalen Finanzrahmen zur Verfügung zu stellen, als wichtigen Beitrag zu mehr Subsidiarität und Berücksichtigung der regionalen Unterschiede. Der Katalog an Förderinstrumenten muss jedoch ausgebaut werden, um die Ziele der Reform zu erreichen.

1.6

Der EWSA bewertet die von der Europäischen Kommission vorgelegten Vorschläge für Maßnahmen der Verbraucherinformation als unzureichend. Er begrüßt die Vorschläge für die Absatzförderung auf Exportmärkten, hält jedoch eine Ausdehnung auf den Binnenmarkt für notwendig.

2.   Vorschläge der EU-Kommission

2.1

Die Europäische Kommission schlägt eine Reform der Marktorganisation für Wein vor allem in folgenden Bereichen vor:

Stützungsmaßnahmen in einem nationalen Finanzrahmen für die Umstrukturierung und Umstellung von Rebflächen, Grünernte, Fonds auf Gegenseitigkeit, Ernteversicherung sowie Absatzförderung auf Drittmärkten;

Mittelübertragung auf den ländlichen Raum;

Änderung der Vorschriften für die Weinbereitung, insbesondere für önologischen Verfahren, Alkoholerhöhung und Säuerung;

Änderung der Kennzeichnungsvorschriften, insbesondere bezüglich der Angabe des Ursprungs und der Herkunft sowie Anpassung der übrigen Kennzeichnungsvorschriften;

Erzeuger- und Branchenorganisationen;

Liberalisierung der Anpflanzregelungen ab 2013;

Freiwilliges Rodungsprogramm;

Abschaffung von bisherigen Marktmechanismen;

Übertragung von Kompetenzen vom Ministerrat auf die EU-Kommission.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA kann die Ziele des Vorschlags der Europäischen Kommission weitgehend unterstützen. Hinsichtlich der vorgeschlagenen Maßnahmen hält er jedoch Anpassungen und Verbesserungen für erforderlich.

3.2

Der EWSA erneuert seine Forderung, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Weinerzeuger im Binnenmarkt und auf den Exportmärkten zu verbessern, den europäischen Wirtschaftsstandort zu stärken, Qualitätsanstrengungen zu unterstützen und sich vermehrt an den Marktentwicklungen und Verbraucherwünschen auszurichten. Die Kommission trägt bei ihrem vorgelegten Verordnungsentwurf diesen Forderungen nicht ausreichend Rechnung.

3.3

Der EWSA legt weiterhin Wert darauf, dass die ökonomischen Ziele konkretisiert und um soziale und beschäftigungspolitische Ziele ergänzt werden. Hierzu zählen eine Verbesserung der Einkommenssituation für die Weinbaubetriebe, bessere Entwicklungsmöglichkeiten von Jungwinzern, nachhaltige Beschäftigungsmöglichkeiten und eine angemessene Entlohnung für Vollarbeitskräfte und für saisonale Arbeitnehmer.

3.4

Der EWSA steht nach wie vor einer Übertragung von Kompetenzen vom Ministerrat auf die Kommission, z. B. bei der Zulassung neuerer Weinbereitungsverfahren, kritisch gegenüber, da die Kommission bei der Verhandlung bilateraler Abkommen die Interessen der europäischen Weinerzeuger unzureichend vertreten hat.

3.5

Der EWSA bestätigt seine Auffassung, dass die derzeitigen Finanzmittel aufgestockt werden müssen, um dem Beitritt von zwei neuen Erzeugerländern zur EU Rechnung zu tragen.

3.6

Der EWSA fordert erneut eine bessere und umfassendere Marktbeobachtung, um als Grundlage für die Organisation des Weinmarkts bessere Daten über die Erzeugung, den Handel und den Verbrauch zu erhalten. Die bisher verwendeten Gesamtdaten sind wichtig, aber unzureichend. Notwendig sind auch aktuelle Informationen über Veränderungen der Produktionsstrukturen, der Absatzwege und des Konsumentenverhaltens.

3.7

Der EWSA unterstützt die Kommission in ihrer Auffassung, dass die neue Weinmarktorganisation baldmöglichst in Kraft treten soll. Er hält jedoch eine „phasing-out-Periode“ für erforderlich, um den Betrieben bei Bedarf eine schrittweise Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen zu ermöglichen.

3.8

Der EWSA begrüßt, dass die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein Rodungsprogramm modifiziert hat. Er hält es jedoch für sinnvoll, dass diese Maßnahmen innerhalb regionaler bzw. nationaler Strukturprogramme durchgeführt werden, um negative Auswirkungen singulärer Rodungen (z. B. Brachland inmitten von Weinbergsgelände) zu verhindern und eine geordnete Durchführung zu gewährleisten.

3.9

Der EWSA wiederholt seine Ablehnung gegenüber einer totalen Liberalisierung der Anpflanzungsregeln, da hierdurch die ökonomischen, sozialen, umweltpolitischen und landschaftserhaltenden Ziele der Weinmarktreform gefährdet werden.

4.   Spezielle Bemerkungen

4.1   Titel II: Stützungsmaßnahmen Kapitel 1: Stützungsprogramme

4.1.1

Der EWSA begrüßt, dass seinen Forderungen nach stärkerer Berücksichtigung der regionalen Unterschiede und einer konsequenteren Umsetzung der Subsidiarität im Weinsektor mit der Einführung eines nationalen Finanzrahmens grundsätzlich Rechnung getragen wird. Allerdings betrachtet er die angebotenen Stützungsmaßnahmen als unzureichend.

4.1.2

Der EWSA stimmt der EU-Kommission zu, dass ein konsequenter und angemessener Gemeinschaftsrahmen beibehalten werden muss. Innerhalb dieses Rahmens soll es in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegen, Maßnahmen für ihre Weinbaugebiete auszuwählen. Dabei kann den Erzeugerorganisationen, Branchenvereinigungen, Regulierungsorganisationen und anderen Einrichtungen mit entsprechender Zielsetzung eine große Bedeutung zugemessen werden.

4.1.3

Der EWSA spricht sich für einen umfangreicheren Maßnahmenkatalog aus, um den Zielen der Marktorganisation gerecht werden zu können. Er verweist auf seine früheren Stellungnahen zur Reform GMO/Wein (2), in denen er bereits unter anderem Programme zur Förderung der Qualitätsprodukte im Weinbau, in der Kellerwirtschaft, in der Vermarktung und in der Verbraucherinformation, Maßnahmen zu Gunsten der benachteiligten Gebiete sowie die Möglichkeit flächenbezogener Direkthilfen gefordert hatte.

4.1.4

Der EWSA erneuert seine Forderung nach kohärenten und integrierten Maßnahmen, um die größtmögliche Wirksamkeit zu erzielen. Diese Maßnahmen müssen daher in umfassende Pläne für die gesamte Produktionskette integriert werden, die vom Weinanbau über die Verarbeitung bis hin zur Vermarktung des Produkts reichen. Hierzu zählen auch Maßnahmen zur Erschließung alternativer Absatzmärkte für alle Erzeugnisse der Weintraube.

4.1.5

Der EWSA fordert erneut mit Nachdruck ein spezielles Programm zur Förderung der benachteiligten Weinbaugebiete, wie z. B. Steil- und Hanglagen sowie diejenigen Gebiete, die extremen klimatischen Bedingungen unterworfen sind.

4.1.6

Der EWSA begrüßt, dass die EU-Kommission innerhalb des nationalen Finanzrahmens Exportförderungsmaßnahmen eine wesentliche Bedeutung beigemessen hat. Zusätzlich sind Maßnahmen erforderlich, um im Binnenmarkt die Verbraucher über die Kultur des Weinbaus zu informieren und sie insbesondere über die Vorzüge eines moderaten Weinkonsums und die Gefahren des Missbrauchs aufzuklären. Er erneuert seine Forderung, die Einrichtung einer europäischen Marktbeobachtung zu unterstützen.

4.1.7

Der EWSA hält einen sofortigen Ausstieg aus den Interventionsmaßnahmen für nicht vertretbar. Daher empfiehlt er, dass innerhalb des nationalen Finanzrahmens in der „phasing-out-Periode“ 2008-2010 Beihilfen für Destillationen zur Herstellung von Trinkbranntwein und zur privaten Lagerhaltung angeboten werden können.

4.1.8

Der EWSA ist der Auffassung, dass innerhalb des nationalen Finanzrahmens Maßnahmen zur Krisenbewältigung vorgesehen werden müssen, die auf der Mitverantwortung der Erzeuger basieren. Die bisher vorgesehenen Maßnahmen (Ernte-Versicherung und Fonds auf Gegenseitigkeit) sind unzureichend für die Bewältigung konjunktureller Krisen. Daher sollte geprüft werden, ob die bisherigen Krisendestillationen sich bewährt haben und eine Krisendestillation innerhalb des nationalen Finanzrahmens vorgesehen werden kann.

4.1.9

Das geltende Verbot für das vollständige Auspressen von Weintrauben, von Maische und von Weintrub hat sich bewährt, um die Qualität der Weinerzeugnisse zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu vermeiden. Es sollte daher beibehalten werden. Den Mitgliedstaaten sollte die Ermächtigung eingeräumt werden, die zu destillierenden Prozentsätze der Erzeugung in bestimmten Jahren zu erhöhen.

4.1.10

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die EU-Kommission hinsichtlich der Verteilung des Budgets für den nationalen Finanzrahmen einen Vorschlag entwickelt hat. Für die neuen EU-Mitgliedstaaten, bei denen es keinen historischen Bezug gibt, sollte ein eigener Finanzschlüssel entsprechend der Rebflächenanteile festgelegt werden.

4.2   Kapitel 2: Mittelübertragung

4.2.1

Der EWSA hat in verschiedenen Stellungnahmen die Bedeutung der 2. Säule für die zukünftige Entwicklung des ländlichen Raums, zu dem auch die europäischen Weinbaugebiete zählen, betont. Aber auch unter Berücksichtigung dieser grundsätzlichen Zielrichtung spricht er sich zur Lösung der speziellen Probleme des Weinsektors dafür aus, dass die im Rahmen der Weinmarktreform diskutierten Maßnahmen insgesamt aus dem Weinbudget finanziert werden. Daher darf das Budget weder durch Kürzungen noch durch Mitteltransfers geschmälert werden.

4.3   Titel III: Regulierungsmaßnahmen Kapitel 2: Önologische Verfahren und Einschränkungen

4.3.1

Der EWSA hält eine international akzeptierte Definition des Produktes Wein für unbedingt erforderlich. Dies verlangt auch die Festlegung von anerkannten Produktionsmethoden. Es sollte klargestellt werden, dass sog. „Fruchtweine“ nicht Gegenstand der Weinmarktorganisation sind.

4.3.2

Der EWSA spricht sich dafür aus, die Orientierung der Weinbereitungsverfahren an die OIV-Normen konsequenter in die strategische Ausrichtung von bilateralen oder internationalen Handelsverträgen einzubeziehen. Die Zulassung jeglicher Verfahren bei Importweinen, die irgendwo auf der Welt akzeptiert werden, widerspricht der stärkeren Orientierung an den OIV-Normen für europäische Weine und würde zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen führen. Ebenso widerspricht der EWSA dem Vorschlag, beim Export von Weinen önologische Verfahren zuzulassen, die bei der Vermarktung im Binnenmarkt verboten sind.

4.3.3

Der EWSA spricht sich für ein Verzeichnis der zulässigen önologischen Verfahren als Anhang zu dieser Verordnung aus und der Rat sollte die Befugnisse zur Aktualisierung dieser Verfahren und zur Zulassung neuer Verfahren behalten.

4.3.4

Der EWSA begrüßt, dass die EU-Kommission von der vorgesehenen Zulassung, aus importierten Traubenmosten oder Mostkonzentraten in Europa Wein herzustellen oder Drittlandsprodukte mit europäischen Erzeugnissen zu verschneiden, Abstand genommen hat.

4.3.5

Der EWSA fordert die Kommission auf, bei ihren Vorschlägen für die Produktionsregeln den unterschiedlichen Standort-, Klima- und Witterungsbedingungen innerhalb der Europäischen Union Rechnung zu tragen. Er weist darauf hin, dass diese Thematik sehr sensibel ist und nicht zu einer Entzweiung der europäischen Weinwirtschaft oder gar zu einer Blockade der Reformvorschläge führen darf. Der EWSA schließt sich der Forderung nach einer stärkeren Kontrolle aller önologischen Verfahren an, um die Qualität der Weine zu fördern und zu sichern.

4.3.6

Der EWSA bewertet daher die Vorschläge der Kommission unter Berücksichtigung seiner bisherigen Stellungnahme, der vorgetragenen Analysen der Kommission, der vorgeschlagenen Liberalisierung der Weinbereitungsmethoden, der Anerkennung von Weinbereitungsverfahren in bilateralen Verträgen sowie im Lichte der Reformziele, insbesondere der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Senkung der Produktionskosten. Bei Abwägung des Für und Wider des Kommissionsvorschlags spricht er sich für eine grundsätzliche Fortführung der geltenden Regelungen für die Verwendung von Saccharose und für die Beihilfe für Mostkonzentrate aus.

4.4   Kapitel 3: Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben

4.4.1

Der EWSA begrüßt, dass die EU-Kommission ihre Vorschläge zur Kennzeichnung von Weinen gemäß ihrer Herkunft präzisiert hat. Er ist ebenso wie die Kommission der Auffassung, dass das Konzept von Qualitätsweinen in der Gemeinschaft unter anderem auf den besonderen Merkmalen, die auf den geografischen Ursprung des Weins zurückgehen, basiert. Der Schutz der Ursprungsbezeichnungen sowie der geographischen Angaben ist von hoher Priorität. Deshalb sollte auch die Verwendung einer Ursprungsbezeichnung oder einer geographischen Angabe an die Weinbereitung innerhalb der begrenzten geografischen Gebiete gebunden werden.

4.4.2

Der EWSA begrüßt, dass die EU-Kommission in der Zwischenzeit ihre Vorschläge dahingehend erläutert und präzisiert hat, dass bewährte Systeme der Qualitätspolitik, die nicht oder nicht ausschließlich auf dem Prinzip der Ursprungsbezeichnungen bestehen, fortgeführt werden können. Insbesondere die Qualitätsweinprüfung hat sich in vielen Ländern im Sinne der Erzeuger und vor allem der Verbraucher bewährt.

4.4.3

Ungeachtet dessen bleiben viele Fragen hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der Verordnung Nr. 753/2002 der Kommission vom 29. April 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates hinsichtlich der Beschreibung, der Bezeichnung, der Aufmachung und des Schutzes bestimmter Weinbauerzeugnisse (3). Der EWSA fordert daher eine Übereinstimmungstabelle vorzulegen, um die Auswirkungen auf die geographischen und traditionellen Bezeichnungen feststellen zu können.

4.5   Kapitel IV: Kennzeichnung

4.5.1

Der EWSA bewertet die Vorschläge als sehr komplex und erwartet von der Europäischen Kommission eine genaue Simulation der Folgen der vorgeschlagenen Änderungen.

4.5.2

Der EWSA verweist darauf, dass das Bezeichnungsrecht erst vor kurzem nach jahrelanger Diskussion geändert wurde. Er fordert die Europäische Kommission auf darzulegen, welche neuen Gesichtspunkte vorliegen, die bei der gerade zu Ende gegangenen Diskussion nicht gewürdigt worden sind.

4.5.3

Der EWSA begrüßt Vereinfachungen der Etikettierungsregeln, wenn sie der besseren Verbraucherinformation dienen. Derartige Änderungen dürfen jedoch nicht dazu führen, dass die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen oder Irreführung der Verbraucher wächst und zu einer Flut von gerichtlichen Auseinandersetzungen führt. Unter diesen Gesichtspunkten ist auch der Vorschlag der EU-Kommission für eine fakultative Angabe von Rebsorte und Jahrgang für Weine ohne Ursprungsbezeichnung bzw. geographischer Angabe als bedenklich zu bewerten. Dieser Vorschlag kann nur dann akzeptiert werden, wenn im Sinne des Verbraucherschutzes und zur Vermeidung der Irreführung und eines unlauteren Wettbewerbs ein Kontroll- und Zertifizierungssystem für die Rückverfolgbarkeit dieser Weine sichergestellt wird.

4.5.4

Der EWSA weist darauf hin, dass bei einer immer größer werdenden Europäischen Union die Sprachenvielfalt wächst und daraus Handelsbehinderungen entstehen können, wie dies zur Zeit bei der Angabe der Sulfite der Fall ist. Daher ist bei der Etikettierung von obligatorischen Angaben, z. B. Zutaten, die Möglichkeit zu schaffen, sie durch allgemein verständliche Symbole anzugeben.

4.6   Titel V: Produktionspotenzial

4.6.1

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission ihre Vorschläge bezüglich der Rodungsregelungen modifiziert und das vorgesehene Budget gekürzt hat. Er erkennt die Bedeutung der Rodung als ein Instrument der Marktorganisation an, das als Bestandteil regionaler bzw. nationaler Strukturprogramme innerhalb des gemeinschaftlichen Gesamtrahmens zeitlich limitiert für drei bis fünf Jahre angeboten werden soll. Die Rodung sollte zur Beseitigung von Reben auf Flächen, die nicht für den Weinbau geeignet sind, und zur sozialen Abfederung des Ausstiegs von nicht zukunftsfähigen Betrieben als freiwillige Maßnahme angeboten werden.

4.6.2

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission ihre ursprünglichen Terminpläne für die Liberalisierung der Anpflanzungsregeln modifiziert hat. Jedoch lehnt der EWSA nach wie vor eine völlige Liberalisierung — auch zu einem späteren Zeitpunkt — ab, da hierdurch die ökonomischen, sozialen, umweltpolitischen und landschaftserhaltenden Ziele der Weinmarktreform gefährdet werden. Eine Verlagerung des Weinanbaus aus den kulturell wertvollen Weinlandschaften in die kostengünstiger zu bewirtschaftenden Flächen kann aufgrund der Gesamtverantwortung für die Beschäftigung, für die Ökonomie und Infrastruktur der Weinbaugebiete, für das Sozialgefüge, für die Umwelt und den Naturschutz nicht unterstützt werden.

4.6.3

Wenn die europäische Anbauregelung verbunden mit einem Neuanpflanzungsverbot nicht fortgesetzt werden soll, dann ist ein Ermächtigungsrahmen zu schaffen, damit die Weinbauregionen ihre Pflanzrechte- und Anbauregelungen im Einklang mit den Zielen der Europäischen Weinmarktorganisation fortführen oder ausgestalten können.

4.7   Neuer Titel: Absatzförderung und Information

4.7.1

Der EWSA bewertet die Vorschläge der Kommission für unzureichend, um im Binnenmarkt Marktanteile gegenüber den Weinen aus Drittländern, insbesondere der Neuen Welt, zurückzugewinnen.

4.7.2

Der EWSA fordert die Kommission auf, im nationalen Finanzrahmen eine Förderung von Maßnahmen für die Verbraucherinformation und die Absatzförderung nicht nur auf Exportmärkten, sondern auch im Binnenmarkt vorzusehen. Dabei muss einer umfassenden Information über die Vorzüge eines moderaten Weinkonsums als Bestandteil einer gesundheitsbewussten Ernährung und eines modernen Lebensstils besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

4.7.3

Der EWSA betont, dass die Informations- und Absatzförderungsmaßnahmen alle aus der Weintraube hergestellten Erzeugnisse berücksichtigen sollen.

4.7.4

Der EWSA empfiehlt, die Kommunikationsmaßnahmen für Weinerzeugnisse mit Tourismus, Gastronomie und anderen Erzeugnissen der Weinbauregionen zu verknüpfen.

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 29.

(2)  ABl. C 101 vom 12.4.1999, S. 60-64 + idem Fußnote 1.

(3)  ABl. L 118 vom 4.4.2002, S. 1-54.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigen konnten, wurden abgelehnt:

Ziffer 4.3.6

Letzten Absatz streichen und wie folgt ersetzen:

Nach Abwägung des Für und Wider des Kommissionsvorschlags vertritt der EWSA die Ansicht, dass die Möglichkeit der Verwendung von Saccharose für Länder, die ein solches Verfahren bereits praktizieren, beibehalten werden sollte, soweit dies auf gesetzliche und herkömmliche Art und Weise geschieht. Um jedoch die Gleichbehandlung aller Weinerzeuger in der EU zu gewährleisten, müssen die Beihilferegelungen für Mostkonzentrate bzw. rektifizierte Mostkonzentrate beibehalten und hinsichtlich der niedrigeren Zuckerpreise an die neuen Marktbedingungen angepasst werden. Diese Beihilfen, die notwendig sind, um auch weiterhin im Wesentlichen gleiche Kosten zu gewährleisten, dürfen sich nicht auf die nationalen Finanzrahmen auswirken, sondern sollten einen eigenständigen Haushaltsposten für Weinbau bilden.

Begründung

Die bereits seit einiger Zeit geltende Reform der GMO/Zucker sowie die komplexe Reform der GMO/Wein führen zu einer tief greifenden Veränderung der Kostenstruktur der Weinerzeugung. Sollen der „Status quo ante“ wirklich beibehalten und Wettbewerbsverzerrungen (Zucker und Most gelten bei Anreicherung von Wein als Konkurrenzprodukte) grundsätzlich verhindert werden, müssen die Beihilfen für Most entweder angepasst oder haushaltstechnisch aus den nationalen Finanzrahmen ausgegliedert werden.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 25 Nein-Stimmen: 54 Stimmenthaltungen: 8

Neue Ziffer 4.3.7

Neue Ziffer einfügen:

4.3.7

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die Verwendung von Saccharose zur Anreicherung von Wein auf den Etiketten der angereicherten Weine vermerkt werden muss, da dabei ein nicht aus der Weintraubenverarbeitung stammendes Produkt hinzugefügt wird und sich der Ausschuss als Institution der Transparenz der Kennzeichnung und dem Verbraucherschutz verpflichtet sieht.

Begründung

Es gehört zu den unveräußerlichen und elementaren Aufgaben des EWSA, sich ständig und kontinuierlich für höchste Transparenz bei der Information der Verbraucher von Waren und Dienstleistungen einzusetzen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 30 Nein-Stimmen: 70 Stimmenthaltungen: 21


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Zukunftsperspektiven der Landwirtschaft in Gebieten mit bestimmten naturbedingten Nachteilen (Berg- und Inselgebiete sowie Regionen in äußerster Randlage)“

(2008/C 120/11)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 27. September 2007 gemäß Artikel 29 A der Durchführungsbestimmungen eine ergänzende Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Zukunftsperspektiven der Landwirtschaft in Gebieten mit bestimmten naturbedingten Nachteilen (Berg- und Inselgebiete sowie Regionen in äußerster Randlage)“

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 27. November 2007 an. Berichterstatter war Herr BROS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 127 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Am 13. September 2006 verabschiedete der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Initiativstellungnahme zum Thema „Zukunftsperspektiven der Landwirtschaft in Gebieten mit bestimmten naturbedingten Nachteilen (Berg- und Inselgebiete sowie Regionen in äußerster Randlage)“ (1).

1.1.1

In dieser Stellungnahme widmet der EWSA den Problemen in den Bergregionen ein ganzes Kapitel (Kapitel 4), in dem insbesondere gefordert wird,

dass die Europäische Union über eine spezifische Politik zugunsten der Berggebiete verfolgt;

dass es in der Europäischen Union eine einheitliche Definition der Berggebiete gibt;

dass Berggebiete bei der Zuweisung der Mittel der zweiten Säule vorrangig behandelt werden;

dass eine Konsolidierung der Ausgleichsmaßnahmen für Landwirte in Bergregionen erfolgt;

dass die Agrar- und Regionalpolitik zur besseren Berücksichtigung der Berggebiete aufeinander abgestimmt werden.

1.2

Anlässlich eines politischen Dialogs zum Abschluss der Plenartagung des Ausschusses der Regionen am 7. Dezember 2006 hat sich der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel BARROSO, dafür ausgesprochen, ein Grünbuch über die künftigen Maßnahmen zugunsten der Bergregionen zu erstellen.

1.3

Aus diesem Grunde hält es der EWSA für angemessen, eine ergänzende Stellungnahme zu erarbeiten, um seinen Standpunkt im Hinblick auf die Erstellung eines derartigen Grünbuchs darzulegen.

1.4

Alle Bürger Europas profitieren von zahlreichen öffentlichen Gütern und wirtschaftlichen Erzeugnissen aus den Berggebieten sowie von den Dienstleistungen, die dort erbracht werden. In erster Linie zählen dazu:

die Verminderung der Gefahr von Naturkatastrophen (wovon gleichzeitig die Bewohner der Berggebiete und die übrigen Einwohner des Landes profitieren, beispielsweise durch den Schutz der Verkehrskorridore),

die Erholungs- und Tourismusgebiete (lebenswichtig für die Bewohner eines urbanisierten Kontinents, aber auch für die europäische Wettbewerbsfähigkeit),

eine große Artenvielfalt,

einzigartige Wasserreservoirs

qualitativ hochwertige Erzeugnisse, insbesondere Lebensmittel.

1.5

Ohne eine angemessene Pflege der Bergregionen durch ihre Bewohner wären die Produktion dieser Güter und die Erbringung dieser Dienstleistungen gefährdet.

1.6

Heute und in Zukunft steht Europa vor neuen, großen Herausforderungen wie dem Anstieg des wirtschaftlichen Wettbewerbs, dem demographischen Wandel, dem Klimawandel etc. Zwar sind alle Gebiete mit diesen Herausforderungen konfrontiert, doch sind ihre Auswirkungen in den Bergregionen viel deutlicher spürbar und erfordern demnach eine besondere Herangehensweise.

1.7

Die Politik in den Bergregionen ist mehrheitlich sektoriell geprägt und wird häufig außerhalb dieser Gebiete festgelegt, ohne dabei die örtlichen Besonderheiten gebührend zu berücksichtigen. Die Politik bezüglich der Berggebiete ihrerseits weist die Tendenz auf, verwässert zu werden: Sie wird immer häufiger auch auf andere Territorien ausgeweitet und trägt den Besonderheiten der Bergregionen nicht genügend Rechnung. Gleichzeitig zielt die europäische und einzelstaatliche Politik immer stärker auf die komparativen Vorteile der einzelnen Territorien ab, die es zu fördern oder zu entwickeln gilt.

1.8

Ungeachtet ihrer Bedeutung auf europäischer Ebene fühlen sich doch die Berggebiete in der europäischen Politik in gewisser Weise an den Rand gedrängt. Sie leiden darunter, dass ihr bedeutendes Potenzial, der Beitrag, den sie — vor allem dank innovativer Ansätze — zum Wachstum und zur Vielfalt Europas leisten können, nicht genügend Beachtung findet.

1.9

Aus diesem Grunde spricht sich der EWSA für einen viel kohärenteren und stärker integrierten politischen Ansatz aus. Die Bergregionen brauchen im Hinblick auf ihre nachhaltige Entwicklung einen transversalen und regionalen Ansatz.

1.10

Ein europäisches Grünbuch über die künftigen Maßnahmen zugunsten der Bergregionen kann dazu beitragen, die auf europäischer Ebene bestehenden Politiken und Initiativen zu rationalisieren und zu konsolidieren, damit sie im spezifischen Kontext der Bergregionen effizienter sind. Dies gilt insbesondere für die Landwirtschaft in den Bergregionen. In den meisten europäischen Bergregionen ist die Landwirtschaft die Basis, auf der die übrigen sozioökonomischen, agroindustriellen, touristischen u. a. Aktivitäten sich entwickeln und die die Attraktivität der Regionen ausmacht. Die Gemeinsame Agrarpolitik spielt demnach eine große Rolle und muss entsprechend berücksichtigt werden, wenn die europäischen Politiken in den Berggebieten bei der Erarbeitung des Grünbuchs analysiert werden.

1.11

Der EWSA fordert demnach, dass das Grünbuch über die künftige Politik bezüglich der Berggebiete möglichst schnell in das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission aufgenommen wird. Dann können die Themen, die für die Bergregionen in den EU-Mitgliedstaaten von strategischer Bedeutung sind, festgelegt und die Aufgabengebiete der einzelnen Regierungsebenen und Wirtschaftssektoren abgesteckt sowie ihre Koordinierung geplant werden. Die spezifischen statistischen Daten, auf denen sich die Politik in diesen Gebieten stützt, sollten konsolidiert, die begleitenden und unterstützenden Maßnahmen, die vor dem Hintergrund der von der Europäischen Union festgelegten strategischen Zielsetzungen in diesen Gebieten umzusetzen sind, näher beleuchtet und die Möglichkeiten zur weiteren Entwicklung der europäischen und einzelstaatlichen Politik ausgelotet werden.

1.12

Um die Nutzung der komparativen Vorteile der Bergregionen zu erleichtern, wird das Grünbuch über die künftigen Maßnahmen zugunsten der Bergregionen des Weiteren der überarbeiteten Lissabon-Strategie sowie der Strategie von Göteborg verpflichtet sein. Es zielt demnach auf Wachstum und Beschäftigung ab und wird dazu beitragen, die Europäische Union als eine wissensbasierte, in Zukunft weltweit wettbewerbsfähigere Wirtschaft zu konsolidieren. Die Bergregionen können einen wesentlichen Beitrag für ganz Europa leisten, und daher sollte ihr Innovations- und Wachstumspotenzial optimal genutzt werden.

1.13

Danuta HÜBNER, für Regionalpolitik zuständiges Kommissionsmitglied, sprach auf der Plenartagung des EWSA am 11./12. Juli 2007 über die „Territoriale Agenda der EU“ und kündigte für das Jahr 2008 einen Bericht über den territorialen Zusammenhalt an, in dem untersucht werden soll, welche Folgen die künftigen großen Herausforderungen für die Regionen haben werden und wie am besten auf sie reagiert werden kann. Der EWSA fordert, dass die territorialen Besonderheiten der Bergregionen wie auch die der Inselregionen und der Gebiete in äußerster Randlage in der laufenden Debatte um die Definition der Kohäsionspolitik der Europäischen Union sowie bei der Umsetzung der Territorialen Agenda in angemessener Weise berücksichtigt werden.

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 93.


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/49


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 998/2003 über die Veterinärbedingungen für die Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken hinsichtlich der Verlängerung des Übergangszeitraums“

KOM(2007) 572 endg. — 2007/0202 (COD)

(2008/C 120/12)

Der Rat beschloss am 23. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 und Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 998/2003 über die Veterinärbedingungen für die Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken hinsichtlich der Verlängerung des Übergangszeitraums“

Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme CESE 1411/2000 vom 29. November 2000 (1) dazu geäußert hat, beschloss er auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 131 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

 

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 116 vom 20. April 2001, S. 54-56.


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/50


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 76/768/EWG, 88/378/EWG und 1999/13/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/53/EG, 2002/96/EG und 2004/42/EG zwecks ihrer Anpassung an die Verordnung (EG) … über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG und der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006“

und dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 648/2004 zwecks ihrer Anpassung an die Verordnung (EG) Nr. … über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG und der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006“

KOM(2007) 611 endg. — 2007/0212 (COD)

KOM(2007) 613 endg. — 2007/0213 (COD)

(2008/C 120/13)

Der Rat beschloss am 13. November 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 76/768/EWG, 88/378/EWG und 1999/13/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/53/EG, 2002/96/EG und 2004/42/EG zwecks ihrer Anpassung an die Verordnung (EG) (…) über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG und der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006“

und „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 648/2004 zwecks ihrer Anpassung an die Verordnung (EG) Nr. (…) über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG und der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006“

Der Ausschuss stimmt dem Inhalt der Vorschläge zu und hat keine Bemerkungen dazu vorzubringen.

Er beschloss auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 139 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesen Vorschlägen abzugeben.

Der Ausschuss wird sich zu dem Inhalt des Kommissionsvorschlags über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (1) in einer Stellungnahme (2) äußern, die bereits in Arbeit ist und auf seiner Plenartagung im März 2008 verabschiedet werden soll.

 

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG und der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 — KOM(2007) 355 endg.

(2)  NAT/367 — Berichterstatter Herr SEARS


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auswirkungen der Territorialität der Steuervorschriften auf den industriellen Wandel“

(2008/C 120/14)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Auswirkungen der Territorialität der Steuervorschriften auf den industriellen Wandel“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 13. November 2007 an. Berichterstatter war Herr SCHADECK, Ko-Berichterstatter Herr GAY.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember) mit 102 gegen 7 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Erster Teil — Schlussfolgerungen und Empfehlungen

A.

Die europäische Wirtschaft ist stark in die Weltwirtschaft integriert. Diese Integration ist von Branche zu Branche unterschiedlich stark; in den Wirtschaftsbereichen, die sich der Globalisierung am weitesten geöffnet haben, ist sie besonders ausgeprägt. Aus diesem Grund muss bei der Gestaltung der Wirtschafts- und der Steuerpolitik der Europäischen Union auch der Entwicklung auf internationaler Ebene Rechnung getragen werden. Obgleich im Rahmen dieser Stellungnahme die Auswirkungen der Territorialität der Steuervorschriften auf den industriellen Wandel untersucht werden sollen, darf das weltweite Umfeld dabei nicht außer Acht gelassen werden.

B.

Die EU und die einzelnen Mitgliedstaaten sind für die Durchführung wirtschafts-, finanz-, sozial- und umweltpolitischer Maßnahmen zur Wahrnehmung von Aufgaben verantwortlich, die nicht alleine den Marktkräften überlassen werden können. Es muss also sichergestellt werden, dass sich die Territorialität der Steuervorschriften positiv auf den industriellen Wandel in Europa auswirkt. Dieser muss zwar der Marktentwicklung entsprechen, in der Regel lassen sich mit Hilfe von Begleitmaßnahmen in den vorgenannten Bereichen aber bessere Ergebnisse erzielen. Der Lissabon-Prozess an sich beruht auf einem Gleichgewicht zwischen den einzelnen Schwerpunktbereichen (Wettbewerb, soziale Dimension, Umweltschutz), auf das auch im Zusammenhang mit dem steuerlichen Wettbewerb zwischen den EU-Mitgliedstaaten sorgfältig zu achten ist (1).

C.

Der Ausschuss stellt fest, dass der Steuerwettbewerb auf dem Binnenmarkt Realität ist und zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Er setzt allerdings Regeln zur Schaffung von Transparenz und Instrumentarien zur Feststellung eventueller missbräuchlicher und schädlicher Praktiken (2) voraus. Außerdem sind geeignete Indikatoren für die richtige Einschätzung des Steuerwettbewerbs erforderlich. Der EWSA hat jedoch festgestellt, dass der Faktor Besteuerung in KMU keine ausschlaggebende Rolle bei Entscheidungen über Investitionen spielt. In den mobileren multinationalen Konzernen kommt ihm hingegen deutlich mehr Bedeutung zu.

D.

Der Steuerwettbewerb betrifft nicht nur die Unternehmensbesteuerung. Aufgrund der immer größeren Mobilität der Kapitalanlagen betrifft dieser Wettbewerb auch Kapitalerträge von Privatpersonen und die Vermögensteuer.

E.

Der Ausschuss vertritt den Standpunkt, dass die Koordinierung der Steuerregelungen der verschiedenen Verwaltungen eine Hebelwirkung ausüben kann, die das Funktionieren des Binnenmarktes stärkt, indem sie Funktionsstörungen beseitigt und zum Wegfall der Kosten für die Befolgung von Vorschriften auf steuerlicher Ebene, vor allem in den Grenzregionen, führt. Der EWSA unterstreicht nochmals die Empfehlungen, die er unlängst in seiner Stellungnahme zu dem Programm Fiscalis 2013 (3) abgegeben hat.

F.

Die fehlende Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten bei der einzelstaatlichen Direktbesteuerung führt nach Ansicht des EWSA zu Fällen von Nichtbesteuerung (4), Missbrauch oder Verzerrungen im Funktionieren des Binnenmarktes. Außerdem bringt dies eine Destabilisierung oder gar Aushöhlung der Gesamtsteuereinnahmen der EU mit sich.

G.

Der innergemeinschaftliche Steuerwettbewerb ohne Grenzen droht einerseits die verschiedenen Elemente der Bemessungsgrundlage bei den am wenigsten mobilen Steuerpflichtigen — wie kleine Unternehmen oder nicht verlagerbare Dienstleistungen — noch stärker zu belasten und andererseits zu einer Umverteilung der Steuerlast zwischen Steuerpflichtigen und Verbrauchern zur Deckung der öffentlichen Ausgaben und Sozialleistungen zu führen, was dem sozialen Zusammenhalt abträglich wäre.

H.

KMU und Dienstleistungsunternehmen sind am schlechtesten gerüstet, um Profit aus dem Steuerwettbewerb zu ziehen. Aus diesem Grund spricht sich der Ausschuss dafür aus, Begleitmaßnahmen vorzusehen, Schulungen für die Manager dieser Unternehmen (und die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes) anzubieten und entsprechende Datenbanken aufzubauen, um die Unternehmen, insbesondere jene, die in den Grenzgebieten und den Gebieten in äußerster Randlage der EU angesiedelt sind, bei der Vorbereitung auf die Internationalisierung zu unterstützen.

I.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Bekämpfung des Steuerbetrugs Priorität eingeräumt werden muss, und verweist auf die Schlussfolgerungen der Stellungnahme, die er vor kurzem zu diesem Thema verabschiedet hat (5).

J.

Die Verlagerung der Steuerlast auf die am wenigsten mobilen Produktionsfaktoren kann darin resultieren, dass die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen und ihrer Arbeitsplätze geringer ist als die ihrer ausländischen Konkurrenten. Die BIP-Zuwachsrate des jeweiligen Mitgliedstaates leidet unter dieser Verlagerung der Steuerlast, was zu einer Verringerung der Investitionskapazitäten der öffentlichen Hand führen kann, wenn keine neuen Haushaltsmittel erschlossen werden.

K.

Der Steuerwettbewerb veranlasst die einzelnen Mitgliedstaaten, ihre öffentlichen Ausgaben stärker zu zügeln. Der Ausschuss betont, dass dies weder zu Lasten des Angebots noch der Qualität ihrer öffentlichen Dienstleistungen gehen darf, da diese von entscheidender Bedeutung sind, um produktive Tätigkeiten, mit denen Wohlstand, Arbeitsplätze und letztendlich Steuereinnahmen geschaffen werden, zu erhalten und ins Land zu holen. Der Steuerwettbewerb darf die Finanzierung und den Umfang der sozialen Sicherungssysteme nicht gefährden.

L.

Der Ausschuss befürwortet die Bemühungen der Mitgliedstaaten um die Beseitigung des schädlichen Steuerwettbewerbs und ihre Selbstverpflichtung, eine Reihe schädlicher Steuerregelungen bis spätestens 2010 abzuschaffen, wie sie in dem Verhaltenskodex aus dem Jahr 1997 (6) niedergelegt sind. Er ersucht auch die Kommission, ihre seither unternommenen diesbezüglichen Bemühungen fortzusetzen.

M.

Der Ausschuss unterstützt außerdem die Politik der Kommission, die darauf abzielt, dass Beihilfen der öffentlichen Hand, einschließlich steuerlicher Vergünstigungen für einzelne Unternehmen, der Verfolgung nachhaltiger Ziele im Zusammenhang mit dem industriellen Wandel und der Regional- und Gemeindeentwicklung dienen und mit der Wettbewerbspolitik innerhalb der EU vereinbar sind.

N.

Der Ausschuss fordert die Einführung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) (7) nach den Grundsätzen der Vereinfachung, Gerechtigkeit und Transparenz der Steuerpraktiken der Mitgliedstaaten. Dadurch würde es ermöglicht, das Potenzial des Binnenmarktes optimal auszuschöpfen, wobei die Haushalts- und Steuersouveränität der Mitgliedstaaten gewahrt bliebe und sie nicht in Konflikt mit den Bestimmungen des EG-Vertrags geraten würden. Da die GKKB wahrscheinlich aus einer verstärkten Zusammenarbeit hervorgehen würde, würde es der Ausschuss begrüßen, wenn sie von möglichst vielen Mitgliedstaaten übernommen würde.

O.

Der Ausschuss bittet um weitere Informationen über den Inhalt, die Modalitäten und die Entwicklung des Projekts GKKB, bevor er zu diesem komplexen und strategisch wichtigen Thema erneut Stellung nimmt; in der Zwischenzeit beschränkt er sich darauf, seine 2006 auf Ersuchen von Kommissionsmitglied KOVÁCS erarbeitete Sondierungsstellungnahme in Erinnerung zu rufen (8).

P.

Nichtsdestoweniger hat der Ausschuss eine Reihe von Überlegungen zu der GKKB angestellt und in diesem Zusammenhang einige Fragen aufgeworfen. Er hält es für wünschenswert, dass dieses fakultative Projekt von möglichst vielen Mitgliedstaaten übernommen wird (selbst dann, wenn Übergangsbestimmungen vorzusehen sind) und nach einem Zeitraum, in dem das gemeinsame System neben den einzelstaatlichen Systemen besteht, in allen Mitgliedstaaten eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage für sämtliche Steuerpflichtige herangezogen wird. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob die gemeinsame Bemessungsgrundlage für Unternehmen, die auf den Außenmärkten tätig sind, nicht besser einer zwischenstaatlichen Instanz übertragen werden sollte. Schließlich sollten auch die Auswirkungen einer solchen gemeinsamen Bemessungsgrundlage auf die Steuersätze berücksichtigt werden, deren Streuung noch breiter zu werden droht. In Hinblick darauf könnte ein Mindeststeuersatz festgelegt werden, der knapp unter dem jeweiligen Durchschnittssatz in den neuen Mitgliedstaaten liegt.

Q.

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, die Überwachung der Steuerpraktiken in bestimmten „Steueroasen“ zu intensivieren, die möglicherweise versuchen, den Steuersystemen der Mitgliedstaaten steuerbare Vermögenswerte zu entziehen.

Zweiter Teil — Begründung

1.   Gegenstand der Stellungnahme

1.1

Die Besteuerung (die Höhe der Steuerbelastung und die erhobenen Steuerbeträge) wird oft als eines der Kriterien für die Attraktivität eines Gebietes für Industrie-, Finanz- und Handelsunternehmen genannt. Es herrscht indes keine Einigkeit über die Gewichtung dieses Kriteriums gegenüber anderen Aspekten wie Nähe des potenziellen Absatzmarktes, Produktionskosten, Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte, öffentliche Infrastrukturen und Einrichtungen, öffentliche Beihilfen usw.

1.2

Die Steuersysteme sind komplex, und ein Vergleich zwischen ihnen ist keine leichte Sache. Es ist jedoch von grundlegender Bedeutung, klar beurteilen zu können, ob Behörden durch steuerliche Anreize ihre Zielsetzungen erreichen können. Außerdem muss eingeschätzt werden, welche Wirkungen ein Beschluss zur Förderung positiver industrieller Umstrukturierungen in dem jeweiligen Gebiet haben könnte und wie sie sich zu den voraussichtlichen Kosten verhalten.

1.3

In der vorliegenden Stellungnahme sollen Denkanstöße für die Antizipation und Bewältigung des industriellen Wandels, die im Rahmen der Zielsetzungen von Lissabon angestrebte stetige Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und den Aufbau eines funktionierenden Binnenmarktes gegeben werden, der sich durch einen gesunden und unverfälschten — oder zumindest „zulässigen“ (mit den Binnenmarktregeln zu vereinbarenden) — Wettbewerb gekennzeichnet ist.

2.   Steuerwettbewerb und Mobilität der Wirtschaftsfaktoren

2.1

Gründe für die Zunahme dieser Mobilität in der EU:

Große Unternehmen sehen den EU-Binnenmarkt als einen einzigen Markt — ihren heimischen Markt — an;

der elektronische Handel kennt keine nationalen Grenzen;

sowohl bei den Produktions- als auch den Vertriebsfaktoren geht der Trend zu einer immer stärkeren Segmentierung der Wertschöpfungsketten, wobei deren einzelne Glieder immer mobiler werden (9);

aufgrund der besseren Verkehrsinfrastruktur und der dank Frachtbündelung gesunkenen Transportkosten ist es für Unternehmen und deren Tochterbetriebe einfacher geworden, sich an unterschiedlichen Standorten niederzulassen;

Übernahmen und Fusionen finden immer stärker in einem multinationalen Kontext statt;

schließlich trägt die EU-Erweiterung zusätzlich zur Mobilität von Investitionen, Personen und Kapital bei;

das höhere Bildungsniveau und die besseren Fremdsprachenkenntnisse führen zu mehr Mobilität der Bürger.

2.2

Die einzelnen Mitgliedstaaten nutzen sämtliche Besonderheiten bzw. die Struktur ihres jeweiligen Steuersystems, um Investitionen anzuziehen und die Ansiedlung von Betrieben zu fördern und auf diese Weise für ein höheres Beschäftigungspotenzial und eine breitere Steuerbasis zu sorgen.

Die Steuerpflichtigen (Unternehmen und natürliche Personen) sehen sich wiederum im Ausland nach Möglichkeiten um, ihre wirtschaftliche Situation zu optimieren. Die durch die unterschiedlichen nationalen Steuersysteme geprägten Steueraufwendungen sind zwangsläufig Teil der strategischen Variablen.

2.3

Der beschriebene Steuerwettbewerb mit dem Ziel, für Investoren attraktiv zu sein, ist Realität und existiert auch innerhalb der einzelnen Staaten.

2.4

Sein Ausmaß und seine tatsächlichen Auswirkungen auf die Mobilität der Produktionsfaktoren und des Kapitals lassen sich nur schwer einschätzen. Zu diesem Thema gibt es zahlreiche Studien, in denen die Fachwelt jedoch abgesehen davon, dass bei mobilen Investitionen das Steuerkriterium nur einer der entscheidenden Faktoren für die Standortwahl ist, nicht wirklich zu einheitlichen Schlüssen gelangt. Dieser Aspekt wird im Folgenden näher ausgeführt.

2.5

Mit der Erweiterung von 15 auf 27 Mitgliedstaaten ist die Vielfalt innerhalb der EU zweifellos größer geworden. Die neuen Mitgliedstaaten zeichnen sich durch jeweils unterschiedliche geografische, historische, kulturelle, soziale, politische und wirtschaftliche Gegebenheiten aus. Außerdem weisen der industrielle Sektor und die Steuergesetzgebung jeweils landestypische Eigenheiten auf.

3.   Auswirkungen der Besteuerung auf den industriellen Wandel

a)   Besteuerung von Arbeit und Anlagekapital

3.1

Insgesamt beläuft sich das durchschnittliche Steueraufkommen einschließlich Sozialabgaben in der EU auf ca. 39 % des (EU-weiten) BIP. Dabei verteilen sich die Steuereinnahmen wie folgt (10):

Körperschaftsteuer

10 %

Einkommensteuer der natürlichen Personen

25 %

Sozialversicherungsbeiträge

26 %

indirekte Steuern

30 %

andere Steuern

9 %

gesamtes Steueraufkommen einschließlich Sozialabgaben

100 %

3.2

Bei den indirekten Steuern handelt es sich hauptsächlich um allgemeine Verbrauchsteuern, insbesondere um die auf EU-Ebene harmonisierte Mehrwertsteuer (MwSt), sowie um einige teilweise EU-weit harmonisierte Steuern und Abgaben auf bestimmte Güter und Dienstleistungen, wie z. B. die Alkohol-, die Mineralöl- oder die Tabaksteuer. Da indirekte Steuern für die Standortwahl von Unternehmen nur von zweitrangiger Bedeutung sind, konzentriert sich die vorliegende Stellungnahme in erster Linie auf die Besteuerung von Arbeit (Ziffer 3.2.1) und Anlagekapital der Unternehmen (Ziffer 3.2.2).

3.2.1

Die Steuern auf das Einkommen von nichtselbstständig Beschäftigten einschließlich der Sozialversicherungsbeträge machen zusammengenommen etwa die Hälfte des gesamten Steuer- und Abgabenaufkommens aus. Diese Steuern und Abgaben führen logischerweise zu einer Verteuerung des Einsatzes von Arbeitnehmern, werden sie doch direkt auf die Arbeit erhoben. Da die Arbeitskosten für die Industrie von ganz entscheidender Bedeutung sind, muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass sich die Höhe der auf dem Einkommen von Arbeitnehmern lastenden Steuern und steuerähnlichen Abgaben einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge direkt oder indirekt auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrieunternehmen auswirkt. Direkte Auswirkungen hat die Unternehmensbesteuerung und die Erhebung des Arbeitgeberbeitrags zur Sozialversicherung durch die öffentliche Hand. Werden die Steuern und Sozialabgaben von den Arbeitnehmern erhoben, führt dies zunächst zu einer Verringerung des Nettoeinkommens der Beschäftigten. In der Folge kann sich dies aber auch indirekt auf die Verhandlungen über die Bruttolöhne auswirken und sogar zur Abwanderung in andere Regionen führen bzw. sich negativ auf die Ansiedlung von Betrieben auswirken, die nicht im Niedriglohnbereich des verarbeitenden Gewerbes tätig sind.

3.2.1.1

Die Verteuerung von Arbeitskraft führt natürlich dazu, dass die Unternehmen versuchen, die Arbeitsproduktivität durch die Erhöhung der Kapitalintensität zu steigern. Dies gilt insbesondere für jene Mitgliedstaaten, in denen die Arbeitskosten am höchsten sind. Umgekehrt sind die relativen Kosten des Faktors Arbeit aber auch eine Variable (neben anderen), die Unternehmen dazu veranlassen kann, ihre arbeitsintensiven Investitionen eher in den Mitgliedstaaten mit den geringsten Arbeitskosten zu tätigen. Da die Steuern und Sozialabgaben in den Mitgliedstaaten, in denen die Löhne bzw. Gehälter von Arbeitnehmern (einschließlich der Arbeitgeberbeiträge und Steuerabgaben) über dem europäischen Durchschnitt liegen, tendenziell höher sind, trägt die steuerliche Belastung von Arbeit zu einem weiteren Auseinanderklaffen der Arbeitskosten bei und führt daher dazu, dass neue Arbeitsplätze eher in den Mitgliedstaaten mit einer günstigeren Kostenstruktur geschaffen werden.

3.2.1.2

Der letztlich vom Verbraucher für Industrieprodukte zu bezahlende Preis hängt natürlich von den einzelnen Kostenfaktoren ab, so auch von der Steuerlast. Indirekte Steuern werden ganz neutral beim Verkauf an den Verbraucher erhoben. Im Mitgliedstaat des Verbrauchers wird immer derselbe MwSt-Satz angewandt, unabhängig davon, ob das Produkt von einem Unternehmen mit Sitz in demselben Mitgliedstaat, in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat hergestellt wurde. Die innerhalb der EU in den einzelnen Herstellungsphasen eines Produkts zu entrichtenden Steuern, insbesondere Steuern und steuerähnliche Abgaben auf Arbeit, werden hingegen ausschließlich auf einzelstaatlicher Ebene und somit am Erzeugungsort selbst fällig. Daraus folgt, dass die Verbraucher zwischen je nach Ursprungsland steuerlich stärker bzw. geringer belasteten Produkten wählen können. Abgesehen davon hätten die Verbraucher selbst dann, wenn es innerhalb der EU einheitliche Steuern und Abgaben auf Arbeit gäbe, noch immer die Wahl zwischen in der EU hergestellten, steuerlich mehr oder weniger stark belasteten Produkten und Drittlandserzeugnissen, die anders — und oftmals deutlich geringer — besteuert sind. Daher muss nicht nur die Struktur der in der EU zu entrichtenden Steuern und Abgaben auf Arbeit koordiniert werden, sondern es müssen auch die verschiedenen Aspekte im Zusammenhang mit dem Handelsaustausch zwischen der EU und dem Rest der Welt in die Analyse einbezogen werden.

3.2.1.3

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, die Überwachung der Steuerpraktiken in bestimmten „Steueroasen“ zu intensivieren, die möglicherweise versuchen, den Steuersystemen der Mitgliedstaaten steuerbare Vermögenswerte zu entziehen.

3.2.2

Die Besteuerung von Anlagekapital wird zunächst auf Ebene des Unternehmens und in zweiter Linie auf Ebene des Anlegers, d. h. im Wesentlichen des Anteilseigners, analysiert.

3.2.2.1

Die nominalen Körperschaftsteuersätze (11) schwanken von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erheblich (s. Tabelle in Anhang 2). Belgien, Deutschland, Spanien und Malta wenden Steuersätze zwischen 34 % und 38 % an, während es in Zypern, Irland, Litauen und Lettland zwischen 10 % und 15 % sind.

Generell sind die Steuersätze in den neuen Mitgliedstaaten viel niedriger als in den alten: Der Durchschnitt beträgt 29,5 % für die EU-15 und 20,3 % für die EU-10 (12).

3.2.2.2

Allerdings bieten die nominalen Steuersätze allein keinen vollständigen Indikator für die Steuerbelastung. Bei der effektiven Steuerbelastung muss auch berücksichtigt werden, wie das steuerbare Einkommen festgelegt wird und welche Methoden zur Festsetzung des Steuerbetrags angewandt werden. Daher erscheint es sinnvoll, auch den impliziten Steuersatz auf Kapital heranzuziehen, bei dem die zu Lasten der Unternehmen erhobenen Steuern mit dem Bruttobetriebsergebnis verglichen werden (13) (s. Tabelle in Anhang 3).

3.2.2.3

Der Unterschied zwischen den beiden Berechnungsweisen ist frappierend:

Einige Mitgliedstaaten wenden einen sehr hohen nominalen Steuersatz an, während die steuerliche Belastung der Unternehmen offenbar verhältnismäßig gering ist.

In anderen Mitgliedstaaten wiederum gilt ein „attraktiver“ (sehr niedriger) nominaler Steuersatz, doch die steuerliche Belastung für Unternehmen ist offenbar relativ hoch.

Es stellt sich heraus, dass einige Mitgliedstaaten einen hohen Steuersatz auf eine schmale Besteuerungsgrundlage anwenden, andere hingegen einen niedrigeren Satz auf eine breitere Grundlage. Die effektive Steuerlast ergibt sich selbstverständlich aus beiden Variablen, so dass eine Analyse sich nicht auf die Prüfung der nominalen Steuersätze beschränken kann. Diese These wird etwa durch die Zahlen für Irland und Deutschland bestätigt (14).

3.2.2.4

Allein diese statistischen Angaben zeigen schon die Vielschichtigkeit der Steuerproblematik (15). Im gegenwärtigen Stadium sollen hieraus keine voreiligen Schlüsse gezogen werden, sondern es soll lediglich auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten hingewiesen werden, die im konkreten Fall dazu führen können, dass ein Unternehmen, das eine industrielle Tätigkeit auf dem europäischen Markt ausübt, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat mit stark variierenden Abgabenbelastungen — einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge — konfrontiert sein kann.

b)   Die Wertschöpfungskette des Unternehmens

3.3

Die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), vor allem diejenigen, die in Grenz- und Randgebieten der EU ansässig sind, sind immer stärker von der Globalisierung der Märkte betroffen: teils beteiligen sie sich aktiv daran, teils erleiden sie sie passiv. Diese häufig mit Privat- oder Familienkapital gegründeten KMU kommen nicht in demselben Maß in den Genuss des Steuerwettbewerbs wie die großen multinationalen Unternehmen, da sie weder über die Organisation, noch das Management, noch die Mittel, noch das erforderliche Wissen verfügen, um den größtmöglichen Nutzen aus diesem Wettbewerb zu ziehen. Die Einhaltung der unterschiedlichen einzelstaatlichen Vorschriften für Steuererklärungen, die Unterschiede bei den Bemessungsgrundlagen, Steuersätzen, Befreiungen, Abschreibungsregeln usw. bedeuten für die KMU vielmehr zusätzliche Kosten, die ihren Zugang zu ausländischen Märkten behindern. Dennoch stellt das Segment der internationalisierten (oder zu internationalisierenden) KMU eine der stärksten Wachstumskräfte für die Schaffung von Wohlstand, Mehrwert, Innovation und natürlich Arbeitsplätzen im Einklang mit dem Lissabon-Prozess dar. Es müssen Begleitmaßnahmen vorgesehen werden, um den KMU dabei zu helfen, mit diesen unterschiedlichen Vorschriften zurecht zu kommen. Sowohl Manager als auch die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung müssen daher eine entsprechende Ausbildung erhalten.

3.4

Viele Unternehmen, die eine signifikante Rolle im innergemeinschaftlichen Handel spielen — und erst recht die im internationalen Handel außerhalb der EU tätigen Unternehmen — operieren im Allgemeinen auf der Grundlage eines anderen Wirtschaftsmodells, d. h.:

Diese Unternehmen sind als Kapitalgesellschaften konstituiert und die Anteilseigner leben nicht unbedingt in der Region oder in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptniederlassung des Unternehmens befindet.

Es handelt sich in der Regel um Mutter- und Tochtergesellschaften, die einen mehr oder weniger integrierten Konzern bilden.

Die einzelnen Unternehmen des Konzerns sind in mehreren Mitgliedstaaten tätig, wobei

jedes einzelne eine bestimmte Funktion ausübt und zur Wertschöpfung beiträgt, die Wertschöpfungskette klar nach den einzelnen Unternehmen segmentiert ist und jedem von ihnen eine spezifische Aufgabe innerhalb eines Gesamtkonzepts zukommt.

3.5

Moderne Industriekonzerne nehmen ein breites Spektrum von miteinander verzahnten Wirtschaftsfunktionen wahr (Steuerung der Wertschöpfungs- und Lieferkette, Organisation der verschiedenen Produktionsphasen, Einsatz immaterieller Aktiva wie Know-how, Patente, Warenzeichen usw.) und vermarkten ihre Produktion schließlich mit Hilfe einer auf systematischen Marktanalysen basierenden Strategie. Die Standortwahl für die einzelnen Wirtschaftsfunktionen richtet sich nach einer Gesamtlogik, zu deren Variablen die Besteuerung gehört.

3.6

In einer solchen Konzernstruktur sollten gleichzeitig jede juristische Einheit und der Konzern als ganzer analysiert werden. Der Konzern weist jeder dieser Einheiten nach Maßgabe der wirtschaftlichen Gegebenheiten des Marktes bestimmte Wirtschaftsfunktionen zu, um so die Effizienz und Rentabilität des Gesamtkonzerns unter einem globalen Blickwinkel zu optimieren. Es ist legitim, dass die Mitgliedstaaten ihre Steuerregelungen so ausfeilen, dass die Wirtschaftstätigkeit stimuliert wird. Ebenso legitim ist es, dass die Unternehmen die Steuerabgaben genauso behandeln wie andere Unternehmenskosten.

3.7

Jede juristische Einheit unterliegt dem Steuerrecht ihres Niederlassungsortes und die steuerrechtlichen Gegebenheiten werden genauso wie die übrigen Entscheidungsvariablen in das Managementkonzept für den Gesamtkonzern einbezogen.

3.8

Die Realität der auf den EU-Märkten tätigen Industriekonzerne ist folglich äußerst komplex. Statt sich mit der Standortfindung, Standortverlegung oder Standortverlagerung eines Konzerns zu befassen, wäre es angesichts dieser Gegebenheiten sinnvoller, eine funktionale Analyse der Industriestrukturen vorzunehmen und die Standortfaktoren zu ermitteln, die für die verschiedenen Wirtschaftsfunktionen innerhalb eines Mitgliedstaates, auf Ebene der EU oder noch über deren Grenzen hinaus entscheidend sind. Einige Wirtschaftsfunktionen sind mobiler als andere und für manche mobilen Funktionen ist die Besteuerung eher ein Standortkriterium als für andere. Auch wenn die Besteuerung eindeutig Teil der Entscheidungsvariablen ist, sollte ihre Bedeutung für die Standortwahl nicht überschätzt werden.

4.   Rahmen für den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Unternehmensbesteuerung

4.1

Dem Steuerwettbewerb innerhalb der Europäischen Union werden derzeit durch drei Maßnahmenserien Grenzen gezogen:

mit dem Verhaltenskodex und dem 1997 eingeführten Mitteilungssystem für Änderungen des Steuerrechts wurde ein aktiver Dialog zwischen den Finanzministerien eingeführt, um sicherzustellen, dass gesetzliche Maßnahmen nicht zu einem schädlichen Steuerwettbewerb führen (Ziffern 4.2 bis 4.4);

das Europäische Wettbewerbsrecht und insbesondere die Vorschriften über staatliche Beihilfen sollen verhindern, dass bestimmte Unternehmen durch die Einführung bestimmter Steuerregelungen oder die Anwendung des Steuerrechts auf konkrete Fälle in den Genuss staatlicher Beihilfen kommen, die dem reibungslosen Funktionieren des Gemeinsamen Markts zuwiderlaufen (Ziffern 4.5 bis 4.7);

die meisten Mitgliedstaaten haben gesetzliche Maßnahmen ergriffen, die verhindern sollen, dass künstliche und missbräuchliche Strukturen geschaffen werden, die darauf abzielen, dass die Unternehmen in den Genuss steuerlicher Sonderbehandlungen kommen (Ziffer 4.8).

4.2

Ein rechtlich nicht bindender Verhaltenskodex hält die Mitgliedstaaten dazu an, die Grundsätze eines gesunden Steuerwettbewerbs zu achten. Vor diesem Hintergrund wurde eine Reihe steuerlicher Maßnahmen rechtlicher und administrativer Art ermittelt, die spürbare Auswirkungen auf die Standortfindung für die Wirtschaftstätigkeiten der Unternehmen in der EU haben oder haben könnten. Die betroffenen Mitgliedstaaten haben ihr Einverständnis bekundet und sind die konkrete Verpflichtung eingegangen, diese Regelungen so zu ändern, dass diejenigen Elemente, die zu schädlichem Steuerwettbewerb führen, bis spätestens 2010 (mit einigen Ausnahmen (16)) beseitigt werden.

4.3

Der Ausschuss begrüßt die Ergebnisse dieses Verhaltenskodexes, da die Mitgliedstaaten durch die Abschaffung der schädlichen Steuerpraktiken (17) den gesunden Steuerwettbewerb in der EU fördern und zur Vollendung des Binnenmarktes beitragen.

Der Ausschuss ermuntert die Kommission, diese Initiative fortzusetzen, den Geltungsbereich des Verhaltenskodexes auszuweiten und bestimmte in den letzten Jahren eingeführte Steuersonderregelungen zu prüfen.

4.4

Parallel dazu wurde ein Mitteilungssystem zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission geschaffen, um zu verifizieren, dass steuerrechtliche Änderungen mit der EU-Politik übereinstimmen. Die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, keine neuen steuerlichen Maßnahmen einzuführen, die als den Interessen der EU zuwiderlaufend eingestuft werden.

4.5

Schon der Vertrag von Rom beinhaltete Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten untersagten, Unternehmen Beihilfen — auch in Form steuerlicher Vergünstigungen — zu gewähren, die den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt verfälschen oder zu verfälschen drohen; außerdem übertrug er der Kommission die Zuständigkeit für die Überwachung und die Folgemaßnahmen in diesem Bereich. 1997 initiierten die im Rat „Wirtschaft und Finanzen“ vereinigten Finanzminister die Erarbeitung des Verhaltenskodex und beauftragten die Kommission somit ausdrücklich, ihre Tätigkeit auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen fortzusetzen und gegen Steuervorschriften der Mitgliedstaaten vorzugehen, die den vorgenannten Vertragsbestimmungen zuwiderlaufen.

4.6

In den letzten zehn Jahren hat die Kommission ihre Tätigkeit auf diesem Gebiet schrittweise verstärkt. Sie nahm nicht nur einen Klärungsprozess in Absprache mit den Mitgliedstaaten auf, in dessen Verlauf sie die Kriterien für ihr Vorgehen in einer Reihe von Bereichen darlegte, sondern leitete auch Schritte gegen bestimmte steuerliche Maßnahmen einiger Mitgliedstaaten ein.

4.7

Anders als der nicht verbindliche Verhaltenskodex, der politischen Charakter hat, sind die Rechtsvorschriften über staatliche Beihilfen rechtlich bindend. Die Kommission verfügt über große Autorität und kann das Inkraftsetzen von mit dem Gemeinsamen Markt nicht zu vereinbarenden Beihilfen untersagen, ihre Änderung verlangen und den betreffenden Mitgliedstaat sogar zwingen, solche Beihilfen wieder einzuziehen, wenn sie vor ihrem Inkrafttreten nicht angemeldet wurden. In diesem Fall müssen die begünstigten Unternehmen die ihnen gewährten Steuervergünstigungen erstatten.

4.8

In den meisten Mitgliedstaaten existieren Steuervorschriften, die auf die Bekämpfung der Steuerumgehung und der Verlegung von Tätigkeiten in Steueroasen abzielen. Alle Mitgliedstaaten möchten Wirtschaftstätigkeiten in ihr Gebiet lenken, auf dieser Grundlage Steuereinnahmen erzielen und verhindern, dass die steuerbaren Tätigkeiten ins Ausland verlagert werden.

4.8.1

Wenn das von allen Mitgliedstaaten angewandte Steuerrecht mit dem Gemeinschaftsrecht übereinstimmt, stellt sich angesichts der verschiedenen steuerlichen Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten manchmal die Frage, ob derartige Vorschriften mit dem Binnenmarkt und dem freien Verkehr innerhalb der EU vereinbar sind. Der Europäische Gerichtshof hatte Gelegenheit, seinen diesbezüglichen Standpunkt darzulegen: Im Wesentlichen sind die Vorschriften, die auf die Bekämpfung der Steuerumgehung und der Verlagerung der Einnahmen in Steueroasen abzielen, grundsätzlich mit dem freien Verkehr innerhalb der EU unvereinbar; sie können allerdings gerechtfertigt sein, wenn sie sich darauf beschränken, die Einführung künstlicher und missbräuchlicher Strukturen unter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu bekämpfen.

4.9

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Bekämpfung des Steuerbetrugs Priorität eingeräumt werden muss, und verweist auf die Schlussfolgerungen der Stellungnahme, die er vor kurzem zu diesem Thema verabschiedet hat (18).

4.10

Artikel 93 des EG-Vertrags sieht vor, dass die „Bestimmungen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern (…), soweit diese Harmonisierung für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes (…) notwendig ist“, vom Rat einstimmig erlassen werden.

4.11

Die Europäische Kommission hat mehrere interessante Initiativen eingeleitet, deren Ziel die Vollendung des Binnenmarktes durch Maßnahmen auf dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung ist. Insbesondere hat die Kommission am 3. Mai 2007 bestätigt, dass sie ihre Arbeiten mit Blick auf die Einführung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) fortsetzt. Das für Steuern zuständige Mitglied der Kommission plant, im ersten Halbjahr 2008 einen Richtlinienvorschlag vorzulegen, dem zufolge die GKKB ab 2010 anzuwenden wäre. Der Ausschuss teilt die Überzeugung der Kommission, dass die GKKB einen bedeutenden Beitrag zum Erfolg des Binnenmarktes darstellen kann, auch wenn sie mehr Transparenz und damit einen aktiveren Steuerwettbewerb mit sich bringt. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, ihre Arbeiten trotz der Vielschichtigkeit der Probleme fortzusetzen. Im gegenwärtigen Stadium scheint es jedoch verfrüht, ausführlicher zu diesem Projekt Stellung zu nehmen, zumal die Kommission noch kein detailliertes Modell für die Festlegung der gemeinsamen konsolidierten Bemessungsgrundlage und für die Einführung eines auf Ebene der 27 EU-Mitgliedstaaten konsolidierten Besteuerungssystems vorgelegt hat. Nichtsdestoweniger hat der Ausschuss eine Reihe von Überlegungen im Hinblick auf die geplante GKKB zur Besteuerung von Unternehmen angestellt und in diesem Zusammenhang einige Fragen aufgeworfen.

5.   Überlegungen und Fragen des Ausschusses zu der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB)

5.1

Da die Anwendung der GKKB für die Mitgliedstaaten möglicherweise fakultativ (und wahrscheinlich das Ergebnis einer verstärkten Zusammenarbeit) sein wird, würde es der Ausschuss begrüßen, wenn sie von möglichst vielen Mitgliedstaaten übernommen würde, und zwar auch dann, wenn Übergangsbestimmungen vorgesehen werden müssen.

5.2

Wenn die Unternehmen zwischen der Anwendung bzw. Nichtanwendung der geplanten GKKB wählen können, bedeutet das für die Mitgliedstaaten, die diese Möglichkeit vorsehen, dass ihre Verwaltungen mit zwei verschiedenen Systemen der Steuererklärung und Steuerberechnung arbeiten müssten. Ist dies denkbar zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die meisten Mitgliedstaaten um eine Steigerung der Produktivität ihrer öffentlichen Dienste bemühen?

5.3

Gesetzt den Fall, multinationale Unternehmen entscheiden sich für die Anwendung der geplanten GKKB, besteht dann nicht die Gefahr der Ungleichbehandlung (Formalitäten, Buchführungs- und Steuerregelungen) zwischen den Unternehmen innerhalb eines Mitgliedstaats, der die Anwendung der GKKB zulässt?

5.4

Sollte in Anbetracht der beiden vorgenannten Punkte nicht die Auffassung vertreten werden, dass innerhalb eines Mitgliedstaates ein einheitliches System schrittweise auf sämtliche Steuerpflichtigen angewandt werden sollte?

5.5

Wenn die geplante GKKB mehr Transparenz schaffen soll, muss die deklarative Bemessungsgrundlage dann einem zwischenstaatlichen Gremium übertragen werden?

5.6

Mit der geplanten GKKB werden sich die in den Bemessungsgrundlagen verborgenen Steuerberechnungsunterschiede auf die Steuersätze in den Mitgliedstaaten niederschlagen, die sich für die GKKB entschieden haben. Wird die Anwendung einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage nicht zu einer noch breiteren Streuung der Sätze (zumindest der Nominalsätze) führen? Der Steuerwettbewerb bei der Festsetzung der „sichtbaren“ Sätze droht härter zu werden. Eine Studie der Kommission (von 2001) hat gezeigt, dass in erster Linie die Streuung der Nominalsätze für die durch den Steuerwettbewerb verursachten wirtschaftlichen Verzerrungen verantwortlich war.

5.7

Könnte in dem Fall, dass (entgegen der in der letzten Zeit beobachteten Tendenz zur Annäherung) der Abstand bei den Steuersätzen zwischen den Staaten, die sich für die GKKB entschieden haben, fortbesteht bzw. noch zunimmt, die Festsetzung eines Mindeststeuersatzes in den betreffenden Mitgliedstaaten vorgesehen werden? Dieser Satz könnte knapp unter demjenigen liegen, der z. B. von den neuen Mitgliedstaaten angesetzt wird. Für die betreffenden Länder würde sich im Hinblick auf den Zustrom von ausländischem Kapital nichts ändern. Die anderen Mitgliedstaaten könnten einen höheren Steuersatz festsetzen, ohne befürchten zu müssen, dass andere Staaten durch eine zu aggressive Steuerpolitik ihr Wirtschaftskapital gefährden.

Brüssel, den 13. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Steuerwettbewerb liegt nach der Definition der OECD dann vor, wenn sich die Entscheidungen einer )(nationalen, regionalen oder lokalen) Verwaltung unmittelbar auf den Handlungsspielraum anderer Verwaltungen auswirken und sich die Marktmechanismen als unzureichend erweisen, um diese Interaktion zu regeln (nähere Einzelheiten siehe Anhang 1).

(2)  Schädliche Steuerpraktiken werden im Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung allgemein als Maßnahmen definiert, „die einen merklichen Einfluss auf die Standortwahl von Unternehmen innerhalb der Europäischen Union haben oder haben können“. Als „potenziell schädliche Maßnahmen“ werden in dem Kodex jene Maßnahmen bezeichnet, die „gemessen an den üblicherweise in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Besteuerungsniveaus eine deutlich niedrigere Effektivbesteuerung“ — bis hin zur Nullbesteuerung — bewirken

(siehe http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/company_tax/harmful_tax_practices/index_de.htm).

(3)  ABl. C 93 vom 27.4.2007.

(4)  Doppelte Nichtbesteuerung kann das Ergebnis fehlender Abstimmung der einzelstaatlichen Steuersysteme sein, „z. B. auch in Bezug auf die Einstufung von Fremd- und Eigenkapital in den einzelnen Mitgliedstaaten (…) So kann in einem Mitgliedstaat ein Vorgang als Erhöhung des Eigenkapitals angesehen werden, so dass der daraus entstehende Kapitalertrag als nicht steuerpflichtig betrachtet wird, während er in einem anderen Mitgliedstaat als Darlehen behandelt wird und die Zinsen von dem betreffenden Unternehmen steuermindernd geltend gemacht werden können. Dies kann dazu führen, dass in einem Mitgliedstaat ein Abzug erfolgt, ohne dass es in einem anderen Mitgliedstaat zu einer entsprechenden Besteuerung kommt. Ein anderer Bereich betrifft die Verwendung“ hybrider „Rechtsformen, also von Rechtsformen, die in einem Mitgliedstaat als (nicht transparente) Kapitalgesellschaft und in einem anderen als (transparente) Personengesellschaft angesehen werden; diese unterschiedliche Einstufung durch die einzelnen Mitgliedstaaten kann zu doppelten Steuerbefreiungen bzw. zum doppelten Steuerabzug führen“ (Quelle: Mitteilung der Kommission zum Thema „Koordinierung der Regelungen der Mitgliedstaaten zu den direkten Steuern im Binnenmarkt“ KOM(2006) 823 endg., Ziffer 3).

(5)  Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, an das Europäische Parlament und an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss hinsichtlich der Notwendigkeit der Entwicklung einer koordinierten Strategie zur Verbesserung der Bekämpfung des Steuerbetruges“ABl C 161 vom 13.7.2007, S. 8.

(6)  Abrufbar unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/company_tax/harmful_tax_practices/index_de.htm (siehe auch Anlage 4).

(7)  Siehe die jüngste Mitteilung der Kommission „Umsetzung des Programms der Gemeinschaft für mehr Wachstum und Beschäftigung und eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von EU-Unternehmen: Weitere Fortschritte im Jahr 2006 und nächste Schritte zu einem Vorschlag einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB)“, KOM(2007) 223 endg. vom 2.5.2007.

(8)  ECO/165 — CESE 241/2006, ABl. C 88 vom 11.4.2006.

(9)  Siehe die EWSA-Stellungnahme „Entwicklung der Wertschöpfungs- und Lieferketten: europäische und globale Tendenzen“ (CCMI/037 — ABl C 168 vom 20.7.2007, S. 7).

(10)  Quelle: OECD, „Revenue Statistics 1965-2005, 2006 Edition“. Die Daten beziehen sich auf die EU-15.

(11)  Der Regelsteuersatz ist der gesetzlich vorgeschriebene Steuersatz.

Der effektive Steuersatz ist der unter Berücksichtigung sämtlicher Steuerfreibeträge bzw. -zahlungen von einer natürlichen Person oder einem Unternehmen zu entrichtende Steuerbetrag dividiert durch das Gesamteinkommen bzw. die steuerpflichtigen Einkünfte der Person bzw. des Unternehmens.

Implizite Steuersätze (iStS) werden für die verschiedenen Sektoren wirtschaftlicher Aktivität errechnet. Dabei werden die Gesamtsteuereinnahmen in den einzelnen Bereichen (Konsum, Arbeit und Kapital) auf der Grundlage der gesamtwirtschaftlichen Produktions- und Einkommenskonten als Prozentsatz der möglichen Bemessungsgrundlage ausgedrückt.

Der globale implizite Steuersatz auf Kapital drückt die Gesamteinnahmen aus Kapitalsteuern als Prozentsatz sämtlicher (prinzipiell) steuerpflichtiger Kapital- und Unternehmensgewinne in der Gesamtwirtschaft aus. Er soll die durchschnittliche Steuerbelastung von Kapitaleinkommen verdeutlichen.

(Die vorstehenden Definitionen stammen aus: Europäische Kommission, GD Steuern und Zollunion: Structures of the taxation systems in the EU, 1995-2004 — Anm. d. Ü.: nur in engl. Sprache verfügbar).

In den Anlagen 2 und 3 ist je eine Tabelle mit den Regelsteuersätzen und den impliziten Steuersätzen auf Kapital in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten wiedergegeben. Aufgrund von Unterschieden bei den Berechnungsmethoden kann für die effektiven Steuersätze keine Vergleichstabelle erstellt werden.

(12)  Quelle: Europäische Kommission, Structures of the taxation system in the European Union: 1995-2004, S. 83 (Dok. TAXUD E4/2006/DOC/3201). Zu Bulgarien und Rumänien sind derzeit keine Daten verfügbar.

(13)  Genauere methodische Analyse und detaillierte Präsentation der Daten: a.a.O., S. 84 ff.

(14)  Was Deutschland und Irland betrifft, so scheint ein weiterer Indikator das oben beschriebene Paradox zu bestätigen. So macht die Kapitalsteuer in Deutschland 15 % der gesamten Steuerlast aus, während es in Irland 28 % sind (Quelle: Structures of the taxation systems in the EU, 1995-2004, European Commission, table C.3_T).

(15)  Im Rahmen dieser Stellungnahme ist es nicht möglich, die betreffenden Daten aller Mitgliedstaaten auszuwerten und für jeden Mitgliedstaat nach der genauen Erklärung zu suchen oder die statistischen Indikatoren mit anderen Datengrundlagen abzugleichen.

(16)  Für einige Regelungen wurden Fristen festgesetzt, die bis 2016 reichen können.

(17)  Siehe Definition des Begriffs in Fußnote 2.

(18)  Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, an das Europäische Parlament und an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss hinsichtlich der Notwendigkeit der Entwicklung einer koordinierten Strategie zur Verbesserung der Bekämpfung des Steuerbetruges“ (ECO/187 — ABl C 161 vom 13.7.2008, S. 8).


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auswirkungen der europäischen Umweltschutzvorschriften auf den industriellen Wandel“

(2008/C 120/15)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Auswirkungen der europäischen Umweltschutzvorschriften auf den industriellen Wandel“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 13. November 2007 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI, Mitberichterstatter Herr NOWICKI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 137 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Umweltpolitik gehört zu den wichtigsten sozialen Herausforderungen, denen sich heute die Regierungen und die Entscheidungsträger in der Wirtschaft stellen müssen. Das zögerliche Angehen der Umweltprobleme auf internationaler Ebene kann nicht länger als Vorwand dafür dienen, die Veränderungen aufzuschieben, die bei den Rechtsvorschriften und Verhaltensweisen erforderlich sind, um die Verwirklichung des grundlegenden Ziels der EU, d. h. eine nachhaltige Entwicklung, zu gewährleisten.

1.2

Die europäische Industrie verfügt im Hinblick auf eine nachhaltige Wirtschaft über ein beträchtliches Potenzial, doch wird ihr Erfolg immer stärker von der Innovationsfähigkeit abhängen, die sie bei dem industriellen Wandel an den Tag legt. Dieser Wandel ist aufgrund der Öffnung der Märkte, der Globalisierung und des technologischen und kognitiven Wandels erforderlich, der durch die zunehmende Sensibilisierung für den Umweltschutz und den Erhalt der natürlichen Ressourcen beschleunigt wird.

1.3

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass sich alle wirtschaftlichen und sozialen Akteure, sowohl die öffentlichen als auch die privaten, sowie die politischen Entscheidungsträger und Behörden voll der Tatsache bewusst sein sollten, dass eine neue industrielle Revolution bevorsteht, die die Lebens- und Umweltqualität in den Mittelpunkt der Entwicklung stellt und eine neue integrierte Methode für die Entwicklung, Erzeugung, Nutzung, Erhaltung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen erfordert.

1.4

Der Ausschuss hält es für dringend notwendig, von einer passiven Verteidigungs- und Reaktionshaltung zu einem entschiedenen und proaktiven Vorgehen überzugehen und mit Hilfe eines auf EU- und einzelstaatlicher Ebene eingeführten klaren und stabilen Rahmens positiver und nachhaltiger Maßnahmen die Zukunft vorzubereiten, um Folgendes zu beschleunigen:

die Entwicklung und Anwendung sauberer Verfahrens- und Produkttechnologien;

die Förderung eines echten Unternehmergeistes, der auf eine umweltfreundliche Herstellung achtet;

die Ausbildung qualifizierten Fachpersonals.

1.5

Dieser neue proaktive Ansatz sollte nach Ansicht des EWSA auf Prävention statt auf nachträglichen Abhilfemaßnahmen beruhen und für alle einheitliche Verfahren im Rahmen eines „europäischen Umweltkodex“ umfassen, der dem Gesetzgeber, den Wirtschaftsakteuren und den Verbrauchern nützt.

1.6

Der Ausschuss ist überzeugt, dass die technische Entwicklung und die Innovation primär in der Verantwortung der Unternehmer und der Behörden liegen sollten: Die Unternehmer und Behörden müssen jedoch durch entsprechende europäische, nationale und lokale Strategien und öffentlich-private Partnerschaften angespornt, gefördert und unterstützt werden, die eine Vereinfachung und die Freisetzung der für die Bewältigung dieser Herausforderungen wesentlichen Ressourcen ermöglichen.

1.7

Der Ausschuss hält es für unerlässlich, die neuen und nachhaltigen Initiativen der Industrie auf EU-Ebene in die Strukturfonds, die gemeinschaftlichen Innovations-, Forschungs- und Bildungsprogramme und die entsprechenden Finanzinstrumente einzubetten.

1.8

Der Ausschuss weist die Kommission und die Mitgliedstaaten auf die Notwendigkeit hin, die Verabschiedung konkreter Vereinfachungsmaßnahmen zu beschleunigen, um unnötige Belastungen abzuschaffen und die steigenden wirtschaftlichen Kosten zu reduzieren, die durch den bürokratischen und technischen Aufwand entstehen, der von den geltenden Umweltvorschriften verursacht wird; letztere müssen gestrafft und auf kohärente Weise konsolidiert werden.

1.8.1

Eine enge Abstimmung ist erforderlich, und auf den verschiedenen Ebenen müssen Strategien und Instrumente entwickelt werden, die nicht nur Hand in Hand mit einer insbesondere auf die KMU ausgerichteten, möglichst klaren, benutzerfreundlichen und kostengünstigen Umweltpolitik gehen, sondern auch mit dem ständigen Bemühen um Vereinfachung und straffere Verwaltungsabläufe. Der Grundsatz „Weniger und bessere Rechtsetzung“ muss in konsolidierte und kohärente Umweltvorschriften umgesetzt werden, die für Rechtssicherheit und Transparenz bei der entsprechenden Ausrichtung des industriellen Wandels sorgen und auf einen besseren Schutz der natürlichen Ressourcen und der Umwelt und den Einsatz nachhaltiger und wettbewerbsfähiger technologischer Innovationen auf den Weltmärkten abstellen. Die KMU müssen in die Lage versetzt werden, die Kosten für die Einhaltung der Auflagen zu tragen, ohne dass ihr Wettbewerbsvorteil beeinträchtigt wird.

1.9

Der Ausschuss unterstreicht, wie wichtig es ist, rasch eine langfristige integrierte Gemeinschaftsstrategie zu verabschieden, die den öffentlichen und privaten Entscheidungsträgern die nötige Sicherheit gibt, um die zur Einhaltung hoher Umweltschutzstandards erforderlichen technischen und organisatorischen Anpassungen vornehmen zu können.

1.10

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt könnte eventuell so überarbeitet werden, dass den Zielen der Strategien von Lissabon und Göteborg im Hinblick auf die ökologische Nachhaltigkeit besser Rechnung getragen wird, um — klar und transparent und ohne den Wettbewerb zu verzerren — die erforderlichen langfristigen öffentlichen Investitionen zu fördern, die aus dem Begriff „Haushaltsdefizit“ ausgeklammert werden sollten.

1.11

Die Mitgliedstaaten sollten die Informationen der jährlichen Investitionspläne, die sie im Bereich Umweltschutz erstellen, sowie die Ergebnisse der Ex-post-Bewertungen ihrer gesetzgeberischen und finanziellen Maßnahmen in ihre Jahresberichte über den Lissabon-Prozess einfließen lassen. Diese bereits verfügbaren Daten sollten den auf den Umweltbereich entfallenden Anteil genauer darstellen und in dieser Form zu einem festen Bestandteil eines zusammenfassenden Berichts werden, den die Kommission jedes Jahr auf der Frühjahrstagung des Rates dem Parlament, dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und dem Ausschuss der Regionen vorlegen sollte.

1.12

Der Ausschuss hält es für wichtig, in den nationalen Strategien die positiven Auswirkungen der verschiedenen wirtschaftlichen Instrumente und steuerlichen Anreize auf die Umwelt hervorzuheben. Dies gilt vor allem für die Besteuerung, bei der Lösungen auf europäischer Ebene (1) angestrebt werden sollten und die sich auf Folgendes auswirkt:

die Produktionstätigkeit und die Beschäftigung;

die Nutzung der natürlichen Ressourcen;

den Grad der Umweltverschmutzung;

die Entscheidungen in Bezug auf ein hohes Umweltschutzniveau;

die Innovationen bei den Verfahrens-, Produkt- und Organisationstechnologien im Umweltbereich.

1.13

Die Festlegung quantifizierbarer und gemeinsamer Ziele muss beschleunigt werden, damit die auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates und auf dem anschließenden Treffen der Umweltminister gefassten und durchaus weitreichenden Beschlüsse umgesetzt werden können.

1.14

Der Ausschuss bekräftigt die wesentliche Rolle, die die Sozialpartner und die Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft bei der Bewältigung der Wettbewerbs-, Energie- und Umweltprobleme auf den verschiedenen Ebenen — angefangen bei der europäischen Ebene — branchenübergreifend und innerhalb der einzelnen Industriezweige übernehmen müssen: Diese Probleme wirken sich maßgeblich auf zahlreiche Industriezweige aus, erfordern strukturelle und umfassende Anpassungen, vor allem im verarbeitenden Sektor, und bedürfen einer engen Abstimmung und eines integrierten Ansatzes bei gleichzeitigem stetigen Streben nach Vereinfachung und Entbürokratisierung.

1.15

Die Umweltprobleme, die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen und die Schaffung neuer, umweltverträglicher Marktchancen und neuer und anspruchsvollerer Arbeitsplätze unter Berücksichtigung von Umweltbelangen muss nach dem Dafürhalten des Ausschusses mit unternehmer- und arbeitnehmerfreundlichen Rahmenbedingungen Hand in Hand gehen, die das Innovationspotenzial der Unternehmen und der Arbeitnehmer und die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und bildungspolitischen Anstrengungen fördern, die ihnen ständig abverlangt werden, um auf dem Markt konkurrenzfähig zu bleiben.

1.16

Wie der EWSA, die hohen Verantwortlichen der Kommission, des Rats und des Europäischen Parlaments mehrfach betont haben, muss der auf den Unternehmen lastende administrative und bürokratische Aufwand unbedingt verringert werden, um ihre wirtschaftlichen und sozialen Kräfte freizusetzen und diese für die nachhaltige Modernisierung des Arbeitsumfelds und der Produktions- und Organisationsstrukturen einzusetzen.

1.17

Es sollte konsequent eine integrierte, proaktive Unternehmenspolitik verfolgt werden, der es gelingt, die Verpflichtung zum Umweltschutz mit der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden, die Lebens- und Arbeitsqualität zu erhalten und gleichzeitig die Beschäftigungsquote zu erhöhen und die Verfügbarkeit umweltbewusster und entsprechend qualifizierter Arbeitnehmer zu garantieren: Die Wirkungskraft der Programme für Forschung und technologische Entwicklung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit und des Life+-Programms muss im Einklang mit den auf Kohäsion ausgerichteten struktur- und regionalpolitischen Förderinstrumenten erhöht werden, indem Letztere leichter zugänglich gemacht werden.

1.18

Bei ihren Bemühungen um die Entwicklung einer Wissensgesellschaft muss die Gemeinschaft darauf achten, in die allgemeine und berufliche Bildung — angefangen bei der Grundschule bis hin zu Berufsbildung, Management-Schulungen und wissenschaftlicher Ausbildung — ökologische Aspekte einfließen zu lassen.

1.19

Es gilt, konsequent den Auswirkungen Rechnung zu tragen, die die sozialen, ökonomischen und ökologischen Aspekte auf nationaler und internationaler Ebene haben, damit sich die Unternehmen auf der Grundlage gleicher Wettbewerbsbedingungen mit dem Weltmarkt messen können und bei der nachhaltigen Entwicklung die neue und größere gegenseitige Abhängigkeit, die zwischen verschiedenen Ländern und großen Wirtschaftsräumen von kontinentalen Ausmaßen entstanden ist, Berücksichtigung findet.

1.20

Europa muss auf bilateraler und multilateraler Ebene mit einer Stimme sprechen können, um dafür zu sorgen, dass in die in der WTO und auf bilateraler Ebene ausgehandelten Vereinbarungen nicht nur die soziale Dimension, sondern auch eine ausgeprägte ökologische Dimension aufgenommen wird.

2.   Einleitung

2.1

Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung am 8./9. März 2007 in Brüssel den Themen Umwelt und Klimawandel besondere Aufmerksamkeit geschenkt und dabei konkrete Ziele abgesteckt.

2.1.1

Die Zielvorgabe lautet, die CO2-Emissionen bis 2020 um 20-30 % und bis 2050 um 60-80 % gegenüber dem Stand von 1990 zu verringern.

2.2

Im Jahresbericht 2007 der Kommission über den Stand der Umsetzung der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung wird der Schwerpunkt auf den Klimawandel, die Ökoinnovationen, die Energieeffizienz, die erneuerbaren Energieträger und die Energiemärkte gelegt.

2.2.1

In dem Bericht wird betont, dass ein engagiertes Handeln in diesem Bereich zu wirkungsvollen Lösungen für die Umweltprobleme, einer nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen und der Schaffung neuer Marktchancen und Arbeitsplätze führen dürfte.

2.3

Auf der Ratstagung „Umwelt“ am 20. Februar 2007 wurde unterstrichen, dass die überarbeitete Strategie der EU für die nachhaltige Entwicklung und die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung einander ergänzen und die Lissabon-Strategie einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung des obersten Ziels nachhaltige Entwicklung leistet. Darüber hinaus wurde erneut darauf verwiesen, wie wichtig ein stärkerer Umweltschutz ist, der als einer der Grundpfeiler der nachhaltigen Entwicklung gesehen werden sollte, und dass ökologische Gesichtspunkte in alle Politikfelder einbezogen werden müssen.

2.4

Eine gut durchdachte Umweltpolitik, die den erforderlichen Anpassungszeiträumen gebührend Rechnung trägt und die Grundsätze der besseren Rechtsetzung und der Vereinfachung der Rechtsvorschriften und Verwaltungsabläufe berücksichtigt, kann durch die aktive Förderung der Ökoinnovation und einer effizienten Ressourcennutzung einen positiven Beitrag zu Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung leisten. Es darf nicht zu einem Wettlauf bei der Anpassung der Gesetze kommen, der dazu führt, dass die geltenden Rechtsvorschriften ständig geändert werden.

2.5

Der Rat hat die Kommission aufgefordert, so bald wie möglich ein Grünbuch über die marktgestützten Instrumente als Handlungsansätze im Umweltbereich vorzulegen. Darin werden neue kostenwirksame umweltpolitische Instrumente aufgezeigt werden müssen, die gemeinsam mit Rechtsvorschriften und finanziellen Anreizen in den Mitgliedstaaten eingesetzt werden sollen. Diese Maßnahmen sollten keine Marktverzerrungen auslösen; außerdem sollten sie in allen Produktionssektoren auf Umwelteffizienz abzielen und sicherstellen, dass für lokale Probleme lokale Lösungen gefunden werden.

2.5.1

Der Ausschuss hat Folgendes unterstrichen: „Damit jedoch von einer Strategie für nachhaltige Entwicklung ein echter Impuls ausgehen kann, muss sie anhand konkreter messbarer Ziele und Vorgaben auf der Grundlage einer strengen Analyse umgesetzt werden“. Im Dokument des Rates Überprüfung der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung heißt es: „Die neue Strategie enthält zwar eine große Zahl von Zielen und Maßnahmen, setzt diese jedoch nicht in Beziehung zu einer quantifizierten Analyse von Daten und Entwicklungen oder zu einer qualitativen Analyse von Fragestellungen und Problemen“ (2).

2.6

Daher sollte sich die CCMI angesichts der Erfahrungen, die der EWSA und die CCMI in zahlreichen einschlägigen Stellungnahmen gesammelt haben, unbedingt mit dem umfassenden Thema der Auswirkungen europäischer Umweltschutzvorschriften auf den industriellen Wandel auseinandersetzen.

2.7

Der Rat „Wettbewerb“ unterstrich auf seiner Tagung am 4. Dezember 2006, wie wichtig eine ehrgeizige Förderung der Ökoinnovation (insbesondere in der Industrie), der Wettbewerbsfähigkeit sowie von Forschung und Entwicklung ist, wobei das Potenzial der Pilotmärkte in beispielsweise folgenden Bereichen in vollem Umfang genutzt werden sollte:

nachhaltige Technologien mit geringen Umweltauswirkungen und sichere Technologien,

umweltgerechte Gestaltung der Produkte (Öko-Design),

erneuerbare Energieträger,

Energieeffizienz und Schonung der natürlichen Ressourcen,

Wasserversorgungsdienste.

Diesen Bereichen sollte die Materialeffizienz (3) hinzugefügt werden.

2.7.1

Ziel ist es, Europa bei der Ökoinnovation eine Vorreiterrolle zu verschaffen und in puncto Energieeffizienz zur führenden Region der Welt zu machen.

2.8

Die CCMI hat in jüngerer Zeit in den beiden Stellungnahmen „Der industrielle Wandel: Bilanz und Aussichten — Eine Gesamtbetrachtung“ und „Nachhaltige Entwicklung als Motor des industriellen Wandels“, die am 25. September 2003 bzw. 14. September 2006 vom EWSA verabschiedet wurden (4), eingehende Überlegungen zu Maßnahmen zur Eindämmung der Nachfrage angestellt. Darin geht es in erster Linie um die Untersuchung der Dynamik einer „Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, die ihrigen zu befriedigen“ (5).

2.9

In der vorliegenden Initiativstellungnahme soll dieses Thema hingegen aus dem Blickwinkel des Angebots an ökologisch nachhaltigen Produktionsmethoden näher beleuchtet werden. Es sollen die europäischen Umweltschutzvorschriften analysiert werden, die drastische Auswirkungen auf die Arbeitsweise des Herstellungs- und Vertriebsgewerbes haben, wobei vor allem der Einfluss auf die Produkte, die Verfahren und das Dienstleistungsangebot immer mehr zunimmt.

2.10

Wenn die integrierte Produktpolitik (IPP) erst einmal festgelegt und in all ihren operationellen Konsequenzen evaluiert worden ist, wird sie zu einem festen Bestandteil der Gemeinschaftsstrategie für die nachhaltige Entwicklung werden. Alle Produkte haben eine Auswirkung auf die Umwelt, sei es während der Produktion, beim Gebrauch oder bei der Entsorgung. Für Dienstleistungen gilt das Gleiche. Die EU versucht, mit Hilfe von Maßnahmen wie dem Umweltzeichen, dem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS) oder freiwilligen Vereinbarungen die Wirtschaftakteure und die Zivilgesellschaft dazu zu bringen, sich für den Umweltschutz zu engagieren.

2.11

Um einen wirksamen Umweltschutz zu gewährleisten, ist eine genaue Abschätzung der Folgen erforderlich, die die Entscheidungen und das Handeln des Menschen für die Umwelt haben. Die Auswirkungen auf die Umwelt können anhand des Systems zur Prüfung der Umweltverträglichkeit der öffentlichen und privaten Vorhaben im Voraus oder mit Hilfe von in den Mitgliedstaaten unter Einbeziehung aller betroffener Akteure durchgeführten Umweltkontrollen im Nachhinein untersucht werden.

2.11.1

Eben solche Beachtung müssen eine nachhaltige Industriepolitik und ein nachhaltiges Konsumverhalten finden.

2.12

Darüber hinaus sind die Schädigung von Naturschutzgebieten und Gewässern sowie die Bodenverschmutzung nun Sanktionen unterworfen. Das Verursacherprinzip nahm mit der Verabschiedung der Richtlinie zur Umwelthaftung im Jahr 2004 konkrete Gestalt an, derzufolge der Verursacher für die Sanierung von Umweltschäden finanziell haftbar gemacht werden kann. Darüber hinaus gibt es europäische Rechtsvorschriften über die Abfallentsorgung, die Verpackungen, den Lärmschutz, die Wasser- und die Luftverschmutzung, den Klimawandel, technologische und natürliche Risiken sowie Unfälle mit gefährlichen Stoffen (6).

2.13

Die systematische Einbeziehung von Umweltanforderungen in das Produktdesign (7) zur Reduzierung der negativen Auswirkungen auf die Umwelt über den gesamten Lebenszyklus des Produkts hinweg ist in einem immer stärker globalisierten Markt ein Ziel von großer Tragweite. Sie ist Gegenstand klarer europäischer Rechtsvorschriften und gehört zu den Prioritäten des Sechsten Umweltaktionsprogramms (2002-2012) der Europäischen Union, das die Ausarbeitung und Umsetzung von sieben thematischen Strategien (8) vorsieht, zu denen der EWSA bereits Stellung genommen hat und die sowohl im Allgemeinen als auch im Besonderen das Produktions- und das Vertriebssystem betreffen.

2.14

Die CCMI befürwortet voll und ganz das Ziel, bei der Gestaltung der Produkte und der Produktions- und Vertriebsverfahren von Anfang an den Umweltauflagen Rechnung zu tragen, wenn dies als fester Bestandteil der Lissabon-Strategie geschieht, um die im Wandel begriffene europäische Industrie wieder wettbewerbsfähig zu machen, nicht nur im Hinblick auf eine nachhaltige und kohärente Entwicklung, sondern auch eine Verringerung des technischen und administrativen Aufwands der Unternehmen, insbesondere kleinerer Unternehmen, durch Vereinfachung und Straffung.

2.15

Durch die Festlegung eines kohärenten Rahmens für die Maßnahmen zur Berücksichtigung der Umweltauflagen bei Gestaltung, Entwicklung, Vertrieb und Entsorgung aller energiebetriebenen Produkte werden mehr als 70 % der auf dem Binnenmarkt im freien Verkehr befindlichen Produkte abgedeckt (9). Dieser Rahmen ist nicht auf die Aspekte der Energie effizienz beschränkt, sondern schließt alle Aspekte der Auswirkungen auf die Umwelt (feste und gasförmige Emissionen, Lärmemissionen, elektromagnetische Strahlung usw.) ein.

2.16

Das Produktions- und Vertriebssystem wird jedoch auch von zahlreichen Umweltschutzvorschriften beeinflusst, was zu tief greifenden Veränderungen bei der Art und Weise führt, wie in der EU Produkte hergestellt und Dienstleistungen erbracht werden. Diese Vorschriften müssen transparent gestaltet, vereinfacht und konsolidiert werden. Das Engagement der Gemeinschaft in der Umweltpolitik wirkt sich nämlich horizontal auf alle anderen politischen Bereiche aus, seien es politische Maßnahmen zur technischen Normung, zur Reglementierung der chemischen Stoffen (REACH-Verordnung), beschäftigungspolitische Maßnahmen oder Maßnahmen in Bezug auf den Binnenmarkt sowie den Waren- und Dienstleistungsverkehr.

2.17

Bei der Umsetzung der Maßnahmen muss berücksichtigt werden, wie sich die Begleiterscheinungen auswirken, welche ja häufig die Reichweite der wichtigsten Ziele verringern (10) und die Wirtschaft durch unbeabsichtigte, jedoch schwerwiegende Folgen beeinträchtigen, weil keine Gesamtbewertung innerhalb eines integrierten Rahmens erfolgt (11).

3.   Der aktuelle umweltpolitische Rahmen der Gemeinschaft

3.1

Die Umweltpolitik gehört zu den wichtigsten sozialen Herausforderungen, denen sich heute die Regierungen und die Entscheidungsträger in der Wirtschaft stellen müssen. Das zögerliche Angehen der Umweltprobleme auf internationaler Ebene kann nicht länger als Vorwand dafür dienen, die Veränderungen aufzuschieben, die bei den Rechtsvorschriften und Verhaltensweisen erforderlich sind, um die Verwirklichung des grundlegenden Ziels der nachhaltigen Entwicklung, zu gewährleisten. Die nachhaltige Entwicklung ist eine globale Herausforderung, der unsere Partner in der ganzen Welt gegenüberstehen.

3.2

Die nachhaltige Entwicklung sollte nach Auffassung des Ausschusses (12) eine in mehr Wohlstand lebende und gerechtere Gesellschaft mit sich bringen, die Garant für eine sauberere, sicherere und gesündere Umwelt ist, die unserer Generation sowie unseren Kindern und Kindeskindern eine bessere Lebens- und Arbeitsqualität bietet. Dies setzt jedoch voraus, dass die Strategien und Instrumente der EU besser aufeinander abgestimmt werden, damit ein proaktives und unbürokratisches Umfeld geschaffen werden kann, das der wirtschaftlichen und sozialen Dimension des industriellen Wandels Rechnung trägt und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im globalen Umfeld stärkt.

3.3

Um das Wirtschaftswachstum mit sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit zu vereinbaren, ist wissenschaftlicher und technischer Fortschritt unerlässlich, wie der Ausschuss bereits betont hat: „Wissenschaftliche und technische Höchstleistungen und deren Umsetzung in wettbewerbsfähige Wirtschaftskraft sind die entscheidenden Voraussetzungen, um unsere Zukunft — z. B. bezüglich der Energie- und Klimaproblematik — zu sichern, unsere derzeitige Position im globalen Umfeld zu erhalten und zu verbessern und um das europäische Sozialmodell nicht zu gefährden, sondern ausbauen zu können“ (13).

3.4

Im Siebten Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007 bis 2013) wird eindeutig der Umweltproblematik Vorrang gegeben. Diesbezüglich hat der EWSA Folgendes hervorgehoben: „Für die Lebensqualität und die Lebensvoraussetzungen der heutigen und künftiger Generationen ist Umweltschutz von grundlegender Bedeutung. Die damit verbundenen Probleme — seien sie anthropogener oder naturgegebener Ursache — zu erkennen und zu lösen, ist ein besonders ehrgeiziges und möglicherweise vitales Ziel. Diese Aufgabe ist eng mit Fragen der verschiedensten Forschungs- und Politikbereiche verbunden: Wirtschaftspolitik, Energiepolitik, Gesundheitspolitik und Landwirtschaftspolitik, einschließlich Überwachungsaufgaben und, wegen der globalen Aspekte, internationaler Vereinbarungen“ (14).

3.4.1

Die Europäischen Technologieplattformen (15) sind ein wichtiges Instrument zur Freisetzung des innovativen Potenzials Europas. Sie werden ergänzt durch den Aktionsplan für Umwelttechnologien, in dem von „Leitmärkten“ die Rede ist.

3.4.2

Die verarbeitende Industrie wird auch weiterhin für die Wirtschaftstätigkeit Europas von Bedeutung sein, vorausgesetzt, sie richtet ihre künftige Entwicklung stets an den neuen Kriterien für die Wahrung der Lebensqualität und den Schutz der Umwelt aus und achtet hierbei immer auf eine nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, indem sie:

neue Geschäftsmodelle entwickelt;

Produkte und Dienstleistungen mit großem Mehrwert anbietet;

fortschrittliche Industrietechnik unter Einsatz ökologischer hochtechnischer Verfahren anwendet;

auf neue Produktionstechniken und -wissenschaften zurückgreift, um ökologische und technische Normen festzulegen;

die FTE-Modelle und die Bildungsinfrastrukturen aktualisiert und darin die neuen Umweltkriterien einfließen lässt;

ein umweltgerechtes Auftragswesen entwickelt;

wie im Aktionsplan (16) vorgesehen neue Formen der Finanzierung von Umwelttechnologien findet;

für eine bessere Anwendung der Forschung und der technisch-normativen Standards sorgt.

3.5

Die mit Mitteln von insgesamt 308 Mrd. EUR ausgestatteten Instrumente der Kohäsionspolitik 2007-2013 räumen der nachhaltigen Entwicklung einen hohen Stellenwert unter den vorrangigen Zielen ein und dienen der Förderung der Synergien zwischen der sozialen und der ökologischen Dimension: „Der Umweltschutz muss bei der Vorbereitung von Programmen und Projekten im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung berücksichtigt werden“ (17).

3.5.1

Mit dem EFRE werden EU-weit Programme in den Bereichen regionale Entwicklung, wirtschaftlicher Wandel, verbesserte Wettbewerbsfähigkeit und territoriale Zusammenarbeit gefördert. Zu seinen Finanzierungszielen gehören auch der Umweltschutz, die Forschung und die Risikoverhütung in diesem wichtigen Sektor, vor allem in den am wenigsten entwickelten Regionen.

3.5.2

Der Kohäsionsfonds beteiligt sich an Interventionen in den Bereichen Umwelt und transeuropäische Verkehrsnetze. Die Fondsmittel werden derzeit für Mitgliedstaaten mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von weniger als 90 % des Gemeinschaftsdurchschnitts eingesetzt (18), wobei allerdings für den Eisenbahnverkehr im Vergleich zum Verkehr auf der Straße nur knappe Mittel bereitgestellt werden — mit schädlichen Wirkungen für Umwelt und Lebensqualität.

3.5.3

Es ist eine Neuausrichtung der Kohäsionsausgaben auf gemeinsame Themen vorgesehen, darunter Forschung und technische Entwicklung, Innovation und unternehmerische Initiative, Informationsgesellschaft, Verkehr, Energie einschließlich der erneuerbaren Energieträger, Umweltschutz und mit den Humanressourcen und der Arbeitsmarktpolitik verbundene Themen.

3.5.4

Der Ausschuss verweist im Übrigen auf Folgendes: „Struktur- und Kohäsionsfonds haben schon früh die Zielsetzungen der Lissabon-Strategie in all ihren Dimensionen vorweggenommen — Wachstum, Zusammenhalt, Arbeitsplätze und Arbeitsqualität, ökologische Nachhaltigkeit — und zur Festigung des europäischen Sozialmodells beigetragen“ (19).

3.5.5

Das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation 2007-2013, das der Ausschuss mehr als positiv aufgenommen hat (20), umfasst unter anderem das Programm intelligente EnergieEuropa, das darauf abzielt, die nachhaltige Entwicklung im Energiebereich zu unterstützen, neben der Energieeffizienz die Versorgungssicherheit zu verbessern und die erneuerbaren Energien zu fördern. Das Finanzinstrument LIFE+ soll — auch wenn seine Mittelausstattung zu bescheiden ausgefallen ist (21) — einen Beitrag zur Entwicklung und Demonstration innovativer Strategien und Instrumente, zur Konsolidierung der Wissensbasis für Entwicklung, Bewertung, Überwachung und Evaluierung, zum Aufbau von Kapazitäten, zum Austausch vorbildlicher Praktiken, zur Verbesserung der Verwaltungspraxis im Umweltbereich und zur Verbreitung von Informationen und Sensibilisierung für Umweltfragen leisten.

3.5.6

Ferner sind die von der EIB gewährten individuellen Finanzierungen für Umweltschutzprojekte zu nennen, worauf der Ausschuss bereits in früheren Stellungnahmen verwiesen hat. Diese machten ein Drittel des Gesamtbetrags der individuellen Finanzierungen aus, die sich im Jahr 2005 in der Europäischen Union auf 10,9 Mrd. EUR beliefen.

3.5.7

Der Ausschuss hat unterstrichen, dass in „unserem für den weltweiten Wettbewerb offenen Umfeld (…) im Rahmen einer Politikgestaltungsstrategie zugunsten einer sozialverantwortlichen Entwicklung der Regionen eine dauerhafte wirtschaftliche Entwicklungsdynamik von hoher sozialer Qualität gewährleistet werden“ muss, um „ein hohes Maß an ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit der Entwicklung, sowohl in Bezug auf die Produktion als auch den Verbrauch“ (22), zu ermöglichen.

3.5.8

Im Übrigen hat nach Auffassung des Ausschusses die Städteplanungspolitik angesichts der Tatsache, dass 40 % der CO2-Emissionen in den Städten verursacht werden, oberste Priorität, auch „zur Einhaltung der EU-Zielwerte und -Vorschriften für die innerstädtische Luftqualität …“ (23).

3.6

Es ist allerdings hervorzuheben, dass die für staatliche Beihilfen im Umweltbereich geltenden Rechtsvorschriften, zu denen der EWSA bereits Stellung genommen hat (24), drei wesentliche Beihilfearten unterscheiden:

Betriebsbeihilfen, die für die Abfallbewirtschaftung und Energieeinsparung gewährt werden;

Beihilfen für KMU für Unterstützungs- und Beratungstätigkeiten im Umweltbereich (25);

Beihilfen für Investitionen, die für die Erreichung von Umweltzielen, die Verringerung oder Beseitigung von Umweltverschmutzung und Schadstoffen oder die Umstellung auf umweltfreundliche Herstellungsverfahren erforderlich sind.

Dieses Regelwerk muss bis Ende 2007 überarbeitet werden.

3.7

Nach dem Dafürhalten des Ausschusses gilt es, so rasch wie möglich:

den Emissionshandel zu verbessern und zu fördern (26);

die Kohlenstoffabscheidungs und -speicherungstechnik zu entwickeln;

die vom Verkehr verursachten Emissionen einzudämmen;

die Aufmerksamkeit auf das nachhaltige Wachstum zu richten;

Energieeinsparungen zu untersuchen, die durch die Verbesserung der den Verbrauchern zur Verfügung gestellten Informationen und die Anwendung der Leitlinien zum Energieverbrauch von Gebäuden sowie der künftigen europäischen Charta der Rechte der Energieverbraucher (27) ermöglicht werden.

3.7.1

Schließlich wurden die bei der Kraftstoffeffizienz erzielten Verbesserungen teilweise von der Zunahme des Güter- und Personenverkehrs zunichte gemacht, der zu einem Nettoanstieg der Treibhausgase geführt hat (siehe Datenbank des International Climate Change Partnership — Europäische Umweltagentur) (28). Auf lokaler Ebene gibt es nach wie vor schwere Probleme, darunter insbesondere die Verkehrsüberlastung, die Lärmbelastung und die Rußpartikelemissionen, wenngleich hier die technische Entwicklung auf dem Gebiet der Filtertechnik gute Ergebnisse für die Zukunft verspricht (29).

3.8

Die Umsetzung der Regelungen und Rechtsvorschriften erscheint, auch im Umweltbereich, nicht zufrieden stellend, wenn man nach dem letzten, im Februar 2007 vorgelegten Binnenmarktanzeiger geht, demzufolge die meisten Verstöße gegen Binnenmarktvorschriften im Umweltbereich erfolgen. Diese machen inzwischen mehr als 18 % sämtlicher Verstöße aus. Zählt man zu diesen die Verstöße im Energie- und Verkehrsbereich hinzu, so kommt man auf ca. ein Drittel aller Verstöße (30).

3.8.1

Der erste gemeinschaftliche Rechtsakt, in dem als eines der Hauptziele die Anwendung des Verursacherprinzips vorgesehen ist, ist die Richtlinie 2004/35/EG vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, die der Ausschuss befürwortet hat (31), weil sie zum Ziel hat, Umweltschäden zu vermeiden bzw. den Ausgangszustand wiederherzustellen.

3.8.2

Auch mit dem Ziel, das Regelwerk, die Vorschriften und die Verwaltungsabläufe zu verbessern, zu vereinfachen und zu straffen, wurde im Jahr 2006 mit der Überarbeitung einiger Rechtsvorschriften begonnen. Zu diesen gehören:

die RoHS-Richtlinie 2002/95/EG, die das Verbot und die Beschränkung der Verwendung von Blei, Quecksilber, Cadmium, sechswertigem Chrom und einigen Flammhemmern in Elektro- und Elektronikgeräten vorsieht;

die Richtlinie 2002/96/EG über Elektro- und Elektronik-Altgeräte, die so genannte WEEE-Richtlinie, die darauf abzielt, den für die Entsorgung auf Deponien bestimmten Abfall durch Strategien zur Wiederverwendung und zum Recyceln von Altgeräten und ihren Bestandteilen zu vermeiden und einzudämmen;

die IVU-Richtlinie (IPPCIntegrated Pollution and Prevention Control) für die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung;

die Abfallrahmenrichtlinie  (32), in der drei bestehende Richtlinien zusammengefasst wurden.

3.8.3

Nach Auffassung des Ausschusses bieten sich hiermit den Herstellern echte Möglichkeiten, mit Hilfe umweltverträglicherer Produkte und Herstellungsverfahren ökologische Aspekte in die langfristige Unternehmensstrategie einzubeziehen und neue Absatzmärkte zu erschließen.

3.8.4

Wie der Ausschuss in seiner diesbezüglichen Stellungnahme unterstrichen hat (33), muss im Bereich der Strategie der integrierten Produktpolitik (IPP) der EUP-Rahmenrichtlinie 2005/32/EG (umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte) besondere Bedeutung beigemessen werden, die alle mit Energie — von elektrischer bis fossiler Energie — betriebenen Geräte betrifft und darauf abzielt, einen Rechtsrahmen für die Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der Produktgestaltung in zahlreichen Industriebranchen zu schaffen.

3.8.5

Die Verordnung 1907/2006/EG, besser unter der Bezeichnung REACH (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals — Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe) bekannt, ersetzt ca. vierzig Vorschriften, indem ein einheitliches System für alle chemischen Stoffe geschaffen wird. Der Ausschuss hat in der Vergangenheit sein Befremden über die Komplexität dieser Verordnung und der umfangreichen technischen Anhänge zum Ausdruck gebracht (34).

3.9

Was die freiwilligen Maßnahmen anbelangt, so sind wirksame Instrumente entwickelt worden, die von den Umweltvereinbarungen über das europäische Umweltsiegel bis hin zum Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS) reichen. Hinzu kommen die vorgeschlagenen Vorschriften im Bereich der sozialen Verantwortung der Unternehmen und der Entwicklung eines sozial verantwortlichen Territoriums.

3.9.1

Die Kommission hat im Juli 2002 eine Mitteilung über Umweltvereinbarungen im Rahmen des Aktionsplans „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“ vorgelegt (35), zu der der EWSA Stellung genommen hat (36). In dem Aktionsplan wurde gemäß dem Auftrag des Europäischen Rates von Lissabon, der in Stockholm, Laeken und Barcelona bekräftigt wurde, das Ziel einer „Strategie für weitere koordinierte Maßnahmen zur Vereinfachung des Regelungsrahmens“ aufgestellt, um die Rechtssicherheit zu gewährleisten und den Wirtschaftakteuren mehr Flexibilität zu erlauben.

3.9.2

Im Übrigen hatte die Kommission bereits 1996 freiwillige Umweltvereinbarungen als Instrument zur Selbst- und Koregulierung eingeführt, die den Vorteil besitzen, sich die proaktive Haltung der Industrie zunutze zu machen und wirksame sowie angemessene, rasch umsetzbare Problemlösungen bereitzustellen. Dank dieser Instrumente können die Rechtsetzungsverfahren wesentlich verbessert werden, „um sie weniger komplex, flexibler und für die Unionsbürger leichter verständlich zu gestalten“, wobei „auf die leichtere Annahme freiwilliger Umweltvereinbarungen auf Gemeinschaftsebene“ abgezielt wird (37).

3.9.3

Der Ausschuss unterstreicht in diesem Zusammenhang Folgendes: „Die Kommission sollte immer überlegen, ob die angestrebten Ziele tatsächlich eines Rechtsrahmens bedürfen oder ob nicht die Selbst- oder Koregulierung ausreichen würde. Nach Auffassung des Ausschusses sollte bei verschiedenen Optionen diejenige den Zuschlag erhalten, mit der sich dieselben Ziele bei geringeren Kosten und geringerem Verwaltungsaufwand erreichen lassen und die optimale Transparenz sowie die größtmögliche Teilhabe der betroffenen Akteure gewährleistet wird“ (38).

3.9.4

Was das europäische Umweltsiegel angeht, das die Unternehmen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1980/2000 beantragen können, um Produkte mit geringeren Umweltauswirkungen und andere Produkte, die in dieselbe Kategorie fallen, zu fördern und den Verbrauchern genaue und wissenschaftlich fundierte Informationen und Angaben zu den Produkten zu liefern, so könnte sein möglicher Erfolg lediglich durch die unkontrollierte Ausbreitung von Gemeinschaftskennzeichnungen und zusätzlichen nationalen Umweltsiegeln getrübt werden: „Befremdend ist der Hinweis auf die Zulassung verschiedener Umweltkennzeichnungssysteme (einschließlich der Umweltdeklarationen und Eigendeklarationen), denn diese würde bedeuten, dass auf Ebene der Mitgliedstaaten zur Überprüfung der Richtigkeit der Angaben weitere Instrumente und Kontrolltypen geschaffen werden müssten. In diesem Zusammenhang hatte sich der WSA in seiner Stellungnahme zur neuen Verordnung für das Ecolabel (39) gegen den ‚Wildwuchs‘ von Umweltzeichen ausgesprochen, da sie die Verbraucher verwirren und ihre Aussage bisweilen irreführend ist“ (40).

3.9.5

Der Ausschuss hat sich mehr als positiv zu der freiwilligen Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS) geäußert (41) und hält die EMAS-Zertifizierung für „ein nützliches Instrument zur Verfolgung des vorrangigen Ziels, zukunftsfähige Produktionsmuster und Verbrauchsgewohnheiten zu fördern (nachhaltige Entwicklung)“, dessen Aufgabe es ist, „auf Organisationen hinzuweisen, die über die gesetzlichen Mindestauflagen hinaus dauerhaft ihre Umweltstandards verbessern, und diese Organisationen dafür auszuzeichnen (42). Einzelne Organisationen und Institutionen suchen durch die Anwendung des EMAS nach konkreten Möglichkeiten, wie sie die ökologischen Auswirkungen bestimmter Aktivitäten messen und vermindern können — beispielsweise die Nutzung von Energie und Materialien oder Reisen mit Pkw, Zug oder Flugzeug“ (43).

3.9.6

Was die soziale Verantwortung der Unternehmen anbelangt, so ist diese — wie der Ausschuss mehrfach betont hat (44) — „ein wichtiger Beitrag zur Verwirklichung des in Lissabon vorgegebenen strategischen Ziels“ und kann nach Ansicht des Ausschusses nicht losgelöst gesehen werden von den Begriffen sozial verantwortliches Territorium und regionale und lokale Politik zur Bewältigung des industriellen Wandels „durch die Schaffung und Förderung von neuen Unternehmen, neuen Berufsprofilen und mehr und besseren Arbeitsplätzen“ — wobei „das europäische Gesellschaftsmodell gewahrt werden und eine Ausrichtung auf eine wissensbasierte Wirtschaft stattfinden“ (45) muss — und durch einen integrierten territorialen Ansatz zur Unterstützung der „Verbesserung des Umweltschutzes im Rahmen des wirtschaftlichen und industriellen Wandels“ (46). Im Zeitraum 2000-2005 haben die Ausgaben für den Umweltschutz in der EU einen Jahresdurchschnitt von ca. 1,7 % der Wertschöpfung der Industrie erreicht (47).

3.9.7

Der Ausschuss hat sich mehrfach mit der Frage der Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung beschäftigt (48). Er äußerte sich „überzeugt, dass der Normungsprozess ohne weitere Behinderungen beschleunigt werden muss, um so die Entwicklung und hohe Qualität des Binnenmarktes unter allen Gesichtspunkten — einschließlich der Umweltaspekte — zu gewährleisten. Ziel ist ein effizienter, kostengünstiger und unbürokratischer Normungsprozess und die vorausschauende Bewahrung der institutionellen Kapazitäten in den Mitgliedstaaten.“

3.9.8

Der Ausschuss bekräftigt in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit einer Komplementarität zwischen verbindlichen Umweltvorschriften und freiwilligen technischen Normen, die aus einem ausgeprägten Umwelt- und Qualitätsbewusstsein heraus entstehen sollten; darüber hinaus sollten flexiblere Verhaltensrichtlinien mit dem Ziel umweltfreundlicher Normungsprozesse für Unternehmen und für die KMU gefördert werden.

3.9.9

Seines Erachtens kommt der Anpassung der Spezifikationen öffentlicher Aufträge an die Anforderungen des Umweltschutzes und der ökologischen Nachhaltigkeit sowohl bei den öffentlichen Bauaufträgen und den Konzessionen als auch bei den so genannten ausgeklammerten Sektoren eine wichtige Rolle zu.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass aufgrund des engen Zusammenhangs, der zwischen den Problembereichen Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt besteht, die vor allem auf zahlreiche Grundstoff- und Produktionsgüterindustrien bedeutende Auswirkungen haben, weshalb im verarbeitenden Gewerbe erhebliche strukturelle Anpassungen notwendig sind, eine genaue Abstimmung erforderlich ist und auf den verschiedenen Ebenen ein integrierter Ansatz für eine Vielzahl von Strategien und Instrumenten entwickelt werden muss, der mit dem ständigen Bemühen um eine in erster Linie auf die KMI ausgerichtete Vereinfachung und Entbürokratisierung einhergeht.

4.2

Um die Kohärenz der einzelnen Maßnahmen sicherzustellen und gleichzeitig deren Nachhaltigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern hält der Ausschuss Folgendes für erforderlich:

eine ausgewogene Beteiligung aller Betroffenen mit dem Ziel, einen stabilen und zuverlässigen rechtlichen Rahmen zu schaffen, in dem die Aspekte Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt Hand in Hand gehen;

ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Normung und Rechtsvorschriften und freiwilliger Selbstregulierung;

die Förderung von Maßnahmen zur Bildung von Anreizen für eine strukturelle Anpassung und die Erforschung wettbewerbsfähiger, neuer sauberer Technologien;

Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen für Unternehmen, ihr Führungspersonal und ihre Mitarbeiter, um einen nachhaltigen industriellen Wandel voranzutreiben, der für neue Arbeitsplätze sorgt und neue Perspektiven im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit eröffnet;

eine systematische Ex-ante- und Ex-post-Bewertung der rechtlichen und freiwilligen Instrumente sowie der Strategien, die deren Kohärenz, Effizienz und Nachhaltigkeit sicherstellen;

eine stärkere Einbeziehung der Verbraucher, Hersteller und Händler sowohl in der vorgelagerten Konzeptionsphase als auch der nachgeschalteten Überprüfung und Kontrolle der Anwendung und ordnungsgemäßen Durchführung der Umsetzungsmaßnahmen;

den Schutz des europäischen Binnenmarkts, der auf nationaler und auch auf internationaler Ebene echte und nachweislich gleiche Wettbewerbsbedingungen ermöglicht — auch im Hinblick auf die Einhaltung der Umweltnormen.

4.3

Mit den Maßnahmen zur Einbeziehung ökologischer Erwägungen in die industriellen Aktivitäten wurden beachtliche Ergebnisse erzielt und dazu beigetragen, in der Europäischen Union in dem Zeitraum von 1985 bis 2000 die CO2-Emissionen der verarbeitenden Industrie deutlich zu senken, und zwar um mehr als 11 %, während dieser Sektor in demselben Zeitraum eine Produktionssteigerung von 31 % (49) zu verzeichnen hatte. Darüber hinaus ist es zu einer absoluten Entkopplung zwischen der Produktion und der Freisetzung von säurebildenden Gasen und Ozonvorläuferemissionen und zu einer relativen Entkopplung zwischen der Produktion und dem Energie- und Rohstoffbedarf gekommen.

4.4

Der Ausschuss ist überzeugt, dass der Umweltschutz neue Möglichkeiten für den berufs- und branchenübergreifenden Dialog zwischen den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft eröffnet, mit dem ein nachhaltiger industrieller Wandel auf den Weg gebracht werden kann.

4.5

Es müssen mehr Ressourcen für die Forschung und die Entwicklung neuer Konzepte zur Verfügung gestellt werden, mit deren Hilfe sich die Probleme unter Wahrung eines hohen Produktions- und Beschäftigungsniveaus an der Wurzel angehen lassen, anstatt auf den Handel mit Emissionsberechtigungen zurückzugreifen, ohne die sich stellenden Probleme zu lösen.

4.5.1

Der Rückgriff auf langfristige branchenspezifische Visionen und Fahrpläne, um die Herausforderungen der Umweltziele zu meistern, ermöglicht es in den Augen des Ausschusses, wie im Falle der europäischen Stahltechnologieplattform die verfügbaren Instrumente und Ressourcen zu optimieren und besser aufeinander abzustimmen, um einen bestmöglichen Zugang zu wissenschaftlicher Spitzenkompetenz und technischem Know-how zu gewährleisten.

4.5.2

Die nationalen Gesetzgebungen, durch die die europäischen Richtlinien und Verordnungen umgesetzt werden, sollten mit Hilfe verschiedener Instrumente aktive Anreize für einen neuen Ansatz zur Produktentwicklung bieten, durch den das Recycling dieser Produkte effizienter wird.

4.6

Die Wettbewerbs-, die Energie- und die Umweltpolitik sind eng miteinander verknüpft und üben einen maßgeblichen Einfluss aus, vor allem auf einen großen Teil der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie.

4.7

Die Förderung einer nachhaltig produzierenden Industrie erfordert eine ausgewogene Beteiligung aller Betroffenen mit dem Ziel, einen stabilen und zuverlässigen rechtlichen Rahmen zu schaffen, in dem die Aspekte Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt Hand in Hand gehen. Zu den Themen, die dabei behandelt werden sollten, zählen:

die konkrete Umsetzung der Grundsätze der besseren Rechtsetzung;

der Klimawandel, insbesondere das Emissionshandelssystem;

die Maßnahmen zur Förderung der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien;

die Funktionsweise der Energiemärkte, insbesondere des Strommarktes;

die Umsetzung der thematischen Strategie für Abfallvermeidung und -recycling und damit zusammenhängender Rechtsvorschriften und

die Verbesserung der Ressourceneffizienz und die Einführung innovativer Umwelttechnologien.

4.8

Was die Umweltstrategien anbelangt, die „lokale Kollektivgüter“ wie Luftqualität und städtische Grünflächen zum Ziel haben, liegt auf der Hand, dass sich die Veränderung der „Umweltqualität“ auf lokaler Ebene stark auf die Wohnraumpreise, die Beschäftigung, die Repräsentanz der unteren Bevölkerungsschichten beim Beschlussfassungsprozess im Bereich Umweltschutz und schließlich ihre Fähigkeit/Möglichkeit, die Effizienznormen zur Energieeinsparung anzuwenden, auswirkt.

4.8.1

Was die Beschäftigung angeht, so erfordert die Umschulung der Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor zur Anpassung an die ökologischen Erfordernisse gewaltige Anstrengungen im Hinblick auf Fortbildungsmaßnahmen und die Umsetzung einer europäischen Strategie für eine nachhaltige Mobilität, wenn die überflüssigen Arbeitsplätze zum Großteil durch Arbeitsplätze ersetzt werden, die dank der öffentlichen und privaten Aktivitäten geschaffen werden konnten.

4.9

Um die Effizienz und positive Wirkung der Maßnahmen im Umweltschutzbereich zu fördern, sollte nach Ansicht des Ausschusses sichergestellt werden, dass die gemeinschaftlichen Abstimmungsmaßnahmen eine internationale Dimension aufweisen: Es ist wichtig, dass Europa in der Lage ist, auch durch die Hinzufügung entsprechender Umweltschutzklauseln zu den ausgehandelten Vereinbarungen dafür zu sorgen, dass die Umweltschutzauflagen möglichst breite Zustimmung finden und diese eingehalten werden. Insbesondere die Regeln des internationalen Handels sollten neben dem Sozialdumping auch dem Umweltdumping (50) Rechnung tragen und den Transfer von Umwelttechnologien und die Anwendung von Umweltinnovationen in der ganzen Welt fördern (51).

4.10

In diesem Zusammenhang sollten Initiativen zur Festlegung ehrgeiziger, aber durchführbarer Fahrpläne gefördert werden, um auf der Grundlage der besten verfügbaren Technologien (BAT (52)) internationale branchenspezifische Maßstäbe für die Energieeffizienz und die Reduzierung der Schadstoffemissionen aufzustellen.

4.11

Die Europäische Union muss auch weiterhin auf die Industrieländer und die großen Schwellenländer, insbesondere China und Indien, einwirken, auch im Wege einer Neugestaltung der EU-Entwicklungspolitik (53), um neue Wege zu finden, die alle Länder in die nachhaltige Entwicklung einbeziehen.

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Vgl. das System der Eurovignette — Richtlinie 2006/38/EG zur Änderung der Richtlinie 1999/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge.

(2)  Siehe Sondierungsstellungnahme NAT/348 — ABl C 168 vom 20.7.2007 — Berichterstatter: Herr RIBBE.

(3)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Nachhaltige Entwicklung als Motor des industriellen Wandels“, CCMI/029 — CESE ABl C 318 vom 23.12.2006.

(4)  CCMI/002 — und CCMI/029 — ABl C 318 vom 23.12.2006.

(5)  CCMI/029 — ABl C 318 vom 23.12.2006, Absatz B.

(6)  Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso-II-Richtlinie).

(7)  Richtlinie 2005/32/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2005 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte und zur Änderung der Richtlinie 92/42/EWG des Rates sowie der Richtlinien 96/57/EG und 2000/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.

(8)  Es handelt sich um Strategien in Bezug auf Folgendes:

Luftverschmutzung;

Meeresumwelt;

effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen;

Abfallvermeidung und -recycling;

Bodenschutz;

Verwendung von Pestiziden;

Städteentwicklung.

(9)  Siehe Richtlinie 2005/32.

(10)  Siehe TEN/274, Berichterstatter: Herr IOZIA, und TEN/287, Berichterstatter: Herr ZBORIL.

(11)  Stellungnahme TEN/286 Fortschrittsbericht Biokraftstoffe. Berichterstatter: Herr IOZIA.

(12)  ABl C 117 vom 30.4.2004 zur Strategie für nachhaltige Entwicklung.

(13)  Stellungnahme ABl C 325 vom 30.12.2006, „Potenzial Europas für Forschung, Entwicklung und Innovation freisetzen und stärken“, Berichterstatter: Herr WOLF (Sondierungsstellungnahme).

(14)  ABl C 185 vom 8.8.2006 zu den spezifischen Programmen des 7. RP 2007-2013, Berichterstatter: Herr WOLF und Herr PEZZINI.

(15)  Bei den Europäischen Technologieplattformen (ETP) handelt es sich um informelle private Organisationen, denen alle betroffenen Akteure (stakeholders) angehören, die eine gemeinsame Vision und einen gemeinsamen Ansatz verfolgen. Sie entwickeln Technologien in einem bestimmten Sektor oder in mehreren Bereichen, wobei sie den Schwerpunkt auf strategische Fragen legen, bei denen das Wachstum, die Wettbewerbsfähigkeit und die Nachhaltigkeit Europas in der Zukunft von der Erzielung bedeutender technischer Fortschritte abhängen. Anfang 2007 wurden 31 EPT gezählt. — siehe „Third Status Report on European Technology Platforms — At the Launch of FP7“ (Dritter Fortschrittsbericht über die Europäischen Technologieplattformen — Stand zu Beginn des 7. RP), März 2007, Europäische Kommission.

(16)  „Stimulation von Technologien für nachhaltige Entwicklung: Ein Aktionsplan für Umwelttechnologie in der Europäischen Union“ — KOM(2004) 38 endg.

(17)  Entscheidung 2006/702/EG: Entscheidung des Rates vom 6.10.2006 über strategische Kohäsionsleitlinien der Gemeinschaft.

(18)  Art. 2 ff. der Verordnung (EG) Nr. 1084/2006 des Rates vom 11. Juli 2006 zur Errichtung des Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1164/94.

(19)  ABl C 93 vom 27.4.2007, Berichterstatter: Herr DERRUINE.

(20)  ABl C 65 vom 17. März 2006, Berichterstatter: Herr WELSCHKE und Frau FUSCO.

(21)  ABl C 255 vom 14.10.2005, Berichterstatter: Herr RIBBE.

(22)  ABl C 318 vom 23.12.2006 zum Thema „Regionale und lokale Politik zur Bewältigung des industriellen Wandels“ vom 13.9.2006, Berichterstatter: Herr PEZZINI und Herr GIBELLIERI.

(23)  ABl C 168 vom 20.7.2007 zum Thema „Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten“, Berichterstatter: Herr RIBBE.

(24)  ABl C 318 vom 23.12.2006 zur Reform des Beihilferechts, Berichterstatter: Herr Pezzini, insbesondere Ziffer 3.10 „Der Gemeinschaftsrahmen für Umweltschutzbeihilfen bleibt bis 2007 in Kraft. Auch in diesem Fall ist es wichtig, die in der Lissabon-Strategie festgelegten Ziele weiterzuverfolgen, indem die Verwirklichung des CO2-Emissionshandelssystems (nationale Zuteilungspläne) im Rahmen der Ziele des Kyoto-Protokolls vereinfacht wird“.

(25)  Siehe KOM(2007) 379 endg. vom 8.10.2007, insbesondere Ziffer 5.2, 5.3, 5.4 und 5.5.

(26)  ABl C 221 vom 17.9.2003 zum Thema „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates“ (KOM(2001) 581 endg. — 2001/0245 (COD)), ABl. C 221 vom 17.9.2002, S. 27-30.

(27)  KOM(2007) 386, der EWSA (Fachgruppe TEN) erarbeitet derzeit eine Stellungnahme zu diesem Dokument.

(28)  ABl C 80 vom 30.3.2004 zum Thema „Projektbezogene Mechanismen/Kyoto (II)“, Berichterstatterin: Frau LE NOUAIL MARLIERE.

(29)  ABl C 318 vom 31.12.2006 zur „Thematische Strategie für die städtische Umwelt“, Berichterstatter: Herr PEZZINI.

(30)  Siehe Binnenmarktanzeiger, Ausgabe 15 bis, Dezember 2006, S. 21 (http://ec.europa.eu/internal_market/score/docs/score15bis/score15bis_en.pdf) Aufschlüsselung der Vertragsverletzungsverfahren pro Sektor, Abbildung 16: „Umwelt“, „Energie und Verkehr“ und „Steuern und Zollunion“ machen die Hälfte der Verletzungsverfahren aus.

(31)  ABl C 241 vom 7.10.2002, Berichterstatterin: Frau SÁNCHEZ, ABl. C 241 vom 7.10.2002.

(32)  KOM(2005) 667 endg.

(33)  ABl C 117 vom 30.4.2004, Berichterstatter: Herr PEZZINI.

(34)  ABl C 294 vom 25.11.2005, Berichterstatter: Herr BRAGHIN.

(35)  KOM(2002) 412 endg., Mitteilung der Kommission „Umweltvereinbarungen auf Gemeinschaftsebene im Rahmen des Aktionsplans“ Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds.

(36)  ABl C 61 vom 14.3.2003, Berichterstatter: Herr GAFO FERNÁNDEZ.

(37)  ABl C 61 vom 14.3.2003.

(38)  Sondierungsstellungnahme CESE 562/2007 fin — INT/347 zum Thema „Vereinfachung des Regelungsumfeldes für den Maschinenbau“, Berichterstatter: Herr IOZIA.

(39)  Absatz 3.2.4, ABl. C 296 vom 29.9.1997, S. 77.

(40)  Absatz 925/2001, Berichterstatter: Herr PEZZINI.

(41)  Siehe Stellungnahme ABl C 258 vom 10.9.1999, Berichterstatter: Herr PEZZINI, und Stellungnahme CESE 1160/2006 „Klimawandel — die Rolle der Zivilgesellschaft“, Berichterstatter: Herr EHNMARK.

(42)  Die Mitglieder des EWSA haben wiederholt den Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass ihre Gebäude nach EMAS zertifiziert werden, so wie die Kommission das für ihre eigenen Gebäude vorgeschlagen hat.

(43)  ABl C 318 vom 23.12.2006„Klimawandel — die Rolle der Zivilgesellschaft“, Berichterstatter: Herr EHNMARK.

(44)  ABl C 169 vom 6.7.1992 zum Thema „Grünbuch: Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“, Berichterstatter: Frau HORNUNG-DRAUS, Frau ENGELEN-KEFER und Herr HOFFELT — ABl C 223 vom 31.8.2005 zum Thema „Informations- und Messinstrumente für die soziale Verantwortung der Unternehmen in einer globalisierten Wirtschaft“, Berichterstatterin: Frau PICHENOT — ABl C 325 vom 30.12.2006 zum Thema „Umsetzung der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung: Europa soll auf dem Gebiet der sozialen Verantwortung der Unternehmen führend werden“, Berichterstatterin: Frau PICHENOT.

(45)  ABl C 185 vom 8.8.2006, Berichterstatter: Herr EHNMARK.

(46)  ABl C 318 vom 23.12.2006 zum Thema „Regionale und lokale Politik zur Bewältigung des industriellen Wandels: die Rolle der Sozialpartner und der Beitrag des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation“ (Initiativstellungnahme), Berichterstatter: Herr PEZZINI und Herr GIBELLIERI.

(47)  Derzeit beläuft sich die Bruttowertschöpfung der Industrie auf 22 % des BIP (71 % Dienstleistungen; 5 % Baugewerbe und 2 % Landwirtschaft). Quelle EUROSTAT.

(48)  29.11.2001 und Stellungnahme ABl C 117 vom 30.4.2004 sowie Stellungnahme ABl C 74 vom 23.3.2005, Berichterstatter: Herr PEZZINI.

(49)  Siehe Environmental Impact of Products (EIPRO), Kommission, GFS, Mai 2006.

(50)  Siehe Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen, KOM(2007) 269 endg. vom 22.5.2007.

(51)  Schlussfolgerungen des Rates der Umweltminister am 28.6.2007 zu neuen Impulsen für die EU-Umweltpolitik.

(52)  BAT = Best Available Technologies.

(53)  Siehe die Nachhaltigkeitsbewertungen (Sustainability impact assessment — SIA) im Rahmen der WPA mit den AKP-Ländern (siehe Sondierungsstellungnahme REX/189 — ABl C 65 17.3.2006 vom 14.12.2005, Berichterstatter: Herr PEZZINI, Mitberichterstatter: Herr DANTIN).


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/66


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Solidarität zwischen den Generationen fördern

KOM(2007) 244 endg.

(2008/C 120/16)

Die Europäische Kommission beschloss am 20. Juni 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Euro-päischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Solidarität zwischen den Generationen fördern“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 14. November 2007 an. Berichterstatter war Herr JAHIER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember) mit 106 gegen 21 Stimmen bei 28 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Das Prinzip der Solidarität zwischen den Generationen ist ein Strukturelement des europäischen Sozialmodells; die Auswirkungen der demografischen Ungleichgewichte machen ein neues Engagement und neue Lösungen erforderlich, die mithilfe neuer und notwendiger Finanzgleichgewichte die Stärkung dieses Solidaritätsprinzips ermöglichen. Sein Fortbestand setzt voraus, dass die staatlichen Behörden und an vorderster Front sämtliche soziale Akteure auf den verschiedenen Ebenen aktiv werden, damit hochwertige Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse für Familien, junge Menschen und hilfsbedürftige Personen und die Nachhaltigkeit der Renten- und sozialen Sicherheitssysteme gewährleistet werden können.

1.2

Zu diesem Themenkomplex und insbesondere zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zur Förderung der Chancengleichheit und zur Förderung der Beschäftigung unter besonderer Berücksichtigung der Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich der EWSA unlängst detailliert in einer Reihe von Stellungnahmen geäußert (1), deren Empfehlungen in dieser Stellungnahme uneingeschränkt aufgegriffen und sowohl im Analyse- als auch im Vorschlagsteil bekräftigt werden.

1.3

Obwohl die Mitteilung der Kommission die Überschrift „Die Solidarität zwischen den Generationen fördern“ trägt, geht es inhaltlich im Wesentlichen um das Thema Familie, auch in Bezug auf die neue Initiative „Europäische Allianz für Familien“, die unlängst vom Europäischen Rat in die Wege geleitet wurde. Mit dieser derzeit gemeinschaftsweit laufenden Initiative wird in der Tat nach einer langen Unterbrechung dem Thema Familie mit entsprechenden Maßnahmen wieder besonderes Augenmerk geschenkt und sie ist, wie es in der Mitteilung der Kommission heißt, „die erste Stufe einer europäischen Antwort auf die Herausforderungen des demografischen Wandels“. Daher befasst sich auch diese Stellungnahme hauptsächlich mit diesen Themen.

1.4

Mit der 1983 zur europäischen Familienpolitik verabschiedeten Entschließung des Europäischen Parlaments wurde diesem Thema erstmals europaweit eine Öffentlichkeitswirkung zuteil, und die Entschließung bereitete auch den Boden dafür, dass im folgenden Jahr eine Haushaltslinie für die Familienförderung geschaffen wurde.

1.5

1989 wurde die erste Ratssitzung der Familienminister abgehalten, in der einige wichtige Maßnahmen auf der Grundlage der Vorschläge der Europäischen Kommission verabschiedet wurden. So wurde z. B. die Kommission ersucht, eine europäische Beobachtungsstelle zur sozialen Situation, Demografie und Familie — heute Europäische Beobachtungsstelle zur Demografie und sozialen Situation — und eine hochrangige Gruppe leitender Regierungsbeamter für Familienfragen einzurichten. Schließlich setzte die Kommission eine dienststellenübergreifende Gruppe zur familienpolitischen Dimension der einzelnen Gemeinschaftspolitiken ein. Bei dieser Gelegenheit beschloss der Rat auch die Institutionalisierung der Kontakte zu den Familienorganisationen und der Interfraktionellen Gruppe „Familie und Kinderschutz“ des Europäischen Parlaments.

1.6

In den Jahren 1994, 1999 und 2004 verabschiedete das Parlament neue Entschließungen und 1988 wurde die Interfraktionelle Gruppe „Familie“ eingesetzt.

1.7

Die Krise der Haushaltslinien und ihrer Rechtsgrundlage hat 1998 leider auch dazu geführt, dass die Linie für die Familienförderung gestrichen wurde.

1.8

In der zu erörternden Mitteilung werden die Überlegungen weiter geführt, welche die Kommission zum Thema Demografie mit dem Grünbuch zum demografischen Wandel (2) im Jahr 2005 eingeleitet und mit der Mitteilung „Die demografische Zukunft EuropasVon der Herausforderung zur Chance (3) weiter entwickelt hat. Außerdem fügt sie sich in eine umfassendere institutionelle Aktionslinie, die vom deutschen Ratsvorsitz mit den Schlussfolgerungen aus der Frühjahrstagung des Europäischen Rates eingeleitet und mit den Schlussfolgerungen des Ministerrates zur Allianz für Familien vom 30. Mai 2007 abgeschlossen wurde, welche anschließend in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 21./22. Juni 2007 noch einmal aufgegriffen wurden.

1.9

In der Mitteilung wird betont, dass es in Europa im Wesentlichen drei Arten familienpolitischer Maßnahmen gibt: Erstattung der direkten und indirekten familienbezogenen Kosten; Hilfsleistungen für Eltern bei der Erziehung und Betreuung von Kleinkindern und bei der Pflege hilfsbedürftiger Personen; Anpassung der Arbeits- und Beschäftigungszeiten bzw. -bedingungen und der Gestaltung des Zugangs zu Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse auf lokaler Ebene. Diese Dimensionen haben sich entsprechend den politischen Weichenstellungen und Zielsetzungen in den einzelnen Mitgliedstaaten auf sehr unterschiedliche Weise entwickelt. Auch wenn die Kommission schwer sagen kann, welche Politik am effizientesten ist, betont sie gleichwohl, dass es einigen Staaten (den skandinavischen) gelungen sei, ein politisches Maßnahmenbündel zu schnüren, mit dem die Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben und die Gleichberechtigung von Mann und Frau gefördert wird und gleichzeitig Anreize für höhere Geburtenraten und eine hohe Frauenerwerbsquote geboten werden.

1.10

Auch wenn die Familienpolitik im engeren Sinne ausschließlich in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fällt, weist die Kommission darauf hin, dass die Europäische Union sich stets bemüht habe, die Familiendimension und die Lebensqualität der Familienmitglieder in ihrem politischen Handeln zu berücksichtigen. Davon abgesehen ist die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben zu einem der Schwerpunkte der EU-Beschäftigungspolitik im Rahmen der Lissabon-Strategie geworden.

1.11

Die Kommission skizziert in ihrer Mitteilung die Wesenszüge der Europäischen Allianz für Familien und die Gemeinschaftsmaßnahmen zur Unterstützung dieser Initiative. Insbesondere ist geplant, eine hochrangige Gruppe von Regierungssachverständigen für Fragen der Demografie einzusetzen, Foren und europäische, aber auch nationale, regionale und lokale Netze zu schaffen, eine Beobachtungsstelle für bewährte Verfahren bei der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen einzurichten und ein Forschungsinstrumentarium vorzusehen, das insbesondere auf das 7. Rahmenprogramm ausgerichtet ist. Schließlich möchte die Kommission die europäischen Strukturfonds zur Förderung der Chancengleichheit und der Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben mobilisieren.

2.   Fakten und Herausforderungen

2.1.1

Das Thema Solidarität zwischen den Generationen ist sicherlich sehr weitläufig und komplex und ist im Zusammenhang mit den vielfältigen Herausforderungen zu sehen, die sich im Zuge der verschiedenen sozialen, wirtschaftlichen und internationalen Veränderungsprozesse stellen und nachhaltige Auswirkungen auf die Zukunft der Unionsbürger haben, insbesondere auf die Arbeitsbedingungen und die sozialen Bedingungen. Zu diesen Herausforderungen gehört eben u. a. auch die Alterung der Bevölkerung. Der Mitteilung der Kommission zufolge erscheint die Lissabon-Strategie als Ausgangspunkt für die Modernisierung der Familienpolitik durch die Förderung von Chancengleichheit und vor allem durch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, was die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt verbessert. Diese Vereinbarkeit wird auch in den integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung betont, denen zufolge die Beschäftigungspolitik so auszurichten ist, dass sie an die Gegebenheiten des Familienlebens und dessen Wandel in den verschiedenen Phasen angepasst wird. Die Methode der offenen Koordinierung, die für die Verbesserung des sozialen Schutzes und der sozialen Integration angewandt wird, konzentriert sich auf die Verbesserung der Situation armer Kinder und ihrer Familien durch Förderung der langfristigen Pflege von Pflegebedürftigen und Maßnahmen zur Modernisierung der Pensionssysteme.

2.1.2

Die Begegnung zwischen den Generationen, die in der Familie stattfindet und sich dort entwickelt, ist auch für Europa mittlerweile eine Herausforderung von immenser Tragweite. Die Familie ist der Rahmen, in dem die Geschlechter- und Generationensolidarität auf natürliche Weise gelebt wird. Die gesellschaftlichen Veränderungen haben zu ganz unterschiedlichen Familienstrukturen geführt. Bei der Planung von Maßnahmen müssen somit alle verschiedenen Familiensituationen im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip und der einzelstaatlichen Rechtsprechung (4) berücksichtigt werden.

2.1.3

Die jüngsten Berichte über die soziale und demografische Lage belegen, dass die Zahl der Familien in den einzelnen Ländern steigt, während die Größe der Familien zurückgeht. Gleichzeitig ändert sich die Familienstruktur sehr viel schneller als früher, weil die Zahl der Eheschließungen rückläufig ist (von 8 pro 1 000 Einwohner in den 1960er Jahren auf 5,1 pro 1 000 Einwohner in 1999), das Heiratsalter steigt ebenso wie die Zahl der Trennungen und Scheidungen, die Zahl allein stehender Menschen und außerehelicher Kinder. Unionsweit ist die Zahl der Kinder, die mit nur einem Elternteil leben, seit 1983 um 50 % gestiegen — auf derzeit 13 % aller EU-Kinder (mit einem Spitzenwert von 25 % in Großbritannien) (5). Immer mehr Kinder leben in Patchwork-Familien, zu denen mehrere Großeltern und Geschwister aus den früheren Familien der Eltern gehören; die Adoption von nicht-europäischen Kindern nimmt zu, und durch die Zuwanderung sind neue Familienkulturen in Erscheinung getreten.

2.1.4

In Europa liegt die Geburtenrate derzeit bei rund 1,45 Kinder pro Frau und somit weit unter der für eine demografische Erneuerung erforderlichen Quote. Am niedrigsten sind die Geburtenquoten in den Mittelmeerländern und in Osteuropa. Der Geburtenrückgang ist ein in der Europäischen Union nahezu universelles Problem; seit den 1960er Jahren ist die Geburtenrate um über 45 % gesunken.

2.1.5

Aus diesem Grund gibt es in unserer Gesellschaft immer weniger Jugendliche und Kinder und immer mehr Rentner und alte Menschen im Allgemeinen. 1950 waren 40 % der Bevölkerung in der EU-25 unter 25 Jahre alt. Im Jahr 2000 waren es nur noch 30 % und 2025 werden es noch 25 % sein. Hingegen war 1950 nur eine von 10 Personen über 65 Jahre alt, während im Jahr 2000 es schon eine von 6 war und es 2025 wohl eine von 4 sein dürfte. Hinter diesen Zahlen verbergen sich tiefgreifende Veränderungen in der Struktur des Konsums, des Wohnungsbedarfs und der Pflegebedürftigkeit, in den gesellschaftlichen Verhaltensweisen und schließlich auch in den Prioritäten der staatlichen Politik.

2.1.6

Dank der in Europa bestehenden verschiedenen Modelle sozialer Sicherheit, der besseren Arbeitsbedingungen und der medizinischen Fortschritte kann heute natürlich die Mehrheit der älteren Menschen mit einer weitaus höheren Lebenserwartung und einem relativ soliden Einkommen rechnen. Gleichwohl gibt es Fälle schwerer Armut, von der mindestens 1/6 der Frauen im Alter von über 65 Jahren und insgesamt rund ein Viertel der allein lebenden alten Menschen betroffen sind (6). Armut und Marginalisierung älter Frauen sind allgemein die Folge einer schwachen oder nicht vorhandenen Erwerbsbiographie. Diese Situation verschärft sich selbstverständlich für die über 70- bzw. über 80-Jährigen, wodurch die Belastung für die Familien immer größer wird, sofern es dem öffentlichen Sozial- und Pflegedienstleistungssystem nicht gelingt, ausreichende Dienstleistungen bereit zu stellen.

2.2

Laut Eurobarometer (7) erachten 97 % der Unionsbürger die Familie als einen der wichtigsten Aspekte ihres Lebens, gleich nach der Gesundheit. Diese positive Einstellung der Europäer wird noch deutlicher, wenn sie sich zu ihrer Zukunft äußern sollen (8). Die Bedeutung der Familie wird offenbar, wenn man Hilfe braucht: 70 % der Befragten geben an, dass sie sich an den Partner wenden, während sich 25 % an ein anderes Familienmitglied wenden, insbesondere im Krankheitsfall (88 %) und wenn sie einen Rat (78 %) oder Geld (68 %) brauchen.

2.3

In Europa leben die Familien in zunehmendem Maße am Stadtrand. Hinter diesem Modell verbergen sich jedoch starke altersbezogene Unterschiede: sehr alte und junge Menschen wohnen lieber im Stadtzentrum, während Familien mit Kindern und Menschen im Ruhestandsalter eher dazu neigen, sich in kleinen Ortschaften niederzulassen. Die je nach Altersgruppe unterschiedliche Wahl des Wohnortes dürfte neue Probleme schaffen in Bezug auf die Verwaltung der Dienstleistungen und den sozialen Zusammenhalt in den Großstädten; dieses Phänomen wird auch durch die Migrationsströme verschärft, die in der Regel in den Städten stärker sind, in denen größerer Bedarf an Arbeitskräften besteht.

2.4

Was das Alter der Bevölkerung betrifft, so ist der Anteil der europäischen Bevölkerung im Alter von über 65 Jahren gestiegen und lag 2005 bei 17,2 % (EU-15). Frauen machen aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung den größten Anteil der wachsenden Gruppe älterer Menschen aus; in allen EU-Staaten sind über 50 % der über 65-Jährigen Frauen.

2.5

Von der Armut sind rund 72 Millionen Menschen in der EU-25 (also 15 %) betroffen und 26 Millionen leben an der Schwelle zur Armutsgrenze (9). Davon sind rund 12 Millionen ältere Menschen; 9 % der EU-Bevölkerung hat in zwei der letzten drei eigenen Lebensjahre in einer Familie mit Niedrigeinkommen gelebt; das Armutsrisiko ist in kinderreichen Familien höher. Rund 20 % der 94 Millionen jungen Menschen im Alter von unter 18 Jahren sind in Europa durch Armut bedroht, und in den letzten drei Jahrzehnten ist die Armutsquote bei Kindern in allen Unionsstaaten gestiegen und liegt heute über der Armutsquote der Gesamtbevölkerung; besonders schwer betroffen sind Alleinerziehende, Familien, die unter Langzeitarbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung leiden, und Großfamilien. Kinder armer Familien müssen mit Entbehrungen und starken Benachteiligungen leben und haben größere Gesundheitsprobleme, was zu schlechten Ergebnissen in der Schule führt und hohe soziale, wirtschaftliche und politische Kosten in der Zukunft verursachen wird. Eine derartige Gleichgültigkeit gegenüber den Kinderrechten ist ein Nährboden für Kinderkriminalität, Ausbeutung von Kindern und Kinderhandel.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Allen oben genannten Tatsachen zum Trotz haben sich die EU-Institutionen bislang sehr schwer getan, die Familie als eine soziale Struktur zu betrachten, die eine wesentliche Rolle in der modernen Gesellschaft spielt und daher mehr Aufmerksamkeit von Seiten der Union verdient.

3.2

Obgleich das internationale und europäische Panorama reich an offiziellen Erklärungen der verschiedensten öffentlichen Institutionen ist, in denen der Familie eine grundlegende Rolle in der Gesellschaft zuerkannt wird, scheint Europa die Familie bislang noch nicht in seine konkreten Prioritäten aufgenommen zu haben, die im Wesentlichen auf zwei Pfeilern beruhen: einerseits die Kräfte des freien Marktes und des Wettbewerbs und andererseits die Chancengleichheit für alle Bürger. Der Bezug auf diese zwei Pfeiler wird z. B. in der Lissabon-Strategie und in der Sozialpolitischen Agenda 2005-2010 deutlich.

3.3

Im Allgemeinen behandelt die Europäische Kommission das Thema Familie aus Sicht der Sozial-, der Beschäftigungs- und der Chancengleichheitspolitik (10). In der Regel ist der Begriff Familie jedoch in vielen Dokumenten, die sich mit Jugendfragen, Rechten der Kinder, Ausbildungsfragen u. a. befassen, kaum zu finden und die Herangehensweise orientiert sich in erster Linie an den Rechten des Einzelnen, also an der Person als Wirtschaftssubjekt. Nur ganz selten wird diese in ihrem Beziehungsgefüge betrachtet, das sie zunächst als Teil einer Familie und als Mittelpunkt eines Systems sozialer Beziehungen anerkennt, während die Familie auch weiterhin vorwiegend die Aufgabe hat, den Entwicklungsprozess eines Menschen zu fördern und seine Aufnahme in die Gesellschaft und die Welt der Arbeit zu begleiten; sehr häufig ist die Familie auch dazu da, den Menschen im Krankheitsfall oder in vorübergehenden oder anhaltenden Phasen eingeschränkter Bewegungsfähigkeit und Pflegebedürftigkeit zu betreuen. Die seitens der öffentlichen Einrichtungen, des privaten oder sozialwirtschaftlichen Marktes angeboten Dienste bleiben von grundlegender Bedeutung, und zwar vor allem bei der Herstellung der Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben, bei der Bekämpfung von Familienarmut und Arbeitslosigkeit sowie bei der Unterstützung von Familien, die mit Krankheiten, Suchtmittelmissbrauch, Erziehungsproblemen und häuslicher Gewalt kämpfen. Diese Dienste alleine reichen aber nicht aus, um die emotionalen und affektiven Bedürfnisse der pflegebedürftigen und pflegenden Person zu befriedigen (11).

3.4

Die seitens der Unionsbürger wachsende Forderung nach Aufmerksamkeit für die Familie scheint gleichwohl beim deutschen EU-Ratsvorsitz auf positives Echo gestoßen zu sein: dementsprechend hat er eine „große Allianz“ zwischen den Institutionen vorgeschlagen, um koordinierte Politiken zu fördern, mit denen der Geburtenrückgang und die Zunahme der Zahl älterer Menschen ausgeglichen werden können. In den letzten zwei Jahren ist offenbar ein Ruck durch alle EU-Institutionen gegangen, der sich an einer systematischeren, strategischen und weitsichtigen Herangehensweise ablesen lässt, die folglich mehr Wirkungskraft entfalten kann.

3.5

Dies wird sichtbar an den wichtigen Bestimmungen zur Familie in der Grundrechtecharta der Europäischen Union (12). Gleichwohl wäre es wünschenswert gewesen, wenn bei der Überarbeitung der EU-Verträge in Artikel 3 betreffend die Ziele der Europäischen Union ein ausdrücklicher Verweis auf die „Unterstützung des Familienlebens“ aufgenommen worden wäre.

3.6

Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission, in der ein konkreter Maßnahmenplan vorgeschlagen wird, um der Allianz für Familien Gestalt zu verleihen. Dieser stellt eine konstruktive Arbeitsgrundlage dar, die verschiedene Leitlinien umfasst, die vom EWSA und ganz allgemein in der Debatte der letzten Jahre bereits formuliert wurden in dem Bestreben, die Herausforderungen des demografischen Wandels zu bewältigen, die Zusammenarbeit und die Partnerschaft der verschiedenen Akteure zu unterstützen, zu einer besseren Antwort auf die Bedürfnisse der Familien bei der Betreuung von Kindern und anderen hilfsbedürftigen Familienangehörigen zu ermutigen, und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern, und zwar auch durch umfassende Investitionen in ein hochwertiges Dienstleistungssystem für Kinder und Familien; auf diese Weise wird auch ein Beitrag zu einer neuen und tragfähigeren Solidarität zwischen den Generationen geleistet.

3.7

Gleichwohl ist es weiterhin bedauernswert, dass aufgrund der fehlenden Unterstützung einiger Mitgliedstaaten in diesem Bereich nicht die Methode der offenen Koordinierung zur Anwendung kommen konnte, die der Allianz eine größere strategische und strukturelle Prägnanz verliehen hätte. Der EWSA räumt jedoch ein, dass diese Mitteilung Möglichkeiten für die Entwicklung einer spezifischen Plattform bietet, die etwaigen weiteren Entwicklungen auf der Grundlage einer expliziteren Koordinierung nicht im Wege stehen.

3.8

In jedem Fall wird man in Zukunft darauf achten müssen, dass nach dem entscheidenden Impuls des deutschen Ratsvorsitzes dieser neue Arbeitsbereich nicht ins Abseits gerät. Im Rahmen der neuerdings wachsenden Aufmerksamkeit, die die EU-Gremien den Sozialfragen und dem Wohlbefinden der Bürger widmen, rückt auch die Familie allmählich ins Rampenlicht und es werden entsprechende Überlegungen angestellt und Maßnahmen beschlossen. Diese erste und noch zaghafte Öffnung muss Zug um Zug verstärkt und erweitert werden mit Hilfe eines detaillierten Arbeitsplans, der mit dem für 2010 geplanten 3. europäischen Demografieforum zum Abschluss gebracht werden sollte.

3.9

Im Allgemeinen geht es darum, den praktischen und substantiellen Beitrag, den die Familien weiterhin zu unserer Gesellschaft und zur konkreten Betreuung von Menschen aller Altersgruppen leisten, in der Praxis anzuerkennen; unter diesem Blickwinkel sollte auch sowohl der soziale und wirtschaftliche Nutzen als auch der etwaige unhaltbare Anstieg der Kosten insbesondere für Gesundheitsdienste berücksichtigt werden, wenn die Familie bei der Wahrnehmung ihrer Rolle nicht angemessen unterstützt und gefördert wird.

3.10

In diesem Sinne spielen die Sozialpartner auf den verschiedenen Ebenen bereits eine entscheidende Rolle. Im Rahmen ihres ersten gemeinsamen Arbeitsprogramms 2003-2006 haben die europäischen Sozialpartner ein Raster für Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit vorgelegt mit besonderer Bezugnahme auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben und auf alle damit zusammenhängenden Aspekte. Ihr zweites Programm 2006-2008 basiert auf einer umfassenden Analyse der wichtigsten Herausforderungen des Arbeitsmarktes (13). Der EWSA möchte die Sozialpartner ermutigen, hier weiter am Ball zu bleiben.

3.11

Auch und stärker berücksichtigt werden muss die strukturelle Dimension der Rolle, welche die Familie für die Herstellung und Reproduktion des sozialen und Beziehungskapitals spielt, das in zunehmendem Maße als für das Wohlergehen der einzelnen Bürger und der Gesellschaft insgesamt ausschlaggebend gilt. Die Zeit, die Kindern und der Familie gewidmet wird, ist sicherlich Zeit, die der beruflichen Karriere abgeht, aber sie ist auch eine Investition in die Betreuung oder die Ausbildung von Personen und somit anzuerkennen und stärker zu honorieren: so sollte über die Möglichkeit nachgedacht werden, die bereits bestehenden Maßnahmen (Geldleistungen, Steuervergünstigungen, Elternurlaub u. a.) zu flankieren mit irgendeiner Art der Anrechnung der für die Betreuung hilfsbedürftiger Familienmitglieder aufgewandten Zeit auf die Rente (14); auf diese Weise wird vermieden, dass die Solidarität zwischen den Generationen eine späte Schuld verursacht (in Form unangemessener Renten und folglich eines höheren Armutsrisikos), die vor allem auf den Frauen lastet.

3.12

So muss auch der Aspekt der unentgeltlichen Aufwendung von Zeit berücksichtigt werden, die schwer verrechenbar und somit häufig unsichtbar ist, die aber maßgeblichen Einfluss auf die Qualität des Lebens in der Gesellschaft hat, die von den meisten Menschen in zunehmendem Maße angestrebt und geschätzt wird.

3.13

Vor diesem Hintergrund erweist sich eine andere, d. h. ausdrückliche und positive, soziale Wertschätzung dieser strukturellen und grundlegenden Dimension der Menschen und ursprünglichen und generativen Form der sozialen Bindung als notwendig, welche die optimale Entwicklung und Anpassung all der anderen Rahmenbedingungen und Dienstleistungen begleiten sollte, sodass es den Menschen ermöglicht wird, ihre Lebenspläne für eine eigene Familiengründung zu verwirklichen, so viele Kinder zu haben, wie sie möchten und sich ihrer Angehörigen unbeschwert anzunehmen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Die Kommission zeigt in ihrer Mitteilung bereits einige positive und in ihren Zielsetzungen und ersten Anwendungen gut strukturierte Handlungslinien auf (wie z. B. die Einsetzung der hochrangigen Gruppe von Regierungssachverständigen für Fragen der Demografie). Der EWSA unterstützt diese Handlungslinien, ermutigt zu ihrem Ausbau und plädiert dafür, dass für sie kontinuierlich und angemessen Werbung gemacht und über die Fortschritte flächendeckend informiert wird, um auf diese Weise eine möglichst große Beteiligung sicherzustellen.

4.2

Was die begrüßenswerte Beteiligung der lokalen und regionalen Akteure betrifft, die angesichts der immer wichtigeren und zentraleren Rolle dieser Institutionen bei der Bereitstellung von Sozialdienstleistungen und der Durchführung aussagekräftiger Pilotprojekte von besonderer Bedeutung ist, scheint es sinnvoll, nicht nur die Veranstaltung regionaler und lokaler Foren zu fördern, sondern auch die Kommission aufzufordern, eine proaktive Rolle zu übernehmen und in Absprache mit den betroffenen Akteuren eine detaillierte Aufstellung von Foren und Initiativen in sämtlichen EU-Staaten vorzulegen und zu fördern, um ein Höchstmaß an Beteiligung an diesem Prozess zu gewährleisten.

4.3

Der EWSA befürwortet die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für bewährte Verfahren auf familienpolitischem Gebiet bei der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und empfiehlt, dass dies im Rahmen einer engen Konsultation der zivilgesellschaftlichen Akteure, insbesondere der Familienverbände, in den einzelnen Phasen dieses Prozesses erfolgt, also sowohl bei der Ermittlung dieser bewährten Verfahren als auch in punktuelle Diskussionen und Reflexionsprozessen.

4.4

Außerdem wird man darauf achten müssen, dass sich diese Beobachtungsstelle nicht nur auf Familienfragen im Zusammenhang mit dem Berufsleben konzentriert, sondern vielmehr so ausgerichtet ist, dass sie punktuell die Bedürfnisse der Familie und der Generationen ermitteln kann ebenso wie das entsprechende Angebot und die Ausgaben für den Schutz und die Förderung der Entwicklung neuer Solidaritäten zwischen den Generationen. Auf diese Weise würde ein Beitrag geleistet werden zur Veranschaulichung der heute in den EU-Staaten bestehenden Infrastrukturen der sozialen Bürgerschaft (15).

4.5

Im Hinblick auf die Forschung empfiehlt der EWSA zusätzlich folgende spezifische Aktionsschwerpunkte:

Rolle und Auswirkungen der Fiskalpolitik (sowohl in Bezug auf die Transferleistungen als auch auf die Steuervergünstigungen), die in den einzelnen Mitgliedstaaten zur Förderung bzw. zum Nachteil der Familien, insbesondere in Bezug auf Kinder (Geburt, Betreuung, Erziehung) und pflegebedürftige Erwachsene, praktiziert wird; Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Frauenerwerbstätigkeit und eine gerechtere Verteilung der familiären Pflichten zwischen Mann und Frau;

die Politiken und Maßnahmen im Bereich des aktiven Seniorenalters in Anbetracht der Tatsache, dass die Phase zwischen Pensionsalter und krankheits- oder altersbedingter Pflegebedürftigkeit immer größer wird — auch mit Blick auf die Zunahme von Initiativen und Maßnahmen zur Förderung des gemeinnützigen sozialen und kulturellen Engagements älterer Menschen, welches die Qualität des sozialen Kapitals insgesamt steigert;

die Darstellung des Lebenszyklus um herauszufinden, ob es bei dem derzeitigen vertikalen Verlauf der durchschnittlichen Biografien (16) nicht denkbar wäre, eine flexiblere und abwechslungsreichere Struktur zu finden, bei der die Investitionen in die Familie, die Auszeiten für die Betreuung von Kindern oder anderer pflegebedürftiger Personen oder zur eigenen Weiterbildung nicht mehr als eine glückliche Ausnahme gelten oder nicht unweigerlich eine berufliche Benachteiligung, vor allem für die Frauen, nach sich ziehen, sondern Zug um Zug zu einer normalen und gewöhnlichen Lebensbedingung für die meisten Männer und Frauen werden, die das wünschen (17);

gleichzeitig muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die oben erwähnte beträchtliche Zunahme von Einelternfamilien zu Einsamkeit im Alter führen kann, verbunden mit einer schweren Belastung durch die zwangsläufigen Ausgaben. Eine mobile Struktur des Lebenszyklus könnte sich nachteilig auf das Lebensniveau dieser Menschen auswirken. Auch sollte untersucht werden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, damit die Höhe der Renten jedem ein würdiges Lebensniveau sichern kann. Dabei sollte ferner die Individualisierung der Renten unter den Familienmitgliedern als Perspektive beleuchtet werden;

die gesellschaftlichen Auswirkungen und die Kosten der Kinderarmut (einschließlich Kinderhandel und Gewalt gegen Kinder); Unterstützung der Familien im Fall von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Suchtmittelmissbrauch, psychischen Problemen, häuslicher Gewalt und Erziehungsproblemen; die Hindernisse, die jungen Menschen beiderlei Geschlechts bei der selbstständigen Lebensführung und der Familiengründung im Wege stehen.

4.6

Ferner gibt es zwei noch wenig erforschte Bereiche, denen die Kommission nach Ansicht des EWSA im Rahmen dieser Strategie mehr Aufmerksamkeit widmen sollte:

Die Wohnungspolitik, die bislang im Wesentlichen im Rahmen eines Lebenszyklus konzipiert wurde, in dem die Phase der Berufstätigkeit absolut dominant war — das scheint heute überholt zu sein (18). Dies gilt insbesondere für den sozialen Wohnungsbau, weil es immer mehr Tagesmütter gibt und weil viele hilfsbedürftige Personen das Recht und die konkrete Möglichkeit haben müssen, zuhause zu leben;

die Situation behinderter bzw. in ihrer Selbständigkeit stark eingeschränkter Menschen, die häufig alleine oder bei ihren Angehörigen leben, was eine Herausforderung darstellt nicht nur für die Einführung derartiger Dienste und Produkte, die das selbstständige Leben dieser Menschen in der eigenen Wohnung unterstützen, sondern auch für die Einsamkeit der Einzelnen und der Familien, die erst zu Tage tritt, wenn es zu sozialen Tragödien kommt.

4.7

Besondere Aufmerksamkeit verdient ein Vorschlag, den ein breit gefächerter Zusammenschluss von Familienverbänden auf europäischer Ebene (19)den verschiedenen EU-Institutionen unterbreitet hat. Darin wird die Überarbeitung der MwSt-Sätze auf Babyartikel gefordert, angefangen bei Windeln. Die Kommission hat sich diesbezüglich bereits am 19. Juli 2006 politisch verpflichtet, einen Vorschlag zur Überarbeitung der 6. Richtlinie und insbesondere des Anhangs H der Richtlinie 2006/112/EG zu unterbreiten, in dem die Produkte und Dienstleistungen aufgelistet sind, für die die Mitgliedstaaten ggf. einen ermäßigten Mindestsatz von 5 % anwenden dürfen (20). Die Kosten für diese Artikel wirken sich in der Regel erheblich auf das Budget der in Europa lebenden Familien aus. Der EWSA unterstützt diesen Vorschlag, mit dem ganz konkret und im Rahmen der Zuständigkeit der Europäischen Union die Mitgliedstaaten ermutigt werden könnten, die Familien in jeder Hinsicht finanziell zu unterstützen.

4.8

Abschließend ist es sinnvoll, auf zwei weitere spezifische Aktionslinien zu verweisen:

Die Konzeption eines genaueren Family mainstreaming in den verschiedenen EU-Politiken, um erstens die Auswirkungen der einzelnen Maßnahmen auf die Familien und zweitens die Familiendimension innerhalb der verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Handlungsbereiche der Union systematisch zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang sollte die Kommission nach Ansicht des EWSA die 1989 eingesetzte, aber dann nicht weiter aktive dienstübergreifende Arbeitsgruppe zu neuem Leben erwecken, die ihr eine bessere Koordinierung ihrer einschlägigen Maßnahmen ermöglichen würde.

Eine systematische Konsultation der Unionsbürger und insbesondere der Familienvereinigungen und Sozialpartner, um die ergriffenen Maßnahmen in itinere besser bewerten und die Informationen korrekter und wirkungsvoller verbreiten zu können; dieser Prozess müsste sowohl finanziell als auch durch die Einführung entsprechender Verfahren und Gremien unterstützt werden. In diesem Zusammenhang bietet sich der EWSA als ideales Gremium zur Gewährleistung struktureller Stabilität an.

5.   Schlussfolgerungen

5.1

Das Thema der Solidarität zwischen den Generationen darf sich nicht nur vorrangig mit der demografischen Frage befassen und somit auf diesen Aspekt beschränken — auch wenn die damit einhergehende Herausforderung nicht zu unterschätzen ist -, sondern muss in zunehmendem Maße als vordringliches Problem der nächsten Jahre betrachtet werden für die horizontalen (Institutionen, Sozialpartner, zivilgesellschaftliche Organisationen u. a.) und vertikalen (junge und alte Menschen, etc.) Verantwortungsträger als maßgebliche Faktoren für die europäische (wirtschaftliche, soziale und kulturelle) Entwicklung und für die Erneuerung des Gesellschaftsvertrages, auf dem unsere Demokratien basieren.

Denn die Kulturen der Solidarität, die bislang die europäische Entwicklung geprägt haben, haben im Laufe der Zeit zu ebenso originellen wie nachhaltigen Lösungen geführt, die für ihre menschliche, soziale und wirtschaftliche Entwicklung maßgebend waren: von den einzelstaatlichen Sozialsystemen bis hin zum Verhältnis zwischen sozialen Rechten und Pflichten, von der Entwicklung der Bürgerrechte bis hin zur Kontinuität der generationsübergreifenden Verantwortung in der Familie.

5.2

Wie der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry schon sagte: „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen“. Es gilt also darauf hinzuwirken, dass alle Bürger, insbesondere aber die Familien und vor allem die jungen Menschen, neues Vertrauen in die Zukunft entwickeln. So werden sie nicht mehr gezwungen sein, sich in einem sozialen Umfeld zurechtzufinden, das in punkto Finanzen, Dienstleistungen und Zeit so wenig zu bieten hat, dass sie die Verwirklichung der eigenen Familienpläne und Kinderwünsche immer weiter aufschieben. Stattdessen werden sie vielmehr die Tragfähigkeit eines neuen Solidaritätsvertrags zwischen den Generationen spüren und in der Lage sein, ihren eigenen Beitrag zu leisten und die Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen.

Brüssel, den 13. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Vgl. die Stellungnahme des EWSA vom 16. Dezember 2004 zum Thema „Beziehungen zwischen den Generationen“ (Berichterstatter: Herr BLOCH-LAINÉ), ABl. C 157 vom 28.6.2005; die Stellungnahme des EWSA vom 14. März 2007 zum Thema „Die Familie und die demografische Entwicklung“ (Berichterstatter: Herr BUFFETAUT), ABl. C 161 vom 13.7.2007; die Stellungnahme des EWSA vom 14. März 2007 zum Thema „Überalterung der Bevölkerung: Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Haushalte“ (Berichterstatterin: Frau FLORIO), ABl. C 161 vom 13.7.2007 und die Stellungnahme zu „Rolle der Sozialpartner/Vereinbarung von Beruf, Familie und Privatleben“ (Berichterstatter: Herr CLEVER), Juli 2007; um nur die wichtigsten zu nennen.

(2)  KOM(2005) 94 endg.

(3)  KOM(2006) 571 endg., zu der sich der Ausschuss auf Ersuchen des deutschen Ratsvorsitzes im Rahmen einer Sondierungsstellungnahme vom 14. März 2007 zum Thema „Die Familie und die demografische Entwicklung“ (Berichterstatter: Herr BUFFETAUT), ABl. C 161 vom 13.7.2007, geäußert hat.

(4)  Vgl. Stellungnahme des EWSA zum Grünbuch über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen, Berichterstatter: Daniel RETUREAU (ABl. C 24 vom 31.1.2006); darin heißt es, dass „in dem Grünbuch daher empfohlen (wird), nicht den Weg der Harmonisierung des materiellen Rechts einzuschlagen“.

(5)  Eurostat, Population in Europe, 2005. Auch wenn Einelternfamilien in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich verbreitet sind (in Italien sind sie weniger häufig als z. B. in Schweden), ist die geschlechtliche Zusammensetzung nahezu in allen Mitgliedstaaten identisch (mit starker weiblicher Dominanz); einzige Ausnahme ist Schweden, wo 26 % der Alleinerziehenden männlich sind.

(6)  Berechnungsgrundlage für die Armut stellt hier das Einkommensniveau des jeweiligen Mitgliedstaates dar, so dass sie in einigen neuen Mitgliedstaaten niedriger ist (z. B. nur 6 % in Polen), während sie in anderen wie Irland (44 %), Griechenland (33 %), Portugal (30 %), Belgien (26 %) und Großbritannien (24 %) bedeutend höher ist. Die soziale Wirklichkeit in Europa, vom Beratergremium für europäische Politik (BEPA) vorbereitetes Basisdokument für die Konsultation, März 2007.

(7)  Special Eurobarometer 273, Die soziale Wirklichkeit in Europa, Februar 2007.

(8)  Vgl. hierzu das Buch Valori a confronto (Werte im Vergleich), von R. Gubert und G. Pollini, Mailand 2006, das auf Forschungsdaten der European Values Study basiert und für das 40 000 Bürger aus 33 europäischen Staaten (neben den 27 EU-Mitgliedstaaten auch einige Mitgliedstaaten des Europarates) von verschiedenen europäischen Universitäten befragt wurden. Auch die Studie The demografic future of Europe, die vom Robert Bosch Institut in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung durchgeführt wurde und für die 34 000 Bürger aus 14 europäischen Staaten befragt wurden, bestätigt den starken Wunsch der Europäer nach Gründung einer Familie.

(9)  Berechnung auf der Grundlage einer Armutsgrenze von 60 % des Durchschnittseinkommens. Soziale Lage in Europa 2004 und Eurostat 2003. Siehe hierzu auch den letzten, im Frühjahr 2007 veröffentlichten Bericht über die soziale Lage in Europa 2005-2006, bei dem es um das Gleichgewicht zwischen den Generationen in einem alternden Europa geht.

(10)  Für Familienfragen ist die Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit zuständig. Spezifische Dokumente sind auf der Webseite der Europäischen Allianz für Familien abrufbar: http://ec.europa.eu/employment_social/families/index_en.html Bedauerlicherweise ist es nicht möglich, Zugang zu all den wichtigen Arbeiten und der zehnjährigen Tätigkeit zu bekommen, die bis zum Jahr 2000 von der bereits erwähnten, 1989 errichteten Beobachtungsstelle für die Familie durchgeführt wurden.

(11)  Susy Giullari und Jane Lewie, The adult Worker Model, Gender equality and care; Sozialpolitik und Entwicklung, Programmdokument 19, Forschungsinstitut für soziale Entwicklung der Vereinten Nationen, April 2005.

(12)  Es handelt sich um die Artikel 7; 9; 14; 24 Absatz 3; 33; 34.

(13)  Im Juli 2007 übermittelten die europäischen Sozialpartner Kommissionsmitglied Špidla ein Schreiben, in dem sie ihre Bereitschaft bekundeten, die Richtlinie über Elternurlaub und die Situation hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der EU zu konkretisieren. Zu diesem Zweck haben die Organisationen eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet, die einen Bericht für das im März 2008 stattfindende Sozialgipfeltreffen der EU ausarbeiten soll.

(14)  Vgl. hierzu z. B. die jüngsten in Finnland geplanten Maßnahmen, wo die Sozialpartner 2003 eine umfassende Reform des Rentensystems ausgehandelt haben, die 2004 im Parlament verabschiedet wurde und 2005 in Kraft trat. Weitere Informationen sind abrufbar in englischer Sprache unter

www.tyoelake.fi.

(15)  Vgl. hierzu die Stellungnahme des EWSA vom 10. Dezember 2003 zum Thema sozialpolitische Agenda (Berichterstatter: Herr JAHIER), ABl. C 80 vom 30.3.2004.

(16)  Eine Biografie, die heute in der Regel eine absolut rigide zeitliche Abfolge der Phasen Entwicklung, Ausbildung, schwierige und sich länger hinziehende berufliche Integration mit unvermeidbaren Folgen für die Zeitpunkte der Familiengründung und der möglichen Geburten, und schließlich das fortgeschrittene Erwachsenenalter umfasst, in dem man die Doppelbelastung, Betreuung der Kinder und Pflege der hilfsbedürftigen älteren Familienmitglieder, zu bewältigen hat.

(17)  In diesem Zusammenhang sind die bereits vorgesehenen Forschungslinien der Dubliner Stiftung unbedingt zu fördern und auszubauen.

(18)  Siehe in diesem Zusammenhang die Stellungnahme Wohnungswesen und Regionalpolitik (Berichterstatter: Herr GRASSO, Mitberichterstatterin: Frau PRUD'HOMME), ABl. C 161 vom 13.7.2007.

(19)  Die ELFAC (Europäischer Dachverband der Großfamilien) hat anlässlich des Internationalen Tags der Familie am 15. Mai 2007 gemeinsam mit vielen anderen Organisationen, u. a. der COFACE, an die institutionellen Verantwortungsträger appelliert unter dem Motto Need for reduced VAT on essential items for child raising. Weitere Dokumente und Informationen sind abrufbar unter

www.elfac.org.

(20)  Einige Mitgliedstaaten haben bereits einen ermäßigten MwSt-Satz auf Windeln eingeführt. Gleichwohl sollte ein deutlicheres Signal gesetzt werden, das sich auf alle Baby- und Kleinkinderzeugnisse, von der Nahrung bis zur Bekleidung, erstreckt, für die bislang noch der Höchstsatz gilt.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Der folgende Änderungsantrag, auf den mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfiel, wurde im Verlauf der Beratungen abgelehnt (Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

Ziffer 4.3

Wie folgt ändern:

„Der EWSA befürwortet die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für bewährte Verfahren auf familienpolitischem Gebiet bei der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und empfiehlt, dass dies im Rahmen einer engen Konsultation der zivilgesellschaftlichen Akteure, insbesondere der Familienverbände, in den einzelnen Phasen dieses Prozesses erfolgt, also sowohl bei der Ermittlung dieser bewährten Verfahren als auch in punktuelle Diskussionen und Reflexionsprozessen. Der EWSA ersucht die Kommission, das Europäische Parlament und den Rat, die erforderlichen Schritte für die Errichtung einer Familienbeobachtungsstelle in der Dubliner Stiftung einzuleiten und die dafür erforderlichen finanziellen Mittel bereitzustellen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 63 Nein-Stimmen: 67 Stimmenthaltungen: 22


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/73


Stellungnahme zu dem „Vierten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt“

KOM(2007) 273 endg.

(2008/C 120/17)

Die Europäische Kommission beschloss am 30. Mai 2007, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vierter Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 8. November 2007 an. Berichterstatter war Herr DERRUINE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember) mit 88 Stimmen ohne Gegenstimmen und ohne Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Kommission muss gemäß Artikel 159 des Vertrags alle drei Jahre einen Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in Europa vorlegen.

1.2

Da der Bericht in dem Jahr vor der Aktualisierung der integrierten Leitlinien der Lissabon-Strategie veröffentlicht wird, hofft der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), dass seine Überlegungen — wie er dies bereits gefordert hat — nicht nur in der kommenden Generation der regionalpolitischen Maßnahmen, sondern bereits bei der Ausarbeitung dieser neuen integrierten Leitlinien berücksichtigt werden (1).

1.3

Mit dem neuen Änderungsvertrag wird insofern eine Neuerung eingeführt, als die allgemeinen Ziele der Europäischen Union um den territorialen Zusammenhalt ergänzt werden (Artikel 3), der erst vom Konvent über die Zukunft Europas hinzugenommen und von der Regierungskonferenz von 2007 bestätigt wurde.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

In der dem Bericht beigefügten Mitteilung wird mithilfe einer Reihe von Fragen eine Debatte über die Zukunft der Strukturpolitik eingeleitet. Nach Auffassung des EWSA sind jedoch zwei wichtige Fragen ausgelassen worden, auf die eine konkrete Antwort gefunden werden sollte:

Es erscheint müßig, sich mit der Kohäsionspolitik — die nahezu ein Drittel des Gemeinschaftshaushalts in Anspruch nimmt — zu befassen, ohne gleichzeitig über die Mittel zu diskutieren, die für ihre Durchführung zur Verfügung stehen. Der EWSA möchte daran erinnern, dass der Gemeinschaftshaushalt entsprechend seiner in der Vereinbarung über die Finanzielle Vorausschau genehmigten Form nicht ausreicht, um den Ambitionen gerecht zu werden, die Europa erfüllen soll. Was konkret die Strukturpolitik betrifft, ist die gleiche Feststellung zu treffen: 0,36 % des BIP sind nicht ausreichend, um den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in Europa zu gewährleisten (2).

Die Rolle der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft: In einer Reihe von Fragen wird zwar die Verwaltungsproblematik angesprochen; diese ist allerdings auf die politische Dimension im engeren Sinn beschränkt. Die Sozialpartner und die organisierte Zivilgesellschaft bleiben jedoch leider unberücksichtigt, obwohl sie unerlässlich sind, um die Vorhaben an die Anforderungen vor Ort anzupassen und für eine breite öffentliche Unterstützung zu sorgen. Außerdem tragen sie zur Transparenz bei der Verwendung der Mittel bei.

2.2

Die im Bericht genannten Zahlen können für den aufmerksamen Leser verwirrend sein, da nicht immer klar ist, ob sie sich auf die EU der 15, 25 oder 27 Mitglieder beziehen. Im Zusammenhang mit den Trends sind auch die Referenzdaten verwunderlich. So ist in dem Bericht häufig vom Zusammenhalt der EU-27 die Rede, wobei als Referenzdatum 1996 angegeben wird — das Jahr, in dem die Zahl der Mitgliedstaaten gerade auf 15 gestiegen war. Daraus ergibt sich, dass sich die skizzierten Trends nicht nur auf die EU-Mitgliedstaaten, sondern auch auf Länder beziehen, die von den sektoralen Gemeinschaftspolitiken (Binnenmarkt, Wettbewerb, Regionalpolitik) nicht bzw. (aufgrund der Ausrichtung ihrer Handelsbeziehungen) nur geringfügig betroffen waren. Mit anderen Worten: Aus dem Bericht geht nicht deutlich hervor, welchen spezifischen Beitrag die Strukturpolitik hinsichtlich des größeren Zusammenhalts geleistet hat, obwohl ihr Beitrag unbestreitbar ist (3).

2.3

Das Kriterium 75 % des BIP pro Einwohner, das definiert, ob eine Region einen Entwicklungsrückstand aufweist, wurde durch die Tatsache verwässert, dass das Pro-Kopf-BIP infolge des Beitritts von Ländern, die weit weniger wohlhabend sind als die zuvor beigetretenen, nach der Erweiterung gesunken ist (statistischer Effekt). Dies ist etwa mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens der Fall. Daher lässt sich die Situation in Bezug auf den Zusammenhalt vor 2004 nicht unmittelbar mit der heutigen Situation vergleichen. Das gute Abschneiden der zwölf Regionen, die diese Schwelle überschritten haben, muss relativiert werden, da keine Gewähr dafür besteht, dass es nicht dem statistischen Effekt zuzuschreiben ist.

2.4

In dem Bericht wird angekündigt, dass neun der 12 Mitgliedstaaten, die 2004 und 2007 beigetreten sind, zu Beginn des kommenden Programmplanungszeitraums die 75 %-Schwelle überschritten haben werden, wodurch dieses Referenzkriterium an Relevanz verlieren wird. Es wäre angebracht, schon jetzt über diese Frage nachzudenken.

2.5

Der Bericht enthält eine Fülle von kompakten Informationen, die aber leider nicht immer miteinander verknüpft wurden.

So geht aus der gemeinsamen Lektüre der Ziffern 2.1.3, 3.2, 2.2.4 (insbesondere der Grafik) und 2.2.6 von Anhang I hervor, wie schwierig es ist, Wirtschaftswachstum und harmonische Entwicklung miteinander zu kombinieren (im vorliegenden Fall die Schaffung von Arbeitsplätzen zum Nutzen aller Regionen). Gerade für einige neue Mitgliedstaaten (Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die Tschechische Republik) ist dies jedoch eine wirkliche Herausforderung.

Zwar haben die früheren Kohäsionsländer Irland, Griechenland und Spanien ihren Rückstand ganz oder teilweise aufgeholt, doch wie ist es mit der Zukunftsfähigkeit ihres Wachstums bestellt? Wie kann man den künftigen Entwicklungen optimistisch entgegensehen, wenn die Produktivität pro Arbeitsstunde im Vergleich zum europäischen Durchschnitt seit 10 Jahren hinterherhinkt oder das Wachstum großenteils auf einem anhaltenden Bauboom basiert (Spanien)? Wie lässt es sich erklären, dass in Irland trotz des starken Wirtschaftswachstums, das das Land in der Klassifizierung des realen BIP pro Einwohner an die zweite Stelle katapultiert und ihm die Wiedererlangung von Vollbeschäftigung ermöglicht hat, nahezu einer von fünf Einwohnern von Armut bedroht ist?

Die Beschäftigungsqualität, die 2000 als zentrales Ziel von Lissabon anerkannt wurde, glänzt in diesem Bericht durch Abwesenheit (4). Der Ausschuss ist der Ansicht, dass jeder Mitgliedstaat genau prüfen sollte, ob die Arbeitsplätze, die dank der Strukturfonds geschaffen bzw. durch sie unterstützt wurden, den Menschen eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt und angemessene Lebensbedingungen mit entsprechendem Lohn oder Gehalt ermöglicht haben.

2.6

Der EWSA macht ferner auf darauf aufmerksam, dass ein Hinweis auf die Sozialwirtschaft, in der schätzungsweise 10 % der europäischen Unternehmen tätig sind, und ihre Bedeutung für den Zusammenhalt fehlt (insbesondere in Bezug auf Unterstützung für arbeitsmarktpolitisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen). Dieser Wirtschaftszweig schafft qualitativ hochwertige Arbeitsplätze und trägt insofern zu nachhaltigem Wachstum bei, als er die Arbeitsplätze an das Gebiet bindet, dem ländlichen Raum Dynamik verleiht, soziales Kapital schafft und sektorale und territoriale Umstrukturierungen vorwegnimmt. Daher wäre es zu wünschen, dass zwischen den Mitgliedstaaten vergleichbare statistische Daten über die Quantität und Qualität diesbezüglicher Arbeitsplätze erhoben werden, um mehr Informationen über diesen Wirtschaftszweig zu erhalten

2.7

Nach Ansicht des EWSA sollten mehrere Aspekte des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts vertieft bzw. untersucht werden, z. B. die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt.

2.8

Sollte ein weiteres Argument für die Zweckmäßigkeit der Kohäsionspolitik in der EU erforderlich sein, so werden im Bericht zwei neue Elemente beigesteuert:

Die Marktkräfte agieren bevorzugt in den Hauptstädten, in die auch die Arbeitnehmer und Arbeitslosen strömen; das Eldorado, das sie verheißen, ist jedoch häufig trügerisch. Dieser Aspekt darf in den Debatten, mit denen die Förderung der Mobilität zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit propagiert werden soll, nicht unterschätzt werden.

Die Hauptstädte sind zudem häufig die einzigen Triebfedern des Wachstums. Es gibt nur in drei Ländern sekundäre Wachstumspole von internationaler Bedeutung, die sich durch wirtschaftliche Nachhaltigkeit auszeichnen. Dies erklärt teilweise, weshalb die durchschnittliche Wachstumsrate auf regionaler Ebene zwischen 0 % und 8,6 % (1997-2004) variiert.

Während ein Land im Sog der Entwicklung seiner Hauptstadt die kritische Schwelle von 75 % überschreitet, kommen viele Regionen oft sehr viel langsamer an dieses Ziel heran.

Es war somit dringend an der Zeit, den territorialen Zusammenhalt, der sich allem Anschein nach immer mehr als die eigentliche Grundlage des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts erweist, in vollem Umfang als allgemeines Ziel der EU anzuerkennen.

2.9

Der EWSA begrüßt, dass der Zusammenhalt in Europa durch eine Gegenüberstellung mit der Situation der weltweiten Konkurrenten der EU in ein neues Licht gerückt wurde und dabei die Rolle der Hauptstädte, die Implikationen ihres Wachstums für die Zukunftsfähigkeit (insbesondere unausgewogene Entwicklung und Umweltbelastungen) und die Folgen des Klimawandels auf regionaler Ebene herausgestrichen wurden.

2.10

Der EWSA unterstützt das Ziel der Europäischen Union, bei der Bekämpfung des Klimawandels eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Wenn jedoch die Länder außerhalb der Europäischen Union diesem Beispiel nicht folgen, wird dieses Bestreben die Wettbewerbsfähigkeit der EU gefährden und negative Auswirkungen auf deren Kohäsionspolitik haben. Eine solche Wettbewerbsverzerrung würde die Produktionsverlagerung in Länder begünstigen, die keine Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen,

2.11

Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass das Augenmerk wieder auf die territoriale Dimension des Zusammenhalts gerichtet wird, die trotz der Verabschiedung der „Aussichten für eine Europäische Raumentwicklung“ (1999) bis dahin eine Nebenrolle gespielt hatte: Strategie für Stadtentwicklung, Territoriale Agenda, Charta von Leipzig mit allgemeinen Grundsätzen für die Stadtentwicklung sowie die vom EWSA angeführten großstädtischen Ballungsgebiete, Cluster im Rahmen der Industrie- und Innovationspolitik.

2.12

Das letzte Kapitel, in dem die Verbindung zwischen den Politikbereichen der Gemeinschaft und dem Zusammenhalt darstellt wird, ist am wenigsten überzeugend: Darin werden die im Rahmen der Lissabon-Strategie durchgeführten Maßnahmen aufgelistet, ohne dass wirklich hervorgehoben wird, welche konkreten Auswirkungen auf den Zusammenhalt zu erwarten sind.

3.   Empfehlungen

3.1

Der EWSA erinnert an einige seiner früheren Empfehlungen, ohne seiner künftigen Initiativstellungnahme vorgreifen zu wollen, die als Antwort auf die öffentliche Konsultation der Kommission über den künftigen Gemeinschaftshaushalt erarbeitet wird.

3.1.1

Die Strukturfonds sind derzeit im Wesentlichen auf die Gewährung von Zuschüssen begrenzt. In einer früheren Stellungnahme (5) hatte der EWSA vorgeschlagen, das Finanz-Engineering der Fonds zu überdenken, um mithilfe des Europäischen Investitionsfonds und der EIB ihre Wirkung zu vervielfachen. Er schlug vor, diese Zuschüsse in Finanzprodukte umzuwandeln und dadurch eine Hebelwirkung zu erzielen: So könnten mit einem für die Bürgschaft für einen Risikokapitalkredit bereitgestellten Euro fünf bis zehn Euro Investitionen eines KMU finanziert werden. Das Beispiel der Initiative JEREMIE muss Schule machen (6).

3.1.2

Es könnten auch Ressourcen für Projekte mit europäischem Zusatznutzen bereitgestellt werden (insbesondere für die fehlenden Glieder der Transeuropäischen Netze (TEN) und den Europäischen Fonds zur Anpassung an die Globalisierung), ohne den Beitrag der Mitgliedstaaten zu erhöhen.

3.1.2.1

Der EWSA hat wiederholt das System der in den Gemeinschaftshaushalt einfließenden Mehrwertsteuer kritisiert, da es übermäßig hohe Erhebungs-, Verwaltungs- und Kontrollkosten verursacht (7). Diese Kosten müssen gesenkt werden, wodurch Mittel für gemeinsame Vorhaben frei würden.

3.1.2.2

Von der Praxis, die nicht verwendeten Mittel aus dem ohnehin mageren Gemeinschaftshaushalt an die Mitgliedstaaten zurückfließen zu lassen, sollte abgegangen werden. Diese Mittel stellen nur einen sehr kleinen Prozentsatz des Jahreshaushalts dar. Im Zeitraum 2000-2005 belaufen sie sich jedoch auf einen kumulierten Betrag von nahezu 45 Mrd. Euro, die man auf produktive Weise hätte verfügbar machen können (8).

3.1.2.3

Zu einer Zeit, in der sämtliche Mitgliedstaaten mit dem Problem der Bevölkerungsüberalterung konfrontiert sind, das einen Anstieg der Sozialausgaben mit sich bringt, ihnen der Stabilitätspakt jedoch Haushaltszwänge auferlegt, könnten die öffentlich-privaten Partnerschaften eine Alternativlösung sein, sofern die öffentlichen Verwaltungen (insbesondere auf subnationaler Ebene) in der Lage sind, ausgewogene Abkommen mit dem privaten Sektor zu schließen, was eine Verstärkung der Verwaltungskapazitäten voraussetzt.

3.2

Die Strategischen Leitlinien für die Regionalpolitik sind an der Lissabon-Strategie ausgerichtet. Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die Strategie für nachhaltige Entwicklung in der Regionalpolitik gleichberechtigt berücksichtigt wird — diese Strategie beschäftigt sich vor allem mit dem Thema Zusammenhalt in all seinen Facetten, denn die Lissabon-Strategie, die diese ergänzt, ist auf die Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet (9).

 

LISSABON

NACHHALTIGE ENTWICKLUNG

Zeithorizont

2010

Keine Laufzeit; langfristig

Raum

Europäische Union

Übersteigt den europäischen Rahmen aufgrund ihrer außenpolitischen Dimension

Prioritäten (10)

Wachstum und Beschäftigung verbessern, die Dynamik und das reibungslose Funktionieren der Eurozone gewährleisten, Europa für Investoren und Arbeitnehmer attraktiver machen, Wissen und Innovation in den Dienst des Wachstums stellen, dafür sorgen, dass mehr Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten und dort verbleiben, das Sozialschutzsystem modernisieren, die Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer und der Unternehmen steigern, verstärkt in Humankapital investieren und Bildung und Kompetenzen verbessern

Auf den Klimawandel reagieren, ein qualitativ hochwertiges (öffentliches) Gesundheitswesen fördern, die soziale Ausgrenzung bekämpfen und auf den demografischen Wandel reagieren, die natürlichen Ressourcen besser verwalten, den Verkehr nachhaltiger machen, die Armut in der Welt bekämpfen und die Entwicklung fördern

3.2.1

Die folgenden Karten, die von ESPON (European Spatial Planning Observation Network — Beobachtungsnetz für die europäische Raumordnung) erstellt wurden, veranschaulichen die zunehmende Polarisierung und Metropolenbildung vor dem Zeithorizont 2030, die das Ergebnis einer Vertiefung der Lissabon-Strategie gemäß ihrer derzeitigen Orientierung sind. Ein stärker auf den Zusammenhalt ausgerichtetes Szenario würde es ermöglichen, den zentralen Wirtschaftsraum auszuweiten und vor allem die Entstehung weiterer Entwicklungspole zu begünstigen (Ostseeregionen; östliches Rechteck entlang der Eckpunkte Wien, Berlin, Warschau und Budapest; Südfrankreich und Katalonien).

3.2.2

Diesbezüglich erinnert der EWSA (11) daran, wie wichtig es im Rahmen einer harmonischen Entwicklung ist, eine polyzentrische Raumordnung zu entwickeln und auf zwei Ebenen umzusetzen, um die negativen Auswirkungen der Polarisierung zu vermeiden (12): Die erste Ebene ermöglicht die Entstehung von Entwicklungspolen auf dem gesamten Gemeinschaftsgebiet, um Wachstum und Beschäftigung außerhalb des zentralen Wirtschaftsraums (des Fünfecks) zu verbreiten, und die zweite Ebene konsolidiert die Verbindungen und Synergien zwischen den großen städtischen Zentren und den vorstädtischen bzw. ländlichen Gebieten, um insbesondere „territorialen Unterschieden“ innerhalb der NUTS (Nomenklatur für Gebietseinheiten für statistische Zwecke) vorzubauen.

3.3

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Dominanz der Hauptstädte als Zentren für die Entstehung von Reichtum, Aktivitäten und Beschäftigung, insbesondere in einigen der neuen Mitgliedstaaten (13), und aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen BIP-Wachstumsrate und Inflation sollten die Regierungen und die Zivilgesellschaft der Länder, die im Begriff sind, der Eurozone beizutreten, ihr Augenmerk besonders darauf richten, welche Auswirkungen die Einführung der Einheitswährung auf ihren inneren Zusammenhalt hat. Dieser kann Belastungen ausgesetzt sein, wenn die einzelnen Regionen eines Landes eine unterschiedliche Dynamik aufweisen. Ohne die Vorteile, die der Euro mit sich bringt (14), zu schmälern, und abgesehen davon, dass die Politik des Einheitszinssatzes nicht die besonderen Anforderungen ihrer nationalen Volkswirtschaft erfüllen könnte, wird diese Politik in den großen Aktivitätszentren (darunter die Hauptstadt) denn auch anders aufgenommen als in den übrigen Regionen. Zusätzlich sollten die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten besser koordiniert werden, um dieses Phänomen abzufedern (15).

3.4

Die Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wird im Bericht erneut unterstrichen. Infolge des neuen Protokolls über die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, das durch die Regierungskonferenz 2007 festgelegt wurde, wiederholt der EWSA seine Forderung, dass „auf Gemeinschaftsebene gemeinsame Bezugspunkte für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse festgelegt werden, die für alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Natur), einschließlich Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, gelten und ihren Niederschlag in einer im Mitentscheidungsverfahren angenommenen Rahmenrichtlinie finden sollten, mit der ein auf ihre besonderen Anforderungen abgestimmter Gemeinschaftsrahmen geschaffen werden könnte“ (16).

3.5

„Nach Auffassung des EWSA [dessen Standpunkt vom Europäischen Parlament in jüngsten Berichten übernommen wurde] kann der Zusammenhalt nicht allein mit BSP-Indikatoren erfasst werden. Er dringt daher auf einen ‚repräsentativeren Indikator‘, der ‚neben dem BIP […] u. a. auch Parameter wie die Beschäftigungs- und Arbeitslosenquote, den Umfang des sozialen Schutzes und den Grad der Inanspruchnahme von Leistungen der Daseinsvorsorge beinhalten‘ soll“ (17). Diese Indikatoren sollten auch ergänzt werden durch Indikatoren zur Einkommensungleichverteilung (Gini-Koeffizient oder Quintilen-Verhältnis) und zu CO2-Emissionen (pro Einwohner oder Entwicklung seit 1990). Insgesamt müssen die europäischen Statistikinstrumente — insbesondere auf der Ebene der NUTS — konsolidiert und die Verbindungen zwischen Eurostat und den einzelstaatlichen Ämtern für Statistik verstärkt werden, damit möglichst schnell komplette und präzise Informationen zur Verfügung stehen (18).

3.6

Der EWSA schlägt vor zu prüfen, ob es nicht zweckmäßiger wäre, den Schwerpunkt bei der nächsten Phase der Zuweisung der Strukturfondsmittel auf das Bruttonationaleinkommen (BNE) als wirtschaftlichen Indikator anstatt auf das BIP zu legen, wie es bereits für den Kohäsionsfonds der Fall ist. Dadurch würde möglich, die Pendler zu berücksichtigen; die durch sie entstehenden wirtschaftlichen Folgen tragen nämlich — wie es in einer Textbox des Berichts betont wird — dazu bei, die Kluft zu vertiefen, obwohl die Mobilität auf allen Ebenen gefördert wird. Ferner würde dies auch ermöglichen, die Ströme ausländischer Direktinvestitionen (ADI) mit einzubeziehen, von denen ein Teil in die Herkunftsländer zurückfließt. Dementsprechend trägt das BNE — im Gegensatz zum BIP — diesen ein- und ausfließenden Kapitalströmen Rechnung. Dieser Unterschied kann sich für einige Länder (Luxemburg, Irland, Tschechische Republik, Estland, Zypern, Ungarn und in geringerem Maße Polen und Rumänien) als umfangreich erweisen, was zu einer suboptimalen Zuweisung der Strukturfondsmittel führen kann. Es muss auch festgestellt werden, dass diese Daten nicht auf NUTS-Ebene verfügbar sind; hier sollte nach Möglichkeit Abhilfe geschaffen werden.

4.   Antworten auf einige der im Zuge der Konsultation gestellten Fragen

4.1   Wie können die Regionen auf den Anpassungsdruck seitens dynamischer Wettbewerber aus dem Niedrig- und High-Tech-Sektor reagieren?

4.1.1

Was das angestrebte Angebot höherwertiger Produkte seitens der europäischen Unternehmen angeht, so zeigt es sich, dass der Ansatz des 7. FTE-Rahmenprogramms und des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, die beide darauf abzielen, den KMU und den „wissensorientierten Regionen“ neue Impulse zu verleihen, nach wie vor zu sehr von oben nach unten gerichtet ist. Die „Vernetzung von wissenschaftlich-technischen Kompetenzzentren, die Schaffung von Industrieparks sowie strukturierte Beziehungen zwischen Hochschulen, Unternehmen und den staatlichen Stellen“ sollten gefördert werden. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass der Innovationsdruck die Gefahr einer neuerlichen Fragmentierung heraufbeschwört, wenn nicht neue Kompetenzen entwickelt werden, um die Bürger auf die Veränderungen vorzubereiten (19). Dies impliziert, dass die qualitative Seite der Beschäftigung stärker im Mittelpunkt stehen sollte, denn „neben der Steigerung der FuE-Investitionen sowie der Investitionen überhaupt und der Investitionen in Bildung und Weiterbildung im Hinblick auf die Anforderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft ist die Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens ein Schlüssel zur Erhöhung des Produktivitätswachstums und der Innovationsfähigkeit der Unternehmen. Dies belegen wissenschaftliche Studien über den Zusammenhang von Arbeitsqualität und Produktivität und über die Bedeutung, die“ gute Arbeit „aus der Sicht der betroffenen Arbeitnehmer für die Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft hat“ (20).

4.1.2

Für die Industriepolitik gilt: „Durch die Ermittlung von Synergien und die Einbeziehung aller für das Gelingen des Strukturwandels relevanten Parteien kann der industrielle Wandel sozialverträglich gestaltet werden, wenn die systematische Einbindung der Sozialpartner in die Antizipierung und Steuerung des Wandels gewährleistet wird und auf kohärente Weise gleichzeitig zwei Ziele verfolgt werden: die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Verringerung der negativen sozialen Folgen“ (21).

4.1.3

In den Grenzregionen könnte der industrielle Wandel „durch die konkrete Gestaltung des optionalen Rahmens für transnationale Tarifverhandlungen, wie er in der Sozialpolitischen Agenda für den Zeitraum 2005-2010 angekündigt wurde“, erleichtert werden (22).

4.1.4

Der Ausschuss unterstützt das Ersuchen des Europäischen Parlaments, Standortverlagerungen und ihre Folgemaßnahmen auf territorialer Ebene (Arbeitsplatzbewegungen, Beschäftigungsart, Auswirkungen auf den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt) zu bewerten und konkrete Vorschläge in Form regelmäßiger Berichte (23) vorzulegen.

4.1.5

Ein Teil der nicht ausgeschöpften Mittel könnte zur Aufstockung des neuen Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF) genutzt werden, aus dem Arbeitnehmer, die „Opfer der Globalisierung“ geworden sind und ihren Arbeitsplatz verloren haben, rasch eine befristete Unterstützung erhalten können. Parallel dazu sollten die Förderkriterien dahingehend geändert werden, dass die Anzahl der entlassenen Arbeitnehmer, ab der der Fonds zum Einsatz kommt, gesenkt wird, denn die KMU machen 99,8 % der Unternehmen (Kleinstunternehmen: 91,5 %) aus und beschäftigen 67,1 % aller Erwerbstätigen.

4.1.6

Durch die allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds wird der Zeitraum für die Beibehaltung des Standortes bei Investitionen, für die Unternehmen Beihilfen erhalten haben, auf sieben Jahre festgesetzt. Diese Regelung sollte beibehalten werden.

4.1.7

Die Initiative JEREMIE war nach einer ersten Bewertung zu sehr auf die Hochtechnologiesektoren konzentriert, so dass sie den KMU, die diesem Sektor nicht angehören, nur in unzureichendem Maße zugute kam.

4.1.8

Nicht alle Regionen in Europa können in der wissensbasierten Wirtschaft eine Spitzenstellung einnehmen, da ihnen die Infrastruktur oder die Humanressourcen fehlen oder weil sie zu klein sind, um Größenvorteile erzielen zu können. Sie müssen sich gegenüber den nahe gelegenen großstädtischen Ballungsgebieten abgrenzen, indem sie die auf die Region ausgerichteten Wirtschaftstätigkeiten entwickeln oder sich in Bereichen spezialisieren, in denen Agglomerationseffekte keine so große Rolle spielen bzw. wo die erforderliche „kritische Masse“ nicht so groß ist. Der EWSA spricht sich dagegen aus, dass die ländlichen Gebiete ohne weiteres den Agrargebieten gleichgesetzt werden, ohne ihnen andere Perspektiven bieten zu können.

4.1.9

Eine der Alternativen ist in der Tourismusbranche und den mit ihr zusammenhängenden Bereichen zu finden. Das heißt, dass zu den neuen ländlichen Berufen folgende gehören können: „auf lokale Erzeugnisse spezialisierter Handel; traditionelle Handwerks- und Lebensmittelprodukte; Sport- und Ökotourismusangebote; audiovisuelle und virtuelle Einrichtungen; Kulturförderung; Kinderkrippen, Campingplätze und Herbergen; Naturmedizin; Schönheitspflege; traditionelle Baukunst und Wiederbelebung von Handwerken; Internetcafés; Förderung des örtlichen Immobilienwesens; Beratung zu den neuen Aktivitäten; Herstellung der Güter und Erbringung der Dienstleistungen, die üblicherweise in touristischen Unterkünften benötigt werden, auf ältere Menschen ausgerichtete Betreuung“ (24). Besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung verdient dabei der Ökotourismus, der auf einer umweltgerechten Bewirtschaftung basiert. Die Aufgabe des Ökotourismus besteht darin, das Bewusstsein der Gesellschaft für die nachhaltige, umweltverträgliche Entwicklung zu schärfen, ohne das natürliche Gleichgewicht zu stören. Aus dem Europäischen Sozialfonds und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) müssen Mittel dafür bereitgestellt werden.

4.1.10

Der Kulturtourismus kann für zahlreiche Regionen interessante Möglichkeiten eröffnen. So könnten „die besten Verfahren bei der Verwaltung von Dienstleistungen im Bereich des Kulturtourismus … von der Europäischen Union mittels Wettbewerben und Prämienausschreibungen im Rahmen der eigenen Programme — angefangen beim Programm“ Europäische Kulturhauptstädte „und dem künftigen Programm“ Exzellente europäische Reiseziele „— gefördert werden. Die EU könnte außerdem den Städten und Gebieten, die sich für eine Teilnahme bei diesen beiden Programmen bewerben möchten, beratend zur Seite stehen und einen im Vergleich zur jetzigen Unterstützung gestiegenen finanziellen Beitrag leisten und eventuell einen bevorzugten Rückgriff auf die Strukturfonds ermöglichen“ (25).

4.2   In welcher Hinsicht ist der Klimawandel eine Herausforderung für die Kohäsionspolitik?

4.2.1

Der EWSA teilt die Ansicht des Europäischen Raumbeobachtungsnetzwerks ESPON (26), dass sich der Klimawandel je nach Region unterschiedlich auswirken wird und deshalb eine differenzierte Herangehensweise erforderlich ist. Im zentralen europäischen Wirtschaftsraum (dem „Fünfeck“) wird die Zielsetzung darin bestehen, die wirtschaftliche Produktivität beizubehalten und gleichzeitig die negativen Agglomerationseffekte zu reduzieren (Luftverschmutzung und CO2-Ausstoß), indem innovative und effiziente öffentliche Verkehrssysteme zum Einsatz kommen und der Siedlungsraum besser verwaltet wird. In den südeuropäischen Regionen, aber auch in den Berggebieten, wird die wichtigste Aufgabe darin bestehen, die chaotische Nutzung des Siedlungsraums und die Bautätigkeit einzuschränken. Für die entlegeneren Gebiete müssen innovative Lösungsansätze gefunden werden, um ihre Zugänglichkeit zu verbessern. Die zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen dürfen langfristig keine negativen Folgen zeitigen.

4.2.2

Der EWSA schlägt vor, den Solidaritätsfonds, aus dem zur Zeit im Falle von Naturkatastrophen eine Soforthilfe gewährt wird, finanziell auszubauen und aufzustocken. Um deutlicher sichtbar zu machen, wie sehr die EU um Klimaschutz und diesbezügliche längerfristige Maßnahmen bemüht ist, schlägt der EWSA vor, dass mit dem Solidaritätsfonds auch Projekte kofinanziert werden, die auf präventives Risikomanagement ausgerichtet sind.

4.2.3

Der Finanzierung der Projekte sollten im Rahmen der verschiedenen Programme und Haushaltsposten eindeutige und transparente Förderkriterien zugrunde liegen. Diese Kriterien sollten insbesondere den Aspekt der nachhaltigen Entwicklung und eventuelle Auswirkungen eines Projekts auf Umwelt, Gesundheit, Beschäftigung sowie die Wettbewerbsfähigkeit Europas berücksichtigen (27).

4.3   Wie kann die Kohäsionspolitik eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung besser fördern und gleichzeitig die Vielfalt der Regionen innerhalb der EU — beispielsweise ländliche Gebiete, Insel- und Küstengebiete, aber auch die am stärksten benachteiligten Städte, Gebiete mit rückläufiger industrieller Entwicklung oder Regionen mit geographischen Besonderheiten — nicht aus dem Auge verlieren?

4.4

Der EWSA hat sich wiederholt für eine polyzentrische Entwicklung in Europa ausgesprochen. Im 4. Kohäsionsbericht wird die Vorherrschaft des zentralen Wirtschaftsraums („Fünfeck“) und die steigende Bedeutung der Hauptstädte hervorgehoben, jedoch auch auf die sozialen und ökologischen Kosten hingewiesen, die in diesem Gebiet entsprechend hoch sind. Der Ausschuss spricht sich für die Bildung sekundärerer Entwicklungszentren und Ballungsräume aus und hält es für wesentlich, dass die Synergien zwischen städtischen Zentren und entlegeneren Gebieten, die sich gegenseitig ergänzen sollen, gebündelt werden (28). Durch einen Bericht könnte die sozioökonomische Lage in den städtischen Ballungsräumen regelmäßig dargelegt werden. Voraussetzung dafür wäre die Entwicklung eines entsprechenden statistischen Systems (29). Der EWSA vertritt darüber hinaus die Ansicht, dass territoriale Entwicklungspakte im Rahmen der Globalisierung sich zum diesem Zweck als nützlich erweisen könnten, insbesondere dann, wenn sie einem zukunftsorientierten Ansatz verpflichtet sind und durch sie ein Beitrag zur kulturellen Entwicklung der Gesellschaft, die alle Menschen einschließt, geleistet werden soll (30).

4.4.1

Nach Auffassung des Ausschusses muss vor allem für die städtische Umwelt das Modell des „sozial verantwortlichen Territoriums“ angewandt werden, d. h. eines Territoriums, dessen Entwicklung, wie es im Bristol Accord (Dezember 2005) (31) heißt, auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, wirtschaftliche, soziale und umweltspezifische Aspekte umfasst sowie die sozioökonomischen Auswirkungen der Bevölkerungsalterung berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund muss die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Akteure in die Schaffung gemeinsamer Entscheidungsgrundlagen, wie sie durch das 6. FTE-Rahmenprogramm angeregt wurde, unbedingt beibehalten und weiter gefördert werden. Im 7. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung sind spezifische Maßnahmen im Bereich Humanentwicklung und Altern vorgesehen (32).

4.4.2

Da die wirtschaftlich aufstrebenden Gebiete, in denen Arbeitsplätze entstehen können, bisweilen den einzelstaatlichen Rahmen sprengen, wäre es angebracht wäre, mehr Mittel aus dem Programm Interreg zur Förderung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit einzusetzen (33).

4.4.3

Bezüglich der Regionen in äußerster Randlange „begrüßt der EWSA die Absicht der Kommission, im Rahmen der Konvergenzpriorität einen spezifischen Mechanismus zum Ausgleich aller Nachteile der Regionen in äußerster Randlage und der Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen zu schaffen“ (34). Angesichts der Tatsache, dass 50 % der für FuE bestimmten Fondsmittel im Wesentlichen einer sehr begrenzten Zahl von Regionen in der EU zugute kommen, spricht sich der EWSA dafür aus, „mehr Anreize für den Technologietransfer zwischen den Regionen zu schaffen“. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass „eine Gemeinschaftspolitik zugunsten der Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen … auf drei Grundsätzen fußen“ muss: Erstens auf dem Grundsatz der „Stetigkeit“ der Maßnahmen (der Referenzbegriff des „Aufholens“ ist für diese Regionen nicht sinnvoll), zweitens auf dem Grundsatz der „positiven Diskriminierung“, um dazu beizutragen, gleiche Bedingungen zwischen den Regionen zu schaffen, und drittens auf dem Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit“, um ihren geografischen, demografischen und ökologischen Gegebenheiten und den sich daraus ergebenden Zwängen Rechnung zu tragen. Zur Überwindung der Ungleichheiten sind sozial ausgerichtete Interventionen denkbar wie zum Beispiel: „Direktbeihilfen für bestimmte Handels- und Dienstleistungsunternehmen, Vorzugstarife im See- und Luftverkehr für in diesen Gebieten Ansässige, Angebot an hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen“ (35) u. a.

4.4.3.1

Die Kommission stellt zu Recht fest, dass die eingeschränkte Erreichbarkeit von Inseln daran deutlich wird, dass „sich bei der Reise im Pkw bzw. mit der Bahn die Reisezeit aufgrund der Überfahrt mit dem Schiff verlängert“. Erreichbarkeit stellt für die Inseln „ein besonderes Problem“ dar. Die Kommission betont ferner zu Recht das Problem der geringen Bevölkerungszahl. Die meisten Inseln können sich nicht auf ihren heimischen Markt stützen. Gleichwohl sind auch andere Probleme für ihre „langfristigen Entwicklungsperspektiven“ ausschlaggebend, wie z. B. die Knappheit der Ressourcen, Naturrisiken und die Gefährdung der Umwelt.

4.4.3.2

Nach Artikel 16 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Union „tragen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse im Anwendungsbereich dieses Vertrags dafür Sorge, dass die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, dass sie ihren Aufgaben nachkommen können“.

4.4.3.3

Als eines der Instrumente kann das einheitliche Universaldienstkonzept für den Dienstleistungssektor genannt werden, dessen Einführung in den Strategiepapieren und in den Rechtsakten der EU vorgesehen ist. Dieses Instrument wird im Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse besonders hervorgehoben (36).

4.4.4

Der EWSA erinnert daran, wie wichtig es ist, Unternehmen, die europäische Fördergelder erhalten, aber innerhalb von sieben Jahren ihren Standort wechseln, Sanktionen aufzuerlegen. Die öffentlichen Mittel dürfen nicht verschleudert werden, indem für die Vernichtung von Arbeitsplätzen auch noch Prämien gezahlt werden.

4.5   Wie wirken die Herausforderungen, die in diesem Bericht identifiziert werden, auf die Kernbereiche des sozialen Zusammenhalts, wie Einbeziehung, Integration und Chancen für jeden? Sind weitere Anstrengungen notwendig, um diese Auswirkungen zu antizipieren und ihnen zu begegnen?

4.5.1

In den Verordnungen zu den Strukturfonds wird die Gleichstellung von Mann und Frau ausdrücklich als ein Thema genannt, das alle Bereiche durchzieht. Es hat jedoch den Anschein, dass dieses Prinzip fast ausschließlich auf Fragen des Arbeitsmarktes Anwendung findet. Die Mitgliedstaaten sollten dazu ermutigt werden, einen integrierten Ansatz zu verfolgen (u. U. mit Hilfe der integrierten Leitlinien von Lissabon, gegebenenfalls verbunden mit Empfehlungen für den Einzelfall). Um die operationellen Programme einer Bewertung unterziehen zu können, müssen nach Geschlecht aufgeschlüsselte Daten vorliegen.

4.5.2

Zur Umsetzung einer Politik, die es den Betroffenen erlaubt, die gewünschte Zahl von Kindern großzuziehen, müssen die Mitgliedstaaten unterschiedliche Maßnahmen treffen, die „beispielsweise durch direkte Beihilfen, Steuererleichterungen sowie ein Angebot erstattungsfähiger öffentlicher oder privater Einrichtungen (etwa verschiedene Formen von Kinderkrippen, auch innerhalb eines Betriebs oder für mehrere Betriebe), Ganztagsschulen und Dienstleistungen konkretisiert werden müssten. Wichtig ist daher nicht nur die Quantität, sondern die Qualität der Einrichtungen“ (37). Im Übrigen weist der EWSA darauf hin, dass die Mitgliedstaaten im Anschluss an den Europäischen Rat von Barcelona (Juni 2002) vereinbart haben, „bis 2010 für mindestens 90 % der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulalter und für mindestens 33 % der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen“. Des Weiteren ist die „Festlegung eines für Familien und Kinder bestimmten Sockelbetrags in den öffentlichen Haushalten — also einer Investition in die Zukunft —“ erforderlich, „um zu vermeiden, dass für diesen Bereich vorgesehene Ausgaben von den gesellschaftlichen Kosten des steigenden Bevölkerungsanteils älterer Menschen aufgezehrt werden, da letztere bei zunehmender Alterung der Wählerschaft Vorrang bekommen könnten“ (38). In dieser Hinsicht könnte die Einrichtung eines Demografiefonds in Erwägung gezogen werden. Dadurch sollen die einzelstaatlichen Bemühungen zur Erhöhung der Geburtenrate und des Anteils der Frauen auf dem Arbeitsmarkt unterstützt werden, indem auf europäischer Ebene mehr Mittel für Kinderbetreuungseinrichtungen und die Pflege alter Menschen bereitgestellt werden und mehr Investitionen in die Renovierung/Modernisierung von Schulen fließen, insbesondere in ländlichen Gebieten.

4.5.3

Neben den Maßnahmen zur Förderung des Bevölkerungswachstums ist es notwendig, „die Gesundheit und Sicherheit der Kinder zu wahren und zu verbessern, allen eine hochwertige Bildung zu gewähren sowie Eltern Hilfs- und Unterstützungsleistungen anzubieten, damit sie ihre Bedürfnisse erfüllen und ihre Schwierigkeiten bewältigen können. Besondere Aufmerksamkeit gebührt den Familien und Kindern, die in großer Armut leben, besondere Förderung benötigen oder einen Migrationshintergrund haben. Zwar kann der Ausschuss lediglich die Überalterung der europäischen Bevölkerung feststellen und die Auffassung vertreten, dass die Reproduktion der Generationen für das Überleben des Kontinents unerlässlich ist, doch erinnert er daran, dass es möglich sein dürfte, durch die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, den Zugang zu einer sicheren Arbeitsstelle für die Altergruppe von 25-35 Jahren und eine wirklich sicherere Gestaltung der Berufslaufbahnen im Allgemeinen einen reibungslosen Übergang in den (ggf. aktiven) Ruhestand zu gewährleisten“ (39). Der Europäische Sozialfonds muss in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag leisten.

4.5.4

Der EWSA vertritt des Weiteren die Ansicht, „dass auf europäischer Ebene eine Reihe gemeinsamer Ziele in Bezug auf den Zugang zu Wohnraum und Mindeststandards für die Wohnraumqualität, die den Begriff der geeigneten Wohnung definieren, vorgeschlagen werden sollten“ (40).

4.5.5

„Die europäischen Finanzinstitutionen [könnten] Mittel zu sehr niedrigen Zinssätzen für integrierte Wohnungsprogramme zugunsten von jungen Erwachsenen, Familien mit Kindern, Zuwanderern, älteren Menschen und Behinderten und anderen sozialen Risikogruppen bereitstellen …, was die Mobilität der Arbeitnehmer, die soziale Durchmischung und bezahlbare Preise für die Bewohner fördern würde. … Der EWSA stellt fest, dass durch die Nutzung von JESSICA die Elemente zur Schaffung eines Garantiefonds für soziale Wohnungsbauprojekte größeren Umfangs gegeben sein werden, und fordert dazu auf, im Rahmen der Halbzeitüberprüfung der Strukturfonds diese Frage zu untersuchen“ (41).

4.6   Welche zentralen beruflichen Kenntnisse sind für unsere Bürger notwendig, um den neuen Herausforderungen zu begegnen?

4.6.1

Die in der Antwort 2.1 genannten territorialen Entwicklungspakte bieten eine interessante Möglichkeit, auf diese Frage zu antworten, da die Vielfalt der Situationen und der konkreten Herausforderungen den Einsatz unterschiedlicher Instrumente und Kompetenzen erfordert (vgl. Ziffer 1.1). Die Sozialpartner, die seit dem Jahre 2002 auf dem Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates einen Bericht über ihren Einsatz für das Ziel des lebenslangen Lernens vorlegen, müssen daran aktiv beteiligt werden.

4.6.2

Der Ausschuss erinnert daran, „dass die zentrale Voraussetzung für die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Unterstützung des lebenslangen Lernens, insbesondere in den ländlichen Gebieten und Kleinstädten der Gemeinschaft, in der Förderung von Breitbandinternetverbindungen (42) für den elektronischen Zugang zu Lernsystemen durch die EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten besteht. … In diesem Zusammenhang fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, die Frage des Zugangs zu Breitbandverbindungen als Bestandteil einer umfassenderen Strategie zu sehen, die dem Internetzugang den Status einer Leistung der Daseinsvorsorge verleiht. … Dabei ist besonders auf die Gefahr einer Kluft zwischen den Generationen zu achten“ (43).

4.7   Wie sieht vor dem Hintergrund der Notwendigkeit eines effizienten Verwaltungssystems in einem System der Mehrebenenverwaltung die optimale Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Gemeinschaft sowie der nationalen und regionalen Ebene aus?

4.7.1

Der EWSA spricht sich entschieden gegen jedweden Versuch aus, die Kohäsionspolitik, die Europa in den Bereichen Solidarität, Wachstum und Beschäftigung unbestreitbar einen echten Mehrwert bringt und deren konkrete Auswirkungen für jeden europäischen Bürger sichtbar sind, zu renationalisieren.

4.7.2

Der Ausschuss erinnert daran, dass nach dem Vertrag (Artikel 2, 158 und 159) alle Politiken — gemeinschaftliche, einzelstaatliche, horizontale und sektorielle — dem Kohäsionsziel dienen müssen. Folglich muss die Kohäsion, insbesondere in ihrer territorialen Ausprägung, in den integrierten Leitlinien und Wirkungsanalysen entsprechende Beachtung finden (44).

4.7.3

Der EWSA begrüßt die auf der Regierungskonferenz erfolgte Aufnahme des territorialen Zusammenhalts in die Ziele der Union sowie den Plan der Kommission, innerhalb der GD REGIO ein neues Referat „Kohäsionspolitik“ einzurichten. Dieses Referat soll darüber wachen, dass die sektoriellen Politiken stets auf das Ziel der Kohäsion ausgerichtet sind. Insbesondere muss über die im Stabilitäts- und Wachstumspakts festgelegten finanziellen Leitvorgaben und ihre Folgen für die Finanzierung der transeuropäischen Netze — und zwar insbesondere für die fehlenden Teilstücke — nachgedacht werden, da die Projekte, die Gemeinschaftshilfe erhalten, von den einzelstaatlichen Behörden kofinanziert werden müssen.

Es sei an dieser Stelle an eine Reihe allgemeiner Leitlinien erinnert: Einige Leitlinien sind bereits in den Verträgen enthalten, andere wurden durch die Regierungskonferenz 2007 eingeführt. Diese lauten wie folgt: Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen

trägt die Union den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung (neuer Artikel 9 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union);

zielt die Union darauf ab, Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen (neuer Artikel 10 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union);

berücksichtigt die Union die Erfordernisse des Umweltschutzes, insbesondere zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung (Artikel 6 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, im neuen Vertrag beibehalten).

Die Bestimmungen der Charta der Grundrechte, die im Vertrag über die Europäische Union anerkannt wird (Artikel 6), müssen bei der Festlegung strukturpolitischer Maßnahmen und deren Umsetzung ebenfalls berücksichtigt werden.

4.7.4

Der EWSA bedauert zutiefst, dass im Zuge dieser Konsultation die Rolle der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft bei der Konzipierung, Gestaltung und Umsetzung der Strukturfonds nicht thematisiert wird. Ihre Einbindung ist unabdingbar, um kofinanzierte Projekte auf die örtlichen Gegebenheiten abzustimmen und auf ihre Bedürfnisse auszurichten, sofern diese mit den strategischen Leitlinien im Einklang stehen. „Der Ausschuss dringt darauf, für die Zukunft Indikatoren zur Bewertung des Konsultationsprozesses im Zusammenhang mit den in den Mitgliedstaaten erstellten Strategie- und Programmplanungsdokumenten auszuarbeiten. … die Mitgliedstaaten [sollten] darlegen, wie sie für ein entsprechendes Feedback hinsichtlich der Art und Weise der Umsetzung des Partnerschaftsprinzips bei den Begleitausschüssen sorgen. Der Ausschuss ist der Überzeugung, dass sich die Mitgliedstaaten wie auch die Regionen das Potenzial der zivilgesellschaftlichen Organisationen stärker zunutze machen und diese an der Ausarbeitung der Pläne zur Förderung und Unterstützung der im Rahmen eines Bottom-up-Ansatzes angestoßenen Initiativen beteiligen sollten. Dazu sollten angemessene Finanzmittel für Informations- und PR-Kampagnen über die Strukturfonds bereitgestellt werden. Außerdem wäre es zweckmäßig, im Rahmen grenzübergreifender und interregionaler Programme gemeinsame Konsultationen und den Aufbau wirtschaftlicher und sozialer Partnerschaften zu fördern“ (45).

4.7.5

Im Nachgang zu den Open Days und der Initiative „Regionen für den wirtschaftlichen Wandel“ unterstützt der EWSA mit Nachdruck:

die Schaffung einer europäischen Tourismusagentur, die die Funktion einer Beobachtungsstelle wahrnehmen soll mit dem Ziel, die Gemeinschaft, die Mitgliedstaaten und die Regionen mit Informationen und zuverlässigen und vergleichbaren Daten über den Tourismus zu versorgen (46);

die Einführung „Europäischer Preise für die grüne Stadt“. Solche Preise könnten zur Optimierung des Einsatzes lokaler Gemeinschaften sowie ihrer öffentlichen und privaten Akteure beitragen (47);

die Einsetzung eines Systems der technischen Unterstützung für die Wohnungsbauprojekte, an dem die Netzwerke der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sowie deren Vertreter beteiligt sind und das von der Europäischen Kommission sowie den Mitgliedstaaten unterstützt wird (Nutzung der umzusetzenden Projekte und Methoden für eine optimale Integration der Wohnungsbauprojekte in die Stadterneuerungsprogramme) (48).

Die Verbreitung von Erfahrungen und erfolgreichen Verfahren sollte dabei im Vordergrund stehen.

4.8   Welche neuen Kooperationsmöglichkeiten eröffnen sich den Regionen innerhalb und außerhalb der EU?

4.8.1

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass ein Begegnungsforum zwischen den großstädtischen Ballungsgebieten und der Kommission den Polyzentrismus fördern und die Kenntnisse über diese Gebiete verbessern könnte. Eine Arbeitsgruppe könnte eingerichtet werden, um bewährte Praktiken zu ermitteln und zu verbreiten (49).

4.8.2

Die im Rahmen des EGVZ und im Rahmen anderer Strukturfonds gegründeten Gesellschaften müssen die Koordinierung der verschiedenen Finanzquellen und die Entwicklung und Durchführung von aus diesen Fonds finanzierten Projekten zur Förderung der Industriepolitik in der Region übernehmen, wobei die Mittel Vertretern der verschiedenen Beteiligten vor Ort zugänglich sein sollten. Die Gründung solcher juristischen Personen wird zur Stärkung der Motivation für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit beitragen, würde diesen Regionen eine aktivere Rolle geben und die Harmonisierung der Rechtsvorschriften fördern (50).

4.8.3

In diesem Zusammenhang sollten in grenzübergreifendem und interregionalem Kontext gemeinsame Konsultationen, wirtschaftliche und soziale Partnerschaften sowie Initiativen für einen sozialen Dialog gefördert werden, insbesondere durch die konkrete Gestaltung des optionalen Rahmens für transnationale Tarifverhandlungen, wie er in der Sozialpolitischen Agenda für den Zeitraum 2005-2010 angekündigt wurde (51).

4.8.4

Ein weiterer Bereich, in dem die Regionen zur Förderung des Zusammenhalts zusammenarbeiten können, ist der Energiesektor, der großen Einfluss auf die Produktionskosten, die Privathaushalte und die Wirtschaftsentwicklung hat. Dies kann in Gestalt eines Energieaustauschs zwischen jenen Regionen erfolgen, die mehr und preisgünstigere Energie im Vergleich zu den ärmeren besitzen. Dies wird heutzutage möglich durch die Nutzung eines regulierten, aber offeneren Netzsystems und dank der Inbetriebnahme der „Strombörse“.

Brüssel, den 13. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe Ziffer 1.4 der Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wirkung und Folgen der Strukturpolitik für den Zusammenhalt in der EU“, ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 6.

(2)  Ohne auf die Initiativstellungnahme des EWSA zu diesem Thema vorzugreifen, werden wir später auf einige bereits eingebrachte Vorschläge zurückkommen.

(3)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wirkung und Folgen der Strukturpolitik für den Zusammenhalt in der EU“, ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 6.

(4)  Es wird zwar darauf Bezug genommen, doch die bereitgestellten Informationen beziehen sich ausschließlich auf den Bereich Bildung/Ausbildung; während im Kommissionsdokument KOM(2003) 728 zehn Dimensionen der Beschäftigungsqualität ermittelt und mithilfe einer Reihe von Indikatoren analysiert wurden.

(5)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Strategische Leitlinien der Kohäsionspolitik für den Zeitraum 2007-2013“, ABl. C 185 vom 8.8.2006.

(6)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission: Die Kohäsionspolitik im Dienste von Wachstum und BeschäftigungStrategische Leitlinien der Gemeinschaft für den Zeitraum 2007-2013“, ABl. C 185 vom 8.8.2006, S. 52.

(7)  Stellungnahme des EWSA zum „System der Eigenmittel“, ABl. C 267 vom 27.10.2005, S. 57.

(8)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wirkung und Folgen der Strukturpolitik für den Zusammenhalt in der EU“, ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 6.

(9)  Anlässlich der Neubelebung der Lissabonner Strategie im März 2005 hat der Europäische Rat darauf hingewiesen, dass diese Strategie im größeren Rahmen der nachhaltigen Entwicklung zu sehen ist, die erfordert, den gegenwärtigen Bedürfnissen dergestalt Rechnung zu tragen, dass die Fähigkeit künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, nicht gefährdet wird. Der Europäische Rat bekräftigt sein Engagement für die nachhaltige Entwicklung, die ein zentraler Grundsatz aller politischen Strategien und Maßnahmen der Union ist. Schlussfolgerungen des Europäischen Rates im Juni 2005.

(10)  „Integrierte Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung“ (2005-2008), KOM(2005) 141 endg.; „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Überprüfung der Strategie für nachhaltige Entwicklung - Ein Aktionsprogramm“, KOM(2005) 658 endg.

(11)  Siehe die Stellungnahmen des EWSA zum Thema „Die großstädtischen Ballungsgebiete: sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“, ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 10; „Wirkung und Folgen der Strukturpolitik für den Zusammenhalt in der EU“, ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 6, und „Territoriale Agenda“, ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 16.

(12)  Siehe diesbezüglich die für den Ausschuss für regionale Entwicklung des Europäischen Parlaments erstellte Studie „Regionale Ungleichheiten und KohäsionStrategien für die Zukunft“, Mai 2007.

(13)  In einer Stellungnahme aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Europäischen Währungsunion 2008 wird diese Frage demnächst behandelt werden.

(14)  In einer Stellungnahme aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Europäischen Währungsunion 2008 wird diese Frage demnächst behandelt werden.

(15)  Anlässlich der Neubelebung der Lissabonner Strategie im März 2005 hat der Europäische Rat darauf hingewiesen, dass diese Strategie im größeren Rahmen der nachhaltigen Entwicklung zu sehen ist, die erfordert, den gegenwärtigen Bedürfnissen dergestalt Rechnung zu tragen, dass die Fähigkeit künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, nicht gefährdet wird. Der Europäische Rat bekräftigt sein Engagement für die nachhaltige Entwicklung, die ein zentraler Grundsatz aller politischen Strategien und Maßnahmen der Union ist. Schlussfolgerungen des Europäischen Rates im Juni 2005.

(16)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission: Umsetzung des Gemeinschaftsprogramms von LissabonDie Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse in der Europäischen Union“, ABl. C 161 vom 13.7.2007, S. 80.

(17)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wirkung und Folgen der Strukturpolitik für den Zusammenhalt in der EU“, ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 6.

(18)  Anlässlich der Neubelebung der Lissabonner Strategie im März 2005 hat der Europäische Rat darauf hingewiesen, dass diese Strategie im größeren Rahmen der nachhaltigen Entwicklung zu sehen ist, die erfordert, den gegenwärtigen Bedürfnissen dergestalt Rechnung zu tragen, dass die Fähigkeit künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, nicht gefährdet wird. Der Europäische Rat bekräftigt sein Engagement für die nachhaltige Entwicklung, die ein zentraler Grundsatz aller politischen Strategien und Maßnahmen der Union ist. Schlussfolgerungen des Europäischen Rates im Juni 2005.

(19)  Stellungnahme des EWSA zu dem Thema „Regionale und lokale Politik zur Bewältigung des industriellen Wandels: die Rolle der Sozialpartner und der Beitrag des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 12.

(20)  Stellungnahme der EWSA zum Thema „Qualität des Arbeitslebens, Produktivität und Beschäftigung im Kontext von Globalisierung und demographischem Wandel“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 157.

(21)  Stellungnahme des EWSA zu dem Thema „Der soziale Dialog und die Einbeziehung der Arbeitnehmer, Schlüssel zur Antizipierung und Kontrolle des industriellen Wandels“, ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 90.

(22)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission: Die Kohäsionspolitik im Dienste von Wachstum und BeschäftigungStrategische Leitlinien der Gemeinschaft für den Zeitraum 2007-2013“, ABl. C 185 vom 8.8.2006, S. 52.

(23)  Bericht über Standortverlagerungen im Zusammenhang mit der regionalen Entwicklung (Berichterstatter: Hutchinson, 30. Januar 2006).

(24)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Der Beitrag des Tourismus zur sozialen und wirtschaftlichen Erholung von Gebieten im Niedergang“, ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 1.

(25)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Tourismus und Kultur: zwei Kräfte im Dienste des Wachstums“, ABl. C 110 vom 9.5.2006, S. 1.

(26)  ESPON: „Scenarios on the territorial future of Europe“, Mai 2007.

(27)  Stellungnahme des EWSA zu dem Thema „Die Rolle der nachhaltigen Entwicklung im Rahmen der nächsten Finanziellen Vorausschau“, ABl. C 267 vom 27.10.2005, S. 22.

(28)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wirkung und Folgen der Strukturpolitik für den Zusammenhalt in der EU“, ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 6.

(29)  Die zwei Stellungnahmen des EWSA zum Thema „Die großstädtischen Ballungsgebiete: sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“, ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 101 und ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 10.

(30)  Stellungnahme des EWSA zu dem Thema „Regionale und lokale Politik zur Bewältigung des industriellen Wandels: die Rolle der Sozialpartner und der Beitrag des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 12.

(31)  www.odpm.gov.uk.

(32)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine thematische Strategie für die städtische Umwelt“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 86.

(33)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates bezüglich der Schaffung eines Europäischen Verbunds für grenzüberschreitende Zusammenarbeit“, ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 76, § 3.4.

(34)  Stellungnahme des EWSA über den „Dritten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt. Eine neue Partnerschaft für den Zusammenhalt: Konvergenz, Wettbewerbsfähigkeit und Zusammenarbeit“, ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 60.

(35)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Bessere Integration von Regionen mit anhaltenden naturbedingten Strukturschwächen“, ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 141.

(36)  KOM(2003) 270 endg.

(37)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Familie und die demografische Entwicklung“, ABl. C 161 vom 13.7.2007, S. 66.

(38)  Ibidem.

(39)  Ibidem.

(40)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wohnungswesen und Regionalpolitik“, ABl. C 161 vom 13.7.2007, S. 17.

(41)  Ibidem.

(42)  Breitbandinternetzugang: Kommunikationskanal mit hoher Kapazität, der einen schnellen und effizienten Zugriff auf die Informations- und e-Learning-Systeme erlaubt (Quelle:

http://www.elearningeuropa.info/).

(43)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Der Beitrag des IT-gestützten lebenslangen Lernens zur Wettbewerbsfähigkeit, zum industriellen Wandel und zur Entwicklung des Sozialkapitals in Europa“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 20.

(44)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wirkung und Folgen der Strukturpolitik für den Zusammenhalt in der EU“, ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 6.

(45)  Stellungnahmen des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission: Die Kohäsionspolitik im Dienste von Wachstum und BeschäftigungStrategische Leitlinien der Gemeinschaft für den Zeitraum 2007-2013“, ABl. C 185 vom 8.8.2006, S. 52, und zum Thema „Wirkung und Folgen der Strukturpolitik für den Zusammenhalt in der EU“, ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 6.

(46)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Tourismus und Kultur: zwei Kräfte im Dienste des Wachstums“, ABl. C 110 vom 9.5.2006, S. 1.

(47)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine thematische Strategie für die städtische Umwelt“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 86.

(48)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wohnungswesen und Regionalpolitik“, ABl. C 161 vom 13.7.2007, S. 17.

(49)  Die zwei Stellungnahmen des EWSA zum Thema „Die großstädtischen Ballungsgebiete: sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“, ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 101 und ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 10.

(50)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Bewältigung des industriellen Wandels in grenzüberschreitenden Regionen nach der Erweiterung der Europäischen Union“, ABl. C 185 vom 8.8.2006, S. 24.

(51)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission: Die Kohäsionspolitik im Dienste von Wachstum und BeschäftigungStrategische Leitlinien der Gemeinschaft für den Zeitraum 2007-2013“, ABl. C 185 vom 8.8.2006, S. 52.


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/82


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Migration und Entwicklung: Chancen und Herausforderungen“

(2008/C 120/18)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 16. Februar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu erarbeiten:

„Migration und Entwicklung: Chancen und Herausforderungen“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 3. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr SHARMA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 125 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

In dieser Initiativstellungnahme werden Vorschläge hinsichtlich der Politik in den eng miteinander verbundenen Bereichen Migration und Entwicklung dargelegt.

1.2

Das Hauptaugenmerk wird auf praktische Beispiele, Vorschläge und mögliche Kooperationsvereinbarungen zum gegenseitigen Nutzen gelegt, so dass Migration als „Instrument für die Entwicklung“ angesehen werden kann. Durch die Einführung spezifischer Maßnahmen möchte der Ausschuss von der Debatte auf politischer Ebene zur Debatte auf programmatischer Ebene übergehen.

1.3

Eine vorteilhafte Umsetzung der Migrations- und Entwicklungspolitik kann am besten durch Schaffung günstigerer Bedingungen für Überweisungen, die das Einkommensniveau der Empfänger anheben sollen (Ziffern 3.4-3.8), und möglicherweise durch Mittel zur Steuerung der Migrationsströme zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder oder bestimmter Gruppen mit niedrigen Einkommen in Entwicklungsländern (Ziffer 4.2) erreicht werden. Durch Konzepte der Entwicklungszusammenarbeit können private Überweisungen zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten für die Allgemeinheit genutzt werden (Ziffern 5.1-5.2). Andere Formen der Entwicklungszusammenarbeit stützen sich auf das Engagement von Diasporaorganisationen und sind auf die Mobilisierung von Humanressourcen und/oder finanziellen Ressourcen für ausländische Direktinvestitionen, Wissens- und Technologietransfers sowie Überweisungen aus sozialen und kulturellen Beweggründen gerichtet (Ziffern 5.3-5.8). Migrations- und Entwicklungspolitik kann die negativen Auswirkungen der Fachkräfteabwanderung durch die Einrichtung von Fachkräftepools (Brain-Trust) und Förderung von Modellen der zirkulären und virtuellen Migration abfedern (Ziffern 6.2-6.6.4). Schließlich vertritt der Ausschuss den Standpunkt, dass Migrations- und Entwicklungspolitik nur erfolgreich sein kann, wenn diese in andere relevante Politikbereiche einbezogen und die politische Kohärenz gewährleistet wird (Ziffern 7.1-7.3).

1.4

Diese Stellungnahme ergänzt die Stellungnahme des Ausschusses zum Thema „EU-Einwanderungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern“ von Berichterstatter Herrn PARIZA CASTAÑOS (1). Zusätzlich unterstützt sie die Mitteilung der Kommission zu dem Thema „Zirkuläre Migration und Mobilitätspartnerschaften zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten“ (2).

2.   Migration und Globalisierung

2.1

Der Prozess der Globalisierung hat zu einer Liberalisierung des freien Verkehrs von Kapital, Waren und Dienstleistungen geführt. Die Freizügigkeit von Personen ist jedoch noch immer der am meisten eingeschränkte Bereich der Globalisierung. Um die weniger entwickelten Volkswirtschaften an dem auf die Globalisierung zurückzuführenden Wirtschaftswachstum mehr teilhaben zu lassen, sollte der Freizügigkeit von Personen größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. In dieser Stellungnahme wird der Denkrichtung gefolgt, dass die Migration eine Chance für Entwicklungsländer ist, ausgewogener an der gegenwärtigen globalisierten Wirtschaft teilhaben zu können. Durch Migration können Ungleichheiten vermindert werden; sie darf jedoch nicht als Ersatz für die traditionelle Entwicklungshilfe gesehen werden.

2.2

Zwei Überlegungen bilden die Grundlage für ein Konzept, das Migration als ein Verbindungsglied zwischen Globalisierung und Entwicklung betrachtet. Erstens deuten demografische Trends darauf hin, dass der bereits bestehende Arbeitskräftemangel in EU-Ländern in naher Zukunft voraussichtlich steigen wird, insbesondere im Bereich arbeitsintensiver Dienstleistungen. Zweitens rechnet die Weltbank damit, dass eine gut gesteuerte Migration in naher Zukunft eine bedeutende finanzielle Unterstützung in Form von Geldüberweisungen an Menschen in armen Ländern hervorbringen könnte (3). Die Überweisungsströme in den OECD-Ländern und auch aus den OECD-Ländern in Entwicklungsländer und sogar zwischen Entwicklungsländern steigen stetig (4). Somit kann die internationale Migration einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Milleniums-Entwicklungsziele leisten. Überweisungen sowie die Konzepte der Entwicklungszusammenarbeit und zirkulären Migration können erheblich zur Entwicklung beitragen. Darüber hinaus wird ihr Entwicklungspotenzial durch den Bedarf des westeuropäischen Arbeitsmarktes gespeist.

2.3

Mit der Stellungnahme wird betont, dass ein gut entwickeltes, umfassendes und integriertes Konzept für die Migrations- und Entwicklungspolitik benötigt wird, das einen allseitigen Nutzen ermöglicht.

2.4

Ein solches Konzept geht davon aus, dass ein unausgewogenes Verhältnis zwischen den positiven und negativen Auswirkungen der Migration auf Entwicklungsländer besteht, und will entsprechend auf die nachteiligen und vorteilhaften Faktoren einwirken. Während die Migration in manchen Ländern den Druck der Überbevölkerung und Beschäftigungslosigkeit mindert und durch den bewussten Fachkräfteexport im Ausland Quellen für künftige Überweisungen, ausländische Direktinvestitionen und Wissenstransfer geschaffen werden, ist für andere Länder die ständige Abwanderung von Humanressourcen ein Entwicklungshemmnis. Daher werden durch eine gute Steuerung der Migration deren positive Folgen verstärkt, gleichzeitig jedoch die negativen abgemildert.

2.5

Der Ausschuss unterstützt die Einschätzungen führender internationaler Entwicklungsorganisationen wie der Weltbank, des britischen Ministeriums für Internationale Entwicklung sowie von Oxfam und anderen Organisationen, die alle auf das Potenzial der internationalen Migration als Entwicklungsinstrument verweisen, wenn es darum geht, Armut zu lindern und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in den Herkunftsländern zu erreichen. Geldüberweisungen in Entwicklungsländer führen für die Empfängerhaushalte zu einem erheblichen Einkommensanstieg, sind ein wichtiger Faktor für die kurzfristige Linderung der Armut und können bei umsichtiger Steuerung sogar zu einer nachhaltigen Entwicklung auf lange Sicht führen. Letzteres wird durch Konzepte der Entwicklungszusammenarbeit wie philanthropisches Engagement der Ausgewanderten, Überweisungen aus sozialen Beweggründen, Wissenstransfer und transnationale Unternehmensnetze gefördert.

2.6

Der Vorteil einer geschickt gesteuerten Migrations- und Entwicklungspolitik dürfte in dem Potenzial liegen, schwache Länder (insbesondere afrikanische Länder südlich der Sahara) vor Entwicklungshindernissen aufgrund der Migration zu schützen. Die Entwicklungsländer, die am wenigsten von den Überweisungen und dem philanthropischen Engagement profitieren, bezahlen häufig den höchsten Preis der Migration: Sie verlieren hoch qualifizierte Fachkräfte und begabte Menschen. Modelle der zirkulären und virtuellen Migration können in gewissem Maße den negativen Folgen einer unkontrollierten Auswanderung entgegenwirken. Mit einer Migrations- und Entwicklungspolitik könnte auf die Bedürfnisse und Besonderheiten von Bereichen wie Bildungs- oder Gesundheitswesen, die durch die Migration besonders gefährdet sind, eingegangen werden. Wird der Verlust von Fachkräften des Gesundheitswesens in stark von HIV/AIDS betroffenen Gebieten nicht durch strenge Migrationsregelungen verhindert, werden andere Anstrengungen nicht nachhaltig sein. Bilateralen und regionalen Partnerschaften im Bereich Migration zwischen den Aufnahme- und den Herkunftsländern kann eine bedeutende Rolle beim Schutz dieser für deren Entwicklung entscheidenden Sektoren zukommen.

2.7

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die Migration auf vielfältige Art und Weise tief greifende Auswirkungen auf die Herkunfts- und Aufnahmeländer hat. Einige Auswirkungen werden jedoch erst Jahre nach Einsetzen der Migration erkannt. Zunehmende Bedeutung hat das Thema Migrantenkinder, die im Herkunftsland bleiben, sowie deren Gesundheit und Bildungsaussichten in Haushalten Alleinerziehender. In der gesellschaftlichen Dimension weisen von der Migration betroffene Bereiche Anzeichen eines verzerrten Geschlechterverhältnisses auf, das höchstwahrscheinlich die sozioökonomischen Rahmenbedingungen der langfristigen Entwicklung beeinflussen wird. Diese Fragen müssen bei der Planung und Umsetzung einer internationalen Migrationspolitik berücksichtigt werden.

2.8

Der Ausschuss verweist auf die sozioökonomische Interdependenz zwischen Aufnahme- und Herkunftsland. Migranten, die in den Aufnahmeländern wirtschaftlich erfolgreich sind, überweisen tendenziell mehr. Darüber hinaus können sozial gut integrierte Migranten im Vergleich zu weniger gut integrierten potenziell einen größeren Beitrag zur gemeinsamen Entwicklung ihres Herkunftslandes durch philanthropisches Engagement, Überweisungen aus sozialen Beweggründen sowie zirkuläre oder virtuelle Migration leisten. Demzufolge müssen die Aufnahmeländer über Konzepte nachdenken, die die Vergeudung von Intelligenz (Brain Waste) verhindern: Hierzu gehören eine bessere soziale Integration im Allgemeinen sowie die Angleichung der Löhne und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen — also auch Zulassung von Gewerkschaften — oder Lösungen hinsichtlich der Erlangung eines legalen Aufenthaltsstatus für Migranten, der häufig problematisch ist. Mit einer solchen Herangehensweise wird der Nutzen der Migranten für die Aufnahmeländer optimiert und außerdem ihr möglicher Beitrag zur Entwicklung erhöht.

2.9

Hiermit sind ebenfalls Konzepte zur Eindämmung der irregulären Migration verknüpft. Irreguläre Migration schadet den Aufnahmeländern, da sie mit Schwarzarbeit verbunden ist. Gleichzeitig gefährdet sie die (irregulären) Migranten, da sie sich häufig in einer schwachen Position eines bedenklichen Ausbeutungsverhältnisses befinden und harten Arbeitsbedingungen mit niedrigen Sicherheits- und Gesundheitsstandards ausgesetzt sind. Des Weiteren hat irreguläre Migration auch negative Folgen für die Entwicklung: Die Möglichkeiten einer Integration im Aufnahmeland sind begrenzt und die hohen Kosten dieser Art der Einwanderung verringern die Aussichten auf Geldüberweisungen der betreffenden Personen in ihre Herkunftsländer. Dennoch bleibt die Regularisierung der Einwanderer ohne Ausweispapiere ein humanes Erfordernis und gleichzeitig eine wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit. Bessere Möglichkeiten einer legalen Migration erhöhen ihr Potenzial als Entwicklungsinstrument und verringern gleichzeitig die Nachfrage nach kriminellen Organisationen, die Schmuggel und Menschenhandel betreiben. Legale Migration reduziert deshalb die Ausbeutung auf ein Minimum.

2.10

Der Ausschuss stellt fest, dass die Süd-Süd-Migration die häufigste Form der internationalen Migration ist. Nachbarländer oder die unmittelbare Region werden von internationalen Migranten am häufigsten als Zielländer gewählt (5). Berücksichtigt man außerdem, dass Migration Risikobereitschaft bedeutet und finanzielle Ressourcen, Fähigkeiten und Netzwerke erfordert, wird offensichtlich, dass insbesondere für arme Menschen Ortsveränderungen innerhalb der eigenen Staaten die am meisten verbreitete Form der Migration sind (6). Deshalb muss ein umfassendes Konzept für die Migrations- und Entwicklungspolitik auch berücksichtigen, welche potenziellen Auswirkungen die regionale und interne Migration auf die Armutslinderung und wirtschaftliche Entwicklung hat.

2.11

Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, die Standards der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (1990) anzuwenden.

3.   Migration und Armutslinderung — Überweisungen erleichtern

3.1

Der Ausschuss ist sich des Potenzials von Überweisungen der Migranten an ihre im Herkunftsland verbliebenen Familien als Entwicklungsinstrument bewusst. Untersuchungen zeigen, dass Überweisungen das Einkommensniveau ihrer Empfänger unmittelbar anheben und somit die Armut lindern.

3.2

Ein unbestimmter, jedoch erheblicher Teil der Überweisungen (ein bis zwei Drittel) wird über informelle Kanäle abgewickelt. Dies hat negative Folgen für Migranten und Begünstigte sowie für das Aufnahme- und Herkunftsland. Aufgrund fehlenden Wettbewerbs unter den inoffiziellen Anbietern von Finanzleistungen haben die Migranten und Begünstigten keine andere Wahl, als die hohen Transaktionskosten, die wiederum ihr Einkommen mindern, in Kauf zu nehmen. Für finanzschwache Entwicklungsländer sind Überweisungen die wichtigste Quelle ausländischer Währung und können somit, wenn sie über offizielle Kreditinstitute abgewickelt werden, die finanzielle Entwicklung verbessern, indem der örtliche Banksektor über mehr Bankguthaben verfügt und folglich mehr Kredite bereitstellen kann (7). Somit tragen Überweisungen zu einer positiven makroökonomischen Entwicklung bei. Für die Aufnahmeländer ist der inoffizielle Bankensektor allgemein Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Sicherheit, denn Geldwäsche oder die Finanzierung terroristischer Organisationen erfolgen größtenteils mittels inoffizieller Finanztransaktionsmethoden.

3.3

Es gibt vielerlei Gründe, warum Migranten für Überweisungen häufig inoffizielle Kanäle anstelle offizieller Bankleistungen bevorzugen. Viele Migranten entscheiden sich für inoffizielle Überweisungskanäle, weil die offiziellen Dienstleistungsanbieter zu teuer, zu langsam, zu bürokratisch oder einfach nicht zugänglich sind. Sie haben auch mangelndes Vertrauen in die Kreditinstitute ihres Heimatlandes oder befürchten Wechselkursschwankungen. Zahlungsempfänger aus der armen Bevölkerung haben keinen Zugang zu Kreditinstituten, insbesondere wenn sie in abgelegenen ländlichen Gebieten leben. Noch mehr Menschen können sich keine Kontoführungsgebühren leisten. Überweisungsgebühren sind für einkommensschwache Familien, die regelmäßig kleine Beträge senden, unverhältnismäßig hoch. Migranten ohne Ausweispapiere können sich nicht an Banken wenden, da ein Ausweis zu den Grundvoraussetzungen für eine Kontoeröffnung gehört.

3.4

Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten, die Kommission, das Parlament und den Rat auf, folgende Initiativen zur Förderung der Entwicklung in Betracht zu ziehen:

3.4.1

Einheimische Kreditinstitute aus den Herkunftsländern sollten den im Ausland lebenden und arbeitenden Migranten die Möglichkeit zur Einrichtung von Sparkonten für Zahlungen in ausländischer Währung einräumen.

3.4.2

Bankdienstleistungen sollten für einkommensschwache Familien durch erschwingliche Bankgebühren zugänglich gemacht und auch in Gegenden angeboten werden, in denen es derzeit keine Banken gibt. Letzteres könnte durch die Verknüpfung von Bankdienstleistungen mit flächendeckenden Dienstleistungen wie Post- oder Einzelhandelsnetzen oder bestehenden Kreditgenossenschaften erreicht werden. Eine Verringerung der Überweisungsgebühren darf jedoch nicht durch ungünstige Wechselkurse zugunsten des Kreditinstituts zunichte gemacht werden.

3.4.3

Der Wettbewerb zwischen den Anbietern von Überweisungsleistungen muss verstärkt werden, damit die Überweisungskosten sinken. Nichtstaatliche Organisationen und öffentliche Behörden in den Aufnahmeländern könnten den Wettbewerb fördern, indem sie Informationen mit Preisvergleichen der Dienstleistungsanbieter verbreiten. Die Website www.sendmoneyhome.org ist diesbezüglich eine beispielhafte Initiative. Außerdem ist es äußerst wichtig, den Migranten Kenntnisse in finanziellen Angelegenheiten zu vermitteln, und dies sollte die Zivilgesellschaft in Zusammenarbeit mit Finanzinstituten ermöglichen.

3.4.4

Eine Modernisierung der Banktechnologien in den Herkunftsländern könnte die Transaktionskosten erheblich herabsetzen, den Ablauf beschleunigen und die Sicherheit der Transaktionen erhöhen. Auch würden in abgelegenen Gebieten satellitengestützte Informationstechnologien zugunsten einer verbesserten Verwaltung und elektronische Transfersysteme die Effizienz erhöhen. Die Einführung von Debitkarten oder Zusatzleistungen von Mobilfunkanbietern sind innovative Lösungen für eine größere Reichweite von Leistungen. All diese Maßnahmen zum Kapazitätsausbau erfordern Investitionen, die durch öffentliche Entwicklungshilfe oder öffentlich-private Partnerschaften gefördert werden könnten.

3.4.5

Die strengen Vorschriften zur Identitätsangabe von Personen wirken auf Migranten (ohne Ausweispapiere), die ein Bankkonto eröffnen möchten, abschreckend. Die Banken sollten Konzepte hinsichtlich eines verbesserten Zugangs zu Bankleistungen für Migranten ohne Ausweispapiere entwickeln. Um sie möglich zu machen sollten die Mitgliedstaaten entsprechende Änderungen des Regelungsumfelds für den Bankensektor in Betracht ziehen.

3.5

Ein erster erforderlicher Schritt ist die Herabsetzung der Kosten für Überweisungen, damit diese besser zur Entwicklung beitragen können. Ein zweiter Schritt ist die Erleichterung der Abwicklung von Überweisungsströmen. Die Aufnahmeländer sollten daher mit den Herkunftsländern, an die ein hohes Überweisungsaufkommen geht, Partnerschaften im Bereich Überweisungen aufbauen. Diese Partnerschaften könnten für Maßnahmen sorgen, die den Zugang armer Menschen zu den Kreditinstituten verbessern, außerdem Finanzleistungsanbietern eine leichtere Abwicklung von Überweisungsströmen ermöglichen und Anreize für die Nutzung offizieller Überweisungskanäle schaffen.

3.6

Der Ausschuss fordert die Kreditinstitute in der Europäischen Union auf, die Gestaltung ihrer Bankdienstleistungen stark an der sozialen Verantwortung von Unternehmen zu orientieren und die zentrale Aufgabe der Banken auch bei der Berücksichtigung der Bedürfnisse von Migranten und ihrer Familien wahrnehmen.

3.7

Der Ausschuss spricht sich nachdrücklich für Partnerschaften aus, die Pilotinitiativen durchführen, die durch verringerte Kosten und einen besseren Zugang den Einsatz von Überweisungen als Entwicklungsinstrument fördern. Nachfolgend seien zwei Beispiele angeführt:

3.7.1

Die Industrievereinigung der Mobilfunkanbieter, GSM Association, und das Kreditkartenunternehmen Mastercard haben gemeinsam ein System entwickelt, durch das Migranten über eine Bezahlfunktion ihres Mobiltelefons Geldbeträge auf ihr Mobiltelefon laden, diese an eine andere Mobiltelefonnummer ins Ausland überweisen können und der Zahlungsempfänger dort eine Textnachricht über den Eingang des Geldes erhält.

3.7.2

Die Bank Lloyds TSB in Großbritannien ermöglicht in Zusammenarbeit mit der indischen ICICI-Bank gebietsfremden Indern kostenlose Überweisungen nach Indien, solange auf ihrem ICICI-Konto ein Mindestsaldo stehen bleibt.

3.8

Insbesondere in Konflikt- und Krisensituationen oder nach Naturkatastrophen haben sich Überweisungen als effizientes und schnelles Mittel zur Reaktion auf Bedürfnisse von Flüchtlingen und Opfern in den Herkunftsländern erwiesen. Humanitäre Hilfsorganisationen und Helfer vor Ort sollten erwägen, im Rahmen ihrer Wiederaufbauhilfe den Zugang zu Überweisungen zu ermöglichen.

4.   Migration und Abbau von Ungleichheiten — Steuerung regulärer Migrationsströme zum Wohle unterentwickelter Regionen

4.1

Auch wenn Überweisungen eine unmittelbare Armutslinderung für die Begünstigten bewirken, können sie im Rahmen privater Transaktionen nur begrenzt als Entwicklungsinstrument wirken, da die Armen im Allgemeinen keine Überweisungen aus dem Ausland erhalten. Vielmehr gehören Menschen, die die anfänglichen Kosten für die Migration aufbringen können, Haushalten der unteren Mittelschicht an. Außerdem fließen Überweisungen in erster Linie in große Emigrationsländer, die eine bewusste Politik des Humankapitalexports verfolgen. Weniger als ein Drittel geht an die am wenigsten entwickelten Länder. Der regelmäßige Eingang von Überweisungen ist stark an eine kontinuierliche Auswanderung gebunden und kann demzufolge durch Änderungen der Einwanderungspolitik oder des wirtschaftlichen Wachstums der Aufnahmeländer empfindlich beeinträchtigt werden.

4.2

Damit Überweisungen besser als Mittel zur Armutslinderung beitragen und Ungleichheiten abgebaut werden können, müssen die Aufnahmeländer nicht nur, wie bereits dargelegt, die Überweisungsströme besser steuern und deren Abwicklung erleichtern, sondern ist auch eine bessere Steuerung der vorausgehenden Migrationströme erforderlich. Beschränkungen hinsichtlich der Zuerkennung eines legalen Status für Migranten in den Aufnahmeländern wirken sich folglich negativ auf Überweisungen in die Herkunftsländer aus. Die Aufnahmeländer können außerdem die Richtung der Überweisungsströme wirksam beeinflussen, indem sie speziellen Einwanderergruppen aus bestimmten Herkunftsländern oder Regionen einen „vorrangigen Einwanderungsstatus“ zuerkennen. Hierdurch lässt sich verhindern, dass bereits bestehende Migrantennetze zu regionalen Verzerrungen in einem Land führen oder dass die Ungleichheit in den Herkunftsländern weiter verstärkt wird. Somit unterstützen die Aufnahmeländer die am wenigsten entwickelten Regionen der Herkunftsländer aktiv und helfen die Ungleichheiten abzubauen. Eine weitere Maßnahme, um sicherzustellen, dass die Überweisungen die am wenigsten entwickelten Regionen erreichen, wäre, Angehörigen aus Haushalten mit niedrigen Einkommen gezielt die Auswanderung zu erleichtern.

5.   Migration und Entwicklungszusammenarbeit

5.1

Mit Entwicklungszusammenarbeit werden Aktivitäten von Migranten bezeichnet, die die Entwicklungsarbeit ergänzen, nicht jedoch ersetzen. Diese Aktivitäten sind durch eine an den Bedürfnissen orientierte Planung und durch Nachhaltigkeit gekennzeichnet sowie durch die Fähigkeit, Diasporagruppen an Gemeinden in den Herkunftsländern zu binden. Eine Form der Entwicklungszusammenarbeit, die alle Einkommensgruppen der begünstigten Gemeinde erreicht, sind auf Überweisungen gestützte Investitionen in die Infrastrukturen für Bildung und grundlegende Gesundheitsdienste. Der Ausschuss unterstützt daher die Einbettung von Überweisungen in das Konzept der Entwicklungszusammenarbeit.

5.1.1

Eine beispielhafte Initiative ist das Kofinanzierungsprogramm. Jede Überweisung, die Migranten für Zwecke der kommunalen Entwicklung in ihrem Herkunftsland zur Verfügung stellen, wird durch einen entsprechenden, gleich hohen Betrag eines jeden institutionellen Partners des Programms kofinanziert (8). Idealerweise sind diese Partner Entwicklungshilfeorganisationen, die Managementerfahrungen und erfahrenes Personal in das Programm einbringen und mit den lokalen Verwaltungen zusammenarbeiten, damit Nachhaltigkeit erreicht wird. Diese Kofinanzierungsprogramme sollten über Informationsplattformen, die auch die Inanspruchnahme offizieller Bankinstitute für Überweisungen fördern, in starkem Maße öffentlich bekannt und leicht zugänglich gemacht werden. Wenn erfolgreiche Kofinanzierungsprogramme ermittelt sind, sollten in diese zusätzliche Kofinanzierungspartner aus dem privaten Sektor aufgenommen werden. Insbesondere Unternehmen, die einen erheblichen Anteil an Migranten beschäftigen, und auch Finanzdienstleistungsanbieter, die Überweisungen ermöglichen, sollten zur Beteiligung und zur Wahrnehmung ihrer sozialen Verantwortung als Unternehmen aufgefordert werden. Von diesen öffentlich-privaten Partnerschaften profitieren alle Beteiligten: der Beitrag zur Entwicklung steigt aufgrund größerer kollektiver Überweisungen und die Unternehmen und Banken gewinnen das Vertrauen ihrer Kunden. Der Ausschuss ist sich jedoch der Tatsache bewusst, dass eine Zusammenarbeit zwischen Herkunftsland und Aufnahmeland alle Beteiligten umfassen muss, d. h. Regierungen und Behörden, aber auch Sozialpartner und Organisationen der Zivilgesellschaft. So ließe sich z. B. durch Verfahren und Selbstverpflichtungen zur Korruptionsbekämpfung die Veruntreuung der transferierten Gelder verhindern.

5.2

Andere Formen der Entwicklungszusammenarbeit bestünden etwa darin, die Überweisungen für unternehmerische oder investitionsbezogene Aktivitäten zu nutzen.

5.2.1

Anreize, die Herkunftsländer schaffen können, um die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit erfolgenden Überweisungsströme insgesamt zu erhöhen, sind zum Beispiel Einkommensteuerbefreiungen für Migranten im Falle von Investitionen in Unternehmen vor Ort und Befreiungen von Importzöllen für Investitionen in Unternehmen.

5.2.2

Der Ausschuss fordert Kreditinstitute und Entwicklungsagenturen auf, Pilotprojekte zu erproben, die Überweisungen und Institute für Kleinkredite in Entwicklungsländern miteinander verbinden.

5.2.3

Kreditinstitute in Herkunfts- und Aufnahmeländern sollten zum Aufbau von Partnerschaften im Bereich Überweisungen angeregt werden, um das Cross-Selling (den Querverkauf) zusätzlicher Finanzdienstleistungen, d. h. das Anbieten kleiner, an Überweisungen gebundene Geschäftskredite oder Wohnungskredite zu ermöglichen.

5.2.4

Damit Aktivitäten dieser Art unterstützt und verstärkt werden können, sollten Entwicklungsagenturen und Organisationen der Zivilgesellschaft Migrantengruppen in den Aufnahmeländern über Investitionsmöglichkeiten informieren, Unternehmerschulungen anbieten und den Aufbau von Netzen ermöglichen, die Kontakte zwischen Migranten und kapitalbedürftigen Unternehmern in den Herkunftsländern knüpfen. Unternehmer mit Migrationshintergrund in den Aufnahmeländern und Unternehmer in den Herkunftsländern sollten in strategische Unternehmens- und Entwicklungsnetze eingebunden werden.

5.3

Einige der oben genannten Maßnahmen erfordern die Zusammenarbeit von Diasporaorganisationen in den Aufnahmeländern. Verbindungsnetze zwischen Diaspora und Herkunftsländern sind hauptsächlich auf Initiativen einzelner Personen oder Gruppen zurückzuführen. Solche Netze sind die Hauptquelle für ausländische Direktinvestitionen, Wissens- und Technologietransfers, philanthropisches Engagement und Überweisungen aus sozialen und kulturellen Beweggründen. Sie können sogar in Friedens- und Wiederaufbauprozessen eine Rolle spielen. Die am wenigsten entwickelten Länder haben jedoch nicht die Kapazität, Migranten im Ausland ausfindig zu machen und Diasporanetzwerke aufzubauen, um diese Ressourcen (Überweisungen, Investitionen, Fähigkeiten und Kenntnisse) zu Entwicklungszwecken zu nutzen.

5.4

Daher besteht die Aufgabe, in Diasporaorganisationen, die in am wenigsten entwickelten Ländern ihren Ursprung haben, Fähigkeiten zu entwickeln und die Entwicklungsmittel auf die Bereiche mit den niedrigsten Einkommen zu richten.

5.5

Beim Aufbau von Kapazitäten ist der Umstand zu berücksichtigen, dass Diasporagemeinschaften meist informell und lose organisiert sind. Sie haben länderspezifische Strukturen und eine eigene Dynamik der Wechselbeziehungen mit ihren Herkunftsländern.

5.6

Die Suche nach geeigneten Diasporagruppen und die Stärkung ihrer Fähigkeiten, zur Entwicklung ihrer Herkunftsländer beizutragen, kann zur Einrichtung von Fachkräftepools (Brain-Trust) führen. Dies wird im Rahmen von Humankapitalprogrammen erreicht, die Migranten (oder ihre Nachkommen) für private oder öffentliche Entwicklungsprogramme gewinnen. Im Rahmen dieser Programme werden Sprachkenntnisse und kulturelle Kompetenzen ausgenutzt und den Entwicklungsländern jüngst erworbene berufliche Fähigkeiten, Erfahrungen und Kontakte zur Verfügung gestellt.

5.6.1

Damit mit dem Aufbau von Fähigkeiten für Diasporaorganisationen und die am wenigsten entwickelten Herkunftsländer begonnen werden kann, ist es erforderlich, diese Organisationen und Netze ausfindig zu machen und von ihnen ein Verzeichnis anzulegen. Der Ausschuss empfiehlt daher, auf freiwilliger Basis in den Aufnahmeländern Verzeichnisse qualifizierter Migranten aus Ländern, die von der Fachkräfteabwanderung betroffen sind, sowie von Migrantenunternehmen aus kleinen und mittelgroßen Entwicklungsländern, die mit Aufnahmeländern Geschäfte tätigen, anzulegen.

5.6.2

Wenn die Diasporaorganisationen einmal ausfindig gemacht wurden, sollte ihnen ermöglicht werden, sich mit ihren Herkunftsländern in Verbindung zu setzen und zu deren Entwicklung beizutragen. Zur Erleichterung dieses Prozesses sollten die Aufnahmeländer und internationalen Entwicklungsorganisationen Plattformen und Foren, Reisestipendien, Forschungsstipendien und Unternehmenstreffen anbieten.

5.7

Allein die Existenz von Diasporagemeinschaften garantiert jedoch noch nicht zwangsläufig eine positive Auswirkung auf die Entwicklung des Herkunftslandes. Die politischen und sozioökonomischen Bedingungen und Politik des Entwicklungslandes spielen eine ebenso wichtige, wenn nicht sogar vorherrschende Rolle. Ganz allgemein aber sollten Migrantenorganisationen mehr zu Fragen der Entwicklung einbezogen werden. Deshalb werden die Entwicklungsorganisationen aufgefordert, auf Migrantenorganisationen zuzugehen, um über eine nutzbringende Zusammenarbeit zu beraten.

5.8

Der Ausschuss unterstützt die Einrichtung eines speziellen Migrations- und Entwicklungsfonds für die vorgenannten Entwicklungsaktivitäten.

6.   Migration und Abfederung der Auswirkungen der Fachkräfteabwanderung — Einrichtung von Brain-Trusts sowie Förderung zirkulärer und virtueller Migration

6.1

Die freiwillige Abwanderung von Humankapital führt häufig zu wirtschaftlichen Vorteilen für die Herkunftsländer. Die internationale Migration mindert in vielen Herkunftsländern den Druck der Überbevölkerung und Beschäftigungslosigkeit. Manche Länder exportieren bewusst erfolgreich Fachkräfte, um im Ausland Quellen für künftige Überweisungen, ausländische Direktinvestitionen und Wissenstransfer zu schaffen. In den am wenigsten entwickelten Ländern, die weder die wirtschaftliche noch die institutionelle Kapazität zur Schaffung von Ersatz haben, ist aber die ständige Abwanderung von Humanressourcen, insbesondere von hoch qualifizierten und talentierten Fachkräften, ein Entwicklungshemmnis.

6.2

Der Ausschuss fordert daher alle Beteiligten dringend auf, erstens alle erforderlichen Maßnahmen zur Abfederung der Folgen der Fachkräfteabwanderung zu ergreifen und zweitens Konzepte zur Verhinderung eines weiteren Verlusts von Humankapital in gefährdeten Volkswirtschaften und Sektoren zu entwickeln. Die Kommission hat bereits in ihrer jüngsten Mitteilung betont, dass die Abfederung der Auswirkungen einer Fachkräfteabwanderung bedeutet, Konzepte der zirkulären und virtuellen Migration zu berücksichtigen (9). Ethische Verhaltenskodizes, höhere Einkommen und Ausgleichsfonds sind Möglichkeiten, die Abwanderung von Fachkräften zu verhindern. Des Weiteren kann ein geschickt zugeschnittenes Outsourcing aus OECD-Ländern in Entwicklungsländer den Migrationsdruck in diesen speziellen Ländern mindern. Ähnliche Überlegungen, die zur Vermeidung der Vergeudung von Intelligenz (Brain Waste) in den entwickelten Aufnahmeländern erörtert werden, sollten auch auf Arbeiternehmer in Industriebranchen, die in Entwicklungsländer ausgelagert wurden, angewendet werden.

6.3

Die Förderung der zirkulären und virtuellen Migration stützt sich auf die oben genannten Fähigkeiten der Diasporagruppen und deren Vermögen, Verbindungen zu ihrem Herkunftsland aufzubauen, und somit auf die Einrichtung von Fachkräftepools (Brain-Trust). Qualifizierte Migranten, die in den Aufnahmeländern einen Hochschulabschluss erworben oder eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können für ihre Herkunftsländer sehr wertvoll sein, wenn ein Transfer ihrer Fähigkeiten und Leistungen möglich ist.

6.4

Die Einrichtung von Fachkräftepools (Brain-Trust) ist ein ergänzendes Konzept zur Fachkräfteabwanderung, da der Nettoverlust in den Herkunftsländern theoretisch zu einem Brain-Trust von Migranten in den Aufnahmeländern führt. Wichtiger ist jedoch, dass Fachkräftepools einige der nachteiligen Folgen der Fachkräfteabwanderung in den Herkunftsländern mindern können. Einzelne Migranten können ihre fachlichen Qualifikationen oder organisatorischen Fähigkeiten den Herkunftsländern zeitweise (zeitweilige Rückkehr) oder auf virtueller Basis über webgestützte Anwendungen und Online-Foren zur Verfügung stellen.

6.4.1

Die Visavorschriften sollten entsprechend angepasst werden, damit die Fachleute einfacher zwischen Aufnahme- und Herkunftsland „pendeln“ können. Internationale Entwicklungsorganisationen sollten Entwicklungskonzepte in Betracht ziehen, die den virtuellen Transfer von Leistungen und Wissen hoch qualifizierter Migranten ermöglichen, z. B. die Nutzung des Internets durch Kardiologen in den Aufnahmeländern für Analysen medizinischer Berichte aus den Herkunftsländern, die Gewährung des Zugangs zu modernen Laboratorien für Geologen im Aufnahmeland oder die Bewertung von Geschäftsplänen für Mikrofinanzprogramme durch Finanzanalysten. Das Erteilen von Mehrfachvisa könnte die zirkuläre Migration erleichtern.

6.4.2

Ein weiterer starker Anreiz für die Rückkehr und/oder die zirkuläre Migration ist die Portabilität von Rentenansprüchen und sozialen Rechten der Migranten zwischen dem Aufnahme- und dem Herkunftsland.

6.4.3

Die Entwicklungsländer müssen auf die bestehenden Möglichkeiten von Konzepten der Entwicklungszusammenarbeit hingewiesen und zudem ermutigt und befähigt werden, Netze mit Diasporagemeinschaften im Ausland aufzubauen.

6.4.4

Diese Konzepte erfordern selbstverständlich die erfolgreiche Integration von Migranten im Aufnahmeland. Die Aufnahmeländer müssen die Vergeudung von Intelligenz (wenn Migranten Tätigkeiten unterhalb des Qualifikationsniveaus ihres ursprünglich erworbenen Bildungs- und Berufsabschlusses ausüben) verringern, indem Fähigkeiten der Migranten besser bewertet und folglich ihre in den Herkunftsländern erworbenen Qualifikationen und Abschlüsse anerkannt werden. Dadurch können sie sich mehr in die Gesellschaft des Aufnahmelandes einbringen und einen größeren Beitrag zur Entwicklung ihres Herkunftslandes leisten.

6.5

In einzelnen Bereichen wie Bildung und Gesundheitsfürsorge muss als Grundsatz gelten, die Auswanderung zu regulieren. Um diese besonders betroffenen Sektoren vor der Fachkräfteabwanderung schützen zu können, sind Maßnahmen erforderlich, die den Schub- und Sogfaktoren der Migration entgegenwirken.

6.5.1

Der Ausschuss drängt darauf, dass die Industrieländer kein Humankapital aus diesen schwachen Entwicklungsländern anwerben sollten. Die britische Regierung hat einen beispielhaften Verhaltenskodex bezüglich der ethischen Anwerbung eingeführt, der öffentliche und private medizinische Einrichtungen verpflichtet, kein neues Personal aus Entwicklungsländern anzuwerben, in denen sich die Humanressourcen des Gesundheitswesens in einem kritischen Zustand befinden.

6.5.2

Ebenso kann die arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderungspolitik der Aufnahmeländer angepasst werden, um den Zustrom hoch qualifizierter Fachkräfte aus besonders gefährdeten Entwicklungsländern auf ein Minimum zu begrenzen.

6.6

Je nachdem, welche Ressourcen den besonders gefährdeten und schwachen Entwicklungsländern zur Verfügung stehen, gibt es verschiedene Möglichkeiten zum Ausgleich der Auswirkungen der Fachkräfteabwanderung.

6.6.1

Eine Möglichkeit wäre, einen Überschuss an Humankapital zu schaffen, durch den eine exportorientierte (Personal-)Entwicklungsstrategie verfolgt werden könnte. Die Ausbildungsleistungen könnten über eine Wegzugbesteuerung für hoch qualifizierte Fachkräfte, die sich für die Auswanderung entscheiden, finanziert werden. Diese Steuer kann im Auswanderungs- oder im Aufnahmeland erhoben werden.

6.6.2

Rückzahlungsvereinbarungen (Ausgleichsfonds) zwischen Migranten und Herkunftsland vor der Auswanderung könnten von einer dauerhaften Auswanderung abhalten, und zudem erhält das Herkunftsland die ursprünglich in die allgemeine und berufliche Bildung investierten Kosten zurück (10).

6.6.3

Für Länder, die besonders von der Fachkräfteabwanderung betroffen sind, sollten Fachkräftepools eingerichtet werden.

6.6.4

Für hoch qualifizierte Fachkräfte, die außerhalb eines Entwicklungslandes eine weitere Ausbildung erhalten oder ihre Fachausbildung fortsetzen, könnten Bedingungen für die Rückkehr in ihr Heimatland oder die erleichterte Erteilung von Visa für Kurzaufenthalte geschaffen werden. Diese Mechanismen der zirkulären Migration können die Rückkehrmigration in die Herkunftsländer fördern.

7.   Die Migrations- und Entwicklungspolitik integrieren und politische Kohärenz gewährleisten

7.1

Wie bereits dargelegt wurde, ist sich der Ausschuss bewusst, dass die Süd-Süd-Migration und die regionale Migration ein bedeutend höheres Ausmaß haben als die internationale Migration zwischen den Entwicklungs- und den Industrieländern. Aus diesem Grunde sollte regionalen Konzepten für Migration und Entwicklung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, wie dies bereits durch die Afrikanische Union erfolgt.

7.2

Der Ausschuss betont die Notwendigkeit, die „Migrations- und Entwicklungspolitik“ in die Zuwanderungs- und Integrationspolitik der Aufnahmeländer und die nationalen Entwicklungsstrategien der Herkunftsländer sowie die Strategien zur Armutslinderung internationaler Entwicklungsorganisationen zu integrieren.

7.3

Der Ausschuss verweist darauf, dass sich politische Stimmigkeit sehr vorteilhaft auf das Ergebnis der Migrations- und Entwicklungspolitik auswirkt. Die Handels- und Sicherheitspolitik darf die entwicklungsfördernden Bemühungen der Migrations- und Entwicklungspolitik nicht untergraben. Ebenso nachdrücklich fordert der Ausschuss die Mitgliedstaaten auf, politische Stimmigkeit anzustreben und sich nicht für eine unterschiedliche Politik auf nationaler und gemeinschaftlicher Ebene auszusprechen.

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  SOC/268 „Einwanderungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit“, Stellungnahmeentwurf vom 4. Juni 2007.

(2)  KOM(2007) 248 endg. vom 16.5.2007.

(3)  Weltbank, 2006. Global Economic Prospect.

(4)  Laut Angaben der Weltbank verdoppelten sich die Überweisungsströme von 2001 bis 2005 auf 249 Mrd. US-Dollar im Jahr 2005, davon gelangten 180 Mrd. in Entwicklungsländer. Dies ist das Vier- bis Fünffache der öffentlichen Entwicklungshilfe (Weltbank, 2006: „International Migration Agenda and the World Bank — Managing Risks and Enhancing Benefits“). Nach Schätzungen von Oxfam fließen jährlich Überweisungen von insgesamt 80 Mrd. US-Dollar in Entwicklungsländer (Studie des Internationalen Entwicklungsausschusses zur Migration, Oxfam, 2003). Die Weltkommission für internationale Migration schätzt die Überweisungen, die jährlich in Entwicklungsländern eingehen, auf 93 Mrd. US-Dollar (Migration und Entwicklung, Programm zur Politikanalyse und Forschung, 2003). Insgesamt stellen Überweisungen einen Anteil von 2,2 % des Bruttoinlandsprodukts aller Entwicklungsländer (Internationaler Währungsfonds 2005).

(5)  Insbesondere Südafrika ist ein häufig gewähltes Einwanderungsland für die gesamte Region und hat deshalb eine besonders hohe Last zu tragen.

(6)  Siehe DFID-Bericht: „Moving out of poverty — making migration work better for poor people“

(http://www.dfid.gov.uk/pubs/files/migration-policy-paper-draft.pdf).

(7)  Die Banken können folglich auf internationalen Kapitalmärkten durch Verbriefung künftiger Überweisungen günstigere und langfristigere Darlehen aufnehmen.

(8)  Ein Beispiel hierfür ist die Gemeinde der Einwanderer aus Zacatecas (Mexiko) in den Vereinigten Staaten. Im Rahmen des Programms „Three for One“ (Drei für Einen) wird jeder Dollar, den Migrantenverbände spenden, mit einem Dollar durch die mexikanische Bundesregierung und einem weiteren Dollar durch den Bundesstaat Zacatecas kofinanziert. Voraussetzung für den Erfolg solcher Initiativen ist, dass die Einwanderer in sozialer Hinsicht gut in die Gemeinden der Aufnahmeländer integriert sind, damit sie sich organisieren können.

(9)  Mitteilung der Kommission zum Thema „Zirkuläre Migration und Mobilitätspartnerschaften zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten“.

(10)  Zu weiteren Einzelheiten zu einem möglichen Ausgleichsfonds zwischen Migranten und Herkunftsland siehe Sondierungsstellungnahme des EWSA zum Thema „Gesundheit und Migration“ (Berichterstatter Herr SHARMA und Mitberichterstatterin Frau CSER), ABl. C 256 vom 27.10.2007.


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/89


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau: Welche Rolle kommt der organisierten Zivilgesellschaft zu?“

(2008/C 120/19)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 15. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgender Vorlage zu erarbeiten:

„Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau: Welche Rolle kommt der organisierten Zivilgesellschaft zu?“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 15. November 2007 an. Berichterstatterin war Frau PICHENOT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 117 gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Förderung der Rolle der Zivilgesellschaft in den Beziehungen EU/Moldau

1.1.1

Das Jahr 2005 war ein Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau. Nach der Annahme des Aktionsplans EU/Moldau (2005-2008), der Eröffnung einer EU-Delegation in der Hauptstadt Chisinau und der Ernennung eines hochrangigen Vertreters in den Verhandlungen zur Lösung des Transnistrien-Konflikts haben sich die Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens deutlich verbessert. Vor diesem Hintergrund soll die erste Stellungnahme des EWSA zu der Zusammenarbeit EU/Moldau die Rolle der Zivilgesellschaft hervorheben, um diese Entwicklung zu stärken und eine gemeinsame Agenda mit Schritten, die in nächster Zeit unternommen werden sollen, auf den Weg zu bringen.

1.1.2

Eine engere Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau muss auf einem von beiden Seiten anerkannten Grundstock gemeinsamer Werte, insbesondere im Bereich der Achtung der Grundfreiheiten, des Eintretens für eine demokratische, allen offen stehende Gesellschaft und der grundsätzlichen Anerkennung eines Dialogs, der sich auf die Unabhängigkeit der Partner der Zivilgesellschaft gründet, aufbauen. Die Zivilgesellschaft wird das prägende Element für das künftige Selbstverständnis Moldaus sein. Sie erwächst aus dem menschlichen Reichtum eines Gebietes, in dem kulturelle und sprachliche Einflüsse zusammenströmen und sich mischen. Diese Vielfalt macht den Reichtum dieses Gebiets aus.

1.1.3

Festzustellen ist, dass es, ebenso wie in anderen Ländern der GUS mit gleicher Geschichtserfahrung, keine Tradition und keinen Erfahrungsschatz unabhängiger Organisationen der Zivilgesellschaft gibt. Angesichts der neueren Entwicklungen hält es der Ausschuss jedoch für unabdingbar, Kontakte herzustellen und Partner zu finden, die offen für einen Schritt in die Zukunft unter Achtung dieser gemeinsamen Werte sind.

1.1.4

Der EWSA kann nur mit Nachdruck betonen, wie stark der Erfolg des Aktionsplans EU/Moldau (1) im Rahmen der Nachbarschaftspolitik von der Einbindung und Teilhabe der Organisationen der Zivilgesellschaft in die Umsetzung dieses Plans abhängt. Es wäre daher wünschenswert, dass die Kommission ein klares Zeichen setzt, indem sie Kriterien, Verfahrenswege und Instrumente vorschlägt, die eine bessere Einbeziehung der Zivilgesellschaft erlauben. Der EWSA begrüßt in dieser Hinsicht durchaus die Arbeit der EU-Delegation in Chisinau, die sich um Kontakte zur moldauischen Zivilgesellschaft bemüht. Das ist eine gute Ausgangsbasis für die offizielle Einbindung von Vertretern der Zivilgesellschaft in die Bewertung des Aktionsplans im April 2008 und in die nächsten Phasen einer engeren Zusammenarbeit.

1.1.5

Der EWSA spricht sich für ein auf Kontinuität bauendes Verhältnis zur moldauischen Zivilgesellschaft aus, das zukunftsgerichtet ist. Den Anfang dazu sollte eine Strukturierung unserer Beziehungen bilden. Dazu wäre es sachdienlich, 2008 eine Konferenz zu organisieren, die durch eine Sondierungsmission vorbereitet wird, um Partner zu finden, die in ihrer Arbeitsweise den Willen zur Transparenz erkennen lassen. Auf dieser Konferenz, an der auch lokale und regionale Akteure teilnehmen werden, soll ausgehend von folgenden Vorschlägen gemeinsam ein Arbeitsplan erstellt werden:

Bewertung von Informations- und Konsultationsinstrumenten, die sowohl von staatlicher als auch von europäischer Seite in Moldau eingesetzt werden, einschließlich des Berichts über die Umsetzung des Aktionsplans 2005-2008;

Vorbereitung und Aufstellung der Zivilgesellschaft mit Blick auf die Fortsetzung der Partnerschaft nach 2008;

Aneignung von Mechanismen des EU-Finanzinstruments durch die moldauischen Organisationen.

Dieser Arbeitsplan erfordert Zusagen zur Finanzierung von Initiativen der Zivilgesellschaft durch die Programme der Europäischen Union.

1.1.6

Wenn die Bilanz über die Konferenz 2008 mit der moldauischen Zivilgesellschaft vorliegt, sollten die nächsten Schritte eingeleitet und die Beziehungen in der Gruppe „Nachbarschaft“ des Ausschusses auf der Grundlage eines fortschrittsorientierten Ansatzes weiter gepflegt werden, bei dem den Grundsätzen in den Beziehungen EU/Moldau Rechnung getragen wird, die den Kern einer verantwortungsvollen Staatsführung und einer nachhaltigen Entwicklung bilden. Dieser auf Motivierung bauende Ansatz wird sich im Wesentlichen auf die folgenden Prinzipien stützen, die bereits im APS-Plus-Abkommen enthalten sind:

die 16 wichtigsten Übereinkommen der UNO und der ILO (2) in Bezug auf die Menschenrechte und die Rechte der Arbeitnehmer;

die 11 wichtigsten Übereinkommen betreffend den Schutz der Umwelt und die Grundsätze einer verantwortungsvollen Staatsführung (3).

1.1.7

Die Europäische Union wird die Aufgabe haben, den Organisationen der moldauischen Zivilgesellschaft unter die Arme zu greifen, damit sie dazu beitragen können, europäische Standards in Bezug auf Unabhängigkeit, Repräsentativität und Transparenz zu erreichen. Die Kommission sollte in jedem Zwischenbericht über den Aktionsplan einen eigenen Abschnitt der Achtung der Grundrechte, u. a. der Vereinigungs- und der Meinungsfreiheit, widmen und auch die Achtung des Betätigungsrechts der Gewerkschaften prüfen.

1.1.8

Aus Sicht des EWSA muss es in erster Linie darum gehen, dass sich die Moldauer selbst nach und nach die Instrumente und Sachkenntnisse zu eigen machen, die ihnen von internationalen oder europäischen Institutionen zur Verfügung gestellt werden. Der Ausschuss hält es für richtig, dass der Europarat die Zivilgesellschaft zur Mitwirkung bei der Bekämpfung der Korruption auffordert (einer der Grundsätze der GRECO (4)). Der EWSA ruft zu einer grenzübergreifenden Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Großkriminalität auf.

1.1.9

Der EWSA unterstützt das Vorhaben europäischer und internationaler Geber, sich zusammenzusetzen, um ihre Aktionen aufeinander abzustimmen. Er spricht sich für vordringliche Maßnahmen zur Verbesserung grundlegender Sozialdienste in den Programmen zur Armutsbekämpfung aus und hebt insbesondere die Notwendigkeit hervor, die Lebensbedingungen in den Waisenheimen zu verbessern, Medikamente gegen Retroviren zu verbilligen und Opfern des Menschenhandels bei der Wiedereingliederung zu helfen.

1.1.10

Die lang anhaltende Trockenheit im Sommer 2007 hat das Land durch Missernten, auf die Konkurse und Überschuldung folgten, in eine schwierige Lage gebracht. Die Regierung hat um internationale Nahrungsmittelhilfe und um technische Unterstützung durch die FAO gebeten. Für den Ausschuss ist es in dieser Situation besonders wichtig, Kontakte zu Organisationen der Zivilgesellschaft zu knüpfen, die im Bereich der Agrar- und Ernährungswirtschaft tätig sind. Die Europäische Kommission hat den ländlichen Gebieten der am meisten hilfsbedürftigen Länder kurzfristig 3 Mio. Euro an humanitärer Hilfe bewilligt.

1.1.11

Von höchster Wichtigkeit ist nach Auffassung des Ausschusses das Vorhandensein von Netzen und gemeinsamen Projekten unter Beteiligung aller Moldauer, einschließlich der Organisationen der Einwohner Transnistriens. Der Ausschuss ersucht die EU, sich weiterhin um eine Lösung dieses Konfliktes zu bemühen, die der Wahrung der territorialen Einheit dient, und die Grenzhilfemission (EUBAM) fortzuführen.

1.1.12

Der EWSA empfiehlt, den Austausch über demokratische Gepflogenheiten zwischen Organisationen der Zivilgesellschaft dadurch zu fördern, dass unsere moldauischen Partner Zugang zu den im Internet verfügbaren Veröffentlichungen des EWSA (insbesondere in rumänischer Sprache) und zu den Arbeiten der nationalen WSR durch CES Link erhalten. Der EWSA ersucht die nationalen WSR der Mitgliedstaaten (vor allem Rumäniens und Bulgariens) und die AICESIS (5), mit den Mitteln und Praktiken der europäischen Zivilgesellschaft gemeinsame Bemühungen zur Annäherung der moldauischen Gesellschaft zu unternehmen.

1.1.13

Der EWSA würde eine stärkere Beteiligung der moldauischen Zivilgesellschaft am Dialog mit den westlichen Balkanstaaten und am regionalen Dialog der Schwarzmeerstaaten begrüßen, insbesondere durch die regionale und grenzübergreifende Zusammenarbeit rund um diesen für die nahe Zukunft so wichtigen strategischen Raum. Die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit der Republik Moldau gehört in den Rahmen einer festen Zusammenarbeit mit den Ländern der Region und insbesondere mit Russland.

1.2   Gezielte Unterstützung der für die Zukunft und die Aussöhnung des Landes wichtigen Organisationen

1.2.1   Aufbau eines konstruktiven sozialen Dialogs

Angesichts des unterentwickelten Verhältnisses zwischen den Sozialpartnern erinnert der EWSA daran, dass sich Moldau nicht nur zu den ILO-Übereinkommen bekennt, sondern auch zur Sozialcharta des Europarats und zur Inanspruchnahme des darin vorgesehenen Klagemechanismus. Der Ausschuss regt an, dass die ILO eine fachliche Hilfe anbieten sollte, um Arbeitskonflikte vor den zuständigen Gerichten zu regeln.

1.2.2   Förderung der Kontakte zur europäischen Gesellschaft

Der EWSA spricht sich entschieden für den Abschluss eines Visum- und Rückübernahmeabkommens aus, das eine Regelung zur Erleichterung der Visumserteilung enthält, um einen Austausch insbesondere der Gruppen von Bürgern zu fördern, die für die Zukunft des Landes wichtig sind, wie Studenten und Lehrkräfte, Forscher, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft. Er empfiehlt eine stärkere Öffnung der Gemeinschaftsprogramme insbesondere für junge Leute durch Erasmus Mundus. Die im Oktober 2007 (6) unterzeichneten Vereinbarungen über Visumserleichterungen und Rückübernahmen könnten somit dazu beitragen, das Problem der stark zunehmenden Zahl von Anträgen moldauischer Bürger zu lösen, die sich um die Zuerkennung der rumänischen Staatsbürgerschaft bemühen.

Der EWSA fordert die moldauische Regierung auf, der Zivilgesellschaft die Teilnahme an Veranstaltungen auf europäischer und internationaler Bühne (WTO, OSZE, Europarat und Französischsprachige Gemeinschaft) zu ermöglichen. Die Mitgliedstaaten fordert er auf, Kontakte und Austauschmöglichkeiten mit der moldauischen Zivilgesellschaft zu sondieren und zu finanzieren (Hochschulstipendien, Partnerschaften, grenzübergreifende Zusammenarbeit).

1.2.3   Berücksichtigung von Umweltaspekten

Der EWSA spricht sich für die Unterstützung von Umweltorganisationen aus, die sich für die Vernichtung von Waffenbeständen und nicht transportfähiger Munition, die Entsorgung militärischer Abfälle und industrieller Verunreinigungen und die Sanierung verschmutzter Gewässer einsetzen.

2.   Hauptmerkmale der wirtschaftlich-sozialen Situation Moldaus

2.1

Mit einem Pro-Kopf-BIP von rund 1 000 Dollar ist Moldau das ärmste Land Europas und das einzige europäische Land auf der von der Weltbank geführten Liste von Niedrigeinkommensländern. Die Bevölkerungszahl (weniger als 4 Millionen Einwohner 2004) ist infolge einer Zunahme der Sterblichkeit (insbesondere der Männer), eines Rückgangs der Geburtenrate und einer erheblichen Abwanderung rückläufig.

2.2

Die Armut, die in den Jahren 1999-2005 auf einem erschreckend hohen Niveau war, ist zwar zurückgegangen, ist aber heute mit durchschnittlich fast 30 % immer noch sehr verbreitet. Von der Besserung profitieren nicht alle Bereiche gleichermaßen, so dass es Nischen absoluter Armut gibt (2 Dollar/Tag), von denen in hohem Maße Kinder und Ältere betroffen sind. Auf dem Land und in kleinen Städten leben noch rund 40-50 % der Bevölkerung in Armut.

2.3

Allzuviele Kinder sind potenziell von Ausbeutung bedroht, weil sie kein festes Zuhause haben, Kinderarbeit leisten oder in illegalen Handel und Prostitution hineingezogen werden. Dieses Maß an Armut hat auch erheblich dazu beigetragen, dass es immer mehr „Sozialwaisen“ gibt, also Kinder, die von ihren Eltern in einem Waisenheim untergebracht werden, weil ihnen die Mittel zum Großziehen der Kinder fehlen.

2.4

Frauen werden durch die verschlechterte soziale Lage besonders diskriminiert. Sie sind stark von Arbeitslosigkeit betroffen, ihre Arbeit wird gering geschätzt, sie erhalten geringe Löhne und arbeiten als Saisonkräfte in der Landwirtschaft. Sie sind in höherem Maße als die Männer dem Armutsrisiko ausgesetzt, vor allem aufgrund der Verringerung von Sozialleistungen (in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Familie) und hinsichtlich der Höhe der Rente. Diese Situation bringt Frauen, auch Mütter, dazu, sich auf ungesetzliche oder gefährliche Angebote einzulassen, durch die sie in die Fänge von Menschenhändlern geraten können. Die meisten dieser Opfer sind junge Frauen auf der Suche nach Arbeit.

2.5

2004 hat Moldau ein Wachstums- und Armutsbekämpfungsprogramm beschlossen, das von der Weltbank, dem UNDP und anderen Gebern unterstützt wird. Im Dezember 2006 haben die Geber unterschiedlicher Finanzinstitutionen und die EU eine Koordinierung vereinbart, um in beispielhafter Weise die mit der Mittelvergabe verbundenen Auflagen im Sinne einer Wirkungssteigerung aufeinander abzustimmen; für die nächsten vier Jahre haben sie Finanzhilfen und Darlehen in Höhe von einer Milliarde Euro zugesagt.

2.6   Ein schwierigerer Arbeitsmarkt

2.6.1

Die Lage auf dem moldauischen Arbeitsmarkt hat sich in den 1990er Jahren parallel zum Zusammenbruch der Wirtschaft deutlich verschlechtert. Im Zuge der russischen Krise im August 1998 sank die Beschäftigung drastisch. Erst ab 2003 fand sie wieder zu einem positiven Wachstum zurück. Die Arbeitslosenquote sank von 11 % im Jahr 1999 auf etwa 7,4 % der erfassten Erwerbsbevölkerung Ende 2006. Rund 35 % der arbeitenden Bevölkerung üben eine informelle Tätigkeit aus (7).

2.6.2

Die Realeinkommen sind zwar weiterhin gestiegen, doch ist das Durchschnittsniveau immer noch sehr niedrig und entsprach 2006 129 Dollar (8). Allerdings gibt es noch andere Einkommensquellen: Zum einen erhielt eine hohe Zahl von Familien Devisen von einem Familienmitglied aus dem Ausland. Zum anderen sind nicht angemeldete Erwerbstätigkeiten weit verbreitet: Nach Angaben des Statistischen Amtes sind mehr als 200 000 Arbeitnehmer (d. h. 15 % der Erwerbsbevölkerung) in nicht angemeldeten Unternehmen beschäftigt, und 35 % der Belegschaft eingetragener Unternehmen werden von ihren Arbeitgebern nicht gemeldet (vor allem im Baugewerbe und in der Land- und Forstwirtschaft).

2.6.3

Viele Moldauer haben ihr Land verlassen, um im Ausland zu arbeiten, die meisten davon illegal. Dieser zum Teil saisonale Exodus von schätzungsweise bis zu 1 Mio. Arbeitskräften macht etwa 30 % der gesamten Arbeitnehmerschaft aus. Negative Folgen dieser Migrationswelle sind u. a. ein Verlust an Humankapital und Ausfälle in der Finanzierung der Kranken- und Sozialversicherung. Angesichts des Armutsniveaus ist im Übrigen davon auszugehen, dass die Arbeitsmigration auch in den kommenden Jahren die moldauische Realität prägen wird.

2.7   Der schwierige Zustand der moldauischen Wirtschaft

2.7.1   Eine Volkswirtschaft im russischen Einflussbereich

2.7.2

Der besorgniserregende Verfall des moldauischen BIP in den 90er Jahren war das Ergebnis exogener Ursachen, wie Verlust von Märkten, Abhängigkeit in der Energieversorgung, Auswanderung qualifizierter Kräfte und Abtrennung Transnistriens mit seiner Industrie.

2.7.3

Trotz eines spürbaren Wiederanziehens des Wachstums seit 2000 (mit jährlichen Wachstumsraten von 6-8 %) ist die wirtschaftliche Lage nach wie vor sehr instabil (4 % Wachstum 2006), und die Konjunktur droht 2007 weiter abzuflauen. Hauptgrund für diese Abschwächung ist die Verdopplung des Gaspreises durch den Lieferanten Gazprom 2006.

2.7.4

Durch den proeuropäischen Kurs des moldauischen Präsidenten verstimmt, hat Russland als politisches Druckmittel ein Importverbot für moldauischen Wein verhängt. 2006 bedeutete dies für Moldau den Wegfall einer der Haupteinnahmequellen aus dem Export (Wein hat einen Anteil von 35 % an den Ausfuhren Moldaus, und 85 % davon sind für den russischen Markt bestimmt).

2.8   Die dominierende Rolle der Agrar- und Nahrungsmittelwirtschaft

2.8.1

Moldau ist immer noch stark landwirtschaftlich geprägt. Die Land- und Nahrungsmittelwirtschaft erzeugt mehr als 30 % des BIP (9) und einen erheblichen Teil der Ausfuhren (65 %). Landwirtschaftliche Familienbetriebe sichern den Menschen in den Städten und auf dem Land ein hohes Maß an Selbstversorgung. Die Nahrungsmittelindustrie nimmt ebenfalls einen wichtigen Platz in der Wirtschaft ein. Qualität und Quantität der Ernte haben Einfluss auf vor- und nachgelagerte Zweige der Leichtindustrie (Kunstdünger, Flaschen, Verpackungen).

2.9   Die Wichtigkeit der Überweisungen von Auslandsmoldauern an ihre Familie

2.9.1

Nach der schweren Rezession ist festzustellen, dass die wenigen positiven wirtschaftlichen Signale nicht dem Neuaufbau der Wirtschaft, sondern dem massiven Devisenzufluss (30 % des moldauischen BIP) durch die im Ausland arbeitenden Moldauer geschuldet sind, von denen zwischen 600 000 und einer Million in Westeuropa (19 % in Italien) oder in Russland (60 %) arbeiten. Sie haben 2006 rund eine Milliarde Euro in ihr Heimatland überwiesen.

2.9.2

In Ermangelung eines investitionsfreundlichen Umfelds wird dieser Kapitalimport nicht zur Finanzierung neuer Wirtschaftstätigkeiten genutzt. Der Kapitalzufluss bewirkt eine Verteuerung am Immobilienmarkt, eine starke Nachfrage nach Importgütern und heizt letztlich die Inflation an.

3.   Demokratie, Achtung der Menschenrechte und gute Staatsführung

3.1   Menschliche Entwicklung

3.1.1

Die Republik Moldau nahm 2006 den 114. Platz im UNDP-Index der menschlichen Entwicklung ein und schneidet in dieser Kategorie unter den europäischen Staaten am schlechtesten ab, aber auch unter den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion steht das Land damit auf einem der letzten Plätze.

3.1.2

Die fehlende Unabhängigkeit der Medien, die unzureichende Achtung der Menschenrechte und die Probleme im Funktionieren des Justizsystems wirken hemmend auf Initiativen der moldauischen Bürger und die Organisationsfähigkeit der Zivilgesellschaft.

3.1.3

Die Unabhängigkeit der Medien ist einer der Hauptproblembereiche, die im kürzlich veröffentlichten Bericht des Europarates (September 2007) hervorgehoben werden (10). Zwar wurden die Rechtsvorschriften betreffend das Recht auf freie Meinungsäußerung neu gefasst, doch reicht diese Reform nicht aus, um die Meinungsfreiheit in der Praxis zu gewährleisten. Unparteilichkeit und Berufsethos sind ebenfalls Voraussetzungen, die für den Beruf des Journalisten notwendig sind. Das impliziert, dass sie keinem Druck von Seiten staatlicher Organe ausgesetzt sind, insbesondere in Rundfunk und Fernsehen.

3.2   Verbreitete Korruption

3.2.1

Die organisierte Kriminalität ist ein schwerwiegendes Sicherheitsproblem, das Institutionen und Investitionen hemmt. Die kriminellen Aktivitäten richten großen Schaden an: Ermutigung zur Steuerflucht, Erleichtern des Schmuggels, Korruption. Auf dem von Transparency International aufgestellten Weltkorruptionsindex 2006 steht Moldau auf dem 81. Platz und erhält die Note 3,2 auf einer Skala bis 10, womit es genauso abschneidet wie als sehr korrupt geltende Staaten. Ein leichtes Aufsteigen in diesem Index ist als Ausdruck des Willens der Regierung und der Zivilgesellschaft zu deuten, die Korruption zu bekämpfen.

3.3   Fragile demokratische Strukturen und traditionell autoritäre Staatsführung

3.3.1

Der EWSA ersucht die moldauischen Behörden, den Schlussfolgerungen internationaler Beobachter (einer starken, rund hundertköpfigen Gruppe von Wahlbeobachtern der OSZE) anlässlich der Kommunalwahlen vom Juni 2007 Rechnung zu tragen und alle Mängel abzustellen, die im Hinblick auf Wahlen nach europäischen Standards beanstandet wurden, damit die Parlamentswahlen 2009 unter demokratischeren Bedingungen ablaufen.

3.3.2

Der Europarat ermuntert Moldau in seinen Berichten, die Bemühungen fortzusetzen, insbesondere zur Sicherung der Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit der Justiz, zur Wahrung des Pluralismus in den Medien und zur Festigung der lokalen Demokratie. Moldau hat im Rahmen von Regionalprojekten im Zeitraum 2002-2004 und wieder seit 2007 Hilfe durch die Europäische Initiative für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) erhalten. Die EIDHR hat Initiativen der Zivilgesellschaft zur Förderung der Demokratie und der Menschenrechte unterstützt.

3.4   Transnistrien — ein geopolitisches Problem in der Region

3.4.1

Transnistrien, das sich auf die Hilfe Russlands und die Präsenz russischer Truppen stützt, bleibt ein Spannungs- und Unsicherheitsherd an der EU-Außengrenze und bildet ein Stück im geopolitischen Puzzle der Region.

3.4.2

Die Suche nach einer politischen Lösung in der Frage der Abspaltung Transnistriens ist ebenfalls eines der vornehmlichen Ziele des EU-Aktionsplans. Mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens, durch den Moldau nun direkt an die EU grenzt, gewinnt diese Auseinandersetzung an Bedeutung für die EU, die ihr Engagement in dieser Hinsicht 2005 durch die Ernennung eines Sonderbeauftragten verstärkt hat (seit März 2007 Kalman Miszei), der in den sog. „5+2“-Verhandlungen den Status eines Beobachters hat. Die Verhandlungen befinden sich momentan in einer Sackgasse.

3.4.3

Darüber hinaus gilt dieses Gebiet als Drehscheibe der organisierten Kriminalität (Handel mit Waffen und strategischem Material, Geldwäsche, Drogenschmuggel und Menschenhandel), deren Nutznießer sowohl örtliche kriminelle Organisationen, aber auch Banden in Russland, der Ukraine und anderen Ländern sind.

3.5   EU-Hilfsmission zur Sicherung der moldauisch-ukrainischen Grenze (EUBAM)

3.5.1

Das von ukrainischem Territorium umgebene Land hat ein kompliziertes Verhältnis zur Ukraine aufgrund des Transnistrien-Konflikts und der Beziehungen EU/Russland, so dass man von einem „moldauischen Knoten“ sprechen kann. Moldau war zugleich ein Durchgangsland und ein Ausgangspunkt für illegalen Handel, denn die Grenzen des Landes waren sehr durchlässig und eröffnen über den Hafen von Odessa einen Zugang zum Schwarzen Meer.

3.5.2

Die Hilfsmission zur Grenzsicherung und -überwachung (EU Border Assistance Mission, EUBAM), die auf das gemeinsame Ersuchen des ukrainischen und des moldauischen Staatspräsidenten hin im Dezember 2005 von der EU eingeleitet wurde, ist ein wichtiger Schritt für die Stabilisierung des Landes und die Bekämpfung des Schmuggels gewesen. Knapp einhundert Zoll- und Grenzschutzbeamte aus 17 EU-Mitgliedstaaten nehmen Beobachtungsaufgaben wahr und helfen ihren moldauischen und ukrainischen Kollegen bei der Arbeit; sie üben dadurch einen spürbaren Druck auf die selbsternannte Regierung Transnistriens aus. Die Mission konzentriert sich auf verdächtige Personen und Gebiete und hat einige konkrete Erfolge vorzuweisen.

3.5.3

Im November 2006 wurde die Mission um ein automatisches Informationsaustauschsystem ergänzt, das die Grenzkontrolle wirkungsvoller machen soll. Die Mission wurde gerade erst bis November 2009 verlängert. Der EWSA spricht sich dafür aus, eine dauerhafte Form zur Sicherung dieser Grenze zu finden.

4.   Überblick über die moldauische Zivilgesellschaft und ihre Aktivitäten

4.1   Hauptschlussfolgerungen aus dem Besuch des EWSA 2004

4.1.1

Die schwierigen politischen und wirtschaftlichen Zustände haben die Entfaltung der Zivilgesellschaft nicht eben erleichtert. Es gibt immer weniger Männer und Frauen, die bereit sind, eine Aufgabe in einer zivilgesellschaftlichen Organisation zu übernehmen, sei es auf Landesebene oder auf örtlicher Ebene; Grund ist insbesondere die Emigration, vor allem unter den jungen Erwachsenen mit guter Schulbildung. Die staatlichen Organisationen unterhalten nur sporadische Kontakte zu ihnen. Die Zentralisierung der Verwaltungsstrukturen hemmt die Entwicklung sozialer Bewegungen. Das paternalistische Bevormundungsdenken, das in der Gesellschaft tief verwurzelt ist, überlässt dem Staat die Hauptverantwortung für das Wohl der Bevölkerung. Die Stellung des Präsidenten verkörpert deutlich den Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung, von einem starken Mann geführt zu werden.

4.1.2

Abgesehen vom Statut der politischen Parteien enthält die Verfassung keine Bezugnahme auf Organisationen der Zivilgesellschaft oder auf die Versammlungsfreiheit. Das Recht, „Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten“ (Artikel 42), und die Anerkennung der Vereinigungsfreiheit (Artikel 40) sind darin jedoch verankert. Die Bedingungen für die Gründung nichtstaatlicher Organisationen haben sich mit dem „Gesetz über öffentliche Organe und Stiftungen“ (1997) gebessert. In der Praxis konnten Überschneidungen zwischen den Persönlichkeiten, die Ämter im Staatsapparat und in den Regierungsparteien innehaben, und Organisationen, die wirtschaftliche oder politische Interessen vertreten, festgestellt werden.

4.1.3

Nach Ansicht von Beobachtern, insbesondere des Europarats (11), wurde die Gesetzgebung betreffend das Gerichtswesen reformiert, um die Rechtsdurchsetzung allgemein und insbesondere die Wahrung zivilgesellschaftlicher Rechte zu gewährleisten. Allerdings unterliegt Moldau noch dem Monitoring-Verfahren des Europarats, vor allem im Hinblick auf die Wahrung der Unabhängigkeit des Justizapparats.

4.2   Aktuelle Situation der Zivilgesellschaft 2007 laut Fachstudien (12)

4.2.1

Verschiedene Quellen belegen eine erstaunliche Zunahme der Gesamtzahl nichtstaatlicher Organisationen (NGO). Von rund 3 000 im Jahr 2004 (Schätzung in einer Studie des EWSA) ist ihre Zahl 2007 auf mehr als 7 000 gestiegen (13). In der Studie wird jedoch auch festgehalten, dass „in 54 % aller Fälle kein Kontakt zu diesen Organisationen herzustellen ist“. Von diesen NGO können gegenwärtig höchstens 20 % als aktiv eingeschätzt werden. Im Übrigen ist eine deutliche Zunahme von NGO auf lokaler und regionaler Ebene festzustellen, auch im Gebiet von Transnistrien.

4.2.2

Der überwiegende Teil der NGO konzentriert sich räumlich nach wie vor auf das Umland der Hauptstadt Chisinau, wenn auch im Vergleich zu früher weniger ausgeprägt: „In den vergangenen vier Jahren haben sich 67 % der registrierten NGO auf der nationalen und 82 % auf der lokalen Ebene angesiedelt“  (14). Die NGO sind in allen Bereichen der moldauischen Gesellschaft aktiv, doch werden ihre Schwerpunkttätigkeiten oft von ausländischen Geldgebern gelenkt.

4.2.3

Offenbar gibt es bisher nur wenige Kontakte zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen und den NGO verschiedener Interessenbereiche. Man begegnet sich mit gegenseitigem Unwissen und Misstrauen. Eine Ausnahme ist aus Transnistrien zu melden, wo sich Beziehungen zwischen einigen NGO und einer Gruppe von Geschäftsleuten herausbilden.

4.2.4

Das Inkrafttreten des Aktionsplans zwischen der EU und der Republik Moldau 2005 hat der Zivilgesellschaft, vor allen Dingen im Bereich der Vereinigungen, einen neuen Impuls zur Umsetzung unterschiedlicher Projekte gegeben, auch wenn es zuvor keine Konsultation zu dem Plan gegeben hat.

5.   Verlauf der Strukturierung der Sozialpartner

5.1   Arbeitgeberorganisationen

5.1.1

Die Industrie- und Handelskammer ist seit 1999 in Verbindung mit Eurochambre die wichtigste Unternehmensvertretung. Sie repräsentiert mehr als 1 500 Unternehmen aller Wirtschaftsbereiche. Die moldauische IHK stellt nicht mehr die Ursprungsbescheinigungen für in der GUS vermarktete Erzeugnisse aus und kontrolliert nicht mehr die Ausfuhren in die EU, die nunmehr den Zollbehörden obliegt, um am APS teilnehmen zu können. Sie ist heute vor allem eine Handelskammer im Dienst der Unternehmen. Die IHK ist insbesondere bei der Ausfuhr moldauischer Produkte und beim Aufbau von Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen behilflich. Sie bietet den Unternehmen vielfältige Serviceleistungen (15). Sie wirkt an der offiziellen Vertretung in der ILO mit und beherbergt ein EU-Informationszentrum. Der seit 2001 amtierende Ministerpräsident Tarlev bekleidete zuvor wichtige Funktionen in der moldauischen IHK. Die Klein- und Mittelbetriebe mit bis zu 30 Beschäftigten haben sich in einem eigenen Verband zusammengeschlossen, der finanziell und organisatorisch eng mit der IHK verflochten ist.

5.1.2

Es gibt mittlerweile auch einen „Nationalen Arbeitgeberverband“, der ebenfalls an der Vertretung Moldaus in internationalen Konferenzen der ILO mitwirkt und die Arbeitgeberseite in sozialpolitischen Zusammenkünften vertritt, die von der moldauischen Staatsführung einberufen werden. 2006 reagierte die Regierung entgegenkommend auf eine Klage vor der ILO und erlaubte die steuerliche Absetzbarkeit der Beiträge zu Arbeitgeberorganisationen.

5.1.3

Die Sozialpartner haben drei neue Tarifverträge auf Landesebene und elf branchen- und gebietsbezogene Kollektivvereinbarungen geschlossen. Ihre tatsächliche Wirkung im Rahmen des sozialen Dialogs ist jedoch begrenzt, da die IHK, auch wenn sie von der IOE anerkannt ist, in erster Linie immer noch eine Handelskammer im Dienste der Unternehmen ist.

5.2   Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung

5.2.1

Bis 2000 war die „Allgemeine Vereinigung der Gewerkschaften der Republik Moldau“ (FGSRM) die Vertretung der moldauischen Arbeitnehmer, eine Einheitsgewerkschaft, die 1990 nach dem organisatorischen Muster sowjetischer Gewerkschaften gebildet worden war. Im Jahr 2000 benannte sie sich in „Bund der Gewerkschaften der Republik Moldau“ (CSRM) um. Innerhalb dieses Gewerkschaftsbundes traten Spannungen auf, bei denen sich Landwirte, Industrie und Dienstleistungssektor, die moldauisch- und die russischsprachige Bevölkerung und die nationalkonservative Rechte und die Kommunistische Partei gegenüberstanden. Im Jahr 2000 traten einige berufsständische Verbände — aus 14 Industriesparten sowie aus dem Kulturbereich und dem Öffentlichen Dienst — aus dem CSRM aus und gründeten einen neuen Gewerkschaftsbund, den „CSL Solidaritatea“ („Bund freier Gewerkschaften Solidarität“). Nach dem Rücktritt des Vorsitzenden übernahm mit Petru Chiriac ein neuer Mann die Führung des CSRM. Der Versuch einer Wiederzusammenführung scheiterte trotz der Vermittlungsbemühungen des Internationalen Gewerkschaftsbundes (früher: IBFG), dem der CSRM seit 1997 angehörte. Gründe: persönliche Zwistigkeiten, aber auch Streit über die Aufteilung des Gewerkschaftsvermögens und vor allem politisch unterlegte Differenzen zwischen dem CSRM, der den moldauischsprachigen Parteien, der Rechten, den Christdemokraten und Demokraten näher steht, und der Solidaritatea, die sich von Anfang an als der Kommunistischen Partei nahe stehend und überwiegend russischsprachig ausgerichtet erwies.

5.2.2

Eine neue Wendung nahm die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung ab 2001 durch den Wahlsieg der Kommunistischen Partei und die Wahl des KP-Vorsitzenden Wladimir Woronin zum Präsidenten der Republik. Dass Solidaritatea mit Blick auf die Festigung sozialer Fortschritte auf Kooperationskurs ging, während der CSRM eine kritischere, reformfreudigere Haltung an den Tag legte, brachte Risse in das Verhältnis zwischen dem Staat und den beiden Gewerkschaftsverbänden. Die Regierung, gestützt auf ihre Verbindungsleute in der Kommunistischen Partei und in der Verwaltung, ist dazu übergegangen, Solidaritatea systematisch zu begünstigen und den CSRM zu schwächen.

5.2.3

Die wiederholte, systematische Einmischung staatlicher Organe hat den CSRM im Januar 2004 veranlasst, mit Unterstützung durch den früheren IBFG und durch die Berufsverbände IUL und IÖD Klage beim Ausschuss für Vereinigungsfreiheit (CFA) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) wegen Verletzung der Vereinigungsfreiheit einzureichen. In seinem Zwischenbericht 2006 hat sich der CFA für eine unabhängige Untersuchung der einzelnen, von den Klägern aufgeführten Übergriffe ausgesprochen; er stellte darüber hinaus fest, dass die Republik Moldau über keine wirkungsvollen Sanktionsmittel gegen Verletzungen der Gewerkschaftsrechte verfüge und daher die Einhaltung internationaler Normen in diesem Bereich nicht gewährleisten könne. 2005 unternahm der ILO-Verwaltungsrat eine Besuchsreise. Der IBFG machte die Europäische Kommission auf die Lage im Land aufmerksam und legte 2005 im Rahmen des APS, dem die Moldau angeschlossen ist, einen kritischen Bericht vor. Die moldauische Regierung hat bis dato nichts unternommen, um die Gesetzgebung anzupassen oder den Empfehlungen des CFA nachzukommen. Für die moldauischen Behörden ging es hier ungeachtet der verschiedenen Fakten, die in der Klage vor dem CFA genannt wurden, um nichts weiter als um eine Rivalität zwischen zwei Gewerkschaftsverbänden.

5.2.4

In der Praxis haben die Behörden immer offener — in der Rede von Präsident Woronin auf dem Solidaritatea-Kongress 2005 — dazu aufgerufen, wieder eine Einheitsgewerkschaft zu bilden. Seit 2005/06 hat sich das Kräfteverhältnis der beiden Organisationen allmählich umgekehrt: Hatte der CSRM 2001 rund 450 000 Mitglieder und Solidaritatea rund 200 000, so ist seit 2006 eindeutig Solidaritatea mitgliederstärker. Auf einem Kongress im Juni 2007 wurde der Wiederzusammenschluss der beiden Organisationen vollzogen. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) hat bereits wissen lassen, dass er die Mitgliedschaft des CSRM nicht auf den neuen „wiedervereinten“ Gewerkschaftsbund zu übertragen gedenke. Dieser müsse zuerst seine Unabhängigkeit von staatlichen Stellen beweisen und unmissverständlich für die Grundsätze der Vereinigungsfreiheit und der Freiheit der Kollektivverhandlungen eintreten.

6.   Bildung von Vereinigungen und NGO

6.1   Wichtigste Ergebnisse der Studie des EWSA von 2004

6.1.1

Offiziell wurden in der Moldau seit der Unabhängigkeit 1991 rund 2 800 NGO auf Landes- und auf örtlicher Ebene registriert. Eine ganze Reihe der im staatlichen Register eingetragenen NGO, insbesondere die durch Wirtschaftsakteure oder die Behörden eingerichteten, hatte nur eine zeitweilige Aufgabe zu Beginn des Übergangsprozesses. Sie können daher nicht als unabhängige Akteure der Zivilgesellschaft angesehen werden. Ebenfalls Rechnung zu tragen ist den Organisationen, die sich seit 2001 gemeinsam mit der Opposition an Großdemonstrationen gegen die kommunistische Regierung beteiligt haben.

Wie auch in anderen Ländern, die sich im Umbruch befinden, konzentrieren die NGO ihre Arbeit auf die Hauptstadt und versuchen, Einfluss auf die dortigen Machthaber zu nehmen. Politisch sind die NGO immer mehr Schikanen ausgesetzt, insbesondere in ihren neuen Tätigkeitsfeldern Jugendpolitik sowie Verbraucher- und Umweltschutz. In Transnistrien ist ihre Tätigkeit durch eine drückende politische Kontrolle eingeschränkt.

6.1.2

Einige große Geldgeber (Soros, US AID, Eurasia, Hebo, British Peace Building), sind in den Bereichen Bildung, Kultur und Menschenrechte tätig.

6.1.3

Die Jugendverbände, deren Rekrutierungsbasis wegen der zunehmenden Emigration im Schwinden begriffen ist, fordern von der Regierung eine proeuropäische Politik, die über bloße Bekundungen hinausgeht. Sie wollen, dass die EU ihnen die Möglichkeit zur Teilnahme an Austauschprogrammen gibt. Die meisten Vertreter der Zivilgesellschaft sind der Ansicht, dass die künftigen gemeinschaftlichen Hilfsprogramme nicht allein mit der Regierung ausgehandelt und mit dieser durchgeführt werden sollten (wie es beim TACIS-Programm der Fall war), sondern auch die Vertreter aktiver NGO darin einbezogen werden sollten.

6.2   Bemerkungen zur jüngsten Entwicklung im Bereich zivilgesellschaftlicher Organisationen laut Fachstudien

6.2.1

Bei den letzten Wahlen 2005 haben rund 200 nichtstaatliche Organisationen erstmals ein geschlossenes, unabhängiges Bündnis gebildet, das eine Wahlbeobachtungskampagne im Land durchgeführt hat. Diese „Staatsbürgerliche Koalition 2005“ (16), die große Aufmerksamkeit auf sich gezogen und viel Widerhall in den Medien gehabt hat, hat sich bei den Wahlen 2007 abermals hervorgetan und viel für eine bessere Glaubwürdigkeit der NGO in der Bevölkerung geleistet.

6.2.2

Die NGO in der Moldau lassen sich grob drei Kategorien zuordnen: Zur ersten gehören die großen, gut ausgestatteten und bekannten Organisationen mit Sitz in der Hauptstadt, die sich einem internationalen Netzwerk angeschlossen haben (17). Zur zweiten Gruppe gehört die große Zahl weniger etablierter Organisationen, die oft nur als „Einmannbetrieb“ geführt werden, begrenzte Handlungsfähigkeit haben und immer auf der Suche nach Finanzierungsquellen sind. Eine dritte Gruppe bilden die „GONGOs“ (government-operated non-governmental organizations), also vollkommen staatlich gelenkte und finanzierte NGOs, wie es sie auch in anderen Ländern gibt und hinter denen die jeweilige Regierung steht.

6.2.3

In Transnistrien ist die Gruppe der „Gongos“ allgegenwärtig, denn das Regime Smirnow ist ständig um Verbündete in der Zivilgesellschaft bemüht, die seine Politik mittragen und ihm beim Machterhalt dienlich sind. In einer neueren Untersuchung tschechischen Ursprungs, die von einer NGO durchgeführt wurde (18), werden darüber hinaus unter den 900 nichtstaatlichen Organisationen in Transnistrien noch zwei weitere Kategorien ausgemacht: traditionelle Vereinigungen, wie Arbeitnehmer-, Frauen- und Jugendorganisationen, und kleine NGO, die offen für Kontakte mit Chisinau und mit internationalen Netzen sind. Einige davon lassen sich bei moldauischen Behörden registrieren und erlangen so Zugang zu EU-Hilfen.

6.3   Aktuelle Wege der Konsultation der Zivilgesellschaft und der Verhandlung mit den Sozialpartnern

6.3.1

Seit 2005 haben verschiedene moldauische Ministerien in folgender Form einen Dialog mit Teilen der Zivilgesellschaft geführt oder verstärkt: eine monatliche Konsultationssitzung im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und europäische Integration und eine nationale Konferenz im April 2006, die 18 Schlussfolgerungen zur „Verbesserung des Zusammenwirkens zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft“ formulierte. Gleichzeitig stehen andere Ministerien, insbesondere das Justiz-, das Landwirtschafts- und das Finanzministerium, in ständiger Verbindung mit Teilen der Zivilgesellschaft. Zur Zeit laufen verschiedene Projekte, vor allem mit dem UNDP, durch die Registrierungsschritte vereinfacht und die miserable Finanzlage vieler NGO verbessert werden sollen.

6.3.2

Das moldauische Parlament verfolgt auf Initiative von Marian Lupu seit 2006 einen „Plan zur Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und der Zivilgesellschaft“, der recht ehrgeizige Ziele enthält und in dem verschiedene Mechanismen und Formen der Kooperation angeregt werden, wie z. B. eine „ständige Online-Konsultation“, Ad-hoc-Sitzungen oder öffentliche Anhörungen vor Parlamentsausschüssen sowie eine jährliche Konferenz.

6.3.3

Seit zwei Jahren bemühen sich zahlreiche NGO konkret um Mitwirkung an der Durchführung des EU-Aktionsplans in seinen verschiedenen Tätigkeitsfeldern und lassen sich dabei vor allem von den positiven Erfahrungen der Nachbarländer Rumänien und Ukraine leiten. Ermuntert werden sie in diesem Bestreben auch vom Europäischen Parlament, das im Mai 2007 einen Bericht angenommen hat.

6.3.4

In den Arbeitsbeziehungen ist es nicht verwunderlich, dass der soziale Dialog in der Moldau noch nicht richtig eingespielt ist. Es gab eine „Republikanische Kommission für Kollektivverhandlungen“, die aber mehr ein Ort der Bekanntmachung anderweitig gefasster Beschlüsse als ein wahrer Raum der Konsultation und des Dialogs war. Die Partnerorganisationen hatten keinen Einfluss auf die Tagesordnung dieser Kommission, und folglich war es auch nicht möglich, die Klage oder das weitere Vorgehen im Anschluss an die CFA-Empfehlungen zu erörtern. Die Kommission hat kein eigenes Sekretariat und verfügt auch nicht über dezentrale Strukturen auf regionaler oder Branchenebene. Ergänzend ist zu bemerken, dass der FGSRM, unterstützt vom vormaligen IBFG und europäischen Gewerkschaftsorganisationen, verschiedene Kooperationsprogramme mit dem transnistrischen Dachverband eingeleitet hat.

6.3.5

2006 wurde ein Gesetz über die Organisation und die Funktionsweise einer nationalen Kommission für Kollektivvereinbarungen mit gebiets- und branchenbezogenen Ausschüssen erlassen. Diese nationale Kommission hat 18 Mitglieder, darunter 12 Vertreter, die von den Sozialpartnern benannt werden.

Unterm Strich ist es noch viel zu früh für eine Beurteilung der neuen Konsultations- und Verhandlungsmechanismen und der tatsächlichen Wirkung dieser von der Regierung eingeleiteten Zusammenarbeit. Eine solche Bewertung wird nur auf längere Sicht auf der Grundlage klar definierter Grundsätzen und Modalitäten möglich sein.

Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen in den Beziehungen EU/Moldau und ausgehend von den Anfängen, die diese neuen Formen des sozialen und zivilen Dialogs bilden, möchte der EWSA Kontakte zur moldauischen Zivilgesellschaft aufbauen.

Der Ausschuss spricht sich dafür aus, bereits 2008 eine Konferenz zu organisieren, denn dann würde die Einleitung eines Dialogs unter den Zivilgesellschaften zeitlich mit den Arbeiten an einem neuen Rahmen für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau zusammenfallen.

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe Anhang B.

(2)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen“ für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2008, verabschiedet am 9./10. Februar 2005, Berichterstatter: Herr Pezzini (ABl. C 221/15 vom 8. September 2005).

(3)  Siehe Anhang.

(4)  Europarat: Groupe d'Etats contre la corruption (Gruppe der Staaten gegen Korruption).

(5)  AICESIS = Association internationale des Conseils économiques et sociaux et institutions similaires (Internationale Vereinigung der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbarer Einrichtungen).

(6)  Die Ratifizierung dieser Verträge erfolgt voraussichtlich noch vor Ende 2007.

(7)  Laut statistischen Angaben amtlicher moldauischer Stellen.

(8)  Laut statistischen Angaben amtlicher moldauischer Stellen.

(9)  Laut statistischen Angaben amtlicher moldauischer Stellen.

(10)  Bericht des Europaratsausschusses für die Einhaltung der von Moldau eingegangenen Pflichten und Verpflichtungen, September 2007.

(11)  Europarat, 14. September 2007, „Einhaltung der von Moldau eingegangenen Pflichten und Verpflichtungen“.

(12)  Studien zur moldauischen Zivilgesellschaft: Die Europäische Union und die Zivilgesellschaft in der Republik Moldau, Schlussfolgerungen der Konferenz von AETI und ECAS im Juni 2006; Stärkung des Dialogs zwischen der moldauischen Regierung und der moldauischen Zivilgesellschaft über die Umsetzung des Aktionsplans EU/Moldau, Schlussfolgerungen der Konferenz der Eurasia-Stiftung, moldauisches Außenministerium und US AID, April 2006; Stärkung des nichtstaatlichen Sektors in der Konfliktzone der Republik Moldau, IMAC, Februar 2007; Studie über die Entwicklung nichtstaatlicher Organisationen in Moldau für die Geberkonferenz, UNDP-Projekt, Mai 2007; Umfrage unter den im sozialen Bereich in der Republik Moldau aktiven NGO, EU-Projekt, TRANSTEC, Mai-Juni 2006; Verbesserung der finanziellen Dauerhaftigkeit moldauischer Organisationen der Zivilgesellschaft, UNDP & SOROS 2005; Rundfrage über die Entwicklung nichtstaatlicher Organisationen in der Republik Moldau; Monitoring-Bericht des Europarates, September 2007; Staaten im Übergang 2007: Moldau, CEPS, George Dura und Nio Popescu 2007; Die Situation in Transnistrien, People in Need (CZ), November 2006.

(13)  Studie des UNDP, Mai 2007.

(14)  UNDP-Studie, 2007, S. 3.

(15)  Informationsschrift der moldauischen IHK, Mai 2007.

(16)  Bewertungsbericht der Stiftung Eurasia, Oktober 2005.

(17)  Siehe Beispiele in dem Bericht „NGO Scores for Moldova“, veröffentlicht von US AID, 2005.

(18)  Ondrej Soukop, Organisation „People in Need“, Prag, 2007.


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/96


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Umsetzung der Lissabon-Strategie: Sachstand und Zukunftsperspektiven“

(2008/C 120/20)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Umsetzung der Lissabon-Strategie: Sachstand und Zukunftsperspektiven“.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Ad-hoc-Gruppe des Präsidiums „Lissabon-Gruppe“ mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme. Berichterstatter waren Herr van IERSEL und Herr BARABÁS.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember), Herrn van IERSEL zum Hauptberichterstatter und Herrn BARABÁS zum Hauptmitberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 122 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hält es für wünschenswert, die organisierte Zivilgesellschaft und, wo vorhanden, insbesondere die nationalen Wirtschafts- und Sozialräte (WSR) (1) als aktive Partner in die Umsetzung der Lissabon-Strategie einzubinden. Er schlägt daher folgende Vorgehensweise vor:

1.1.1

Neben den Regierungen müssen auch die Vertreter der gesellschaftlichen Kräfte kreative Herangehensweisen fördern und konkrete und wirksame Maßnahmen ergreifen, um Veränderungen herbeizuführen. Damit der Lissabon-Prozess zum Erfolg geführt und die Umsetzung der Lissabon-Ziele vorangebracht werden kann, bedarf es zusätzlicher Partnerschaften und neuer Allianzen (2). Aus diesem Grund steht der Beitrag der nationalen WSR und der organisierten Zivilgesellschaft im Mittelpunkt der vorliegenden Stellungnahme.

1.1.2

Nach dem Vorbild bewährter Verfahrensweisen in verschiedenen Mitgliedstaaten muss überall eine ausreichende Information, Konsultation und Transparenz gewährleistet werden, da dies bei der Erarbeitung und Umsetzung der Nationalen Reformprogramme (NRP) sowie bei der Umsetzung länderspezifischer Empfehlungen von Nutzen ist.

1.1.3

Für die organisierte Zivilgesellschaft ist es auch wichtig, in einer frühen Phase in die Formulierung der Zukunftsperspektiven für den nächsten Zyklus nach 2010 eingebunden zu werden, deren Grundlage Wachstum, Beschäftigung, sozialer Zusammenhalt und nachhaltige Entwicklung bilden sollten.

1.1.4

Der Ausschuss hebt hervor, dass die wirksame Umsetzung der Lissabon-Agenda die angestrebte Öffentlichkeitswirkung und die langfristige Stimmigkeit der Strategie fördern wird.

1.1.5

Ein Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen dem EWSA und den nationalen WSR über die NRP und die Lissabon-Agenda könnte überaus nützlich sein. Der EWSA könnte diesen Prozess unterstützen.

1.1.6

Alle nationalen WSR sollten in die jährlichen Konsultationen der Kommission eingebunden werden. Die nationalen WSR und die zivilgesellschaftlichen Organisationen könnten Vertreter der Europäischen Kommission einladen, um Ideen und erstrebenswerte Ansätze im nationalen Kontext zu debattieren.

1.1.7

Was die Arbeiten im Rat betrifft, ist der Ausschuss an einer Mitarbeit in der Arbeitsgruppe „Lissabon-Methodologie“ (LIME) unter der Federführung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik des Rates interessiert.

1.1.8

Der Ausschuss ersucht den Europäischen Rat, ihn mit der Ausarbeitung eines Jahresberichts mit Informationen (soweit verfügbar) über den Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft und der nationalen WSR (soweit vorhanden) zu den Fortschritten bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie einschließlich konkreter Vorschläge und Verbesserungswünsche zu beauftragen (3).

1.1.9

Der Ansatz des EWSA steht im Einklang mit den Maßnahmen, die das Europäische Parlament und der Ausschuss der Regionen im Hinblick auf die nationalen Parlamente bzw. die Regionen ergriffen haben. Der Ausschuss spricht sich dafür aus, die Zusammenarbeit weiter zu stärken.

2.   Einleitung

2.1

Seit 2005 wurden beim Lissabon-Prozess sowohl auf inhaltlicher als auch auf institutioneller Ebene Fortschritte erzielt. In den Mitgliedstaaten herrscht zunehmend Einigkeit darüber, dass es struktureller Anpassungen in den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit, Wissensgesellschaft, nachhaltige Entwicklung und Beschäftigung bedarf.

2.2

Auf institutioneller Ebene wurde die Methodik der erneuerten Lissabon-Strategie verbessert. Diese Änderungen umfassen u. a.:

die Festlegung einer klaren Agenda hinsichtlich der Integrierten Leitlinien,

die Ausarbeitung detaillierter Nationaler Reformprogramme (NRP),

die Klärung der Rolle der Europäischen Kommission,

die Überwachung der nationalen Prozesse durch die Kommission,

die Erarbeitung länderspezifischer Empfehlungen,

Gruppendruck.

2.3

In der Praxis hat sich gezeigt, dass die nunmehr klar festgelegte und abgestimmte europäische Agenda in Verbindung mit dem erneuten Einsatz der wertvollen Methode der offenen Koordinierung, bei der das Subsidiaritätsprinzip gewahrt wird, Früchte zu tragen beginnt. Die Mitgliedstaaten zeigen immer mehr Bereitschaft zu wechselseitigem Verständnis und einem kritischen Gedankenaustausch hinsichtlich der Anpassungen. Dank der neuen Vorgehensweise sind mehr und mehr Mitgliedstaaten gewillt, über den nationalen Tellerrand hinauszublicken und den Einsatz beispielhafter Verfahren zu prüfen.

2.4

Nichtsdestoweniger klaffen Absichtserklärungen und Realität weit auseinander. Was wirklich zählt, ist die Umsetzung; diese ist jedoch oftmals unvollständig bzw. nicht zielgenau. In vielen Fällen fehlen konkrete Zielsetzungen, messbare Zielvorgaben und Zeitpläne.

2.5

Außerdem bestehen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede. Nicht allen Mitgliedstaaten fällt es leicht, kritische Anmerkungen aus Partnerländern oder seitens der Kommission zu akzeptieren. Im Rahmen der derzeit laufenden multilateralen Überwachung findet jetzt bis zu einem gewissen Grad eine wechselseitige Analyse der NRP durch die einzelnen Mitgliedstaaten statt.

2.6

Der Großteil der Regierungen hat eine(n) Lissabon-Beauftragte(n) als Koordinator/-in ernannt. Dies sollte eine straffere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission ermöglichen und zu mehr Transparenz führen. In den meisten Fällen muss der/die Minister/-in bzw. der/die Staatssekretär/-in aber erst seine/ihre Rolle in der Regierung und in den Beziehungen zum Parlament und zu den Bürgerinnen und Bürgern definieren.

2.7

Es wird behauptet, dass die Lissabon-Strategie das bestgehütete Geheimnis Europas ist, da der Begriff nur selten ausdrücklich verwendet wird. Seit der Überarbeitung der Lissabon-Strategie im Jahre 2005 werden in den Mitgliedstaaten jedoch, nicht zuletzt durch die Anpassungen der Methodik, schrittweise auf europäischer Ebene abgestimmte Reformen durchgeführt.

2.8

Der Prozess ist jetzt ins Rollen gekommen, aber die nächsten beiden Jahre werden von entscheidender Bedeutung für dessen Fortführung und Vertiefung sein. Entscheidend ist vor allem, dass der Lissabon-Prozess eine klare und allgemein anerkannte Struktur hat, die auch von den nichtstaatlichen Akteuren als gesamteuropäische Strategie akzeptiert wird und zur Anpassung und Angleichung der politischen Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten führt.

3.   Mitverantwortung des EWSA, der nationalen WSR und der organisierten Zivilgesellschaft für den Lissabon-Prozess

3.1

Ziel der Lissabon-Agenda ist es, die europäische Gesellschaft in die Lage zu versetzen, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen und sich ihren Platz und die ihr zukommende Rolle in den Beziehungen zu einer steigenden Zahl globaler Akteure zu sichern. Dabei geht es auch um die Stimmungslage und die Einstellung.

3.2

Der Prozess darf nicht auf Entscheidungsträger, Gesetzgeber und hochrangige Gruppen beschränkt werden. Aus zweierlei Gründen sollte es ein Prozess für alle, mit allen und von allen sein:

Um herauszufinden, welcher Ansatz am besten geeignet ist, sind Impulse aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kreisen wünschenswert.

Die Umsetzung in den Mitgliedstaaten hängt weitgehend von der Zusammenarbeit aller interessierten Kreise ab. Mitverantwortung ist von entscheidender Bedeutung.

3.3

Mitverantwortung und ein aktives Engagement der Sozialpartner sowie anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen würde den Prozess durch die Kombination aus Top-down- und Bottom-up-Ansätzen stärken. Außerdem könnte auf diese Weise die unabdingbare starke Akzeptanz durch die Bevölkerung gewährleistet werden.

3.4

Bislang besteht in vielen Mitgliedstaaten für die Wirtschafts- und Sozialräte und die Zivilgesellschaft wenn überhaupt, dann nur beschränkt die Möglichkeit, sich am Lissabon-Prozess zu beteiligen. Es müssen daher weitere Schritte unternommen werden, um deren Mitverantwortung zu stärken. In Ländern, in denen es keinen WSR gibt, sollten andere Formen der institutionalisierten Einbindung der Zivilgesellschaft gefunden werden.

3.5

Die Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Organisationen müssen in sämtliche über das Jahr verteilte Phasen des Lissabon-Prozesses eingebunden werden, nämlich in die Evaluierung (des laufenden Zyklus), die Vorbereitung, die Umsetzung und die Anschlussmaßnahmen zu den einzelnen NRP sowie längerfristig in die Erarbeitung der länderspezifischen Empfehlungen.

3.6

Der Ausschuss schlägt vor, dass die nationalen WSR durch vier Formen der Beteiligung zu der Umsetzung der Lissabon-Agenda beitragen sollten, nämlich:

indem ihnen ausreichend Informationen zur Verfügung gestellt und sie entsprechend konsultiert werden;

indem sie eine kritische Analyse der Umsetzung auf der einzelstaatlichen Ebene durchführen;

indem sie konkrete Vorschläge unterbreiten;

indem sie zu einer breiteren Debatte auf der einzelstaatlichen Ebene beitragen, wodurch die Lissabon-Agenda ein stärkeres Echo in der Öffentlichkeit finden wird.

3.7

In Ländern, in denen es keinen nationalen WSR bzw. Dreierausschuss gibt, müssen andere Wege zur Einbindung der Sozialpartner in den Konsultationsprozess gefunden werden. Dies gilt auch für die organisierte Zivilgesellschaft (4).

3.8

Es muss darauf hingewiesen werden, dass der gleiche Ansatz auch auf der regionalen und der lokalen Ebene angewandt werden sollte, die oftmals für die eigentliche Umsetzung maßgeblich sind. Darüber hinaus müssen im Hinblick auf den territorialen und sozialen Zusammenhalt auch auf der regionalen Ebene Partnerschaften mit den Sozialpartnern und den betroffenen zivilgesellschaftlichen Organisationen gefördert werden.

3.9

Darüber hinaus muss die Umsetzung der Aktionspläne der Lissabon-Strategie auf der lokalen und regionalen Ebene von einer wirksamen Verwaltung und Durchführung der Strukturfonds begleitet werden.

3.10

Der EWSA spielt dabei eine vierfache Rolle:

er vertritt die Standpunkte der organisierten Zivilgesellschaft,

er kann als Sprachrohr für die Weiterleitung von Informationen fungieren, in denen die Sichtweisen der nationalen WSR und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen zum Ausdruck kommen, die von zusätzlichem Nutzen für die Debatte in der Kommission und im Rat sind,

er kann auch als Forum für den Austausch von Erfahrungen und beispielhaften Verfahren in Abstimmung mit den nationalen WSR sowie für Debatten zwischen den WSR und der Kommission genutzt werden (5),

außerdem kann er zur Verbreitung der Ziele und der Ergebnisse des Lissabon-Prozesses beitragen.

4.   Arbeiten zu den auf der Frühjahrstagung 2006 festgelegten prioritären Themen

4.1

Auf seiner Plenartagung im Juli 2007 hat der EWSA vier auf Ersuchen zurückgehende Initiativstellungnahmen verabschiedet:

„Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen“ (6)

„Investitionen in Wissen und Innovation“ (7)

„Unternehmenspotenzial — insbesondere von KMU“ (8)

„Festlegung einer Energiepolitik für Europa“ (9)

Die nationalen WSR waren in die Erarbeitung dieser Initiativstellungnahmen eingebunden; ihre Beiträge wurden den Stellungnahmen als Anhänge beigefügt. Anschließend verabschiedete der EWSA eine weitere Stellungnahme zur besseren Einbindung der Klimaschutzstrategie in die Lissabon-Strategie.

4.2

Die vorgenannten Initiativstellungnahmen, in denen auch die Beiträge der nationalen WSR zu den vom Rat festgelegten Schlüsselthemen dargelegt werden, lieferten konkrete Anhaltspunkte für den Bericht der Kommission; außerdem geben sie den Anstoß für eine breitere Debatte im Hinblick auf den Lissabon-Gipfel im März 2008.

4.3

Mit der vorliegenden Initiativstellungnahme soll in erster Linie ein Beitrag zur Debatte im Rat geleistet und die Rolle der Sozialpartner und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen im Prozess näher bestimmt werden.

4.4

Bei der Erarbeitung seiner Stellungnahme wurde der Ausschuss auch von der „Kontaktgruppe EWSA/europäische Organisationen und Netze der Zivilgesellschaft“ unterstützt, deren Beitrag der vorliegenden Stellungnahme im Anhang beigefügt ist.

5.   Einbindung der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft

5.1

Es ist überaus wichtig, dass eine gesellschaftliche Debatte über die Lissabon-Agenda als einer erstrebenswerten europäischen Handlungsstrategie stattfindet, die an die Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten und deren Verfahren und Rechtsvorschriften angepasst ist.

5.2

Die Kommissionsdokumente sollten klare Zielvorgaben enthalten, so dass eine breitere gesellschaftliche Debatte ausgelöst wird. Die Suche nach neuen fruchtbaren Partnerschaften erfordert einerseits klare Vorstellungen und Zielvorgaben und andererseits Information und Kommunikation.

5.3

Mehr Debatte und Transparenz bedeuten mehr öffentliches Bewusstsein. Dies kann auch für die Kreativität und die Offenheit für unkonventionelle Vorschläge und Lösungen förderlich sein. In einigen Ländern führen positive Maßnahmen und Praktiken und/oder Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern auf Branchen- bzw. Betriebsebene häufig zu interessanten Entwicklungen auf mikroökonomischer Ebene.

5.4

Am wichtigsten ist die Art, wie die Sozialpartner und die anderen zur Teilnahme am Prozess berechtigten zivilgesellschaftlichen Organisationen in die NRP und in die Umsetzung der Empfehlungen der EU eingebunden werden.

5.5

Durch die Einbindung all dieser Akteure lässt sich möglicherweise auch eine stärkere Konvergenz bei den eigenen politischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten erzielen, die aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung in Europa und der in diesem Zusammenhang auftretenden Übertragungseffekte wünschenswert ist.

5.6

In der Praxis hat sich gezeigt, dass der Lissabon-Prozess besser funktioniert, wenn die Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Organisationen aktiv Mitverantwortung übernehmen. Die Lissabon-Strategie setzt eine nicht konfliktorientierte Kultur der Zusammenarbeit voraus. Es gibt Hinweise darauf, dass eine solche Zusammenarbeit in den Mitgliedstaaten derzeit im Entstehen ist.

5.7

Der Grad der Einbindung der Sozialpartner und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen variiert von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat (10). Dies ist teilweise auf die unterschiedlichen statutarischen Regelungen der nationalen WSR und vergleichbaren Einrichtungen sowie teilweise auch darauf zurückzuführen, inwieweit diese informiert und konsultiert werden, wobei die Entwicklung in diesen beiden Bereichen immer noch hinterherhinkt.

5.8

Die Kommission sollte sämtliche Mitgliedstaaten dazu ermuntern, die zivilgesellschaftlichen Organisationen und in den Ländern, in denen es ein solches Gremium gibt, die nationalen WSR in Konsultationen auf einzelstaatlicher Ebene einzubinden.

5.9

Die Kommission trifft im Rahmen der Konsultationen in einigen Mitgliedstaaten auch mit den Sozialpartnern zusammen. Diese Vorgehensweise sollte schrittweise ausgedehnt werden. Auf diese Weise könnte die Kommission eine gewichtigere Rolle bei der Überwachung spielen. Überdies wäre es in Ländern, in denen die Regierung im nationalen WSR bzw. im Dreierausschuss vertreten ist, empfehlenswert, dass die Kommission mit den Sozialpartnern gesondert zusammentrifft.

5.10

Ein Gedankenaustausch über die Erfahrungen der nationalen WSR im Bereich der Konsultation und der Einbindung (11) wäre hilfreich. Dabei könnte Folgendes zur Sprache kommen:

Information und Konsultation über die Lissabon-Agenda auf einzelstaatlicher Ebene;

die Art, wie die nationalen WSR den Regierungen ihren Standpunkt darlegen; sowie

der Grad der Berücksichtigung dieses Standpunktes bei den politischen Maßnahmen der Regierungen.

5.11

Zur Förderung einer einheitlichen Vorgehensweise der einzelnen nationalen WSR könnten sich zudem bi- bzw. trilaterale Treffen (Foren, Runde Tische) als hilfreich erweisen.

5.12

Ein Beitrag des EWSA könnte darin bestehen, europaweit Beispiele für bewährte Verfahren im Bereich der Information und Konsultation zu sammeln und eine Aufstellung interessanter Vorgehensweisen und Maßnahmen zusammenzustellen, die von den Sozialpartnern und den anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen in den einzelnen Mitgliedstaaten befürwortet werden.

5.13

Was die Beiträge aus Mitgliedstaaten anbelangt, in denen es keinen WSR gibt, so könnte der EWSA durch seine Mitglieder direkt mit den vor Ort tätigen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten, so im Rahmen von Studienbesuchen unterschiedlicher Art, etwa in Form von Anhörungen in den jeweiligen Mitgliedstaaten.

6.   Austausch beispielhafter Verfahren

6.1

Zweifelsohne kann mit der Beschreibung und Vorstellung konkreter mikroökonomischer Beispiele, bei denen nationale Zielsetzungen unter Einbindung der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten erreicht wurden bzw. voraussichtlich erreicht werden, ein zusätzlicher Nutzen erbracht werden.

6.2

Nachstehend einige Beispiele dafür:

Forschung, Innovation und Wissen

Förderung der wissensbasierten Gesellschaft;

Bildung auf sämtlichen Niveaus einschließlich Berufsbildung — neue Qualifikationen für neue Chancen;

Neuauflage von Pakten für lebenslanges Lernen und offene Lernzentren;

Zusammenarbeit zwischen Hochschulen/Forschungsinstituten und KMU;

Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts;

Innovationsplattformen unter Beteiligung der Privatwirtschaft;

Unternehmertum und Wettbewerbsfähigkeit

Förderung von Unternehmensgründungen und Unternehmertum;

besonderes Augenmerk auf KMU: Rechtsrahmen, Risikokapital;

zentrale Anlaufstellen für Unternehmer;

Bürokratieabbau und vor allem Ermittlung jener Bereiche, in denen dieser am wirkungsvollsten wäre;

E-Government;

Innovationsförderung für KMU („Innovations-Schecks“);

gezielte steuerliche Maßnahmen;

Arbeitsmarkt und Beschäftigung

innovative Ideen und messbare Zielvorgaben für die Schaffung neuer Arbeitsplätze für junge und ältere Menschen;

Maßnahmen zur Eingliederung schutzbedürftiger sozialer Gruppen;

Geschlechtergleichstellung;

Förderung der Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze;

erstrebenswerte Ansätze für Teilzeitarbeit;

neue Ideen und Möglichkeiten zur Umsetzung der „Flexicurity“;

neue Partnerschaften auf der lokalen und regionalen Ebene;

solidarwirtschaftliche Unternehmen.

Darüber hinaus müssen wirksame und konkrete Maßnahmen einschließlich Zeitpläne in den Bereichen Energie und Klimawandel erörtert werden.

In jedem der vorgenannten Fälle sind bereits in einem oder mehreren Mitgliedstaaten Debatten zwischen den Interessengruppen im Gange. Die nationalen WSR und die organisierte Zivilgesellschaft vertreten dabei jeweils ihren eigenen Standpunkt hinsichtlich der praktischen Umsetzung. Zielgerichtete Bottom-up-Vorschläge, die das mannigfaltige Potenzial der europäischen Gesellschaft widerspiegeln, wären zweifellos eine Bereicherung für die Debatte auf der Ebene von Verwaltung und Politik.

6.3

Eine breitere Debatte unter Beteiligung der Interessengruppen würde auch zur Festlegung neuer konkreter Zielsetzungen für die Methode der offenen Koordinierung beitragen. Zur Bewertung des Grades der Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft könnten ein System zur vergleichenden Bewertung, Indikatoren sowie gegenseitige Begutachtungen zum Einsatz gelangen.

6.4

Auch für die Kommission und den Rat wäre es interessant zu erfahren, welche Themen die nationalen WSR untereinander debattieren. Der EWSA könnte eine Aufstellung jener Themen anfertigen, die von bereichsübergreifender Bedeutung für die EU sind. Je mehr sich die Debatten um konkrete Ansätze und Maßnahmen zur Förderung der Lissabon-Ziele drehen, desto mehr Aufmerksamkeit wird ihnen von Seiten der Regierungen zuteil werden.

6.5

Die Umsetzung und insbesondere die Gewährleistung der Umsetzung durch die Festlegung von Zielen, messbaren Zielsetzungen und Zeitplänen sind von entscheidender Bedeutung. Die organisierte Zivilgesellschaft insgesamt sowie die nationalen WSR können einen wertvollen Beitrag dazu leisten, die Schwachstellen auszumachen und dauerhafte Lösungen zu finden.

Brüssel, den 13. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Hinsichtlich des institutionellen Rahmens bestehen erhebliche Unterschiede innerhalb der EU: In vielen Mitgliedstaaten gibt es einen WSR, in den meisten „neuen“ Mitgliedstaaten sogenannte Dreierausschüsse (Sozialpartner plus Regierungsvertreter), einige wenige Länder haben keinen WSR. Der EWSA ist bemüht, Beiträge von möglichst vielen Vertretungsgremien zusammenzutragen, die dieser Stellungnahme in einem gemeinsamen Bericht an den Europäischen Rat im Anhang beigefügt werden sollen.

(2)  Siehe die Entschließung des EWSA zum Thema „Die Umsetzung der überarbeiteten Lissabon-Strategie“ (ABl. C 97 vom 27.4.2007).

(3)  Der EWSA weist darauf hin, dass er sich in keinster Weise in die bestehenden Konsultationsverfahren und Zuständigkeiten der Sozialpartner in den einzelnen Mitgliedstaaten, insbesondere in Spanien, einmischt bzw. deren Legitimität in Frage stellt.

(4)  Ein Beispiel dafür ist Schweden, wo die Regierung die Sozialpartner (bei der Vorbereitung der NRP) sowie, im Rahmen gesonderter Treffen, die organisierte Zivilgesellschaft mehrmals pro Jahr konsultiert.

(5)  Diesbezüglich ist anzumerken, dass das Europäische Parlament kürzlich gemeinsam mit den nationalen Parlamenten eine Koordinierungsstruktur geschaffen hat.

(6)  „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)“, ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 93

(http://www.eesc.europa.eu/lisbon_strategy/eesc_documents/index_en.asp).

(7)  „Investitionen in Wissen und Innovation (Lissabon-Strategie)“, ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 17

(http://www.eesc.europa.eu/lisbon_strategy/eesc_documents/index_en.asp).

(8)  „Unternehmenspotenzial — insbesondere von KMU (Lissabon-Strategie)“, ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 8

(http://www.eesc.europa.eu/lisbon_strategy/eesc_documents/index_en.asp).

(9)  „Festlegung einer Energiepolitik für Europa (Lissabon-Strategie)“, ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 31

(http://www.eesc.europa.eu/lisbon_strategy/eesc_documents/index_en.asp).

(10)  Siehe Fußnote 3.

(11)  Die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für die Lissabon-Strategie durch den griechischen WSR ist ein gutes Beispiel für die Überwachung der NRP. Damit wurde ein öffentlichkeitswirksames Instrument zur Beobachtung der Fortschritte bzw. des Mangels an Fortschritten geschaffen. Weitere WSR beabsichtigen, diesem Beispiel zu folgen.


16.5.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/100


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren (kodifizierte Fassung)“

KOM(2007) 587 endg.

(2008/C 120/21)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 24. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren (kodifizierte Fassung)“

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 129 Ja-Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 12. Dezember 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS