ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 10

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

51. Jahrgang
15. Januar 2008


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

ENTSCHLIESSUNGEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
438. Plenartagung vom 26./27. September 2007

2008/C 010/01

Entschliessung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Naturkatastrophen

1

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

438. Plenartagung am 26./27. September 2007

2008/C 010/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Grünbuch zur effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: Vorläufige KontenpfändungKOM(2006) 618 endg.

2

2008/C 010/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Vereinfachung des Regelungsumfeldes für den Maschinenbau

8

2008/C 010/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Ein wettbewerbsfähiges Kfz-Regelungssystem für das 21. Jahrhundert — Stellungnahme der Kommission zum Schlussbericht der hochrangigen Gruppe CARS 21 — Ein Beitrag zur Strategie der EU für Wachstum und BeschäftigungKOM(2007) 22 endg.

15

2008/C 010/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umsturzvorrichtungen für land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern (kodifizierte Fassung) KOM(2007) 310 endg. — 2007/0107 (COD)

21

2008/C 010/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Abschleppeinrichtung und den Rückwärtsgang von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern (kodifizierte Fassung) KOM(2007) 319 endg. — 2007/0117 (COD)

21

2008/C 010/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Schilder, vorgeschriebene Angaben, deren Lage und Anbringungsart an Kraftfahrzeugen und KraftfahrzeuganhängernKOM(2007) 344 endg. — 2007/0119 (COD)

22

2008/C 010/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission — Aktionsplan für Energieeffizienz: Das Potenzial ausschöpfenKOM(2006) 545 endg.

22

2008/C 010/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zu FlughafenentgeltenKOM(2006) 820 endg. — 2007/0013 (COD)

35

2008/C 010/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Nachhaltige Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen — Ziel: Weitgehend emissionsfreie Kohlenutzung nach 2020KOM(2006) 843 endg.

39

2008/C 010/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Personenkraftverkehrsmarkt (Neufassung) KOM(2007) 264 endg. — 2007/0097 (COD)

44

2008/C 010/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der UmweltKOM(2007) 51 endg. — 2007/0022 (COD)

47

2008/C 010/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schaffung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Festsetzung von Höchstmengen für Rückstände pharmakologisch wirksamer Stoffe in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs und die Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 2377/90KOM(2007) 194 endg. — 2007/0064 (COD)

51

2008/C 010/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung einer gemeinschaftlichen Rahmenregelung für die Erhebung, Verwaltung und Nutzung von Daten im Fischereisektor und Unterstützung wissenschaftlicher Gutachten zur Durchführung der Gemeinsamen FischereipolitikKOM(2007) 196 endg. — 2007/0070 (CNS)

53

2008/C 010/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/22/EG des Rates über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler bzw. thyreostatischer Wirkung und von beta-Agonisten in der tierischen ErzeugungKOM(2007) 292 endg. — 2007/0102 (COD)

57

2008/C 010/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über LebensmittelKOM(2007) 368 endg. — 2007/0128 (COD)

58

2008/C 010/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Integration des Welthandels und Outsourcing: Der Umgang mit den neuen Herausforderungen

59

2008/C 010/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Patientenrechte

67

2008/C 010/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Nachhaltige Arbeitsproduktivität in Europa

72

2008/C 010/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Harmonisierung der Indikatoren im Bereich der Behinderung als Monitoring-Instrument zur Bewertung und Verbesserung der EU-Maßnahmen

80

2008/C 010/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Wege zu einer wirksameren steuerlichen Förderung von FuEKOM(2006) 728 endg.

83

2008/C 010/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2006 — Wirtschaftspolitische Prioritäten zur Stärkung der Euro-ZoneKOM(2006) 714 endg. — SEK(2006) 1490

88

2008/C 010/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Entwicklung auf den Finanzmärkten

96

2008/C 010/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Unterstützung der europäischen industriepolitischen Strategie

106

2008/C 010/25

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

113

DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

ENTSCHLIESSUNGEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss 438. Plenartagung vom 26./27. September 2007

15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/1


Entschliessung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Naturkatastrophen“

(2008/C 10/01)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Präsidiumssitzung am 25. September 2007, seine Bestürzung über die verheerenden Waldbrände zu bekunden, die im vergangenen August in Griechenland gewütet haben, und die Betroffenen und die Zivilgesellschaft seiner Solidarität zu versichern.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 192 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung nachstehende Entschließung.

Infolge der verschiedenen Naturkatastrophen, die mehrere Mitgliedstaaten heimgesucht hatten, erörterte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Notwendigkeit, den europäischen Katastrophenschutzmechanismus finanziell so auszustatten, dass eine effiziente Koordination der Maßnahmen zur Bekämpfung von Katastrophen inner- und außerhalb Europas möglich ist.

Angesichts dieser Ereignisse möchte der Ausschuss seinen in der Stellungnahme CESE 1491/2005 (NAT/283) vertretenen Standpunkt bekräftigen; der Ausschuss ersucht insbesondere die Europäische Kommission nachdrücklich, durch folgende Maßnahmen ein wirksames Funktionieren des Katastrophenschutzmechanismus der Gemeinschaft zu gewährleisten:

1.

Durchsetzung der Gemeinschaftsvorschriften für den Katastrophenschutz in allen Mitgliedstaaten im Wege eines geeigneten Rechtsinstruments.

2.

Ausstattung des Katastrophenschutzmechanismus mit folgenden Instrumenten:

einem Satellitenkommunikationssystem,

eigenen Hilfseinheiten,

Maßnahmen zur Kennzeichnung der in der Europäischen Union vorhandenen Einsatzkräfte und Ausrüstung,

einer Regionalisierung der Leitstellen und einer engen Abstimmung zwischen den einzelnen Einsatzzentralen,

einer angemessenen technischen Schulung der Hilfseinheiten.

3.

Festlegung europäischer Bestimmungen über die zivil- und strafrechtliche Haftung, die eine Verfolgung und Bestrafung der Verursacher derartiger Katastrophen ermöglichen.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

438. Plenartagung am 26./27. September 2007

15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/2


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Grünbuch zur effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: Vorläufige Kontenpfändung“

KOM(2006) 618 endg.

(2008/C 10/02)

Die Europäische Kommission beschloss am 24. Oktober 2006, den Europischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 18. Juli 2007 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 131 gegen 1 Stimme bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Mit diesem Grünbuch startet die Kommission im Anschluss an eine Reihe von Initiativen zur Schaffung eines europäischen Rechtsraums eine Konsultation über die etwaige Einführung eines gemeinschaftlichen Rechtsinstruments, das die Vollstreckung von Geldforderungen effizienter macht, indem Guthaben auf Bankkonten des Schuldners in allen Mitgliedstaaten „eingefroren“ werden können.

1.2

Aus diesem Grünbuch, das nicht getrennt von dem ihm beiliegenden Arbeitsdokument (1) und der in Auftrag gegebenen Studie, die ihm zugrunde liegt, betrachtet werden kann, geht (trotz einiger begrifflicher Unzulänglichkeiten bei der Definition des objektiven und subjektiven Anwendungsbereichs der Maßnahme und trotz der besonders mangelhaften Übersetzung in verschiedene Sprachen) hervor, dass die Kommission das Ziel verfolgt, einen Verordnungsvorschlag mit optionalem Charakter zur Regelung einer europäischen Sicherungsmaßnahme vorzulegen, die in der vorbeugenden Pfändung von Bankkonten besteht — unabhängig von der Art der Schulden und der Eigenschaft der Beteiligten.

1.3

In Ermangelung einer Folgenabschätzung zu dieser Maßnahme und angesichts der Tatsache, dass die ihr zugrunde liegenden vergleichenden Rechtsstudien nur 15 der mittlerweile 27 EU-Mitgliedstaaten berücksichtigen, teilt der Ausschuss zwar die Anliegen der Kommission, hält jedoch die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit für nicht ausreichend belegt und ist der Auffassung, dass ein gleichwertiges Ergebnis auf zufriedenstellende Weise auch durch die einfache punktuelle Änderung von zwei Bestimmungen der Verordnung Brüssel I erreicht werden kann.

1.4

Auch findet der Ausschuss keine logische Begründung für die Beschränkung des Anwendungsbereichs einer solchen Initiative auf die vorläufige Beschlagnahme von Bankguthaben; daher regt er an, diesen Anwendungsbereich auf andere bewegliche Vermögenswerte des Schuldners und mit den nötigen Anpassungen auf Pfändungen nach Erlangen eines Vollstreckungstitels auszuweiten; der Ausschuss hält es als wichtige Voraussetzung für eine solche Initiative für unverzichtbar, dass damit gleichzeitig eine Initiative zur Transparenz von Bankkonten, zu den Informationspflichten, zu Vorschriften über das Bankgeheimnis und zum Datenschutz einhergeht.

1.5

Sollte es als nachweislich erforderlich betrachtet werden, eine solche Maßnahme zu ergreifen, stimmt der EWSA der Kommission dahingehend zu, dass das geeignete Instrument eine Verordnung mit optionalem Charakter wäre, um Bankkonten eines Schuldners vorläufig pfänden zu können, die sich in einem anderen Land als jenem befinden, in dem der Gläubiger seinen Wohnsitz bzw. Sitz hat.

1.6

Für diesen Fall unterbreitet der Ausschuss eine Reihe präziser juristischer Empfehlungen zur Festlegung der Regelung, die ihm für diese Initiative am geeignetsten erscheint, insbesondere, was die Zuständigkeit der Gerichte, die Voraussetzungen für den Erlass des Sicherungsbeschlusses, die Höchstpfändungsbeträge und Freibeträge, Schutzgarantien für den Schuldner und die Mitinhaber von Gemeinschaftskonten mit Einzel- oder gemeinschaftlicher Verfügungsberechtigung, Rechtsmittel und Fristen, die Tragung der Gerichtskosten, die Verpflichtungen und die Verantwortung der Banken, die die fraglichen Konten führen, sowie die ergänzend zueinander anwendbaren Vorschriften des inländischen und des internationalen Privatrechts anbelangt; dadurch will der Ausschuss dem Ersuchen der Kommission um Stellungnahme uneingeschränkt nachkommen.

2.   Inhalt des Grünbuchs

2.1

Mit diesem Grünbuch startet die Kommission eine Konsultation der einschlägigen Akteure über eine bessere Vollstreckung von Geldforderungen und regt an, ggf. ein europäisches System der Bankkontenpfändung zu schaffen.

2.2

Die Kommission stellt zunächst die Schwierigkeiten fest, die bei der zivilrechtlichen Vollstreckung im europäischen Rechtsraum bestehen, da die einschlägigen nationalen Vorschriften uneinheitlich sind, und räumt ein, dass mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel I) (2) „nicht gewährleistet [ist], dass eine auf Sicherung gerichtete Maßnahme wie die in einem einseitigen Verfahren erwirkte Sperrung von Bankkonten in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem diese Maßnahme ergangen ist, anerkannt und vollstreckt wird.“

2.3

Nach Auffassung der Kommission kann diese Lücke insofern Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Unternehmen verursachen, als die Justizsysteme der Länder, in denen die Tätigkeit ausgeübt wird, unterschiedlich effizient sind; dadurch wird das ordentliche Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigt, für das eine Harmonisierung der Effizienz und Geschwindigkeit beim Eintreiben von Forderungen, v.a. Geldforderungen, notwendig ist.

2.4

Die Kommission schreibt folglich: „Eine mögliche Lösung wäre die Einführung eines europäischen Pfändungsbeschlusses, mit dem ein Gläubiger verhindern könnte, dass das Guthaben seines Schuldners, das sich auf einem oder mehreren Bankkonten innerhalb der Europäischen Union befindet, abgehoben oder transferiert wird“, und untersucht daraufhin detailliert, wie eine etwaige rechtliche Regelung aussehen könnte, wozu sie 23 Fragen formuliert.

3.   Rahmen der Initiative

3.1

Diese Initiative passt sich an richtiger Stelle in ein breites Spektrum von Maßnahmen ein, welche die Kommission in der lobenswerten Absicht getroffen hat, einen europäischen Rechtsraum zu schaffen, der hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Aspekte die Vollendung des Binnenmarktes unterstützt (3), insbesondere im Anschluss an die Umformung des Brüsseler Übereinkommens in eine EG-Verordnung (4) und an die Verordnung zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels (5).

3.2

Zwar sind die empirischen Bemerkungen der Kommission zu den Schwierigkeiten der Vollstreckung von Gerichtsurteilen in den verschiedenen Staaten Europas und zu den mangels Harmonisierung auf EU-Ebene unterschiedlichen Regelungen für solche Vollstreckungsverfahren zutreffend — mit den Folgen, die von der Kommission richtig dargestellt werden (6) und die mit der jüngsten Erweiterung um 12 Mitgliedstaaten wohl noch verschlimmert worden sind -; doch hätte die Kommission ihre Initiative in diesem Grünbuch auf die Einhaltung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hin prüfen müssen.

3.3

Das gleiche Ergebnis oder ein Ergebnis mit ähnlicher Wirkung könnte nach Ansicht des Ausschusses vielleicht erzielt werden, indem einige wenige Bestimmungen der Verordnung Brüssel I geändert würden, so dass der Geltungsbereich ausgeweitet, das System insgesamt aber beibehalten würde, wodurch die Materie weniger kompliziert wäre; gedacht wird hier vor allem an die Artikel 31 und 47 (7).

3.4

Auch hätte die Kommission eine vorherige Folgenabschätzung vornehmen und dabei nicht nur die 15 „alten“ Mitgliedstaaten berücksichtigen sollen, deren Lage in der diesem Grünbuch zugrunde liegenden Studie (8) analysiert wurde, sondern alle heutigen EU-Staaten; bei dieser Folgenabschätzung müssen die Maßnahmen angemessen gewichtet werden, die das Vermögen der Schuldner transparenter machen und den unverzichtbaren Zugang zu Informationen über ihre Bankkonten ohne Verletzung des Bankgeheimnisses verschaffen sollen; denn nur eine solche Gesamteinschätzung kann zu einer korrekten Bewertung a) der Notwendigkeit, b) des Umfangs und c) der Rechtfertigung dieser Initiative führen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Die Bemerkungen des EWSA zur vorgeschlagenen Initiative gliedern sich in

a)

allgemeine Bemerkungen zu Grundfragen über Wesen und Umfang der Maßnahme;

b)

besondere Bemerkungen zu Fragen des formalen Verfahrens.

4.2   Vorbemerkung: Begriffe und Definitionen

4.2.1

Da ein Grünbuch der etwaigen Verabschiedung eines Rechtsinstruments, höchstwahrscheinlich einer EG-Verordnung, vorausgeht, müssen die verwendeten Begriffe — die später die verfahrensrechtliche Maßnahme definieren sollen — in allen Amtssprachen sehr sorgfältig und juristisch korrekt gewählt werden.

4.2.2

In mindestens fünf Sprachfassungen (9) ist jedoch die von der Kommission gewählte Bezeichnung der ggf. wünschenswerten Sicherungsmaßnahme weder eindeutig noch gleichbedeutend und kann hinsichtlich ihrer Rechtsnatur zu juristischen Verwechslungen führen. Angesichts der Rechtsnatur der Maßnahme muss die Kommission unverzüglich für eine Korrektur der Übersetzungen sorgen, um Unsicherheiten zu vermeiden, die allein auf die unzutreffende Terminologie zurückzuführen sind (10).

4.2.3

Aus der Beschreibung der geplanten Regelung — Notwendigkeit der „Glaubhaftmachung des Anspruchs“ und von „Gefahr im Verzug“ — und des Zwecks — Einfrieren oder Sperren von Bankguthaben bis zum endgültigen Urteil und zur zivilrechtlichen Vollstreckung des Eintreibens von Geldforderungen (die offenkundig zivil- und handelsrechtlicher Natur sind und nicht aus einem strafrechtlichen Verfahren resultieren) — ist zu schließen, dass es sich um eine Sicherungsmaßnahme, eine vorbeugende Beschlagnahme, handelt.

4.3   Anwendungsbereich der Maßnahme (11)

4.3.1

Allerdings wirft der Ausschuss die Frage auf, warum der Anwendungsbereich dieser Sicherungsmaßnahme auf „Bankkonten“ beschränkt sein soll.

4.3.2

Bei einer Vollstreckung von Geldforderungen, die naturgemäß universell gilt, haftet der Schuldner mit seinem gesamten Vermögen mit Ausnahme des Freibetrags. Eine Sicherungsmaßnahme wie die geplante könnte auch andere Vermögenswerte des Schuldners umfassen, die beschlagnahmt werden könnten (u. a. Schuldverschreibungen, Aktien, Obligationen und sonstige Rechte und Forderungen gegenüber Dritten), also nicht nur Einlagen auf Bankkonten oder in anderen Finanzinstitutionen, denn es scheint nicht allzu schwierig zu sein, den Anwendungsbereich der Maßnahme zumindest auf bewegliche, nicht registrierungspflichtige Güter und Forderungsrechte des Schuldners auszudehnen (einschl. Aktien, Obligationen, Mieteinnahmen, Forderungen an Dritte usw.), d. h. auf bewegliche Güter, die unmittelbar mit einem Bankkonto verbunden sind.

4.3.3

Auch scheint es nicht gerechtfertigt, den Anwendungsbereich dieses Gemeinschaftsinstruments ausschließlich auf die vorläufige Sperrung von Bankkonten zu beschränken, anstatt ihn — was vorteilhaft wäre — mit den nötigen Anpassungen auf die Pfändung von Bankguthaben nach Erlangen eines Vollstreckungstitels auszuweiten, denn auch hier können ebensolche Schwierigkeiten bei der Beschlagnahme oder durch das Verschwindenlassen von Wertsachen, die die vorgeschlagene Maßnahme rechtfertigen, auftreten.

4.3.4

Die Kommission muss dies gebührend abwägen sowie den Nutzen und die Kosten einer solchen Maßnahme rechtfertigen, die sich ausschließlich auf die vorläufige Beschlagnahme von Bankguthaben des Schuldners beziehen soll.

4.4   Zeitpunkt der Beantragung dieser Maßnahme

4.4.1

Aufgrund ihrer oben definierten Natur ist die Frage des Zeitpunkts der Beantragung der fraglichen Sicherungsmaßnahme schnell beantwortet. Nach den besten juristischen Verfahrensweisen muss eine solche Sicherungsmaßnahme jederzeit während des betreffenden Gerichtsverfahrens beantragt werden können, insbesondere vor Beginn des Hauptverfahrens, nämlich als vorbereitende und vorbeugende Maßnahme genau da, wo ihr praktischer Nutzen am größten ist.

4.4.2

Selbstverständlich müssen besondere Gegebenheiten berücksichtigt werden, je nachdem, ob das Sicherungsverfahren stattfindet, bevor das Hauptverfahren beschlossen wurde, oder nachdem eine den Anspruch bestätigende Entscheidung erreicht wurde, ob noch vor oder während eines Vollstreckungsverfahrens — oder je nachdem, ob gegen das erstinstanzliche Urteil bei höheren Gerichten Berufung eingelegt wurde oder nicht, oder wenn der Vollstreckungstitel nicht die Form eines Urteils hat (Wechsel, Solawechsel, Scheck oder sonstiger vollstreckbarer Titel).

4.5   Zuständigkeit des Gerichts

4.5.1

Gewissermaßen ergibt sich auch die Antwort auf die Frage, welches Gericht für die Beurteilung und Verhängung der Sicherungsmaßnahme zuständig ist, aus den obigen Ausführungen. Zuständig wird natürlich jenes Gericht sein, das in der Hauptsache entscheidet, nachdem das Verfahren schon eingeleitet ist, bzw. die Vollstreckung schon beantragt ist.

4.5.2

Zuständig muss jedoch auch das Gericht an dem Ort sein, wo sich die Bankkonten befinden, wenn die Sicherungsmaßnahme vor der Klageerhebung/Beantragung der Vollstreckung beantragt wird. In diesem Fall muss jedoch vorgesehen werden, dass das schon beschlossene Sicherungsverfahren an das in der Hauptsache zuständige Gericht verwiesen wird, sobald die Hauptklage erhoben/der Hauptantrag auf Vollstreckung gestellt wird; dieses zuständige Gericht muss, auch wenn es sich in einem anderen Staat befindet, dies unverändert und ohne Anerkennungsverfahren akzeptieren (12).

4.6   Voraussetzungen für einen Sicherungsbeschluss

4.6.1

Aus der Natur dieser Maßnahme ergibt sich die Notwendigkeit, die Voraussetzungen zu gewährleisten, die die Kommission unter Ziffer 3.2 des Grünbuchs sehr zu Recht festlegt, nämlich die „Glaubhaftmachung des Anspruchs“ und die „Gefahr im Verzug“. Wenn jedoch bereits ein Gerichtsurteil oder ein sonstiger Vollstreckungstitel vorliegt, muss lediglich die „Gefahr im Verzug“ nachgewiesen werden, d. h. die dringende Notwendigkeit, den dinglichen Arrest vorzunehmen.

4.6.2

Es scheint ratsam vorzusehen, dass der Gläubiger als Voraussetzung für die Zulässigkeit seines Antrags auf Anordnung der Sicherungsmaßnahme nachweisen muss, dass er sich in vertretbarem Maße darum bemüht hat, dass der Schuldner seine Schuld freiwillig begleicht, wenn auch auf außergerichtlichem Wege.

4.6.3

Dass keine vorherige Anhörung des Schuldners erforderlich ist, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Effizienz der Maßnahme, wobei jedoch ggf. eine vom Richter festgelegte Kaution zu entrichten ist, um Schäden aufgrund der etwaigen Aufhebung der Maßnahme im Hauptverfahren oder im Berufungsverfahren (wenn dieses keine aufschiebende Wirkung hat) abzudecken — Voraussetzung ist, dass die Maßnahme getroffen wird, bevor ein endgültiges Urteil vorliegt.

4.7   Höhe des zu sichernden Betrags und des Freibetrags

4.7.1

Der durch den dinglichen Arrest zu sichernde Betrag muss auf die Höhe der angeblichen fälligen und nicht beglichenen Geldschuld sowie die bis zur Einreichung des Antrags auf Kontensperrung angefallenen (vertraglichen oder gesetzlichen) Verzugszinsen begrenzt werden.

4.7.2

Angesichts des schweren Eingriffs, den ein Einfrieren von Bankguthaben darstellt, wird es nicht als legitim erachtet, im Rahmen einer solchen, notwendigerweise vorläufigen Sicherungsmaßnahme irgendwelche sonstigen Beträge wie laufende Zinsen, Anwaltskosten, Gerichtskosten, Bankgebühren usw. zu berücksichtigen.

4.7.3

Dem EWSA ist bewusst, dass die Umsetzung eines solchen Systems den Banken erhebliche Zusatzkosten verursachen kann. Dennoch scheint es nicht gerechtfertigt, diese Kosten den Beträgen hinzuzufügen, die auf den etwaigen Bankkonten des mutmaßlichen Schuldners eingefroren werden. Einzelstaatliche Vorschriften müssen festlegen, wie die Bankkosten gehandhabt werden und ob sie von dem Gläubiger, der dieses Verfahren nutzt, getragen werden müssen; diese Bankkosten werden ebenso wie die Gerichtskosten am Ende des Verfahrens berechnet.

4.7.4

Auch muss in dem Gemeinschaftsinstrument festgelegt werden, wie die Arrestfreigrenzen zu bestimmen sind, um (sofern es sich um eine natürliche Person handelt) den Mindestbedarf für den Lebensunterhalt des Schuldners und seiner Familie zu decken, der durch die Sicherungsmaßnahme gefährdet werden könnte.

4.7.5

Die Bank muss das Gericht nach der Vollstreckung der Maßnahme informieren, sofern der Arrest nur beschränkt durchgeführt werden kann, und dabei mitteilen, um was für ein Konto des Schuldners es sich handelt (Gehaltskonto, Sparkonto, Immobilienkreditkonto), was für Einkünfte auf dieses Konto kommen (Löhne und Gehälter, Dienstbezüge, Honorare für Freiberufler, Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, Mieteinnahmen, Pensionen, Unternehmensbeteiligungen usw.) und welche Ausgaben über dieses Konto getätigt werden (Immobilienkredit, Fahrzeugleasing, Miete, Verbraucherkredit, Unterhaltszahlungen usw.), und zwar entsprechend den Vorschriften des Landes, in dem sich das Bankkonto befindet, und insofern ihr die Art dieser Einkünfte und Ausgaben bekannt ist.

4.8   Konten von Dritten

4.8.1

Auch wird es nicht als legitim erachtet, den Anwendungsbereich der Sicherungsmaßnahme auf Konten von Dritten auszuweiten. Wenn nicht genau festgestellt werden kann, welchen Anteil der Schuldner an dem Konto hat, ist zu vermuten, dass die Inhaber zu gleichen Teilen beteiligt sind.

4.8.2

Des weiteren scheint es nicht hinnehmbar, dass für ein und denselben Betrag mehrere Konten haften, ein Problem, das zugegebenermaßen schwer zu lösen ist, wenn es sich um Konten in verschiedenen Ländern handelt und beim jeweils zuständigen Gericht eine Sicherungsmaßnahme beantragt wird; in diesem Fall kann das einzelne Gericht solange nicht wissen, dass dieselbe Maßnahme bei einem anderen Gericht beantragt wurde, bis alle Verfahren zentral bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht zusammenlaufen.

4.8.3

Daher wird es als wesentlich betrachtet, dass diese Initiative mit der Festlegung klarer Informationspflichten bezüglich des Antragstellers und der jeweiligen Banken einhergeht; notwendig ist auch die Verpflichtung zur Zusammenarbeit zwischen Banken und Gerichten in den verschiedenen Mitgliedstaaten, wobei die Privatsphäre, der Datenschutz und das Bankgeheimnis zu achten sind, wie es im übrigen richtig in der o.g. Studie heißt, auf der das Grünbuch beruht.

4.8.4

Beispielsweise könnte festgelegt werden, die sichergestellten Beträge nachträglich zu reduzieren, sobald die Informationen der verschiedenen Banken eingehen (wenn mehr als eine Bank betroffen ist); dies könnte innerhalb einer kurzen, noch festzulegenden Frist erfolgen.

4.9   Gewährleistung der Rechte des Schuldners

4.9.1

Der Schuldnerschutz muss gewährleistet werden, indem der Schuldner das Recht erhält, den Sicherungsbeschluss innerhalb einer vernünftigen Frist, die nicht kürzer als 20 Kalendertage sein sollte, anzufechten und dabei nachzuweisen, dass

a)

die Schuld nicht oder nur zum Teil besteht;

b)

keine Gefahr in Verzug ist;

c)

der sichergestellte Betrag unrichtig ist;

d)

die Maßnahme dem Schuldner (bei natürlichen Personen) nicht den Mindestbedarf für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie lässt.

4.9.2

Zu diesem Zweck ist vorzusehen, dass der Schuldner vom zuständigen Gericht benachrichtigt wird, sobald feststeht, dass ein ausreichender Betrag eingefroren wurde, nachdem die Bank zur Sperrung des Kontos bis zur Höhe des angeblich geschuldeten Betrages verpflichtet wurde. Die gleiche Information muss die Bank dem Schuldner unmittelbar nach Einfrieren des Kontos nach den vom Gericht festgelegten Bedingungen zukommen lassen.

4.9.3

In dem EU-Instrument müssen auch die Schutzmaßnahmen und die Grundlagen/Gründe der Anfechtung/des Rechtswegs vorgesehen werden; diese sind EU-weit zu harmonisieren, damit gleiche Gegebenheiten von allen zuständigen Gerichten gleich ausgelegt werden und die Verteidigung die gleichen Rechte hat. Eine wichtige Frage wird sein, ob die Rechtsmittel aufschiebende Wirkung haben sollen oder nicht und welches Gericht dafür zuständig ist, dies zu entscheiden, sofern nicht die Gerichtsbarkeit desselben Landes für das Ergreifen der Maßnahme und für das Urteilen in der Sache zuständig ist.

4.9.4

Wichtig ist auch eine Verfallsfrist ab dem Tag, an dem der Gläubiger von der Durchführung der Maßnahme unterrichtet wird, bis zur Aufnahme des Hauptverfahrens oder bis zum Antrag auf ein Vollstreckungsurteil: als angemessen wird eine Frist von 60 Kalendertagen angeregt, unabhängig von dem Sicherungsbeschluss.

4.10   Das EU-Instrument und seine Rechtsform

4.10.1

Im Grünbuch stellt die Kommission nicht klar, welches Rechtsinstrument sie zur Durchführung ihrer Initiative einsetzen will. Angesichts der gesteckten Ziele, um Gleichbehandlung in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu gewährleisten und im Übrigen auch aufgrund der Analogie mit ähnlichen Instrumenten im europäischen Rechtsraum sollte dieses Instrument nach Ansicht des EWSA die Form einer Verordnung haben.

4.10.2

Eine andere, aber eng mit der letztgenannten verbundene Frage ist der Anwendungsbereich. Die Kommission wäre gut beraten, wenn sie bei dieser notwendigen Maßnahme ebenso wie bei ähnlichen Instrumenten beschlösse, dass das fragliche Verfahren ausschließlich auf grenzüberschreitende Fälle Anwendung findet und optionalen Charakter hat („28. Regelung“), so dass den Gläubigern die Wahl bleibt zwischen dem harmonisierten EU-Instrument oder alternativ dazu dem weiterhin möglichen Weg der anwendbaren Bestimmungen des internationalen Privatrechts.

4.11   Kosten

Der EWSA regt an, die Kosten nach Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zu regeln, ggf. mit den erforderlichen Anpassungen (13).

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Zu rein formalen Fragen ist der EWSA der Auffassung, dass das Exequatur-Verfahren bei der Anordnung der Sicherungsmaßnahme abgeschafft werden sollte, welches Gericht auch immer zuständig ist.

5.2

Des Weiteren sollte nach dem Dafürhalten des EWSA die Zustellung des Gerichts an die Bank und den angeblichen Schuldner ohne unnötige Formalitäten auskommen, wenn nur die Echtheit des Dokuments und die Identität des Schuldners gewährleistet sind, wobei die bereits existierende Regelung in der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 als für diesen Zweck geeignet erscheint (14). Welche Konten zu beschlagnahmen sind, muss so genau wie möglich festgelegt werden, um einen allgemeinen Sicherungsbeschluss zu vermeiden.

5.3

Auch ist der EWSA der Auffassung, dass der Beschluss des zuständigen Gerichts von der Bank so ausgeführt werden muss, wie er formuliert ist, unbeschadet der bereits laufenden, gerechtfertigten Buchungen, insbesondere vorher eingegangene Verpflichtungen, die durch Wechsel, Solawechsel oder Schecks garantiert sind, sowie Verpflichtungen gegenüber vorrangigen Gläubigern wie dem Staat, der Sozialversicherung oder Arbeitnehmern. Auf jeden Fall muss die Bank den Saldo zugrunde legen, der am Tag des Eingangs des Sicherungsbeschlusses bestand, und sich so organisieren, dass das Konto „ipso facto“ gesperrt wird, auch wenn der Beschluss außerhalb der Geschäftszeiten auf elektronischem Weg eintrifft; die Bank haftet bei Fahrlässigkeit für Abbuchungen, die nach diesem Zeitpunkt erfolgen.

5.4

Nach Auffassung des EWSA muss die Bank dem Gericht unverzüglich mitteilen, auf welche Weise der Beschluss umgesetzt wurde; diese Mitteilung kann auch auf elektronischem Weg erfolgen.

5.5

Der EU-Rechtsakt braucht keine spezifischen Regeln für den Fall zu enthalten, dass mehrere Gläubiger auf dasselbe Bankkonto zugreifen wollen; der EWSA ist dafür, die einzelstaatlichen Gesetze anzuwenden.

5.6

Zu der Frage der Umwandlung der Sicherungsmaßnahme in eine vollstreckbare Maßnahme ist der EWSA der Auffassung, dass sich dies — in Übereinstimmung mit den anwendbaren allgemeinen Kollisionsregeln — nach dem Recht des Staates richten sollte, der für diese Vollstreckung zuständig ist.

5.7

Und schließlich macht der Ausschuss die Kommission insbesondere darauf aufmerksam, dass ein Mechanismus für die Übersetzung der für die Durchführung dieser Maßnahme erforderlichen Dokumente vorgesehen werden muss, ähnlich wie in Artikel 21 Absatz 2 Buchstabe b) der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 vom 12. Dezember 2006 beschrieben.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  SEK(2006) 1341.

(2)  Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I), in ABl. L 12 vom 16.1.2001. Berichterstatter für die diesbezügliche EWSA-Stellungnahme war Herr Malosse (CES 233/2000 vom 1. März 2000, in ABl. C 117 vom 26.4.2000).

(3)  Dabei sind u. a. folgende Dokumente zu erwähnen:

Mitteilung der Kommission „Aktionsplan für den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“ vom 14.2.1996 (KOM(96) 13 endg.)

Mitteilung der Kommission „Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union“ (KOM(97) 609 endg., in ABl. C 33 vom 31.1.1998)

Grünbuch „Zugang der Verbraucher zum Recht und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“ (KOM(93) 576 endg.)

„Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht“ (KOM(2002) 196 endg. vom 19.4.2002)

„Empfehlung der Kommission vom 12. Mai 1995 über die Zahlungsfristen im Handelsverkehr“ und die diesbezügliche Mitteilung der Kommission, in ABl. L 127 vom 10.6.1995 und ABl. C 144 vom 10.6.1995

Richtlinie 98/27/EG vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, in ABl. L 166 vom 11.6.1998

Richtlinie 2000/35/EG vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, in ABl. L 200 vom 8.8.2000

„Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ (Brüssel I), in ABl. L 12 vom 16.1.2001; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Malosse (CES 233/2000 vom 1.3.2000, in ABl. C 117 vom 26.4.2000)

Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, in ABl. L 143 vom 30.4.2004; Berichterstatter für die diesbezügliche EWSA-Stellungnahme war Herr Ravoet (CESE 1348/2002 vom 11.12.2002, in ABl. C 85 vom 8.4.2003)

„Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen“, in ABl. L 174 vom 27.6.2001; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Hernández Bataller (CES 228/2001 vom 28.2.2001, in ABl. C 139 vom 11.5.2001)

„Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“, in ABl. C 12 vom 15.1.2001

„Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren“, in ABl. L 160 vom 30.6.2000; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Ravoet (CES 79/2001 vom 26.1.2001, in ABl. C 75 vom 15.3.2000)

„Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten“, ebenda; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Braghin (CES 940/1999 vom 20.10.1999, in ABl. C 368 vom 20.12.1999)

„Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten“, ebenda; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Hernández Bataller (CES 947/1999 vom 21.10.1999, in ABl. C 368 vom 20.12.1999)

„Entscheidung des Rates vom 28. Mai 2001 über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen“, in ABl. L 174 vom 27.6.2001; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Retureau (CES 227/2001 vom 28.2.2001, in ABl. C 139 vom 11.5.2001)

Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 vom 12.12.2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399 vom 30.12.2006); Berichterstatter für den entsprechenden Verordnungsvorschlag (KOM(2004) 173 endg. vom 19.3.2004) war Herr Pegado Liz (CESE 133/2005 vom 22.2.2005, ABl. C 221 vom 8.9.2005)

Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (KOM(2005) 87 endg. vom 15.3.2005); Berichterstatter für die diesbezügliche EWSA-Stellungnahme war Herr Pegado Liz (CESE 243/2006 vom 14.2.2006).

(4)  Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000; Berichterstatter für die EWSA-Stellungnahme zum Verordnungsvorschlag war Herr Malosse (in ABl. C 117 vom 26.4.2000).

(5)  Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21.4.2004; Berichterstatter für die EWSA-Stellungnahme (CESE 1348/2002 vom 11.2.2002) zum Verordnungsvorschlag (KOM(2002) 159 endg. vom 27.8.2002) war Herr Ravoet (in ABl. C 85 vom 8.4.2003).

(6)  Insbesondere in ihrer Mitteilung „Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union“ (ABl. C 33 vom 31.1.1998).

(7)  Der Wortlaut dieser beiden Artikel ist sehr allgemein, weshalb die Auslegung infolge der Rechtsprechung — insbesondere in der Rechtssache Denilauler (Grundsatzurteil C-125/70 vom 21.5.1980, Slg., S. 1553) in Bezug auf Artikel 31 — zu übernehmen ist. Fragen im Zusammenhang mit dem Fristversäumnis, den Exequatur-Verfahren, den Verfahrensbedingungen (Überprüfung der Aspekte „Glaubhaftmachung des Anspruchs“ und „Gefahr im Verzug“), den Verteidigungsmitteln/-garantien und den Pfändungsbeträgen/-befreiungen könnten Gegenstand dieser Artikel sein, sodass ihr Geltungsbereich ausgeweitet und den Zielen des Kommissionsvorschlags Rechnung getragen wird.

(8)  Um den Inhalt dieses Grünbuchs vollständig zu verstehen, sollte man nicht nur das Arbeitsdokument der Kommission (SEK (2006) 1341 vom 24.10.2006) heranziehen, sondern auch die Studie Nr. JAI/A3/2002/02 in ihrer überarbeiteten Fassung vom 18.2.2004, die von Prof. Dr. Burkhard Heß, Direktor des Instituts für Internationales Privatrecht der Universität Heidelberg, erstellt wurde und unter

http://europa.eu.int.comm/justice_home/doc_centr/civil/studies/doc_civil_studies_en.htm zu finden ist.

(9)  Der Berichterstatter bedauert, der übrigen Sprachen nicht mächtig zu sein.

(10)  So ist der [englische] Begriff „attachment“ auch im juristischen Sinne nicht eindeutig, denn er kann im Portugiesischen mit „penhora“ [Pfändung] oder „arresto“ [Beschlagnahme] wiedergegeben werden. Auch im Englischen wäre es aufgrund der Rechtsnatur der vorgesehenen Maßnahme besser gewesen, den Begriff „arrestment“ [Beschlagnahme] oder „freezing order“ [dinglicher Arrest] zu verwenden, um ihn vom Begriff „garnishment“ [Pfändung] zu unterscheiden. Die italienische Übersetzung „sequestro conservativo“ [Sicherungsbeschlagnahme] gibt den vorbeugenden und sicherungsbezogenen Charakter der Maßnahme korrekt wieder; der französische Begriff „saisie“ [Pfändung/Beschlagnahme] mit dem Zusatz „délivrée par un tribunal siégeant en référé“ [„von einem Verfügungsrichter beschlossen“] erfüllt den Zweck; der spanische Begriff „embargo“ [Pfändung, Beschlagnahme] gibt den Zweck der Maßnahme unzureichend wieder. Jedenfalls ist „penhora“ im Portugiesischen völlig falsch und sollte durch „arresto“ ersetzt werden.

(11)  U.E. sollte der Anwendungsbereich auf Privat- und Geschäftsschulden beschränkt werden.

(12)  s. Urteil Van Uden Maritime B. V. des EuGH vom 17.11.1998, Az. C-391/95 (Sammlung der Rechtssprechung 1998, S. I-07091).

(13)  Artikel 7 („Kosten in Verbindung mit dem gerichtlichen Verfahren“) lautet: „Umfasst eine Entscheidung eine vollstreckbare Entscheidung über die Höhe der mit dem gerichtlichen Verfahren verbundenen Kosten, einschließlich Zinsen, wird sie auch hinsichtlich dieser Kosten als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt, es sei denn, der Schuldner hat im gerichtlichen Verfahren nach den Rechtsvorschriften des Ursprungsmitgliedstaats der Verpflichtung zum Kostenersatz ausdrücklich widersprochen“.

(14)  Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 vom 29.5.2000, in ABl. L 160 vom 30.6.2000.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vereinfachung des Regelungsumfeldes für den Maschinenbau“

(2008/C 10/03)

Die Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Frau Margot WALLSTRÖM und Herr Günter VERHEUGEN, beschlossen am 8. Januar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um eine Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen: „Vereinfachung des Regelungsumfeldes für den Maschinenbau“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 18. Juli 2007 an. Berichterstatter war Herr IOZIA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 138 gegen 2 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die europäische Maschinenbauindustrie ist eine Spitzen- und Schlüsselindustrie der europäischen Wirtschaft. Im Jahr 2006 wurde von über 130 000 Maschinenbauunternehmen, die mehr als ein Drittel ihrer Produktion exportieren, ein Gesamtumsatz von mehreren 100 Mrd. EUR erzeugt. In der Maschinenbauindustrie und in der elektromechanischen Industrie, die eine bedeutsame Wertschöpfung aufweisen, sind in der EU über vier Mio. hochqualifizierte Arbeitnehmer beschäftigt.

1.2

Der Maschinenbau und die elektromechanische Industrie können dank ständiger Fortbildung, dem Austausch von Erfahrungen und bewährter Verfahren, der Bewahrung einer sehr hohen Wettbewerbsfähigkeit sowie ihrer Fähigkeit zur Durchdringung der Weltmärkte mehr als andere Branchen dazu beitragen, die Ziele der Lissabon-Agenda zu erreichen.

1.3

Der Ausschuss unterstützt die Initiative der Kommission zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Branche und zur Verbesserung des rechtlichen Bezugsrahmens mittels einer besseren und wirksameren Regulierung, die der durch die Existenz zehntausender kleiner und mittlerer Unternehmen gekennzeichneten Realität dieser Branche Rechnung trägt. „Bessere Rechtsetzung“ bedeutet — zumindest für diese Branche — keine Rechtsvorschriften zu erlassen, sondern einen stabilen, transparenten und leicht anwendbaren Regelungsrahmen zu schaffen, der mit möglichst geringen Verwaltungskosten einhergeht.

1.4

Der Ausschuss begrüßt es, von der Kommission mit der sensiblen Aufgabe betraut worden zu sein, im Rahmen der Aktivitäten der Gesetzgebungsorgane für eine bessere und einfachere Rechtsetzung mit möglichst breitem Konsens die Bereiche für die Vereinfachung der bestehenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften auszumachen.

1.5

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass gegenwärtig verschiedene für die Branche relevante Gesetzgebungsinitiativen erarbeitet werden. Dabei gilt es, die diversen, auf dem Spiel stehenden Interessen — wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Natur — in Einklang zu bringen. Die Vollendung des Binnenmarkts darf nicht andere Interessen beeinträchtigen, die vor dem Hintergrund der Ziele der Lissabon-Agenda besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, wie z. B. die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer, der Verbraucherschutz und der Umweltschutz. Nach Auffassung des Ausschusses bedarf es für die verschiedenen Initiativen einer integrierten und koordinierten Strategie.

1.6

Der Ausschuss begrüßt die in der Mitteilung vom 17. Februar 2007 enthaltenen Vorschläge der Kommission zur Änderung des neuen Ansatzes und zur Stärkung der Rolle der Mitgliedstaaten bei der Marktüberwachung, die für diesen Zweck nicht immer ausreichende Mittel zur Verfügung stellen. Der Ausschuss hofft, dass das Personal der Kommission aufgestockt wird, das zuständig ist für die Tätigkeiten der Koordinierung und Überwachung sowie in einigen Fällen auch für die Kontrolle der Akkreditierungsmodalitäten, der Tätigkeit der Notifizierungsstellen und der Qualität ihrer Zertifizierungen. Es gilt, eine „Kommunikationsplattform“ für Akteure und Mitgliedstaaten zu schaffen, die angemessen und im Einklang mit den Zielen der Richtlinien und der Gemeinschaftspolitik handeln müssen und nach und nach die Konvergenz der Marktüberwachungssysteme und -modelle verwirklichen.

1.7

Der Ausschuss fordert, alle im Bereich der Normung betroffenen Akteure in die Lage zu versetzen, dass sie bereits in der Vorphase an der Definition der Normen teilnehmen können. Dafür sollte sowohl die Beteiligung an den technischen Ausschüssen, vor allem auf lokaler Ebene, als auch die Folgenabschätzungen verstärkt werden, ohne übermäßig auf Konsultation via Internet zurückzugreifen. Dies ist zwar ein nützliches Mittel, darf aber — insbesondere in diesem Bereich — nicht die einzige Art der Anhörung von Interessenvertretern sein.

1.8

Was die „harmonisierte“ Normierung betrifft, ist der Ausschuss der Auffassung, dass sie insbesondere für KMU kostenlos oder zu einem symbolischen Preis verfügbar sein muss. Er verweist auf die Ungleichbehandlung zwischen Unternehmen aus Ländern, in deren Sprache die Normen verfasst werden (Englisch, Französisch und gelegentlich Deutsch) und den Unternehmen anderer Länder, die mitunter erhebliche Übersetzungskosten zu tragen haben.

1.9

Der Ausschuss unterstreicht, dass alle nicht gerechtfertigten Verwaltungskosten beseitigt und die Belastungen für das Produktionssystem deutlich gesenkt werden müssen.

1.10

Der Ausschuss legt der Kommission nahe, die Notwendigkeit einer stabilen Lösung für die Normung gebührend zu berücksichtigen und auch die Empfehlungen seitens der Akteure und der wichtigsten Interessenvertreter aufzugreifen. Was den Rechtsrahmen und die entsprechende Rechtsgrundlage betrifft, empfiehlt der Ausschuss der Kommission, vor dem Erlass einer Rechtsvorschrift zu prüfen, ob dieselben Ziele nicht auf andere Art und Weise erreicht werden können, z. B. im Zuge der Selbst- oder Ko-Regulierung, sofern die Transparenz und die Beteiligung aller betroffenen Seiten möglichst umfassend gewährleistet ist, sowie immer von dem Hauptgegenstand der Norm und ihres Inhalts als dem entscheidenden Grund für die Wahl des jeweiligen Artikels des Vertrags als Rechtsgrundlage auszugehen.

1.11

Der Ausschuss fordert die Beseitigung der technischen Hindernisse für die Vollendung des Binnenmarkts. Ungerechtfertigte einzelstaatliche oder regionale Bestimmungen sind effektive und unüberwindbare Hindernisse für den freien Warenverkehr.

1.12

Der Ausschuss empfiehlt, vor dem Erlass künftiger Rechtsvorschriften nicht nur stets eine sorgfältige Folgenabschätzung vorzunehmen und die Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, sondern auch in der Folge eine ausgesprochen strikte Kontrolle durchzuführen, um Beeinträchtigungen vorzubeugen, die für die Zukunft der Unternehmen dieser Branche fatal sein könnten.

1.13

Der europäische soziale Dialog auf sektoraler Ebene spielt bei der Ermittlung aller gemeinsamen Initiativen zur Förderung der Beschäftigung und der Wettbewerbsfähigkeit dieser Branche eine zentrale Rolle. Dabei sind die unverzichtbaren Grundsätze der Sicherheit der Arbeitnehmer, der Bürger und der Umwelt stets zu beachten. Die Verfahren im Rahmen der sozialen Unternehmensverantwortung können diesen ständigen Dialog zwischen Unternehmen und Interessenvertretern erleichtern, um unsachgemäße Verwendung zu vermeiden, die Bewusstseinsbildung und die ständige Weiterbildung zu fördern und zu einem positiven Verhältnis zu Bezugsgebiet und Endverbraucher zu gelangen.

2.   Inhalt des Ersuchens der Kommission

2.1

Die Europäische Kommission hat auf Initiative der Vizepräsidenten WALLSTRÖM und VERHEUGEN den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme ersucht, um die Gesamtkohärenz der rechtlichen Rahmenbedingungen eines Industriesektors — des Maschinenbaus — zu untersuchen und Spielräume für mögliche Vereinfachungen auszumachen. Die Untersuchung sollte sich nicht auf die sektorspezifischen Rechtsvorschriften beschränken, sondern sich mit dem gesamten Regelungsumfeld des Maschinenbausektors befassen.

2.2

Im Hinblick auf die Mitwirkung der betroffenen Akteure am Vereinfachungsprozess — insbesondere in Bezug auf das Aufzeigen derjenigen Vorschriften, die bei der Umsetzung besondere Probleme bereiten — anerkennt die Kommission, dass der Ausschuss über beachtliche und umfangreiche Erfahrungen verfügt, eine wirklich pluralistische Zusammensetzung aufweist und deshalb ideal dafür geeignet ist, die Standpunkte der wirtschaftlichen Akteure, der Arbeitnehmer und der Zivilgesellschaft in Europa darzulegen und zusammenzufassen.

2.3

Angesichts der vom Ausschuss mittels zahlreicher Stellungnahmen zur besseren Rechtsetzung und zur Vereinfachung erworbenen Erfahrung (1) sowie angesichts von Artikel 8 des „Protokolls über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und dem EWSA“ wird der Ausschuss von der Kommission mit dieser wichtigen Aufgabe betraut. Für den Fall, dass diese Arbeit des Ausschusses positive Ergebnisse hervorbringt, hat die Kommission in Aussicht gestellt, in zahlreichen anderen, für die Agenda für die Verbesserung der Rechtsetzung der Kommission und des Ausschusses relevanten Fällen erneut ein solches Ersuchen zu stellen.

2.4

Die Kommission hat anschließend ihren Standpunkt verdeutlicht und dargelegt, dass bessere Rechtsetzung nicht verminderten Rechtsschutz bedeutet, sondern dass das Schutzniveau für Arbeitnehmer, Verbraucher und für die Umwelt mindestens gewahrt bleiben muss und das Ziel darin liegt, einen Rechtsrahmen zu gewährleisten, der eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ermöglicht.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Vorneweg sei gesagt, dass der Ausschuss großes Interesse an der Aufgabe hegt, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu finden und einen Vorschlag zur Verbesserung und Vereinfachung des bestehenden regulatorischen und gesetzlichen Rahmens vorzulegen. Der große Vorteil der Ausschussmethode liegt in dessen Fähigkeit, den Entscheidungsprozess durch die Suche nach einem möglichst breiten Konsens zwischen den — unterschiedlichen Interessen verpflichteten — Vertretern der Zivilgesellschaft zu beeinflussen. Das eindeutige Eintreten für die Grundsätze und Werte der Gemeinschaft sowie seine durch Ausgewogenheit, Qualität und Innovation gekennzeichneten Stellungnahmen machen den Ausschuss zu einem bedeutsamen und starken Gesprächspartner der europäischen Institutionen. Das Ersuchen der Kommission bietet für alle im Ausschuss vertretenen Bereiche der Gesellschaft den Anreiz, um nicht zu sagen die Herausforderung, dieses Unterfangen zum Erfolg zu führen und dadurch die Funktion der Begegnung, der Diskussion und des Dialogs, die der organisierten Zivilgesellschaft in den Verträgen zuerkannt wird, zu betonen.

3.2

Die Möglichkeit für den Ausschuss, vorab die Aktionsbereiche für die Verbesserung des Regelungsumfelds zu benennen, ist ein neuer Ansatz und eröffnet neue Möglichkeiten für die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Institutionen. Es liegt auf der Hand, dass alle betroffenen Seiten — jede für ihren Teil — der Kommission bereits ihre Bedürfnisse und Erwartungen mitgeteilt haben. Produktionsbetriebe, Anwender, Arbeitnehmer, Verbraucher, Normungsgremien und Behörden haben bereits dargelegt, wie sie die bestehenden Vorschriften „verbessert“ sehen möchten. Die bislang angewandten Konsultationsverfahren haben allerdings kein detailliertes Gesamtbild der verschiedenen Interessen ergeben, was bei den Beteiligten mitunter den Eindruck entstehen ließ, nicht angemessen berücksichtigt worden zu sein.

3.3

Der Ausschuss kann eine solche Synthese hervorbringen, zum einen aufgrund seiner zahlreichen und wertvollen Erfahrungen, zum andern mittels seiner weit verzweigten und einflussreichen Beziehungen, über die seine Mitglieder wertvolle Einblicke erlangen können. Der Ausschuss hat dieses Thema bereits in seiner Initiativstellungnahme zum Thema „Der industrielle Wandel im Maschinenbausektor“ (2) angeschnitten.

3.4

Der Ausschuss stellt fest, dass verschiedene Initiativen im Bereich der EU-Vorschriften für das herstellende Gewerbe und insbesondere für den Maschinenbau bereits laufen oder angekündigt wurden. In diesen Initiativen werden komplexe Fragen unterschiedlicher Natur aufgeworfen. Es scheint sinnvoll, diese Probleme zu untersuchen, um die verschiedenen, durch das Gemeinschaftsrecht geschützten Interessen berücksichtigen zu können: freier Warenverkehr, Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer, Verbraucherschutz, Umweltschutz sowie die Ziele der Lissabon-Strategie in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht. Diese Regelungen stützen sich auf verschiedene Rechtsinstrumente, und eine derartige Untersuchung wurde bislang noch nicht durchgeführt. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass es nun wirklich an der Zeit ist, diesen gesamten Bereich einer einheitlichen und strukturierten Lösung zuzuführen.

3.5

Das Gemeinschaftsrecht für den Bereich der Herstellung und des Vertriebs von Industrieprodukten wurde nach und nach erarbeitet. Im Allgemeinen hat dies eine rechtliche Harmonisierung ermöglicht, was zu einer erheblichen Vereinfachung des rechtlichen Umfelds der Unternehmen geführt hat, wenngleich betont werden muss, dass dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist.

3.6

In den ab der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre angenommenen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften lassen sich zwei große Gruppen ausmachen: die erste Gruppe bezieht sich auf den Markt, die zweite auf den Arbeitsplatz. Die wirkungsvolle Anwendung dieser Rechtsvorschriften macht die Mitwirkung einer Vielzahl von Akteuren erforderlich: Normungs- und Bescheinigungsgremien, Planer und Hersteller, Importeure und Vertriebsbeauftragte, Montage- und Installationsfirmen, öffentliche Kontroll- und Sanktionsgremien (einschließlich Zoll- und Justizbehörden), Unternehmer, Arbeitnehmer und Gewerkschaften usw. Die Verbraucherschutzorganisationen haben ihr dezidiertes Interesse an einer konkreten und aktiven Beteiligung zum Ausdruck gebracht. Dies wurde bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Die Zusammenarbeit zwischen all diesen Akteuren ist von zentraler Bedeutung, genauso wie die Zusammenarbeit zwischen den Behörden auf nationaler und europäischer Ebene.

3.7

Die Anwendung dieser Bestimmungen scheint keine großen Probleme zu bereiten. Trotz dieser positiven Gesamtbewertung sollte allerdings eine gewisse Anzahl konkreter Probleme nicht vergessen werden.

4.   Höhere, aber immer noch nicht ausreichende Sicherheitsstandards

4.1

Jedes Jahr ereignen sich zwischen 6 000 und 8 000 tödliche Arbeitsunfälle (wobei 40 % der tödlich Verunglückten jünger als 35 Jahre sind), und durch Arbeitsunfälle werden jährlich Hunderttausende von Behinderungen verursacht. Ein Teil dieser Unfälle ist auf Arbeitswerkzeuge zurückzuführen. Mitunter liegen die Ursachen auch in mangelnden individuellen Schutzvorrichtungen oder in unzureichender Ausbildung. Etwa ein Viertel der Arbeitnehmer in der EU haben angegeben, individuelle Vorrichtungen zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit einzusetzen. Die maßgeblichen physischen Risikofaktoren am Arbeitsplatz sind im Allgemeinen mit den Arbeitsmitteln verbunden: Lärm, Vibrationen sowie ionisierende und nichtionisierende Strahlung. Ergonomische Faktoren sind für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz von grundlegender Bedeutung. In bestimmten Fällen können die Arbeitsmittel eine maßgebliche Rolle spielen bei der Belastung durch chemische Stoffen: Die Wirksamkeit individueller Schutzvorrichtungen kann in gewissen Fällen eine entscheidende Bedeutung haben.

4.2

Besondere Aufmerksamkeit ist denjenigen Produkten zu widmen, die für eine breite Verwendung durch eine undefinierte Konsumentengruppe, die sicherlich nicht über die mit den gekauften oder gemieteten Maschinen verbundenen Gefahren informiert ist, bestimmt sind. Leider sind Verbraucher sehr häufig Opfer von — in den Statistiken nicht berücksichtigten — Unfällen aufgrund unsachgemäßer Verwendung.

5.   Eine manchmal nicht ganz einfache Zusammenarbeit verschiedener Akteure

5.1

Es ist festzustellen, dass die Zusammenarbeit der Binnenmarktakteure durch tatsächliche Schwierigkeiten sowie starke Vorbehalte in Bezug auf ein völlig transparentes Verhalten behindert wird: für den privaten Sektor ist das auf den Wunsch zurückzuführen, sich vor der Konkurrenz oder möglichen Sanktionen zu schützen, für den öffentlichen Sektor auf ein mitunter sehr ausgeprägtes institutionelles Beharrungsvermögen. Es liegt beispielsweise auf der Hand, dass die Zusammenarbeit zwischen Herstellerfirmen und weiterverwendenden Unternehmen verstärkt werden muss, oder dass die Auslegung der wesentlichen Anforderungen der Richtlinien des „Neuen Konzepts“ durch die Normungs- und Überprüfungsbehörden, die Notifizierungsstellen sowie die Beratungseinrichtungen, die technische Unterstützung für die Unternehmer gewährleisten, transparenter werden muss.

5.2

Dieses Problem war das Hauptanliegen der Kommission bei der unlängst gestarteten Initiative zur Überprüfung des „Neuen Konzepts“, die am 14. Februar 2007 als neues Maßnahmenpaket für den Warenverkehr auf dem Binnenmarkt („New internal market package for goods“) angekündigt wurde. Dieses besteht aus einem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates „über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten“ [KOM(2007) 37 endg.] (3) und einem Beschluss „über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten“ [KOM(2007) 53 endg.] (4). Das Maßnahmenpaket verfolgt das Ziel, die Strukturen der Marktüberwachung zu stärken, um unsichere Produkte zu erkennen und vom Binnenmarkt fernhalten und gegen betrügerische Unternehmen vorgehen zu können. Die Überprüfungs-, Zertifizierungs- und Inspektionsstellen, die an der Prüfung der Produkte beteiligt sind, sollen bei der Akkreditierung strengeren Kontrollen unterworfen werden. Damit soll ein einheitlicher Rechtsrahmen sowohl für die Unternehmen als auch für die Kontrollstellen gewährleistet werden. (Gegenwärtig operieren in der EU ca. 1 800 solcher künftig als Notifizierungsstellen bezeichneten Konformitätsbewertungsstellen, d. h. Labore, Inspektions- und Zertifizierungseinrichtungen. Dies sind privatwirtschaftliche Einrichtungen, die von den Behörden für ihre Funktion akkreditiert werden). Dabei lässt sich die außergewöhnliche Tatsache feststellen, dass sich unter diesen „unabhängigen“ Einrichtungen zahlreiche Akteure befinden, die unmittelbar mit den Herstellervereinigungen verbunden sind, weshalb Interessenkonflikte ein reales Problem darstellen könnten! In einem Mitgliedstaat wurden z. B. allein in der Branche des Aufzugbaus über 80 Konformitätsbewertungsstellen akkreditiert.

5.2.1

22 Jahre nach der Annahme der Entschließung des Rates vom 7. Mai 1985 zur Annahme der Grundsätze des „Neuen Konzepts“ schlägt die Kommission die Aktualisierung und den Ausbau der Marktüberwachung vor, um die Zuverlässigkeit der CE-Kennzeichnung weiter zu erhöhen. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Methode des Neuen Konzepts, von der 25 Richtlinien betroffen sind — wovon sich 21 mit den spezifischen Bestimmungen zur Erteilung des Kennzeichens befassen -, gute Ergebnisse erzielt und die Entwicklung des Binnenmarkts gefördert hat, ist aber auch gleichwohl der Auffassung, dass die vorgeschlagene Änderung notwendig ist. Die Befugnisse und Verantwortungsbereiche der Mitgliedstaaten, aber auch der Kommission, müssen erweitert werden. Letztgenannte muss ihren Personalbestand aufstocken, um eine ständige Kontrolle der Marktüberwachung, der Verfahren zur Akkreditierung der Bewertungsstellen — und in einigen Fällen auch der Tätigkeiten dieser Stellen — durchführen zu können. Die Branchenverbände haben sich im Rahmen der Untersuchungen der Kommission mit großer Mehrheit für eine solche Stärkung der einzelstaatlichen Behörden, und als logische Folge auch der europäischen Einrichtungen, ausgesprochen.

5.3

Der Ausschuss begrüßt diese Initiative, mit der Ermessensspielräume und Diskrepanzen bei der Bewertung eingeschränkt werden. Denn diese behindern die Entwicklung des Binnenmarktes und ziehen zahlreiche Wettbewerbsnachteile für die Akteure, die die Vorschriften beachten, nach sich. Die Wettbewerbsverzerrungen aufgrund nachlässiger Überwachung stellen ein Problem ersten Ranges dar und verdeutlichen die Grenzen der Anwendung des Neuen Konzepts. Ein einfacher und klarer Rechtsrahmen ist ferner insbesondere für KMU von zentraler Bedeutung, ebenso muss die Zusammenarbeit zwischen den Marktaufsichtsbehörden — sowohl im Bereich der EU/EWR, als auch auf internationaler Ebene — verstärkt werden. Es gilt, eine „Kommunikationsplattform“ für Akteure und Mitgliedstaaten zu schaffen, die angemessen und im Einklang mit den Zielen der Richtlinien und der Gemeinschaftspolitik handeln müssen und nach und nach die Konvergenz der Marktüberwachungssysteme und -modelle verwirklichen. Die Beteiligung der Zollbehörden an diesen Aktivitäten ist von grundlegender Bedeutung.

5.4

Auf europäischer Ebene wäre eine stärkere Zusammenarbeit unter allen betroffenen Generaldirektionen (z. B. ENTR, ENV, EMPL und SANCO) sinnvoll, die zwecks Erstellung von Leitfäden für die Verwendung der verschiedenen bestehenden Richtlinien zusammenarbeiten könnten. Diese Leitfäden würden natürlich die Regelungen nicht ersetzen, können allerdings einen sinnvollen Beitrag darstellen und viel Geld einsparen, das ansonsten für unnötige Beratungstätigkeiten ausgegeben würde.

5.5

Im Bereich saisonaler Erzeugnisse wie z. B. Gartengeräte sind vereinfachte und beschleunigte Verfahren vorzusehen, um keine Marktchancen zu vergeben. Der Ausschuss empfiehlt die Schaffung einer „Mittlerstelle“ zu diesem Zweck, an die sich die Unternehmen zur Wahrung besonderer und gerechtfertigter Bedürfnisse wenden können, wobei auf jeden Fall eine gewissenhafte Anwendung aller Bestimmungen — insbesondere im Sicherheitsbereich — zu gewährleisten ist.

6.   Nicht unbedingt gerechtfertigte Verwaltungsvorschriften

6.1

Eine weitere von der Kommission angekündigte Priorität betrifft die Reduzierung ungerechtfertigter Verwaltungsvorschriften, die in erheblichem Maße die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Der Ausschuss verfolgt mit Interesse das diesbezügliche Engagement der Kommission, das mit dem am 24. Januar 2007 vorgelegten Aktionsprogramm konkrete Gestalt annahm. Dieses verfolgt das Ziel, den für die Unternehmen erforderlichen Verwaltungsaufwand bis zum Jahr 2012 um ein Viertel zu reduzieren.

6.2

Die Kommission könnte zur Lösung einiger Probleme bei der Anwendung der Richtlinien beitragen, indem sie z. B. alle Mitteilungen bei sich zentralisiert, die zurzeit an die einzelnen Mitgliedstaaten zu richten sind, was allein bei der Adressbeschaffung enorme Probleme verursacht. Dies gilt z. B. für die Richtlinie 2000/14/EG über Geräuschemissionen, bei der eine Konformitätsbescheinigung an einen Mitgliedstaat und an die Kommission übermittelt werden muss, oder für die Richtlinie 97/68/EG über gasförmige Emissionen von Verbrennungsmotoren mobiler Maschinen und Geräte, bei der die Unternehmen aus Gründen der Flexibilität die von allen Mitgliedstaaten hierfür bestimmten zuständigen Behörden über die erteilte Genehmigung unterrichten und halbjährlich Bericht erstatten sollen.

6.3

Die Unternehmen stoßen bei der praktischen Anwendung der Richtlinien über den Schutz der Arbeitnehmer vor physikalischen Einwirkungen auf zahlreiche Schwierigkeiten. Insbesondere die Richtlinien betreffend Vibrationen (2002/44/EG) oder über die Gefährdung durch nichtionisierende optische Strahlung (2006/25/EG) bereiten vor allem den KMU Probleme. Solche Probleme könnten bei der Durchführung der kommenden Richtlinie über künstliche optische Strahlung auftreten. Leitlinien und praktische Anleitungen sind erforderlich, wenn diese Richtlinien ihren Zweck erfüllen sollen. Sollte sich eine konkrete Anwendung tatsächlich als undurchführbar erweisen, muss man natürlich die erforderlichen Änderungen erwägen und diese rasch vornehmen, damit die Unternehmen ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen können.

6.4

Im Bereich der industriellen Produktion, insbesondere im Maschinenbau, müssen allerdings unterschiedliche Bedürfnisse in puncto Verwaltungsvorschriften berücksichtigt werden. Die Rückverfolgbarkeit der Arbeitsanteile der verschiedenen Akteure ist für die physische Unversehrtheit der Verbraucher und für die Rechtssicherheit in den marktgesteuerten vertraglichen Beziehungen von wesentlicher Bedeutung. Folglich müssen ausgewogene Lösungen gefunden werden, um Transparenz und Rückverfolgbarkeit zu wahren, ohne die Verwaltungskosten unnötig in die Höhe zu treiben.

7.   Die Rolle der Normung

7.1

Die technische Normung spielt für das Funktionieren der Gemeinschaftsregeln eine wichtige Rolle und macht es möglich, den in den Rechtsvorschriften festgelegten grundlegenden Sicherheitsanforderungen konkrete Gestalt zu geben. Die Einhaltung der Normen lässt eine Konformität mit den Richtlinien vermuten. Die Zertifizierung, falls erforderlich durch akkreditierte Notifizierungsstellen, ist nur im Rahmen entsprechender Rechtsvorschriften möglich.

7.2

Im Großen und Ganzen haben die europäischen Normungsgremien auf der Basis des von der Kommission erteilten Mandats sinnvolle Arbeit geleistet. Jedenfalls sollte die Erarbeitung von Normen, die heute de facto auf einen überschaubaren Kreis von Akteuren beschränkt ist, im Rahmen einer größeren Teilhabe der betroffenen Akteure erfolgen, was den weiteren Dialog vereinfachen würde. Der Großteil der sie anwendenden Unternehmen verfügt weder über Mittel noch Ressourcen, um diese Aufgabe regelmäßig wahrnehmen zu können. Die Beteiligung der Arbeitnehmer und der Verbraucher ist noch geringer. In einer solchen Situation ist es schwierig, die Bedeutung der gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen. Einige Normen können nicht sämtlichen vor Ort festgestellten Anliegen entsprechen. Der Ausschuss hofft auf eine verstärkte Beteiligung aller interessierter Parteien an den technischen Ausschüssen, insbesondere auf lokaler Ebene, in diesem Bereich, in dem wenige Personen die effektive Entscheidungsbefugnis ausüben. Der Ausschuss stellt mit Sorge fest, dass der Kostenanstieg bei der Normierung zu einem Bremsklotz werden kann für die Wettbewerbsfähigkeit, aber auch für die Sicherheit, wenn Gefahren in Kauf genommen und Maschinen unsachgemäß und nicht normenkonform eingesetzt werden. Einige osteuropäische KMU zeigen eine hohe Risikobereitschaft oder sind geneigt, findige Verfahren anzuwenden.

7.3

Der Ausschuss begrüßt die am 15. März 2007 im Aktionsplan für europäische Normung (Action Plan for European Standardisation) angekündigten Initiativen. Darin werden alle Mitgliedstaaten aufgefordert, über den Stand der Durchführung sowie über die zur Einbeziehung aller Akteure, die an der Normung auf europäischer und internationaler Ebene beteiligt sind, ergriffenen Maßnahmen Bericht zu erstatten. Die Kommission sollte die vorgebrachten Anregungen aufgreifen und bei der europäischen Normung berücksichtigen. Die Einbeziehung der KMU in die Verfahren der Normung sowohl auf europäischer wie auf einzelstaatlicher Ebene ist von grundlegender Bedeutung, und ihr Beitrag bei künftigen Normungsprozessen muss effektiv konkrete Gestalt annehmen.

7.4

In bestimmten Fällen können die Unternehmer die Verpflichtungen, die sich aus den Rechtsvorschriften zu Gesundheit und Sicherheit ergeben, nur mit Schwierigkeiten einhalten. Die Risikobewertung macht nämlich ab dem Zeitpunkt des Einsatzes einer Maschine eine Komplementarität zwischen dem Hersteller und dem verwendenden Unternehmen erforderlich. Probleme können dann entstehen, wenn die Normen keine angemessenen Informationen über die Restrisiken enthalten, die von dem Unternehmen zu berücksichtigen sind. Werden die Unternehmer nicht korrekt über die Restrisiken im Zusammenhang mit der von ihnen erworbenen Maschine unterrichtet, werden sie Schwierigkeiten dabei haben, der Verpflichtung zur Risikobewertung gemäß Rahmenrichtlinie 89/391/EWG und ihrer 19 ergänzenden spezifischen Richtlinien für den Bereich des aktiven und passiven Schutzes von Arbeitnehmern nachzukommen.

7.5

Die Verbreitung der Normen kann für kleine und mittlere Unternehmen angesichts hoher Erwerbskosten schwierig sein. Führt Normung zu neuen Zertifizierungsverfahren, sind die Verwaltungskosten im Allgemeinen sehr viel höher als die unmittelbaren, durch die Rechtsvorschriften verursachten Kosten.

7.6

Die von Fachleuten des CEN entwickelte Risikoanalyse ist von allergrößter Bedeutung für die Unternehmer, die diese mit einer spezifischen Analyse des Arbeitsumfelds, in dem die Maschine eingesetzt wird, ergänzen müssen. Die Kosten dieser harmonisierten Normen sind hoch, vor allem für die KMU. Der Ausschuss empfiehlt, den Vorschlag zu erwägen, die harmonisierten Normen aufgrund des von der Europäischen Kommission der CEN erteilten Mandats kostenlos oder zu einem symbolischen Preis zur Verfügung zu stellen, um die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen zu ermöglichen. Die kostenlose Verbreitung über das Internet wird übrigens bereits erfolgreich im Telekommunikationssektor praktiziert: einige ETSI-Normen (European Telecommunication Standard Institute) sind unmittelbar über das Internet erhältlich.

8.   Für eine stabile Regelung

8.1

Der Ausschuss betont, dass es nicht immer notwendig ist, bewährte Richtlinien zu ändern. Sicherlich waren die Arbeiten, die insgesamt zur Verbesserung der Basisrichtlinie 98/37/EG, der berühmten „Maschinenbaurichtlinie“, geführt haben, durch besondere Komplexität gekennzeichnet, wobei schließlich ein optimales Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Interessen erreicht wurde. In einigen anderen Fällen wäre es sicherlich besser, sich nicht über Gebühr an so genannten „Verbesserungen“ zu versuchen. Beispiele hierfür sind die Änderung zur Niederspannungsrichtlinie (73/23/EG) oder — wie der Verband der Maschinenbauindustrie in seinem Vermerk vom 5. November 2004 verdeutlichte — der wenig sinnvolle Vorschlag der Kommission, Richtlinie 87/404/EG und Richtlinie 97/23/EG über Druckgeräte (PED) zusammenzulegen.

8.2

Der Markt hat zum Ausdruck gebracht, dass ein stabiler und klarer Regelungsrahmen erforderlich ist, um in Ruhe Investitionen planen und Anpassungen an eindeutige Bestimmungen, die nicht allzu häufig geändert werden, durchführen zu können. Andererseits besteht die ernsthafte Gefahr, dass „Vereinfachung“ zu höheren Verwaltungskosten und zu steigenden Kosten aufgrund komplexerer Verfahren der Konformitätsbewertung führen kann.

8.3

Der Ausschuss versteht zwar bezüglich der Anwendung von Artikel 95 EGV die Bedürfnisse der Herstellerfirmen, unterstreicht aber, dass der rechtliche Bezugsrahmen, an dem sich die Richtlinien orientieren, insbesondere in Bezug auf die Rechtsgrundlage der verschiedenen Normen, mit den Grundsätzen der Verträge in Einklang stehen muss. Es ist offensichtlich, dass das Ziel und der Inhalt der Rechtsverordnung vordringlich sind und den objektiven Bezugsrahmen darstellen, an dem sich die Anwendung der verschiedenen Bestimmungen zu orientieren hat. Hierzu hat sich auch unlängst der Europäische Gerichtshof in verschiedenen Urteilen geäußert und jedenfalls die Möglichkeit einer gemischten Rechtsgrundlage ausgeschlossen, wenn sich die Rechtsbezüge widersprechen oder so stark gehäuft sind, dass die Rechte des Europäischen Parlaments beschnitten werden. Das Bestreben der Unternehmen, sich wie im Falle des Produktdesigns, wenn ein anderes Ziel im Vordergrund steht, auf Artikel 95 Absatz 3 des Vertrags zu beziehen, der bekanntlich die Kompetenzen der Gemeinschaft stärkt und die Befugnisse der Mitgliedstaaten — wie z. B. in Artikel 137 oder Artikel 175 (5) ausgeführt — auf die Verstärkung der Gemeinschaftsvorschriften beschränkt, lässt sich nicht immer und überall realisieren. Die Unternehmen verweisen nämlich auf die (auf die Endverbraucher abgewälzten) Zusatzkosten, die entstehen, um die im Zuge der Auflagen aller einzelnen Mitgliedstaaten erforderlichen Änderungen beim Design und bei der Fertigung der Maschinen zu berücksichtigen. Es sollten ergänzende Rechtsmodelle konzipiert werden, die sich nicht überlappen, sondern die Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten, eigene und unterschiedliche Bestimmungen zu erlassen, die sich an den Grundsätzen der Angemessenheit und der Verhältnismäßigkeit orientieren, auf das Wesentliche beschränken.

8.4

Die unlängst angenommene REACH-Verordnung kennzeichnet eine wichtige Wende beim Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz. Der Ausschuss hat die angenommenen technischen Lösungen und die mit der Möglichkeit einer Vereinfachung verbundene Flexibilität begrüßt. Er weist mit gewisser Sorge darauf hin, dass sich für KMU bestimmte Schwierigkeiten ergeben könnten, und zwar insbesondere dann, wenn die Einfuhrkontrollen nicht so streng durchgeführt werden sollten, wie es die Anwendung dieser grundlegenden Richtlinie erfordert. Der Ausschuss fordert die Kommission diesbezüglich auf, die Modalitäten der Marktüberwachung der Mitgliedstaaten sorgfältig zu kontrollieren, die insbesondere in diesem Bereich ihren Aufgaben nicht immer nachgekommen sind, was auch auf eine völlig unzureichende Mittelausstattung der Überwachungsstellen zurückzuführen ist. In diesem Zusammenhang könnte eine Aufteilung der Aufgaben zwischen den Überwachungsstellen nach dem Prinzip der Vorrangigkeit der Produktion in den jeweiligen Mitgliedstaaten vorgesehen werden, z. B. nach bestimmten Produktsparten (Armaturen, Hebezeuge und Fördereinrichtungen, Pumpen und Kompressoren, Maschinen für das verarbeitende Gewerbe usw.).

8.5

Trotz des grundlegenden Beitrags, den der Maschinenbau für die gesamte europäische Wirtschaft leistet, hat man den Eindruck, dass die Mitgliedstaaten nur sehr geringe Investitionen in die ihnen zugewiesenen hoheitlichen Aufgaben tätigen. Die Kommission könnte diesbezügliche Angaben einfordern und sie mit den erzielten praktischen Ergebnissen vergleichen. Häufig ist Qualität und Quantität der Kontrollen individuellen Fähigkeiten und dem individuellen Willen zuzuschreiben, aber die zur Verfügung stehenden Ressourcen spielen eine große Rolle.

9.   Die technischen Hindernisse für die Vollendung des Binnenmarktes beseitigen

9.1

Im Bereich der einzelstaatlichen Gesetzgebungen bestehen nach wie vor zahlreiche technische Hindernisse, die den Unternehmen große Probleme bereiten. Dies betrifft z. B. den Sektor der nicht für den Straßenverkehr bestimmten Arbeitsmaschinen und Geräte, wenn sie öffentliche Straßen benutzen müssen. Die unterschiedlichen Vorschriften — einige Mitgliedstaaten haben strengere Vorschriften erlassen — führen dazu, dass verschiedene Maschinen eingesetzt werden müssen. Auch in terminologischer Hinsicht herrscht z. B. Unklarheit bei den Begriffen „Unternehmen“ und „Betrieb“. Die in einigen Mitgliedstaaten geltenden Kontrollvorschriften verursachen zusätzliche Kosten, die sich leicht verdoppeln können in denjenigen Ländern, die die Kontrolle durch unterschiedliche Überprüfungsinstanzen für Entwicklung, Erprobung und Verkehr vorsehen. Der Ausschuss hofft, dass insbesondere mit Blick auf die Sicherheitsbestimmungen eine rasche Harmonisierung der Bestimmungen erzielt wird. In Bezug auf Traktoren müssen z. B. neben den gegenwärtigen Vorschriften in puncto Rückspiegel und Höchstgeschwindigkeit auch Bestimmungen für Front- und Heckbeleuchtung sowie vor allem für den Bremsweg erlassen werden. Gegenwärtig fahren auf den europäischen Straßen mitunter über 40 Jahre alte Traktoren. Eine progressive Verjüngung des Bestands zugelassener Fahrzeuge würde eine erhebliche Steigerung des aktiven und des passiven Sicherheitsniveaus ermöglichen.

9.2

Der Ausschuss empfiehlt, für die Regelung der Verwendung von Arbeitsmaschinen auf öffentlichen Straßen insbesondere

einen Vorschlag zur Harmonisierung der bestehenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften für die Verwendung von Arbeitsmaschinen auf öffentlichen Straßen anzunehmen;

die Methodologie des neuen Konzepts anzuwenden;

Mindestnormen vorzusehen, die die Konformität mit den Vorschriften vermuten lassen;

angemessene Vorschläge zur Konformitätsbewertung vorzusehen, wobei für einige Systeme (Lenkung, Bremsen) eine strengere Konformitätsbewertung eingeführt werden sollte.

10.   Künftige Rechtsvorschriften: Teilhabe und Folgenabschätzung

10.1

Der Ausschuss fordert eine engere Zusammenarbeit zwischen den Regulierungsbehörden und den beteiligten Akteuren bei den künftigen Regulierungsmaßnahmen mithilfe eines effektiven Dialogs. Angesichts der erforderlichen Interaktion zwischen den betroffenen Akteuren ist eine vorwiegend auf elektronischem Wege abgewickelte Konsultation zu vermeiden. Nach Auffassung des Ausschusses ermöglicht eine permanente Konsultation in bestimmten Bereichen, Problemen vorzubeugen. Dadurch können eine bessere Rechtsetzung und wirkungsvollere Normen gewährleistet werden.

10.2

Der Ausschuss hält es für sehr wichtig, eine gemeinsame Methodologie der europäischen Institutionen (Parlament, Rat und Kommission) für die Folgenabschätzung der verschiedenen Optionen zu entwickeln, die über ein geeignetes Qualitäts-Kontrollsystem verfügt.

10.3

Die Kommission sollte immer überlegen, ob die angestrebten Ziele tatsächlich eines Rechtsrahmens bedürfen oder ob nicht die Selbst- oder Koregulierung ausreichen würde. Nach Auffassung des Ausschusses sollte bei verschiedenen Optionen diejenige den Zuschlag erhalten, mit der sich dieselben Ziele bei geringeren Kosten und geringerem Verwaltungsaufwand erreichen lassen und die optimale Transparenz sowie die größtmögliche Teilhabe der betroffenen Akteure gewährleistet.

10.4

Der europäische soziale Dialog auf sektoraler Ebene zwischen den Interessenvertretern spielt eine zentrale Rolle. Das gemeinsame Interesse kann mit Initiativen zur Konzeption spezifischer Weiterbildungsmaßnahmen verwirklicht werden, insbesondere im Bereich der Sicherheit am Arbeitsplatz, aber auch der Weiterbildung. Dadurch werden nicht nur die Fachkompetenzen weiterentwickelt, sondern auch das Bewusstsein für bestimmte Verwaltungs- und Organisationsprobleme im Zusammenhang mit einem besseren und sichereren Einsatz von Maschinen geschärft. Die soziale Unternehmensverantwortung, die im Rahmen eines um Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft und der Gebietskörperschaften erweiterten Dialogs wahrgenommen wird, kann sich positiv auswirken auf die Entwicklung einer Kultur sicherer und produktiver Unternehmen, insbesondere im Bereich der KMU, die offensichtlich größere Schwierigkeiten beim Risikomanagement haben.

10.5

Der Ausschuss hält es für sinnvoll, Überlegungen anzustellen, die allen Beteiligten eine Bewertung der Ergebnisse und der Grenzen der Gemeinschaftsvorschriften ermöglicht. Eine solche Bewertung könnte ein gemeinsames Vorgehen erlauben, mit dem sich Teillösungen oder widersprüchliche Ansätze im Rahmen der verschiedenen laufenden Initiativen vermeiden lassen. Der Beschluss der Kommission, die neue Maschinenbaurichtlinie zusammen mit den Interessenvertretern zu überprüfen, geht in die richtige Richtung. Solche Initiativen müssen sinnvoll ausgebaut werden. Der Ausschuss verweist insbesondere auf die Verbindungen zwischen den verschiedenen Initiativen, wie z. B. im Zusammenhang mit den Aktionsprogrammen zur Reduzierung unnötigen Verwaltungsaufwands und dem neuen Konzept (die Kommission nahm am 14. Februar 2007 auf der Grundlage einer öffentlichen Konsultation über die Zukunft des Binnenmarktes einen Vorschlag für eine Verordnung und einen Beschluss des Rates und des Europäischen Parlaments für den Rahmen zur Überarbeitung des Neuen Konzepts an). Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass eine sinnvolle Gliederung und Abstimmung dieser Initiativen zu einer Verbesserung der geltenden Vorschriften und ihrer gegenwärtigen Anwendung in den 27 EU-Mitgliedstaaten beitragen kann.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 24 vom 31.1.2006, Berichterstatter: Herr RETUREAU, und ABl. C 309 vom 16.12.2006, Berichterstatter: Herr CASSIDY.

(2)  ABl. C 267 vom 27.10.2005 (Berichterstatter: Herr van IERSEL).

(3)  Stellungnahme INT/352, derzeit in Erarbeitung (Berichterstatter: Herr PEZZINI).

(4)  Stellungnahme INT/353, siehe Fußnote 3.

(5)  C-94/03. Urteil des Gerichtshofs in Sachen Europäische Kommission gegen Rat der Europäischen Union — Wahl der Rechtsgrundlage.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Ein wettbewerbsfähiges Kfz-Regelungssystem für das 21. Jahrhundert — Stellungnahme der Kommission zum Schlussbericht der hochrangigen Gruppe CARS 21 — Ein Beitrag zur Strategie der EU für Wachstum und Beschäftigung“

KOM(2007) 22 endg.

(2008/C 10/04)

Die Europäische Kommission beschloss am 7. Februar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 18. Juli 2007 an. Berichterstatter war Herr DAVOUST.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 144 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Überblick und wichtigste Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission künftig eine „bessere Rechtsetzung“ anstrebt und „ein sinnvolles Zusammenwirken der verschiedenen Politikbereiche erreichen, die Politik berechenbar machen, das öffentliche Interesse wahren (z. B. bei Sicherheit und Umweltschutz) und zugleich die Belastung der Industrie durch Regelungen senken“ will. Er begrüßt das erklärte Anliegen, einen umfassenden Ansatz zu entwickeln und die unterschiedlichen Dimensionen der Industrieentwicklung und ihrer Wettbewerbsfähigkeit sowie die verschiedenen Betroffenenkreise mit einzubinden.

1.2

Generell entspricht die allgemeine Marschrichtung der Initiative CARS 21 dem Anliegen, dass die politischen Entscheidungsträger sich untereinander mit den verschiedenen interessierten Industriekreisen, die nach Ansicht des EWSA umfassende Unterstützung benötigen, abstimmen. Die Kommissionsmitteilung, die im Rahmen der bereits erfolgten Rechtsetzungsarbeit angesiedelt ist und in der die in Zukunft in diesem Zusammenhang zu ergreifenden Maßnahmen umrissen werden, verdeutlicht die Vorteile dieser Vorgehensweise, gleichzeitig jedoch auch die Schwierigkeiten, mit der sie verbunden ist.

1.3

Diese Vorgehensweise bietet den Vorteil, dass allen interessierten Seiten die Grundzüge der europäischen Politik bezüglich der Automobilindustrie klar dargelegt werden. In allen wichtigen Bereichen wird die Berechenbarkeit der EU-Politik verbessert und Schritt für Schritt die Belastung der Industrie durch Regelungen gesenkt.

1.4

Die Reduzierung des Verwaltungsaufwands, die sich aus der Ersetzung der 38 EG-Richtlinien durch entsprechende UN/ECE-Regelungen ergibt, kann somit als unmittelbarer Vorzug dieser Vorgehensweise angesehen werden. Des Weiteren zeigt die in den Bereichen Umwelt und Sicherheit geleistete Arbeit deutlich, dass eine integrierte Vorgehensweise machbar ist und dem Rechtsrahmen in den Augen aller interessierten Seiten höhere Legitimität verleiht und ihn für die Industriekreise berechenbarer macht. Ein solcher Ansatz schafft somit einen Konsens, auf dem alle Maßnahmen der Betroffenen fußen.

1.5

Dennoch muss auch auf die Probleme bei der Umsetzung dieses Ansatzes hingewiesen werden. Es gibt dreierlei Arten von Schwierigkeiten:

i)

die Suche nach einem Konsens dürfte die diversen zu fällenden Entscheidungen hinauszögern;

ii)

die Analysen und Empfehlungen sind inhaltlich sehr stark davon abhängig, welche Interessengruppen beteiligt sind;

iii)

die Entscheidung für ein integriertes Vorgehen kann dazu führen, dass bei einer Analyse der gestellten Fragen die Verantwortlichkeiten verschleiert werden.

1.6

Die in der Kommissionsmitteilung aufgeführte Liste der 39 Maßnahmen oder Initiativen ist sehr lang, und für sich genommen scheint jede einzelne von ihnen gerechtfertigt. Die Umsetzung aller 39 Punkte dürfte allerdings schwieriger sein und schwerwiegende Probleme hinsichtlich der Kompatibilität und des Zeitplans aufwerfen. So werden die Bereiche Umwelt und Sicherheit zwar auf Grundlage eines integrierten Ansatzes angesprochen, doch werden diese beiden Fragen selbst nicht vor einem integrativen Hintergrund behandelt. Eine Fragestellung nach dem Preis der Produkte, die allen ins Auge gefassten Erfordernissen genügen — wie im Bericht der hochrangigen Gruppe geschehen — hätte diese Integration zweifelsohne gestattet, hätte jedoch auch deutlich gemacht, dass es erforderlich ist, eine Wahl zu treffen. Des Weiteren legte die hochrangige Gruppe Wert darauf, dass ihre Schlussfolgerungen in einen für alle politischen Entscheidungsträger verbindlichen „Fahrplan“ einmünden. Dieses Dokument verkörperte das integrierte Konzept, dessen Förderung sich die Kommission von CARS 21 erhofft hatte. Der EWSA kann nur bedauern, dass in der Kommissionsmitteilung kein derartiger Fahrplan vorgeschlagen wird, nicht einmal in abgewandelter Form.

1.7

Die hochrangige Gruppe hat einen großen Teil ihrer Untersuchung vom Standpunkt der Autobauer aus durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass die zu regelnden Problembereiche weitgehend durch produktorientierte und technische Fragestellungen beherrscht werden. Der EWSA weist darauf hin, dass die gleiche Vorgehensweise zu einer anderen Sichtweise geführt hätte, wenn die Interessen der Autofahrer stärker im Vordergrund gestanden hätten. Folglich ist es künftig erforderlich, im Zuge der Bewertungen und Neubewertungen die Liste der interessierten Seiten zu revidieren.

1.8

Ein integrierter oder globaler Ansatz birgt die Gefahr, dass jede interessierte Seite argumentiert, dass die anderen sich anpassen müssen. So könnten im Bereich der Straßenverkehrssicherheit oder des Umweltschutzes die Industriekreise der Ansicht sein, dass die für die Infrastrukturen zuständigen Stellen oder die Verbraucher durch ihr Verhalten die Schuld dafür tragen, dass die — insbesondere technischen — Bemühungen der Industrie nicht voll zum Tragen kommen können.

1.9

Alle diese Punkte machen deutlich, dass in der Kommissionsmitteilung die Frage der Politik im Automobilbereich und der Entscheidungen, mit denen sie konfrontiert ist, nicht erschöpfend behandelt werden kann. Von daher unterstützt der EWSA den gewählten Ansatz: Die öffentliche Debatte über die Politik im Automobilbereich muss weitergeführt werden, sie muss allen Sozialpartnern und überhaupt allen interessierten Seiten offen stehen und deutlich machen, welche Entscheidungen zu welchem Zeitpunkt zu treffen sind. Diese Vorgehensweise ist zielführender, als nur ein für allemal eine Liste mit allen denkbaren Marschrouten zusammenzustellen, und es den Sachverständigen und den Industriellen zu überlassen, den einzuschlagenden Weg unter sich auszumachen.

1.10

Als Schlussfolgerung am Ende ihrer Mitteilung sieht die Kommission „die einmalige Gelegenheit, im Rahmen ihrer Industriepolitik eine neue Kultur der Politikgestaltung zu etablieren. Nach Auffassung der Kommission sollte bei der Ausarbeitung von Vorschlägen für Rechtsakte stets auf Qualität, Einfachheit, Folgen, Anhörung der Betroffenen, angemessene Fristen und die Wahl des geeigneten Rechtsinstruments geachtet werden.“

Der EWSA befürwortet dieses Konzept und möchte mit dieser Stellungnahme der Kommission dabei behilflich sein, dieses Konzept in vollem Umfang umzusetzen.

In diesem Zusammenhang empfiehlt der EWSA:

den Unternehmern Zeit einzuräumen, um die Technologien zu entwickeln, die notwendig sind, um diese strengeren Vorschriften einzuhalten, ohne dass dies zu einer nennenswerten Verteuerung der Produkte und damit letztendlich zu einer Verlangsamung bei der Erneuerung der Fahrzeugparks führt;

sich im Zuge der Umweltdiskussionen nicht auf die Frage nach dem CO2-Ausstoß zu beschränken und sich nicht ausschließlich technologischen Lösungsansätzen zuzuwenden, um einen holistischern Ansatz zu entwickeln, durch den dem Stellenwert des Automobils und des Straßenverkehrs in der europäischen Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird;

ein Forum „Umstrukturierung“ durchzuführen und die für das Jahr 2009 vorgesehene Bewertung sowie Folgeabschätzungen zu planen, auf die sich das Forum unter Rückgriff auf den im Rahmen von CARS 21 propagierten integrierten Ansatz stützen soll. Dabei soll dem Forum sowohl in der vorbereitenden Phase (bei der Zusammenstellung der Liste der beteiligten Interessengruppen), als auch nach Abschluss der Arbeiten (durch die Aufnahme der durch die Studiengruppen erarbeiteten Empfehlungen) mehr Legitimität verliehen werden;

den EWSA unmittelbarer und frühzeitiger in diese Arbeiten einzubeziehen, da der Ausschuss in seiner Beschaffenheit und Zusammensetzung dazu prädestiniert ist, diese Form der Einbindung der verschiedenen Gruppierungen der europäischen Gesellschaft in die auf sie ausgerichtete Politik der Europäischen Kommission zu ermöglichen.

2.   Der Kommissionsvorschlag

2.1   Der Ansatz der Europäischen Kommission: Originalität und Vorbildcharakter von CARS 21

2.1.1

Im Rahmen ihrer Politik zur Verbesserung der Qualität der Rechtsetzung sowie zur Bewältigung der Herausforderungen des größeren weltweiten Wettbewerbs ersuchte die Kommission 2004 die hochrangige Gruppe CARS 21, die aus Vertretern der wichtigsten Interessengruppen (Mitgliedstaaten, Industrie, nichtstaatliche Organisationen, Europäisches Parlament) sowie aus den drei an diesem Dossier beteiligten Kommissionsmitgliedern (zuständig für Unternehmen und Industrie, Umwelt, Verkehr) besteht, Empfehlungen für künftige Strategien abzugeben.

2.1.2

Im Einzelnen sah der Aufgabenkatalog für die hochrangige Gruppe Folgendes vor: Sie hatte die Aufgabe, auf kurze, mittlere und lange Sicht Empfehlungen über die staatliche Politik und den Regelungsrahmen bezüglich der europäischen Automobilindustrie abzugeben. Dabei bestand das Ziel darin, die globale Wettbewerbsfähigkeit der Automobilbranche zu verbessern, die Arbeitsplätze zu erhalten und gleichzeitig den weiteren Fortschritt bei der Umweltschutz- und Sicherheitsausstattung der Fahrzeuge zu Preisen, die für Privathaushalte erschwinglich bleiben, zu gewährleisten.

2.1.3

Die Kommission beabsichtigte auf diese Weise, den Automobilsektor durch Maßnahmen im Rahmen ihrer ausdrücklich an der Lissabon-Agenda ausgerichteten Industriepolitik beispielhaft zu modernisieren: Um eine nachhaltige Entwicklung der wirtschaftlich vertretbaren Produktion, die gleichzeitig sozial verantwortlich und umweltfreundlich ist, zu gewährleisten, möchte die Kommission, dass ihren Interventionen eine breit angelegte Konzertierung aller betroffenen Seiten vorausgeht, um die derzeitige Lage und die Zukunft des Automobilsektors zu analysieren und zu einem möglichst umfassenden Konsens über die zu ergreifenden Maßnahmen zu gelangen. Im vorliegenden Fall waren aus den Reihen der betroffenen Kreise in der hochrangigen Gruppe die Autohersteller, Ölproduzenten, Zuliefererfirmen, Ersatzteil- und Reparaturbetriebe, die Autofahrer, die Behörden der einzelstaatlichen Regierungen und die drei am stärksten betroffenen Generaldirektionen (Umwelt, Verkehr und Energie sowie Unternehmen und Industrie) vertreten. Die GD Unternehmen und Industrie zeichnete für die Koordinierung der Arbeiten, die sich durch das ganze Jahr 2005 zogen, verantwortlich. Im April 2005 wurde eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Der Bericht wurde von der Arbeitsgruppe im Dezember 2005 angenommen. Ihre Schlussfolgerungen wurden anlässlich einer großangelegten öffentlichen Anhörung im Jahre 2006 vorgelegt. Die Kommissionsmitteilung stützt sich auf den Bericht CARS 21 und gleichermaßen auf die im Jahr 2006 eingegangenen 34 Beiträge.

2.1.4

In dem Bericht CARS 21 wird auf die sehr lobenswerten Bemühungen der Kommission verwiesen, die unkontrollierte Ausbreitung nicht koordinierter und somit nicht immer miteinander vereinbarer Rechtsetzungsinitiativen zu vermeiden.

2.1.5

Wie im Bericht mehrfach angedeutet, vertritt die Arbeitsgruppe einen Ansatz, den sie holistisch nennt und der darin besteht herauszufinden, wie die unterschiedlichen Aspekte ineinandergreifen. Die Mitglieder der hochrangigen Gruppe trugen sich somit mit der Absicht, das Regelungswerk lesbarer und berechenbarer zu gestalten und zu vermeiden, dass die einzelnen Generaldirektionen der Kommission Maßnahmen ergreifen, deren Auswirkungen kaum bekannt sind und deren Vereinbarkeit mit den Maßnahmen anderer Generaldirektionen keiner Kontrolle unterliegt.

2.1.6

Die Arbeitsgruppe sprach in ihrem Abschlussbericht 18 Empfehlungen aus, die in 7 Gruppen eingeteilt waren: Verbesserung der Rechtsetzung, Umwelt, Straßenverkehrssicherheit, Handel, Forschung und Entwicklung, Besteuerung und steuerliche Anreize sowie geistiges Eigentum. Ferner wurde den politischen Entscheidungsträgern und Gesetzgebern abschließend ein „Fahrplan“ für die Regelungen vorgeschlagen, die in den kommenden zehn Jahren einen Einfluss auf die Automobilindustrie haben werden. In völliger Übereinstimmung mit den von der Kommission festgelegten Zielsetzungen sollte durch diesen derart konzipierten Fahrplan der europäischen Politik im Automobilbereich Kohärenz und auch die Berechenbarkeit verliehen werden, derer die privaten Investoren bedürfen, um die Wettbewerbsfähigkeit dieser Branche zu sichern: Durch das in diesem Fahrplan abgesteckte Regulierungskonzept für die nächsten Jahre sollte diese Berechenbarkeit gewährleistet werden.

2.1.7

Mit ihrer Mitteilung reagiert die Kommission auf den Bericht der Gruppe CARS 21. Das Dokument beinhaltet sowohl eine Bewertung der Kommissionsempfehlungen, als auch die Reaktionen auf den Bericht CARS 21, die im Rahmen der 2006 durchgeführten Konsultationen eingegangen sind. Die Kommission beschreibt darin, in welche Richtung ihre künftige Politik im Automobilsektor gehen soll. Nachstehend die wichtigsten Aktionsfelder:

Verringerung des Verwaltungsaufwands: Die Kommission wird den Ersatz von 38 EG-Richtlinien durch entsprechende UN/ECE-Regelungen (1) vorschlagen, darunter die Regelungen für Reifen, Sicherheitsglas, Nebelscheinwerfer und Sicherheitsgurte. Damit wird der Industrie ein weltweit gültiges, einheitliches Regelwerk zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus werden für 25 EG-Richtlinien und UN/ECE-Regelungen Bestimmungen über die Selbstprüfung und die virtuelle Prüfung eingeführt, mit deren Hilfe die Befolgungskosten verringert und die Verwaltungsverfahren kostengünstiger und zeiteffektiver gestaltet werden.

Verringerung der CO 2 -Emissionen: Die Strategie der Kommission verfolgt einen integrierten Ansatz, bei dem neben der Motortechnik auch technologische Verbesserungen (beispielsweise Festlegung von Mindestanforderungen an die Energieeffizienz von Klimaanlagen, Festsetzung von Grenzwerten für den maximalen Rollwiderstand von Reifen und Verwendung von Gangwechselanzeigen) sowie eine verstärkte Verwendung von Biokraftstoffen zum Einsatz kommen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf zusätzlichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten, beispielsweise in den Bereichen Verkehrsmanagement, Verbesserung des Fahrverhaltens und der Infrastruktur sowie eine weitere Verringerung der CO2-Emissionen.

Verkehrssicherheit: Nach Auffassung der Kommission sollte eine wirksame Strategie für Verkehrssicherheit auf einer Kombination aus verbesserter Fahrzeugtechnologie, Straßeninfrastruktur, Fahrverhalten und Ahndung von Fehlverhalten beruhen. Insgesamt werden 11 Maßnahmen vorgeschlagen, darunter als obligatorische Elemente ein elektronisches Schleuderschutzsystem (ESP), Gurtwarner und Tagfahrlicht bei Neufahrzeugen.

Handel: Es wird eine Prüfung der Möglichkeit vorgeschlagen, bilaterale Handelsabkommen (insbesondere mit asiatischen Ländern) zu schließen, um europäischen Unternehmen den Marktzugang zu erleichtern. Ferner wird nachdrücklich eine weltweite Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum gefordert.

Forschung und Entwicklung: Als wichtige Prioritäten werden saubere Kraftstoffe aus erneuerbaren Quellen und intelligente Fahrzeuge und Straßen genannt. Mit Forschungsausgaben in Höhe von rund 20 Mrd. EUR (ca. 5 % des Umsatzes) ist die Automobilindustrie absolut betrachtet Europas größter FuE-Investor.

3.   Bemerkungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Bevor auf diesen neuen Umgang mit der Frage nach der Politik bezüglich des Automobilsektors und der sektorspezifischen Politiken insgesamt sowie auf ihre Vor- und Nachteile eingegangen wird, sollen in der vorliegenden Stellungnahme zunächst die fünf großen Bereiche und die für sie von der Kommission gemachten Vorschläge aufgegriffen werden.

3.1   Binnenmarkt, Vereinfachung der Rechtsvorschriften und Internationalisierung des Regelungsrahmens für Kraftfahrzeuge

3.1.1

Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag, künftig die Rahmenrichtlinie für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen auf alle Arten von Kraftfahrzeugen auszuweiten. Er weist insbesondere auf die Bedeutung hin, die diese Regelung für die Kennzeichnung von Ersatzteilen hat.

3.1.2

Der EWSA befürwortet den in der Mitteilung zum Ausdruck gebrachten Willen, das Regelungsumfeld zu vereinfachen und zu internationalisieren, ist gleichzeitig jedoch der Ansicht, dass diesem Willen zur Harmonisierung nicht der absolute Vorrang vor allen anderen Erwägungen eingeräumt werden darf.

3.1.3

In diesem Zusammenhang ist der EWSA wie die Kommission der Ansicht, dass multilaterale Bemühungen prinzipiell zu bevorzugen sind, und so unterstützt der Ausschuss voll und ganz die Kommission in ihrer Sichtweise, dass sie „es … für notwendig [hält], dass die Gemeinschaft trotz Übernahme der UN/ECE-Regelungen weiterhin Rechtsakte außerhalb des UN/ECE-Regelungssystems erlassen kann, wo sie das für notwendig erachtet, um die gesundheits- und umweltpolitischen und sonstigen politischen Ziele der Gemeinschaft zu erreichen“. Da solche Regelungen für den Bereich des internationalen Handels und des Marktzugangs potenziell kritisch sind, sollte ein derartiger Vorbehalt auch weiterhin aufrecht erhalten werden, damit die europäischen Industriellen über Instrumente verfügen, um auf Regelungen reagieren zu können, die ihre Wettbewerbsfähigkeit in anderen Teilen der Welt einschränken könnten.

3.2   Ein umweltverträglicher, nachhaltiger Straßenverkehr

3.2.1

Der EWSA begrüßt die Qualität der zur Förderung eines umweltverträglichen, nachhaltigen Straßenverkehrs getroffenen oder geplanten Maßnahmen. Ausgehend von den Zusagen der Kommission, die mit Nachdruck ihren Willen unterstreicht, die Folgen künftiger Regelungen für Beschäftigung und Sicherheit sorgfältig zu prüfen, will der EWSA die Kommission darauf aufmerksam machen, dass den Unternehmern Zeit eingeräumt werden muss, um die Technologien zu entwickeln, die notwendig sind, um diese strengeren Vorschriften einzuhalten, ohne dass dies zu einer nennenswerten Verteuerung der Produkte und damit letztendlich zu einer Verlangsamung bei der Erneuerung der Fahrzeugparks führt. Diese Fragestellung, deren Bedeutung im Bericht CARS 21 hervorgehoben wurde, scheint in der Kommissionsmitteilung eher untergeordnete Berücksichtigung zu finden.

3.2.2

In diesem Zusammenhang nimmt der EWSA mit Interesse zur Kenntnis, dass die Kommission künftig dem tatsächlichen Schadstoffausstoß der Fahrzeuge eine größere Aufmerksamkeit schenken will (Punkt 8), bedauert indes, dass sie daraus nicht die im Hinblick auf Kontrolle, Wartung und Reparaturfähigkeit der Fahrzeuge erforderlichen Konsequenzen zieht.

3.2.3

Der EWSA weist darauf hin, dass im Mittelpunkt des von der Kommission vertretenen integrierten Ansatzes die Schadstoffemissionen und insbesondere die CO2-Emissionen der in Europa in den kommenden Jahren verkauften Neuwagen stehen. Die Kommission interessiert sich dabei lediglich für technologische (Biokraftstoffe, Wasserstoff, intelligente Fahrzeuge und Verkehrssysteme) oder ökonomische Lösungen (mögliche Einbindung des Straßenverkehrssektors), die sie fördern möchte. Der EWSA bedauert, dass die Kommission nicht ausreichend untersucht, welche Möglichkeiten ein holistischer Ansatz bietet, durch den dem Stellenwert des Automobils und des Straßenverkehrs in der europäischen Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.

3.2.4

Der EWSA unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass in dem Bericht CARS 21 beispielsweise ausdrücklich Besorgnis über das Tempo der Erneuerung der Fahrzeugparks, dem eine echte Schlüsselfunktion zugeschrieben wird, geäußert wird. Des Weiteren wird auf die Bedeutung der Verkehrsüberlastung hingewiesen. Der EWSA wünscht, dass diese Förderung eines umweltfreundlicheren Automobils mit anderen Maßnahmen einhergeht, beispielsweise mit der Förderung alternativer Formen des Zugangs zu einem Kraftfahrzeug, die künftig gleichberechtigt mit den technologischen Lösungsansätzen geprüft werden sollten.

3.2.5

Der EWSA weist darauf hin, dass das Angebot an umweltverträglicheren Fahrzeugen erhöht und die Nachfrage nach ihnen angeregt werden sollte. Die Kommission sollte sich daher für die Erarbeitung aufeinander abgestimmter, technisch neutraler und möglichst harmonisierter steuerlicher Anreize für bestimmte Fahrzeuge und Treibstoffe einsetzen — beispielsweise in Abhängigkeit vom CO2-Ausstoß —, wodurch über direkte Einflussnahme auf die Verbraucher und ihre Nachfrage ein Beitrag zur Verringerung der CO2-Emissionen geleistet würde.

3.3   Verbesserung der Sicherheit auf Europas Straßen

3.3.1

Der EWSA unterstützt den umfassenden, von der Kommission vertretenen Ansatz im Hinblick auf eine wirksame Sicherheitsstrategie für den Straßenverkehr, die „die Fahrzeugtechnik, die Straßeninfrastruktur, das Fahrerverhalten und die Durchsetzung der Verkehrsregeln einschließen“ muss.

3.3.2

Die gleichen Fragen, die schon bei der Behandlung des Themas Umweltschutz auftauchten, stellen sich auch hier. Eine der wichtigsten Formulierungen des Berichts CARS 21, durch die deutlich wird, dass bei der Umweltschutz- und Sicherheitsausstattung der Fahrzeuge mitunter Zugeständnisse gemacht werden müssen, lautet „zu einem für den Benutzer erschwinglichen Preis“. Diese Formulierung wird in der Mitteilung nicht aufgegriffen.

3.3.3

Bezüglich der Sicherheit im Straßenverkehr wird in der Kommissionsmitteilung (2) vorgeschlagen,

den Einbau von Isofix-Kindersitzbefestigungen in Neufahrzeuge der Klasse M1 vorzuschreiben;

die Benutzung von Tagfahrlicht vorzuschreiben (eine öffentliche Anhörung hierzu wurde am 1. August 2006 gestartet);

das elektronische Schleuderschutzsystem ESP vorzuschreiben, zunächst für schwere Nutzfahrzeuge, später auch für leichte Nutzfahrzeuge und Pkw, sobald ein Verfahren zur Prüfung ihrer Wirkung entwickelt worden ist;

Gurtwarner für alle Neufahrzeuge vorzuschreiben;

neue Anforderungen für die Phase II der Fußgängerschutz-Richtlinie 2003/102/EG festlegen, um den Fußgängerschutz wirksamer zu gestalten (3).

3.3.4

Der EWSA hält es für wichtig, dass diese Vorschläge sich allenfalls in einer angemessenen Erhöhung der Preise für Neuwagen niederschlagen, und spricht sich daher dafür aus, die Anschaffungskosten der Fahrzeuge und ihre Auswirkungen auf die Geschwindigkeit bei der Erneuerung der Fahrzeugparks und mithin auf die Sicherheit im Straßenverkehr stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Der Ausschuss weist darauf hin, dass für Phase II des Entwurfs der Richtlinie zum Fußgängerschutz noch Klärungsbedarf besteht, was dazu führt, dass den Herstellern für die Umsetzung der Richtlinie weniger Zeit als erforderlich zur Verfügung steht und so die Planbarkeit der entsprechenden Maßnahmen beeinträchtigt wird. Des Weiteren müssen umgehend der Zeitplan für die Umsetzung der Richtlinie sowie die genauen Anforderungen an die Hersteller festgelegt werden. Er fordert die Kommission auf zu bedenken, dass die Sicherheit im Straßenverkehr auch impliziert, dass die Verbraucher ihre Fahrzeuge warten, auch wenn es sich um Altfahrzeuge handelt. Er empfiehlt eine Bewertung und Klassifizierung der geplanten Maßnahmen nach Maßgabe der Kosten-Nutzen-Relation jeder einzelnen dieser Maßnahmen, die sich ergibt, wenn die Kosten für den Nutzer jeweils den Auswirkungen auf die Unfallzahlen, den Veränderungen der Morbidität oder den Folgen für die Verkehrsteilnehmer gegenübergestellt werden. Gleichzeitig fordert der EWSA die Kommission auf, nicht allein die Technik in den Vordergrund zu stellen, sondern auch ausdrücklich alle Maßnahmen zu treffen, mit denen das Verhalten der Straßenverkehrsteilnehmer beeinflusst werden kann (Unterricht, Prävention, Beschilderung …). Der Ausschuss weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass den Auswirkungen, die die demografische Entwicklung und die Tatsache, dass alte oder sehr alte Fahrer einen immer größeren Teil der Auto- und Straßenbenutzer ausmachen werden, auf diese Fragenkomplexe haben, in Zukunft besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.

3.3.5

In diesem Zusammenhang und übereinstimmend mit dem Bericht CARS 21 weist der EWSA auf die Bedeutung der steuerlichen Anreize hin, um die Nachfrage nach sichereren Fahrzeugen zu fördern. Durch entsprechende Anreize sollte für eine Erweiterung des Angebots an sichereren Fahrzeugen gesorgt und die Nachfrage nach solchen Fahrzeugen belebt werden.

3.4   Handel und überseeische Märkte:

Der EWSA befürwortet die von der Kommission vertretene Haltung zu den Fragen des internationalen Handels und insbesondere die Aufmerksamkeit, die sie gleichzeitig den internationalen bilateralen Abkommen, den nichttarifären Handelshemmnissen und der vor allem in Asien bedeutsamen Frage nach den Rechten am geistigen Eigentum widmet. Bei der Auswahl der Länder, mit denen Freihandelsabkommen geschlossen werden sollen, müssen im Vorfeld vor allem die wirtschaftlichen Kriterien berücksichtigt werden, wie beispielsweise die potenzielle Größe des Marktes und die von ihm gebotenen Perspektiven sowie die Möglichkeit zur beiderseitigen Aufhebung von Handelshemmnissen in gegenseitigem Einvernehmen usw. Neben diesen für die Erzeugerindustrie interessanten Fragestellungen weist der EWSA die Kommission darauf hin, dass die Frage des Ersatzteilmarktes stärker berücksichtigt werden muss, um das Handeln der einzelnen europäischen Staaten auf diesem Gebiet zu vereinheitlichen und gleichzeitig eine Strategie gegenüber China, Indien oder Russland zu erarbeiten.

3.5   Forschung und Entwicklung

Der EWSA steht voll und ganz hinter der Förderung von Forschung und Entwicklung und der Überzeugung der Kommission, dass die drei Pfeiler der nachhaltigen Entwicklung nur dann tragen können, wenn private und öffentliche Forschungsanstrengungen fortgeführt und vertieft werden. Ähnlich wie unter Ziffer 3.4 weist der EWSA an dieser Stelle auf die Notwendigkeit hin, den gesamten Sektor einschließlich der nachgeschalteten Industrie einzubeziehen. Die Frage nach den Kosten für den technologischen Fortschritt, nach der Reparaturfähigkeit der Fahrzeuge, auf die dieser Fortschritt einen großen Einfluss hat, und die Frage nach der für die Anpassung der Reparaturleistungen und der Infrastruktur notwendigen Weiterbildung müssen sehr zeitnah gestellt werden, und die Kommission muss zu diesem Zwecke gezielte politische Maßnahmen einleiten. Die Kommission sollte einen angemessenen Teil der Mittel aus dem 7. Rahmenprogramm auch für die Verfolgung eines integrierten Ansatzes in der Straßenverkehrssicherheit zur Verfügung stellen, der auch die Infrastruktur umfasst, beispielsweise elektronische Kommunikationssysteme u. a.

3.6   Besteuerung und steuerliche Anreize

Der EWSA unterstützt die Kommission, die „das Parlament und den Rat auf[fordert], die Richtlinie (4) so bald wie möglich zu verabschieden“. Sobald das Parlament diesen Vorschlag für eine Richtlinie, die Anreize zu einer Harmonisierung der Steuerpolitiken schaffen soll, verabschiedet hat, muss der Rat von der Zweckmäßigkeit überzeugt werden, die Vorschriften anzugleichen, die für die derzeitigen Verzerrungen zwischen den Kraftfahrzeugmärkten und Kfz-Reparaturdienstleistungen innerhalb der Europäischen Union verantwortlich sind.

3.7   Der Ersatzteilmarkt

Der EWSA bedauert, dass diese Fragestellungen in den Überlegungen der Kommission keinen größeren Platz einnehmen, unterstützt jedoch die Beibehaltung der Verordnung 1400/2002 (5) und das Ansinnen der Kommission, für eine homogene Anwendung dieser Verordnung in der gesamten Union Sorge zu tragen. Der Ausschuss befürwortet, dass die Kommission den Vorschriften zur Gewährleistung des freien Zugangs zu technischen Informationen Geltung verschaffen will. In diesem Zusammenhang hebt er hervor, dass die aufmerksame Umsetzung der Vorschriften im Zuge der Übernahme des OASIS-Formats von außerordentlicher Bedeutung ist.

3.8   Die Methode CARS 21 und ihre Anwendung durch die Kommission

3.8.1

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission künftig eine „bessere Rechtsetzung“ anstrebt und „ein sinnvolles Zusammenwirken der verschiedenen Politikbereiche erreichen, die Politik berechenbar machen, das öffentliche Interesse wahren (z. B. bei Sicherheit und Umweltschutz) und zugleich die Belastung der Industrie durch Regelungen senken“ will. Er begrüßt das erklärte Anliegen, einen umfassenden Ansatz zu entwickeln und die unterschiedlichen Dimensionen der Industrieentwicklung und ihrer Wettbewerbsfähigkeit sowie die verschiedenen Betroffenenkreise mit einzubinden.

3.8.2

Bezüglich der sozialen und industriellen Fragen, wie sie auf den ersten Seiten des Berichts aufgeworfen werden, teilt der EWSA den Wunsch der Kommission, sie miteinander zu verknüpfen, da die Beschäftigung direkt mit der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie einerseits und der einzelnen Standorte andererseits verbunden ist. Unter diesem Blickwinkel unterstützt der Ausschuss im Großen und Ganzen den Vorschlag, die Lage der Industrie in Europa einer Untersuchung zu unterziehen.

3.8.3

Der EWSA begrüßt die Einschätzung der Kommission, dass „für den europäischen Markt bestimmte Fahrzeuge wahrscheinlich weiterhin in Europa gebaut“ werden, vertritt jedoch wie die Kommission die Ansicht, dass dies wahrscheinlich nicht gleichbedeutend mit Beschäftigungsstabilität ist.

3.8.4

Der EWSA fordert die Kommission auf, den Dialog unter den Sozialpartnern zu beleben, um Unternehmens- und Arbeitsplatzverlagerungen innerhalb und außerhalb der Union, wie sie im Bericht CARS 21 beschrieben werden, zuvorzukommen und in angemessene Bahnen zu lenken. Er fordert die Kommission des Weiteren auf, in diesem Zusammenhang Überlegungen darüber anzustellen, welche Auswirkungen die Entwicklungen im Automobilsektor auf Zulieferer zweiten und dritten Ranges haben, denen die derzeitigen Trends besonders zu schaffen machen.

3.8.5

In gleichem Zusammenhang finden die in der Mitteilung angedachten Hilfsmaßnahmen und der Gedanke, ein „Umstrukturierungsforum“ für die Automobilindustrie einzurichten, „das sich mit diesen Fragen befassen und die Anpassung an den Wandel erleichtern soll“, die vorbehaltlose Unterstützung des EWSA. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, bei dieser Gelegenheit dafür zu sorgen, dass der gesamte Sektor und insbesondere die Akteure der nachgelagerten Industriezweige in diesen Arbeiten berücksichtigt werden und von den begleitenden Hilfsmaßnahmen profitieren können. Derartige Initiativen erfolgen nämlich ganz im Geiste der von den einzelnen Akteuren benötigen Konzertierungsverfahren oder der gemeinsamen strategischen Überlegungen innerhalb des Automobilsektors. Der EWSA betont, dass er im Zuge dieser Arbeiten und Debatten eine maßgebliche Rolle spielen und insbesondere dafür Sorge tragen möchte, dass alle Sozialpartner und insgesamt alle Interessengruppen stärker als bisher dabei vertreten werden.

3.8.6

Beispielsweise ist der Ausbildungs-/Schulungsbedarf in den KMU oder Kleinstunternehmen größer und weniger gut gedeckt, und die Strukturfonds und andere Förderinstrumente für die Umstrukturierungen sollten auch diesen Akteuren des Sektors zugute kommen.

3.8.7

Die Kommission schließt ihre Mitteilung und sieht

die einmalige Gelegenheit, im Rahmen ihrer Industriepolitik eine neue Kultur der Politikgestaltung zu etablieren. Nach Auffassung der Kommission sollte bei der Ausarbeitung von Vorschlägen für Rechtsakte stets auf Qualität, Einfachheit, Folgen, Anhörung der Betroffenen, angemessene Fristen und die Wahl des geeigneten Rechtsinstruments geachtet werden.

3.8.8

Der EWSA befürwortet dieses Konzept und möchte mit dieser Stellungnahme der Kommission dabei behilflich sein, dieses Konzept in vollem Umfang umzusetzen. Sie lenkt deswegen die Aufmerksamkeit der Kommission auf den mitunter etwas bruchstückhaften Charakter des entwickelten Ansatzes. Genauer gesagt, wenn auch die im Bericht CARS 21 entwickelten Analysen und die Schlussfolgerungen, die die Kommission aus ihnen zieht, nicht vergessen wurden, so sind sie in der Debatte doch durch eine geringe Berücksichtigung der Verbraucher und der nachgelagerten Industriezweige gekennzeichnet. Die daraus resultierende Behandlung des Themas Automobil allgemein und des Umweltschutzes und Sicherheitsaspektes scheint dem EWSA nicht holistisch genug: Sie repräsentiert eher die Sichtweise der Industrie, die sich zu stark auf das Erzeugnis und die Technologien konzentriert und die Fragenkomplexe Fahrzeugparks und Automobilgebrauch nicht genügend einbezieht.

3.8.9

Der EWSA vertritt daher die Ansicht, dass in der 2009 zu ziehenden Bilanz diese Stellungnahme sowie in verstärktem Maße der Standpunkt der nachgelagerten Industriezweige und der Kraftfahrzeugnutzer berücksichtigt werden sollte. Zu diesem Zwecke muss die „Anhörung der Betroffenen“ fortgeführt und besser organisiert werden, damit der betroffene Automobilsektor nicht mit dem der Autohersteller gleichgesetzt wird und die „Folgenabschätzungen“ in neuem Lichte anvisiert werden können. Die Folgenabschätzungen müssen qualitativ verbessert werden. Sie müssen auf gesicherten Daten beruhen und umfassend, objektiv sowie neutral sein. Es ist nicht sinnvoll, dass eine Dienststelle der Kommission, die eine politische Stellungnahme zu einem bestimmten Thema zu erarbeiten hat, gleichzeitig auch die Folgenabschätzung zu dieser Problematik durchführt. Der EWSA stimmt dem Vorschlag zu, einen Ausschuss zur Durchführung von Folgenabschätzungen (Impact Assessment Board) einzusetzen und fordert die Kommission auf, diejenigen Interessengruppen mit einzubeziehen, die von den privaten „Architekten“ des zu regulierenden Automobilsektors gerne vergessen werden.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa.

(2)  KOM(2007) 22 endg., S. 15.

(3)  Richtlinie 2003/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. November 2003 zum Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern bei Kollisionen mit Kraftfahrzeugen und zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWG des Rates (ABl. L 321 vom 6.12.2003, S. 15); Stellungnahme des EWSA: ABl. C 234 vom 30.9.2003, S. 10.

(4)  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Besteuerung von Pkw (KOM(2005) 261 endg.); Stellungnahme des EWSA: ABl. C 195 vom 18.8.2006, S. 80.

(5)  Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (ABl. L 203 vom 1.8.2002, S. 30).


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/21


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umsturzvorrichtungen für land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2007) 310 endg. — 2007/0107 (COD)

(2008/C 10/05)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 2. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 172 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/21


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Abschleppeinrichtung und den Rückwärtsgang von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2007) 319 endg. — 2007/0117 (COD)

(2008/C 10/06)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 2. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 163 gegen 1 Stimme bei 5 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Schilder, vorgeschriebene Angaben, deren Lage und Anbringungsart an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern“

KOM(2007) 344 endg. — 2007/0119 (COD)

(2008/C 10/07)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 13. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 165 Ja-Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission — Aktionsplan für Energieeffizienz: Das Potenzial ausschöpfen“

KOM(2006) 545 endg.

(2008/C 10/08)

Am 19. Oktober 2006 beschloss die Kommission, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft um Stellungnahme zu obenerwähnter Mitteilung zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2007 an. Berichterstatter war Herr IOZIA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 27. September 2007 mit 145 gegen 1 Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt und befürwortet die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Ziele und Maßnahmen. Die Energieeffizienz ist der Bereich, in dem als erstes und mit dem größten Nachdruck gehandelt werden muss, wenn die Ziele des Europäischen Energieplans erreicht werden sollen. Diese Ziele sind: Verringerung der Treibhausgasemissionen, u. a. um eine weitere Zunahme der anomalen Erderwärmung zu verhindern, Verringerung der Abhängigkeit von Energieeinfuhren und drittens Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Energieversorgungssystems, was die weitere Verfügbarkeit von Energie zu erschwinglichen Preisen beinhaltet.

1.2

Der Ausschuss hält es auch unter Berücksichtigung des jüngsten ICCP-Berichts (ICCP: Intergovernmental Panel on Climate Change) für notwendig, dass alle erdenklichen Anstrengungen unternommen werden, um den Energieverbrauch zu senken, und er hält das betreffende Ziel für realistisch, auch wenn s. E. sogar Einsparungen von über 20 % in Anbetracht des Standes der Technik möglich sind. Um das angestrebte Ziel zu erreichen, ist die Aufstellung nationaler Pläne erforderlich, die auf die finanziellen und technologischen Ausgangsbedingungen des jeweiligen Landes abgestimmt sind: nur so lässt sich gewährleisten, das die Zielanteile nach Maßgabe des individuellen Potenzials der Mitgliedstaaten gerecht aufgeteilt werden. Zweckmäßig wäre auch die Festlegung von Zwischenzielen, z. B. für 2012 und 2016, um bei erheblichen Abweichungen vom Zielkorridor die Maßnahmen eventuell verstärken zu können.

1.3

Der Ausschuss würde es für sinnvoll halten, wenn die Kommission eine spezifische Debatte über die Lebensformen und die so genannte Lebensqualität eröffnete. Er möchte die Kommission mit der Frage konfrontieren, ob sie eine realistische Möglichkeit sieht, in Zukunft, d. h. über die nächsten Generationen, den gleichen Lebensstil mit zunehmendem Konsum und gleichermaßen anwachsenden Emissionen beizubehalten. Das Wissen, dass diese Frage verneint werden muss, impliziert eine Herausforderung, der sich die heutige Generation nur mit mutigem, entschlossenem und rechtzeitigem Handeln stellen kann. Ein Problem besteht auch darin, zu verhindern, dass Energieeinsparungen, wenn sie mit einem unmittelbaren Anstieg der Kaufkraft der Bevölkerung verbunden sind, auf Umwegen zur Finanzierung vermehrten Konsums genutzt werden.

1.4

Nach Ansicht des Ausschusses sollte eine weitere vorrangige Maßnahmen hinzugefügt werden: der Aufbau von Fernwärme- und Fernkältenetzen, durch die ein Verlust von 33 % infolge der Umwandlung von Primärenergie vermieden werden könnte.

1.5

Der Ausschuss empfiehlt, im Rahmen vorrangiger positiver Maßnahmen das Entstehen und die Weiterentwicklung neuer Berufe im Bereich der Energieeffizienz, die Verbreitung neuer integrierter Energiedienstleistungen, die Verwertung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse, die Weiterentwicklung des Recycling und der Entsorgung von Siedlungsabfällen — Bereiche, in denen gleichzeitig viele Arbeitsplätze entstehen können — und ein sozial verantwortliches Handeln der Unternehmen zu fördern. Von wesentlicher Bedeutung ist, dass die Aufnahme des Faches Energielehre in den Sekundarschulunterricht gefördert wird und mehr Studierende sich für eine entsprechende Hochschulausbildung entscheiden.

1.6

Die Durchführung der im Aktionsplan vorgesehenen 75 Initiativen sowie die Überwachung und Bewertung der Wirksamkeit des gesamten vorgeschlagenen Instrumentariums machen es notwendig, den Personalbestand der Kommission aufzustocken, die den Verlauf sämtlicher Aktivitäten zu beobachten hat. Der Ausschuss empfiehlt eine sorgfältige Untersuchung des Bedarfs an Human- und Finanzressourcen und eine entsprechende Anpassung.

1.7

Dem Ausschuss erscheint es notwendig, dass die Union in ihren internationalen Beziehungen, wenn es um das Thema Energieeffizienz geht, verstärkt mit einer Stimme sprechen kann. Deshalb empfiehlt er der Kommission zu prüfen, ob die Verträge im Hinblick auf eine stärkere gemeinsame Vertretung nach außen geändert werden müssen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten, frei über den optimal auf ihre Anforderungen zugeschnittenen Energiemix zu entscheiden, unangetastet bleiben würde.

1.8

Was die steuerlichen Maßnahmen zur Unterstützung der Investitionen, die zur Erreichung der Ziele des Aktionsplans notwendig sind, anbelangt, so empfiehlt der Ausschuss, dabei die einkommensschwächsten Gruppen der Gesellschaft wie Arbeitslose, Rentner und Arbeiter besonders zu berücksichtigen. Sowohl bei den „Energiesteuern“ als auch bei den steuerlichen Anreizen ist dafür zu sorgen, dass diese Bevölkerungsgruppen geschützt werden.

1.9

Der Ausschuss bedauert die unzureichende Koordinierung zwischen der Verkehrs- und der Energiepolitik, d. h. zwei Bereichen, die vom strukturellen Ansatz und auch von der technischen und funktionellen Seite her notwendigerweise komplementär sind, ebenso wie mit der Umweltschutz- und Industriepolitik: Er möchte an dieser Stelle die nicht unbegründete Besorgnis zum Ausdruck bringen, dass der Plan der Kommission ohne eine solche Koordinierung einen Großteil seiner potenziellen Wirkung einbüßen würde.

1.10

Im Bereich Wohnungsbau und -renovierung muss zuvörderst interveniert werden. Die Einsparungsmöglichkeiten sind enorm, sofern man sich über einige wesentliche Voraussetzungen im Klaren ist: die drastische Senkung der Steuerlast bei Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, die Aufhebung der bürokratischen Hürden (Genehmigungen, Zulassungen), die Verbesserung des Know-hows und der Ausbildung in den betreffenden Fachrichtungen, auch mithilfe öffentlicher Mittel. Gebäude mit Energiezertifikat müssten steuerlich bevorzugt behandelt werden oder, falls der Eigentümer kein zu versteuerndes Einkommen hat, einen „Energiebon“ für den Stromeinkauf zuerkannt bekommen. Unterhalb eines bestimmten Jahresverbrauchs müssten Vorzugstarife gelten. Das Baugewerbe und alle in diesem Sektor Tätigen benötigen eine angemessene Schulung darüber, wie sich im Bauwesen deutlich höhere Energieeffizienzniveaus erreichen lassen, sowie neue Anreize zur Verwirklichung dieses Ziels.

1.11

Nach Ansicht des Ausschusses müsste die Finanzierung der notwendigen Investitionen zwischen dem privaten Sektor und der öffentlichen Hand aufgeteilt werden. In Anlehnung an nachahmenswerte Beispiele aus einigen Mitgliedstaaten könnten überall in der EU Energiefonds eingerichtet werden, in die ein kleiner Teil der Gewinne der im Energiesektor tätigen Unternehmen fließen würde, wobei dies nicht zu Preiserhöhungen für die Endverbraucher bzw. zu einer Verringerung der gewaltigen Investitionen führen darf, die im Bereich der Energieerzeugung notwendig sind.

1.12

Der Ausschuss hält es für unverzichtbar, dass die Zivilgesellschaft sowie die Unternehmens-, Gewerkschafts- und Umweltorganisationen an dieser großen Aufgabe beteiligt werden. Nennenswerte Ergebnisse lassen sich nur erzielen, wenn die Masse der Bevölkerung sich entsprechend verhält und die gesamte Gesellschaft energiebewusst und einschlägig informiert ist, denn das Gros des Energiebedarfs entsteht bei den Endverbrauchern. In den Bereichen Wohnen, Individualverkehr und Berufstätigkeit sind die Bürger direkt betroffen. Die Erziehung zu verantwortungsbewusstem Energieverbrauch ab den ersten Schuljahren ist von fundamentaler Bedeutung. Die gesamte Gesellschaft muss an diesen Bemühungen mitwirken, die für alle zum Symbol eines neuen Bürgersinns werden und auch werden müssen. Jeder Europäer und jede Europäerin muss sich von diesem „Wettsparen“ angesprochen fühlen und mitmachen; dadurch muss es möglich sein, dass auch die künftigen Generationen noch über jene natürlichen Ressourcen verfügen, die heute durch die Umweltverschmutzung und den damit zusammenhängenden Klimawandel ernsthaft bedroht sind.

1.13

Der Ausschuss weist auf die positiven Ergebnisse hin, die dank der Energiekennzeichnung in der Haushaltsgeräteindustrie erzielt wurden. Die Einsparungen von bis zu 70 % bei Kühlschränken und bis zu 60 % bei Waschmaschinen beweisen die Wirksamkeit dieser Methode. Der Ausschuss fordert, dass das Beispiel des Öko-Designs auch auf die öffentlichen Gebäude, den Wohnungsbau sowie den öffentlichen und den Individualverkehr übertragen wird, d. h. auf die Sektoren, auf die der Löwenanteil des Gesamtenergieverbrauchs (über 70 %) entfällt.

1.14

Der Ausschuss empfiehlt, das Augenmerk konzentriert auf Energieverluste bei der Erzeugung, dem Transport und der Verteilung zu richten. Über ein Drittel der Energie geht verloren, d. h. etwa 480 Mio. t RöE. Beispielsweise werden beim Transport von Hochspannungsgleichstrom die Leistungsverluste von über 10 % auf 3 % pro 1 000 km reduziert. Die Gleichstromübertragung hat im Übrigen den Vorteil, dass die Bevölkerung keinen elektrischen und Magnetfeldern ausgesetzt wird und dass keine elektromagnetischen Strahlungen wie bei Wechselstromübertragung auftreten.

1.15

Angesichts der optimalen Ergebnisse, die zurzeit im Bereich der thermodynamischen Sonnenenergienutzung erzielt werden, fordert der Ausschuss Kommission und Rat auf, die Verbreitung dieser Technik zu fördern und zu unterstützen.

1.16

Der Ausschuss befürwortet das Ziel der Kommission, in verstärktem Maße die Weiterentwicklung von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen zu fördern; allerdings muss seiner Ansicht nach die Festlegung einheitlicher Normen für die Berechnung der Effizienz solcher Kraftwerke zügiger betrieben werden. Es erscheint ihm sinnvoll, in Programme zur Verbreitung der Technik der Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung zu investieren, denn die entsprechenden Anlagen können teilweise mit Biomasse betrieben werden. Gefördert werden müssten die Kleinstkraftwerke (Richtlinie 2004/8/EG — Anlagen mit einer installierten Leistung von unter 50 kWe), indem sie in die Programme zur Förderung von Energieeinsparungen und einer umweltfreundlicheren Energieerzeugung aufgenommen werden und leichter, als es heute der Fall ist, in die nationalen Elektrizitätsnetze integriert werden, was über eine Erhöhung des Anteils des direkt eingespeisten Stroms geschehen kann. Allerdings sollte eine Beihilfe für die Unternehmen vorgesehen werden, um die höheren Kosten aufzufangen, die durch die notwendige Anpassung der derzeitigen Übertragungsnetze verursacht werden.

1.17

Die Gas- und Elektrizitätsmärkte sind noch nicht vollständig liberalisiert. Es muss erreicht werden, dass die Unternehmen, die technische Monopole verwalten, rechtlich von denjenigen, deren Aktivitäten dem freien Wettbewerb ausgesetzt sind, getrennt werden.

1.18

Für zweckmäßig hält der Ausschuss die Einführung elektronischer Zähler, durch die ein ferngesteuertes System der Energieverteilung ermöglicht wird, was das Management der Netzlast optimiert. Diese Zähler sind als geeignete, den Vorschriften der EU-Richtlinien über Energieeffizienz entsprechende Instrumente anerkannt.

1.19

Der Verkehrssektor hat viel Energie auf die Senkung des Kraftstoffverbrauchs und der umweltschädlichen Emissionen verwendet. Die ständige Zunahme der CO2-Emissionen, die insbesondere auf die immer weitere Ausbreitung des Individualverkehrs, aber auch auf die Zunahme aller anderen Verkehre zurückzuführen ist, macht jedoch eine noch größere Anstrengung erforderlich (von 1990 bis 2004 haben die Emissionen des Straßenverkehrs um 26 % zugenommen). Die Kommission ist dabei, eine sorgfältige Folgenabschätzung für die gemeinschaftsrechtliche Festlegung der Modalitäten zur Erreichung des Ziels 120g CO2/km zu erarbeiten. Der Ausschuss empfiehlt, alle zur Erreichung dieses Ziels notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, wobei aber zu beachten ist, dass diese Maßnahmen zumutbar und technisch und industriell durchführbar sein müssen.

1.20

Der Ausschuss möchte darauf hinweisen, dass die massive Substitution fossiler Brennstoffe durch Biokraftstoffe das Risiko birgt, dass die Kraftstofferzeugung und die Nahrungsmittelerzeugung bei der Verwendung der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen in eine Konkurrenzsituation geraten. Eine weitere Gefahr ist, dass der Preis der Nahrungsmittel auf das Preisniveau der Energieerzeugnisse angehoben wird, das sich wiederum nach dem Preis der fossilen Brennstoffe richtet: dies könnte bedeuten, dass die Hunger leidende Bevölkerung der südlichen Halbkugel mit den Autofahrern in den Ländern der nördlichen Hemisphäre konkurrieren muss (1).

1.21

Der Ausschuss unterstützt die von der Kommission vorgeschlagenen Anreize sowie die finanziellen und steuerlichen Maßnahmen voll und ganz; er begrüßt insbesondere die Einbeziehung der EIB und der EBWE, aber auch die Sensibilisierung des europäischen Bankensektors für die Notwendigkeit einer finanziellen Unterstützung bei der Durchführung der nationalen Energiepläne. Der Ausschuss wünscht sich die Einberufung einer spezifischen europäischen Konferenz über die Finanzierung der Energieeffizienz, durch die die beteiligten Parteien sensibilisiert werden und die Beteiligung des europäischen Bankensektors an der Verwirklichung eines großen Projekts zur Modernisierung der europäischen Wirtschaft gefördert werden kann.

1.22

Der Ausschuss befürwortet die Einrichtung des „Bürgermeisterkonvents“, obwohl er das Ziel, nur die zwanzig fortschrittlichsten europäischen Städte zusammenzubringen, für nicht ehrgeizig genug hält. Das Ziel müsste viel höher gesteckt werden, und den auf Gemeindeebene gemachten Erfahrungen müsste ein größerer Stellenwert eingeräumt werden. Ein sehr gutes Instrument zur Vernetzung der für den öffentlichen Nahverkehr in den Städten zuständigen Verwaltungsbeamten und derjenigen, denen die Organisation örtlicher Aktivitäten mit unmittelbarer Öffentlichkeitswirkung obliegt, wäre ein spezifisches Internetportal (was andere Kommunikationsformen nicht ausschließt), das dem Erfahrungsaustausch zwischen großen, mittleren und kleinen Städten der Union dient, in denen über 80 % der europäischen Bevölkerung leben.

1.23

Der Ausschuss bedauert, dass der Aktionsplan nicht die wichtige Rolle berücksichtigt, die die Sozialpartner und der soziale Dialog auf allen Ebenen bei der Bewertung, Förderung und Weiterentwicklung der Energiesparpolitik spielen können. Er wünscht sich von der Kommission eine entschlossenere Politik im Hinblick auf die Aufnahme des Themas „ökologische Nachhaltigkeit“ in die Strukturen des sozialen Dialogs auf den verschiedenen Ebenen, insbesondere auf Branchenebene und in den europäischen Betriebsräten. Zudem können die Gewerkschaftsorganisationen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene eine wesentliche Rolle im Bereich der Informationsförderung und Sensibilisierung spielen und auch zum Austausch vorbildlicher Verfahrensweisen beitragen.

1.24

Wichtig ist, dass das Thema Energieeinsparung mit den im Bereich der sozialen Verantwortung der Unternehmen empfehlenswerten Praktiken verknüpft wird, was besonders für die multinationalen Unternehmen gilt: Dieses Thema erfordert nämlich einen intensiveren sozialen Dialog, wenn sämtliche mit der Energieeffizienz zusammenhängenden Fragen beantwortet werden sollen.

1.25

Die Kommission hat die internationale Dimension des Problems der Verbesserung der Energieintensität sehr treffend herausgestellt. Der Ausschuss unterstützt die Vorschläge für eine Partnerschaft und die Erarbeitung eines internationalen Rahmenabkommens. Was die angekündigte internationale Konferenz über Energieeffizienz betrifft, so gibt der Ausschuss zu bedenken, dass die Bedeutung einer Beteiligung der Länder, die von den AKP-, Euromed- und ENP-Programmen erfasst werden, nicht unterschätzt werden sollte. Internationale Zusammenarbeit ist für eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung unerlässlich, und es ist notwendig, die Bemühungen auf diplomatischer Ebene zu intensivieren, damit bis 2009 ein neues internationales „Post-Kyoto-Protokoll“ zustande kommen kann, zu dem die diesjährige Konferenz auf Bali den Auftakt bildet.

2.   Die Mitteilung der Kommission

2.1

Die Kommission hat ihre Mitteilung Aktionsplan für Energieeffizienz: Das Potenzial ausschöpfen aufgrund eines Mandats des Europäischen Rates vom Frühjahr 2006 erarbeitet; dieser Rat stimmte den Grundausrichtungen, die vom Grünbuch Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie vorgegeben wurden, zu.

2.2

Insgesamt betrachtet geht es bei den in der Mitteilung enthaltenen Vorschlägen darum, bis 2020 Energieeinsparungen von über 20 % gegenüber dem voraussichtlichen Energieverbrauch zu erzielen, der unter Zugrundelegung eines bestimmten BIP-Wachstums bei unveränderten Rahmenbedingungen errechnet wurde. Wird der Aktionsplan erfolgreich umgesetzt, so dürften bis zu 390 Mio. t RöE pro Jahr eingespart werden, was eine Verringerung der CO2-Emissionen um 780 Mio. t jährlich zur Folge hätte. Absolut gesehen dürften die vorgeschlagenen Maßnahmen eine Verbrauchssenkung um jährlich 1 % bei einem BIP-Wachstum von 2,3 % gewährleisten, das im Falle unveränderter Rahmenbedingungen mit einem Verbrauchsanstieg von 0,5 % pro Jahr einhergehen würde. Die Kosten der notwendigen Investitionen dürften durch Brenn- und Kraftstoffeinsparungen in Höhe von etwa 100 Mrd. EUR pro Jahr kompensiert werden.

2.3

Aus der Debatte, die durch das Grünbuch über Energieeffizienz („Weniger ist mehr“) ausgelöst wurde, sind Vorschläge hervorgegangen, die nun zusammengenommen das komplexe, differenzierte Maßnahmenbündel der Mitteilung bilden; es handelt sich um 75 Maßnahmen in allen für die potenziellen Einsparungen relevanten Bereichen. Der dringendste Handlungsbedarf besteht in den Bereichen Gebäude und Verkehr, denn sie sind für den größten Teil des Verbrauchs an Erdölerzeugnissen verantwortlich: ebenso große Bedeutung wird allerdings den möglichen Einsparungen bei der Erzeugung, Übertragung und Umwandlung von Energie und bei der industriellen Produktion beigemessen.

2.4

In dem von der Kommission aufgestellten Aktionsplan sind eine Reihe von Sofortmaßnahmen sowie Aktionen, die innerhalb von sechs Jahren durchgeführt werden sollen, vorgesehen. Es steht schon fest, dass das Ziel von 20 % Einsparung bis 2020 nicht ohne einen weiteren Aktionsplan erreicht werden kann.

2.5

Die Untersuchung des Einsparpotenzials fördert zutage, dass im Bereich des Endverbrauchs interessante Ergebnisse möglich sind: man geht von 25 % bei den Produkten der verarbeitenden Industrie aus, insbesondere bei Peripheriegeräten wie Elektromotoren, Belüftungs- und Beleuchtungsanlagen, und von 26 % beim Verkehr, wenn die Co-Modalität und die Verlagerung auf andere Verkehrsträger, wie bei der Halbzeitüberprüfung des Weißbuchs Verkehr vorgeschlagen, in größerem Umfang durchgeführt wird. Im Bereich Wohngebäude wird sogar von möglichen 27 % ausgegangen, was z. B. Maßnahmen zur Wand- und Dachisolierung, zur sparsameren Nutzung der Beleuchtung und zum Einsatz effizienterer Haushaltsgeräte voraussetzt. Bis zu 30 % können dank einer umfassenden Verbesserung der Systeme zur Steuerung des Energieverbrauchs bei gewerblich genutzten Gebäuden erreicht werden.

2.6

Aufgrund struktureller Veränderungen, der Wirkung bereits getroffener Maßnahmen und der Einführung neuer Technologien wird mit einer Verringerung der Energieintensität um 1,8 % oder 470 Mio. t. RöE jährlich gerechnet. Dies bedeutet, dass sich die Energieintensität, wenn die jetzt vorgeschlagenen neuen Maßnahmen zu der erwarteten Einsparung von 20 % (1,5 % oder 390 Mio. t RöE pro Jahr im Zeitraum 2005-2020) führen, jährlich um insgesamt 3,3 % verringern würde. Bei dem erwarteten BIP-Wachstum von 2,3 % jährlich liefe dies auf eine absolute Energieeinsparung von 1 % pro Jahr hinaus.

2.7

Der Aktionsplan wird im Hinblick auf den Umweltschutz, eine Reduzierung der Importe fossiler Brennstoffe, wodurch die Abhängigkeit von Drittstaaten verringert wird, und eine rentablere, wettbewerbsfähigere europäische Industrie, nicht zuletzt dank der technologischen Innovation, die durch die in Gang gesetzten Prozesse gefördert wird und positive Auswirkungen auf die Beschäftigung hat, Vorteile bringen.

2.8

Im Mittelpunkt des Aktionsplans stehen zehn vorrangige und dringende Maßnahmen — doch die Kommission fordert die Mitgliedstaaten, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und alle Akteure auf, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um ein noch besseres Ergebnis zu erzielen. Es sind sektorspezifische und sektorübergreifende Maßnahmen vorgesehen.

2.9

Es wird u. a. die Notwendigkeit hervorgehoben, für verschiedene Produkte und Dienstleistungen dynamische Anforderungen an die Energieeffizienz festzulegen, im Energieumwandlungssektor die Verbesserung der Effizienz sowohl der neuen als auch der bereits vorhandenen Kapazitäten für die Energieerzeugung und eine drastische Reduzierung der Übertragungs- und Verteilungsverluste zu fördern; schließlich soll im Verkehrssektor ein kohärentes Konzept für alle beteiligten Akteure entwickelt werden.

2.10

Der Strategieplan für Energietechnologie, der 2007 verabschiedet werden dürfte, wird einen weiteren Beitrag zur Verbesserung der Effizienz leisten.

2.11

Es gilt, den „Preissignalen“, die zu einer stärkeren Sensibilisierung beitragen, große Aufmerksamkeit zu schenken. Darüber hinaus müssen angemessene Finanzinstrumente auf allen Ebenen und für Verbraucher und Hersteller Anreize schaffende Strategien, auch im Steuerbereich, eingeführt werden

2.12

Die Herausforderung der Energieeffizienz muss indes auf globaler Ebene bewältigt werden, weshalb auch internationale Vereinbarungen und Partnerschaften von wesentlicher Bedeutung sind.

2.13

Die gewissenhafte Umsetzung der geltenden Richtlinien und Verordnungen wie der jüngsten Richtlinie zur Endenergieeffizienz und zu Energiedienstleistungen, der Kennzeichnungsrichtlinie mit ihren 8 Umsetzungsrichtlinien, der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, der Öko-Design-Richtlinie und der Energy-Star-Verordnung wird zur Verwirklichung der erwarteten Ziele beitragen.

2.14   Vorrangige Maßnahmen

2.14.1

Mindestnormen für die Energieeffizienz und Kennzeichnung von Geräten und Anlagen. Aktualisierung der Rahmenrichtlinie 92/75/EG in Übereinstimmung mit der Einführung neuer, dynamischer Normen für die Energieeffizienz von Haushaltsgeräten, wobei besonderes Augenmerk auf den Energieverlust im Bereitschaftsmodus gerichtet wird. Es wird mit 14 Produktgruppen begonnen. Bis 2010 soll ein Großteil der Erzeugnisse, auf die ein erheblicher Anteil des Energieverbrauchs entfällt, von den in der Öko-Design-Richtlinie und den Vorschriften für die Bewertung und Kennzeichnung der Umweltfreundlichkeit vorgesehenen Mindestnormen erfasst werden.

2.14.2

Energieeffizienzanforderungen an GebäudeNiedrigstenergiehäuser („Passivhäuser“). Ausdehnung des Geltungsbereichs der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (die derzeit für Flächen von über 1 000 m2 gilt) und Vorbereitung einer neuen Richtlinie mit EU-Mindestanforderungen (in kWh/m2) für neue und renovierte Gebäude im Jahr 2009. Gemeinsam mit dem Bausektor werden gezielte Strategien zur Einführung von Niedrigstenergiehäusern entwickelt.

2.14.3

Steigerung der Effizienz von Stromerzeugung und -verteilung. Auf den Sektor der Energieumwandlung entfällt ungefähr ein Drittel des gesamten Primärenergieverbrauchs, wobei die Umwandlungseffizienz gegenwärtig bei ca. 40 % liegt. Dank der neuen Kraftwerke kann sie aber auf 60 % angehoben werden. Auch die Übertragungs- und Verteilungsverluste, die um die 10 % betragen, können erheblich verringert werden. Es werden Mindestanforderungen an die Effizienz neuer Anlagen zur Strom-, Wärme- und Kälteerzeugung mit Kapazitäten unter 20 MW festgelegt. Weitere Fortschritte werden von der Umsetzung der Richtlinie 2004/8/EG über die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) erwartet. Schließlich werden Mindestanforderungen und Regelungen für Fernwärme eingeführt.

2.14.4

Erreichen von Kraftstoffeffizienz. Um die CO2-Emissionen zu reduzieren, wird die Kommission erforderlichenfalls 2007 Rechtsakte vorzuschlagen, um sicherzustellen, dass der Zielwert von 120 g CO2/km bis 2012 erreicht wird. Derzeit wird insbesondere die Möglichkeit geprüft, in Verbindung mit den CO2-Emissionen steuerliche Instrumente einzusetzen. Auch die Reifenindustrie kann mit Hilfe von Normen für den Rollwiderstand und Systemen für die Kontrolle eines korrekten Reifendrucks zu einer Steigerung der Kraftstoffeffizienz (um bis zu 5 %) beitragen. Die Kommission wird ferner ein Grünbuch über den Stadtverkehr veröffentlichen, um die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zu fördern, und weitere Maßnahmen vorschlagen, um dieses Problem auf drastischere Weise anzugehen, insbesondere in den überlasteten Gebieten.

2.14.5

Erleichterung einer geeigneten Finanzierung der Energieeffizienz-Investitionen von KMU und Energiedienstleistern. Die Kommission wird den Bankensektor dazu anhalten, spezielle Finanzierungspakete zur Energieeinsparung bereitzustellen. Um Öko-Innovationen zu fördern, soll insbesondere den KMU der Zugang zu Gemeinschaftsmitteln (Umweltinvestitionsfonds, Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation) garantiert werden.

2.14.6

Impulse zur Steigerung der Energieeffizienz in den neuen Mitgliedstaaten. Die Kommission wird fordern, dass die für die Kohäsionspolitik vorgesehenen Mittel verstärkt für die Durchführung größerer Energieeffizienzprojekte eingesetzt werden.

2.14.7

Kohärente Besteuerung. Bei dem künftigen Grünbuch über indirekte Steuern und bei der Überarbeitung der Energiebesteuerungsrichtlinie ist die Einbeziehung von Energieeffizienz- und Umweltvertäglichkeitsbewertungen vorgesehen. Außerdem soll geprüft werden, ob es zweckmäßig ist, Steuergutschriften als Anreiz einzusetzen, um die Unternehmen zur Herstellung und die Verbraucher zur Verwendung energieeffizienter Haushalts- und anderer Geräte zu veranlassen.

2.14.8

Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Energieeffizienz. Die Entwicklung der Fertigkeiten und der Weiterbildung wird ebenso gefördert wie Informationsprogramme an die Adresse der Energiemanager in Industrie- und Versorgungsbetrieben. Die Schulen erhalten entsprechendes Unterrichtsmaterial.

2.14.9

Energieeffizienz in Agglomerationen. 2007 wird die Kommission einen „Bürgermeisterkonvent“ mit den Bürgermeistern der 20 größten und auf dem Gebiet der Energieeffizienz fortschrittlichsten europäischen Städte einrichten, um den Austausch nachahmenswerter Verfahrensweisen zu fördern.

2.14.10

Energieeffizienz weltweit fördern. Es soll ein Rahmenabkommen mit den wichtigsten Handelspartnern und internationalen Organisationen über die Verbesserung der Energieeffizienz in Endverbrauchssektoren und in der Energieumwandlung geschlossen werden.

Fazit

Die Kommission kündigt abschließend in ihrer Mitteilung eine Zwischenbewertung ihres Aktionsplans für 2009 an und bittet den Rat, das Parlament und die nationalen, regionalen und lokalen politischen Entscheidungsträger um nachdrückliche Unterstützung bei seiner Durchführung.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Mit dem von ihr vorgeschlagenen Aktionsplan untersucht die Kommission in einem ganzheitlichen Ansatz das Bündel an Initiativen, die erforderlich sind, um das in der Mitteilung genannte ehrgeizige Ziel zu erreichen, bis 2020 20 % Energie einzusparen und somit die CO2-Emissionen jährlich um 780 Mt zu senken. Der Ausschuss hält es — auch im Lichte des unlängst veröffentlichten ICCP-Berichts (Intergovernmental Panel on Climate Change) — für wünschenswert, alle erdenklichen Anstrengungen zur Senkung des Energieverbrauchs zu unternehmen, und weiß auch, dass Einsparungen von mehr als 20 % technisch möglich sind. Dennoch ist er der Ansicht, dass es sich hier um ein realistisches Ziel handelt. Um dieses zu erreichen, ist die Aufstellung nationaler Pläne erforderlich, die alle zusammen auf das angestrebte Ergebnis ausgerichtet sind; zugleich müssen die Pläne auf die finanziellen und technologischen Ausgangsbedingungen des jeweiligen Landes abgestimmt sein, denn nur so lässt sich gewährleisten, das die Zielanteile nach Maßgabe des individuellen Potenzials der Mitgliedstaaten gerecht aufgeteilt werden.

3.2

Zweckmäßig wäre auch die Festlegung von Zwischenzielen, z. B. für 2012 und 2016, um bei erheblichen Abweichungen vom Zielkorridor die Maßnahmen eventuell verstärken zu können. Die für 2009 geplante Zwischenbewertung ist hingegen zeitlich zu nah, um ein ausgewogenes Urteil zuzulassen. Der Ausschuss empfiehlt außerdem, ein fakultatives langfristiges Ziel (2040/2050) vorzusehen, damit die Bemühungen um Energieeinsparungen weitergehen. In nur wenigen Jahren werden die Investitionen in die Erzeugung von Energie aus fossilen Brennstoffen — die in die Milliarden Euro gehen — überholt sein. Diese Kraftwerke müssen so schnell und effizient wie möglich ersetzt werden. Dies wird eine Jahrhundertherausforderung sein — und ganz im Gegensatz zu dem stehen, was heute im Bereich des Energieverbrauchs geschieht: Tag und Nacht hell erleuchtete Glaspaläste mit bis zu 120 Stockwerken, immer mehr Landverbrauch zwecks Schaffung neuer Verkehrsinfrastrukturen usw. Die zuständigen Behörden müssen sich des gigantischen Problems, das die Substitution der Energieträger darstellt, so schnell wie möglich bewusst werden.

3.3

Die Kommission hat einen Aktionsplan vorgelegt, mit dem der Energieverbrauch gesenkt werden soll, ohne dass die Lebensqualität darunter leidet. Ausgehend von diesem Ziel ist geplant, bis 2020 bei einem konstanten BIP-Wachstum von 2,3 % eine Verringerung der Energieintensität um 3,3 % zu erreichen, was einer jährlichen realen Verringerung des Energieverbrauchs um 1 % und einem kumulierten Verbrauchsrückgang von 14 % zwischen 2005 und 2020 entspricht. Der Ausschuss legt der Kommission nahe, eine spezifische Debatte über die Lebensformen und die so genannte Lebensqualität zu eröffnen. Für manche bemisst sie sich nach der Zahl der Haushaltsgeräte, Mobiltelefone und Privatfahrzeuge je Einwohner, für andere hingegen nach der Intensität der CO2-, Partikel- und Feinstaubemissionen, der Häufigkeit von Staus und dem Zeitaufwand für Fahrten, ja auch nach der Qualität der öffentlichen Dienstleistungen. Wenn es um Energieeffizienz und -einsparungen im engeren Sinne geht, ist klar, dass auch die geringste Veränderung hin zu einem umweltfreundlicheren Lebensstil zur rascheren Erreichung der vorgeschlagenen Ziele beiträgt. Der Ausschuss möchte der Kommission die Frage stellen, ob sie eine realistische Möglichkeit sieht, in Zukunft, d. h. für die nächsten Generationen, den gleichen Lebensstil mit zunehmendem Konsum und gleichermaßen anwachsenden Emissionen beizubehalten. Ein Problem besteht darin, dass der Gedanke akzeptiert werden muss, dass Energieeinsparungen nicht auf Umwegen zur Finanzierung vermehrten Konsums genutzt werden dürfen. Es muss daher auf längere Sicht mit der Notwendigkeit einer Umstrukturierung des Wirtschaftssystems gerechnet werden, um geeignete Infrastrukturen zu schaffen und den nächsten Generationen eine entsprechende Werteordnung weiterzugeben. Dazu gehört z. B. (2):

Eine Verringerung der Ausbeutung von Ressourcen und Energieträgern

Die Verhütung von Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung

Abfallvermeidung

Die Begrenzung der Risiken für die Bevölkerung und die Umwelt.

3.3.1

Die Verantwortung für Energieeffizienz muss auf alle Ebenen verteilt werden, d. h. neben den nationalen muss es auch regionale und lokale Aktionspläne geben. Die Verwaltungsbehörden der subnationalen Gebietskörperschaften müssen in die Bewältigung dieser gewaltigen Aufgabe eingebunden werden. In der Tat stellt der Aktionsplan durch seinen Umfang und seine Tragweite eine ungeahnte Herausforderung dar. Von einigen Aspekten des Lebensstils, die mit dem Fortschritt des 20. Jahrhunderts assoziiert werden, muss sich die Menschheit trennen, und auch das Konzept der Ästhetik muss mit einer ethischen Bewertung unter dem Gesichtspunkt einer ausreichenden Energieeffizienz einhergehen; ebenso wie die Verwendung der Felle seltener Tierarten oder Elfenbeinschnitzereien heute inakzeptabel sind, sollten in Zukunft auch rundum verglaste Hochhäuser oder SUV tabu sein. Eine so tief greifende Umwälzung der herrschenden Werteordnung erfordert auch die Mitwirkung der Privatwirtschaft, die die Gelegenheit beim Schopf ergreifen sollte, ihre Umstellung auf ein energieeffizienzorientiertes Denken und Handeln schon jetzt zu betreiben, um daraus in weltweitem Maßstab Vorteile zu ziehen; sie könnte nämlich diese neuen Werte auch in der Werbung nutzen, anstatt, wie es z. B. häufig bei Kraftfahrzeugen geschieht, die Masse und die überflüssige Motorleistung als Statussymbole herauszustreichen.

3.4

Der Aktionsplan gliedert sich in zehn vorrangige Maßnahmen, die sich auf vier Hauptbereiche verteilen: Energieumwandlung, -übertragung und -verteilung, Wohngebäude und gewerblich genutzte Gebäude, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft. In diesen Bereichen werden über 90 % der Energie verbraucht. Weitere Initiativen sollen im Rahmen internationaler Übereinkommen ergriffen werden, um die partnerschaftliche Festlegung von Normen auf dem Gebiet der Ausbildung, Information und Kommunikation mit dem Ziel zu erreichen, dass ein Maximum an Synergien entsteht und alle beteiligten und betroffenen Akteure einen Teil der Verantwortung übernehmen.

3.5

Der Ausschuss schlägt vor, eine weitere vorrangige Maßnahme hinzuzufügen: die Verringerung des Einsatzes fossiler Brennstoffe zu Heizungs- und Kühlungszwecken; er macht darauf aufmerksam, dass in dem Kommissionsvorschlag nicht auf die Möglichkeit eingegangen wird, Fernwärme- und Fernkältenetze aufzubauen, durch die der 33 %ige Verlust, der mit der Umwandlung der Primärenergie verbunden ist, vermieden werden könnte. Diese Einsparungsmöglichkeit könnte nachgerade verdoppelt werden, wenn diese Netze mit erneuerbaren Energien betrieben oder mit Abfallentsorgungssystemen verbunden würden: die Einsparung beliefe sich dann auf bis zu 50,7 Mio. t RöE/Jahr. Der Ausschuss empfiehlt, neben den vorrangigen Maßnahmen auch vorrangige positive Maßnahmen zu ergreifen: so muss insbesondere die (Weiter)Entwicklung neuer Berufsbilder im Zusammenhang mit der Energieeffizienz gefördert werden, aber auch die Verbreitung neuer integrierter Energiedienstleistungen, der Absatz neuer, energiesparender und „saubererer“ Produkte, die Verwertung der Ergebnisse von Forschung und Entwicklung auf einzelstaatlicher und europäischer Ebene mit einer erheblichen Aufstockung der für F&E bereitgestellten Mittel und nicht zuletzt der Einsatz aller bereits verfügbaren Techniken. Weitere Aktionsfelder könnten die Weiterentwicklung der Verwertung und Entsorgung von Siedlungsmüll — wo auch viele Arbeitsplätze entstehen könnten — und die Förderung von sozial verantwortlichem Handeln (CSR) und freiwilligen Übereinkommen in den Unternehmen sein, wobei die Arbeitnehmer aktiv beteiligt sein müssen und die EMAS-Verfahren anzuwenden sind.

3.6

In der Kommissionsmitteilung werden zahlreiche Legislativmaßnahmen wie neue Richtlinien und Verordnungen und die Überarbeitung vorhandener Instrumente angekündigt, mit denen die geltenden Normen verschärft werden sollen (Ankündigung vom 7. Februar über die Einführung einer Höchstgrenze für CO2-Emissionen in der Automobilindustrie). Der Ausschuss nimmt die Kommissionsvorschläge und die Beschlüsse, die auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates im März 2007 gefasst wurden, zur Kenntnis, hält es aber für notwendig, daran zu erinnern, dass nach den Erweiterungen vom Mai 2004 und Januar 2007 eine enorme Anzahl von Gebrauchtwagen in die neuen Mitgliedstaaten exportiert wurde und der Strom dieser Exporte nicht abreißt, sondern noch zugenommen hat. Nach Einschätzung des Ausschusses wird der Austausch des gesamten Automobilparks in diesen Mitgliedstaaten noch viele Jahre in Anspruch nehmen; er hält es nicht für realistisch, dass dieser Austausch mithilfe einer verbindlichen Rechtsvorschrift hinsichtlich des PKW-Bestandes bewerkstelligt werden kann.

3.7

In der Mitteilung wird nicht die Notwendigkeit untersucht, die Zuständigkeiten und Befugnisse der Gemeinschaft zu stärken, um zu gewährleisten, dass die Ziele erreicht werden, und um ein einheitliches Auftreten gegenüber den internationalen Partnern ermöglichen zu können. Der Ausschuss wertet den Inhalt des vom Europäischen Rat beschlossenen Dokuments positiv und begrüßt die Verabschiedung des Europäischen Energieplans, in dem die Energiepolitik als eine der Prioritäten für die Zukunft der Union bezeichnet und eine Verstärkung der Zusammenarbeit und der Außenpolitik angekündigt wird. Die rechtliche Einschränkung der EU-Befugnisse durch die geltenden Verträge, die den Mitgliedstaaten die Entscheidungsgewalt in der Energiepolitik vorbehalten, wird bis zu einem gewissen Grade überwunden durch eine echte Stärkung der Vertretungsbefugnisse gegenüber Drittstaaten, auch wenn es sich gemäß Artikel 174 Absatz 4 lediglich um eine geteilte Kompetenz und eine besondere Rolle bei der Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen handelt. Natürlich ist die Verhandlungsmacht der Union umso größer, je besser die Politiken koordiniert werden. Der Ausschuss wünscht sich, dass das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission ggf. untersuchen, ob es möglich ist, die Verträge dahingehend zu ändern, dass der EU für die einheitliche Vertretung gegenüber ihren Partnern in der Welt mehr Kompetenzen übertragen werden als sie gegenwärtig effektiv ausüben kann und darf.

3.8

Die Richtlinie 2006/32/EG über die Energieeffizienz schreibt neben einer Strategie, die auf der allgemeinen Einführung von Einsparzertifikaten („weißen“ Zertifikaten) beruht, die Aufstellung nationaler Aktionspläne (EEAP) vor, denen die Dienststellen der Kommission nach einer Bewertung grünes Licht geben sollen. Auch in dem Aktionsplan sind eine erhebliche Erweiterung der Initiativtätigkeit der Kommission im Bereich von Rechtsvorschriften sowie ein Ausbau der Prüftätigkeit vorgesehen. Nach Einschätzung des Ausschusses sind die bisher gewonnenen Erfahrungen positiv, auch wenn bei der Etablierung des Marktes für Einsparzertifikate unter anderem wegen der uneinheitlichen rechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten einige Mängel festzustellen waren. Um ihre Aufgaben im Hinblick auf die Erreichung der Ziele der Richtlinie ausüben zu können und in diesem Zusammenhang ganz allgemein effizienter zu arbeiten, muss die Kommission über mehr Personal verfügen. Sie schätzt ihren Bedarf auf etwa 20 zusätzliche Beamte. Der Ausschuss empfiehlt, bei der Berechnung der notwendigen Humanressourcen sehr sorgfältig vorzugehen, und hält eine Aufstockung des Personalbestands für wünschenswert.

3.9

Die Durchführung der hier erörterten Maßnahmen wird zu Einsparungen und damit auch zu Mindereinnahmen bei der Mehrwertsteuer führen: Dies könnte sich auf die Haushalte der Gemeinschaft auswirken, dürfte aber durch die Zunahme neuer Tätigkeiten in Verbindung mit den Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz ausgeglichen werden. Der Ausschuss ersucht die Kommission, eine Einschätzung dieser neuen Situation vorzunehmen, da hiervon in der Folgenabschätzung nicht die Rede ist. Nach Ansicht des Ausschusses sind die gegenwärtigen Haushaltsmittel der Union für die Finanzierung der Gesamtheit der Gemeinschaftsprogramme absolut unzureichend, so dass für Vorhaben, die auch unter dem Gesichtspunkt der Energieeinsparung von größtem Interesse sind, immer weniger Mittel zur Verfügung stehen. Die eventuelle Einführung einer „Energiesteuer“ muss in eine Fiskalpolitik eingebettet werden, die auf die sozial Schwachen Rücksicht nimmt und keine negativen Auswirkungen auf das Niveau der Sozialversicherungsleistungen und der öffentlichen Dienstleistungen hat.

3.10

Im Aktionsplan spiegeln sich die Schwierigkeiten wider, die bei der Verwirklichung der im Verkehrsweißbuch vorgesehenen Ziele aufgetreten sind. In ihrer Halbzeitbilanz stellt die Kommission fest, dass aufgrund der bislang aufgetretenen Hindernisse und Widerstände der Schienen- und der Seeverkehr, die ein beachtliches Energieeinsparpotenzial besitzen, nicht in vollem Umfang gefördert werden konnten. Diese Förderung sollte aber als absolute Priorität betrachtet werden, da die Schaffung der entsprechenden Infrastrukturen viel Zeit kostet und sich die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung nicht von heute auf morgen ändern lassen. Mehr Aufmerksamkeit verdient die Verbesserung des Berufspendlerverkehrs, der gegenwärtig stark benachteiligt wird durch eine Politik, die mehr an unmittelbaren Rentabilitätserfordernissen als an der Bedarfsbefriedigung im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs ausgerichtet ist; dies lässt sich am Beispiel der vorrangig getätigten Investitionen in Hochgeschwindigkeitstrassen veranschaulichen. Indem man den Arbeitnehmern das Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsort erleichtert, verringert man nicht nur den Energieverbrauch, sondern verbessert auch die Lebensqualität des Einzelnen in beträchtlichem Maße. Logischerweise sind auch die für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs notwendigen öffentlichen Investitionen durch die fünfjährige Wirtschaftskrise, die die Staatshaushalte vieler Mitgliedstaaten in Mitleidenschaft gezogen hat, beeinträchtigt worden. Durch den Stillstand beim Bau der unverzichtbaren Infrastrukturen, den Abzug von Gemeinschaftsmitteln aus der Finanzierung strategischer Vorhaben wie der TEN-Korridore (Rückgang von 20 auf 7,5 Mrd. EUR) und die Strategien der großen europäischen Automobilhersteller ist der Plan undurchführbar geworden. Der Ausschuss steht kurz vor dem Abschluss einer wichtigen Stellungnahme zur Frage des Verkehrs in städtischen Ballungsgebieten, in der er den allmählichen Rückgang der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nachweist und Lösungen im Hinblick auf die Eindämmung des Individualverkehrs vorschlägt (3). Er bedauert die unzureichende Koordinierung zwischen der Verkehrs- und der Energiepolitik, d. h. zwei Bereichen, die vom strukturellen Ansatz und der technischen und funktionellen Seite her notwendigerweise komplementär sind, ebenso wie mit der Umweltschutz- und Industriepolitik: er möchte an dieser Stelle die nicht unbegründete Besorgnis zum Ausdruck bringen, dass der Plan der Kommission ohne eine solche Koordinierung einen Großteil seiner potenziellen Wirkung einbüßen würde.

3.11

Diese Schwierigkeiten werden in den Mitteilungen und Empfehlungen der Kommission und bei der Erarbeitung der einschlägigen Rechtsvorschriften deutlich. Die EU-Organe stehen vor den gleichen Problemen wie die Mitgliedstaaten, nur kommt in Brüssel noch erschwerend hinzu, dass die europäische Ebene die einzelstaatlichen Politiken koordinieren sollte (und nicht umgekehrt!).

3.12

Eine europäische Energiepolitik muss für alle sozialen Schichten tragbar sein, d. h. keine Ungleichbehandlung beim Zugang zu den Leistungen der Energieversorgungsunternehmen, beim Erwerb effizienterer Haushaltsgeräte und bei der Miete von Wohnungen bewirken. Eine solche Politik muss zu einer positiven Entwicklung der Beschäftigung führen, die im Bereich des Wohnungsbaus und der Wohnungsrenovierung zweifelsfrei ohne Verzögerungen möglich ist. Bei jeder Maßnahme zur Erhöhung der Energieeffizienz müssen diejenigen, die Vergünstigungen dafür erhalten, auf Anhieb den Einsparungsnutzen erkennen können, so dass sich die Zeitspanne der Kostenamortisierung leicht errechnen lässt und von vertretbarer Länge ist.

3.13

Die Finanzierung darf nicht ausschließlich zu Lasten der öffentlichen Hand gehen: in Anbetracht der enormen Gewinne, die die Energie- und Elektroindustrie erzielt, könnte mit einem kleinen Teil davon ein Fonds geschaffen werden, der im Übrigen in einigen Mitgliedstaaten bereits erprobt wurde, wobei allerdings vermieden werden sollte, dass dies zu einer Erhöhung des Endverbraucherpreises und geringeren strategischen Investitionen der Unternehmen führt. Hierbei sind natürlich die enormen Investitionen zu berücksichtigen, die das Herstellungsgewerbe tätigen muss, um zu immer höheren Kosten die steigende Nachfrage zu befriedigen, während der Preis bei den fossilen Energieträgern an die Entwicklung des Erdölpreises gekoppelt ist, aber die Forschungskosten deutlich niedriger sind, wie es auch der Fall bei der Vertriebsindustrie ist. Daher sollte der Beitrag zu diesem Fonds je nach dem Umfang der Forschungsausgaben differenziert werden. Entsprechend den unterschiedlichen Rechtsvorschriften, die in Bezug auf die Pflicht der Energiepolitik, in die Forschung im Bereich Energieeffizienz und in die Preiskontrolle zu investieren, gelten, kann eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten vorgesehen werden. Dies könnte eine Lösung sein, die den Kleineigentümern ohne finanzielle Mittel die Möglichkeit bieten würde, die Energieeffizienz ihrer Wohnungen und Häuser zu verbessern, wodurch ein positiver Prozess in Gang gesetzt würde, durch den Arbeitsplätze geschaffen würden.

3.14

Bei Steuererleichterungen, die mit äußerster Vorsicht zu gewähren sind, muss den ärmsten Bevölkerungsgruppen Rechnung getragen werden, die von eventuellen Maßnahmen zur Förderung einer wirksamen Energiepolitik ausgeschlossen wären, da sie keine Steuern zahlen, indem auch für diejenigen Effizienzprämien vorgesehen werden, die aufgrund ihres niedrigen Einkommens keine direkten Steuern entrichten müssen.

3.15

Der Ausschuss hält es für unerlässlich, auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene Sensibilisierungskampagnen zu jeweils einem Thema zu organisieren (beispielsweise könnte in einer auf europäischer Ebene veranstalteten Kampagne in einem bestimmten Monat das Thema Glühbirnen behandelt werden, in einem anderen der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, in wieder einem anderen umweltfreundliches und energieeffizientes Heizen/Kühlen usw.). Es könnten Ideen- und Projektkampagnen durchgeführt werden, um die Bürger für diese unerlässliche Forderung stärker zu sensibilisieren. Nur bei einem ausgeprägten Problembewusstsein der breiten Öffentlichkeit lassen sich konkrete Ergebnisse erzielen. Um die wirkungsvolle Durchführung der vorgesehenen Maßnahmen zu gewährleisten, werden eine demokratische Debatte, die Einbeziehung aller betroffenen Akteure und die Rolle der Behörden von grundlegender Bedeutung sein. Die Mitgliedstaaten, die über mehr Experten im Bereich der Energieeffizienz verfügen, sollten für die Ausbildung von Fachleuten in den anderen Staaten der Union sorgen, um eine homogene Verbreitung des für den Erfolg des Vorhabens erforderlichen Wissens sicherzustellen. Es gilt, in den Mitgliedstaaten Energiestudiengänge an Universitäten und Fachhochschulen zu fördern, wobei die interregionale Zusammenarbeit gestärkt werden sollte. Die Kommission könnte hierbei auf wirkungsvolle Weise für die gegenseitige Abstimmung sorgen.

3.16

Größtes Augenmerk muss auf die Herstellung des erforderlichen Gleichgewichts zwischen der Notwendigkeit, für alle notwendigen Verbesserungen zu sorgen, und der Fähigkeit des Wirtschafts- und Produktionssystems, auf plötzliche Veränderungen zu reagieren, gerichtet werden. Es besteht die konkrete Gefahr, dass energieintensive Branchen in Anbetracht der untragbaren Kosten ihre Tätigkeit in Gebiete mit weniger strengen Auflagen verlagern. Bei der Schnelligkeit des Wandels muss den Möglichkeiten zur Anpassung und Kostenkontrolle Rechnung getragen werden. Es müssen Maßnahmen untersucht werden, die den Abschluss langfristiger Verträge ermöglichen, die als Gegenleistung für die Verpflichtung, in Innovation, Technologie oder Energieerzeugungs-, -übertragungs- und -versorgungsinfrastruktur zu investieren, dauerhaft stabile Energiepreise garantieren. Diese Investitionen sollten unter dem Aspekt der Energieeffizienz geprüft werden. Der Abschluss freiwilliger Vereinbarungen muss positiv gesehen werden, erfordert aber seitens der regionalen Stellen eine echte und angemessene Kontrollfähigkeit sowie die Bereitschaft, sie durch verbindliche Verpflichtungen zu ersetzen, sollten sich diese als ineffizient erweisen.

3.17

Die aufgezeigten Maßnahmen müssen stets dem Kontext eines immer stärker globalisierten Marktes Rechnung tragen. Der mögliche Anstieg der Energiepreise könnte den Sektoren mit hohem Energieverbrauch, wie dem Aluminium- oder dem Zementmarkt, ernste Probleme bereiten. Außerdem gilt es, stets die Lissabon-Ziele im Auge zu behalten und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu gewährleisten, die auf einen Energiepreis zählen können muss, der mit der weltweiten Wirtschaft in Einklang steht. Auf der anderen Seite kann Europa die ständigen Drohungen einiger Sektoren oder Unternehmen, ihre Tätigkeit in Drittländer zu verlagern, nicht dulden. Gegen Unternehmen, die dies ausschließlich tun, um ihre Gewinne zu steigern, sollte vorgegangen werden, da sie abgesehen von den — bisweilen dramatischen — sozialen Problemen, die sie verursachen und der Allgemeinheit aufbürden, eine Verzerrung des Binnenmarkts herbeiführen, indem sie durch das Inverkehrbringen von in toleranteren Drittstaaten ohne jegliche Auflagen hergestellten Waren den Wettbewerb verfälschen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Aus offensichtlichen sachlichen und methodischen Gründen, beabsichtigt der EWSA nicht, jede einzelne vorgeschlagene Maßnahme (ca. 75) zu analysieren, hält es jedoch für erforderlich, seine Einschätzung der wichtigsten Maßnahmen und der in der Mitteilung und den Anhängen enthaltenen Vorschläge zu äußern. Im EWSA fand eine Anhörung statt, in deren Verlauf die Teilnehmer weitere nützliche Informationen geliefert haben, durch die neue Erkenntnisse gewonnen und ein wichtiger Beitrag zu den Überlegungen des Ausschusses geleistet werden konnten.

4.2

Es ist einleitend festzustellen, dass die Maßnahmen, die bislang bei Energie verbrauchenden Produkten, Gebäuden und Energiedienstleistungen im Bereich Energieeffizienz ergriffen wurden, gute Ergebnisse gezeitigt haben. Sie sind bei den Herstellern und Verbrauchern auf großes Interesse und große Bereitwilligkeit im Hinblick auf ein erweitertes Angebot an neuen, immer effizienteren Produkten bzw. eine verstärkte Nachfrage nach diesen Produkten gestoßen. Da die erzielbaren Einsparungen unmittelbar spürbar sind, immer mehr Aufklärung in Bezug auf Umweltfragen betrieben wird und das Umweltbewusstsein immer stärker zunimmt, ist zu vermuten, dass diese Maßnahmen unverzüglich umgesetzt werden und die erhofften Ergebnisse erbringen können. Das Öko-Design ist bei der breiten Öffentlichkeit erfolgreich und beliebt, die immer stärker auf den Inhalt des Angebots achtet. Die bereits teilweise bestehende Tendenz der Hersteller, die Energieeffizienz zu betonen und den Verbrauchern ausführliche Anweisungen für einen energieeffizienten Gebrauch ihrer Produkte zu geben, muss gefördert werden. Außerdem verdient das amerikanische Modell Beachtung, das Unternehmen, die sich für Öko-Design engagieren, Anreize gewährt und sehr ermutigende Ergebnisse gebracht hat. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Unterstützung der Unternehmen in Form von Steuergutschriften für diejenigen, die sehr energieeffiziente Produkte entwickeln und herstellen, zu guten Ergebnissen führen könnte, vorausgesetzt, es geht wie im Maschinenbausektor damit eine wirkungsvolle und strenge Überwachung des Marktes und der Produkte einher. Diese Überwachung muss als Garantie der „tugendhaften“ Hersteller dafür gesehen werden, ihre Investitionen in die Energieeffizienz nicht in Rauch aufgehen zu sehen, und muss den regionalen Gebietskörperschaften anvertraut werden, die dafür zuständig sind.

4.2.1

Die Kennzeichnungsvorschriften stellen ein optimales Instrument dar, das gefördert und auf möglichst viele Produkte angewendet und so schnell wie möglich auch auf den Automobil- und den Bausektor ausgedehnt werden sollte. Der EWSA stimmt dem Vorschlag der Kommission zu und fordert sie auf, für die 14 genannten Produkte Mindestanforderungen für die Energieeffizienz aufzustellen, wobei sie jedoch besonderes Augenmerk auf die spezifischen Marktsegmente richten sollte, um möglichen Wettbewerbsverzerrungen infolge neuer Rechtsvorschriften entgegenzuwirken. Außerdem müssen noch weitere für den Endverbrauch bestimmte Produkte ausgemacht werden, für die Mindestanforderungen gelten sollten. Der Ausschuss ist uneingeschränkt dafür, der Verringerung des Energieverbrauchs im Bereitschafts- und Ruhemodus Vorrang zu geben. Er misst dieser Maßnahme, dank derer der Energieverbrauch in diesen Modi um bis zu 70 % gesenkt werden könnte, indem die in Gebrauch befindlichen Geräte schrittweise ersetzt werden, große Bedeutung bei. Darüber hinaus sollte seines Erachtens das Energy-Star-Abkommen auch in der EU die (in den USA bereits obligatorische) Registrierung von öffentlichen Ausschreibungen für die Beschaffung von Bürogeräten für die EU zur Pflicht machen. Der Ausschuss erwartet, dass „die Europäische Kommission mit gutem Beispiel vorangeht“ (4). Dieses Abkommen sollte auch mit großen ostasiatischen Herstellern ausgehandelt werden, die mittlerweile einen erheblichen Anteil am Markt für Unterhaltungselektronik besitzen.

4.2.2

Hinsichtlich der Haushaltsgeräte besteht die Gefahr, dass durch das Fehlen rascher Verfahren zur Überprüfung der Echtheit der Kennzeichnungen und zur Verhängung von Sanktionen im Falle von Verstößen die „tugendhaften“ Branchen, die in die Energieeffizienz investieren, stark benachteiligt werden und nicht konforme Produkte auf den Markt gelangen. In erster Linie sollte die Ersatzbeschaffung für die ältesten Geräte gefördert werden (in Europa sind schätzungsweise 200 Mio. Geräte in Gebrauch, die mehr als 10 Jahre alt sind), da dies größere Einsparungen mit sich bringt. Ferner dürfen veraltete, ineffiziente Geräte nicht auf den Gebrauchtwarenmarkt der Entwicklungsländer gelangen. Des Weiteren sollte sichergestellt werden, dass die Initiativen zur Finanzierung des Kaufs von Haushaltsgeräten den energieeffizientesten Produkten vorbehalten bleiben.

4.2.2.1

In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass sich die Haushaltsgeräteindustrie zwar gegen den Verhaltenskodex für die freiwillige Selbstkontrolle sperrt, aber implizit erklärt, dass obligatorische Maßnahmen zur Marktregulierung erforderlich sind. Der Mangel an Sanktionen für skrupellose Hersteller und Importeure, die Produkte in die Energieklasse A einstufen, die nicht den festgelegten Energieeffizienznormen entsprechen, hat dazu geführt, dass „falsche“ Niedrigenergiegeräte auf dem Markt in Umlauf sind. Diese Schwachstelle, die von den europäischen Unternehmen, die eine „Regel“ fordern, beklagt wird, gibt Anlass, über die Effizienz freiwilliger Vereinbarungen nachzudenken.

4.2.3

Im Bausektor sind ganz erhebliche Einsparungen möglich: bereits heute gibt es Materialien, Baumethoden und alternative Heizsysteme wie Kondensationskessel, die dank der Nutzung der Abwärme, die normalerweise verloren geht, einen um 6 % bis 11 % niedrigeren Brennstoffverbrauch haben. Der Energieverbrauch für Klimaanlagen ließe sich mit Hilfe von Sonnenschutzvorrichtungen senken, die außen an der Gebäudefassade angebracht werden, denn innen angebrachte Schutzvorrichtungen schirmen zwar das Licht ab, halten aber einen Großteil der Wärmeenergie zurück. Vor allem muss die Entwicklung der so genannten „Passivhäuser“ (Gebäude mit sehr niedrigem Energieverbrauch) gefördert werden: in diese Kategorie fallen beispielsweise Häuser, die das ganze Jahr über, also winters und sommers, nicht mehr als 15 kWh/m2 verbrauchen, was den Grundverbrauch für Kühlung und Heizung anbelangt. Darüber hinaus sollte der Gesamtverbrauch (Suffizienz) und eine Höchstgrenze für den Primärenergiebedarf unter Einbeziehung sämtlicher Verbraucher (Beleuchtung und Haushaltsgeräte, einschließlich des Wäschetrocknens, wobei zu berücksichtigen ist, dass das Trocknen von 1kg Wäsche drei- bis viermal so viel Energie verbrauchen kann wie ein Waschgang) angegeben werden. Bedenkt man, dass der Energieverbrauch mit Hilfe solcher Vorkehrungen von durchschnittlich 180 kWh/m2 pro Jahr auf 15 kWh/m2 jährlich gesenkt werden kann, so ist eine Energieeinsparung (Effizienz + Suffizienz) von bis zu 90 % möglich! (Beispiele sind die 1997 in Wiesbaden errichtete Reihenhaussiedlung mit 22 Passivhäusern mit einem durchschnittlichen Verbrauch von 13,4 kWh/m2 pro Jahr oder die aus 32 Häusern bestehende Passivhaussiedlung in Kronsberg von 1998 mit einem durchschnittlichen Verbrauch von 14,9 kWh/m2 pro Jahr.) Es sollte die Öffnung eines europäischen Marktes für diese Art von Produkten gefördert werden, um darauf hinzuwirken, dass diese Technologien flächendeckend und zu erschwinglichen Preisen zu bekommen sind.

4.2.4

Der Ausschuss möchte erneut darauf verweisen, dass Investitionen seitens der öffentlichen Hand erforderlich sind, um die Energieeffizienz der Sozialwohnbauten und öffentlichen Gebäude sicherzustellen. Diese sollten mit dem Einsatz erneuerbarer Energieträger einhergehen, insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten, die über ein erhebliches Energieeinsparpotenzial verfügen. Neben Programmen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften und zur Entwicklung von Ausbildungsmaßnahmen für Fachleute fordert der Ausschuss, hierfür einen Teil der Strukturfondsmittel bereitzustellen und die europäischen Finanzinstitute dazu anzuhalten, Investitionen in die energetische Modernisierung von Gebäuden zu fördern.

4.2.4.1

Echte Passivhäuser müssen einige besondere Baumerkmale aufweisen (optimale Wärmedämmung der Wände und Böden, unter dem Haus verlegte Rohre zum Vorwärmen bzw. -kühlen der Zuluft), die eine vollständige Anpassung der vorhandenen Bausubstanz an diesen Standard schwierig und kostspielig macht. Dies lässt es ratsam erscheinen, alles daran zu setzen, möglichst viele Neubauten nach dem „Passivstandard“ zu bauen, insbesondere die öffentlichen Gebäude, bei denen die Einhaltung dieses Standards nach und nach Pflicht werden sollte. Daneben ist es äußerst wichtig, bei der Renovierung oder Wartung privater Gebäude, die auch durch revolvierende Fonds mit sehr niedrigen Zinssätzen gefördert werden könnte, in großem Maß die energieeffizienten Lösungen der Passivhäuser anzuwenden. Es darf nicht vergessen werden, dass ein Großteil der Gebäude, die im Jahr 2020 bewohnt bzw. genutzt werden, bereits heute existiert. Was vermietete Gebäude anbelangt, so stellt sich die Frage, wie massive Investitionen in energiesparende Maßnahmen, von deren unmittelbaren Vorteilen in der Regel vor allem die Mieter profitieren, für die Eigentümer wirtschaftlich lohnend gemacht werden können.

4.2.4.2

Den Berechnungen der Kommission in der Folgenabschätzung (Dokument SEK(2006) 1175) zufolge würde eine Änderung der Richtlinie 2002/91 EG über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden in Form einer Herabsetzung des derzeitigen Schwellenwerts von 1 000 m2 für die Anwendbarkeit von Mindestauflagen (bei einer gleichzeitigen Verschärfung der Mindestauflagen für öffentliche Gebäude) und einer breiteren Anwendung des Zertifizierungssystems (weiße Zertifikate) eine Einsparung von 140 Mio. t RöE bringen. Der EWSA zweifelt an der kurzfristigen Realisierbarkeit dieses Ziels (5). Er ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten einheitliche Instrumente schaffen sollten, um die Wirkung der Rechtsvorschriften zu messen (beispielsweise die Qualität der Wärmedämmung), und gezwungen werden sollten, wirksame Kontrollmaßnahmen zu ergreifen (man beachte den Unterschied zwischen Frankreich, wo es wenige Kontrollen gibt, und Flandern, wo die Kontrollen hingegen sehr streng sind). Der Rat und das Parlament sollten im Zusammenhang mit diesem Thema prüfen, ob eine Rechtsgrundlage dafür besteht, der Kommission anstelle eines Vorschlags für eine neue Richtlinie den Erlass einer Verordnung zu gestatten, wobei die Richtlinie 2002/91/EG nach 2009 einfach aufgehoben würde.

4.2.4.3

In einer kürzlich veröffentlichten Diplomarbeit (6) wird Folgendes hervorgehoben:

1.

Bei der Verbesserung der Energieeffizienz eines vorhandenen Gebäudes — sei es für die private, gewerbliche oder schulische Nutzung — lassen sich nicht immer die Ziele von Niedrigenergiehäusern und Passivhäusern erreichen …;

2.

Sanierungsarbeiten erfordern Investitionen, die für den Einzelnen eine große Bürde sein können: auch die lohnendste Investitionsmöglichkeit ist dazu verurteilt, nicht genutzt zu werden, wenn nicht die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen;

3.

um mit Hilfe einer besseren Wärmedämmung den Energiebedarf von Passivhäusern zu erreichen, sind spezifische Fachkenntnisse erforderlich, deren Erwerb sicher nicht unmöglich ist. Diese Kenntnisse sollten nicht ausschließlich in der Entwurfsphase eingesetzt werden, sondern vor allem auch in der Durchführungsphase;

4.

die Nutzung der Energie entspricht grundlegenden Bedürfnissen des Verbrauchers und ist eindeutig unflexibel: selbst heftige Schwankungen bei den Energiepreisen ziehen kurzfristig keine entsprechenden unmittelbaren Verhaltensänderungen nach sich. Die Einschränkung des Energieverbrauchs und die Suche nach alternativen Energieträgern sind verspätete Reaktionen zur langfristigen Anpassung an ein neues Gleichgewicht, jedoch wird sich auf lange Sicht die Elastizität der Energienachfragekurve nur geringfügig verbessern.

4.2.4.4

Das Bild, das sich aus dieser Analyse ergibt, ist, dass die durch eine ausreichend dicke Dämmung (Mindeststärke von über 16 cm) erzielten Ersparnisse immer eine Investition in das Ziel Passivhaus rechtfertigen, vor allem im Vergleich zu traditionellen Gebäuden. Vom betrieblichen Standpunkt aus hat die Dämmung der gesamten Gebäudehülle vor allen anderen Maßnahmen Vorrang, während eine Gesamtanalyse der Maßnahmen eine Optimierung des Kapitalwerts der Investition ermöglicht.

4.2.5

Was die weißen Zertifikate angeht, so werden die — wenn auch begrenzten — positiven Erfahrungen der Länder, die sie eingeführt haben, durch den Rückstand gedämpft, den einige Mitgliedstaaten der EU im Bereich der industriellen Innovation aufweisen. Um über ein effizientes Zertifizierungssystem (Energieausweise) verfügen zu können, müssen gemessen an den technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten realistische Ziele gesetzt werden und zahlreiche Möglichkeiten zur Verwirklichung der Ziele zur Verfügung stehen (Sektoren, Projekte, Akteure, Kosten), es muss ein reibungsloses Funktionieren des Marktes (Struktur von Nachfrage und Angebot, Rahmenbedingungen) gewährleistet werden, es sind klare, transparente, vereinfachende und nicht diskriminierende Regeln (Marktzugangsbedingungen, Marktregeln) aufzustellen, und schließlich müssen glaubhafte Sanktionen vorgesehen werden. Sind diese Voraussetzungen auf dem potenziellen europäischen Markt für weiße Zertifikate gegeben? Die eventuelle Publikmachung dieser Erfahrungen sollte also mit der gegebenen Vorsicht erfolgen.

4.3

Die Verluste in der Umwandlungsphase entsprechen dem Anteil des gesamten Energieprimärgesamtverbrauchs der Haushalte und der Industrie (33 %, was 580 Mio. t RöE entspricht). Daher hält der Ausschuss Maßnahmen in diesem Bereich für vorrangig. Die Verluste beim Transport über lange Entfernungen sind ein wichtiger Faktor. Ein Bereich, der unbedingt entwickelt werden sollte, sind die modernen Leitungen zur Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, bei denen der Leistungsverlust nur 3 % pro 1 000 km beträgt. Diese Technologie ermöglicht nicht nur erhebliche Einsparungen, sondern hebt auch die elektromagnetischen Effekte auf, die bei der Übertragung von Wechselstrom auftreten, wie extrem niederfrequente elektromagnetische Welle (ELF). Die heutigen Technologien machen diese Art der Übertragung für große Entfernungen wirtschaftlich interessant (sie werden in der Schweiz und den USA bereits seit Jahrzehnten eingesetzt und sind weltweit im Aufbau), während bei kurzen Entfernungen die nach wie vor hohen Kosten für die Niederspannungswechselrichterstationen für die lokale Versorgung bedacht werden müssen. Die Senkung dieser Kosten sollte mit Hilfe spezifischer Forschungsprojekte gefördert werden (7).

4.3.1

Als weiterer Maßnahmenbereich sollte die Einführung der Technologie der solarthermischen Energie gefördert werden, die in Partnerschaft mit den Ländern des Mittelmeerraums vonstatten gehen könnte, die über große Wüstengebiete mit ständiger und starker Sonneneinstrahlung verfügen. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht, der vom Umweltministerium der Bundesrepublik Deutschland in Auftrag gegeben wurde, wird die strategische Bedeutung dieser Technologie betont, die von dem italienischen Nobelpreisträger Carlo Rubbia entwickelt wurde und nun in Granada in Versuchen getestet wird. Das italienische Unternehmen Enel hat vor kurzem in Zusammenarbeit mit dem Institut Enea ein Projekt in die Wege geleitet, das es zum ersten Mal in der Geschichte ermöglicht, ein Gaskombikraftwerk mit einem Solarkraftwerk zu kombinieren. Bei dem Projekt Archimedes wird unter Nutzung einer von Enea entwickelten innovativen und exklusiven Technologie permanent aus Sonnenenergie Strom erzeugt. Das Projekt kann sich darüber hinaus anderer auf der Welt einzigartiger Eigenschaften rühmen. So nutzt es fünf neue Patente wie beispielsweise das Patent für Salzschmelze, die bei Erhitzung die Wärme abgibt, aus der die Energie erzeugt wird. Die bislang verwendeten Wärmeträgermedien konnten nur bis auf 300 Grad erhitzt werden. Die im Projekt Archimedes eingesetzten Speicherfluids lassen sich bis auf 550 Grad erhitzen, was der Temperatur in fossilen Dampfkraftwerken entspricht, wodurch eine Kombination mit herkömmlichen Kraftwerken möglich wird und somit die Stabilität des Energiesystems gewährleistet werden kann.

4.3.2

Der Ausschuss empfiehlt den europäischen Institutionen, in diesem Bereich große Anstrengungen zu unternehmen und spezifische Maßnahmen zu ergreifen, um die Entwicklung der thermodynamischen Sonnenenergienutzung zu fördern.

4.3.3

Durch die Kraft-Wärme-Kopplung, sei es die Nutzung der bei der Stromerzeugung anfallenden Abwärme zu Heizzwecken oder die Nutzung der Restwärme (beispielsweise in Hochöfen) für die Stromerzeugung ließe sich die Energieausbeute bei der Brennstoffnutzung deutlich erhöhen, und zwar von ca. 35 % auf 70 %. Es sollten die den Netzbetreibern durch die dezentrale Erzeugung und die aktive Versorgung entstehenden Zusatzkosten berücksichtigt und die erforderlichen Investitionen gefördert werden, wobei allerdings auch den unterschiedlichen Ausgangbedingungen der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen ist. Der Ausschuss teilt zwar die Absicht der Kommission, hochleistungsfähige Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu entwickeln, verweist aber darauf, dass die Normalisierung der Berechnungsmethoden auf 2010 verschoben wurde und derzeit Ursprungsgarantien gegeben werden, bei denen nicht immer überprüft werden kann, ob sie die Mindestanforderungen erfüllen. Der Ausschuss fragt sich, ob es nicht möglich wäre, die Frist für die Vereinheitlichung der Berechnungsmethoden zu verkürzen, damit sich ein interner KWK-Markt entwickeln kann, wodurch das derzeitige Hindernis der unterschiedlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten überwunden würde. Derzeit darf jeder Mitgliedstaat gemäß den Bestimmungen der Richtlinie seine eigenen Berechnungsmethoden festlegen, um die Effizienz der Anlagen zu bewerten und sie mit dem Gemeinschaftssystem in Einklang zu bringen. Dies ist in der Praxis jedoch nicht der Fall, und bei den Anlagen kommt es aufgrund der unterschiedlichen Berechnungsmethoden der einzelnen Länder zu sehr unterschiedlichen Resultaten. Die Vereinheitlichung ist auch ein wirkungsvolles Instrument zur Betrugsbekämpfung. Wie aus den Bewertungsberichten der Mitgliedstaaten über die Fortschritte bei der Entwicklung der Kraft-Wärme-Kopplung zur Erhöhung des Anteils des mit dieser Technologie erzeugten Stroms hervorgeht, bleiben die Ergebnisse der ersten Überprüfung vom 21. Februar 2007 hinter den strategischen Zielen zurück. In Anbetracht dessen sollte sich die Union stärker engagieren.

4.3.4

Der Ausschuss fordert die Kommission und den Rat auf, sich stärker für eine Förderung der Programme für die Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung einzusetzen, bei denen die Abwärme auch für die Kühlung genutzt wird. In diesen Anlagen sind die Leistungszahlen (COP), d. h. das Verhältnis zwischen der gewonnenen Kälteenergie und der eingesetzten Wärmeenergie, besonders interessant. Im Vergleich zu einer Leistungszahl von 2,0 bei herkömmlichen Anlagen wird in diesen Anlagen je nach eingesetzter Wärme eine Leistungszahl von 0,7 bis 1,3 erreicht (8). Es befinden sich bereits Regeneratoren für Holzabfälle im Handel, die bei der Verarbeitung von Obst (Kerne, Schalen) und landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Pressrückstände, Maisspindeln) anfallende Abfallprodukte, die Abfälle von Sägewerken und der Holzbearbeitung, Äste, Rinde, Kaffeebohnenhülsen, Palmenabfall, Industrieabfall und entsorgte Verpackungen verwerten können. Aus 100 Kilo dieser Abfälle lassen sich eine elektrische Dauerleistung von 70 kW (mit einer Spitzenleistung von 80 kW) und 130 kW Wärme und Kälte gewinnen. Eine Tonne Holzabfall, die 70 EUR kostet, kann 160 Liter Diesel zu einem Preis von 175 EUR ersetzen.

4.3.5

Der Ausschuss hält es für sinnvoll, eine von konkreten Maßnahmen begleitete Kampagne zur Eindämmung der Verwendung von Verpackungsmaterial (das auf jeden Fall stofflich verwertbar sein sollte) durchzuführen. Der Energieverbrauch bei der Herstellung und Entsorgung von Verpackungen ist unverhältnismäßig hoch, zumal diese größtenteils nicht biologisch abbaubar sind und eine enorme Umweltverschmutzung verursachen.

4.4   Funktionsweise des Markts

4.4.1

Der Energiemarkt schöpft derzeit nicht das gesamte vorhandene Effizienzpotenzial aus. Es ist eine größere Transparenz hinsichtlich der tatsächlichen Effizienz der Kraftwerke und der Verluste der Übertragungsnetze erforderlich. Die Liberalisierung des Erdgas- und des Strommarktes ist noch nicht ganz abgeschlossen. In einigen Fällen wird eine wirksame Politik der Energieeffizienz durch die mangelnde Transparenz der Preisgestaltung und der Liberalisierung selbst behindert. In diesem Zusammenhang scheint es sinnvoll, das Konzept der in den Richtlinien über die Liberalisierung des Elektrizitäts- und des Erdgasbinnenmarkts (Richtlinien 2003/54/EG und 2003/55/EG) vorgesehenen rechtlichen Trennung zwischen den Unternehmen, die ein technisches Monopol innehaben, und denjenigen, die auf einem Markt mit freiem Wettbewerb tätig sind, um das Konzept der Entflechtung hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse zu erweitern.

4.4.2

Die vom Energiesektor betriebene Preispolitik sollte Einsparungen und die Energieeffizienz, insbesondere bei den fossilen Brennstoffen, sowie die erneuerbaren Energieträger fördern. Gemäß dem Grundsatz, dem zufolge ihnen die Verfügbarkeit der für die Grundversorgung erforderlichen Energie garantiert, aber gleichzeitig ihr wirtschaftliches Interesse an Energieeinsparungen aufrechterhalten werden muss, ist hierbei besonderes Augenmerk auf die sozial schwächeren Verbraucher zu richten: So könnten den am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen — aber nur bis zu einer gewissen Verbrauchsgrenze — Sozialtarife bzw. den Familien Beihilfen gewährt werden.

4.4.3

Eine interessante Methode, Anreize für Energieeinsparungen zu schaffen, ist die Einführung elektronischer Zähler, die die Verwendung eines ferngesteuerten Managementsystems für die Energieversorgung ermöglicht, wodurch die Netzbelastung optimal geregelt werden kann. Dem Versorgungsunternehmen ENEL zufolge, das seine 30 Millionen Kunden kostenlos mit elektronischen Zählern ausgestattet hat, ermöglicht eine rationelle Energieabnahme, die u. a. mit Hilfe einer gezielten Preispolitik herbeigeführt wird, eine optimale Nutzung der erzeugten Energie, insbesondere in den Zeiten geringer Belastung. Dank des elektronischen Zählers würden sich die Endverbraucher ihres Verbrauchs bewusst, wodurch eine rationellere Nutzung der Energieträger gefördert werde. Der elektronische Zähler wurde als Instrument zur Förderung der Energieeffizienz im Sinne der Richtlinien über Energiedienstleistungen und Versorgungssicherheit anerkannt.

4.4.4

Das Konzept der „dezentralen“ Energieerzeugung, d. h. es gibt viele verschiedene Erzeuger, darunter auch sehr kleine, bringt eine Reihe neuer Probleme in Bezug auf die Verfahren zum Betreiben von Mittel- und Niedrigspannungsnetzen mit sich, die ausschließlich für die Nutzung in einer Richtung ausgelegt sind. Die Erneuerung der Netze zur Anpassung an neue Erzeugungsmethoden erfordert enorme Investitionen. Zwar kommt es bei der dezentralen Erzeugung zu weniger Verlusten bei der Übertragung, aber die erforderlichen Investitionen sind sehr hoch, und außerdem gibt es auf lokaler und regionaler Ebene großen Widerstand gegen die Ansiedlung selbst kleiner Kraftwerke.

4.5

Der Verkehrssektor hat sehr viel Energie darauf verwandt, den Verbrauch und die Schadstoffemissionen zu senken: Jedoch ist es insofern gerechtfertigt, ihm noch weitere Anstrengungen abzuverlangen, als es sich um den Sektor mit dem größten Verbrauchsanstieg handelt und er zu den Hauptverursachern von Treibhausgasen gehört (die vom Straßenverkehr verursachten CO2-Emissionen sind von 1990 bis 2004 um 26 % gestiegen). Ferner fällt der europäischen Verkehrsindustrie deshalb die Pflicht zu, einen wichtigen Beitrag zur Energieeffizienz, zur Reduzierung der Emissionen und zur Senkung der Importe von Erdölprodukten und Erdgas zu leisten, weil der in diesem Sektor verwendete Kraftstoff (zu 98 % handelt sich hierbei um fossile Brennstoffe) aus Drittländern importiert werden muss.

4.5.1

Die Kommission hat mit ihrem jüngsten Beschluss, Rechtsvorschriften über die Vorgabe von 120 g CO2/km, die Kennzeichnung von Reifen gemäß Höchstgrenzen für den Rollwiderstand, die Änderung der an Brennstoffe gestellten Anforderungen sowie die Einführung von Benzingemischen mit hohem Ethanolanteil, Biokraftstoffen, kohlenstoffarmen Kraftstoffen und Dieselkraftstoff mit äußerst geringem Schwefelgehalt zu erlassen, ein eindeutiges Signal an den Markt ausgesandt. Im Zeitraum 2011-2020 müssen die europäischen Lieferanten die Treibhausgase, die ihre Kraftstoffe in der Raffinations-, Transport- und Gebrauchsphase freisetzen, um 10 % senken, was zu einer Einsparung von 500 Mio. Tonnen CO2-Emissionen führt. Grund für diese Entscheidung ist die Tatsache, dass die Emissionen im Zeitraum von 1995 bis 2004 um nur 12,4 % gesunken sind (von 186 auf 163 g CO2/km). Außerdem ist zur gleichen Zeit die durchschnittliche Leistungsfähigkeit der Kraftfahrzeuge deutlich gestiegen; bei leistungsfähigen Fahrzeugen ist es schwieriger, den Schadstoffausstoß zu reduzieren. Diese Inkongruenz spricht dafür, die Kraftfahrzeugsteuer für nicht energieeffiziente Luxuswagen zu erhöhen wie bereits in einigen Mitgliedstaaten geschehen. Die Kommission schätzt, dass die CO2-Emissionen bis 2020 infolge der erhöhten Leistungsfähigkeit der Fahrzeuge um 400 Mio. Tonnen ansteigen werden.

Der europäische Verband der Automobilhersteller ACEA hat gefordert, die Frist von 2012 bis mindestens 2015 zu verschieben und — wie von der hochrangigen Gruppe CARS 21 empfohlen — sämtliche Akteure einzubeziehen. Nach Ansicht der europäischen Hersteller werden diese Maßnahmen für die europäischen Unternehmen untragbare Kosten mit sich bringen, wenn sie nicht von einer langfristigen Planung bei der Anpassung der Fahrzeugmodelle flankiert werden.

4.5.2

Der Ausschuss weist darauf hin, dass eine massive Ersetzung der fossilen Brennstoffe durch Biokraftstoffe allerdings das Risiko birgt, dass es bei der Zuweisung der fruchtbaren Flächen zu einer Konkurrenz zwischen Brennstoff- und Nahrungsmittelherstellung kommt und die Nahrungsmittelpreise auf das Niveau der Energiepreise steigen, die wiederum an den Preis der fossilen Brennstoffe gekoppelt sind, wodurch die Autofahrer aus dem Norden mit der armen, hungernden Bevölkerung des Südens in Konkurrenz gebracht werden könnten (9). Es besteht objektiv gesehen ein ethisches Problem hinsichtlich der Tatsache, dass in den nördlichen Ländern der Welt Agrarprodukte als Kraftstoff eingesetzt werden, die Millionen von Menschenleben im unterentwickelten Süden das Leben retten könnten. Die gesamte Maisproduktion von Iowa könnte für die Ethanolerzeugung eingesetzt werden. Wenn man sich vor Augen führt, dass für eine Tankfüllung eines SUV — 25 Gallonen, was 94,5 Litern entspricht — die Nahrungsmittelration einer Person für ein Jahr verbraucht wird, wird das Problem greifbar und deutlich, dass eine Lösung gefunden werden muss. Der Ausschuss wird in Kürze eine Stellungnahme zu diesem Thema abgeben (10).

4.5.3

Der Ausschuss stellt fest, dass sich die Kommission einerseits zwar für freiwillige Vereinbarungen ausspricht, andererseits aber obligatorische Maßnahmen ankündigt. Die Kommission selbst misst der Selbstkontrolle eine grundlegende Bedeutung bei, indem sie erklärt, dass sich damit die gesetzten Ziele schneller und auf wirtschaftlichere Weise erreichen lassen als mit rechtlichen Verpflichtungen. Freiwillige Vereinbarungen wiesen gegenüber Rechtsvorschriften Vorteile auf. Da sie sich schnell und kostenwirksam umsetzen ließen, brächten sie rasch Fortschritte. Sie ermöglichen ihres Erachtens eine flexible und kohärente Anpassung im Hinblick auf die technischen Möglichkeiten und die Ausrichtung des Marktes. Der Ausschuss ersucht die Kommission, sorgfältig zu prüfen, warum im Bereich der Eindämmung der CO2-Emissionen so wenig Fortschritte seitens der europäischen Automobilindustrie erzielt wurden, die doch bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung führend ist. Der Ausschuss teilt die Einschätzung der Kommission, dass strenge Rechtsvorschriften nicht immer die volle Ausschöpfung des Forschungspotenzials zulassen und die bei den Lösungsmöglichkeiten erzielbaren Fortschritte behindern können.

4.5.4

Im Bereich der Energieeffizienz fällt dem Baugewerbe sowohl bei der Erstellung von Neubauten als auch bei der Renovierung von Altbauten eine entscheidende Rolle zu. In etlichen Ländern hat sich das Baugewerbe jedoch nur langsam auf neue Methoden umgestellt und sich gegen strengere Normen gesträubt. Es bedarf großer Anstrengungen, um sämtliche Akteure dieses Wirtschaftszweigs so „umzuerziehen“, dass sie die Notwendigkeit und Machbarkeit höherer Standards einsehen, bzw. um sie von ihrem Widerstand gegen Neuerungen abzubringen und sie zu überzeugten Pionieren bei der Erprobung immer höherer Energieeffizienznormen zu machen. Die im Baugewerbe tätigen Planer und Konstrukteure, Unternehmensleiter und Handwerker müssen nicht nur eine angemessene Schulung hinsichtlich der Möglichkeiten zur Verbesserung der Energieeffizienz, sondern auch Anreize zur Verwirklichung dieses Ziels erhalten.

4.6

Der Ausschuss befürwortet voll und ganz die von der Kommission vorgeschlagenen Anreizmaßnahmen und Finanz- und Steuerstrategien, insbesondere die Einbeziehung der EIB und der EBWE, aber auch die Anstrengungen, den europäischen Bankensektor für die Notwendigkeit zu sensibilisieren, die für die Durchführung der nationalen Energieaktionspläne erforderliche finanzielle Unterstützung bereitzustellen. Hierfür ist die endgültige Beseitigung der verbleibenden Hindernisse für die Rechtssicherheit der Anbieter von Effizienzlösungen (sog. Energiedienstleister) von besonderer Bedeutung.

4.6.1

Der Ausschuss plädiert für die Einberufung einer speziellen Konferenz zum Thema Finanzierung der Energieeffizienz, mit der die betroffenen Akteure sensibilisiert werden sollen und die Mitwirkung des europäischen Bankensektors an einem umfassenden Projekt zur Modernisierung der europäischen Wirtschaft gefördert werden soll. Die Banken könnten sich an einer Art Millennium Challenge beteiligen, wobei diejenigen belohnt würden, die die besten Lösungen für die Finanzierung der Energieeffizienz bieten.

4.7

In den Augen des Ausschusses sind Kampagnen zur Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit, die von den nationalen und lokalen Behörden, den Herstellern und den Energieversorgungsunternehmen entwickelt werden könnten, von grundlegender Bedeutung. Hier ist die Rolle der regionalen Gebietskörperschaften als „neutrale“ Informationskanäle für die Öffentlichkeit hervorzuheben. Positive Ergebnisse von Initiativen zur Energieeinsparung sollten in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. In der Werbung sollten die energiesparenden und umweltfreundlichen Eigenschaften als die die eigentlich das Produkt kennzeichnenden Merkmale angepriesen werden, um eine positive Veränderung des Konzepts des Statussymbols zu bewirken, das heutzutage nur allzu oft eindeutig mit Produkten in Verbindung gebracht wird, die im Gebrauch nicht energieeffizient sind. Der Ausschuss befürwortet die Einrichtung eines „Bürgermeisterkonvents“, hält aber das Ziel, nur die Bürgermeister der 20 größten europäischen Städte einzuladen, für zu bescheiden. Es sollte ein viel höheres Ziel gesteckt werden, und die auf lokaler Ebene gesammelten Erfahrungen sollten besser genutzt werden. Ein optimaler Weg, die Bediensteten der kommunalen Verwaltungen, die für die Nahverkehrspolitik zuständig sind, und diejenigen, die mit bürgernahen Aktivitäten, die eine unmittelbare Auswirkung auf die öffentliche Meinung haben, betraut sind, miteinander zu vernetzen, wäre die Einrichtung eines spezifischen Portals für den Erfahrungsaustausch zwischen den großen, mittelgroßen und kleinen Städten der Union, in denen mehr als 80 % der Bevölkerung der EU leben. Die Verleihung des Zertifikats „Gemeinde mit hoher Energieeffizienz“ (das erste wurde der kleinen italienischen Gemeinde Varese Ligure verliehen) bietet zweifellos einen großen Anreiz dafür, auf lokaler Ebene Strategien zur Verbesserung der Energieeffizienz einzuführen. Die Kommission könnte darüber hinaus einen „Energieeffizienzwettbewerb“ für europäische Schulen durchführen, mit Preisen für die Schule, deren Lösung Energieeinsparungen und Qualität miteinander verbindet und die besten Ergebnisse bringt.

4.7.1

Der Ausschuss bedauert, dass der Aktionsplan die wichtige Rolle außer Acht lässt, die die Sozialpartner und der soziale Dialog auf allen wichtigen Ebenen bei der Bewertung, Förderung und Entwicklung von Energiesparstrategien spielen können. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, Schritte zu unternehmen, um dafür zu sorgen, dass auf den verschiedenen Ebenen der vorhandenen Strukturen des sozialen Dialogs, insbesondere beim sektoralen Dialog und in den Betriebsräten, die Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit verstärkt Berücksichtigung finden. Ein arbeitsplatzorientierter Ansatz, durch den die Qualität der den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Informationen sowie die Anhörung der Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerbeteiligung verbessert wird, könnte große Vorteile hinsichtlich der Energieeinsparungen mit sich bringen, wenn man nur zum Beispiel an die Produktionsverfahren und die neuen Technologien der Industrie, an die Mobilitätsprobleme der Arbeitnehmer, das Recycling und die Telearbeit denkt, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen. Aus diesem Grund ist die Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter in die Energieeffizienzstrategien absolut notwendig. Die Sozialpartner könnten Überlegungen über Tarifverträge anstellen, in deren Rahmen auf der Basis einer echten partnerschaftlichen Einbeziehung ein Teil der im Unternehmen erzielten Einsparungen auf die Arbeitnehmer umverteilt wird. Darüber hinaus können die Gewerkschaftsorganisationen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung entsprechender Kenntnisse und der Sensibilisierung spielen und so zur Verbreitung bewährter Praktiken beitragen.

4.7.2

Wichtig ist, dass das Thema Energiesparen mit vorbildlichen Verfahrenweisen im Bereich der sozialen Verantwortung der Unternehmen verbunden wird, was insbesondere für die multinationalen Konzerne gilt; aus diesem Grunde bedarf es eines verstärkten sozialen Dialogs zur Erörterung aller mit der Energieeffizienz zusammenhängenden Fragen, um auf dem Weg zur Festlegung einer den Kohlenstoffverbrauch einschränkenden europäischen Strategie weiterzukommen. Dabei darf keiner der gesundheitsschädigenden Faktoren ausgespart werden, auch nicht die Feinststäube, die in vielen Städten Europas zu einem akuten Problem geworden sind. Die Verbreitung vorbildlicher Verfahrensweisen, so z. B. des kohlenstofffreien Druckens oder anderer Initiativen, trägt dazu bei, das Bewusstsein für Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu schärfen und positive Verhaltensweisen zu fördern.

4.8

Die Kommission hat die internationale Dimension des Problems der Verbesserung der Energieintensität sehr treffend herausgestellt. Der Ausschuss unterstützt die Vorschläge für eine Partnerschaft und die Erarbeitung eines internationalen Rahmenabkommens. Was die angekündigte internationale Konferenz über Energieeffizienz betrifft, so gibt der Ausschuss zu bedenken, dass die Bedeutung einer Beteiligung der Länder, die von den AKP-, Euromed- und ENP-Programmen erfasst werden, nicht unterschätzt werden sollte. Internationale Zusammenarbeit ist für eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung unerlässlich, und es ist notwendig, die Bemühungen auf diplomatischer Ebene zu intensivieren, damit bis 2009 eine neues internationales „Post-Kyoto-Protokoll“, zustande kommen kann, zu dem die diesjährige Konferenz auf Bali den Auftakt bildet.

4.9

Die europäische Industrie, die derzeit umfassende Technologien zur Energieeinsparung entwickelt, kann den anderen Ländern durch industrielle Zusammenarbeit bei der Verbesserung der Qualität der Stromerzeugung sowie der Senkung des Energieverbrauchs und der daraus entstehenden Treibhausgase beachtliche Unterstützung zuteil werden lassen und somit zu einer Senkung des weltweiten Verbrauchs beitragen.

Brüssel, den 27. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  L. Brown, www.earthpolicy.org und FAO-Bericht 2005.

(2)  „Faktor 4. Doppelter Wohlstand — halbierter Naturverbrauch“ (U. v. Weizsäcker, A. Lovins u. a.).

(3)  Stellungnahme TEN/276 — Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten (Berichterstatter: Herr RIBBE).

(4)  Kennzeichnung Strom sparender Bürogeräte (Berichterstatter: Herr VOLEŠ).

(5)  In der vorliegenden Richtlinie ist in Artikel 15 Absatz 2 für ihre vollständige Umsetzung eine zusätzliche Frist von drei Jahren vorgesehen, falls der betreffende Mitgliedstaat einen Mangel an qualifiziertem und zugelassenem Fachpersonal nachweisen kann, was den Mitgliedstaaten nicht nur die Möglichkeit gibt, die Einführung der Energieausweise zu verzögern, sondern auch die Inspektionen von Heizungskesseln und Klimaanlagen hinauszuschieben. Dies bedeutet, dass — wie die Kommission selbst feststellt — sich der Rat kaum bereit erklären wird, das Kapitel vor 2009 wieder zu eröffnen. Aber bevor die vorgesehenen Maßnahmen die erhofften Ergebnisse bringen und wirksam werden können, werden weitere Jahre vergehen, bis eine neue Richtlinie zu diesem Thema verabschiedet sein wird.

(6)  Vergleich zwischen Bewertungsmodellen zur Schätzung der energetischen und makroökonomischen Auswirkungen des Passivhausstandards — Giulio SCAPIN — Universität von Padua [2005-06], 30.5.2007 — Website www.tesionline.it.

(7)  Außerdem darf nicht vergessen werden, dass viele der derzeit eingesetzten Transformatoren eine Substanz enthalten, die als eine der für den Menschen am schädlichsten Substanzen gilt, nämlich PCB (Polychlorbiphenyl), und dass derzeit Kampagnen laufen, um diese auszutauschen oder zu sanieren. Es wird davon ausgegangen, dass beispielsweise allein in Italien circa 200 000 Transformatoren von den 600 000 im Land existierenden PCB enthalten oder damit kontaminiert sind. Es handelt sich hierbei um einen Stoff, der aufgrund seiner hervorragenden wärmeisolierenden Eigenschaften massenhaft eingesetzt wurde, ohne dass damals seine im Brandfall äußerst toxischen physikalischen und chemischen Eigenschaften bekannt gewesen wären. Daher wäre ein Austausch dieser Transformatoren angebracht.

(8)  Aus Wikipedia: Ein Sonderbereich der Kraft-Wärme-Kopplung ist die Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung, bei der neben der Stromerzeugung die aus der Umwandlung rückgewonnene Wärmeenergie auch zur Erzeugung von Kälteenergie, d. h. zur Herstellung von Kühlwasser für Klimaanlagen oder Industrieverfahren, genutzt wird. Die Überführung von Wärmeenergie in Kälteenergie wird durch den Einsatz eines Absorptionskühlkreislaufs möglich gemacht, dessen Funktionsprinzip auf einer ständigen Veränderung des Aggregatzustands des Kühlmittels in Verbindung mit der als Absorptionsmittel verwendeten Substanz beruht.

(9)  L. Brown, www.earthpolicy.org und FAO-Bericht 2005.

(10)  TEN 286 — Fortschrittsbericht Biokraftstoffe (Berichterstatter: Herr IOZIA).


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zu Flughafenentgelten“

KOM(2006) 820 endg. — 2007/0013 (COD)

(2008/C 10/09)

Der Rat beschloss am 1. März 2007 gemäß Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2007 an. Berichterstatter war Herr McDonogh.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 143 gegen 2 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

Die Kommission sollte Gestaltungskriterien für verschiedene Flughafenarten aufstellen, um sicherzustellen, dass sie praktisch und funktionell sind und aus wirtschaftlicher Sicht gerechtfertigt werden können, wo Kosten über Flughafenentgelte wieder hereingeholt werden.

1.2

Der Staat sollte die Kosten für die Flughafensicherheit tragen, denn es handelt sich hierbei um ein nationales Sicherheitsproblem.

1.3

Der Bau und der Betrieb regionaler Flughäfen sollte gefördert werden. Sie spielen in der Wirtschaft der Regionen eine zentrale Rolle. Außerdem entlasten sie die Großflughäfen und leisten häufig wertvolle Hilfe bei Such- und Rettungseinsätzen.

1.4

Flughäfen müssen als grundlegende öffentliche Einrichtung betrachtet werden, die nicht unbedingt Gewinne erzielt und je nach den Gegebenheiten möglicherweise auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Beihilfen sind im öffentlichen Verkehr gang und gäbe.

1.5

Die Kommission sollte Gestaltungskriterien für die Flughafenabfertigung (z. B. Check-In und Passagierkontrollen) aufstellen und dann prüfen, wie sich etwaige Änderungen der Bestimmungen auf die Dynamik dieser Dienste und gleichzeitig auf den Personalbestand und die Kosten auswirken, die den Betreibern durch die Erfüllung der für die Umlaufzeit der Fluggesellschaften geltenden Kriterien entstehen.

1.6

Die Kommission sollte anerkennen, dass hohe Entgelte erhoben werden müssen, damit auch die kleinsten Flughäfen, bei denen das Fluggastaufkommen eventuell nicht für einen wirtschaftlichen Flughafenbetrieb ausreicht, die für die Einhaltung der geltenden Vorschriften erforderlichen Maßnahmen finanzieren können.

1.7

Flughäfen müssen stets dafür Sorge tragen, dass sie als Minimum bestimmten ordnungspolitischen Auflagen Genüge tun. Dem Ansinnen von Billigfluglinien, die ein weniger anspruchsvolles Dienstleistungsniveau und entsprechend niedrigere Flughafenentgelte wünschen, kann wegen der mit der Einhaltung der ordnungspolitischen Auflagen verbundenen Kosten nicht immer entsprochen werden. Deswegen sollten die Flughäfen das Recht haben, unabhängig von den von einem Luftverkehrsunternehmen gewünschten Dienstleistungsniveau ihre Entgelte so zu gestalten, dass sie die Flughafenkosten widerspiegeln und ein Hereinwirtschaften dieser Kosten gestatten.

1.8

Umfangreiche staatliche Beihilfen könnten den Wettbewerb verzerren.

1.9

Es sollten geeignete Einrichtungen für die Luftfrachtabfertigung vorgesehen werden.

1.10

Es sollten biometrische Sicherheitskontrollsysteme eingeführt werden, so dass Vielflieger bei der Sicherheitskontrolle zügig abgefertigt werden können. Im Bedarfsfalle könnte hierfür eine Gebühr vorgesehen werden.

1.11

Die Flughäfen müssen dafür sorgen, dass Einrichtungen und Dienstleistungen, in Übereinstimmung mit dem geltenden Gemeinschaftsrecht in diesem Bereich, den besonderen Bedürfnissen von Fluggästen mit Behinderungen und Gebrechen gerecht werden.

2.   Einleitung

2.1

Hauptaufgabe und kommerzielle Haupttätigkeit von Flughäfen ist es, die Abfertigung von Luftfahrzeugen von der Landung bis zum Start und von Fluggästen und Fracht zu gewährleisten, damit Luftfahrtunternehmen ihre Luftverkehrsdienstleistungen erbringen können. Zu diesem Zweck bieten Flughäfen eine Reihe von Einrichtungen und Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Betrieb von Luftfahrzeugen und der Abfertigung von Fluggästen und Fracht an, deren Kosten sie im Allgemeinen durch die Erhebung von Flughafenentgelten decken.

2.2

Es ist erforderlich, einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen, der die wesentlichen Merkmale von Flughafenentgelten und deren Festsetzung regelt, da in Ermangelung eines solchen Rahmens grundlegende Anforderungen in den Beziehungen zwischen den Leitungsorganen von Flughäfen und den Flughafendienstleistern (d. h. Fluggesellschaften, Abfertigungsagenten und anderen Dienstleistungsanbietern) möglicherweise nicht eingehalten werden.

2.3

Diese Richtlinie sollte für Flughäfen im Gebiet der Gemeinschaft gelten, die jährlich mehr als eine Million Fluggäste abfertigen.

2.4

Flughafenentgelte sollten nicht diskriminierend sein. Dies gilt sowohl für Dienstleistungen als auch für Dienstleister.

2.5

In jedem Mitgliedstaat sollte eine unabhängige Regulierungsbehörde eingerichtet werden, um die Unparteilichkeit ihrer Entscheidungen und die ordnungsgemäße und wirksame Anwendung dieser Richtlinie zu gewährleisten. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die Flughafennutzer vom Leitungsorgan des Flughafens regelmäßig und in transparenter Weise Informationen darüber erhalten, wie und auf welcher Grundlage die Flughafenentgelte berechnet werden.

2.6

Die Flughäfen sollten die Flughafendienstleister über größere Infrastrukturvorhaben unterrichten, da diese wesentliche Auswirkungen auf die Höhe der Flughafenentgelte haben.

2.7

Wegen des Aufkommens von Luftfahrtunternehmen, die Luftverkehrsdienste zu geringen Kosten betreiben, sollten Flughäfen, die von diesen Luftfahrtunternehmen bedient werden, Entgelte erheben können, die der Infrastruktur und/oder dem gebotenen Dienstleistungsniveau angemessen sind, da die Luftfahrtunternehmen ein legitimes Interesse an dem Preis-Qualitätsverhältnis entsprechenden Flughafendienstleistungen haben. Der Zugang zu einem solchen niedrigeren Niveau von Infrastrukturen oder Dienstleistungen sollte in nicht diskriminierender Weise allen Luftfahrtunternehmen offen stehen, die diese nutzen möchten.

2.8

Da die Methoden zur Festlegung und Erhebung der Beträge zur Deckung von Sicherheitskosten in der Gemeinschaft variieren, ist eine Harmonisierung der Grundlage für die Anlastung von Sicherheitskosten auf Flughäfen der Gemeinschaft, bei denen sich die Kosten zur Gewährleistung der Sicherheit in den Flughafenentgelten widerspiegeln, erforderlich.

2.9

Die Flughafendienstleister sollten ein Anrecht auf ein Mindestdienstleistungsniveau im Gegenzug für die von ihnen gezahlten Entgelte haben. Um dies zu gewährleisten, sollte das Dienstleistungsniveau Gegenstand von Vereinbarungen sein, die in regelmäßigen Zeitabständen zwischen dem Leitungsorgan des Flughafens und den Vereinigungen, die die Flughafendienstleister an dem betreffenden Flughafen vertreten, getroffen werden.

2.10

Die Ziele der beabsichtigten Maßnahme lassen sich von den Mitgliedstaaten nicht in ausreichendem Maße verwirklichen und sind daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen.

2.11

Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass das Leitungsorgan des Flughafens die Flughafendienstleister konsultiert, bevor die Planung neuer Infrastrukturvorhaben abgeschlossen wird.

2.12

Um einen reibungslosen und effizienten Betrieb auf einem Flughafen sicherzustellen, gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass das Leitungsorgan des Flughafens und die Vereinigung zur Vertretung der Dienstleister auf dem betreffenden Flughafen in Verhandlung treten, um eine Vereinbarung zum Dienstleistungsniveau bezüglich der Qualität der an den Abfertigungsgebäuden des Flughafens erbrachten Dienstleistungen abzuschließen. Eine solche Vereinbarung ist mindestens einmal alle zwei Jahre zu treffen und der unabhängigen Regulierungsbehörde jedes Mitgliedstaats zu melden.

2.13

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, damit das Leitungsorgan des Flughafens die Qualität und die Nutzungsmöglichkeiten einzelner Flughafendienstleistungen, Abfertigungsgebäude oder Teile von Abfertigungsgebäuden variieren kann, um maßgeschneiderte Dienstleistungen erbringen oder ein bestimmtes Abfertigungsgebäude bzw. einen bestimmten Teil eines Abfertigungsgebäudes bereitstellen zu können. Die Höhe der Flughafenentgelte kann entsprechend der Qualität und des Umfangs dieser Dienstleistungen differenziert werden.

2.14

Die Mitgliedstaaten ernennen oder errichten eine unabhängige Stelle als ihre unabhängige nationale Regulierungsbehörde, um die ordnungsgemäße Anwendung der Maßnahmen, die zur Umsetzung dieser Richtlinie ergriffen wurden, zu gewährleisten.

2.15

Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der unabhängigen Regulierungsbehörde, indem sie deren rechtliche Trennung und funktionale Unabhängigkeit von Leitungsorganen der Flughäfen und von Luftfahrtunternehmen sicherstellen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Es ist zu begrüßen, dass die Kommission grundlegende Regeln und Kriterien für die Verwaltung und den Betrieb von Flughäfen auf EU-Gebiet aufstellen wird.

3.2

Es ist wichtig, dass bei den von den Flughäfen erhobenen Entgelten Klarheit und Transparenz herrschen, da sie in vielen Fällen eine Monopolstellung haben.

3.3

Die Zuweisung von Flugzeugstellplätzen an den Terminals muss rationell und auf nicht diskriminierende Weise erfolgen, wenn für alle Flughafennutzer gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden sollen. Werden zugewiesene Stellplätze über einen längeren Zeitraum nicht genutzt, sollte dies den Verlust des Anspruchs auf die betreffenden Stellplätze nach sich ziehen.

3.4

Anhaltend schlechte Verhaltensweisen von Fluggesellschaften bezüglich der Nutzung der ihnen zugewiesenen Abstellplätze und regelmäßige Verspätungen, die mit der Zeit zu einer ernsten Störung des Flughafenverkehrs führen könnten, sollten mit Geldstrafen und Bußgeldern geahndet werden.

3.5

Angestammte Rechte auf Großflughäfen sollten abgeschafft und diese Zeitnischen alle paar Jahre versteigert werden.

3.6

Alle EU-Flughäfen sollten tunlichst nach derselben Berechnungsmethode Lande- und Parkgebühren usw. erheben. Die Landegebühren sollten stets der jeweiligen Zeitnische entsprechen. So sollten die besten Zeitnischen zu begehrten Landezeiten teurer sein, um für eine gleichmäßigere Nutzung der Flughafeneinrichtungen zu sorgen.

3.7

Um den Flugverkehr zu beschleunigen und ihre Kapazität zu erhöhen, sollten die Flughäfen dazu angehalten werden, sich mit den modernsten Navigationsanlagen auszurüsten. Bei den Start- und Landebahnen sollte eine Kapazität von einer Landung oder einem Start alle 35 Sekunden angestrebt werden. Effizienzsteigerungen auf diesem Gebiet werden kürzere Wartezeiten vor der Landung zu Spitzenzeiten bringen und sich somit positiv auf die Emissionsbelastung auswirken.

3.8

Die Kommission sollte die einzelstaatlichen Luftfahrtbehörden überwachen und Audits unterziehen, um sich zu vergewissern, dass sie ihren Aufgaben rigoros und in gerechter Weise nachkommen.

3.9

Die Kosten für Anpassungen aus Sicherheitsgründen und andere Kosten sollten vom Staat übernommen werden, wie dies bei anderen Verkehrträgern wie der Eisenbahn der Fall ist. Diese sollten streng überwacht werden, da die Installation hochmoderner Geräte für kleine und mittelgroße Flughäfen kostspielig sein kann. Sie könnten vom wirtschaftlichen Standpunkt aus eventuell nicht gerechtfertigt sein.

3.10

Die Regulierungsbehörden sollten dafür sorgen, dass die Preise der Einzelhandelsgeschäfte eines Flughafens nicht zu stark von denjenigen in den nächstgelegenen Städten abweichen.

3.11

Angesichts der von Staat zu Staat variierenden Beschäftigungs-, Bau- und Infrastrukturkosten wird es sich als schwierig erweisen, einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen und zu beschließen, der die wesentlichen Merkmale von Flughafenentgelten und deren Festsetzung regelt. Die Raumplanungspolitik und -vorschriften unterscheiden sich ebenfalls von Staat zu Staat.

3.12

An der Stelle, an der vorgeschlagen wird, dass die Richtlinie nur für Flughäfen im Gebiet der Gemeinschaft oberhalb einer gewissen Mindestgröße gelten sollte, muss der Begriff „Mindestgröße“ geklärt werden.

3.13

Den Flughäfen sollte es gestattet sein, Gebühren zu erheben, um einen vernünftigen Gewinn zu erzielen, den sie in die Infrastruktur und andere Einrichtungen reinvestieren können.

3.14

Wenn sich eine Billigfluglinie hartnäckig weigert, Gebühren an den Flughafen zu entrichten, ist es schwierig, die Befolgungs- und Sicherheitskosten usw. des Flughafens zu decken!

3.15

Um einen reibungslosen und effizienten Flughafenbetrieb zu gewährleisten, sollte von den Fluggesellschaften verlangt werden, mit dem Flughafen eine Vereinbarung über den Umfang der Dienstleistungen abzuschließen, um dem Flughafen ein gewisses Dienstleistungsniveau zu garantieren.

3.16

Ein Flughafen hat eine Reihe potenzieller Kunden, nämlich Fluglinien, bei denen es sich nicht ausschließlich um Billigfluglinien handelt. In einigen Fällen ist die Zusammensetzung des Kundenstamms von entscheidender Bedeutung für die Erhaltung des Einkommens, das je nach Fluggastprofil variiert. Dieses Einkommen ist aufgrund der dominanten Stellung von Billigfluglinien auf kleineren Flughäfen bedroht.

3.17

Die bei der Sicherheitskontrolle eingesetzte Ausrüstung sollte definiert und vereinheitlicht werden. Ansonsten wird die Öffentlichkeit schnell das Vertrauen in die Sicherheitssysteme verlieren. Mit ein und demselben Gegenstand können die Fluggäste in einigen Flughäfen problemlos die Sicherheitskontrolle passieren, während in anderen der Alarm ausgelöst wird. Ein Unternehmen bietet auf immer mehr amerikanischen Flughäfen ein Fluggast-Registrierungsprogramm an. Gegen eine jährliche Gebühr von 99,99 US-Dollar erhält der Kunde eine biometrische Ausweiskarte für die Passkontrolle, die ihn berechtigt, die Schnellabfertigungsschlangen der Sicherheitskontrolle zu benutzen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie durch technologische Verbesserungen der Komfort für die Passagiere verbessert und die Wartezeiten in Abfertigungsschlangen verkürzt werden können.

3.18

Die Flächen im direkten und weiteren Umland der Flughäfen sollten aufgrund ihres wirtschaftlichen Wertes entsprechend ausgewiesen werden, um Bodenspekulation vorzubeugen und zu unterbinden.

3.19

Die Sicherheitsvorkehrungen an den Flughäfen scheinen zwar streng zu sein, doch kommt es noch immer häufig zu Gepäckdiebstahl. Dieses Problem sollte dringend angegangen werden.

3.20

Die Bedeutung von steuer- und zollfreiem Einkauf in Flughafenläden sollte klar definiert und die Information gut sichtbar ausgehängt werden, damit sich die Kunden darüber im Klaren sind, um welche Kosten es geht.

3.21

Um die Reisenden zu schützen, sollte die Kommission eine Website mit klaren Angaben zu den in den verschiedenen Flughäfen erhobenen Gebühren einrichten, wie Landegebühren u.ä., die auf den Flugscheinen aufgeführt und den Fluggästen angerechnet werden.

4.   Flughafengestaltung

4.1

Flughäfen sollten benutzerfreundlich und in Absprache mit den Nutzern, d. h. den Fluglinien und Fluggästen, konzipiert werden.

4.2

Die Kommission sollte Kriterien für den für die Gepäckausgabe, die Sicherheitsabfertigung und die Passkontrolle zur Verfügung zu stellenden Mindestraum festlegen.

4.3

Der Flughafengestaltung sollte so angelegt sein, dass sich die Fluggäste beim Betreten oder Verlassen des Flughafens problemlos bewegen können und der Flughafen benutzerfreundlich ist.

4.4

Es ist ratsam, den Fluglinien, die dies wünschen und auch bereit sind, dafür zu zahlen, modernere Einrichtungen zur Verfügung zu stellen.

4.5

Die Flughafenbeschilderung ist von größter Wichtigkeit. An den meisten Flughäfen ist die Ausschilderung verwirrend. Die Beschilderung sollte so weit wie möglich vereinheitlicht werden.

4.6

Für die Fluggäste sollten ausreichende Sitzmöglichkeiten und Wartezonen vorgehalten werden. Der Zugang zu den Flugterminals sollte so benutzerfreundlich wie möglich sein, insbesondere für Fluggäste mit Behinderungen und besonderen Bedürfnissen, z. B. auch Fluggäste mit kleinen Kindern.

4.7

Die Konzeption der Flugterminals erfolgt im Wesentlichen anhand der Fluggastströme während der typischen Spitzenstunde, daher sollten Kriterien für die typische Spitzenstunde in Bezug auf maßgebliche Passagierabfertigungsvorgänge, wie etwa Check-In und Personenkontrolle, ermittelt und anschließend als Richtschnur für den Flugsektor veröffentlicht werden.

4.8

Die operationellen Mindestkriterien sollten im Einklang mit den entsprechenden Gestaltungsnormen angehoben werden. Die einen Flughafen nutzenden Fluglinien sollten möglichst keine über die Gestaltungsnormen hinausgehenden Anforderungen als Mindestkriterium stellen.

4.9

Die Flughäfen müssen dafür sorgen, dass ihre Einrichtungen und Dienstleistungen, für die sie alleine oder in Zusammenarbeit mit Luftfahrtunternehmen verantwortlich sind, den besonderen Bedürfnissen von Fluggästen mit Behinderungen und Gebrechen gerecht werden. In Anlehnung an die Überlegungen, die der EWSA bereits früher angestellt hat (TEN/215 „Rechte von Flugreisenden eingeschränkter Mobilität“), ist er der Auffassung, dass die Flughäfen diese Verpflichtungen erfüllen, indem sie den Anforderungen gerecht werden, die in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität gestellt werden. Siehe insbesondere Artikel 9 und Anhang 1 zu der Regelung.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: „Nachhaltige Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen — Ziel: Weitgehend emissionsfreie Kohlenutzung nach 2020“

KOM(2006) 843 endg.

(2008/C 10/10)

Die Europäische Kommission beschloss am 10. Januar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2007 an. Berichterstatter war Herr ZBOŘIL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 27. September) mit 135 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission und stimmt der darin enthaltenen Analyse und Beschreibung zu. Wirksame Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels bei gleichzeitiger Deckung des hohen Energiebedarfs der Industrieländer und der rasch wachsenden Energienachfrage der Entwicklungsländer sind eine bedeutende globale Herausforderung.

1.2

Auf Kohlekraftwerke in der EU entfallen 24 % der EU-Gesamt-CO2-Emissionen. Deshalb sind diese Kraftwerke für CCS-Technologien besonders gut geeignet. Dies erfordert die Installation von CO2-Abscheidungs- und Speichervorrichtungen.

1.3

Die Kohle wird höchstwahrscheinlich auf Jahrzehnte hinaus im europäischen Energiemix verbleiben. Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften — Verfügbarkeit, Erschwinglichkeit und Beitrag zur Stabilisierung der Energiemärkte — wird Kohle auch weiterhin als wichtige Brennstoffquelle für die wirtschaftliche Erzeugung von Strom genutzt werden. Die Kohlevorräte sind weltweit und innerhalb Europas ungleich verteilt. Über Kohletechnologien können erhebliche CO2-Emissionssenkungen erzielt werden (1). Kurz- und mittelfristig müssen dazu über geeignete Marktbedingungen und Regelungsrahmen Anreize für Investitionen in die modernsten Technologien geschaffen werden, mit deren Hilfe der Wirkungsgrad der Kohleverstromung verbessert und somit spezifische CO2-Emissionen reduziert werden können.

1.4

Es gibt bislang noch keine bewährten und kostenwirksamen Verfahren zur Abscheidung und Sequestrierung des größten Teils der bei der Kohleverstromung anfallenden CO2-Emissionen; die Technologie ist noch im Entwicklungsstadium. Die Aussichten für die Entwicklung marktreifer weitgehend emissionsfreier Kohletechnologien innerhalb der nächsten 20 Jahre sind jedoch vielversprechend.

1.5

Der EWSA bekräftigt seine Meinung, dass in Anbetracht der enormen Herausforderung der Emissionseindämmung alle aussichtsreichen Energieträger und Energietechnologien weiterentwickelt werden müssen, um ihr praktisches und wirtschaftliches Potenzial zu erschließen. Beim Übergang zu einer nachhaltigen Energie haben Kohle, andere fossile Brennstoffe, Kernkraft, erneuerbare Energieträger und Energieerhaltungsmaßnahmen zu gegebener Zeit und im Rahmen der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit jeweils eine wichtige Rolle zu spielen.

1.6

Der EWSA sieht in der Kohlenstoffsequestrierung nach 2020 langfristig das Potenzial für eine weitgehend emissionsfreie Kohleverstromung. Bis 2020 werden ca. 350 GW und bis 2030 ca. 500 GW neuer Stromerzeugungskapazität benötigt, wozu Investitionen von schätzungsweise 600-800 Mrd. EUR erforderlich sein werden. Um dieses Potenzial zu erschließen, bedarf es jetzt koordinierter Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsanstrengungen.

1.7

Wenn der Wirkungsgrad der Kraftwerke weiter verbessert und die Entwicklung weitgehend emissionsfreier Technologien vorangetrieben wird, kann Kohle zum vorbeugenden Klimaschutz beitragen. Trotz der vielversprechenden Aussichten der CCS-Technologie dürfen jedoch nicht schon jetzt verbindliche energiepolitische Strategien und Ziele festgelegt werden, die auf der Annahme beruhen, dass die CCS-Technologie eines Tages weit verbreitet sein wird.

1.8

Eine Vereinfachung der Lizenzvergabeverfahren und ihre allmähliche Harmonisierung durch eine Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Regulierungsbehörden ist erforderlich, um die langen Vorlaufzeiten bei Konstruktionsvorhaben soweit wie möglich zu reduzieren, ohne von den höchstmöglichen Sicherheitsstandards abzurücken.

1.9

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass Kohle nicht nur der wichtigste Brennstoff für die Stromerzeugung und ein zentraler Ausgangsstoff für die Stahlproduktion und für andere Industrieprozesse ist, sondern auch eine wichtige Rolle bei der Deckung des künftigen Energiebedarfs durch den Übergang zu einer Wasserstoffwirtschaft spielen wird. Durch Kohleverflüssigung kann Kohle als Ersatzstoff für Rohöl dienen, und auch Synthesegas kann aus Kohle hergestellt werden.

1.10

Für den Abbau einheimischer Braun- und Steinkohle ist jedoch nach wie vor ein geeigneter wirtschaftlicher und politischer Rahmen notwendig. Die Energiegewinnung und -umwandlung kann maßgeblich zu Wohlstand und Beschäftigung vor Ort beitragen. Auch mit Blick auf die soziale Lage in den neuen Mitgliedstaaten ist es ungemein wichtig, den derzeitigen Umfang der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen (Kohle) aufrecht zu erhalten: Von insgesamt 286 500 im Kohlebergbau Beschäftigten in der EU sind 212 100 in den neuen Mitgliedstaaten beschäftigt. Die grundlegende Verbesserung der sehr harten Arbeitsbedingungen der Bergleute, ihrer Qualifikationen, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsumgebung muss im Mittelpunkt der Bemühungen der Bergwerksbetreiber im gesamten EU-Kohlebergbau stehen.

1.11

Der EWSA hält die zeitlichen Vorstellungen der Kommission in Bezug auf die Entwicklung marktreifer CCS-Technologien für optimistisch. Die Kommission sollte nun durch geeignete Maßnahmen dafür sorgen, dass im Jahr 2015 10-12 Demonstrationsanlagen in Betrieb genommen werden können, und ein geeignetes Konzept für die Kohlenstoffsequestrierung entwickeln, das die wesentlichen Risiken abdeckt und Sicherheit bietet, dabei aber nicht zu restriktiv ist. Es wäre angebracht, als Zwischenziel höhere Wirkungsgrade bei der Stromerzeugung anzustreben, um zu verhindern, dass das weltweit wichtige CCS-Konzept durch zu große Hast und übermäßig restriktive Vorschriften ernstlich gefährdet wird.

1.12

Daneben ruft der EWSA zu intensiven Forschungs- und Entwicklungsbemühungen in Bezug auf erneuerbare und alternative Energiequellen auf, die zu einem sicheren Energiemix in der EU beitragen sollten. Zugleich sollte der integrierte EU-Energiemarkt ohne übermäßige Verzögerung zur gelebten Realität gemacht werden.

2.   Einleitung

2.1

Der Ausschuss hat sich bereits in mehreren Stellungnahmen mit fossilen Brennstoffen befasst, u. a. jüngst in seiner Sondierungsstellungnahme zum Thema „Die Energieversorgung der Europäischen Union — eine Strategie für einen sinnvollen Energiemix“ (2). Darin empfiehlt er, ernsthafte Bemühungen zur Entwicklung der Technologien für „saubere“ Kohle, d. h. zur Erhöhung der Effizienz der Kraftwerke und zur Konzipierung kommerzieller Anwendungen im Bereich der Bindung und Speicherung von Kohlenstoff zu unternehmen, da dies angesichts der globalen Entwicklungen von besonderer Wichtigkeit ist. Er stellt fest, dass die Nutzung von Gas auch aufgrund politischer Weichenstellungen gestiegen ist und weiter zunimmt. Mehr und mehr zeigt sich, dass ein Andauern dieser Entwicklung auch Probleme mit sich bringt. Aus Gründen der Versorgungssicherheit und aus Kostenerwägungen kann Gas kaum weiter als Substitut für Kohle eingesetzt werden; wegen der Emissionen kommt es aber auch nicht als Ersatz für die Kernkraft in Frage. Außerdem werden Einwände laut gegen die energetische Nutzung der endlichen Vorräte an Gas, das — ebenso wie Erdöl — ein wertvoller Rohstoff für industrielle Verwendungszwecke mit hoher Wertschöpfung ist.

2.2

Der Entwurf für die nachhaltige Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen wurde von der Europäischen Kommission am 10. Januar 2007 im Rahmen ihres Klima- und Energiepakets „Eine Energiepolitik für Europa“ vorgelegt.

2.3

Im Rahmen dieses Pakets schlägt die Kommission außerdem Klimaziele vor, denen zufolge die Industrieländer ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 um 30 % senken sollen, Europa allein jedenfalls aber um 20 %. Weitere Aspekte des Pakets betreffen den Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt, den Verbund der Strom- und Gasnetze, Vorschläge für die künftige Rolle der Kernenergie im Zusammenhang mit dem hinweisenden Nuklearprogramm, einen Fahrplan für erneuerbare Energien, insbesondere Biokraftstoffe, und einen europäischen Strategieplan für Energietechnologie. Auf seiner Tagung am 9. März 2007 billigte der Europäische Rat die Ziele und die wesentlichen politischen Inhalte des Dokuments.

2.4

In dieser Mitteilung soll ein umfassender Überblick über die Maßnahmen gegeben werden, die notwendig sind, damit fossile Brennstoffe und insbesondere Kohle weiterhin einen mit der Strategie für nachhaltige Entwicklung und den Klimaschutzzielen zu vereinbarenden Beitrag zur Sicherung und Diversifizierung der Energieversorgung Europas und der Welt leisten können. Die Mitteilung trägt der Arbeit und den Stellungnahmen Rechnung, die 2006 im Zuge des zweiten Europäischen Programms zur Klimaänderung (ECCP II), der hochrangigen Gruppe für Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt, der Vorbereitungen zum siebten Forschungsrahmenprogramm (RP 7) sowie der Technologieplattform für das mit fossilen Brennstoffen betriebene emissionsfreie Kraftwerk geleistet beziehungsweise abgegeben wurden.

3.   Das Kommissionsdokument

3.1

In ihrer Mitteilung beleuchtet die Europäische Kommission den Stellenwert der fossilen Brennstoffe in der Energieerzeugung. Sie stellt fest, dass fossile Brennstoffe ein wichtiges Element im Energiemix der Europäischen Union und vieler anderer Wirtschaftsräume sind. Sie spielen eine besonders wichtige Rolle bei der Stromerzeugung: Mehr als 50 % der Elektrizität in der EU wird derzeit aus fossilen Brennstoffen (überwiegend Kohle und Erdgas) erzeugt, in einigen Ländern liegt ihr Anteil sogar bei 80 % (Polen, Griechenland). Für die Energieversorgungssicherheit der EU spielt Kohle eine zentrale Rolle, woran sich vorerst nichts ändern wird. Kohle ist der fossile Brennstoff, von dem die weitaus größten und am weitesten verbreiteten Reserven vorhanden sind; Schätzungen zufolge reichen die Braunkohlevorkommen noch ca. 130 Jahre, die Steinkohlevorkommen noch ca. 200 Jahre.

3.2

Allerdings kann Kohle nur im Zusammenspiel mit Technologien, die eine deutliche Reduktion ihres „CO2-Fußabdrucks“ (d. h. der bei ihrer Verbrennung verursachten Kohlendioxidemissionen) ermöglichen, weiterhin einen wertvollen Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung sowie zur europäischen und globalen Wirtschaft leisten. Wenn derartige Technologien in einem für die nachhaltige Kohlenutzung hinreichend großen Maßstab entwickelt werden, können sie auch Lösungen für Verbrennungsprozesse mit anderen fossilen Brennstoffen bieten, zum Beispiel Stromerzeugung aus Erdgas. Die EU muss daher technologische Lösungen zur nachhaltigen Kohlenutzung entwickeln, und zwar nicht nur, damit die Kohle weiterhin ihren Platz im europäischen Energiemix hat, sondern auch, um zu gewährleisten, dass der weltweite Anstieg der Kohlenutzung nicht mit dauerhaften Beeinträchtigungen des globalen Klimas einhergeht.

3.3

Es wurden so genannte „saubere Kohletechnologien“ entwickelt, die heute in der Stromerzeugung breite Anwendung finden und durch drastische Verringerungen des Ausstoßes von SO2, NOx, Partikeln und Staub aus Kohlekraftwerken einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Probleme der lokalen Umweltverschmutzung und des sauren Regens leisten. Saubere Kohletechnologien haben auch zu einer stetigen Steigerung des Wirkungsgrads bei der Kohleverstromung geführt. Diese Errungenschaften sind wichtige Etappen des weiteren Fortschritts in Richtung neuer technologischer Lösungen (im Folgenden „Technologien zur nachhaltigen Kohlenutzung“), die Konzepte zur Kohlenstoffsequestrierung (CCS — CO 2 capture and storage) bei der Kohleverstromung beinhalten.

3.4

Die Europäische Kommission räumt Europa gute Chancen ein, in den nächsten 10 bis 15 Jahren Technologien für die nachhaltige Kohlenutzung bis zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit zu entwickeln. Dazu bedarf es allerdings entschlossener Investitionen der Industrie in eine Reihe von Demonstrationsanlagen innerhalb und außerhalb der EU sowie entsprechender politischer Initiativen über einen längeren Zeitraum (der praktisch jetzt beginnen und sich bis zum Jahr 2020 oder sogar darüber hinaus erstrecken müsste).

3.5

Um diese Entwicklung zu fördern, wird die Kommission die Demonstration von Technologien zur nachhaltigen Nutzung fossiler Brennstoffe im Zeitraum 2007 bis 2013 in die Reihe der Prioritäten aufnehmen und die Finanzmittel für FuE im Energiebereich erheblich aufstocken. Ein europäischer Strategieplan für Energietechnologie wird das geeignete Instrument für eine allgemeine Koordinierung der entsprechenden FuE- und Demonstrationsmaßnahmen sowie für die Maximierung der Synergien auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene sein. Ferner wird sie anhand der Ergebnisse erfolgreicher FuE-Projekte bis 2015 ermitteln, wie die Konzeption, der Bau und der Betrieb von bis zu 12 großmaßstäblichen Demonstrationsanlagen für Technologien zur nachhaltigen Nutzung fossiler Brennstoffe in der kommerziellen Stromerzeugung am zweckmäßigsten gefördert werden können.

3.6

Die Kommission wird anhand der jüngsten vorgenommenen und der geplanten Investitionen prüfen, ob in neu gebauten und zu bauenden Kraftwerken für den Betrieb mit fossilen Brennstoffen die besten verfügbaren Techniken zur Effizienzsteigerung eingesetzt werden, und ob bei neuen kohle- und erdgasbefeuerten Anlagen, in denen CCS-Technologien nicht sofort zum Einsatz kommen, die Voraussetzungen für eine spätere Nachrüstung gegeben sind. Falls sich herausstellen sollte, dass dies nicht der Fall ist, wird die Kommission die Vorlage von Vorschlägen für verbindliche Rechtsvorschriften nach einer ordnungsgemäßen Folgenabschätzung so bald wie möglich prüfen.

3.7

2007 wird die Kommission die potenziellen Risiken der Kohlenstoffsequestrierung prüfen und Anforderungen an Regelungen zur Genehmigung von CCS-Maßnahmen sowie an ein angemessenes Risiko- und Umweltfolgen-Management festlegen. Sobald ein solider Verwaltungsrahmen entwickelt wurde, kann dieser mit Änderungen am bestehenden umweltrechtlichen Rahmen der EU kombiniert werden, um etwaige unnötige Hindernisse für CCS-Technologien zu beseitigen. Die Kommission wird daneben prüfen, ob eine Änderung bestehender Instrumente (wie die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder die Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) oder aber ein Vorschlag für einen eigenständigen Rechtsrahmen zweckmäßiger ist. Ferner wird die Kommission die einzelnen Aspekte des Rechtsrahmens daraufhin prüfen, ob diese auf EU-Ebene oder besser auf einzelstaatlicher Ebene behandelt werden sollten.

3.8

Die Kommission ist der Auffassung, dass ein klarer und berechenbarer langfristiger Rahmen notwendig ist, um den raschen und reibungslosen Übergang zur Kohleverstromung mit Kohlenstoffsequestrierung zu erleichtern. Nur so können Energieversorgungsunternehmen im sicheren Wissen, dass ihre Wettbewerber einen ähnlichen Kurs einschlagen, die erforderlichen Investitionen und Forschungsarbeiten vornehmen. Die Kommission gelangt auf der Grundlage der derzeit verfügbaren Daten zu der Auffassung, dass ab 2020 alle neuen Kohlekraftwerke schon beim Bau mit CCS-Anlagen versehen werden sollten. Bestehende Anlagen sollten dann schrittweise dem gleichen Konzept folgen. Die Kommission wird den optimalen Zeitplan für die Nachrüstung von mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerken nach der Demonstration der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der nachhaltigen Kohlenutzung ermitteln.

3.9

Die Kosten der Abscheidung von CO2 bei der Stromerzeugung und der anschließenden Speicherung beim derzeitigen Stand der Technik werden auf bis zu 70 EUR pro Tonne CO2 geschätzt; der großmaßstäbliche Einsatz dieser Technologien ist daher vorläufig zu teuer. Aus den derzeit verfügbaren Modellen und Studien mit mittel- bis langfristiger Perspektive können daher zum Zeithorizont 2020 Kostenschätzungen für CCS von circa 20 bis 30 EUR pro Tonne CO2 abgeleitet werden. Damit ergeben sich in den Modellen für die Kohleverstromung mit CCS zum Zeithorizont 2020 oder unmittelbar danach Kostenniveaus, die nur 10 % über der derzeitigen Höhe liegen oder dieser sogar entsprechen.

3.10

Potenzielle negative Umweltauswirkungen der nachhaltigen Nutzung fossiler Brennstoffe und der Einführung der Kohlenstoffsequestrierung hängen vorwiegend mit einem möglichen Austritt von CO2 aus Speichern zusammen. Die Auswirkungen von CO2-Lecks können sich sowohl lokal (örtliche Biosphäre) als auch auf globaler Ebene (Klima) ergeben. Allerdings gelangt der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen in seinem diesbezüglichen Bericht gestützt auf die bisherigen Erfahrungen zu dem Schluss, dass in einem gut gewählten und ordnungsgemäß betriebenen geologischen Speicher der Anteil des nach einem Zeitraum von 100 Jahren verbleibenden CO2 wohl über 99 % liegt. Standortwahl und Management sind also zentrale Faktoren der Risikominimierung. In der Folgenabschätzung werden im Hinblick auf die Erstellung eines Rechtsrahmens potenzielle Risiken ermittelt und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen vorgeschlagen.

3.11

Von den Technologien zur nachhaltigen Nutzung fossiler Brennstoffe, und insbesondere CCS, können erhebliche positive Auswirkungen erwartet werden. Sie können die Kohlenstoffemissionen aus Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, um bis zu 90 % verringern. Dies könnte in der EU-27 bis 2030 zu einer Verringerung der Gesamtmenge der CO2-Emissionen in der Größenordnung von 25 bis 30 % gegenüber dem Niveau des Jahres 2000 führen. Eine frühzeitige Einbeziehung von Drittstaaten in die Entwicklung und breite Einführung von Technologien zur nachhaltigen Kohlenutzung und insbesondere CCS ist von wesentlicher Bedeutung für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung auf globaler Ebene und für die Bekämpfung des Klimawandels in einem Szenario mit weltweit zunehmender Nutzung von Kohle als Energiequelle. Der Erfolg der nachhaltigen Kohlenutzung und insbesondere die Kommerzialisierung von CCS in großem Maßstab werden auch dazu beitragen, in den ärmsten Regionen der Welt, in denen es nach wie vor keine Energieversorgung gibt, den Zugang zur Energie zu verbessern.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission und stimmt der darin enthaltenen Analyse und Beschreibung zu. Wirksame Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels bei gleichzeitiger Deckung des hohen Energiebedarfs der Industrieländer und der rasch wachsenden Energienachfrage der Entwicklungsländer sind eine bedeutende globale Herausforderung.

4.2

Auf Kohlekraftwerke in der EU entfallen 24 % der EU-Gesamt-CO2-Emissionen. Die durch die Verstromung fossiler Brennstoffe verursachten Emissionen sind aufgrund des hohen Brennstoffeinsatzes in großen Verbrennungsanlagen hochkonzentriert, und deshalb sind diese Kraftwerke für CCS-Technologien besonders gut geeignet. Dies erfordert die Installation von CO2-Abscheidungs- und Speichervorrichtungen. Entsprechende Systeme umfassen drei mehr oder weniger getrennte Phasen:

a.

Kohlendioxid-Abscheidung aus Rauchgas am Entstehungsort (meistens hinter einem Kessel),

b.

Transport des CO2 zum Endlager (zumeist über Pipelines),

c.

Endlagerung des CO2 (in geeigneten geologischen Formationen oder in der Tiefsee, wobei strengste Vorgaben für eine sichere Lagerung einzuhalten sind).

4.3

Die Kohle wird höchstwahrscheinlich auf Jahrzehnte hinaus im europäischen Energiemix verbleiben. Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften — Verfügbarkeit, Erschwinglichkeit und Beitrag zur Stabilisierung der Energiemärkte — wird Kohle auch weiterhin als wichtige Brennstoffquelle für die wirtschaftliche Erzeugung von Strom genutzt werden. Die Kohlevorräte sind weltweit und innerhalb Europas ungleich verteilt. Global gesehen ist es ermutigend, dass sich die größten Kohlevorräte in wirtschaftlich fortgeschrittenen und politisch stabilen Ländern befinden. Die Vorräte der EU-Industrieländer sind über viele Jahre hinweg abgebaut worden und weitgehend erschöpft, und mehrere EU-Mitgliedstaaten haben den Kohlebergbau schrittweise eingeschränkt und sogar eingestellt.

4.4

Nur ein Drittel der EU-Mitgliedstaaten kann auf einheimische Kohlevorkommen zurückgreifen, die übrigen zwei Drittel sind von zumeist Steinkohleimporten abhängig. Im Jahr 2006 wurden in der EU 161,6 Mio. Tonnen Steinkohle abgebaut und 235,3 Mio. Tonnen importiert. Der Braunkohleverbrauch im gleichen Jahr belief sich auf 373,8 Mio. Tonnen und wurde komplett aus einheimischer Produktion gedeckt. Deshalb müssen funktionierende Verfahren für eine erhebliche Senkung der durch Kohleverstromung verursachten CO2-Emissionen entwickelt und flächendeckend eingeführt werden.

4.5

Über Kohletechnologien können erhebliche CO2-Emissionssenkungen erzielt werden (3). Kurz- und mittelfristig müssen dazu über geeignete Marktbedingungen und Regelungsrahmen Anreize für Investitionen in die modernsten Technologien geschaffen werden, mit deren Hilfe der Wirkungsgrad der Kohleverstromung verbessert und somit spezifische CO2-Emissionen reduziert werden können. Über eine Zusammenarbeit der Kommission, der Regierungen der Mitgliedstaaten und der Industrie muss die weltweit koordinierte Forschung, Entwicklung und Demonstration von „sauberen Kohletechnologien“ wie Kohlenstoffsequestrierung, die langfristig eine nahezu emissionsfreie Verwendung von Kohle ermöglichen, gefördert werden.

4.6

Es gibt bislang noch keine bewährten und kostenwirksamen Verfahren zur Abscheidung und Sequestrierung des größten Teils der bei der Kohleverstromung anfallenden CO2-Emissionen; die Technologie ist noch im Entwicklungsstadium. Die Aussichten für die Entwicklung marktreifer weitgehend emissionsfreier Kohletechnologien innerhalb der nächsten 20 Jahre sind jedoch vielversprechend. Es wird angenommen, dass die Stromerzeugungseffizienz durch CCS-Anlagen in Kraftwerken aufgrund des damit verbundenen Stromverbrauchs sinkt. Der Effizienzgrad hängt von der eingesetzten Technologie ab, die bevorzugte OXYFUEL-Technologie verbraucht zwischen 8 und 10 % des erzeugten Stroms, die anderen Technologien sogar noch mehr. Das bedeutet, dass für jede MWh Netzstrom mehr Brennstoff erforderlich wäre und es somit auf eine höhere Stromerzeugungseffizienz ankommt. Eine Nachrüstung mit CCS-Technologie würde sogar noch höheren Stromverbrauch für ihren Betrieb bedeuten.

4.7

In der Zwischenzeit bietet sich die Verbesserung des Wirkungsgrads von bestehenden und neuen Kohlekraftwerken als kosteneffiziente Möglichkeit der Eindämmung von CO2-Emissionen an. Der Einsatz der besten auf dem Markt verfügbaren Technik sollte ein zentraler Aspekt bei der Planung der kurzfristig notwendigen Kohleverstromungskapazitäten sein. Wo praktisch möglich, sollten diese Kraftwerke so ausgelegt werden, dass sie auf kostengünstige Weise mit CCS-Technik nachgerüstet werden können, sobald diese auf dem Markt erhältlich ist.

4.8

Der EWSA bekräftigt seine Meinung, dass in Anbetracht der enormen Herausforderung der Emissionseindämmung alle aussichtsreichen Energieträger und Energietechnologien weiterentwickelt werden müssen, um ihr praktisches und wirtschaftliches Potenzial zu erschließen. Beim Übergang zu einer nachhaltigen Energie haben Kohle, andere fossile Brennstoffe, Kernkraft, erneuerbare Energieträger und Energieerhaltungsmaßnahmen zu gegebener Zeit und im Rahmen der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit jeweils eine wichtige Rolle zu spielen.

4.9

Trotz der zu Recht vielversprechenden Aussichten der CCS-Technologie dürfen jedoch nicht schon jetzt verbindliche energiepolitische Strategien und Ziele festgelegt werden, die auf der Annahme beruhen, dass die CCS-Technologie eines Tages weit verbreitet sein wird.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Kohle hat einen hohen Stellenwert bei der europäischen Stromerzeugung, doch sind 70 % der Kohlekraftwerke bereits über 20 Jahre alt. Da der Stromverbrauch leicht ansteigt und ein Großteil der bestehenden Kohleverstromungskapazitäten das Ende ihres technischen/wirtschaftlichen Lebenszyklus erreicht, werden bis 2020 ca. 350 GW und bis 2030 ca. 500 GW neuer Stromerzeugungskapazität benötigt. Die Kostenkalkulation für Kohlekraftwerke mit CCS in der EU stützt sich auf eine optimistische Kostenstruktur eines neuen Kraftwerks mit 300 MW Leistung in Höhe von 500 Mio. EUR (ca. 1,7 Mio. EUR je MW installierter Leistung). Die Nachrüstung eines modernen, zwischen jetzt und 2020 gebauten Kraftwerks kostet 0,5-0,7 Mio. EUR je MW installierter Leistung, und die Kosten für die Nachrüstung eines bereits bestehenden Kraftwerks belaufen sich sogar auf 1 Mio. EUR je MW installierter Leistung. Wenn bis 2030 500 GW Stromerzeugungskapazität mit der modernsten CCS-Technologie nachgerüstet würde, wären Investitionen von schätzungsweise 600-800 Mrd. EUR erforderlich.

5.2

Der EWSA sieht in der Kohlenstoffsequestrierung nach 2020 langfristig das Potenzial für eine weitgehend emissionsfreie Kohleverstromung. Um dieses Potenzial zu erschließen, bedarf es jetzt koordinierter Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsanstrengungen.

5.2.1

In den nächsten zehn Jahren kann durch den verstärkten Einsatz modernster Kohleverstromungstechnik und die damit verbundene Verbesserung des Wirkungsgrads von Kohlekraftwerken eine kosteneffiziente Senkung des CO2-Ausstoßes erzielt werden.

5.2.2

Diese Strategien ergänzen sich auf der Grundlage technischer Lösungen, die sich noch bewähren müssen, gegenseitig: der kurz- und mittelfristige Einsatz moderner, effizienter Kohleverstromungstechnologien kann langfristig Kosteneinsparungen bei der Kohlenstoffsequestrierung ermöglichen, wenn die Kraftwerke so ausgelegt werden, dass sie kostengünstig mit CCS-Technologien nachgerüstet werden können, sobald diese kommerziell verfügbar sind.

5.2.3

Im 7. Rahmenprogramm wird angenommen, dass eine radikale Umformung der Energiewirtschaft in ein zuverlässiges, wettbewerbsfähiges und nachhaltiges System, das nur wenige oder keine CO2-Emissonen verursacht, neue Technologien und Werkstoffe erfordert, deren Risiken zu hoch und deren Gewinne zu ungewiss sind, als dass private Unternehmen alle für Forschung, Entwicklung, Demonstration und Einführung erforderlichen Investitionen vornehmen. Der Energiehaushalt in einer Höhe von 2 350 Mrd. EUR für den Zeitraum 2007-2011 des RP 7 umfasst CCS und saubere Kohletechnologien.

5.2.4

Ein entsprechendes Konzept der Abscheidefähigkeit muss definiert werden. Damit es Aussicht auf Erfolg hat, müssen Gesetzgeber und Industrie zusammenarbeiten, denn nur bei einem geeigneten und stabilen politischen Rahmen wird der Markt auch mitziehen.

5.2.5

Nach Meinung des EWSA herrscht dringender Bedarf an Ausbau und Modernisierung der Kraftwerkskapazitäten. In Anbetracht des prognostizierten Anstiegs der Energieeinfuhren auf 69 % bis 2030 ist ein stark diversifizierter Energiemix aus Gründen der Energieversorgungssicherheit unabdinglich. Ein stabiler Anteil der Kohleverstromung an der Energieerzeugung in der EU kann erheblich zur Energieversorgungssicherheit beitragen.

5.2.6

Wenn der Wirkungsgrad der Kraftwerke weiter verbessert und die Entwicklung weitgehend emissionsfreier Technologien vorangetrieben wird, kann Kohle zum vorbeugenden Klimaschutz beitragen. Bei der Festlegung von Regeln für den Emissionshandel in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sollte das Hauptaugenmerk auf der Verringerung von Klimagasausstoß durch Effizienzverbesserungen liegen.

5.2.7

Eine Vereinfachung der Lizenzvergabeverfahren und ihre schrittweise Harmonisierung durch eine Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Regulierungsbehörden ist erforderlich, um die langen Vorlaufzeiten bei Konstruktionsvorhaben soweit wie möglich zu reduzieren, ohne von den höchstmöglichen Sicherheitsstandards abzurücken.

5.3

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass Kohle nicht nur der wichtigste Brennstoff für die Stromerzeugung und ein zentraler Ausgangsstoff für die Stahlproduktion und für andere Industrieprozesse ist, sondern auch eine wichtige Rolle bei der Deckung des künftigen Energiebedarfs durch den Übergang zu einer Wasserstoffwirtschaft spielen wird. Durch Kohleverflüssigung kann Kohle als Ersatzstoff für Rohöl dienen, und auch Synthesegas kann aus Kohle hergestellt werden. Letztendlich wären diese Technologien und Anwendungen auch für einen nachhaltigen Energiemix von zentraler Bedeutung. Die Kommission geht in ihrer Mitteilung allerdings nicht auf diese wichtigen Aspekte der derzeitigen und künftigen Kohlenutzung ein.

5.4

Die eingehende aktuelle Debatte über die Kohlenutzungsmöglichkeiten in den nächsten Jahrzehnten hat die Problematik des Kohlebergbaus in den Hintergrund gedrängt. Für den Abbau einheimischer Braun- und Steinkohle ist jedoch nach wie vor ein geeigneter wirtschaftlicher und politischer Rahmen notwendig. Die Energiegewinnung und -umwandlung kann maßgeblich zu Wohlstand und Beschäftigung vor Ort beitragen. Bei der Verbrennung einheimischer Kohle kommt die Wertschöpfung von Abbau, Umwandlung und Verteilung der EU zugute. Bei Öl oder Gas machen die Importkosten ca. 75 % des Preises aus.

5.5

Auch mit Blick auf die soziale Lage in den neuen Mitgliedstaaten ist es ungemein wichtig, den derzeitigen Umfang der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen (Kohle) aufrecht zu erhalten: Von insgesamt 286 500 im Kohlebergbau Beschäftigten in der EU sind 212 100 Arbeitnehmer im Kohlebergbau in den neuen Mitgliedstaaten beschäftigt! Die sehr harten Arbeitsbedingungen der Bergleute in der gesamten EU müssen gebührend berücksichtigt werden.

5.6

Die Eingrenzung von Kohlebergbaugebieten im Zuge der Regionalplanung und unverhältnismäßige Umweltschutzvorschriften haben in der Vergangenheit häufig zu unnötigen Verzögerungen und zusätzlichen Belastungen für den Bergbau geführt. Die Standorte der Lagerstätten und die durch den Abbau der Rohstoffe verursachten Bodenbewegungen und -verformungen verursachen besondere Probleme im Vergleich zu anderen Industriezweigen. Diese besonderen Voraussetzungen müssen vor allem bei der Festlegung der Umweltschutzbestimmungen wie bspw. der Abfall-, Boden- und Gewässerschutzvorschriften berücksichtigt werden.

5.7

Der EWSA hält die zeitlichen Vorstellungen der Kommission in Bezug auf die Entwicklung marktreifer CCS-Technologien für optimistisch. Auch wenn das grundlegende Know-how vorhanden ist, dauert es länger, bis eine ausgereifte technologische Lösung entwickelt ist, und es steht nicht zu erwarten, dass die kontinuierliche und intensive Arbeit an der Verwirklichung dieses Konzepts durch einen plötzlichen Durchbruch abgekürzt wird. Die Kommission sollte nun durch geeignete Maßnahmen dafür sorgen, dass im Jahr 2015 10-12 Demonstrationsanlagen in Betrieb genommen werden können, und ein geeignetes Konzept für die Kohlenstoffsequestrierung entwickeln, das die wesentlichen Risiken abdeckt und Sicherheit bietet, dabei aber nicht zu restriktiv ist. Es wäre angebracht, als Zwischenziel höhere Wirkungsgrade bei der Stromerzeugung anzustreben, um zu verhindern, dass das CCS-Konzept durch zu große Hast und übermäßig restriktive Vorschriften ernstlich gefährdet wird.

5.8

Daneben ruft der EWSA zu intensiven Forschungs- und Entwicklungsbemühungen in Bezug auf erneuerbare und alternative Energiequellen auf, die zu einem sicheren Energiemix in der EU beitragen sollten. Zugleich sollte der integrierte EU-Energiemarkt ohne übermäßige Verzögerung zur gelebten Realität gemacht werden.

Brüssel, den 27. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  IPCC, 2005: IPCC Special Report on Carbon Dioxide Capture and Storage. Erstellt von der Arbeitsgruppe III des Zwischenstaatlichen Ausschusses für den Klimawandel (IPCC) [Metz, B., O. Davidson, H. C. de Coninck, M. Loos, and L. A. Meyer (Hrsg.)]. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA, S. 442.

(2)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 185-194.

(3)  IPCC, 2005: IPCC Special Report on Carbon Dioxide Capture and Storage. Erstellt von der Arbeitsgruppe III des Zwischenstaatlichen Ausschusses für den Klimawandel (IPCC) [Metz, B., O. Davidson, H. C. de Coninck, M. Loos, and L. A. Meyer (Hrsg.)]. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA, S. 442.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Personenkraftverkehrsmarkt“ (Neufassung)

KOM(2007) 264 endg. — 2007/0097 (COD)

(2008/C 10/11)

Der Rat beschloss am 16. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 Absatz 1 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2007 an. Berichterstatter war Herr ALLEN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 150 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die vorgeschlagene neue Verordnung. Mit Annahme des Vorschlags werden die Verordnung (EWG) Nr. 684/92 und die Verordnung (EWG) Nr. 12/98 aufgehoben.

1.2

Auch im Personenkraftverkehr muss die Sicherheit der Fahrgäste absoluten Vorrang haben. Alle weiteren Aspekte sind als zweitrangig zu betrachten.

1.3

Die neue Verordnung dürfte zur Sicherheit im Straßenverkehr beitragen, da grenzüberschreitende Busdienste, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, strenger überwacht werden.

1.4

Der Ausschuss begrüßt diesen Vorschlag, da es sich in das Programm „Bessere Rechtsetzung“ einreiht und der von der Kommission eingegangenen Verpflichtung, den gemeinschaftlichen Besitzstand zu vereinfachen und zu aktualisieren, entspricht.

1.5

Der EWSA spricht folgende Empfehlungen aus:

1.5.1

Es sollte näher erläutert werden, was genau mit einem schwer wiegenden Verstoß oder wiederholten geringfügigen Verstößen gegen gemeinschaftliche Rechtsvorschriften für den Kraftverkehr gemeint ist. Was ist ein geringfügiger Verstoß? Nach wie vielen geringfügigen Verstößen wird eine verwaltungsrechtliche Sanktion verhängt?

1.5.2

Auch muss aufgelistet werden, welche Sachverhalte einen schwer wiegenden Verstoß darstellen.

1.5.3

Das Subsidiaritätsprinzip darf nicht dazu genutzt werden, um Verkehrsunternehmen, die nicht in dem jeweiligen Mitgliedstaat ansässig sind, zu diskriminieren; der Vorschlag sollte diesbezüglich stärker vorbeugen und entsprechende Vorkehrungen enthalten.

1.5.4

Die Einrichtung einer EU-weiten Datenbank muss Vorrang erhalten, damit Einzelheiten zur Lizenz und hiermit verbundene Informationen überprüft werden können und der Informationsaustausch erleichtert werden kann.

1.5.5

Einem Verkehrsunternehmen steht nach Artikel 23 Absatz 3 die Möglichkeit offen, einen Rechtsbehelf gegen die von einem Aufnahmemitgliedstaat verhängte verwaltungsrechtliche Sanktion in Bezug auf eine Kabotagebeförderung einzulegen. Diese Möglichkeit sollte unbeschadet einer etwaigen strafrechtlichen Verfolgung bestehen.

2.   Einleitung

2.1

Die Richtlinie 96/26/EG über den Zugang zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers bildete zusammen mit den Verordnungen (EWG) Nr. 684/92 und (EG) Nr. 12/98 über den Zugang zum Markt für Busdienste ursprünglich die Hauptgrundlage für den Binnenmarkt im grenzüberschreitenden Personenkraftverkehr.

2.2

Mit der Richtlinie wurden Mindestqualitätsnormen eingeführt, die erfüllt werden müssen, um Zugang zum Beruf zu erhalten, und mit den beiden Verordnungen wurden die Personenbeförderung im grenzüberschreitenden Gelegenheitsverkehr liberalisiert, ein besonderes Genehmigungsverfahren für die Personenbeförderung im grenzüberschreitenden Linienverkehr festgelegt und Kabotagedienste im Verlauf solcher grenzüberschreitender Dienste zugelassen.

2.3

Diese Regeln sollten jetzt mit dem neuen Rechtsrahmen in Einklang gebracht werden, der sich aus der Verordnung über die Personenbeförderung im Schienen- und Straßenverkehr ergibt, die kurz vor der Annahme durch das Europäische Parlament und den Rat steht. Diese Regeln müssen auch eindeutiger gefasst und in einigen Fällen vereinfacht werden, da die Erfahrung gezeigt hat, dass manche Bestimmungen unnötige Verwaltungslasten mit sich bringen.

2.4

Verkehrsunternehmen, die im grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen tätig sind, benötigen eine Genehmigung für grenzüberschreitende Personenbeförderungen, die ohne anders lautende Ausnahmeregelung von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem das Verkehrsunternehmen seinen Sitz hat, ausgestellt wird.

2.5

Die Verordnung (EWG) Nr. 684/92 öffnet den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Personenverkehrs mit Kraftomnibussen, während die Verordnung (EG) Nr. 12/98 die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Personenkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, festlegt.

3.   Zusammenfassung des Vorschlags

3.1

Mit dem Vorschlag sollen die Verordnung (EWG) Nr. 684/92 und die Verordnung (EWG) Nr. 12/98 über den Zugang zum Markt des Personenverkehrs mit Kraftomnibussen konsolidiert und geändert werden. Der Vorschlag verdeutlicht die geltenden Bestimmungen und ändert sie bezüglich bestimmter Aspekte ab, um die Konsistenz insgesamt zu erhöhen und Verwaltungslasten zu verringern.

3.2

Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:

3.2.1

Linienverkehr ist die regelmäßige Beförderung von Fahrgästen auf einer bestimmten Verkehrsstrecke, wobei Fahrgäste an vorher festgelegten Haltestellen aufgenommen oder abgesetzt werden können. Für diesen Dienst ist eine Genehmigung des Heimatmitgliedstaats erforderlich, in dem das Verkehrsunternehmen ansässig ist und in dem das Fahrzeug oder die Fahrzeuge zugelassen sind. Die Genehmigung berechtigt den oder die Genehmigungsinhaber zu Beförderungen im Rahmen des Linienverkehrs im Hoheitsgebiet aller Mitgliedstaaten, das durch die Streckenführung des Verkehrs berührt wird.

3.2.2

Sonderformen des Linienverkehrs sind Dienste im Linienverkehr zur Beförderung bestimmter Gruppen von Fahrgästen unter Ausschluss anderer Fahrgäste. Hierzu zählen:

a)

die Beförderung von Arbeitnehmern zwischen Wohnort und Arbeitsstätte,

b)

die Beförderung von Schülern und Studenten zwischen Wohnort und Lehranstalt.

Die Sonderformen des Linienverkehrs sind nicht genehmigungspflichtig, sofern sie zwischen dem Veranstalter und dem Verkehrsunternehmer vertraglich geregelt sind.

3.2.3

Gelegenheitsverkehr ist der Verkehrsdienst, der nicht der Begriffsbestimmung des Linienverkehrs, einschließlich der Sonderformen des Linienverkehrs, entspricht und für den insbesondere kennzeichnend ist, dass auf Initiative eines Auftraggebers oder des Verkehrsunternehmers selbst vorab gebildete Fahrgastgruppen befördert werden. Gelegenheitsverkehr ist nicht genehmigungspflichtig.

3.2.4

Werkverkehr ist der nichtkommerzielle Verkehrsdienst ohne Erwerbszweck, den ein Unternehmen für seine Mitarbeiter oder eine Einrichtung, die keinen Erwerbszweck verfolgt, für ihre Mitglieder im Zusammenhang mit sozialen Aktivitäten unter folgenden Bedingungen durchführt:

a)

Bei der Beförderungstätigkeit handelt es sich lediglich um eine Nebentätigkeit des Unternehmens oder der Einrichtung;

b)

die eingesetzten Fahrzeuge sind Eigentum des Unternehmens oder der Einrichtung oder wurden im Rahmen eines Abzahlungsgeschäfts gekauft oder sind Gegenstand eines Langzeitleasing-Vertrags und werden von einem Angehörigen des Personals des Unternehmens oder der Einrichtung geführt.

Beförderungen im Werkverkehr fallen unter keine Genehmigungsregelung; für sie gilt eine Bescheinigungsregelung, die von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem das Fahrzeug zugelassen ist, ausgegeben wird.

3.2.5

Kabotage sind inländische Personenverkehrsdienste im Kraftverkehr, die von einem nicht in dem betreffenden Land niedergelassenen Verkehrsunternehmer auf vorübergehender Basis durchgeführt werden.

3.2.6

Die Kabotagebeförderung ist für folgende Verkehrsformen zugelassen:

a)

die Sonderformen des Linienverkehrs, sofern hierfür ein Vertrag zwischen dem Veranstalter und dem Verkehrsunternehmer besteht;

b)

den Gelegenheitsverkehr;

c)

den Linienverkehr, sofern dieser der von einem im Aufnahmemitgliedstaat nicht ansässigen Verkehrsunternehmer im Rahmen eines grenzüberschreitenden Linienverkehrsdienstes entsprechend dieser Verordnung durchgeführt wird, ausgenommen sind Stadtgebiete und deren Umfeld. Die Kabotagebeförderung darf nicht unabhängig von diesem grenzüberschreitenden Verkehrsdienst durchgeführt werden.

Die nationalen Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften sind von den Mitgliedstaaten unter den gleichen Bedingungen wie für ihre eigenen Staatsangehörigen auf Verkehrsunternehmen anzuwenden, die nicht in dem jeweiligen Mitgliedstaat ansässig sind.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Artikel 8 vereinfacht das Verfahren für die Erteilung der Genehmigung. Nur ein Grund für die Ablehnung im Zusammenhang mit dem relevanten Marktzugang wird aufrechterhalten, nämlich dass der beantragte Dienst die Lebensfähigkeit eines vergleichbaren Dienstes, der im Rahmen gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen durchgeführt wird, auf den unmittelbar betroffenen Abschnitten ernsthaft beeinträchtigt. Das ist vernünftig.

4.2

Transitländer, in denen keine Fahrgäste aufgenommen oder abgesetzt werden, werden nicht mehr angehört, sondern nur noch informiert, sobald der Dienst genehmigt wurde. Dies wird die Effizienz des Systems steigern.

4.3

Das Subsidiaritätsprinzip kommt zur Anwendung, da der Vorschlag nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt. Es muss jedoch sichergestellt werden, dass Verkehrsunternehmen, die nicht in dem jeweiligen Mitgliedstaat ansässig sind, nicht diskriminiert werden.

4.4

Artikel 18 Absatz 2 zu den Fahrausweisen bedarf näherer Erläuterung.

4.5

Das Unternehmen muss Einzel- oder Sammelausweise ausstellen. Wenn ein Fahrgast (oder mehrere Fahrgäste) bei einer Kontrolle durch einen Kontrollberechtigten keinen gültigen Fahrausweis bei sich hat (bzw. keine gültigen Fahrausweise bei sich haben) und die Fahrausweise zuvor vom Unternehmen ausgestellt worden waren, kann nicht das Unternehmen hierfür verantwortlich gemacht werden. Ab dem Zeitpunkt, ab dem Fahrscheine ausgestellt worden sind, muss die Zuständigkeit für das Vorzeigen von Fahrausweisen an einen Kontrollberechtigten bei den Fahrgästen liegen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Insgesamt entspricht dieser Vorschlag den von der Kommission aufgestellten Zielen.

5.2

Die Probleme im Zusammenhang mit schwer wiegenden und geringfügigen Verstößen und den möglichen verwaltungsrechtlichen Sanktionen bedürfen näherer Erläuterung. Das Wesen und die Art von Verstößen, die unter die einzelnen Kategorien fallen, müssen definiert und innerhalb der Gemeinschaft einheitlich gehandhabt werden.

5.3

Bei schwer wiegenden Verstößen oder wiederholten geringfügigen Verstößen kann der Aufnahmemitgliedstaat den Mitgliedstaat, der die Lizenz für den grenzüberschreitenden Personenkraftverkehr ausgestellt hat, auffordern, verwaltungsrechtliche Sanktionen gegen den Lizenzinhaber zu verhängen (wie z. B. den vorübergehenden oder ständigen Entzug aller beglaubigten Kopien der Lizenz oder den vorübergehenden oder ständigen Entzug der Lizenz). Dies sollte unbeschadet einer etwaigen strafrechtlichen Verfolgung möglich sein.

5.4

Zwar wird auf ein Verfahren zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen verhängte Sanktionen oder die Verweigerung von Genehmigungen verwiesen, doch muss dieses Verfahren von allen Beteiligten als gerecht und nicht diskriminierend anerkannt werden.

5.5

Eine EU-weite Datenbank muss eingerichtet werden, damit ein rascher und effizienter Austausch von Informationen in Bezug auf den Kraftomnibusbetrieb zwischen den Mitgliedstaaten erleichtert werden kann. Daneben sollte es bei einer Kontrolle eines Fahrzeugs durch einen Kontrollberechtigten möglich sein, die Nummer der Lizenz für den grenzüberschreitenden Personenkraftverkehr (Gemeinschaftslizenz) einzugeben und sofort alle einschlägigen Informationen zur Überprüfung der Gültigkeit der Lizenz abrufen zu können.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt“

KOM(2007) 51 endg. — 2007/0022 (COD)

(2008/C 10/12)

Der Rat beschloss am 28. Februar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 174 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. September 2007 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 149 gegen 3 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet erneut die Möglichkeit, schwere Umweltbeeinträchtigungen strafrechtlich zu sanktionieren. Er bekräftigt, dass die Kommission in seinen Augen befugt sein muss, die Mitgliedstaaten zu zwingen, verhältnismäßige und abschreckende strafrechtliche Sanktionen anzuwenden, wenn dies erforderlich ist, um die Durchsetzung der Gemeinschaftspolitik zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere für den Schutz der Umwelt vor schweren Beeinträchtigungen, da diese Sanktionen im Rahmen des Strafrechtssystems des jeweiligen Mitgliedstaats anzuwenden sind. Schließlich muss die Kommission über eine Befugnis verfügen, die Wirksamkeit des in dem betreffenden Bereich angewandten Strafrechts zu kontrollieren, und diese Befugnis auch aktiv ausüben.

1.2

Der Richtlinienvorschlag bezieht sich insbesondere auf Verstöße krimineller Organisationen (was in dem Entwurf als erschwerender Umstand angesehen wird). Zwar ist der Ausschuss davon überzeugt, dass derartige Machenschaften Gegenstand von Sanktionen und auch einer Angleichung der strafrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten sein müssen, doch enthalten der Vertrag und die Rechtsprechung eindeutige Aussagen zur Ahndung der Machenschaften krimineller Organisationen: Die Angleichung der strafrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten kann grundsätzlich nur im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen entsprechend Titel VI des Vertrags über die Europäische Union und nicht — wie von der Kommission vorgeschlagen — im Rahmen des EG-Vertrags erfolgen.

1.3

Der Ausschuss fragt sich ferner, ob die Verpflichtung zur Verhängung von Freiheitsstrafen für bestimmte Verstöße nicht über die Zuständigkeiten gemäß dem ersten Pfeiler hinausgeht und eine Einmischung in die Wahl der angemessensten Strafe bedeutet, die a priori weiterhin in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen müsste.

1.4

Nach Ansicht des EWSA sollte sich die gemeinschaftliche Zuständigkeit darauf beschränken, die einzuhaltenden Verpflichtungen festzulegen und strafrechtliche Sanktionen vorzusehen. Für weiterreichende Schritte — die Bestimmung des Strafmaßes — wäre ein Rahmenbeschluss auf der Grundlage von Titel VI des EU-Vertrags erforderlich.

1.5

Dementsprechend fragt sich der Ausschuss ferner, ob im Rahmen des Gemeinschaftsrechts ein Höchststrafmaß vorgesehen werden kann.

1.6

Nach Meinung des EWSA sollten die offensichtlichen politischen Aspekte, die sich aufgrund der Aufteilung der Zuständigkeiten ergeben sowie aufgrund der Rolle, die er sich für das Parlament bei jeder Rechtsetzung mit strafrechtlicher Relevanz wünscht, Gegenstand einer präziseren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) oder eines interinstitutionellen Übereinkommens oder einer Reform sein, die in die von der laufenden Regierungskonferenz vorzunehmende Reform der Verträge einfließen könnte; letztere Möglichkeit würde er aufgrund der Dringlichkeit, wirksame Sanktionen für den Umweltschutz anzunehmen, vorziehen.

2.   Einleitung

2.1

1998 legte der Europarat ein Übereinkommen über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht zur Unterzeichung auf. Dies war ein bedeutender Schritt, denn es handelte sich hierbei um das erste internationale Übereinkommen, in dem Handlungen, die Umweltschäden verursachen bzw. verursachen können, als Straftaten eingestuft werden. Deutschland — anschließend auch Frankreich und das Vereinigte Königreich — zögerten jedoch, das Übereinkommen zu ratifizieren. Infolgedessen legten Dänemark und die Kommission jeweils eine separate Initiative für den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vor.

2.2

In dem auf Vorschlag Dänemarks vom Rat entgegen der Empfehlung und den Vorschlägen der Kommission verabschiedeten Rahmenbeschluss des Rates wurden einige Umweltverstöße definiert, für die die Mitgliedstaaten strafrechtliche Sanktionen vorsehen sollten. Die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses basierten großenteils auf dem Übereinkommen des Europarates über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht vom 4. November 1998, das bislang von zehn Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde.

2.3

Die Kommission sprach sich vor den einzelnen Ratsformationen gegen die gewählte Rechtsgrundlage aus. Sie hielt Artikel 175, Absatz 1 EGV für die korrekte einschlägige Rechtsgrundlage und legte am 15. März 2001 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vor, der auf diesem Artikel basiert (1), obwohl Artikel 174 des EG-Vertrags keinerlei strafrechtliche Zuständigkeit der Gemeinschaft vorsieht.

2.4

Am 9. April 2002 nahm das Europäische Parlament zu dem Richtlinienvorschlag sowie zu dem Rahmenbeschlussentwurf Stellung. Es befürwortete den von der Kommission damals favorisierten Ansatz (Richtlinie und Rahmenbeschluss).

2.5

Der Rat verabschiedete jedoch nicht, wie von der Kommission vorgeschlagen, Richtlinie und Rahmenbeschluss, sondern eine geänderte Fassung seines Rahmenbeschlussentwurfs — basierend auf Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union -, der seiner Ansicht nach ein geeignetes Instrument zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten darstellte, strafrechtliche Sanktionen vorzusehen. Zugleich betonte der Rat, dass die meisten Mitgliedstaaten die Anerkennung strafrechtlicher Zuständigkeiten der Gemeinschaft ablehnen und überzeugt sind, dass diese Fragen unter die in Titel VI des EU-Vertrags vorgesehene polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen fallen.

2.6

Die Angelegenheit wurde vor den EuGH gebracht, der sein Urteil am 13. September 2005 verkündete (2).

2.7

Das Parlament stimmt mit dem EuGH und dem Generalanwalt darin überein, dass es keine allgemeine gemeinschaftliche Zuständigkeit für die Harmonisierung des Strafrechts gibt, doch könnte die Kommission in einigen genau festgelegten Bereichen — wie im vorliegenden Fall dem Umweltschutz — die Mitgliedstaaten zur Einführung strafrechtlicher Sanktionen verpflichten.

Die Kommission hat ihrerseits das Urteil sehr extensiv ausgelegt, indem sie sich in zahlreichen Politikfeldern der Gemeinschaft, die nichts mit dem Umweltschutz zu tun haben, sehr umfassende Kompetenzen zugesprochen hat.

2.8

Infolge des EuGH-Urteils, in dem der Rahmenbeschluss für nichtig erklärt wird, hat die Kommission einen neuen Richtlinienvorschlag vorgelegt. In dem EuGH-Urteil heißt es nämlich, dass das Strafrecht und das Strafprozessrecht zwar grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, dass dies den gemeinschaftlichen Gesetzgeber jedoch nicht daran hindern kann, „Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht“ der Mitgliedstaaten zu ergreifen, falls er diese zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Umweltschutzrechts für erforderlich hält, wenn wirksame, verhältnismäßige und abschreckende strafrechtliche Sanktionen seitens der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung schwerer Umweltbeeinträchtigungen unerlässlich sind (3). Der Ausschuss erinnert an den ausdrücklichen Hinweis des EuGH, dass die Gemeinschaft im Prinzip keine strafrechtlichen Zuständigkeiten besitzt, da das Strafrecht im EU-Vertrag unter die mitgliedstaatliche Souveränität fällt. Die vorgenannte Formulierung „Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht“ ist vage genug, um jegliche Art von — häufig widersprüchlichen — Auslegungen zuzulassen.

2.9

Auf der Grundlage dieses Urteils legt die Kommission nun einen geänderten Richtlinienvorschlag (4) vor, der Straftatbestände und strafrechtliche Sanktionen umfasst, denn sie ist der Ansicht, dass die bloßen Verwaltungsstrafen bzw. bestimmte strafrechtliche Sanktionen, die in einigen Ländern vorgesehen sind, zu uneinheitlich oder zu schwach sind, um insbesondere auf das organisierte Verbrechen abschreckend genug zu wirken und dass für das für schwere Umweltbeeinträchtigungen geltende Strafrecht daher eine Mindestharmonisierung erforderlich ist — unabhängig davon, ob diese vorsätzlich, in krimineller Absicht oder aus grober Fahrlässigkeit begangen werden.

2.10

In einer früheren Stellungnahme (5) hatte der Ausschuss den ersten Richtlinienvorschlag der Kommission und ihren Rahmenbeschlussentwurf begrüßt, dem zufolge die Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende strafrechtliche Sanktionen ergreifen sollten. Die von der Kommission eingereichte und vom Parlament unterstützte Nichtigkeitsklage gegen den Rahmenbeschluss des Rates war ebenfalls vom Ausschuss unterstützt worden, obwohl der EuGH sein Tätigwerden im Vorfeld per Verfahrensbeschluss ausgeschlossen hatte.

2.11

Es sind daher folgende Fragen zu beurteilen:

Stimmen die neuen Vorschläge mit dem vom EuGH festgelegten Rahmen überein?

Entsprechen die vorgeschlagenen Sanktionen dem Ziel eines wirksamen Umweltrechts und einer weitergehenden Harmonisierung des Rechts der Mitgliedstaaten (Verpflichtung, ausreichend abschreckende strafrechtliche Sanktionen vorzusehen, um die Wirksamkeit des anzuwendenden Rechts zu garantieren)?

2.12

Allerdings muss der Ausschuss auch die breite Debatte, die seit diesem Urteil auf politischer Ebene sowie in der Rechtslehre über die Frage der „Verfassungsmäßigkeit“ einer Ausdehnung der strafrechtlichen Zuständigkeiten der Gemeinschaft für die Umsetzung der Gemeinschaftspolitik geführt wird, sowie die Debatte über den Vorrang des EG-Vertrags vor dem EU-Vertrag (6) mit Blick auf die zahlreichen Legislativvorschläge berücksichtigen, deren Überprüfung die Kommission beabsichtigt — wie unlängst etwa im Bereich des geistigen Eigentums (7) geschehen.

2.13

In der Tat stellen viele Mitgliedstaaten die ihrer Ansicht nach etwas extensive Auslegung des Urteils seitens der Kommission in Frage, sowohl bezüglich des Inhalts der neuen umweltpolitischen Vorschläge als auch im Hinblick auf die Schaffung einer strafrechtlichen Minimalschiene für die wirksame Umsetzung sämtlicher Gemeinschaftsmaßnahmen (und nicht nur einer eindeutigen Querschnittspolitik wie dem Umweltschutz), während im EG-Vertrag auf jeden Fall nichts derartiges ausdrücklich vorgesehen ist. Nach Ansicht dieser Mitgliedstaaten muss sich die Anwendung der Rechtsprechung des EuGH auf die Umweltpolitik beschränken, da die Umwelt ein grenzübergreifendes Querschnittsthema ist, sowie auf den Wortlaut des Urteils und darf nicht als der Kommission erteilte Blankovollmacht für jegliche Gemeinschaftspolitik angesehen werden.

2.14

In diesem konkreten Fall wird der Ausschuss nur zu den umweltpolitischen Vorschlägen Stellung nehmen, denn dies ist der einzige Bereich, auf den sich das EuGH-Urteil ausdrücklich bezieht.

2.15

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kommission entschieden hat, Straftatbestände und strafrechtliche Sanktionen gegen „Umweltdelikte“ in Form eines Mindestmaßes für Höchststrafen vorzuschlagen, die gegen jede natürliche oder juristische Person verhängt werden, die schwere Umweltbeeinträchtigungen verursacht, sich durch Beihilfe bzw. Anstiftung strafbar macht oder solche Beeinträchtigungen aus grober Fahrlässigkeit verursacht. Vorgesehen sind Freiheits- und/oder Geldstrafen sowie ergänzende Strafen (Artikel 5), die durch zusätzliche Straftatbestände und Sanktionen im einzelstaatlichen Recht erweitert bzw. ergänzt werden können.

3.   Bemerkungen des Ausschusses

3.1

Der EWSA zeigt sich enttäuscht darüber, dass die strafrechtlichen Sanktionen im Umweltbereich, die er vom Grundsatz und vom Maß her befürwortet — wie er das bereits anlässlich des Richtlinienvorschlags und des Vorschlags für einen Rahmenbeschluss der Kommission 2005 getan hat — seit Jahren und vielleicht noch lange verzögert werden, da sich die Institutionen über die Aufteilung der im EG- und EU-Vertrag festgeschriebenen Zuständigkeiten uneinig sind; er hofft, dass die Institutionen schnell eine politische Lösung finden, auch für die Einbindung des Parlaments, und dass die Verträge dank der Regierungskonferenz, die vor Kurzem ihre Arbeit aufgenommen hat, oder notfalls durch den EuGH in seiner künftigen Rechtsprechung klarer formuliert werden können.

3.2

Zum Zeitpunkt der Umsetzung in nationales Recht bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, Begriffe der Definition strafbarer Umweltbeeinträchtigungen wie „erhebliche Schädigung“ entsprechend ihrem Strafrecht auszulegen.

3.3

Der Ausschuss stellt fest, dass die Richtlinie vorrangig auf „schwere Beeinträchtigungen“ und insbesondere auf solche abzielt, die von kriminellen Organisationen oder in großem Umfang von juristischen Personen verursacht werden, und dass sie die einschlägigen Sanktionen auf Gemeinschaftsebene angleichen soll, um rechtsfreie Räume zu vermeiden, die von den Straftätern genutzt werden. Allerdings fallen Fragen des organisierten Verbrechens unter Titel VI des EG-Vertrags über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und müssen dementsprechend Gegenstand eines geeigneten Rechtsinstruments wie etwa eines Rahmenbeschlusses sein.

3.4

Der Straftatbestand ist derart weit gefasst, dass sich ein britisches Boulevardblatt zu der Frage veranlasst sah, ob Privatleute ins Gefängnis wandern können, wenn sie Wildblumen pflücken und ihr Strauß zufällig auch geschützte Blumenarten umfasst. Es sei darauf hingewiesen, dass die strafrechtlichen Sanktionen nur für „schwere“ Fälle vorgesehen sind und wirksam, verhältnismäßig und abschreckend bleiben müssen. Der Ermessensspielraum des für die Anwendung der Sanktionen zuständigen nationalen Strafrichters bei der Einschätzung der Schwere der Straftat und der Bemessung der Strafe im Einzelfall muss unangetastet bleiben, damit die Unabhängigkeit der Judikative gewahrt wird.

3.5

Der Ausschuss begrüßt es, dass in dem Richtlinienvorschlag (Artikel 3) ausführlich die sanktionsfähigen rechtswidrigen Handlungen genannt werden — entsprechend dem allgemeinen Rechtsgrundsatz nulla poena sine legge  (8), — laut dem die Strafgesetzgebung eindeutig und präzise sein muss, damit die Betroffenen die daraus resultierenden Rechte und Pflichten unmissverständlich kennen.

3.6

Aus dem Vorschlag geht deutlich hervor, dass Verstöße gegen sämtliche — einzelstaatliche, gemeinschaftliche und internationale — umweltrechtliche Bestimmungen Gegenstand des von der Kommission vorgesehenen Systems strafrechtlicher Sanktionen sind. Dieser besonders weit gefasste Anwendungsbereich könnte zu rechtlichen Schwierigkeiten mit Blick auf die nationale Grundlage des gemeinen Rechts oder die unabhängigen Kontrollinstrumente des internationalen Rechts führen. Geahndet werden sollen „schwere Beeinträchtigungen“, die auf einem einzigen Staatsgebiet oder grenzüberschreitend begangen werden. Dennoch begrüßt der Ausschuss diesen materiellen und territorialen Anwendungsbereich, der sich aus der Wesenscharakteristik des Schutzes der Umwelt ergibt, deren Beeinträchtigungen zumeist nicht nur auf einen Ort beschränkt bleiben und auch nicht an den Staatsgrenzen Halt machen.

3.7

Für juristische Personen sind strafrechtliche und nichtstrafrechtliche Sanktionen vorgesehen, doch geht aus dem Vorschlag nicht eindeutig hervor, ob strafrechtliche Sanktionen auch gegen natürliche Personen wie etwa gegen die Führung eines betroffenen Unternehmens ergriffen werden können. Die Sanktionen gelten nur für Personen, die zu der juristischen Person gehören und die betreffenden Straftaten direkt begangen bzw. dazu angestiftet haben. Nach Ansicht des Ausschusses sollten in der Richtlinie Führungskräfte, die ganz einfach ihre Aufsichtspflicht verletzt haben, berücksichtigt werden und sei es nur in Form ergänzender Sanktionen.

3.7.1

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass in Artikel 7 des Vorschlags ein Mindestbetrag für maximale Geldstrafen festgelegt wird, aber dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung gegebenenfalls schwerere Strafen vorsehen können. Dies bedeutet, sich auf die Gewährleistung eines gemeinsamen Minimums zu beschränken, was jedoch die Gefahr der Entstehung divergierender strafrechtlicher Herangehensweisen in den einzelnen Mitgliedstaaten birgt. Der Ausschuss würde eine stärkere strafrechtliche Harmonisierung vorziehen, um jegliche Versuchung des „forum shopping“ zu vermeiden, auch wenn die Mindestbeträge für maximale Geldstrafen erhöht werden müssten.

3.8

Allerdings haben die Mitgliedstaaten gemäß der Folgenabschätzung der Kommission einen großen Umsetzungsspielraum. Nach Ansicht des Ausschusses können Unterschiede bei der Umsetzung eine wirksame Angleichung des Umweltstrafrechts behindern; deshalb sollte eine regelmäßige Begleitung der einzelstaatlichen Verfahrensweisen sichergestellt werden. Der übliche Auslegungsspielraum der Mitgliedstaaten dürfte im Allgemeinen die Entstehung von Zonen, in denen die Umweltverschmutzung „billiger“ ist, verhindern. Insofern erklärt sich der Ausschuss mit der vorgeschlagenen Rechtsgrundlage (Art. 175 EG-Vertrag) einverstanden.

3.9

Hinsichtlich der Freiheitsstrafen stellt der Ausschuss fest, dass die Harmonisierung in Form einer dreistufigen Skala entsprechend den Schlussfolgerungen des Rates „Justiz und Inneres“ vom 25./26. April 2002 vorgeschlagen wird. Des Weiteren sind alternative Sanktionen vorgesehen — neben der Verpflichtung, den vorherigen Zustand der Umwelt wieder herzustellen, etwa die Gewerbeuntersagung; allerdings fallen die meisten schweren Umweltverstöße bereits in den Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses 2005/212/JAI über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Verbrechen oder Vergehen.

3.10

Im Übrigen ist die Festlegung einer Höchststrafe zwischen zwei und fünf Jahren eher verwirrend; es wäre besser, im Hinblick auf eine stärkere Harmonisierung ein Mindestmaß für die Höchststrafe festzulegen, zumal dies den Ermessensspielraum für den Richter nicht beeinträchtigt.

3.11

Die Kommission ist gleichwohl der Auffassung, dass die „Grenzen“ des Auslegungsspielraums der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dem Ziel der Richtlinie zuwider laufen; hier besteht ein Konflikt zwischen der vom Ausschuss bevorzugten strafrechtlichen Herangehensweise und derjenigen der Kommission. Angesichts der Gegebenheiten bei der Anwendung wird es wohl erforderlich sein, sich eher auf die eine als auf die andere Herangehensweise zu konzentrieren, um den Zweck des Vorschlags zu erreichen.

3.12

Der EWSA ist sich bewusst, dass eine einschlägige Verordnung zum jetzigen Zeitpunkt des europäischen Integrationsprozesses nicht möglich ist. Allerdings muss klar zwischen einer Verwaltungsstrafe und einer Straftat unterschieden werden, damit die Umsetzung nicht aufgrund von Unterschieden in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten dazu führt, dass eine Tat in einem Mitgliedstaat strafbar ist und in einem anderen nicht.

3.13

Der Bericht über die Durchführung der Richtlinie muss auch dem EWSA vorgelegt werden (Artikel 8).

3.14

An dieser Stelle sollten frühere Empfehlungen des EWSA (9) berücksichtigt werden, insbesondere zu folgenden Aspekten:

Klagebefugnis (ius standi), die es Körperschaften und Nichtregierungsorganisationen ermöglicht, auf der Grundlage der Richtlinie bei Gericht Klage zu erheben; das System des Aarhus-Übereinkommens könnte als Vorlage für die Umsetzung dieses Rechts durch akkreditierte Nichtregierungsorganisationen dienen, was irgendeinem System der Sammelklage vorzuziehen wäre;

Stärkung der Instrumente für die Zusammenarbeit und Ermittlung der Justizbehörden zur Verfolgung von Umweltverstößen, Einrichtung von Sonderstaatsanwaltschaften für Umweltverstöße;

Nutzung der europäischen Netzwerke im Rechtswesen, um die bei grenzübergreifenden Verstößen erforderliche Zusammenarbeit aufzubauen.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 180, S. 238.

(2)  Urteil vom 13. September 2005, C 176/03.

(3)  Ziffer 48 des Urteils.

(4)  (Richtlinienentwurf) KOM(2007) 51 endg. vom 9.2.2007.

(5)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“ (KOM(2003) 624 endg.) (ABl. C 117 vom 30.4.2004, S. 55) zur Umsetzung des Übereinkommens von Aarhus.

(6)  Im Mandat zur Reform der Verträge ist die Gleichstellung des EGV und des EUV in ihrer überarbeiteten Form vorgesehen.

(7)  CESE 981/2007 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(8)  EuGH-Urteil vom 8. Februar 2007, C 3/06 P Danone-Konzern.

(9)  Vgl. CES 463/2001 vom 31. Juli 2001 (NAT/114).


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schaffung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Festsetzung von Höchstmengen für Rückstände pharmakologisch wirksamer Stoffe in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs und die Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 2377/90“

KOM(2007) 194 endg. — 2007/0064 (COD)

(2008/C 10/13)

Der Rat beschloss am 22. Mai 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 und Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 4. Juli 2007 an. Berichterstatter war Herr COUPEAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 151 Ja-Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Bestimmungen zur Kenntnis.

1.2

Der Ausschuss spricht sich dafür aus, alle pharmakologischen Stoffe zur Behandlung von Tieren, die für die Nahrungsmittelerzeugung bestimmt sind, der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMEA) vorzulegen und die Rückstandshöchstmengen einer Bewertung durch den Ausschuss für Tierarzneimittel (CVMP) zu unterziehen.

1.3

Jedes Unternehmen, das pharmakologische Erzeugnisse zur Behandlung von Tieren anbietet, sollte verpflichtet sein, im Vorfeld eine Genehmigung der EMEA einzuholen und eine Bewertung der Rückstandshöchstmengen durch den CVMP durchführen zu lassen.

1.4

Um den Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union nicht zu behindern, sollten diese Genehmigungen in allen EU-Mitgliedstaaten gelten.

1.5

Das Marktzulassungsverfahren sollte unter Wahrung eines hohen Verbraucherschutzniveaus vereinfacht werden.

1.6

Von einer Vereinfachung und verständlicheren Formulierung der EU-Dokumente würden alle Bürger profitieren. Wären diese Dokumente allgemein zugänglich, könnte jeder Einzelne die Bedeutung Europas für seinen Alltag erkennen und begreifen.

2.   Ziel des Vorschlags

2.1

Die Zielsetzung besteht darin, die Exposition der Verbraucher gegenüber pharmakologisch wirksamen Stoffen weiter zu beschränken.

2.2

Mit dem Vorschlag soll zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften beigetragen und gleichzeitig ein hohes Maß an Verbraucherschutz gewahrt werden.

2.3

Zur Verwirklichung dieser Bestrebungen gilt es folgende konkrete Ziele zu berücksichtigen:

a)

verbesserte Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln für zur Nahrungsmittelerzeugung dienende Tiere, um Tiergesundheit und Tierschutz sicherzustellen und den illegalen Gebrauch von Stoffen zu verhindern;

b)

Vereinfachung der bestehenden Rechtsvorschriften, indem die Bestimmungen über die zulässigen Rückstandshöchstmengen für die Endanwender verständlicher formuliert werden;

c)

Festlegung klarer Referenzwerte für die Kontrolle von Rückständen pharmakologisch wirksamer Stoffe in Nahrungsmitteln im Hinblick auf die Verbesserung des Gesundheitsschutzes für die Verbraucher und ein reibungsloseres Funktionieren des Binnenmarkts;

d)

klarere Gestaltung der Gemeinschaftsverfahren zur Festsetzung von Rückstandshöchstmengen und Gewährleistung der Kohärenz mit internationalen Standards.

3.   Aktueller Kontext

3.1

Der aktuelle Rechtsrahmen für Rückstandshöchstmengen hat zu besonderen Problemen geführt:

a)

Die Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln ist in einem derartigen Ausmaß zurückgegangen, dass es zu nachteiligen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, die Tiergesundheit und den Tierschutz kommt.

b)

Von der EU unterstützte internationale Standards können nicht ohne erneute wissenschaftliche Bewertung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur in die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft übernommen werden.

c)

Die für Kontrollen zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten verfügen insbesondere für Stoffe, die in Nahrungsmitteln aus Drittländern festgestellt werden, über keinerlei Referenzwerte.

d)

Die derzeit gültigen Rechtsvorschriften sind schwer verständlich.

4.   Vorgeschlagene Bestimmungen

4.1

Im Wesentlichen werden folgende Änderungen vorschlagen:

a)

Die Bewertung der Extrapolationsmöglichkeiten wird zu einem verpflichtenden Bestandteil der wissenschaftlichen Gesamtbewertung; ferner wird eine Rechtsgrundlage geschaffen, die es der Kommission ermöglicht, Grundsätze für die Durchführung von Extrapolationen festzulegen.

b)

Die Anpassung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zur Übernahme der im Kodex mit Unterstützung der EU festgesetzten Rückstandshöchstmengen wird als Verpflichtung eingeführt.

c)

Zur Festsetzung von Rückstandshöchstmengen für pharmakologisch wirksame Stoffe, die nicht als Tierarzneimittel zugelassen werden sollen, wird insbesondere für Kontrollzwecke und für eingeführte Nahrungsmittel ein spezifischer Rechtsrahmen geschaffen.

4.2

Die Kommission hat sich um eine Konsultation der interessierten Kreise bemüht, um zu ermitteln, welche Änderungen erforderlich sind.

5.   Empfehlungen

5.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Bestimmungen zur Kenntnis.

5.2

Der Ausschuss spricht sich dafür aus, alle pharmakologischen Stoffe zur Behandlung von Tieren, die für die Nahrungsmittelerzeugung bestimmt sind, der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMEA) vorzulegen und die Rückstandshöchstmengen einer Bewertung durch den Ausschuss für Tierarzneimittel (CVMP) zu unterziehen.

5.3

Jedes Unternehmen, das pharmakologische Erzeugnisse zur Behandlung von Tieren anbietet, sollte verpflichtet sein, im Vorfeld eine Genehmigung der EMEA einzuholen und eine Bewertung der Rückstandshöchstmengen durch den CVMP durchführen zu lassen.

5.4

Um den Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union nicht zu behindern, sollten diese Genehmigungen auf dem gesamten Unionsgebiet gelten.

5.5

Das Marktzulassungsverfahren sollte unter Wahrung eines hohen Verbraucherschutzniveaus vereinfacht werden.

5.6

Dank der Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Kenntnisstands wird es möglich sein, zu ermitteln, welche Erzeugnisse unbedenklich sind und welcher Zeitabstand zwischen der Verabreichung eines Tierarzneimittels und der Schlachtung des Tieres zum Verzehr mindestens eingehalten werden sollte.

5.7

Anhand der jeweils neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse sollte der Rat entsprechende Rückstandshöchstmengen festlegen.

5.8

Bezüglich der geforderten Verfahren: Das gegenwärtige Verfahren hat seine Tauglichkeit bewiesen, und die Verwaltung der Zulassungsgesuche sollte auch weiterhin vorgesehen sein.

5.9

Bei der Klassifizierung pharmakologisch wirksamer Stoffe sollte Folgendes berücksichtigt werden:

a)

die jeweilige Rückstandshöchstmenge;

b)

das Fehlen einer Rückstandshöchstmenge;

c)

das Verbot der Verabreichung bestimmter Stoffe.

5.10

Die EMEA sollte die Referenzlabore konsultieren und das Verfahren zur Analyse von Rückständen festlegen.

5.11

Der freie Verkehr von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs innerhalb der Europäischen Union darf nicht behindert werden.

5.12

Von einer Vereinfachung und verständlicheren Formulierung der EU-Dokumente würden alle Bürger profitieren. Wären diese Dokumente allgemein zugänglich, könnte jeder Einzelne die Bedeutung Europas für seinen Alltag erkennen und begreifen.

5.13

Aus Drittländern stammende Fleischerzeugnisse von Tieren, die mit nicht auf EU-Ebene erfassten Arzneimitteln behandelt wurden, sollten einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen werden, bei der die Unbedenklichkeit dieser Erzeugnisse nachgewiesen werden muss; außerdem sollten die entsprechenden Ergebnisse der EMEA vorgelegt und anschließend vom Ausschuss für Tierarzneimittel validiert werden, damit ein umfassender Schutz der Verbraucher gewährleistet wird.

5.14

Die Kommission sollte sich mit dem Problem beschäftigen, dass für bestimmte Tierarten (wie Ziegen oder Kaninchen) keine Arzneimittel zur Verfügung stehen, da sie aus Rentabilitätsgründen nicht von den Laboren entwickelt werden.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/53


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung einer gemeinschaftlichen Rahmenregelung für die Erhebung, Verwaltung und Nutzung von Daten im Fischereisektor und Unterstützung wissenschaftlicher Gutachten zur Durchführung der Gemeinsamen Fischereipolitik“

KOM(2007) 196 endg. — 2007/0070 (CNS)

(2008/C 10/14)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 1. Juni 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. September 2007 an. Berichterstatter war Herr SARRÓ IPARRAGUIRRE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 150 gegen 1 Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Verordnungsvorschlag im Allgemeinen.

1.2

Der EWSA hat jedoch Zweifel, ob die vorgeschlagene Verordnung im Vergleich zu der derzeit geltenden Verordnung tatsächlich eine „Vereinfachung“ bedeuten würde, die zu einem geringeren Verwaltungsaufwand sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für die Betroffenen führen könnte.

1.3

Der EWSA hält die Definition des Begriffs „Endnutzer“ durch die Europäische Kommission für ungenau, da sich darunter jede beliebige Person fassen lässt. Deshalb schlägt er der Kommission vor, diese Definition zu ändern und so weit wie möglich zu präzisieren.

1.4

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass Umweltdaten in erster Linie durch Surveys auf See, die von den Mitgliedstaaten im Rahmen fischereiwissenschaftlicher Untersuchungen durchgeführt werden, erhoben werden sollten.

1.5

Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission die Gründe für Verstöße, die Sanktionen gegen die Mitgliedstaaten zur Folge haben, genauer benennen und die Finanzkorrekturen entsprechend staffeln.

1.6

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Bestimmung über den freien Zugang der für die Erhebung von Wirtschaftsdaten zuständigen Prüfer zu den Räumlichkeiten der Unternehmen zu streichen, da dies rechtliche Probleme aufwerfen kann.

1.7

Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission ausdrücklich festlegen, dass die Beobachterprogramme über die Mitgliedstaaten finanziert werden und die von den Besatzungen selbst durchzuführenden Probenahmeprogramme, die zu einer übermäßigen Arbeitsbelastung führen könnten, auf das Nötigste beschränkt bleiben.

1.8

Hinsichtlich der Abschätzung der Umweltfolgen der Fischereitätigkeit hält es der EWSA für notwendig, dass die Europäische Kommission klar definiert, welche Daten benötigt werden und wer diese Daten erhält.

1.9

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die Bestimmung über die Datenerhebung zur Beurteilung von Wechselbeziehungen zwischen den Arten schwierig umzusetzen ist und deshalb gestrichen werden sollte.

1.10

In Bezug auf die Verwaltung und Nutzung der erhobenen Primärdaten unterstreicht der EWSA, dass diese Daten von allen, die entsprechend dem Verordnungsvorschlag zugangsberechtigt sind, vertraulich behandelt werden müssen.

1.11

Der EWSA hält die Einführung der gemeinschaftlichen und nationalen Programme im Jahr 2008 für praktisch unmöglich und empfiehlt der Kommission deshalb, die Umsetzung dieser Programme auf 2009 zu verschieben.

2.   Begründung

2.1

Die systematische Erhebung zuverlässiger Daten über die Fischerei ist grundlegend für die Bestandsabschätzung und für wissenschaftliche Gutachten und somit auch von entscheidender Bedeutung für die Durchführung der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP).

2.2

Die Europäische Kommission hat das derzeitige System der Datenerhebung (1) nach mehreren Jahren seiner Anwendung einer Prüfung unterzogen und ist zu dem Schluss gelangt, dass dieses System überarbeitet werden muss, um einem flottenbezogenen Ansatz im Fischereimanagement angemessen Rechnung zu tragen, einen ökosystemorientierten Ansatz zu entwickeln, die Qualität und Vollständigkeit von Fischereidaten sowie den Zugriff auf diese Daten zu verbessern, die Ausarbeitung wissenschaftlicher Gutachten effizienter zu unterstützen und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.

2.3

Deshalb hat sie den in dieser Stellungnahme behandelten Vorschlag für eine Verordnung zur „Einführung einer gemeinschaftlichen Rahmenregelung für die Erhebung, Verwaltung und Nutzung von Daten im Fischereisektor und Unterstützung wissenschaftlicher Gutachten zur Durchführung der Gemeinsamen Fischereipolitik“ (2) vorgelegt. Ziel des Vorschlags ist es, langfristige und integrierte regionale Stichprobenprogramme, die biologische, wirtschaftliche, umweltbezogene und soziale Daten abdecken, zu erarbeiten und damit auf neue Anforderungen zu reagieren, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, zu einem erweiterten Fischereimanagement und einem ökosystemorientierten Ansatz im Fischereimanagement überzugehen.

2.4

Mit dem Vorschlag soll erreicht werden, dass das neue Datenerhebungssystem den gesamten Prozess abdeckt und von der Erhebung der Daten auf See bis zu ihrer Verwendung durch die Endnutzer reicht. Eine weitere Neuerung des Vorschlags ist die Einführung der Sammlung von Umweltdaten zur Feststellung der Auswirkungen der Fischereitätigkeit auf das marine Ökosystem, die Einführung finanzieller Sanktionen für Mitgliedstaaten, deren Programme nicht den Vorschriften entsprechen, die Verbesserung des Zugriffs auf die Daten und ihrer Verwendung und die Verringerung des Verwaltungsaufwands für alle Beteiligten (Vereinfachung).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Zur Verbesserung der wissenschaftlichen Gutachten enthält der Verordnungsvorschlag Bestimmungen über die im Rahmen mehrjähriger Programme durchzuführende Erhebung und Verwaltung von biologischen, wirtschaftlichen, umweltbezogenen und sozialen Daten über den Fischereisektor sowie die Verwendung dieser Daten im Rahmen der GFP.

3.2

Diese Basisdaten über den Fischereisektor sollen folgendes ermöglichen: Bewertung der Fangtätigkeiten der einzelnen Fischereiflotten, zusammenfassende Auswertung der gemäß den anderen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für die GFP erhobenen Daten, Schätzung der Gesamtfänge je Bestand und Schiffsgruppe einschließlich etwaiger Rückwürfe, Aufschlüsselung dieser Fänge nach geografischen Gebieten und Zeiträumen, Schätzung der Bestandsgröße und -verteilung, Bewertung der Auswirkungen der Fischereitätigkeit auf die Umwelt, Bewertung der sozioökonomischen Situation des Fischereisektors, Beobachtung der Preise für die Anlandungen der Gemeinschaftsschiffe und die Einfuhren sowie Bewertung der wirtschaftlichen und sozialen Lage des Fischereisektors.

3.3

Die Finanzierung dieser Maßnahmen ist in der Verordnung (EG) Nr. 861/2006 des Rates vom 22. Mai 2006 über finanzielle Maßnahmen der Gemeinschaft zur Durchführung der Gemeinsamen Fischereipolitik und im Bereich des Seerechts geregelt (3), zu der der EWSA bereits Stellung genommen hat (4).

3.4

Im Verordnungsvorschlag wird der Kontrolle der Qualität der Daten und ihrer Validierung besondere Bedeutung beigemessen, wobei der finanzielle Beitrag der Gemeinschaft an die Durchführung der Qualitätskontrolle und die Einhaltung der festgelegten Qualitätsstandards geknüpft wird.

3.5

Verschiedene andere Gemeinschaftsverordnungen enthalten ebenfalls Bestimmungen über die Erhebung und Verwaltung von Daten bezüglich Fischereifahrzeugen, deren Tätigkeiten und Fänge sowie über Preisüberwachung, Walbeifänge und Bedingungen für die Tiefseefischerei, die im Interesse der Einführung einer umfassenden und kohärenten Regelung für die Datenerhebung in der vorliegenden Verordnung berücksichtigt werden sollten.

3.6

Der EWSA begrüßt den Verordnungsvorschlag im Allgemeinen. Er beobachtet allerdings mit Sorge die ständige Zunahme von Gemeinschaftsvorschriften, welche eine Erhöhung des Verwaltungsaufwands mit sich bringt. In Fall des vorliegenden Verordnungsvorschlags hat der EWSA Zweifel, ob er im Vergleich zur derzeit geltenden Verordnung tatsächlich eine „Vereinfachung“ bedeuten würde, die zu einem geringeren Verwaltungsaufwand sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für die Betroffenen führen könnte.

3.7

Darüber hinaus begrüßt der EWSA nachdrücklich, dass der Vorschlag in engem Zusammenhang mit den Umweltaspekten der Fischerei steht und er einen notwendigen Beitrag für die Anwendung eines Ökosystemansatzes im Fischereimanagement leistet.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Zu Beginn des Verordnungsvorschlags werden einige Schlüsselbegriffe definiert: Fischereisektor, Sportfischerei, Meeresgebiete, Primärdaten, detaillierte Daten, aggregierte Daten, flottenbezogene Stichproben, Fischereifahrzeug der Gemeinschaft und Endnutzer. Der EWSA hält jedoch die Bestimmung des Begriffs „Endnutzer“ als „an der wissenschaftlichen Auswertung von Daten über den Fischereisektor interessierte natürliche oder juristische Personen oder Organisationen“ für ungenau. Seiner Ansicht nach kann dieser Definition zufolge jede beliebige Person als Endnutzer gelten, weshalb er der Kommission vorschlägt, die Begriffsbestimmung zu ändern und viel stärker zu präzisieren, wer die eigentlichen Endnutzer sind.

4.2

Für die Datenerhebung wird die Kommission ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm entwickeln, das folgende Bereiche berührt:

gewerbliche Fischerei durch Fischereifahrzeuge der Gemeinschaft inner- und außerhalb der Gemeinschaftsgewässer;

Sportfischerei in Gemeinschaftsgewässern;

Aquakultur im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und in Gemeinschaftsgewässern;

Verarbeitung von Fischereierzeugnissen.

4.3

Die Mitgliedstaaten sollen in ihren in Einklang mit dem Gemeinschaftsprogramm erarbeiteten nationalen Datenerhebungsprogrammen die Verfahren und Methoden zur Erfassung und Auswertung der Daten sowie zur Abschätzung ihrer Richtigkeit und Genauigkeit beschreiben. Die nationalen Programme umfassen insbesondere:

nationale Stichprobenprogramme;

eine Regelung für Beobachter auf See, sofern erforderlich;

eine Regelung für auf See durchzuführende Surveys.

4.4

Die Kommission schlägt vor, die Gemeinschaftsprogramme und die nationalen Programme für einen Zeitraum von drei Jahren auszulegen. Die ersten Programme sollten den Zeitraum 2008-2010 abdecken. Der EWSA hält die Einführung der gemeinschaftlichen und nationalen Programme im Jahr 2008 für praktisch unmöglich und empfiehlt der Kommission deshalb, die Umsetzung dieser Programme auf 2009 zu verschieben.

4.5

Die Mitgliedstaaten sollen ihre nationalen Programme mit anderen Mitgliedstaaten in demselben Meeresgebiet koordinieren und Vorkehrungen treffen, um ihre Maßnahmen mit Drittländern abzustimmen, die in demselben Meeresgebiet über ihrer Hoheit oder Gerichtsbarkeit unterstellte Gewässer verfügen, so wie dies bereits in regionalen Fischereiorganisationen geschieht.

4.6

Der Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsausschuss für Fischerei (STECF) soll die nationalen Programme und ihre etwaigen Änderungen sowie die wissenschaftliche Relevanz der zu erhebenden Daten bewerten. Die Kommission wird die nationalen Programme auf der Grundlage der Bewertung durch den STECF genehmigen.

4.7

Der EWSA ist mit dem Plan für die Datenerhebung und -verwaltung im Rahmen mehrjähriger Programme einverstanden. Gleichwohl möchte er die Kommission darauf hinweisen, dass aus dem Verordnungsvorschlag nicht ersichtlich wird, wie sich die Erhebung von Fischereidaten — vor allem solchen, die sich auf die Umweltfolgen der Fischereitätigkeit beziehen — auf die alltägliche Arbeit einer Besatzung auswirken wird. In dieser Hinsicht ist der EWSA der Auffassung, dass die Erhebung von Umweltdaten in erster Linie durch Surveys auf See erfolgen sollte, die die Mitgliedstaaten im Rahmen fischereiwissenschaftlicher Untersuchungen durchführen.

4.8

Eine Neuerung besteht darin, dass die Mitgliedstaaten bei Nichteinhaltung der Bestimmungen des Verordnungsvorschlags sanktioniert werden können, indem die finanzielle Unterstützung ihrer nationalen Programme verringert oder sogar ausgesetzt wird. Der EWSA hält diesen Vorschlag für zweckmäßig und vertraut darauf, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nachkommen, um solche Sanktionen zu vermeiden. Allerdings sollte die Kommission die Gründe für Verstöße, die Sanktionen gegen die Mitgliedstaaten zur Folge haben, genauer benennen und die Finanzkorrekturen entsprechend staffeln.

4.9

Entsprechend den Feststellungen in Ziffer 4.3 umfassen die mehrjährigen nationalen Stichprobenprogramme

einen Stichprobenplan für die Erhebung biologischer Daten auf der Grundlage einzelner Fangflotten, gegebenenfalls einschließlich der Sportfischerei;

einen Stichprobenplan für die Erhebung von Ökosystemdaten, anhand deren sich die Wechselbeziehungen zwischen den Arten und die Folgen der Fischerei für die Umwelt einschätzen lassen;

einen Stichprobenplan für die Erhebung von Wirtschafts- und Sozialdaten, anhand deren sich die wirtschaftliche Situation des Fischereisektors einschätzen lässt.

4.10

Der EWSA bekräftigt seine in der Stellungnahme zur Verordnung (EG) Nr. 861/2006 geäußerte Auffassung, dass im Hinblick auf eine Verbesserung der wissenschaftlichen Gutachten auch die Möglichkeit bestehen sollte, über die Mitgliedstaaten Ausgaben zu finanzieren, die dem EU-Fischereisektor durch die Studien zur Bewertung der Auswirkungen der Fischerei auf die Umwelt sowie zur Bewertung der sozioökonomischen Lage des Sektors entstehen.

4.11

Der Kommission zufolge sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Prüfer zwecks Wahrnehmung ihrer Aufgaben Zugang haben zu

allen Anlandungen sowie gegebenenfalls Umladungen auf andere Schiffe und Weitertransporten an Aquakulturanlagen;

Geschäftsräumlichkeiten für die Erhebung von Wirtschaftsdaten.

4.12

Der EWSA gibt der Kommission zu bedenken, dass der freie Zugang der für die Erhebung von Wirtschaftsdaten zuständigen Prüfer zu den Räumlichkeiten der Unternehmen in rechtlicher Hinsicht problematisch ist. Deshalb fordert er die Kommission auf, diese Bestimmung zu streichen.

4.13

Schließlich setzt die Erhebung von Fischereidaten im Rahmen der nationalen Programme zum einen voraus, dass Beobachter an Bord der Fischereifahrzeuge gehen, wenn dies für die Datensammlung erforderlich ist, und zum anderen, dass wissenschaftliche Surveys auf See durchgeführt werden, um Größe und Verteilung der Bestände unabhängig von den Angaben der Berufsfischer zu beurteilen und die Umweltfolgen der Fangtätigkeit einzuschätzen.

4.14

Der EWSA hält diese beiden Ansätze zur Vervollständigung der Fischereidatenerhebung für notwendig und ist der Auffassung, dass die Kommission ausdrücklich die Finanzierung der Programme für die Beobachter auf See über die Mitgliedstaaten festlegen sollte. Er weist die Kommission darauf hin, dass die eigenen Probenahmeprogramme, die von der Besatzung durchzuführen sind, falls aufgrund offensichtlichen Platzmangels oder aus Sicherheitsgründen keine Beobachter an Bord gehen können, zu einer übermäßigen Arbeitsbelastung führen können.

4.15

Hinsichtlich der Abschätzung der Umweltfolgen der Fischereitätigkeit hält es der EWSA für notwendig, dass die Europäische Kommission klar definiert, welche Daten benötigt werden und wer diese Daten erhält.

4.16

Im Verordnungsvorschlag ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten für die sichere Speicherung der erhobenen Primärdaten in Datenbanken sowie deren vertrauliche Behandlung Sorge zu tragen haben. Zudem sind die Mitgliedstaaten verantwortlich für die Qualität und Vollständigkeit der erhobenen Primärdaten sowie der hieraus gewonnenen detaillierten und aggregierten Daten.

4.17

Der EWSA hält es für angemessen, dass diese Aufgaben den Mitgliedstaaten obliegen, denn schließlich ist Vertraulichkeit von größter Bedeutung für die Fischereibetriebe.

4.18

Die vertrauliche Behandlung ist äußerst wichtig, da in den nationalen Datenbänken sämtliche Primärdaten gespeichert werden, die sich auf folgende Verordnungen beziehen:

Verordnung (EWG) Nr. 2847/1993 zur Einführung einer Kontrollregelung für die Gemeinsame Fischereipolitik;

Verordnung (EG) Nr. 779/1997 zur Einführung einer Regelung zur Steuerung des Fischereiaufwands in der Ostsee;

Verordnung (EG) Nr. 104/2000 über die Gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur;

Verordnung (EG) Nr. 2347/2002 mit spezifischen Zugangsbedingungen und einschlägigen Bestimmungen für die Fischerei auf Tiefseebestände;

Verordnung (EG) Nr. 812/2004 zur Festlegung von Maßnahmen gegen Walbeifänge in der Fischerei;

sowie folgende, im hier vorliegenden Verordnungsvorschlag vorgesehene Daten:

Daten über die Tätigkeit von Schiffen auf der Grundlage von Informationen aus der Satellitenüberwachung oder anderen Überwachungssystemen;

Daten, die eine zuverlässige Schätzung der Gesamtfänge aus einem Bestand nach Fischereiflottensegment, einschließlich Rückwürfen, erlauben sowie gegebenenfalls Daten über Fänge in der Sportfischerei;

alle zur Überwachung des Zustands der Bestände erforderlichen biologischen Daten;

erforderliche Ökosystemdaten zur Abschätzung der Umweltfolgen von Fischfang und Aquakultur;

Daten zur Beurteilung von Wechselbeziehungen zwischen Arten;

Wirtschafts- und Sozialdaten zu den Fangflotten und der Verarbeitungsindustrie.

4.19

Hinsichtlich der Daten, anhand deren sich die Wechselbeziehungen zwischen den Arten einschätzen lassen, vertritt der EWSA die Auffassung, dass eine solche Einschätzung aufgrund ihrer Ambiguität und Ungenauigkeit unmöglich ist, und schlägt deshalb vor, die entsprechende Bestimmung zu streichen.

4.20

Die Mitgliedstaaten sollen die Primärdaten bearbeiten und eine Sammlung detaillierter oder aggregierter Daten gemäß einschlägigen internationalen Standards und auf regionaler Ebene vereinbarten Protokollen erstellen. Sie sollen diese Daten dann im Rahmen von mit der Kommission geschlossenen Übermittlungsvereinbarungen der Kommission und relevanten Wissenschaftsorganisationen zur Verfügung stellen.

4.21

Die Mitgliedstaaten sollen detaillierte und aggregierte Daten in einem sicheren elektronischen Format übermitteln.

4.22

Die Mitgliedstaaten dürfen die Übermittlung relevanter detaillierter und aggregierter Daten nur dann ablehnen, wenn aus diesen Daten auf die Identität einzelner natürlicher und/oder juristischer Personen geschlossen werden könnte oder wenn die Endnutzer den im Verordnungsvorschlag genannten Verpflichtungen nicht nachkommen.

4.23

In Bezug auf die Verwaltung und Nutzung der erhobenen Daten betont der EWSA die Bedeutung der vertraulichen Behandlung der Primärdaten, insbesondere der durch Satellitenüberwachung oder andere Überwachungssysteme gewonnenen Daten über die Tätigkeit von Schiffen, und fordert die Kommission deshalb auf, hier eine differenzierte Behandlung vorzusehen.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Verordnung (EG) Nr. 1543/2000 des Rates zur Einführung einer gemeinschaftlichen Rahmenregelung für die Erhebung und Verwaltung der Daten, die zur Durchführung der gemeinsamen Fischereipolitik erforderlich sind (ABl. L 176 vom 15.7.2000) sowie die übrigen Verordnungen im Bereich der Erhebung und Verwaltung von Fischereidaten.

(2)  KOM(2007) 196 endg. vom 18.4.2007.

(3)  ABl. L 160 vom 14.6.2006.

(4)  NAT/280 — CESE 1490/2005 — ABl. C 65 vom 17.3.2006.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/22/EG des Rates über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler bzw. thyreostatischer Wirkung und von beta-Agonisten in der tierischen Erzeugung“

KOM(2007) 292 endg. — 2007/0102 (COD)

(2008/C 10/15)

Der Rat beschloss am 2. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b) des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. September 2007 an. Berichterstatter war Herr JÍROVEC.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 152 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nimmt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zur Kenntnis.

1.2

Der Ausschuss begrüßt die Vereinfachung und Klarstellung der geltenden Rechtsvorschriften für die Bürger wie auch die Unternehmen, die pharmazeutische Produkte für Tiere anbieten.

1.3

Der Richtlinienvorschlag entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, werden doch nur begrenzte Änderungen aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Daten und Gutachten von Sachverständigen vorgenommen.

1.4

Ferner wird in diesem Richtlinienvorschlag die Frage der Einfuhr von zur Lebensmittelerzeugung gehaltenen Tieren aus Drittländern aufgegriffen.

1.5

Er steht nicht im Widerspruch zu den im Rahmen der WTO eingegangenen Verpflichtungen.

1.6

Das künftige Verbot von 17-β-Östradiol und seiner esterartigen Derivate wird höchstens vernachlässigbare Folgen für die Landwirtschaft und das Wohlergehen der Tiere haben.

1.7

Die Festlegung eines Höchstgehalts für Rückstände ist nicht erforderlich.

1.8

Der Richtlinienvorschlag wird so gut wie keine Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen nach sich ziehen.

2.   Ziel des Vorschlags

2.1

Mit diesem Vorschlag soll die Richtlinie 96/22/EG des Rates vom 29. April 1996 (geändert durch die Richtlinie 2003/74/EG) geändert werden. In dem Richtlinienvorschlag wird das Inverkehrbringen bestimmter Stoffe zur Verabreichung an Tiere, die zur Gewinnung von Fleisch und anderen Erzeugnissen für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, zu anderen als den in Artikel 4 Nummer 2 vorgesehenen Zwecken verboten.

Nicht zugelassene Stoffe:

Gruppe A:

thyreostatische Stoffe,

Stilbene, Stilbenderivate, ihre Salze und Ester,

17-β-Östradiol und seine esterartigen Derivate.

Gruppe B:

Beta-Agonisten.

2.2

Folgende Änderungen werden vorgeschlagen:

a)

Heimtiere vom Geltungsbereich der Rechtsvorschriften auszunehmen;

b)

die Verwendung von 17-β-Östradiol bei zur Lebensmittelerzeugung gehaltenen Tieren ganz zu verbieten.

2.3

Die Europäische Kommission schlägt nur äußerst begrenzte Änderungen vor, um zu verhindern, dass Heimtiere unnötig leiden müssen, weil keine geeignete Behandlung verfügbar ist, und um den wissenschaftlichen Daten und den Gutachten von Sachverständigen zu 17-β-Östradiol Rechnung zu tragen (1).

3.   Allgemeiner Kontext

3.1

Nach Artikel 2 a) der Richtlinie 96/22/EG ist das Inverkehrbringen der in Anhang II genannten Stoffe zur Verabreichung an Tiere „aller Arten“ verboten.

3.2

Ein Vergleich der Preise von Produkten mit thyreostatischer Wirkung macht deutlich, dass eine Anwendung solcher Produkte für zur Lebensmittelerzeugung gehaltene Tiere wirtschaftlich uninteressant ist.

3.3

Ihre widerrechtliche Verwendung ist eher mit illegal hergestellten oder importierten Stoffen verbunden. In den vergangenen fünf Jahren konnte keine illegale Anwendung von Stilbenen oder ihren Derivaten sowie Salzen und Estern festgestellt werden.

3.4

Mit der genannten Richtlinie ist die Zulassung von Produkten, die Stoffe zur Behandlung der Schilddrüsenüberfunktion bei Heimtieren enthalten, nicht mehr möglich.

3.5

Im Jahr 1981 hat die EU mittels der Richtlinie 81/602/EWG die Anwendung von Stoffen mit hormonaler Wirkung zur Wachstumsförderung bei Nutztieren, insbesondere von 17-β-Östradiol, verboten.

3.6

Mit der Richtlinie 96/22/EG sollte ursprünglich die Verwendung von 17-β-Östradiol und seinen esterartigen Derivaten für jedweden Zweck verboten werden, doch wurden letztlich lediglich die Bedingungen eingeschränkt, unter denen diese Stoffe für andere Zwecke als die Wachstumsförderung verabreicht werden dürfen. 17-β-Östradiol ist uneingeschränkt karzinogen, da es sowohl tumorauslösende als auch tumorfördernde Wirkungen hat.

3.7

In dem Bericht, der dem Rat und dem Europäischen Parlament am 11. Oktober 2005 vorgelegt wurde, wird der Schluss gezogen, dass die Anwendung von Alternativen wie Prostaglandinen bereits weit verbreitet und es daher möglich ist, die Verwendung der oben genannten Stoffe für zur Lebensmittelerzeugung gehaltene Tiere ganz zu verbieten.

3.8

Heimtiere mit einer Schilddrüsenüberfunktion leiden oftmals, weil immer noch keine geeignete Behandlung verfügbar ist.

4.   Bemerkungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nimmt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zur Kenntnis.

4.2

Die vorgeschlagenen Änderungen in Bezug auf 17-β-Östradiol sind die direkte Folge der Maßnahmen gemäß Artikel 11 a) der Richtlinie 2003/74/EG.

4.3

Die vorgeschlagenen Änderungen sind sehr begrenzt und notwendig, um zu verhindern, dass Heimtiere unnötig leiden müssen, weil keine geeignete Behandlung verfügbar ist.

4.4

Von dem Richtlinienvorschlag betroffen sind Tierbesitzer, niedergelassene Tierärzte, die Tierarzneimittelindustrie und die mitgliedstaatlichen Zulassungsbehörden.

4.5

Dieser Vorschlag wird zu einem hohen Schutz der menschlichen Gesundheit beitragen.

4.6

Bei neuen Zulassungen ist ein möglicher Missbrauch zu prüfen. Anträge für Produkte, bei denen ein Missbrauch wahrscheinlich ist, können daher abgelehnt werden.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  „Prevention and Control of Animal Diseases“

(http://ec.europa.eu/food/animal/resources/publications_en.htm).


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/58


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“

KOM(2007) 368 endg. — 2007/0128 (COD)

(2008/C 10/16)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 26. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seinen Stellungnahmen CESE 308/2004 und CESE 1571/2006 vom 26. Februar 2004 bzw. 13. Dezember 2006 (1) dazu geäußert hat, beschloss er auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 mit 163 gegen 1 Stimme bei 7 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Stellungnahmen vertreten hat.

 

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahmen des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“ — KOM(2003) 424 endg. — 2003/0165 (COD) (ABl. C 110 vom 30.4.2004) und zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. …/… über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“ — KOM(2006) 607 endg. — 2006/0195 (COD) (ABl. C 325 vom 30.12.2006).


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/59


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Integration des Welthandels und Outsourcing: Der Umgang mit den neuen Herausforderungen“

(2008/C 10/17)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu erarbeiten: „Integration des Welthandels und Outsourcing: Der Umgang mit den neuen Herausforderungen“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 12. September 2007 an. Berichterstatter war Herr ZÖHRER, Mitberichterstatter Herr LAGERHOLM.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 151 Stimmen gegen 1 Stimme bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Die Veränderungen im Bereich des Handels und die zunehmende Integration der Volkswirtschaften in das Welthandelssystem werden von einer breiten Palette von Faktoren vorangetrieben. Einer der wichtigsten Faktoren ist dabei die Entwicklung einer internationalen Produktionsteilung, die dazu führte, dass in den verschiedenen Phasen des Produktionsprozesses eine steigende Zahl von Zwischenprodukten (Güter und Dienstleistungen) gehandelt wird. Der Handel mit Zwischenprodukten ist eine der wichtigsten Triebfedern für den industriellen Wandel und stellt eine besondere Form der internationalen Arbeitsteilung dar.

1.2

Outsourcing wird hier an den externen Handelsströmen mit Zwischenprodukten gemessen, was von der üblichen Definition abweicht und gewisse Überschneidungen mit dem so genannten „Offshoring“ hat, daher könnte man zur Unterscheidung auch von „Offshore-Outsourcing“ sprechen.

1.3

Für dieses „Offshore-Outsourcing“ gibt es eine Reihe von Gründen. Niedrige Arbeitskosten (geringere Löhne und/oder Sozialschutz) sind wohl die prominentesten in der Diskussion. Darüber hinaus spielen aber auch die Preise von Rohmaterialen oder die Nähe zu neuen Wachstumsmärkten eine wesentliche Rolle. Aber auch Kostenvorteile durch weniger strikte Umweltgesetzgebungen oder Steuervorteile können Antriebskräfte für Offshore-Outsourcing sein.

1.3.1

Das Phänomen des Offshore-Outsourcing ist keine neue Entwicklung, sondern ein Synonym für die arbeitsteilige Organisation der Produktion, in der sich Unternehmen auf das spezialisieren, was sie am besten und kosteneffizientesten können. Die Informationstechnologie und billige Kommunikation beschleunigen diese Entwicklung und ermöglichen den Handel über die Grenzen hinweg in vielen neuen Bereichen — vor allem im Dienstleistungssektor.

1.3.2

Ein kostengünstiges und effizientes Verkehrssystem ist eine Grundvoraussetzung für das Offshore-Outsourcing.

1.4

Das Volumen der Waren, das heute weltweit gehandelt wird, ist 15mal größer als 1950 und der Anteil am weltweiten BIP hat sich verdreifacht. Der weltweite Handel mit Dienstleistungen erreicht mittlerweile ähnliche Wachstumsraten wie der von Waren und wächst schneller als das BIP. Der Anteil der Dienstleistungen am internationalen Handel beträgt knapp 20 %.

1.5

In der Periode zwischen 1992 und 2003 gibt es einen Anstieg des Anteils der Zwischenprodukte (von 52,9 auf 54,1 %) und Kapitalgüter (von 14,9 auf 16,6 %) an den Gesamtimporten, während der Anteil der Konsumgüter leicht gesunken ist. Innerhalb der Zwischenprodukte gibt es eine deutliche Verschiebung zu der Kategorie Teile und Komponenten.

1.6

Auch regional gibt es eine sehr unterschiedliche Entwicklung. Während der Anteil von Zwischenprodukten an den Importen der EU (15), Japan und den USA gesunken ist, ist er in China, Südostasien und den neuen EU-Mitgliedstaaten (EU10) gestiegen.

1.7

Das rasche Wachstum beim Handel mit Dienstleistungen ist vor allem auf die Kategorie „Sonstige Dienstleistungen“ entfallen. In dieser Kategorie sind die wirtschaftsnahen Dienstleistungen enthalten. Hier wiederum haben die Finanz-, Computer- und Informationsdienstleistungen besondere Dynamik. Die Gewinner des Outsourcing der Dienstleistungen sind die USA, die EU15 und Indien, wobei Indien relativ am meisten profitiert hat.

1.8

Insgesamt hat die EU ihre führende Position im Welthandel erfolgreich gehalten, sowohl im Waren- als auch im Dienstleistungssektor. Die europäische Wirtschaft ist Marktführer in einem weiten Bereich von Industrien mit mittlerem Technologieniveau und bei kapitalintensiven Gütern. Anlass zur Sorge geben das wachsende Handelsbilanzdefizit mit Asien und eine eher schwache Performance der EU im Bereich der IKT.

1.9

Durch Offshore-Outsourcing steigt der Handel, was insgesamt den Wohlstand steigert. Der Ausschuss ist sich aber auch bewusst, dass es dabei nicht nur Gewinner sondern auch Verlierer gibt, wobei die Verlierer zumeist leichter zu identifizieren sind, weil die Betroffenheit unmittelbar eintritt (zum Beispiel jene Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren).

1.10

Unter dem Gesichtspunkt der in Summe für die EU positiven Entwicklung bezüglich des Handels mit Zwischenprodukten ist eine positive und aktive Haltung der EU zu einem freien, aber fairen Welthandel und eine aktive Globalisierungsstrategie zu befürworten. Wobei innerhalb der EU der Verteilung der daraus erzielten Vorteile größtes Augenmerk geschenkt werden muss.

1.11

Die EU muss sich für faire Bedingungen und eine nachhaltige Entwicklung (wirtschaftlich, sozial und ökologisch) im Welthandel einsetzen.

1.12

Die EU sollte sich ihrer Stärken bewusst sein und sie ausbauen. Gerade die oben erwähnten Bereiche mit mittlerem Technologieniveau sind oft von hoher Innovationsfähigkeit geprägt. Darüber hinaus müssen allerdings auch materielle wie ideelle Investitionen in neue Bereiche getätigt werden.

1.13

Angesichts der Entwicklung des Offshore-Outsourcing sind mehr und differenzierte Analysen dringend erforderlich. Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, solche Analysen, die auch mögliche Szenarien in mittlerer und naher Zukunft beinhalten sollten, in die Wege zu leiten und dabei auch die betroffenen Akteure mit einzubeziehen. Solche Analysen können auch Teil der Sektoruntersuchungen im Rahmen der neuen Industriepolitik sein und könnten als Grundlage für die Diskussionen im sektoralen sozialen Dialog dienen.

1.14

Die wesentlichen Antworten auf die Herausforderungen für Europa durch die Integration des Welthandels und das zunehmende Offshoring europäischer Produktion liegen in der Lissabon-Strategie. Der Ausschuss unterstreicht dabei die folgenden Punkte als entscheidend für ein anpassungs- und wettbewerbsfähiges Europa im Prozess der Globalisierung:

Vollendung und Stärkung des Binnenmarktes

Forcierung von Innovation

Stimulierung von Beschäftigung.

2.   Begründung und Hintergrund der Stellungnahme

2.1

Die Veränderungen im Bereich des Handels und die zunehmende Integration der Volkswirtschaften in das Welthandelssystem werden von einer breiten Palette von Faktoren vorangetrieben (Handelsliberalisierung, sinkende Transport- und Kommunikationskosten, steigende Einkommen, zunehmende internationale Arbeitsteilung usw.). Einer der wichtigsten Faktoren ist dabei die Entwicklung einer internationalen Produktionsteilung, die dazu führte, dass in den verschiedenen Phasen des Produktionsprozesses eine steigende Zahl von Zwischenprodukten (Güter und Dienstleistungen) gehandelt wird. Diese Zunahme des Zwischenhandels, die hier als „Outsourcing“ bezeichnet wird, macht die Umstrukturierung zahlreicher Produktionsprozesse auf globaler und regionaler Ebene deutlich und ist auch in vielen Bereichen des Dienstleistungssektors festzustellen.

2.2

Die traditionellen komparativen Vorteile der Industrieländer in der fachlichen Qualifikation der Arbeitnehmer und dem technischen Know-how im Bezug auf ihre Produkte bzw. den Produktionsprozessen sind einem steigenden Druck aus verschiedenen Richtungen ausgesetzt. Die EU sieht sich konfrontiert mit diesem sich rasch wandelnden Umfeld mit neuen Konkurrenten, die in einer großen Zahl von Wirtschaftszweigen und in einem Dienstleistungssektor mit hohem Mehrwert entstanden sind. Somit wachsen die Herausforderungen für die Unternehmen der EU in rasantem Tempo an.

2.3

Der Handel mit Zwischenprodukten ist eine der wichtigsten Triebfedern für den industriellen Wandel und stellt eine besondere Form der internationalen Arbeitsteilung dar, die rasch die traditionelleren Formen der Internationalisierung verdrängt. Es liegt auf der Hand, dass die Globalisierung der Märkte, verbunden mit dem technischen Fortschritt, die Zersplitterung des Herstellungsprozesses eines bestimmten Produkts in zahlreiche aufeinander folgende vor- und nachgelagerte Phasen ermöglicht, die gewöhnlich über mehrere Länder verteilt sind.

2.4

In dieser Stellungnahme soll einerseits untersucht werden, auf welche Weise das weltweite Phänomen des Outsourcing von Gütern und Dienstleistungen vor allem durch die Entwicklung in den asiatischen Staaten (insbesondere China und Indien) sowie durch die Integration der neuen EU-Mitgliedstaaten vorangetrieben wird. Auf der anderen Seite gilt es herauszufinden, ob und wie verletzlich die EU angesichts des Auftretens neuer, global agierender Handelsmächte und der damit verbundenen weltweiten Veränderungen der komparativen Vorteile ist, insbesondere im Hinblick auf die Märkte, in denen die EU derzeit eine Führungsposition innehat. Dabei in erster Linie jene, die durch ein mittleres Technologieniveau und kapitalintensive Güter charakterisiert sind, wie beispielsweise die Automobil- und Pharmaindustrie sowie die Herstellung von Spezialausrüstungen.

2.5

Das Phänomen der Standortverlagerungen wird in dieser Stellungnahme nicht behandelt, da es schon Gegenstand anderer Stellungnahmen des Ausschusses war.

2.6

Zusammenfassend bedeutet dies, dass wir es hier mit einem interessanten Phänomen in der Industrie zu tun haben, das die Unternehmen in der EU dazu zwingen wird, ihre komparativen Vorteile auszubauen, von denen sie bislang profitiert haben, die jedoch nicht länger garantiert sind, nicht einmal in ganz neuen Wirtschaftszweigen wie der Dienstleistungswirtschaft. Durch eine Untersuchung dieses Entwicklungsprozesses wäre es möglich, derzeitige und künftige schwache Branchen zu ermitteln und die Wirtschaftszweige in der EU darauf hinzuweisen, im Vorfeld die richtigen Entscheidungen zu treffen.

3.   Entwicklung des Welthandels

3.1

Ausgangsbasis für die weitere Analyse ist eine Untersuchung, welche in den „Economic Papers“ Nummer 259 im Oktober 2006 der Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission veröffentlicht wurde (1).

3.1.1

In dieser Untersuchung wird der Zeitraum zwischen 1990 und 2003 herangezogen. Dies ist deshalb von Interesse, als zu Beginn der 1990er Jahre für Europa entscheidende Veränderungen im Welthandel eingetreten sind. Die VR China ist verstärkt in den internationalen Handel eingestiegen, was schließlich zum Beitritt zur Welthandelsorganisation geführt hat. Die weitere Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes hat zu einer Vertiefung der Integration innerhalb der EU geführt. Die politische und wirtschaftliche Öffnung der Länder in Mittel- und Osteuropa und ihre Integration in die EU hat zu einer Ausdehnung des Binnenmarktes geführt. Zu Beginn dieses Zeitraums umfasst die EU 12 Mitgliedstaaten, heute so sind es 27.

3.1.2

Gleichzeitig haben auch in Indien, Russland und Lateinamerika (vor allem Brasilien) wesentliche Veränderungen stattgefunden, die zu einer stärkeren Position im Welthandel geführt haben.

3.1.3

Da für den Zeitraum nach 2003 bei Abschluss dieser Untersuchung noch keine verlässlichen Daten zur Verfügung standen, können über die Entwicklung danach noch keine fundierten Aussagen gemacht werden. Es ist aber davon auszugehen, dass da, wo in der Studie auf die EU-10 Bezug genommen wird, ähnliche Trends auch für Bulgarien und Rumänien angenommen werden können. Dazu zeigt das Beispiel der Textilindustrie, dass das Tempo der aufgezeigten Entwicklung eher zunimmt.

3.2

Das Volumen der Waren, das heute weltweit gehandelt wird, ist 15mal größer als 1950 und der Anteil am weltweiten BIP hat sich verdreifacht. Der weltweite Handel mit Dienstleistungen erreicht mittlerweile ähnliche Wachstumsraten wie der von Waren (seit 1990 um zirka 6 % im Durchschnitt pro Jahr) und wächst schneller als das BIP. Der Anteil der Dienstleistungen am internationalen Handel beträgt knapp 20 %.

3.2.1

Während sich die Entwicklung in der Summe eher stabil zeigt, kann man deutliche Unterschiede der Wachstumsraten in den verschiedenen Produkt- und Dienstleistungskategorien feststellen.

3.2.2

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, ist die internationale Arbeitsteilung eine der wichtigsten Triebfedern zur Entwicklung des Welthandels. Diese Arbeitsteilung führt zu stets steigendem Wachstum des Zwischenhandels (bei Waren und Dienstleistungen). Dieser wachsende Zwischenhandel (z. B. mit Halbfertigerzeugnissen, Teilen und Komponenten) oder auch „Outsourcing“ reflektiert die Neuorganisation vieler Produktionsprozesse auf globaler/regionaler im Gegensatz zur nationalen Basis und ist ein Spiegelbild der enormen Steigerung der Ströme direkter Fremdinvestitionen von weniger als 5 % des Welt-BIP 1980 auf mehr als 15 % Ende der 1990er Jahre. Wobei nicht jede direkte Fremdinvestition automatisch mit Outsourcing verbunden ist.

3.2.3

Globale Produktionssysteme in Verbindung mit der Entwicklung wirksamer Informations- und Kommunikationstechnologien, die zu Outsourcing oder man kann auch sagen zu vertikaler Spezialisierung führen, strahlen auch auf viele Bereiche des Dienstleistungssektors aus.

3.2.4

Die Internationalisierung der Produktionsprozesse auf regionaler bzw. globaler Ebene führt zu steigendem Handel innerhalb der Industrie und Unternehmen. Der Export von einer bestimmten Industrie eines Landes ist zunehmend vom Import von Zwischenprodukten abhängig, die von der gleichen Industrie oder einem Tochterunternehmen eines multinationalen Unternehmens produziert wurden.

3.3   Überblick über den Handel nach Produktionsstufen

3.3.1

Verwendet man die „Broad Economic Categories Classification“ der UN, kann man Güter nach ihrer letzten Verwendung unterscheiden (z. B. Zwischenprodukte, Konsumgüter oder Kapitalgüter)

3.3.2

In der Periode zwischen 1992 und 2003 gibt es einen Anstieg des Anteils der Zwischenprodukte (von 52,9 auf 54,1 %) und Kapitalgüter (von 14,9 auf 16,6 %) an den Gesamtimporten, während der Anteil der Konsumgüter leicht gesunken ist. Innerhalb der Zwischenprodukte gibt es eine deutliche Verschiebung zu der Kategorie Teile und Komponenten. Was vor allem für die IKT- und der Automobilindustrie symptomatisch ist.

3.3.3

Auch regional gibt es eine sehr unterschiedliche Entwicklung. Während der Anteil von Zwischenprodukten an den Importen der EU (15), Japan und den USA gesunken ist, ist er in China, Südostasien und den neuen EU-Mitgliedstaaten (EU10) gestiegen.

3.4

Diese Betrachtungen lassen den Handel und die Entwicklungen innerhalb der EU(15) außer Acht. Es muss aber angemerkt werden, dass dies der weitaus größere Teil des Handels der einzelnen EU-Mitgliedstaaten (zwei Drittel bis zu 80 %) ist. Outsourcing wird hier also lediglich an den externen Handelsströmen mit Zwischenprodukten gemessen, was von der üblichen Definition abweicht und gewisse Überschneidungen mit dem so genannten „Offshoring“ hat, daher könnte man zur Unterscheidung auch von „Offshore-Outsourcing“ sprechen.

4.   Gründe für zunehmendes Offshore-Outsourcing

4.1

Unternehmen entscheiden sich aus den unterschiedlichsten Gründen für die Verlagerung von Geschäftsvorgängen oder Teilen dieser ins Ausland. Der gegenwärtig bedeutendste Grund scheinen die niedrigeren Arbeitskosten zu sein. Darüber hinaus spielen aber auch Faktoren wie niedrigere Preise von Rohmaterialien und die Nähe zu den Wachstumsmärkten eine wichtige Rolle. Niedrige Produktivität, unsichere Rechtssysteme, Mängel in der Infrastruktur, ungünstige Handelsbedingungen (z. B. Zölle, Normen) und die mangelnde Möglichkeit der Kontrolle und der Reaktion beim Auftreten von Problemen können eine solche Entscheidung negativ beeinflussen.

4.2

Die Verlagerung von Produktionsanlagen und noch weniger die Beschaffung von Produkten, die Firmen ursprünglich selbst produziert hatten, sind keine neuen Entwicklungen. Das Ersetzen inländischer Arbeitskräfte durch ausländische ist seit vielen Jahren in allen Industrieländern eine gängige Praxis. Das Phänomen des Outsourcing ist praktisch ein Synonym für die Arbeitsteilung und für Unternehmen, die wettbewerbsfähig und kostenbewusst bleiben, während sie sich auf das spezialisieren, was sie am besten können. Neu ist hingegen, dass durch die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in den letzten Jahren die Auslagerung ganzer neuer Kategorien von Dienstleistungen (bzw. der Produktherstellung) möglich geworden ist. So ermöglichen IT und billige Kommunikation den Unternehmen heute die Auslagerung der meisten Vorgänge, die in digitaler Form wiedergegeben/ausgeführt werden können, wie etwa IT-Unterstützung, Back-Office-Arbeiten, Call-Zentren, Software-Programmierung sowie bestimmte FuE-Funktionen.

4.2.1

Ebenso haben IKT zusätzliches Outsourcing bei der Herstellung von Produkten ermöglicht, da Zwischenprodukte nunmehr nahtlos von mehreren Lieferanten bezogen werden können. Produktionstechniken mit Just-in-time-Lieferungen sind in hohem Maße auf IKT angewiesen, um die Fertigung und Anlieferung einzelner Teile und Komponenten verschiedener Hersteller über mehr oder weniger große Distanzen zeitgleich zu koordinieren.

4.3

Outsourcing kann normalerweise auch mit Offshoring verbunden werden. Offshoring kann in Form der Übertragung einzelner Aufgaben innerhalb einer Organisation an einen ausländischen Standort oder an einen unabhängigen Lieferanten erfolgen.

Wie bereits erwähnt, ist dies kein völlig neues Phänomen. Vielmehr haben es die rasante Entwicklung der IKT sowie die damit verbundene Senkung der Kommunikationskosten ermöglicht, zahlreiche neue Teilleistungen in den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr einzubeziehen. Heute können Aufträge wie Anfertigung technischer Zeichnungen im Bereich Architektur, Auswertung von Röntgenbildern durch Radiologen oder bestimmte Rechtsdienstleistungen ins Ausland vergeben werden. Somit hat die IKT-Entwicklung den internationalen Handel ausgedehnt, da Transaktionskosten gesenkt wurden und völlig neue Dinge in den Handel einbezogen werden konnten. Es handelt sich um ähnliche Auswirkungen wie die der Einführung des internationalen Containersystems in den 50er Jahren, das auch zu einem Aufschwung des internationalen Handels führte (2).

4.4

Im Mittelpunkt dieser Stellungnahme steht das Offshore-Outsourcing. In allgemeinen politischen Debatten wird dies jedoch oft mit Ausländischen Direktinvestitionen (ADI) verwechselt. Zum Beispiel sind Tendenzen zu verzeichnen, die sehr oft als Formen des Outsourcing/Offshoring dargestellt werden, tatsächlich Teil einer Expansion von Unternehmen ins Ausland zur Bedienung des betreffenden ausländischen Markts vor Ort sind. Um bestimmen zu können, ob eine teilweise Verlagerung einer Produktionsanlage ein Beispiel für Offshoring ist, muss festgestellt werden, welcher Markt versorgt werden soll. Die Expansion von Unternehmen ins Ausland für den alleinigen Zweck der Bedienung ausländischer Märkte (horizontale ADI) muss nicht unbedingt — auch nicht kurzfristig — negative Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation im eigenen Land haben. Im Gegenteil, sie kann sich sogar äußerst positiv auf die Rentabilität und die Beschäftigung in der Firmenzentrale des betreffenden Unternehmens auswirken.

4.5

Natürlich sind es nicht nur die niedrigeren Arbeitskosten (niedrige Löhne und/oder geringere soziale Sicherheit) und das Erfordernis der Marktnähe, die Unternehmen zur Produktionsverlagerung veranlassen. Beweggründe können auch niedrigere Kosten beispielsweise durch weniger strikte Umweltgesetzgebungen und Steuervorteile sein. Diesbezüglich sind die Vorgänge in der europäischen Zementindustrie ein anschauliches und interessantes aktuelles Beispiel des Offshoring. So haben einige europäische Zementhersteller aufgrund des starken Anstiegs der Energiepreise in Europa, der teilweise durch das Emissionshandelsystem der EU hervorgerufen wurde, und der unmittelbaren Beschränkungen für die Industrie bezüglich des CO2-Ausstoßes die Klinkerproduktion nach China ausgelagert.

4.6

Schließlich ist ein kostengünstiges und effizientes Verkehrssystem eine Grundvoraussetzung für das Offshore-Outsourcing.

5.   Outsourcing in der Warenproduktion

5.1

Outsourcing, in der Studie als das Auslagern von Teilen der Produktion zu externen Zulieferern oder zu eigens außerhalb der EU gegründeten Niederlassungen definiert, spiegelt sich in folgenden Faktoren wieder:

Die weltweiten Handelsströme werden von der Internationalisierung der Produktionsstrukturen und den steigenden globalen ausländischen Direktinvestitionen vorangetrieben.

Der Anteil von Zwischenprodukten (vor allem von Teilen und Komponenten) und Kapitalgütern an den weltweiten Importen steigt. Damit wächst auch der Intra-Industrie- und Intra-Unternehmenshandel.

Es gibt einen deutlichen Anstieg der sich ergänzenden gegenseitigen Handelsströme zwischen den Industrieländern und den Entwicklungs- bzw. Schwellenländern. Der Anteil der Zwischenprodukte an den Importen in die EU15, USA und Japan sinkt, während dieser gleichzeitig bei ihren weniger entwickelten regionalen Partnern steigt.

Outsourcing von Produktionsteilen ist ein besonderes Merkmal der IKT- und der Automobilindustrie mit ihren global agierenden Unternehmen.

6.   Outsourcing von Dienstleistungen

6.1

Der weltweite Handel mit Dienstleistungen ist seit Mitte der 1990er Jahre rapide gewachsen. Er erreichte ähnliche Wachstumsraten wie der Handel mit Waren und wächst damit weit rascher als das BIP. Der Anteil der Dienstleistungen am gesamten BIP stieg von 3,8 % 1992 auf 5,7 % im Jahr 2003.

6.2

Während die Branchen Verkehr und Tourismus Wachstumsraten in der Höhe des BIP-Wachstums erreichten, ist das rasche Wachstum beim Handel mit Dienstleistungen auf die Kategorie „Sonstige Dienstleistungen“ entfallen. In dieser Kategorie sind die wirtschaftsnahen Dienstleistungen enthalten. Hier wiederum haben die Finanz-, Computer- und Informationsdienstleistungen besondere Dynamik.

6.3

Vergleicht man die Nettoergebnisse (Exporte abzüglich der Importe), sind die Gewinner des Outsourcing der Dienstleistungen die USA, die EU15 und Indien, wobei Indien relativ am meisten profitiert hat.

7.   Stärken und Schwächen der EU

7.1

Die EU hat in dem Zeitraum seit 1990 insgesamt ihre führende Position im Welthandel erfolgreich gehalten, sowohl im Waren- als auch im Dienstleistungssektor. Dies resultiert zum Teil daraus, dass die investitionsintensive Phase des globalen Aufholprozesses Anfang der 1990er Jahre jene Industrien bevorzugt hat, die kapitalintensive Güter erzeugen, wo die EU eine relativ starke Position innehat. Die EU ist Marktführer in einer Vielzahl von Industriezweigen mit mittlerem Technologieniveau und bei kapitalintensiven Gütern. Die besonderen Stärken liegen in der weltweiten Automobilproduktion, in der pharmazeutischen Industrie, Spezialausrüstungen sowie im Bereich der Finanz- und Wirtschaftsdienstleistungen.

7.1.1

Der Außenhandelsüberschuss der EU ist im Zeitraum von 1992 bis 2003 von 0,5 auf 1,5 % des BIP gestiegen und trägt auch erheblich zu dessen Wachstum bei.

7.1.2

Eine wesentliche Stärke der EU liegt zweifellos auch im eigenen Binnenmarkt als Hintergrund, der nicht nur einen stabilen Rechtsrahmen bietet, sondern auch einen entsprechend großen Heimmarkt darstellt. Durch die Erweiterung ist ein Teil des Outsourcing in den neuen Mitgliedstaaten erfolgt.

7.1.3

Die Untersuchung zeigt, dass bei den Trends zu Offshore-Outsourcing in einigen Produktionsbereichen, wie zum Beispiel der Automobilindustrie, eine regionale Konzentration des Prozesses festzustellen ist (EU15 zu den neuen Mitgliedstaaten; USA zu Mexiko und Brasilien; Japan zu Südostasien und China). Dies erklärt sich vor allem durch die Kosten der geografischen Entfernung (z. B. Transportkosten). In den Bereichen der neuen Technologien und der Dienstleistungen spielen diese Kosten allerdings eine geringere Rolle.

7.2

Gleichzeitig zeigt die Studie auch einige Bereiche auf, die Anlass zur Sorge geben. Geografisch ist das ein wachsendes Handelsdefizit mit Asien generell und technologisch ist es eine eher schwache Performance der EU im Bereich IKT. Was besonders unter dem Blickwinkel zu betrachten ist, dass einige Entwicklungsländer danach trachten, in der Wertschöpfungskette rasch nach oben zu kommen und daher viel in F&E und Ausbildung investieren.

7.2.1

Der bisherige Erfolg Asiens im Welthandel lag vorwiegend in Produktbereichen wie der IKT, die aus europäischer Sicht vergleichsweise weniger wichtig waren als beispielsweise Automobile, Pharmazeutika oder Chemie. In den letzten 15 Jahren haben sich viele asiatische Länder auf den Export von Produkten im IKT-Bereich spezialisiert (3). Es ist anzunehmen, dass diese Länder sich bei ihrer zukünftigen Entwicklung auch jenen Industrien zuwenden, die bisher von der EU dominiert waren (wie das Beispiel der Textilindustrie zeigt).

7.2.2

Die EU und China sind in ihren Handelsstrukturen sehr komplementär zueinander: die EU spezialisiert sich auf Bereiche mit mittlerem bis hohem Technologieniveau und auf Kapitalgüter, während Chinas Stärke in wenig technologieintensiven, arbeitsintensiven und IKT-bezogenen Produktbereichen liegt. Dieses Komplementaritätsmuster führt unmittelbar zu tendenziell günstigen Handelsbedingungen für die EU, so dass viele EU-Mitgliedstaaten gegenwärtig deutliche Zugewinne in ihrer Preisgestaltungsmacht gegenüber Schwellenländern wie China zu verzeichnen haben. Diese Resultate zeigen, dass der Aufholprozess großer Schwellenwirtschaften wie z. B. China für beide Seiten sein Gutes haben kann, mit einem starken Anstieg der Pro-Kopf-Einkommen sowohl in den Industrie- als auch den Entwicklungsländern.

7.2.3

Die Auslagerung von Dienstleistungen nach Indien ist derzeit (noch) makroökonomisch wenig relevant.

7.3

Mittel- bis langfristig ergeben sich folgende potenzielle Außenhandelsprobleme der EU:

7.3.1

Die gute Performance der EU in den 1990er Jahren resultiert zu einem guten Teil aus den Gewinnen der initialen, investitionsintensiven Phase der Liberalisierung im Welthandel, was nicht ewig fortgeschrieben wird.

7.3.2

Die EU hat Schwächen in einem weiten Bereich der Hochtechnologie, besonders in der IKT-Industrie.

7.3.3

Asien entwickelt sich zu einem potentiellen Mitwettbewerber in einigen der Hauptwirtschaftszweige der EU. Chinas Niedrigkosten-Produzenten werden wahrscheinlich einen weiten Teil der arbeitsintensiven Industrien mit geringem Technologieniveau beherrschen. Die Auswirkungen auf die EU werden größer sein als für die USA oder Japan.

8.   Gewinner und Verlierer des Offshore-Outsourcing

8.1

Durch Offshore-Outsourcing steigt der Handel, häufig mit neuen Typen von Produkten und in neuen Wirtschaftszweigen. Aus der Theorie und empirischen Studien ist bekannt, dass Handel Wohlstand produziert, weshalb das Offshore-Outsourcing vermutlich auch zu einer weltweiten Steigerung des Wohlstands führen dürfte. Diese Einschätzung wird jedoch komplexer, berücksichtigt man die Tatsache, dass die dem Offshoring bestimmter Produkte zugrunde liegenden Kostenvorteile auf weniger strikte Umweltgesetzgebungen zurückzuführen sein können, was wiederum globale Umweltauswirkungen zur Folge haben kann. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist, können wir davon ausgehen, dass Offshoring den Wohlstand in der Welt steigert. Es ist jedoch auch bekannt, dass Handel häufig sowohl Gewinner als auch Verlierer hervorbringt und sich in diesem Zusammenhang die Frage stellt, wer in Europa die Gewinner und wer die Verlierer des zunehmenden Offshoring sein werden.

8.1.1

Die Entscheidung eines Unternehmens, eine bestimmte Aufgabe auszulagern, kann sich natürlich aus dessen Sicht auch als schlechte Entscheidung erweisen. Dies kann zahlreiche Gründe haben. So gefällt es den Kunden möglicherweise nicht, von Call-Zentren im Ausland bedient zu werden, so erhalten Unternehmen unter Umständen die Zwischenprodukte nicht in der erforderlichen Qualität und der festgelegten Zeit, zudem können kulturelle Missverständnisse zwischen Unternehmen und Kunden bzw. über die Grenzen hinweg auftreten oder es können vertrauliche Informationen zu Konkurrenten gelangen.

8.1.2

Zunächst müssen wir jedoch davon ausgehen, dass die Entscheidung eines Unternehmens (oder einer Behörde) für das Offshoring oder Offshore-Outsourcing eines Aufgabenbereichs erfolgreich umgesetzt wird. Wer sind in diesem Fall die Gewinner und wer die Verlierer?

8.2   Gewinner

8.2.1

Europäische Unternehmen, die Offshoring und Offshore-Outsourcing anwenden

Diese haben die Möglichkeit großer Kosteneinsparungen überwiegend aufgrund niedrigerer Arbeitskosten. Längerfristig gesehen wird diesen Unternehmen auch ein neues Potenzial an Facharbeitskräften zur Verfügung stehen, und zwar sowohl direkt über ihre eigenen ausgelagerten Einrichtungen als auch indirekt über Offshore-Outsourcing seitens der lokalen Zulieferer. Außerdem werden Unternehmen in europäischen Ländern mit gut geregelten Arbeitsmärkten irgendwann in der Lage sein, durch ihre Offshore-Standorte das eigene Arbeitskräfteniveau flexibler zu verwalten. Zudem ist es auch möglich, dass von den Offshore-Standorten aus sehr gut neue Märkte erschlossen werden können. Durch solche Produktionsstandorte vor Ort können europäische Unternehmen Waren und Leistungen zu Preisen herstellen bzw. erbringen, die den Verkauf in Niedriglohnländern ermöglichen.

8.2.2

Europäische Länder, die im Rahmen des Offshoring und Offshore-Outsourcing Produkte und Dienstleistungen zuliefern

Mit dem Beitritt der 12 neuen Mitgliedstaaten 2004 und 2007 gibt es in der Europäischen Union nun mehrere große Lieferanten, die Produkte und Dienstleistungen im Rahmen des Offshoring und Offshore-Outsourcing zuliefern. Aber auch einige Länder der EU-15, insbesondere Irland, profitieren als „Offshore-Produktionsstandorte“. Die Vorteile für die Zuliefererländer liegen auf der Hand: Kurzfristige Vorteile sind die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Mobilisierung von Investitionen, während als längerfristige Vorteile der Technologietransfer und die Vermittlung von Fähigkeiten an die örtliche Bevölkerung zu nennen sind, die mit der Entscheidung der Unternehmen für das Offshoring und Offshore-Outsourcing erfolgen.

8.2.3

Die Verbraucher der unter Anwendung des Offshoring und Offshore-Outsourcing gelieferten Produkte und Dienstleistungen

Die Endverbraucher der ausgelagerten Produkte und Dienstleistungen können von den niedrigeren Preisen der Produkte profitieren. Beispielsweise sind Schätzungen zufolge 10 bis 30 % des Preisrückgangs bei Halbleitern und Speicherchips in den 90er Jahren auf die Globalisierung der IT-Hardwareindustrie zurückzuführen. Die Verbraucher können außerdem von längeren Geschäftszeiten in vielen Dienstleistungsbranchen profitieren, wie etwa von der Möglichkeit, das Call-Zentrum eines Unternehmens in Bangalore nach 17.00 Uhr MEZ anzurufen. Preissenkungen werden je nach Anteil der Ausweitung des Offshoring und Offshore-Outsourcing am Gesamtvolumen die Inflation senken und dadurch zu höherer Kaufkraft führen.

8.3   Verlierer

8.3.1

Europäische Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsplätze aufgrund von Offshoring und Offshore-Outsourcing verlieren

Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsplätze aufgrund von Offshoring- und Offshore-Outsourcing-Maßnahmen verlieren, sind die offenkundigen und unmittelbaren Verlierer. Dabei handelt es sich bei den Personen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, um eine stark betroffene, jedoch verhältnismäßig kleine und konzentrierte Gruppe. Dagegen sind die Gewinner des Offshoring und Offshore-Outsourcing eine bedeutend größere und vielschichtigere Gruppe, bei der wiederum der individuelle Vorteil für den Einzelnen (außer eventuell für die Unternehmen) relativ gering ist. Diese Asymmetrie zwischen Gewinnern und Verlierern hat die politische Ökonomie des Offshoring mit den meisten anderen Diskussionen in Bezug auf Freihandel und Konkurrenz durch Einfuhren gemeinsam. Mit dem vom Rat auf Drängen der Kommission geschaffenen „Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung“ hat die EU ein Instrument in der Hand, dieser Gruppe — wenn auch mit begrenzten Mitteln — unter die Arme zu greifen.

8.3.2

Europäische Unternehmen, die nicht in der Lage sind, „bewährte Verfahren“ des Offshoring und Offshore-Outsourcing zu übernehmen

Das grundlegende Problem, unter dem Europa gegenwärtig leidet, ist das geringe Produktivitätswachstum. Aufgrund der beschleunigten Globalisierung werden den Unternehmen in immer mehr Branchen Strategien des Offshoring und Offshore-Outsourcing durch den Wettbewerb diktiert. Unternehmen, die unfähig sind, ihre Geschäftstätigkeit unter Anwendung des Offshoring und Offshore-Outsourcing für einzelne Zwischenprodukte oder Teilbereiche umzustrukturieren, werden im Wettbewerb mit ihren Konkurrenten aus Drittländern und aus der EU, die dazu in der Lage sind, benachteiligt sein. Dies bedeutet, dass sie das Risiko eines geringeren Wachstums eingehen und letztendlich entweder vollständig aus ihrem Markt gedrückt werden oder ihre gesamte Produktion ins Ausland verlagern müssen, was in beiden Fällen wahrscheinlich zu größeren Arbeitsplatzverlusten führt als möglicherweise bei einem Offshoring oder Offshore-Outsourcing zu einem früheren Zeitpunkt.

9.   Handlungsbedarf und Empfehlungen

9.1

Der Ausschuss hat sich in der Vergangenheit mehrfach zu den Themen Welthandel und Globalisierung generell geäußert (4) Zuletzt in der Stellungnahme „Herausforderungen und Möglichkeiten für die EU im Zuge der Globalisierung“ (REX/228 — Berichterstatter: Herr Malosse). Darin spricht sich der Ausschuss unter anderem für eine gemeinsame Globalisierungsstrategie, einen globalen Rechtsstaat, eine ausgewogene und verantwortungsbewusste Öffnung des Handels, ein forciertes Integrationstempo sowie eine Globalisierung mit menschlichem Antlitz aus.

9.1.1

Auch unter dem Gesichtspunkt der in Summe für die EU positiven Entwicklung bezüglich des Handels mit Zwischenprodukten ist eine positive und aktive Haltung der EU zu einem freien Welthandel und eine aktive Globalisierungsstrategie zu befürworten. Wobei sowohl der Verteilung der daraus erzielten Vorteile als auch der politischen Diskussion größtes Augenmerk geschenkt werden muss. Die EU muss sich dabei für faire Bedingungen und eine nachhaltige Entwicklung (wirtschaftlich, sozial und ökologisch) im Welthandel einsetzen.

9.1.2

Die EU-Handelspolitik muss verstärkt darauf ausgerichtet werden, Sozial- und Umweltstandards weltweit zu verbessern und einen politischen Ansatz zu finden, der Solidarität mit Eigeninteressen kombiniert und von dem alle profitieren können. Nichttarifäre Handelsbarrieren sind weiter abzubauen, vor allem da, wo europäische Unternehmen diskriminiert werden. Im Zusammenhang mit Offshore-Outsourcing unterstreicht der Ausschuss seine Forderung nach besserem Schutz des geistigen Eigentums.

9.1.3

Die gegenwärtige Debatte über Klimawandel, Treibhausgasemissionen und nachhaltige Entwicklung wird immer mehr zu einer neuen Sicht auf viele Aspekte der Globalisierung führen, auch im Handel. Die Entwicklungsländer lassen bereits erkennen, dass sie mehr Hilfe oder „Kapazitätsaufbau“ bei der Nutzung sauberer Technologien brauchen. Die Nutzung saubererer, sparsamerer Verkehrsmittel wird stärker ins Blickfeld rücken, insbesondere der Transport per Schiff (sofern möglich). Umweltüberlegungen werden bei Entscheidungen über den künftigen Standort von Produktionsstätten und den anschließenden Absatz der Waren eine größere Rolle spielen. Der Ausschuss ersucht daher die Kommission, soweit sie es nicht bereits tut, den handelsbezogenen Aspekten der allgemeinen Klimawandel-Debatte eigene Analysen zu widmen.

9.2

Die EU sollte sich zunächst ihrer Stärken bewusst sein und sie ausbauen. Gerade die oben erwähnten Bereiche mit mittlerem Technologieniveau sind oft von hoher Innovationsfähigkeit geprägt. Darüber hinaus müssen allerdings auch Investitionen (materielle wie ideelle) in neue Bereiche getätigt werden. Das 7. Rahmenprogramm (2007-2012) zeigt dabei einige dieser Möglichkeiten auf. Dieser Weg soll fortgesetzt und intensiviert werden (5).

9.3

Angesichts der rasanten Entwicklung, insbesondere im Bereich des Offshore-Outsourcing sind mehr und differenzierte (nach Sektoren, regional) Analysen dringend erforderlich. Zumal die in dieser Stellungnahme erwähnte Studie nur ein sehr globales Bild abgibt und jüngste Entwicklungen nicht berücksichtigt sind.

9.3.1

Durch die jüngsten Erweiterungen der EU sind neue Möglichkeiten für ein Outsourcing in die neuen Mitgliedstaaten entstanden. Dieses Phänomen erfordert eine eingehende Untersuchung, da sowohl die Gewinner, als auch die Verlierer der EU angehören. Wenn wir annehmen, dass das Offshore-Outsourcing in die neuen und künftigen Mitgliedstaaten positive Auswirkungen auf die Kohäsionsstrategie haben soll, ist es logisch, die Auswirkungen auf die künftige Ausrichtung der einschlägigen Finanzierungsinstrumente der EU zu untersuchen.

9.3.2

Es gibt auch keine detaillierten Untersuchungen über die weiteren Auswirkungen des Outsourcing auf die Beschäftigung und die Qualifikationen.

9.3.3

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, solche Analysen, die auch mögliche Szenarien in mittlerer und naher Zukunft beinhalten sollten, in die Wege zu leiten und dabei auch die betroffenen Akteure mit einzubeziehen. Umfragen unter Entscheidungsträgern in Unternehmen ergeben zum Teil ein anderes Bild, als es sich aus den Handelsstatistiken ablesen lässt.

9.3.4

Solche Analysen können auch Teil der Sektoruntersuchungen im Rahmen der neuen Industriepolitik sein. Sie könnten als Grundlage für die Diskussionen im sektoralen sozialen Dialog dienen, dem damit ein weiteres Instrument für die Bewältigung und Antizipierung des Wandels gegeben sein kann (siehe dazu diverse Stellungnahmen der BKIW bzw. des EWSA).

9.4

Die wesentlichen Antworten auf die Herausforderungen für Europa durch die Integration des Welthandels und das zunehmende Offshoring europäischer Produktion liegen in der Lissabon-Strategie. Die BKIW unterstreicht dabei die folgenden Punkte als entscheidend für ein anpassungs- und wettbewerbsfähiges Europa im Prozess der Globalisierung:

Vollendung und Stärkung des Binnenmarktes

Forcierung von Innovation

Stimulierung von Beschäftigung.

9.4.1

Die Weiterentwicklung und Erweiterung des Binnenmarktes mit dem Ziel der Optimierung des freien Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital wird einen signifikanten Beitrag zur Stärkung des Wettbewerbs leisten und so Unternehmen, Innovation und Wachstum antreiben.

9.4.2

Der Binnenmarkt kann erst vollständig realisiert werden, wenn die Gesetzgebung auch tatsächlich und richtig umgesetzt und in Kraft getreten ist. Die Kommission und der Rat müssen sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten dies nicht verzögern.

9.4.3

Technologieentwicklung und Begünstigung von Innovationen in der Europäischen Union sind entscheidend, damit Europa auf dem Weltmarkt bestehen kann. Auf diese Weise wird die Zahl der hochqualifizierten Arbeitsplätze in Europa steigen, und so wird die EU ein attraktiverer Standort für Unternehmen und Investitionen.

9.4.4

Zur Förderung von Innovationen ist ein kosteneffizientes und einfaches Patentverfahren erforderlich. Gegenwärtig ist der Erwerb eines EU-weit geschützten Patents für Erfindungen erheblich teurer und komplizierter als der eines US-Patents. Ein kosteneffizientes Gemeinschaftspatent muss eingeführt werden.

9.4.5

Es sind koordinierte Anstrengungen erforderlich, damit das Ziel der Lissabon-Strategie, nationale Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in Höhe von 3 % des BIP zu erreichen, in einer möglichst kurzen Zeit umgesetzt werden kann. Wie die von der Kommission am 11. Juni 2007 veröffentlichen Schlüsselzahlen zu Wissenschaft, Technologien und Innovation zeigen, sind 85 % der Rückstände für das Erreichen dieses Zieles auf geringe Investitionen der Unternehmen zurückzuführen. Gleichzeitig kann aber eine hohe FuE-Intensität erreicht werden, wenn ein hohes Engagement des privaten Sektors mit hohen öffentlichen Investitionen einhergeht. Die öffentliche Hand in der EU (die Mitgliedstaaten) muss also weiter in F&E investieren, damit sich die F&E-Aktivitäten der Privatwirtschaft weiterentwickeln. Die Regierungen sollten außerdem eine innovative Finanzierungspolitik zur Förderung von Investitionen in Forschung und Entwicklung einführen.

9.4.6

Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien würden die Effizienz bei der Verwaltung und schnelle Verbindungen zwischen den Verbrauchern und Märkten innerhalb Europas fördern. Der Entwicklung eines umfassenden Netzes von Breitbandinternetverbindungen ist Priorität einzuräumen.

9.5

Der Beschäftigungspolitik kommt in diesem Prozess besondere Bedeutung zu. Es geht zum einen darum, für jene, die durch Offshore-Outsourcing ihren Arbeitsplatz verlieren, eine neue Beschäftigungsmöglichkeit zu finden, und andererseits müssen die Anforderungen an die Qualifikation und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer erhalten bleiben. Gerade Arbeitnehmer, die durch Auslagerungen ihren Job verlieren, finden immer schwerer einen neuen Arbeitsplatz. Noch vor wenigen Jahren war es in der Regel möglich, innerhalb von 3 bis 4 Monaten eine neue Stelle zu finden. Heute kann sich dieser Prozess über mehrere Jahre erstrecken, da immer mehr arbeitsintensive Produktion ausgelagert wird und kaum adäquater Ersatz angeboten wird. Flexible, gut ausgebildete und motivierte Arbeitskräfte sind der Schlüssel zur wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Europas.

9.5.1

Der Ausschuss unterstreicht daher auch in diesem Zusammenhang die Schlussfolgerungen des Wim-Kok-Berichtes (6) in Bezug auf

Erhöhung der Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer und Unternehmen, was ihre Chancen, den Wandel zu antizipieren, erhöht;

Einbeziehung von mehr Menschen in den Arbeitsmarkt;

mehr und effektivere Investitionen in das Humankapital.

9.5.2

In einer Welt des raschen Wandels kommen neue Technologien zum Einsatz, die jedoch schnell veralten. Die Regierungen der europäischen Länder müssen gewährleisten, dass sich ihre Bürgerinnen und Bürger diesen neuen Verhältnissen anpassen können, damit alle eine Chance bekommen. Es ist dringend eine moderne Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erforderlich, die auf die Förderung von Chancen und Beschäftigungsfähigkeit durch Vermittlung von Fähigkeiten sowie durch Maßnahmen zur Erhöhung der Anpassungs- und Umschulungsfähigkeit sowie der räumlichen Mobilität von Arbeitskräften ausgerichtet ist. Entscheidend für die Umsetzung dieser anspruchsvollen Aufgabe ist, dass die Mitgliedstaaten eine nationale Politik der allgemeinen und beruflichen Bildung erarbeiten und umsetzen, die auf Investitionen in Bildung und lebensbegleitendes Lernen beruht, damit die Menschen in die Lage versetzt werden, sich an den Wandel und an neue Bereiche mit einem komparativen Vorteil anzupassen. Wie in der Lissabon-Agenda betont wird, sollte dies die „neuen Grundfertigkeiten, wie IT-Kenntnisse, Fremdsprachen, Technologiekultur, Unternehmergeist und soziale Kompetenzen“ einschließen.

9.6

Neben der Qualifikation der Arbeitnehmer ist es von hoher Bedeutung, dass es mit dem Offshore-Outsourcing nicht zu einem zusätzlichen Abfluss von Know-how kommt. Es gilt ein Umfeld zu erhalten, das Europa zu einem attraktiven Standort für Forschung und Entwicklung macht. Dazu müssen die Rolle der Universitäten (vor allem der naturwissenschaftlichen und technischen Richtungen), ihre europäische Vernetzung sowie ihre Zusammenarbeit mit der Wirtschaft neu überdacht werden.

9.7

Europas Wettbewerbsfähigkeit wird sich in erster Linie in einer wissensbasierten innovativen Wirtschaft und einem solidarischen Gesellschaftsmodell mit einem soliden Zusammenhalt begründen. Einen Wettbewerb mit niedrigen Sozial- oder Umweltstandards kann Europa nicht gewinnen.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Economic Papers Nummer 259: „Global trade integration and outsourcing: How well is the EU coping with the new challenges“ von Karel Havik und Kierian Mc Morrow.

(2)  Der Containerverkehr ist ein intermodales System zum Transport von Stückgut und in Lose aufteilbaren Produkten in ISO-genormten Transportbehältern. Die Waren können darin leicht mit verschiedenen Transportmitteln (Containerschiffe, Lkw, Eisenbahn, Flugzeuge) von einem Ort zum anderen verfrachtet werden. Der Containerverkehr gilt als bedeutsamste Neuerung im Bereich der Logistik, die den Warenumschlag im 20. Jahrhundert revolutioniert und die Frachtkosten drastisch reduziert hat.

(3)  Billige Produktionsstandorte, in denen oft auch teure hochtechnologische Produkte und Know-how aus den USA oder Europa verarbeitet werden, haben dazu geführt, dass Produkte wie Computer oder Mobiltelefone zu einem erschwinglichen Preis auf den Markt kommen und somit einer breiten Konsumentenschicht zur Verfügung stehen.

(4)  

REX/182 - „Soziale Dimension der Globalisierung“, vom März 2005

REX/198 - „Vorbereitung der 6. WTO-Ministerkonferenz“, vom Oktober 2005

SOC/232 - „Qualität des Arbeitslebens, Produktivität und Beschäftigung im Kontext von Globalisierung und demografischem Wandel“, vom September 2006

REX/228 - „Herausforderungen und Möglichkeiten für die EU im Zuge der Globalisierung“, vom Mai 2007.

(5)  Siehe dazu die Stellungnahme des EWSA: INT/269 — „7. FTE-Rahmenprogramm“, vom Dezember 2005.

(6)  Bericht der Taskforce Beschäftigung unter Vorsitz von Wim Kok/November 2003.

Die Taskforce begann ihre Tätigkeit im April 2003 und überreichte ihren Bericht der Kommission am 26. November 2003. Die Kommission und der Rat übernahmen die Schlussfolgerungen des Berichts in ihrem Gemeinsamen Beschäftigungsbericht für den Frühjahrsrat 2004, der die Notwendigkeit einer entscheidenden Aktion durch die Mitgliedstaaten gemäß den von der Taskforce vorgeschlagenen Leitlinien bestätigte.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/67


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Patientenrechte“

(2008/C 10/18)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juli 2005, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung zu erarbeiten: „Patientenrechte“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe nahm ihre Stellungnahme am 17. Juli 2007 an. Berichterstatter war Herr BOUIS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 108 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Begründung und Empfehlung

1.1

Die EU und ihre Mitgliedstaaten befassen sich schon seit Jahren mit der Frage der Rechte von Personen, die Gesundheitsdienste nutzen. Sie haben entsprechende Chartas bzw. einen regelrechten Kanon von Vorschriften angenommen, um diese Rechte verbürgen zu können (1). Natürlich sind diese Rechte von der Qualität des Gesundheitssystems und der Organisation der medizinischen Versorgung abhängig. Ihre Achtung wird jedoch auch vom Verhalten und der Mitarbeit der Gesundheitsberufe und der Patienten selbst bestimmt: Es sind somit rasche Verbesserungen denkbar.

1.1.1

Das „Active Citizens Network“ machte 2002 den Vorschlag für eine Europäische Charta der Patientenrechte. Diese auf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Artikel 35) basierenden Rechte spielen für die Beziehungen zwischen den EU-Bürgern und ihrem Gesundheitssystem eine wichtige Rolle. Dessen ungeachtet geht aus einer von Bürgerorganisationen in 14 EU-Mitgliedstaaten durchgeführten Untersuchung hervor, dass sich das Schutzniveau dieser Rechte von einem Land zum anderen stark unterscheidet. Dadurch wird die Bestrebung der Europäischen Kommission, allen EU-Bürgern auf der Grundlage des Solidaritätsprinzips effektiven Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu sichern, in Frage gestellt.

1.1.2

Es ist heute zu beobachten, dass sich die Politik generell in Richtung einer verstärkten Bürgerteilhabe entwickelt. In verschiedenen europäischen Ländern werden die partizipativen Methoden ausgebaut, wie z. B. die dänischen Konsenskonferenzen, die in mehreren EU-Mitgliedstaaten eingesetzten Bürgerversammlungen usw. Der Europarat und das Parlament propagieren derartige partizipative Vorgehensweisen.

1.1.3

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert die Europäische Kommission in Erwägung der Europäischen Charta der Grundrechte, der Mitteilung der Kommission zum Thema „Konsultation zu Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen“, der Erklärung des Rates der EU-Gesundheitsminister vom 1. Juni 2006 über die gemeinsamen Werte und Prinzipien in den Gesundheitssystemen der Europäischen Union, der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes über die Mobilität von Patienten, des Berichts des Europäischen Parlaments über die Patientenmobilität und die Entwicklung der gesundheitlichen Versorgung in der Europäischen Union sowie der Entschließung des Parlaments vom 15. März 2007 auf, Initiativen zu ergreifen, die eine Gesundheitspolitik ermöglichen, bei der die Patientenrechte geachtet werden. Voraussetzung hierfür ist

die vergleichende Zusammenstellung der in den EU-Mitgliedstaaten geltenden rechtlichen und berufsethischen Verpflichtungen und ihre Analyse,

die Festlegung eines gemeinschaftlichen Vorgehens in der geeignetsten Form,

eine systematische Evaluierung der Umsetzung der verkündeten Gesetzestexte und beschlossener Maßnahmen,

die Verbreitung der Ergebnisse dieser Arbeiten bei den einzelstaatlichen Entscheidungsträgern sowie den Vertretern der verschiedenen Wirtschafts- und Gewerkschaftsverbänden und der betroffenen Nutzer,

die Einführung eines Europäischen Tages der Patientenrechte.

1.1.4

Der EWSA befasst sich daher mit der Frage der Patientenrechte, um die europäischen Instanzen auf die Notwendigkeit der Achtung dieser Rechte aufmerksam zu machen — insbesondere unter Berücksichtigung des Rechts der Bürger auf Mobilität in den 27 EU-Mitgliedstaaten und ihres Anspruchs auf Chancengleichheit in Bezug auf qualitativ hochwertige Leistungen sowohl in ihrem Herkunfts- als auch ihrem Aufnahmeland — vor allem aber auch, um sie zu einer konkreten Umsetzung dieser Rechte in allen EU-Mitgliedstaaten anzuhalten. Zudem ergibt sich aus der Bekräftigung dieser Rechte einer Veränderung der tagtäglichen Interaktion zwischen den Gesundheitsberufen und -einrichtungen und den Patienten.

1.1.5

Die angegangenen Fragenkomplexe machen häufig ethische Überlegungen erforderlich, und bei ihrer Beantwortung kommt es auch auf das politische und soziale System des betreffenden Landes an. Doch trotz der Unterschiede in der Organisation der Gesundheitssysteme und der Vielfalt der Debatten lässt sich in allen Ländern Europas eine ähnliche Entwicklung der Gesundheitsproblematiken sowie ein genereller und unausweichlicher Trend zur Verbürgung der Rechte der die Gesundheitsdienste nutzenden Personen beobachten.

1.2

So ist eine Weiterentwicklung der gesundheitlichen Bedürfnisse und der Erwartungen der Bevölkerung sowie — über das Gesundheitssystem hinausgehend — eine politische Entwicklung dahingehend festzustellen, der Meinung des Einzelnen immer mehr Platz einzuräumen.

1.3

Die Fortschritte in der Medizin und die Einrichtung von Sozialschutzsystemen haben einen allgemeinen epidemiologischen Wandel herbeigeführt, der sich in einer geringeren Zahl von Kurzzeitbehandlungen und vor allem einer Zunahme von chronischen Krankheiten geäußert hat. Diese Erscheinung wird durch die Bevölkerungsüberalterung noch verstärkt. Da die Behandlung chronisch Kranker langfristig ausgelegt ist, erwerben diese Patienten aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Nutzung des Gesundheitssystems einerseits und ihrer Krankheit andererseits somit einschlägige Kenntnisse.

1.4

Die neuen Informationstechnologien und insbesondere die Entwicklung des Internet haben diesen Trend zu einem höheren Kenntnisstand der Patienten noch verstärkt, wodurch sich ihre Fähigkeit, sich mit dem Gesundheitspersonal auszutauschen und ihm Fragen zu stellen, weiterentwickelt hat. Bei bestimmten Pathologien haben die Betroffenen in einigen Fällen fundierte Kenntnisse über ihre Krankheit, die mit einbezogen werden müssen. Dieses Wissen muss von den Angehörigen der Gesundheitsberufe berücksichtigt werden.

1.5

Die Erwartungen der Patienten an das Gesundheitspersonal beschränken sich im Allgemeinen nicht nur auf die technischen Aspekte der ärztlichen Leistung, sondern sind auch an die menschlichen und zwischenmenschlichen Aspekte geknüpft.

1.6

Das Leben mit einer Langzeiterkrankung und/oder einer Behinderung weckt in den Betroffenen zudem neue Bedürfnisse und Erwartungen. Denn in diesen Fällen hat sich das Ziel der medizinischen Betreuung verändert: Es geht nicht mehr um Heilung um jeden Preis, sondern vielmehr darum, im ständigen Bemühen um Schmerzbekämpfung mit der Krankheit/Behinderung „zu leben“.

Diese Erwägungen führen dazu, dass die Patienten immer mehr zu Akteuren ihrer Behandlung werden — mit neuen Erwartungen und Bedürfnissen.

1.7

Diese Entwicklung der Bedürfnisse und Erwartungen der Patienten im Hinblick auf ihre medizinische Betreuung vollzieht sich gleichzeitig mit einem tiefer gehenden gesellschaftlichen Wandel, der dazu tendiert, das Modell der Selbstbestimmung des Einzelnen und die Verbürgung seiner Rechte zu fördern.

1.8

Die Gesamtschau dieser Faktoren ergibt den Schluss, dass das paternalistische Modell des Verhältnisses zwischen Ärzten und Patienten ausgedient hat, was ein Überdenken der Position der Patienten in ihrer Interaktion mit dem System erfordert und die Verbürgung und Umsetzung neuer Rechte und Pflichten mit sich bringt.

1.9

Im Mittelpunkt dieser Stellungnahme stehen die Rechte von Patienten, d. h. gesunden oder kranken Personen entsprechend der Definition der Weltgesundheitsorganisation, die die Gesundheitsdienste nutzen.

2.   Kontext

2.1

Die Entwicklung der Medizin, der Gesundheitsbedürfnisse und der Erwartungen des Einzelnen führen dazu, dass der Mensch vor seinem Lebenshintergrund betrachtet werden muss. Dies beinhaltet nicht nur ein Interesse für die Person als solche, sondern auch für ihr familiäres, berufliches oder auch soziales Umfeld. Mit der Krankheit zu leben bedeutet auch die Berücksichtigung von Aspekten der Lebensqualität, was die Mitarbeit nicht nur der Ärzte, sondern vieler verschiedener Gesundheitsberufe erfordert.

2.2

Ärzte spielen im Rahmen der medizinischen Betreuung zwar weiterhin eine vorrangige Rolle; das individuelle Arzt-Patienten-Verhältnis muss jedoch in die Funktionsweise des Systems eingebettet, d. h. in Verbindung mit sämtlichen in Gesundheits- und Pflegeberufen Tätigen gesehen werden.

2.2.1

Der Patient vertraut den in Gesundheitsberufen Tätigen, und deshalb müssen Ärzte und das Pflegepersonal sein Verhalten aufmerksam beobachten, um sowohl ihre Äußerungen als auch die Behandlung und Aufklärung entsprechend anpassen zu können. Dieser Austausch erfolgt gleichzeitig über Zuhören, Mitteilen und Behandlung. Er ermöglicht es, eine für die Bekämpfung der Krankheit notwendige tragfeste Beziehung aufzubauen.

2.2.2

Die Antwort der Medizin auf diese Fragen muss demnach darin bestehen, ein wirklich soziales Vorgehen auszuarbeiten und über den eigentlichen, unverzichtbaren medizinischen Akt hinaus gehend auf den Wunsch der Bevölkerung nach einer umfassenden und bedarfsgerechten Krankenversorgung einzugehen.

2.2.2.1

Das medizinisch-soziale Gesundheitspersonal soll den Patienten beratend zur Seite stehen, ohne sich seiner Verantwortung zu entziehen. Es hat somit die Aufgabe, den Patienten medizinisch zu betreuen, aufzuklären und zu unterstützen, und muss eine therapeutische Strategie erarbeiten, die auf der Analyse der Symptome des Patienten und dem Verhältnis zu ihm beruht. An die in Gesundheitsberufen Tätigen wird folglich die legitime Anforderung gestellt, auf die Patienten individuell einzugehen und es dadurch zu ermöglichen, die sowohl in medizinischer als auch psychologischer Hinsicht geeignetste Behandlung anzubieten.

2.2.3

Ob die Suche nach der besten Behandlung und die Heilung der Krankheit gelingt, hängt in hohem Maße vom Verhältnis zwischen den Patienten und den in Gesundheitsberufen Tätigen ab und ist für das medizinische Personal eine ebenso große Herausforderung wie für den Kranken. Hierfür ist auch die Schaffung von Möglichkeiten der Mediation erforderlich, mit Hilfe derer sowohl die sozialen Faktoren (Beruf, Finanzen, Anerkennung der Rechte usw.) als auch die Folgen für Partnerschaft und Familie berücksichtigt werden können. Familienmitglieder und Patientenverbände spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

2.3

Man kann sogar so weit gehen, die Vorteile eines Zusammentreffens zwischen einer Patientengruppe und einer Vertretung der Gesundheitsberufe in Erwägung ziehen.

2.3.1

In einigen Fällen wird der Vertrauensverlust beklagt, der mit dem Ende des individuellen Arzt-Patienten-Verhältnisses im herkömmlichen Sinn einhergeht. Diese Entwicklung bedeutet jedoch eher, dass das blinde Vertrauen mehr und mehr einem Vertrauen Platz macht, das auf einem Prozess der Begegnung und des Austauschs zwischen dem Betroffenen, seinem sozialen Umfeld und den in Gesundheitsberufen Tätigen aufgebaut ist.

3.   Unantastbare Rechte

3.1

Die Verbürgung der Patientenrechte ist Teil der Menschenrechte und zielt darauf ab, mittelfristig die Autonomie der Patienten zu gewährleisten. Diese Rechte sind daher häufig miteinander verwoben. Die 2002 von der Organisation „Active Citizens Network“ vorgeschlagene Europäische Charta der Patientenrechte umfasst 14 Rechte, die der EWSA befürwortet und anerkennt. Der EWSA ist der Auffassung, dass drei dieser Rechte übergreifend bzw. Voraussetzung für andere Rechte sind.

3.2   Recht auf Aufklärung

3.2.1

Aufklärung betrifft in erster Linie die in Behandlung befindlichen Patienten und muss sich auf folgende Punkte erstrecken: die Krankheit, den möglichen Krankheitsverlauf, die Behandlungsmöglichkeiten einschließlich ihres Nutzens und ihrer Risiken, die Merkmale der Einrichtungen bzw. des Fachpersonals, das die Behandlung durchführt, sowie die Auswirkungen der Krankheit und der Behandlung auf das Leben des Patienten. Dies ist bei chronischen Krankheiten, Abhängigkeiten, Behinderungen und Langzeitbehandlungen, die eine Umstrukturierung des Alltags der Betreffenden und ihres sozialen Umfelds nach sich ziehen, umso wichtiger.

3.2.1.1

In dem Bemühen um Verbesserung des Gesundheitszustands der Bevölkerung kommt der Prävention vorrangige Bedeutung zu. Deshalb müssen parallel zur Einrichtung von Strukturen mit den entsprechenden Untersuchungskapazitäten und für die geeigneten medizinischen Leistungen auch Informations-/Sensibilisierungskampagnen entwickelt werden.

3.2.2

Aufklärung ist kein Ziel an sich, sondern Mittel zum Zweck, damit der Betroffene in Kenntnis der Sachlage freie Entscheidungen treffen kann. Daher sind die Modalitäten der Informationsübermittlung auch ebenso wichtig wie die Informationen selbst. Sie stützen sich auf verschiedene Informationsquellen wie das Internet und die Telefonnotrufe von Vereinigungen, bei denen die Patienten mit einer Vielzahl von Fachkräften in Kontakt kommen, die alle ihre jeweilige Rolle zu erfüllen haben. Die mündliche Informationsübermittlung ist hierbei von grundlegender Bedeutung. Der Arzt muss regelmäßig den Kenntnisstand und den Zufriedenheitsgrad der Patienten überprüfen.

3.2.3

Darüber hinaus muss — unabhängig vom Betroffenen selbst — auch die Funktion des sozialen Umfelds im Aufklärungsprozess berücksichtigt werden, zumal dann, wenn es sich bei dem Patienten um ein Kind, einen pflegebedürftigen alten Menschen usw. handelt. Es versteht sich von selbst, dass die Angehörigen des Patienten umso eingehender unterrichtet werden müssen, je schwerer die Krankheit ist und je weniger der Patient selbst entscheiden kann.

3.2.3.1

Jeder Patient muss in seiner eigenen Sprache und unter Berücksichtigung spezifischer Fähigkeitsstörungen aufgeklärt werden.

3.2.4

Eine Einwilligung darf nur nach vorheriger Aufklärung gegeben werden, und das Einverständnis, Risiken einzugehen, muss begründet sein. Die Aufklärung des Patienten ist und bleibt das Ergebnis des individuellen Arzt-Patienten-Verhältnisses, bei dem ausschließlich die Besserung und das Wohlergehen des Betroffenen berücksichtigt werden dürfen.

3.2.5

Dieser Zugang zu individuellen Informationen ist eine unverzichtbare Etappe auf dem Weg zur Verringerung der bestehenden Ungleichheiten in Bezug auf die Gesundheitsbeschwerden, die Krankheit, die medizinische Betreuung sowie die Verbesserung des Zugangs zum Gesundheitssystem für alle Bürger.

Daten über den Gesundheitszustand der Patienten und die eingeleiteten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen mitsamt ihrem Ergebnis sollten in einer Krankenakte aufgezeichnet werden. Auch der Zugang zu dieser Akte — entweder unmittelbar durch den Patienten oder auf Wunsch über den Arzt seiner Wahl — ist Teil des Prozesses der Aufklärung und Autonomie. Bei allen Bemühungen im Hinblick auf mehr Information und Transparenz muss jedoch durch einen entsprechenden rechtlichen Rahmen sichergestellt bleiben, dass die Erfassung der Gesundheitsdaten nicht zweckfremd in Verwendung gelangt. Insbesondere bei der Verwendung elektronisch gespeicherter und teilweise auch über die Grenzen hinweg übermittelter Daten ist besondere Vorsicht geboten.

3.2.6

Die Informationen über das Gesundheitssystem müssen unbedingt weiterentwickelt werden, um sie nachvollziehbarer und transparenter zu machen. So können die — mit einer Vielzahl von Akteuren konfrontierten — Patienten je nachdem, was sie über das Gesundheitssystem wissen und wie gut sie es kennen, entweder in ihrer Autonomie gestärkt oder im Gegenteil völlig von ihrem Arzt abhängig werden. Es besteht dann die Gefahr, dass es von Seiten der Nutzer zu falsch adressierten Forderungen kommt.

3.3   Recht auf freie Einwilligung nach vorheriger Aufklärung

3.3.1

Hierbei geht darum, das Recht auf Teilhabe der Patienten an sie betreffenden Entscheidungen zu verbürgen. Dies soll nicht heißen, dass die Verantwortung von den Ärzten auf die Patienten übertragen werden soll, sondern dass ein Zusammenspiel zwischen beiden mit dem Ziel einer therapeutischen Allianz ins Auge gefasst wird, wobei jeder seine Funktion — mitsamt seinen Rechten und seiner Verantwortung — beibehält.

3.3.1.1

Das Einverständnis des Patienten gilt nicht automatisch für alle künftigen medizinischen Verrichtungen. Deshalb muss die Einwilligung des Patienten vor allen größeren ärztlichen Verrichtungen oder Eingriffen erneuert werden.

Der entsprechend aufgeklärte Patient muss seine ausdrückliche, d. h. unbeeinflusst geäußerte Zustimmung geben und kann das ihm vorgeschlagene Verfahren nach entsprechender Aufklärung akzeptieren oder ablehnen.

Im Falle der Organspende von einem lebenden Spender muss bei der Aufklärung über die Risiken besonders vorsichtig vorgegangen werden.

3.3.1.2

Was die Erprobung neuartiger Therapien betrifft, gelten die gleichen Grundsätze sowohl für das Einholen des Einverständnisses des Patienten mit den ärztlichen Leistungen als auch mit der Forschungstätigkeit als solcher. Es geht darum, die Freiheit des Patienten zu wahren, und die Grundsätze laufen auf das gleiche Ziel hinaus: geteilte Verantwortung und geteiltes Vertrauen.

3.3.1.3

Bei klinischen Tests ist sowohl für die gesunden als auch für die sonstigen Teilnehmer gleichermaßen ein besonderer pädagogischer Ansatz erforderlich. Solche Tests müssen genau festgelegten Kriterien entsprechen, kommen nur dann in Frage, wenn eine unmissverständliche Bereitschaft zum Mitmachen besteht, und setzen selbstverständlich eine komplette Einwilligung voraus.

3.3.1.4

In Notfällen sind bestimmte Abweichungen von dieser Regel denkbar, d. h. die Einwilligung wird zunächst vorausgesetzt und erst im Nachhinein bestätigt, wenn der Patient seine Urteilsfähigkeit wiedererlangt hat.

3.3.1.5

Die Patienten müssen die Möglichkeit haben, eine Person zu benennen, die sie vertritt, falls sie in der Folge nicht mehr in der Lage sein sollten, ihre Wünsche zum Ausdruck zu bringen.

3.3.1.6

Kinder oder minderjährige Patienten müssen, sobald sie eine gewisse Autonomie bzw. die nötige Urteilsfähigkeit erreicht haben, zu ärztlichen Routinebehandlungen befragt werden, da ein solches Vorgehen, das zu einer Gesundheitserziehung im Kindesalter beiträgt, bestimmte Situationen tendenziell entdramatisiert und die Mitarbeit der jungen Patienten verbessert.

3.4   Recht auf Würde

3.4.1

Unter diese Bezeichnung fallen das Recht auf Intimsphäre, das Recht auf Schmerzbehandlung, das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben, der Schutz der körperlichen Unversehrtheit, die Achtung des Privatlebens und der Grundsatz der Nichtdiskriminierung.

3.4.1.1

Jeder Bürger hat ein Recht darauf, dass die Informationen über seinen Gesundheitszustand sowie über Diagnose und Behandlung vertraulich behandelt werden und im Rahmen der Untersuchungen, Konsultationen, medizinischen Behandlungen und chirurgischen Eingriffe seine Intimsphäre gewahrt wird. Dieses Grundrecht schreibt vor, dass der Patient rücksichtsvoll behandelt werden muss und nicht Zielscheibe abwertender Bemerkungen oder Haltungen seitens der Angehörigen der Gesundheitsberufe sein darf.

3.4.1.2

Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit schwächen einen Menschen, und je schwächer er sich erlebt, desto weniger fühlt er sich imstande, ein Mindestmaß an Respekt ihm gegenüber einzufordern. Es ist daher Aufgabe der in den Gesundheitsberufen Tätigen, umso rücksichtsvoller zu sein, als die Betroffenen aufgrund ihrer Krankheit und/oder Behinderung besonders verletzlich sind.

3.4.1.3

Zur Achtung eines Menschen gehört es, dem Beratungsgespräch, dem Zuhören des Betroffenen sowie der Erklärung von Diagnose und Behandlung — ambulant wie stationär — Zeit zu widmen. Diese zeitliche Investition ermöglicht es, die therapeutische Allianz zu verstärken und an anderer Stelle Zeit zu gewinnen. Sich Zeit nehmen heißt, sorgsam zu sein.

3.4.1.4

Dies gilt umso mehr für Menschen, denen es bereits an sozialer Anerkennung mangelt: alte und sozial schwache Menschen, Menschen mit einer körperlichen, psychischen oder geistigen Behinderung usw.

3.4.1.5

In Situationen am Lebensende oder bei besonders schweren Behandlungen ist noch größere Umsicht geboten. Die Achtung des Menschen und sein Recht, in Würde zu sterben, setzen voraus, dass der Zugang zur Palliativpflege, mit der die Schmerzen erträglicher gemacht und die Lebensqualität ein Stück weit gewahrt werden soll, allen offen steht und das Recht des Patienten auf Respektierung seiner Entscheidungen bis zuletzt garantiert wird. Dafür sind insbesondere Vorkehrungen wie etwa die Benennung der Vertrauensperson erforderlich, um zu gewährleisten, dass der Patient diesen Willen zum Ausdruck bringen kann.

3.4.1.6

Die Schmerzbekämpfung anhand wirksamer Mittel, der Zugang zu Spezialkliniken, die Unterrichtung und Ausbildung in den Gesundheitsberufen sowie die Aufklärung der Patienten und ihrer Angehörigen müssen weiterentwickelt werden, denn dabei geht es um das Recht des Einzelnen auf eine Krankenversorgung, die darauf abzielt, ihm die Schmerzen zu nehmen.

3.4.1.7

Die Achtung eines Menschen endet nicht mit dessen Tod. Dies bedeutet, dass jedes Mal, wenn ein Patient im Krankenhaus stirbt, sowohl dessen Angehörige als auch das Gesundheitspersonal, das ihn bis zu Ende versorgt hat, psychologische Betreuung erhalten und der Wille und die Überzeugung des Verstorbenen strengstens respektiert werden.

3.5

Vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheit aus müssen einige weitere Individualrechte geltend gemacht werden, auf die das System reagieren muss:

3.5.1

Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle, d. h. nicht nur Zugang zu den Rechten und zum Sozialschutz, sondern zum gesamten Spektrum der Gesundheitsleistungen und -fachkräfte, ohne Diskriminierung aufgrund der sozialen oder wirtschaftlichen Situation der Betroffenen. Es geht nicht um eine Öffnung des Gesundheitsmarktes, sondern um eine proaktive Gesundheitspolitik, wobei sich die konkrete Umsetzung dieses Rechts — in Abhängigkeit der jeweiligen Zuständigkeiten und Finanzierungsarten — von Land zu Land unterscheidet.

3.5.2

Recht auf die Qualität der Gesundheitsversorgung: Jeder Mensch hat — unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustands — das Recht auf eine optimale medizinische Betreuung, die besten Behandlungsmöglichkeiten sowie Arzneimittel mit dem besten Kosten-Nutzen-Verhältnis (Förderung von Generika). Das Recht auf eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung beinhaltet auch den Anspruch auf Reihenvorsorgeuntersuchen und therapeutische Erziehung, was eine Investition an (finanziellen und sonstigen) Ressourcen erfordert, und setzt voraus, dass entsprechend ausgebildetes Gesundheitspersonal in ausreichender Anzahl zur Verfügung steht.

3.5.3

Recht auf Prävention und auf die Sicherheit der Gesundheitsversorgung: Die Bürger wollen ein Gesundheitssystem im Dienste des Einzelnen, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Sie wollen die ihnen vorgeschlagenen Behandlungsstrategien besser verstehen, an den individuellen und kollektiven Präventionsbemühungen mitwirken und Sorge dafür tragen, dass die gesellschaftlichen Entscheidungen, Verhaltensweisen und Verbrauchsmuster nicht gesundheitsschädlich sind.

4.   Empfehlungen für die Umsetzung von Patientenrechten

4.1

Die Verbürgung und Umsetzung dieser Rechte ist vielen Angehörigen der Gesundheitsberufe, Patienten, gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern und Nutzerverbänden ein Anliegen. Deshalb muss dringend von einem Gegeneinanderaufrechnen der Rechte der einen und der Pflichten der anderen abgegangen werden. Durch die Achtung der Patientenrechte werden zudem die Pflichten und Verantwortlichkeiten des Gesundheitspersonals mitgetragen und in ein neues Gleichgewicht gebracht.

4.1.1

Da die Ärzteschaft nun nicht mehr allein über die Zukunft der Menschen entscheidet, hat sie sich auch nicht mehr alleine zu verantworten.

4.2

Im Sinne des Allgemeinwohls ist es Teil der kollektiven Verantwortung, dem Gesundheitspersonal bei der Erfüllung dieser Erwartungen zu helfen, und zwar:

durch die Aufnahme der Dimension der Ethik sowie der Achtung des Menschen und seiner Rechte in ihre Ausbildung, damit sie die ihnen zugrunde liegende Dynamik und die Zusammenhänge verstehen und die Achtung der Patientenrechte nicht als zusätzliche Last erachten;

durch die Schaffung von Orten der Diskussion und der Begegnung zwischen den Angehörigen der Gesundheitsberufe untereinander sowie zwischen dem Gesundheitspersonal und den Patienten;

durch die Einführung neuer Möglichkeiten zur Aufklärung von Patienten, die alle Akteure des Gesundheitswesens auf den Plan ruft;

durch die Erarbeitung neuer pädagogischer Methoden der Einwilligung, die zu einer therapeutischen Allianz führen;

durch die Erarbeitung und Verbreitung neuer organisatorischer und pädagogischer Konzepte, durch die die psychische Belastung von Kindern in Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung und insbesondere einem Krankenhausaufenthalt so gering wie möglich gehalten werden kann;

durch die Einsetzung von Ausschüssen für klinische Ethik in den Gesundheitseinrichtungen, die es ermöglichen, das Gesundheitspersonal zu unterstützen und die Rechte der Kranken zu achten;

durch Aufnahme des Schutzes und der Förderung der Patientenrechte in Ethik- und Berufskodizes;

durch die Verbesserung der Nachvollziehbarkeit des Systems für die Nutzer, indem die Rolle des gesamten Gesundheitspersonals aufgewertet wird;

durch das Ersinnen neuer kollektiver Praxisformen, an denen Ärzte und andere Gesundheitsberufe teilhaben:

Gruppenpraxen, Gesundheitshäuser,

Verbindung zwischen medizinischem, medizinisch-sozialem und sozialem Gesundheitspersonal;

durch eine Neuausrichtung der Rolle von Krankenverbänden, Patienten, Verbrauchern, Familien und Bürgern:

Einbeziehung von Vertretern der Patienten in die Vertretungsgremien,

Anerkennung der Rolle bestimmter Verbände bei der therapeutischen Erziehung, der Prävention, der Aufklärung der Patienten usw.,

Herstellung einer Verbindung zwischen den Strukturen der Verbände und den Strukturen des Gesundheitspersonals usw.,

Bereitstellung von Mitteln für die Verbände, damit diese ihre Aktionen durchführen und sich Gehör verschaffen können (Ausbildung, Urlaub zur Teilnahme an Verbandsaktivitäten usw.),

Schaffung von neutralen und der Kommunikation dienlichen Bereichen in Krankenhäusern, die es den Patienten ermöglichen, ihre Anliegen zum Ausdruck zu bringen und sich mit der Unterstützung der Patientenverbände auf ihren Austausch mit dem Gesundheitspersonal vorzubereiten,

Einbeziehung sowohl der Gesundheitsberufe als auch der Verbände in die Prüfung der Beschwerden und die Festlegung von Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität der Krankenversorgung.

5.   Schlussfolgerung: hin zu einer Verbürgung der kollektiven Rechte

5.1

Die tatsächliche Durchsetzung der Individualrechte wird in großem Maße davon abhängen, welche kollektiven Antworten gegeben werden, um dieses Vorgehen zu unterstützen. Es ist deshalb notwendig, für die Umsetzung der „Gesundheitsdemokratie“ zu arbeiten, was die kollektive Mobilisierung der Nutzer und ihrer Vertretung an verschiedenen Stellen des Systems erfordert.

5.2

Die Patientenrechte sind lediglich ein Ausdruck der Menschenrechte unter mehreren, keinesfalls jedoch eine Kategorie für sich. In ihnen kommt zum Ausdruck, dass kein Patient eine Sonderstellung einnehmen und schon gar nicht am Rande der Gesellschaft stehen will.

5.2.1

Es ist festzustellen, dass die Patienten ihre Einstellungen zu den verschiedenen Behandlungen heute deutlicher vorbringen, auch weil sie heute besser informiert sind, und dabei von ihrer eigenen Erfahrung ausgehen.

5.3

Im Bemühen um die Transparenz der Verfahren und die Achtung der Individualität geht es folglich darum, die Rolle des Patienten in einem System von ihn betreffenden Entscheidungen neu zu überdenken.

5.4

Es geht nicht darum, in ein juristisch geprägtes Konsumverhalten zu verfallen, sondern anzuerkennen, dass der Patient die nötige Reife besitzt, um an Entscheidungen zu seiner Person auf der Grundlage der Achtung seiner Rechte teilzuhaben.

5.5

Den Patienten und ihren Vertretern Gehör zu verschaffen, ist umso notwendiger, als die gesundheitsbezogenen Fragen in andere Bereiche wie Produktionsverfahren, Lebensweisen, Arbeitsbedingungen, Umweltschutz u. a. hineinspielen. Es geht somit um gesellschaftliche, wirtschaftliche und ethische Entscheidungen, die nicht nur allein in den Verantwortungsbereich der Angehörigen der Gesundheitsberufe fallen.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Charta der Grundrechte der EU, vom Europarat verabschiedete Texte, Gesetz Nr. 2002-303 der Republik Frankreich vom 4. März 2002.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/72


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Nachhaltige Arbeitsproduktivität in Europa“

(2008/C 10/19)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu erarbeiten: „Nachhaltige Arbeitsproduktivität in Europa“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Juli 2007 an. Berichterstatterin war Frau KURKI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 155 Ja-Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die traditionellen Faktoren des Wirtschaftswachstums (wachsendes Arbeitskräfteangebot, Investitionen in Produktionsmittel sowie Hebung des Bildungsniveaus) müssen durch neue, wachstumsfördernde Elemente ergänzt werden. Zunächst gilt es, das Produktivitätswachstum im Vergleich zu heute zu beschleunigen. Zweitens muss der Arbeitskräfteschwund zumindest verlangsamt werden. Drittens muss die Attraktivität des Arbeitslebens gesteigert werden.

1.2

Nach Auffassung des Ausschusses ist es Aufgabe der Europäischen Union, die Bestrebungen aller Mitgliedstaaten und Unternehmen zur Hebung der nachhaltigen Produktivität zu unterstützen, ist diese doch ein wesentlicher Bestandteil der Lissabon-Strategie. Die Erkenntnis, dass die an den Arbeitsplätzen durchzuführenden qualitativen und sozialen Innovationen ganz wesentliche Auswirkungen auf den unternehmerischen Erfolg haben, muss aktiv propagiert werden. Der Ausschuss regt an, diesen Aspekt bei der Bewertung und der Erneuerung der wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Leitlinien zu beachten.

1.3

Der Ausschuss wiederholt seinen Vorschlag, einen europäischen Index für die Qualität des Arbeitslebens zu schaffen. Der Index soll auf forschungsbasierten Kriterien für „gute Arbeit“ (good work) fußen und regelmäßig ermittelt und veröffentlicht werden. Mit Hilfe eines solchen Index könnten Veränderungen und Fortschritte in der Qualität des europäischen Arbeitslebens sowie die Auswirkungen auf die Produktivität dargestellt werden. Zugleich wäre er eine Grundlage für Initiativen zur Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens.

1.4

Die Entwicklung eines europäischen Index für die Qualität des Arbeitslebens setzt die Gründung eines repräsentativen Forums voraus. Die fundierte, vielseitige Expertise des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses im Hinblick auf die aus dem Wandel der Arbeitswelt entstehenden Herausforderungen und deren Bewältigung wären ein gutes Fundament für solch ein Forum. In Abhängigkeit von ihrem Arbeitsprogramm könnte sich auch die Beobachtungsstelle „Beschäftigung“ dieses Themas annehmen.

1.5

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, weitere Untersuchungen über die Qualität des Arbeitslebens und über die Produktivität anzustellen. Die Einzelfaktoren der nachhaltigen Produktivität müssen gründlicher als heute ermittelt werden. In dieser Arbeit können die Einrichtungen der Union und die Mitgliedstaaten wirkungsvoller als bisher auf die Forschungen und Analysen der Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Dublin) sowie der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Bilbao) zurückgreifen.

1.6

Nach Auffassung des Ausschusses wäre es sinnvoll, bei den Innovations- und Bildungsinitiativen der EU (z. B. Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, Strukturfondsprogramme, integriertes Aktionsprogramm für lebenslanges Lernen) stärker auf Innovationen am Arbeitsplatz und neuartige berufliche Qualifikationen und Führungsmethoden abzustellen. Diesbezüglich kommt den Sozialpartnern eine besondere Verantwortung bei Planung, Umsetzung und Bewertung der Vorhaben zu.

1.7

Der Ausschuss regt an, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Beschäftigungsprogramme und ihrer Innovationspolitik Entwicklungsprogramme zur Verbesserung der Qualität der Arbeit und der Produktivität durchführen. In einigen Mitgliedstaaten gibt es nationale Produktivitätszentren und Institute zur Erforschung der Arbeit, die sich an solchen Vorhaben beteiligen könnten. In diesem Zusammenhang kommt den Sozialpartnern eine wichtige Rolle bei der Planung von Projekten und ihrer praktischen Durchführung zu.

1.8

Wesentlich ist, dass Gespräche und konkrete Initiativen zur nachhaltigen Produktivität in den diversen Foren in Europa, in den Mitgliedstaaten und in den Unternehmen weitergeführt werden. Der Ausschuss könnte einen profilierten Beitrag dazu leisten, indem er die Meinungen der Zivilgesellschaft zu dieser Angelegenheit artikuliert, insbesondere im Rahmen seiner wirtschafts-, arbeitsmarkt- und innovationspolitischen Stellungnahmen.

2.   Einleitung

2.1

Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und eine hohe Beschäftigungsquote sind für den Wohlstand in Europa ausschlaggebend. Ziel der Union ist die „nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ (1). Dieses Ziel kann durch ein beschleunigtes Produktivitätswachstum in allen Sektoren erreicht werden (2). Das Produktivitätswachstum kommt den Bürgern zugute, sofern es auf der qualitativen Verbesserung des Arbeitslebens beruht und mehr gute Arbeitsplätze schafft. Nachhaltiges Produktivitätswachstum kann ausgeglichene öffentliche Haushalte sowie ein nachhaltiges Angebot von Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen für die alternde Bevölkerung sicherstellen. Dadurch entstehen zugleich auch neue, hochwertige Arbeitsplätze. So unterstützt das nachhaltige Produktivitätswachstum die wirtschaftlichen, sozialen und umweltpolitischen Ziele der Lissabon-Strategie.

2.2

In der Nachkriegszeit war in Europa ein gleichmäßiger Anstieg der Arbeitsproduktivität zu verzeichnen. Noch gegen Ende der 60er Jahre konnte ein durchschnittlicher jährlicher Zuwachs pro Arbeitsstunde von ca. 5 % verbucht werden. Seit den 80er Jahren verlangsamte sich das Wachstum, seit Beginn des neuen Jahrtausends kommt es nicht mehr über jährliche 1-2 % hinaus. Die Veränderung der durchschnittlichen Wachstumsrate der EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren erklärt sich durch einige Faktoren, die in verschiedene Richtungen wirken. Durch den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten, in denen die Produktivität von einer niedrigeren Basis als in den alten Mitgliedstaaten ausging, hat sich das Produktivitätswachstum im europäischen Durchschnitt verbessert. Seit 1995 gibt es in ganz Europa jedoch immer mehr Arbeitsplätze mit niedriger Produktivität. Dazu gehören unter anderem Niedriglohnarbeitsplätze im Dienstleistungssektor, in denen keine hohen Anforderungen an die berufliche Qualifikation gestellt werden, sowie Arbeitsplätze mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Diese Entwicklung schlägt sich ihrerseits in einem langsameren Produktivitätswachstum nieder (3).

2.3

Innerhalb der Industrie konnten die technologiedominierten Branchen das schnellste Produktionswachstum verzeichnen. Der Anteil dieser Branchen an der gesamten Industrie ist allerdings klein, und darin erblickt die Kommission ein Anzeichen künftiger Probleme. Je größer ihr Anteil an der Wertschöpfung ist, desto stärker tragen sie zur gesamtwirtschaftlichen Steigerung der Produktivität und der Realeinkommen bei. Diese Branchen sind — auch grenzübergreifend — führend bei Investitionen sowie bei der Erneuerung und Verbreitung des technischen Könnens (4).

2.4

In den letzten Jahren hat sich das schwache Wachstum in den privaten und öffentlichen Dienstleistungsbranchen als ernsthaftes Problem erwiesen. Bei der Beurteilung dieses Sachverhalts ist jedoch zu bedenken, dass sich in diesen Branchen die Produktivität kaum oder gar nicht mit denselben Indikatoren erfassen lässt wie in der Industrie. Obwohl im Dienstleistungsbereich immer stärker auf verschiedene Innovationen, wie beispielsweise die Informations- und Kommunikationstechnik, gesetzt wird, schlägt sich dies nicht als Wachstum in den Produktivitätsstatistiken nieder. Die typischen Innovationen in den Dienstleistungsbranchen entstehen eher durch die Anschaffung von Technik (Informations- und Kommunikationstechnik, organisatorische Veränderungen, Humankapital) als durch direkte Investitionen der Dienstleistungsunternehmen in FuE-Aktivitäten (5). Deshalb verleiten rein mechanische Aufrechnungen bei den Produktivitätsvergleichen, die dem Wesen der Bereiche nicht gerecht werden, zu falschen Schlussfolgerungen. Dies gilt nicht zuletzt für öffentliche Dienstleistungen, die bei ihren Produktivitätswachstumszielen auch gesellschaftspolitische Zielsetzungen und das Erfordernis, für Innovationen und Produktivitätswachstum ein günstiges Handlungsumfeld zu schaffen, im Auge behalten müssen.

2.5

Eine höhere Beschäftigung und eine Steigerung der Arbeitsproduktivität schließen einander nicht aus. Ganz im Gegenteil, gemeinsam tragen sie zur Förderung der mit der Lissabon-Strategie verfolgten Zielsetzungen bei, bei der es darum geht, mehr qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen. Der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zufolge ist Arbeitsproduktivität die wirtschaftliche Grundlage für menschenwürdige Arbeit (6). Ein nachhaltiges Produktivitätswachstum und eine Verbesserung der Beschäftigung vermindern auf „gesunde“ Weise den Anteil der Schattenwirtschaft an der Gesamtwirtschaft.

2.6

Das Wirtschaftsgefüge in den Mitgliedstaaten der EU befindet sich im Wandel: Immer stärker wird geistiges anstatt materielles Kapital zum Schwerpunkt der Produktionsfaktoren. Nach Einschätzung der Kommission hat die Nachfrage nach Arbeitskraft in der EU bereits einen Wandel erfahren: Traditionelle Berufskenntnisse werden nunmehr immer weniger gefordert, wohingegen hoch qualifizierte Arbeitskräfte hoch im Kurs stehen. Dieses Phänomen ist eher auf den Wandel der Arbeit selbst als auf Verschiebungen in der branchenspezifischen Verteilung der Beschäftigung zurückzuführen. In den Jahren 1995-2000 gingen mehr als zwei Drittel aller neuen Arbeitsplätze auf das Konto neu entstehender Arbeitsplätze in wissensdominierten Wachstumsbranchen, die hohe oder mittlere berufliche Qualifikationen erfordern. Zudem entstand durch diesen Prozess auch ein besonders hoher Anteil der neuen Arbeitsplätze für Geringerqualifizierte (7). Im Dienstleistungsbereich wurden insbesondere durch Unternehmensdienstleistungen neue Arbeitsplätze geschaffen; ihnen wird in der Zukunft eine große Bedeutung bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Kompensierung der im produzierenden Gewerbe weggefallenen und wegrationalisierten Arbeitsplätze zukommen (8).

2.7

Der Einzelne profitiert von einem nachhaltigen Produktivitätswachstum dahingehend, dass der Arbeitsplatz sicherer und die Entfaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz besser werden und die Chance auf ein höheres Einkommensniveau besteht. Dies verbessert die berufliche Kompetenz der Arbeitnehmer und ihre Beschäftigungsfähigkeit in einem sich ändernden Umfeld.

2.8

Für die Unternehmen ist die Steigerung der eigenen Arbeitsproduktivität eine Existenzbedingung, bietet sie doch die Gewähr für die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Da die Weltmärkte weitestgehend die Preise diktieren und durch herkömmliche Maschinen- oder Anlageinvestitionen die Produktivität nicht unbegrenzt gesteigert werden kann, muss die Produktivität durch andere „Stellschrauben“ beeinflusst werden. Für die Unternehmen bedeutet die Verbesserung des Produktivitätswachstums eine Verlangsamung der Kostenentwicklung, verbesserter Preiswettbewerb, verbesserte Lohnzahlungsfähigkeit, sicherere (und damit auch begehrtere) Arbeitsplätze; Arbeitsaufgaben und Organisation entwickeln sich und den Kunden kann gesteigerter Mehrwert bei geringerem Ressourceneinsatz geboten werden; die Rentabilität verbessert sich, Wachstum und Erhalt der Marktposition werden gewährleistet und dadurch auch die Voraussetzungen für die Entwicklung der Geschäftstätigkeiten und für Investitionen gelegt.

2.9

Traditionell war das Wirtschaftswachstum in Europa durch ein wachsendes Arbeitskräfteangebot, durch den Umfang der in Produktionsmittel investierten Kapitalströme sowie durch die Hebung des Bildungsniveaus bestimmt. Dieses Modell funktioniert nicht mehr so gut, wie es sollte. Das Arbeitskräfteangebot wächst nicht mehr, es schrumpft. Die Bereitschaft der Unternehmen zu Investitionen in Realkapital ist gesunken. Arbeit hat einen Wandel erfahren: Sie ist weniger arbeitskräfte- und stärker kapitaldefiniert, und das Humankapital gewinnt immer stärker an Bedeutung. Geringere Qualifikationen erfordernde, ausführende Arbeit wird immer stärker durch Expertenarbeit, die eine Spezialausbildung erfordert, abgelöst. Lediglich in Grundbildung zu investieren, bringt nicht mehr die großen Produktivitätsgewinne wie in der Vergangenheit.

2.10

Das Wirtschaftswachstum ist in einigen Mitgliedstaaten überdies durch steuerliche Maßnahmen (z. B. Senkung der Körperschafts- und Einkommensteuern) und durch den privaten Verbrauch (z. B. Zinspolitik, Besteuerung) angekurbelt worden. Aber auch diese Wachstumsfaktoren haben ihre Grenzen und sind immer auch unter dem Aspekt des Steuerwettbewerbs und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Infrastruktur zu betrachten.

2.11

Die oben erwähnten Wachstumsfaktoren müssen durch neue, wachstumsfördernde Elemente ergänzt werden. Zu den materiellen Erfolgsfaktoren haben sich immaterielle Faktoren gesellt, insbesondere die Fähigkeit der Unternehmensleitung, die Arbeitnehmer zu motivieren oder sie ihren Fähigkeiten gemäß optimal einzusetzen.

2.11.1

Zunächst gilt es, das Produktivitätswachstum der Unternehmen im Vergleich zu heute zu beschleunigen. Dies setzt eine Politik voraus, die für nachhaltiges Wachstum und Innovationen der Unternehmen sowie für einen gesunden Wettbewerb sorgt. Dies ist der einzige Weg zur Vergrößerung des gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraums.

2.11.2

Zweitens muss der Arbeitskräfteschwund zumindest verlangsamt werden, da in etlichen Mitgliedsländern in den kommenden 10 Jahren ca. 15 % der Arbeitskräfte ausscheiden werden. Der Beschäftigungsgrad muss auf einem hohen Niveau gehalten werden, unter anderem durch die Beschäftigungspolitik, qualifizierte Zuwanderung und Integration, Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gleichstellungsmaßnahmen sowie durch die Erneuerung der Rentensysteme. Die qualitative Verbesserung des Arbeitslebens, wie etwa die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und -motivation, ist eine Schlüsselmaßnahme zur Verzögerung des tatsächlichen Renteneintritts.

2.11.3

Drittens muss die Attraktivität des Arbeitslebens gesteigert werden. Der Anteil der 40- bis 54-jährigen Arbeitnehmer an der berufstätigen Bevölkerung ist groß, und dies ist eine erhebliche Herausforderung für die Politik. Zugleich ist es außerordentlich wichtig, den Schulabbruch Jugendlicher zu verhindern und sie in das Arbeitsleben zu integrieren. Die Qualität der Arbeit und die Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte muss dahingehend verbessert werden, dass aus neuen Technologien, Innovationen sowie Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten mehr Nutzen als bisher gezogen werden kann.

2.12

Der Europäische Rat hat konsequent die Notwendigkeit von Investitionen zur Verbesserung der Qualität der Arbeit betont, was unter anderem mit Hilfe von Qualitätsindikatoren geschehen soll (9). Unter finnischem Ratsvorsitz wurde eine Debatte über die Bedeutung der Produktivität für die Lissabon-Strategie eingeleitet. Finnland ersuchte den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Stellungnahme zum Thema „Qualität des Arbeitslebens, Produktivität und Beschäftigung im Kontext von Globalisierung und demographischem Wandel“ (10). Diese Stellungnahme wurde vom Ausschuss im September 2006 verabschiedet.

2.13

Der deutsche Ratsvorsitz führte die Debatte über die Qualität des Arbeitslebens fort. In der auf dem Ministertreffen erörterten „guten Arbeit“ konkretisiert sich das Bestreben der Lissabon-Strategie zur Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen (11). Auf dem informellen Treffen der Arbeits- und Sozialminister in Berlin im Januar 2007 betonten Deutschland, Portugal und Slowenien in ihren Schlussfolgerungen gemeinsam, wie wichtig die Förderung der „guten Arbeit“ sei (12). In seinen Schlussfolgerungen vom 8./9. März hebt der Europäische Rat die Bedeutung „guter Arbeit“ für die Entwicklung der Beschäftigung in den Mitgliedstaaten und die Stärkung des europäischen Sozialmodells hervor. Zu den Prinzipien, die der „guten Arbeit“ zugrunde liegen, zählt der Europäische Rat Arbeitnehmerrechte und -mitwirkung, Chancengleichheit, Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sowie eine familienfreundliche Arbeitsorganisation (13).

2.14

In den europäischen Programmen wird auf vielfältige Weise der Entwicklung des Arbeitslebens und den Anpassungsmöglichkeiten der Arbeitsplätze an den Wandel Rechnung getragen. Dabei handelt es sich leider zumeist nur um isolierte Vorschläge, denn diesen Maßnahmen liegt kein zentraler Ausgangspunkt zugrunde. Zudem findet nur eine schwache Koordinierung zwischen den Programmen statt, weshalb mögliche Fortschritte — oder eine Stagnation — bei Themen rund um die nachhaltige Arbeitsproduktivität unbeachtet bleiben.

2.15

Die zentrale Frage ist, wie das Produktivitätswachstum der Unternehmen so beschleunigt werden kann, dass es die persönlichen und kollektiven Ressourcen der Arbeitnehmer stärkt und zugleich einen Beitrag dazu leistet, ihre Arbeitsfähigkeit und ihre Arbeitsmotivation in den verschiedenen Situationen des Wandels beizubehalten.

3.   Nachhaltiges Produktivitätswachstum als Erfolgsfaktor

3.1

Bei der Analyse von Produktivität und Beschäftigung ist zwischen kurz- und langfristigen Auswirkungen zu unterscheiden. Bei kurzfristiger Betrachtung mag es eine negative Korrelation von Produktivitätswachstum und Beschäftigung geben. Der Wandel der industriellen Strukturen scheint das durchschnittliche Wachstum der Arbeitsproduktivität positiv und die Beschäftigungsquote negativ zu beeinflussen (14). In dieser Situation ist die Beschäftigungspolitik besonders gefragt, da ein Teil der Arbeitnehmerschaft über veraltete Qualifikationen verfügt und somit von Arbeitslosigkeit bedroht ist. Damit die Qualifikationen und Fähigkeiten möglichst vieler Arbeitskräfte flexibel genutzt werden können, sind neuartige Formen der Absicherung gegen Entlassung und Arbeitslosigkeit gefragt. Der Ausschuss hat in seiner Stellungnahme zu den Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen Vorschläge für stringentere politische Maßnahmen unterbreitet (15).

3.2

Langfristig gesehen kann eine steigende Arbeitsproduktivität aber auch die Beschäftigungsquote heben. Besonders die Synergie zwischen Technologie und bestimmten Qualitätsfaktoren der Arbeit nimmt zu, was für Arbeitsplätze sorgt und die Beschäftigung verbessert. Dieser Zusammenhang ist aber kein automatischer, sondern er hängt von der Fähigkeit der Wirtschaft zum arbeitskräfteintensiven Wachstum und der langfristigen Erhöhung des Produktivitätswachstums ab, wobei sowohl die Qualität der Arbeit als auch die Arbeitszufriedenheit mit hinein spielen (16).

3.3

Produktivitätswachstum kann auf vielen verschiedenen Wegen angestrebt werden. Besonders einige börsennotierte Unternehmen operieren mit einem kurzfristig ausgerichteten Begriff der Wettbewerbsfähigkeit, der sich an Quartalsergebnissen und Kosten orientiert. Für die Arbeitsplätze hat die Logik der schnellen Gewinne zur Folge, dass Produktiv-Investitionen unterbleiben und das berufliche Können der Belegschaft beziehungsweise ihre Arbeitsfähigkeit keinen hohen Stellenwert genießen. Zuweilen reichen die wirtschaftlichen Kräfte des Unternehmens dafür aber auch nicht aus. Oft liegen die Vergütungs- und Beschäftigungsbedingungen auch nur auf der Höhe der Mindestanforderungen. Eine solche Vorgehensweise hat gravierende und langfristige soziale Folgen. Für die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas birgt eine solche Entwicklung Risiken. Europa kann den Wettbewerb nicht durch geringproduktive Arbeit sowie durch schlechte und schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse für sich entscheiden.

3.4

Traditionell wurde die Produktionskapazität durch die Modernisierung der Produktionsverfahren und die bessere Ausrichtung der Produktionsorganisation auf die Nachfrage gesteigert. Es wurde in Maschinen und Anlagen investiert. So konnte die Gesamtproduktivität erhöht werden. Produktivität kann in kleinen Schritten durch Rationalisierung und Optimierung der Prozesse sowie durch intelligenter erbrachte Produkte und Dienstleistungen gesteigert werden. Dies reicht aber nicht aus, wenn die Kooperation am Arbeitsplatz nicht gelingt, die Arbeitnehmer keine Arbeitsmotivation verspüren oder es in der Arbeitsumgebung Faktoren gibt, die ihre Arbeit hemmen.

3.5

Soll das Wirtschaftswachstum aufrechterhalten werden, sind tief greifende strukturelle Erneuerungen erforderlich. Durch plötzliche strategische Kursänderungen, die im Unternehmen für umfassende Umwälzungen sorgen und die es auf eine neue Wachstumsbahn bringen, kann die Produktivität schnell nach oben getrieben werden. Unausweichlich werden dabei die Arbeitsplätze, an denen überholte berufliche Qualifikationen gefordert sind, zerstört. Zugleich entstehen dadurch aber auch neue und oftmals qualitätsmäßig bessere Arbeitsplätze. Sich erneuernde Unternehmen schaffen neue Produkte und neue Wertschöpfungsketten. Die Schlüsselfaktoren in diesem Prozess heißen Geschwindigkeit, Innovation, Wandlungsfähigkeit und die Mitnahme der Mitarbeiter in diesem Prozess. Der EWSA und seine Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) befassen sich in ihren Arbeiten aktiv mit der Analyse des industriellen Wandels, der Schaffung von Innovationen und der Technologienutzung (17). Der Ausschuss hat auf die innovationsfördernde Wirkung der internen Flexibilität hingewiesen (18).

3.6

Produktivität kann als ein Aspekt der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens aufgefasst werden. Leistungsfähigkeit hat eine externe und eine unternehmensinterne Dimension. Externe Leistungsfähigkeit ist die Fähigkeit des Unternehmens, in der umgebenden Gesellschaft zu bestehen. Am deutlichsten tritt die Produktivität jedoch als betriebsinterne Eigenschaft zu Tage, die sogar auf Einzelpersonen, die einzelne Maschine oder die einzelne Produktionseinheit bezogen werden kann (19).

3.7

Interne Aspekte der Unternehmensleistungsfähigkeit sind Innovation und Produktivität. Diese wiederum setzen Qualifikationen und Know-how, Mitarbeiterzufriedenheit, Veränderungsbereitschaft und Technologie voraus. Aus ihnen resultieren Qualität und Kosteneffizienz. Externe Aspekte sind Wettbewerbsfähigkeit, Kundenzufriedenheit und Marktanteile, aus denen Liquidität, Rentabilität und finanzielle Solidität resultieren (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Elemente der Leistungsfähigkeit von Unternehmen und ihr Zusammenhang

Image

3.8

Die verschiedenen Aspekte beeinflussen einander nach Art einer Spirale. So drückt sich ein Produktivitätswachstum im Sinken der Stückkosten aus, woraus ein Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit resultiert: Das Unternehmen hat Erfolg am Markt und die Rentabilität steigt. Dabei akkumuliert das Unternehmen Mittel, die unter anderem in Bildungsmaßnahmen, Produktionsmittel und Führungshilfsmittel investiert werden können, also in die Voraussetzungen für eine Verbesserung der Produktivität. In diesem Fall kann von einer steigenden Produktivitätsspirale gesprochen werden. Dem entsprechend kann es auch zu einer Spirale nachlassender Produktivität kommen.

3.9

Nachhaltige Produktivität ist somit als ein Konzept zu betrachten, das über die bloße Rentabilitätsmessung oder die ausschließliche Begrenzung auf die Überprüfung der Arbeitsproduktivität hinausgeht. Auf Unternehmensebene ist Produktivität ein Maß dafür, inwieweit es einem Unternehmen gelingt, verschiedene Produktionsfaktoren zum Zweck der verbesserten Effizienz und der Wettbewerbsfähigkeit auf den Märkten zusammenzuführen. Nachhaltige Produktivität umfasst das physische und auch das psychosoziale Arbeitsumfeld, in dem Effizienz, Kreativität und Innovationstätigkeit gedeihen (20).

3.10

Die Innovationsfähigkeit des Unternehmens und seiner Mitarbeiter zeigt sich als Fähigkeit, Produkt- oder Dienstleistungskonzepte zu entwickeln oder zu erneuern, die dem Kunden Mehrwert bringen. Innovationsfähigkeit ist außerdem das Vermögen zur kontinuierlichen Weiterentwicklung von Handlungs-, Produktions- und Logistikprozessen gemeinsam mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Eine Innovation kann demnach ein Werkzeug, ein Gerät, eine Maschine oder eine Kombination davon, ein Dienstleistungsmodell, eine neue Lösung für eine alte Aufgabe oder ein neuartiger Problemlösungsansatz sein. Wandlungsfähigkeit ist der Schlüssel zur Produktivität.

3.11

Anhand ihrer Innovationsfähigkeit können Organisationen verschiedenen Entwicklungsstufen zugeordnet werden. Über den Lernprozess können sie ihre Innovationsfähigkeit bewusst entwickeln und höhere Entwicklungsstufen erreichen. Je fortschrittlicher die Praktiken einer Organisation bei der Anwendung ihrer Innovationstätigkeit, desto besser ihre Fähigkeit zur Umsetzung von Innovationen (21).

3.12

Die Produktivität nachhaltig zu steigern bedeutet, dass Unternehmen und Organisationen Vorkehrungen für die Unwägbarkeiten der Zukunft treffen, indem sie den Wandel antizipieren und ihm unverzüglich und flexibel entgegen treten. In solchen Unternehmen ist das ganze Personal der kontinuierlichen Entwicklung von Fähigkeiten verpflichtet; das Wohlergehen der Mitarbeiter genießt einen hohen Stellenwert, und die Mitarbeiter sind an den Entscheidungen über ihre Arbeit aktiv mit beteiligt. Auf Seiten der Arbeitnehmer besteht die Bereitschaft und das Engagement, ihren Einsatz und ihr Können zum Wohle des Unternehmens einzubringen. Führung beruht auf gegenseitigem Respekt und Kooperation, nicht auf der Dominanz über die Mitarbeiter. Führung gestattet die Zusammenarbeit mit den Kunden, mit dem Unternehmensnetz der eigenen Branche und mit Forschungseinrichtungen.

3.13

Künftig wird die Kernfrage in Bezug auf das Produktivitätswachstum und seine Steigerung sein, inwieweit am Arbeitsplatz technische Innovationen und die sie begleitenden geschäftlichen, organisatorischen und sonstigen sozialen Neuerungen in der Arbeitswelt generiert und umgesetzt werden können. Ein so erzieltes Produktivitätswachstum ist nachhaltig. Es hat eine doppelte Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum: Einerseits wird die Produktivität von Arbeitsplätzen/Unternehmen langfristig verbessert, andererseits wird sich das Arbeitskräfteangebot vergrößern, wenn die Möglichkeiten und die Bereitschaft der Mitarbeiter zum längeren Verbleib im Arbeitsleben zunimmt.

4.   Nachhaltige Produktivität im Arbeitsleben

4.1

In einer Untersuchung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (22) werden die Verbindungen zwischen der Qualität des Arbeitslebens und der Produktivität näher beleuchtet. Zentrales Untersuchungsergebnis ist, dass sich der Erfolg eines Unternehmens im derzeitigen scharfen Wettbewerbsklima nicht mehr ausschließlich durch betriebswirtschaftliche Kennzahlen ausdrücken lässt.

4.2

Der erwähnten Untersuchung zufolge sind Faktoren wie Kundenzufriedenheit, Optimierung betriebsinterner Beziehungen, Innovationsfähigkeit und flexible organisatorische Strukturen immer wichtiger. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass es eine enge Beziehung zwischen gutem Arbeitsumfeld und wirtschaftlichem Erfolg eines Unternehmens gibt. Die Qualität des Arbeitslebens wirkt sich stark auf die Produktivität und die Rentabilität aus.

4.3

Das Produktivitätswachstum, das in Europa in den letzten Jahren erzielt wurde, kann keineswegs als qualitativ nachhaltig bezeichnet werden. In den Unternehmen gibt es immer noch zu wenig Wissen und praktische Vorkehrungen, um die Qualität des Arbeitslebens zu verbessern und die diesbezüglichen positiven Auswirkungen zu erkennen. Einer Untersuchung der Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zufolge sind in Bezug auf die Qualität des Arbeitslebens insgesamt und im Schnitt keine großen Änderungen weder in die eine noch die andere Richtung zu verzeichnen (23). Aufgrund von Analysen und Vergleichen der Mitgliedstaaten sind für die Arbeitszufriedenheit die Sicherheit des Arbeitsplatzes, eine positive Atmosphäre am Arbeitsplatz und gute berufliche Weiterbildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten ausschlaggebend. Die Arbeit selbst hat sich — schneller als man dies für möglich gehalten hätte — verändert und ist immer stärker wissens- und technologiebasiert; außerdem gibt es einen starken Trend zu immer größerer Kundenausrichtung.

4.4

Aus der erwähnten Untersuchung geht hervor, dass im Bereich der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie nur sehr geringe Fortschritte zu verzeichnen sind. Individuelle, flexible Arbeitszeiten haben sich nicht durchgesetzt. Auch wenn sich der gesundheitliche Schutz am Arbeitsplatz verbessert hat, sind immer noch 35 % der Arbeitnehmer der Auffassung, dass ihre Gesundheit und ihre Sicherheit am Arbeitsplatz gefährdet sind. Die Arbeitsintensität nimmt zu, und immer mehr Arbeitnehmer arbeiten unter hohem Zeitdruck und nach strikten Terminvorgaben. Auch wenn eigenständiges Arbeiten gefordert wird, hat der Grad an Autonomie in der Arbeit nicht zugenommen. Die Arbeit wird mehrheitlich als eine Bereicherung und als Quelle neuer Herausforderungen empfunden. Der Zugang zu Personalschulungsmaßnahmen hat sich nicht verbessert. Gerade für ältere und weniger gebildete Arbeitnehmer gestaltet sich der Zugang zu Schulungsmaßnahmen schwierig. Eine der bedeutendsten Veränderungen am Arbeitsplatz ist die verstärkte Nutzung der Informationstechnologie (24).

4.5

In der Zukunft dürfte der Mangel an Fachkräften die Voraussetzungen für das Produktivitätswachstum beeinträchtigen. Allerdings muss dabei auch bedacht werden, dass die Arbeitsplätze der Zukunft und das dafür nötige Anforderungsprofil anders aussehen werden als heute. Zudem dürften neue Modelle der Arbeitsorganisation und ein effizienterer Technologieeinsatz den Arbeitskräftebedarf senken. Viele Unternehmen agieren europaweit vernetzt und die Arbeitnehmermobilität zwischen den Mitgliedstaaten nimmt zu. Daher hat der Ausschuss angeregt, dass sich die Mitgliedstaaten ungeachtet der Unterschiede zwischen ihren Bildungssystemen als europäischen „Bildungsraum“ begreifen und in der Entwicklung des Arbeitslebens die europäische Dimension wahrnehmen sollten (25).

4.6

Es sollte daher genau darüber nachgedacht werden, welche Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt von morgen sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Sektor gefordert werden. Ferner sind Überlegungen darüber anzustellen, wie die Aspekte der Qualität und der Produktivität des Arbeitslebens in der allgemeinen und beruflichen Bildung berücksichtigt werden können. Der Aufbau der berufsbildenden und universitären Ausbildungsgänge, ihr Inhalt und ihre Didaktik sowie die Ziele des lebenslangen Lernens müssen vor diesem Hintergrund geplant und umgesetzt werden. Wichtig ist, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen gewährleistet werden. Bei diesen Überlegungen und bei der Umsetzung dieser Maßnahmen kommt den Sozialpartnern eine ganz zentrale Rolle zu. Die europäischen Sozialpartner haben ein gutes Fundament erarbeitet, indem sie die zentralen Faktoren des lebenslangen Lernens und einzelstaatliche Vorgehensweisen evaluiert haben (26).

4.7

Qualifikationsdefizite gibt es oftmals aber nicht nur bei den messbaren Fähigkeiten. In der Arbeitswelt von morgen werden neben den grundlegenden Fertigkeiten zu den wichtigsten Qualifikationen beispielsweise gehören: interaktive Fähigkeiten, autonomes Arbeiten, Lernfähigkeit und die Fähigkeit, neues Wissen zu erwerben, das Erkennen wesentlicher Informationen in der komplexen Informationsflut, die Fähigkeit zur Arbeit in multikulturellen Umfeldern oder in Netzen. In einem solchen Umfeld erweisen sich Schulabbrecher und Jugendliche mit schlechten Qualifikationen als ein besonderes Problem.

4.8

Bei den Unternehmensleitungen sind Fähigkeitslücken besonders im Bereich der strategischen Geschäftslenkung und im Innovationsmanagement auszumachen. Das Personalwesen sollte als strategischer Teilbereich des Managements betrachtet werden. Solche Fähigkeiten könnten zu einem Katalysator eigener Art für das Wirtschaftswachstum werden.

5.   Förderung der nachhaltigen Produktivität

5.1   Maßnahmen in Politik und Praxis

5.1.1

Die Chancen, die ein nachhaltiges Produktivitätswachstum bietet, können von den kleinen und mittelgroßen Unternehmen genutzt werden, eröffnen sich aber auch Großunternehmen mit ihren Zulieferernetzen. Ferner könnte sie Dienstleistungsorganisationen im öffentlichen und im Drittsektor zugute kommen, bei denen der Bedarf und der Wille vorhanden sind, die Produktivität nachhaltig und qualitativ zu verbessern und sicherzustellen, dass auch künftig hoch qualifizierte Arbeitnehmer zur Verfügung stehen.

5.1.2

Das nachhaltige Produktivitätswachstum kann über politische Maßnahmen gefördert werden, die die ganze Gesellschaft, Unternehmen, öffentliche Organisationen und Arbeitsplätze sowie Individuen erfassen. Gesellschaftliche Veränderungen, die beispielsweise Bildung, Arbeitsbeziehungen, Arbeitsschutz, Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, betriebliche Gesundheitsfürsorge, berufliche Bildung, Rentenansprüche, Verbleib im Beruf und Verrentungsmöglichkeiten betreffen, sind wegen ihrer großen Gesellschaftsrelevanz langfristig wichtig. Hier könnten über die Rechtsetzung Anreize für gute Maßnahmen geschaffen werden. Maßnahmen zur Verbesserung des Wohlbefindens am Arbeitsplatz mögen wiederum auf Ebene des einzelnen Arbeitnehmers rasch eine Wirkung entfalten, aber sie sind für sich genommen unzureichend und ihre Gesamtwirkung im Arbeitsleben könnte bescheiden ausfallen.

5.1.3

Nachhaltiges Produktivitätswachstum ist am besten durch die Beeinflussung der Praxis in den Unternehmen und an den Arbeitsplätzen zu erreichen; dabei sollten stärker als bislang die individuellen und kollektiven Ressourcen der Arbeitnehmer sowie die Innovationsfähigkeit unterstützt und gestärkt werden. Hier kommt den Sozialpartnern eine besondere Rolle zu.

5.1.3.1

Auf europäischer Ebene haben sich die Sozialpartner in ihrem neuen Arbeitsprogramm 2006-2008 auf gemeinsame Analysen der zentralen Herausforderungen für die europäischen Arbeitsmärkte geeinigt (unter anderem Förderung des lebenslangen Lernens, Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsförderung) (27). Auf nationaler Ebene gründeten beispielsweise die Zentralverbände der finnischen Sozialpartner Anfang 2007 einen „Runden Tisch der Produktivität“ zur Förderung der Produktivität, der Qualität des Arbeitslebens und der Produktivitätszusammenarbeit. An diesem runden Tisch beteiligen sich die Spitzenvertreter aller Zentralverbände der Sozialpartner. In einigen Mitgliedstaaten haben die Sozialpartner auch aktiv an den nationalen Programmen zur Unternehmensentwicklung mitgewirkt. Richtungsweisende Unternehmensbeispiele finden sich in allen Mitgliedstaaten (28).

5.1.4

In einigen Fällen haben umweltrechtliche Änderungen einen Innovationsbedarf ausgelöst. So hat z. B. das Verbot von Asbest bewirkt, dass nach Ersatztechnologien geforscht werden muss, strengere Lärmvorschriften haben dazu geführt, dass technische Geräte mit geringeren Geräuschemissionen entwickelt werden, energietechnologische Erfordernisse haben neue Anlagen hervorgebracht, und die Notwendigkeit der Gebäudeisolierung resultiert in neuen Materialien. So hat die Rechtslage die Maßnahmen der Unternehmen flankiert und sie zu Innovationen angespornt.

5.1.5

In den Mitgliedstaaten sind verschiedene wirtschaftliche Maßnahmen eingesetzt worden, mit denen die Qualität der Arbeitsverhältnisse verbessert oder Unternehmen gefördert werden, die auf innovative Modelle der Arbeitsorganisation setzen. Eingesetzt werden unter anderem öffentliche Fördermittel und Hilfen sowie Finanzierungen (günstige Bankdarlehen). Als Beispiele seien die nationale irische Arbeitsplatzstrategie, die deutsche „Initiative Neue Qualität der Arbeit“ (INQA) und die finnische Strategie zur Entwicklung des Arbeitslebens genannt, in denen immer die Initiative des Staates und die öffentliche Finanzierung sehr wichtig sind (29). Der große Vorteil von Programmen dieser Art ist, dass die Entwicklungsarbeit am Arbeitsplatz erfolgt. Ihr zentrales Element ist die starke Anbindung der politischen Ebene an die Programme sowie die Motivation der Unternehmen und der Arbeitnehmer für diese Entwicklungsvorhaben.

5.2   Europäischer Index für Arbeitsqualität

5.2.1

Damit es Europa gelingt, eine Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung zu finden und die Zielsetzungen der Lissabon-Strategie zu erfüllen, müssen die Verbesserung der Qualität der Arbeit in den Mitgliedstaaten und auf europäischer Ebene sowie ihre Implikationen für die Verbesserung der Produktivität verfolgt werden. Der Ausschuss hatte bereits früher angeregt, einen europäischen Index für die Arbeitsqualität zu entwickeln, der sich aus verschiedenen Kriterien für „gute Arbeit“ auf der Basis einschlägiger Studien zusammensetzt und regelmäßig erhoben und veröffentlicht wird (30). Ein solcher Index könnte dazu beitragen, Veränderungen und Fortschritte des europäischen Arbeitslebens mitsamt ihren Auswirkungen besser sichtbar zu machen; gleichzeitig wäre er eine Grundlage für neue Initiativen zur Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens. Gegenwärtig werden die Qualität der Arbeit und die Produktivität auf viele verschiedene Weisen registriert; etliche Einrichtungen entwickeln unabhängig voneinander ihre eigenen Indikatoren. Ein neuer europäischer Indikator könnte Elemente dieser bereits in der Ausarbeitung befindlichen Messwerkzeuge umfassen.

5.2.1.1

In Übereinstimmung mit dem Beschluss des Rates wurde 2003 überprüft, welche Fortschritte die Mitgliedstaaten gemacht haben, dazu wurden zehn Indikatoren für die Qualität der Arbeit herangezogen. Trotz mancher Fortschritte verweisen die Ergebnisse auf einen wesentlichen Verbesserungsbedarf. Besonders die Produktivitätsentwicklung enttäuschte. Die Schlussfolgerung war, dass eine zielstrebigere Politik als heute verfolgt werden müsse, und zwar in Bezug darauf, wie Unternehmen dazu angeregt werden können, in Schulungsmaßnahmen und die Unterstützung ihrer alternden Belegschaften zu investieren (31).

5.2.1.2

Der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Dubliner Stiftung) zufolge sind innovative Unternehmen und Arbeitskollektive durch ungezwungene Lernmöglichkeiten und Arbeitsautonomie sowie durch Teamarbeit, Möglichkeit zur Rotation der Arbeitsaufgaben und Vielseitigkeit gekennzeichnet. Als ausschlaggebend erweist sich die Kompetenzstärkung der Mitarbeiter und ihre Möglichkeit zur aktiven Teilnahme an der Gestaltung des Produktionsprozesses. Überdies hat die Stiftung im Frühjahr 2007 eine neue, umfassende Untersuchung über die Verbindung zwischen Innovationen, Produktivität und Beschäftigung eingeleitet, die sich über drei Jahre erstrecken wird. In der Anfangsphase wird die bereits zu diesem Thema erschienene wissenschaftliche Literatur untersucht, um die Untersuchung europäischer Unternehmen 2008, die von der Stiftung durchgeführt wird, um eine Produktivitäts- und Leistungsdimension zu ergänzen. Die Stiftung ist auch aktiv in die Erarbeitung eines neuen Index für die Qualität des Arbeitslebens involviert (32).

5.2.1.3

Die Untersuchungen der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz über die Bedeutung der Qualität der Arbeit für die Produktivität liefern eindeutige Belege für das Vorhandensein einer engen Beziehung zwischen der Qualität der Arbeitsumgebung, der Produktivität und dem Arbeitserfolg. Werden die Risiken am Arbeitsplatz in Bezug auf Arbeitsschutz und Gesundheit am Arbeitsplatz nicht eingehend analysiert bzw. ignoriert, können die Produktivitätsziele nicht eingehalten werden, so ihre Schlussfolgerung (33). Die diesjährige europäische Kampagne zur Bewusstseinsbildung ist dem Thema der Prävention von Muskel- und Skeletterkrankungen (MSD) gewidmet. Gleichzeitig sollen auch Beispiele guter Praxis für die Eingliederung von Menschen mit MSD aufgezeigt werden. Ebenso werden bereits die Vorbereitungen für die Europäische Woche 2008 getroffen, die der Bewertung von arbeitsplatzbezogenen Risiken gewidmet ist.

5.2.1.4

Die „Initiative Neue Qualität der Arbeit“ des deutschen Ratsvorsitzes umfasst ein Forschungsvorhaben zur genaueren begrifflichen Definition der „guten Arbeit“. Dieses Programm enthält auch einen vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) erarbeiteten Index für die Qualität der Arbeitsplätze. Der Index beruht auf Bewertungen, in denen Arbeitnehmer ihre Arbeit mit Hilfe von 15 Kriterien bewerten. Dieser Index soll jährlich aufgestellt werden; die ersten Ergebnisse werden für den Herbst 2007 erwartet (34).

5.2.2

Die Entwicklung eines europäischen Index für die Qualität des Arbeitslebens setzt die Gründung eines repräsentativen Forums voraus. Die fundierte, vielseitige Expertise des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses im Hinblick auf die aus dem Wandel der Arbeitswelt entstehenden Herausforderungen und deren Bewältigung wären ein gutes Fundament für ein solches Forum. In Abhängigkeit von ihrem Arbeitsprogramm könnte sich auch die Beobachtungsstelle „Beschäftigung“ dieses Themas annehmen.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Verfassungsvertrag Artikel 1-3 (3).

(2)  Produktivität kann auf verschiedene Weise gemessen werden, z. B. volkswirtschaftlich (Makroebene), bezogen auf eine Branche (Industrie, IKT), Unternehmen/Arbeitsorganisation/Arbeitseinheit, Personal-/Berufsgruppe oder den Einzelnen. Die Gesamtproduktivität ist der Teil des Produktivitätswachstums, der nicht durch verstärkten Einsatz traditioneller Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital, Rohstoffe, Energie) erklärt werden kann. Die Gesamtproduktivität ergibt sich u. a. aus der technischen Entwicklung, Bildung der Arbeitnehmer, Entwicklung der Organisationen oder die Verbesserung der Führungs- und Produktionsverfahren.

(3)  Bericht der Arbeitsgruppe des Ausschusses „Beschäftigung“ zum Thema „Enhancing higher productivity and more and better jobs, including for people at the margins of the labour market“, EMCO/18/171006/EN-final, 2006.

URL: http://ec.europa.eu/employment_social/employment_strategy/pdf/emco_workgroupprod06_en.pdf.

(4)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Produktivität: Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Unternehmen“, KOM(2002) 262 endg.

(5)  Vgl. oben.

(6)  Weltbeschäftigungsbericht der IAO 2004-2005.

URL: http://www.ilo.org/public/english/employment/strat/wer2004.htm.

(7)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Produktivität: Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Unternehmen“, KOM(2002) 262 endg.

(8)  EWSA-Stellungnahme vom 13. September 2006 zum Thema „Wechselwirkungen zwischen Dienstleistungen und Industrie in Europa sowie Auswirkungen auf Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität“, Berichterstatter: Edwin Calleja (ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 26).

URL: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/2006/c_318/c_31820061223de00260037.pdf.

(9)  Der Europäische Rat von Lissabon vom 23./24. März 2000 hat in dieser Strategie das Ziel vorgegeben, im Streben nach Vollbeschäftigung nicht nur mehr, sondern auch bessere Arbeitsplätze zu schaffen.

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Nizza (2000) wird erklärt, dass in allen Bereichen der Sozialpolitik der Schwerpunkt auf die Qualitätsverbesserung gelegt werden muss.

Der Europäische Rat von Stockholm (2001) empfiehlt, dass beim erneuten Erreichen der Vollbeschäftigung die Bestrebungen nicht nur auf die Schaffung von mehr, sondern auch von besseren Arbeitsplätzen ausgerichtet sein müssen; weiterhin wird gefordert, dass die Qualität der Arbeitsplätze als allgemeines Ziel in die beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2002 aufgenommen und quantitative Indikatoren hierfür geschaffen werden müssen.

Der Europäische Rat von Laeken (2001) verweist auf die Vielschichtigkeit des Begriffs der Arbeitsplatzqualität und auf die vom Ausschuss „Beschäftigung“ empfohlenen Indikatoren für die zehn in der Kommissionsmitteilung aufgeführten Bereiche; er fordert, diese ab 2002 in die europäische Beschäftigungsstrategie aufzunehmen.

(10)  EWSA-Stellungnahme vom 13. September 2006 zum Thema „Qualität des Arbeitslebens, Produktivität und Beschäftigung im Kontext von Globalisierung und demographischem Wandel“, Berichterstatterin: Frau Engelen-Kefer, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 157.

URL: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2006:318:0157:0162:FI:PDF.

(11)  Politische Prioritäten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales während des deutschen Ratsvorsitzes in der ersten Jahreshälfte 2007.

URL: http://www.london.diplo.de/Vertretung/london/en/03/News__and__features/EU__Presidency/Political__priorities__FULL__DownloadDatei,property=Daten.pdf.

(12)  Schlussfolgerungen des Vorsitzes in Zusammenarbeit mit den zwei nachfolgenden Präsidentschaften Portugal und Slowenien.

URL: http://www.eu2007.de/en/News/Press_Releases/January/0119BMAS1.html.

(13)  Tagung des Europäischen Rats in Brüssel am 8./9. März 2007 — Schlussfolgerungen des Vorsitzes.

URL: http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/93139.pdf.

(14)  Bericht der Arbeitsgruppe des Ausschusses „Beschäftigung“ zum Thema „Enhancing higher productivity and more and better jobs, including for people at the margins of the labour market“, EMCO/18/171006/EN-final, 2006.

(15)  EWSA-Stellungnahme vom 25. April 2007 zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“, Berichterstatterin: Maureen O'Neill. (ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 47).

URL: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/2007/c_168/c_16820070720de00470049.pdf.

(16)  Vgl. oben.

(17)  EWSA-Stellungnahme vom 25. September 2003 zum Thema „Der industrielle Wandel: Bilanz und Aussichten — Eine Gesamtbetrachtung“, Berichterstatter: Herr van Iersel, Mitberichterstatter: Herr Varea Nieto (ABl. C 10, 14.1.2004, S. 105).

URL: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2004:010:0105:0113:FI:PDF.

EWSA-Stellungnahme vom 29. September 2005 zum Thema „Der soziale Dialog und die Einbeziehung der Arbeitnehmer, Schlüssel zur Antizipierung und Kontrolle des industriellen Wandels“, Berichterstatter: Herr Zöhrer (ABl. C 24, 31.1.2006, S. 90).

URL: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2006:024:0090:0094:FI:PDF.

EWSA-Stellungnahme vom 14. Dezember 2005 zum Thema „Mitteilung der Kommission — Umstrukturierung und Beschäftigung — Umstrukturierungen antizipieren und begleiten und die Beschäftigung fördern: die Rolle der Europäischen Union“, Berichterstatter: Herr Zöhrer, Mitberichterstatter: Herr Soury-Lavergne (ABl. C 65, 17.3.2006, S. 58).

URL: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2006:065:0058:0062:FI:PDF.

EWSA-Stellungnahme vom 14. September 2006 zum Thema „Nachhaltige Entwicklung als Motor des industriellen Wandels“, Berichterstatter: Martin Siecker, Ko-Berichterstatter: Pavel Činčera (ABl. C 318, 23.12.2006, S. 1).

URL: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2006:318:0001:0011:FI:PDF.

(18)  EWSA-Stellungnahme „Flexicurity (die Dimension der internen Flexibilität — Tarifverhandlungen und Sozialer Dialog als Instrumente der Arbeitsmarktregulierung und -reform)“ vom 11. Juli 2007, Berichterstatter: Thomas Janson.

URL: http://eescopinions.eesc.europa.eu/viewdoc.aspx?doc=//esppub1/esp_public/ces/soc/soc272/de/ces999-2007_ac_de.doc.

(19)  Rantanen, Hannu: „Tuottavuus suorituskyvyn analysoinnin kentässä“, Technische Universität Lappeenranta, Abteilung Lahti, 2005.

(20)  Professor Mika Hannula, Technische Universität Tampere, Vortrag vom 29. Januar 2004.

(21)  Bessant, John (2003): „High-Involvement Innovation“ (in der finnischen Übersetzung von Tuomo Alasoini). Innovationsfähigkeit besteht aus acht Dimensionen:

In der Organisation wird die strategische Bedeutung der Mitarbeiterbeteiligung und des in kleinen Schritten erfolgenden innovativen Handelns erkannt (understanding).

In der Organisation gibt es Praktiken, mit deren Hilfe die Mitarbeiter am innovativen Handeln der Organisation teilhaben können (getting the habit).

Das Innovationshandeln in der Organisation ist auf die strategischen Ziele der Organisation ausgerichtet (focusing).

Die Führung der Organisation lenkt und stützt das Innovationshandeln ausreichend (leading).

Die Strukturen, Praktiken und Prozesse der Organisation sind so geplant, dass es eine möglichst weitgehende gegenseitige Unterstützung zwischen ihnen und dem Innovationshandeln sowie den Werten, die dieses steuern, gibt (aligning).

Bei der Problemlösung findet innerhalb der Organisation eine Vernetzung über die Abteilungen hinweg und mit der Außenwelt statt (shared problem-solving).

Die Effizienz der Produktion von Innovationen in der Organisation wird kontinuierlich verfolgt, bewertet und entwickelt (continuous improvement of the system).

Die Organisation ist in der Lage, kontinuierlich und ganzheitlich aus ihren Erfahrungen zu lernen (the learning organization).

(22)  Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz: Quality of the Working Environment and Productivity — Working Paper (2004).

URL: http://osha.eu.int/publications/reports/211/quality_productivity_en.pdf.

(23)  Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen: Fourth European Working Conditions Survey (2005).

URL: http://www.eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0698.htm.

(24)  Vgl. oben.

(25)  Stellungnahme des EWSA vom 28. Oktober 2004„Ausbildung und Produktivität“, Berichterstatter: Christoforos Koryfidis (ABl. C 120, 20.5.2005, S. 64).

URL: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2005:120:0064:0075:FI:PDF.

(26)  Framework of actions for the lifelong development of competencies and qualifications, Evaluation report 2006/ETUC, UNICE, CEEP.

(27)  Arbeitsprogramm der europäischen Sozialpartner 2006-2008.

URL: http://www.etuc.org/IMG/pdf/Depliant_EN_HD2006-2008.pdf.

(28)  Beispielsweise ist es dem maltesischen Unternehmen STMicroelectronics (Finanzdirektor: Santo Portera), das am 10. Mai 2007 Gast der Anhörung war, gelungen, die Herausforderungen der Globalisierung anzunehmen, indem es die Firmenpolitik auf hohe ethische Standards, Pflege und Verbesserung des berufliche Könnens der Mitarbeiter, Wohlbefinden bei der Arbeit sowie auf die Arbeitsorganisation und Innovationsfreundlichkeit ausgerichtet hat.

(29)  Irland: www.workplacestrategy.ie, Cathal O'Reagan, Anhörung am 10. Mai 2007.

http://inqa.de, Kai Schäfer, Vertreter der deutschen Regierung (Ratspräsidentschaft), Anhörung am 10. Mai 2007.

http://www.mol.fi/mol/en/01_ministry/05_tykes/index.jsp.

(30)  Vgl. Fußnote 10.

(31)  Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Die jüngsten Fortschritte in der Verbesserung der Arbeitsplatzqualität“ (KOM(2003) 728 endg.).

(32)  www.eurofound.europa.eu; Radoslaw Owczarzak, EMCC, Anhörung am 10. Mai 2007.

(33)  www.osha.europa.eu; Brenda O'Brien, Anhörung am 10. Mai 2007.

(34)  http://inqa.de; Kai Schäfer, Vertreter der deutschen Regierung und des deutschen Ratsvorsitzes, Anhörung am 10. Mai 2007.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/80


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Harmonisierung der Indikatoren im Bereich der Behinderung als Monitoring-Instrument zur Bewertung und Verbesserung der EU-Maßnahmen“

(2008/C 10/20)

Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 ersuchte der künftige portugiesische Ratsvorsitz den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgendem Thema: „Harmonisierung der Indikatoren im Bereich der Behinderung als Monitoring-Instrument zur Bewertung und Verbesserung der EU-Maßnahmen“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Juli 2007 an. Berichterstatter war Herr JOOST.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 160 Ja-Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Nach Auffassung des Ausschusses sollte wie im Bereich der Geschlechtergleichstellung ein Zeitplan erarbeitet werden, in dessen Rahmen ein Indikatorensatz sowie quantitative Ziele festgelegt würden, die von den Mitgliedstaaten in einer bestimmten Anzahl von vereinbarten prioritären Bereichen erreicht werden müssten, da sich auf diese Weise Fortschritte erzielen ließen und das Ziel, Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen herzustellen, ein Stück näher rücken würde.

1.2

Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten nachdrücklich dazu auf, für die Zusammenstellung eines zuverlässigen und kohärenten Indikatorensatzes sowie für die Festlegung quantitativer Ziele für die einzelnen Statistikbereiche und politischen Zielsetzungen Sorge zu tragen und den Mitgliedstaaten eine Frist für deren Erreichung zu setzen. Die vorstehend beschriebenen früheren Versuche, europäische Statistiken für diesen Bereich zu erstellen, sind bislang ergebnislos geblieben, und es gibt derzeit keinen auf Dauer angelegten Indikator, der regelmäßig erhoben werden könnte, z. B. im Rahmen der Indikatoren für die gesellschaftliche Inklusion. Die Schaffung eines solchen Indikators und die regelmäßige Messung sind unabdingbar für die Kohärenz der einschlägigen politischen Maßnahmen.

1.3

Der Ausschuss ruft ferner die hochrangige Expertengruppe für Behindertenfragen dazu auf, auf der Grundlage eines bereits in der ISTAT-Liste (1) bestehenden Satzes von Kernindikatoren, der jedoch auf den neuesten Stand gebracht werden muss, eine Liste mit den Prioritäten für die Sammlung von Daten zu erstellen.

1.4

Die Mitgliedstaaten sollten ihre Tätigkeit im Bereich der erhebungsbasierten Sammlung von Daten zum Thema Behinderungen fortsetzen und diese regelmäßig veröffentlichen, z. B. alle zwei Jahre. Außerdem sollte auf internationaler Ebene im Rahmen der Washingtoner Gruppe weiter an der Definition des Begriffs Behinderung gearbeitet werden.

1.5

Die bereits erzielten Fortschritte sollten im Rahmen der Europäischen Arbeitskräfteerhebung einer regelmäßigeren Bewertung unterzogen werden. Der Ausschuss für Sozialschutz und der Beschäftigungsausschuss könnten künftig einen Satz von Indikatoren zusammenstellen, zu denen anders als bei unabhängigen Einzelinitiativen in regelmäßigen Abständen Daten erhoben würden.

1.6

Der Ausschuss fordert die Kommission daher nachdrücklich dazu auf, im Rahmen der Eurostat-Erhebungen auch ein kohärentes Modul zum Thema Behinderungen zu erstellen, bei dem die vorstehend genannten Aspekte berücksichtigt werden; um eine gründliche Bewertung der Maßnahmen zu ermöglichen, sollten außerdem regelmäßig Berichte verfasst und Prioritäten festgelegt werden.

1.7

Die Behindertenorganisationen in den Mitgliedstaaten sollten in die Arbeiten zur Festlegung der Indikatoren einbezogen werden, denen in dem jeweiligen Mitgliedstaat Priorität eingeräumt wird. Durch die Schaffung einheitlicher Indikatoren und die Sammlung von Daten kann die Wirksamkeit der von den einzelnen Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen gemessen werden, was einen Austausch beispielhafter Verfahren ermöglicht.

2.   Einleitung

2.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt das Ersuchen des portugiesischen Ratsvorsitzes um Stellungnahme zum Thema „Harmonisierung der Indikatoren im Bereich der Behinderung“ sowie dessen Wunsch, der Europäischen Union geeignete Instrumente zur Sammlung zuverlässiger und vergleichbarer Daten an die Hand zu geben, auf deren Grundlage die gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen bewertet werden kann.

2.2

Menschen mit Behinderungen machen über 15 % der Gesamtbevölkerung aus, eine Zahl, die mit der zunehmenden Bevölkerungsalterung weiter steigen wird. In der erweiterten EU leben demnach derzeit über 50 Mio. behinderte Menschen (2). In der Statistik der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) 2005 werden jedoch Kinder und ältere Menschen mit Behinderungen sowie in Heimen lebende Behinderte nicht berücksichtigt.

2.3

Um zu gewährleisten, dass behinderte Menschen ihre in den EU-Gründungsverträgen sowie in der Europäischen Grundrechtecharta festgeschriebenen sozialen Rechte, u. a. den freien Personenverkehr, tatsächlich wahrnehmen können, müssen die Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten und die vor Ort ergriffenen Maßnahmen auf der Grundlage einer gemeinsamen Ausgangsbasis bewertet werden. Dies ist ein erster Schritt hin zur Erarbeitung und Umsetzung von Maßnahmen, durch die sichergestellt werden kann, dass Menschen mit Behinderungen in den Genuss derselben Rechte gelangen wie Nicht-Behinderte.

2.4

Es gibt unterschiedliche Indikatoren, anhand deren die Fortschritte der Mitgliedstaaten bei der Inklusion behinderter Menschen in die Gesellschaft bewertet werden können: behindertengerechter Zugang zu Gebäuden, Eingliederung in den Arbeitsmarkt, Zugang zu Bildungswesen und Kultur sowie barrierefreier Zugang zu den Diensten der Informationsgesellschaft, um nur einige Beispiele zu nennen. Eine Bewertung der in diesen Bereichen von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen und deren Auswirkungen ist von entscheidender Bedeutung.

3.   Mangelnde Abstimmung der bestehenden rechtlichen und politischen Instrumente

3.1

In der kürzlich verabschiedeten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird auf zahlreiche Bereiche hingewiesen, in denen dringend für eine durchgängige Einbeziehung der Belange behinderter Menschen gesorgt werden muss. Die EU-Mitgliedstaaten sollten diesen Forderungen nachkommen und die Konvention unverzüglich ratifizieren. Die EU muss geeignete Maßnahmen ergreifen, um die in der UN-Konvention, die die EG unterzeichnet hat, festgelegten Ziele zu verwirklichen und den dort festgeschriebenen Grundsätzen zu entsprechen. Alle Länder sowie die EU sollten überdies dazu aufgefordert werden, zugleich auch das freiwillige Zusatzprotokoll zu unterzeichnen, das Teil der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist.

3.2

In dem EU-Aktionsplan zugunsten behinderter Menschen (3) wurden ehrgeizige Ziele festgelegt, nämlich die uneingeschränkte Anwendung der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG), die durchgängige Einbeziehung der Belange behinderter Menschen in alle einschlägigen Gemeinschaftsmaßnahmen und die Verbesserung der Zugänglichkeit für alle. Um diese Ziele zu erreichen, müssen für die einzelnen politischen Prioritäten Indikatoren definiert werden, so dass die von den Mitgliedstaaten in den jeweiligen Bereichen erzielten Fortschritte bewertet und quantifizierbare Zielsetzungen festgelegt werden können.

3.3

Die im November 2000 verabschiedete Richtlinie 2000/78/EG untersagt die Diskriminierung behinderter Menschen in den Bereichen Beschäftigung und berufliche Bildung. Eine Bewertung der Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten über die reine Übernahme in nationales Recht hinausgehend gestaltet sich jedoch schwierig, da in Ermangelung vergleichbarer Daten nicht beurteilt werden kann, ob die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen infolge der Umsetzung der Richtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten gestiegen ist.

3.4

In dem Aktionsplan des Europarates zur Förderung der Rechte und vollen Teilhabe behinderter Menschen an der Gesellschaft wurde eine Reihe konkreter Ziele in zahlreichen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens festgelegt, die für alle 46 Mitgliedstaaten gelten und von diesen umgesetzt werden müssen. Es wurde eine Redaktionsgruppe eingesetzt, die Indikatoren zur Bewertung der Fortschritte erarbeiten soll.

3.5

Im Rahmen der Lissabon-Strategie hat sich die EU ehrgeizige Ziele gesteckt, u. a. eine Anhebung der Beschäftigungsquote behinderter Menschen sowie eine stärkere soziale Eingliederung. Diese Ziele lassen sich nur dann erreichen, wenn konkrete Maßnahmen zur Gewährleistung der vollständigen gesellschaftlichen Inklusion behinderter Menschen sowie zur Beseitigung der Barrieren ergriffen werden, die ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Dienstleistungen erschweren.

3.6

Für sämtliche Politikbereiche, die Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen haben und in denen ihre gesellschaftliche Inklusion verbessert oder die Wahrung ihrer Rechte gewährleistet werden kann, müssen Indikatoren erarbeitet werden, die eine Messung der Fortschritte sowie eine Gesamtbewertung der Ergebnisse ermöglichen, die aufgrund der einzelnen auf europäischer Ebene ergriffenen Maßnahmen erzielt wurden. Auch die bestehenden Rechtsvorschriften müssen im Hinblick auf Änderungen oder Verbesserungen einer Bewertung unterzogen werden.

4.   Notwendigkeit zuverlässiger und vergleichbarer Daten

4.1   Bestehende Methoden der Datenerhebung

4.1.1

Der EWSA bedauert das Fehlen von Indikatoren im Bereich der Behinderung sowie insbesondere den mangelnden politischen Willen der EU, gemeinsame Indikatoren zur Unterstützung und Bewertung der einschlägigen Maßnahmen festzulegen.

4.1.2

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass Eurostat mehrere interessante Projekte durchgeführt und Initiativen ergriffen hat, die auf die Entwicklung einer regelmäßigen, koordinierten Datenerhebung zu bestimmten Aspekten der Behinderung in ganz Europa abzielen: Im Rahmen des Moduls „Gesundheit“ des Haushaltspanels der Europäischen Gemeinschaft (ECHP) wurden im Zeitraum 1994-1996 einige Daten zum Thema Behinderungen erhoben, die in Taschenbuchformat veröffentlicht wurden; überdies wurden 2002 im Rahmen der Europäischen Arbeitskräfteerhebung auch Daten zur Beschäftigung behinderter Menschen erhoben, um einen koordinierten und harmonisierten Beitrag zur Sitzung der Washingtoner Gruppe („Behinderungsstatistiken“) der Statistikabteilung der Vereinten Nationen (UNSD) leisten zu können; außerdem hat Eurostat das Europäische Projekt zur Messung von Behinderungen (European Disability Measurement — EDM) ins Leben gerufen.

Im Jahre 2002 kamen die europäischen Direktoren für Sozialstatistik überein, einen Rahmen für die regelmäßige Erhebung harmonisierter Daten durch Gesundheitsbefragungen und/oder Erhebungsmodule zur Gesundheit abzustecken, und errichteten das Europäische Gesundheitserhebungssystem (EHSS). In diesem Zusammenhang einigten sich die Mitgliedstaaten Ende 2006 auf die endgültige Version eines Fragebogens für die Europäische Gesundheitsumfrage (EHIS), die erstmals 2007-2009 stattfinden wird und Fragen zu verschiedenen Aspekten der Behinderung umfasst. Des Weiteren wurde der Punkt Behinderung auch in die Statistik der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) (4) aufgenommen.

Im Arbeitsprogramm von Eurostat für das Jahr 2007 ist die Weiterentwicklung der Gemeinschaftsstatistiken über Behinderung und gesellschaftliche Inklusion im Rahmen des Europäischen Statistischen System (ESS) (5) vorgesehen, damit in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen die für die Überwachung der Situation behinderter Menschen erforderlichen vergleichbaren Daten zusammengetragen werden können. Bis Mitte 2008 sollte, mit finanzieller Unterstützung durch Eurostat, ein neues Erhebungsmodul zu Behinderung und gesellschaftlicher Integration soweit entwickelt sein, dass es in Form eines Pilotprojekts in den Mitgliedstaaten eingeführt werden kann.

All diese Entwicklungen erfolgen auf der Grundlage der Internationalen Klassifizierung für Funktionalität, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation.

4.1.3

Auf internationaler Ebene hat sich Eurostat dazu verpflichtet, auf der Grundlage der ICF der Weltgesundheitsorganisation im Rahmen der Washingtoner Gruppe für behinderungsbezogene Statistiken (Washington Group on Disability Statistics (6)) globale Indikatoren zur Messung von Behinderungen zu erarbeiten. Der Europarat hat außerdem einen methodologischen Leitfaden für die Erarbeitung von Indikatoren für den sozialen Zusammenhalt veröffentlicht (7).

4.1.4

In dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz wird der Rahmen für künftige Maßnahmen in diesem Bereich vorgegeben. Durch die Verabschiedung dieser Verordnung wird außerdem die für die Sammlung von Daten zum Thema Behinderungen durch die Mitgliedstaaten erforderliche Rechtsgrundlage geschaffen werden, die bislang gefehlt hat.

4.2   Notwendigkeit weiterer europäischer Indikatoren

4.2.1

Artikel 31 der UN-Konvention besagt, dass alle Signatarstaaten verpflichtet sind, die zur Festlegung und Durchführung der Maßnahmen im Rahmen der Umsetzung der Konvention erforderlichen Informationen, u. a. statistische Daten und Forschungsergebnisse, zu sammeln. Der Ausschuss ruft die EU-Mitgliedstaaten nachdrücklich dazu auf, dieser Verpflichtung nachzukommen.

4.2.2

Der EWSA begrüßt die vorstehend genannten Initiativen, bedauert jedoch ihre mangelnde Harmonisierung und das Fehlen auf der Grundlage dieser Initiativen vereinbarter politischer Indikatoren, mit deren Hilfe die Situation behinderter Menschen analysiert, die Ergebnisse der einschlägigen Maßnahmen und gesetzlichen Regelungen gemessen und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen bewertet werden könnten.

4.2.3

Es müssen Indikatoren zur Messung der Beschäftigungsquote behinderter Menschen erarbeitet werden, damit die bestehenden Probleme besser verstanden und entsprechende Maßnahmen geplant werden können. Der Europäische Rat hat auf seiner Frühjahrstagung 2006 erneut die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Anhebung der Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen bekräftigt.

4.2.4

Die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU sollte ebenso wie die einschlägigen gesetzlichen Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten einer Wirkungsanalyse unterzogen werden, damit künftige politische bzw. legislative Maßnahmen besser geplant werden können.

4.2.5

Daten zur Diskriminierung müssen künftig in Verbindung mit Indikatoren für andere Bereiche, wie etwa Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, Beschäftigung, gesellschaftliche Inklusion usw. gespeichert werden, um ein kohärentes Bild der Probleme behinderter Menschen einschließlich der dabei bestehenden Wechselbeziehungen zeichnen zu können.

4.2.6

Um die komplexen Ursachen für die soziale Ausgrenzung behinderter Menschen verstehen zu können, muss auch der Bereich der gesellschaftlichen Inklusion einer weiteren Bewertung unterzogen werden. Dabei müssen Probleme wie z. B. die Einkommensfrage, aber auch die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben (Vertretung, Zugang zu Verbänden, Freiwilligen-Tätigkeit, Politik usw.) sowie der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Kultur, Kommunikationsmitteln und sozialen Diensten bewertet werden.

4.2.7

Bereits erfolgreich erprobte Lösungen, etwa der europäische Parkausweis, sollten als Vorbild für die Umsetzung neuer, ebenso beispielhafter Lösungen dienen, wobei dies aber ohne einen Indikatorensatz zur Messung der gesellschaftlichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage relevanter und vergleichbarer Daten nicht möglich sein wird.

4.3   Schwierigkeiten bei der Festlegung europäischer Indikatoren

4.3.1

Derzeit gibt es auf europäischer Ebene mit Ausnahme der Datensammlungen im Rahmen der MOK (8) und des Projekts ECHIM (9) keinerlei Absprache hinsichtlich der Festlegung gemeinsamer Indikatoren für die Daten, die von den Mitgliedstaaten zur Bewertung des Grads der gesellschaftlichen Inklusion behinderter Menschen zur Verfügung gestellt werden. Außerdem sollte den Mitgliedstaaten eingehender erläutert werden, warum die Sammlung von Daten zum Thema Behinderungen von großer Bedeutung ist.

4.3.2

Die Zahl der behinderten Menschen in der EU wird im Rahmen der Statistik der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) geschätzt, aber dabei bleiben die in Heimen untergebrachten Behinderten sowie Kinder und ältere Menschen mit Behinderungen unberücksichtigt, was die Aussagekraft der Daten mindert.

4.3.3

In den einzelnen Mitgliedstaaten wird der Begriff Behinderung unterschiedlich definiert; diese Definition sollte erweitert werden, so dass sie auch Menschen mit psychischen Problemen umfasst, die in den einzelstaatlichen Statistiken oftmals nicht berücksichtigt werden. Die Beschreibung des Personenkreises mit Behinderungen sollte von Artikel 1 Absatz 2 der UN-Konvention ausgehen, um eine umfassende Grundlage zur Eingrenzung der Gruppen zu schaffen, die unter den Begriff „Menschen mit Behinderung“ fallen.

4.3.4

Menschen mit Behinderungen bilden eine heterogene Gruppe, und es ist schwierig, Bewertungskriterien festzulegen. Der Indikatorensatz sollte daher die Verschiedenartigkeit der Behinderungen ebenso wie die unterschiedlichen Politikbereiche mit Auswirkungen auf das Leben behinderter Menschen berücksichtigen und die Hindernisse ermitteln lassen, die einer gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben entgegenstehen.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ISTAT (Nationales Institut für Statistik/Italien), Projekt „Indicators on integration of disabled people into social life“ (Indikatoren für die Integration behinderter Menschen in das gesellschaftliche Leben), Schlussbericht, Juni 2001, veröffentlicht von Eurostat.

(2)  Quelle: Statistik der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) 2005.

(3)  http://ec.europa.eu/employment_social/disability/index_de.html.

(4)  http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page?_pageid=1913,47567825,1913_58814988&_dad=portal&_schema=PORTAL#B

(5)  Zum Europäischen Statistischen System siehe:

http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page?_pageid=1153,47169267,1153_47183518&_dad=portal&_schema=PORTAL

(6)  Zur Washingtoner Gruppe siehe:

http://www.cdc.gov/nchs/citygroup.htm

(7)  „Concerted development of social cohesion indicators — Methodological guide“, Council of Europe Publishing.

(8)  Open Method of Coordination — Methode der offenen Koordinierung.

(9)  European Community Health Indicators Monitoring — Europäisches Projekt zur Überwachung der Gesundheitsindikatoren.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/83


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Wege zu einer wirksameren steuerlichen Förderung von FuE“

KOM(2006) 728 endg.

(2008/C 10/21)

Die Europäische Kommission beschloss am 22. November 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 21. Juni 2007 an. Berichterstatter war Herr MORGAN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 27. September) mit 134 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Diese Mitteilung ist Teil des Kommissionsprogramms zur Unterstützung des Ziels der Lissabon-Strategie, bis zum Jahr 2010 FuE-Investitionen in Höhe von 3 % des BIP zu erreichen, wobei 2 % vom Privatsektor kommen sollten. Im Mittelpunkt dieser Mitteilung stehen die Methoden der Mitgliedstaaten zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung in den Unternehmen. Zweck der Mitteilung ist es, die Rechtmäßigkeit von FuE-Steueranreizen im Kontext des EU-Rechts zu klären und den Mitgliedstaaten bewährte Verfahren zu empfehlen. Diese Mitteilung trägt auf begrüßenswerte Weise der Forderung des EWSA Rechnung, dass „seitens der Gemeinschaft darauf hingewirkt werden [sollte], dass auch das Steuer- und Haftungsrecht der Mitgliedstaaten besser auf das Ziel ausgerichtet wird, Anreize für stärkere Investitionen der Industrie in Forschung und Entwicklung zu schaffen“ (1).

1.2

Abschnitt 3 dieser Stellungnahme enthält einige Beispiele für bewährte Verfahren. Es muss jedoch eingeräumt werden, dass der Schaffung von steuerlichen Anreizen gewisse Grenzen gesetzt sind. Je höher die Körperschaftsteuersätze, desto höher sind die Anreize, während bei geringeren Sätzen weniger Anreize möglich sind. Je höher die Sozialabgaben, desto größer ist der Anreiz, Steuervergünstigungen zu erhalten. Sind Unternehmen nicht gewinnbringend, so sind die steuerlichen Anreize geringer, denn das allgemeine Konzept stützt sich auf Erleichterungen bei der Besteuerung von Gewinnen. Schließlich versteht es sich von selbst, dass Erleichterungen auf der Grundlage der tatsächlichen FuE-Investitionen, nicht jedoch künftiger Investitionspläne gewährt werden müssen.

1.3

Die Empfehlungen zur Schaffung eines Systems von Anreizen sind an die Forderung geknüpft, die Wirksamkeit eines jeden Systems zu bewerten. Dies ist sicherlich für große rentable Unternehmen von Bedeutung, bei denen Steuernachlässe möglicherweise eher in den Endgewinn als in das Forschungs- und Entwicklungsbudget fließen werden. Zur Vermeidung dieses moralischen Risikos sind in einigen Ländern nur Anreize für zusätzliche Investitionen zugelassen, was aber unter Umständen der eigentlichen Absicht zuwiderläuft, da durch diese Anreize der wichtige Zweck verfolgt wird, die FuE-Tätigkeiten in der EU zu halten und ihre Verlagerung ins Ausland zu verhindern. Entsprechend ist ein wirksames Bewertungssystem für große Unternehmen wahrscheinlich vorteilhafter, als die Vergünstigungen auf zusätzliche Investitionen zu beschränken.

1.4

Den bei weitem größten Nutzen dieser Programme stellen die Möglichkeiten der Unterstützung für die Entwicklung von KMU mit FuE-Schwerpunkt in den ersten Jahren ihres Bestehens dar. Die Empfehlungen enthalten eine wirksame Palette von Anreizen in Form zusätzlicher Steuervergünstigungen, die ein Mehrfaches der FuE-Investitionen betragen, in Form von Steuererstattungen bei fehlendem Gewinn sowie Vergünstigungen bei den Sozialabgaben. Aufgrund der strategischen Rolle der KMU für die Wirtschaft der Europäischen Union empfiehlt der EWSA, dass jeder Mitgliedstaat, eine optimale Vielfalt möglicher steuerlicher Anreize nutzt, durch die das Überleben und Wachstum von KMU in der jeweiligen Volkswirtschaft erleichtert wird.

1.5

In diesem Zusammenhang empfindet es der Ausschuss als verwunderlich, dass die Mitteilung nicht auf Steuervergünstigungen eingeht, die auf die Unterstützung der Kapitalbildung neuer Unternehmen ausgerichtet sind. Hierzu werden in den Ziffern 4.9 bis 4.12 weitere Überlegungen angestellt. Der EWSA empfiehlt, die Frage der Kapitalbildung in die Mitteilung einzubeziehen.

1.6

Ein weiteres wichtiges Thema für KMU ist die Behandlung von Patenten und Lizenzen. Die diesbezüglichen Rechtsvorschriften sind unklar, und unter den Mitgliedstaaten gibt es einen gewissen Wettbewerb hinsichtlich der steuerlichen Behandlung. Der EWSA empfiehlt, die Frage der Patente und Lizenzen in die Mitteilung einzubeziehen.

1.7

In der Mitteilung werden Fragen zu verschiedenen mit der Thematik zusammenhängenden Bereichen aufgeworfen, in denen Maßnahmen ergriffen werden könnten. Der EWSA empfiehlt Folgendes:

1.7.1

Die Mitgliedstaaten sollten den Einsatz von FuE-Steueranreizen für industrielle Teilnehmer an transnationalen Forschungsprojekten verbessern.

1.7.2

Die Mitgliedstaaten sollten nach Wegen suchen, wie staatlich auferlegte Kosten für junge Unternehmen mit FuE-Schwerpunkt verringert werden können, wie dies zum Beispiel bei dem sehr erfolgreichen französischen System zur Förderung junger innovativer Unternehmen der Fall ist.

1.7.3

Bezüglich gemeinnütziger Forschungseinrichtungen des Privatsektors sollten die Mitgliedstaaten ein gemeinsames Konzept entwickeln, damit sowohl Schenkungen als auch Forschungsgelder in der EU ungehindert grenzüberschreitend fließen können.

1.7.4

Die grenzüberschreitende Mobilität von Wissenschaftlern sollte durch Abkommen der Mitgliedstaaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei kürzerer beruflicher Entsendung unterstützt werden.

1.7.5

Die Kommission sollte für Länder, die Bescheinigungen der Kapazität zur Durchführung von FuE-Arbeiten verwenden, ein gemeinsames Muster für die gegenseitige Anerkennung dieser Bescheinigungen entwickeln. Gleichzeitig könnte die Kommission prüfen, ob solche Bescheinigungen im Binnenmarkt erforderlich sind.

1.7.6

Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag der Kommission, die Vorschriften für den Vorsteuerabzug bei FuE-Ausgaben, die privaten Einrichtungen bei öffentlich-privaten Projekten entstehen, zu vereinfachen und zu modernisieren.

1.7.7

Für die Debatte über die steuerliche Förderung von FuE ist es unerlässlich, zu Steuerzwecken zu einer EU-weit einheitlichen Definition von FuE und Innovation zu gelangen. Dies wäre ein weiterer Schritt in Richtung Vollendung des Binnenmarkts.

1.8

Die Lissabonner Zielsetzung von 3 % wurde mit Bezugnahme auf die FuE-Investitionen konkurrierender Regionen festgelegt. Für die EU-Wirtschaft auf Makrosektorebene ist kennzeichnend, dass sie nicht so stark in ausgesprochen FuE-intensiven Industriezweigen engagiert ist, wie dies in konkurrierenden Ländern wie etwa Japan und den USA der Fall ist. Daher wäre es — zusätzlich zu der Förderung von FuE in der Privatwirtschaft — sinnvoll, Investitionen des öffentlichen Sektors in Universitäten und staatlich finanzierte Forschungsinstitute zu verstärken. Für Umweltprojekte sollte ein angemessener Anreiz geschaffen werden (2).

2.   Einleitung

2.1

Hintergrund dieser Mitteilung ist die Lissabon-Strategie, in der dazu aufgerufen wird, die FuE-Investitionen zu erhöhen, so dass sie bis 2010 bei 3 % des BIP liegen, wobei 2 % vom Privatsektor vorgenommen werden sollten. Im Jahr 2005 kündigte die Kommission ihre Absicht an, auf ein kohärenteres, investitionsfreundlicheres Steuerumfeld für FuE hinarbeiten zu wollen, auch wenn die Zuständigkeit für die nationale Steuerpolitik weiter bei den Mitgliedstaaten liege. (KOM(2005) 488 endg. und KOM(2005) 532 endg.).

2.2

Im Rahmen der Lissabon-Strategie gab es eine Reihe von Initiativen der Kommission, die auf die Erhöhung der FuE-Aufwendungen auf die Zielvorgabe von 3 % des BIP und die gleichzeitige Entwicklung des Europäischen Forschungsraums abzielten. Die starken Bemühungen, das Potential Europas zur Entwicklung von Forschung und Innovation zu erschließen, gipfelten im siebten Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung. Der Ausschuss hat die Kommission und die Mitgliedstaaten in seinen Stellungnahmen stets dazu aufgefordert, die Hemmnisse, die der Quantität und Qualität von FuE in Europa im Wege stehen, zu beseitigen, und gleichzeitig organisatorische, institutionelle und finanzielle Maßnahmen zur Förderung einer ausreichenden kritischen Masse an FuE-Tätigkeit in Europa zu ergreifen.

2.3

Die Mitteilung bietet den Mitgliedstaaten Orientierungshilfen zur Verbesserung der steuerlichen Behandlung von FuE und bei der Lösung gemeinsamer Probleme auf eine für alle beteiligten Seiten kohärente Weise. Demzufolge ist sie kein EU-Programm, das auf spezifische FuE-Projekte oder Zielsetzungen ausgerichtet ist. Es handelt sich vielmehr um ein Programm für die Mitgliedstaaten zur Förderung von FuE im privaten Sektor, dessen Wirksamkeit davon abhängt, welche Anreize für den privaten Sektor und jedes einzelne Unternehmen bestehen, Forschung und Entwicklung zu betreiben. Die Mitteilung soll den Mitgliedstaaten auf dreierlei Weise Hilfestellung geben:

Eine klarere Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen für die steuerliche FuE-Förderung der Mitgliedstaaten;

Herausarbeitung allgemeiner Gestaltungsmerkmale für die steuerliche Behandlung und Förderung von FuE, auf der Grundlage einer Sachverständigenanalyse bewährter Verfahrensweisen;

darüber hinaus sollen eine Reihe von möglichen künftigen Initiativen zur kohärenten Behandlung von Fragen von gemeinsamem Interesse zur Diskussion gestellt werden.

2.4

Auf diesen Politikbereich wird die offene Koordinierungsmethode angewendet. Die Entscheidungsbefugnis liegt bei den Mitgliedstaaten. Die in der Mitteilung dargelegten Leitlinien lassen sich auf bewährte Verfahrensweisen der Mitgliedstaaten zurückführen. Eine kritische Bewertung der Politik der Mitgliedstaaten ist jedoch nicht Gegenstand dieser Stellungnahme. Aus diesem Grunde beschränkt sie sich auf Bemerkungen zu den Leitlinien und zu den eventuellen künftigen Initiativen (siehe Ziffer 2.3).

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1

Alle von den Mitgliedstaaten eingeführten steuerlichen Anreize für FuE müssen mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags und dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sein. Die Kommission betrachtet sowohl explizite als auch implizite Gebietsbeschränkungen als mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags nicht vereinbar. Es gibt zahlreiche übereinstimmende Hinweise darauf, dass der EuGH Gebietsbeschränkungen bei der Anwendung von FuE-Steueranreizen wahrscheinlich nicht akzeptiert.

3.2

Grundsätzlich gelten die Vorschriften für staatliche Beihilfen unabhängig von der Form der Hilfe, so dass FuE-Steueranreize staatliche Beihilfen darstellen könnten. Eine FuE-Steuervergünstigung, die nicht selektiv gewährt wird, d. h. für Unternehmen unabhängig von ihrer Gesellschaftsform und Größe in jeder Branche zutrifft, würde nicht als selektiv betrachtet und somit als Teil der allgemeinen Unternehmensbesteuerung behandelt werden.

3.3

Gemäß Artikel 87, Absatz 3, Buchstabe c) des EG-Vertrages können als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden: „Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft.“ Die Kommission hat einen Gemeinschaftsrahmen für FuE und Innovationen zur Erfassung selektiver Steueranreize angenommen, die unter diesen Artikel fallen könnten. Dieser Rahmen wurde im öffentlichen Interesse festgelegt, damit im Bereich FuE festgestelltes Marktversagen korrigiert werden kann.

3.4

Bei der Anwendung dieses Rahmens wird die Kommission folgende Elemente berücksichtigen:

die FuE-Kategorie entsprechend ihrer Einteilung in Grundlagenforschung, Industrieforschung oder „experimentelle Entwicklung“,

die Anwendung der Vergünstigungen auf förderfähige Kosten,

die Begrenzung der Beihilfeintensitäten auf den festgesetzten Höchstwert.

Ferner wird die Kommission gestützt auf die von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgebrachten Argumente von der Annahme ausgehen, dass die Steuervergünstigungen dadurch, dass sie die Unternehmen zu höheren FuE-Ausgaben veranlassen, dazu beitragen, das Marktversagen auszugleichen.

3.5

Der Europäische Rat hat dazu aufgerufen, bei der Gestaltung der Forschungspolitik die Methode der offenen Koordinierung zur Unterstützung anzuwenden, und den Ausschuss für wissenschaftliche und technische Forschung (CREST) aufgefordert, ihre Anwendung zu überwachen. In ihrer Mitteilung stützt sich die Kommission stark auf den CREST-Bericht über die Bewertung und die Modelle von FuE-Steueranreizen („Evaluation and design of R&D tax incentives“) vom März 2006.

3.6

Aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen und industriellen Strukturen, FuE-Kapazitäten, FuE-Ausgabenvolumen und allgemeinen steuerlichen Rahmenbedingungen weicht der Policy-Mix der einzelnen Mitgliedstaaten zur Förderung von FuE und Innovationen erheblich voneinander ab. Die meisten bestehenden Systeme sind als allgemeine Maßnahmen gestaltet, und bei etwa der Hälfte ist eine Obergrenze festgelegt. Dies stellt einen Vorteil für die KMU dar, da die Obergrenze normalerweise keinen Einfluss auf die Höhe ihrer Ausgaben hat. Ungefähr ein Drittel der steuerlichen Anreize bieten spezielle Vorteile für KMU, und immer mehr Anreizsysteme richten sich speziell an junge innovative kleine und mittelständische Unternehmen.

3.7

Die drei Grundtypen der Steuervergünstigungen sind Steueraufschub, Steuerfreibetrag und Steuergutschrift. Die Auswirkung der von den Mitgliedstaaten angewendeten Anreize hängen von der Funktionsweise des allgemeinen Besteuerungssystems ab. In Abhängigkeit von dem Zweck des Steueranreizes werden einige Systeme auf die gesamten FuE-Ausgaben angewendet, andere dagegen nur auf diejenigen Ausgaben, die aufgrund des betreffenden Systems zusätzlich getätigt werden. In anderen Fällen werden die Vergünstigungen für beide Ausgabenkategorien gewährt, allerdings in unterschiedlicher Höhe. Die Vergünstigungen werden von den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich bemessen. Als Steuervergünstigungen werden sie auch von der jeweiligen Höhe der Körperschaftsteuer beeinflusst.

3.8

Steueraufschub bedeutet im Allgemeinen den 100-prozentigen Abzug der Ausgaben für Forschung und Entwicklung vom zu versteuernden Gewinn. Nach diesem System kann jeder Euro der FuE-Ausgaben vollständig von der Steuer abgezogen werden. Wenn die Ausgaben für FuE nicht vollständig abzugsfähig sind, können diese gewöhnlich kapitalisiert und anschließend abgeschrieben werden. Dies wird insbesondere auf Kapitalaufwendungen zutreffen.

3.9

Steuerfreibeträge werden angewendet, um Vergünstigungen für mehr als 100 % der FuE-Ausgaben zu ermöglichen. Wo Freibeträge angewendet werden, liegt der erhöhte Satz gewöhnlich zwischen 125 % und 300 %. Zum Beispiel könnte ein Unternehmen bei einem allgemeinen Körperschaftsteuersatz von 30 % auf 10 000 EUR FuE-Ausgaben je 3 000 EUR Steuervergünstigungen geltend machen. Bei einem um 50 % erhöhten Satz könnte das Unternehmen 4 500 EUR pro 10 000 EUR der FuE-Aufwendungen beanspruchen.

3.10

Wird die Vergünstigung in Form einer Steuergutschrift gewährt, so erfolgt dies durch eine Steuer- oder Bargelderstattung. Die Steuergutschrift wird in der Regel auf den Betrag der fälligen Steuer gewährt; wo jedoch keine Steuer zahlbar ist, kann die Gutschrift als prozentualer Anteil der FuE-Aufwendungen berechnet werden. Wenn Unternehmen keinen Gewinn erzielen, dürfte eine Gutschrift als Barerstattung für junge Firmen eine willkommene Geldspritze sein.

3.11

Während sich die meisten Systeme wie oben beschrieben auf die Körperschaftsteuer beziehen, zielen andere Systeme auf die Lohnsteuer und die Sozialbeiträge oder die Einkommensteuer ab. Durch diese Optionen werden die Personalkosten im Bereich Forschung unmittelbar gesenkt und damit der größte Posten der FuE-Ausgaben verringert. Diese Optionen werden dort, wo die Sozialabgaben hoch sind, am wirksamsten sein.

3.12

Für verlustbringende Firmen, wie etwa junge innovative KMU, reichen die Modelloptionen von der Lohnsteuerbefreiung über die Erstattung der Körperschaftsteuer bis hin zu Steuergutschriften und zum unbegrenzten Verlustvortrag für künftige Körperschaftsteuervergünstigungen.

3.13

Im Jahr 2004 führte Frankreich als erstes EU-Land einen Steueranreiz speziell zur Förderung junger innovativer Unternehmen ein. Dadurch soll die Forschungstätigkeit im Privatsektor angeregt und ein reales Wachstum geschaffen werden, indem die Anschubkosten für auf Forschung und Innovation gerichtete Unternehmen gesenkt werden. Zu den Vergünstigungen zählen die Befreiung von der Körperschaftsteuer in den ersten drei gewinnbringenden Jahren sowie eine 50 %-ige Befreiung in den folgenden zwei Jahren. Zusätzlich wird acht Jahre lang eine Befreiung für die Sozialversicherungsbeiträge für hochqualifizierte Arbeitnehmer gewährt. Für die Inanspruchnahme des Systems zur Förderung junger innovativer Unternehmen müssen verschiedene Kriterien erfüllt werden.

3.14

Auf der Grundlage der Erfahrungen bei der Anwendung von FuE-Steueranreizen in fünfzehn Mitgliedstaaten wird in der Mitteilung geschlussfolgert, dass die Mitgliedstaaten:

nach Möglichkeit allgemeine Maßnahmen anwenden sollten, da so mehr Unternehmen erreicht werden, für eine möglichst starke Erhöhung der FuE-Aufwendungen gesorgt wird und Marktverzerrungen soweit wie möglich vermieden werden;

die volle Abzugsfähigkeit für alle FuE-Ausgaben gestatten (keine Kapitalisierung oder beschleunigte Abschreibung dieser Aufwendungen) und entsprechende Bestimmungen für Verlustvortrag und -rücktrag vorsehen sollten.

3.15

Bei der Konzipierung ihrer Systeme sollten die Mitgliedstaaten ihre Ziele klar definieren, d. h. sie sollten:

den Schwerpunkt auf die zusätzlichen FuE-Aufwendungen legen, die erreicht werden sollen,

sich auf die Herbeiführung von Verhaltensänderungen in den Unternehmen konzentrieren,

die weiterreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Veränderungen bewerten,

Evaluierungskriterien bereits in der Konzipierungsphase berücksichtigen,

prüfen, ob ihre Ziele durch die spezifischen Vergünstigungen erreicht werden.

3.16

Neben einer Reihe von FuE-Fördermaßnahmen für Unternehmen werden in der Mitteilung auch einige Themen angesprochen, die Leitlinien für Maßnahmen von gemeinsamem Interesse und wechselseitigem Nutzen betreffen. Der Ausschuss legt seinen Standpunkt zu diesen Themen in Abschnitt 5 dar.

4.   Bemerkungen zu den Leitlinien

4.1

Die Leitlinien bieten ein breites Spektrum von Möglichkeiten zur Förderung von FuE durch steuerliche Anreize. Der EWSA ruft alle Mitgliedstaaten dazu auf, diese Leitlinien ihren besonderen Bedingungen zur Förderung eines günstigen Umfelds für FuE anzupassen. Die Methode der offenen Koordinierung, die von dem Ausschuss für wissenschaftliche und technische Forschung (CREST) unterstützt und durch die Lissabon-Agenda vorangetrieben wird, sollte allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur Anwendung bewährter Verfahren geben.

4.2

Der von steuerlichen Anreizen für FuE-Investitionen aufgehende Impuls wird in Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens (großes Unternehmen, KMU oder neu gegründetes Unternehmen) unterschiedlich stark sein.

4.3

In vielen Mitgliedstaaten werden Investitionen in FuE erst seit relativ kurzer Zeit steuerlich gefördert, weshalb die Auswirkungen auf große Unternehmen noch nicht genau ermittelt werden können. Möglicherweise wird sich die Steuerersparnis in einigen Fällen eher im Endgewinn als im Forschungs- und Entwicklungsbudget niederschlagen. Deshalb sind einige Staaten daran interessiert, größere Vergünstigungen für zusätzliche Investitionen zu gewähren. Gleichzeitig haben die Mitgliedstaaten ein Interesse daran, die FuE-Tätigkeit im Land zu halten, und durch direkte Vergünstigungen werden die Unternehmen ermutigt, ihre FuE-Tätigkeit dort zu lassen, wo sie ist.

4.4

Größere Unternehmen haben eine größere kritische Masse an Ingenieuren und Wissenschaftlern und können daher eher Tätigkeiten ins Ausland auslagern. Entscheiden sich Mitgliedstaaten beispielsweise für den Einsatz von FuE-Anreizen, um Arbeitsplätze im Bereich Softwaretechnik im Land zu halten, könnte die wirksamste Vergünstigung sein, die damit verbundenen Kosten zu 100 % absetzbar zu machen (Siehe Ziffer 3.8).

4.5

KMU verfügen nicht über dieselben Ressourcen wie größere Unternehmen, weshalb sie finanziell u.U. im Verhältnis stärker unter Druck stehen. Die von einigen Mitgliedstaaten gewählten Maßnahmen, den KMU größere Steuervergünstigungen zu gewähren und Obergrenzen festzulegen, die von KMU nicht erreicht werden, geben den KMU verhältnismäßig mehr finanziellen Spielraum für FuE-Investitionen.

4.6

Für Neugründungen haben steuerliche Anreize die potenziell größte Hebelwirkung. Dies ist sehr wichtig, da solche Unternehmen entscheidende Elemente im Prozess der Förderung von Unternehmungsgeist und Innovation sind. Innovationen in der Dienstleistungswirtschaft, in Wissenschaft und Technik werden oft von neugegründeten Unternehmen hervorgebracht. Die FuE-Abteilungen etablierter Unternehmen scheinen oft eher die Voraussetzungen für Produktumstellungen oder Produktverbesserungen zu besitzen als für bahnbrechende Neuerungen. Neue Unternehmen, die Innovationen in Wissenschaft und Technik nutzen, sind äußerst wichtig. Wenn sie die Schwierigkeiten der Gründungsphase überwinden (leider überleben die meisten kleinen Unternehmen nicht), können sie sich entweder zu Wohlstand schaffenden KMU entwickeln oder eine wertvolle Erwerbung für größere Unternehmen werden. Die Budgets für Fusionen und Übernahmen vieler Technologieunternehmen können unter Umständen ebenso groß wie ihre FuE-Budgets sein. In der Tat haben viele große Technologieunternehmen auf dem Modell des Risikokapitals basierende Investitionsmittel.

4.7

Da der Erwerb kleiner Unternehmen durch große ein Merkmal der Marktwirtschaft ist, sollten diese Übergänge sinnvollerweise in steuerlicher Hinsicht möglichst transparent und neutral gestaltet sein. Dies bedeutet, dass die Wegzugbesteuerung für Gründer und Unternehmer auf ein Minimum gesenkt werden und den aufkaufenden Unternehmen keine verzerrenden steuerlichen Benachteiligungen entstehen sollten.

4.8

Wenn auch FuE-Anreize für junge innovative Unternehmen im Technologiesektor geeignet sein mögen, sind Vergünstigungen allgemeiner Art für neu gegründete Unternehmen doch ebenso wichtig. Solche Anreize fördern nämlich die Gründung neuer Unternehmen in allen Industriesektoren und tragen so zum Gesamtwirtschaftswachstum der Mitgliedstaaten bei.

4.9

Im Zusammenhang mit den allgemeinen steuerlichen Anreizen für die Förderung von Unternehmensneugründungen wird in der Mitteilung jedoch seltsamerweise die Kapitalsteuer nicht erwähnt. Das Problem bei Neugründungen ist die Sicherstellung der Anschubfinanzierung. So genanntes Risikokapital wird nicht gern in den frühen Phasen von Unternehmen investiert und so muss die Anschubfinanzierung in der Regel von privaten Investoren, Business Angels sowie Freunden und Familienangehörigen der Gründer übernommen werden. Die Kapitalsteuerregelung, die auf diese Investoren angewendet wird, ist ein entscheidender Faktor bei der Gründung von Unternehmen.

4.10

Großbritannien hat ein relativ gut entwickeltes System von steuerlichen Anreizen in diesem Bereich, das als Beispiel dienen könnte. Investitionen können direkt über das Investitionssystem für Unternehmen (Enterprise Investment Scheme — EIS) oder den Risikokapitalfonds (Venture Capital Trust — VCT) erfolgen, bei dem es sich um ein kollektives Investitionsmittel handelt, das auf dem alternativen Investitionsmarkt (Alternative Investment Market — AIM) erfasst ist. Unternehmen, die sich für eines der Systeme bewerben wollen, müssen die entsprechenden Förderkriterien erfüllen.

4.11

Im Rahmen eines jeden Systems sind Einkommensteuervergünstigungen in Höhe von 20 % (EIS) oder 30 % (VCT) des Investitionsbetrags möglich. Es ist keine Kapitalsteuer für in einer festgelegten Frist erzielte Gewinne zu zahlen. Ferner wird keine Einkommensteuer auf Dividenden des Risikokapitalfonds und keine Nachlassteuer auf Besitz des Investors aus Anteilen von Risikokapitalfonds erhoben. Wenngleich Steuervergünstigungen nie der Grund für eine Investition sein sollten, mindern diese Systeme das Investitionsrisiko in neu gegründete Unternehmen merklich. Ihr Ziel, den britischen Unternehmern das Geldverdienen zu erleichtern, konnte erfolgreich umgesetzt werden.

4.12

Eine wichtige Lücke in der Mitteilung ist die fehlende Behandlung von Patenten und Lizenzen, für die keine Orientierungshilfen gegeben werden. Es herrscht Unklarheit bezüglich der Rechtsvorschriften, und es besteht nachweislich ein Wettbewerb unter den Mitgliedstaaten bezüglich der steuerlichen Behandlung von Patenten. Der EWSA empfiehlt, die Frage der Patente und Lizenzen in die Mitteilung einzubeziehen.

5.   Leitlinien für Maßnahmen von gemeinsamem Interesse und wechselseitigem Nutzen

5.1

Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag, dass die Mitgliedstaaten die Hindernisse für transnationale Forschungsprojekte ausräumen sollten, indem unter anderem der Einsatz von Steueranreizen im Bereich FuE für industrielle Teilnehmer verbessert wird.

5.2

Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, nach Wegen zu suchen, wie staatlich auferlegte Kosten für junge Unternehmen mit FuE-Schwerpunkt verringert werden können, wie dies zum Beispiel bei dem sehr erfolgreichen französischen System zur Förderung junger innovativer Unternehmen der Fall ist.

5.3

In der Mitteilung wird festgestellt, dass in der EU zwar bereits einige gemeinnützige private Forschungsstiftungen bestehen, die das Ziel verfolgen, die Wissenschaft zu fördern und dazu die Forschungstätigkeit in der Regel in Universitäten finanzieren, in anderen Regionen wie beispielsweise in den USA jedoch viel mehr solcher Stiftungen bestehen. Formelle und informelle Faktoren hemmen offensichtlich sowohl Schenkungen durch Privatpersonen und Unternehmen (für die man Vergünstigungen bei der Einkommens- und Körperschaftsteuer gewähren sollte) als auch den Fluss von Fördermitteln in die Forschung. Der Ausschuss befürwortet den Vorschlag, dass die Mitgliedstaaten ein gemeinsames Konzept entwickeln sollten, damit sowohl Schenkungen als auch Stiftungsaktivitäten für Forschung in der EU grenzüberschreitend erfolgen können.

5.4

Die grenzüberschreitende Mobilität von Wissenschaftlern sollte durch Abkommen der Mitgliedstaaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei kürzerer beruflicher Entsendung unterstützt werden. Die Mitgliedstaaten werden ferner aufgefordert, diese Abkommen auf der EU nahe stehende Länder im Umfeld der EU wie etwa die Ukraine, Israel und die Türkei, mit denen ein erheblicher Austausch im Bereich FuE stattfindet, zu erweitern.

5.5

Einige Mitgliedstaaten bieten Unternehmen die Möglichkeit, eine Bescheinigung ihrer Kapazität zur Durchführung von FuE-Arbeiten zu beantragen. In anderen Mitgliedstaaten erhalten öffentliche Einrichtungen, die FuE durchführen, automatisch eine solche Bescheinigung. Um die gegenseitige Anerkennung solcher Bescheinigungen zu erleichtern, wird die Kommission möglicherweise ein gemeinsames Muster vorschlagen. Dies scheint ein vernünftiger Schritt für Mitgliedstaaten zu sein, die solche Bescheinigungen verwenden.

5.6

Die Kommission sieht dort, wo öffentliche und private Unternehmen im Bereich FuE zusammenarbeiten, Probleme, die auf den Vorsteuerabzug auf FuE-Ausgaben durch private Unternehmen zurückzuführen sind. Der Vorschlag der Kommission, diese Bestimmungen und ihre Anwendung zu vereinfachen und zu modernisieren, wird sehr begrüßt.

5.7

Schließlich wird in der Mitteilung festgestellt, dass es längerfristig wünschenswert wäre, zu Steuerzwecken zu einer EU-weit einheitlichen Definition von FuE und Innovation zu gelangen und den entsprechenden Aufwendungen eine günstige steuerliche Behandlung im Rahmen der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage zukommen zu lassen. Dies wäre ein weiterer Schritt in Richtung Vollendung des Binnenmarkts.

Brüssel, den 27. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Potenzial Europas für Forschung, Entwicklung und Innovation freisetzen und stärken“, ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 5, Ziffer 3.5.

(2)  Siehe auch hierzu die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Potenzial Europas für Forschung, Entwicklung und Innovation freisetzen und stärken“, ABl. C 325 vom 30.12.2006, Ziffer 14.2 — 14.4.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/88


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2006 — Wirtschaftspolitische Prioritäten zur Stärkung der Euro-Zone“

KOM(2006) 714 endg. — SEK(2006) 1490

(2008/C 10/22)

Die Kommission beschloss am 11. Januar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2006 — Wirtschaftspolitische Prioritäten zur Stärkung der Eurozone“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 4. September 2007 an. Berichterstatter war Herr BURANI, Mitberichterstatter war Herr DERRUINE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 133 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss stimmt der Kommissionsmitteilung größtenteils zu, möchte jedoch einige Bemerkungen hinzufügen, von denen er einige bereits zuvor — teilweise sogar noch vor der Euro-Einführung — zum Ausdruck gebracht hatte. Die Kommission übt implizit Kritik an einigen Aspekten der Politik der Mitgliedstaaten. Im Großen und Ganzen stimmt der EWSA dieser Kritik zu, erinnert jedoch daran, dass die Regierungen oftmals mit unausweichlichen Erfordernissen der Innenpolitik oder mit externen Ereignissen (Energiekrisen, Kriegen etc.) konfrontiert sind, auf die sie keinen Einfluss haben.

1.2

Die langfristige Nachhaltigkeit der Haushaltspolitik wird fraglich, wenn es bei den aufeinander folgenden Regierungen an politischer Kontinuität fehlt. Gleiches gilt für die Strukturreformen, die von einem erheblichen Maß an Subjektivität je nach Couleur der amtierenden Regierung abhängen. Unter Berücksichtung dieser Tatsachen ist der EWSA, ebenso wie die Kommission, der Auffassung, dass es notwendig ist, die Strukturreformen mit der erforderlichen Kontinuität abzuschließen.

1.3

Die Flexibilität der Märkte für Güter und Dienstleistungen ist ein Aspekt der Wirtschaftspolitik, bei der die Regierungen ein Einvernehmen mit den Sozialpartnern suchen müssen. Die Liberalisierung, die in den verschiedenen Ländern je nach Wirtschaftszweig unterschiedliche Ergebnisse brachte, muss mit Umsicht und unter Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse des jeweiligen Landes und Wirtschaftszweiges durchgeführt werden.

1.4

Die für die Dienstleistungen für Unternehmen weitgehend vollendete Integration der Finanzmärkte gestaltet sich in Bezug auf die Dienstleistungen für Privatverbraucher problematischer. Die meisten Hürden sind jedoch objektiver Natur (unterschiedliche Sprachen, Dienstleistungsmerkmale etc.). Es handelt sich um Probleme, die nicht mithilfe von Gesetzen oder Regelungen, sondern vielmehr vom Markt selbst zu lösen sind — wo immer dies möglich ist. Die geltenden Bestimmungen sollten für die Fortführung der Integration ausreichen. Notwendig sind allenfalls Normen zur Gewährleistung eines optimalen Schutzes der Verbraucherinteressen und gegebenenfalls der Marktüberwachung.

1.5

Die Implikationen der Währungsunion müssen sich, so die Kommission, im Lohnsetzungsverhalten niederschlagen; der EWSA hofft seinerseits, dass sich im Rahmen von gemeinsamen Sitzungen der Eurogruppe und des Rates „Beschäftigung“ eine Konvergenz der Wirtschafts-, Geld- und Beschäftigungspolitik erreichen lässt. Eine — wenn auch nur prinzipielle — Konvergenz könnte mit der Zeit zu einer echten Harmonisierung der verschiedenen Politiken beitragen.

1.6

Die Empfehlung der Kommission, die internationale Dimension stärker zu berücksichtigen, entspricht einer vom EWSA noch vor der Euro-Einführung geübten Kritik. Die aufstrebenden asiatischen Länder sollten nicht als eine Bedrohung, sondern vielmehr als eine Herausforderung in den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit und Innovation gesehen werden.

1.7

Die einzelnen Regierungen sollten die Euro-Zone mit Überzeugung fördern; ihnen wird nahe gelegt, nicht dem Euro die Schuld an den Problemen der nationalen Wirtschaft zu geben und die Vorteile, die die Einführung der Einheitswährung für die Wirtschaft mit sich brachte, zu verschweigen. Ferner wäre zu wünschen, dass sich die Mitgliedstaaten, die zum Zeitpunkt der Euro-Einführung der Euro-Zone nicht beigetreten sind, klar zu ihren Plänen für die Zukunft äußern. Dies nicht nur, um die Öffentlichkeit der Euro-Zone zu informieren, sondern auch um die Festlegung der künftigen Euro-Politik zu ermöglichen — auf der Grundlage der Informationen darüber, welche und wie viele Volkswirtschaften der Euro-Zone angehören werden.

1.8

Der EWSA betont, dass angesichts der Bedeutung, die der Euro als internationale Währung erlangt hat, erneut und mit großem Nachdruck ein Antrag auf einen Sitz für die Euro-Zone im Internationalen Währungsfonds gestellt werden sollte. Dies sollte nicht auf Kosten eines der derzeitigen Mitglieder geschehen — vielmehr sollte ein Sitz hinzugefügt werden. Der Einwand, dass eine solche Möglichkeit im derzeitigen Statut des IWF nicht vorgesehen ist, erscheint wenig konsistent und lediglich als Vorwand.

1.9

Eine recht kontroverse Idee, die nur deshalb geäußert wird, um das Terrain für eine eventuelle künftige Realisierung zu sondieren, betrifft die Einrichtung eines europäischen Stabilisierungsfonds, der mit in wirtschaftlich guten Zeiten entstehenden Steuerüberschüssen gespeist und der Finanzierung von Projekten von gemeinschaftlichem Interesse dienen würde.

1.10

Im Allgemeinen hält der Ausschuss den Bericht der Kommission für akzeptabel, ergreift jedoch die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass sowohl in diesem Bericht als auch in der gesamten umfangreichen Dokumentation zum Euro die politische Dimension der Einheitswährung überhaupt nicht gebührend herausgestellt wird. Dabei gehen die Bedeutung des Euro sowie seine Auswirkungen und Perspektiven weit über die bloßen wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Aspekte hinaus: Der wahre Zusammenhalt der Union basiert auf der getroffenen Entscheidung, die Interessen verschiedener Länder zusammenzuführen und in einer gemeinsamen Währung münden zu lassen.

2.   Einleitung

2.1

Die Kommission hat eine Mitteilung über die Entwicklung der Wirtschaft der EU im Jahr 2006 veröffentlicht und den Schwerpunkt insbesondere auf die politischen Prioritäten zur Stärkung der Euro-Zone gelegt. Die Mitteilung basiert auf dem Dokument „Adjustment dynamics in the Euro area: experiences and challenges“ (1), das wie üblich eine wertvolle Referenzgrundlage für eine weitere Vertiefung ist.

2.2

Der EWSA hat es sich mittlerweile zur Gewohnheit gemacht, in Initiativstellungnahmen auf die jährliche Stellungnahme der Kommission (2) einzugehen. In der vorliegenden Stellungnahme sollen die zuvor bereits zum Ausdruck gebrachten Empfehlungen und Standpunkte erneut aufgegriffen und bekräftigt und gegebenenfalls nochmals in Erinnerung gerufen werden. Darüber hinaus möchte der Ausschuss zu den Überlegungen über die Funktionsweise der WWU beitragen und schlägt neue Elemente vor, beispielsweise den Gemeinsamen Rat der Minister für Wirtschaft und Beschäftigung der Euro-Zone oder die (zu Sondierungszwecken vorgeschlagene) Einrichtung eines europäischen Stabilisierungsfonds.

2.3

Andererseits lässt sich aus historischer Perspektive der Währungsunion heraus feststellen, dass verschiedene von der Kommission in jüngerer Zeit ergriffene bzw. empfohlene Maßnahmen an die Bemerkungen des EWSA anknüpfen, die er in seiner Stellungnahme aus dem Jahr 1997 (3) in Bezug auf die strikte Disziplin einiger grundlegender Aspekte des Stabilitäts- und Wachstumspaktes formuliert hatte. Darin hatte er festgestellt, dass die Merkmale der Konjunktur und der einzelstaatlichen Politiken bei der Bestimmung der Bezugsparameter und ihrer Anwendung nicht gebührend berücksichtigt wurden. Die Vorschläge des EWSA waren damals nicht befolgt worden, doch die Zeit hat gezeigt, dass sie zutreffend waren (4).

2.4

Der zu Beginn fehlende Sinn für die Realität schlägt sich nun in der (berechtigten, aber von Anfang an vorhersehbaren) Kritik an der Wirtschaftspolitik der Länder der Eurogruppe nieder. Bei der Aufstellung der nationalen Haushaltspläne sollte man sich auf gemeinsame makroökonomische Annahmen stützen. Der in der Sitzung der Minister der Eurogruppe am 6. November 2006 bekundete Wille des Vorsitzes blieb ein Lippenbekenntnis: Bei der Aufstellung der nationalen Haushaltspläne kommt die notwendige Koordinierung der Wirtschaftspolitiken noch lange nicht zum Tragen.

2.5

Auf der anderen Seite muss man sich im Klaren darüber sein, dass eine Koordinierung der Wirtschaftspolitiken angesichts der von Land zu Land variierenden sozioökonomischen Bedingungen und unterschiedlichen — bisweilen sogar entgegengesetzten Ziele — äußerst schwierig ist. Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn es gelänge, eine Konvergenz dieser Politiken zu erreichen. Die Konvergenz hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, insbesondere jedoch von der Beschäftigung — einem Faktor, dessen Ausmaß und Merkmale das Ergebnis zahlreicher Maßnahmen in anderen Politikbereichen sind.

2.5.1

Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Leitlinien der europäischen Beschäftigungsstrategie sind nunmehr zwei integrierte Strategien. Eine möglichst umfassende Konvergenz (zumindest als Versuch, im Laufe der Zeit eine Harmonisierung zu erreichen) könnte im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung der Eurogruppe und jenen Mitgliedern des Rates „Beschäftigung und Soziales“, die der Euro-Zone angehören, erreicht werden. Die Ergebnisse dieser Sitzung könnten im Hinblick auf die jährliche Frühjahrstagung des Europäischen Rates als wertvolle Anhaltspunkte für die Bewertung dienen.

3.   Die Mitteilung der Kommission

3.1

Die Mitteilung besteht aus drei begrüßenswert kurzen Teilen: der Bilanz der Erfahrungen, den besonderen Bemerkungen und den Empfehlungen der Kommission. Von mittlerweile anstandslos anerkannten Feststellungen und Wiederholungen von Grundsätzen, die im Laufe der Jahre zum Bestandteil der Leitlinien für die Wirtschaftspolitik wurden, wurde abgesehen.

3.2   Bilanz der Erfahrungen in den ersten Jahren der Währungsunion

3.2.1

Die Kommission verweist auf die Diskussion vor der Einführung des Euro 1999 über die wesentliche Frage, „wie die teilnehmenden Staaten sich auf Schocks und unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit unter Rahmenbedingungen einstellen würden, die von geringer Arbeitnehmermobilität, unvollständiger Integration der Waren- und Dienstleistungsmärkte und der Wahrung einzelstaatlicher Haushaltsautonomie geprägt sind“. Diese Frage ist auch heute noch aktuell. Allerdings haben sich die Zweifel jener, die in ihren pessimistischen Prognosen von einem „kurzen Leben“ der Währungsunion sprachen, nicht bewahrheitet.

3.2.2

Der Erfolg oder zumindest die positiven Ergebnisse des Euro sind unbestreitbar. Die Währung ist stark und stabil und hat gut auf die externen und internen Störungen reagiert. Auch einer Inflation konnte erfolgreich entgegengewirkt werden. Die Mitgliedstaaten kamen in den Genuss der „günstigsten Finanzierungsbedingungen aller Zeiten“. Einen weiteren Vorteil sieht der EWSA darin, dass einige Mitgliedstaaten der Euro-Zone vor einer Inflation bewahrt wurden, der ihre nationale Währung infolge verschlechterter Wirtschafts- und Haushaltsbedingungen mit Sicherheit ausgesetzt gewesen wäre. Der Euro — die zweitwichtigste Währung weltweit — hat die Mitgliedstaaten vor Währungs- und Finanzkrisen bewahrt, die das Wachstum behindert, Arbeitsplätze vernichtet und das Vertrauen der Wirtschaftsakteure zerstört hätten.

3.2.3

Den Erfolgen stehen jedoch einige Aspekte gegenüber, die nach wie vor problematisch sind. In zahlreichen Fällen konnten sich die einzelnen Volkswirtschaften nur schwer und mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen an die länderspezifischen Entwicklungen anpassen. Diese Unterschiede spiegelten sich in den Inflations- und Wachstumsraten wider. Die auf eine Konjunkturabschwächung der Volkswirtschaften zurückzuführenden Anpassungen hätten nach anfänglichen Verlusten an Wettbewerbsfähigkeit mittelfristig ein schnelleres tendenzielles Wachstum ermöglichen müssen. Dies war überhaupt nicht bzw. höchstens nur teilweise der Fall. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass sich „ganz allgemein […] feststellen [lässt], dass der Euro noch nicht in der Lage war, hohes Wirtschaftswachstum und hohe Beschäftigung über einen längeren Zeitraum zu erreichen“. Auf diese Behauptung wird der EWSA im weiteren Verlauf seiner Stellungnahme eingehen.

3.2.4

Andererseits räumt die Kommission ein, dass die Anpassungsschwierigkeiten nicht nur bzw. nicht vorrangig auf die verspäteten Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung und Durchführung struktureller Reformen zurückzuführen sind, sondern auch mit der durch die Regeln der Währungsunion auferlegten Haushaltsdisziplin zusammenhängen.

3.2.5

In den ersten Jahren der Wirtschafts- und Währungsunion wurden Ungleichgewichte und Verschiebungen in den realen effektiven Wechselkursen verzeichnet. In einigen Mitgliedstaaten kamen stark fallende Zinssätze und „eine Lockerung der Kreditbeschränkungen für Haushalte infolge des verbesserten Zugangs zu Krediten im stärker integrierten Finanzmarkt“ hinzu, was sich wiederum unmittelbar auf den Verbrauch von lang- und kurzlebigen Gütern auswirkte. Insbesondere in Bezug auf die langlebigen Güter (Immobilien) hatten diese Mitgliedstaaten enorme Investitionen im Ausland hinnehmen müssen, wodurch die Leistungsbilanzdefizite noch größer wurden.

3.2.6

Eine allgemeingültige Aussage der Kommission (auch wenn sie am Beispiel der Niederlande geäußert wurde) betrifft die „Risiken in der Gestaltung der Haushaltspolitik in ‚guten Zeiten‘“. In den Niederlanden führte die überaus günstige Konjunktur zu Beginn dieses Jahrzehnts zu prozyklischen Wirkungen im Arbeits- und Finanzmarkt sowie in der Fiskalpolitik. Externe Wirtschaftsbedingungen bewirkten einen plötzlichen Konjunkturrückgang, der wiederum drastische Gegenmaßnahmen zur Eindämmung dieses Phänomens erforderlich machte.

3.2.7

Auch die Preise und Löhne spielten in Bezug auf die Probleme eine Rolle. Auf nationaler Ebene haben sie zu langsam auf die Veränderungen der konjunkturellen Bedingungen reagiert, und das trotz einer generellen Lohnzurückhaltung, die unter anderem zum Abbau der Arbeitslosigkeit beigetragen hat. Das geringe Produktivitätswachstum führte dazu, dass die reale Entwertung auf den Preisen und insbesondere auf den Löhnen lastete. Aufgrund ihrer Wechselwirkung auf internationaler Ebene verursachen diese Phänomene Veränderungen bei der Nachfrage und wirken sich auf die Wettbewerbsfähigkeit aus.

3.2.8

Die Erfahrungen mit der nominellen und realen Konvergenz sind zwar unterschiedlich, jedoch auch aufschlussreich, wenn man sich nur die Mühe machen würde, die Tatsachen kritisch und objektiv zu analysieren. Die Kommission schreibt, dass die unterschiedlichen Erfahrungen „zum Teil“ unterschiedliche nationale Politikansätze widerspiegelten. Der EWSA stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die weltweite und die europäische Konjunktur in der Regel die gleichen Auswirkungen auf alle Länder hatte, so dass etwaige Unterschiede zu einem „großen Teil“ auf die nationale Politik zurückzuführen sind. Die von der Kommission genannten Beispiele Spaniens, Italiens, Portugals und Irlands sind der beste Beweis dafür, dass die Haushaltspolitik der „Grille“ und jene der „Ameise“ in wirtschaftlich guten Zeiten zu gänzlich unterschiedlichen Ergebnissen führten.

3.3   Notwendige Maßnahmen für ein reibungsloses Funktionieren der Währungsunion

3.3.1

Diesem Kapitel der Mitteilung muss eine sehr große Aufmerksamkeit geschenkt werden, da die fünf nachfolgend aufgeführten „spezifischen Überlegungen“ die Prioritäten der Kommission für die nächsten Jahre sind oder besser gesagt mit den Prioritäten der Kommission übereinstimmen.

3.3.2

Überlegung 1: Die Haushaltspolitik muss noch umsichtiger betrieben werden. Im Wesentlichen entsprechen die zu treffenden Maßnahmen jenen, die im Rahmen des überarbeiteten Stabilitäts- und Wachstumspakts angenommen wurden und von den Regierungen (nicht nur der Euro-Zone) mittlerweile verinnerlicht sein müssten. Dies alles wird in der selbstverständlichen, aber bei der Aufstellung der Jahrespläne offenkundig nicht immer befolgten Empfehlung zusammengefasst, der langfristigen Tragfähigkeit der Haushaltspolitiken Rechnung zu tragen.

3.3.3

Überlegung 2: Die Märkte für Güter und Dienstleistungen müssen flexibler werden. Die Kommission spricht von einer „größeren Flexibilität der Preise nach unten“, die bei starren Preisen unmöglich erreicht werden kann. Bei starren Preisen stößt eine Anpassung der Nominallöhne auf Widerstand, weil dies mit deutlicheren realen Kaufkraftverlusten verbunden wäre. Auch eine Neuaufteilung von Ressourcen zwischen Unternehmen und Sektoren sollte gefördert werden. Diese beiden Faktoren — die Flexibilität der Preise und die Neuaufteilung der Ressourcen — hängt von der Schaffung offener und wettbewerbsfähiger Märkte ab. Auch eine Überprüfung der Steuer- und Ausgabenpolitik (oder einiger ihrer Aspekte) — auf gemeinschaftlicher, einzelstaatlicher und lokaler Ebene — könnte notwendig sein.

3.3.4

Überlegung 3: Die Integration der Finanzmärkte muss beschleunigt werden. In diesem Bereich sind wichtige Fortschritte erzielt worden, doch nach Auffassung der Kommission muss noch viel getan werden, um das volle Potenzial der Finanzmärkte in der Euro-Zone zu nutzen. Eine größere Integration kann die Wirkung wirtschaftlicher Störungen auf Einkommen und nationale Kreditmärkte abfedern. Vom Aktionsplan für Finanzdienstleistungen und von den laufenden Maßnahmen sind bedeutende Ergebnisse zu erwarten.

3.3.5

Überlegung 4: Die Implikationen der Währungsunion müssen sich im Lohnsetzungsverhalten niederschlagen. Die am Lohnfindungsprozess beteiligten Sozialpartner müssen über Informationen verfügen, die für eine Berechnung der Angemessenheit der Lohnzuwächse erforderlich sind, um die Auswirkungen bei den Anpassungsprozessen abschätzen zu können. Eine Lohnpolitik, die mit den Entwicklungsplänen vereinbar ist, könnte dazu beitragen, signifikantes „Überschießen“ der realen effektiven Wechselkurse in der Euro-Zone zu vermeiden.

3.3.6

Überlegung 5: Die globale Dimension muss berücksichtigt werden. Diesem Aspekt soll „auf systematischere Weise“ Rechnung getragen werden. Im Rahmen der Wirtschaftspolitiken auf Ebene der Euro-Zone wie auch auf der der Einzelstaaten wurde dieser Aspekt oftmals unterschätzt, dabei spielt er bei der Festlegung der Wirtschaftspolitiken eine große Rolle. Der Einfluss des Euro (oder besser gesagt seiner Wechselkurse) auf andere Akteure der Weltwirtschaft muss genau ins Kalkül gezogen werden, da von ihm die handels-, finanz- und wirtschaftspolitische Strategie abhängt.

3.4   Der Weg zu einer stärkeren Euro-Zone

3.4.1

In diesem Abschnitt der Kommissionsmitteilung werden die für eine Stärkung und Vollendung der Währungsunion notwendigen Maßnahmen aufgezeigt — eine Priorität, die vor dem heutigen internationalen Hintergrund umso dringlicher wird. Insbesondere ein Satz soll an dieser Stelle zitiert werden: „Die unterschiedlichen Wirtschaftsentwicklungen in der Euro-Zone in der jüngeren Vergangenheit spiegelten in einem gewissen Maß anfängliche Entwicklungen wider, denen die Mitgliedstaaten in der Vorbereitungsphase zur Schaffung der Währungsunion in 1999 ausgesetzt waren“. Dieser Satz enthält (zumindest teilweise) die Erklärung für die unterschiedlichen Wachstumsentwicklungen und Politikansätze, die in diesen vergangenen neun Jahren verzeichnet wurden.

3.4.2

Der von der Kommission aufgezeigte „Weg“ wird nachstehend anhand der Titel dargestellt, da sich die entsprechenden Maßnahmen zum großen Teil aus dem Titel selbst und aus den zahlreichen Dokumenten zu den einzelnen Fragen erahnen lassen. Der zu beschreitende Weg umfasst folgende Maßnahmen:

a)

Strukturreformen beschleunigen und Integration fördern;

b)

weitere Stärkung fiskalischer Positionen und Verbesserung der Qualität der nationalen Haushalte;

c)

verstärkte Koordination innerhalb und außerhalb der Euro-Zone;

d)

die Erweiterung der Euro-Zone fördern;

e)

näher an die Bürger herankommen.

Zu den einzelnen Maßnahmen wird der EWSA im Folgenden Stellung nehmen.

4.   Bemerkungen des EWSA

4.1   Überlegung 1: Die Haushaltspolitik muss noch umsichtiger betrieben werden.

4.1.1

Der Ausschuss teilt die bisweilen implizite, aber dennoch transparente Kritik der Kommission an der Politik mancher Mitgliedstaaten, denen oftmals mehr daran gelegen ist, im Einklang mit den Konvergenzkriterien stehende Jahrespläne vorzulegen, als eine Strategie zur Stärkung der Haushalte zu betreiben. Bei dieser Kritik ist im Übrigen zu beachten, was der Ausschuss bereits lange vor der Einführung der Einheitswährung festgestellt hatte (5): Keine Regierung ist in vollem Umfang in der Lage, unabhängig von Zwängen und Einschränkungen eine eigene — und angemessene — Haushaltspolitik zu betreiben.

4.1.2

Abgesehen von den Zwängen, die von den Konvergenzkriterien auferlegt werden und die in einer „angemessenen“ Haushaltspolitik bereits berücksichtigt werden müssten, gibt es andere — innere und äußere — Zwänge. In Bezug auf die inneren Zwänge sollen an dieser Stelle lediglich die strukturellen Zwänge bzw. solche, die mit noch nicht umgesetzten Strukturreformen zusammenhängen, genannt werden. Zu den externen Zwängen zählt die Entwicklung der Weltwirtschaft und insbesondere die „Energierechnung“ — ein Faktor, der von Land zu Land stark variierende Merkmale aufweist und bei den Ursachen für die unterschiedlichen Wirtschaftspolitiken nie mitberücksichtigt wird. Zugegebenermaßen ist die Situation von Ländern, die in Bezug auf ihre Energieversorgung (fast) vollständig vom Ausland abhängen, gänzlich anders als die Situation von Ländern, die unabhängiger sind bzw. in manchen Fällen sogar selbst exportieren.

4.1.3

Der EWSA stellt fest, dass die Strukturreformen im Sinne der nachstehenden Ziffer 4.1.6 in der Vergangenheit nicht immer die erhofften Ergebnisse gebracht haben. Erforderlich sind eine bessere Koordinierung der Reformen innerhalb der einzelnen Länder und auf gemeinschaftlicher Ebene sowie eine größere Kohärenz mit den makroökonomischen Politiken zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigung. Dies war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Die enttäuschende Wachstumsentwicklung, die in allen Ländern recht ähnlich verlief, macht deutlich, dass das Wachstum in gewissen Ländern eine von den Reformen „unabhängige Variable“ war.

4.1.4

Auf die Empfehlung, der langfristigen Tragfähigkeit der Haushaltspolitiken Rechnung zu tragen (siehe Ziffer 3.3.2), soll an dieser Stelle gesondert eingegangen werden. Die Haushaltspolitiken sind stets eine Mischung aus Überlegungen wirtschaftlicher/sozialer Art und politischer Ausrichtung. Blickt man auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre in den Ländern der Euro-Zone zurück, so wird deutlich, dass nur wenige dieser Länder eine „politische Stabilität“ aufrechterhalten konnten. Regierungen unterschiedlicher Ausrichtung wechselten sich an der Spitze eines jeden Landes ab, was in einer Demokratie im Übrigen normal und wünschenswert ist. Doch gerade aufgrund dieser politischen Machtwechsel ist es fraglich, ob die Erarbeitung von Plänen für eine langfristige Tragfähigkeit Sinn macht (6): Die Zuverlässigkeit solcher Pläne hängt nämlich von der Stabilität der Regierungen und natürlich auch von zahlreichen anderen exogenen Faktoren ab.

4.1.5

Ein besonderer Aspekt der Strukturreformen betrifft in einigen Ländern die Höhe der öffentlichen Verschuldung, die deutlich über dem im Rahmen der Maastricht-Kriterien festgelegten Parameter liegt (60 % des BIP) und mit den Jahren keine nennenswerte positive Entwicklung erkennen lässt. Nach Auffassung des Ausschusses ist es nicht ausreichend, diese Verschuldung mithilfe des Haushaltsüberschusses aus einigen günstigen Jahren bzw. mithilfe so genannter „One-Shot“-Operationen zu reduzieren. Erforderlich ist eine größere Effizienz der öffentlichen Ausgaben bzw. — sollte sich diese Maßnahme als unzureichend erweisen — ihre radikale strukturelle Reform.

4.1.6

Der von der Kommission aufgezeigte Weg, auf den in Ziffer 3.4.2 verwiesen wurde (Strukturreformen beschleunigen), ist somit mit Hindernissen gespickt und geht mit einem beträchtlichen Ausmaß an Subjektivität (je nach politischer Ausrichtung) einher. Die Strukturreformen (Renten- und Gesundheitssystem, öffentliche Verwaltung, Liberalisierung, Energie) haben starke soziale Auswirkungen, und die Sozialpartner sind an diesen Reformen in einer maßgeblichen (von Land zu Land unterschiedlichen) Weise beteiligt. Keine Regierung kann Maßnahmen ergreifen (seien sie nun zweckmäßig oder nicht), die von den Bürgern nicht mitgetragen werden. Die jüngere Geschichte zeigt, dass Strukturreformen oftmals das Ergebnis eines Kompromisses aus unterschiedlichen und bisweilen entgegengesetzten Anforderungen sind: Bei den abstrakten „rationalen“ Reformen müssen reale und unausweichliche Anforderungen berücksichtigt werden.

4.1.7

Der Ausschuss anerkennt die Wichtigkeit der Durchführung gut konzipierter und unter den Mitgliedstaaten gut abgestimmter Strukturreformen. Gleichwohl können sich einige dieser Reformen für die Haushalte als besorgniserregend darstellen, so dass sie infolge dessen vorsichtshalber ihre Sparquote anheben. In Prozentpunkten ausgedrückt erscheint die Entwicklung dieser Sparquote bislang zwar unerheblich, in absoluten Zahlen sieht sie jedoch anders aus. So stieg die Sparquote zwischen 2001 und 2005 jährlich um weniger als einen Prozentpunkt an. Dies entspricht jedoch einem Betrag von knapp 50 Milliarden, der nicht in den Konsum geflossen ist (7). Einige sind der Auffassung, dass dies jedoch ein positives Zeichen sein könnte: Ist der Konsumanstieg niedriger als der Anstieg der Sparquote, so könnte dies auch ein größeres Vertrauen der Bürger in die Zukunft der Wirtschaft bedeuten. Andere machen hingegen auf die Investitionen im außereuropäischen Ausland aufmerksam und bemängeln, dass sie höher sind als die Investitionen in Europa. Dies sind unterschiedliche Standpunkte; ihr gemeinsamer Nenner ist jedoch, dass der Anstieg der ausländischen Investitionen in Europa schließlich eine positive Folge der Globalisierung ist.

4.2   Überlegung 2: Die Märkte für Güter und Dienstleistungen müssen flexibler werden

4.2.1

Die Kommission unterstreicht, dass die öffentlichen Haushalte die aktive Anpassung der Flexibilität der Märkte für Güter und Dienstleistungen stärker unterstützen müssen. Mit Flexibilität meint sie die „Flexibilität nach unten“ — entgegen der Erfahrung, die die Euro-Zone in den ersten Jahren ihres Bestehens gemacht hat. Ein gangbarer Weg wäre in diesem Zusammenhang die Lockerung der Preise und die Förderung einer besseren Neuaufteilung von Ressourcen zwischen Unternehmen und Sektoren. Dadurch würde eine Lohnpolitik gefördert, die mit der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines angemessen hohen Lohnniveaus und der Reduzierung der sozialen Kosten der zyklischen Anpassungsprozesse besser vereinbar wäre.

4.2.2

Die Überlegungen der Kommission sind vermutlich richtig, doch fragt sich der EWSA, ob sie realistisch sind bzw. für jede Situation und jedes Land zutreffen. Die Integration der nationalen Märkte (zweiter Teil der Ziffer 3.4.2 a)) kann zwar zum Teil durch eine Ankurbelungspolitik der Regierung gefördert werden, doch die Lohnpolitik hängt zum großen Teil von der Konsultierung und den Verhandlungen der Sozialpartner ab. Folglich ist die Flexibilität der Preise in einer freien Marktwirtschaft nicht immer und nicht überall von Maßnahmen der Regierung unabhängig. Sie hängt in der Praxis von der Einigung zwischen unterschiedlichen Parteien wie Regierung, Unternehmer und Arbeitnehmer ab. Gleiches gilt in gewissem Maße für die Neuaufteilung der Ressourcen zwischen Unternehmen und Sektoren, die sich zwar durch steuerliche Maßnahmen bzw. Regelungen sicherlich fördern lässt, letztendlich aber von den Möglichkeiten des Marktes und von der Einigung zwischen den Sozialpartnern abhängt.

4.2.3

Die Liberalisierung sollte als ein möglicher Aspekt der Neuverteilung der Ressourcen zwischen Unternehmen gesondert erörtert werden. Trotz einer formalen Anerkennung des Prinzips wird in der Praxis deutlich, dass der Zweck der Liberalisierung sowie die Art und das Ausmaß ihrer Durchführung von Land zu Land variieren — je nach der politischen Ausrichtung der einzelnen Länder, die unterschiedlich und bisweilen gar entgegengesetzt ist. Über die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Preise (die Qualität ist eine andere Frage) und auf die Konkurrenz lässt sich streiten, sie legen jedoch den Schluss nahe, dass die Liberalisierung nicht immer und überall die erhofften Ergebnisse brachten. Folglich hängen die Flexibilität der Preise und die Anpassung der Lohnpolitik auch von der Möglichkeit einer Liberalisierung ab, vorausgesetzt, die Maßnahmen werden durchgeführt, wenn der Markt dies zulässt, und die dabei entstehende Konkurrenz bringt echte Vorteile für die Verbraucher.

4.3   Überlegung 3: Die Integration der Finanzmärkte muss beschleunigt werden

4.3.1

Der vor drei Jahren eingeleitete Aktionsplan für Finanzdienstleistungen brachte sowohl in Bezug auf die Zahlungssysteme als auch die Finanz- und Wertpapiermärkte sowie die Bankdienstleistungen für Unternehmen („corporate“) gute Ergebnisse (die Kommission spricht von „wichtigen Fortschritten“). Im Hinblick auf diese Sektoren kann man von einer fortgeschrittenen Integration der Finanzmärkte sprechen. Zu ergreifen sind noch Maßnahmen zur Überwachung und zur Ausübung der Stimmrechte sowie Fusionen von Unternehmen. All diese Maßnahmen sind notwendig, obgleich diese Aspekte keine echte Hürde für die bereits laufende Integration darstellen.

4.3.2

Das von der Kommission angesprochene Problem in Bezug auf Kredite und Finanzdienstleistungen für Privatverbraucher im Allgemeinen soll an dieser Stelle gesondert erörtert werden. In der Kommissionsmitteilung heißt es: „Eine größere Finanzmarktintegration kann die Wirkung wirtschaftlicher Störungen auf Einkommen und nationale Kreditmärkte glätten“. Diese Feststellung ist sicherlich begründet, es bleibt jedoch fraglich, ob sie sich in maßgeblicher Weise umsetzen lässt. In Bezug auf die Finanzprodukte ist die Integration auf gemeinschaftlicher Ebene bereits Realität: Nichts hindert einen Bürger aus einem Mitgliedstaat daran, Wertpapiere in einem anderen Mitgliedstaat zu erwerben bzw. zu verkaufen. Im Hinblick auf die Finanzdienstleistungen, insbesondere die Kredite, ist die Situation hingegen komplexer: Eine Integration auf europäischer Ebene lässt sich in diesem Bereich in naher Zukunft schwer erreichen.

4.3.3

Die Finanzdienstleistungen (die gemeinsam mit den Versicherungsdienstleistungen eine Ausnahme bilden) gehen mit einem Risiko für den Verkäufer einher, da die Realisierbarkeit einer jeden Transaktion von der Zuverlässigkeit des Kunden abhängt. Dabei muss sich der Verkäufer Informationen im Ausland einholen, und bei der Ausarbeitung eines Vertrags müssen unter anderem die Modalitäten zur Schlichtung eventueller Streitigkeiten bzw. Regelung von Insolvenzen berücksichtigt werden. Auf dem nationalen Markt bereitet all dies keine Probleme. Im Falle einer Integration auf gemeinschaftlicher Ebene mit denselben Bestimmungen müssen jedoch unterschiedliche Sprachen verwendet und die Gesetze (sowie die eventuelle Zuständigkeit der Gerichte) des Landes des Käufers beachtet werden. Dies geht mit Kosten, Schwierigkeiten und Hindernissen einher, die sich mit Gesetzen bzw. Regelungen nur schwer überwinden lassen. Ein gangbarer Weg, der bereits beschritten wird, ist die Öffnung von Filialen des Verkäufers im Land (in den Ländern) des Käufers. In diesem Fall kann allerdings nicht von einer Integration der Märkte, sondern vielmehr von einer Erweiterung des Binnenmarktes im Einklang mit der Niederlassungsfreiheit gesprochen werden. Das Positive daran ist die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf den nationalen Märkten und eine größere Auswahl für den Verbraucher.

4.3.4

Eine weitere Integration der Finanzmärkte für Privatverbraucher kann folglich kurzfristig mithilfe von rechtlichen Initiativen bzw. Förderungsmaßnahmen nicht erreicht werden. Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten sich bei ihren Bemühungen auf Ziele konzentrieren, die tatsächlich erreichbar sind, und von Zielen, die sich nur schwer realisieren lassen, absehen.

4.3.5

Abschließend stimmt der EWSA den Empfehlungen der Kommission insofern zu, als die Integration der Finanzmärkte beschleunigt werden muss, da dadurch zur besseren Kanalisierung der Finanzressourcen in Bereiche, in denen sie am meisten gebraucht werden, beigetragen wird. Gleichzeitig betont er, dass die geltenden Regelungen (sowie die in Überarbeitung befindlichen ergänzenden Regelungen) für die Sicherung einer auf den Gesetzen des Marktes beruhenden Integration ausreichend sind. Notwendig sind allenfalls Normen zur Gewährleistung eines besseren und einheitlicheren Schutzes der Verbraucherinteressen.

4.4   Überlegung 4: Die Implikationen der Währungsunion müssen sich im Lohnsetzungsverhalten niederschlagen

4.4.1

Der Ausschuss ist etwas verwundert über einen Satz in der Kommissionsmitteilung, wonach die Sozialpartner nicht über die erforderlichen Informationen über die Implikationen und Konsequenzen verschiedener Handlungsoptionen verfügen und deshalb eine unangemessene Lohnpolitik betreiben. Dieser Standpunkt steht im Widerspruch zu dem, was die Kommission selbst in einer Studie (8) zum Ausdruck gebracht hat: Darin heißt es, dass die Entwicklung der Nominallöhne in der Euro-Zone in den Jahren 1999-2005 mit dem Ziel der Preisstabilität übereinstimmte, wobei die reellen Lohnstückkosten ein rückläufiges Wachstum von – 0,4 % aufwiesen. Deutlich wurde dabei auch, dass die verbesserten wirtschaftlichen Bedingungen bislang kein beschleunigtes Wachstum der Löhne mit sich brachten, was bedeutet, dass die Entwicklung der Lohnstückkosten mit den Grundsätzen der Preisstabilität und eines beschäftigungsfördernden Wachstums übereinstimmten. Darüber hinaus konnten die Erzeuger trotz des Drucks der anderen Kostenfaktoren neben den Lohnkosten und einer Verschärfung der internationalen Konkurrenz ihre Gewinnspannen halten.

4.4.2

Zu diesem Problem hat sich der Ausschuss bereits in einer Stellungnahme (9) im Jahr 2003 geäußert. Diese Stellungnahme behält nach wie vor ihre Gültigkeit. Darin hatte der Ausschuss festgestellt, dass die Löhne ein Wettbewerbsfaktor sind, aber auch die Nachfrage auf dem Binnenmarkt erhöhen. Der Ausschuss hatte betont, dass ein mittelfristiger Lohnzuwachs, der sich am nationalen Produktivitätszuwachs orientiert, die Balance zwischen ausreichender Nachfrageentwicklung und Wahrung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet.

4.4.3

In diesem Zusammenhang erinnert der EWSA an die Schlussfolgerungen des Rates „Beschäftigung“ vom Januar 2007 und an die Schlussfolgerungen der Eurogruppe vom Februar 2007, in denen es heißt, dass annehmbare Lohnbedingungen geschaffen und die Früchte des Wachstums besser verteilt werden müssen.

4.4.4

Der Ausschuss hält an seinem langjährigen Standpunkt zum makroökonomischen Dialog fest: Dieser muss ausgebaut werden, um eine bessere Koordinierung und bessere Synergien zwischen den verschiedenen Bereichen der makroökonomischen Politik (Geldpolitik, Haushalt, Lohn) zu erreichen. Diese fehlende Koordinierung bestärkt den Ausschuss im Übrigen in seiner Überzeugung, dass gemeinsame Treffen der Eurogruppe und des Rates „Beschäftigung“ (siehe Ziffer 2.5.1) nützlich, ja gar notwendig, sind.

4.4.5

Die Kommission drückt zwar ihre Unzufriedenheit mit der Entwicklung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung aus, sie nimmt dies befremdlicher Weise aber keineswegs zum Anlass, die Angemessenheit der bisherigen Ausrichtung der makroökonomischen Politiken und ihres empfohlenen Policy-Mix zu überdenken. Solange die Konzeption der Haushalts- und Geldpolitik unverändert bleibt, sollte nicht nur von der Lohnpolitik eine Anpassung an die Erfordernisse der Währungsunion gefordert werden. Eine solche Politik würde den Sozialpartnern die Verantwortung dafür übertragen, Fehler anderer Politikbereiche auszugleichen.

4.5   Überlegung 5: Die globale Dimension muss berücksichtigt werden

4.5.1

Die Überlegungen der Kommission zur erforderlichen Berücksichtigung der internationalen Dimension sind durchaus vertretbar und nur zu selbstverständlich. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass gerade die Kommission und der Rat diesen Faktor bei der Ausarbeitung der ursprünglichen Fassung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes unterschätzt hatten — trotz der Empfehlungen des EWSA, der herausgestellt hatte, dass langfristige Pläne angesichts unvorhersehbarer Entwicklungen auf der internationalen politischen Bühne unsicher sind. Es ist unnötig, darauf hinzuweisen, dass die Ereignisse des vergangenen Jahrzehnts diese Feststellung mehr als bestätigt haben. Heute ist die Unvorhersehbarkeit des kommenden Jahrzehnts sogar noch größer. Die „Berücksichtigung der globalen Dimension“ bei der Konzipierung mittel- bis langfristiger Pläne hat somit eher eine theoretische Bedeutung.

4.5.2

In Bezug auf die Jahrespläne sind alle Mitgliedstaaten — ob sie nun zur Eurogruppe gehören oder nicht — insbesondere im Hinblick auf das Erdöl und die wachsende Konkurrenz aus Asien von der Entwicklung des Welthandels betroffen. Auf Länder, die in Bezug auf das Erdöl relativ unabhängig sind, hat die zyklische Preisentwicklung geringere Auswirkungen. Alle anderen Länder sind jedoch Konjunktureinbrüchen mit den entsprechenden Folgen für die Binnenpreise und ihre Wettbewerbsfähigkeit stark ausgesetzt.

4.5.3

Analog dazu eröffnen die aufstrebenden asiatischen Länder neue Märkte für die wettbewerbsfähigsten Länder Europas. Geschwächt wird dabei jedoch die Position jener Länder, die weniger auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovation gesetzt haben. Nach Auffassung des Ausschusses wird zu stark darauf abgehoben, dass die schwache Wettbewerbsfähigkeit mit dem Wechselkursverhältnis des Euro im Vergleich zu den asiatischen Währungen und dem US-Dollar zusammenhängt. Der Mangel ist größtenteils struktureller Art und sollte Gegenstand einer radikalen Überarbeitung der Politiken vonseiten der Regierungen und der Sozialpartner werden.

5.   Andere gangbare Wege

5.1

Zu einigen der „gangbaren Wege“ wurde bereits im Rahmen der verschiedenen Bemerkungen Stellung genommen. Ergänzend dazu werden nachstehend einige Argumente angeführt, die sich auf andere von der Kommission behandelte Aspekte beziehen.

5.2

Nach Auffassung des Ausschusses darf sich die Kommission nicht auf einen rein ökonomistischen Ansatz beschränken und dabei die politische Dimension außer Acht lassen. Der Währungsraum ist kein Selbstzweck, sondern Bestandteil eines umfassenderen zivilgesellschaftlichen Projekts, eines „miteinander leben wollen“. In der Geschichte gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass Währungsräume zwischen Ländern, die keine Integration angestrebt haben, letztendlich zum Scheitern verurteilt waren (10). „Die Umstellung auf den Euro [sollte] nicht einfach als technische Währungsänderung angegangen und geplant werden […], sondern als bedeutende Umstellung mit beträchtlichen wirtschaftlichen, geldpolitischen und sozialen Auswirkungen“ (11). Diese Botschaft muss sich die EU-27 bei der Überprüfung der Verträge vor Augen halten, um eine institutionelle Krise zu bewältigen, der unterschiedliche Faktoren zugrunde liegen — unter anderem auch eine weit verbreitete wirtschaftliche und soziale Unzufriedenheit.

5.3

Auch zur Förderung der Erweiterung der Euro-Zone (vgl. Ziffer 3.4.2 d)) soll hier Stellung genommen werden. Die Kommission nennt die Vorteile für die Euro-Mitglieder sowie für jene Mitgliedstaaten, die der Währungsunion noch nicht angehören, wobei sie damit nur „die sich auf den Beitritt zur Euro-Zone vorbereitenden Staaten“, d. h. offensichtlich die neuen EU-Mitgliedstaaten, zu meinen scheint. Nicht ein Wort wird über das anhaltende Fernbleiben von Ländern verloren, die zum Zeitpunkt der Euro-Einführung bereits Mitglieder der Europäischen Union waren und von der „opt-out“-Klausel Gebrauch gemacht haben, die im Übrigen erneut zur Debatte gestellt werden sollte. Der EWSA hofft inständig, dass diese Länder ihre Entscheidung überdenken, und ist der Auffassung, dass ein Kommentar der Kommission zu diesem Aspekt klären könnte, ob die Hypothese eines Beitritts der Opt-out-Länder zur Euro-Zone endgültig verworfen werden soll oder nicht. Die Antwort auf diese Frage ist nämlich eines der Elemente, die bei der Entscheidung über die zukünftigen Strategien für den Euro herangezogen werden. Unverständlich ist ferner auch, wie bei mittel- bis langfristigen Plänen der Länder, die der Währungsunion nicht angehören, die Möglichkeit bzw. der Wille, der Euro-Zone beizutreten, unberücksichtigt bleiben kann.

5.4

Der Ausschuss will den Mitgliedstaaten der EWU ein klares Zeichen geben, damit sie sich weiterhin um die Einhaltung der Maastricht-Kriterien und die Konvergenz der Politiken bemühen, um dadurch eine echte Konvergenz zu erzielen. Es ist gänzlich inakzeptabel, dass manche Staaten augenscheinlich eine laxe Politik betreiben, ohne dass dies durch Ausnahmebedingungen gerechtfertigt wäre. Durch ein solches Vorgehen verlieren diese Länder bei den anderen Mitgliedstaaten an Glaubwürdigkeit, was letztendlich auch die Glaubwürdigkeit des gesamten Europas beeinträchtigt.

5.5

Als letztes wird auf die Forderung nach einer größeren Bürgernähe eingegangen — eine Forderung, die so oft wiederholt wurde, dass sie nunmehr zu einem Leitmotiv geworden ist. Dennoch ist dieses Thema von wesentlicher Bedeutung, und es ist die direkte Verantwortung der einzelnen Regierungen gefragt. Die Vorteile des Euro springen jedem ins Auge, wenn er sie nur sehen will. Auf der nationalen Ebene rechnen sich jedoch die Regierungen die stabilen Preise, die leichter erhältlichen Kredite und andere Vorteile als ihr eigenes Verdienst an. Ist hingegen von (tatsächlichen oder angenommenen) Nachteilen und insbesondere vom Preisanstieg die Rede, so wird der Euro auch in den Fällen, wo die Währungsumstellung nicht die Ursache war, als Sündenbock bezichtigt. In der Politik ist niemandem daran gelegen, die Verdienste anderen anzurechnen, während hingegen jeder versucht, die Schuld für negative Entwicklungen anderen in die Schuhe zu schieben.

6.   Ergänzende Bemerkungen des EWSA

6.1

Zusätzlich zu den Bemerkungen zur Kommissionsmitteilung unterbreitet der EWSA als Anregung für weitere Überlegungen zwei weitere Anmerkungen.

6.2

Die Dynamik der Eurowechselkurse wurde als Ursache für die Schwankungen der Wettbewerbsfähigkeit Europas im Vergleich zu anderen Ländern, insbesondere Asiens, genannt. So sehr dieser Aspekt auch als Mitursache (und nicht als Hauptursache, wie in Ziffer 4.5.3 gesagt wurde) gelten mag, der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Antrag auf einen Sitz für die Euro-Zone im Internationalen Währungsfonds erneut und mit größerem Nachdruck gestellt werden muss. In der Vergangenheit wurde der Vorschlag erwogen, den Sitz eines der Mitgliedstaaten, die am IWF teilnehmen, gegen einen Sitz für den Euro zu tauschen. Kein Mitgliedstaat scheint jedoch wirklich bereit zu sein, seinen Sitz für den Euro zu räumen. Ideal wäre es, einen zusätzlichen Sitz für den Euro im IWF zu beantragen, doch kurzfristig erscheint eine Koordinierung der Vertreter der Mitgliedstaaten realistischer: es gibt keinen Grund, warum eine Währung, die im internationalen Handel eine wichtige Rolle spielt, keine eigene Vertretung haben soll. Der Einwand, dass dies nicht im Einklang mit dem Statut des Fonds stehe, ist ein schwaches Argument, denn angesichts der Tatsache, dass eine der weltweit stärksten Währungen nicht an der Gestaltung der internationalen Geldpolitik beteiligt ist, erscheint eine Änderung des Statuts keine große Sache.

6.3

Die Idee eines Europäischen Stabilisierungsfonds zum Abbau der Wachstumsdifferenziale zwischen den Mitgliedstaaten (12) wird vom Ausschuss mit großer Skepsis beurteilt. Um eine seriöse Diskussion darüber zu ermöglichen, müsste diese Idee jedenfalls noch weiter ausgearbeitet werden.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Provisorisches Dokument der Reihe „The EU Economy Review“ der GD Wirtschaft und Finanzen.

(2)  Siehe Auflistung der in jüngerer Zeit erarbeiteten Stellungnahmen zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik (Anhang).

(3)  Stellungnahme zu den für die dritte Phase der Währungsunion vorgesehenen Schritten, ABl. C 287 vom 22.9.1997, S. 74.

(4)  Der EWSA hatte unter anderem vorgeschlagen, die Konvergenzkriterien und insbesondere die Kriterien für Defizit und öffentliche Verschuldung, „regelmäßig, z. B. in Zehnjahresabständen, zu überprüfen“. Der Vorschlag wurde abgelehnt, doch es zeigte sich, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt noch vor Ablauf der vom EWSA vorgeschlagenen zehn Jahre überprüft werden muss.

(5)  „Die Regierungen sind nicht in allen Fällen in der Lage, ihre Volkswirtschaften nach eigenem Gutdünken zu steuern und (…) selbst die fundiertesten Prognosen können sich als Fehleinschätzungen erweisen“, Stellungnahme aus dem Jahr 1997, siehe Fußnote 3.

(6)  „Angesichts der Tatsache, dass die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen — in Europa, vor allem aber weltweit betrachtet — ständig im Fluss sind, sollte anstatt von Programmen eher von Grundsatzerklärungen die Rede sein, die nur soweit verbindlich sind, als die Konjunkturentwicklung den darin zugrunde gelegten Verlauf nimmt“. S. Fußnote 3.

(7)  Quelle: AMECO, Datenbank der GD ECFIN.

(8)  Europäische Kommission, „The contribution of labour cost development to price stability and competitiveness adjustment in the euro area“, Quarterly Report on the Euro Area, volume 6, no 1, 2007.

(9)  Vgl. Stellungnahme des EWSA zum Thema „Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2003-2005“, ABl. C 80 vom 30.3.2004, S. 120.

(10)  Die lateinische Münzunion (1861-1920) scheiterte unter anderem aufgrund der fehlenden Steuerdisziplin ihrer Mitglieder (Italien, Frankreich, Schweiz, Belgien und Griechenland). Die Währungsunion von 1873 zwischen Schweden (damals in Personalunion mit Norwegen) scheiterte mit dem Wandel der politischen Rahmenbedingungen. Die deutsche Zollunion aus dem 19. Jahrhundert hingegen, die in einer Währungsunion mündete, war dank der politischen Vereinigung von 1871 von Erfolg gekrönt. Der Währungserfolg und die politische Integration gehen somit Hand in Hand, da eine solche Union ein hohes Maß an wirtschaftspolitischer Koordinierung und somit einen gewissen Grad an Zentralisierung voraussetzt.

(11)  Bericht des Europäischen Parlaments über die Erweiterung der Eurozone (2006/2013 INI)), 1. Juni 2006.

(12)  Gespeist würde dieser Fonds von allen Mitgliedstaaten mit einem Teil des in wirtschaftlich guten Zeiten entstehenden Steuerüberschusses, welcher der Finanzierung von Projekten dient, die der Rat und das Europäische Parlament für prioritär und für im gemeinschaftlichen Interesse liegend befunden haben. Der Haupteinwand richtet sich gegen die damit verbundene Bestrafung einer disziplinierten Haushaltspolitik, also einem negativen Anreizeffekt.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/96


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Entwicklung auf den Finanzmärkten“

(2008/C 10/23)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu erarbeiten: „Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Entwicklung auf den Finanzmärkten“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 4. September 2007 an. Berichterstatter war Herr DERRUINE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 115 gegen 25 Stimmen bei 13 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

Information, Transparenz sowie Anleger- und Verbraucherschutz

1.1

Es ist von großer Bedeutung, statistische Instrumente für eine bessere Erfassung des Phänomens der Hedge-Fonds und Private-Equities (privates Beteiligungskapital) sowie Indikatoren für die Corporate Governance zu entwickeln — sie alle sollten zumindest auf europäischer Ebene harmonisiert werden.

1.2

Um den wachsenden Argwohn, mit dem ein Teil der Finanzindustrie betrachtet wird, zu zerstreuen, die Gefahr systemischer Schocks durch das Eingehen übermäßiger Risiken (insbesondere durch Verschuldung) zu begrenzen und einen fairen Wettbewerb unter den einzelnen Anlagearten zu gewährleisten, sollten für die Hedge-Fonds und Private-Equity-Fonds gewisse Aufsichtsstandards eingeführt werden (ein „Basel III“).

1.3

„Der EWSA ersucht die Kommission, sobald wie möglich den Entwurf eines Rechtsakts vorzulegen, der darauf abzielt, von den institutionellen Anlegern die Bereitstellung umfangreicherer Informationen über ihre Anlage- und Abstimmungsstrategien zu verlangen“ (1).

1.4

Für einen besseren Schutz der Anleger, die ihr Geld in Private-Equity-Fonds investieren, müsste die OGAW-Richtlinie (2) derart geändert werden, dass sie auch diese Akteure umfasst und sie zu mehr Transparenz zwingt. Wenn hohe Renditeversprechen locken, könnte der Endanleger das damit verbundene Risiko leicht übersehen.

1.5

Die Kommission sollte gemeinsam mit den interessierten Kreisen (wie Banken, Verbraucherverbände, Behörden und Dienstleistern) Initiativen fördern und fortsetzen, die darauf abzielen, den Kunden, die im Allgemeinen nicht über das erforderliche Wissen in Finanzangelegenheiten und damit das Bewusstsein für die mit Finanzgeschäften verbundenen Risiken verfügen, mehr Informationen zur Verfügung zu stellen und ihren Einblick in die Finanzdienstleistungen zu erhöhen (3).

1.6

Die börsennotierten Unternehmen, die Gegenstand einer Übernahme waren, deren Umsatz oder Beschäftigtenzahl jedoch ein gewisses Niveau übersteigt, sollten nach wie vor gehalten sein, ein Minimum an Informationen zu veröffentlichen, wenn sie von der Börse genommen werden und so die mit der Börsennotierung verbundenen Offenlegungspflichten entfallen.

Risikomanagement und Diversifizierung der Risiken

1.7

Es sollte die Möglichkeit erwogen werden, insbesondere im Falle des Arbeitnehmersparens eine Diversifizierung des Wertpapierbestandes in den Investitionsfonds vorzuschreiben und sich dabei auf bestehende Modelle zu stützen (s. auch Ziffer 1.2).

1.8

Die Krise des amerikanischen Subprime-Marktes hat sich auch auf andere Segmente des Finanzmarktes und auf die EU ausgebreitet. Aufgrund der fragmentierten Überwachungsstruktur, die eine angemessene Reaktion verlangsamen würde, ginge eine europäische Bankenkrise wahrscheinlich mit erheblichen Kosten einher. Nach dem Subsidiaritätsprinzip sollten die großen Kreditinstitute einer Überwachung auf europäischer Ebene unterliegen. Der Ausschuss fordert diese Institute sowie die Kommission und den Ausschuss der europäischen Bankaufsichtsbehörden (CEBS) dazu auf, gemeinsam die einschlägigen Modalitäten festzulegen und die Kriterien für die Ermittlung der betreffenden Banken aufzustellen.

1.9

Im Falle eines delegierten Fondsmanagements, durch das das entstehende Verwaltungsrisiko diversifiziert wird, würde eine Verlängerung der Managementaufträge einen langfristigeren Ansatz unterstützen und Spekulationen über die Arbitrage hinaus einschränken. Dadurch sollen verzerrtes kurzfristiges Denken und der Wettlauf um Renditen durch Spekulationen der Anbieter von Fondsmanagementdienstleistungen eingeschränkt werden.

1.10

Die Ratingagenturen, die insofern, als sie die Investitionsbanken dabei unterstützen, Finanzderivate aufzulegen, zu bewerten und auf den Markt zu bringen, zugleich die bewertende Instanz und Interessenträger sind, sollten transparenter gestaltet werden.

Die finanzielle Strategie und das europäische Sozialmodell in Einklang bringen

1.11

Angesichts der Tatsache, dass die sozial verantwortlichen Investitionen (4) derzeit nur einen geringen Anteil des Anlagevolumens (5) der eher langfristig ausgerichteten Pensionsfonds ausmachen, könnte die Gewährung steuerlicher Vorteile diese dazu anregen, Qualität und soziale Verantwortlichkeit in ihre Anlagepolitik aufzunehmen.

1.12

Die Kommission und die Mitgliedstaaten müssen darüber wachen, dass die soziale Verantwortung der Unternehmen sich auf alle Betroffenen erstreckt, darunter auch auf die Anlagefonds, die die Gesellschaften, an denen sie beteiligt sind, beeinflussen und sie mitunter leiten. In diesem Zusammenhang stellt der EWSA die Frage nach der Anwendung der Richtlinie zur Unterrichtung bzw. Anhörung der Arbeitnehmer auf Holdinggesellschaften (6) und fordert, wenn diese Holdinggesellschaften darin nicht berücksichtigt wurden, eine Revision dieser Richtlinie.

1.13

Zusätzlich müsste die Richtlinie über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen (7) aktualisiert werden, damit sie sich auch auf den Übergang von Unternehmen durch die Übertragung seiner Aktien erstreckt. Auf diese Weise würden die Rechte der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung besser gewahrt.

1.14

Die Statistiken über die Löhne und Gehälter (oder sogar über die Einkommen) müssten mindestens in Quintilen angelegt werden, um die Auswirkungen der Lohnpolitik auf die Preisstabilität besser bewerten zu können.

1.15

Die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bilden einen Grundpfeiler des europäischen Sozialmodells. Sie sind auch ein attraktives Ziel für fremdfinanzierte Übernahmen durch Private-Equity-Fonds, da sie einen hohen Cashflow erwirtschaften, sich in einer (Quasi-)Monopolstellung befinden, nur gering verschuldet sind und hohe Betriebskosten aufweisen. Damit den Verbrauchern und Bürgern kein Schaden entsteht und der Zusammenhalt nicht beeinträchtigt wird, wiederholt der EWSA seine Forderung, „auf Gemeinschaftsebene gemeinsame grundlegende Prinzipien für alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse festzulegen, die in einer Rahmenrichtlinie festzuhalten sind und ggf. für die einzelnen Wirtschaftszweige durch Richtlinien für einzelne Bereiche spezifiziert werden können“ (8).

Gerechte Besteuerung

1.16

Es sollte unter Berücksichtigung des Prinzips der Subsidiarität über Regelungen nachgedacht werden, die die steuerliche Absetzbarkeit der Sollzinsen im Falle einer Unternehmensübernahme einschränken, was einige Staaten bereits in Angriff genommen haben oder in Kürze in Angriff nehmen werden (Dänemark, Deutschland, Vereinigtes Königreich).

1.17

Im Rahmen der bereits von der OECD geleisteten Arbeiten und zur weiteren Bekämpfung des durch die Steuerparadiese bestehenden unfairen Wettbewerbs sollte die Möglichkeit erwogen werden, die Besteuerungsregelungen zu ändern, so dass die Steuerbemessungsgrundlage für die Hedge-Fonds in der Praxis nach dem Ort, wo der Manager seine Tätigkeit faktisch durchführt, festgelegt wird, denn im Allgemeinen operieren die Manager von den großen Städten der OECD-Länder aus. Daher sollte der anzuwendende Steuersatz auch nicht der für den Kursgewinn, sondern der für normale Einkünfte sein.

1.18

Angesichts der Tatsache, dass zahlreiche Entscheidungen für sehr kurzfristige Investitionen in den Steuerparadiesen (offshore) getroffen werden, fordert der EWSA den Rat, die Kommission und die EZB auf, über Maßnahmen nach Artikel 59 EG-Vertrag nachzudenken (9).

1.19

Der Ausschuss unterstreicht die Bedeutung einer intensivierten Koordinierung der steuerpolitischen Maßnahmen einschließlich der Festlegung von Mindestwerten, vor allem für die verschiedenen Formen der Kapitalbesteuerung. Die Rechtfertigung für eine derartige Politik liegt im zweifachen Interesse der Gleichbehandlung und der wirtschaftlichen Effizienz.

2.   Einleitung

2.1

In den letzten 25 Jahren ist es zu tief greifenden Veränderungen in der Weltwirtschaft gekommen. Als Ursache für diese Entwicklung wird in der Regel die Globalisierung genannt, wobei deren finanzielle Dimension sowie die Entstehung eines globalen Finanzmarktes jedoch nicht ausreichend berücksichtigt werden.

2.2

Obwohl sich die Medien und die politischen Entscheidungsträger nach wie vor auf das BIP als Indikator konzentrieren, müssen die Gegebenheiten differenzierter betrachtet werden, um der Wirklichkeit angemessen Rechnung zu tragen. 2002 belief sich das globale BIP auf 32 Trillionen US-Dollar; diese Summe mag zwar auf den ersten Blick astronomisch erscheinen, im Vergleich zum Volumen sämtlicher nicht im BIP erfasster Finanzgeschäfte, das mit 1 123 Trillionen 35 Mal höher ist, macht sie sich aber verschwindend gering aus!

Die Weltwirtschaft (in Trillionen US-Dollar, 2002)

Handel und Produktion

 

Abwicklungswährung

 

Derivatgeschäfte

699

USA (Dollar)

405,7

Devisengeschäfte

384,4 (10)

Eurozone (Euro)

372,9

Finanztransaktionen

39,3

Japan (Yen)

192,8

Güter- und Dienstleistungsgeschäfte

(globales BIP)

32,3

Andere Währungsgebiete

183,6

Gesamt (Interbankengeschäfte)

1 155

Gesamt (Interbankenzahlungen)

1 155,0

Quelle: François Morin: „Le Nouveau mur de l'argent: Essai sur la finance globalisée“, 2006

2.3

Institutionelle Investoren gelten als treibende Kraft hinter der Globalisierung der Finanzwirtschaft. Durch sie fanden auch die aus dem angelsächsischen Raum stammenden Gepflogenheiten der Corporate Governance (Schutz von Minderheitsaktionären, Verpflichtung zu Transparenz, rege Mitsprache institutioneller Anleger bei Jahreshauptversammlungen und Wandel der Beziehungen zwischen Aktionären, Unternehmensleitung und Arbeitnehmern) Verbreitung. Darüber hinaus kamen Kreditderivate auf — neuartige Finanzinstrumente, die eine Streuung der Risiken erlauben, die man fest an bestimmte Wertpapiere geknüpft glaubte. Diese Veränderungen wurden durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglicht bzw. beschleunigt.

2.4

Wichtig ist der Hinweis, dass die institutionellen Anleger im weitesten Sinne Strategien einsetzen, die sich je nach ihrem Anlagehorizont unterscheiden. Einige führen Arbitragegeschäfte durch, die zur Stabilisierung der Finanzmärkte beitragen, während andere, darunter die Pensionsfonds, sehr langfristigen Engagements genügen müssen. Auch kann man unter derselben Bezeichnung sehr Unterschiedliches finden; dies gilt zum Beispiel für die Private-Equity-Fonds, von denen einige auf fremdfinanzierte Unternehmensübernahmen (leveraged buy-out) spezialisiert und 3 bis 5 Jahre in einem Unternehmen investiert sind; andere wiederum betätigen sich als business angels, die innovative KMU mit Risikokapital versorgen und ihr Engagement bis zu 15 Jahren aufrecht halten (11).

 

Haltedauer

 

Aktien

Anleihen

Hedge-Fonds

1 bis 5 Monate

1 bis 5 Monate

Sonstige Investitionsfonds

9 Monate bis 1 Jahr

1 bis 6 Monate

Versicherungen

20 bis 40 Monate

6 Monate bis 2,5 Jahre

Privatleute

3 bis 5 Jahre

8 Monate bis 4 Jahre

Quelle: Natixis, „L'effet de la présence des hedge funds sur l'équilibre des marchés financiers“, Recherche économique, N°2007-04

2.4.1

Allerdings stehen diese Akteure zuweilen in einer engen Wechselbeziehung miteinander. So stammten beispielsweise 24 % des 2005 durch Private-Equity-Fonds aufgebrachten Kapitals von Pensionsfonds, 18 % von Handels- und Investmentbanken und 11 % von Versicherungsgesellschaften (12). Eine immer wichtigere Funktion der Investmentfonds und andere Vermögensverwaltungsgesellschaften ist die Vermögensverwaltung im Auftrag von Pensions- und Versicherungsgesellschaften.

2.5

Die institutionellen Anleger, die sich in den angelsächsischen Ländern bereits vor 20 Jahren in gewissem Umfang entwickelt haben, richten ihr Augenmerk nun nach und nach auf Kontinentaleuropa. Auch in zahlreichen Mitgliedstaaten wurden Fonds geschaffen. Heute wird immer noch die Hälfte der in den Händen von Fonds befindlichen Vermögenswerte durch amerikanische Investoren kontrolliert.

2.6

Schätzungen zufolge stehen institutionelle Anleger hinter 80 % des Börsenhandels. Somit scheint es nicht realistisch, Investitionen zu tätigen, die denjenigen dieser finanzstarken Akteure zuwiderlaufen. Auch beim transnationalen Aktienbesitz sind sie führend. Eine Eurobarometer-Erhebung (Herbst 2005) ergab, dass nur 1 % der Privatanleger Aktien ausländischer Unternehmen besitzen und nur 3 % den Kauf ausländischer Aktien erwägen! Zudem nehmen nur sehr wenige Privatanleger aktiv an den Jahreshauptversammlungen teil, während die institutionellen Anleger seit einigen Jahren auf dieser Bühne verstärkt Präsenz zeigen und entschlossen agieren.

2.7

Gegenstand dieser Stellungnahme sind in erster Linie die börsennotierten Gesellschaften, da sie auf den Börsenmärkten aktiv sind. In der Regel handelt es sich dabei um Großunternehmen. Da sie einen entscheidenden Einfluss auf die Beschäftigungssituation und das Verhalten der übrigen Unternehmen haben, wirkt sich der Wandel in diesen Unternehmen jedoch immer auch auf die Wirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes aus:

ein Drittel der europäischen und die Hälfte der amerikanischen Arbeitnehmer sind bei einem Großunternehmen beschäftigt;

sie sind vor allem in der Förderindustrie, im Verkehr, in der Telekommunikation und in den Dienstleistungen für Unternehmen — also in Kernbranchen — anzutreffen;

sie beeinflussen auch die Funktionsweise der KMU über Zulieferverhältnisse und finanzielle Beteiligungen.

3.   Konvergenz der Corporate-Governance-Systeme (13)

3.1

Im Allgemeinen unterscheidet man zwei Systeme von Corporate Governance, je nach den Einrichtungen und Verfahrensweisen zur Führung, Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens, nach den Beziehungen zwischen den Beteiligten und den Zielen des Unternehmens.

Kennzeichen des angelsächsischen Systems sind Unternehmen mit Streubesitz und institutionellen Anlegern, die sehr präsent sind, obwohl sie nicht an der Führung des Unternehmens beteiligt sind. Auch wenn die Anleger im Allgemeinen jeweils nicht mehr als 3 % der Wertpapiere besitzen, üben sie doch ihren Einfluss durch Verkäufe aus, die sie durchführen oder auch nur ankündigen. Dieses System ist typisch für Staaten, in denen zahlreiche Unternehmen börsennotiert sind.

Das kontinentaleuropäische System, das auch für die Mehrzahl der übrigen Länder, darunter Japan, gilt, ist durch Anleger gekennzeichnet, die Aktienpakete in der Größenordnung von 10 bis 20 % des Wertpapierbestandes halten, was ihnen eine tatsächliche Kontrolle über das Unternehmen ermöglicht. Diese Anleger sind der Staat, die Banken oder andere Unternehmen, und sie nehmen unmittelbar Einfluss auf das Management des Unternehmens. Im Gegensatz zum ersten System sind hier auch die Beschäftigten in gewisser Weise in die Unternehmensbelange eingebunden. Das extremste Beispiel dafür ist die „Mitbestimmung“ in Deutschland.

3.2

In den vergangenen zwei Jahrzehnten konnte eine Angleichung des kontinentaleuropäischen Systems an das angelsächsische System festgestellt werden. U.a. folgende Faktoren begünstigten diesen Konvergenzprozess: die Einheitliche Europäische Akte und die Privatisierung öffentlicher Unternehmen; die Steuerreformen in Deutschland insbesondere bezüglich der Kursgewinne an der Börse, die die Banken dazu veranlasst haben, ihre Industrieanteile zu verkaufen; die den institutionellen Investoren in den USA vom amerikanischen Ministerium für Arbeit auferlegte Verpflichtung, ihr Stimmrecht wahrzunehmen (1988 und 1994); eine florierende Wirtschaft in den Vereinigten Staaten in den 90er Jahren, die der relativen Stagnation in den kontinentaleuropäischen Staaten gegenüberstand; die Notierung großer Unternehmen an mehreren Börsenstandorten; die neuen internationalen Standards für die Rechnungslegung.

3.3

Dennoch gibt es eine gewisse Vielfalt an nationalen bzw. regionalen Ausformungen der Marktwirtschaft. Gründe dafür sind:

die nationale Vielfalt der Wirtschaftseinrichtungen hinsichtlich des geltenden Rechts, der Politik und Kultur sowie der Mittelausstattung;

die Wechselbeziehung zwischen den Kapital- und Arbeitsmärkten, den rechtlichen Bestimmungen und den Normen, die das Funktionieren der Unternehmen bestimmen;

die Kosten eines Systemwechsels, denn die Änderung eines der genannten Elemente gefährdet die Gesamtkohärenz.

4.   Wirtschaftliche Auswirkungen

4.1

Der Aufstieg der institutionellen Anlieger hat den Zugang zu den Finanzmärkten demokratisiert und zu einer besseren Diversifizierung der Portfoliorisiken beigetragen, indem das Fachwissen von Vermögensverwalterstäben verfügbar gemacht wird. Durch die Bündelung der Ersparnisse der Privatanleger steht mehr Kapital zur Verfügung, was eine bessere Diversifizierung ermöglicht, die das Risiko für den Einzelanleger minimiert. Die OGAW gestatten Privatanlegern mit kleinen Vermögen und geringen Kenntnissen des Marktes eine potenziell hohe Kapitalrentabilität. Die Kapitalkonzentration in den Händen der institutionellen Anleger senkt die Verhandlungskosten für Unternehmen und öffentliche Verwaltungen, da sie nur mit einem Gesprächspartner verhandeln müssen.

4.2

Die institutionellen Anleger jedweder Couleur (Hedge-Fonds, Pensionsfonds, Banken und Versicherungen, Private-Equities …) verwalten Vermögenswerte von 300 Millionen Privatanlegern hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten, Europa und Japan (14). Ihr Ziel ist die Renditenmaximierung für ihre Auftraggeber unter Berücksichtigung von deren Risikobereitschaft.

4.3

Der wachsende Anteil von Investitionsfonds an den Vermögenswerten der Privatanleger wirkt sich für Verbraucher und Privathaushalte zwangsläufig dahingehend aus, dass ihre Vermögenswerte stärker dem Marktrisiko ausgesetzt sind (15).

4.4

Neben den OGAW und den Versicherungen sind die Pensionsfonds in der Öffentlichkeit bekannt. Sie werden als eine mögliche Lösung zur Abfederung der durch die Bevölkerungsalterung entstehenden Kosten dargestellt. Es wird zwischen zwei Typen unterschieden: Produkte mit festgelegter Leistung oder Produkte mit festgelegtem Beitrag. Im ersten Fall wird das Risiko durch die Träger bzw. den Arbeitgeber, im zweiten Fall durch den Endanleger getragen. Obwohl der zweite Typ ein höheres Risiko in der Struktur der Vermögenswerte aufweist, erfährt er einen Zuwachs, da die Träger bestrebt sind, ihr Risiko, das sich aus der langfristigen Bindung ergibt, zu minimieren. Bei Arbeitnehmern finden zunehmend solche Anlageformen Anklang, die eine potenziell überlegene Rendite und eine einfachere Übertragbarkeit der Ansprüche auf andere Arbeitnehmer bieten. (16)

4.5

Die Vermögensverwaltung wird von den Fonds selbst durchgeführt, sehr oft aber auch (ganz oder teilweise) an Gegenseitigkeitsfonds oder sonstige Vermögensverwaltungsgesellschaften delegiert. Der theoretische Anlagehorizont ist dabei zwar lang, die Performance der Vermögensverwaltung wird jedoch kurzfristig und über die Rendite bewertet. Dies erklärt den stark angestiegenen Anteil der Aktien am Gesamtvermögen und hat zum Preisanstieg der Vermögenswerte beigetragen.

4.6

Die Konvergenz der Corporate-Governance-Modelle, die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie, das stärkere Engagement der institutionellen Anleger und ihre Renditevorstellungen haben Großunternehmen dazu veranlasst, die Rendite ihrer Aktien (Dividenden und Kursgewinne) um jeden Preis zu maximieren. Dabei wurden Aspekte wie die Generierung künftiger Cash-Flows oder die im Rahmen des europäischen Sozialmodells propagierte Partnerschaftlichkeit in den Hintergrund gedrängt.

4.7

So entstand ein neuer Unternehmensführungsstil. Charakteristisch für diesen Stil ist der proaktive Strategiewandel, bei dem es um die kontinuierliche Mehrung des Aktionärsvermögens (shareholder value) geht und weniger um die mittel- bzw. langfristige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, die dadurch gefährdet werden kann: Aktienrückkäufe durch das Unternehmen (shares buyback) zur besseren Darstellung der Nettoeigenkapitalrendite; Fusionen und Übernahmen, die zuweilen jeglicher wirtschaftlichen Logik entbehren; die Kappung von Geschäftsbereichen eines Unternehmens und die Integration von Aufgaben in die Aktivitäten der Unternehmensgruppe, um die Diversifizierung des Investmentportofolios zu erleichtern; Unternehmensverlagerungen; die Verkleinerung der Belegschaften und die Flexibilisierung der Arbeitsverträge zur Senkung der Fixkosten oder zur Umwandlung von Fixkosten in variable Kosten (17).

4.8

Allgemein hat die Forderung einer hohen effektiven Rendite auf Eigenkapital — 10 bis 20 % je nach Branche — destabilisierende makroökonomische Folgen: Renditen in dieser Größenordnung sind nur über ein Profitwachstum zu erreichen, das weit über dem BIP liegt. Dies hat neben anderen Faktoren (Migration, Unternehmensverlagerungen, Importanstieg…) dazu beigetragen, den relativen Wohlstand der Kapitaleigner zu mehren. Tatsächlich lässt sich in den europäischen Ländern eine Umverteilung des Mehrwerts beobachten. Den Daten der Kommission, der OECD und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zufolge ist der Prozentanteil der Löhne und Gehälter am BIP im EU-15-Durchschnitt von 71,5 % in den 80er Jahren auf 66,7 % im Jahr 2004 gesunken. Diese Verschiebung um beinahe 5 Prozentpunkte des BIP zeigt sich in einem entsprechenden Anstieg der Einkommen aus Kapital (Gewinne).

4.8.1

Diese Umverteilung des Wohlstands wirkt sich makroökonomisch betrachtet deflationär aus: Zwar wächst die Gesamtersparnis, da sich die Kaufkraft der Arbeitnehmer aber nur geringfügig erhöht, ist ihre Nachfrage nicht dynamisch genug, wodurch sich für die Unternehmen wiederum keine Investitionsanreize bieten. Da ein Großteil der Gewinne an die Aktionäre zurückfließt (durch Dividenden und Steigerung des Aktienwertes), entsteht überschüssige Liquidität, wodurch sich das Phänomen „hochschaukelt“.

4.8.2

Da die wichtigsten OECD-Länder um ausländische Direktinvestitionen konkurrieren, die durch überschüssige Liquidität stimuliert, aufgrund der nachlassenden Konjunktur auf ihrem Heimatmarkt aber gebremst werden, haben sie überdies einen Steuersenkungskurs eingeschlagen, der ihre öffentlichen Haushalte belasten könnte, sofern die Staatsausgaben — ausgenommen die Sozialausgaben (vgl. Bevölkerungsalterung) — nicht verringert werden.

4.8.3

Somit kommen fremdfinanzierte Unternehmensübernahmen (leveraged buyout), da Schuldzinsen in vielen Ländern steuerlich absetzbar sind, einer Art Beihilfe der öffentlichen Hand für privates Beteiligungskapital gleich, das dadurch eine Vorzugsbehandlung erfährt. Neben dem Problem der Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten anderer Wirtschaftsakteure, die solche Verfahren nicht nutzen, haben fremdfinanzierte Unternehmenskäufe auch Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte. Aus einer Studie des dänischen Steuerministeriums (18) geht hervor, dass sich die Ausfälle in Dänemark bis in zwei Jahren bei ansonsten gleichen Voraussetzungen auf 25 % der Gesamteinnahmen aus der Körperschaftssteuer belaufen könnten. Ähnliches gilt für die meisten europäischen Länder und die Eurozone, für die die Haushaltskriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts gelten.

4.8.4

Was die Gehälter der Fondsmanager anbelangt, so unterliegen die 20 % der Gewinnbeteiligung, die für gewöhnlich auf Erträge ab einer bestimmten Schwelle zu zahlen sind, in der Regel einem niedrigeren auf die Kursgewinne angewandten Steuersatz und nicht dem höheren Steuersatz auf normale Einkommen. Dies ist durch nichts gerechtfertigt, tragen sie doch selbst nur äußerst geringfügig zum Kapital bei. Diese Situation wirft ein Problem der steuerlichen Ungleichbehandlung zwischen diesem Personenkreis und anderen, stärker besteuerten Arbeitnehmern auf.

4.9

Nicht nur das Wesen und die Strategie der Unternehmen haben sich gewandelt, sondern auch die Rolle des Vorstandsvorsitzenden. Noch vor zehn Jahren war es seine Aufgabe, das Unternehmen und dessen Vermögenswerte im Interesse aller Beteiligten zu verwalten. Heutzutage geht es für den Vorstandsvorsitzenden vor allem darum, Nettogewinne für die Investoren zu erwirtschaften. Die Anzahl der erzwungenen Rücktritte von Vorstandsvorsitzenden aufgrund von Renditen, die hinter den Erwartungen der Aktionäre zurückbleiben, erreichte 2005 einen Höhepunkt; zehn Jahre früher mussten vier mal weniger aus diesem Grund zurücktreten. Mehr als ein Siebtel der Unternehmen erhielt eine neue Unternehmensleitung; noch vor zehn Jahren war es nur ein Elftel. Auch wurde die Dauer der Arbeitsverträge der Vorstandsvorsitzenden verkürzt. Diese immer schnellere Ablösung ist insofern problematisch, als dass notwendige Neuausrichtungen von Unternehmen für gewöhnlich drei oder vier Jahre dauern, bis sie umgesetzt sind.

4.9.1

Da sich aber in vielen Verwaltungsräten keine Nachfolger für einen abtretenden Vorstandsvorsitzenden finden lassen, kann dadurch eine Kaskade steigender Vorstandsgehälter ausgelöst werden, denn einerseits versuchen andere Arbeitgeber, Führungskräfte abzuwerben, während der aktuelle Arbeitgeber daran interessiert ist, sie zu halten. Deshalb bedauert die überwältigende Mehrheit der institutionellen Investoren die ihrer Meinung nach exorbitante Besoldung der Führungskräfte (90 %) und die fehlenden positiven Auswirkungen auf die Leistung des Unternehmens (78 %) (19).

4.9.2

Zwar scheinen die Unternehmen zunehmend vom Gebrauch von Aktienoptionen, die zu Interessenkonflikten und zu großen Skandalen geführt haben, abzurücken. Dennoch ist die Praxis der „goldenen Fallschirme“ und anderer Gratifikationen für Vorstandsvorsitzende, die nichts zur Verbesserung der Unternehmensleistung (in punkto Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung) beizutragen vermochten, in den Augen der Öffentlichkeit schockierend.

5.   Zusammenhalt bzw. soziale Ungleichheiten

5.1

Auf der einen Seite wurden zwar die hohen Ausschüttungen für die Aktionäre in der Vergangenheit häufig mit den Risiken begründet, unter denen sie ihr Kapital einsetzen, aber dieses Argument ist durch die Entwicklungen der letzten Jahre schwer erschüttert worden.

5.1.1

Die Verantwortung beschränkt sich auf ihre eigene Einlage, und die Übertragbarkeit ihrer Aktiva, bedingt durch eine aufgrund der neuen Technologien und ihre weltweite Verbreitung wachsende Liquidität der Finanz- und Börsenmärkte, reduziert das Risiko, das sie tragen, um ein erhebliches Maß und gibt ihnen nie gekannte Möglichkeiten des Ausstiegs und der Diversifizierung.

5.2

Auf der anderen Seite haben Wirtschaftswissenschaftler eine Saisonabhängigkeit der betriebsbedingten Kündigungen festgestellt, die im Januar und Juni am häufigsten auftreten, also zur Zeit der Festlegung und Revision der jährlichen Unternehmenshaushalte. Daraus wurde geschlossen, dass die Kündigungen weniger aus wirtschaftlicher Notwendigkeit heraus erfolgten, sondern eher dazu dienten, die Bilanzen zu verbessern (20).

5.2.1

Im Übrigen ist ein Trend zur Individualisierung der Arbeitsverträge sowie der Löhne und Gehälter wie auch eine Vielzahl atypischer Arbeitsverträge, wie z.B. befristete oder Zeitarbeitsverträge, festzustellen, durch die ein Teil der Fixkosten für die Lohnzahlung in variable Kosten umgewandelt und damit der Profit, d.h. die Rendite pro Aktie (Eigenkapitalrendite, return on equity), gesteigert werden soll. 1992 hatten 25,4 % der Arbeitnehmer einen befristeten oder Zeitarbeitsvertrag, und 2005 war dieser Wert auf 33 % angestiegen. Die Verbreitung dieser Art prekärer Verträge hat in diesem gesamten Zeitraum (außer 2005) stärker zugenommen als die Schaffung von Arbeitsplätzen, und was die befristeten Verträge angeht, so führten sie nur in 33 % der Fälle zu einer unbefristeten Beschäftigung, in 22 % der Fälle in die Arbeitslosigkeit und in 39 % der Fälle zu einem weiteren befristeten Vertrag (21).

5.2.2

Daraus ergeben sich neue Risiken für Arbeitnehmer und Unternehmen:

die Unternehmen investieren nicht in diese mobilen Arbeitskräfte, die sich wiederum nicht sehr anstrengen, da sie sich mit dem Unternehmen weniger stark verbunden fühlen und fürchten, aus den Weiterbildungsmaßnahmen keinen positiven Nutzen ziehen zu können (22), (23);

in einer Wissensgesellschaft ist das Humankapital in verstärktem Maße unternehmensspezifisch geschult und daher nur schwer ersetzbar, d.h. es kann nicht ohne Weiteres von einem Unternehmen in ein anderes verlagert werden; (24)

die Arbeitnehmervertreter sind nicht mehr in der Lage, ihre Gesprächspartner, an die sie sich im Rahmen des sozialen Dialogs zu wenden haben, auszumachen, da ihr „Unternehmensleiter“ aus einer diffusen Menge fluktuierender, gesichtsloser Anteilseigner besteht;

die Arbeitnehmer werden zu Konkurrenten:

auf globaler Ebene, weil die Produktionsmittel und das Finanzkapital eine hohe Mobilität aufweisen, weil die Zahl der Arbeitnehmer, die an der Wirtschaft teilhaben, sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks verdoppelt hat und weil insbesondere China und Indien die Weltbühne betreten haben;

auf nationaler Ebene wegen der hohen Arbeitslosenzahlen und der massiven Zunahme miserabler Beschäftigungsverhältnisse, durch die qualitativ hochwertige Arbeitsplätze in ihrem Wert noch steigen, und wegen des paradoxen Zustands bei der Aus- und Weiterbildung: einerseits gehört es zum guten Ton, darauf hinzuweisen, dass Aus- und Weiterbildung notwendig und die Kompetenzen nicht angemessen sind, andererseits ist fast jeder dritte Arbeitnehmer für die vom ihm ausgeübte berufliche Tätigkeit überqualifiziert; weniger qualifizierten Arbeitnehmern oder Leiharbeitern werden nicht in ausreichendem Maße Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten;

dieser Wettbewerb ist umso lebhafter, als die Mobilität der Arbeitnehmer recht eingeschränkt ist: aufgrund der Beibehaltung von Übergangsfristen für die Gesetze über die Wirtschaftsmigration, laut denen der Zugang eines Ausländers zum Arbeitmarkt von einem Arbeitskräftemangel in bestimmten Berufssparten abhängt (politische Einschränkungen), aufgrund des Fehlens wirklicher Fortschritte bei der Übertragbarkeit von Ruhegehaltsansprüchen, aufgrund einer Überhitzung des Immobilienmarkts (sozioökonomische Einschränkungen) oder aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse (kulturelle Einschränkungen).

5.2.3

Zwischen den Anteilseignern und Arbeitnehmern muss ein neues Gleichgewicht gefunden werden. Das Ungleichgewicht zeigt sich nicht nur in dem Zerrbild der Einteilung des BIP in „Kapital“ und „Arbeit“ und den im Vorfeld genannten Faktoren, sondern auch in einer sprunghaften Entwicklung der Finanz- und Börsenmärkte im Laufe der letzten Jahre. Diese kontrastiert mit dem Arbeitsrecht, das sich zurückentwickelt hat, d.h. den Arbeitnehmern nicht genügend Schutz bietet (sowohl im Hinblick auf die Arbeitsverträge, als auch bei der Weiterbildung (25) beispielsweise). Das zeugt davon, dass die Flexibilität der Arbeit (und die prekäreren Beschäftigungsverhältnisse) für die Unternehmen zu einer Anpassungsvariablen wird.

Entwicklung je nach sozialem System

 

 

Börsenwert/BIP

Schutz der Arbeitnehmer

Durchschnitt

Land

1990

2003

1990

2003

Angelsächsisches System

UK, USA, Kanada, Australien

54

119

0,63

0,73

Skandinavisches System

FI, DK, SV

28

85

2,71

1,89

Kontinentaleuropäisches System

FR, DE, AT, BE, NL

30

59

2,79

2,30

Mediterranes System

IT, ES, EL

16

57

3,67

2,61

Japan

 

98

70

2,10

1,84

NB: Für die neuen Mitgliedstaaten liegen keine Angaben vor

Der Schutz der Arbeitnehmer wird durch den von der OECD für die Jahre 1990, 1998 und 2003 erstellten Indikator „EPL (employment protection legislation) Version 1“ erfasst. Er umfasst die Schutzbestimmungen regulärer und befristeter Beschäftigungsverhältnisse. Je näher der Wert an Null liegt, desto schwächer ist die Bestimmung zum Schutz der Arbeitnehmer. (EPL Version 2 enthält außerdem Informationen über Massenentlassungen, reicht jedoch nicht bis in das Jahr 1990 zurück.)

5.2.4

Obwohl sich unter den Arbeitnehmern eine Aktienkultur herausgebildet hat, kann diese die Situation nicht verbessern, da es sich bei den Anlegern in erster Linie und in unverhältnismäßig hohem Maß (in Bezug auf ihre Repräsentativität innerhalb der gesamten Arbeitnehmerschaft) um Beschäftigte handelt, die die höchsten Einkommen erzielen (im Allgemeinen Personen aus der Führungsebene).

5.2.5

Wenn man bedenkt, dass ein Wirtschaftssystem historisch gewachsen ist (siehe Ziffer 3.3), ist es leicht zu verstehen, dass die Konvergenz der Corporate-Governance-Systeme (siehe Ziffer 3.1 und 3.2) auf dem europäischen Festland im Hinblick auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit keine deutlich erkennbaren Auswirkungen gehabt hat, obwohl das europäische Sozialmodell vor allem auf einer sozialen Marktwirtschaft beruht, die ein im weitesten Sinne partnerschaftliches, über die ausschließlichen Interessen der Anleger hinausgehendes Handeln voraussetzt.

5.3

Unter dem Druck des wachsenden internationalen Wettbewerbs und der Rentabilitätsnormen befinden wir uns seit einigen Jahren in einer Phase starker Lohnmäßigung (26). Doch sind nicht alle wirtschaftlichen und sozialen Gruppierungen von diesem Phänomen betroffen.

5.3.1

Aus diesem Grunde sollten die Europäische Kommission, Eurostat und die EZB nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten (27) ihre Statistiken (mindestens) in Quintilen (28) anlegen, um besser ermitteln zu können, welche Personengruppen (sehr hohes Einkommen, sehr niedriges Einkommen, mittlere Einkommensgruppen) den globalen Anstieg der Lohnmasse und der Einkommen insgesamt verursachen. Auf diese Weise würden, in dem Bewusstsein, dass die Angehörigen dieser verschiedenen Gruppen eine unterschiedliche Konsumneigung (29) an den Tag legen, die der Preisstabilität drohenden Risiken besser eingeschätzt werden können (vgl. auch Ziffer 4.8.4).

6.   FuE und Innovation

6.1

Da die institutionellen Anleger dazu neigen, bei ihren Investitionsentscheidungen zu schauen, was die anderen Anleger machen, ist es denkbar, dass es dadurch zu Überinvestitionen in einigen Branchen und gleichzeitig zu Unterinvestitionen in anderen Branchen kommt, wie die Börsenkrise der Jahre 2000-2001 gezeigt hat.

6.2

Das Beispiel der skandinavischen Länder macht deutlich, dass es möglich ist, soziale und technologische Spitzenleistungen mit einem eher banken- als börsengestützten Finanzierungssystem zu kombinieren.

6.3

Durch die Private-Equity-Fonds wird das Risikokapital zur Verfügung gestellt, das zur Aufnahme neuer Tätigkeiten durch kleine Unternehmen (start-up) benötigt wird, doch ist diese Finanzierungsnische seit einigen Jahren im Niedergang begriffen (2003: weniger als 10 % ihrer Investitionen) (30). Die Aktivitäten der Private-Equity-Fonds konzentrieren sich dagegen mehr und mehr auf die buy-outs, Unternehmensaufkäufe (2003: mehr als 60 %) (siehe Ziffer 7: „Hebelwirkung und systemische Risiken“). Durch diese Tendenz werden die Investitionen übrigens auch nicht stimuliert, da in Anbetracht der mit dieser Tätigkeit verbundenen Risiken die Private-Equity-Fonds in erster Linie darauf angelegt sind, den Anlegern ihr Kapital zurückzuzahlen und ihnen Dividenden auszuschütten, nicht aber darauf, langfristige Investitionen zu tätigen.

6.4

Neben FuE sind so genannte „komplexe“ Interaktionen (31) ein Wettbewerbsfaktor, der für alle Unternehmen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Diese komplexen Interaktionen umfassen Informationsaustausch, Meinungsbildung sowie die Koordinierung und Verfolgung weiterer Aktivitäten und verknüpfen im Austausch (von Gütern, Dienstleistungen und Informationen) mit anderen Arbeitnehmern, Kunden und Zulieferern verschiedene Formen des Wissens miteinander. Die Arbeitnehmer, die derartige Fähigkeiten einsetzen, machen heute bereits 25-50 % der Arbeitskräfte aus.

6.4.1

Die Unternehmen, die an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen wollen, können nicht länger auf die Standardisierung der Arbeit für die Beschäftigten, die zu komplexen Interaktionen fähig sind, oder auf ihre Ersetzung durch Maschinen setzen. Sie müssen vielmehr organisatorische Hindernisse beseitigen, eine Atmosphäre des Vertrauens unter ihren Mitarbeitern, aber auch zwischen den Mitarbeitern und dem Unternehmen selbst schaffen und ihnen die Möglichkeit geben, Entscheidungen zu treffen und rasch und problemlos zu kommunizieren. Die Stärke eines Unternehmens liegt folglich in seinem spezifischen kollektiven Wissen, das sich nur im Laufe der Zeit herausbildet.

6.4.2

Die Unternehmen verfügen heutzutage über einen sehr großen Handlungsspielraum, um die Produktivität der an komplexen Interaktionen beteiligten Arbeitnehmer zu verbessern. Für die übrigen Beschäftigten ist dies nicht in dem Maße der Fall. Das zeigt sich in den großen Leistungsunterschieden, die in den Branchen anzutreffen sind, in denen dieser Beschäftigungstyp von großer Bedeutung ist. Der soziale Dialog innerhalb einer Branche muss hier eine Rolle spielen, um insbesondere im Rahmen von Seminaren und Studien einen Erfahrungsaustausch zwischen den Unternehmen in Gang zu bringen.

6.4.3

Diese Hervorhebung der für ein Unternehmen spezifischen Kompetenzen lässt bestimmte Fragen bezüglich der Flexicurity aufkommen, die eine eher allgemeine Aus- und Weiterbildung vorsieht, um einen neuen Arbeitsplatz in einem anderen Unternehmen zu finden, das möglicherweise zu einer anderen Branche gehört als das Unternehmen, in dem der Arbeitnehmer bislang beschäftigt war.

7.   Hebelwirkung und systemische Risiken

7.1

Die von bestimmten Private-Equity-Gesellschaften betriebenen Buy-outs sind spekulativ und schuldenfinanziert. Sie gleichen einer Wette auf die Möglichkeit, in den folgenden 5 Jahren die von dem Zielunternehmen erwirtschafteten Erträge zur Kredittilgung nutzen und beträchtliche Gewinne erzielen zu können.

7.2

Im Jahre 1995 lagen diese Operationen in den Ländern Kontinentaleuropas in einer Größenordnung von 0,6 % des BIP, 2005 sogar bei 3 % (32). (Für das Vereinigte Königreich erreichen diese Zahlen 1 bzw. 7 %). Buy-outs sind nunmehr das Hauptbetätigungsfeld (70 %) der Private-Equity-Gesellschaften, während die Zufuhr von Wagniskapital nur einen geringfügigen, im Abnehmen begriffenen Teil ausmacht (2005 waren es 5 %).

7.2.1

In der zweiten Jahreshälfte 2006 sendeten die Zentralbanken (EZB, Bank of England) und die Ratingagenturen (Standard and Poor's) verstärkt Alarmsignale. Sie reagierten damit auf die Überhitzung dieses Sektors (500 Milliarden US-Dollar), der 2005 im Vergleich zum Vorjahr 70 Milliarden US-Dollar mehr mobilisierte. Ihre Sorge gilt dem systemischen Risiko aufgrund der stark angestiegenen Verschuldung der Gesellschaften und der Zunahme von „Schrottanleihen“ (junk bonds), die besorgniserregende Ausmaße angenommen hat.

7.2.2

Die Währungshüter stehen dabei vor dem Dilemma, dass mit jeder Zinserhöhung diese Aktivität zwar gedämpft, zugleich aber die Lage der Unternehmen, die gegenwärtig dank der weltweiten überschüssigen Liquidität überleben, schwieriger wird.

7.2.3

Die Buy-outs werfen zwei gänzlich anders gelagerte Probleme auf, die jedoch nicht weniger bedeutungsvoll sind:

werden derartige Operationen durchgeführt, indem eine Holding eingerichtet wird, findet die Richtlinie über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer keine Anwendung. Dadurch wird die Partizipation hunderttausender europäischer Arbeitnehmer beschnitten;

die Investmentfonds können über fremdfinanzierte Unternehmensübernahmen (LBO — leveraged buyout) im Namen der Gesellschaft, über die sie die Kontrolle gewinnen, einen Sitz im Verwaltungsrat großer europäischer Firmengruppen erlangen, die in strategischen Sektoren wie der Luft- und Raumfahrt tätig sind. Angesichts der Tatsache, dass einige amerikanische Fonds enge Verbindungen zu der Politik und den amerikanischen Nachrichtendiensten pflegen, könnte die technologische, militärische und politische Unabhängigkeit der EU insofern in Frage gestellt werden, als durch einen Sitz im Verwaltungsrat der Zugang zu vertraulichen Informationen gegeben ist (33).

7.3

Allgemein treiben mehrere verzerrende Faktoren die von den Private-Equity-Fonds angegebene Durchschnittsrendite künstlich nach oben. Da keinerlei Berichterstattungspflichten bestehen, legen nur die ertragsstärksten Private-Equitiy-Fonds ihre Ergebnisse offen, während diejenigen Fonds, die aufgrund schlechter Resultate geschlossen werden, einfach aus den Datenbanken verschwinden. Eine Studie der Citygroup ergibt, dass ein Aktienportfolio mit Unternehmen mittlerer Marktkapitalisierung („Mid-cap“) unter Berücksichtigung dieser Faktoren und bei Zugrundelegung eines Zeitraums von zehn Jahren renditenträchtiger ist. Unter Einbeziehung der Kosten für die Verwaltung und die Investition in diese illiquiden Vermögenswerte wird die reklamierte Performance noch geringer (34).

7.4

Bei den Hedge-Fonds handelt es sich um eine mehr als 1,5 Trillionen US-Dollar schwere Industrie. Zwar sind diese Fonds kein Novum, jedoch haben sie in den letzten 20 Jahren ganz wesentlich an Umfang zugelegt. An die Branche wird von Investorenseite, so etwa von Seiten der Pensionsfonds, die Forderung nach größerer Transparenz herangetragen. Diese Forderung führte unlängst dazu, dass verschiedene Ratingagenturen eine Bewertung der Kredite und des Risikos ausgearbeitet haben.

7.4.1

Aufgrund ihrer enormen Finanzkraft üben die Hedge-Fonds einen erheblichen Einfluss auf die Finanz-, Börsen- und Währungsmärkte aus, was Anlass zu weiterführenden Überlegungen geben könnte:

Die amerikanischen, englischen und kontinentaleuropäischen Finanzaufsichtsbehörden haben sich unlängst erneut darüber in Sorge gezeigt, dass die Investmentbanken den Hedge-Fonds die Erhöhung ihre Kreditaufnahmekapazität ermöglichen könnten, indem sie relativ illiquide Sicherheiten akzeptieren, deren Wert folglich im Falle einer Krise erdrutschartig fallen könnte. Zudem hegen sie Zweifel an den Offshore-Instrumenten. Hier können die amerikanischen Banken mit Hilfe der Hebelwirkung den Kreditrahmen der Hedge-Fonds über die gesetzlich erlaubten Grenzen hinweg ausdehnen.

Die Hedge-Fonds sind überdies in die „Carry-Trades“ involviert. Dabei handelt es sich um Finanzoperationen, bei denen ein Investor eine niedrig verzinste Währung (wie den Japanischen Yen oder den Schweizer Franken) leiht, um in eine höher verzinste Währung zu investieren (Australischer Dollar). Banken, darunter die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), und Wirtschaftswissenschaftler sind zunehmend davon überzeugt, dass diese für die Hedge-Fonds sehr gewinnträchtigen Operationen eine Erklärung für die Schwäche des Yens ist, der Ende Januar gegenüber dem US-Dollar einen Vierjahrestiefststand erreichte. Ein Zinsschock der japanischen Währung (bei einer Zinserhöhung in Japan aufgrund der Wirtschaftsbelebung im Land) könnte eine Finanzkrise auslösen. Die spekulativen Carry-Trades haben nach Einschätzung von Barclays Capital nach der Russlandkrise im Jahre 1998 einen Höchststand erreicht.

7.5

Die Derivate gestatten es den Banken, Risiken aus ihren Bilanzen „auszulagern“, indem sie sie in komplexe Finanzprodukte konvertieren, die wiederum handelbar sind. Dadurch wird das Risiko zwar „atomisiert“, andererseits jedoch in die Wirtschaft „injiziert“ und an Akteure weitergereicht, die möglicherweise keinen Aufsichtsregeln unterliegen.

7.5.1

Zwar ist die statistische Wahrscheinlichkeit eines großen Finanzkollapses mit systemischen Auswirkungen im Lauf der Zeit kleiner geworden, er bleibt aber durchaus möglich. Dann wären die Schäden größer als in der Vergangenheit, weil nunmehr engere Verbindungen zwischen den Institutionen und den Märkten bestehen, die sich aus den Finanzinnovationen ergeben; diese Innovationen haben die bessere Integration der Märkte sowie Unternehmensfusionen und -übernahmen in der Banken- und Versicherungsbranche ermöglicht (35).

7.5.2

Aufgrund der in den letzten Jahren verwendeten, immer stärkeren Hebelwirkung, die per Definition nicht in den Bilanzen erscheint, erweist sich eine realistische Abschätzung der „auf dem Spiel“ stehenden Geldmenge und des Risikos, dem das Wirtschaftssystem ausgesetzt ist, als unmöglich.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des EWSA „Überprüfung des Binnenmarktes“, INT/332.

(2)  Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) — ABl. L 375 vom 31.12.1985, S. 3-18.

(3)  Auf der von der Europäischen Kommission im März 2007 veranstalteten Konferenz „Increasing financial capability“ wurde darauf hingewiesen, dass der im Auftrag des britischen Finanzministers Gordon Brown erstellte Sandler-Bericht diesbezüglich interessante Überlegungsansätze enthält.

(4)  Vgl. insbesondere die im Rahmen der Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP FI) durchgeführten Arbeiten, darunter den Bericht „A legal framework for the integration of environmental, social and governance issues into institutional investment (Ein Rechtsrahmen für die Einbindung der Themen Umwelt, Soziales und Governance in die institutionellen Investitionen)“ (2005).

(5)  Vgl. insbesondere die im Rahmen der Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP FI) durchgeführten Arbeiten, darunter den Bericht „A legal framework for the integration of environmental, social and governance issues into institutional investment (Ein Rechtsrahmen für die Einbindung der Themen Umwelt, Soziales und Governance in die institutionellen Investitionen)“ (2005).

(6)  Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft — Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zur Vertretung der Arbeitnehmer — ABl. L 80 vom 23.3.2002, S. 29-34.

(7)  Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen — ABl. L 82 vom 22.3.2001, S. 16-20.

(8)  Vgl. ABl. C 309 vom 16. Dezember 2006, „Zukunft der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“

(9)  „Falls Kapitalbewegungen nach oder aus dritten Ländern unter außergewöhnlichen Umständen das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion schwerwiegend stören oder zu stören drohen, kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der EZB gegenüber dritten Ländern Schutzmaßnahmen mit einer Geltungsdauer von höchstens sechs Monaten treffen, wenn diese unbedingt erforderlich sind.“

(10)  davon entfallen 8 auf internationale Handelstransaktionen

Quelle: François Morin: „Le Nouveau mur de l'argent: Essai sur la finance globalisée“, 2006

(11)  Im Folgenden sollen einige grobe Merkmale zur besseren Unterscheidung zwischen Hedge-Fonds und Private-Equity-Gesellschaften gegeben werden. Hedge-Fonds operieren mit handelbaren Vermögenswerten, also mit Aktien, aber auch mit Rohstoffen, Kreditderivaten etc. Sie setzen verschiedene Strategien ein, um das von ihnen verfolgte Ziel eines möglichst hohen Gewinns zu erreichen. Bei der Investition in eine Aktiengesellschaft begnügen sie sich mit einem kleinen Anteil der Unternehmensaktien, engagieren sich jedoch sehr stark, um Einfluss auf die Unternehmensführung auszuüben. Private-Equity-Gesellschaften hingegen wollen an einem Unternehmen profitieren, indem hauptsächlich die fremdfinanzierte Unternehmensübernahme eingesetzt wird. Ist das Unternehmen dann keine börsengehandelte Gesellschaft mehr, entfallen die Offenlegungspflichten. Nach einer völligen Umstrukturierung über den Zeitraum von einigen Jahren hinweg zieht sich die Private-Equity-Gesellschaft aus der Investition zurück.

(12)  M. Aglieta „The surge in private equity“, 2007.

(13)  James Shinn: Private profit or public purpose? Shallow convergence on the shareholder model, Princeton University, 2001. In den Studien werden 14 Länder behandelt: USA, Vereinigtes Königreich, Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande und Spanien sowie China, Japan, Südkorea, Malaysia, Singapur und Taiwan. Roger M. Baker: Insiders, outsiders, and change in European corporate gouvernance, University of Oxford, 2006.

(14)  J. Peyrelevade, „Le capitalisme total“, 2005, S. 39-42.

(15)  Büro für wirtschaftliche Information und Vorhersagen, op cit. Der Anteil des Vermögens von Privathaushalten, der in Aktien, Gegenseitigkeitsfonds, Lebensversicherungen und Pensionen investiert ist, hat sich in Deutschland, Italien und Frankreich zwischen 1980 und 1998 mehr als verdoppelt und erreicht nunmehr beinahe 50 % in den beiden erstgenannten Ländern und 66 % in Frankreich. Im Vereinigten Königreich, obwohl das Ausgangsniveau dort bereits höher war, konnten diese Produkte einen Zuwachs von 52 % auf 76 % verbuchen.

(16)  Büro für wirtschaftliche Information und Vorhersagen, „La montée en puissance des investisseurs institutionnels: implications réglementaires“. Studie im Auftrag des französischen Senats, Januar 2003.

(17)  Vgl. insbesondere S. M. Bilger und K. F. Hallock „Mass layoffs and CEO turnover“, 2005 und die Veröffentlichung der Federal Reserve Bank Chicago „Assessing the impact of job loss on workers and firms“, April 2006.

(18)  Dänisches Steuerministerium „Status på SKATs kontrolindsats verdrrørende kapitalfondes overtagelse af 7 danske koncerner“, März 2007.

(19)  Watson Wyatt, „Corporate directors give executive pay model mixed reviews“, Juni 2006.

(20)  Plihon, D.: „Précarité et flexibilité du travail, avatars de la mondialisation du capital“, 2006.

(21)  KOM(2003) 728 endg.: „Die jüngsten Fortschritte in der Verbesserung der Arbeitsplatzqualität“.

(22)  Da das Humankapital mehr und mehr als wichtiger Faktor zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit in einer wissensbasierten Wirtschaft Anerkennung findet, ist es erstaunlich, dass es in den Vermögensbilanzen der Unternehmen nicht aufgeführt wird …

(23)  Europäische Beobachtungsstelle für Arbeitsbedingungen: „Fourth European Working Conditions Survey“, 2007, S. 49.

(24)  Vgl. Ziffer 6.4 ff.

(25)  Europäische Beobachtungsstelle für Arbeitsbedingungen: „Fourth European Working Conditions Survey“, 2007, S. 49.

(26)  Europäische Kommission, „The contribution of labour cost developments to price stability and competitiveness adjustment in the Euro Area“ (Die Entwicklungen der Arbeitskosten und ihr Beitrag zur Preisstabilität und Wettbewerbsanpassung in der Eurozone) in: Quarterly Report on the Euro Area, Band 6, Nr. 1, 2007.

(27)  Vgl. die Dreijahresuntersuchungen „US Survey of Consumer Finances“.

(28)  Einkommensverteilung in ansteigender Ordnung und unterteilt in fünf Teile mit jeweils der gleichen Anzahl an Beobachtungen.

(29)  Jüngere Arbeiten weisen in diese Richtung, vgl. insbesondere T. Piketty, E. Saez: „The evolution of top incomes: a historical and international Perspective“ (Die Entwicklung der Spitzengehälter in historischer und internationaler Perspektive), American Economic Review, 2006.

(30)  Deutsche Bank Research, „Private equity in Europe“, Januar 2005.

(31)  The McKinsey Quarterly, „Competitive advantage from better interactions“, 2006, Nr. 2.

(32)  Adrian Blundell-Wignall, „Private Equity Trends and Issues“, OECD, 2007.

(33)  B. Carayon, „Patriotisme économique: de la guerre à la paix économique“, 2006, S. 119.

(34)  Finanzausschuss des britischen Unterhauses: „Private equity : tenth report of session 2006-2007“.

(35)  Financial Times, 30. Januar 2007.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Abgelehnter Änderungsantrag

Folgender Änderungsantrag, auf den mehr als 25 % der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfielen, wurde im Laufe der Beratungen abgelehnt (Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

Änderungsantrag zu den Ziffern 5.1 und 5.1.1

Die Ziffern 5.1 und 5.1.1 durch folgende Ziffer 5.1 ersetzen:

„5.1

Auf der einen Seite wurden zwar die hohen Ausschüttungen für die Aktionäre in der Vergangenheit häufig mit den Risiken begründet, unter denen sie ihr Kapital einsetzen, aber dieses Argument ist durch die Entwicklungen der letzten Jahre schwer erschüttert worden

5.1.1

Die Verantwortung beschränkt sich auf ihre eigene Einlage, und die Übertragbarkeit ihrer Aktiva, bedingt durch eine aufgrund der neuen Technologien und ihre weltweite Verbreitung wachsende Liquidität der Finanz- und Börsenmärkte, reduziert das Risiko, das sie tragen, um ein erhebliches Maß und gibt ihnen nie gekannte Möglichkeiten des Ausstiegs und der Diversifizierung.

5.1

Die Zahlungen an die Aktionäre müssen im Einklang mit den von den Unternehmen erwirtschafteten Ergebnissen stehen.“

Begründung

Beide Ziffern erscheinen zu kritisch gegenüber der Funktion der Anteilseigener als wichtige Akteure für die Entwicklung der Unternehmen. Zu behaupten, ihre Verantwortung beschränke sich „auf ihre eigene Einlage“, heißt, das Risiko herunterzuspielen, das sie bei ihren Investitionen in die Finanz- und Aktienmärkte eingehen. Die jüngste Krise dieser Märkte straft die Behauptung Lügen, die „neuen Technologien und ihre weltweite Verbreitung“ reduzierten „das Risiko, das sie tragen, um ein erhebliches Maß“. Eine Beschränkung der Rückflüsse an die Aktionäre könnte sich negativ auf die Entwicklung der Aktienmärkte auswirken.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 65

Nein-Stimmen: 70

Stimmenthaltungen: 13


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/106


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Unterstützung der europäischen industriepolitischen Strategie“

(2008/C 10/24)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Unterstützung der europäischen industriepolitischen Strategie“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 4. September 2007 an. Berichterstatterin war Frau FLORIO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 129 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Ziele Wachstum, Innovation und Beschäftigung, denen die Lissabon-Agenda im Frühjahr 2000 neue Impulse gegeben hat, sind eng mit einer Neubewertung und Aufwertung der Rolle der europäischen Industriepolitik verknüpft. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt muss zwar eingehalten und der Binnenmarkt konsolidiert werden — dabei müssen jedoch Formen der Koordinierung gefunden werden, die die europäische Industrie in die Lage versetzen, bei der Bewältigung der Herausforderungen der Globalisierung eine Schlüsselrolle zu spielen.

Im Hinblick auf die strategischen Ziele müssen prioritäre Sektoren von gemeinschaftlichem bzw. supranationalem Interesse bestimmt und mit angemessenen wirtschaftlichen Instrumenten unterstützt werden. Die Zuständigkeit für die mittel- und langfristigen industriepolitischen Strategien liegt hauptsächlich auf der europäischen Ebene, während die konkrete Umsetzung und Durchführung den Mitgliedstaaten obliegt.

Die Einheitswährung und der Binnenmarkt sind zwar hervorragende Instrumente, aber keine Zielsetzungen an sich. Die Ziele sind nach wie vor diejenigen, die im Vertrag verankert sind: wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt und ein hohes Beschäftigungsniveau.

Vor diesem Hintergrund müssen nach Auffassung des Ausschusses im Hinblick auf die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Förderung der europäischen industriepolitischen Strategie folgende Bereiche im Mittelpunkt stehen:

1.2

Grundzüge der Wirtschaftspolitik und Lissabon-Agenda. Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik als Ausrichtungs- und Koordinierungsinstrument der Wirtschaftspolitik müssen stärker mit den Initiativen der Lissabon-Agenda abgestimmt werden und Investitionen in die Innovation und die neuen Technologien im Industriesektor vorsehen, wobei der wirtschaftlichen Situation der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen ist.

1.3

Rolle und Politik der Europäischen Zentralbank. Die Entscheidungen der EZB sind der Inflationskontrolle und der Preisstabilität als Hauptziele verpflichtet. Die Erreichung dieser Ziele kann sich bisweilen hemmend auf die Investitionstätigkeit auswirken. Ohne Vernachlässigung ihrer vorrangigen Ziele könnte die EZB im Rahmen des Möglichen eine stärker akkomodierende Geldpolitik betreiben, um Investitionen anzukurbeln.

1.4

Rolle der EIB. Die Europäische Investitionsbank muss einen maßgeblichen Beitrag zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt leisten und die industrielle Entwicklung mit Anreizen für die Forschung und Entwicklung vorantreiben. Gleichzeitig muss die Kommission im Bereich der makroökonomischen Politik neue Instrumente zur Förderung der Expansion und des Wachstums der Industrie entwickeln.

1.5

Notwendigkeit einer besseren Steuerpolitik. In Bezug auf die Steuerpolitik muss einerseits der Verwaltungsaufwand, insbesondere für die KMU, reduziert werden. Andererseits wäre es zweckmäßig, wenn die steuerlichen Maßnahmen gleichzeitig auch als Anreize für Investitionen in Forschung und Entwicklung für die Unternehmen dienen könnten.

1.6

Die Risiken einer Finanzialisierung  (1) der Unternehmen ohne angemessene Regelungen. Die übermäßige Finanzialisierung der Unternehmen und die immer häufigeren rein spekulativen Investitionen in die Industrie gefährden das Industriegefüge und beeinträchtigen oft die Produktion, die Beschäftigung und den sozialen Zusammenhalt. Deshalb sind Instrumente erforderlich, die das Vordringen der Finanzwelt in die Tätigkeit der Unternehmen effizient regeln.

1.7

Neubelebung des europäischen Industriemodells. Ein Weg zur Bekämpfung der rückläufigen Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe und von Standortverlagerungen ist die Wiederbelebung des europäischen Industriemodells, das durch erfolgreiche Zentren und Sektoren gekennzeichnet ist. Der industrielle Sektor bedarf in jedem Fall sowohl materieller als auch immaterieller Infrastrukturen: Die Finanzierung derartiger Projekte liegt im Interesse der gesamten EU.

Da außerdem die Dienstleistungen in der europäischen Wirtschaft eine zentrale Rolle spielen, müssen sie mit den Unternehmen in Wechselwirkung stehen, denn sie — insbesondere die Dienstleistungen zur Unterstützung des produzierenden Gewerbes — sind der Lebenssaft der Wirtschaft. Ohne eine angemessene Dynamik und Vitalität des Industriesektors würden die Unternehmensdienstleistungen zum Erliegen kommen.

1.8

Forschung, Entwicklung und geistiges Eigentum. Offensichtlich sind Verbesserungen bei den Ergebnissen und den Investitionen in Forschung und Entwicklung notwendig, die gegenwärtig weit von den Zielen der Lissabon-Strategie entfernt sind. Auch in dieser Hinsicht müssen die Anstrengungen der EU im wirtschaftlichen Bereich gestärkt werden. Im Rahmen einer neuen industriepolitischen Strategie werden bei den Investitionen in die Forschung die neuen Ziele, die sich die EU im Bereich der Kohlendioxidemissionen gesteckt hat, berücksichtigt werden müssen. Der Schutz der Rechte am geistigen Eigentum ist für die Wettbewerbsfähigkeit und das Innovationspotenzial der europäischen Industrie ebenfalls wichtig und muss mit geeigneten gemeinschaftlichen Instrumenten gewährleistet werden.

1.9

Bildung und Industrie. Die Bedeutung der gegenseitigen Abhängigkeiten des Zusammenspiels zwischen Unternehmen und Bildung kann nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden. Schulen, Universitäten und Hochschulen müssen sich im Klaren darüber sein, dass sie die Studierenden mit Qualifikationen ausstatten müssen, die auch für die Unternehmen relevant sind. Die Unternehmen wiederum müssen diesen Einrichtungen ihre Bedürfnisse mitteilen. Ein gangbarer Weg zur Verbesserung des Zusammenspiels ist die Einrichtung von Unternehmensparks im Umfeld von Universitäten und die Unterstützung der europäischen Spitzenforschungszentren wie auch des Europäischen Technologieinstituts.

1.10

Sozialer Dialog. Durch die Ermittlung von Synergien und die Einbeziehung aller für das Gelingen des Strukturwandels relevanten Parteien kann der industrielle Wandel sozialverträglich gestaltet werden, wenn die systematische Einbindung der Sozialpartner in die Antizipierung und Steuerung des Wandels gewährleistet wird und auf kohärente Weise gleichzeitig zwei Ziele verfolgt werden: die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Verringerung der negativen sozialen Folgen. In den Grenzregionen könnte der industrielle Wandel erleichtert werden, indem — wie in der Sozialagenda 2005-2010 angekündigt — der fakultative Rahmen für länderübergreifende tarifvertragliche Vereinbarungen festgelegt wird. Die Europäischen Betriebsräte (EBR) haben ebenfalls einen Beitrag zu leisten: es muss dafür gesorgt werden, die Befugnisse dieser Betriebsratsangehörigen so zu stärken, dass die EBR ihre Rolle als wichtige Akteure des Konsultations- und Dialogprozesses wahrnehmen können (2).

2.   Hintergrund

2.1

Die Rechtsgrundlage für eine gemeinschaftliche Industriepolitik schafft Artikel 157 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (3), der in einer Reihe weiterer wichtiger Dokumente erwähnt wird. Ein Eckpfeiler der europäischen Industriepolitik ist die bereits vor einigen Jahren veröffentlichte Kommissionsmitteilung „Industriepolitik in einem offenen und wettbewerbsorientierten UmfeldAnsätze für ein Gemeinschaftskonzept“  (4) . Weitere Rechtsakte folgten (5), so die Kommissionsmitteilung „Industriepolitik in einem erweiterten Europa“  (6), die sich mit den Möglichkeiten und Auswirkungen der seinerzeit bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union befasste. Darauf folgten die Mitteilungen „Einige Kernpunkte der europäischen WettbewerbsfähigkeitHin zu einem integrierten Konzept“  (7) und „Den Strukturwandel begleiten: Eine Industriepolitik für die erweiterte Union“  (8). Noch jüngeren Datums ist die Mitteilung „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Ein politischer Rahmen zur Stärkung des Verarbeitenden Gewerbes in der EUAuf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“  (9), der die Halbzeitbewertung der Industriepolitik  (10) folgte.

2.2

Die Einführung des Euro als gemeinsame Währung ging mit dem Übereinkommen über den Stabilitäts- und Wachstumspakt der Euro-Länder einher und machte eine bessere Koordinierung der einzelstaatlichen Wirtschaftspolitiken, insbesondere der Haushaltspolitiken, erforderlich.

Auf der anderen Seite stellt die Erweiterung um neue Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa eine wichtige Herausforderung für die Zukunft Europas dar, wobei die zwischen den einzelnen Ländern nach wie vor bestehenden Unterschiede im wirtschaftlichen, sozialen und produktiven Bereich beseitigt werden müssen.

Mithilfe der Gemeinschaftspolitiken ließen sich wichtige Ziele verwirklichen, insbesondere im Hinblick auf die Konsolidierung des Binnenmarkts und, in jüngerer Zeit, den freien Dienstleistungsverkehr.

Die Aufmerksamkeit, die all diesen Prioritäten (Einhaltung der Maastricht-Kriterien, Regelung des Binnenmarktes, besonders unterschiedliche wirtschaftlich-produktive Bedingungen) geschenkt wurde, hatte zur Folge, dass politische Maßnahmen zur Förderung des industriellen Potenzials der EU vernachlässigt wurden.

2.3

Vor diesem Hintergrund spielte die Industriepolitik bei der Strategie für Wachstum und Beschäftigung eine geringere Rolle. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Mitgliedstaaten in diesem Sektor praktisch nach eigenem Ermessen handeln konnten, so dass es nur wenige supranationale Übereinkommen gab und nur selten eine Koordinierung innerhalb der Europäischen Union stattfand. Obwohl in den vergangenen 25 Jahren Verpflichtungen eingegangen und entsprechende Dokumente zur Gestaltung einer gemeinschaftlichen Industriepolitik ausgearbeitet wurden, die es ermöglichen sollte, mit den großen internationalen Wirtschaftsmächten Schritt zu halten, herrscht allgemein der Eindruck, dass die nationalen Interessen überwogen haben. Es wurde viel unternommen, um die Privatisierungen und Liberalisierungen zu beschleunigen, die als die besten Anreize für das Wirtschaftswachstum gelten. Um eine gemeinschaftliche Politik zur Förderung des industriellen und verarbeitenden Sektors hat man sich hingegen wenig gekümmert.

2.4

In der heutigen globalisierten Welt wird es immer wichtiger festzustellen, welche industriepolitischen Strategien auf europäischer Ebene am besten geeignet sind, um mit der weltweiten Konkurrenz (nunmehr nicht nur aus den USA und Japan, sondern auch aus Asien, darunter aus China und Indien) Schritt zu halten. Erforderlich sind folglich gemeinschaftliche Instrumente, um der Konkurrenz der restlichen Welt erfolgreich die Stirn zu bieten und in den strategischen Sektoren Spitzenreiter zu sein, statt nur unter „ferner liefen“ zu rangieren.

2.5

In Europa gab es in den letzten Jahren hingegen einen Trend zur Renationalisierung der Industriepolitiken, insbesondere in einigen strategischen Sektoren, wie beispielsweise dem Energiesektor. In vielen Fällen besteht das Risiko, dass die Tendenz, die heimischen Marktführer den europäischen vorzuziehen, insbesondere in denjenigen Sektoren, die eines größeren Marktes und umfangreicherer Investitionen bedürfen, dem eigentlichen nationalen Interesse der betreffenden Staaten zuwiderläuft.

2.6

Die mittel- und langfristigen industriepolitischen Strategien und die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu ihrer Förderung fallen in die Zuständigkeit der EU, während es ausschließlich den Mitgliedstaaten obliegt, die besagten politischen Maßnahmen durchzuführen und sie in Entscheidungen auf nationaler Ebene umzusetzen.

2.7

Angesichts des Aufstiegs neuer internationaler Wirtschaftsmächte, die in Bezug auf die arbeitsintensive Produktion wettbewerbsfähiger sind, muss die industriepolitische Strategie der Gemeinschaft auf eine qualitativ hochwertige Produktion ausgerichtet werden. Es gilt nicht nur vorauszusehen, welches die führenden Sektoren im Bereich der innovativen und qualitativ hochwertigen High-Tech-Produktion sein werden, sondern auch zu ermitteln, welche wirtschaftspolitischen Instrumente zur Unterstützung derjenigen industriellen und verarbeitenden Sektoren eingesetzt werden können, die für die gesamte Europäische Union von größtem Interesse sind.

3.   Die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union wiederankurbeln

3.1

Der Binnenmarkt der EU ist seit seiner Errichtung die eigentliche Triebkraft der europäischen Integration und des Wirtschaftswachstums. Der Euro hat als gemeinsame Währung den Binnenmarkt gestärkt: Der Handelsaustausch wurde schneller und sicherer, die Wettbewerbsfähigkeit besser. Doch sowohl der Binnenmarkt als auch der Euro sind Instrumente, und keine Ziele an sich. Die Ziele sind weiterhin diejenigen, die im Vertrag verankert sind und vom Europäischen Rat am 21./22. Juni 2007 in seinen Schlussfolgerungen bekräftigt wurden: wirtschaftlicher Fortschritt, sozialer Zusammenhalt und eine hohe Beschäftigungsrate.

3.2

Nach der ermutigenden Leistung im zweiten Halbjahr 2003 verzeichnete die europäische Wirtschaft im Laufe des zweiten Halbjahres 2004 eine gewisse Verlangsamung aufgrund externer Faktoren, wie beispielsweise der Ölpreisentwicklung, die auf die internationale Krise und die Entwicklungen im Welthandel zurückzuführen ist. Die Entwicklungen im Jahr 2005, das leichte Wachstum 2006 und das viel versprechende erste Quartal 2007 (11) haben gezeigt, dass die Stärkung der europäischen Wirtschaft immer mehr von der Exportleistung und immer weniger von der Binnennachfrage abhängt (12).

3.3

In den Grundzügen der Wirtschaftspolitik 2005-2008 (13) geht der Rat auf die Instrumente, die Prioritäten und die makroökonomische Politik ein, die die Mitgliedstaaten verfolgen sollten, sowie auf die entsprechenden Reformen, die auch im Hinblick auf eine nachhaltige industriepolitische Strategie erforderlich sind.

3.4

Die in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik vorgesehene makroökonomische Politik zielt auf die Förderung des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung ab, stellt jedoch gleichzeitig auch die Bedeutung der Wirtschaftspolitik für die Preisstabilität heraus. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zielen darauf ab,

die Wirtschaftsstabilität unter Einhaltung der mittelfristigen Ziele zu sichern,

die wirtschaftliche und finanzielle Nachhaltigkeit zu sichern, und zwar durch den Abbau der Staatsschulden und die Stärkung der Renten- und Fürsorgesysteme,

eine effiziente Ressourcenallokation zu sichern (wobei die öffentlichen Ausgaben zugunsten wachstumsfördernder Bereiche umgeschichtet werden sollen) und einen Beitrag der Lohnentwicklung zur makroökonomischen Stabilität zu gewährleisten,

eine größere Kohärenz zwischen makroökonomischer Politik, Strukturpolitik und Beschäftigungspolitik zu fördern.

3.5

Die makroökonomischen Politiken des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sollten besser auf die Ziele der Lissabon-Strategie abgestimmt werden, damit eine gemeinsame Wirtschaftspolitik der Europäischen Union und der Euro-Zone entstehen kann. Um die gewünschten Entscheidungen im Bereich der industriepolitischen Strategie zu unterstützen, müssen die europäische Haushaltspolitik reformiert und die Ressourcen zugunsten wachstumsfördernder Investitionen umgeschichtet werden (14).

4.   In die Lissabon-Strategie investieren

4.1

In Bezug auf die Reformen zur Stärkung des Wachstumspotenzials und die für die Industrie wichtigsten Reformen nennt der Rat folgende Prioritäten:

Verbesserung und Förderung der Investitionen in Forschung und Entwicklung, wobei das in Lissabon festgelegte Ziel eines Investitionsniveaus von 3 % des BIP bestätigt wird,

Nutzung der Wettbewerbsvorteile der industriellen Basis Europas: eine moderne und aktive Industriepolitik betreiben, neue Technologien entwickeln, attraktive Rahmenbedingungen für die Industrie fördern, verstärkt auf die Faktoren zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit setzen, um den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen, und die Unternehmenspole in der Europäischen Union in qualitativer Hinsicht fördern,

Ausbau und Vertiefung des Binnenmarktes: Die Wettbewerbspolitik muss konsequenter durchgeführt werden, und die staatlichen Beihilfen sind abzubauen,

Förderung der unternehmerischen Kultur und KMU-freundlichere Gestaltung des Wirtschaftsumfelds,

Verbesserung der und Investitionen in die europäischen Infrastrukturen, die für ein reibungsloses Funktionieren der europäischen Industrie ausschlaggebend sind.

4.2

Im „Sapir-Bericht“ aus dem Jahr 2003 (15) wurden diese Ziele bereits teilweise berücksichtigt und auf die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes gedrungen. Im Bereich der Geldpolitik, hieß es darin, könnten die idealen Rahmenbedingungen für die umrissene industriepolitische Strategie nur mit Maßnahmen geschaffen werden, die die Zinssätze unter Kontrolle halten und eine langfristige makroökonomische Stabilität gewährleisten.

4.3

In seiner Stellungnahme zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik sprach sich der EWSA für eine engere Verknüpfung der Grundzüge mit den sonstigen Zielsetzungen der Lissabon-Agenda aus (16).

4.4

Die makroökonomischen Entscheidungen sind heute jedoch nach wie vor sehr unausgewogen: Im Mittelpunkt steht die Bekämpfung der Inflation und die Preisstabilität, wobei die EZB stark dazu neigt, im Hinblick auf die Zinssätze keine allzu große Flexibilität an den Tag zu legen, und hier bisweilen unverständliche Entscheidungen trifft. In Zeiten eines kräftigen Wirtschaftswachstums (1999-2000) hat die EZB die Zinssätze praktisch verdoppelt, während sie sie in den langen Jahren der Stagnation äußerst langsam senkte. Eine flexible Geldpolitik gekoppelt an gezielte fiskalpolitische Maßnahmen (restriktive Haushaltspolitik und öffentliche Investitionen) könnte sich für ein nachhaltiges und dauerhaftes Wachstum im europäischen System bewähren.

4.5

Die Europäische Zentralbank hat die Aufgabe, die Geldwertstabilität aufrechtzuerhalten und den Preisanstieg zu kontrollieren. Diese Maßnahmen können jedoch zu Hindernissen für das Wirtschaftswachstum der Euro-Länder führen und sich somit auch bremsend auf die Entwicklung in den 15 Euro-Konvergenzländern auswirken. Deshalb ist eine stärkere Koordinierung der Maßnahmen der EZB mit der makroökonomischen Politik der EU notwendig. Selbstverständlich muss die EZB bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, dass sich eine starke Währung positiv auf die Importe auswirkt und sie preiswerter macht, für die Exporte hingegen negative Folgen hat.

4.6

In diesen Monaten lässt sich ein viel versprechendes, wenn auch geringes Wirtschaftswachstum in der EU beobachten. Dieses Wachstum wird insbesondere auch durch die Ausfuhren in andere Märkte gestützt, was zweifelsohne ein positiver Faktor ist. Gefördert werden muss jedoch auch — und insbesondere — die Binnennachfrage, um ein dauerhaftes und nachhaltiges Wachstum des Binnenmarktes zu erzielen. Fördern und steigern lässt sich die Binnennachfrage unter anderem im Zuge einer Lohnpolitik, die eine dynamischere Wirtschaft und bessere Ergebnisse gewährleistet und dabei den Risiken einer zu geringen Inflation oder eines Preisverfalls entgegenwirkt.

5.   Hin zu einer besseren Koordinierung der Steuerpolitiken

5.1

Im Rahmen einer auch im Bereich der Steuerpolitik abgestimmten Strategie könnten Maßnahmen zur Förderung der industriellen Entwicklung und zur Stärkung der gesamten europäischen Wirtschaft ergriffen werden. Einerseits wird gefordert, dass der hohe Verwaltungsaufwand für Unternehmen, insbesondere für KMU, verringert werden soll; andererseits wird eine Verbesserung der Regelungen angestrebt: Sie müssen einfacher und transparenter gestaltet, aber strikt eingehalten werden. Ein gerechtes und im Einklang mit dem Wachstumstrend umverteilendes, den Zusammenhalt förderndes Steuersystem ist ein wichtiger Impuls für Wachstum, Beschäftigung und Produktivität.

5.2

Das Phänomen der zunehmenden Finanzialisierung (17) der Unternehmen kann nachteilige Auswirkungen auf den industriellen und verarbeitenden Sektor haben. Es hat sowohl für die Umverteilung des Einkommens und des Wohlstands als auch für die Entwicklung der Wirtschaft und der Beschäftigung schwerwiegende Folgen.

5.3

Erforderlich sind mehr Transparenz und bessere gemeinschaftliche Regelungen, insbesondere aus folgenden Gründen: 1) auf dem Finanzmarkt sind die Hedgefonds ein risikoreiches Instrument; 2) die Privatanleger werden noch nicht ausreichend berücksichtigt und geschützt; 3) durch effiziente Vorschriften würden sowohl die Unternehmen als auch der Finanzmarkt und die Anleger und Sparer geschützt. Es sind daher transparente und effiziente gemeinschaftliche Vorschriften notwendig, um eine angemessene und umfassende Information der Anleger sicherzustellen. Die Annahme der Finanzmarkt- und Finanzinstrumente-Richtlinie ist ebenfalls ein wichtiger Schritt für den Schutz der — institutionellen wie privaten — Anleger.

5.4

Somit müssen die EU und die Mitgliedstaaten effiziente Instrumente schaffen, die ihre Volkswirtschaften vor den Spekulationen und der übermäßigen Finanzialisierung der Industrie- und Wirtschaftskonzerne schützen. Diese Erscheinungen führen keineswegs zur Mehrung des Wohlstands und Verbesserung des Lebensstands eines Landes bzw. mehrerer Länder, sondern sind vielmehr ein echtes Risiko für den sozialen Zusammenhalt und die Beschäftigung.

6.   In die Schlüsselsektoren investieren

6.1

In Zukunft werden mit Sicherheit jene Unternehmen eine vorrangige Rolle spielen, die in High-Tech-Sektoren wie beispielsweise alternative Energien, Nano- und Biotechnologien, Luft- und Raumfahrt, Multimedia und Telekommunikation tätig sind. All diese Sektoren sind jedoch sehr kapitalintensiv und weniger arbeitsintensiv, weshalb sie hochqualifizierter Arbeitskräfte bedürfen.

6.2

Die traditionell starken Sektoren der europäischen Industrie (Automobilbranche, Haushaltsgeräte etc.), müssen durch Sektoren unterstützt werden, die auf hochwertige Produktion setzen. Deshalb muss die europäische Wirtschaftspolitik sowohl mit direkten als auch indirekten Instrumenten die Durchführung großer europäischer Projekte in diesen Bereichen fördern.

6.3

Wie der Präsident der EIB, Philippe Maystadt, in seinen Ausführungen im EWSA betont hat, besteht die Hauptaufgabe der Europäischen Investitionsbank darin, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu unterstützen. Vorrangig seien zu diesem Zweck Investitionen in den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten sowie Sicherheit und Diversifizierung der Energieversorgung. Gleichzeitig sind Initiativen wie das JASPERS-Programm auf die Entwicklung von Projekten in den Bereichen Verkehrsnetze, Umwelt und Gesundheitsschutz ausgerichtet.

6.4

Es gibt sehr energieintensive Unternehmen, die für die europäische Industrie von wesentlicher Bedeutung sind. Diese müssen mit gemeinschaftlichen Maßnahmen geschützt werden. Hierzu müssen sich die verschiedenen EU-Mitgliedstaaten auf industriepolitische Maßnahmen verständigen, die Übergangsmaßnahmen — auf lange Sicht auch sektorspezifische Maßnahmen — zur Unterstützung dieser vorrangigen europäischen Produktionssektoren ermöglichen. Dabei müssen die grundlegenden Ziele berücksichtigt werden, sie sich die EU im Hinblick auf die Reduzierung der Kohlendioxidemissionen zur Bekämpfung der Erderwärmung gesteckt hat. Sie bieten die Gelegenheit, die Notwendigkeit des Wachstums des Binnenmarktes auf den stattfindenden Klimawandel abzustimmen. Im Einklang mit diesen Zielen muss die EU in den internationalen Verhandlungen eine Führungsrolle hinsichtlich der Einhaltung des Kyoto-Protokolls und der jüngsten REACH-Verordnung übernehmen.

6.5

In einigen Produktionssektoren finden enorme Betriebsverlagerungen statt, die Anlass zu berechtigter Sorge geben. Deshalb müssen alle erdenklichen Anstrengungen unternommen werden, damit die Schließung von Produktionsanlagen mit möglichst geringen Einschnitten für die Arbeitnehmer und für den Wohlstand der betreffenden Regionen einhergeht. Eine „Begrenzung“ der Folgen darf jedoch nicht die einzige Antwort sein. Das Ziel muss stets darin bestehen, die Unternehmen anzupassen und die Arbeitnehmer umzuschulen und ihnen Möglichkeiten der kontinuierlichen Weiterbildung anzubieten, damit sie sich als hochqualifizierte Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt behaupten können.

7.   Territoriale Politik

7.1

Um eine ausgewogene Entwicklung der gesamten Europäischen Gemeinschaft zu gewährleisten, müssen — auch aus europäischer Sicht — Anreize für die Unternehmen geschaffen werden, damit sie nicht nur Ersatzinvestitionen, sondern auch ergänzende Investitionen tätigen. Das Ziel besteht darin, es den Unternehmen zu ermöglichen, ihren Absatzmarkt zu erweitern und von den Vorteilen des nunmehr auch auf die neuen EU-Mitgliedstaaten ausgeweiteten Binnenmarkts konkret zu profitieren. Das europäische Industriegefüge zeichnet sich durch erfolgreiche Industriereviere und Sektoren aus. Dieses Modell ist ganz und gar nicht obsolet und kann auch angesichts der zukünftigen Herausforderungen, insbesondere in einigen spezifischen verarbeitenden Sektoren, wettbewerbsfähig sein.

7.2

Die Kommission selbst hat die derzeitigen Trends zur Deindustrialisierung und Standortverlagerung, die teilweise zusammenhängen, herausgestellt (18). Zweifelsohne hat die europäische Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten eine gewaltige Revolution erfahren: Der Anteil der verarbeitenden Industrie an der Gesamtproduktion der Europäischen Union sank von 30 % im Jahr 1970 auf 18 % im Jahr 2001. Gleichzeitig schnellte der Anteil des Dienstleistungssektors von 52 % auf 71 % hoch. Insbesondere technologieschwache und arbeitsintensive Produktionssektoren sind von Standortverlagerungen betroffen. Eine echte Gefahr besteht jedoch darin, dass auch die Forschung und Entwicklung ins außereuropäische Ausland verlagert werden könnte (was im Übrigen bereits geschieht). Auch die jüngsten, von Eurostat im April 2007 veröffentlichten Daten über die Auftragseingänge in der Industrie (19) sind besorgniserregend.

7.3

Die verarbeitende Industrie ist stets das Rückgrat der europäischen Wirtschaft gewesen und wird dies auch immer bleiben. Viele Sektoren sind auf eine solide industrielle Basis angewiesen, so auch der Dienstleistungssektor. Angesichts des enormen Potenzials und der zahlreichen Exzellenzzentren (20) wäre es schädlich, darauf zu verzichten. Einige arbeitsintensive Industriezweige verlagern zwar ihre Standorte in Länder außerhalb der Europäischen Union, aber es ist von wesentlicher Bedeutung, dass der starke Kern der industriellen Produktion, der für unsere Wirtschaft die hohe Wertschöpfung bringt, in der Europäischen Union bleibt.

7.4

Bei einer Untersuchung, welches die umsatzstärksten Unternehmen weltweit sind, lässt sich im Hinblick auf die heutige Wirtschaft eine anhaltend starke Position der Industrie beobachten. Den dynamischsten und innovativsten Teil des stetig wachsenden tertiären Sektors machen im Übrigen die „Dienstleistungen für die Produktion“ aus (21).

7.5

Im Laufe der letzten Jahre hat die Europäische Kommission verschiedene Anstrengungen zur Unterstützung der Industrie unternommen. Zwei Beispiele sollen an dieser Stelle genannt werden. Unlängst hat die Kommission ihre Aufmerksamkeit der Automobilindustrie gewidmet — einem Sektor, der 3 % des europäischen BIP und 7 % der Beschäftigung des verarbeitenden Sektors ausmacht und in der europäischen Wirtschaft traditionell eine starke Stellung einnimmt. Mit der CARS21-Mitteilung (22) wollte die Kommission eine umfassende Strategie für die europäische Kraftfahrzeugindustrie ins Leben rufen, um die Automobilherstellung langfristig und zu möglichst verbraucherfreundlichen Preisen zu erhalten. In der Mitteilung werden verschiedene Aspekte angesprochen, beispielsweise die Senkung des Verwaltungsaufwands, die ökologische Nachhaltigkeit, die Verkehrssicherheit, der Handel auf verschiedenen — auch überseeischen — Märkten und schließlich die Forschung. Die Kommission scheint sich im Klaren darüber zu sein, dass die Automobilbranche und ihre Zulieferindustrien im Mittelpunkt der europäischen Wirtschaft stehen und als solche Instrumente erfordern, die ihre Entwicklung im Rahmen einer Koordinierung auf europäischer Ebene lenken.

7.6

Gezielte Initiativen der europäischen Institutionen gab es auch im Textilsektor. Dieser Sektor ist besonders problematisch, da er in starkem Maße den Auswirkungen der internationalen Konkurrenz ausgesetzt ist. Der Rat „Wettbewerbsfähigkeit“ hatte bereits auf seiner Tagung am 27. November 2003 betont, wie wichtig es sei, eine effiziente Wechselwirkung der Politiken auf gemeinschaftlicher Ebene zu gewährleisten — insbesondere durch Forschung und Innovation, Bildungsmaßnahmen und den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum. Anfang 2004 setzte die Kommission eine Hochrangige Gruppe für den Textil- und Bekleidungssektor ein und beauftragte sie damit, Empfehlungen zu einer Reihe konkreter Initiativen auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene auszusprechen (23).

7.7

Im November 2003 hat die Kommission darüber hinaus die Europäische Wachstumsinitiative ins Leben gerufen mit dem Ziel, die wirtschaftliche Erholung in der EU zu beschleunigen. Die Wachstumsinitiative umfasst u.a. das Quick-Start-Programm für öffentliche und private Investitionsvorhaben in den Bereichen Infrastruktur, Netze und Wissen, dessen Ziel es ist, mit Unterstützung der Europäischen Investitionsbank öffentlich-private Partnerschaften zu fördern. Dieses Projekt muss unterstützt werden, insbesondere mit Blick auf die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Ziele, die die Europäische Union seit einigen Jahren verfolgt.

7.8

Der Europäische Sozialfonds ist eines der Instrumente zur Unterstützung der Umstellung in vom Strukturwandel betroffenen Sektoren und Gebieten, insbesondere zur Unterstützung von aktiven Beschäftigungsmaßnahmen und Ausbildungsangeboten sowie des Zugangs zum Arbeitsmarkt. Mit dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung werden wettbewerbsfördernde Maßnahmen unterstützt, wobei der Schwerpunkt auf Forschung, Innovation, Bildung und Infrastruktur gelegt wird. Die Ziele der Strukturfondsmaßnahmen können dann erreicht werden, wenn die wirtschaftlichen und sozialen Akteure im Einklang mit dem Partnerschaftsprinzip angemessen an der Planung beteiligt werden.

8.   Forschung und Entwicklung

8.1

Es steht fest, dass die Forschung und Entwicklung eine unverzichtbare Voraussetzung für das Wirtschaftswachstum und die industriepolitischen Strategien sind. Es gibt zahlreiche Initiativen der Institutionen der Europäischen Union zur stärkeren Nutzung, Förderung und Verbesserung der Ergebnisse und der Investitionen in die Innovation, bei denen diesen Aspekten besondere Bedeutung beigemessen wird.

8.2

In der Lissabon-Agenda wurde für alle Mitgliedstaaten das Ziel festgelegt, 3 % des BIP in Forschung und Entwicklung zu investieren. Dieses ehrgeizige Ziel scheint heute noch lange nicht erreicht zu sein: In den vergangenen Jahren war zu beobachten, dass diejenigen Mitgliedstaaten, die ohnehin schon immer in FuE investiert haben, weitere Investitionen getätigt haben. In den anderen Mitgliedstaaten war die erhoffte Investitionssteigerung hingegen nicht zu verzeichnen (24). Fiskalpolitische Ad-hoc-Maßnahmen können auch Anreize für Investitionen in Forschung und Entwicklung bewirken.

8.3

Wie im Sapir-Bericht nachdrücklich betont wurde, zahlt die Europäische Union den Preis für den erheblichen Abstand bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung gegenüber den Vereinigten Staaten. Dieser Abstand beschränkt sich nicht nur auf die Höhe der Mittel, die aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor in die Forschung und Entwicklung fließen. Im Vergleich zu den USA gibt es in Europa auch weniger Forscher und weniger wissenschaftliche Publikationen, Europas Anteil an High-Tech-Produkten im internationalen Handel ist geringer, in Europa werden weniger Patente angemeldet und es gibt weniger erfolgreiche neue Unternehmen (so genannte Start-ups) (25).

8.4

Im Grünbuch „Der Europäische Forschungsraum: Neue Perspektiven“ (26) schlägt die Kommission eine Strategie vor, um das Gemeinschaftspatent aus der Sackgasse zu führen. Es werden Initiativen vorbereitet, um die Entstehung europäischer „Leitmärkte“ in viel versprechenden technologieintensiven Sektoren zu unterstützen.

8.5

Innerhalb des EU-Forschungsrahmenprogramms und des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation besteht mehr denn je die Notwendigkeit einer starken Koordinierungsstelle vor allem für industriepolitische Strategien.

8.6

Die Förderung der Forschung ist im Wesentlichen Teil der einzelstaatlichen Politik, doch es gibt auch Beispiele, die in die entgegengesetzte Richtung gehen und die Zweckmäßigkeit ihres Ansatzes unter Beweis stellen: Das Konsortium Airbus und die Joint-Venture STIMicroelectronics werden von den meisten Wirtschaftswissenschaftlern als erfolgreiche „europäische Marktführer“ bezeichnet. Dies sind zwei der wenigen Beispiele einer supranationalen Zusammenarbeit im High-Tech-Bereich, die auf der internationalen Bühne tatsächlich wettbewerbsfähig ist. Der Fonds für die Innovation könnte die Schaffung europäischer Industriekonsortien unterstützen und eine Steigerung der erfolgreichen supranationalen Zusammenarbeit ermöglichen.

8.7

Um reibungslos zu funktionieren, bedarf das angestrebte Industriegefüge der Vernetzung (insbesondere auf europäischer Ebene). Deshalb muss auch das Ziel verfolgt werden, die materiellen (Verkehrs- und Informatiknetze, Häfen, Korridore und Verkehrsträger) wie auch die immateriellen Infrastrukturen zu verbessern und zu konsolidieren. Die immateriellen Infrastrukturen, die sich auf die Ausbildung und die Koordinierung zwischen Universitäten und Forschungszentren stützen, sind insbesondere mit Blick auf die langfristigen Herausforderungen mit Sicherheit nicht zweitrangig.

8.8

Vor diesem Hintergrund ist eine enge Verflechtung der Bereiche Hochschule, Forschung und Unternehmen unabdingbar. Zu diesem Zweck ist ein strategischer Ansatz erforderlich, der zum einen gewährleistet, dass Studierende die erforderlichen Kompetenzen erwerben können, um in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Zum anderen sind öffentliche und private Investitionen notwendig, damit Exzellenzzentren entstehen können, die in Verbindung mit den Universitäten ein Nährboden für die unternehmerische Initiative der Zukunft sind.

8.9

Ferner wird darauf verwiesen, dass im Siebten Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union (2007-2013) (27) die Mittel für die KMU aufgestockt wurden. 1,3 Mrd. EUR sind vorgesehen, um

kleine Gruppen innovativer Unternehmen bei der Bewältigung von gemeinsamen Problemen im technologischen Bereich zu unterstützen,

die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten der KMU bis zu 75 % zu finanzieren (im Vergleich zu 50 % im Sechsten Rahmenprogramm),

die Wirtschaftsförderung für KMU auf nationaler Ebene auszubauen und zu koordinieren.

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Laut Wikipedia (http://en.wikipedia.org/wiki/Financialisation; Anmerkung der Übersetzung: der englische Text wird hier frei übersetzt) ist unter Finanzialisierung die zunehmende Dominanz der Finanzwirtschaft in der gesamten Wirtschaftstätigkeit zu verstehen — der Controller in der Unternehmensführung, der Finanzanlagen im Rahmen der Gesamtaktiva, der börsenfähigen Wertpapiere und insbesondere der Aktien bei den Finanzanlagen, des Aktienmarkts als Markt für die Unternehmenskontrolle bei der Festlegung der Unternehmensstrategien und der Schwankungen am Aktienmarkt als Determinante für die Konjunkturzyklen.

(2)  ABl. C 024 vom 31.1.2006, „Der soziale Dialog und die Einbeziehung der Arbeitnehmer, Schlüssel zur Antizipierung und Kontrolle des industriellen Wandels“ und„Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Ein politischer Rahmen zur Stärkung des Verarbeitenden Gewerbes in der EUAuf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“; ABl. C 185 vom 8.8.2006,„Strategische Leitlinien der Kohäsionspolitik für den Zeitraum (2007-2013)“.

(3)  In Artikel 157 Absatz 2 heißt es: „Die Mitgliedstaaten konsultieren einander in Verbindung mit der Kommission und koordinieren, soweit erforderlich, ihre Maßnahmen. Die Kommission kann alle Initiativen ergreifen, die dieser Koordinierung förderlich sind.“

(4)  KOM(1990) 556 endg.

(5)  Gemeint sind hier zwei Mitteilungen der Europäischen Kommission aus den 90er Jahren: „Eine Politik der industriellen Wettbewerbsfähigkeit für die Europäische Union“ (KOM(1994) 319 endg.) und „Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen angesichts der Globalisierung — wie man sie fördern kann“ (KOM(1998) 718 endg.).

(6)  KOM(2002) 714 endg.

(7)  KOM(2003) 704 endg.

(8)  KOM(2004) 274 endg.

(9)  KOM(2005) 474 endg.

(10)  KOM(2007) 374 endg.

(11)  Siehe Eurostat Pressemitteilung 64/2007 (15. Mai 2007).

(12)  Siehe Eurostat Pressemitteilung 50/2007 (12. April 2007).

(13)  Empfehlung des Rates 2005/601/EG vom 12. Juli 2005 zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft (2005-2008), ABl. L 205 vom 6.8.2005, S. 28.

(14)  Vgl. Lisbon Agenda Group — Workshop on developing the Lisbon Agenda at European Level — Brüssel, 17. November 2006, zusammenfassender Bericht von Maria Joao Rodrigues.

(15)  An Agenda for a Growing Europe — Making the EU Economic System Deliver, André Sapir et al., Juli 2003.

(16)  Vgl. EWSA-Stellungnahme zum Thema „Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Economic Governance“, ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 49.

(17)  Siehe Fußnote 1.

(18)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das europäische Parlament — Einige Kernpunkte der Europäischen Wettbewerbsfähigkeit — Hin zu einem integrierten Konzept (KOM(2003) 704 endg.).

(19)  Siehe Eurostat Pressemitteilung 56/2007 (24. April 2007).

(20)  Die grundlegende Bedeutung eines starken und dynamischen industriellen Sektors in Europa wurde in der Kommissionsmitteilung „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Ein politischer Rahmen zur Stärkung des Verarbeitenden Gewerbes in der EUAuf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“ (KOM(2005) 474 endg.) und in der diesbezüglichen Stellungnahme des EWSA (ABl. C 185 vom 8.8.2006, S. 80). herausgestellt.

(21)  Zur Bedeutung der Dienstleistungen für die Produktion und zur Wechselwirkung zwischen den Dienstleistungen mit der europäischen Industrie siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Wechselwirkungen zwischen Dienstleistungen und Industrie in Europa sowie Auswirkungen auf Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 26.

(22)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Ein wettbewerbsfähiges Kfz-Regelungssystem für das 21. Jahrhundert. Stellungnahme der Kommission zum Schlussbericht der hochrangigen Gruppe CARS21 (Ein Beitrag zur Strategie der EU für Wachstum und Beschäftigung) (KOM(2007) 22 endg.).

(23)  Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Der Textil- und Bekleidungssektor nach 2005Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe für den Textil- und Bekleidungssektor“ (KOM(2004) 668 endg.).

(24)  Siehe Arbeiten der Lissabon-Gruppe des EWSA, insbesondere die Entschließung zum Thema „Die Umsetzung der überarbeiteten Lissabon-Strategie“ vom 15. Februar 2007, CESE 298/2007.

(25)  KOM(2006) 728 endg.

(26)  KOM(2007) 161 endg.

(27)  Vgl. EWSA-Stellungnahme zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (2007-2013)“, ABl. C 65 vom 17.3.2006, S. 22.


15.1.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 10/113


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Koordinierung der Regelungen der Mitgliedstaaten zu den direkten Steuern im Binnenmarkt“

„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Steuerliche Behandlung von Verlusten bei grenzübergreifenden Sachverhalten“ und

„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Wegzugsbesteuerung und die Notwendigkeit einer Koordinierung der Steuerpolitiken der Mitgliedstaaten“

KOM(2006) 823 endg.

KOM(2006) 824 endg. — SEK(2006) 1690

KOM(2006) 825 endg.

(2008/C 10/25)

Die Kommission beschloss am 19. Dezember 2006 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnten Vorlagen zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 4. September 2007 an. Berichterstatter war Herr NYBERG.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 168 gegen 2 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stimmt in Bezug auf Ziel und Ausrichtung der Arbeiten im Zusammenhang mit der Besteuerung und dem Binnenmarkt mit der Kommission darin überein, dass durch eine Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten die steuerpolitischen Ziele erreicht und die Bemessungsgrundlage geschützt werden können. Dadurch werden gleichzeitig die Senkung der Befolgungskosten und die Beseitigung der Hindernisse wie Diskriminierung und Doppelbesteuerung ermöglicht.

1.2

Die Kommission ist in dieser Mitteilung sehr zurückhaltend in ihren Formulierungen und „möchte … vorschlagen“, „schlägt vor … zu prüfen“ usw. Der EWSA hält die Vorschläge der Kommission für Initiativen in einem Arbeitsprogramm im Steuerbereich durchaus für angemessen. Dabei geht es um Bereiche mit Problemen bei grenzübergreifenden Tätigkeiten.

1.3

Durch den zurückhaltenden Ansatz der Kommission werden die Leser jedoch hart auf die Probe gestellt. Die Beschreibung der einzelnen Sachverhalte ist sehr knapp und die Auslegung der Rechtslage ist auch unsicher. Daher muss zu den Überlegungen der Kommission auch eher grundsätzlich als konkret Stellung genommen werden. Gespräche mit Vertretern der Kommission haben ergeben, dass die Mitteilungen eher als Berichterstattung über die umfassendere Arbeit, die innerhalb der Kommission geleistet wird, anzusehen sind.

1.4

Hinsichtlich des grenzübergreifenden Verlustausgleichs argumentiert die Kommission, dass es zwar nicht ideal sei, inländische Regelungen auf grenzübergreifende Sachverhalte auszudehnen, doch stelle dies trotz allem eine Verbesserung dar. Sowohl aus rechtlicher als auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist dies jedoch in höchstem Grade zweifelhaft, da so praktisch über ausländische Unternehmen Regelungen dessen Heimatlandes im Gebiet eines anderen Landes eingeführt würden. Die verschiedenen rechtlichen und wirtschaftlichen Probleme beim Verlustausgleich für grenzübergreifend tätige Unternehmen könnten langfristig durch eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) gelöst werden. Da die Kommission in dieser Frage in einer besonderen Arbeitsgruppe mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeitet, sollte sie sich in dieser Gruppe darauf konzentrieren, rasch eine Lösung zu finden und sich auf der Grundlage dieser Mitteilungen stärker mit den sonstigen Problemen beschäftigen.

1.5

Die Kommission versucht in ihrer Analyse ein Problem zu lösen, für das zumindest diese Mitteilung keine Analyse in Bezug auf das Ausmaß des Problems und die praktischen Auswirkungen der Einführung eines Rechts auf grenzübergreifende Verlustausgleiche enthält. In ihrer Argumentation hat die Kommission überdies die Möglichkeit des Verlustvortrags nicht ausreichend berücksichtigt. Eine grenzübergreifende Verlustübertragung ist dann nämlich in den meisten Fällen nicht immer erforderlich.

1.6

Was die Übertragung nicht realisierter Wertsteigerungen von Unternehmen zwischen Mitgliedstaaten betrifft, so kann die Grundlage hierfür nicht ein ausschließlich natürliche Personen betreffender Fall sein. Die Vorschrift, dass beim Wegzug eine Steuerzahlung auf Kapital aus nicht realisierten Wertsteigerungen nicht gefordert werden darf, führt zu hohen Informationsanforderungen. Die Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden sollte sicherstellen können, dass beide Staaten ihren rechtmäßigen Anteil an den Steuern erhalten, wenn diese nach und nach gezahlt werden. Es gibt Vermögen, die zwar durch einen Wegzug verlagert, aber nie veräußert werden, wie z. B. immaterielle Güter, oder Vermögen, die schlicht verbraucht werden. Die von der Kommission angeführte Beschreibung dieser Fälle ist nicht klar.

1.7

Generell ist es wichtig, die Zusammenarbeit und Koordinierung im Rahmen der Körperschaftsteuer auszuweiten. Gleichzeitig muss im Steuerbereich aufgrund des Subsidiaritätsprinzips respektiert werden, dass die Mitgliedstaaten auf der Grundlage nationaler Gegebenheiten selbstständige Beschlüsse treffen können.

2.   Einführung

2.1

Die Kommission legte am 19. Dezember 2006 drei Mitteilungen zur Koordinierung der Steuerpolitiken der Mitgliedstaaten vor. Es handelt sich zum einen um eine Mitteilung allgemeiner Art und um zwei Mitteilungen, in denen spezielle Fragen behandelt werden, und zwar Verluste bei grenzübergreifenden Sachverhalten bzw. die Wegzugsbesteuerung. Mit den Mitteilungen sollen die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen einzelstaatlichen Steuervorschriften verbessert, nicht aber eine Harmonisierung vorgeschlagen werden.

2.2

Die Mitteilungen beziehen sich zwar auf die direkten Steuern, behandeln aber fast ausschließlich die Unternehmensbesteuerung. Diese Mitteilungen wurden vorgelegt, um einerseits eine zügige Lösung für die Probleme bei grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeiten zu finden, die langfristig durch eine GKKB gelöst werden können, und andererseits, um die auch nach Einführung einer solchen Bemessungsgrundlage eventuell verbleibenden Probleme zu lösen.

2.3

Der EWSA hat sich bereits für die Einführung einer GKKB ausgesprochen und einige Grundsätze dargelegt, die im Falle der Einführung einer solchen Bemessungsgrundlage gelten sollten (1).

2.4

Die Kommission macht deutlich, dass es bei der Debatte und den Vorschlägen nicht nur darum geht, für Unternehmen diskriminierende Hindernisse und das Risiko der Doppelbesteuerung zu beseitigen, sondern auch um den Schutz der Bemessungsgrundlage der Mitgliedstaaten.

3.   Koordinierung der Regelungen der Mitgliedstaaten zu den direkten Steuern im Binnenmarkt (KOM(2006) 823 endg.)

3.1

Eine Koordinierung der Besteuerung sollte sich nach Auffassung der Kommission nach folgenden Grundsätzen richten: Beseitigung von Diskriminierung und Doppelbesteuerung, Bekämpfung von Nichtbesteuerung und Missbrauch samt Senkung der Kosten für Unternehmen und Personen, für deren Tätigkeiten mehrere Steuersysteme gelten. Probleme bei der Unvereinbarkeit von zwei Steuersystemen werden in erster Linie durch bilaterale Abkommen geregelt. Alternativ dazu wurden Gerichtsverfahren entwickelt, um zu prüfen, ob die Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehen. Im Zusammenhang mit den steuerrechtlichen Bestimmungen, die möglicherweise gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen, wird unter anderem auf die Wegzugsbesteuerung, Quellensteuer auf Dividenden, den konzerninternen Verlustausgleich und die Besteuerung von Betriebsstätten hingewiesen.

3.2

Die Rechtsprechung wird vom EuGH ständig weiter entwickelt. Dabei handelt es sich meist um spezifische Fälle, die selten allgemein ausgelegt werden können. Nach Ansicht der Kommission ist eine umfassendere Auslegung der Rechtsprechung erforderlich. Mit diesen Mitteilungen möchte die Kommission die Mitgliedstaaten durch eine Reihe von Initiativen bei der Suche nach koordinierten Lösungen unterstützen.

3.3

Eine wichtige Zielsetzung für die Kommission ist die Abschaffung der Doppelbesteuerung, die ein Hindernis für grenzübergreifende Tätigkeiten sein kann. Um Nichtbesteuerung/Missbrauch zu verhindern, schlägt die Kommission vor, die Rechtsprechung mit den Mitgliedstaaten in einer Arbeitsgruppe zu überarbeiten. Die Bestimmungen in diesem Bereich sind nicht nur unterschiedlich, sie müssen auch in 27 verschiedenen Verwaltungssystemen gehandhabt werden. Die Kommission will untersuchen, wie die Zusammenarbeit der Behörden der Mitgliedstaaten verbessert werden kann.

3.4

Die Kommission gibt auch Themen für künftige Mitteilungen an, wie z. B. Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung, Einstufungen von Fremd- und Eigenkapital und zur intensiven Nutzung der Streitbeilegungsregelung bei Steuerstreitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten.

Bemerkungen

3.5

Mit seinen Bemerkungen zu diesen drei Mitteilungen der Kommission bekräftigt der Ausschuss seine Unterstützung für die Erarbeitung einer GKKB. Einer der Grundsätze, auf die der EWSA in seiner Stellungnahme hingewiesen hat, besagt, dass konkrete Auswirkungen nur durch eine obligatorische GKKB erzielt werden können. Von politischer Seite wurden Bedenken hinsichtlich der Erarbeitung einer GKKB geäußert. Nach Ansicht des Ausschusses kann jedoch der Versuch, zu einer solchen Bemessungsgrundlage zu gelangen, nicht in Frage gestellt werden. Für einen funktionsfähigen Binnenmarkt ist sie langfristig erforderlich. Auch könnte sie die Umsetzung der in den Kommissionsmitteilungen behandelten Vorschläge erleichtern. Selbstverständlich kann es unterschiedliche Auffassungen darüber geben, wie diese Bemessungsgrundlage ausgearbeitet werden soll. Dieser Debatte muss durch einen konkreten Vorschlag jedoch neuer Schwung verliehen werden.

3.5.1

In der Stellungnahme des Ausschusses zur GKKB wurde auch auf den Nutzen hingewiesen, schrittweise Vorschläge vorzulegen, die schon vor Fertigstellung des Hauptentwurfs umgesetzt werden können. Der Ausschuss sieht in diesen Mitteilungen der Kommission einen Anfang für Arbeiten dieser Art.

3.6

In dieser Mitteilung ist die Kommission sehr zurückhaltend in ihren Formulierungen. „Die Kommission möchte einige Initiativen vorschlagen.“„Die Kommission schlägt vor, diesen Bereich zusammen mit den Mitgliedstaaten im Rahmen einer Arbeitsgruppe in näherer Zukunft (…) zu prüfen“. „Es wäre wünschenswert, umfassender zu prüfen, wie sich die grenzüberschreitenden Befolgungskosten senken (…) lassen.“ Die vorsichtige Haltung der Kommission in Bezug auf Steuerfragen ist angesichts der negativen Einstellung insbesondere der Finanzminister verständlich. Wenn die Politiker nicht bereit sind, konstruktiv an einer Zusammenarbeit, Koordinierung und, wo angebracht, auch Harmonisierung (vor allem in Bezug auf die GKKB) zu arbeiten, wird der EuGH auch weiterhin die Institution sein, die festlegt, wie die Interoperabilität der einzelstaatlichen Steuersysteme auszusehen hat.

3.7

Der EWSA hält die Vorschläge der Kommission für Initiativen in einem Arbeitsprogramm im Steuerbereich durchaus für angemessen. Dabei geht es um Bereiche mit Problemen bei grenzübergreifenden Tätigkeiten. Im Zusammenhang mit den Vorschlägen, die die Kommission vorlegen wird, ist es wichtig, darüber zu informieren, welche Bedeutung die Vorschläge für die Verwirklichung der Ziele im Rahmen der Lissabon-Agenda haben können.

3.8

Die in dieser und den beiden anderen Mitteilungen behandelten Probleme beziehen sich hauptsächlich auf grenzübergreifende unternehmerische Tätigkeiten. Nur die Mitteilung über die Wegzugsbesteuerung betrifft Personen. Der EWSA befürwortet es, dass bei den Debatten über den Binnenmarkt und die Besteuerung der Schwerpunkt in erster Linie auf die Unternehmen gelegt wird.

3.9

Wenn ein Unternehmen erwägt, in einem anderen Land aktiv zu werden, herrscht ein sehr großer Informationsbedarf hinsichtlich des Steuersystems des betreffenden Landes. Transparentere und leichter zugängliche Informationen sind erforderlich. Die Kommission kann eine wichtige Aufgabe als Bindeglied zu den Finanzbehörden der Mitgliedstaaten und den dort erhältlichen Informationen übernehmen. Möglicherweise könnte hier die Rolle der Kommission im Rahmen der Wettbewerbspolitik als Vorbild dienen.

3.10

Die Zusammenarbeit und Koordinierung bei der Unternehmensbesteuerung ist dringend erforderlich. Die Kommission spricht zwar von Zusammenarbeit und Koordinierung, doch enthalten die Mitteilungen Überlegungen, die in der Praxis bedeuten könnten, dass auf einen Teil der einzelstaatlichen Selbstständigkeit im Steuerbereich verzichtet werden muss. Dies gilt es, in künftigen konkreten Vorschlägen zu vermeiden.

4.   Steuerliche Behandlung von Verlusten bei grenzübergreifenden Sachverhalten (KOM(2006) 824 endg.)

4.1

Die Behandlung grenzübergreifender Verluste bei Unternehmen oder Konzernen basiert vor allem auf dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Marks & Spencer. Ohne die Möglichkeit eines grenzübergreifenden Verlustausgleichs kann ein Unternehmen mit Aktivitäten in mehreren Ländern höher besteuert werden als ein Unternehmen, dessen Aktivitäten alle in einem einzigen Land gebündelt sind. Mit einer GKKB könnte dieses Problem für Unternehmen mit Aktivitäten in mehreren Ländern gelöst werden. In Erwartung einer GKKB schlägt die Kommission verschiedene Verfahren für den grenzübergreifenden Verlustausgleich innerhalb einer Muttergesellschaft für Verluste in einer Tochtergesellschaft bzw. innerhalb eines Unternehmens mit Betriebsstätten/Zweigniederlassungen in anderen Ländern vor.

4.2

Es ist nicht möglich, die Lage innerhalb der EU in ihrer Gesamtheit zu beschreiben, da die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Regelungen haben.

4.3

Für Unternehmen mit mehreren Unternehmensteilen in einem Land kann stets ein Verlustausgleich zwischen den Unternehmensteilen vorgenommen werden. Dem in der Mitteilung enthaltenen Schema zufolge ist ein grenzübergreifender Verlustausgleich zwar in den meisten Fällen möglich, jedoch nicht zwischen allen Mitgliedstaaten. Der EuGH hat geurteilt, dass der Sachverhalt eines Unternehmens mit mehreren Aktivitäten in einem Land bzw. eines Unternehmens mit Aktivitäten in mehreren Mitgliedstaaten gleich behandelt werden muss. Daher ergibt sich der Verlustausgleich nach Ansicht der Kommission aus der Niederlassungsfreiheit.

4.4

Bei Konzernen (Muttergesellschaft-Tochtergesellschaft) ist in den meisten Mitgliedstaaten ein Verlustausgleich innerhalb eines Staates möglich. Bei Tochtergesellschaften in anderen Ländern ist dies nur in Ausnahmefällen möglich. Um diesen Fall geht es in der Rechtssache Marks & Spencer. Das Urteil lautete, dass die Verluste erst dann bei der Muttergesellschaft ausgeglichen werden können, wenn alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten in dem Land ausgeschöpft sind, in dem die Tochtergesellschaft ihren Sitz hat. Der Verlustausgleich darf nur bis hinauf zur Muttergesellschaft vorgenommen werden. Außerdem muss er zeitlich begrenzt sein.

4.4.1

Unternehmen innerhalb eines Konzerns sind rechtlich getrennte Einheiten und werden jeweils gesondert besteuert. 19 Mitgliedstaaten haben jedoch Systeme für eine gemeinsame Besteuerung im gesamten Konzern innerhalb eines Landes eingeführt. Die meisten bündeln die gesamte Besteuerung, während in einigen nur die Möglichkeit des Verlustausgleichs besteht. Selbstverständlich sind spezielle Bestimmungen erforderlich, wenn ein grenzübergreifender Verlustausgleich zugelassen werden soll, da die Ergebnisse unterschiedlichen Systemen zufolge besteuert werden sollen. Diesbezüglich bestehen in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Bestimmungen. Durch die GKKB könnten all diese Probleme für Unternehmen mit Aktivitäten in mehreren Ländern gelöst werden. Die Kommission möchte zu gemeinsamen, zeitlich begrenzten Lösungen für einen grenzübergreifenden Verlustausgleich innerhalb von Konzernen gelangen.

Bemerkungen

4.5

Zwar geht es in der Mitteilung um den Verlustausgleich, doch ist aus nahe liegenden Gründen die Behandlung der Gewinnbesteuerung der Ausgangspunkt. Der beste Ausgangspunkt wäre eine auch formal deutliche Behandlung der Gewinnbesteuerung und des Verlustausgleichs im selben Dokument gewesen. Der Verlustausgleich kann nicht getrennt von der Gewinnbesteuerung behandelt werden. Indem sich die Kommission auf die Möglichkeit einer Verlustverlagerung in ein anderes Land konzentriert, wurde auf die andere Möglichkeit der Finanzierung eines Defizits — konzerninterne Beiträge („intra-group contributions“) — nicht eingegangen. Wenn die „intra-group contributions“ vor Zahlung der Gewinnsteuer ausbezahlt werden müssen, hat dies dieselbe steuerliche Wirkung wie ein Verlustvortrag.

4.6

Mit der Argumentation, dass ein Unternehmen, das in mehreren Ländern tätig ist, auf die gleiche Art behandelt werden sollte wie ein Unternehmen mit Aktivitäten in nur einem Land, wird nur das halbe Problem aufgegriffen. Die Kommission möchte, dass grenzübergreifend tätige Unternehmen gleich behandelt werden. Da die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorschriften für den Verlustausgleich haben, entstehen dann neue Unterschiede zwischen Unternehmen. Wenn ein Unternehmen aus einem Land stammt, in dem ein grenzübergreifender Verlustausgleich zugelassen ist, und es diese Regelungen in einem Land anwenden darf, in dem ein Verlustausgleich zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften nicht zugelassen ist, entsteht ein Unterschied zwischen einheimischen und ausländischen Unternehmen. Solange unterschiedliche Bestimmungen bestehen, ist eine Gleichbehandlung aller drei Unternehmensarten nicht möglich, vielmehr wird nur die Gleichbehandlung verlagert. Die Gleichbehandlung in den Rechtsvorschriften, die zuvor für alle in einem Land tätige Unternehmen gegeben war, wird stattdessen zu einer Gleichbehandlung aller Unternehmen, die aus einem Land stammen — unabhängig davon, wo die Aktivitäten ausgeübt werden. Anders ausgedrückt werden Bestimmungen zur Verlustübertragung von einem Land in ein anderes verlagert, und zwar über Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen in diesem Land. Dies kann nicht hingenommen werden. Mit anderen Worten: In der Analyse der Kommission werden die möglichen Auswirkungen für Unternehmen, die nicht grenzübergreifend tätig sind, nicht bedacht.

4.6.1

Die Kommission argumentiert, dass es zwar nicht ideal sei, inländische Regelungen auf grenzübergreifende Sachverhalte auszudehnen, doch stelle dies trotz allem eine Verbesserung dar. Aus rechtlicher und volkswirtschaftlicher Sicht ist dies jedoch höchst zweifelhaft, da praktisch über ausländische Unternehmen Regelungen des Heimatlandes dieses Unternehmens im Gebiet eines anderen Landes eingeführt würden. Von den negativen Auswirkungen, die die Kommission anführt, wenn kein grenzübergreifender Verlustausgleich möglich ist, zählen für den Ausschuss die Probleme im Zusammenhang mit der Errichtung eines Unternehmens zu den schwerwiegendsten. In der Anfangsphase von Unternehmen sind Verluste üblich. In dieser Phase gibt es jedoch keine Möglichkeiten, diese Verluste gegen Gewinne im Ursprungsland des Unternehmens auszugleichen. Dies schreckt von der Niederlassung in neuen Ländern ab. Außerdem fällt es kleinen und mittleren Unternehmen am schwersten, solche Anlaufkosten zu schultern. Die erwähnten Probleme betreffen selbstverständlich auch einheimische Unternehmen, weswegen diese Probleme nicht nur für die Niederlassung im Ausland typisch sind.

4.7

Die Kommission hat in ihrer Argumentation überdies die Möglichkeit des Verlustvortrags nicht ausreichend berücksichtigt. Eine grenzübergreifende Verlustübertragung ist in den meisten Fällen nicht immer erforderlich. Der Unterschied, der zwischen einem Verlustvortrag innerhalb eines Landes und dem Verlustausgleich zwischen mehreren Ländern besteht, ist der zeitliche Aspekt. Bei einem grenzübergreifenden Verlustausgleich kann ein Verlust direkt mit einem Gewinn verrechnet werden. Hier drängt sich folgende Frage auf: Kann die beschwerliche Suche nach Lösungen, die für die Gewährleistung des grenzübergreifenden Verlustausgleichs innerhalb der EU erforderlich sind, mit dem Vorteil begründet werden, den der Verlustausgleich direkt im Jahr der Entstehung des Verlusts bietet? Verluste können über „intra-group contributions“ als außerordentliche Übergangszahlungen finanziert werden. Das Problem, das die Kommission zu lösen versucht, ist u.U. gar nicht so groß, wie es erscheint. Die Kommission sollte den grenzübergreifenden Verlustausgleich und den Verlustausgleich über einen längeren Zeitraum als Alternative für grenzübergreifend tätige Unternehmen in ihre Analyse aufnehmen, anstatt sich nur auf das eine Verfahren zu konzentrieren.

4.8

Ferner enthält zumindest diese Mitteilung auch keine Analyse in Bezug auf das Ausmaß des Problems und die praktischen Auswirkungen der Einführung eines Rechts auf grenzübergreifende Verlustausgleiche. Eine solche Analyse ist vor einer Entscheidung über die Zulässigkeit von grenzübergreifenden Verlustausgleichen unverzichtbar.

4.9

Die Kommission gibt bei ihrer Auslegung der Rechtslage, wonach ein Verlustausgleich aufgrund der Niederlassungsfreiheit bei Tätigkeiten von Betriebsstätten oder Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten zugelassen werden muss, nicht an, ob dieser zeitlich begrenzt sein soll oder nicht. Es scheint, als gebe es derzeit nur einen zeitlich begrenzten Verlustausgleich. Es sollte deutlich darauf hingewiesen werden, dass dies empfohlen wird.

4.10

Die Kommission möchte die Einschränkungen, die im Fall Marks & Spencer gemacht wurden, als Leitlinien für künftige Vorschläge für Maßnahmen nehmen. Der EWSA hält es auch für erforderlich, bei der Ausarbeitung künftiger Vorschläge darauf zu achten, dass das Risiko der Steuerumgehung im Zusammenhang mit dem Verlustausgleich zu minimiert wird.

4.11

Die Kommission hat bereits früher Vorschläge unterbreitet, wonach ein Verlustausgleich im Jahr nach der Verlustübertragung zulässig ist. Die Verluste werden von der Muttergesellschaft zurückgeführt, sobald Gewinne vorliegen, mit denen sie verrechnet werden können. Dies scheint hier das beste Vorgehen zu sein, da die Steuerbemessungsgrundlage so nur zeitlich begrenzt zwischen den beteiligten Ländern übertragen wird.

4.12

Versucht man, Probleme im Zusammenhang mit dem grenzübergreifenden Verlustausgleich ohne die Einführung einer GKKB zu lösen, entsteht ein übergreifendes Problem, das die Kommission nicht ausreichend berücksichtigt zu haben scheint. Wie kann man wissen, welcher Verlust über eine Grenze hinweg übertragen werden soll, wenn Gewinne und Verluste in den beiden Ländern auf unterschiedlichen Berechnungen der Bemessungsgrundlage beruhen? So wird man sich nicht einigen können, wie groß der Verlust tatsächlich ist. Kurz gesagt: Die einzelnen rechtlichen und wirtschaftlichen Probleme beim grenzübergreifenden Verlustausgleich scheinen langfristig nur über die GKKB gelöst werden zu können. Wenn diese Frage einigermaßen schnell geklärt wird, kann es ratsam sein, dass sich die Kommission eingehender mit den anderen Problemen, die in diesen Mitteilungen behandelt werden, befasst.

5.   Wegzugsbesteuerung und die Notwendigkeit einer Koordinierung der Steuerpolitiken der Mitgliedstaaten (KOM(2006) 825 endg.)

5.1

Die Kommission ist der Ansicht, dass innerhalb eines Landes und zwischen verschiedenen Ländern die gleichen Regeln für einen Steueraufschub gelten sollten, wenn nicht realisierte Wertsteigerungen zwischen Unternehmen übertragen werden. Da jedoch die Vorschriften für die Besteuerung nicht realisierter Wertsteigerungen voneinander abweichen, entstehen hier Probleme. Neben voneinander abweichenden Vorschriften kann auch ein mangelnder Informationsfluss zwischen Steuerbehörden und beteiligten Unternehmen oder Personen zu einer Nicht- oder Doppelbesteuerung führen. Die Kommission nennt Beispiele, wie die Vorschriften der Mitgliedstaaten besser koordiniert werden können. Es bleibt jedoch noch einiges zu tun, bis alle Probleme gelöst sind.

5.2

Die Kommission stützt ihre Argumentation auf den Fall einer Einzelperson (2), bei dem nicht realisierte Wertsteigerungen bei seinem Wegzug aus dem Land besteuert wurden, während Personen, die ihren Wohnsitz im Land behalten, dann besteuert werden, wenn die Wertsteigerungen realisiert werden. Der EuGH urteilte, dass dieser Unterschied gegen die Bestimmungen des EG-Vertrags zur Freizügigkeit verstößt. Hier tritt jedoch ein weiteres Problem auf: Dem Land, in dem die Wertsteigerung erzielt wurde, entgehen die Steuereinnahmen. Ohne besondere Vorschriften fallen diese Steuereinnahmen, wenn die Wertsteigerung realisiert wird, dem Land zu, in das der Wohnsitz verlegt wurde. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass es zulässig ist, bei einer Wohnsitzverlegung eine Steuererklärung zu verlangen, die als Grundlage für die Aufteilung der Besteuerung bei der Realisierung der Wertsteigerung herangezogen wird.

5.3

Die meisten Mitgliedstaaten sind inzwischen dem EuGH-Urteil gefolgt und haben die Wegzugsbesteuerung abgeschafft. Unsicherheit herrscht in Bezug darauf, wie oder sogar ob die künftige Besteuerung zu einem Teil dem Land zufallen soll, aus dem der Wohnsitz verlegt wurde. Die Kommission plädiert für ein System, in dem das Land, in das der Wohnsitz verlegt wurde, einen Steuerabzug für den Teil der Wertsteigerungen gewährt, der vor der Wohnsitzverlegung entstanden ist. Dies setzt voraus, dass die Steuerbehörden in den beiden betroffenen Ländern die Besteuerung koordinieren. Die Kommission legt das EuGH-Urteil, das sich auf eine Person bezog, ferner so aus, dass es auch für Unternehmen gilt, die nicht realisierte Wertsteigerungen verlagern.

5.4

Ein Sonderfall sind die EWR- bzw. EFTA-Staaten, die zwar unter die Freizügigkeit, aber nicht unter das EU-Steuerrecht fallen. Diesbezüglich vertritt die Kommission die Ansicht, dass beim Wegzug verlangt werden kann, Steuern abzuführen, um dem Land, aus dem der Wohnsitz verlegt wird, die Steuereinnahmen zu sichern, wenn keine anderen Verfahren in bilateralen Vereinbarungen festgelegt werden.

Bemerkungen

5.5

Wenn die Kommission verschiedene Fälle von Verlagerungen von Vermögen aus nicht realisierten Wertsteigerungen zwischen Unternehmen erörtert, erscheint die Rechtslage unsicherer als in Bezug auf Einzelpersonen. Die Kommission stützt ihre Auslegung in Bezug auf Unternehmen auf ein Urteil, das für Privatpersonen gilt. Ein Urteil, das auf Privatpersonen gemünzt ist, kann aber nicht unmittelbar auf Unternehmen übertragbar sein. Daher muss die Kommission ihre Analyse um die besonderen Probleme, mit denen Unternehmen konfrontiert sein können, ergänzen.

5.6

Ausführlichere Erläuterungen in Bezug darauf, welcher Fall der Kommission zufolge für unterschiedliche Sachverhalte gilt — Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft, Zweigniederlassungen bzw. Betriebsstätten, wären erforderlich. Nach Lektüre der Beschreibungen in der Kommissionsmitteilung stellt sich u.a. die Frage, ob eine unterschiedliche Behandlung nicht realisierter Wertsteigerungen wirklich davon abhängig gemacht werden sollte, welches Verhältnis zwischen den beteiligten Unternehmen herrscht.

5.7

Die Vorschrift, dass beim Wegzug eine Steuerzahlung auf Kapital aus nicht realisierten Wertsteigerungen nicht gefordert werden darf, führt zu hohen Informationsanforderungen. Dass die Information, dass das Vermögen nicht veräußert wurde, bis zur Veräußerung jedes Jahr zu erbringen ist, erscheint unangemessen. Stattdessen sollte die Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden sicherstellen können, dass beide Staaten ihren rechtmäßigen Anteil an den Steuern erhalten, wenn diese nach und nach gezahlt werden.

5.8

Es gibt Vermögen, das zwar durch einen Wegzug verlagert, aber nie veräußert wird, wie z.B. immaterielle Güter, oder Vermögen, das schlicht verbraucht wird. Die von der Kommission angeführte Beschreibung dieser Fälle ist nicht ausführlich genug. Wie soll der Mitgliedstaat, aus dem das Vermögen stammt, jemals die Steuern auf den nicht realisierten, zuvor vorhandenen Wert erhalten, wenn diese nicht bei der Verlagerung erhoben werden dürfen?

Brüssel, den 26. September 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung in der EU“, ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 48.

(2)  Rechtssache C-9/02, Hughes de Lasteyrie du Saillant gegen Ministère de l'Économie, des Finances et de l'Industrie, ABl. C 94 vom 17.4.2004, S. 5.